Institutionskritik im Feld der Kunst: Entwicklung - Wirkung - Veränderungen 9783839451939

A systematic overview of institutional critique discourse and institutional strategies of critique within curatorial pra

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Institutionskritik im Feld der Kunst: Entwicklung - Wirkung - Veränderungen
 9783839451939

Table of contents :
Cover
Inhalt
Vorwort
1. Einführung
1.1 Ausgangspunkt und Motivation: Kritik hat Konjunktur
1.1. Gegenstand und Forschungszugang
1.1.1. Gegenstand
1.1.2. Forschungszugang
1.2. Methoden und Aufbau
1.2.1. Theoretische Hintergründe
1.2.2. Analyse des Diskurses der Institutionskritik
1.2.3. Fallstudien
1.3. Forschungsstand: Einordnung in aktuelle Positionen
1.3.1. Der Begriff Institutional Critique: Ursprung und wissenschaftlicheAuseinandersetzung
1.3.2. Entwicklung der Institutionskritik und ihre Phasen
1.3.3. Veränderung der Orte von Institutionskritik
1.3.4. Konzeptuelle Neubestimmungen: Institutionskritik als Praxis,instituierende Praxis und Methode
2. Institutionalisierung der Institutionskritik: Begriffsauslegungen und Spannungsfelder
2.1. Institution, Institutionalisierung und Autonomie(-bestreben)
2.1.1. Institution(en)
2.1.2. Institutionalisierung
2.1.3. Das Paradox der kanonisierten Institutionskritik
2.1.4. Das Streben nach und der Kampf um Autonomie
2.1.5. Autonome Institutionskritik? Kritisch‐künstlerische Praktiken zwischen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
2.2. Kritik, Kritikalität und Affirmation
2.2.1. Kritik und Kritikalität
2.2.2. Zwischen Kritik und Affirmation: Institutionskritik als situative Praxis
3. Der Diskurs der Institutionskritik: Strategien, Funktionen und Akteure
3.1. Historische Bewegung durch den institutionskritischen Diskurs
3.1.1. Frühe Museumskritik
3.1.2. Übersicht zur modernen Institutionskritik
3.1.3. 1960er und 1970er: Die erste Phase der Institutionskritik
3.1.4. 1980er und 1990er: Die zweite Phase der Institutionskritik
3.2. Funktionen der Kritik
3.2.1. Dekonstruktive Kritik: Strategien der Enthüllung unddes kritischen Hinterfragens
3.2.2. Reformative Kritik: Strategien der Optimierung und der Umgestaltung
3.2.3. Transformative Kritik: Strategien der Erweiterung und der Restrukturierung
3.2.4. Destruktive Kritik: Strategien der Negation und des Exodus
3.2.5. Kooptiert‐affirmative Kritik: Institutionskritik als Feigenblatt
3.2.6. Zwischenfazit: Die Relevanz der Funktionen von Institutionskritik
4. Die dritte Phase der Institutionskritik: Mitte der 2000er Jahre bis in die Gegenwart
4.1. Einführung
4.1.1. Institutionskritik untersuchen: Forschungsprojekte, Konferenzenund Publikationen
4.1.2. Institutionskritik lehren: Curatorial Studies
4.1.3. Institutionskritik zeigen: Ausstellungen
4.1.4. Auf Institutionskritik reagieren: Fallstudien zur institutionellenund kuratorischen Praxis
4.2. Kunstmuseen mit Sammlung
4.2.1. Van Abbemuseum (Van Abbe), Eindhoven
4.2.2. Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA)
4.2.3. Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK), Leipzig
4.2.4. Zwischenfazit
4.3. Nicht‐sammelnde Ausstellungshäuser
4.3.1. neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Berlin
4.3.2. basis voor actuele kunst (bak), Utrecht
4.3.3. Shedhalle, Zürich
4.3.4. Zwischenfazit
4.4. Independent spaces
4.4.1. Casco Art Institute: Working the Commons (Casco), Utrecht
4.4.2. PRAXES Center for Contemporary Art (PRAXES), Berlin und Bergen
4.4.3. The Showroom, London
4.4.4. Zwischenfazit
4.5. Post-Institutionen
4.5.1. Inverse Institution, Berlin
4.5.2. L’Internationale
4.5.3. Para-Institution. Tactics for Cultural Change (Para-Institution), Galway
4.5.4. Zwischenfazit
5. Fazit: Institutionen der Institutionskritik – Gemeinsame Strategien und Konsequenzen
5.1. Institutionen der Institutionskritik: Sieben gemeinsame Strategien der Kritik
5.2. Vier Konsequenzen der institutionalisierten Kritik
5.3. Forschungsdesiderate und Ausblick
Literaturverzeichnis
Bildnachweis

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Franziska Brüggmann Institutionskritik im Feld der Kunst

Edition Museum  | Band 47

Meinen Söhnen

Franziska Brüggmann promovierte zu den Auswirkungen von Institutionskritik auf Kunstinstitutionen und Ausstellungspraktiken. Zuvor war sie als Kuratorin für internationale Wanderausstellungen zu Ernst Ludwig Kirchner, Pablo Picasso und neuer Museumsarchitektur sowie als Kunst- und Kulturvermittlerin tätig. Sie lebt und arbeitet in Basel und den Bündner Bergen.

Franziska Brüggmann

Institutionskritik im Feld der Kunst Entwicklung – Wirkung – Veränderungen

Dissertation der Zeppelin Universität Erstgutachterin: Prof. Dr. Karen van den Berg Zweitgutachterin: Prof. Dr. Beatrice von Bismarck Verteidigt am 13.12.2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Mr. Nico / photocase.de Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5193-5 PDF-ISBN 978-3-8394-5193-9 https://doi.org/10.14361/9783839451939 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort ....................................................................................... 9 1. Einführung............................................................................... 11 1.1 Ausgangspunkt und Motivation: Kritik hat Konjunktur .................................................... 11 1.2. Gegenstand und Forschungszugang .......................................................................... 12 1.2.1. Gegenstand ................................................................................................ 12 1.2.2. Forschungszugang ...................................................................................... 14 1.3. Methoden und Aufbau ............................................................................................ 15 1.3.1. Theoretische Hintergründe ............................................................................ 15 1.3.2. Analyse des Diskurses der Institutionskritik ...................................................... 15 1.3.3. Fallstudien ................................................................................................ 17 1.4. Forschungsstand: Einordnung in aktuelle Positionen ....................................................24 1.4.1. Der Begriff Institutional Critique: Ursprung und wissenschaftliche Auseinandersetzung.................................................................................... 26 1.4.2. Entwicklung der Institutionskritik und ihre Phasen ............................................ 28 1.4.3. Veränderung der Orte von Institutionskritik ..................................................... 29 1.4.4. Konzeptuelle Neubestimmungen: Institutionskritik als Praxis, instituierende Praxis und Methode ................................................................. 30 2.

Institutionalisierung der Institutionskritik: Begriffsauslegungen und Spannungsfelder ............................................. 35 2.2. Institution, Institutionalisierung und Autonomie(-bestreben)......................................... 36 2.2.1. Institution(en) ............................................................................................ 36 2.2.2. Institutionalisierung .....................................................................................42 2.2.3. Das Paradox der kanonisierten Institutionskritik ............................................... 43 2.2.4. Das Streben nach und der Kampf um Autonomie .............................................. 46 2.2.5. Autonome Institutionskritik? Kritisch-künstlerische Praktiken zwischen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ................................................................... 53 2.3. Kritik, Kritikalität und Affirmation............................................................................ 59 2.3.1. Kritik und Kritikalität ................................................................................... 63 2.3.2. Zwischen Kritik und Affirmation: Institutionskritik als situative Praxis .................. 69

3.

Der Diskurs der Institutionskritik: Strategien, Funktionen und Akteure .................................................... 73 3.2. Historische Bewegung durch den institutionskritischen Diskurs .....................................73 3.2.1. Frühe Museumskritik ....................................................................................73 3.2.2. Übersicht zur modernen Institutionskritik......................................................... 75 3.2.3. 1960er und 1970er: Die erste Phase der Institutionskritik ..................................... 76 3.2.4. 1980er und 1990er: Die zweite Phase der Institutionskritik................................... 88 3.3. Funktionen der Kritik ............................................................................................. 97 3.3.1. Dekonstruktive Kritik: Strategien der Enthüllung und des kritischen Hinterfragens ........................................................................ 98 3.3.2. Reformative Kritik: Strategien der Optimierung und der Umgestaltung .................. 101 3.3.3. Transformative Kritik: Strategien der Erweiterung und der Restrukturierung ......... 102 3.3.4. Destruktive Kritik: Strategien der Negation und des Exodus .............................. 103 3.3.5. Kooptiert-affirmative Kritik: Institutionskritik als Feigenblatt ............................. 105 3.3.6. Zwischenfazit: Die Relevanz der Funktionen von Institutionskritik ....................... 106 4. 4.2.

4.3.

4.4.

4.5.

4.6.

Die dritte Phase der Institutionskritik: Mitte der 2000er Jahre bis in die Gegenwart ............................................109 Einführung ........................................................................................................ 109 4.2.1. Institutionskritik untersuchen: Forschungsprojekte, Konferenzen und Publikationen........................................................................................ 111 4.2.2. Institutionskritik lehren: Curatorial Studies ..................................................... 112 4.2.3. Institutionskritik zeigen: Ausstellungen ........................................................... 114 4.2.4. Auf Institutionskritik reagieren: Fallstudien zur institutionellen und kuratorischen Praxis ............................................................................. 117 Kunstmuseen mit Sammlung .................................................................................. 119 4.3.1. Van Abbemuseum (Van Abbe), Eindhoven......................................................... 119 4.3.2. Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA) ............................................. 138 4.3.3. Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK), Leipzig.............................................. 143 4.3.4. Zwischenfazit ............................................................................................ 147 Nicht-sammelnde Ausstellungshäuser .................................................................... 150 4.4.1. neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Berlin .......................................... 150 4.4.2. basis voor actuele kunst (bak), Utrecht .......................................................... 166 4.4.3. Shedhalle, Zürich ........................................................................................ 172 4.4.4. Zwischenfazit ............................................................................................ 176 Independent spaces ............................................................................................. 179 4.5.1. Casco Art Institute: Working the Commons (Casco), Utrecht ............................... 180 4.5.2. PRAXES Center for Contemporary Art (PRAXES), Berlin und Bergen ....................... 191 4.5.3. The Showroom, London............................................................................... 195 4.5.4. Zwischenfazit ........................................................................................... 198 Post-Institutionen ............................................................................................... 202 4.6.1. Inverse Institution, Berlin ............................................................................ 203 4.6.2. L’Internationale ......................................................................................... 210 4.6.3. Para-Institution. Tactics for Cultural Change (Para-Institution), Galway .................213 4.6.4. Zwischenfazit ............................................................................................ 217

5.

Fazit: Institutionen der Institutionskritik – Gemeinsame Strategien und Konsequenzen ............................................ 221 5.2. Institutionen der Institutionskritik: Sieben gemeinsame Strategien der Kritik ................. 222 5.3. Vier Konsequenzen der institutionalisierten Kritik ..................................................... 226 5.4. Forschungsdesiderate und Ausblick........................................................................ 229 Literaturverzeichnis.......................................................................... 231

Bildnachweis ................................................................................ 259

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im April 2018 von der Zeppelin Universität als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurden Überarbeitungen vorgenommen, allerdings konnten Veränderungen bei den Fallbeispielen, beispielsweise bezüglich Personalwechsel, Namensänderungen oder Neuschaffungen von Stellen nicht vollumfänglich berücksichtig werden. Keine Dissertation entsteht im Alleingang. Mein Dank gebührt all jenen, die mich im Verlauf und bei der Publikation unterstützt haben. An erster Stelle danke ich herzlichst meiner Betreuerin Prof. Dr. Karen van den Berg. Sie hat meine Arbeit von der ersten ausgesprochenen Idee bis hin zur vorliegenden Fassung begleitet und ist konstruktiv jedwedem Bedenken und jeder Frage begegnet. Auch Prof. Dr. Beatrice von Bismarck bin ich zu Dank verpflichtet für eine hilfsbereite und professionelle Begleitung als Zweitbetreuerin. Die anregenden Diskussionen und zielsicheren Anmerkungen haben das Projekt stets vorangebracht. Weiterhin gebührt mein Dank Dr. Suzanne Greub, Direktorin des Art Centre Basel, die mir neben meinen theoretischen Überlegungen über viele Jahre einen praktischen Ausgleich in der kuratorischen Arbeit ermöglicht hat. Des Weiteren danke ich meinen Doktorandenkolleginnen im Kolloquium des Fachbereichs für Kulturwissenschaften an der Zeppelin Universität für ihr kontinuierliches Feedback. Der regelmäßige Austausch hat viele Sorgen meines alltäglichen Arbeitsprozesses relativiert und Mut gemacht, die Arbeit fortzusetzen. Eine Bereicherung war auch das internationale PhD Seminar am Louisiana Museum of Art (2015). Für wertvolle Hinweise bedanke ich mich bei den Teilnehmenden der Konferenz der European Sociological Association (2015) und der internationalen Konferenzen an den Universitäten in Kopenhagen (2016) und Parma (2017). Ein weiterer Dank gilt meinen Gesprächspartnerinnen an den untersuchten Institutionen für ihre Bereitschaft, offen über ihre Arbeit zu sprechen. Meinen Freunden danke ich für ihre Geduld und benötigte Ablenkung. Mein besonderer Dank gilt Dr. Lucas Zapf für wertvolle Formulierungs- und Strukturierungshinweise sowie kritische Anmerkungen. Seine unermüdliche Unterstützung hat mich in meiner Arbeit stets motiviert und mir bei ihrer Fertigstellung geholfen.

1. Einführung

1.1

Ausgangspunkt und Motivation: Kritik hat Konjunktur

Ein Montagmorgen in Zürich. Zwölf Studierende sitzen um einen Tisch, keiner kennt sich. Alle wirken leicht übermüdet, aber aufgeregt: Es ist der erste Tag des Semesters, der erste Tag des Masters Art Education/Curatorial Studies. Jede hat eine unterschiedliche Grundausbildung hinter und einen kleinen Stapel Papier vor sich. Beim Überfliegen stechen Begriffe wie Institution, Kritik, Hegemonie, kritische Kunstvermittlung, New Institutionalism oder Exhibitionary Complex ins Auge. Die Studierenden sind begierig zu erfahren, was sich hinter den Schlagwörtern verbirgt. Schließlich sollen diese Konzepte die spätere kuratorische Arbeit leiten. An diesem Tisch sitze auch ich, froh, einen der begehrten Studienplätze ergattert zu haben. Während des Studiengangs waren kritische Ansätze omnipräsent; sie wurden als einzig zeitgemäße Weise dargestellt, Ausstellungen und andere Formate zu planen. In diesem Geiste schloss ich meine Masterarbeit ab, mit dem festen Vorhaben, dass sich meine Arbeit in Zukunft transparent gestaltet, meine Entscheidungen offengelegt werden, ich Besucherinnen1 nicht als Konsumentinnen sehen werde, Objekte mit ihrem Herkunftshintergrund kontextualisieren und auf keinen Fall meine Sichtweise als die einzig gültige oder als die der Institution ausgeben möchte. Institutionskritik war zugleich Lehrkanon von Museumswissenschaft und Kuratorischem und Inspiration zur praktischen Umsetzung. Das Mantra, das mir der Studiengang für die Praxis an die Hand gab lautete: Lass’ nichts unhinterfragt! Museen und Ausstellungshäuser sollen sich verändern! Einige Zeit und viele Stapel von Texten später begleitet mich dieses zentrale Thema meines – und vieler anderer kuratorischer Studiengänge – weiter: Der kritische Blick, mit dem die frisch ausgebildeten Kuratorinnen in die Praxis geschickt werden sollen. Mit Beginn meiner eigenen kuratorischen Arbeit erkannte ich, dass ein kritischer Zugang zu Kunstinstitutionen und zum Ausstellungsmachen aber nur einen möglichen Ansatz neben anderen darstellt. Affirmative Ansätze waren ebenso gefragt: Wissenschaftliche Inhalte sollten vermittelt werden, ein Großteil der Arbeit vollzog sich im 1

In dem gesamten Buch wird die weibliche Form verwendet. In jedem Fall ist, sofern nicht anders gekennzeichnet, damit auch die männliche Form eingeschlossen.

12

Institutionskritik im Feld der Kunst

Stile des ›traditionellen‹ Ausstellungsmachens. Warum diese Diskrepanz zwischen dem theoretischem State of the Art und praktischer Arbeit? fragte ich mich. Liegt es vielleicht daran, dass Institutionskritik sprichwörtlich am eigenen Ast sägt und dementsprechend als Gefahr wahrgenommen wird? Oder handelt es sich bei Institutionskritik um ein Stilphänomen, eine Modeerscheinung, die gefordert und erwartet wird, aber keine praktischen Konsequenzen zeitigt? Diese Fragen, in ihrer akademisch-praktischen Mischung, motivieren und begleiten das vorliegende Projekt.

1.2.

Gegenstand und Forschungszugang

1.2.1.

Gegenstand

Hinter dem Begriff Institutionskritik steht eine Bewegung. Sie begann mit jenen Künstlerinnen, die sich seit den späten 1960ern gegen die Institutionen wendeten, in denen sie ausstellten. In den späten 1980ern und frühen 1990ern erfuhr Institutionskritik eine zweite Konjunktur. Künstlerinnen reflektierten ihre doppelte Position: Während einerseits der Wunsch bestand, autonom zu arbeiten, mussten sie sich in die Abhängigkeit von Institutionen begeben, um ausstellen zu können und eine Plattform für Kritik zu erobern. Als Teil des Feldes2 wirkten Künstlerinnen nun innerhalb und mit den Strukturen, um sie von innen heraus zu transformieren. Diese Komplizenschaft war essenzielles Thema der so genannten zweiten Phase.3 Mittlerweile hat sich Institutionskritik zu einem Sammelausdruck gewandelt. Er steht für eine Vielzahl reflexiver Praktiken, welche die Bedingungen des Ausstellens und der Institution Kunst sowie ihr System untersuchen, transparent machen und hinterfragen. Institutionskritik erklärt Kunstinstitutionen zu einem Laboratorium und Experimentierfeld kritischer Praxen4 , legt die ökonomischen Rahmenbedingungen des Kunstfeldes offen, befragt ästhetische Codes und diskutiert Verflechtungen von Museen mit politischen Instanzen und Fördersystemen. Konferenzprogramme zum Ausstellungsmachen und der Museumsforschung bestätigen, dass Institutionskritik intensiv diskutiert wird.5 Als Bewegung, die seit ihren Anfängen darauf drängt, das Museum zu 2 3 4

5

Zu dem von Pierre Bourdieu geprägten Begriff des Feldes siehe Theoriekapitel 2.1.1. und 2.1.4. Zu dem Begriff der Phase und seiner Rolle im Diskurs der Institutionskritik siehe Forschungsstand in Kapitel 1.4. Vgl. u.a. Julia Bryan-Wilson (2003): A curriculum for institutional critique, or the professionalization of conceptual art. In: Jonas Ekeberg (Hg.), Verksted: New Institutionalism. Oslo: Office for Contemporary Art Norway, S. 91. Isabelle Graw: Jenseits der Institutionskritik. Ein Vortrag im Los Angeles County Museum of Art. In: Texte zur Kunst, 59 (2005): S. 1. Tobias Wall (2006): Das unmögliche Museum: zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart. Bielefeld: transcript, S. 221. Alexander Alberro (2009): Institution, critique, and institutional critique. In: Ders. und Blake Stimson (Hg.), Institutional critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachusetts): MIT Press, S. 5. Beispielsweise die Konferenz The Museum Reader:what practices should 21st century Museums pursue, how and why? vom 09.-10.03. 2017 am Museu Nacional de Arte Contemporânea – Museu do Chiado, Lissabon. Gleich vier thematische Stichpunkte beschäftigten sich mit Institutionskritik: ›Institutional critique as investigation of the framework and functioning of art institutions‹, ›The

1 Einführung

transformieren, dient Institutionskritik heute als Folie, um sich zu positionieren: Wie könnte ein Museum vor dem Hintergrund seiner Entwicklung zukünftig agieren? Mittlerweile kündigt sogar Ausstellungswerbung »Klassiker der Institutionskritik«6 an und man spricht von ihrer Institutionalisierung. Institutionskritik scheint im Mainstream angekommen. Mit dem gesellschaftlichen Wandel seit den 1960ern änderte sich das Verständnis von Kultur. In der Folge schien es nicht mehr angemessen, Kunstmuseen wie bisher als Hüter des kulturellen Erbes aufzufassen. Konträr zu einer affirmativen Praxis des Ausstellens7 reflektiert ein kritischer Zugang seine eigenen Bedingungen und macht transparent, wie Museen mittels Displays Wissen produzieren und Besucherinnen als Subjekte entwerfen. Kuratorinnen, die kritisch arbeiten, wenden sich davon ab, Wertgegenstände so zu arrangieren, dass das Publikum gebildet und über Geschichte informiert wird. Kritisches Kuratieren hat sich professionalisiert – über Studiengänge, in denen nun Ausstellungsgeschichte auf dem Lehrplan steht, Ausstellungen typisiert und Inszenierungsstrategien diskutiert werden. Formate und Repräsentationsformen zu reflektieren und kritisch zu revidieren, gehört zum Standardrepertoire zeitgenössischer Kuratorinnen. In vielfältigen Narrativen stellen sie aktuelle gesellschaftliche Fragen zur Disposition, die ein anderes Blickregime als ein allein edukatives ermöglichen. Im Idealfall begleitet und rahmt die Ausstellung ein diskursives Programm, das Wissen neu zusammenstellt und produziert. Diese spezifisch kritische Haltung leistet neuen Ausstellungsformen Vorschub. Repräsentiert werden sie von einer Reihe bekannter Kuratorinnenfiguren, von denen hier stellvertretend einige zu nennen sind: Harald Szeemann und seine Ausstellungen als Gesamtkunstwerke, Jens Hoffmanns dramaturgisch inspirierter Zugang zum Kuratieren oder Okwui Enwezor, der mit seinen Shows den kunsthistorischen Kanon herausfordert, neu schreibt und erweitert. Kritik gehört für sie zum guten Ton.

6

7

museum as a place of negotiation and conflict‹, ›The potential of institutions and the new institutional sphere: new institutionalism, radical museology, critical museology‹ und ›Critique and experimentation in art institutions‹. Das Symposium How institutions think vom 24. bis 27.02. 2016 am LUMAS Arles fragte ›In what ways can we think extra-institutionally, contra-institutionally, aninstitutionally, para-institutionally? Is institution the condition of potential thinking and of critique?‹ Die Kunsthal Aarhus widmete zwischen 2013 und 2014 eine Veranstaltungsreihe den Speculations on the Perfect Institution und band Institutionskritik als einen Faktor für eine zukünftige, selbstkritische Kunstinstitution ein. ArtMag by Deutsche Bank (2013): Klassiker der Institutionskritik. John Knight im Frankfurter Portikus. Verfügbar unter: http://db-artmag.com/de/76/news/meister-der-institutionskritik-deutschebank-stiftung-unterstuet/[Zugriff: 29.04.2015]. Analog zu Carmen Mörschs Definition von affirmativer Kunstvermittlung bedeutet affirmatives Kuratieren in erster Linie Wissen zu vermitteln, das mit einem prinzipiellen Gültigkeitsanspruch verbunden ist, der von der Institution (re)produziert wird. Affirmatives Kuratieren hinterfragt nicht seine eigenen Bedingungen und Funktionen, versteht sich affirmativ gegenüber dem Kunstfeld – es handelt sich nicht um eine reflektierende Tätigkeit. Vgl. dazu Carmen Mörsch (2009a): Am Kreuzpunkt von vier Diskursen: Die Documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation. In: Dies. und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.), Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der Documenta 12. Berlin: diaphanes. Ebenso auch Carmen Mörsch und Andrew Holland (Hg.) (2012): Zeit für Vermittlung. Zürich: Institute for Art Education/Pro Helvetia, S. 113.

13

14

Institutionskritik im Feld der Kunst

Der kritische Impetus setzt sich in angrenzenden Disziplinen fort: In museologischen Ansätzen und der Kunstvermittlung etablierten sich Praktiken, die parallel zur Institutionskritik laufen und als Symptom des reflexive turn der musealen und kuratorischen Arbeit zu sehen ist. Eine reflektierte Ausstellungspraxis versteht sich als Methode, um Wissen zu produzieren und dessen Ursprung für Besucherinnen zu kontextualisieren. Diese Bereiche setzen sich ebenso mit der Institution Kunst als Produzent von Macht und Wissen auseinander.8 Die vorliegende Studie widmet sich ausschließlich der Institution Kunst. Diese steht exemplarisch für eine erweiterte Praxis der Institutionskritik mit einem aktuell lebhaften Diskurs. In der Kunst nahm Institutionskritik zudem ihren Ursprung.

1.2.2.

Forschungszugang

Die Hypothese der vorliegenden Studie lautet: Institutionskritik in ihrem ursprünglichen Verständnis als künstlerische Praxis ist mittlerweile historisiert und kanonisiert. Sie hat sich geöffnet, als Praxis erweitert und findet nicht mehr ausschließlich in Kunstinstitutionen und im Kunstfeld statt, sondern ist als kritische Praxis heute in einem erweiterten gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Von allen Seiten, von künstlerischer wie aktivistischer, politischer und institutioneller Seite – sofern diese überhaupt klar voneinander getrennt werden können – erheben sich die kritischen Stimmen. Dazu trug entscheidend die kontinuierliche Selbstinstitutionalisierung der institutionskritischen Künstlerinnen bei. Die Studie überprüft die Hypothese, indem sie analysiert, wie sich Kunstinstitutionen und das Ausstellungswesen durch institutionskritische Praktiken verändert haben. Die vorliegende Arbeit adressiert die Frage, wie Ausstellungshäuser mit ihren Personalstrukturen, ihrer Selbstpräsentation, ihren Themen und Formaten auf institutionskritische Vorschläge antworten. Dies ist nicht nur essenziell für die Einlösung der Ansprüche, welche die Institutionskritik an sich selber hatte; vielmehr hängt hiervon zugleich die gegenwärtige Situierung kritischer Praktiken – wie der sogenannten kritischen Ausstellungspraxis – ab. Die folgenden Analysen gehen der Frage nach, inwiefern die Institutionskritik ihre eigenen Ziele erreicht hat und wie Museen auf sie reagiert haben. Die Forschungsperspektive der vorliegenden Studie fokussiert Institutionskritik als kritische Praxis, Methode und Haltung. Untersucht wird, inwiefern diese Perspektive fruchtbar ist, um aktuelle Ausprägungen der Institutionskritik vor dem Hintergrund ihrer durch Widersprüche und Ambivalenzen gekennzeichneten Geschichte einordnen zu können. Ziel ist es, Institutionskritik innerhalb einer aktuell debattierten dritten Phase – ob es eine solche ist, lässt sich wie bei den vorangegangenen erst retrospektiv feststellen9 – vom Beigeschmack des Scheiterns zu befreien und stattdessen einen Vorschlag zu liefern, der für ihre kontinuierliche Relevanz argumentiert. 8 9

Für eine Erläuterung zum Ausdruck Institution Kunst siehe Theoriekapitel 2.1.1. Kurator Steven L. Bridges fragt entsprechend in seinem Text I am institution (Hear me roar) wie man aktuelle Praktiken als Institutionskritik beschreiben kann, wenn sie noch nicht als solche identifiziert und kanonisiert sind. Vgl. Steven L. Bridges (2006): I am Institution (hear me roar). Verfügbar unter: https://mav.org.es/ensayos/documentos/ENSAYOSBIBLIOTECA/StevenBridgesmuseoinstFraser.pdf [Zugriff: 22.01.2015].

1 Einführung

Bei den bisherigen, wenig umfangreichen Untersuchungen zu den genannten Fragen blieb das Objekt der Kritik, um das die institutionskritischen Praktiken kreisen, im Hintergrund: Publikationen, die sich dezidiert mit den Auswirkungen der Kritik auf die Institution(en) beschäftigen, sucht man vergebens. Das Ziel der vorliegenden Studie liegt deshalb in der Sammlung von Beispielen aus der kuratorischen und institutionellen Praxis. Sie widmet sich explizit der empirischen Untersuchung und beabsichtigt nicht die theoretische Debatte zur Institutionskritik fortzuführen.

1.3.

Methoden und Aufbau

Die nachfolgende Untersuchung verortet sich im Kontext der Kulturwissenschaften und den Curatorial Studies. Im Zentrum steht eine historische Analyse des Diskurses der Institutionskritik, die mit Fallstudien kombiniert wird. Dadurch entsteht eine methodische Mischung aus theoretischer und praktischer Untersuchung.

1.3.1.

Theoretische Hintergründe

Institutionskritik operiert mit Begriffen, die im Kunstfeld omnipräsent sind und die von den Akteuren unterschiedlich ausgelegt werden. Als Grundlage für die in der Diskursanalyse und den Fallstudien vorgestellten Praktiken stellt das nachfolgende Kapitel die zentralen Begriffe vor. Zunächst zeige ich – ausgehend von ihren geschichtlichen Entwicklungen –, welche Auslegungen des Institutions- und Autonomie-Begriffs sich im Kunstfeld durchgesetzt haben. Dann erläutere ich den Terminus Institutionalisierung und beleuchte das Phänomen der kanonisierten Institutionskritik. Als Abschluss dieses Theorieteils expliziere ich, was unter einer relativ autonomen Institutionskritik zu verstehen ist. In einem zweiten Schritt skizziere ich vor dem Hintergrund meiner Fragestellung vier Verständnisse von Kritik, die ich für relevant im Rahmen institutionskritischer Praktiken erachte. Ich stelle das Konzept der Kritikalität vor und lege somit dar, wie man Institutionskritik als eine situative Praxis verstehen kann, die sich zwischen Kritik und Affirmation bewegt.

1.3.2.

Analyse des Diskurses der Institutionskritik

Die Studie fragt unter Rückgriff auf den bisherigen Diskurs zur Institutionskritik nach den Auswirkungen der Institutionskritik auf institutionelle und kuratorische Arbeitsweisen. Die Analyse zeichnet den Diskurs der Institutionskritik historisch nach. Das Verfahren rekonstruiert die Funktionen, Strategien und Absichten von institutionskritischer Praxis.10 10

Eine Sortierung anhand von Strategien und den spezifischen Gegenständen der institutionskritischen Praktiken nehmen Helena Björk und Laura Kokkonen in ihrer Online-Publikation Never underestimate the Institution vor. Sie teilen die Ansätze in Bezugsbereiche ein und unterscheiden die Felder ›Institution‹, ›Space‹, ›Museology‹, ›Discrimination‹ und ›Collectivity‹. Mit diesen fünf Kategorien bilden sie bereits die wichtigsten Schlagwörter ab und zeigen auf, dass Themen für

15

16

Institutionskritik im Feld der Kunst

Der Diskurs der Institutionskritik entfaltet sich synchron auf verschiedenen Ebenen, die sich bedingen und verschränken. Die Analyse muss daher zunächst das Spektrum von Orten aufdecken, an denen der Diskurs stattfindet. Ich unterscheide zwischen zwei grundsätzlichen Diskursebenen: 1. Quellen von Künstlerinnen – Die künstlerische Praxis selbst und deren Reflexion durch Künstlerinnen. – Publikationen, Kommentare und Essays: Die darin beschriebenen Arbeiten werden entweder durch schriftliche Überlegungen ergänzt oder das Schreiben über das Projekt hat essenziellen Anteil am Gesamtwerk. – Theoretische Aufsätze von und publizierte Interviews mit Kuratorinnen und Kunsthistorikerinnen, wie z.B. jene von Alberro und Stimson.11 2. Wissenschaftliche Quellen und Texte, die institutionskritische Projekte analysieren und die künstlerischen Schriften dazu in ihre Untersuchungen einbeziehen. Dazu gehören ebenfalls Medienberichte über relevante Ausstellungen und institutionskritische Arbeiten zu den Quellen.

Es gilt, diskursimmanente Strömungen herauszuarbeiten und zu untersuchen, inwiefern sie sich unterscheiden oder in Beziehung zueinander stehen.12 Nach dieser Darstellung dekonstruiere ich die beiden Ebenen des Diskurses, um Schwellen, Veränderungen und Argumentationsketten der Institutionskritik herauszukristallisieren. In einer parallelen Analysebewegung lege ich sie wieder übereinander, um den Gesamtverlauf des Diskurses als einen institutionalisierten und sich gleichzeitig selbst institutionalisierenden Prozess zu deuten. Der dargestellte Diskurs bildet, einem konstruktivistischen Verständnis folgend, nicht die Realität ab, sondern ist von mir konstruiert. Ich reihe mich damit, wie noch zu besprechen sein wird, in Kanonisierungsprozesse ein, die in besonderem Maße die Institutionskritik, ihre Wirkkraft und ihr Transformationspotenzial beeinflusst haben. Entsprechend kann es nicht das Ziel sein, ein vollständiges Bild aller Ansätze nachzuzeichnen. Fokussiert wird ein von mir spezifisch für diesen Zweck entworfener Dis-

11 12

eine Generation hinweg relevant waren und sich über Jahrzehnte hinweg als dauerhafte Kritikpunkte herausgestellt haben. Diese widersetzen sich hartnäckig der Veränderung. Vgl. Helena Björk und Laura Kokkonen: Never underestimate the institution. Cumma Papers, 11 (2014). Verfügbar unter: https://cummastudies.files.wordpress.com/2014/11/institutional_critique1.pdf [Zugriff: 08.01.2015]. Martin Fritz schlägt in der Publikation zur gleichnamigen Ausstellung Beziehungsarbeit/Kunst und Institution eine weitere Kategorisierung vor, und zwar nach fotografischen Untersuchungen an Museen, Vorschlägen für Museen, kritischen Interventionen auf Recherchebasis, architektonischen Interventionen und modellhaften Interventionen. Vgl. hierfür Martin Fritz (2011): Die Scheidungsrate ist niedrig. Martin Fritz im Gespräch mit Nina Schedlmayer. In: Ders., Peter Bogner und Gesellschaft bildender Künstler Österreichs (Hg.), Beziehungsarbeit/Kunst und Institution. Wien: Künstlerhaus, Schlehbrügge, S. 34. Siehe Forschungsstand in Kapitel 1.4. für eine detaillierte Beschreibung wichtiger Sammelbände und Publikationen. Hier interessiert besonders der Zusammenhang mit anderen Diskurssträngen wie jenen des New Institutionalism und der New Museology, die ebenfalls einem kritischen Grundgedanken entspringen und versuchen, die Rolle und Funktion des Museums neu zu denken.

1 Einführung

kurs, der sich auf jene Projekte konzentriert, die sich mit Aspekten der Institution Kunst auseinandergesetzt haben, die veränderbar scheinen. Aus der gesichteten Literatur habe ich eine chronologische Übersicht vorwiegend künstlerischer, institutionskritischer Projekte extrahiert, gemeinsame Themen identifiziert und Einzelbeispiele ausgewählt, die repräsentativ für einen Themenkomplex erscheinen oder in meinen Augen eine neue Strategie in den Diskurs eingebracht haben. Die Ausführungen bilden schlaglichtartig die Grundlage für die Fallstudien in Kapitel 4, mit denen analysiert wird, ob und inwiefern Museen, Ausstellungshäuser und andere Kunstorganisationen auf die im Diskurs erhobenen Forderungen eingegangen sind.   Die Analyse zielt darauf ab, die Entstehung des Kanons institutionskritischer Praktiken und die (Selbst)Institutionalisierung der Künstlerinnen sowie anderer Akteure zu verdeutlichen. Diese Form der Untersuchung deckt die Muster auf, nach denen Akteure handeln und argumentieren. Sie legt offen, wie Akteure dabei strategisch vorgehen. Die leitenden Fragen für die Analyse des Diskurses der Institutionskritik lauten: • • •

Wer gewinnt die Macht darüber, zu bestimmen, was als Institutionskritik gilt? Wie wird Institutionskritik bewertet? Über welche Beispiele wird gesprochen?

Die autoritären Reglementierungspraktiken, die sich in den Antworten auf diese Fragen zeigen, sind in die Diskursorte eingeschrieben und wirken in ihnen. Mit der Verstrickung von Macht und Wissen greife ich somit eine der zentralen Dimensionen des diskursanalytischen Verfahrens auf. Indem ich die Etappen der kritischen Auseinandersetzung von Künstlerinnen mit dem Museum und der Institution Kunst nachzeichne, sollen die Kritikstrategien der beteiligten Akteure sichtbar gemacht werden. Aus diesen Strategien leitete ich fünf Funktionen der Kritik für die Institution ab: Institutionskritische Verfahren wirken, in Anlehnung an Carmen Mörsch, (1) dekonstruktiv, (2) reformativ oder (3) transformativ.13 Darüber hinaus lassen sich (4) destruktive und (5) affirmativ-kooptierte Formate identifizieren. Die fünf Strategien bilden die Basis für die anschließenden Fallstudien. Diese fokussieren die institutionellen Reaktionen auf die Kritikstrategien und damit die praktischen Auswirkungen von Institutionskritik im Kunstfeld. Sie schließen an die Diskussion um eine gegenwärtige dritte Phase von Institutionskritik an.

1.3.3.

Fallstudien

»Ist es nicht ziemlich absurd, zu argumentieren, dass eine Institution der Kritik in einem Augenblick existiert, in dem kritische Kulturinstitutionen unzweifelhaft abge-

13

Vgl. dazu Mörsch (2009a) sowie Mörsch und Holland (2012).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

schafft werden, unterfinanziert sind, den Anforderungen einer neoliberalen Eventökonomie ausgesetzt werden, und so weiter?«14 Die untersuchten Fälle repräsentieren ein von mir ausgewähltes Spektrum von Kunstmuseen, Ausstellungshäusern und im Kunstfeld aktiven Initiativen. Gegenstand der Fallstudien15 sind ihre Ausstellungsformate, Institutionsmodelle und Modi der kuratorischen Praxis, die von institutionskritischen Praktiken geprägt und inspiriert wurden. Für diesen empirischen Part der Arbeit wende ich eine Methodenbricolage an.16 Dieser Ansatz führt die qualitative Analyse von Quellen zu den Kunstinstitutionen mit Beobachtungen vor Ort und Ausstellungsanalysen zusammen. Die Auswahl der Fallstudien beschränkt sich in erster Linie auf Nord- und Westeuropa. Zwar hat die Institutionskritik bekanntermaßen ihren Ausgangspunkt in den USA genommen, aber ihre Rezeption fand verstärkt im europäischen Raum statt.17 Zudem knüpfe ich mit dem Fokus auf Europa an die Diskussionen um den New Institutionalism an18 . Dabei handelte es sich um ein ausschließlich europäisches Phänomen, das

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Hito Steyerl (2006): Die Institution der Kritik. transversal. Verfügbar unter: https://transform.eipcp.net/transversal/0106/steyerl/de.html [Zugriff: 27.07.2014]. Robert K. Yins Publikationen (2003, 2011) empfehlen sich für forschungspraktische Hinweise zur Durchführung von Fallstudien im Sinne qualitativer Sozialforschung. Der Begriff der Bricolage stammt aus Claude-Lévi Strauss’ Publikation Das Wilde Denken (dt. 1968) und ist synonym zu Methodenmix zu verstehen: Erst in der Kombination können umfassende Schlussfolgerungen gezogen werden. Kennzeichen dieses methodischen Vorgehens ist, dass es nicht als streng definiertes Verfahrensmuster fungiert, sondern flexibel an den spezifischen Kontext, die jeweilige Fallstudie, angepasst werden kann. Dies ist zudem notwendig, da nicht für alle Fallstudien der gleiche Materialkorpus zur Verfügung stehen kann. Dies lässt sich nicht zuletzt an der Vielzahl der Publikationen feststellen, die in Europa zu dem Thema Institutionskritik erschienen sind. Siehe dazu den Forschungsstand in Kapitel 1.4. Die Ausstellungs- und Forschungsprojektbeispiele legen nahe, dass sich die europäischen Akteure des Kunstfeldes intensiver mit den gegenwärtigen, institutionskritischen Praktiken auseinandersetzen. Bemerkenswerterweise scheint das Interesse zyklisch strukturiert zu sein: Im bisherigen Verlauf ist etwa alle zehn Jahre zu erkennen, dass Institutionskritik wieder in den Fokus tritt, aktualisiert und neu verhandelt wird. Nach Frank Hillebrandt ließe sich, mit Rückgriff auf Gilles Deleuze und Felix Guattari, somit der europäische Raum als ›Intensitätszone‹ verstehen. Vgl. Frank Hillebrandt (2014): Soziologische Praxistheorien. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Die Bewegung des New Institutionalism fordert eine Veränderung und Umdefinition des Museums von innen heraus und schlägt neue Akteure vor, welche diese Neuerungen initiieren. Die Akteure verabschieden sich von dem Diskurs um das Kunstwerk als reines Objekt und dem institutionellen Apparat, der das Kunstwerk rahmt. Die Funktion des Museums muss darüber hinausgehen. So fordert Nina Möntmann eine Demokratisierung und Internationalisierung des Kunstmuseums, das in sich experimentellere und interdisziplinäre Methoden des Ausstellungsmachens vereinen soll (vgl. Nina Möntmann (2007): Aufstieg und Fall des -"New Institutionalism«. Perspektiven einer möglichen Zukunft. transversal. Verfügbar unter: https://eipcp.net/transversal/0407/moentmann/de.html [Zugriff: 29.09.2014]). Als führende Akteure des New Institutionalism gelten Charles Esche, Maria Lind oder auch Nina Möntmann. Insbesondere Esche wendet sich von dem Begriff ab und favorisiert stattdessen den Ausdruck Experimental Institutionalism. Vgl. Lucie Kolb und Gabriel Flückiger: An interview with Charles Esche »We were learning by doing«. In: OnCurating, 21 (2013b): S. 26.

1 Einführung

vor allem zu Beginn der 2000er zu einer Reihe so genannter ›new institutions‹ oder »Institutionen der Kritik« mittlerer Größe führte.19 Die Häuser, die unter diesen Begriffen subsumiert werden, vereint die Zielsetzung, sich den Tendenzen der Ökonomisierung und Privatisierung zu entziehen.20 Der Fokus lag vor allem auf sozialem Engagement. Nach nur wenigen Jahren sahen viele der Institution ihrer Schließung entgegen, ihre finanziellen Mittel wurden drastisch gekürzt oder sie sahen sich gezwungen, neoliberale Managementmodelle einzuführen.21 Andere Häuser veränderten nach einem Kuratorinnenwechsel ihre Ausrichtung. In diesen Entwicklungen zeigte sich – so resümieren Kolb und Flückiger in ihrem Aufsatz – für einige Akteure die zunehmende Hinwendung zu einer neoliberalen und populistischen Kulturpolitik.22 Es stellt sich daher die Frage, ob es tatsächlich Institutionen gibt, die ihrem eigenen Kritikbegriff gerecht werden konnten und nach wie vor ein emanzipatorisches Projekt verfolgen, die also die »korporative Wende«23 überlebt haben. Die vorliegende Studie schaut deshalb auf europäische Beispiele, die vielfältige Strategien entwickelt haben, um ihren Anspruch, eine institutionskritische Institution zu sein, zu bewahren. Zudem ist es interessant, sich auf europäische Häuser und Zusammenschlüsse zu konzentrieren, da in Europa ein besonderes Kulturförderungssystem zu finden ist. Während beispielsweise in den USA privatfinanzierte Museen durchaus weit verbreitet sind, dominieren in Europa staatlich oder kommunal geförderte Einrichtungen. Dennoch hat sich die finanzielle Situation vieler Kunstinstitutionen im letzten Jahrzehnt verschlechtert. Im Nachgang zur globalen Finanzkrise in 2008 kürzten viele Länder ihre Kulturbudgets, so insbesondere die Niederlande und Deutschland, in denen sich die vier Hauptfälle befinden, aber auch Großbritannien. In den Niederlanden schrumpften die verfügbaren Mittel sogar um bis 25 %.24 Gerade angesichts solcher Bedingungen geraten Institutionen zunehmend unter den Druck des Marktes. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang verwiesen auf die Forderung der Kuratorin Ellen Blumenstein, die »europäische Konvention, dass ein Sponsor oder die Politik

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Vgl. Nina Möntmann (2013): New Institutionalism Revisited. In: Jerlyn Marie Jareunpoon-Philips, Vlad Morariu, Rachel Pafe und Francesco Scasciamacchia (Hg.), Giant Step. Reflections & Essays on Institutional Critique. Bari: vessel art projects, S. 106. Vgl. u.a. Beatrice von Bismarck (2006): Game Within the Game: Institution, Institutionalisation and Art Education. In: Nina Möntmann (Hg.), Art and Its Institutions. Current Conflicts, Critique and Collaborations. London: Black Dog Publishing, S. 124. Vgl. Lucie Kolb and Gabriel Flückiger: New Institutionalism Revisited. In: OnCurating, 21 (2013b): S. 10f. Vgl. Ebd., S. 13. Möntmann (2007). Der genaue Prozentsatz schwankt je nach Quelle. So berichtet die BBC News von 25 %, vgl. Anna Holligan: Dutch budget cuts leave high arts in very low spirits. BBC News, 06.09.2012. Verfügbar unter: https://www.bbc.com/news/world-europe-19490501 [Zugriff 12.02.2019]. Laut einer anderen Quelle gingen die Ausgaben für Kultur im Zeitraum von 2010 bis 2016 um 21 % zurück. Vgl. dazu Compendium Cultural Policies and Trends in Europe (Hg.) (2016): Country Profile The Netherlands. PDF des Profils auf der Website des Compendium Cultural Policies and Trends in Europe. Verfügbar unter: https://www.culturalpolicies.net/down/netherlands_112016.pdf [17.02.2019].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

zwar öffentlich in Erscheinung tritt, aber nicht in Inhalte eingreift«25 verstärkt durchzusetzen. Sie sieht die inhaltliche Autonomie von Institutionen und Projekten gefährdet, wenn die Kunst- und Kulturförderung ökonomischen Zwecken unterstellt werde wie beispielsweise dem Stadtmarketing.26 Hito Steyerl lehnte eine solche Haltung bereits 2006 als protektionistisch ab und behauptete, es gäbe kein Zurück »zu einem kulturellen Nationalismus, zumindest nicht in emanzipatorischer Perspektive.«27 Im Anschluss an die bereits 2004 stattgefundene Konferenz »Public Art Policies. Progressive Kunstinstitutionen im Zeitalter der Auflösung des Wohlfahrtsstaats« in Wien, ausgerichtet vom European Institute for Progressive Cultural Policies (eipcp), formulieren die untersuchten Fallbeispiele Antworten auf die Frage, wie Kunstinstitutionen sich Ökonomisierungstendenzen und den Forderungen des Staats zumindest temporär entziehen können oder diese kritisch reflektieren.28 Die Fälle repräsentieren ein von mir ausgewähltes Spektrum von Kunstmuseen, Ausstellungshäusern und im Kunstfeld aktiven Initiativen. Jede der Fallstudien weist spezifische Bezüge zu Fragen der Institutionskritik auf, sei es in Form von Ausstellungsprogrammen, -formaten und Veranstaltungen wie Symposien oder Forschungsprojekten. An ihnen werden institutionelle und kuratorische Praktiken sichtbar, die an Institutionskritik anschließen. Es ist zu beachten, dass durch die getroffene Auswahl eine weitere Kanonisierung erfolgt und die Autorin sich ihrer Rolle in diesem Konstruktionsprozess bewusst ist. Die Fallstudien ordnen sich in vier Kategorien: 1. Ausstellungshäuser mit einer Sammlung: Jene, die man im allgemeinen Sprachgebrauch als traditionelle Kunstmuseen bezeichnet. Bezüglich ihrer Aufgaben entsprechen sie der ICOM-Definition des Museums und den Standards, die sich Museen des Deutschen Museumsbundes gesetzt haben.29 Wichtig ist bei der Auswahl der Fallbeispiele dieses Typs, dass die Sammlung nicht nur für den Leihverkehr eingesetzt wird, sondern tatsächlich ausgestellt und mit ihr gearbeitet wird. Die ausgesuchten Museen finanzieren sich größtenteils über dauerhafte, öffentliche Zuwendungen.30

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Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin und Franziska Richter (Hg.) (2014): Europa kreativ? Anforderungen an eine europäische Kulturpolitik. Dokumentation der Fachtagung des Forums Berlin der FriedrichEbert-Stiftung am 27. Juni 2014. Verfügbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/dialog/11347.pdf [Zugriff: 15.01.2019], S. 28. Vgl. Ebd. Steyerl (2006). Vgl. die Ankündigung für die Konferenz ›Public Art Policies. Progressive Kunstinstitutionen im zeitalter des Wohlfahrtsstaats.‹ Kunsthalle Exnergasse/WUK, Wien am 26. bis 28.04.2004. Verfügbar unter: ICOM Deutschland (2006): Ethische Richlinien für Museen von ICOM. Homepage des ICOM Deutschland. PDF Verfügbar unter: www.icom-deutschland.de/client/media/570/icom_ethische_richtlinien_d_2010.pdf [Zugriff: 24.05.2017] sowie Deutscher Museumsbund (2006): Standards für Museen. Verfügbar unter: https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2017/03/standards-fuermuseen-2006-1.pdf [Zugriff: 18.01.2019]. In den Vorbemerkungen zu Beginn jeder Studie erwähne ich jeweils, woher die finanziellen Mittel stammen.

1 Einführung 2. Häuser ohne Sammlung: Bespielen ihre Räume mit wechselnden Displays und anderen Programmformaten. Aufgrund der fehlenden Sammlung entsprechen sie nicht der ICOM-Definition eines Museums. In diese Kategorie fallen Beispiele, die sich mit Kunsthallen oder Kunstvereinen vergleichen lassen. Sie verfügen ebenso wie die Häuser mit Sammlung über eine ausgeprägte Verwaltungsstruktur und eine stabile Finanzierung. 3. Independent spaces31 : non-profit Ausstellungs- und Diskursäume für experimentelle künstlerische und kuratorische Praktiken. Sie organisieren ihre Infrastruktur zumeist partizipativ und weniger hierarchisch. Zudem sind sie weniger langfristig finanziert als Museen und Ausstellungshäuser: Independent spaces erhalten zumeist projektbasierte Zuschüsse und müssen verschiedene Einkommensstränge zusammenführen. 4. Post-Institutionen: Nicht-institutionalisierte Zusammenhänge wie Kollektive, Arbeits- und Forschungsgruppen, die sich mit Institutionskritik beschäftigen, aber die Ausstellungen nicht als ihr Hauptmedium ansehen.32 Es handelt sich um Projekte, die keine dauerhafte Infrastruktur schaffen oder benötigen. Sie sind entweder von vornherein temporär angelegt oder haben sich im Verlauf der Projektdauer als temporär erwiesen. Sie reagieren mit ihren hybriden Strukturen auf veränderte Bedingungen der zeitgenössischen Kunst- und Kulturproduktion. Dieser Flexibilität folgend, arbeiten sie teilweise mit größeren etablierten Kunstinstitutionen für eine bestimmte Zeit zusammen.33 Die Finanzierung der hier vorgestellten Beispiele unterscheidet sich stark: Sie bewegt sich zwischen Förderung durch die Europäische Union für groß angelegte Forschungsprojekte bis hin zu lokalen Initiativen, die aus schmalen kulturpolitischen Töpfen finanziert werden.

In jeder Kategorie steht ein Hauptfall im Zentrum. Um diesen zu identifizieren, habe ich nach einer ersten Überblicksanalyse der verfügbaren Dokumente hinsichtlich institutionskritisch inspirierter Praktiken jene Fälle ausgewählt, an denen sich diese Strategien häufen und verdichten, beispielsweise die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), die Shedhalle oder Casco Art Institute. Weitere Fälle sind dem Diskurs entnommen – das heißt, sie sind bereits besprochen worden oder werden häufig referenziert, wie das Van

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Die Bezeichnung als independent spaces ist nicht unumstritten. So kann argumentiert werden, dass auch solche Ausstellungsräume in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen gefangen sind wie beispielsweise mit Geldgeberinnen und Förderinnen. Vgl. dazu auch Daniel Pryde-Jarman (2013): Curating the artist-run space: exploring strategies for a critical curatorial practice. PhD, Coventry University, Coventry, S. 29. Für den vorliegenden Kontext bedeutet es, dass sie unabhängig von größereren Kunstinstitutionen arbeiten. Siehe dazu auch die einleitenden Abschnitte in Kapitel 4.5. Der letzte Typus reflektiert die Öffnung und Ausweitung der Institutionskritik auf andere Felder und belegt somit die Ausgangsthese von der umfassenden (Selbst-)Institutionalisierung. Rachel Mader beschreibt in diesem Kontext die Vielfalt an Formaten, Strukturen und Arbeitsmodellen, die eingesetzt werden. Vgl. dazu. Rachel Mader: How to move in/an institution. In: OnCurating, 21 (2013): S. 35. Vgl. Maria Lind (2011a): Restaging the Institution. In: Tone Hansen (Hg.), (Re)Staging the Art Museum. Berlin: Henie Onstad Art Center/Revolver Publishing, S. 30ff.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Abbemuseum oder das Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA) – oder auf Anregung von Gesprächspartnerinnen herangezogen. Somit ist die Auswahl der Fälle im Forschungsprozess aufgekommen. Der Umstand, dass einige Häuser bereits besprochen beziehungsweise häufig referenziert werden, verweist darauf, dass sie entweder als kontrovers oder exemplarisch einzuordnen sind. Den Fallbeispielen ist gemeinsam, dass an ihnen der Anschluss, die Adaptation und Reflexion institutionskritischer Praktiken sichtbar sind. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Systematik der Fallstudien: Tab. 1: Überblick Fallstudien. Kunstmuseen mit Sammlung

Ausstellungshäuser ohne Sammlung

Independent Spaces

PostInstitutionen

Hauptfall

Van Abbemuseum

ngbk

Casco Art Institute

Inverse Institution

Ergänzung I

MACBA (Barcelona, ES)

bak (Utrecht, NL)

Showroom (London, UK)

L’Internationale

Ergänzung II

GfzK (Leipzig, DE)

Shedhalle (Zürich, CH)

PRAXES (Berlin, D / Bergen, NO)

ParaInstitution (Galway, IE)

An den Fallstudien und den zugehörigen Fallbeispielen kristallisieren sich Diskursbewegungen der Institutionskritik. Institutionskritik in der institutionellen Praxis soll sichtbar gemacht werden, Veränderungen und Entwicklung der jeweiligen Institution, der Formate und der beteiligten Akteure können nachvollzogen werden. Um das Material auszuwerten fiel die Wahl auf die Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse sowie der deskriptiv-interpretativen Analyse der Ausstellungshäuser. Die qualitative Inhaltsanalyse greift auf verschiedene Materialien zurück: Homepages, Übersichtsraumpläne, fotografische Ansichten der Räumlichkeiten und Inszenierung der Ausstellungshäuser. Aus diesen Informationen lässt sich extrahieren, wie Ausstellungshäuser sich selbst und ihr Publikum entwerfen, in welchem Maße sie die Autorität der allwissenden Institution zur Disposition stellen und wie Hierarchien räumlich produziert und reproduziert werden. Ebenso werden Ausstellungsbeschreibungen, Direktorinnen- und Kuratorinneninterviews sowie Ausstellungskataloge und von der Institution herausgegebene Publikationen einbezogen. Viele Direktorinnen und Kuratorinnen publizieren regelmäßig – diese Texte, während ihrer Arbeit am entsprechenden Haus verfasst, offenbaren zusätzlich kuratorische Haltungen. Soweit vorhanden, gehen auch Materialen vor Ort aus Archiven in die Untersuchung ein (Programme, Ausstellungs- und Veranstaltungsarchive), um Veränderungen und Kontinuitäten in den Thematiken und Formaten herausfiltern. Schließlich destilliert sich in den Programmen und Formaten heraus, was jeweils unter Kuratieren zu verstehen ist und welche Formen der kuratorischen Praxis umgesetzt sind. Organigrammen und Teamaufstellungen auf den Webseiten entnehme ich die jeweilige institutionelle Struktur.

1 Einführung

  Die Ausgangsbasis für die deskriptiv-interpretative Analyse der Fallbeispiele bilden eigene Beobachtungen, detaillierte Feldnotizen und die Dokumentation meiner Besuche der Ausstellungshäuser. Dieses Vorgehen lehnt sich an Zugänge der Ausstellungsanalyse an.34 Ziel war es, rückzuschließen, wie sich Kuratorinnen und die Institution positionieren und kommunizieren. Zutage tritt, von welchem Standort aus gesprochen wird, und wie Ausstellungshäuser das Publikum vorstellen und entwerfen. Daran ist erkenntlich, wie autoritär ein Haus auftritt, Besucherinnen in ihren Bewegungen und Blicken lenkt und die Ausstellungserfahrung steuert und vorgibt. Die Untersuchung verdeutlicht zudem, welche gesellschaftliche und kulturelle Rolle das jeweilige Haus sich selbst zuweist. Von der Präsentationsebene aus ergründe ich, wie es sich in der Museums- und Ausstellungslandschaft positioniert.35 Die deskriptiv-interpretative Analyse der Ausstellungshäuser wird von semi-strukturierten Interviews und informellen Gesprächen mit Akteuren der Hauptfälle ergänzt. Die Interviews sind Teil des Materialkorpus und werden als ›Stimmen‹ verwendet.36 Die Abfolge der Fragen war offen und wurde situationsbedingt an den Gesprächsverlauf und die Interviewpartnerin angepasst. Die Befragung wurde anhand der zuvor vorgenommenen Erhebungen auf Homepages, aus Katalogen und wissenschaftlichen Texten spezifiziert und akzentuiert. Die Gespräche geben Einblick, wie Institutionskritik die Praxis der Akteure geprägt hat. Ebenso waren bis dato unerfüllte Anliegen, die von institutionskritischen Protagonisten aufgeworfen wurden, von Interesse. Da missglückte, nicht umgesetzte Strategien zur Sprache kommen sollten, war es eine Herausforderung dieses Formats, die Gesprächspartnerin zu selbstkritischen Aussagen zu bewegen. Relevante Antworten abseits der vorab zurechtgelegten Selbstauslegungen zu evozieren, gestaltete sich somit als besondere Schwierigkeit.37 34

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Hinter dem Oberbegriff Ausstellungsanalyse stehen eine Vielzahl Methoden, die sich aus diversen Perspektiven der Ausstellung als kommunikatives Medium annähern. Ihnen ist gemein, dass sie Ausstellung – und für die vorliegende Studie analog die Institution – als Orte verstehen, an denen »Signifakations- und Kommunikationsprozesse stattfinden« (Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch (2006): Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld: transcript, S. 53f.). Die Analysemethoden richten einen mikroskopischen Blick auf Auszüge der kuratorischen Praxis und leiten daraus die von der Institution vermittelten Diskurse und Narrative ab. Jana Scholze bezeichnet dies als die letzte, metakommunikative Ebene, die institutionellen Kontexte und gesellschaftliche, wissenschaftliche oder ästhetische Rahmenbedingungen offenlegt. Vgl. Jana Scholze (2004): Medium Ausstellung: Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin. Bielefeld: transcript. Damit ist die reflektierte Übernahme dieser Aussagen gemeint: Wie in den breiten Medien sichtbar, werden solche Interviews oft zur Selbstdarstellung der Kuratorin genutzt. Diese möchte unter Umständen seine kuratorische Vision und – in Anlehnung an Harald Szeemann – ihr AuteurStellung als Ausstellungsmacherin hervorheben. Sabina Misoch führt in ihrer Publikation Qualitative Interviews (2014, vgl. S. 26ff.) detailliert aus, wie diese subjektive Perspektive die Durchführung von Interview beeinflusst. Sie schließt damit direkt an eine der zentrale Annahmen qualitativer Forschung an, dass Wirklichkeit immer eine hergestellte und konstruierte ist. Vgl. Sabina Misoch (2014): Qualitative Interviews. Oldenbourg: De Gruyter. Vgl. dazu Mats Alvesson und Dan Kääreman: Constructing mystery: Empirical matters in theory development In: Academy of management review, 4 (2007): S. 1265-1281. Die beiden Autoren

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Die Interviews fanden entweder vor Ort in den Räumen des Ausstellungshauses statt oder wurden per Skype und Email geführt. Während der Interviews fertigte ich handschriftliche Notizen an und zeichnete die Gespräche, sofern die Gesprächspartnerin einverstanden war, als Audiodatei auf, die unmittelbar nach dem Interview transkribiert sowie nach Stichworten und Themenkomplexen codiert wurde. Zusammenfassend: Die vorliegende Arbeit fragt unter Rückgriff auf den bisherigen Diskurs von Institutionskritik nach den Auswirkungen von Institutionskritik auf institutionelle und kuratorische Arbeitsweisen. Anhand der Fallstudien wird untersucht, wie Ausstellungshäuser mit ihren Personalstrukturen, ihrer Selbstpräsentation, Themen und Formaten auf institutionskritische Vorschläge reagieren.

1.4.

Forschungsstand: Einordnung in aktuelle Positionen

Indem kuratorische Praktiken, Ausstellungsformate und institutionelle Modelle fokussiert und in gesellschaftliche Zusammenhänge eingeordnet werden, positioniert sich die Arbeit an den Grenzgebieten verschiedener Disziplinen wie Museum Studies, Curatorial Studies und Kulturvermittlung. Institutionskritik verstehe ich als kritische, institutionelle und kuratorische Praxis. Kuratorisches Handeln fasse ich im Sinne Beatrice von Bismarcks als eine Praxis auf, die über das reine Ausstellungsmachen und die Organisation von Ausstellungen hinausgeht.38 Kuratorinnen organisieren Diskurse und öffentliche Debatten, produzieren neues Wissen.39

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entfalten eine Forschungsmethode, die sich auf aktives Entdecken und das Schaffen von Mysterien fokussiert. Dabei nehmen sie in den Blick, wie konstruktivistisch ihr Ansatz ist. Vgl. Beatrice von Bismarck (2003): Kuratorisches Handeln: Immaterielle Arbeit zwischen Kunst und Managementmodellen. In: Marion von Osten (Hg.), Norm der Abweichung. Zürich: Edition Voldemeer, S. 83. Oliver Marchart setzt die kuratorische Funktion mit der Organisation von Öffentlichkeit gleich. Vgl. Oliver Marchart (2007): Die kuratorische Funktion – Oder, was es heißt eine Aus/Stellung zu organisieren? In: Marianne Eigenheer, Dorothee Richter et al. (Hg.), Curating Critique. Frankfurt a.M.: Revolver, S. 172-179. Marcharts Versuch zu bestimmen, was unter kuratorischem Handeln, also den Arbeitsweisen einer Kuratorin, zu verstehen ist, führt zu einem der Kerndiskurse des Forschungsfeldes der Curatorial Studies, auf deren vielfältige Diskussionszweige an dieser Stelle nur ausschnitthaft verwiesen werden kann. Beginnend in den frühen 2000ern mit Catherine Thomas (2002): The Edge of Everything: Reflections on Curatorial Practice. Banff: Banff Centre Press., und besonders seit Mitte des letzten Jahrzehnts entstanden eine Vielzahl Forschungsarbeiten und Publikationen, die untersuchen, wie kuratiert wird und die Ergebnisse des Kurationsprozesses vermittelt und präsentiert werden. Die Debatte um Curating gestaltet sich als primär selbstreflexiver Diskurs: Kuratorinnen reflektieren ihre Vorgehensweisen, ihr Selbstverständnis, Ziele und Bedingungen in diversen Publikationen und Statements. Gleichzeitig beeinflusst dieses Forschungsfeld die Arbeitsbedingungen von Kuratorinnen, indem die Erwartungen verschiedenster Seiten und institutionelle Grenzen erst sichtbar gemacht werden. An dieser Stelle sei insbesondere auf die Sammelbände von Paul O’Neill und Mick Wilson verwiesen, die das Themenfeld Curating in Bezug zu angrenzenden Bereichen und Phänomenen diskutiert haben. Vgl. Paul O’Neill und Mick Wilson (Hg.) (2007): Curating Subjects. London/Amsterdam: Open Editions/de Appel, Paul O’Neill und Mick Wilson (Hg.) (2010): Curating and the Educational Turn. London/Amsterdam: Open Editions/de Appel; Paul O’Neill und Mick Wilson (Hg.) (2015): Curating Research. London/Amsterdam: Open Editions/de Appel. Versuche, zeitgenössisches Kuratieren im Spiegel der geschichtlichen Entwick-

1 Einführung

Die kritische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Museen als Bildungsinstrument und deren sozialer Disziplinar- und Rahmungsmacht dient als museumswissenschaftlicher Hintergrund, vor dem den Forschungsfragen nachgegangen wird.40

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lung der Kuratorin und der Ausstellungsgeschichte zu reflektieren, findet man unter anderem in den Publikationen Kunstverein München (2005): Curating with Light Luggage. Frankfurt a.M.: Revolver, Archiv für aktuelle Kunst, sowie Steven Rand und Heather Kouris (2007): Cautionary Tales: Critical Curating. New York: apexart. Vgl. auch Terry Smith (2012): Talking Contemporary Curating. New York: Independent Curators International, sowie Terry Smith (2015): Thinking Contemporary Curating. New York: Independent Curators International. Sammelbänden, die sich vor allem kuratorischen Statements oder Diskussionen und somit den Handlungsabsichten der Kuratorinnen widmen, erschienen von Christoph Tannert, Ute Tischler und Künstlerhaus Bethanien (Hg.) (2004): MIB. Men in Black. Handbuch der kuratorischen Praxis = handbook of curatorial practice. Frankfurt a.M.: Revolver, Archiv für Aktuelle Kunst. Karen van den Berg und Hans Ulrich Gumbrecht legten mit Politik des Zeigens eine theoretische Reflexion der Zeigegeste, der zentralen Geste der Kuratorin, einen Band vor, der das politische, philosophische und kritische Potenzial des Zeigens thematisierte. Vgl. Karen van den Berg und Hans Ulrich Gumbrecht (2010): Politik des Zeigens. München: Wilhelm Fink. Das Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis machte es sich zur Aufgabe zentrale Begriffe des Kuratierens zu erläutern und zu kontextualisieren. Vgl. ARGE schnittpunkt (2013): Handbuch Ausstellungstheorie und –praxis. Wien, Köln, Weimar: Böhler Verlag. Zeitschriften wie OnCurating und The Exhibitionist und vereinen Artikel von Theoretikerinnenen und Praktikerinnen zu aktuellen Themen im Diskurs, veröffentlichen Ausstellungsbesprechungen und reagieren auf theoretische Vorstöße in ihrem Feld. Hinsichtlich der Analyse von Ausstellungen und Aspekten der Ausstellungsgestaltung lohnt sich ein Blick in die Trilogie Cultures of the Curatorial, die vor dem Hintergrund der erweiterten Funktion des Kuratierens – wie oben bei Beatrice von Bismarck erwähnt – und des globalisierten Kunstfeldes die Arbeitsbedingungen von Kuratorinnen im 21. Jahrhundert thematisieren. Vgl. Beatrice von Bismarck, Jörn Schafaff und Thomas Weski (2012): Cultures of the Curatorial. Berlin: Sternberg Press. Ebenso der Nachfolgeband zur Dramaturgie und Choreographie von Ausstellungen als kuratorische Instrumente: Beatrice von Bismarck, Rike Frank, Benjamin Meyer-Krahmer et al. (2014): Cultures of the Curatorial 2. Timing: On the Temporal Dimension of Exhibiting. Berlin: Sternberg Press. Der dritte Teil konzentrierte sich auf den beziehungsstiftenden Aspekt von Ausstellungen, vgl. Beatrice von Bismarck und Benjamin Meyer-Krahmer (2016): Cultures of the Curatorial 3. Hospitality: Hosting Relations in Exhibitions. Berlin: Sternberg Press. Einem ähnlichen Aspekt, mit Fokus auf dem Verhältnis von Kuratorinnen und Besucherinnen, widmete sich bereits Maren Ziese in ihrer dementsprechend betitelten Publikation Maren Ziese (2010): Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen. Bielefeld: transcript. Die Publikationen unter dem Sammelbegriff ›kritischer Museumsdiskurs‹ verbindet eine machtkritische Perspektive auf Museen aus verschiedenen Disziplinen. Mit der New Museology (Vgl. Peter Vergo (1989): The New Museology. London: Reaktion Books), im deutschsprachigen Raum auch als Neue Museologie verbreitet, hielt ein Ansatz in die museum studies Einzug, der die Rolle des Museums in der Gesellschaft radikal neu bestimmte. Der gesamtgesellschaftliche turn hin zur Selbstreflexion schlug sich auch in der Theoretisierung der Sammlungstätigkeit und Ausstellungspraxis von Museen wieder. Diese Bewegung grenzte sich von ›alten‹ traditionellen Funktionen des Museums ab und hinterfragte ihre Herrschafts- und Deutungshoheit. Die New Museology konstatierte, dass die grundsätzlichen Ziele des Museums sich verändert haben: Das Museum öffnete sich für verschiedene Publika, es etablierte neue Formate und Aktivitäten. Kennzeichnend war zu dem die wachsende Reflexivität in Bezug auf die Tätigkeiten und Funktionen des Museums innerhalb des Feldes (Vgl. Andrea Whitcomb (2003): Re-Imagining the Museum: Beyond the Mausoleum. London: Routledge. Ebenso Max Ross: Interpreting the new museology. In: Museum and Scociety, 2 (2004): 84-103.). In der Folge wurde das Museum verstärkt als öffentliche Institution problematisiert, in der Fragen zur Postkolonialität, der Konstruktion von Nationen und Interpretationen von Geschlecht verhandelt werden sollten. Es war nicht das Ziel, ein alternatives Museum vorzu-

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Im Folgenden beschreibe ich die zentrale Literatur zur Institutionskritik entlang folgender Systematik: 1. Der Begriff Institutional Critique: Ursprung und wissenschaftliche Auseinandersetzung; 2. Entwicklung der Institutionskritik und ihre Phasen; 3. Veränderung der Orte von Institutionskritik sowie 4. Konzeptuelle Neubestimmungen: Institutionskritik als Praxis, instituierende Praxis und Methode.

Ich lese die Texte entlang dieser Systematik vor dem Hintergrund meiner Ausgangsthese, dass Institutionskritik kanonisiert und institutionalisiert wurde.

1.4.1.

Der Begriff Institutional Critique: Ursprung und wissenschaftliche Auseinandersetzung

Mel Ramsden, Mitglied des Kollektivs Art and Language, gebrauchte erstmals den Ausdruck Institutional Critique in einem 1975 erschienenen Essay.41 Die Künstlerin Andrea Fraser hielt sich selbst für die Begründerin des Terminus42 , mit dem sie 1985 Louise Lawlers Werk beschrieb.43 Weitreichende Bekanntheit erlangte der Begriff durch Benjamin H.D. Buchlohs Aufsatz Conceptual Art 1962-1969: From the Aesthetic of Administration to the Critique of Institutions.44 Er entwirft eine Genealogie institutionskritischer Prakti-

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schlagen, sondern die bisherige Landschaft zu öffnen und zu ergänzen (Vgl. Andrea Hauenschild (1988): Neue Museologie. Bremen: Übersee-Museum Bremen). Aus soziologischer Perspektive führt Tony Bennett eine von Foucaults Denktradition inspirierte Sicht auf die Formation des Museums ein: Er beschreibt das Museum als disziplinierenden Ort, an dem ein Habitus eingeübt, der Blick geschult und Subjekte geformt werden (vgl. Tony Bennett (1995): The Birth of the Museum: History, Theory, Politics. London/New York: Routledge). Auch Carol Duncan definiert das Museum als einen durch durchstrukturierte und naturalisierte Rituale geprägten Ort (vgl. Carol Duncan (1995): Civilizing rituals, inside public art museums. London/New York: Routledge). Vor einem ähnlichen Hintergrund nähern sich zahlreiche Publikationen dem Museum als Bildungseinrichtung und Ort der Wissenskonstruktion, der durch Ein- und Ausschlüsse gekennzeichnet ist. Douglas Crimp schloss sich dieser Vorstellung in On the Museum’s Ruins und ging noch einen Schritt weiter: Das Museum produziere bestimmte Wissensformen und sei ein unbewegliches Ordnungssystem. Demzufolge könne es nicht mehr der prädestinierte Ort für zeitgenössische Kunst sein. (vgl. Douglas Crimp (1993): On the Museum’s Ruins. Cambridge (Massachusetts)/London: MIT Press). Ebenso zählt der New Institutionalism zu diesen kritischen Diskursen – Ausführlicheres dazu findet sich im Kapitel zu den Fallstudien 1.3.3. Mel Ramsden (2009 [1975]): on practice. In: Alexander Alberro und Blake Stimson (Hg.), Institutional critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachusetts): MIT Press, S. 171-199. Andrea Fraser (2009b [2005]): From the Critique of Institutions to an Institution of Critique. In: Alexander Alberro und Blake Stimson (Hg.), Institutional Critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachusetts): MIT Press, S. 409. Andrea Fraser (2009a [1985]): In and out of place. In: Alexander Alberro und Blake Stimson (Hg.), Institutional Critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachusetts): MIT Press, S. 292301. Benjamin H.D Buchloh: Conceptual art 1962-1969: From the aesthetic of administration to the critique of institutions. In: October, 55 (1990): S. 105-143.

1 Einführung

ken aus kunstgeschichtlicher Sicht und zeigt den Einfluss von Minimalismus und Konzeptkunst der 1960er. Buchloh definiert Institutionskritik als konzeptuelle Kunstpraxis, die sich ihrer Involviertheit im institutionellen Rahmen gewahr wird. Er benennt den nach wie vor gültigen Kanon der ›Urväter‹ von Institutionskritik: Michael Asher, Hans Haacke, Marcel Broodthaers und Daniel Buren. Trotzdem sich der Begriff im Kunstdiskurs etabliert hat, herrscht heute mehr denn je Uneinigkeit darüber, was darunter zu verstehen ist. John C. Welchman zufolge stellt Institutionskritik eine eigene Bewegung dar45 , Buchloh definiert sie, wie oben erwähnt, als Spielart der Konzeptkunst. Simon Sheikh erkennt aus kunsttheoretischer Perspektive in ihr das Verhältnis zwischen einer Methode (Kritik) und ihrem Objekt (Kunstinstitution).46 Andrea Fraser charakterisiert sie als Methode einer »critically reflexive site-specificity«. Alexander Alberro beschreibt in der Einleitung seiner stark rezipierten Anthologie die breit gefächerten Zugänge und Taktiken der Institutionskritik mit Ideologiekritik, biological engineering und öffentlichen Demonstrationen.47 Angesichts dieser vielfältigen Beschreibungen resümiert Vlad Morariu, dass eine essentialistische Definition von Institutionskritik unmöglich sei und sein sollte.48 Morariu erforscht die gegenwärtigen Bedingungen der Möglichkeit von Institutionskritik. Dafür stellt er sie und ihre Existenz zunächst radikal infrage, um sie davon ausgehend konzeptuell als Methode der Dekonstruktion neu zu bestimmen. Aus dieser Uneinigkeit und den zum Teil widersprüchlichen Vorstellungen zum Begriff entsteht das Forschungsdesiderat, aktuelle Formen der Institutionskritik über ihre Besprechung und institutionelle Anwendung einzukreisen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Institutionskritik erfolgte zunächst retrospektiv und vollzog sich im wissenschaftlichen Diskurs zyklusartig. Die frühe wissenschaftliche Aufarbeitung konzentriert sich Ende der 1980er und in den frühen 1990ern auf die USA, ihren Ausgangsort, und auf Großbritannien als Wiege der Museum Studies in Europa. Wichtige Sammelbände zur Institutionskritik erschienen nach 2000. Seitdem hält die Konjunktur des Forschungsthemas an. Die nachfolgend dargestellten Überblicksbände fassen die heterogenen Praktiken zusammen und manifestieren ihren Status als künstlerisches Genre. Hinsichtlich der historischen Entwicklung finden sich dabei kaum Neuinterpretationen – bemüht wird mehrheitlich der bekannte Kanon von Akteuren. Christian Kravagna versammelt in Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen Manifeste, Interviews und Reflexionen der bekannten Protagonistinnen.49 Zwecks Historisierung fasst Kravagna die diversen politisch inspirierten und kritischen Praktiken homogenisierend unter dem Dachbegriff der Institutionskritik.

45 46 47 48 49

John C. Welchman (Hg.) (2006): Institutional Critique and After. Zürich: JP Ringier. Simon Sheikh (2006): Notes on Institutional Critique. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0106/sheikh/en.html [Zugriff: 25.04.2014]. Alberro (2009), S. 15. Vlad Victor Morariu (2014): Institutional Critique. A Philosophical Investigation of Its Conditions and Possibilities. Dissertation. Loughborough University, London, S. 39ff. Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.) (2001): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Kravagna wählt die Zeit um 1968 als Ausgangspunkt, da die Neuerungen in der künstlerischen Praxis die bisherige Vorstellung vom Museum als überholt aufdecken und den Tod des Museums konstatieren. Mit dem Begriff der ›Arena‹ umschreibt Kravagna das Museum als Wettkampfstätte – als Ort, der zugleich Macht ausübt und wechselnden Machtverhältnissen unterworfen ist. John C. Welchman gab den Sammelband Institutional Critique and after im Nachgang zur gleichnamigen Konferenz am Los Angeles County Museum of Art heraus.50 Der Band umfasst Texte von Protagonistinnen wie Hans Haacke, Andrea Fraser oder Renée Green sowie Beiträge von Theoretikerinnen. Der Band eröffnet ein breites Spektrum an Zugängen, ergänzt um künstlerische Beispiele verschiedener Medien sowie Untersuchungen diverser institutioneller und alternativer Handlungsräume. Die Zusammenstellung ist geleitet von der Idee, dass Kunst und ihre Institutionen ein kritisches Potenzial besitzen, sozialen und politischen Wandel anzuregen. Als Tendenz konstatieren mehrere Autorinnen – unter anderem Isabelle Graw, Andrea Fraser und Jens Hoffmann – die erfolgreich abgeschlossene Kanonisierung von Institutionskritik. Sie gilt seitdem in der wissenschaftlichen Aufarbeitung institutionskritischer Praktiken als gegeben und zog zahlreiche weitere Betrachtungen von Institutionskritik im Kontext des kritischen Kuratierens nach sich.51

1.4.2.

Entwicklung der Institutionskritik und ihre Phasen

Zwei Phasen institutionskritischer Praxis gelten als gesetzt: Eine erste wird in den späten 1960ern und frühen 1970ern verortet, eine zweite in den späten 1980ern und frühen 1990ern.52 Um diese historische Einordnung nicht unreflektiert zu übernehmen und sie als Kanon zu reproduzieren, kennzeichnen Autorinnen wie Janet Marstine oder die jeweiligen Herausgeberinnen der CUMMA Papers den Ausdruck als ›waves‹ oder ›phases‹.53 Vereinzelt schlagen Autorinnen wie Maria Lind weitere Phasen vor.54 Lind 50 51

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Welchman (2006). Vgl. Jens Hoffmann (2006): The Curatorialization of Institutional Critique, In: John C. Welchman (Hg.), Institutional Critique and after. Zürich: JP Ringier, S. 323-336. Ebenso Jan Verwoert (2006): This is Not an Exhibition. On the Practical Ties and Symbolic Differences between the Agency of the Art Institution and the Work of Those on its Outside. In: Nina Möntmann (Hg.), Art and its institutions. Current conflicts, critique and collaborations. London: Black Dog Publishing, S. 132-140. Vgl. auch Björk und Kokkonen (2014) sowie Terry Smith: After Institutional Critique: Curating as a Discursive Practice. In: Broadsheet Journal, 45, 1 (2016): S. 6-10. Vgl. Gerald Raunig und Stefan Nowotny (2008): Vorwort. In: Dies. (Hg.), Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia + Kant, S. 7. Vgl. auch Alexander Alberro und Blake Stimson (2009): Institutional Critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachusetts): MIT Press. Die Zwei-Phasen-Einteilung wiederholen auch Gerald Raunig und Gene Ray (Hg.) (2009): Art and Contemporary Critical Practice. Reinventing Institutional Critique. London: MayFleeBooks. Ebenso Steyerl (2006) und Sheikh (2006). Vgl. auch Janet Marstine (2017): Critical Practice. Arts, Museums, Ethics. London: Routledge. Die CUMMA Papers sind das Publikationsorgan des Studiengangs Curating, Mediating and Managing Art an der Aalto Universität in Helsinki. Die Ausgaben widmen sich der kritischen Ausstellungstheorie und -praxis. In jüngster Zeit findet sich die Wellen-Metapher bei Sönke Gau (2017): Institutionskritik als Methode. Hegemonie und Kritik im künstlerischen Feld. Wien: Turia + Kant. Vgl. Maria Lind: Contemporary Art and its Institutional Dilemmas. In: OnCurating, 8 (2011b): S. 26ff.

1 Einführung

beschreibt fünf: Nach den zwei bekannten Phasen habe eine weitere Phase Ende der 1990er eingesetzt, in der Künstlerinnen in einen konstruktiven Dialog mit Institutionen traten und Veränderungen für institutionelle Probleme vorschlugen. In der vierten Phase fordern Akteure wie Marion von Osten und Carey Young die Institution Kunst als Apparat und ihre ökonomischen Bedingungen heraus. Lind attestiert in der fünften, gegenwärtigen Phase eine Veränderung der Protagonistinnen. »Institution builders”– vor allem Direktorinnen und Kuratorinnen – beschäftigen sich mit neuen Formen des Zusammenarbeitens und lehnen sich an Stefan Nowotonys und Gerald Raunigs Konzepts der »instituierenden Praxen« als neue Form von Institutionskritik an.55 Nowotny und Raunig stießen mit ihrer Publikation Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik die für diese Arbeit zentrale Debatte um eine möglicherweise derzeit stattfindende dritte Phase an, in der sich Institutionskritik als instituierende Praxis mit anderen Arten gesellschaftlicher Kritik zusammenschließen muss, um relevant zu bleiben.56 Der Kultursoziologe Pascal Gielen greift die Vorstellung einer dritten Phase auf, knüpft sie aber an die Bedingung, dass Institutionskritik sich mit der Institution als Werteregime und Bewahrerin eines imaginierten Feldes verbünden muss.57 Gielen wiederholt zwar den anerkannten Kanon institutionskritischer Akteure, argumentiert aber für einen bisher nicht erwähnten Effekt von Institutionskritik: Sie habe die institutionellen Grenzen verwischt und versperre so den Raum für Kritik. Gielen folgert daraus, dass sie bisher gescheitert sei. Er fordert Institutionen auf, sich außerhalb ihres bisherigen Rahmens bewegen, um einen imaginären Raum für Veränderungen beizubehalten. Für die vorliegende Studie wird die historische Einteilung in zwei abgeschlossene ›Phasen‹ übernommen, da sich durch sie die Institutionalisierung von Institutionskritik –Ausgangspunkt der vorliegenden Studie – plausibel erklären lässt: Jeder Konjunktur der kritischen Praxis folgt eine Phase intensiver, theoretischer Auseinandersetzung. Da bisher zwei deutliche Hochphasen der theoretischen Beschäftigung erkennbar sind, scheint es naheliegend von zwei Praxis-Phasen auszugehen. Bei den Phasen handelt es sich um Verdichtungen in einem Kontinuum; es soll nicht impliziert werden, dass außerhalb der Phasen keine Institutionskritik stattfand. Ob derzeit eine dritte Phase von Institutionskritik stattfindet, wird sich erst retrospektiv erkennen lassen.

1.4.3.

Veränderung der Orte von Institutionskritik

Um sichtbar zu sein, muss Institutionskritik mit und innerhalb des Kunstfeldes arbeiten. Wähnte sich die erste Generation der Künstlerinnen noch in der Distanz eines Außerhalbs der Institution, so formulierte die Künstlerin Andrea Fraser in ihrem Essay »What is Institutional Critique?«58 pointiert und provokant die Erkenntnis, dass man 55 56 57

58

Ebd. Raunig und Nowotny (2008), S. 7. Vgl. Pascal Gielen (2013): Institutional Imagination. Instituting Contemporary Art Minus the ›Contemporary‹. In: Ders. (Hg.), Institutional Attitudes. Instituting Art in a Flat World. Amsterdam: Valiz, S. 11-34. Vgl. Andrea Fraser (2006): What is Institutional Critique? In: John C. Welchman (Hg.), Institutional Critique and after. Zürich: JP Ringier, S. 307.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

sich nicht außerhalb der Institution Kunst bewegen könne, weil jede Handlung durch die Bezugnahme auf die Institution in sie eingeschlossen werde. Man sei gefangen im Feld. Jens Hoffmann postuliert im Anschluss eine »curatorialization of critique.«59 Kuratorinnen adaptieren kritische Strategien von Künstlerinnen und nutzen von ihnen geleitete Initiativen für interne Museumskritiken und Neuerungen.60 Der New Institutionalism repräsentiert den Versuch progressiver Häuser, Institutionskritik ›von innen‹ zu praktizieren.61 Die Grenze zwischen bekannten Binarismen wie Kuratorin/Künstlerin, Innen/Außen der Institution, Affirmation/Kritik sind porös geworden und haben sich verschoben. Es ist unklar, ob sie in dieser Form noch bestehen und falls ja, welchen Zweck sie erfüllen. Die vorliegende Studie legt die drei genannten Oppositionen als Spannungsfelder aus, mit denen institutionskritische Akteure gegenwärtig bewusst arbeiten. Von der Institutionskritik wird gefordert, sich weder in der (imaginierten) absoluten Distanz zur Institution noch zur Gesellschaft zu verorten. Ebenso wenig soll sie sich an ein augenscheinliches Gefangensein im Kunstfeld klammern. Viele Autoren forderten und fordern deshalb, das Konzept Institutionskritik zu aktualisieren. Einen Vorschlag lieferte in jüngster Zeit Vlad Morariu.62 Er fragt nach den Bedingungen von Institutionskritik und zeigt auf, dass die Vorstellung eines Innen und Außen der Institution überholt ist. Stattdessen befänden sich Institution und Kritik in einem nichtauslöschbaren Verhältnis von Symbiose und Kohabitation. Er verabschiedet die Binarität, welche die wissenschaftliche Aufarbeitung von Institutionskritik beständig wiederholt hat: Er betont den dekonstruktiven Charakter von Institutionskritik und fordert, sie zugleich als Partnerin und Widersacherin der Institution zu verstehen. Statt zu lamentieren, dass institutionskritische Formate durch Institutionen und Kuratorinnen kooptiert und neutralisiert würden, scheint es im Anschluss daran für die vorliegende Forschung produktiver, den Einzug kritischer Arbeitsweisen in Museen und Ausstellungshäuser als einen Lernprozess zu interpretieren.

1.4.4.

Konzeptuelle Neubestimmungen: Institutionskritik als Praxis, instituierende Praxis und Methode

Aktuell werden neben ihrer kontinuierlichen Interpretation als künstlerisches Genre insbesondere drei konzeptuelle Neubestimmungen von Institutionskritik diskutiert, die ich nachfolgend skizziere und deren Relevanz für die vorliegende Arbeit benenne. Institutionskritik als Praxis Institutionskritik als Praxis zeichnet sich durch die permanente und situative Neubestimmung aus. Sie sei niemals zu vereinheitlichen und abgeschlossen; privilegiere keine 59 60

61 62

Hoffmann (2006), S. 323f. Diese selbstreflexiven Ansätze zur Konzeptionierung des Museums schlagen sich auch in den spezifischen Praktiken des Kuratierens und Vermittelns nieder und trugen dazu bei, dass sich parallel Institutionskritik eine kritische Praxis der Kunstvermittlung entwickelte. Vgl. Alex Farquharson: Bureaux de change. Frieze, 02.09.2006. Verfügbar unter: https://frieze.com/article/bureaux-de-change [Zugriff: 30.01.2015]. Vgl. Morariu (2014).

1 Einführung

Verfahren und keine Akteure.63 Julia Moritz stellt Institutionskritik als einen »sensiblen Seismograph historischer Verschiebungen im Kunstfeld«64 dar, die in ihrem jeweiligen geopolitischen und gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden müssen. Gleichzeitig erkennt Moritz die Figur des Scheiterns als Bindeglied bisheriger institutionskritischer Praktiken. Institutionskritik hat sich mittlerweile zu einer Vielfalt an Handlungsoptionen entwickelt.65 Ausgehend von der historischen Institutionskritik mit ihren eskapistischen Tendenzen, hat sie sich von der Analyse von Institutionen zu einer Praxis gewandelt. Für Maria Lind verkörpern institutionskritische Verfahren eine spezifische Haltung: »Kritik ist eine gewisse Art zu denken und zu handeln, eine besondere Beziehung zu allem um uns herum. Es bedeutet, die Politik der Wahrheit zu bezweifeln und herauszufordern.«66 Seit etwa einem Jahrzehnt dominiert diese Vorstellung von Institutionskritik als Praxis. Diese praktische Auffassung bleibt nicht unhinterfragt. Sabeth Buchmann argumentiert, dass wenn Kritik sich auf eine festgeschriebene Haltung und Methode verpflichtet, dies unweigerlich dazu führe, dass sie nicht mehr überprüft, aktualisiert und angepasst werde.67 Buchmanns Einschätzung trifft auf jene Unterfangen zu, die ein abschließendes Bild von Institutionskritik festhalten wollen – Bestandsaufnahmen gegenwärtiger Formen, wie die vorliegenden Studie, bleiben von Buchmanns Vorwurf unberührt, denn sie werfen Schlaglichter auf einen Moment der Praxis und gehen davon aus, dass sich diese weiter verändert. Institutionskritik als Praxis beschränkt sich nicht auf ihren Status als kunsthistorisches Genre, wie noch Isabelle Graw postulierte.68 Sie weitet ihren Wirksamkeitsradius aus, greift in andere gesellschaftliche Bereiche über. Simon Sheikh argumentiert, dass die »institutionalisierte Kritik«69 ein »analytisches Werkzeug, eine Methode räumlicher und politischer Kritik und Artikulation, die nicht nur auf die Kunstwelt angewendet werden kann, sondern auf disziplinäre Räume und Institutionen im Allgemeinen«70 sein sollte. Sheikh löst die von ihm vorgeschlagene, aktualisierte Form der Institutionskritik aus ihrem alleinigen Bezug auf das Kunstfeld und präsentiert sie als Analyseinstrument, das über den – mittlerweile erweiterten – Rahmen des Kunstfeldes hinaus eingesetzt werden kann. Er nimmt vorweg, was in nachfolgenden Publikationen verstärkt gefordert wird, nämlich Institutionskritik in einen größeren Zusammenhang mit Sozial- und Gesellschaftskritik zu stellen, um ein erweitertes Handlungsspektrum zu

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Vgl. Gau (2017), S. 509. Vgl. Julia Moritz (2013): Blurring the Boundaries? Institutionskritik im transnationalen Raum. Dissertation, Freie Universität Berlin. Berlin, S. 202. Vgl. Nora Sternfeld und Jens Kastner: Interview mit Ines Doujak und Luisa Ziaja: »…fröhlich außerhalb der Institutionen.« In: Bildpunkt (2008): S. 10-12. Verfügbar unter: www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2008/zweidreiviele68/doujak-ziaja-gespraech.htm [Zugriff: 12.05.2017]. Lind (2011b), S. 25. Vgl. Sabeth Buchmann (2006): Kritik der Institution und/oder Institutionskritik? (Neu-)Betrachtung eines historischen Dilemmas. Homepage der Donau-Universität Krems. PDF verfügbar unter: https://www.donau-uni.ac.at/imperia/md/content/campuscultur/kritik_der_institutionen_und_oder_institutionskritik.pdf [Zugriff: 15.05.2015], S. 1. Vgl. Graw (2006). Sheikh (2006). Ebd.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

erzielen und eine »Verschließung (in) [Hervorhebung FB] der Institution«71 zu verhindern. Als Praxis ist Institutionskritik in eine Geschichte des Handlungswissens integriert und ermögliche eine reflektierte Teilhabe an diesem Wissen.72 Institutionskritik wird nicht auf ihren zwecklosen Status als Kunst reduziert, sondern entfaltet sich als offenes Handlungsfeld.73 Instituierende Praxen als aktualisierte Form von Institutionskritik Als »kritische Haltung und instituierende Praxis«74 verbindet sich Institutionskritik mit anderen sozialen Bewegungen und politischer Praxis, die künstlerische Kompetenzen als Ausgangspunkt für ihre eigenen Strategien verwenden.75 Als zentrale Strategie der instituierenden Praxis identifizieren Nowotny und Raunig die Flucht. Durch die Flucht werden die Spielregeln und Bedingungen der Situation offengelegt, die Vorzeichen der Flucht sichtbar, in der Folge die Veränderung der Situation möglich.76 Instituierende Praktiken verwehren sich so, festgesetzt und strukturalisiert zu werden.77 Eine solche Neu-Auslegung von Institutionskritik vereitelt den von Raunig befürchteten Verschluss der Institutionskritik in das Kunstfeld. Gleichzeitig betont Raunig, dass es nicht darum gehe, das Verhältnis von instituierender Praxis und Institution analog zum Verhältnis von Utopie und Realität zu entwerfen.78 Instituierende Praxen binden eine kritische Selbstbefragung ein und entwerfen nicht das Idealbild einer Institution, das es zu erreichen gilt. Für Raunig sind instituierende Praxen an aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen orientiert und aktualisieren sich somit kontinuierlich. Für die vorliegende Arbeit sind das Konzept der instituierenden Praxen und die Frage, welches dabei ihre jeweiligen Orte und Akteure sind, von hoher Relevanz. Vor diesem Hintergrund werden institutionelle und kuratorische Praktiken untersucht, die sich an instituierende Praxen anlehnen, in dem sie Gesellschafts- und Selbstkritik verbinden.

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Gerald Raunig (2008b): Instituierende Praxen, No. 2. Institutionskritik, konstituierende Macht und der lange Atem der Institutierung. In: Ders. und Stefan Nowotny (Hg.), Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia + Kant, S. 59. Vgl. Stefan Nowotny (2008): Anti-Kanonisierung. Das differenzielle Wissen der Institutionskritik. In: Gerald Raunig und Ders. (Hg.), Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia+Kant, S. 38. Vgl. Ebd. Ebd. Vgl. Fiona Esslinger (2012): Elmgreen & Dragset. Ästhetik der Institution. Diplomarbeit. Universität Wien, Wien, S, 73. Verfügbar unter: http://othes.univie.ac.at/24648/1/2012-12-19_0509481.pdf [Zugriff: 18.05.2017|. Vgl Raunig (2008a): Instituierende Praxen, No. 1. Fliehen, Instituieren, Transformieren. In: Ders. und Stefan Nowotny (Hg.), Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia + Kant, S. 32. Vgl. Gerald Raunig und Gene Reay (2009): Preface. In: Dies. (Hg.), Art and Contemporary Critical Practice. Reinventing Institutional Critique. London: MayFleeBooks, xvii. Vgl. Raunig (2008c): Instituierung und Verteilung. Eine Intervention zur politischen Ästhetik Jacques Rancières. Ders. und Stefan Nowotny (Hg.), Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia + Kant, S. 139.

1 Einführung

Institutionskritik als Methode In jüngerer Zeit traten Victoria Preston und Sönke Gau als Advokaten der Lesart von Institutionskritik als Methode auf. Beide imaginieren sie als Suchbewegung: Preston beschreibt Institutionskritik als fortlaufenden Prozess auf Seiten der Institution, sich selbst zu untersuchen und zu verändern. Sie schlägt vor, Institutionskritik neu als »institutionally critical praxis« vorzustellen.79 Preston erkennt in dieser Verschiebung das Potenzial, neue Arten kritischer Strategien zu generieren, die sich nicht auf den Status eines kunsthistorischen Genres reduzieren lassen.80 Gau plädiert für eine situationsund kontextbedingte Form der Institutionskritik, die sich permanent verändert und knüpft an Nowotnys und Raunigs Vorschlag an, Institutionskritik mit anderen kritischen Praktiken zu kreuzen.81 Er begreift sie als Praxis, die dem künstlerischen Feld entspringt und dort angewendet wird, aber ebenso darüber hinaus wirkt.82 . Kritisch arbeitende Kuratorinnen seien das Scharnier zwischen künstlerischer Institutionskritik und Institution. Es entwickeln sich hybride Praxisformen, denen ein aktualisiertes Verständnis von Institutionskritik Rechnung tragen muss. Sie hebeln Kritik nicht aus, sondern setzen sie um.83 Die Umformulierung von Institutionskritik als Methode löst sie aus der attestierten Folgenlosigkeit und ihrem vermeintlichen Scheitern. Institutionskritik hat die Institution temporär destabilisiert und Handlungsräume geschaffen, die erheblich dazu beigetragen haben, dass sich das Kuratorische ausweiten und diese Lücken besetzen konnte.84 Die beschriebenen Publikationen zeichnen Veränderungen in den Praktiken institutionskritischer Akteure nach und hinterfragen ihre Genealogie. Die Transformationen der Kunstinstitutionen bilden sie aber nicht ab. Carmen Mörsch, Angeli Sachs und Thomas Sieber, Leiterinnen des Curatorial Studies-Studiengangs in Zürich, sehen dies als Mangel und plädieren in ihrer Publikation dafür, die Sicht auf die Institution zu stärken: »[D]ie markanten Verschiebungen der Handlungsparadigmen und imaginären Funktionen von Museen finden sich noch vorwiegend auf der Konzeptebene.«85 Sie attestieren damit ein graduelles Sichtbarwerden der Veränderungen in der institutionellen Realität. Eine der wenigen Forscherinnen, welche diesen Effekt aufgreifen, ist Claire Bishop, die anhand von vier Institutionen, unter anderem dem Van Abbemuseum, ihr Konzept einer radikalen Museologie entwirft. Vereinzelt verweisen auch Autoren wie Gau exkurshaft auf Beispiele wie das Museu d’Art Contemporani de Barcelona.86 Allerdings widmen sich nur wenige Autorinnen spezifischen Institutionsbeispielen und beleuchten deren Arbeits- und Ausstellungsweisen. Das Argument: So genannte in79 80 81 82 83 84 85 86

Vgl. Victoria Preston (2014): From Outside to Inside: Changing Strategies and Practices of Institutional Critique. Dissertation, Birbeck College, University of London, S. 15. Vgl. Ebd., S. 33. Ähnliches formuliert Vlad Morariu: Institutionskritik sei jedes Mal singulär und anders, es gäbe keine Theorie, kein Rezept und keine Vorgaben, denen sie folgen sollte. Vgl. Morariu (2014), S. 7. Vgl. Gau (2017), S. 5. Vgl. Ebd., S. 391f. Vgl. Ebd., S. 348. Carmen Mörsch, Angeli Sachs und Thomas Sieber (2016): Vorwort. In: Dies. (Hg.), Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart. Bielefeld: transcript, S. 10. Vgl. Gau (2017), S. 367.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

stitutions of critique seien nicht von Dauer, sondern wären »wie aufmüpfige Jugendliche zu Recht gewiesen worden.«87 Budgetkürzungen, Kuratorinnenwechsel oder institutionelle Restrukturierungen hätten, so Möntmann, diese Institutionen ihre Existenz gekostet. Als Forschungsdesiderat verbleibt, Institutionskritik als institutionelle Praxis zu untersuchen. Die vorliegende Studie hat es sich zur Aufgabe gemacht einen ersten Schritt zu unternehmen, um diese eklatante Lücke zu schließen. Ich stelle der Lesart, welche die Bedeutung der Institution in der Institutionskritik negiert, Kunstinstitutionen entgegen, die über längere Zeiträume kritische Arbeitspraktiken etablieren konnten. Institutionen wandeln sich, wie wir aus der einschlägigen Forschung zum Thema wissen, schrittweise.88 Entsprechend zeigt die vorliegende Forschung anhand institutioneller Beispiele auf, dass sich bei den uns interessierenden Institutionen zahlreiche solcher Schritte erkennen lassen – Modifikationen und Handlungsanpassungen, die mit der Institutionskritik im Zusammenhang stehen.

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Möntmann (2007). Vgl. hierzu grundlegend aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Douglass C. North (1990): Institutions, institutional change and economic performance. Cambridge: Cambridge University Press, S. 89.

2. Institutionalisierung der Institutionskritik: Begriffsauslegungen und Spannungsfelder

Die zentralen Termini meiner Fragestellung sind in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Soziologie, der Wirtschaftswissenschaft oder der Philosophie beheimatet: Eine einfache Begriffsdefinition schließt sich bei dieser Vielfalt an Perspektiven aus. Ich möchte daher aufzeigen, wie die Begriffe für den vorliegenden Kontext Spannungsfelder formen, in denen sich institutionskritische Verfahren bewegen. Um zu verhindern, dass die Begriffe durch klare Definitionen die ihnen zugrundeliegenden dynamischen Verständnisse erstarren lassen und damit selbst dem Prozess der Institutionalisierung anheimfallen, verstehe ich sie als eine Momentaufnahme. Spannungsfelder sind zumeist negativ konnotiert, da sie scheinbar unvereinbare Widersprüche darstellen. Versteht man sie hingegen als Ausdruck eines in Bewegung geratenen Gefüges, lassen sie sich produktiv auslegen. Die vorliegende Studie folgt der Annahme, dass sich gerade durch die Vielzahl an Spannungsfelder Handlungsräume für Institutionskritik öffnen, die es ermöglichen, die ihr inhärenten Binarismen zu dynamisieren.1 Indem man institutionskritischen Praktiken einen Bewegungsraum zugesteht, können sie reartikuliert werden. Die Schwarz-weiß-Logik, die lange Zeit das vorherrschende Narrativ der Institutionskritik geprägt hat, wird durch zahlreiche Grauabstufungen abgelöst, die differenzierten Ausprägungen und Methoden der Kritik Rechnung tragen. Insofern verfolge ich einen Ansatz der produktiven Spannungsfelder, die selbsttechnologische Freiräume schaffen.2 In einem ersten Schritt beleuchte ich das Spannungsfeld Institution(en), Institutionalisierung und Autonomie. Als Zwischenschritt gehe ich der Bedeutung von Kanonisierungsvorgängen für die Institutionskritik, als Instrumente der Institutionalisierung, nach. Im zweiten Schritt rückt das zweite Spannungsfeld Kritik, Kritikalität und Affirmation in den Mittelpunkt.

1 2

Zu diesen Binarismen gehören beispielsweise die Unterscheidung von inner- und außerhalb von Institution(en), von kritisch und affirmativ, von radikal und moderat. Wie diese Freiräume aussehen, stellen die Fallstudien in Kapitel 4 dar.

36

Institutionskritik im Feld der Kunst

2.1.

Institution, Institutionalisierung und Autonomie(-bestreben)

2.1.1.

Institution(en)

Der Begriff der Institution wird in Debatten im Kunstbereich oft in verkürzter Weise mit Organisation gleichgesetzt und bewegt sich damit, wie Lioudmila Voropai treffend feststellt, näher an der »alltagssprachlichen Verwendung im Sinne einer administrativen Einrichtung, die gewisse Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hat […].«3 In anderen Disziplinen, in denen der Begriff eine zentrale Stellung einnimmt – hier seien stellvertretend nur Philosophie und Soziologie genannt – wird Institution umfassender konzeptioniert und vielfach als immateriell bestimmt. In der Soziologie etwa werden Vorstellungen von Institution entwickelt, die diese als organisiertes Verhalten in der Gesellschaft begreifen, welches das individuelle Handeln reglementiert und kollektiven Ideen unterordnet.4 In Texten des Diskurses zur Institutionskritik lassen sich dagegen zwei Konzepte von Institution herausfiltern: ein topologisch-materielles und ein erweitert-immaterielles.5 Zunächst erläutere ich dementsprechend den Unterschied dieser beiden Konzepte, den Julia Moritz als »etabliertes Verständnis [der, Anm. FB] Formel »›Kunstinstitution versus Institution Kunst‹« bezeichnet.6 Im Anschluss lege ich dar, wie Institutionalisierung im Kunstfeld auf zwei Ebenen stattfindet, die mit je einem der beiden Institutionsbegriffe korrespondieren. Abschließend erörtere ich, an welchem Institutionsbegriff die vorliegende Studie anknüpft. Das topologisch-materielle Verständnis: Kunstinstitutionen Konkrete physische Orte wie (Kunst)Museen, Ausstellungshäuser und Galerien repräsentieren die topologisch-materielle Vorstellung von Institution. Kunstinstitutionen sind bewusst und planvoll errichtet. Sie stellen »production center«7 dar, Orte an denen Wissen produziert und ausgestellt wird. Diese Auffassung von Institution ist unter den 3 4 5

6 7

Lioudmila Voropai (2017): Medienkunst als Nebenprodukt: Studien zur institutionellen Genealogie neuer künstlerischer Medien, Formen und Praktiken. Bielefeld: transcript, S. 47. Vgl. Émile Durkheim (1961): Die Regeln der soziologischen Methode. Neuwied/Berlin: Luchterhand, inbesondere S. 105-115. Bei Sophia Kosmaoglou findet sich eine dreiteilige statt einer zweigeteilten Konzeption: Sie identifiziert zunächst die Institution der Kunst im topologischen Sinne als Museum oder Galerie; die zweite Definition schließt ein breiteres Netzwerk sozialer Institutionen ein, die Kunst produzieren, reproduzieren und zeigen. Hier nennt sie wiederum das Museum, Galerien aber auch Zeitschriften, Biennalen, Stiftungen, Kunstschulen, Studios, Finanzierungsinstrumente und den Kunstmarkt. Das dritte Konzept umfasst nach Kosmaoglou den historischen und zeitgenössischen Diskurs über Kunst, der das Sprechen über sie ermöglicht. Kosmaoglou trennt also zwischen Diskurs und Praxis, was gerade angesichts der Überlagerung der beiden Bereiche in der Institutionskritik wenig erhellend scheint. Vgl. Sophia Kosmaoglou (2012): The Self-conscious Artist and the Politics of Art: From Institutional Critique to Underground Cinema. Dissertation. London: Goldsmiths University. Verfügbar unter: https://research.gold.ac.uk/8000/96/ART_thesis_Kosmagoglou_2012.pdf [Zugriff: 06.12.2007]. Moritz (2013), S. 30. Beide Zitate Charles Esche, vgl. Charles Esche und Maria Lind: Destroy the Museum. Charles Esche & Maria Lind. In: Kaleidoscope, 3, 10 (2011): Verfügbar unter: http://19952015.undo.net/it/magazines/1304613163 [Zugriff: 23.10.2015].

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

institutionskritischen Künstlerinnen der ersten Generation verbreitet. Ihre Aktivitäten sind physische Interventionen oder Kritik an Strukturen und Operationsweisen von spezifischen Institutionen.8 Das topologisch-materielle Verständnis der Kunstinstitutionen bildete die Grundlage für Akteure, um sich im System binär zu verorten: entweder inner- oder außerhalb einer Institution. Theoretische Auseinandersetzungen mit Institutionskritik beharrten lange auf dieser Einteilung, die erst Andrea Fraser zum Wanken brachte.9 Dennoch bleiben jene Museen und Ausstellungshäuser, die der Vorstellung solcher »production center« entsprechen, Organisationen zur kulturellen Vermittlung mit einem »institutionellen Kern.«10 Laut Petra Hornig bestehe der institutionelle Kern in einem »handlungsleitenden Gesetzes- und Regelwerk«11 , der es ermöglicht, die Organisation nach außen hin als homogene Einheit wahrzunehmen.12 Museen und Ausstellungshäuser verleihen dem Feld – der Institution Kunst – eine physische Präsenz. Mit Blick auf die Fallstudien in Kapitel 4 gilt es an dieser Stelle einige Charakteristika von Kunstinstitutionen, insbesondere Museen, festzuhalten. Einen ersten Anhaltspunkt, worin der institutionelle Kern bestehen kann, bietet die Broschüre Standards für Museen, die vom Deutschen Museumsbund herausgegeben wurde. Kunstinstitutionen verfügen über eine dauerhaft institutionelle und finanzielle Basis; hinsichtlich der Personalstruktur lässt sich ein Museumsmanagement identifizieren.13 Insbesondere Museen widmen sich dem Sammeln, Ausstellen und Beforschen von Kunst als ihren Hauptaufgaben und machen ihre Ausstellungen der Öffentlichkeit zu festgelegten Zeiten zugänglich. Darüber hinaus zeichnen sich Museen, die Institutionen im topologisch-materiellen Sinne sind, nicht nur durch ihre Materialität aus, sondern bewegen sich in einer spezifischen Temporalität – »die Zeitlichkeiten und Geschwindigkeiten, in der sie ihre Mitglieder versetzt.«14 Zudem gelingt es Institutionen, sich eigene Öffentlichkeiten zu schaffen.15 Dagegen setzt das erweitert-immaterielle Verständnis von Institution voraus, sie nicht als festes, statisches Gebilde zu verstehen, sondern als dynamisches Feld, in dem Diskurs- und Praxisformen aufeinandertreffen. Diesem Institutions-Verständnis entspricht auch Simon Sheikhs Rede von Kunstinstitutionen als Dazwischen, das zwischen

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Auch independent, alternative oder artists-run spaces strebten in der Praxis ab den 1960ern an, sich außerhalb dieser binären Logik zu positionieren. Vgl. Fraser (2009b). Interessanterweise beobachtete Maria Lind einige Jahre zuvor noch etwas, dass sie als »strategic separatism« bezeichnet. Gemeint ist damit eine bewusste Strategie, sich außerhalb von etwas – wie in diesem Fall der etablierten Kunstinstitutionen – und mit dieser Distanz und dem entstehenden Zwischen produktiv zu arbeiten. Vgl. dazu: Maria Lind (2007a): The Future is here. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/policies/cci/lind/en.html [Zugriff: 15.01.2019]. Petra Hornig (2010): Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum. Elitär versus demokratisch? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 81. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Deutscher Museumsbund (2006). Robert Seyfarth (2011): Das Leben der Institutionen. Zu einer allgemeinen Theorie der Institutionalisierung. Weilerswist: Vielbrück Wissenschaft, S. 20. Vgl. Karl-Siegbert Rehberg (1995): Kunstautonomie als historische Ausnahme und normative Leitidee. In: Nina Tessa Zahner und Uta Karstein (Hg.), Autonomie der Kunst? Zur Aktualität eines gesellschaftlichen Leitbildes. Wiesbaden: Springer VS, S. 184 und Hornig (2010), S. 82.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

der Produktion von Kunst und der Bildung einer Öffentlichkeit vermittelt.16 Was genau unter dem erweitert-immateriellen Verständnis von Institution zu verstehen ist, erläutert der folgende Abschnitt. Das erweitert-immaterielle Verständnis: Institution Kunst als eigene Sphäre In der Soziologie war Émile Durkheim einer der ersten Theoretiker, der systematisch den Begriff Institution verwendete und seinen paradigmatischen Charakter betonte, der durch kollektive Vorstellungen individuelles Handeln regelt. Darauf aufbauend entwickelt sich eine Interpretation von Institution als habitualisierte, gesellschaftliche Routinen und Handlungsgewohnheiten17 , so unter anderem bei Peter L. Berger und Thomas Luckmann18 sowie Arnold Gehlen. Gehlen sieht den Zweck von Institutionen primär in der Entlastung, indem sie vorausschaubares Tun garantieren. Daraus ließe sich ableiten, dass je höher der Institutionalisierungsgrad, desto automatisierter die Abläufe.19   Auch nachdem ein materielles Verständnis der Institution als unzureichend erkannt wurde, stellen sich Akteure im Kunstbereich weiterhin die Frage, was eine Institution ist und was sie braucht. Braucht eine Institution eine dauerhafte, physische Lokalität oder braucht sie etwa Wände?20 Unter die neu angebrachten Vorstellungen im Kunstfeld, aber auch in der Philosophie und der Ökonomie fallen:

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Vgl. Sheikh (2007). Neben den nachfolgend genannten Theoretikerinnenen finden sich aus soziologischer Perspektive auch ausführliche Besprechungen zur Definition und insbesondere zur Funktion von Institutionen bei Max Weber, Bronislaw Malinowski (1949): Sitte und Verbrechen bei den Naturvölkern. Wien: Humboldt Verlag. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trieb vor allem Helmut Schelsky die Institutionentheorie voran, vgl. dazu Helmut Schelsky (1970): Zur Theorie der Institution. Düsseldorf: Bertelsmann. Schelsky hatte intensiv die kulturanthropologischen Schriften Malinowskis rezipiert und beschreibt in seiner Institutionenlehre, wie Grund- und Kulturbedürfnisse aus Institutionen abzuleiten sind. Institutionen befriedigen demnach ein oder mehrere Bedürfnisarten. In den 1990ern entwickelte Douglass C. North, ein Vertreter der Neuen Institutionenökonomie, eine umfassende Theorie des institutionellen Wandelns. Institutionen wandeln sich nach North in der Regel schrittweise, die Veränderungen sind eingebettet in gesellschaftliche Umstände und informelle Zwänge. North hält dies für den wichtigsten Punkt, wenn man über institutionellen Wandel spricht. Vgl. dazu North (1990), insbes. S. 6 und 89. Auf den Kontext der Institutionskritik übertragen bedeutet das, die dargestellten Veränderungen von Museen und Ausstellungshäusern in Kapitel 4 als eine Momentaufnahme in dem schrittweisen Prozess zu verstehen. Berger und Luckmann ging es besonders um Institutionalisierung als Prozess der Objektivierung sozialer Erfahrungen. Institutionen entlasten das Individuum, indem sie diese Erfahrungen typisieren und habitualisieren. Vgl. Peter Berger und Thomas Luckmann (2013 [1969]): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Vgl. u.a. Arnold Gehlen (2004 [1956]): Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen. Frankfurt a.M.: Klostermann. Diese grundsätzlichen Fragen stellte sich Maria Lind. Vgl. Lind (2011a), S. 23.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

Institution als • • • • • • •

Rahmenhandlung, -strategie21 Spielregeln22 allgemein akzeptierte Regeln des Systems23 Vertreterin einer »gegebenen symbolische Ordnung«24 »Handlungsrahmen« oder »Software«25 sedimentierte Praktiken26 A priori Bedingungen der Existenz von Kunst als solcher27

Den vielfältigen Definitionen ist gemeinsam, dass ihr erweitertes Verständnis sich nicht auf die physischen Räume bezieht, sondern auf die Institution Kunst als handlungsrahmendes Element.28 Handlungen einzufassen und Ereignisse zu strukturieren, ist der zweite Aspekt der Institutionalisierung, der sich auf das rahmende Feld bezieht. Der institutionelle Raum umfasst demnach auch Diskurse, Symbole und Praktiken.29 Für Gehlen »leben [Institutionen, Anm. FB] in jedem einzelnen weiter.« Sie können uns demnach nicht äußerlich sein, sondern drücken sich in den Handlungen der Individuen aus. Das erweiterte immaterielle Verständnis von Institution und die dazugehörigen Institutionalisierungsprozesse sind aufs Engste miteinander verknüpft: Man geht von einer Dinghaftigkeit der Institution Kunst aus, insofern sie in Handlungen erfahrbar ist

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Vgl. Lyndel King und Janet Marstine (2005): New Museum Theory and Practice: An Introduction. Hoboken: Jon Wiley & Sons, S. 269. King und Marstine beziehen sich mit dieser Beschreibung von Institution vor allem auf die Akteure der ersten Phase der Institutionskritik. Museen, als Stellvertreterinnen für Institutionen, zwingen Kunstwerken Bedeutung auf und codieren die ideologischen Hintergründe ihrer Tätigkeiten. Vgl. North (1990), S. 3-5. Siehe auch Fußnote 104. John R. Searle: What is an institution? In: Journal of Institutional Economics, 1, 1 (2005): S. 50. Den Zusammenhang zwischen (immaterieller) Institution und Institutionalität erklärt John Searle anhand institutioneller Fakten. Sie sind der erkennbare Ausdruck von Institutionalität, die sich für Searle in Sprechakten zeigt und diese institutionellen Fakten hervorbringt. Sprache ist insofern konstitutiv für sein Verständnis von Institution, da sie nur existieren kann, wenn sie wahrgenommen und anerkannt wird. Dadurch und indem sie den vergebenen Regeln folgen, weisen die Akteure der Institution Macht über sie zu. Institutionen bringen Machtbeziehungen hervor. Chantal Mouffe (2014): Agonistische Politik und künstlerische Praktiken. In: (Dies.), Agonistik. Die Welt politisch denken. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 141. Markus Miessen (2013): Institutionskritik. Zwischen Ermächtigung und Ermöglichung. In: Petra Reichensperger (Hg.), Begriffe des Ausstellens (von A bis Z). Berlin: Sternberg Press, S. 67 und 70. Miessen verfolgt mit seinem Text das Anliegen, zu untersuchen, wie man sich eine Institution vorstellen kann, die ermöglicht, kritische Produktion und Diskurse zu organisieren. Er bringt mittels der Beschreibung als Handlungsrahmens und als Software die organisationellen und steuernden Elemente einer Institution ein. Vgl. Chantal Mouffe in ihrem Vortrag The Role of Affects in Agonistic Politics am 11.11.2015 an der Zeppelin Universität. Vgl. Fraser, zitiert nach Preston (2014), S. 52. Vgl. Moritz (2013) und Peter Bürger (1974): Theorie der Avantgarde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Vgl. Seyfarth (2011), S. 23

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Institutionskritik im Feld der Kunst

und objektiv existiert, aber ohne materieller Natur zu sein.30 Einen ähnlichen Gedanken formuliert Andrea Fraser in ihrer vielfach zitierten These »We are the institution.«31 Als disziplinierender Apparat zwingt die Institution Kunst künstlerische Praktiken, sich ihren Spielregeln anzupassen. Museen sammeln Werke, kategorisieren, katalogisieren und konservieren sie und stellen sie gemeinsam mit Objekten der gleichen Epoche oder des gleichen Stils aus. Die Zuschreibungen, die in diesem Verlauf vorgenommen werden, bestimmen den symbolischen und finanziellen Wert der Werke ebenso wie die Sammlung, in der das Objekt aufgenommen ist und wie häufig es ausgestellt wird. Künstlerinnen ergeben sich den beschriebenen Zwängen des Feldes, von den Kunstinstitutionen durchgesetzt, anstatt den Ausstellungsraum bewusst zu nutzen und ihn anders zu besetzen. Grundlage für dieses erweiterte Konzept der Institution als System ist Peter Bürgers viel rezipierte Erläuterung der Institution Kunst im Rahmen seiner Theorie der Avantgarde: »Mit dem Begriff der Institution Kunst sollen hier sowohl der kunstproduzierende und -distribuierende als auch die zu einer Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Werken wesentlich bestimmen. Die Avantgarde wendet sich gegen beides – gegen den Distributionsapparat, dem das Kunstwerk unterworfen ist, und gegen den mit dem Begriff der Autonomie beschriebenen Status der Kunst in der Gesellschaft.«32 Neben der theoretischen Seite regten auch die Praktikerinnen einen erweiterten Institutionsbegriff an. In dem sie versuchten, den Rahmungen und Regeln, die Kunstinstitutionen etablieren, zu unterlaufen, sie zu erweitern oder zu verändern, führten nicht zuletzt die künstlerischen Positionen der Institutionskritik und ihre Institutionalisierung dazu, dass der institutionelle Rahmen sich stetig ausweitete und folglich das Konzept der Institution reartikuliert werden musste.33 Andrea Fraser knüpft in ihrem 2005 publizierten Essay an Bürgers Definition der Institution an und subsumiert darunter, im Rückgriff auf Bourdieu, neben Museen und den Orten, an denen Kunst produziert, distribuiert und rezipiert wird, das gesamte Feld der Kunst und seiner Diskurse34 , als »art world/art system«.35 Hier zeigt sich, dass Bürgers Verständnis allerdings für eine aktuelle Beschreibung und Analyse möglicher Auswirkungen der Institutionskritik zu kurz greift: Laut seiner Definition kann sich Kritik immer nur auf das eigene Feld beziehen und nur in diesem sichtbar werden. Bourdieus Ausführungen zur Kunst haben den Feld-Begriff sowie jene des Kapitals und des Habitus geprägt, die ihn zusammengenommen zu einer Theorie

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Vgl. Hermann L. Gukenbiehl (1992): Lektion VIII. Institution und Organisation. In: Hermann Korte (Hg.), Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. Wiesbaden: Springer VS, S. 142. Fraser (2009b), S. 416. Bürger (1974), S. 29. Vgl. Morariu (2014), Raunig und Ray (2009). Vgl. Fraser (2006). Preston (2014), S. 13f. Preston greift auf einen Terminus zurück, den Howard S. Becker mit seinem gleichnamigen Buch prägte und in diesem diskutierte. Vgl. Howard S. Becker (2003 [1982]): Art Worlds. Los Angeles/London: University of California Press.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

der kulturellen Produktion führen.36 Innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen, das sich zunehmend ausdifferenziert, bilden sich soziale Felder als eigenständige Sphären. Ein Feld besteht aus Individuen und kollektiven Akteuren wie Gruppen, Institutionen oder auch dem breiten Publikum. Für jedes Feld gelten eigene Regeln und allen Akteuren geht es darum, die im Feld wirkenden Mächte zu erhalten oder zu verändern.37 »Die Struktur des Feldes gibt den Stand der Machtverhältnisse zwischen den am Kampf beteiligten Akteuren oder Institutionen wieder«38 , so Bourdieu. Ähnlich äußert sich Rachel Mader, die an Oliver Marchart und Antonio Gramsci anschließt: Sie schlägt vor, die Institution Kunst als »antagonistische Kraftfelder«39 zu verstehen, in denen Handlungsmacht mit anderen sozialen Feldern ausbalanciert wird. Damit liegt der Fokus stärker auf der Interaktion und den Handlungen der Akteure, auf Austauschaktivitäten und bringt die oben genannten neuen Vorstellungen einer erweitert-immateriellen Institution zusammen. In meinen weiteren Ausführungen spreche ich dann von der Institution Kunst. Kunstinstitutionen – im Plural – verwende ich, wenn ich auf die topologisch-materielle Auffassung verweise und über konkrete Museen und Ausstellungshäuser spreche.40 Im anschließenden Kapitel gehe ich ausführlicher auf die zwei Ebenen der Institutionalisierung ein. Ich erläutere zunächst, welche Bedeutung die Institutionalisierung für Werke und Künstlerinnen hat. Im Anschluss blicke ich auf die Institution Kunst und stelle heraus, wie Handlungen institutionalisiert werden und inwiefern dies für kritische Verfahren relevant ist.

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Diese für Bourdieu zentralen Begriffe können an dieser Stelle nicht in der ihnen gebührenden Ausführlichkeit und Komplexität behandelt werden. Andere Autorinnen haben sich dieser Aufgabe in Bezug auf das Kunstfeld bereits gewidmet und stellen lohnende Lektüre bereit. Einführend empfiehlt sich Ulf Wuggenig (2017): Pierre Bourdieu (1930-2002): Die Feld-Kapital-Habitus Theorie der Künste. In: Christian Steuerwald (Hg.), Klassiker der Soziologie der Künste: Prominente und bedeutende Ansätze. Wiesbaden: Springer VS, S. 731-798. Des weiteren Beatrice von Bismarck (2008): Nach Bourdieu. Visualität, Kunst, Politik. Turia + Kant: Wien. Ebenso Ulf Wuggenigs Studie mit Heike Munder, vgl. Heike Munder und Ulf Wuggenig (Hg.) (2012): Das Kunstfeld. Eine Studie über Akteure der zeitgenössischen Kunst am Beispiel von Zürich, Wien, Hamburg und Paris. Zürich: JRP Ringier Verlag. Bourdieus Vorstellung des Kunstfeldes erläutere ich genauer im Kapitel 2.1.4. zur Autonomie. Das Feld zeichnet sich dadurch aus, dass etwas auf dem Spiel steht, das umkämpft wird. Bourdieu führt dazu aus, »daß man in jedem Feld einen Kampf – dessen spezifische Formen jeweils zu erforschen sind – […] finden wird.« Aus Pierre Bourdieu (1993): Über einige Eigenschaften von Feldern. In: Ders., Soziologische Fragen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 107ff. Vgl. auch Pierre Bourdieu (1996): Die Logik der Felder. In: Ders und Loic Wacquant, Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 124 – 147. Bourdieu beschreibt, dass jede Aktivität im Feld Folgen hat, denn »Sich in einem Feld befinden, heißt immer schon, dort Effekte hervorzurufen, sei es auch nur Reaktuonen wie Widerstand oder Ausgrenzung.« In: Pierre Bourdieu (1999): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 357. Bourdieu (1993), S. 108. Mader (2013), S. 41f. In den Fallstudien werden diese Kunstinstitutionen darüber hinaus noch einmal in unterschiedliche Typen eingeteilt, die ich in den Vorbemerkungen zu den Fallstudien erläutere. Siehe dazu Kapitel 4.2.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

2.1.2.

Institutionalisierung

»Institutionalisation in art is a taboo.«41 Dave Beech bringt auf den Punkt, welche Gefühle Akteure des Kunstfeldes der Institutionalisierung entgegenbringen. Denn: Sie evoziert Stillstand, wo Dynamik angestrebt wird; Rückschau und klare Struktur statt progressives Voranschreiten. Institutionalisierung findet im Kunstfeld auf zwei Ebenen statt: •





Auf der Ebene des einzelnen Werkes ist sie essenzieller Teil jenes Prozesses, den es durchlaufen muss, um in das System aufgenommen zu werden, sichtbar zu sein und dort zu bestehen. Etwas zu institutionalisieren bedeutet, ihm eine feste Form zu geben, es ein- und festzusetzen, es mit Wert zu versehen, zu kategorisieren und katalogisieren. Für kaum eine andere Kunstpraxis als Institutionskritik geht von der Institutionalisierung stärker die Gefahr aus, ihr jegliche Bedeutung zu entziehen. Denn: Indem die Institution die Kritik approbiert, gliedert sie die Kritik direkt in die von den Künstlerinnen diskutierte und demaskierte Repräsentationslogik ein. Die Kritik findet sich von der Institution in einer Weise gerahmt, welche ihre Funktion auf eine symbolische reduziert. Die rekuperative Logik des Systems neutralisiert Kritik. Die zweite Ebene verweist auf die Institution Kunst und bezieht sich auf Prozesse und Handlungen. Zu institutionalisieren bedeutet hier, konkrete Handlungsziele festzulegen, Ordnungen einzusetzen und bei Nichtbefolgung Sanktionsmechanismen vorzusehen. Regeln geben Verhaltensweisen und Strukturen vor, sie organisieren ein System um bestimmte Werte herum, die von den Beteiligten geteilt werden sollen.

Für beide Facetten der Institutionalisierung trifft zu, dass sie Handlungen beziehungsweise Werke gemäß ihren Leitlinien typisiert und homogenisiert. Institutionalisierungsprozesse normieren und regeln, welche Verhaltensweisen erlaubt sind. Zu normieren impliziert auch zu selektieren – Prozesse der Institutionalisierung entwerfen Standards, die auf lange Zeit festgesetzt werden und nach denen sich Akteure richten müssen. Kanonisierungsprozesse stellen ein Mittel der Institutionalisierung dar. In der Kunstgeschichte stehen sie für »eine spezifisch kunsthistorische Konstruktion zur Institutionalisierung von Diskursen.«42 Der folgende Abschnitt erläutert, was Kanonisierung bedeutet und welche Rolle sie für Institutionskritik spielt.

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Dave Beech: Institutionalisation for all. In: art monthly, 294 (2006): S. 7. Beech lässt einerseits einen Hoffnungsschimmer aufblitzen, indem er konstatiert, dass man sich der Vereinnahmung durch etablierte Institutionen entwinden kann, zerschlägt aber im nächsten Atemzug diese Aussicht: Eine Flucht sei nur temporär und führe unweigerlich zu Verlusten. Moritz (2013), S. 61.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

2.1.3.

Das Paradox der kanonisierten Institutionskritik

Kanonisierungsprozesse strukturieren und kategorisieren Strömungen und Epochen. Indem Kunstinstitutionen ein nationales Erbe und eine Geschichte konstruieren, legitimieren sie den gesellschaftlichen Status Quo. Ein Kanon entwickelt sich im Wechselspiel zwischen Kunst, Institutionen und Gesellschaft – genau dort, wo Institutionskritik hinzielt. Insofern interessieren sich kritische Akteure für Kanonisierungsprozesse als Mittel der Durchsetzung kultureller Macht.43 Ein Kanon besteht aus einer Reihe autoritativer Texte oder Werke44 , der Prinzipien oder Regeln festlegt, was historisiert und somit für die nachfolgenden Generationen als sichtbar und wertvoll bestimmt wird. Er fixiert einen Standard, an dem sich andere Arbeiten im gleichen Feld messen müssen. Ein Kanon bietet eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, denn er macht Künstlerinnen und Werke zum Teil des Kunstfeldes. Er ermöglicht Aussagen über politische, soziale oder ideologische Kontexte, in denen sich künstlerische Praktiken verdichten und sichtbar werden. Auf diese Weise liefert er Informationen über die unter ihm subsumierten Objekte hinaus.45 Kanonische Werke bieten bereichernde Narrative, da sie versinnbildlichen, wie sich die künstlerische Praxis und das implizierte Verständnis von Kunst, Kunstwerk und Künstlerin wandeln. Ein Kanon widersetzt sich aber auch der Mobilität von Begriffen und wirkt normativ. Ein Werk in den kunsthistorischen Kanon zu erheben, bedeutet, ihm einen Wert beizumessen, Erfolg zu bescheinigen. Der Erfolg ist zumeist ein symbolischer, der sich daran ablesen lässt, wie oft eine Künstlerin ausstellt oder in welche Sammlungen sie eingeht. Zudem handelt es sich parallel um eine finanzielle Wertschätzung, die unmittelbar mit der Sichtbarkeit zusammenhängt, die durch die symbolische Aufladung entsteht. Ein Kanon fungiert damit als Gradmesser von Rezeption und Bewertung. Die Institution Kunst demonstriert mit Kanonisierungstechniken ihre Deutungsmacht – sie befördert, was den gesetzten Kriterien entspricht und exkludiert, was ihnen nicht entspricht. Der Kanon ist Schauplatz von Machtkämpfen. Ein Kanon und die ihn kommentierende Diskurse dienen als Werkzeuge der Macht, eine ideologische Hegemonie durchzusetzen und zu erhalten. Die Autorität der Institution reicht aus, um ihn erstarren zu lassen, obzwar von Bruce Altshuler oder Simon Sheikh konstatiert wird, dass ein

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Ähnlich äußert sich Sven Lütticken in seinem Text Falling apart together. Kanonisierungsprozesse seien aufgrund der ihnen innewohnenden Macht und Deutungshoheit für kritische Projekte der Kunstgeschichte und der Kulturtheorie relevant. Vgl. Sven Lütticken: Falling apart together. In: Texte zur Kunst, 100 (2015a): S. 165. Vgl. Simon Sheikh: On the Standard of Standards, or, Curating and Canonization In: MJ – Manifesta Journal. Journal of Contemporary Curatorship, 11 (2010/11): S. 13. Vgl. Bruce Altshuler: A Canon of Exhibitions. In: MJ – Manifesta Journal. Journal of Contemporary Curatorship, 11 (2010/11): S. 12.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Kanon relativ und niemals stabil sei46 , sich je nach Anwendung verändert.47 Dennoch bleiben Kanons mitunter unterhinterfragt.48 Ein essenzieller Widerspruch charakterisiert jene Werke, die als kanonisch definiert sind. Zum einen müssen sie typisch für eine Zeit, eine Richtung sein. Gleichzeitig müssen sie speziell sein, um ihren Status als kanonisch zu rechtfertigen.49 Denn: Es sind diese Projekte und Werke, die Veränderungen im Kunstfeld bewirken und die Kunst vorangetrieben haben. Am Kanonisierungsprozess sind verschiedenste Player und Schauplätze beteiligt. Im Verlauf der Geschichte etablierten sich Organe, die besonders wirkmächtig sind: ausgewählte Kunstzeitschriften, Autoren, Künstlerinnen selbst, Galerien, Kuratorinnen, Sammlungen und Ausstellungen.50 Autorinnen wie Moritz und Gau betonen den Beitrag, den institutionskritische Künstlerinnen selbst leisteten, in dem sie sich in den Kanon einschrieben.51 Institutionskritik ist kanonkritisch, muss sich aber paradoxerweise gleichzeitig den Kanonisierungstechniken des Kunstfeldes geschlagen geben. Das ist der Preis der Sichtbarkeit. Dieses grundlegende Paradoxon kennzeichnet das Unterfangen, Institutionskritik zu kanonisieren. Man umgeht damit ihren kritischen Impuls, führt Nowotny aus.52 Der Kanon, der hinsichtlich der Institutionskritik bemüht wird, kennt zwei Phasen.53 Die Kanonisierung der Institutionskritik fand im Anschluss an die erste der zwei Phasen der Institutionskritik statt. Dave Beech, Kurator, Autor und Künstler des Freee Art Collectives, bekräftigt, dass kritische Diskurse erst in dieser Phase dauerhaft Einzug in die Museen halten konnten54 : Ihre Kooptierung durch die Institution sicherte die Langlebigkeit und kontinuierliche Relevanz der Institutionskritik.55 Erst diese ermöglichte, dass eine dritte Welle entstand und die Institutionskritik weiterhin in Studien wie der vorliegenden bearbeitet werden kann. Im Diskurs finden sich zur Frage des Verhältnisses der Institutionskritik zum Kanon zwei widersprüchliche Positionen: Die eine Seite bescheinigt kritischen Praktiken, die kanonisiert worden sind, jegliches transformative Potenzial verloren zu haben. Wie Gene Ray und Gerald Raunig bemerken, erfolgte die Kanonisierung der Institutionskritik nach klaren Regeln, die durch Depolitisierung, Neutralisierung und Homogenisie46 47

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Vgl. Sheikh (2010/11), S. 13. Vgl. Altshuler (2010/11), S. 7. Altshuler behauptet, dass ein Kanon vom jeweiligen Betrachtendenstandpunkt abhängt. Es sei das Set kanonischer Werke – oder im Falle seines Textes, Ausstellungen – unterschiedlich, ob man aus Sicht einer praktizierenden Künstlerin oder Kuratorin, oder aber aus Sicht einer Kritikerin berichtet. Vgl. Oliver Marchart (2008): Hegemonie im Kunstfeld: Die documenta-ausstellungen dx, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung. Köln: Walther König, S. 39. Vgl. Sheikh (2010/11), S. 14. Verschiedene Autorinnen gewichten den Beitrag der beteiligten Personenkreise unterschiedlich. Julia Moritz betont gleichermaßen die Rolle der Kuratorinnen als gatekeeper und der Künstlerinnen selber, dem Wunsch folgend, sichtbar zu sein. Vgl. Moritz (2013) und Gau (2017). Vgl. Nowotny (2008), S. 11ff. Für die Beschreibung der Phasen und die Debatte um die historische Einteilung der Institutionskritik siehe Forschungsstand in Kapitel 1.4. Vgl. Beech (2006), Vgl. Preston (2014), S. 243.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

rung gekennzeichnet sind.56 Ihrer Kanonisierung ist es geschuldet, dass komplexe und diverse Unternehmungen – wie Institutionskritik eine ist – notwendigerweise simplifiziert werden. Die andere Seite verteidigt vehement, dass mit der Festschreibung dieser Praxen als Kunst alle nachfolgenden Praktiken auf ihren Status als Teil einer Kunstströmung reduziert würden.57 In der Vergangenheit gab es Versuche, den Kanon zu erweitern oder einen alternativen Gegenkanon der Institutionskritik aufzustellen. Allerdings befeuern diese Maßnahmen das beschriebene Wirkprinzip: Die Deutungsmacht der Institution wird genutzt, aber führt ihre Inklusions- und Exklusionsmechanismen fort, da per definitonem niemals alles Bestandteil eines Kanons sein kann.58 Die Untersuchung des Kanons und seine kritische Befragung sind wichtig, reichen aber nach Nowotny nicht aus, da sie nur zu einer »Verdopplung des retrospektiven Gestus«59 führten. Stattdessen kursieren Vorschläge, wie mit den Kanonisierungstechniken umzugehen ist. Die erste, radikaler ausgerichtete Strategie sieht vor, jegliche Vorstellung eines Kanons komplett abzuschaffen.60 Dass dies bedeutet, grundsätzliche Funktionsmechanismen der Kunstgeschichte auszuhebeln, scheint nicht immer mitreflektiert zu werden. Jeglicher Bezugsrahmen fiele weg und würde eine Unmenge an Praktiken hinterlassen, die zum Teil zusammenhangslos erscheinen. Die zweite Möglichkeit erkennt Kanonisierung in gewissem Umfang als unumgänglich an. Folglich müsse man mit ihren Prozessen arbeiten: Institutionskritik soll sich verändern und Hand in Hand mit gesellschaftlichen Veränderungen weiterentwickeln61 , um nicht fixiert zu werden, sondern sinnbildlich einen Kanon mit offenen Rändern zu bilden. Eine dritte Haltung – und an dieser orientiert sich die vorliegende Untersuchung – versteht Institutionskritik nicht als historisierte Strömung, sondern als institutionelle Praxis. Um sich nicht »mit schöner Regelmäßigkeit in kunstfeldspezifischer Selbstreferenzialität zu verheddern«62 , solle Institutionskritik zukünftig anhand von Haltungen und nicht anhand von Namen untersucht werden.63 Dieser Vorschlag überwindet die dichotome Unterscheidung von Kanon und Gegenkanon und betrachtet Institutionskritik hinsichtlich ihres Potenzials, Institutionen zu verändern. Er besinnt sich auf den ursprünglich kritischen Impetus, der von Künstlerinnen ins Feld getragen wurde und den andere Akteure, wie in den Fallstudien zu sehen sein wird, aufgreifen und fortsetzen. Kanonbildung findet also sowohl auf der individuellen wie systemischen Ebene der Institutionalisierung statt. Analog dazu lässt sich von einer individuellen und einer systemischen Perspektive auf Autonomie im Feld der Kunst sprechen, dem das folgende 56 57 58

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Vgl. Raunig und Ray (2009), xv. Vgl. Preston (2014), S. 243. Sheikh führt an, dass die Erweiterung des Kanons nur bedeute, dass weitere Werke oder Künstlerinnen ausgewählt werden, aber sich an den Kanon-bedingenden Verhältnissen nichts ändert. Vgl. Sheikh (2010/11), S. 17. Nowotny (2008), S. 26. Vgl. Sheikh (2010/11), S. 17. Vgl. Raunig und Nowotny (2008), S. 9 Nowotny (2008), S. 26. Vgl. Jens Kastner: Anarchismus ohne Adjektive. Das Wiederauftauchen der Arbeiten des Konzeptkünstlers Christopher D’Arcangelo könnte daran erinnern, dass die Institutionskritik mehr als eine Kunstströmung ist. In: graswurzelrevolution, 363 (2011): S. 13-14.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Kapitel nachgeht. In einem ersten Schritt stelle ich vier Theorien vor, die das Konzept der Autonomie als konstruktiv für den Diskurs über Kunst und das Kunstfeld ansehen. Um für institutionskritische Strategien fruchtbar zu sein, ist eine pragmatische Reartikulation des Autonomiekonzepts sinnvoll, die ich anschließend mit Hilfe von Pierre Bourdieus und Helmut Draxlers Ausführungen zur Autonomie vornehme.

2.1.4.

Das Streben nach und der Kampf um Autonomie

Institutionskritik betrifft »[…] in unmittelbarer Weise das kunstimmanente Spannungsverhältnis von Autonomie und Determination […]«64 , indem sie befragt wie Kunstinstitutionen gesellschaftliche Ein- und Ausschlüsse produzieren und ökonomische wie ideologische Verstrickungen mit Geldgebern sowie staatlichen Instanzen thematisiert. Der Begriff der Autonomie ist zentral, um eine der wichtigsten Herausforderungen für historische und aktuelle institutionskritische Strategien darzulegen. Insbesondere Kunstinstitutionen wie Museen und Ausstellungshäuser oszillieren mit ihren Praktiken zwischen dem Streben, sich unabhängig von äußeren Einflüssen zu machen und dem Wunsch, sich als gesellschaftliche Agentinnen zu positionieren. »Nie war oder blieb der Begriff der Autonomie abstraktes philosophisches Konzept. Im Falle der Kunst ist er bis heute immer zugleich auch Kampfbegriff, handlungsleitende Maxime und strategische Ressource. Auf diese Weise weitete sich der semantische Raum des Autonomiebegriffs, der neben dem aufklärerischen Konzept der Selbstgesetzgebung, (Willens-)Freiheit und Eigenverantwortlichkeit bald auch Aspekte der Eigengesetzlichkeit, Unabhängigkeit, Verselbstständigung oder der Selbstverwaltung umfasste.«65 In diesem kurzen Paragraph wissen die Kunstsoziologinnen Uta Karstein und Nina Tessa Zahner zu pointieren, welche Aspekte zentral sind, um den Zusammenhang von Autonomie und Institutionskritik zu entfalten. Sie verorten die semantischen Ursprünge von Autonomie in der Philosophie und legen dar, dass der Begriff nicht nur ins Kunstfeld übertragen, sondern dort als »Kampfbegriff« eingesetzt wird. Eine Autonomie der Kunst kann nicht vorausgesetzt werden; vielmehr gilt es sie situativ neu zu erringen.66 Die dargelegte Vielfalt an Auslegungen ermöglicht immer wieder an den Begriff anzuknüpfen. Diese Punkte gilt es im Folgenden aufzuzeigen und in den historisch gewachsenen Diskurs um Autonomie einzubetten. Im folgenden Kapitel stelle ich diesen semantischen Diskurs anhand wichtiger Impulsgeberinnen vor. In einem ersten Schritt beziehe ich mich auf die Theorien von Immanuel Kant, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Jacques Rancière. Gleichzeitig

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Buchmann (2006), S. 5. Uta Karstein und Nina Tessa Zahner (2017): Autonomie der Kunst? – Dimensionen eines kunstsoziologischen Problemfeldes. In: Dies. (Hg)., Autonomie der Kunst? Zur Aktualität eines gesellschaftlichen Leitbildes. Wiesbaden: Springer VS, S. 4. Vgl. Karen van den Berg (2009): Postaffirmatives Kunstmanagement. Überlegungen zur Neukartierung kulturmanagerialer Begriffspolitik. In: Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, dies. et al. (Hg.), Forschen im Kulturmanagement. Jahrbuch für Kulturmanagement 2009. Bielefeld: transcript, S. 99.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

füge ich Verweise auf die Entwicklung der Autonomie in Bezug auf Kunstwerke, Künstlerinnen und das Kunstfeld ein, um die Verbindung von begrifflichem und praktischem Diskurs aufzuzeigen. Ausgewählt wurden die genannten Autorinnen, weil sie darin übereinstimmen, dass das Konzept der Autonomie bedeutungsvoll für ihre jeweiligen Ausführungen zur Kunst und dem Kunstfeld ist und sie Autonomie nicht, wie andere Theoretikerinnenen, grundlegend ablehnen.67 Sie lassen sich zudem in Verbindung mit spezifischen institutionskritischen Projekten bringen. Zugleich lassen sich unter ihnen aber zwei ganz unterschiedliche Perspektiven ausmachen: Während Kant, Adorno und Rancière sich mit der Autonomie von Kunstwerken auseinandersetzen, steht bei Habermas und Bourdieu die Ausdifferenzierung von Kunst als einem eigenen gesellschaftlichen Bereich im Vordergrund.68 Bourdieu ist deshalb im Anschluss an den Diskursüberblick ein eigenständiger Abschnitt gewidmet, der auch die jüngeren Überlegungen von Helmut Draxler miteinbezieht. Die vorgestellten Autoren flechten ihre Konzepte in umfassendere soziologische Gesellschaftstheorien und Theoriegebäude ein, die aber aufgrund des Zwecks dieses Kapitels – einen Eindruck von der umfassenden historischen Debatte zur Autonomie zu vermitteln – nicht ausführlicher behandelt werden können. Dennoch habe ich die folgenden Positionen gerade wegen ihrer Einbettung in Gesellschaftstheorien ausgewählt. Sie bilden den Hintergrund, vor dem im Fallstudienkapitel der Anspruch institutionskritischer Projekte und Kunstinstitutionen beleuchtet werden soll. Dieser Anspruch besteht darin, dass die Institutionen als gesellschaftliche Agentinnen auftreten und somit konkret in gesellschaftliche Verhältnisse intervenieren. Die Autorin-

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Vertreterinnen einer sogenannten Heteronomieästhetik revidieren das Autonomienarrativ. So formuliert Oliver Marchart das für ihn »Ästhetische Paradox«, das besagt, Autonomie sei immer schon Heteronomie unter anderem Namen gewesen, da es die Autonomie von Kunst »einem äußeren heteronomen Ziel unterstellt.« Marchart erkennt dieses Paradox bei Friedrich Schiller, Theodor W. Adorno und auch in jüngster Zeit bei Jacques Rancière. Eine künstlerische Praxis könne dann politisch und somit heteronom werden, wenn sie Öffentlichkeit hervorbringt, die unmittelbar an einen bestehenden Antagonismus geknüpft ist. Aufgabe einer Heteronomieästhetik sei es dann heute, »dieses Moment des Politischen und des Öffentlichen – und zwar als unterschieden vom Sozialen – konzeptuell und theoretisch fassen.« Vgl. dazu Oliver Marchart (2012): Überlegungen zu Kunst, Politik und Stadtraum im Anschluss an Jacques Rancière, Dan Graham, Alfredo Jaar und Colectivo Situaciones. In: Dietmar Kammerer (Hg.), Vom Publicum. Das Öffentliche in der Kunst. Bielefeld: transcript, S. 161-180. In meinen nachfolgenden Überlegungen schließe ich an Hans Freier an, der bereits 1974 die hilfreiche Unterteilung von Autonomie auf drei Ebenen, also einer weiteren Ebene, vorsah. Die Autonomie des Kunstwerks bezieht sich auf ihre eigengesetzliche Formbildung, die Autonomie der Kunst auf ihre Unabhängigkeit gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen und Einflussmächten und die Autonomie der Ästhetik, die damit eine eigene genuine Erkenntnisform ausbildet. Vgl. Hans Freier (1974): Ästhetik und Autonomie. Ein Beitrag zur idealistischen Entfremdungskritik. Mittels des Begriffs der Autonomie debattieren Autorinnen im Kunstfeld verschiedene Konzeptionen von Kunst, Kunstwerk und Kunstverständnis. In: Bernd Lutz (Hg.), Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz, 1750-1800). Stuttgart: Metzler, S. 329-381. Eine mögliche vierte Ebene schlägt Rainer Schützeneichel vor: die Autonomie der Präsentation von Kunst und Kunstwerken. Vgl. dazu Rainer Schützeneichel (2017): Die »deontische Macht« der Ausstellung. In: Uta Karstein und Nina Tessa Zahner (Hg.), Autonomie der Kunst? Zur Aktualität eines gesellschaftlichen Leitbildes. Springer, S. 192f.

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nen beschreiben, was von Draxler als »Kunst und«-Rhetoriken bezeichnet wird.69 Diese Rhetoriken setzen Kunst in ein Verhältnis zu anderen ausdifferenzierten Bereichen. Immanuel Kant: Autonomie als Selbstgesetzgebung und emanzipatorischer Anspruch Seinen historischen Ursprung im Kunstfeld findet der Begriff der Autonomie im aufkommenden Ästhetizismus Ende des 18. Jahrhunderts. Voraussetzungen dafür sind die theoretische Hinwendung zur Rolle des Subjekts und das Zusammendenken der Künste als die Kunst.70 So spricht Immanuel Kant »Von der Kunst überhaupt.«71 Seine Ausführungen in Kritik der Urteilskraft können nach wie vor als zentrale Referenz für die ersten (kunst)philosophischen Auseinandersetzungen mit Autonomie gelten. Kant wird gemeinhin als Vertreter einer idealistischen Ästhetik gesehen. In Kants emanzipatorischem und von der Idee der Aufklärung inspiriertem Denken bedeutet Autonomie »zum Herr seiner selbst«72 zu werden, indem man den Gesetzen folgt, die man sich selbst gegeben hat. Für Kant geht damit einher, ein neues Welt- und Subjektbild durchzusetzen. Kunst besitze »Zweckmäßigkeit […] ohne allen (weder objektiven noch subjektiven Zweck«.73 Kunst habe, so interpretieren etwa auch Karstein und Zahner Kants Ausführungen, dennoch einen gesellschaftlichen Zweck, den sie paradoxerweise genau dann erfülle, wenn sie zweckfrei erschaffen wird.74 Diese Kantsche Zweckfreiheit ist Grundlage für viele weitere Autonomie-Konzepte.75 Kants Theorien schlagen sich auf direkte wie indirekte Weise in beinahe allen institutionskritischen Arbeiten nieder. So zitiert beispielsweise Andrea Fraser in ihrer Performance Museum Highlights aus der Kritik der Urteilskraft.76 Auch Hito Steyerl beruft sich in ihrem viel rezipierten Text Die Institution der Kritik auf Kants dritte große 69 70

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Vgl. Helmut Draxler (2007): Gefährliche Substanzen. Zum Verhältnis von Kritik und Kunst. Berlin: b_books, S. 23f. Vgl. Uta Kösser (2017): Zwischen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Begriffsgeschichtliche Befunde zur Autonomie der Kunst. In Uta Karstein und Nina Tessa Zahner (Hg.), Autonomie der Kunst? Zur Aktualität eines gesellschaftlichen Leitbildes. Wiesbaden: Springer VS, S. 69. Damit passiert, was Helmut Draxler als Substanzialisierung und Singularisierung eines Begriffs bezeichnet hat. Substanz bezeichnet bei Draxler dasjenige, was Kunst zur Kunst macht. Interessanterweise beschreibt er gerade das Nicht-Spezifische von Kunst, ihr Moment der Unbestimmtheit als ihr Spezifisches. Vgl. Draxler (2007), S. 61. Immanuel Kant (1974): Kritik der Urteilskraft. In: Ders. (Hg.), Werkausgabe in 12 Bänden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, § 43. Die Kritik der Urteilskraft ist Kants drittes Hauptwerk und seine letzte ›Kritik‹ nach der Kritik der reinen Vernunft, die sich mit Erkenntnistheorie befasst, und der Kritik der praktischen Vernunft, welche die Grundzüge seiner Moralbegründung als Antwort auf die Frage ›Was soll ich tun?‹ darlegt. Vgl. Ebd., S. 447. Vgl. Ebd., S. 136. Vgl. Karstein und Zahner, S. 3. Einer der Theoretiker, der sich auf Kant stützt aber hier nicht weiter besprochen erwähnt wird, ist Friedrich Schiller. Schiller spricht von der Lust an der zweckfreien künstlerischen Gestaltung, die er mit einem Scheincharakter der Kunst verbindet. Er unterstellt Kunst der Möglichkeit, den Menschen ästhetisch zu erziehen. Kunst darf dennoch kein Interesse verfolgen, da es sonst die Rezipientin in eine bestimmte Richtung lenke und einer ästhetischen Bildung im Weg stehe. Vgl. dazu Klaus L. Berghahn (Hg.) (2000): Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Stuttgart: Reclam. Siehe Kapitel 3.1.4. für mehr Informationen zu Frasers Museum Highlights.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

Kritik.77 Kants Autonomievorstellung als Selbstgesetzgebung und auch ihr emanzipatorischer Anspruch stehen daher in enger Verbindung mit institutionskritischen Praktiken. Versteht man vor diesem Hintergrund Institutionskritik als eine Bewegung zu mehr Unabhängigkeit von politischen, ökonomischen und institutionellen Zwecken, so schließen Projekte wie Hans Haackes MoMa Poll oder Martha Roslers If You Lived Here ebenfalls an dieses Kantsche Autonomie-Verständnis an.78 Interlude: Autonomie in der Kunstpraxis Von dem eher theoretischen Diskurs im Anschluss an Kant lässt sich ein praktischer unterscheiden. Die begriffliche Debatte um Autonomie im Kunstfeld kann als das »Zeugnis ihrer [der Kunst, Anm. FB] Ausdifferenzierung«79 gesehen werden. So erklärte der sich im 18. Jahrhundert um Alexander Baumgarten einsetzende Ästhetizismus mit seiner Losung l’art pour l’art Kunst und Künstlerin unabhängig von Ökonomie und Politik, von Staat und Akademie.80 Künstlerinnen hatten lange in deren Auftrag gearbeitet, ihre Werke wurden zu Repräsentationszwecken genutzt und standen in einem – oftmals existenziellen, finanziellen – Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Förderern. Die Loslösung von der Kunst als Ausdruck des Sakralen oder als Machtrepräsentation brachte die autonome Künstlerin hervor. Diese/r arbeitete nach ihren eigenen Ideen, mit selbstgewählten Themen und erkämpfte sich inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit. Dem historischen Narrativ folgend, dass eine Autonomie der Kunst möglich ist81 , etabliert sich das eigene Berufsbild der Künstlerin82 , die sich zunehmend unabhängig von ökonomischen und politischen Einflüssen erklärt. Diese relative Unabhängigkeit hat zur Folge, dass Kunst sich auch von kognitiven, moralischen und fremdreferenziellen Elementen zu lösen versucht. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine ästhetische Neubestimmung beobachten. In dieser modernen Ästhetik ist nun nicht mehr allein das Kunsthandwerk nützlich, vielmehr kann auch Kunst nun im Sinne der ›utilitas‹ nützlich werden .83 77 78 79 80 81 82

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Vgl. Steyerl (2006). Für die weitere Besprechung von Haackes MoMa Poll siehe Kapitel 3.1.3. Auf Roslers Projekt If You Lived Here gehe ich näher in Kapitel 3.1.4. ein. Schützeneichel (2017), S. 169. Vgl. Buchmann (2006), S. 3. Zu den Verfechterinnen der Möglichkeit zur Autonomie der Kunst zählt Peter Bürger. Vgl. dazu Bürger (1974). Es handelt sich hier um eine berufssoziologische Facette der Autonomie. Vgl. Max Fuchs: Kunstfreiheit und Kunstautonomie – Facetten einer komplexen Leitformel. In: Kulturelle Bildung (2012/13). Verfügbar unter: https://www.kubi-online.de/artikel/kunstfreiheit-kunstautonomiefacetten-einer-komplexen-leitformel [Zugriff: 06.07.2016]. Als Ausdruck der zunehmenden Autonomie von Kunst etablieren sich Ende des 18. Jahrhunderts eigene Institutionen: öffentliche Kunstmuseen. Das Publikum kommt nun hierher, um explizit Kunstwerke zu betrachten. Die eigens für sie geschaffenen Räume betonen ihren besonderen Status als Kunst in Abgrenzung zu Nicht-Kunst. Diese Unterscheidung ist notwendig, denn wenn Kunst nicht als solche erkennbar ist, erscheint es überflüssig, ihre Autonomie zu diskutieren. Vgl. dazu u.a. Niklas Luhmann (2008): Schriften zu Kunst und Kultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 349. Vgl. Draxler (2007), S. 43. Bestimmt man Kunst funktionell, so soll sie anwendbar sein, sei es für industrielle Technologien, Medien oder auch soziale Zwecke. Gleichzeitig ersetzt die Vorstellung einer angewandten Kunst aber nicht die einer autonomen Kunst, sondern beide bestehen glei-

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Im 20. Jahrhundert hat die historische Avantgarde die Autonomie der Kunst und die Institution Kunst erst als eine solche Institution erkennbar gemacht. Die Institution Kunst ging daraus gestärkt hervor und verkehrte so die Intention der Avantgardistinnen eine nützliche Kunst zu schaffen ins Gegenteil.84 Abgrenzung bedeutete also Bestätigung. In den 1960ern öffnete sich die künstlerische Praxis zunehmend für neue Methoden wie Recherche, analyse- und prozessorientierte sowie partizipative Formate. Mit diesen neuen Mitteln führten sie den Kampf um Autonomie fort. Die Politisierung des Autonomiebegriffes regte Künstlerinnen an, konflikthafte, widersprüchliche oder ambivalente Situationen zu provozieren. Theodor Adorno: Autonomie als Kompetenz des Subjekts Auch für Theodor Adorno nimmt der Autonomie-Begriff eine zentrale Stellung im Kontext seiner Ästhetischen Theorie ein.85 Für ihn stellt Autonomie eine von der Gesellschaft angeregte Kompetenz des Individuums dar, »aus sich […] heraus selbstverantwortlich zu handeln und sich zu entscheiden«.86 Er prägte zudem den Ausdruck des »Doppelcharakters der Kunst als autonom und als fait social«.87 Dabei lehnte er es ab, eine Autonomie der Kunst mit einer Losgelöstheit von der Welt gleichzusetzen, denn Kunstwerke wirken emanzipatorisch, indem sie den Menschen berühren, erschüttern und Impulse sichtbar machen. Die sogenannte »Entkunstung«88 stellt allerdings eine Gefahr für das emanzipatorische Potenzial von Kunst dar. Unter »Entkunstung« versteht Adorno, dass die Grenze zwischen Kunst und Ware in der Kulturindustrie porös wird und verschwimmt. Kunst werde gleichgeschaltet und verliere ihre Funktion, »eine Antithese zur Gesellschaft zu bilden.«89 Kant und Adorno eint eine subjektbezogene Dimension von Autonomie; die Autonomie des Subjekts im Sinne einer Selbstbestimmung und die Autonomie des Kunstwerks sind aufs Engste miteinander verknüpft.90 Adornos Ideen zur Autonomie wirken insbesondere in jenen institutionskritischen Projekten nach, die mehr gesellschaftliche Relevanz und Beteiligung fordern. Eine solche institutionskritische Praxis versteht sich nicht als autonom, als abgesondert von der Gesellschaft, sondern macht ihren Einfluss auf sie geltend und möchte Veränderungen bewirken. Beispiel für eine solche Herangehensweise sind Group Materials Projekte

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chermaßen. Besonders die romantische Kunsttheorie zu dieser Zeit negiert den Nützlichkeitsanspruch der Kunst und tendiert dazu, die Kunst als etwas Außerweltliches zu idealisieren und sie somit eine Distanz von der Lebenswirklichkeit einfordert. Vgl. Christine Magerski (2011): Theorien der Avantgarde: Gehlen-Bürger-Bourdieu-Luhmann. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 91. Adornos Werk Ästhetische Theorie erschien posthum und umfasst seine Ideen einer Philosophie der Kunst. Theodor W. Adorno (2001): Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit. In: Ders. (Hg.), Vorlesung aus den Jahren 1964/1965. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 124. Theodor W. Adorno (2003b [1970]): Ästhetische Theorie. In: Ders. (Hg.), Gesammelte Schriften (Bd. 7). Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 16. Ebd., S. 32. Ebd., S. 19. Eine solche Kunst wäre nach Adorno also marktaffin und würde sich der Logik eines kapitalistischen Marktes, Adorno nennt es die Kulturindustrie, verschreiben. Vgl. Theodor Adorno (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 93.

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und Ausstellungen, unter anderem The People’s Choice (Arroz con Mango) oder Democracy.91 Auch die von Adorno diagnostizierte Gefahr der Entkunstung wird in institutionskritischen Arbeiten aufgegriffen. Andrea Frasers Project in Two Phases, aber auch das gemeinsame Projekt Services mit Helmut Draxler thematisieren künstlerisches Schaffen als Dienstleistung und damit als Ware.92 Jürgen Habermas: Autonomie als Trennung von Kunst und Alltag Bei Jürgen Habermas finden sich Überlegungen zur Kunst über sein Werk verteilt und sind im Kontext seines Hauptwerks Theorie des kommunikativen Handelns zu betrachten. Während er einerseits der Kunst befreiende und somit emanzipatorische Potenziale bescheinigt, seien viele Formen der Gegenwartskunst von der Alltagswelt distanziert. Es bedarf der Philosophie, um Kunst und Lebenswelt zu verbinden. Die von ihm diagnostizierte Distanz lässt sich mit dem Argument begründen, dass die »Autonomie der Kunst als Autonomie einer [sic!] Sphäre neben Wissenschaft und Recht«93 sei. Aus diesem Grund seien auch die Avantgarde und Postavantgarde gescheitert, die versuchten, Kunst und Lebenswelt zusammenzuführen.94 Die Ausbildung von Wertsphären ist Grundlage von Habermas’ Versuch einer sich selbst als kritisch darstellenden Gesellschaftstheorie.95 Wie im nachfolgenden Kapitel noch zu sehen sein wird, nimmt Helmut Draxler diese Getrenntheit der Sphären zum Ausgangspunkt, um daran die Arten und Weisen, wie sich Kunst auf andere Bereiche beziehen kann, zu diskutieren.96 Versteht man Institutionskritik als eine Praxis, die in die Gesellschaft zurückwirken will, so wäre sie nach Habermas nicht autonom. Kunst und Alltag trennt Habermas strikt. Dieser Gedanke klingt in Daniel Burens Arbeit an. Mit Affiches sauvages greift er die Frage nach der Trennung von Kunst und Alltagswelt auf. Er platziert sein Werk im öffentlichen Raum und stellt damit den Ort von Kunst und die damit verbundene Wert- und Bedeutungsaufladung

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Für die Besprechung von Group Materials Projekt The People’s Choice (Arroz con Mango) siehe Kapitel 3.1.3 Democracy (1988) war eine mehrteilige Arbeit, die Group Material für die DIA Art Foundation in New York produzierte und die sich in vier Themensträngen mit Aspekten von Demokratie auseinandersetzte. Für weitere Informationen zu den beiden genannten Projekte siehe Kapitel 3.1.4. Karstein und Zahner (2017), S. 21. Vgl. Habermas (1990 [1980]): Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. In: Ders. (Hg.), Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze 1977-1992. Leipzig: Reclam, S. 70 und dazu Karstein und Zahner (2017), S. 21 Vgl. Habermas (1981), S. 7. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann entwirft in seiner Schrift Die Kunst der Gesellschaft ein Konzept von Autonomie, das sich deutlich von der Frankfurter Schule abgrenzt. Seine wichtigste Vorannahme besteht in der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft der Moderne. Verkürzt gesagt: Das Kunstsystem als gesellschaftliches Teilsystem konstituiert eine eigene Realität und sichert sich durch ihre operative Geschlossenheit sowie eine innere Eigenlogik gegen äußere Einflüsse ab. So erlangt es den Status der Autonomie. Bei Luhmann scheint die Idee angelegt, dass Institutionalisierung und Autonomie unmittelbar verbunden sind. Autonomie gilt dann als Voraussetzung, damit Institutionalisierungsprozesse stattfinden können: Ein System muss unabhängig und frei von externen Ansprüchen sein, um eigene Regelwerke und Handlungsprinzipien festzulegen. Niklas Luhmann (1995): Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

zur Disposition.97 Eine solch strikte Separiertheit von Kunst und anderen Bereichen wie Habermas sie vorsieht, scheint jedoch im Widerspruch zu den gesellschaftskritischen und aktivistischen Ambitionen vieler institutionskritischer Künstlerinnen zu stehen. Jacques Rancière: Widerstand als Spannung zwischen Heteronomie und Autonomie In jüngster Zeit unternahm Jacques Rancière einen weiteren Versuch, das Verhältnis von Kunst, ihrer gesellschaftlichen Funktion und Politik zu bestimmen. Wie Ruth Sonderegger anmerkt, widmet sich Rancière »[m]it einer erfrischend frechen Unbekümmertheit«98 diesem Verhältnis und führt weiter aus, dass das Kunstfeld überraschenderweise äußerst positiv auf seinen Ansatz reagiert habe. Rancière knüpft an die Theorien von Kant, Schiller und Adorno an, indem er ebenfalls die immanente Widerständigkeit von Kunst hervorhebt. Dem vorgelagert ist jedoch Rancières Einteilung von Kunst in drei Regimes, in denen es um spezifische Tätigkeiten und Umgangsweisen mit Kunst geht. Er unterscheidet ein ethisches Regime, »[…] indem die Tätigkeiten, die wir Künste nennen, nicht als autonome verstanden werden […]«, sondern stattdessen eine erziehende und staatstragende Rolle einnehmen. Das zweite – repräsentative – Regime der Kunst hat zur Aufgabe, verschiedene Künste auszudifferenzieren und gibt die Regeln vor, welche das Kunstschaffen definieren. Das dritte, ästhetische Regime bezeichnet ihre Besonderheit, das, was Kunst zu Kunst macht, und verweist auf die Sphäre ihrer Eigengesetzlichkeit verbunden mit einer spezifischen Erfahrung des Ästhetischen.99 Dieses Regime steht der Lebenswelt gegenüber und versieht die Begegnung mit Kunst mit einem Moment der Unbestimmtheit, der »[…] verbunden [ist] mit dem, was man die Unzweckmäßigkeit der Kunst nennen könnte.«100 Gerade in dieser Unbestimmtheit liegt für Rancière dann auch das Potenzial, widerständig zu sein. Der Widerstand artikuliert sich darin, die Spannung auszuhalten zwischen der Position, dass alles – auch Kunst – politisch und damit auch heteronom sei sowie der These, die für eine Autonomie der Kunst plädiert, da sie auf keinen Fall politisch sein dürfe.101 Auf die immanente Widerständigkeit von Kunst machten institutionskritische Künstlerinnen mit ihren Arbeiten von Beginn an aufmerksam. Die Art Workers Coalitition, Hans Haacke, Martha Rosler oder Guerrilla Girls sind beispielhaft für eine solche

Für weitere Informationen zu Burens Werk Affiches sauvages siehe Kapitel 3.1.3. Sönke Gau diskutiert in seiner Arbeit Institutionskritik als Methode ausführlich den Begriff der Öffentlichkeit bei Habermas im Zusammenhang mit Institutionskritik. Das Museum stellt für Habermas einen der Orte dar, an dem sich eine sogenannte literarische Öffentlichkeit als Voraussetzung der bürgerlichen Öffentlichkeit bildet. Letztere erlangt die Fähigkeit, Kritik an der Struktur der Gesellschaft zu äußern. Vgl. Gau (2017), S. 189ff. 98 Ruth Sonderegger (2008): Institutionskritik? Zum politischen Alltag der Kunst und zur alltäglichen Politik ästhetischer Praktiken. Vortrag auf dem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik: »Ästhetik und Alltagserfahrung«, Jena, 02.10.2008. Verfügbar unter: www.dgae.de/wp-content/uploads/2008/09/Ruth_Sonderegger.pdf [Zugriff 21.02.2019]. 99 Vgl. Jacques Rancière (2008): Ist Kunst widerständig? Berlin: Merve, S. 41f. 100 Ebd., S. 51. Dient Kunst etwas anderem als sich selbst, so erkennt Rancière ihr den Status als Kunst ab. 101 Vgl. Marchart (2012), S. 164. 97

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

widerständige und größtenteils politisch motivierte Praxis.102 Die Vorstellung, eine Spannung auszuhalten und so Widerstand zu äußern, erscheint besonders hilfreich, um die Situation aktueller institutionskritischer Praktiken zu analysieren. Denn genau mit dieser Spannung, dem Ausbalancieren zwischen Autonomie und Heteronomie, sehen sich Institutionen konfrontiert, die kritisch arbeiten. Die Fallstudien spiegeln diese Ambivalenz wider und zeigen anhand praktischer Beispiele, wie Museen, Ausstellungshäuser und andere Formationen mit ihr umgehen. Institutionskritische Akteure haben aus der Vergangenheit gelernt, dass kritische Praktiken anfällig dafür sind, vereinnahmt zu werden. Die besondere Herausforderung für Institutionskritik besteht demnach darin, zwei sich wiedersprechende Zustände parallel zu realisieren. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Beobachtungen nun für eine Auffassung von Autonomie ziehen, das produktiv für das Verständnis gegenwärtiger Institutionskritik eingesetzt werden kann?

2.1.5.

Autonome Institutionskritik? Kritisch-künstlerische Praktiken zwischen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit

Es lässt sich zunächst festhalten, dass zwei Aspekte der Denkfigur Autonomie von allen Theoretikerinnen diskutiert werden: Abwesende Fremdbestimmung oder Unabhängigkeit (im Sinne einer Autonomie von) sowie Selbstbestimmung, die mit eigengesetzlichem Handeln verbunden ist (im Sinne einer Autonomie zu). Die zwei Aspekte betreffen das Innen (den Inhalt) sowie das Außen (die Form) des Autonomiebegriffs.103 Das folgende Kapitel nimmt die Ambivalenz zwischen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zum Ausgangspunkt und greift dabei auch auf weitere Theoretikerinnen zurück, die im vorausgehenden Kapitel keine Erwähnung fanden.104 Im Anschluss an Rancière zeige ich danach, wie sich diese beiden Seiten als Spannungen artikulieren, die insbesondere von institutionskritischen Akteuren auszuhalten sind. Selbstbestimmung als Autonomie zu bedeutet, aus sich selbst heraus neue Regeln und Handlungsweisen zu entwickeln. Diese Interpretation von Autonomie steht für ein emanzipatorisches Prinzip. Die Autonomie zu ermächtigt demnach institutionskritische Akteure gegen die durch die Institution Kunst eingesetzten und durchgesetzten Regeln aufzubegehren und ihre eigenen Vorstellungen auszuleben, wie die Institution Kunst operieren soll. Gleichzeitig braucht es die Institution, um sich davon lösen zu können, sich an ihr abzuarbeiten und dann autonom zu handeln. Unabhängigkeit lässt sich als Autonomie von bestimmen: »Alle Spuren von Fremdbestimmung müssen getilgt werden.«105 Daraus folgt zwar, dass Künstlerinnen selbst-

102 Für die Besprechung von einzelnen Arbeiten der genannten Künstlerinnen siehe Kapitel 3.1.3. und 3.1.4. 103 Vgl. Kösser (2017), S. 68. 104 Das Kapitel beleuchtet explizit diese beiden Aspekte und greift deshalb schlaglichtartig auf Einzelaussagen anderer Theoretikerinnenen zurück, welche die zwei Aspekte in ihren Ausführungen berücksichtigen. Aufgrund des spezifischen Fokus – die Konzepte ›Autonomie von‹ und ›Autonomie zu‹ zu erläutern – wird nicht weiter auf Widersprüche zwischen den Gesamttheorien der erwähnten Autorinnen eingegangen. 105 Luhmann (1995), S. 452.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

bestimmt über ihre Motive und ihr Schaffen entscheiden konnten, doch diese relative Selbstständigkeit gegenüber gesellschaftlichen Ansprüchen resultierte im Risiko, dass Kunst und Künstlerin nicht nur den Einfluss von, sondern auch den Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen einzubüßen. Die Konsequenz wäre, sinnlos und zweckfrei zu sein, selbstreferenziell zu werden106 und sich in eine tautologische Existenz zu begeben.107 Diese beiden Seiten des Autonomiebegriffs implizieren verschiedene Potenziale und mögliche Gefahren für die Praxis. Nachfolgend möchte ich jeweils zwei einander gegenüberstellen. Neutralisieren versus Handlungsraum öffnen Etwas zu neutralisieren impliziert, jegliche Aufladung einer Handlung oder eines Begriffes aufzulösen. Stellungnahmen, die beispielsweise in einem politischen Kontext provozieren, können mit dem Deckmantelverweis ›es sei ja nur Kunst‹ neutralisiert werden. Autonome Kunst wendet sich zurück auf sich selbst und läuft Gefahr, nutzlos und neutral zu sein.108 Einen Handlungsraum zu öffnen meint hingegen, das Unmögliche, das Andere vorzustellen und damit Platz für eben jene Aufladungen zu schaffen.109 Statt sich also vereinnahmen zu lassen, öffnet das Streben nach Autonomie einen Handlungsraum, in dem Veränderungen im Kunstfeld möglich sein sollen. Bemühungen um Autonomie helfen Differenz zu artikulieren und zu ent-organisieren. Das bedeutet: Künstlerinnen wählen ihre Position und schaffen sich einen eigenen Handlungsraum dafür. Sie definieren die Bedingungen, unter denen sie arbeiten wollen.110 Unter den so selbst bestimmten Voraussetzungen kann innerhalb des Feldes ein Raum des Möglichen und der Veränderung geöffnet werden, der nicht vorab bestimmt ist und sich somit auch ein Stück weit der Kontrolle entzieht. Während Niklas Luhmann argumentiert, dass Kunst sich als funktionslos ausgebe, um sich gegen eine Vereinnahmung zu wehren, entgegnet Michael Lingner, dass es der Zustand der Autonomie sei, der diese vereinfacht möglich mache. »Denn wenn die Werke offensichtlich keine eigenen Zwecke verfolgen, weisen sie eine hochgradige, als Autonomie verkannte Unbestimmtheit auf, die ihre unproblemati-

106 Vgl. Beatrice von Bismarck, Diethelm Stoller et al. (2000a): Das interdisziplinäre Projekt ›Kunstraum der Universität Lüneburg‹, Verfügbar unter: http://kunstraum.leuphana.de/texte/kunstraum.html [Zugriff: 17.04.2015]. Auszug aus: Beatrice von Bismarck, Diethelm Stoller et al. (2000b): Kunst, Ökologie und nachhaltige Entwicklung. In: Gerd Michelsen (Hg.), Sustainable University – Auf dem Wege zu einem universitären Agendaprozeß. Frankfurt a.M.: VAS, S. 117-152. 107 Vgl. Joseph Kosuth (1991): Art after Philosophy. In: Gabriele Guercio (Hg.), Art after philosophy and after. Collected writings, 1966-1990. Cambridge (Massachusetts)/London: MIT Press, S. 16. Diese Folgenlosigkeit ist es, welche die historische Avantgarde zu enthüllen und widerlegen versuchte. Vgl. dazu Bürger (1974), S. 29ff. 108 Vgl. von Bismarck, Stoller et al. (2000a), 109 Vgl. Branka Ćurčić (2007): Autonome Räume der Deregulierung und Kritik. Ist eine Kooperation mit neoliberalen Kunstinstitutionen möglich?//1//. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0407/curcic/en.html [Zugriff: 10.02.2017]. 110 Vgl. Ćurčić (2007).

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sche, unspezifische und universale nachträgliche Instrumentalisierung für alle möglichen Zwecke umso leichter macht.«111 Hier erkennt man gegensätzliche Vorstellungen als zwei Seiten einer Medaille: Kunst sei zwecklos, weil sie unbestimmt ist versus Kunst sei offen, weil sie kein bestimmtes Ziel verfolge. Beide treffen an dem Punkt aufeinander, dass Autonomie Kunst verwundbar macht – und sie dies als Stärke einsetzen kann oder sich damit selbst schadet. Aktuell verschärft sich die Relevanz dieser Gegenüberstellung, wenn man an Kunstformen als politisch-soziale Praxis denkt, die konkrete Ziele verfolgen und gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen wollen. Diese wenden sich gegen Beschwörungen des Kunstwerts an sich und entfachen erneut die Debatte um die Autonomie der Kunst. Sich verselbstständigen und auflösen versus Sich in Beziehung setzen Ausgehend von der äußerst wirksamen Eigendynamik des Kunstfeldes entfaltet sich ein weiteres Spannungsfeld. Autonome Kunst verfällt in einen Zustand, den Joseph Kosuth als tautologische Existenz deklariert.112 »Indem die Kunst ihre Inhalte, Formen und Konzepte immer mehr rein selbstreferenziell generiert«113 , wirkt sie nur noch auf sich selbst und das eigene Teilsystem zurück. Die bescheinigte gesellschaftliche Folgenlosigkeit führt direkt zur Gefahr, sich selbst aufzulösen und aufs Spiel zu setzen. Denn wenn Kunst bereits Teil der Gesellschaft geworden ist, kann sie sich nicht mehr autonom im Sinne der von Adorno formulierten »Verselbstständigung der Gesellschaft gegenüber«114 positionieren. Die kritische Distanz der Kunst ginge verloren und entlarvt eine Scheinautonomie115 ; sie würde an den sie tragenden Strukturen sägen und den eigenen Fortbestand gefährden. Autonom zu agieren, bedeutet nicht, Kunst aus jeglichen sozialen Zusammenhängen herauszulösen, sondern einen Modus zu finden, wie man mit gesellschaftlichen Erwartungen umgeht. Autonomie schafft eine Distanz, um sich nicht vereinnahmen zu lassen. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen Zweckmäßigkeit und Autonomie von Kunst. In der Konturierung der beschriebenen Theorien tritt zutage, in welchem Spannungsfeld sich institutionskritische Praktiken bewegen: Um den eigenen Anforderungen gerecht zu werden, muss sich Institutionskritik von ihrem Objekt der Kritik – der Institution – abhängig machen. Will sie ihre eigenen Ziele erfüllen, müsste sie gleichzeitig institutionell wirksam und autonom sein, um nicht ihrer kritischen Kraft beraubt 111

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Vgl. Michael Lingner (1999): Krise, Kritik und Transformation des Autonomiekonzepts moderner Kunst. Zwischen Kunstbetrachtung und ästhetischem Dasein. In: Ders., Pierangelo Maset und Hubert Sowa (Hg.), Ästhetisches Dasein: Perspektiven einer performativen und pragmatischen Kultur im öffentlichen Raum. Hamburg: Materialverlag/Hochschule für Bildende Kunst, Hamburg, S. 29. Vgl. Kosuth (1991), S. 16. Lingner (1999), S. 26. Theodor W. Adorno (1993 [1970]): Ästhetische Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 334. Gleiches monieren Boltanski und Chiapello, die zudem behaupten, dass die Forderung nach Autonomie als Teil der gegen den Fordismus gerichteten Künstlerkritik diesen durch »Formgleichheit der neuen Protestbewegungen und Strukturen des Kapitalismus« noch zusätzlich befeuert habe. Vgl. Luc Boltanski und Ève Chiapello (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVKVerlagsgesellschaft, S. 389.

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zu werden. Damit bewegt sie sich zwischen, so formuliert es Draxler eindringlich, »Autonomieanspruch und Ideologieverdacht«116 , zwischen Substanz und Funktion. Pragmatische Reartikulation im Anschluss an Pierre Bourdieu und Helmut Draxler: Relative Autonomie und das semiautonome Kunstfeld Um gegenwärtige institutionskritische Strategien einzuordnen und ihre spezifischen Herausforderungen zu bestimmen, erscheint eine pragmatische Reartikulation des Autonomiekonzepts sinnvoll. Ziel ist, im Anschluss an Pierre Bourdieu und Helmut Draxler ein Verständnis vom Kunstfeld zu entwickeln, das nicht hermetisch abgeriegelt und auf sich selbst bezogen ist, sondern das mit offene Rändern im produktiven Austausch mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen steht.117 Dies bedeutet, sich mit der überkommenen Vorstellung auseinanderzusetzen, nach der die Autonomie der Kunst und ihres Feldes sie völlig zweckfrei mache.118 Beim Kunstfeld handelt es sich laut Bourdieu um einen »Kampfplatz […] [,der, Anm. FB] »in dem Maße autonom ist wie es einen nomos etablieren kann und sich bei den Beteiligten Akteuren eine dem entsprechende illusio ausbildet.«119 Im Anschluss an diesen Schein argumentiert Helmut Draxler, dass Autonomie niemals ein abgeschlossener Zustand sei, denn »Niemand ist eine Insel.«120 Autonomie könne nicht endgültig erreicht werden und gehört daher zum »Bereich des Imaginären oder des Phantasmatischen.«121 Bourdieu wendet sich gegen die Idee der Zweckfreiheit von Kunst, da sie für ihn immer eingefasst ist in »die Kraftfelder der jeweiligen Macht- und Ohnmachtspositionen.«122 Die Autonomie von Kunst deutet Bourdieu als Ergebnis eines lange andauernden Kampfes, den er mit der Ausbildung des Bürgertums verknüpft. Die Parole des l’art pour l’art stellt für ihn innerhalb dieses Prozesses einen wichtigen Autonomisierungsschub dar, der jedoch nur einen Teil des Kunstfeldes betraf.123 Daraus folgert er dann auch, dass Subfelder unterschiedliche Grade an Autonomie aufweisen können.124 Ein Feld kann mehr oder weniger autonom sein, abhängig davon, wie es die Einflüsse von

Helmut Draxler: Der Fluch der guten Tat. In: Texte zur Kunst, 80 ›Politische Kunst‹ (2010): S. 37. Vgl. Jens Kastner (2010): Zur Kritik der Kritik der Kunstkritik. Feld- und hegemonietheoretische Einwände. In: Brigitte Mennel, Stefan Nowotny und Gerald Raunig (Hg.), Kunst der Kritik. Wien: Turia + Kant, S. 134. 118 Vgl. Lingner (1999), S. 31. 119 Nina Tessa Zahner und Uta Karstein (2014): Autonomie und Ökonomisierung der Kunst. Vergleichende Betrachtungen von System- und Feldtheorie. In: Martina Franzen, Arlena Jung, David Kaldewey et al. (Hg.), Autonomie revisited. Beiträge zu einem umstrittenen Grundbegriff in Wissenschaft, Kunst und Politik (2. Sonderband). Zeitschrift für Theoretische Soziologie ZTS. Weinheim: Beltz Juventa, S. 191. Bourdieu verwendet für das Feld und seine Agentinnen die Metapher des Spiels. Die illusio impliziert dann den Glauben an das Spiel und seine spezifischen Regeln. 120 Helmut Draxler (2013): Was will politische Kunst? In: Ders. und Tanja Widmann (Hg.), Ein kritischer Modus? Die Form der Theorie und der Inhalt der Kunst. Wien: Schlebrügge.Editor, S. 22. 121 Ebd. 122 Rehberg (2017), S. 54. 123 Vgl. Bourdieu (1999), S. 187f. 124 Vgl. Ebd., S. 203.

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außen in seine eigene Logik zu übersetzen vermag.125 Heteronomie und Autonomie können also ein und dasselbe Feld betreffen.126 Das Feld der Kunst und der künstlerischen Praktiken weitet sich demzufolge aus, greift in andere Bereiche über und tritt in Wechselbeziehungen mit diesen ein. Es entsteht dann ein konstanter Austausch zwischen Feldern, der erst durch die Abgrenzung, die Autonomie der Felder gewährleistet werden kann.127 Bei dieser Form der Autonomie handelt es sich also um ein relationales Konstrukt, das ein hohes Maß an Selbstreflexion erfordert. Bourdieus Theorien sind bei institutionskritischen Künstlerinnen auf große Resonanz gestoßen. Mit Hans Haacke und Andrea Fraser seien zwei der bekanntesten Künstlerinnen genannt, die der Institutionskritik zugeordnet werden und sich ausführlich mit Bourdieus Theorien beschäftigen. Die relative Autonomie des Kunstfeldes, die in Bourdieus Texten angelegt ist, wird in deren Lesarten kaum thematisiert. So hält Jens Kastner Frasers Lesart von Bourdieu als zu eng geführt, da sie das Kunstfeld für komplett abgeschlossen halte, sodass Aktivitäten inner- und außerhalb des Feldes keinerlei gegenseitige Effekte hätten.128 Bourdieu selbst insistiert darauf, dass man immer einen Effekt in dem Feld hervorruft, in dem man sich befindet, auch wenn es dabei um Abgrenzungsreaktionen handelt.129 Kastner wendet stattdessen gegen diese Verengung ein: »[…] Von der Autonomie des künstlerischen Feldes zu reden, heißt weder, einen gesellschaftlichen Bereich zu behaupten, der keine Effekte nach außen zeitigen könnte, noch bedeutet es, dass hier ein von ökonomischen, sozialen und anderen Einflüssen unberührtes Feld bestünde. Vielmehr geht es darum, spezifische Funktionsgesetze aufzuzeigen, die sich von denen in anderen gesellschaftlichen Feldern unterscheiden.«130 Helmut Draxler hat sich ebenfalls intensiv mit Bourdieu auseinandergesetzt und verfolgt einen ähnlichen Interpretationsansatz wie Kastner, der davon ausgeht, dass Felder nicht hermetisch abgeriegelt sind. Vielmehr fokussiert er in seiner Argumentation die Austauschverhältnisse an Feldgrenzen und hebt die Konstruiertheit dieser Grenzen hervor. Sie können nicht als gegeben verstanden werden, sondern man verhandelt und situiert sie ständig neu.131 Für Draxler liegt in den konkreten Austauschverhältnissen und den damit verbundenen Arten der Felder, sich aufeinander zu beziehen, ihre Vgl. Pierre Bourdieu (1998): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 62 und Bourdieu (1999), S. 349. 126 Vgl. Bourdieu (1999), S. 344. Bourdieu führt hier aus, dass Heteronomie durch Nachfrage entsteht, also von jemandem eingefordert wird. 127 Vgl. Draxler (2013), S. 23. 128 Jens Kastner (2006): Künstlerischer Internationalismus und Institutionskritik. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0106/kastner/de.html [Zugriff: 24.04.2014]. Kastner bezieht sich auf den 2005 von Fraser formulierten Text, vgl. Fraser (2009 [2005]). Gerald Raunig spricht laut Kastner in diesem Zusammenhang von »Verschließungsphantasmen«, die auh Stefan Nowotny bei Isabelle Graw zu entdecken meint. Vgl. Nowotny (2008). 129 Vgl. Bourdieu (1999), S. 357. Solche Abgrenzungsreaktionen wären laut Bourdieu zum Beispiel Widerstand oder Ausgrenzung. 130 Kastner (2006). 131 Vgl. Draxler (2007), S. 23f.

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Möglichkeit, einen Handlungsraum zu öffnen und Kunst als kritische gesellschaftliche Praxis zu denken.132 Die Differenz der Felder bleibt jedoch bei Draxler als Voraussetzung bestehen, die erst eine konstitutive Spannung zwischen Substanz und Funktion, Kunst und Politik ermöglicht.133 Gleichzeitig erläutert Draxler, dass »gelungene ›Überschreitungen‹«134 von Grenzen, unter denen er das Sichtbarmachen von und ein tatsächliches Eingreifen in politische oder soziale Konflikte versteht, nicht die Autonomie des Kunstfeldes in Frage stellen. Vielmehr etablieren solche Übertretungen die fluiden Grenzen und drücken nicht ein konkret erreichtes Ziel im Anderen aus, sondern sie zeigen Möglichkeitshorizonte von Kunst auf.135 Kunst und ihr Feld sollen nicht in einem Anderen aufgelöst werden, nicht »in der wahren politischen und sozialen Geschichte von Kunst«136 ankommen. Autonomie und Heteronomie, und hier schließt Draxler wieder bei Bourdieu an, existieren als so genannte Risse in einem Feld gleichzeitig.137 Statt von einer relativen Autonomie wie Bourdieu zu sprechen, spricht Draxler in diesem Zusammenhang von einem semiautonomen Feld. Institutionskritische Praktiken bewegen sich also – mit Bourdieu und Draxler gedacht – in dem hier geöffneten Spannungsfeld von Autonomie und verschiedenen Graden der Heteronomie. Die Spannung zwischen Kunst und anderen Feldern, beispielsweise der Politik, der Ökonomie und der Gesellschaft gilt es aufrechtzuerhalten. Am Beispiel der politischen Kunst formuliert Draxler den Anspruch, dass eine Trennung der Sphären und die Besinnung auf ihre »möglichen Autonomien – wie imaginär auch immer138 […]« notwendig seien, damit sie sich aufeinander beziehen und auch aufeinanderprallen können. Autonom zu sein, bedeutet also sich immer zu dem Objekt in Beziehung zu setzen, von dem man sich abgrenzt. Mit Felix Guattari lässt sich schließen, dass sie sich damit die Fähigkeit bewahren, politisch widerständig und kritisch zu sein.139 Akteure der Institutionskritik versuchen ihre Strategien zwischen diesen Widersprüchlichkeiten anzusiedeln, um nicht von einer Seite vereinnahmt zu werden und zu erstarren. Im weiteren Verlauf der Arbeit zeige ich anhand von Fallstudien, wie kritische Praktiken im Zwiespalt zwischen Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Relevanz diese ›Risse‹ nutzen und so Räume für Veränderungen öffnen. Der Begriff der Kritik bildet die Grundlage für die Analyse dieser kritischen Praktiken. Im nächsten Kapitel stelle ich vier Kritik-Verständnisse vor und grenze diese anschließend von Irit Rogoffs Konzept der Kritikalität ab. Das zweite Spannungsfeld tut sich zwischen Kritik, Kritikalität und Affirmation auf.

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Vgl. Ebd. S. 59. Draxler betont, dass die Austauschverhältnisse thematisiert werden sollen, um politische – und somit auch kritische – Ansprüche von Kunst zu bewerten. Ebd., S. 53. Ebd., S. 63. Vgl. Ebd., S. 64. Ebd. Ebd., S. 64f. Draxler (2013), S. 59. Vgl. Stephan Zepke (2007): Die Ökologie der Institutionskritik. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0106/zepke/de.html [Zugriff: 21.07.2016].

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2.2.

Kritik, Kritikalität und Affirmation

Ebenso wie die zuvor vorgestellten Begriffe verfügt auch Kritik über eine umfangreiche Begriffsgeschichte, die vor allem im Bereich der Philosophie nach der Aufklärung angesiedelt ist. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die Diskussion um Kritik in verschiedenen Wissenschaften unterschiedlich zugespitzt. Neben Immanuel Kant, für den Kritik der paradigmatische Grundbegriff seiner philosophischen Überlegungen ist140 und der sie zum philosophischen Prinzip erhoben hat, haben sich – die nachfolgende Aufzählung ist bei weitem nicht erschöpfend – unter anderem Karl Marx141 , Karl R.

140 Ganz grundsätzlich versteht Kant darunter eine Untersuchung oder Prüfung eines Gegenstandes. Kritik hat die Bedinungen der Möglichkeit von Erkenntnis zum Objekt und untersucht, inwiefern Urteile Geltung haben. Es geht demnach bei Kritik um eine Erkenntnis der Erkenntnis; um eine Fähigkeit, die Kant dem aufgeklärten Subjekt zuschreibt. 141 Karl Marx’ Kritikentwurf lässt sich vorallem seinem Werk Kritik der politischen Ökonomie entnehmen. Theorie und Praxis der Kritik greifen bei ihm ineinander – einen Umstand aufzudecken ist bei ihm die Voraussetzung dafür, ihn zu verändern. Beurteilung und Analyse fallen zusammen, Kritik ist ein der Analyse immanentes Moment. So schreibt Marx in einem Brief an Ferdinand Lassalle vom 22.2.1858: »Es ist zugleich Darstellung des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben.« Vgl. Karl Marx (2003): Brief an Ferdinand Lassalle vom 22.2.1858. In: Marx-EngelsGesamtausgabe, Bd. III/9. Berlin: Akademie, S. 71-73. Mittels einer dichten Beschreibung der Realität leitet Kritik sich aus der Realität ab und ist auf diese anzuwenden. Insofern kann Kritik nur legitimiert werden, indem sie praktisch umgesetzt wird. Marx’Modell entwirft einen selbstreflexiven Rückbezug der Kritik auf sich selbst, woraus sie seiner Ansicht nach letztliche ihre Radikalität gewinnt. Für eine detaillierte Besprechung von Marx’Kritikbegriff empfiehlt sich: Urs Lindner (2011): Epistemologie, Wissenschaft und Ethik. Zum Kritikbegriff der marxschen Kritik der politischen Ökonomie. In: Sven Ellmers und Ingo Elbe (Hg.), Die Moral in der Kritik. Ethik als Grundlage und Gegenstand kritischer Gesellschaftstheorie. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 87-117.

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Popper142 , Theodor W. Adorno143 und Michel Foucault144 mit der Frage beschäftigt, was 142 Karl R. Popper gilt als einer der Hauptvertreterinnen des kritischen Relationalismus, der auf der Vorstellung des menschlichen Irrtums basiert. Damit hält er eine grundlegende Voraussetzung von Kritik fest, nämlich, dass ein Gegenstand auch anders sein kann und somit kritisierbar wird. Besonders interessant ist Poppers Idee einer offenen Gesellschaft, die nicht an starre Dogmen gebunden ist und in der die stete Kritik an Institutionen die grundsätzliche Veränderbarkeit gesellschaftlicher Umstände absichern soll. Vgl. dazu Karl R. Popper (1980 [1944]): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. München: Francke. 143 Adornos Vorstellung von Kritik fordert im Sinne der Kritischen Theorie eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Gesetzten, dem status quo der Gesellschaft, der Kultur oder auch der Ökonomie. Kritik ermöglicht, die aktuellen Zustände dieser Sphären zu problematisieren und dadurch veränderbar zu halten. Durch Kritik wird der Abstand zu einer niemals zu erreichenden Utopie einer emanzipatorischen Gesellschaft deutlich, denn letztere bleibt immer hinter dem zurück, was für sie möglich ist. Für Adorno stellt Kritik ein Grundelement aller Demokratien dar und setzt die Mündigkeit der Bürgerinnen voraus, Widerstand zum jeweiligen Ist-Zustand zu leisten. Gleichzeitig kann man bei Adorno einen Kritikverfall rauslesen, denn sie sei nicht für alle zugänglich, sondern verkomme zu einem Privileg für diejenigen, die Macht haben und öffentlich sichtbar sind. Damit stellt Kritik auch ein Ausschlussverfahren dar. Kennzeichnend für Adorno ist der negativ-dialektische Kritikbegriff, der sich durch das Emanzipatorische der Negation auszeichnet. Methodisch gesehen beinhaltet Kritik eine immanente Analyse und das Erkennen des Positiven der Negation. Zudem scheint Adorno späteren Vorstellungen von Kritik, wie sie beispielsweise bei Draxler zu finden sind, Vorschub zu leisten: So bewegt sich die KritikerIn in einer unauflösbaren Spannung zwischen Immanenz und Transparenz, sie hat an dem kritisierten Objekt teil und steht im gleichzeitig gegenüber, geht also nicht komplett in ihm auf. Vgl. dazu Theodor Adorno (1997b): Kulturkritik und Gesellschaft. In: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I, Prismen/Ohne Leitbild. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 29. Die Kritikerin muss Widersprüche und Spannungen aushalten und reflektieren. Mit Adornos Worten: »Vom Denken heute wird nicht weniger verlangt, als dass er in jedem Augenblick in den Sachen und außer den Sachen sein soll […]«, vgl. dazu Theodor Adorno (1997a): Negative Dialektik. In: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 6: Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 82. 144 Michel Foucaults Äußerungen zur Konzeption von Kritik in Bezug auf Institutionen und ihre Macht erfreuen sich im Kunstfeld großer Beliebtheit. Sein bekanntester und wohl am häufigsten zitierter Ausspruch zur Definition von Kritik stammt aus seinem Vortrag Was ist Kritik?, den er bereits 1978 vor der Société française de philosophie hielt und die 1992 in deutscher Übersetzung veröffentlich wurde. Kritik sei demnach »Die Kunst nicht regiert zu werden bzw. die Kunst nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden […], die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden.« Vgl. dazu: Michel Foucault (1992): Was ist Kritik? Berlin: Merve Verlag, S. 12. Kritik gilt bei ihm als emanziatorische Praxis, als eine Praxis des Widerstands. Diese widerständige Funktion einer kritischen Position fidnet sich auch bei Marx und Adorno. Als Ausgangspunkt nimmt Foucault seine Beobachtung, dass die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung am besten mit dem Begriff der Gouvernementalität zu beschreiben ist. Er attestiert eine Auflösung des Wohlfahrtssatts, begleitet von einer Restrukturierung der Regierung. Regierungselemente übertragen sich vom Staat auf die Individuen und prägen eine Gesellschaft, die sich selbst reguliert und regiert. Die Mikrophysik des Widerstandes atikuliert sich im individuellen Protest, die Kritik als Tugend der Entunterwerfung. Mit Tugend ist eine bestimmte Art der Beziehung, zu den Dingen um uns herum, eine spezifische Denk- und Verhaltensweise – verkürzt: eine Haltung. Freiheit bedeutet in diesem Kontext, sich selbstbestimmt zu den Unterwerfungsmechanismen zu verhalten. Um den Widerstand und die Entunterwerfung zu artikulieren, braucht es die Fikition, was an späterer Stelle in diesem Kapitel relevant wird. Foucault besimmt Kritik als Partnerin und Gegenspielerin zu den Regierungskünsten der Institutionen: »[…] als Weise, ihnen zu misstrauen, sie anzulehnen, sie zu begrenzen und sie auf ihr Maß zurückzuführen, sie zu transformieren, ihnen zu entwischen oder sie immerhin

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

Kritik sein kann und soll.145 Statt einer historischen Entwicklung, wirft der nachfolgende Abschnitt Schlaglichter (und damit notwendigerweise verkürzt) auf einige Vorstellungen der jüngeren Geschichte, welche die Grundlage für meine eigene Konzeption bilden. Dabei beziehe ich mich, unter Vernachlässigung der jeweiligen Theorieentwicklung, auf Schlüsseltexte, die ich als Nukleus einer Theorie der Kritik lese, und die im Kontext des Diskurses zur Institutionenkritik relevant sind. Der Fokus richtet sich dabei auf die konkrete Verortung der Kritik zu ihrem Gegenstand und somit auf den Bezug zu einem möglichen Innen und Außen. Zunächst einige allgemeine Vorbemerkungen zu den Bedingungen der Möglichkeit von Kritik. Der Begriff leitet sich vom griechischen ›kritiké‹ (Kunst der Beurteilung), ›krinein‹ (trennen, unterscheiden) und ›kritikos‹ (unterscheidend, beurteilend) ab. Die Unterscheidung und die Beurteilung fallen demnach in der Kritik zusammen. Sie kann stattfinden, wenn es die Möglichkeit zur Differenzierung gibt; wenn man sich einen gegebenen Zustand anders vorstellen und sich eine Alternative dazu denken kann. Etwas muss veränderbar sein und einen Handlungsraum öffnen, um Kritik daran zuzulassen.146 Kritik drückt die wirkenden Verhältnisse aus, während gleichzeitig eben diese Umstände auch die vorherrschenden Vorstellungen von Kritik prägen. Kritik muss sich zu verschieben zu suchen, als Posten zu ihrer Hinhaltung und doch als Linie der Entfaltung der Regierungskünste[…].«(Foucault (1992), S. 12) Aufs Engste verknüpft sind in diesem Konzept Wissen und Macht. Er will den untersuchten gegenstand von den Machteffekten der ›Wahrheit‹ lösen und so die Herschaftsformen, die Wissen und Erkenntnis generieren, analysieren. Foucaults Theorien sind auch umfassend von institutionskritischen Autorinnen und Akteuren sowie Theoretikerinnenen der New Museology rezipiert worden. Das Museum wird unter anderem als Disziplinarapparat und damit als Paradebeispiel einer sich durchsetzenden Selbstregulierung bestimmt. Vgl. u.a. Bennett (1995), Gerald Raunig (2004): Die Doppelte Kritik der Parrhesia. Beantwortung der Frage »Was ist eine progressive (Kunst)institution?« transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0504/raunig/de.html [Zugriff: 27.01.2019]. Ebenso Raunig (2008a) und Gerald Raunig (2008e): Was ist Kritik? Aussetzung und Neuzusammensetzung in textuelle und sozialen Maschinen. In: transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0808/raunig/de.html [25.01.2019]. Gerald Raunig identifiziert in seinem Artikel Was ist Kritik? die wichtigsten Grundzüge von Foucaults Kritikverständnis. Foucault spricht nach Raunig von Kritik als einer Kunst, einer Tugend und einer Technik. Die Vorstellung von Kritik als Technik geht auf erste Auseinandersetzungen mit dem Begriff bei Platon zurück. Weiterhin Moritz (2013), Morariu (2014), Preston (2014), Hans D. Christ (2015): Rethinking Institution and Critique. In: Thijs Lijster, Suzanna Milevska, Pascal Gielen and Ruth Sonderegger (Hg.), Spaces for Criticism. Shifts in Contemporary Art Discourse. Amsterdam: Valiz, S. 129-149. Judith Butler baut auf Foucault auf und konkretisiert die bei ihm abstrakt gebliebenen Aspekte seines Kritikkonzepts. Sie verfolgt einen so genannten performativen Zugang zum Kritikbegriff; Kritik muss aufgeführt werden, um so beispielsweise in politisches Handeln umgesetzt zu werden. Vgl. dazu Judith Butler (2001): Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend. transversal. Verfügbar unter: https://eipcp.net/transversal/0806/butler/de.html [Zugriff: 31.03.2017]. 145 Jedem dieser Theoretikerinnenen und den jeweiligen Konzeptionen von Kritik könnte eine einzelne Dissertation gewidmet werden. Vielfach wurden ihre Vorschläge schon besprochen und insbesondere einige Ausführungen im Zusammenhang mit Institutionskritik sind eine lohnenswerte Lektüre. So hat sich Julia Moritz in ihren begrifflichen Vorbemerkungen vor allem auf Kant, Foucault und Butler gestützt, vgl. dazu Moritz (2013), S. 21-30. 146 Vgl. Rahel Jaeggi (2015): Das Ende der Besserwisser. Eine Verteidigung der Kritik in elf Schritten. In: Armin Nassehl und Peter Felixberger (Hg.), Das Kursbuch. Wozu? Hamburg: Murmann, S. 81.

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auf etwas Spezifisches beziehen, einen Adressaten haben, denn allgemeine Kritik bleibt folgenlos und ist nicht sichtbar.147 Gesellschaftliche Auslegungen, Werte, Praktiken, und Institutionen entsprechen diesem Kriterium der Veränderbarkeit und der Adressierbarkeit. Und die Kritik ist ein essenzieller Bestandteil dieses sozialen Bereichs.148 Damit auch der Kunst. Allerdings ist das Verhältnis der Kunst zur Kritik kein einfaches. Akteure bekräftigen durch ihr Verhalten und ihre Arbeiten entweder den Status Quo oder stellen ihn infrage. Künstlerinnen, die ihre Arbeit als anti-institutionell verstanden, scheuten vor Praktiken zurück, die das traditionelle Kunstfeld und seine Rahmenbedingungen reproduzieren, da sie entsprechend dieser Logik automatisch als bejahend verstanden wurden.149 Dabei bleibt fraglich, ob Kunstproduktion außerhalb dieser Logik überhaupt möglich ist: Kunstschaffende sind selbst Teil eben jenes Systems, haben die institutionellen Werte und Vorgehensweisen verinnerlicht. Indem sie nach den systemischen Vorgaben handeln, bestätigen sie diese notwendigerweise. Neben jenen Normierungen sehen sich Künstlerinnen gezwungen, auch auf der praktischen Ebene mit Museen zu kooperieren, da sie sonst unsichtbar oder unbedeutend blieben.150 Spätestens damit läuft die Kritik scheinbar ins Nichts. Jede Kritik ist also zugleich Dissoziation und Assoziation. Kritik setzt sich ins Verhältnis zum Kritisierten und »stellt eine Beziehung zu der Situation her, die überwunden werden soll.«151 Durch diesen Effekt läuft die Kritik Gefahr, affirmativ zu wirken, da sie erst das Gegenüber bestätigt und reproduziert, bevor sie sich konträr positionieren kann. Indem ihre Arbeiten in museale Sammlungen einzogen und fester Bestandteil institutioneller Displays wurden, wurden institutionelle Kritik und Institutionskritik schwer differenzierbar. Kritik ist Teil des Systems und der Verhältnisse, die sie aufdeckt und anprangert. Die so genannte Kritikalität besteht darauf, dass eine totale Kritik von außen nicht fruchten kann – stattdessen ist die Kritisierende unmittelbar in ihren Untersuchungsgegenstand involviert. Kritikalität bedeutet vor diesem Hintergrund, innerhalb des spezifischen Beziehungsgefüges eine Position zu beziehen.152 Helmut Draxler formulierte das Problem vom Verhältnis von Kritik und kritisiertem Gegenstand folgendermaßen: »Tatsächlich jedoch kann Kritik nicht rein negativ 147

Jaeggi (2015), S. 81. Jaeggi führt weiterhin aus, dass Kritik begründet sein muss, ansonsten wäre sie leidglich Ablehnung. Vgl. auch Thomas Edlinger (2015): Der wunde Punkt. Vom Unbehagen an der Kritik. Berlin: Suhrkamp, S. 185. Edlinger konstatiert, dass Kritik darauf abzielt, etwas sichtbar zu machen, etwas Verborgenes zu zeigen. Wenn sie im unbestimmten Raum geäußert wird, kann sie nicht erfasst werden und existiert als solche nicht. Gleiches bescheinigt Luc Boltanski: Eine für niemanden bestehende, sich auf Erfahrungen stützende Kritik sei haltlos. Vgl. Luc Boltanski (2010): Soziologie und Sozialkritik. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2008. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 21. 148 Rahel Jaeggi und Tilo Wesche (2009): Einführung: Was ist Kritik? In: Dies. (Hg.), Was ist Kritik? Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7. 149 Mörsch und Holland definieren die affirmative Funktion – bei ihnen in Bezug auf kunstvermittelnde Praktiken – in ähnlicher Form. Vgl. dazu Mörsch und Holland (2012), S. 113. 150 Vgl. Preston (2014), S. 59. 151 Jaeggi und Wesche (2009), S. 8. Vgl. Jaeggi (2015), S. 85f. 152 Vgl. Draxler (2007), S. 120.

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aufgefasst werden, sie ist vielmehr auch gleichzeitig affirmativ, indem sie im Namen von etwas agiert.«153 Diese Dialektik erkennend, möchte ich Kritik, Affirmation und Kritikalität als Dreigespann begreifen, in dem Praktiken im Kunstfeld zwischen verschiedenen Positionen oszillieren. Das relationale Verhältnis setzt nicht eine historische Entwicklung fort, sondern hängt dann stark von dem jeweiligen Kontext des kritisierten Objekts und den beteiligten Akteuren ab. Mit dieser Vorstellung beabsichtige ich, Institutionskritik aus den Binaritäten zu lösen, die lange Zeit ihr Verständnis und die Analyse ihrer Praktiken geprägt haben. Sie soll als Praxis verstanden werden, die den Diskurs nach verschiedenen Seiten hin öffnet und ihn nicht von vornherein verschließt. Aus diesem Grund stelle ich das Potenzial dar, die fließenden Übergänge zwischen Affirmation, Kritik und Kritikalität darzustellen. Dafür schließe ich an Helmut Draxlers und Julia Moritz’ Ausführungen an.154 Ebenso stütze mich auf Vlad Morarius’ Konzeption von Institutionskritik als weder/noch oder sowohl/als auch.155 Für meinen Entwurf beschreibe ich zunächst vier Vorschläge, wie Kritik zu kategorisieren und zu begreifen ist: Jene von Peter Bürger, Rahel Jaeggi, Luc Boltanski und Chantal Mouffe. Der zweite Abschnitt fokussiert das Konzept der Kritikalität, das von Irit Rogoff in den Kunstdiskurs getragen wurde. In den letzten Jahren haben weitere Theoretiker-innen, wie Victoria Preston, differenzierte Unterkategorien der Kritikalität entwickelt, die ich ebenfalls vorstelle und diskutiere. Im letzten Teil dieses Kapitels entwerfe ich unter Rückbezug auf die Verhältnisse von Kritik zu Affirmation und Kritikalität ein eigenes Kritikkonzept als situative Praxis und expliziere, inwiefern dieses Verständnis produktiv ist, um die gegenwärtige Situation institutionskritischer Praktiken zu beurteilen.

2.2.1.

Kritik und Kritikalität

Peter Bürger: Systemimmanente Kritik Peter Bürger erläutert in seiner Theorie der Avantgarde156 eine systemimmanente Kritik. Es handle sich dabei um Kritik, die innerhalb eines Teilsystems der Gesellschaft wirke. Beispielsweise im Kunstbetrieb, den Bürger als abgekoppeltes, autonomes Teilsystem versteht.157 Denkt man diesen Ansatz weiter, kann Kritik nur in einem begrenzten Rahmen verändernd sein. Der Gegensatz dazu, den Bürger weder andeutet noch ausführt, wäre eine System transzendierende Kritik, die sich auf andere gesellschaftliche Bereiche auswirkt. Für Bürger ist eine solche Form der Kritik nicht vorstellbar, da er die Institution Kunst als abgeschlossenes Teilsystem versteht. Autonomie gilt als Voraussetzung um ein abgeschlossenes System als solches zu erkennen und vor diesem Hintergrund selbstkritische Perspektiven zu entwickeln. Nur in einem solchen System sei Selbstkritik – wie Institutionskritik – überhaupt möglich.158 Damit verwehrt Bürger 153 154 155 156 157 158

Ebd. Vgl. Moritz (2013), S. 129. Vgl. Morariu (2014), S. 2, 7 und 100ff. Vgl. Bürger (1974). Vgl. Bürger (1974), S. 28. Mit den Ausdrücken System und Teilsystem knüpft Bürger an Niklas Luhmanns Systemtheorie an. Vgl. Bürger (1974), S. 34.

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sich der Vorstellung, dass Institutionskritik sich ausweitet und mit kritischen Verfahren anderer Gesellschaftsbereiche verbindet. Rahel Jaeggi: Interne und externe Kritik Rahel Jaeggi differenziert zwischen interner und externer Kritik. Sie unterscheiden sich durch die zur Kritik angelegten Maßstäbe: Für die interne Kritik lägen diese Maßstäbe im kritisierten Gegenstand oder Sachverhalt selbst. Exemplarisch erläutert sie, dass bestimmte Ideale und Wertvorstellungen zum Selbstverständnis einer Gesellschaft gehören, die aber in ihr nicht verwirklicht sind.159 Die existierende Praxis wird an diesen inhärenten Normen gemessen. Die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Praxis ermöglicht dann die Kritik. Externe Kritik hingegen legt die vorbildhaften Normen von außen an. Jaeggi konstatiert, dass interne Kritik nicht wirksam sei, weil sie nur eine frühere Ordnung wiederherzustellen suche. Externe Kritik wolle zwar transformieren, aber ihr fehle der Rückhalt in der Praxis, da durch die Externalität der Maßstäbe keine Beziehung zu den aktuellen Umständen hergestellt werden kann.160 Externe Kritik ist zu disparat, um ihr Transformationsbestreben umzusetzen. Wendet man Jaeggis Konzept der internen und externen Kritik auf Institutionskritik an, so hilft es zu erkennen, warum institutionskritische Praktiken in der Vergangenheit vorgeworfen wurde, ins Leere gelaufen zu sein. Weder allein eine scheinbar radikal äußere Position der Künstlerin noch eine interne, involvierte Position der Kuratorin bewirken tief greifende Veränderungen. Implizit fordert Jaeggi, ebenso wie die vorliegende Studie, eine Kritik, die sich als ›sowohl/als auch‹ zu ihrem Gegenstand positioniert. Erst von diesem Standpunkt aus lassen sich gegenwärtige institutionskritische Ansätze auf ihr Veränderungspotenzial untersuchen. Luc Boltanski: Metakritik Luc Boltanski sieht einen Kontrast zwischen gewöhnlicher Kritik im Alltag und so genannter Metakritik. Erstere sei vor allem moralisches Urteilen im alltäglichen Leben, von sozialen Akteuren formuliert, in der Gestalt von sozial verwurzelter, situativer Kritik.161 Diese urteilende Kritik zeigt sich als punktuelle, kritische Interventionen, sozial eingebunden und kontextabhängig. Die Metakritik hingegen stützt sich zwar auf die alltäglichen Kritiken, richtet diese aber auf eine globale gesellschaftliche Ordnung aus.162 Als Kritik zweiter Ordnung referiert sie zusätzlich auf theoretische Überbauten, die Momente der Unterdrückung und Ausbeutung aufdecken oder Herrschaftsgefälle anprangern.163 Beide Formen der Kritik versuchen, eine objektive Position einzunehmen, eine Außenposition: für die alltägliche Kritik eine einfache, für die Metakritik eine komplexe Außenposition.164 Wie das Präfix ›Meta‹ andeutet sei sie eine Kritik der 159 160 161 162 163

Vgl. Jaeggi (2015), S. 88. Vgl. Ebd., S. 91. Vgl. Boltanski (2010), S. 19ff. Vgl. Boltanski (2010), S. 82. Vgl. Karen van den Berg (2013): Fragile Productivity: Artistic Activities beyond the Exhibition System. In: Dies. und Ursula Pasero (Hg.), Art Production Beyond the Art Market? Berlin: Sternberg Press, S. 53. 164 Vgl. Robin Celikates (2009): Kritik als soziale Praxis. Frankfurt a.M.: Campus, S. 184.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

Kritik, welche die sozialen Gegebenheiten von Kritik analysiert und somit selbstreflexiv sei.165 Wenden wir das Konzept der Metakritik auf die Kunst an, wird diese Selbstreflexivität zum Problem. Van den Berg bemerkt, dass die Metakritik das Kunstfeld verführe, sich abzuschließen und Kritik zu einer selbstreflexiven Geste degradiert werde.166 Die Kritik hat keinen Bezugspunkt mehr in der eigentlichen künstlerischen Praxis und im Kunstfeld, sondern dreht sich um sich selbst. Damit entsteht eine selbstbezügliche Tendenz: »Wenn sich künstlerische Kritik zur Nabelschau des eigenen Betriebs verengt, verliert sich der Fokus auf eine Gesellschaft, die jenseits von Künstlern, Sammlern und Museumsdirektoren existiert.«167 Boltanskis Konzept der Metakritik erfasst die Gefahr, der institutionskritische Akteure ausgesetzt sind: Wenn es nur um die Kritik als Geste geht, so büßt die Kritik ihr transformatives Element ein und sieht sich auf einen performativen Selbstwiderspruch reduziert. Der entstehende elitäre Metadiskurs entfernt sich von den tatsächlichen politischen Problemen, die in vielen institutionskritischen Projekten moniert wurden. So äußert sich beispielsweise Andrea Fraser in diesem Zusammenhang über ihre empfundene Entfremdung von der Kunstwelt, die sich in einem Auseinanderdriften äußert: Die historischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen von Kunstwerke sind fast vollständig getrennt von dem, was Kuratorinnen, Kritikerinnen oder Historikerinnen über sie und ihre Bedeutung sagen.168 Es entsteht eine für Fraser kaum überwindbare Kluft zwischen dem eigentlichen kritischen Anspruch von Werken und den sie legitimierenden Diskursen. Chantal Mouffe: Kritik als ›Rückzug aus‹ und ›Eingriff in‹ Als Letztes präsentiere ich Chantal Mouffes Kritikmodell. Ihr gelingt es mit ihrer Bestimmung von Kritik, deren passive und ablehnende Dimension zu erfassen und gleichzeitig ihr Gegenstück zu präsentieren, mit dem Kritik als aktiv und verändernd verstanden wird. Sie unterscheidet Kritik als Rückzug aus und Kritik als Eingriff in.169 Die erste Auslegung scheint vor allem für institutionskritische Praktiken der ersten Stunde passend, indem man sie als Rückzug aus der Institution versteht. Die zweite Interpretation entspricht dem Titel von Mouffes Aufsatz, ›Kritik als gegenhegemoniale Intervention‹. Solche Strategien desartikulieren bestehende Praxen und Diskurse, welche die gegenwärtige hegemoniale Ordnung stützen und reproduzieren. Sie unterbrechen etablierte und naturalisierte Abläufe, um einen Raum für alternatives Handeln und Denken zu öffnen. Mouffe schlägt also vor sich aktiv mit Institutionen zu beschäftigen, sie zu nutzen und zu transformieren. Ihre Strategie des Eingriff in stützt die Idee einer Instituti-

165 Vgl. Boltanski (2010), S. 24. 166 Vgl. van den Berg (2013), S. 54. Andere künstlerische Formen der Kritik, beispielsweise die aktivistische Kunst 167 Edlinger (2015), S. 186. 168 Vgl. Andrea Fraser: Über die soziale Welt sprechen… In: Texte zur Kunst, 82 (2011): S. 88-93. Verfügbar unter: https://www.textezurkunst.de/81/uber-die-soziale-welt-sprechen/[Zugriff: 21.01.2019]. Fraser interessiert sich für eben diese entstehende Kluft und thematisiert sie in ihren Arbeiten und Texten. 169 Chantal Mouffe (2008): Kritik als gegenhegemoniale Intervention. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0808/mouffe/de.html [Zugriff: 29.06.2014].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

onskritik von innen heraus: Eine Institutionskritik eingebettet in Institutionen und als institutionelle Praxis.170 Im folgenden Abschnitt erläutere ich das Konzept der Kritikalität. Wie bereits konstatiert, haben Museen von der Kritik gelernt, sodass das Verhältnis kritischer Künstlerinnen zur Institution deutlich komplexer geworden ist. Kritikalität reflektiert das neue Verhältnis: Die Kritisierende befindet sich nicht mehr in einer externen Beobachtungsposition, sondern ist Teil des kritisierten Objekts oder unterliegt den beanstandeten Bedingungen. Kritikalität Die erste Welle der institutionskritischen Künstlerinnen sah ein klar voneinander getrenntes Äußeres und Inneres der Institution. Einer binären Unterscheidung von Innen und Außen folgend war es möglich, einen externen Standpunkt zu beziehen und von dort aus Gesellschaftskritik zu üben, nach der die Institution gesellschaftliche Werte und Vorstellungen verkörpert. Der Übergang von der ersten zur zweiten Phase der Institutionskritik ließ eine zunehmende Komplizenschaft der kritischen Praktiken mit der Institution Kunst erkennen.171 Die zweite Generation der Institutionskritik hat erfasst, dass sobald ein Äußeres identifiziert ist, es qua Thematisierung und Benennung in die Institution integriert wird. Damit setzt sich die Annahme durch, dass eine gesellschaftskritische Position mit Selbstkritik gleichzusetzen ist. Schließlich sind man selbst und das Kunstfeld nicht abgekoppelt von der Gesellschaft, sondern ein Teil von ihr. Irit Rogoffs Konzept der Kritikalität dekonstruiert die lange Zeit vorherrschende duale Perspektive auf Kritik. Die starre Dichotomie von innerhalb und außerhalb der Institution stehend, ist nicht länger haltbar – Künstlerinnen der zweiten Generation der Institutionskritik machen dies zum Gegenstand ihrer Arbeiten; reflektieren ihre Rolle als Doppelagentinnen mit. Rogoff erkennt die Unmöglichkeit, sich komplett vom kritisierten Objekt zu separieren, da man sich durch den Akt des Kritisierens von Beginn an zu dem Objekt in Beziehung setze.172 Der Akteur, der die Kritik ausübt, ist sich seiner Involviertheit bewusst und denkt sie in seinen Tätigkeiten mit. Es ist eine »besondere Form des Durchdringens«173 , welche die eigenen Grenzen sowie immanente Widersprüche anerkennt.174 Rogoff geht es nicht darum, Fehler aufzudecken und anzu170 Zur Institutionskritik als institutionelle Praxis siehe auch die Fallstudien in Kapitel 4 und das Fazit in Kapitel 5. 171 Vgl. dazu Kapitel 1.2 zum Gegenstand und Forschungszugang, sowie die Analyse des Diskurses in Kapitel 3.1.3. zur ersten Phase der Institutionskritik und 3.1.4. zur zweiten Phase der Institutionskritik. 172 Vgl. Irit Rogoff (2003a): What is a Theorist? In: Martin Hellmold (Hg.), Was ist ein Künstler? München: Fink, S. 97. 173 Ziese (2010), S. 45f. 174 Vgl. Barbara Steiner (2009): Unfreiwillige Komplizenschaft. In: Dies. (Hg.), Das eroberte Museum. Zu CARTE BLANCHE, einem Forschungsprojekt der Galerie für zeitgenössische Kunst. Berlin: Jovis Verlag, S. 26. Steiner bezieht sich hier vor allem auf die immanenten Widersprüche einer kapitalistischen Gesellschaft. Gleiches kann für andere Merkmale des Kunstfeldes oder der Gesellschaft gelten, denn als besondere Form des Reflektierens einer Situation können Widersprüche jedweder Art offengelegt werden.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

klagen, sondern die basalen Mechanismen eines Systems zu verstehen und daraus ein bewusstes Agieren abzuleiten.175 Diese Alternativen zum traditionellen Kritik-Konzept beziehen sich auf die (imaginierte) Distanz zum kritisierten Gegenstand – besser gesagt: sie negieren diese Distanz.176 Rogoff erkennt, wie auch die institutionskritische Künstlerin Andrea Fraser zur etwa gleichen Zeit177 , die Involviertheit des Akteurs und wertet sie als positiv: »In der Kritikalität haben wir diese doppelte Besetzung, in der wir sowohl vollständig mit dem Wissen der Kritik ausgerüstet und fähig zur Analyse sind, während wir zu selben Zeit die Bedingungen selbst teilen und leben, die wir durchschauen können. Insofern leben wir eine Dualität aus, die gleichzeitig sowohl einen analytischen Modus erfordert und eine Nachfrage nach der Produktion neuer Subjektivitäten, die anerkennen, dass wir das sind, was Hannah Arendt fellow sufferers nannte, jene, die gemeinsam unter denselben Bedingungen leiden, die sie kritisch untersuchen.«178 Damit fordert Rogoff von den Akteuren ständig zwischen den zwei Modi zu wechseln: Einerseits den Modus des Kritisierenden und andererseits den Modus des Kritisierten. Als Symbol und Repräsentantinnen der Institution sind Direktorinnen und Kuratorinnen neben ihrem Kritisieren auch selbst Ziel der Kritik – verfolgen sie einen der Institution gegenüber kritischen Ansatz, beißen sie die Hand, die sie füttert. Da leitende Mitarbeiterinnen von Kunstinstitutionen selbst die Bedingungen schaffen, unter denen sie arbeiten, wurde das Konzept der Kritikalität begeistert rezipiert, um in den Diskussionen über den New Institutionalism und institutions of critique die Praktiken der Kuratorinnen-Direktorinnen zu analysieren.179 175 176

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Vgl. Rogoff (2003a), S. 100. Weiterführend dazu Preston (2014), S. 88ff. Preston entwickelt in ihrer Dissertation drei Unterkategorien der Kritikalität ausgehend von Rogoffs Ausführungen. Diese drei Modi zeichnen sich durch unterschiedliche Nähe zu und Einbettung in die Institutionen aus, die sie kritisieren. Preston entfaltet als ersten Typ die complicit criticality – Institutionen präsentieren sich als selbstreflexiv, indem sie kritische Praktiken in Auftrag geben. Diese mitschuldige Komplizenschaft ähnelt der Funktion, die ich als fig-leaf measure in Kapitel 3.2.5. expliziere. Praktiken des Typs activist criticality entstehen außerhalb formaler institutioneller Strukturen, können aber temporär im Museum stattfinden. Daraus folgt: Institution Kunst bleibt nicht auf Museumsräume beschränkt, sondern wird Teil der öffentlichen und kulturellen Sphäre. Subversive criticality basiert auf der Idee der Abweichung, Veruntreuung und widerrechtlichen Aneignung. Projekte dieser Kategorie unterbrechen die Institution, wollen sie umorientieren. Häufig finden sie innerhalb des Museum statt, beispielsweise in Form von Kuratorinnen-Direktorinnen, die einen Gegenentwurf zu ihrem sonstigen institutionellen Auftrag vorschlagen. Vgl. Fraser (2009b). Irit Rogoff (2003b): Vom Kritizismus über die Kritik zur Kritikalität. transversal. Verfügbar unter: https://eipcp.net/transversal/0806/rogoff1/de.html [Zugriff: 15.09.2015]. Einige Akteure wie Kurator Steven L. Bridges erkennen die Produktion von Kritikalität als einzige Möglichkeit für kritische Praktiken, weiterhin relevant zu bleiben und sich nicht, indem sie sich von anderen Disziplinen abgrenzen, in Quarantäne zu begeben. Sie müssten flexibel sein und Kritikalität ermöglicht eben diese Flexibilität. Bridges geht noch einen Schritt weiter und behauptet, dass die Kanonisierung und Subsumierung der Institutionskritik und das daran anschließende Umdenken des Kritikkonzepts der Akteure erst dazu beigetragen haben, Institutionskritik weiterhin im Kunstfeld zu thematisieren und relevant zu bleiben. Vgl. Bridges (2006). Mikkel Bolt Rasmussen schließt an Rogoff an: Rasmussen hebt hervor, dass Kritikalität pragmatischer sei, da sie

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Im Anschluss an Rogoff hat Rahel Jaeggi ihr Modell der internen und externen Kritik überdacht und um die Methode der immanenten Kritik erweitert. Sie stellt ebenfalls eine Alternative zu der zuvor rein binären Kategorisierung von Kritik dar. Immanente Kritik will nicht, wie interne Kritik, zu alten Verhältnissen zurückkehren und eine frühere, als ideal anerkannte Ordnung wiederherstellen. Immanente Kritik will stattdessen verändern – Jaeggi hebt das transformative Potenzial dieser Kritikform hervor.180 Die immanente Kritik wirkt als Katalysator, um gegenwärtige Verhältnisse in etwas Neues zu überführen.181 Sie ist nicht präskriptiv, sondern offen. Die Kritikmodelle, welche die »symbolische Grenze zwischen Innen und Außen der Institution«182 verschwimmen lassen, sind nicht unangefochten geblieben. Insbesondere werden drei Einwände geltend gemacht: •



Nina Möntmann gibt zu bedenken, dass Kritikalität innerhalb der Kunstlandschaft die »korporative Wende« selten überlebe183 : Museen und Ausstellungshäuser verhalten sich zunehmend unternehmerisch und zielen auf finanzielle sowie quantitative Erfolge. Effizienz- und gewinnorientierte Kunstinstitutionen lassen keinen Platz für Kritik zu, da sie nicht publikumswirksam genug zu sein scheint.184 Kritikalität fordert eine doppelte Besetzung. Sie verlangt somit nach einer gespaltenen Praxis, in dem man in einer Situation arbeitet und sie parallel infrage stellt. Ziel ist es, sich weder vereinnahmen zu lassen noch Widerstand zu unterbinden. Rogoff löst sich mit dieser ausgelebten Dualität folglich nicht ganz von einer gewissen Form der Dichotomie.185

erkannt habe, dass eine totale Kritik von außen nicht fruchten kann. Implizite Kritik habe eine direkte Konfrontation ersetzt. Vgl Mikkel Bolt Rasmussen: After credit, winter – the progressive art institution and the crisis. Mute, 15.08.2012. Verfügbar unter: http_//metamute.org/node/6119 [Zugriff: 27.11.2014]. Für Maria Lind, eine jener Kuratorinnen, die als Hauptakteure des New Institutionalism bekannt geworden ist, stellt Kritikalität die Chance dar, orts- und zeitspezifisch sowie kontextgebunden zu arbeiten. Sie stellt insbesondere die projektiven und utopischen Qualitäten dieser Haltung heraus, mit der sie experimentiert, um neue Ideen zu entwickeln und zu testen. Vgl. Maria Lind (2010a): Modes of Criticality. In: Brian Kuan Wood (Hg.), Selected Maria Lind Writing. Berlin: Sternberg Press, S. 96. 180 Vgl. Jaeggi (2015), S. 95. 181 Vgl. Ebd., S. 96. 182 Jan Verwoert (2006), S. 136. 183 Vgl. Nina Möntmann (2006b): Das Unternehmen Kunstinstitution im Spätkapitalismus. transversal. Verfügbar unter: http://transversal.at/transversal/0106/moentmann/de.html [Zugriff: 25.04.2014]. Vgl. auch Möntmann (2007). Möntmann versteht unter der korporativen Wende, dass Institutionen sich zunehmend an einer Managementlogik orientieren, die ökonomische Maßstäbe anlegt, um sie zu bewerten. Seien es quantifizierbare Besuchszahlen oder Programme mit Eventcharakter, die einen populistischen Öffentlichkeitsbegriff verfolgen. Darüber hinaus zeige sich diese Entwicklung in flexibilisierten Arbeitsstrukturen und, wie Beatrice von Bismarck beschreibt, einem Berufsprofil von Kuratorinnen, das sowohl kreativ-künstlerische Aspekte als auch manageriale Qualitäten vorsieht. Vgl. dazu von Bismarck (2003). 184 Vgl. Möntmann (2006b). 185 Vgl. Rogoff (2003b).

2 Institutionalisierung der Institutionskritik



Kritische Positionen laufen in der gegenwärtigen Kunstlandschaft permanent Gefahr, unverzüglich von politischen oder ökonomischen Interessen rekuperiert und neutralisiert zu werden – eine Außenposition wird ineffektiv.186

Wenn Rogoffs Vorschlag also keine adäquate Lösung darstellt, welche alternativen Modelle lassen sich stattdessen denken? Im Folgenden entwerfe ich als konstruktiven Vorschlag Institutionskritik als situative Praxis.

2.2.2.

Zwischen Kritik und Affirmation: Institutionskritik als situative Praxis

Im Zentrum der Institutionskritik steht seit Beginn ein Paradoxon: Institutionen zu kritisieren, an denen man teilhat, macht die Kritik zum Teil jener Institutionen, die kritisiert werden sollte. Das produziert einen inneren Widerspruch.187 Das Kritikverständnis gegenwärtiger Institutionskritik reflektiert diesen Gegensatz und spiegelt ihn wider. Im folgenden Kapitel bringe ich drei Ansätze, kritische Strategien zu fassen, zusammen, um ein solches aktualisiertes Konzept von Kritik zu beleuchten. Das vorgestellte Kritikmodell erweitert und vertieft die im vorherigen Kapitel erläuterten Positionen. Julia Moritz’ Auslegung einer horizontal wirksamen Institutionskritik vereine ich dafür mit Vlad Morarius Interpretation gegenwärtiger kritischer Praxen als weder/noch oder sowohl/als auch. Einen dritten Anknüpfungspunkt bietet Helmut Draxler, der in ähnlicher Manier ein solches Entweder-Oder ablehnt: Für ihn liegt das Potenzial einer kritischen Praxis in den verschiedenen Arten der Bezugnahme von Kunst auf ihren Gegenstand. Die drei Ansätze überkreuzen sich an einem Punkt: Eine kritische Praxis muss situativ gefasst werden; das Kritisch-Sein ist ihr nicht immanent.188 Durch die zunehmende institutionelle Einbettung von Kritik und den beschriebenen Wandel ihrer Akteure verschwimmen kritische und affirmative Praktiken, oder sind zumindest nicht mehr deutlich zu unterscheiden.189 Strategien – und Institutionen –,

186 Vgl. Inke Arns und Sylvia Sasse: Subversive affirmation: on mimesis as a strategy of resistance. In: IRWIN (Hg.), East Art Map: Contemporary Art and Eastern Europe. London/Cambridge (Massachusetts): Afterall Books/MIT Press, S. 455. 187 Isabelle Graw konstatiert, dass bereits die Begriffskonstruktion ›Institutionskritik‹ paradox sei, »denn hier wird eine Kritik an Institutionen angedeutet, die ihrerseits institutionellen Charakter hat.« Graw (2005), S. 42. Suzanna Milevska geht einen Schritt weiter und behauptet einen gesetzten performativen Widerspruch: Institutionelle Kritik sei nicht möglich, da man die Gesprächspartnerin, die man leugnet, mit einschließt. Vgl. Suzana Milevska: The Internalisation of the Discourse of Institutional Critique and the ›Unhappy Consciousness‹. In: Pavilion Journal, 16 (2012): S. 34. Sich aus einer wissenschaftlichen Perspektive mit Institutionskritik zu beschäftigen bedeutet, sich ihr von einem institutionellen Standpunkt zu nähern. 188 Für eine ausführliche Interpretation von Institutionskritik als praxisimmanente Kritik empfiehlt sich Pirkko Husemanns Abhandlung zum Verhältnis von Institutionskritik und Choreographie, insbesondere der Abschnitt ›Praxisimmanente Kritik‹. Vgl. Pirkko Huseman (2017): Praxisimmanente Kritik. In: Dies., Choreographie als kritische Praxis. Arbeitsweisen bei Xavier Le Roy und Thomas Lehmen. Bielefeld: transcript, S. 58-66. 189 Vgl. Preston (2014), S. 250.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

die vormals eindeutig einzuordnen waren, »[oszillieren] zwischen affirmativer Repräsentation und Kritik.«190 Moritz liefert mit ihrem Vorschlag einer so genannten horizontal wirksamen Institutionskritik einen interessanten Ansatz, der eine historische Entwicklung von Kritik über Kritizismus zu Kritikalität à la Irit Rogoff ablehnt.191 Moritz ist überzeugt, dass divergente Kritikformen zu verschiedenen Zeitpunkten gleichermaßen aktiv sein können. Das bedeutet auch, dass keiner der unterschiedlichen Modi künstlerischer und kuratorischer Kritik dem anderen überlegen wäre.192 Akteure können über ein vielfältiges Strategieportfolio verfügen, das flexibel und situationsbedingt einsetzbar ist. Als ersten Aspekt eines aktualisierten Kritikkonzepts lässt sich festhalten: Kritik ist demnach etwas Dynamisches, das seine Gestalt wechselt und verhindert, dass sie vereinnahmt oder neutralisiert wird. In den aktuellen Debatten zur Institutionskritik und in Besprechungen von künstlerischen institutionskritischen Projekten finden sich auf den ersten Blick widersprüchliche Wortspielereien der affirmierenden Kritik und der kritischen Affirmation, die sich aus dem Balanceakt von Erfolg und Scheitern ergeben. Radikale Negation und Opposition werden zu einem augenzwinkernden Rügen, während ein kritisches Involviert-Sein als einschmeichelnd oder anpassend ausgelegt wird.193 Der Grat zwischen Kritik und Affirmation wird demnach schmaler. Das haben verschiedene Akteure der Institutionskritik wie beispielsweise Andrea Fraser in ihren Werken sowie Texten demonstriert und reflektiert. Ihre Strategien – sei es (subversive) Nachahmung, ironische Parodie, subversive Affirmation oder vorsätzliche Überidentifikation und Übertreibung – stellen, so paradox es klingen mag, kritische Formen der Affirmation dar.194 Diese situative Selbstreflexivität erkennt auch Helmut Draxler an. Kritik ist nicht per se gut oder böse, wirksam oder folgenlos; sie ist »weder reines Instrument noch reines Ziel.«195 Als zweites Element eines zeitgenössischen Kritikverständnisses folgt daraus: Eine kritische Position soll nicht universalistisch sein, sondern ihren eigenen Standpunkt kennen, verstehen und reflektieren196 , um wirksam zu sein. Thomas Edlinger gibt dazu zu bedenken, dass Kritik jederzeit in Affirmation umschlagen kann: »Was gestern noch eine gewisse Schärfe hatte, ist heute zahnlos. Was heute harmlos wirkt, erweist sich morgen als explosive Schmuggelware.«197

190 van den Berg (2009), S. 110. 191 Vgl. Moritz (2013), S. 57. 192 Ähnliches formuliert auch Karen van den Berg in Karen van den Berg: Kritik, Protest und Poiesis. Künstler mischen sich ein – von 1970 bis heute. In: Das Kursbuch. Wozu?, 182 (2015): S. 183. Auch Draxler spricht von unterschiedlichen Artikulationsformen der Kritik mit vielfältigen Verhältnisformen untereinander, vgl. dazu Draxler (2007), S. 138. 193 Vgl. hierzu Raunig (2008a), S. 31f. Raunig findet das treffende Bild des Hofnarrs für diejenigen Figuren, deren radikale Kritik rekuperiert wird. Er führt weiterhin aus, dass weder die Strategien der ersten noch der zweiten Generation der institutionskritischen Künstlerinnen sich bewährt haben, tatsächlich in die Machtmechanismen und Gouvernementalitätspraktiken des Kunstfeldes einzugreifen. 194 Vgl. Preston (2014), S. 244. 195 Draxler (2007), S. 119. 196 Vgl. Ebd., S. 120. 197 Edlinger (2015), S. 184.

2 Institutionalisierung der Institutionskritik

Für Künstlerinnen mag diese Erkenntnis eine Herausforderung sein. Kunstinstitutionen nutzen sie hingegen als Image-Boost, denn sie »verhelfen ihr [dem Museum als Kunstinstitution, Anm. FB] zu einer ›reinen Weste‹.«198 Nichtsdestotrotz scheint ein gewisses Maß an Kooptierung sinnvoll, sofern man sie als positive Bedingung auslegt, die es Institutionskritik ermöglicht, in die tieferen Lagen der Institutionen und des Kunstfeldes vorzudringen, um von dort aus ihre Strukturen zu subvertieren. Draxler schließt daraus, dass kritische Strategien innerhalb des Kunstfeldes durchaus dominant werden können, es ihnen aber nicht gelingt, eine hegemoniale Position einzunehmen. Grund sei die Tatsache, dass kritische Positionen an den Rändern des Feldes arbeiten, in andere Bereiche übergreifen – wie bereits im Autonomiekapitel beschrieben – und demzufolge nie das gesamte Feld und seine Funktionsmodi in Frage stellen könnten.199 Morariu argumentiert, Institutionskritik befinde sich in einem Zustand des Widerspruchs.200 Die Definition von Kritik müsse dies widerspiegeln. Er insistiert, Kritik aus ihrer bisherigen binären Logik (»either/or«) zu lösen und stattdessen in eine Form weder/noch oder sowohl/als auch (»neither/nor or both/and«) zu überführen.201 Institutionskritik findet weder in der Institution noch außerhalb statt – oder zugleich innerhalb und außerhalb. Nach Morariu artikuliert sich Kritik im Anschluss an Foucault als kritische Attitüde, die sich gleichsam als Partnerin und Gegnerin der institutionellen Kräfte versteht.202 Angesichts der Geschichte der Institutionskritik lässt sich – als dritten Aspekt des hier formulierten Verständnisses – eine solche produktive Praxis nur in einem symbiotischen und kohabitativen Verhältnis zwischen Institution und Kritik vorstellen: Institutionskritische Praktiken kennen dann keine vorab durchgeplanten Strategien, sondern erarbeiten je nach Kontext einen spezifischen kritischen Zugang.203 Sie will nicht allgemeines Vorbild sein, das man imitieren kann, sondern sie arbeitet komplizenhaft und kontextgebunden. Auf diese Weise lässt sich Institutionskritik fortführen, ohne in einen Modus zu verfallen, der sich auf das Dagegensein beschränkt. Die vorgeschlagene Aktualisierung macht Kritik beweglich, befähigt sie, sich aus einer möglichen Vereinnahmung herauszuarbeiten und schreibt ihr das Potenzial zu, sich stetig zu erneuern. So können immer neue Kritikformen entstehen, welche die Umorientierungen in der Kunstpraxis mitbedenken. Es gilt nicht zu verdrängen, wie eng künstlerische Strategien mit ihren gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Umständen verwoben sind, sondern sie anerkennend werden die Verhältnisse als Manövrier- und Spielraum ausgelegt. Die Stärke solcher kritischen Praktiken liegt dann darin, gleichzeitig das der Kunst zugeschriebene Potenzial, einen Raum des Imaginären offen zu halten, und das Bedürfnis der Kritik, sich in der Realität zu verorten und

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Draxler (2007), S. 142. Vgl. Ebd., S. 98. Vgl. Morariu (2014), S. 6f. Vgl. Ebd., S. 1, 6f. Vgl. Ebd., S. 8. Vgl. Ebd., S. 101, 143. Damit erinnert Morarius Vorschlag an Maria Linds Wunsch nach einer kontextsensiblen, hybriden Kritikform, die dichotome Kategorien hinter sich lässt. Vgl. Lind (2010a), S. 88.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

dort zu intervenieren, zu entfalten. Damit kommt kritischen Praktiken eine Doppelrolle zu, die eine »spezifische, selbst wiederum kritisierbare Subjektivität«204 entwickelt. Abschließend soll betont werden, dass somit die Funktion einer kritischen Praxis nicht inhärent angelegt ist, sondern sich ihr Status je nach Platzierung, Rezeption oder Bereitschaft der beteiligten Akteure als mehr oder weniger kritisch, mehr oder weniger kritikal und mehr oder weniger affirmativ darstellt.205 Jede Form kritisch zu agieren, muss sich an ihrem Gegenstand beweisen und unter den spezifischen Umständen bewähren. Die Übergänge sind fließend und institutionskritische Praktiken müssen demnach situativ beurteilt werden. Wie sich im weiteren Verlauf der Studie zeigen wird, artikuliert sich Institutionskritik auf vielfältige Weise. Diese Heterogenität wäre im bisherigen, binären Verständnis von Kritik nicht adäquat abgebildet.

204 Draxler (2007), S. 127. 205 Vgl. Steiner (2009), S. 28.

3. Der Diskurs der Institutionskritik: Strategien, Funktionen und Akteure

Kritik am Museum ist so alt wie das Museum selbst. Im nachfolgenden Abschnitt skizziere ich einige der Vorwürfe, denen sich das Museum von Beginn an stellen musste und argumentiere, dass die Kritik eine Verdichtung erreichen und Reizschwelle überschreiten muss, um sich als ausgeprägte Phase niederzuschlagen. Danach beschreibe ich die Phasen moderner Institutionskritik und ihre erste Klimax in den 1960er-Jahren. Innerhalb der Analyse des historischen Diskurses fasse ich zum Abschluss jeder Phase zentrale Themen und Beobachtungen zusammen, in denen die beschriebenen Projekte und Arbeiten angesiedelt sind.

3.1.

Historische Bewegung durch den institutionskritischen Diskurs

3.1.1.

Frühe Museumskritik

Hans Belting verortet den Beginn der Museumskritik um 1805, etwa zwölf Jahre nach Gründung des Louvre.1 Lange Zeit blieb es bei polemischen Anklagen des Museums, die es unberührt ließen. Erst im 20. Jahrhundert wurden vermehrt Stimmen laut, die eine Veränderung des Konzepts ›Museum‹ als Ganzes forderten. Neben Theoretikerinnen wie Paul Valéry, der die Unordnung und die starren Verhaltenskonventionen im Museum missbilligte2 , oder dem Architekten und Designer Le Corbusier, welcher den Museen Unvollständigkeit vorwarf und sie deshalb der Irrführung und Täuschung bezichtigte3 , äußerten sich nun auch Künstlerinnen kritisch dem Museum gegenüber. Das Museum ist für Künstlerinnen zunächst als Zielscheibe der Kritik interessant, da es häufig 1

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Vgl. Hans Belting: Das Museum: Ein Ort der Reflexion, nicht der Sensation. In: Merkur, 640 (2002): S. 649. Das Louvre ist eines der ersten modernen öffentlichen Kunstmuseen, dessen Sammlung des Königshauses in den Besitz der neu gegründeten Republik überging. Paul Valéry (2006 [1923]): Das Problem der Museen. In: Walter Grasskamp (Hg.), Sonderbare Museumsbesuche. Von Goethe bis Gernhardt. München: C.H. Beck, S. 80-82. Vgl. Le Corbusier (1925): Other Icons: The Museums. In: Ders., The Decorative Art of Today. Cambridge, (Massachusetts): MIT Press, S. 15-23.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

der Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist4 : Im Zuge ihrer Ausbildung besuchen Künstlerinnen häufig Museen, sei es zur Inspiration, sei es zur Weiterbildung – sie sind vertraut mit den musealen Praktiken und studieren jeden Aspekt der institutionellen Arbeit.5 Claire Robins hebt hervor, dass Künstlerinnen sich unvermeidlich zu Museen – und Galerien – hingezogen fühlen, da sie von deren Strukturen und Handeln am meisten betroffen seien.6 Eine erste tiefgreifende Veränderung des Museums durch Künstlerinnen wurde nach der Russischen Revolution von 1917 angestrebt: Sowjetische Künstlerinnen strebten danach, ein von ihnen geleitetes Museum zu etablieren, das Kunst und Alltag(sleben) vereint.7 Das Museum in seiner bestehenden, bürgerlichen Form schien ihnen dafür gänzlich ungeeignet, da es mit einer Geste der Ästhetisierung jede über das Werk selbst hinausreichende Wirkung neutralisiere. Der Kunstbereich wurde somit von den politischen Veränderungen des Landes eingeholt – Formen einer politisch motivierten Institutionskritik im Kunstfeld folgten. So wollte auch Wassily Kandinsky das Museum neu erfinden. Zwischen 1918 und 1921 engagierte er sich in der Kulturpolitik Russlands, bekleidete staatliche Ämter und bemühte sich unter anderem als Mitglied der Abteilung für bildende Kunst im Volkskommissariat für Aufklärung Museumsreformen voranzutreiben.8 Ab 1919 leitete Kandinsky das Museum für Malkultur in Moskau. Eine seiner zentralen Neuerungen betraf die Ordnungskriterien von Sammlungen und Ausstellungen: Statt Werke chronologisch zu ordnen, sollten sie nach ihren künstlerischen Methoden und ihrer künstlerischen Form jenseits des Inhalts sortiert werden.9 In dieser Zeit des Umbruchs brachten innersystemische Veränderungen im Kunstfeld neue Kunstpraktiken hervor, veränderten die Vorstellung von Kunst und Künstlerin und konstatierten eine veränderte soziale Rolle der Museen. Dies führte zu einem Schub

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Vgl. Hans Dickel: Künstlermuseen als »institutionelle Kritik«. In: Christoph Danelzik-Brüggemann, Annette Dorgerloh et al. (Hg.), kritische Berichte, 4 (1998): S. 35. Kurator Kynaston McShine beschreibt in seiner Einführung des Katalogs zu der vielbesprochenen Ausstellung The Museum as Muse. Artists reflect das gespaltene Verhältnis von Künstlerinnen zu Museen. Einerseits hätten sie ein professionelles Interesse an ihnen, denn sie wollen ja in Ausstellungen gezeigt und in Sammlungen aufgenommen werden. Andererseits bedeutet diese Integration in den Museumsapparat, sich dem establishment und seinen Regeln unterzuordnen. Vgl. Kynaston McShine (1999): Introduction. In: Ders. (Hg.), The Museum as Muse. Artists reflect. New York: Museum of Modern Art, S. 11. Vgl. Claire Robins (2013): Curious Lessons in the Museum. The Pedagogic Potential of Artists’ Interventions. London: Routledge, S. 64. Auch wenn Robins sich primär mit ›curious‹, also ungewöhnlichen, Beispielen der interventionistischen Konzeptkunst beschäftigt, argumentiert sie für eine gemeinsame Ausgangsbasis der Künstlerinterventionen, die sie beschreibt, und jenen, die heute als Institutionskritik gesehen werden, insofern sie genau das Museum zum Gegenstand ihrer Praxis erheben und in die ideologischen Konstruktionen sowie die Ausstellungspraktiken eingreifen und diese hervorheben wollen. Ihr Fokus liegt – wie der Buchtitel andeutet – auf dem pädagogischen, erzieherischen Potenzial dieser Eingriffe für das Publikum und weniger auf den Transformationsmöglichkeiten des Museums selbst. Vgl. McShine (1999), S. 11 Vgl. Matthias Haldemann (2016): Kandinsky. München: C.H. Beck, S. 80. Vgl. Wassily Kandinsky (1982 [1920]): The Museum of Culture and Painting. In: Kenneth C. Lindsay und Peter Vergo (Hg.), Kandinsky: Complete Writings on Art. London: Faber & Faber, S. 437.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

an Werken und Projekten, die das Museum zum Subjekt machen. Das Museum wurde zum Gegenstand künstlerischer Reflexion. Diese Phase fand zeitgleich mit dem Aufkommen der museumskritischen Literatur durch Künstlerinnen des Futurismus, Dada und des Surrealismus statt und stand »im Zeichen einer anti-bürgerlichen Kulturkritik […].«10 Die von Peter Bürger als historische Avantgarde11 bezeichneten Kreise wollten Kunst und Leben, die vormals im Sinne der künstlerischen Autonomie und des l’art pour l’art getrennten Sphären, wieder zusammenführen. Dada und die Surrealisten mokierten sich über das Museum. Marcel Duchamp wird mit seinen Readymades die Rolle desjenigen zugewiesen, der die Aufmerksamkeit der Künstlerinnen auf das Museum und seine machtvollen Aneignungs- und Neutralisierungspraktiken gelenkt hat.12 Duchamp hinterfragte mit seinen Werken den institutionellen Kontext, der Kunst als solche kennzeichnet, und stellte ihn implizit mit aus. Kurator Steven L. Bridges reduziert diese frühe Form von Institutionskritik auf ein radikal-aufrührerisches Aufmerksam-machen13 , das Museen zu zerstören und auszulöschen suchte, aber nicht mit konkreten Folgen verbunden war. An die Avantgarde anschießend setzte die erste Phase der Institutionskritik Ende der 1960er ein, im Zuge der gesellschaftlichen Kritik an Institutionen aller Art.14

3.1.2.

Übersicht zur modernen Institutionskritik

Die Einteilung in zwei historische Phasen der Institutionskritik ist weitverbreitet15 : Die erste zum Ende der 1960er bis in die frühen 1970er, die zweite in den späten 1980ern 10 11 12

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Kravagna (2001), S. 7. Vgl. Bürger (1974). Bürger spricht in seiner Theorie der Avantgarde bereits von der Neo-Avantgarde der 1950er und 1960er und historisiert somit die frühen Avantgardebewegungen. Vgl. u.a. McShine (1999), S. 11. Ebenso Björk und Kokkonen (2014). Buchloh (1990) erkennt die Vermächtnisse Duchamps als einflussreich für die Künstlerinnen der Conceptual Art. Da er die erste Phase der Institutionskritik in direktem Zusammenhang mit der Konzeptkunst sieht, ist Duchamp bedeutungsvoll für sie. Marcel Broodthaers adaptierte Duchamps Aussage »This is a work of art« und veränderte sie in »This is a Museum«. Damit behauptete er, dass sowohl für den Status des Kunstwerks als auch des Museums gelte, dass es erst dazu werde, wenn es jemand behauptet. Er stellte infrage, was ein Museum sein kann und wer die Macht innehat, zu bestimmen, ob und was es ist. Wenn der Akt bei Duchamp das Kunstwerk konstituiert, konstituiert analog der Akt bei Broodthaers das Museum. Vgl. hierzu: Marcel Broodthaers (2001 [1969]): Gespräch mit Freddy de Vree. In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 38. Vgl. Bridges (2006). Das bedeutet nicht, dass das Museum als Untersuchungsgegenstand in der Zwischenzeit gänzlich in der Versenkung verschwand. André Malraux entwarf sein Musée imaginaire (1947), sein imaginäres Museum, das er in dem gleichnamigen Essay vorstellte. Bereits während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er daran – für ihn war das Museum losgelöst von materiellen Strukturen, sondern allein in der Vorstellung vorhanden. Er schlug ein Museumsmodell vor, das dem wandelnden und zunehmend dematerialisierenden Kunstwerksbegriff entspricht und offen für jegliche Neuentwicklung der künstlerischen Praxis ist. Zu erwähnen sei dennoch, dass es einige Versuche gab, den Kanon auszuweiten wie beispielweise durch Maria Lind, die drei weitere Phasen identifiziert. Vgl. Lind (2011b) und der Forschungsstand in Kapitel 1.4.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

und den frühen 1990ern. Die Phasen stehen in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Beide formieren sich um oder nach tiefgreifenden Ereignissen in der Gesellschaft: •



1968, in vielen Ländern vor allem in Europa der Höhepunkt von linksgerichteten Studierenden- und Bürgerrechtsbewegungen. Ein grundsätzlicher Zweifel an der Notwendigkeit jedweder Institutionen herrschte vor. Bezeichnende Umbrüche fanden parallel im Kunstfeld statt: Neue Praxisformen wie Happening, Performance oder Konzeptkunst brachen mit der tradierten objektbezogenen Vorstellung von Kunstwerken, entwarfen ein alternatives Bild weg von der Künstlerin hin zur Produzentin ästhetischer Objekte, und wendeten sich in der Post-Studio-Praxis Orten jenseits des Museums zu. Die bis dato akzeptierten Verständnisse von Kunst, Künstlerin und Museum entsprangen einem Kulturbegriff, der nicht mehr brauchbar schien.16 1968 markiert wohl auch nicht zufällig den Beginn des Independent Study Program (ISP) des Whitney Museum of Art, das neben einer künstlerischen und einer kritischen Programmschiene die erste universitäre Kuratorinnenausbildung umfasste.17 Seinem Beispiel sollten später viele weitere folgen.18 Das Schwellenjahr 1989 fiel mitten in die zweite Phase der Institutionskritik. Der Zerfall der Sowjetunion und mit ihm das Ende des Kalten Krieges führten zu einem verstärkten politischen Bewusstsein innerhalb der Gesellschaft, gekennzeichnet durch Gegenbewegungen, Selbstorganisation und dem Hinterfragen des Status Quo. Staatliche Narrative von Nation und Identität und bisherige Lesarten der Kunstgeschichte standen auf dem Prüfstand.

Die Bezeichnung für die beiden Zeiträume schwankt von Phase zu Welle über Generation; alle drei Ausdrücke zeigen an, dass eine temporäre Zunahme und ein verdichtetes Interesse an institutionskritischen Praktiken zu beobachten war, die abnehmen und nach einiger Zeit wiederkehren.

3.1.3.

1960er und 1970er: Die erste Phase der Institutionskritik

Die 1960er waren von den sich zuspitzenden internationalen Studierenden- und Bürgerrechtsbewegungen gekennzeichnet; in den USA protestierten die Menschen gegen den Vietnamkrieg. In anderen Ländern wollte der links gerichtete Protest den Status

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Vgl. Christian Kravagna (2001): Einleitung. In: Ders. und Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 8. Die Verbindungen des ISP zur Institutionskritik sind zahlreich. Mark Dion und Renée Green absolvierten in den 1980ern das künstlerische Programm. Anhand der Übersicht von Dozierenden und Seminarleitenden lässt sich der Einfluss der Institutionskritik in Theorie und Praxis ableiten. Die Liste erscheint wie ein ›Who is Who‹ des institutionskritischen Diskurses: Alexander Alberro, Benjamin H. D. Buchloh, Douglas Crimp, Rosalyn Deutsche, Hal Foster, Andrea Fraser, Hans Haacke, Louise Lawler, Adrian Piper, Martha Rosler, Allan Sekula und Hito Steyerl sind nur einige der häufig anzutreffenden Akteure. Siehe dazu Kapitel 4.1.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Quo und seine Institutionen abschaffen. Der »Marsch durch die Institutionen«19 machte vor den Institutionen der Kunst nicht halt. Zu dieser Zeit diagnostizierte Jürgen Habermas im Strukturwandel der Öffentlichkeit, dass sich durch die Ausbreitung der Marktwirtschaft das vormals kritische Publikum einer bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer kulturkonsumierenden, passiven Empfängerin von Kultur gewandelt habe. Habermas klagt im Anschluss an Adorno die Warenförmigkeit kultureller Produktion an, bestimmt für den Massenkonsum.20 Die Praxis lief allerdings den von Habermas beschriebenen Entwicklungen zuwider: Happenings, Fluxus, Performance- und Konzeptkunst resultierten nicht in einfach konsumierbaren Objekten. Die Kunstformen verlangten nach aktiver Teilnahme durch Besucherinnen, nach Auseinandersetzung. Sie gaben sich nicht mit passiv konsumierenden Betrachterinnen zufrieden. Traditionelle Museumpraktiken erwiesen sich als ungeeignet, um mit den aufkommenden künstlerischen Neuheiten Schritt zu halten und warfen die Frage auf, ob diese Art von Kunst überhaupt einer Institution bedarf.21 Erneut wurden die Vorstellungen von Kunstwerk, Künstlerin, Publikum und Museum umgeworfen und ihre Verhältnisse neu zueinander in Beziehung gesetzt: Künstlerinnen erinnerten sich an ihre kritischen Vorgängerinnen wie Marcel Duchamp und begannen, die Unzugänglichkeit von Museen zu monieren. Sie stellten museale Funktionsmechanismen in Frage, kritisierten, wie Museen aufgrund von Rasse, Geschlecht oder Ethnizität exkludierten. Sie reagierten darauf, indem sie die institutionellen Strukturen hinter diesen Exklusionspraktiken subvertierten22 : Hinterfragt wurde sowohl auf inhaltlicher Ebene das ›Was‹ der Ausstellungen und Sammlungen als auch die Art und Weise, wie Objekte inszeniert waren. Auch der Adressatenkreis erntete künstlerische Missbilligung.23 Im Folgenden stelle ich anhand von Einzelbeispielen künstlerischer Arbeiten chronologisch Strategien und Themen dar, die kennzeichnend für die erste Generation der 19

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Der Slogan »Marsch durch die Institutionen« wurde von Rudi Dutschke geprägt und diente auf dem Höhepunkt der linksgerichteten Studierendenbewegung in Deutschland als Ausdruck der geplanten Zerstörung der Institutionen. Im Vordergrund steht eine anti-institutionalistische Grundhaltung. Vgl. hierzu ausführlich Jürgen Habermas (1990 [1962]): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Für die Rolle der Institutionen vgl. insbesondere S. 90-107 und zum Wandel des Publikums S. 248-266. Habermas’ Theorie musste sich der Kritik stellen, dass sein Blick auf ein angeblich homogenes Publikum zu verengt sei – das Publikum sei viel fragmentierter und zersplitterter. Vgl. dazu Möntmann (2006a): Art and Its Institutions. In: Dies. (Hg.), Art and Its Institutions: Current, Conflicts, Critique and Collaboration. London: Black Dog Publishing, S. 9. Vgl. Maria Lind (2010b): Learning from Art and Artists. In: Brian Kuan Wood (Hg.), Selected Maria Lind Writing. Berlin: Sternberg Press, S. 246f. Lind fragt, ob Institutionen nicht in dem Moment überflüssig werden, in dem Kunstwerke direkt mit dem Publikum in Kontakt treten und mit ihm kommunizieren. Welche Rolle würden Museen in diesem Szenario noch einnehmen? Darüber hinaus ließe sich fragen, ob im Falle solcher vergänglicher Kunstpraktiken nicht nur die vermittlerische Aufgabe der Institution redundant wird, sondern auch die bewahrende und sammelnde. Denn: Die Werke an sich sind durch ihren performativen Charakter nicht konservierbar. Vgl. Marstine (2017), S. 6. Dass viele Akteure sich zu dieser Zeit aus den Institutionen zurückzogen, wird nach wie vor dem Hintergrund diskutiert, ob ein Außerhalb der Institutionen existiert. Vgl. dazu Preston (2014), Morariu (2014).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Institutionskritik sind und den praktischen Diskurs der Institutionskritik beeinflussten. Zu den Akteuren gehören unter anderem: Claes Oldenburg, Daniel Buren, Marcel Broodthaers, Art Workers Coalition, Hans Haacke, Robert Smithson, Tom Marioni, Les Levine, Michael Asher, Mierle Laderman Ukeles und Group Material. Die Protagonistinnen dieser Generation setzten sich mit • • •

der topologisch-materiellen Manifestation der Institution, dem Ausstellungsraum und der Museumsarchitektur

auseinander.24 Sie veränderten die architektonischen oder räumlichen Konfigurationen und zeigten auf, wie der Ausstellungsraum als machtvolle Geste wirkt, indem er Blicke lenkt, Körper choreographiert und Bewegungsmuster vorgibt. Künstlerinnen arbeiteten sich an diesen Machtdemonstrationen ab: Sie schlugen alternative Architekturen vor, intervenierten in institutionelle Abläufe oder entwickelten eigene Museen, die den Habitus und die Sprache der Institution subversiv imitierten. Claes Oldenburg: Mouse Museum (1965) Das von Claes Oldenburg 1965 begonnene Mouse Museum25 war eines der frühen Werke, das einen alternativen Ausstellungsraum vorschlug. Die als stilisierter Micky MausKopf geformte Raum-in-Raum-Konstruktion war mit beleuchteten Vitrinen gefüllt, in denen 385 verschiedene Souvenirs, Objekte sowie Plastiklebensmittel neben Alltagsgegenständen ausgestellt waren. Oldenburg mokierte sich mit seinem Museum humorvoll über die Ausstellungsbedingungen moderner Museen mit ihren sakral anmutenden Architekturhüllen. Ebenso warf er die Frage auf, was als ausstellenswert betrachtet wird, und wie das Museum mittels Displaytechniken Objekte aus ihrem gewohnten Kontext entfernt und zu Kunstwerken erhebt. Oldenburg führte den musealen Habitus durch das Publikum auf und stellte dar, wie der Ausstellungsraum ›Regeln‹ des Sehens und Bewegens durchzusetzt. Oldenburg spielte mit den Sehgewohnheiten des Publikums: Er imitierte die institutionellen Vorgaben, modifizierte sie aber leicht, um auf sie aufmerksam zu machen. Mouse Museum verwirklichte einen ersten Schritt institutionskritischer Vorhaben, indem es die institutionellen Rahmenbedingungen der künstlerischen Produktion und Distribution erkennbar machte. Mit den verschiedenen sozialen Wirkweisen des Ausstellungsraums beschäftigt sich auch das nächste Beispiel – genauer: mit dessen Grenzen und Kennzeichnungen.

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Für Näheres zum Institutionsbegriff siehe Kapitel 2.1.1. Claes Oldenburg (1965/77): Mouse Museum. Holz, Aluminiumwellblech, 385 Objekte in Vitrinen, Acrylglas, Ton. 236 x 960 x 1007 cm. Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, museum moderner kunst stiftung ludwig wien. Oldenburgs Arbeit gehört nicht zum tradierten Werkkanon der Institutionskritik, nimmt aber als eine der frühen Werke in den 1960ern vorweg, wie nachfolgende Künstlerinnen sich später mit dem Ausstellungsraum auseinandersetzen.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Daniel Buren: BMPT und Affiches sauvages (1966/67 und 1968/69) Zu den kanonischen Arbeiten der ersten Phase von Institutionskritik gehören Burens gemeinsam mit der Künstlergruppe BMPT durchgeführte Aktionen im Salon de la Jeune Peinture in Paris zwischen 1966 und 1967. Die Gruppe gründete sich 1966 und bestand neben Buren aus Olivier Mosset, Michael Parmentier und Niele Toroni. Sie stellten ihre Werke vor den Augen des Publikums fertig und hängten sie an designierte Wände. Am gleichen Abend nahmen sie die Objekte wieder ab und tauschten sie mit einer Banderole aus, auf der zu lesen war: »Buren, Mosset, Parmentier und Toroni stellen nicht aus.«26 Sie unterwanderten die Erwartung an Künstlerinnen, beständig Neues zu produzieren und auszustellen. Die Gruppe erhob ihre Verweigerungsgeste zum Ausstellungsgegenstand. Indem sie nicht vorab gefertigte Werke zeigten, sondern erst im Raum vor den Besucherinnen die Objekte schufen und installierten, widersetzten sie sich den bestehenden Displaylogiken. Der Ausstellungsraum wurde gleichzeitig zum Studio, Produktionsort und Platz der Verweigerung. Burens Streifenmotive, mittlerweile als sein Markzeichen bekannt27 , wiesen als insitu Interventionen auf die Bedeutung des Museumskontexts für das Zeigen und Rezipieren von Kunst hin. Die Streifen hatten ein standardisiertes Maß von 8,7 cm Breite und erinnerten an massenproduzierte Güter. Die Aktionen fanden oftmals unaufgefordert, unautorisiert – als affiches sauvages (Wilde Plakatierungen) – im öffentlichen Raum statt; in Paris 1968 oder parallel zu großen Ausstellungen wie When attitude becomes form von April bis Mai 1969 in der Kunsthalle in Bern.28 Buren brachte die Streifen an Werbetafeln und Wänden an. Die Berner Polizei nahm den Künstler in Gewahrsam und ließ die Papierstreifen entfernen. Buren enthüllte in seinen Arbeiten formale, politische, ökonomische oder ideologische Bedingungen des Ausstellens. Die gestreiften Stoffe veränderten ihre Bedeutung und erhielten ihren Wert durch den Ort, an dem sie zu sehen waren. Indem er seine Arbeiten aus den beengenden Grenzen des Museumsraums löste, stellte Buren die Dichotomie zwischen dem Innen und Außen der Institution zur Disposition.29 Später

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Vgl. Daniel Buren (2012): Artwork: Manifestation 1 – Peinture acrylique blanche sur tissu rayé blanc et gris clair. Catalogue Daniel Buren. Verfügbar unter: http://catalogue.danielburen.com/artworks/view/301?lang=deu [Zugriff: 19.04.2017]. Mit dem Ausdruck ›Markenzeichen‹ spielt die Autorin bewusst auf die Tatsache an, dass Burens Streifenmotive mittlerweile dekorativ eingesetzt werden und beispielsweise in Museen wie dem Van Abbemuseum in Eindhoven die Wände neben den Treppenaufgängen zieren. Interessanterweise war die Kunsthalle Bern bereits im Jahr zuvor zum zentralen Gegenstand eines künstlerischen Projekts geworden. Christo und Jean-Claude verhüllten in Wrapped Kunsthalle (1978/68) das erste Mal ein Museum. Das Projekt – auf die externe Hülle des Museums fokussiert – wirkte sich dabei auch auf das Innere aus: Die Versicherungsagentur weigerte sich für die Dauer der siebentägigen Verhüllung die Versicherung für die Sammlungsobjekte der Kunsthalle zu tragen. Vgl. David Bourdon (1972): Christo. New York: Harry N. Abrams Publisher, S. 40f. Vgl. Ausstellungskatalog Guggenheim Museum (Hg.) (2005): Daniel Buren: Eye of the Storm. Works in Situ. New York: D.A.P. 1968 brachte er dasselbe Motiv an die Tür der Galleria Apollinaire in Mailand an, die über die Dauer seiner Ausstellung geschlossen blieb. Mit seinen theoretischen Überlegungen zur Funktion des Museums positioniert sich Buren als institutionskritischer Künstler. Vgl. Daniel Buren (2001 [1995]): Funktion des Museums. In: Christian Kravagna & Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 43-46.

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luden Museen Buren ein, seine gestreiften Papiere in ihren Räumen anzubringen und mittlerweile sind sie Bestandteil von Sammlungen großer Häuser.30 Nicht alle Künstlerinnen waren allerdings überzeugt vom kritischen Potenzial der Streifen – man denke an die angeblichen Urteile Donald Judds, der Buren als »paperhanger« bezeichnete, oder Dan Flavins, der ironisch von »French drapery«31 sprach. Marcel Broodthaers: Musée d’art moderne – Département des Aigles (1968) Marcel Broodthaers stellte 1968 mit seinem Konzeptmuseum Musée d’Art Moderne, Département des Aigles in Brüssel die Rahmenbedingungen von Museen in Frage. Er wollte herausstellen, welche Machtträger und Mechanismen dieses Konzept bestimmen.32 Broodthaers beschreibt seine Arbeit als Kritik an der Museumspolitik Belgiens.33 Der Künstler enthüllte in seinen Werken die semantische Macht des Museums und setzte sich mit Displaykonventionen auseinander.34 Auf diese Weise stellte er den Status des Kunstwerks, des Museums, der Kuratorin und seine Rolle als Künstler zur Disposition. So hängte Broodthaers in This is not a work of art (1972) eben diese Worte als Wandtext neben jedes der 266 ausgestellten Objekte. Er bezog sich damit auf René Magrittes Gemälde La trahison des images35 und den darauf abgebildeten Spruch Ceci n’est pas une pipe. Das Aufbegehren von Einzelkünstlerinnen gegen rigide institutionelle Vorgaben wurde bald durch kollektive Stimmen verstärkt. Eine solche stellt der nachfolgende Abschnitt dar. Art Workers Coalition In den 1960ern galt New York als das hegemoniale Zentrum des Kunstfeldes und das Museum of Modern Art (MoMA) fungierte als seine Bastion. Das Museum war beliebte Zielscheibe der institutionskritischen Akteure der ersten Generation. In der Art Workers Coalition organisierten sich kulturelle Akteure, um gegen die Ausschlussmechanismen großer Kunstinstitutionen wie des MoMA politische und ökonomische Veränderungen in den New Yorker Museen zu erwirken. In ihrem Open Hearing on the Subject: What Should Be the Program of The Art Workers Regarding Museum Reform, and to Estab-

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Mittlerweile finden Retrospektiven zur Burens frühen Werken statt. In 2016 zeigte beispielsweise Nahmad Contemporary Origin of Stripes: Paintings from 1965-1966 die gestreiften Leinwände als Gemälde, traditionell an die Wände gehängt. Judd und Flavin werden in vielen Artikeln entsprechend zitiert, im Zusammenhang mit dem Ausschluss Burens aus einer Gruppenausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York 1971. Den anderen Künstlerinnen sei Burens Arbeit zu »krass« gewesen. Vgl. hierzu Jerry Saltz: Restoration Drama. Voice, 17.05.2005. Verfügbar unter: www.villagevoice.com/arts/restoration-drama-7137759 [Zugriff: 27.04.2017]. Ebenso Bezug darauf nimmt Austin Considine: Daniel Buren, Between the Lines. Art In America, 24.01.2013. Verfügbar unter: www.artinamericamagazine.com/news-features/news/daniel-buren-petzel-bortolami-1/[Zugriff: 27.04.2017]. Vgl. Broodthaers (2001 [1994]), S. 37. Vgl. Ebd., S. 38. Vgl. Manuel J. Borja-Villel (2010): The Museum Questioned. In: Ders., Kaira Marie Cabanas und Jorge Ribalta (Hg.), Relational Objects, MACBA Collection 2002-2007. Barcelona: MACBA, S. 25. René Magritte (1929): La trahison des images. Öl auf Leinwand, 59 x 65 cm, Los Angeles County Museum of Art.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

lish the Program of an Open Art Workers’ Coalition am 10. April 1969 im Amphitheater der New Yorker School of Visual Arts diskutierte sie die ökonomischen Verstrickungen des Museums. Eine Liste mit dreizehn Forderungen stand zur Debatte und wurde später publiziert. Die Coalition lehnte die Strukturen und Praktiken des MoMA ab, das von einem unbezahlten board of trustees geführt werde und allein im Interesse dieses Kuratoriums wirke.36 Das Museum werde zum Spielzeug eines geschlossenen Kreises von Reichen.37 Im Zentrum der Kritik stand die Unzugänglichkeit der Institution: Es fehle an demokratischen Strukturen und Inhalten, um die Interessen der Gesamtgesellschaft zu repräsentieren. Art Workers Coalition beschreibt sich als »outsiders«38 und initiierte mit der offenen Diskussion eine Analyse des MoMA und anderer Institutionen. In der Folge rief sie Besucherinnen und Künstlerinnen dazu auf, die Häuser zu boykottieren. Künstlerinnen zogen daraufhin Werke aus Ausstellungen zurück oder lehnten eine Teilnahme an Großausstellungen wie der documenta ab.39 Diese Verweigerungen dienten der schöpferischen Provokation und sollten ein Nachdenken über Auswahlkriterien, -praktiken und Fragen der Repräsentation anregen. Hans Haacke: MoMA Poll (1970) Dass Auswahlprinzipien von Kunstinstitutionen auch mit politischen Agenden verflochten sind, thematisierte Hans Haacke in seinen Arbeiten. Als Konzeptkünstler erforschte Haacke mit seinen Arbeiten die vorgebliche Neutralität von Museen. Mit MoMA Poll stellte er 1970 im Rahmen einer ersten umfassenden Ausstellung zu Konzeptkunst in einem US-amerikanischen Museum unter dem Titel Information die engen, teilweise unsichtbaren Verbindungen zwischen Politik und Kunstinstitution her. Die Frage ›Would the fact that Governor Rockefeller has not denounced President Nixon’s Indochina Policy be a reason for you not voting for him in November?‹ sollte von Museumsbesucherinnen per Stimmzettel mit ›ja‹ oder ›nein‹ beantwortet werden. Der Stimmzettel wurde in einer durchsichtige Plexiglas-Box deponiert.40 Haacke legte die Verbindung zwischen der politischen Agenda von Nelson Rockefeller, seiner Familie und dem privaten Museum offen und regte eine erneute Politisierung des Kunstdiskurses an. Sein nicht realisiertes Fragebogenprojekt am Guggenheim und das weit rezipierte Werk Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real-Time Social System as of May 1, 197141 gehören zu den sogenannten ›Klassikern‹ der frühen Institutionskritik. Shapolsky et al. In dem vom Whitney Museum of Art als »landmark work of institutional

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Vgl. Gregory Battcock (2009 [1969]): art workers’ coalition open hearing presentation. In: Alexander Alberro und Blake Stimson (Hg.), Institutional critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachussetts): MIT Press, S. 90ff. Vgl. Ebd. Ebd., S. 92. Alberro nennt Julio Le Parc und Enzo Mari als die ersten Künstler, die Ende der 1960 nicht an der documenta 4 ausgestellt sein wollten. Vgl. Alberro (2009), S. 4. Rockefeller war selbst Präsident und Chairman des MoMA Boards gewesen und gleichzeitig Gouverneur von New York. Haacke hatte seine Frage erst am Abend vor der Eröffnung enthüllt. Trotz der Forderung seitens Rockefeller, das Stück aus der Ausstellung zu entfernen, widersetzte sich der damalige Direktor John Hightower der Forderung. Das Werk ist heute Teil der Sammlung des New Yorker Whitney Museum of Art.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

critique«42 bezeichneten Projekt dokumentierte Haacke anhand von 146 Fotografien die betrügerischen und korrupten Aktivitäten von New Yorks größten und einflussreichsten Slumbesitzerinnen über den Zeitraum von zwei Jahrzehnten.43 Das Werk umfasste zudem Karten von Harlem und der Lower East Side; Diagramme und Fotografien hielten Immobilientransaktionen fest. Außerdem berichteten Texte über den Standort, seine Eigentümerinnen und die finanzielle Geschichte der Gebäude. Alle Materialien stammten aus öffentlichen Quellen. Beide Arbeiten, MoMA Poll und Shapolsky et al. waren Teil einer geplanten Einzelausstellung im Guggenheim, die das Museum sechs Wochen vor Eröffnung unter Verweis auf Vorgaben absagte, die aktives Engagement zu sozialen und politischen Zwecken ausschlössen.44 Der damalige Direktor Thomas Messer wurde zitiert: »I’m all for exposing slumlords, but I don’t believe the museum is the proper place to do it.«45 Haacke exponierte in seinen Arbeiten die den Kunstinstitution innewohnenden Machtstrukturen und warf ein Licht auf finanzielle, ideologische und repräsentative Arrangements zwischen Museum, Unternehmen und Politik.46 Mit seiner soziologischen Vorgehensweise entlarvte er Museen als Agenten von Wertbestimmung. Als »Träger soziopolitischer Bedeutungsinhalte«47 seien sie politische Institutionen. Haacke erkannte, dass er als Künstler innerhalb dieser Bedingungen agiert: Avantgardekünstlerinnen bewegen sich an den Grenzen dieser Handlungsräume, denn sie »beteiligen sich gemeinsam an der Wartung und/oder der Weiterentwicklung der ideologischen Strukturen ihrer Gesellschaft. Sie arbeiten in diesem Rahmen, setzen den Rahmen und werden gerahmt.«48 Zu dieser Zeit versuchten Künstlerinnen, alternative Präsentationsorte für ihre Kunst zu finden, um sich der Macht der Museen zu entziehen. Land Art und die Entwicklung eigener Künstlermuseen waren zwei Maßnahmen, dem institutionellen Rahmen und dessen machtvollen Neutralisierungseffekten zu entfliehen. Nachfolgend stelle ich Beispiele aus dieser Tradition vor. Robert Smithson: Spiral Jetty (1970) Robert Smithson begab sich mit seiner Arbeit Spiral Jetty, einem Meilenstein der Land Art, auf die Suche nach extramusealen Ausstellungsplätzen. Er reklamierte die Gefäng-

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Whitney Museum of Art: Hans Haacke. SHAPOLSKY ET AL. MANHATTAN REAL ESTATE HOLDINGS, A REAL-TIME SOCIAL SYSTEM, AS OF MAY 1, 1971. Homepage des Whitney Museum of Art. Verfügbar unter: http://collection.whitney.org/object/29487http://collection.whitney.org/object/29487 [Zugriff: 12.04.2017]. Dieses Werk war für eine Ausstellung des Künstlers im Guggenheim Museum im Jahr 1971 vorgesehen . Vgl. Grace Glueck: The Guggenheim Cancels Haacke’s Show. The New York Times, 07.04.1971. Verfügbar unter: www.nytimes.com/1971/04/07/archives/the-guggenheim-cancels-haackes-show.html [Zugriff: 19.12.2017]. Ebd. Vgl. Björk und Kokkonen (2014), S. 10. Hans Haacke (2001b [1998]): Bemerkungen zur kulturellen Macht. In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 82. Ebd., S. 83.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

nishaftigkeit von Museen, bezeichnete Kuratorinnen als Wärterinnen49 und setzte sein Werk in der Natur den Wetterbedingungen aus, sodass es nach und nach zerstört statt – wie im Museum – für die Ewigkeit konserviert würde. Smithson propagierte einen kompletten Rückzug aus dem institutionellen Raum und legte den Grundstein für die zweite Generation institutionskritischer Akteure, welche die museologischen Funktionen inspizierten.50 Tom Marioni, Les Levine (1970-) Im Jahr 1970 stieg die Anzahl von Künstlermuseen und museumsähnlichen Organisationen. Dazu gehörte Tom Marionis Museum of Conceptual Art, das 1973 ein tatsächliches Gebäude bezog und, so Marioni, sich nicht als alternativer Kunstraum verstand, sondern als Museum.51 Mit dieser bewussten Begriffswahl wollte er sich von Beginn an in das Kunstfeld einschreiben, nicht an dessen Peripherie arbeiten. Der irische Künstler Les Levine, den es Mitte der 1960ern nach New York zog, gründete im selben Jahr mit Museum of Mott Art Inc. eine Beratungsfirma für Künstlerinnen und Kulturproduzentinnen. Levine beschrieb in seiner kurzen Publikation dazu das Kunstfeld als sich selbst erhaltend und hervorbringend; es habe sich von der Gesellschaft entfernt.52 Levine prägte den Begriff der »Nachkunst-Epoche«53 und wollte mit seinem Beratungsunternehmen Kulturschaffende unterstützen, sich in der neuen Periode veränderter Kunst zurechtzufinden. Neben einem Leseservice, der relevante Publikationen für Künstlerinnen heraussucht, bot er mit Artists Anonymous ein Hilfsprogramm für jene an, die ihr Künstlerinnendasein beenden wollen.54 Voller Ironie beschreibt Levines Leistungskatalog allerlei Services, welche die absurden Präferenzen, Mechanismen und Strukturen des Kunstfeldes entschleiern. Die Organisationsstrukturen der Museen zu parodieren, sich durch subversive Affirmation gleichzeitig aus dem Kunstbetrieb zurückziehen und hineinzuschreiben, kennzeichnet diese museumsähnlichen Projekte. Hans Dickel konstatiert dazu: »Die pseudomusealen Installationen […] stellen das Museum in Frage, halten ihm durch

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Vgl. Robert Smithson (2001 [1972]): Kulturbeschränkung. In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 17f. Siehe dazu Kapitel 3.1.4. Vgl. Tom Marioni (2001 [1976]): Museum of Conceptual Art In: In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 62. Les Levine (2001): Museum of Mott Art Inc. Nachkunst-Dienstleistungen. In: In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 50-61. Ebd. Levine meint mit dem Ausdruck »Nachkunst-Epoche« eine neue Vorstellung von Kunst, deren frühere Funktionen nicht mehr gelten. Kunst sei ein sich selbst generierendes System und völlig abgespalten von der Welt und der Gesellschaft. Levine kehrt damit zu der Vorstellung einer autonomen Kunst zurück, auch wenn er paradoxerweise danach eine Reihe an Dienstleistungen aufzählt, die Künstlerinnen ausführen, womit sie de facto instrumentalisiert werden und heteronom statt autonom agieren. Für eine volle Auflistung der Leistungen und der Intention von Museum of Mott Art Inc. vgl. Levine (2001).

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Assimilation den Spiegel vor, in der Hoffnung, sich seinem nivellierenden Zugriff für einige Zeit noch entziehen zu können.«55 Michael Asher: Installation (1970) und Claire Copley Gallery (1974) Michael Ashers ortsspezifische Arbeiten beschäftigten sich mit der Architektur der Museen. Durch Eingriffe in und Veränderungen der räumlichen Gestaltung reagierte er auf die Art, wie sich Ausstellungsräume und -häuser darstellen und veränderte ihre Displaylogiken: In seiner Einzelausstellung im La Jolla Museum of Art 1969 installierte Asher einen Tongenerator, der alle anderen Töne ausblendete und eine Art dead zone in der Galerie zur Folge hatte. In Installation (1970) am Gladys K. Montgomery Art Center des Pomona College rekonfigurierte Asher die Galerieräume, indem er alle Türen entfernte. Der geöffnete – und offen gelegte – Ausstellungsraum war Tag und Nacht dem Lärm, der Luft und den Lichtern der Straße ausgesetzt.56 Auch in seiner Arbeit in der Claire Copley Gallery (1974) manifestierte sich der Blick hinter das Ausstellungsestablishment. Hier entfernte er eine wichtige Wand, die zuvor Büro und Galerieräume trennte: »Once inside, the viewer could hear as well as assimilate more readily the various private and business activities with museum staff, collectors, artists, and friends usually screened from view. Also, artworks could be clearly seen in storage in the exhibition/gallery as opposed to being placed on the gallery walls for exhibition.«57 Asher brachte die administrativen und bürokratischen Tätigkeiten auf die Bühne. Die Galerieangestellten und ihre Arbeit wurden zum Kunstwerk. Der nächste Meilenstein der ersten Welle von Institutionskritik beschreibt eine Performance aus dem Bereich der institutionellen Arbeit, die sonst verborgen bleibt: maintenance work. Mierle Laderman Ukeles (ab 1973) Nach der Geburt ihres ersten Kindes befasste sich Laderman Ukeles mit der ungleichen gesellschaftlichen Wertung von Arbeit. Sie fokussierte besonders jene Arbeiten, die notwendig sind, um innerhalb eines System oder einer Organisation einen reibungslosen

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Dickel (1998), S. 50. Dickel bezieht sich auf Christian Boltanskis und Ilya Kabakovs Versionen der Künstlerinnenmuseen. Sein Urteil weist aber eine gewisse Allgemeingültigkeit auf, insofern die vorgestellten Projekte Museen den Spiegel vorhalten. Installation ist in der dreiteiligen Ausstellung ›It happened at Pomona‹ (2011-12) des Pomona College Museum of Art als eines der »bahnbrechenden« Projekte aufgeführt, die in dem Collegemuseum in Kalifornien stattgefunden haben. Das Museum schreibt sich somit die Verdienste Ashers zugute. Vgl. Pomona College Museum of Art (2011): Press Release It Happened at Pomona. Art at the Edge of Los Angeles 1969-1973. Homepage des Pomona College Museum of Art. PDF verfügbar unter: https://www.pomona.edu/museum/sites/museum.pomona.edu/files/pdfs/press/release-june.pdf [Zugriff: 20.04.2017]. Michael Asher (1983): September 21 – October 12, 1974 Claire Cople Gallery, Inc. Los Angeles California. In: Benjamin H.D. Buchloh (Hg.), Michael Asher. Writings 1973-1983 on Works 1969-1979. Halifax/Los Angeles: The Press of the Nova Scotia College of Art and Design/The Museum of Contemporary Art Los Angeles, S. 95f.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Ablauf zu ermöglichen. In einem ersten Schritt formulierte sie ein manifesto for maintenance art 1969! proposal for an exhibition »care«58 , in dem sie zwischen Entwicklung (development) und Erhaltung (maintenance) differenzierte und konstatierte, dass Erstere männlich konnotierte Tätigkeiten seien, während Letztere als weibliche Aktivitäten gelten. Weiterhin entwickelte sie einen Ausstellungsvorschlag zum Thema Pflege (care). 1973 wendete sie sich dann im Rahmen dieses Themas einer Institution zu, in der Erhaltung eine der Kernaufgaben ist: dem Museum. Die bewahrenden Tätigkeiten innerhalb des Museums, die sonst verborgen bleiben, reichen vom Konservieren über das Putzen hin zur Beaufsichtigung und Kontrolle der Sicherheitsvorkehrungen. Laderman Ukeles macht diese Arbeiten in ihrer Analyse sichtbar und erklärt sie gleichzeitig zu Kunst. Ebenfalls 1973 war das Wadsworth Atheneum in Hartford mehrfach Ort ihrer Performances. In Hartford Wash: Washing, Tracks, Maintenance: Outside und Hartford Wash: Washing, Tracks, Maintenance: Inside putzte sie die Außen- und Innenbereiche des Museums mit einem Mopp, Wasser und Windeln. Letztere nutzte sie, um Vitrinen abzustauben und verwies implizit auf ihre Doppelrolle als Künstlerin und Mutter, in dem sie Gegenstände ihres alltäglichen Lebens in ihr Kunstschaffen integrierte. Ihre Performances sind in Schwarzweißfotografien dokumentiert und brachten wenig beachtete Arbeiten innerhalb des Museums ans Licht. Zudem thematisierten sie Vorurteile gegenüber den Ausführenden der Erhaltungsarbeiten: Zur damaligen Zeit verrichteten vorwiegend Farbige viele dieser Tätigkeiten in Museen. Laderman Ukeles bringt die Frage nach der Gleichwertigkeit von Arbeiten im Museum zur Sprache und deckt Rassismen und Vorurteile auf.59 Ihre Performances markieren einen Übergang zur so genannten zweiten Phase von Institutionskritik: Es steht nicht mehr der Ausstellungsraum im kritischen Fokus, sondern die übergeordnete Rolle der Institution mit ihren alltäglichen Abläufen als Abbild gesellschaftlicher Haltungen, Rollenverteilungen und Ungleichheiten. Den Ausstellungsraum als politischen Ort zu begreifen, den es für gesellschaftsund institutionskritische Zwecke zu besetzen gilt, proklamiert auch das nachfolgende Projekt. Group Material Mit Group Material gründete sich 1979 ein New Yorker Kollektiv, das kuratorisch und künstlerisch aktiv war. Die Gruppe wechselte im Laufe ihrer Existenz mehrfach die Besetzung – zu den Hauptmitgliedern zählten Doug Ashford, Julie Ault, Felix GonzalesTorres, Mundy McLaughlin und Tim Rollins. Ihre Arbeit wurde maßgeblich von der Annahme gesteuert, dass das Zeigen von Kunst ein politischer Akt ist.60 Damit einher ging 58

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Mierle Laderman Ukeles (2009 [1969]): manifesto for maintenance art 1969! proposal for an exhibition »care« (1969). In: Alexander Alberro und Blake Stimson (Hg.), Institutional critique: an anthology of artists’ writings. Cambridge (Massachussetts): MIT Press, S. 144-149. Fred Wilson postiert in seinem späteren Werk Guarded View (1991) vier kopflose schwarze Schaufensterpuppen in für Securitypersonal typischen Uniformen auf einem Podest und macht ebenfalls auf soziale Hierarchien in Museen aufmerksam, die zum Teil rassistisch motiviert waren. Fred Wilson (1991): Guarded View. Holz, Farbe, Stahl und Textilien, Whitney Museum of American Art. Vgl. Doug Ashford (2010): Group Material: Abstraction as the Onset of the Real. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0910/ashford/en.html [Zugriff: 20.04.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

ihr Bestreben, den Ausstellungsprozess demokratischer und vielstimmiger anzulegen statt nur eine Perspektive der Kuratorin, subjektiv aber von der Institution autorisiert, aufzuzeigen. Die Mitglieder von Group Material befürchteten die Kommodifizierung ihrer Werke bei Ausstellungen in einem traditionellen Kontext, und dass sie entweder nicht gezeigt oder in ihrer Komplexität drastisch reduziert würden, um leichter rezipierbar zu sein.61 Eine zentrale Strategie bestand folglich darin, ihre Arbeiten neben Alltagsgegenständen auszustellen, sie zu kontrastieren und in einen neuen Kontext zu überführen. Das Kollektiv fokussierte in seinen Arbeiten soziale Probleme und Repräsentationspolitiken. Indem die Mitglieder kuratorisch agierten, verabschiedeten sie sich von der Vorstellung der Künstlerin als Produzentin veräußerbarer Objekte. Im Gegenzug formulierte Group Material die Bedeutung des – für das Kollektiv vor allem sozialen – Kontexts von Kunst, der entscheidend beeinflusst, wie sie wahrgenommen wird. Exemplarisch sei auf The People’s Choice (Arroz con Mango) aus dem Jahr 1981 verwiesen, für welches die Gruppe Bewohnerinnen aus der Nachbarschaft ihrer Lower East Side Gallery in New York einluden, eigene Gegenstände aus ihren Häusern und Wohnungen zu bringen, die dann die gesamten Wände der Galerie bedeckten. Die etwa 100 Objekte wurden nicht geordnet, sondern in der Reihenfolge arrangiert, in der sie nacheinander im Galerieraum eintrafen. Labels wiesen die Besitzerinnen aus und waren teilweise mit persönlichen Geschichten zu den Objekten versehen. Die Zusammenstellung der Gegenstände vermittelte ein Bild des von Bewohnerinnen aus Lateinamerika geprägten Viertels und brachte diesen Kontext in den Ausstellungsraum. Group Material warf die Frage auf, was als ausstellungswürdig gilt und wie ein institutioneller Rahmen einen Gegenstand transformiert, wenn er seiner ursprünglichen Umgebung entzogen wird. Zur Disposition stand die Frage nach der Macht der musealen Aneignungsgeste. Darüber hinaus definierte Group Material Gemeinschaft – hier: die nebeneinander lebenden Menschen – nicht als anonyme Gruppe, sondern durch namentliche Nennung und Hintergründe als persönliche und individuelle Zusammenkunft. Für Group Material dienten »Installationen als materieller Anlass beziehungsweise Mittel, um einen kritischen Diskurs zu befördern, der sich an Gruppierungen außerhalb des historischen Geltungsbereichs des Kunstbetriebs wandte oder diese miteinbezog.«62 Statt der Produktion von Kunstwerken interessierte Group Material eine partizipatorische und diskursive Praxis. Zusammenfassende Beobachtungen Die Protagonistinnen dieser nachträglich als Gründungszeit der Institutionskritik bezeichneten Phase waren allesamt Künstlerinnen, wohingegen in späteren Phasen auch Kuratorinnen und Kunstinstitutionen selbst kritisch agieren. In der Gesamtschau der analysierten Beispiele der ersten Phase werden gemeinsame Ziele der besprochenen Künstlerinnen sichtbar:

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Vgl. Ebd. Pamela M. Lee (2015): Etwas demonstrieren. In: Matthias Michalka (Hg.), to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer. Künstlerischer Praktiken um 1990. Köln: Walther König, S. 42.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

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die Macht des Ausstellungsraums und der Museumsarchitektur aufzudecken; den institutionellen Rahmen mit seinen Selektions-, Appropriations- und Neutralisierungsmechanismen zu entlarven; Rassismen und Ungleichheiten in der institutionellen Praxis aufzuzeigen; die semantische Macht des institutionellen Vokabulars subversiv zu appropriieren; kulturpolitische, gesellschaftliche, ökonomische und politische Einbettungen bzw. Verstrickungen der Institutionen bloßzulegen; auf die Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen aufmerksam zu machen und institutionelle Personal- und Entscheidungsstrukturen offenzulegen.

Die Künstlerinnen der ersten Generation hinterfragten mit ihren Interventionen die Bedingungen ihrer eigenen Arbeit sowie die ökonomischen und ideologischen Rahmenbedingungen des Museums. Sie wollten diese Rahmenbedingungen gleichzeitig subvertieren und ihnen entkommen.63 Dabei stiessen sich auf ein Paradox, dass uns in der weiteren Entwicklung der Institutionskritik begleiten wird: Die realisierten Projekte waren an das Einverständnis und Wissen der Institution und ihre Repräsentanten gebunden. Es war die Institution, welche die Kritik erst ermöglichte. Interlude: Louise Lawler Einige institutionskritische Projekte ordnen sich zwischen den als Phasen bezeichneten Konjunkturen ein. Zu ihnen gehören die Arbeiten Louise Lawlers. Sie begann in den frühen 1980ern mit den heute mit ihr assoziierten Arbeiten. Ihr Hauptmedium war die Fotografie, die sie mit Materialkunst und Installationsarbeiten ergänzt. Nach ihrer ersten Einzelshow 1982 sorgte sie mit Living Room Corner, Arranged by Mr. & Mrs. Burton Tremaine, New York City (1984) für Furore: In der fotografischen Serie zeigte sie Details aus der privaten Displaysituation des im Titel genannten Sammlerehepaars Tremaine. Lawlers Werk offenbarte wie die Kunstwerke der Privatsammlerinnen in ihrem Zuhause inszeniert und gehängt waren; in welcher alltäglichen Umgebung sie rezipiert werden. So bildete eine der Fotografien eine Raumecke ab: Hinter dem angeschalteten Fernseher hängt ein Werk Robert Delaunays. Auf einem Tisch neben dem Sofa befindet sich eine Skulptur Roy Liechtensteins. Lawler erstellte mit der Serie einerseits ein Porträt der beiden Sammlerinnen. Andererseits reflektierte sie Präsentationsmodi und die Bedeutungsverschiebung von Kunstwerken, sobald sie aus dem Studio in andere Kontexte wechseln. Indem sie diese spezifische Ausstellungssituation wiederherstellt, negierte sie die vorgebliche Neutralität von Museumsdisplays. Andrea Fraser erkannte in ihrem Aufsatz In and out of place:64 Lawler impliziert mit ihren Fotografien, dass es keine wertfreie Präsentation von Kunst geben kann. Mit dem Zusatz ›Arranged by Louise Lawler‹ versehen, verweist sie auf die Abhängigkeit ihrer Projekte von denen anderer Künstlerinnen. Sie bricht mit einem von Originalität und Autorschaft geprägten Kunstbegriff, der Künstlerinnen als Produzentin-

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Vgl. Brian Holmes (2009): Extradisciplinary Investigations: Towards a New Critique of Institutions. In: Gerald Raunig und Gene Ray (Hg.), Art and Contemporary Critical Practice. Reinventing Institutional Critique. London: MayFleeBooks, S. 62. Fraser (2009a [1985]).

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nen von ästhetischen Objekten positioniert. Lawler untersucht die Beziehung KunstKünstlerin-Institution, bleibt aber in demselben Kontext gefangen, da sie weiterhin in traditionellen Ausstellungssituationen gezeigt wird.65 Die Wirkung ihrer Werke verbleibt auf einer dekuvrierenden Ebene, in dem die Künstlerin Ausstellungssituationen mit ausstellt.

3.1.4.

1980er und 1990er: Die zweite Phase der Institutionskritik

Indem Künstlerinnen anfingen, ihre kritischen Strategien auf die musealen Praktiken des Sammelns, Vermittelns und Ausstellens zu richten, läuteten sie die zweite Phase der Institutionskritik ein. Der Beginn wird üblicherweise Ende der 1980er verortet, obwohl die erwähnten Strategien bereits mit dem Jahr 1985 prominent eingesetzt wurden.66 Künstlerinnen waren sich ihrer eigenen Rolle in der steten Perpetuierung des Systems bewusst geworden und führten einen thematischen Wandel in der Institutionskritik an. Sie befragten ihre Rolle und ihr Involviert-Sein in institutionelle Bedingungen. Die Projekte dieser Phase widmeten sich vorwiegend dem institutionellen Rahmen und weniger der Institution als materiellem Gebäude. Als Folge der sich ausdehnenden Vorstellung, was Institution umfasst, suchten sie nach alternativen institutionellen Räumen.67 Die Kritik an Institutionen war zu einer Kritik an der Repräsentation durch Institutionen geworden.68 Adrian Piper, eine der institutionskritischen Protagonistinnen, holte die Künstlerin aus ihrer Vorstellung als ›Opfer‹ des Systems, das sich den Bedingungen ergeben muss. Piper schreibt KünstlerInnen stattdessen Mitverantwortung zu, sie seien »MitspielerInnen, die Taktiken zur Verfolgung unserer [der Künstlerinnen, Anm. FB] höchst eigenen Interessen planen und ausführen.«69 Die zweite Generation institutionskritischer Akteure stieß sich wie ihre Vorgängerinnen an der institutionellen Deutungsmacht. Künstlerinnen setzten sich gegen die institutionelle Autorität zur Wehr, die in musealen Tätigkeiten zum Tragen kommt. Welche Werke sich in einer Sammlung befinden, in Ausstellungen zu sehen sind und über welche Arbeiten wie in der Vermittlung gesprochen wird – auf diese Weise entscheiden Kuratorinnen und Museen, wie sichtbar Kunstschaffende im Feld sind.70 Es liegt in ihrer Hand, Künstlerinnen in den kunsthistorischen Kanon aufzunehmen oder sie von ihm auszuschließen. Die Institution wird durch diese Prozesse mit semantischer Macht ausgestattet, die den Zugang zur Institution regelt und bestimmt, wer sich darin wie ausdrücken darf. 65 66 67 68 69

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Fraser zwei Formen von Kritik: symbolische und subversive. Erstere findet innerhalb der Institution Kunst statt, letztere außerhalb. Vgl. Fraser (2009a [1985]). Vgl. Forschungsstand in Kapitel 1.4. Hier kommt der zweigeteilte Institutionsbegriff zum Tragen. Siehe dazu Kapitel 2.1.1. Vgl. Steyerl (2006). Adrian Piper (2001 [1996]): Einige Überlegungen zum politischen Charakter dieser Situation. In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 81. Somit beschäftigen sich die Projekte dieser Kategorie mit den ›klassischen‹ Aufgaben des Museums. ›Klassisch‹ ist hier im Sinne der von ICOM definierten Aufgaben des Museums gemeint, die nach wie vor als Referenz dafür gelten, was ein Museum heute ist.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Im Folgenden stelle ich einige der häufig referenzierten Beispiele der zweiten Phase der Institutionskritik vor und versammle mit ihnen die essenziellen Fragen der Institutionskritik zu dieser Zeit. Jimmie Durham: On Loan from the Museum of the American Indian (1985) Der Bildhauer Jimmie Durham, Nachfahre amerikanischer Ureinwohner, rügte in On Loan from the Museum of the American Indian die exkludierenden Sammlungspraktiken amerikanischer Museen. Museen verschrieben sich dem Anspruch, ein nationales Narrativ abzubilden, würden dabei aber zwangsläufig – Neuankäufe werden ja vielfach von Kuratorinnen oder Direktorinnen getätigt – subjektiv vorgehen. Durhams Fokus lag auf den institutionellen Narrativen von ›Nation‹, wie sie seit dem Wechsel ins 20. Jahrhundert vom Museum als Repräsentationsort der bürgerlichen Gesellschaft konstruiert wurden. In seinem Werk parodierte er Museumsdisplays, indem er selbst angefertigte und gefundene Objekte als »sociofacts«71 und »scienefacts«72 verpackte, welche die Vorstellung vom edlen Wilden auf den Kopf stellen. Durham zählte sich selbst zu einer Minderheit von Künstlerinnen, die sich in Museen nicht genügend repräsentiert fühlten und ihnen vorwarfen, ihre Agenda zu sehr zu beschränken. Institutionskritik als Repräsentationskritik – Durham trifft damit einen Kern der Kritik zu jener Zeit. Guerrilla Girls (1985) Ebenfalls im Jahr 1985 gründeten sich die Guerrilla Girls, denen die ungleichmäßige Repräsentation bestimmter Akteure im Kunstfeld ein Dorn im Auge war. Die Gruppe formierte sich als Antwort auf die Ausstellung An International Survey of Recent Painting and Sculpure (1984) am MoMA in New York. Von 169 ausgestellten Künstlerinnen waren hierbei weniger als zehn Prozent weiblich. Im Sinne der feministischen Bewegung, die in den 1970ern ihren ersten Höhepunkt erreichte, begannen die anonym operierenden, mit Gorilla-Gesichtern maskierten Gruppenmitglieder Plakate zu entwerfen, welche die Dominanz männlicher Künstler im Kunstfeld offenlegten. Dafür verantwortlich gemacht wurden die patriarchalen Institutionsstrukturen. Die Gruppe ist bis heute aktiv: Die feministischen Kunstaktivistinnen arbeiten in wechselnden Besetzungen und entblößen in ihren Performances, Aktionen und Ausstellungen Vorurteile im Kunstbetrieb, die auf Geschlecht und Ethnizität sowie korrupten Beziehungen zu anderen Gesellschaftsbereichen beruhen.73 Um endgültig eine alternative Lesart der Kunstgeschichte zu manifestieren, publizierten die Guerrila Girls 1989 den Band The Guerrilla Girls’ Bedside Companion to the History of Western Art. Im Untertitel des Buches – Bedside Companion: Bettgefährten – wird deutlich, dass Humor und ironische Überzeichnungen ihre Praxis kennzeichnen. Zudem läuteten sie ein neuerliches Interesse an Strategien ein, die sich gleichzeitig als aktivistisch und künstlerisch verstanden. 71

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Susan Canning (1998): Jimmie Durham. Interviewed by Susan Canning. In: Glenn Harper (Hg.), Interventions and Provocations: Conversations on Art, Culture, and Resistance. Albany: State University of New York Press, S. 41. Ebd. Vgl. Selbstbeschreibung der Gruppe auf ihrer Homepage. Guerrilla Girls (2017): About – our story. Homepage der Guerrilla Girls. Verfügbar unter https://guerrillagirls.squarespace.com/our-story/[Zugriff: 18.04.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Andrea Fraser: Museum Highlights (1989) Andrea Frasers Museum Highlights ist eines der Projekte, das häufig im Diskurs referenziert wird.74 Fraser führte am Philadelphia Art Museum als fiktive Vermittlerinnenfigur Jane Castleton eine Mischung aus Performance und dem beliebten Format der ›Highlights‹-Führung durch. Statt wie im Titel des Projekts angekündigt die Meisterwerke der Sammlung vorzustellen, parodiert sie das kunstvermittlerische Format und präsentiert Museumselemente, die sonst nicht beachtet werden. Sie verweist auf Feuerlöscher, Notausgänge, den Museumsshop und die Toiletten. Ihre Sprechtexte setzen sich aus Zitaten zusammen, die Fraser Museumsbroschüren, Rezensionen und Büchern entlehnt hatte. In ihrer vortragsartigen Performance geht sie auf die im Museum wirksamen Machtstrukturen und die Deutungshoheit ein, die qua institutioneller Position Vermittlerinnen verliehen ist. Fraser wies implizit darauf hin, dass öffentliche und institutionelle Akteure die von der Institution vorgeschriebenen Regeln und Verhaltensweisen verinnerlicht haben und sie damit zu einer gewohnheitsmäßigen Praxis erhoben. Während die Regeln teilweise bewusst umgesetzt werden, werden viele Aktivitäten unabsichtlich ausgeführt. Fraser macht darauf aufmerksam, wie Museen ihren Besucherinnen ›den richtigen‹ Blick beibringen – das Publikum lenkt und bestimmt, was wahrzunehmen und somit bedeutungsvoll ist.75 Indem die Künstlerin das Blickregime aufdeckte, legte sie den Grundstein für eine kritische Vermittlungspraxis, die ihre eigenen Arbeitsbedingungen befragt, sich nicht an die institutionellen Erwartungen anpasst und sich dagegen wehrt einseitig Wissen weiterzugeben. Was passierte nun in diesem Format? Der einen Hälfte der Besucherinnen war Fraser bekannt, sie war gekommen, um explizit einer künstlerischen Performance beizuwohnen. Der andere Teil erwartete eine ›normale‹ Führung – affirmativ gegenüber der Institution, Wissensvermittlung im monologischen Format. Diese Hälfte des Publikums war nicht darauf eingestellt, etwas anderes als kunsthistorisch fundierte Informationen zu Strömungen und Kunstwerken zu erhalten. Diese Besucherinnen irritierte Fraser, indem sie zeigte, wie in Museumsführungen das Gewöhnliche in etwas Bedeutsames umgewandelt wird. Sie verdeutlichte dabei, dass diese Bedeutungsaufladung kontingent und mitunter absurd anmutet. Martha Rosler: If You Lived Here (1989) Martha Rosler nahm in ihrem dreiteiligen Ausstellungsprojekt If You Lived Here eine ähnliche Doppelrolle wie Fraser ein. Die Ausstellungen fanden in der DIA Art Foundation statt und je eine Schau widmete sich Fragen des Wohnungsbaus, der Obdachlosigkeit und Gentrifikation in ihrem Wechselverhältnis mit dem Immobilien- und Kunstmarkt in New York City, die schon Hans Haacke thematisierte.76 Rosler beabsichtigte, die von

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Interessanterweise hat Kunsttheoretiker Simon Sheikh sogar darauf reagiert, indem er einen Letter to Jane (Investigation of a Function) geschrieben hat. Vgl. Simon Sheikh (2010): Letter to Jane (Investigation of a Function). In: Paul O’Neill und Mick Wilson (Hg.), Curating and the Educational Turn. London/Amsterdam: Open Editions/de Appel, S. 61-75. Das Museum als Blickschule und Ort der Disziplinierung im Foucault’schen Sinne rückte dann ab Mitte der 1990er zunehmend in den wissenschaftlichen Fokus beispielsweise bei Bennett (1995). Siehe Kapitel 3.1.3. für eine Beschreibung des Projekts Haackes.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

der unausgeglichenen städtischen Sozialpolitik Betroffenen zu ermächtigen und sie zur Sprache kommen zu lassen.77 Die Installationen umfassten vielfältige Medien: Videopräsentationen, Leinwände, Plakate, Fotokopien, Pläne, Dokumente und Texte von Künstlerinnen, aber auch von Autorinnen, Obdachlosen, Schulkindern und Bürgerguppen.78 Statistiken und Graphiken der Wohnungspolitik in New York und den USA sowie vergrößerte Makleranzeigen ergänzten die Displays. Etwa 200 Beteiligte arbeiteten gemeinsam an dem Projekt. Gerahmt wurden die Ausstellungen, die über vier Monate zu sehen waren, von vier offenen Foren und Leseräumen, in denen verschiedene Beteiligte über die in den Materialien aufgeworfenen Probleme debattierten.79 Die Themen der drei Schauen spiegelten sich auch in der Szenografie des Leseraums wider: Für die erste Ausstellung Home Front bestand sie aus einer Sitzecke mit Teppichen und Sofa; in der zweiten Schau Homeless: the Street and other Venues war der Raum durch Bettenreihen – ähnlich einer Obdachlosenunterkunft gestaltet; für City – Visions and Revisions fanden sich dort Schreibtische und Stühle. In ihrer Rolle als freelance-Kuratorin nutzte Rosler den Zugang zur Institution, um sie als diskursive Plattform zu etablieren und ihrer Ansicht nach wichtigen Fragen die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen. Sie entwarf den Museumsraum als sozialen Raum, in dem sich Menschen begegnen und über gesellschaftliche Themen austauschen. Indem Rosler nicht allein Kunstwerke ausstellte, wandte sie sich an ein breites, heterogenes Publikum, das sich sonst nicht von den Ausstellungen der DIA Art Foundation angesprochen fühlte und beteiligte es am Prozess der Wissensproduktion. Die Künstlerin positioniert das Ausstellungshaus als Bühne für soziopolitische Fragen – eine Praxis, die in den 1990ern im Zuge der relational aesthetics und socially engaged practices an Relevanz gewann und auch für Akteure der aktuellen Institutionskritik eine prominente Strategie darstellt.80 Texte zur Kunst und October Anfang der 1990er rückte ein weiteres Medium in den Diskurs der Institutionskritik: Kunstzeitschriften. Diese schrieben wirkmächtig einen Kanon fest. Neben Reflexionen der Künstlerinnen wurden nun kunsttheoretische Auseinandersetzungen mit institutionskritischen Praktiken angereichert. Insbesondere zwei Organe legten den Grundstein für eine intensive Rezeption, die vor allem in Europa mit der Jahrtausendwende rasant an Tempo gewinnen wird: Texte zur Kunst und October. 77 78

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Für eine detaillierte Analyse des Projekts Roslers empfiehlt sich Nina Möntmann (2002): Kunst als sozialer Raum. Andrea Fraser, Martha Rosler, Rirkit Tiravanija, Renée Green. Köln: Walther König. Vgl. Projektbeschreibung auf der Homepage der Künstlerin. Martha Rosler (2017): If You Lived Here. Homepage von Martha Rosler. Verfügbar unter: www.martharosler.net/projects/here2.html [Zugriff: 25.04.2017] Vgl. Nina Möntmann: Martha Rosler, »If You Lived Here…,« 1989. In: Mousse Magazine 44, 3 (2014). Verfügbar unter: http://moussemagazine.it/taac3-a/. [Zugriff: 17.04.2017]. Den relational aesthetics ging es primär um eine Begegnung von Subjekten im institutionellen Raum während die socially engaged practices mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiten, aber der Ausstellungsraum weniger im Fokus stand, sondern die konkreten Anliegen der jeweiligen Teilnehmendengruppe. Im Kapitel der Fallstudien 4.6. werde detailliert auf aktuelle Beispiele institutioneller Praxis eingehen, die sich als socially engaged verstehen.

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In Köln, das sich in den 1990ern als wichtiges europäisches Kunstzentrum positioniert81 , riefen die beiden Kunstkritikerinnen Isabelle Graw und Stefan Germer Texte zur Kunst ins Leben. Die thematischen Ausgaben der Zeitschrift demonstrierten seit Beginn ein reges Interesse an Medienkritik, Feminismus und – Institutionskritik.82 In den Vereinigten Staaten bestand bereits die Zeitschrift October. Zu den Redakteurinnen gehörten neben Rosalind Krauss auch Hal Foster und Benjamin H.D. Buchloh. Letztere zwei haben sich intensiv mit Konzeptkunst und institutionskritischen Praktiken auseinandergesetzt. Dieses Interesse brachten sie in ihre herausgeberischen Tätigkeiten ein. Bezeichnend dafür waren die Ausgaben der October Files, eine Buchreihe, die sich den Oeuvres von Einzelkünstlerinnen zuwendeten. Voraussetzung war, dass die jeweiligen Akteure – so schrieb es der Herausgeber – das Verständnis von Kunst grundlegend verändert haben und eine ernsthafte, kritische Auseinandersetzung in Form von Publikationen nach sich gezogen haben.83 Unter den Buchtiteln finden sich einige der bekannten Namen im Aktionsfeld der Institutionskritik wie Michael Asher, Hans Haacke, John Knight und Louise Lawler. Fred Wilson: Mining the Museum (1992) Fred Wilsons Projektreihe Mining the Museum ist ein ›Evergreen‹ der Institutionskritik. Das Contemporary Museum und die Maryland Historical Society (MHS) in Baltimore kollaborierten mit dem Ziel, ihre Darstellung und Erzählung von Geschichte zu hinterfragen und zu verändern. Die Neuinterpretation sollte die kulturelle Diversität der lokalen Gemeinschaft reflektieren. Auf Vorschlag des Contemporary Museum lud die MHS Fred Wilson ein, die dortigen Displays umzugestalten. Wilson war zuvor als Vermittler in historischen Museen tätig und nutzte seine Erfahrung, um traditionelle Methoden des Ausstellens und Zeigens umzukehren. Er erhielt vollen Zugang zu den Sammlungen und entwickelte eine Ausstellung, in der die eigentliche Geschichte des Objekts weniger eine Rolle spielte als ihr symbolisches Potenzial. Wilson nutzte Gegenüberstellungen, teilweise zynische und krude Zusammenstellungen von Objekten, die er aus ihren alten Kontexten löste und somit neu interpretierte. Silberpokale fanden sich neben Handschellen wieder unter dem Titel Metallarbeiten 1793-1880, Sklavenaufstände wurden mit Puppenhäusern nachgestellt, Ku-Klux-Klan-Masken in Kinderwägen platziert. 81

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Seit der Etablierung des Kölner Kunstmarkts 1967, hat sich Köln neben Berlin zu einer der dynamischsten Kunststädte Deutschlands entwickelt. Zahlreiche Galerien, Museen, Messen sowie alternative Kunsträume und bekannte Gegenmessen wie Messe 2ok, dem kuratorischen Projekt von Alice Creischer und Andreas Siekmann, prägten ihr Bild. Das Webarchiv aller Ausgaben offenbart diese thematischen Foki. Bereits die erste Ausgabe erschien unter dem Titel ›Avantgarde und Massenkultur‹, es folgten Hefte zu ›Cultural Politics‹ (1993), ›Feminismen‹ (1994), ›Ausstellungspolitik‹ (1996), ›Leerstelle Avantgarde‹ (1999), ›Ausstellungen: Vom Display zur Animation‹ (2001), ›Institutionskritik‹ (2005), ›Politische Kunst‹ (2010), ›Feminismus!‹ (2011) und ›The Canon‹ (2015), um eine Auswahl zu nennen. Vgl. für die vollständige Übersicht aller Ausgaben Texte zur Kunst (2017): Ausgaben. Homepage von Texte zur Kunst. Verfügbar unter: https://www.textezurkunst.de/issues/[Zugriff: 28.04.2017]. Vgl. den Einführungsparagraphen auf der Homepage der October Files MIT Press (2017): October Files. Homepage von MIT Press. Verfügbar unter: https://mitpress.mit.edu/books/series/octoberfiles [Zugriff: 28.04.2017]. Von ihrem Selbstverständnis ausgehend handelt es sich jeweils um Analysen des praktischen und theoretischen Diskurses, den eine Künstlerin ausgelöst hat.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Der Künstler wies auf die Tatsache hin, dass die Maryland Historical Society bis dato eine lange Tradition hatte, Native Americans, African Americans und Frauen in ihren Ausstellungsinhalten zu ignorieren und damit auszuschließen. Das Projekt galt zu seiner Zeit als revolutionär, da es einem Außenstehenden Zugang zur Sammlung gestattete und ihn über die Inhalte der Ausstellung frei bestimmen ließ. Wilson griff in das Programm sowie die Identität des Museums ein und gab den Blick auf Fragen bezüglich Deutungshoheit, Repräsentation und Zugänglichkeiten des Museums frei. Mit seiner alternativen Lesart der Sammlung hinterfragte er, wer im Museum sprechen darf und wer bestimmt, was zu sehen ist. Was sagen Lücken aus und inwiefern muss es eine vorgeschriebene Interpretation geben? Wilson verweigerte sich einer von der Institution autorisierten Auslegung der Ausstellung und ebnete den Weg für vielfältige Narrative. Er verwehrte sich gegen die historisch gewachsene Erwartung des Publikums, eine ›richtige‹ Lesart der Ausstellung vorzugeben und eröffnete Zugänge zu bisher im Lager verstaubenden Werken. Wilson instruierte die Vermittlerinnen nicht über seine Ideen hinter der Ausstellung und zwang sie damit, die Führungen und andere Vermittlungsformate frei zu improvisieren. Trotz der Kontroverse, die das Projekt unter anderem unter den Förderinnen der MHS auslöste84 , wiederholte Wilson es in ähnlicher Form auf Einladung in anderen Ausstellungshäusern wie dem Seattle Art Museum. Dem Publikum gefiel das Projekt, der Künstler resümiert: »Die Tatsache, daß ich ein Künstler in einer Institution bin, gibt dem Betrachter einen gewissen Spielraum, auf die Arbeiten zu reagieren.«85 Wilson spricht einen interessanten Effekt an: Kritische Projekte innerhalb von Institutionen scheinen von den Vertreterinnen der Institutionen einfacher akzeptierbar, wenn sie von Künstlerinnen kommen. Diese agieren unter dem Schutzmantel der künstlerischen Freiheit. Sie treten als »institutionelle Bauchredner«86 auf, so Isabelle Graw, und sind durch ihre scheinbare Außenposition legitimiert, Dinge zu zeigen und Experimente zu wagen, die mitunter von Kuratorinnen oder der Museumsleitung abgelehnt worden wären. Aus heutiger Sicht sind an Wilsons Projekt zwei essenzielle Kritikpunkte zu benennen: Zum einen handelt es sich um eine von der Institution initiierte Kritik an ihren Ausstellungstechniken. Künstlerinnen-als-Kuratorinnen Projekte kontrastieren die augenscheinliche Objektivität von Museumsdisplays, aber nur um eine subjektive Meinung durch einen anderen subjektiven Standpunkt zu ersetzen. Im Mittelpunkt steht der Wunsch des Museums, sich als selbstreflexiv zu präsentieren. Museen übertragen das mit einem solchen Projekt verbundene Risiko und entgehen auf diese Weise der Gefahr, dass sich eine dauerhafte kritische Praxis daraus entwickeln könnte. Zum anderen wirkt die Arbeit Fred Wilsons durch ihre Reproduktion an verschiedenen Orten weniger radikal und neu. Somit bietet sie zwar eine Lösungsmöglichkeit für das von der

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Vgl. Lisa G. Corrin (Hg.) (1994): Mining the Museum: An Installation by Fred Wilson. Baltimore (Maryland)/New York : The Contemporary/The New Press, S. 61, 69. Fred Wilson (2001): Gespräch mit Martha Buskirk. In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 126. Übersetzung von ›institutional ventriloquist« in Isabelle Graw: Field Work. In: Flash Art (1990): S. 137.

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MHS selbst identifizierte Ausschlussproblem, führt aber nicht zu einer längerfristigen Veränderung der Ausstellungspraxis der jeweiligen Häuser. Renée Green: Import/Export: Funk Office (1992) Die afro-amerikanische Künstlerin Renée Green nimmt in ihren Arbeiten historische und kulturelle Narrative in den Blick, wie sie von Museen vermittelt werden. Wie Wilson erkennt sie diese als Ausdruck von Machtverhältnissen. In Import/Export: Funk Office inszenierte sie ein multimediales Laboratorium im Museumsraum, das auf der Privatsammlung von Schallplatten und Büchern des Musikkritikers Diederich Diederichsen fußte und sich mit black culture beschäftigte. Green thematisierte am Beispiel der Hip Hop-Rezeption in Deutschland den Austausch zwischen amerikanischer und europäischer Kultur. Auf diese Austauschbeziehungen verweist auch der Projekttitel, den Green der Ökonomie entlehnte. In der Galerie Nagel in Köln errichtete Green eine Raum-in-Raum-Situation.87 Auf zehn Stahlregalen waren, einer offenen Bibliothek oder einem Archiv ähnlich, die Materialien angeordnet; versehen war die Installation mit einem Schild auf dem ›Collectanea‹ zu lesen war. Monitore im Innenraum der Installation zeigten Videos mit Personen, die über kulturtheoretische Themen, schwarze Musik, Hip Hop und deren interkulturelle Rezeption reflektierten. Green transportierte Fragen nach der eigenen Geschichte und Identität in den Ausstellungsraum und thematisiert Austauschprozesse zwischen Kulturen und wie Museumsdisplays diese mitgenerieren aber auch beeinflussen können. Sie konstruierte Identität und Kultur als diskursiv und relational, die Übersetzungsleistungen und -prozessen unterlegen sind. Andrea Fraser und Helmut Draxler: Services (1993) Seit den Anfängen der Institutionskritik sind die prekären Arbeits- und Produktionsbedingungen von Künstlerinnen Thema: Zu Beginn der 1990er forderten Museen vermehrt Projektarbeiten und speziell für Ausstellungen konzipierte Werke, die dem Einverständnis der Kuratorin ausgesetzt waren. Es schien üblich, inhaltlich in Werke einzugreifen und sie entsprechend den institutionellen oder kuratorischen Vorstellungen zu formen. Der praktische Umgang mit den Kunstwerken im Ausstellungsalltag missfiel den Künstlerinnen ebenso: Arbeiten wurden nicht pfleglich behandelt, ohne Einverständnis abgebaut oder – im Falle temporärer oder ortsspezifischer Werke – zerstört. Zugleich waren weder Honorare noch Aufwandsentschädigungen vorgesehen. Die Rolle als Gratis-Dienstleistende, angewiesen auf die institutionelle Zustimmung ihrer Aktivitäten, wurde zunehmend als Missstand empfunden. Doch die Künstlerinnen hatten die Aufträge auszuführen, sofern sie ausgestellt und somit exponiert sein wollten. Das Projekt Services im Kunstraum Lüneburg zeigte, was an diesem Umgang der Institutionen mit Künstlerinnen zu beanstanden ist: Dieses Verhalten beschränke Künstlerinnen

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Green wiederholte das Projekt in abgewandelter Form an der Whitney Biennial 1993 und im selben Jahr am Museum of Contemporary Art in Los Angeles, in dessen Sammlung das Werk anschließend verblieb.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

in ihrer Autonomie und hinterlasse sie mittellos und ausgebrannt – sie fühlten sich als Dienstleistende dem Gutdünken eines Kunden ausgeliefert.88 Nach dem Projekt-Auftakttreffen zwischen Michael Clegg, Mark Dion, Julia Scher und Andrea Fraser in New York im Herbst 1993, wurde ausgehend von den oben aufgeführten Problemen ein Fragebogen zusammengestellt, in dem 30 Künstlerinnen zu ihren präferierten Arbeitsbedingungen im Rahmen von Projektarbeit Stellung beziehen sollten. Daraus sollte eine Datenbank entstehen. Fraser und Draxler begannen derweil, Services als fortdauerndes Format zu konzipieren, um damit den Projektcharakter zu unterlaufen, den sie ja thematisierten. Die Teilnehmenden wollten sich regelmäßig treffen. Als Orte für die Treffen der Arbeitsgruppen waren Institutionen vorgesehen, deren Zielgruppe aus dem Kunstfeld stammt und die kein allgemeines Publikum haben. In Arbeitsgruppen diskutierten sie spezifische institutionelle Bedingungen und stellten sich gegenseitig dazu passende Projekte vor. Neben den Einzelgruppen planten alle Beteiligten gemeinsam Installationen mit historischen und damals aktuellen Materialien verschiedener Kunstschaffender. Zu diesen Arbeiten gehörten Dokumente über die Art Workers Coalititon, Hans Haacke, Michael Asher, Marcel Broodthaers, Daniel Buren und die Guerrilla Art Action Group. Einladungen, Korrespondenz oder Vertragsentwürfe gewährten Einblicke in den Arbeitsprozess zwischen Künstlerin und Institution. Das Projekt hob die andauernde Kritikwürdigkeit institutioneller Arbeitsbedingungen hervor. Zudem wurde die Selbstinstitutionalisierung kritischer Künstlerinnen thematisiert: Die beteiligten Akteure referierten auf ihre Vorgänger und stellten ihre Werke aus.89 Die involvierten Künstlerinnen wurden sich ihrer Position innerhalb der Institution bewusst und arbeiteten im Wissen, in sie integriert zu sein, damit aber unter jenen Bedingungen zu arbeiten, die sie kritisierten. Dies in einem Forum zu diskutieren, stellt Andrea Fraser retrospektiv als Ziel des Projektes dar.90 Sie resümiert, dass Services nicht zu greifbaren, praktischen Veränderungen geführt habe; es habe den Grundstein gelegt und ein Modell entwickelt, um an den vorgebrachten Problemen zukünftig zu arbeiten.91 Zudem leite es an, die Beziehung zwischen Institution und Kunst fortlaufend zu überdenken. Draxler und Fraser bezweckten mit ihrem Projekt, einen Rahmen vom Inneren der Institution Kunst heraus zu etablieren, um strukturelle Missstände anzusprechen und über ihre Veränderungen zu diskutieren. In dem Projekt setzt sich die Strategie der Künstlerin-als-Kuratorin fort, von der Institution legitimiert, sich mit einem Aspekt institutioneller Arbeit – in diesem Fall Projektarbeit für und in Ausstellungen – auseinanderzusetzen.

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Vgl. Andrea Fraser (1996): Services: Eine Arbeitsgruppen-Ausstellung. In: Beatrice von Bismarck, Diethelm Stoller et al. (Hg.), Games, Fights, Collaborations. Das Spiel von Grenze und Überschreitung. Stuttgart: Cantz, S. 94-97. Gleichzeitig ist kritisch anzumerken, dass die Beteiligten, in dem sie sich auf frühere Institutionskritikerinnen bezogen, einen bestehenden Kanon bekannter Künstlerinnen aufriefen, ihn verfestigten und sich mit Services selbst in diesen einschrieben. Vgl. Fraser (1996), S. 96. Vgl. Ebd.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Andrea Fraser: Project in Two Phases (1994) Andrea Fraser erhielt im April 1994 von der EA-Generali Foundation den Auftrag für Project in Two Phases.92 Ausgangspunkt waren die internen Konflikte, die aus dem Aufbau einer Sammlung zeitgenössischer Kunst in dem Unternehmen resultierten. Die Kuratorinnen trugen an Fraser den Wunsch heran, diesen Spannungen zu begegnen. Die Künstlerin hatte bereits im Jahr zuvor ein Konzept Preliminary Prospectus for Corporations entwickelt, in dem sie eine Dienstleistung für mögliche Auftraggebende – in diesem Fall Unternehmen – vorgesehen hat. Das Konzept sah zwei Projektphasen vor, auf denen entsprechend Project in Two Phases aufbaute. In der ersten Phase des Projektes sammelte Fraser Informationen über die Stiftung und die EA-Generali Gruppe Österreich. Zwischen Mai 1994 und Januar 1995 führte sie vierzehn Einzelinterviews mit Mitgliedern des Präsidiums, des Vorstandes und des Kunstbeirates sowie Angestellten der Generali Foundation und Betriebsräten der Generali. Zusätzliches Material trug Fraser aus verschiedenen Abteilungen und dem Archiv der Stiftung zusammen. Ende April 1995 schloss die Künstlerin die erste Phase mit einem Bericht ab, in dem sie die Ergebnisse ihrer Untersuchung vorstellte und sie um statistische Grafiken, Informationen und Dokumente aus den Interviews ergänzte. Mit der Recherche untersuchte Fraser die Funktion von Kunst für das Unternehmen und das gespannte Verhältnis der Mitarbeiterinnen zur Sammlung. Der abschließende Bericht umfasste entsprechend die Teile »Öffentlicher Imagetransfer/Symbolischer Gewinn« und »Kunst und Unternehmenskultur/Symbolische Macht.«93 Der Bericht war in erster Linie zur internen Verwendung bestimmt. Eine Veröffentlichung lag im Ermessen der Generali Foundation. Die unmittelbar daran anschließende zweite Phase des Projektes konzipierte Fraser als Intervention in Bezug auf die in ihrem Bericht beschriebenen Ergebnisse. Zum einen organisierte sie eine Podiumsdiskussion, die fragte »Warum sollen wir uns mit Kunst beschäftigen?« Zum anderen nahm die Künstlerin n der Generaldirektion eine ›negative‹ Installation vor und entfernte alle Werke der eigenen Sammlung, die im Firmengebäude präsentiert waren. Diese Stücke wurden im neuen Ausstellungshaus der Stiftung installiert, wobei die dortige Hängung die ursprüngliche Platzierung in der Generaldirektion spiegelte. Fraser überführte die ›Rangfolge‹ der hierarchisch organisierten Direktion in ein horizontal-serielle Hängung im Ausstellungsraum. Nach dem Ende der Ausstellung wurden die Werke in das Firmengebäude zurückgebracht. Bei dem Projekt handelte es sich um eine erwünschte Kritik von Seiten der EA-General Foundation, die Fraser dem Auftrag entsprechend ausführte. Gleichzeitig parodierte sie diese Dienstleistung durch das vorab erstellte Konzeptpapier und nahm abermals eine Doppelrolle ein. Zusammenfassende Beobachtungen In der zweiten Phase der Institutionskritik setzten die Künstlerinnen thematische Stränge fort und fügten gleichzeitig dem Repertoire weitere Kritikpunkte hinzu. Die Arbeiten verfolgten das Ziel, 92 93

Für eine detaillierte Besprechung von Frasers Projekt empfiehlt sich Möntmann (2002). Andrea Fraser und EA-General Foundation (1995): Bericht EA-General Foundation. Wien: EA-Generali Foundation.

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• • • • • • • • • •

alternative Sammlungsstrategien (dezentral, postkolonial) und selbstreflexive Sammlungspraktiken zu etablieren; Ein- und Ausschlussmechanismen im Zusammenhang mit Kanonisierungsprozessen zu enthüllen und sich gleichzeitig der eigenen Position und Involviertheit in die Institution gewahr zu werden; die patriarchalen Institutionsstrukturen aus feministischer Sicht aufzulösen; die prekären Arbeitsbedingungen im Kunstfeld zu reflektieren und die marktwirtschaftliche Produktionslogik anzuprangern; überholte Narrative von Identität, Nation und Kultur durch alternative Lesarten zu ersetzen; institutionelle Autorität durch polyphone und partizipative Projekte abzubauen; das Publikum als Mitproduzenten einzubeziehen und aktiv zu involvieren und das Sprechen in der und über die Institution neu zu verteilen sowie diskursive und soziale Praktiken als festen Bestandteil institutioneller Programme zu etablieren.

In der zweiten Phase setzten die Akteure inhaltliche Stränge ihrer Vorgängerinnen fort, weiteten sie aus und vertieften sie. Von zwei unabhängigen Phasen zu sprechen, scheint obsolet. Auch die geschilderten Projekte kritisierten die Arbeitsbedingungen im Kunstfeld. Die Selektionsmechanismen der Institution und ihre Macht, Objekte beund umzuwerten standen weiterhin in der Kritik. Gleichzeitig entwarfen die Akteure Alternativen zu etablierten institutionellen Praktiken statt nur das Fehlverhalten der Kunstinstitutionen aufzudecken. Zentral war nun, dass Künstlerinnen ihre eigene Position innerhalb des Systems reflektierten und sich bewusst geworden waren, wie sie die Bedingungen reproduzieren, gegen die sie sich wendeten. Aus den gesammelten Beispielen differenziert das nachfolgende Kapitel verschiedene Funktionen, die institutionskritische Projekte einnehmen können.

3.2.

Funktionen der Kritik

Im folgenden Kapitel geht es darum zu zeigen, welche Funktionen institutionskritische Praktiken in Bezug auf die Institution einnehmen können. An einer systematischen Übersicht zu den Funktionen von Institutionskritik mangelt es bisher. Ich erstelle eine solche, gestützt auf die von Carmen Mörsch vorgeschlagene Einteilung der Funktionen von Kunstvermittlung.94 Diese Kategorisierung eignet

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Mörsch war gemeinsam mit Ulrich Schötker für das Vermittlungsprogramm der documenta 12 zuständig. Ein Forschungsprojekt, an der Carl-Ossietzky-Universität Oldenburg angegliedert, begleitete die Konzeption und Durchführung des Programms wissenschaftlich und führte eine kontinuierliche, parallele Evaluation durch. Die beteiligten Vermittlerinnen beobachteten und analysierten ihre eigene Praxis. Ein Ergebnis ist die von Mörsch vertretene Matrix der Funktionen der Kunstvermittlung, die sie zunächst als vier Diskurse bezeichnete. In späteren Publikationen wieZeit für Vermittlung wendete Mörsch sie an und baute sie weiter aus. Vgl. Mörsch und Holland (2012).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

sich für die Kritik, da Mörsch sie aus institutioneller Perspektive, auf die Institution bezogen, entwickelt. Mörsch differenziert zwischen einer affirmativen und einer reproduktiven Funktion von Vermittlung sowie zwischen drei kritischen Wirkungen der Vermittlung: • • •

der dekonstruktiven, der reformativen und der transformativen.

Diese kritischen Wirkungen haben die Institution zum Gegenstand und weisen somit eine inhaltliche Nähe zu den institutionskritischen Praktiken auf, um die es in der vorliegenden Studie geht.95 Die Rekonstruktion von Mörschs Matrix fokussiert daher als Orientierungsrahmen auf diese als kritisch identifizierten Funktionen.96 Die vorangegangene Analyse des institutionskritischen Diskurses ergab, dass Mörschs Kategorien jedoch nicht alle Praktiken der Institutionskritik zu fassen vermögen. Daher leite ich, mit Rückblick auf das vorgehende Kapitel, zwei weitere Funktionen ab und ergänze Mörschs Spektrum um • •

destruktive und kooptiert-affirmative Kritiken.

Nachfolgend stelle ich die fünf Funktionen mit den dazugehörigen Strategien vor. Wichtige Erkenntnisse und die durch die Strategie bearbeiteten Themen führe ich mit Beispielen aus der künstlerischen Praxis zusammen.

3.2.1.

Dekonstruktive Kritik: Strategien der Enthüllung und des kritischen Hinterfragens

Institutionskritische Praktiken dekonstruieren in vielen Fällen wie Kunstinstitutionen und das System disziplinierend wirken. Dekonstruktive Projekte knüpfen an die kritische Museologie an, die sich seit den 1960ern ausgebildet hat.97 Diese Praktiken beziehen mitunter Tätigkeiten der Kunstvermittlung mit ein, stellen die Grenzen zwischen den Arbeitsfeldern Kuratieren und Vermittlung in Frage und arbeiten an der Auflösung dieser Grenze. Den Akteuren ist daran gelegen, Probleme und Schwachstellen aufzudecken und sie für andere sichtbar zu machen. Als zentrales Anliegen der Institutionskritik, welches die Unzufriedenheit mit den vorherrschenden und etablierten Strukturen

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Mörsch argumentiert, dass kritische Kunstvermittlung nicht mehr der ›Counterpart‹ der kuratorischen Praxis sei: »Es zeichnet sich die Möglichkeit ab, dass kritische Kurator_innen, Künstler_innen und Vermittler_innen beginnen, am gleichnamigen Strang zu ziehen und die ›kritische Reaktion‹ […] zu realisieren«. Carmen Mörsch (2012): Sich selbst widersprechen. Kunstvermittlung als kritische Praxis innerhalb des educational turn in curating. In: ARGE Schnittpunkt, Beatrice Jaschke et al. (Hg.), Educational turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Wien: Turia + Kant, S. 69. Vgl. Mörsch (2009a), S. 13. Vgl. Ebd., S. 10. Siehe dazu der Forschungsstand in Kapitel 1.4.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

zum Ausdruck bringt, bildet die dekonstruktive Strategie die Grundlage vieler Praktiken der Institutionskritik. Zentrale Mittel der dekonstruktiven Kritiken sind die Enthüllung und das kritische Hinterfragen. Enthüllende Praktiken zeigen einerseits auf, wie Markt- und Machtmechanismen das Verhalten von Besucherinnen und Künstlerinnen sowie die Zugänglichkeit zur Institution regeln.98 Ideologische und ökonomische Verstrickungen werden ebenso erkennbar wie immanente Widersprüche. Andererseits reflektiert und diskutiert das kritische Hinterfragen gemeinsam mit dem Publikum vorgefundene Bedingungen. Entsprechende Projekte regen an, alternative Narrative zur von der Institution vorgegebenen und autorisierten – trotzdem nicht minder subjektiven – Lesart der vorgestellten Themen zu entwickeln. Gleichzeitig unterminieren beide Strategien Arbeitsweisen oder Abläufe. Störungen werden als künstlerisches Prinzip kultiviert. Mögliche Maßnahmen umfassen • • •

aktive Eingriffe in Displays oder Objektkonstellationen, die ein neues Licht auf bekannte Sammlungsgegenstände werfen. Labels, die den ausgestellten Stücken hinzugefügt werden und sie kommentieren. Alltagsobjekte, die neben Kunstwerken ausgestellt sind und zu bedenken geben, wie Museen Gegenstände mit Wert versehen und sie ihrem eigentlichen Funktions- und Gebrauchszusammenhang entziehen.99

Exponieren als Bedingung der Möglichkeit von Veränderung Der museumsübliche Habitus – leise sprechen, langsam herumschreiten und in stiller Kontemplation über die ausgestellten Werke versinken – tritt ebenso wie die dadurch eingeübte, vom Museum vorgegebene Blickführung in den Fokus. Bildungs- und Kanonisierungsprozesse werden (mit dem Publikum) kritisch hinterfragt.100 Inhalte, Methoden der Darstellung und Präsentation sowie die implizierten Adressatinnen von Museen im Allgemeinen und Displays im Besonderen werden aktiv zur Debatte gestellt und überprüft: • • •

Für wen ist das Museum eigentlich? Wessen Geschichten werden von wem erzählt? Wie hat man sich im Museum zu bewegen – und muss das so sein?

Dies sind nur einige ausgewählte Fragen, auf deren Grundlage die autoritäre und autorisierte Institution befragt wird.101

Vgl. Anna Cutler: Who will sing the song? Learning beyond institutional critique. In: Tate Papers, 19 (2013). Verfügbar unter: www.tate.org.uk/research/publications/tate-papers/19/who-will-singthe-song-learning-beyond-institutional-critique [Zugriff: 16.05.2014]. Vgl. James Meyer (1993): What happened to the Institutional Critique? In: Peter Weibel (Hg.), Kontext Kunst. Köln: Dumont, S. 239-256. 99 Vgl. Mouffe (2014), S. 150. 100 Vgl. Mörsch (2009a), S. 10. 101 Vgl. Ebd., S. 13. 98

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Mit dem Publikum als Komplizin das Museum hinterfragen Dekonstruktive Kritik deckt nicht nur mögliche Lücken oder Brüche in institutionellen Narrativen auf. Sie entwickelt alternative Handlungsmuster, als ›Probehandeln‹ verstanden, um sich von tradierten Rollenvorstellungen zu lösen, die das Publikum in einen passiven Konsummodus versetzen. Die Institution zu dekonstruieren bedeutet, bestehende Machtgefälle zu zerlegen, das Publikum und andere Akteure des Feldes zu aktivieren. Es gilt, Handlungsräume auszutesten und schrittweise auszuweiten. Ein vielstimmiger Dialog untergräbt die Deutungsmacht der Institution. Die Akteure dekonstruktiver Kritik begeben sich dafür in die kritisierten Strukturen hinein, um von dort aus auf Seiten des Publikums und der Institution Kritikfähigkeit zu entwickeln.102 Hier zeichnet sich eine Veränderung der Akteure ab: Das Publikum ist involviert, verändert seine Rolle und arbeitet komplizenhaft mit den Künstlerinnen zusammen. In der Folge etablieren sich zunehmend partizipative und diskursive Projekte der Institutionskritik. Formate der dekonstruktiven Institutionskritik spielen sich innerhalb der Institution ab. Als eingeladene, erlaubte und erwünschte Kritik bearbeitet sie zwar die Toleranzgrenze der Institution, verbleibt aber in dem von ihr gesteckten Handlungsfeld. Zudem besteht die Gefahr, dass die dekonstruktive Kritik sich selbst genügt und in einem Loop der Selbstreferentialität gefangenbleibt.103 Obgleich sie Kritik formuliert und mögliche Lösungsansätze diskursiv erarbeitet, werden die eigentlichen Bedingungen, um diese Lösungen zu realisieren, nicht in aller Konsequenz mitreflektiert.104 Indem Künstlerinnen die gouvernementalen Absichten der Institution exponierten, schufen sie die Voraussetzung, um über institutionelle Praktiken öffentlich zu diskutieren und Alternativen dazu zu entwerfen. Kleine, dynamische Eingriffe unterbrechen festgefahrene Abläufe, aber der Status Quo bleibt strukturell unangetastet. Projekte mit dieser Funktion versuchen das institutionelle Setting durch die Interventionen untergraben; die Protagonisten wollen das dominante System ändern, sodass »[…] somewhere down the line, the master becomes the slave […].«105 Damit wären die bisherigen Dominanzverhältnisse umgekehrt, aber nicht aufgelöst. Hans Haacke machte sich soziologische Methoden zu nutze und forderte das Publikum auf, Auskunft über sich selbst zu geben wie in Gallery Goers’ Birthplace and Residence Profile (1969). Haacke reiste zu allen in Manhattan als Wohnsitz oder Geburtsort markierten Orten und fotografierte eines der seiner Ansicht nach typischen Häuser an der jeweiligen Stelle. Er ordnete die Fotos auf einer horizontalen Linie an, entsprechend ihrer Entfernung von der Fifth Avenue, dem Standort des Solomon R. Guggenheim Museums an. Die meisten Bilder – und somit auch Besucherinnen – stammten aus der näheren Umgebung des Museums. Haacke verdeutlichte so, wie homogen das Publikum war und wie exkludierend das Guggenheim wirkte.

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Vgl. Ebd. Vgl Mörsch und Holland (2012), S. 116. Vgl. Ebd. Cutler (2013).

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Weitere Beispiele wären Michael Ashers ortsspezifische Eingriffe in institutionelle Räume und Architekturen.106 Er bringt die administrativen Vorgänge hinter den Kulissen von Galerien und Museen zum Vorschein.

3.2.2.

Reformative Kritik: Strategien der Optimierung und der Umgestaltung

Die reformative Funktion der Kritik ist selten zu finden. Sie wirkt direkter als die anderen Kritikformen. Bei ihr geht es darum, bestehende Strukturen zu verändern und zu verbessern.107 Kritikpunkte, beispielsweise dekonstruktiven Formaten entnommen, werden umgesetzt und die Institution dazu gebracht, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Häufig fokussieren diese Praktiken partizipative Formate mit dem Publikum. Mögliche Verbesserungsmaßnahmen im Sinne der reformativen Kritik sind108 : • • • • • • •

Inhalte von Ausstellungen anzupassen. Programme und Vermittlungsangebote zu adaptieren, um für bestimmte Publikumsgruppen zugänglicher zu sein. Die institutionelle Struktur zu erneuern, sie demokratischer und durchlässiger zu gestalten. Informationsflüsse einsehbar zu gestalten. Entscheidungsgewalt zu teilen. Planungsebene zugänglicher zu gestalten und Macht innerhalb der Institution zu verteilen.

Double agents: Bedingungen innerhalb des institutionellen Rahmens optimieren Die reformative Kritik nimmt konkrete Formen an und schlägt sich in sichtbaren Veränderungen nieder. Ein mögliches Ergebnis wäre eine polylogischere Stimme der Institution, die in höherem Maße verschiedene Meinungen einbezieht und sich mit immanenten Widersprüchen auseinandersetzen muss. Dennoch lässt sie die Institution an sich unangetastet und versucht, mit den gegebenen Bedingungen zu arbeiten, diese innerhalb des bestehenden Rahmens zu verbessern und zu erneuern. Eine solche Optimierung verlangt nach Insiderwissen zu den Funktionsweisen der Institution und einem bestehenden Zugang zur Entscheidungsund Programmebene. Entsprechend handeln die Akteure reformativer Praktiken zumeist aus dem Inneren der Institution oder sind mit ihr assoziiert – wie Künstlerinnen als Kunstvermittlerinnen, deren Position deshalb als »double agent«109 bezeichnet wird. Indem sie vom Inneren des Institution heraus wirken, stehen sie im Verdacht, die Institution »im Sinne neoliberaler Dienstleistungsökonomien affirmiert und aufgewertet zu haben.«110 Die künstlerische Arbeit wird dann als Dienstleistung am Museum gesehen, 106 107 108 109

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Für eine Beschreibung von Ashers Arbeiten siehe Kapitel 3.1.3. Vgl. Mörsch und Holland (2012)., S. 117. Vgl. Ebd. Bernadette Settele: Performing the Vermittler(in). In: Art Education Research, 1, 2 (2010): S. 3. PDF verfügbar unter: https://intern.zhdk.ch/fileadmin/data_subsites/data_ iae/ejournal/no_2/Art_Education_Research_1_2__Settele.pdf [Zugriff: 17.02.2017]. Buchmann (2006), S. 2.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

um es zu verbessern. Als Vorläuferin für eine reformative Praxis tritt Andrea Fraser mit ihrer Performance Museum Highlights und dem Project in Two Phases auf.111 Fred Wilsons Mining the Museum weist ebenso Züge reformativer Absichten auf.112

3.2.3.

Transformative Kritik: Strategien der Erweiterung und der Restrukturierung

Transformative Formen der Institutionskritik greifen ebenfalls auf Erkenntnisse aus dekonstruktiven Formaten zurück. Es gilt, die offengelegten Ergebnisse zu beeinflussen und zu transformieren. Ziel ist es, bisherige Funktionen der Institution zu erweitern und zu ergänzen113 und sie somit – ebenso wie das Verständnis von Institution und institutioneller Praxis – grundlegend zu verändern, sodass die Institution Gesellschaft, Politik und Kultur aktiv mitgestaltet.114 Die Institutionen werden zu Verhandlungsräumen für gesellschaftspolitische Fragen, zum Labor für kulturelle Praktiken und als »open, inclusive arena for the presentation of oppositional political representations of various kinds«115 verstanden, um alternative Lebensrealitäten zu erproben. Sie bringen neues Wissen hervor statt es nur zu repräsentieren. Kritik bedeutet hier nicht nur Verweigerung und Widerstand zu erproben; vielmehr versucht sie, der Praxis eine neue Ausrichtung zu geben. Als Strategien der transformativen Kritik lassen sich Erweiterung und Restrukturierung identifizieren, die häufig Anleihen bei aktivistischen Formen nehmen. Transformative Praktiken erzeugen Reibung und bringen die Institution an ihre Grenzen. Neben der Repräsentation der Bedingungen, wie Kunst produziert, distribuiert und gezeigt wird, sind die Bedingungen selbst und die unterliegenden gesellschaftlichen Mechanismen, die diese hervorbringen, das Ziel. Transformative Kritik hat eine radikale Neustrukturierung der dominanten Kultur im Blick.116 Institutionelle Modelle und Praktiken, die ambivalent und vielseitig sind, durchlässig und beweglich, stehen im Mittelpunkt.117 Das Publikum und andere Gruppen partizipieren: Sie gestalten das Programm und dessen Inhalte mit, führen Projekte autonom von der Institution durch. Sie nehmen einen eigenen Handlungsraum ein und agieren unabhängig. Die Formate verstehen sich als emanzipatorisch118 und wirken über das Feld der Kunst hinaus.

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Für eine Beschreibung der beiden Projekte siehe Kapitel 3.1.4. Für eine Beschreibung des Projekts siehe Kapitel 3.1.4. Vgl. Mörsch (2009a), S. 10. Vgl. Ebd. Vgl. auch Janna Graham (2012): Target practices vs para-sites. Unveröffentlichtes Dokument im Rahmen der Veranstaltung »Vermitteln! Mehr als nur Rezepte.« Ein Symposium zur Kulturvermittlung. Von Pro-Helvetia und Migros-Kulturprozent. Basel, 07.11.2012. Verfügbar unter: https://s3.amazonaws.com/arena-attachments/ 104104/23d56d9df1b7270130b27ff9c4383ab9.pdf?1367448300 [Zugriff: 20.02.2018]. Bolt Rasmussen (2012). Vgl. Edmund O’Sullivan (2002): The Project and Vision of Transformative Education: Integral Transformative Learning. In: Ders., Amish Morrell et al. (Hg.), Expanding the boundaries of transformative learning. Essays on theory and praxis. New York: Palgrave, S. 3. Vgl. Astrid Wege (2011): Die Arbeit geht weiter. In: Martin Fritz, Peter Bogner et al. (Hg.), Beziehungsarbeit. Kunst und Institution. Wien: Künstlerhaus, Schlehbrügge, S. 21. Vgl. Raunig (2008a), S. 23.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Die angesprochenen inhaltlichen Veränderungen restrukturieren die Institutionen. Sie treten als veränderbare Organisationen auf und heben die kategoriale Unterscheidung zwischen beispielsweise kuratorischer und vermittelnder Arbeit auf. Es gilt, sich mit dem lokalen Umfeld zu verbinden, Gemeinschaft zu stiften und verschiedene Öffentlichkeiten zu etablieren. Dafür werden neue Positionen innerhalb der Institution geschaffen. Die Funktionen der Ausstellungshäuser sollen sich erweitern und stärker als in traditionellen Museen, als Träger des Bildungsbürgertums, politische und gesellschaftliche Diskurse mitgestalten. Martha Roslers If You Lived Here und die Projekte von Group Material, beispielsweise The People’s Choice (Arroz con Mango), zeigten exemplarisch, wie ein solcher Ansatz umgesetzt werden kann.119 Von oppositionellen Positionen und instrumentalisierten Publika Mit Chantal Mouffe lassen sich Institutionen als »terrain of contestation of the hegemonic order«120 vorstellen. Oppositionelle Positionen können hier neben- und miteinander gezeigt werden. Der vorherrschende Konsens darüber, was Institution ist und sein kann, wird herausgefordert.121 Wirkt transformative Kritik, verliert die Institution an Kontrolle. Sie gibt Entscheidungsgewalt ab und Macht wird in der Folge umverteilt. Andere Akteure gestalten die Institution mit, richten sie stärker polylogisch und demokratisch aus. Verschiedene Partnerinnen verhandeln Hierarchien neu, wandeln sie um oder lösen sie auf. Institutionen initiieren auch selbst transformative Praktiken und geben freiwillig Kontrolle ab. Dabei besteht die Gefahr, das Publikum und seine Teilnahme zu instrumentalisieren und sich nur symbolisch demokratisch zu zeigen. Findet dann tatsächlich eine strukturelle Veränderung der Institution statt, nehmen diese vor allem die Akteure im Feld selbst wahr; für viele Besucherinnen bleiben sie unsichtbar. Damit wäre das Ziel, über das Feld hinauszuwirken, verfehlt.

3.2.4.

Destruktive Kritik: Strategien der Negation und des Exodus

Die destruktive Kritik steht konträr zur konstruktiven Kritik. Statt das Objekt der Kritik voranzubringen, attackiert die destruktive Kritik ihren Gegenstand und stellt seine negativen Aspekte heraus. Sie versteht sich als Opposition, nicht als richtungsweisende Transformationsinspiration. Bei vielen Praktiken der ersten Phase der Institutionskritik in den 1960er und 1970ern finden sich Elemente destruktiver Kritik wieder. Die Praktiken zielten darauf ab, Institutionen zu schaden und lieferten kaum Verbesserungsvorschläge. Das Bestreben, jegliche institutionellen Strukturen komplett abzuschaffen, ist dabei in korrespondierende gesellschaftliche Bewegungen eingebettet und von ihnen beeinflusst. Die Proteste von 1968 propagierten eine anti-institutionelle Haltung, die sich von Vor-

119 Für eine Beschreibung des Projekts siehe Kapitel 3.1.4. 120 Chantal Mouffe (2013): Institutions as Sites of Agonistic Intervention. In: Pascal Gielen (Hg.), Institutional Attitudes. Instituting Art in a Flat World. Amsterdam: Valiz, S. 65. 121 Vgl. Mouffe (2014), S. 68.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

schriften und Strukturen zu lösen suchte, um einen höheren Grad an Emanzipation zu erreichen. Künstlerinnen destabilisierten das System Kunst, in dem ihre Aktionen mit den etablierten institutionellen Praktiken des Ausstellens, Zeigens und Distribuierens von Kunst brachen. Sie strebten danach, das System umzukehren.122 Destruktion der Institutionen impliziert Unabhängigkeit von diesen Institutionen – insbesondere Museen – und Freiheit von deren Vorgaben. Es scheint lohnend zu erwähnen, dass Museen und Kuratorinnen zu dieser Zeit noch als ›klarer Feind‹ galten, der eine hegemoniale Ordnung schütze und dabei »systematisch Diskriminierungen, Ungerechtigkeiten und blinde Kanon-Flecken produzierte[n].« Erst später wandelten sie sich zu Koproduzentinnen und Unterstützerinnen.123 Zwei dominante Strategien von Institutionskritik erfüllen destruktive Funktionen – die Negation der Institution und der Exodus als eine spezielle Unterform der Negation: •



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Negation – Künstlerinnen lehnen die Institution auf verschiedenste Weise ab. Die etablierten Institutionen und das Kunstfeld werden als monolithische Vertreterinnen kultureller Dominanz erkannt. Daher sagt man sich von jeglicher Form institutionellen Handelns los.124 Exodus – Künstlerinnen drängen darauf, Institutionen aufzuheben und sich aus den Institutionen des Kunstfeldes zurückzuziehen. Der Rückzug ist begleitet von dem Wunsch, alternative Orte des Ausstellens zu finden. Selbstorganisierte Initiativen proliferierten in den 1960ern und führten in Folge zu neuen alternative und artistrun spaces.125 Ob in ungenutzten Industrieräumen, kollektiv angemieteten Ausstellungsräumen oder als Zwischennutzungen – die beteiligten Akteure schaffen sich Handlungsräume, um dort nach eigenen Vorgaben zu arbeiten und unberührt zu bleiben von Produktions- und Ausstellungslogiken des Kunstfeldes. Diese Strategie bezieht ihre Kraft aus der performativen Geste des Exodus und der Radikalität, welche die Aufmerksamkeit auf die von den Künstlerinnen kritisierten Punkte lenkt.126 Historische Beispiele sind zahlreich: Künstlerinnen entfernten ihre Werke aus Ausstellungsräumen, wie beispielsweise bei der Aktion der BMPT-Gruppe um Daniel Buren127 , sagten ihre Teilnahme an Ausstellungen ab oder verriegelten Galerieräume. Viel zitiert ist Robert Barrys Werk Closed Gallery, für das er Einladungen zu Ausstellungseröffnungen mit dem Spruch versah »During the exhibition, the gallery will be closed.«128 Vgl. Morariu (2014), S. 205. Edlinger (2015), S. 183. Vgl. Mouffe (2014), S. 66. Vgl. Mouffe (2014), S. 114. Für eine ausführliche Besprechung des Zusammenhangs von zerstörerischen Kunstprojekten und Museen vgl. Miranda Stearn (2014): Chapter Two Art and Destruction: The Artist as Anti-Curator in the Museum. In: Jennifer Walden (Hg.), Art and Destruction. Newcastle Upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing, S. 36-44. Für eine Beschreibung der Aktion siehe Kapitel 3.1.3. Vgl. Kastner (2011): S. 13-14. Das Wiederauftauchen der Arbeiten des Konzeptkünstlers Christopher D’Arcangelo könnte daran erinnern, dass die Institutionskritik mehr als eine Kunstströmung ist. Institutionskritische Akteure verknüpfen ihre Arbeit mit den Anliegen sozialer Bewegungen.

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Beide Strategien legen, ebenso wie dekonstruktive Formate, den Rahmen offen, in dem Kunst produziert, distribuiert und ausgestellt wird.129 Dafür finden sich diverse Beispiele: • •

Akteure wie die Art Workers Coalition gaben mit ihrer Kritik am MoMA die Grenzen und Praktiken der Institution preis. Auch Marcel Broodthaers war getrieben von der Frage nach dem Konzept des Museums und seines Ursprungs. Mit Départment des Aigles, Musée d’art moderne stellte er die diskursive Macht des Museums zur Disposition, indem er sein eigenes schuf. Anstatt in bestehende institutionelle Strukturen einzugreifen, entwarf Broodthaers einen alternativen Ort, der mit den gleichen Begriffen wie traditionelle Museen operierte und durch diese Imitation auf ihre Deutungsmacht hinwies.130

Verweigerung und Rückzug als symbolische Kritik Die beiden genannten Strategien der destruktiven Kritik – Negation und Exodus – wirken vorwiegend symbolisch. Sie akzeptieren, dass sie keine entscheidenden Veränderungen im System bewirken und nicht in die vorherrschenden Machtverhältnisse eingreifen können. Um sichtbar zu werden und auf sich aufmerksam zu machen, müssten die Akteure sich nämlich dorthin bewegen, worauf ihre Ablehnung zielt: In die Institution. Um dem Vorwurf der paradoxen Verstrickung zu entgehen, verbleiben die Praktiken in ihrem Status als Geste verhaftet. Versteht man diese Geste wie Gerald Raunig jedoch als Widerstand, der »die Regeln des Spiels verrät«131 ,verändert sie die Bedingungen unter denen die Kritik entstanden ist.132 Ein Exodus bleibt nach Raunig kein folgenloser performativer Akt, denn er hinterlässt die Ausgangssituation verändert und ermöglicht von dort aus Neuerungen.

3.2.5.

Kooptiert-affirmative Kritik: Institutionskritik als Feigenblatt

Seit einer Dekade diskutieren ganze Forschungsprojekte und auch bekannte Protagonistinnen der Institutionskritik wie Andrea Fraser die Kooptierung der Institutionskritik. Gemeint ist damit eine Strategie der Institution, sich institutionskritische Praktiken einzuverleiben und damit institutionelle Kritikfähigkeit zu demonstrieren. Die Institution ist demnach in der Lage, den Grat institutionskritischer Praktiken zwischen Kritik und Affirmation zu beeinflussen, zu navigieren und für sich zu nutzen. Barbara Steiner beschreibt dies treffend als eine der »bittersten Erfahrungen kritischer Praxis.«133

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Vgl. Morariu (2014), S. 203. Für eine Beschreibung von Ashers Projekt siehe Kapitel 3.1.3. Raunig (2008a), S. 32. Vgl. Gerald Raunig (2008d): Fluchtlinie und Exodus. Zu einigen offensiven Figuren des Fliehens. In: Stefan Nowotny und ders. (Hg.), Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien: Turia + Kant, S. 215. Steiner (2009), S. 16. In diesem Zusammenhang resümiert Thomas Edlinger, dass die kooptierte – er spricht von einer integrierten – Kritik die Kraft einer revolutionierenden Kritik von außen abgelöst hat. Für ihn liegt die Ursache in dem fehlenden Glauben an eine künstlerische Autonomie,

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Als Feigenblatt-Maßnahme, welche die eigentliche Absicht der Institution verdeckt, simuliert die kooptierte Kritik die Auseinandersetzung einer Institution mit dem aktuellen Diskurs.134 Sie reagiert damit (scheinbar) auf die im letzten Jahrzehnt verstärkt laut gewordene Forderung, selbstreflexiver und -kritischer zu arbeiten. Doch die »Radikalität der Geste«135 scheint in einigen Fällen interessanter, als die Kritik auch tatsächlich umzusetzen. Museen laden kritisch arbeitende Akteure ein – selbst Ausdruck einer machtvollen Geste, die den Zugang bestimmt und Erlaubnis erteilt – und gebrauchen sie für ihre eigenen Ziele. Institutionskritik wird zur Komplizin der Institution. In der Folge wird sie anbiedernd, verhält sich korrupt, wendet sich schließlich gegen ihre ursprünglichen Ziele. Die Institution neutralisiert die kritisch intendierten Werke, um sie sich einzuverleiben und zu kanonisieren. Institutionskritik wird dann als kunsthistorische Strömung, die ausgestellt werden kann wie jede andere, abgelegt und »gebrandet.«136 Kritik wird zur als Kritik getarnten Affirmation. Sie ist »spezifischer auf die erhoffte Selbstkritik der betreffenden Institutionen abgestimmt.«137 Auf diese Weise landet die Institutionskritik genau in der vermarktungsorientierten Verwertungslogik, die sie kritisieren wollte.138 Institutionskritik stellt sich dann als oberflächliche Übung dar139 , die nicht viel mehr als eine Chimäre einer Kritik von innen heraus darstellt. Sie wird durchexerziert, um als diskursorientierte Institution zu gelten. Indem sich Institutionen als vorgeblich kritisch positionieren und wandlungswillig zeigen, sichern sie sich gegen Angriffe auf ihre Relevanz und Legitimität ab.140 Kritik als Selbstimmunisierung.

3.2.6.

Zwischenfazit: Die Relevanz der Funktionen von Institutionskritik

Die Matrix von Carmen Mörsch lieferte eine erste Anregung, Funktionen institutionskritischer Projekte für die Kunstinstitutionen zu identifizieren. Dank der zwei hinzugefügten Funktionen können kritische Praktiken nuancierter beschrieben werden. Die Einteilung reflektiert zudem Formen von Institutionskritik, die sich nicht konstruktiv auswirken – die destruktive und affirmativ-kooptierte Kritik – und findet Begriffe für sie. die er »bestenfalls als relative« einstuft. In der Folge empfänden auch Künstlerinnen eine externe Kritik als tatsächlich unkritisch. Vgl. Edlinger (2015), S. 184f. 134 Vgl. King und Marstine (2005), S. 283. 135 Wege (2011), S. 11. 136 Wege (2011), S. 16. 137 Edlinger (2015), S. 187. 138 Vgl. hierzu Boltanskis und Chiapellos Ausführungen zur Künstlerkritik in Der neue Geist des. Sie diagnostizierten, dass der Kapitalismus viele Forderungen der Künstlerkritik in den 1960ern nachunter anderem Autonomie, Befreiung und Authentizität inkorporiert hat und ihr transformatives Potenzial außer Kraft gesetzt habe. Vgl. Boltanski und Chiapello (2003), S. 413f. 139 Vgl. King und Marstine (2005), S. 282. King und Marstine erläutern dies anhand des Universitätsmuseums The Fredrick R. Weisman University Art Museum, das eine Reihe kritischer Projekte mit Künstlerinnen in Gang setzte. 140 Sheikh findet in Notes on Institutional Critique eine passende Metapher für diese Funktion, in dem er Institutionskritik als Bakterium beschreibt, »[…] that may have temporarily weakened the patient – the institution – but only in order to strengthen the immune system of that patient in the long run.« (Sheikh (2006)).

3 Der Diskurs der Institutionskritik

Kritik, die nach Veränderungen strebt, präsentiert sich als eine Methode der Selbstreflexion und ermöglicht, Institution sowie die implizierten Vorstellungen von Kuratieren und Öffentlichkeit auf lange Sicht zu verwandeln. Dies würde wiederum zu Institutionen im Fluss führen, die sich dauerhaft selbst hinterfragen und dabei die sich ständig verändernden Forderungen an einen zeitgenössischen Kunstraum berücksichtigen. Dem transformativen Potenzial kritischer Praktiken, das nicht allein temporärrevolutionär wirkt und kurz darauf wieder verschwindet, kann auf diese Weise Dauer verliehen werden.141 Mit Blick auf die konfliktbehaftete Herausforderung für institutionskritische Praktiken, sich mit und innerhalb eines »stetige[n] Prozesses der Selbstinstituierung und Selbsterfindung«142 zu bewegen, stellt Sheikh eine produktive Diagnose: »Die Institution wurde als Problem (für Künstler und Künstlerinnen) dargestellt. Im Gegensatz dazu scheinen die institutionskritischen Diskurse der Gegenwart vor allem von KuratorInnen und DirektorInnen derselben Institutionen propagiert zu werden, und sie optieren eher für als gegen sie. Das heißt, sie stellen keine Anstrengung dar, gegen die Institution zu opponieren oder sie sogar zu zerstören, sondern zielen eher auf deren Veränderung und Festigung. Die Institutionskritik ist nicht nur ein Problem, sondern auch eine Lösung!«143 Um Institutionskritik stärker im Feld zu verankern, ist es somit sinnvoll, nach neuen Akteuren und Schauplätzen Ausschau zu halten. Davon ausgehend werfe ich im zweiten Teil der vorliegenden Studie einen Blick auf verschiedene Kunstmuseen und Ausstellungshäuser und zeichne nach, wie die ausgewählten Fallbeispiele auf institutionskritische Vorschläge reagiert und für sich adaptiert haben.

Abb. 1: Übersicht Funktionen der Kritik (Aufbau: Funktion → Strategie → Beispiele).

141 Vgl. Nowotny (2008), S. 65. 142 brumaria (2006): Kunst als radikales politisches Vorstellungsvermögen. transversal. Verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0106/brumaria/de.html [Zugriff: 15.05.2017]. 143 Sheikh (2006).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

4. Die dritte Phase der Institutionskritik: Mitte der 2000er Jahre bis in die Gegenwart

4.1.

Einführung

In ihrer dritten Phase ist Institutionskritik in den Wissenschafts- und Kunstgeschichtskanon eingezogen. Das symptomatische ›after‹ oder ›beyond‹ als Zusatz zu Institutional Critique verweist auf den durchlaufenen Historisierungs- und Kanonisierungsprozess. Lauri Firstenberger fasst treffend zusammen: »The after of Institutional Critique seems to suggest a call for – or push against – the institution, or rather a position located both within and outside of the institution, reopening the institution as a question and restaging a reponse somewhere in between or beside it, while acknowledging the impossibility of a ›beyond‹ [Hervorhebung durch LF, Anm. FB]«.1 Neue Akteure wie Kuratorinnen, Direktorinnen und universitäre Forschende spinnen den Diskurs fort, der sich in Ausstellungen, Texten, Verweisen, Sammlungen und akademischen Formaten wie Forschungsprojekten und Konferenzen manifestiert. Ab Ende der 1990er und insbesondere ab Mitte der 2000er Jahre steigt das Interesse an institutionskritischen Praktiken erneut. Die – umstrittene2 – dritte Phase der Institutionskritik zeichnet sich durch Veränderungen und Verschiebungen zu den vorherigen Phasen aus; neue Akteure treten auf neuen Schauplätzen auf. Sie erarbeiten Ausstellungen, Forschungsprojekte und Publikationen. Bereits in der zweiten Phase hatten sich kritische kuratorische und künstlerische Praktiken zunehmend überschnitten.3 Verschiedenen Diskurse, die sich kritisch mit der Institution Kunst und dem Museum befassen, darunter New Museology und New Institutionalism4 , verschränken sich und

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Lauri Firstenberg (2006): At Such a Late Date…In: John C. Welchman (Hg.), Institutional Critique and After. Zürich: JP Ringier, S. 319. Für die Diskussion um die Phasen der Institutionskritik siehe Forschungsstand in Kapitel 1.4. Siehe dazu die Projekte von Group Material, Martha Rosler oder Andrea Fraser in Kapitel 3.1.4. Für die Beschreibung der Konzepte der New Museology und des New Institutionalism siehe Forschungsstand in Kapitel 1.4.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

stärken den kritischen Impetus. Die dritte Phase stellt einen Sonderfall dar: Erstmals handelt es sich nicht um eine ex-post konstruierte Phase, sondern der Blick geht auf jüngste und gegenwärtige Praktiken. Theorie und Praxis der Institutionskritik überlagern sich und fallen zeitlich zusammen. Künstlerinnen üben weiterhin Institutionskritik aus. Bekannte Praktikerinnen wie unter anderem die Guerrilla Girls, Renée Green und Andrea Fraser sind nach wie vor aktiv. Versuche eine mehrphasige Geschichte von Institutionskritik zu rekonstruieren, wie von Maria Lind unternommen5 , identifizieren weitere Künstlerinnen wie Apolonija Šušteršič6 , Bik Van der Pol7 , Carey Young8 und Marion von Osten.9 Um die Erweiterung und Ausweitung von Institutionskritik zu zeigen, liegt der Fokus nachfolgend auf ihren neuen Schauplätzen und Protagonistinnen. Diese Entwicklung reflektierend, blicke ich in einem ersten Schritt überblickshaft auf drei der wichtigsten Handlungsfelder gegenwärtiger, teilweise institutionalisierter Institutionskritik: • • •

Institutionskritik untersuchen: Forschungsprojekte, Konferenzen und Publikationen; Institutionskritik lehren: Curatorial Studies und Institutionskritik zeigen: Ausstellungen.

In einem zweiten Schritt schließen sich Fallstudien an, welche – als neue Akteure – Kunstinstitutionen selbst und ihre Projekte im Detail beleuchten. Unter dem Titel •

Auf Institutionskritik reagieren: Institutionelle und kuratorische Praktiken

trägt das finale Kapitel aus dem historischen Verlauf der Institutionskritik die Strategien und Themen der institutionskritischen Akteure zusammen. Dies bereitet eine Lesart von Institutionskritik vor, die sie als Haltung und Methode auslegt, die nicht nur Künstlerinnen einnehmen. Damit wird der Grundstein für einen Perspektivwechsel gelegt, der eine praxisorientierte Lesart favorisiert.10 Der Fokus liegt auf konkreten 5 6

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Vgl. Lind (2011b), S. 26. Šušteršič war mit ihrer Arbeit Light Therapy am Projekt Museum of Arte Útil am Van Abbemuseum beteiligt, siehe Kapitel 4.3.1.3. Für eine Beschreibung von weiteren Projekten und ihren Verbindungen zur Institutionskritik empfiehlt sich auch Peio Aguirre (2013): Apolonija Šušteršič. Selected Projects 1995-2012. Berlin: Sternberg Press. In jüngster Zeit beschäftigte sich Van der Pol in seinem Projekt Were it as if am Witte de With in Rotterdam mit den versteckten und übersehenen Alltagsgeschehnissen in kulturellen Institutionen. Vgl. Witte de With: Bik Van der Pol – WERE IT AS IF. Homepage des Witte de With. Verfügbar unter: www.wdw.nl/en/our_program/exhibitions/bik_van_der_pol_were_it_as_if [Zugriff: 01.10.2016]. Carey Young äußerte ihr Interesse an der »legacy« der Institutionskritik und dem Vergleich von kulturellen zu wirtschaftlichen und juristischen Institutionen unter anderem in Roselee Goldberg, Defne Ayas et al. (Hg.) (2007), Performa: New Visual Art Performance. New York: Performa. Marion von Osten war unter anderem Kuratorin der Shedhalle in Zürich, die als Fallstudie in Kapitel 4.4.3. besprochen wird, und research fellow an der basis voor actuele kunst in Utrecht, siehe Kapitel 4.4.2. Zu von Ostens künstlerischer Praxis erschien kürzlich Tom Holert und Maria Hlavajova (Hg.) (2017): Marion von Osten: Once We Were Artists (A BAK Critical Reader in Artists’ Practice). Utrecht/Amsterdam: basis voor actuele kunst/Valiz. Auch Jens Kastner propagiert eine solche Perspektive auf Institutionskritik. Vgl. Kastner (2011), S. 14.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Handlungsweisen und ihrer Wirkung auf die Institution Kunst; ergänzt um künstlerische Beispiele.

4.1.1.

Institutionskritik untersuchen: Forschungsprojekte, Konferenzen und Publikationen

Mittlerweile bieten Anthologien11 einen Überblick über Texte von institutionskritischen Künstlerinnen und trieben ihre Kanonisierung als kunsthistorische Strömung voran. In dichter Abfolge entstanden Forschungsprojekte wie republicart (2002-2005)12 am European Institute for Progressive Cultural Policies, kurz eipcp, in Wien, sowie die Nachfolgeprojekte transform und translate (beide 2005-2008).13 Sie standen stellvertretend für die Interessenkonjunktur der kritischen Auseinandersetzung mit Museen und dem Kunstfeld. Vlad Morariu begründet das intensivierte Interesse an Institutionskritik mit dem Erscheinen der englischen Übersetzung The New Spirit of Capitalism von Luc Boltanski und Ève Chiapello.14 Die beiden Autorinnen beschreiben wie eine künstlerische Kritik am Kapitalismus, die in den 1960ern aufkam, von ihm durch ihre eigenen Strategien neutralisiert wurde. Ähnliches schien zu dieser Zeit institutionskritischen Praktiken zu passieren. Ebenso mehren sich Bücher zum Thema, wie Nina Möntmanns »Art and its Institutions«15 sowie Alexander Alberros und Blake Stimsons (2009) umfangreiche Sammlung von Texten, in denen Künstlerinnen sowie andere Akteure des künstlerischen Feldes die Geschichte und Entwicklung von Institutionskritik reflektieren. Symposien und Vortragsreihen nehmen explizit Bezug auf die Begriffe Institution und Kritik und wagen sich an deren Aktualisierung. So unter anderem John C. Welchmans Standardwerk Institutional Critique and After im Anschluss an die gleichnamige Konferenz am Los Angeles County Museum of Art 2005, oder die Veranstaltungsreihe Under construction, organisiert durch die European Kunsthalle im Frühjahr 2006.16 11 12

13

14 15 16

Vgl. McShine (1999), Kravagna (2001). Das erste transnationale Projekt unter dem Leitthema republicart untersuchte interventionistische und aktivistische Kunstpraxen im Feld der public art exemplarisch an zwölf Projekten und ergänzte sein Programm um diskursive Veranstaltungen. Eine weitere Hauptplattform war das gleichnamige Webjournal, in dem zentrale Akteure der Zeit wie Brian Holmes, Charles Esche, Gregory Sholette, Simon Sheikh, Beatrice von Bismarck, Hito Steyerl, Maria Lind, Boris Buden und Christian Kravagna Stellung zu thematischen Stichworten bezogen. Vgl. European Institute for Progressive Culture Policy: republicart. Homepage von republicart. Verfügbar unter: http://republicart.net/index.htm [Zugriff: 02.05.2017]. Transform war das Nachfolgeprojekt zu republicart und widmete sich der Beziehung zwischen Institution und Kritik, insbesondere den politischen und künstlerischen Ausformungen von Institutionskritik. Die für die vorliegende Arbeit wichtigste These des Projekts lautete, dass sich aktuell eine dritte Phase der Institutionskritik entwickelt, die Gesellschafts-, Institutions- und Selbstkritik verschränkt. Das Projekt nahm sogenannte kritische Institutionen in den Blick und weitete sein Untersuchungsfeld auf die soziale Bedeutung institutionskritischer Arbeit aus. Im Zuge der Forschung dient wiederum ein Webjournal als Kommunikationsorgan. Publikationen belegen die Erkenntnisse. Vgl. Boltanksi und Chiapello (2003) S. 419ff. Vgl. Möntmann (2006a). Vgl. Beschreibung der Reihe auf der Homepage. European Kunsthalle: Under construction. Homepage der European Kunsthalle. Verfügbar unter: http://eukunsthalle.com [Zugriff: 19.02.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Neben der wachsenden Öffentlichkeit trugen diese Untersuchungen auch dazu bei, die ausgestellten Praktiken weiter für die Institution zu vereinnahmen, indem auf institutioneller Bühne nach vorgegebenen Regeln über ehemals radikal-kritische Projekte debattiert wird. Dies führte so weit, dass selbst Museen, die Institutionskritik nicht in ihr Ausstellungsprogramm aufnahmen, diskursive Formate einführten, die Fragen nach der Funktion von Museen und Kritik an ihnen nachgehen.

4.1.2.

Institutionskritik lehren: Curatorial Studies

Die Kuratorinnenschulen etablierten sich in der dritten Phase als neuer Schauplatz der Institutionskritik. Julia Bryan-Wilson visierte 2003 in ihrem damals noch provokativ angelegten Essay A curricuIum for institutional critique17 an, was sich mittlerweile in den kuratorischen Schulen durchgesetzt hat. Die Geschichte der Curatorial Studies begann mit dem Independent Study Program des Whitney Museum of Art, setzte sich in Kursen fort und manifestiert sich heute als gängiges Masterstudienfach. Nachfolgend stelle ich einige der wichtigsten europäischen18 Programme vor und stelle heraus, welche Rolle Institutionskritik in ihren Curricula einnimmt. Interessant für den vorliegenden Kontext ist, ob sich entlang der Kuratorinnenschulen bestimmte Lehren entwickelt haben, die sich in der Praxis niederschlagen. In Europa haben sich erste kuratorische Programme Ende der 1980er formiert. L’école du MAGASIN in Grenoble, gegründet 1987, rühmt sich, der erste internationale Kurs dieser Art in Europa gewesen zu sein und einer der wenigen, die in Kooperation mit einem Ausstellungshaus durchgeführt werden.19 Vereinzelte Kurse etablierten sich in den 1990ern wie Curating Contemporary Art am Royal College of Art in London (1992) oder das de Appel Curatorial Programme (1994) in Amsterdam, das sich in der Tradition des erwähnten Independent Study Programs sieht. Eine Reihe universitärer Programme nahm seine Arbeit Mitte bis Ende der letzten Dekade auf. Vorwiegend finden sie sich in größeren Städten mit aktiven Kunst- und Kulturszenen wie Frankfurt, Zürich, Stockholm, Barcelona, Wien, Leipzig, London oder Helsinki.20 17 18

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Bryan-Wilson (2003). Ich konzentriere mich auf europäische Programme, weil die Institutionskritik in dieser dritten Phase hier besonders rezipiert wird. Als künstlerische Praxis war die Institutionskritik mit der zweiten Generation nach Europa gelangt. Vgl. Art and Education: Curatorial Training program. MAGASIN des horizons. Art and education, 19.03.2014. Verfügbar unter: www.artandeducation.net/announcement/ecole-du-magasincuratorial-training-program/[Zugriff: 05.05.2017]. Dazu muss erwähnt werden, dass es in Großbritannien durchaus üblich scheint, entsprechende Programme gemeinsam mit Museen und Kunsträumen zu konzipieren. Exemplarisch zu nennen sind der MA-Studiengang Curatorial Practice an der University for the Creative Arts, der mit Turner Contemporary kooperiert oder der MFA Curating the Art Museum am Courtauld Institute of Art, das eng mit der dazugehörigen Galerie zusammenarbeitet. Hier ließe sich diskutieren, wie diese Verteilung zustande kommt. Warum sich welche Kurse wo ansiedeln, verdient eine gesonderte Betrachtung. Auffällig ist, dass sich in vielen von diesen Städten oder in der Umgebung Ausstellungshäuser finden, die zu den progressiveren Institutionen gezählt werden wie die Shedhalle in Zürich oder das bereits erwähnte MACBA in Barcelona. Gleichzeitig sind wichtige Protagonistinnen des theoretischen Diskurses um Institutionskritik in die Lehre an diesen Programmen eingebunden. Nicht selten zählen Künstlerinnen, die Institutionskritik

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Die Professorinnen, Dozierenden und Gastreferentinnen der Studienprogramme sind häufig bekannte Namen aus dem kritischen Museums- und Ausstellungskurs: Charles Esche, Simon Sheikh, Nora Sternfeld, Tony Bennett, Marion von Osten, Paul O’Neill, Christian Kravagna, Nina Möntmann, Jens Hoffmann, Sabeth Buchmann, Brian O’Doherty und Maria Lind – um einige der häufigsten Protagonistinnen zu nennen, die Liste ließe sich fortsetzen. Aus den jüngeren Studiengängen sind Alumni des de Appel Programms heute Kuratorinnen, die Institutionen und Kunsträume leiten, die teils als Fallstudien in der vorliegenden Arbeit besprochen werden: Annie Fletcher, Teilnehmerin des ersten Durchgangs, besetzt aktuell die Stelle der Chefkuratorin am Van Abbemuseum; Binna Choi verschlug es zunächst an die basis voor actuele kunst (bak) in Utrecht, derzeit verantwortet sie den Ausstellungsraum Casco; Lilian Engelmann schloß den Kurs 2009 ab und ist nun Geschäftsführerin der neue Gesellschaft für bildende Kunst (ngbk) in Berlin.21 Die Programme greifen auf verschiedene theoretische Positionen zurück: In Frankfurt fokussiert man eine enge Verbindung von Kuratieren und Kunstkritik22 , in Zürich und Wien propagiert man Kuratieren und Vermitteln als integrierte Praxen vor einem gesellschaftskritischen Hintergrund, während in Leipzig das Kuratorische – in Anlehnung an Irit Rogoffs Konzept des ›curatorial‹ – als eine umfassende kulturelle Praxis begriffen wird, die über das Ausstellungsmachen hinausgeht. Die Kurse vereint, dass sie die Bedingungen, unter denen kuratorische Arbeit sich vollzieht und die sie beeinflussen, mitreflektieren und in ihre Curricula integrieren. Theoretische Texte und eine kritische Auseinandersetzung mit Ausstellungen und kuratorischen sowie künstlerischen Praktiken sind Grundvoraussetzungen dieser Kurse. ›Being critical”23 tritt als ein omnipräsentes Ziel auf – Kritikalität und eine kritische Haltung sind erwünscht (und werden im Zweifelsfall indoktriniert) sowie als kuratorisches Handwerkszeug gelehrt. Über die Programme hinaus bieten Hochschulen ohne kuratorische Programme Seminare zur Institutionskritik an. Studierende in Bern, Wien, Basel, Hildesheim, Zürich,

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praktizieren, zu den Referentinnen. Exemplarisch seien Hito Steyerl, Christian Philipp Müller, Alice Creischer, Andreas Siekman, Helmut Draxler und Andrea Fraser erwähnt. Darüber hinaus sind jüngere Alumni zu nennen: Adam Szymczyk als Kurator der documenta 14, Defne Ayas war bis Ende 2017 Direktorin des Witte de With, Livia Paldí durchlief verschiedene kuratorische Stationen an der Kunsthalle Budapest und leitete das Baltic Art Centre. Nuno Sacramento publiziert über kuratorische Theorie – bekannt ist vor allem seine Methodologie des »shadow curators«. Vgl Nuno Sacramento und Claudia Zeiske (2010): ARTocracy. Art, informal space, and social consequence: a curatorial handbook in collaborative practice. Berlin: Jovis. Es ist anzunehmen, dass besonders Isabelle Graw, Mitbegründerin und Herausgeberin von Texte zur Kunst, für diesen Schwerpunkt verantwortlich zeichnet. Zusammen mit Daniel Birnbaum hatte sie 2003 das Institut für Kunstkritik gegründet. Kritik, kritisch und die englischen Übersetzungen Critique und critical finden sich in fast allen Kurstiteln, wie z.B. wie an der Frankfurter Uni mit Curatorial Studies – History – Theory – Critique. Darüber hinaus ist es als Studienziel in fast allen Kursbeschreibungen aufgeführt, eine kritische Haltung zu entwickeln. Vgl. Programmbeschreibung des MFA Curating am Goldsmiths College. Goldsmiths University of London: Programme Specifications. Postgraduate Programmes. Homepage der Goldsmiths University of London. Verfügbar unter: www.gold.ac.uk/media/course-finder/programmespecifications/mfa-curating.pdf [Zugriff: 05.05.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Hamburg, Wuppertal, Düsseldorf und Berlin hatten in der Vergangenheit die Möglichkeit, theoretisch in institutionskritische Praktiken und ihre Rezeption einzutauchen. Sie alle gehen davon aus, dass Institutionskritik historisiert wurde. Sie verorten ihren Beginn, wie im Diskurs weit verbreitet, in den 1960ern. Diese Seminare fixieren Institutionskritik als eine kunsthistorische Strömung, die es im Zuge der universitären Ausbildung zu studieren gilt. Sie ist eine feste Referenz für viele in jüngster Zeit ausgebildete Kunsthistorikerinnen, Kultur- und Kunstwissenschaftlerinnen, Museologinnen und Kuratorinnen. Die Syllabi lesen sich ähnlich; die ausgewählte Literatur und die besprochenen Künstlerinnenbeispiele reproduzieren den erwähnten Kanon des institutionskritischen Diskurses. Von einer wissenschaftlichen Einrichtung wäre auch zu erwarten, dass sie ihre diskursbestätigende Rolle mitreflektiert.24 Die Kuratorinnenschulen haben sich in der aktuellen Phase der Institutionskritik als neue Plattform für kritische Agentinnen des Kunstfeldes herausgebildet. Kuratorische Praxis zu lehren ist unmittelbar mit einer kritischen Einstellung verbunden; Institutionskritik hat sich zu einer Haltung und einer Methode gewandelt.

4.1.3.

Institutionskritik zeigen: Ausstellungen

Ausstellungen erheben zunehmend Institutionskritik zum Thema und verhelfen in großem Maße, Institutionskritik zu historisieren sowie überblickshaft ihre wichtigsten Akteure zu fixieren. Einerseits präsentieren Ausstellungen institutionskritische Praktiken als historische Kunstströmung, während sie andererseits zwangsläufig, dies ist dem Medium geschuldet, Ein- und Ausschlüsse vornehmen. Dieser, der Ausstellungspraxis inhärente, Selektionsmodus führte zur Etablierung einzelner Stellvertreterinnen dieser Form des künstlerischen Arbeitens. Das paradoxale Verhältnis von Sichtbarkeit und Anpassung ist ein grundlegendes Problem von Institutionskritik, das sich auch in ihren gegenwärtigen Formen nicht auflöst. Akteure des künstlerischen Feldes müssen sich mit der Institution auseinandersetzen und mit ihr arbeiten, um diese zu verändern – sonst führt Institutionskritik als fig-leaf measure zu einer Art Nabelschau. Als einer der ersten Überblicksschauen brachte Kynaston McShine in The Museum as Muse (1999) am Museum of Modern Art generationenübergreifend künstlerische Positionen zusammen, die das Museum zum Gegenstand hatten. Seitdem widmen sich immer wieder Ausstellungen explizit der Institutionskritik – sie ist im Mainstream angekommen. In den letzten zehn Jahren25 widmeten sich 24

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Aus den Beschreibungen der Kurse geht nicht hervor, wie sich die Dozierenden zu ihrer Rolle positionieren. Dass die ausgewählte Literatur dazu beiträgt, den Kanon des institutionskritischen Diskurses zu reproduzieren und dadurch zu bekräftigen, scheint nicht reflektiert zu werden. Vgl. unter anderen Universität Bern: Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis für das Herbstsemester 2008. Homepage der Universität Bern. Verfügbar unter: www.ikg.unibe.ch/unibe/portal/fak_historisch/dkk/ikg/content/e40057/e40058/e414040/e414045/leftcol414046/files414055/vv_hs08_ger.pdf [Zugriff: 19.02.2018]. Vgl. auch Universität Wien (2016): 080047 PS Fallstudie II/III: Institutionskritik seit den 1960er Jahren (nst.K.) (2016W). Homepage der Universität Wien. Verfügbar unter: https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=080047&semester=2016W [Zugriff: 19.02.2018]. Zwischen der Ausstellung im MoMA und jener in der Kunsthalle Exnergasse gab es vereinzelte Projekte zur Institutionskritik, die hier kurz erwähnt werden sollen. Institution2 am Kiasma Hel-

4 Die dritte Phase der Institutionskritik







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Have the Cake and Eat it, too (Kunsthalle Exnergasse, Wien, 2008): Die Ausstellung zeigte exemplarisch, dass sich auch kleinere Häuser mit Institutionskritik beschäftigen. Die Schau adaptierte die Thesen des eipcp Projekts transform – sie ging davon aus, dass Institutionskritik zum damaligen Zeitpunkt bereits historisiert und kanonisiert war. Die Kuratorinnen postulierten Institutionskritik als kritische Haltung und instituierende Praxis. Die Ausstellung war somit wegweisend für die Aktualisierung des Konzepts der Institutionskritik.26 Beziehungsarbeit. Kunst und Institution (Künstlerhaus, Wien, 2011): Die Schau widmete sich institutionskritischen Beispielen aus den vorausgegangenen 40 Jahren. Kurator Martin Fritz sah das Verhältnis von Kunstproduktion zu Institution als symbiotisch-konstruktiv und schloss sich ebenfalls den Thesen des eipcp an, insofern Institutionskritik als eine »allumfassenden Methode künstlerisch-gesellschaftlicher Bezugnahme«27 verstanden wurde. Archivmaterialien des Künstlerhauses ergänzten die gezeigten Werke und stellten so Bezüge zum Ausstellungsort her. Spies in the House of Art (Metropolitan Museum of Art, 2012): Die Ausstellung, kuratiert aus der hauseigenen Sammlung, knüpfte an McShines Ausstellung im MoMA an und zeigte, wie Museen auf vielfältige Weise neue Kunstwerke inspirieren. Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Andrea Fraser, Sophie Calle und Thomas Struth zeigen – so die offizielle Pressemitteilung – das geheime Leben von Museen und ihren Sammlungen. Die Ausstellung zentriert sich um einen Film Flash in the Metropolitan von Rosalind Nashashibi and Lucy Skaer, die nach abendlicher Schließung des Museums mit einem Stroboskoplicht einzelne Objekte anleuchtet. Sie eröffnen

sinki in den Jahren 2003/04 umfasste eine Ausstellung und ein Seminar mit dem Untertitel Art Institutions: The Ethics and Aesthtics of Working with Contemporary Art, welche die Arbeitsweisen von zeitgenössischen Kunstinstitutionen aus verschiedenen geographischen und gesellschaftlichen Kontexten vorstellte. Die Liste der teilnehmenden Institutionen liest sich wie eine repräsentative Aufstellung jener Einrichtungen, die sich im kritischen Museums- und Institutionendiskurs einen Namen gemacht haben und wiederholt referenziert werden. Dazu gehören: bak (Utrecht, NL), Rooseum Center for Contemporary Art (Malmö, SE) oder Witte de With (Rotterdam, NL). Ihre Vertreterinnen u.a. Anthony Davies, Maria Hlavajova, Nicolaus Schafhausen und die Moderatorinnen Simon Sheikh, Jens Hoffmann und Nina Möntmann zählen nach wie vor zu jenen Akteuren, die den theoretischen Diskurs um kritische Ausstellungs- und Museumspraktiken mitbestimmen. Während ihrer Arbeit am NIFCA in Helsinki organisierte Nina Möntmann, gemeinsam mit Trude Iversen, 2005 die Ausstellung Opacity. Current considerations on art institutions and the economy of desire, die am UKS Unge Kunsternes Samfund in Oslo zu sehen war. Darin untersuchten die Kuratorinnen wie Kunstinstitutionen heute durch künstlerische Positionen herausgefordert und genutzt werden. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Institutionen sich durch Institutionskritik der 1970er und 1990er verändert haben. Das Konzept der opacity, der Undurchsichtbarkeit, soll kleineren Häusern helfen, experimentelle Zugänge und Kollaborationsformen mit anderen Akteuren und Sphären zu erproben. Gleichzeitig stellte die Ausstellung alternative Strategien der institutionellen Arbeit wie aktivistische, sich belustigende oder auch utopische Ansätze vor. Vgl. WUK (2008): Einladungskarte HAVE THE CAKE AND EAT IT, TOO. Ausstellung13 Mär 2008 – 19 Apr 2008 Kunsthalle Exnergasse. Homepage des WUK. Verfügbar unter: www.wuk.at/KEXArchiv/www.kunsthalle.wuk.at/archiv/2008/2/index.html [Zugriff: 24.02.2016]. Künstlerhaus Wien (2011): Beziehungsarbeit. Kunst und Institution. Homepage des Künstlerhauses Wien. Verfügbar unter: www.k-haus.at/de/ausstellung/56/beziehungsarbeit.html [Zugriff: 16.02.2018].

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Institutionskritik im Feld der Kunst





so eine neue Perspektive auf die Werke und lassen sie lebendig wirken. Wie kritisch der jeweilige Blick der ausgestellten Künstlerinnen war, wurde außer Acht gelassen.28 Take it or leave it: Institution, Image and Ideology (Hammer Museum of Art, Los Angeles, 2014): Die Ausstellung verstand sich selbst als historisch und beschrieb Institutionskritik als »cornerstone of American art.«29 to expose, to show, to demonstate, to offer: Künstlerische Praktiken um 1990 (mumok, Wien, 2015/16): Die Ausstellung bot eine breite Übersicht künstlerischer Praktiken um 1990 – zur Zeit der zweiten Generation der Institutionskritik –, die Methoden des traditionellen Ausstellens in Frage stellten und ihre eigenen Arbeitsbedingungen reflektieren. Als extensive Museumsshow behauptete sie eine Mischung von etablierten Positionen und bisher selten gezeigten Werken.30

Zu dieser Entwicklung trug ein Generationswechsel in den Führungspositionen verschiedener Häuser bei. Eine Reihe von Kuratorinnen, die im Umfeld institutionskritischer Praktiken ausgebildet waren und diese als feste Referenzen ihrer Praxis sahen, übernahm leitende Stellen – so entstanden progressive Institutionen, »institutions of critique«31 : • • • • •

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Manuel Borja-Villel dirigierte von 1998 an das noch junge Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA), Maria Hlavajova nahm kurz nach der Jahrtausendwende ihre Arbeit in der basis voor actuele kunst (bak) in Utrecht auf, Charles Esche tritt seine Direktorenstelle am Rooseum Center for Contemporary Art in Malmö an und wechselte 2004 ans Van Abbemuseum. 2002 übernahm Maria Lind die Leitung des Kunstvereins in München und Nina Möntmann hat von 2003 bis 2006 die Kuratorinnenstelle am 1997 gegründeten Nordic Institute for Contemporary Art inne.

Vgl. Metropolitan Museum of Art (2012): Contemporary Artists Explore the Secret Life of Museums and Their Collections. February 7 – August 26, 2012. Homepage des Metropolitan Museum of Art. Verfügbar unter: https://www.metmuseum.org/press/exhibitions/2012/spies-in-the-house-of-art [Zugriff: 24.02.2016]. Hammer Museum: Take It or Leave It (2014): Institution, Ideology and Image. Homepage des Hammer Museum. Verfügbar unter: http://hammer.ucla.edu/exhibitions/2014/take-it-or-leaveit-institution-image-ideology/[Zugriff: 24.02.2016]. Beispiellos übersetzen Ausstellungsbesprechungen die Konsequenz der Ausstellung und ihre zentrale These in die heutige Zeit mittels »#Hashtags: Institutionalized Critique«. Vgl. hierzu Anuradha Vikram (2014): #Hashtags: Institutionalized Critique. Dailyserving, 07.04.2014. Verfügbar unter: http://dailyserving.com/2014/04/hashtags-institutionalized-critique/[Zugriff: 24.02.2016]. Vgl. museum moderner kunst stiftung ludwig wien (2014): to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer. Künstlerische Praktiken um 1990. Homepage des museum moderner kunst stiftung ludwig wien. Verfügbar unter: https://www.mumok.at/de/events/expose-show-demonstrateinform-offer [Zugriff: 24.02.2016]. Fraser (2009b).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Alle genannten Akteure arbeiteten an einer Praxis der Institution, die es sich zur Aufgabe machte, selbst als kritischer Agent aufzutreten. Sie befürworteten alternative Lesarten der Kunstgeschichte und entwarfen Ausstellungsprogramme, die sich an gesellschaftlichen Fragen in einem lokalen Kontext orientierten. Die Vorzeichen der dritten Phase der Institutionskritik grenzen sie von den ersten beiden ab. Als neue Vorzeigeakteure greifen die Kuratorinnen und Direktorinnen auf die reiche Geschichte künstlerischer Positionen und Reflexionen zurück. Sie haben die entsprechenden Theorien verinnerlicht und bauen ihre eigene Haltung darauf auf. Kritik verbleibt nicht auf einer repräsentativen Ebene, obliegt nicht mehr den Künstlerinnen. Vielmehr ist sie inhärenter Bestandteil des kuratorischen und institutionellen Selbstverständnisses, das zudem durch theoretische Reflexionen und rege Publikationstätigkeit genährt wird.32 Institutionskritik als institutionelle Praxis bestimmt sich permanent und situativ neu. Sie sei deshalb niemals zu vereinheitlichen und abgeschlossen; privilegiere keine Verfahren und keine Akteure.33 Aus dieser Perspektive ist der veränderte Kreis von institutionskritischen Akteuren nicht als ›feindliche Übernahme‹ zu sehen, sondern als notwendige Weiterentwicklung. Kuratorinnen bewegen sich mit ihren kritischen Ansätzen ebenso im Spannungsfeld von Kritik und Affirmation, sind der gleichen »Pendelbewegung zwischen den Polen«34 ausgesetzt wie Künstlerinnen. Die vormals als notwendig erachtete kritische Distanz der Institution weicht einer institutionsinhärenten Kritikalität.

4.1.4.

Auf Institutionskritik reagieren: Fallstudien zur institutionellen und kuratorischen Praxis

Eine Studie, die sich zum Ziel gesetzt hat, Auswirkungen der Institutionskritik zu analysieren, verlangt nach Anschauungsbeispielen, die offenlegen, wie sich die Kritik in den Ausstellungshäusern manifestiert. Über punktuelle Effekte hinaus geht es um nachhaltige und nach außen sichtbare Veränderungen. Die Hauptfälle ermöglichen die nötige Tiefe, die weiterführenden Beispiele bieten die Breite, die wiederum eine Übersichtsanalyse fordert. Einzelstudien mit einem Quervergleich von Fällen eines Typs (s.u.) zu kombinieren, ermöglicht es, das einzelne Ausstellungshaus zunächst en detail auf mikroskopischer Ebene in seinem spezifischen Kontext zu positionieren und danach vergleichend einzuordnen, um übergreifende Kennzeichen abzuleiten wie die Häuser institutionskritische Fragestellungen aufgreifen und auf diese antworten. Das nachfolgende Kapitel schlägt vor, die Institutionslandschaft in vier Typen zu unterscheiden, um präziser nachzuvollziehen, an welche Kritikpunkte und Strategien der Institutionskritik die Häuser anknüpfen. Zunächst fokussiere ich Museen mit einer Sammlung (1) – jene, die man im allgemeinen Sprachgebrauch als traditionelle Kunstmuseen bezeichnen würde. Wichtig ist bei der Auswahl der Fallbeispiele dieses Typs, dass die Sammlung ausgestellt und mit ihr gearbeitet wird. In die zweite Kategorie fallen jene Häuser ohne Sammlung, die ihre Räume mit wechselnden Displays

32 33 34

Für eine Auswahl relevanter Publikationen siehe Forschungsstand in Kapitel 1.4. Vgl. Gau (2017), S. 509. Ebd., S. 349f.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

bespielen (2). Weiterhin nehme ich independent spaces – non-profit Ausstellungs- und Diskursäume für experimentelle und unabhängige künstlerische Praktiken – in den Blick (3). Im letzten Abschnitt bearbeite ich exemplarische, so genannte Post-Institutions (4). Gemeint sind nicht-institutionalisierte Zusammenhänge wie Kollektive, Arbeits- und Forschungsgruppen, die sich mit Institutionskritik beschäftigen, aber Ausstellungen nicht als ihr Hauptmedium ansehen. Dieser letzte Typus reflektiert die dargelegte These, dass sich Institutionskritik für andere Felder geöffnet und auf diese ausgeweitet habe. Sie belegt somit die Ausgangsthese der Studie von der umfassenden (Selbst-)Institutionalisierung. Wie bereits im Abschnitt zum methodischen Vorgehen angekündigt, fokussiert jede Kategorie zunächst ein einzelnes Ausstellungshaus. Diese bilden den Hauptkern der Analyse, denn bei diesen Fällen verdichten und häufen sich jene Merkmale, die an institutionskritische Praktiken anschlussfähig sind. Für jeden Typ ergänzen zwei weitere Fälle das zentrale Beispiel. Sie werden in unterschiedlicher Tiefe behandelt und dienen konkret der interpretativen Ergänzung und Kontrastierung der Hauptfälle. Das Van Abbemuseum, die neue Gesellschaft für bildende Kunst, Casco Art Institute – Working the Commons und Inverse Institution bilden den Analysekern. Die Kapitel zu jedem Institutionstyp beschließt ein Zwischenfazit, das für diese Häuser übergreifende Ergebnisse resümiert. Tab. 2: Hauptfälle. Van Abbemuseum

nGbK

Casco Art Institute – Working the Commons

Inverse Institution

Typ

Kunstmuseum mit Sammlung

Ausstellungshaus ohne Sammlung

Independent space

Post-Institution

Ort

Eindhoven (NL)

Berlin (DE)

Utrecht (NL)

Berlin (DE)

Jahr

1936

1969

1990

2011

Leitung

Charles Esche (Direktor)

Lilian Engelmann (Geschäftsführung)

Binna Choi (Direktorin)

kollektiv

Die Untersuchung stellt Ausstellungs- und Vermittlungsformate, Sammlungspraxis, institutionelle Modelle, kuratorische Arbeitsweisen, Rhetorik und Vokabular der Institutionen und Akteure, Entwicklung der beteiligten Akteure sowie die den Besucherinnen zugewiesene Rolle qua textlicher Kommunikation und räumlicher Führung in den Mittelpunkt. Diese Kategorien leiten sich aus der vorangestellten Analyse des Diskurses von Institutionskritik ab und sind im Vorhinein festgelegt worden. Somit handelt es sich um innere, aus der Forschung selbst entwickelte Kategorien. Nicht alle Aspekte sind für jeden Fall dargestellt; ich konzentriere mich jeweils auf die für diesen Kontext deutlichsten Anknüpfungspunkte an Institutionskritik. Anhand der Kategori-

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

en generierte Erkenntnisse sind miteinander verwoben, um einen detaillierten Einblick in die Hauptfälle zu präsentieren. Tab. 3: Überblick Fallstudien. Kunstmuseen mit Sammlung

Ausstellungshäuser ohne Sammlung

Independent Spaces

PostInstitutionen

Hauptstudie

Van Abbemuseum

nGbK

Casco Art Institute – Working the Commons

Inverse Institution

Ergänzung I

MACBA (Barcelona, ES)

bak (Utrecht, NL)

Showroom (London, UK)

L’Internationale

Ergänzung II

GfzK (Leipzig, DE)

Shedhalle (Zürich, CH)

PRAXES (Berlin, D/Bergen, NO)

ParaInstitution (Galway, IE)

4.2.

Kunstmuseen mit Sammlung

4.2.1.

Van Abbemuseum (Van Abbe), Eindhoven

Das Van Abbemuseum35 liegt am äußeren Rand des Eindhovener Stadtzentrums. 1936 gegründet, ist es heute ein etabliertes Kunstmuseum, das im Jahr zwischen 100.000 und 120.000 Besucherinnen verzeichnet.36 Das Haus hat in der letzten Dekade ein als experimentell beschriebenes Profil entwickelt, das in der nationalen und europäischen Museumslandschaft stetig referenziert und debattiert wird. 2004 übernahm Charles Esche die Leitung des Museums. Seit seiner Tätigkeit als Direktor des Rooseum Center for Contemporary Art in Malmö repräsentiert er einen experimentellen Ausstellungs- und Institutionsansatz, der sich für Diskursivität, Gesellschaftskritik und Demokratisierungsbestrebungen innerhalb des Museums einsetzt. Esche ist eine der zentralen Figuren im aktuellen Diskurs um kritische Museumspraxis und des New Institutionalism. Claire Bishop kürte ihn im Rahmen ihrer Publikation Radical Museology zum Vorreiter einer von ihr als ›radikal‹ bezeichneten Museumspraxis.37 In den folgenden Kapiteln skizziere ich zunächst die Lage des Van Abbemuseums und den inneren sowie äußeren Aufbau. Danach untersuche ich, wie das Van Abbe35 36

37

Nachfolgend verwende ich die Kurzform Van Abbe. Vgl. Thewissen, Pascale: Meer bezoekers voor Van Abbemuseum in Eindhoven. ED, 29.12.2012. Verfügbar unter: www.ed.nl/extra/cultuur/meer-bezoekers-voor-van-abbemuseum-ineindhoven-1.3583253 [Zugriff: 11.11.2016], Vgl. Van Abbemuseum (2010): Press Release December 2010. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/fileadmin/files/Pers/PDFs/2010/VAM %20Year %20of %202010_dec2010.pdf [Zugriff: 15.09.2016]. Vgl. Claire Bishop (2013): Radical Museology, or, What’s ›Contemporary‹ in Museums of Contemporary Art? London: Koenig Book u.a. S. 29.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

museum institutionskritische Praktiken aufgreift. Dies stelle ich exemplarisch an der Dauerausstellung Once upon a time… The Collection Now, sowie anhand von zwei Beispielen aus der Ausstellungspraxis, diskursiven Formaten und Vermittlungsstrategien dar.

4.2.1.1.

Lage und Beschreibung

Das Gebäude des Van Abbemuseums ist auf einer kleinen Insel platziert. Der Bau liegt an einer Straßenkreuzung, entsprechend kann man sich dem Van Abbe aus zwei Richtungen nähern. Bemerkenswerterweise kann man das Museum über zwei Eingänge betreten, die den Eintritt und den ersten Eindruck vom Haus unterschiedlich entwerfen. Bei meinem ersten Besuch im September 2015 fällt mir zuerst der Neubau mit grauen, leicht schiefen Türmen auf, die in die Luft ragen. Der Zugang zum Museum ist von hier nicht direkt erkenntlich und ich gelange über ein kleines, pinkfarbenes Durchgangshäuschen zunächst in das verglaste Café mit hohen Räumen, von dort aus führt ein gläserner Gang über das Wasser zu dem restlichen Gebäudekomplex. Das Van Abbemuseum erweckt über diesen Zugang durch die Helligkeit der Räume, weiße Farbe und die Glas- und Stahlelemente den Eindruck eines modernen Ausstellungshauses.

Abb. 2: Zugang 1 des Van Abbemuseums; Abb. 3: Zugang 2 des Van Abbemuseums.

Erst im Verlaufe des ersten Besuches wurde deutlich, dass es noch einen weiteren Eingang gibt, der eigentlich der Haupteingang zu sein scheint, da Besucherinnen von dort über einen Empfangsraum zum Ticketschalter und der Garderobe gelangen. Aus der Innenstadt kommend, erreicht man über den zweiten Eingang das alte Gebäude mit seiner Backsteinfassade mit dem Schriftzug des Museums. Der erste Raum, den man über diesen Eingang betritt, wird durch zwei Türfronten abgegrenzt und ist mit Wandvitrinen ausgestattet, in denen Bücher und Kataloge ausgelegt sind. Die Architektur und die Materialien evozieren bei mir Bilder von Stadtmuseen oder einer in die Jahre gekommenen Bibliothek. Das Haus unterteilt sich in drei größere Bereiche: den Alt- und Erweiterungsbau sowie einen Mittelteil. Im Altbau liegen die Räume für Wechselausstellungen, die auf einem Stockwerk mit der Kasse und Garderobe zu finden sind. Von dort führt der Weg zur Bibliothek und zum Archiv, jeweils zwischen den beiden Gebäudeteilen positioniert. Über eine Treppe erreicht man den Neubau, der die Sammlung zeigt und in dem sich das Café befindet. Vom Treppenhaus aus passiert man den Shopbereich und die

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Toiletten. Der Shop befindet sind somit zwischen den beiden Gebäudehälften im Untergeschoss und besteht aus einem separaten Raum sowie offenen Büchertischen links und rechts des Treppenabgangs. Indem es die Büchertische zentral im Gebäude platziert, präsentiert sich das Museum als Ort, der sich am Diskurs orientiert, vermittelt Intellektualität. Traditionelle Elemente von Shops in Kunstmuseen wie Spielzeug, Postkarten oder Schreibwaren und kleine Skulpturen sind wenig vorhanden.

4.2.1.2.

Sammlungspolitiken und »Once upon a time… The Collection Now«

Diskussionen zwischen Esche und der damaligen Archivleiterin Diana Franssen kreisten immer wieder um das Thema, unter welchen Umständen die Werke in die Sammlung des Van Abbe gekommen waren. Franssens Anliegen war es, dieses Wissen mit den Besucherinnen zu teilen.38 Als erste Maßnahme entwickelte sie die Living Archives, auf denen heutige Formate wie Contexts aufbauen. Die kritische Revision der Sammlungspräsentation entspringt also aus dem Museum selbst, genauer: ihren Mitarbeiterinnen. Kontextualisierende Dokumente wie Briefe, Fotografien und andere Schriftstücke wurden zum festen Bestandteil der Displays und ergänzen als Exkurse die Sammlungsausstellung.39 Im Folgenden rücke ich die Sammlungsausstellung Once upon a time… The Collection Now in den Mittelpunkt. Um zu ihr zu gelangen, muss man von der Kasse im ersten Stock aus den Shopbereich im Untergeschoss durchqueren. Von dort führt ein Flur zu dem Neubau, in dem sich die Sammlungsausstellung befindet. Zunächst betritt man einen offenen Halbraum, der als Einführungsraum dient. Auf der rechten Wand stellt eine Übersicht dar, wie die Sammlungsausstellung auf fünf Ebenen eingeteilt ist. Chronologisch schrauben sich die Werke vom frühen 20. Jahrhundert im Erdgeschoss hoch zu zeitgenössischen Positionen in den kleinen Räumen des Obergeschosses. Den Zeitabschnitten sind je thematische Kapitel zugewiesen. Nachfolgend konzentriere ich mich auf drei Elemente, die innerhalb der Dauerausstellung die Sammlungspolitik transparent machen und offenlegen, wie das Museum operiert. Dabei handelt es sich um die Formate Contexts, das DIY-Archief und Museum Index. Von diesen stellt jedes einen anderen Aspekt der musealen Sammlungs- und Ausstellungspraxis in den Mittelpunkt. Contexts Das Format Contexts basiert auf dem Konzept des Living Archive. Letzteres war erstmals 2008 als Intervention in der Sammlungsausstellung des Van Abbes installiert. Archivmaterialien wie Briefe, Inventarlisten, Fotografien und andere Dokumente sponnen eine neue Geschichte um ein Objekt und legten Hintergründe sowie die dynamischen Prozesse rund um ein Werk offen. Beispielsweise, ob es in direktem Zusammenhang 38 39

Gespräch mit einem Kurator des Van Abbe in Eindhoven am 29.09.2016. Das Ziel, diese Praxis zu verstetigen, zeigt sich im Wechsel von Franssen in das kuratorische Department. Sie ist nun curator/head of research. Ihr Positionswechsel lässt sich so interpretieren, dass die Integration von Archiv- und dokumentarischen Materialien mit dieser neu geschaffenen Kuratorinnenstelle institutionell verankert werden soll. Mit dieser Entscheidung demonstriert Esche nach außen hin sein Interesse, über das Museum und seine institutionellen Tätigkeiten reflektieren zu wollen.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

mit einem öffentlichen Ereignis stand, wann es erstmals ausgestellt wurde oder welche Gründe die Direktorinnen dazu bewegt hatten, genau dieses Objekt anzukaufen. Inszeniert waren die vorwiegend dokumentarischen Materialien entweder in Vitrinen vor oder neben den Bezugsobjekten, je nach Art des Werkes, oder an der Wand befestigt. Für die neue Dauerausstellung wurde dieses Format als Contexts adaptiert und in drei verschiedene Strategien überführt, die dem Publikum museale Tätigkeiten wie Sammlungsarbeit und -entwicklung näherbringen. Hinsichtlich der räumlichen Positionierung von Contexts fällt auf, dass sie auf drei Ebenen verteilt sind, nämlich im Keller, im Erdgeschoss und im ersten Stock. Sie sind nicht als Teil der Sammlungsausstellung präsentiert, da ihnen separate Räume zugewiesen sind.40 Contexts lehnt sich in der Inszenierung an sein Vorbild Living Archive an wie auf der Abbildung 9 zu sehen ist. Hier sind dokumentarische Elemente wie Zeitungsausschnitte, handschriftliche Notizen und Kataloge in Glasvitrinen ausgestellt.

Abb. 4: Detailaufnahme Display Contexts in der Dauerausstellung 2016.

Zudem sind Wandinstallationen Teil von Contexts. Wie die Abbildungen 10 und 11 zu zeigen, repräsentieren kleine Bilder die Kunstwerke der Sammlung. Die Bilder sind chronologisch nach Eingangsjahr in das Museum geordnet. Dies lässt sich als Strategie interpretieren, offen zu legen, dass in spezifischen Momenten wie der Aufnahme in die Sammlung etwas mit den Kunstwerken passiert. Der Kontext prägt die Bedeutung und Betrachtung des Objektes. Es handelt sich um Momente der Aufladung; ein Mehr, das den Werken zukommt und das die Autorität des 40

Während meiner Besuche bemerkte ich, dass diese Räume abseits des vorgesehenen Rundgangs liegen. Um sie zu erreichen, muss ich explizit räumliche – und thematische – Exkurse machen, da ich sie nicht automatisch bei einem Rundgang passiere.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Museums über die Deutungsmacht ein Stück weit zur Disposition stellt. Die Objekte dienen als Medien, um Ideologien, soziale, politische und ökonomische Zustände der Ankaufszeit mitauszustellen. Der Pressebericht dazu weist darauf hin, dass es das Ziel sei, Hintergründe transparent zu machen, welche die Sammlung penetrieren.41 DIY-Archief Das DIY-Archief liegt in einem separaten Raum links von der Treppe im ersten Stock. Der Raum beherbergt verglaste Schieberegale aus Holz mit Objekten und einen abgetrennten Bereich mit Videoarchiv, in dem sich Besucherinnen auf Computern mit Kopfhörern die Filme ansehen können (Abb. 6). Dazu gibt es einen großen, mittig platzierten Arbeitstisch mit Lampen und iPads, die der Recherche zu Objekten dienen (Abb. 6). Holzleisten sind rundherum an den grauen Wänden angebracht, um Objekte darauf zu platzieren, Zusammenstellungen zu testen und Hängungen auszuprobieren. Eine Sitzecke mit auffällig roten Polstermöbeln ist vor einer Fotowand platziert (Abb. 5). An der weißen Wand daneben erläutert ein Text, welche Objekte hier zu finden sind, was mit ihnen gemacht werden kann und wünscht den Besucherinnen mit einem abschließenden »Have fun« Spaß beim Entdecken.

Abb. 5: Panoramaaufnahme 1 des DIY-Archiefs.

Abb. 6: Panoramaaufnahme 2 des DIY-Archiefs.

Ein kleiner Gang, der mit Displays hinter Vitrinen bespielt ist, führt zu einem weiteren Ausstellungsraum. Kleine handgeschriebene Zettel neben den Objektgruppen legen die Vermutung nahe, dass diese von Besucherinnen realisiert wurden. Die Vermutung bestätigt sich bei einem vertieften Blick auf den Raum: Die Inszenierung und Möblierung lassen sich als Aufforderung an die Besucherinnen interpretieren, selber aktiv zu 41

Van Abbemuseum (2013a): Pressbericht Oktober 2013: Contexts. Part of Once Upon a Time… The Collection Now, Paragraph 1. Archiv Van Abbemuseum.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

sein. Der Name DIY-Archief – DIY steht für »Do it yourself« – unterstützt diesen Eindruck. Während meines Aufenthalts gewann ich den Eindruck, dass es sich um einen wenig besuchten Raum handelt. Dies bestätigte die Aufsicht in einem kurzen Austausch und ein Kurator des Van Abbe führte in einem persönlichen Gespräch aus, der Bereich funktioniere besonders für Gruppen und werde von individuellen Besucherinnen nur wenig angenommen.42 Bei meinem Besuch im September 2016 konnte ich feststellen, dass bei einer Beobachtung von je zwei Stunden am Vor- und Nachmittag eines Donnerstags ca. 15 Gäste das Archiv betraten und sich dort etwa eine halbe Minute aufhielten.43 Eine einzige Besucherin zog Schubladen heraus und besah sich Archivgegenstände – alle anderen verhielten sich wie in einem traditionellen Ausstellungsraum, indem sie mit hinter dem Rücken verschränkten Händen einmal langsam den Raum durchschritten und die Wände besahen. Dies könnte daran liegen, dass die Aufsichten, die guides, nicht mit den Besucherinnen interagierten. Statt eines Do-it-Yourself Archivs, das Aktivität fordert, wird es eher als Schaulager oder -depot genutzt. Der Name des Formats scheint somit nicht der tatsächlichen Nutzung zu entsprechen. Die im Wandtext und in der Beschreibung des DIY-Archiefs auf der Homepage des Museums formulierte Intention44 , das Publikum zu aktivieren und kuratorisch tätig werden zu lassen, wird somit nicht vollständig eingelöst. Dennoch ist hervorzuheben, dass das Museum einen wichtigen Teil seiner Praxis (das Aufbewahren) dauerhaft zum Teil der Ausstellungsinszenierung macht und ihn ›auf die Bühne‹ bringt. Das DIY-Archief bleibt als Angebot für Besucherinnen bestehen und das Museum überlässt ihnen, wie sie damit umgehen wollen. Museum Index Museum Index stellt eine weitere Methode dar, um offen zu legen, wie das Van Abbe als Museum arbeitet. Seit der Installation der neuen Dauerausstellung Once upon a time… The Collection Now im Jahr 2013 sind die zu diesem Format gehörigen Infographiken fester Bestandteil des Displays. Als Intermezzo sollen sie neue Perspektiven auf Sammlungspolitik und -entwicklung bieten. Für Museum Index wurden sonst nicht öffentlich zugängliche Sammlungsdaten statistisch ausgewertet und für die Besucher visuell übersetzt. Die Grafiken sind großformatig an den Wänden einer Seitennische im Gang des zweiten Stocks installiert. Fotos repräsentieren die jeweiligen Werke der Sammlung. Dreiecke in Grün über das Bild geklebt, verweisen darauf, dass das Werk aktuell in der Dauerausstellung zu sehen ist. In Blau wiederum symbolisiert das Dreieck eine momentane Leihgabe für eine andere Schau oder in ein anderes Museum. Zudem ist die Entwicklung der Versicherungswerte einzelner Objekte abgebildet: Wurde ein Bild Rot unterlegt, ist der Wert 42 43

44

Gespräch mit einem Kurator des Van Abbe in Eindhoven am 29.09.2016. Diese Ergebnisse basieren auf einer Beobachtung, die vor Ort durchgeführt wurde. An einem Donnerstag, den 29.09.2016 hat die Autorin zweimal 2 Stunden, jeweils einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag, im Archiv verbracht und Besucherinnenanzahl sowie Aufenthaltsdauer in Feldnotizen festgehalten. Vgl. Van Abbemuseum (2013b): DIY ARCHIVE. make your own exhibition. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/en/programme/programme/diy-archive/[Zugriff: 28.08.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

des Objekts seit Eingang in die Sammlung gestiegen. Bei jeder Neuinstallation von Museum Index stehen andere Untersuchungen im Zentrum. In der Vergangenheit waren dies: Was ist der Wert eines Kunstwerks? Wie oft ist es ausgestellt? Welche Objekte zeigt die Sammlungsausstellung derzeit? Wie ist das numerische Verhältnis von nationalen und ausländischen Künstlerinnen? Einzelkünstlerinnen oder Kollektive, weiblich oder männlich?45 Auf Einladung des Museums setzt der niederländische Designer Joost Grootens die herausgearbeiteten Informationen visuell um. Er ist darauf spezialisiert, komplexe Daten anschaulich grafisch darzustellen. Das Van Abbe stellt ihm halbjährlich die Informationen zur Verfügung und er bereitet sie eigenständig auf. Das Museum hat somit diese Aufgabe ausgelagert, was Objektivität suggeriert. Der theoretische Hintergrund von Museum Index: Das Museum kommuniziert mit seiner Sammlung, welche Objekte und Künstlerinnen es als sammelnswert – oder gerade nicht – identifiziert. Auf diese Weise treten Auslassungen und Lücken der Sammlung zu Tage. Durch spezifische Werkgruppen werden Sammlungsfoki sichtbar, die ein bestimmtes kunsthistorisches Narrativ zeichnen. Die Analyse dieses Narrativs zeigt, welche Kriterien das Sammlungsverhalten steuern und bildet gesellschaftliche Entwicklungen ab. Als weitere Einrichtung, welche die Reflexion der eigenen Sammlung ermöglicht, verfügt das Van Abbe über ein umfangreiches Ausstellungs- und Veranstaltungsarchiv, das online einsehbar ist. Vor Ort können Interessierte in der Bibliothek nach weiterführenden Informationen fragen. Auf Anfrage erhält man von der Archivarin einen Kartonhefter, gefüllt mit Objektlisten, Pressemeldungen, Zeitungsartikeln, Saalblättern. Zu den Materialien gehören auch ungewöhnliche Elemente, die nicht aufgrund ihrer inhaltlichen oder finanziellen Bedeutung sammelnswert sind. Beachtenswert beispielsweise die handschriftlichen Notizen des Direktors zu einer Eröffnungsrede. Als Schriftdokument birgt ein solches Objekt die Kraft, eine Verbindung zur Verfasserin der Notizen herzustellen. Bei Betrachtung dieses Schriftstücks fällt die Dynamik der Linie auf, die entweder als Begeisterung für die Ausstellung oder als Symptom eines aufgeregten beziehungsweise gehetzten Zustands gedeutet werden kann. Bemerkenswert ist, dass lediglich die erste Seite der Notizen Teil der Archivmaterialien ist – erkennbar daran, dass der letzte Satz der Seite unbeendet bleibt. Es bleibt unklar, ob der Rest der Rede verloren ist oder bewusst nur exemplarisch die erste Seite archiviert wurde. Es scheint möglich, dass nicht der sprachliche Inhalt im Mittelpunkt steht: Nicht er macht das Objekt aufbewahrenswert, sondern sein Potenzial, Nähe zu den Besucherinnen und möglichen Leserinnen herzustellen. Statt einer offiziellen Eröffnungsrede, die sich an ein größeres, nicht-individualisiertes Publikum richtet, erhält der Einzelne mit den Notizen einen persönlichen Eindruck zu den Gedanken von Esche.

45

Das Format hat einen Vorgänger: Im Rahmen des Ausstellungszyklus Play Van Abbe aus den Jahren 2009/10 keimte die Idee, Sammlungsdaten und -verhältnisse als Teil der Ausstellung zu inszenieren erstmals auf – eine ausführliche Beschreibung des Play Van Abbe findet sich in Kapitel 4.2.1.3. Gemeinsam mit Kooperationspartnerinnen verschiedener Universitäten wurde das Vorhaben in einem Forschungsprojekt vertieft: Ziel war es, die eigene Sammlungspraxis zu reflektieren, das erworbene Wissen darüber zu teilen und transparent zu machen, welche Aspekte bisher die Ankaufspolitik gesteuert hatten.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Im nachfolgenden Kapitel analysiere ich als zweiten Anknüpfungspunkt an die Institutionskritik zwei exemplarische Sonderausstellungsprojekte. Dabei handelt es sich um abgeschlossene Projekte, an denen ich nicht persönlich teilnehmen konnte. Als Quellen für die Untersuchung fungierten deshalb die Beschreibungen auf der Internetseite des Museums, Archivmaterialien des Museums vor Ort, Fotografien, Medienberichte und Hintergrundinformationen zu den Ausstellungen aus persönlichen Gesprächen mit einem der beteiligten Kuratorinnen.

4.2.1.3.

Das Van Abbe als sein eigener Ausstellungsgegenstand

Wechselnde Sonderausstellungen mit gesellschaftspolitischem Bezug ergänzen neben der Sammlungspräsentation das Programm des Van Abbe.46 Ein kontinuierlicher Bestandteil der Wechseldisplays sind die – unter anderem von institutionskritischen Akteuren monierten – Probleme des Kunstfeldes und die Rolle des Museums im 21. Jahrhundert. Ein Blick in die Rezensionen und Besprechungen über das Van Abbe fördert zutage, dass insbesondere zwei Projekte regelmäßig besprochen werden: Play Van Abbe und Museum of Arte Útil.47 Es handelt sich in beiden Fällen um längerfristige Projekte, die unterschiedliche Phasen und Formate umfassen. Exemplarisch stehen sie für jene kritischen Fragen, die das Van Abbe verhandeln will: • • •

Die Rolle des Museums für gesellschaftliche und politische Prozesse wie Subjektund Identitätsentwicklung, die Reflexion über Funktionen des Museums und seine Geschichte sowie der Nutzen von Museen als sozialpolitische Agenten.

Die beiden Projekte gilt es im Folgenden näher zu beleuchten. Play Van Abbe Play Van Abbe war ein 18-monatiges Programm mit vier Ausstellungen, die sich der Frage ›What is the role of an art museum in the 21st century?‹ widmeten. Das Projekt umfasste 46 47

Beispielsweise Who owns the street? (2016/17), New perspectives on the 1980s. Counter-cultures from Catalonia, Turkey and Madrid (2016) oder Confessions of the Imperfect, 1848 – 1989 – Today (2014/15). Ein drittes Projekt, das vielfach erwähnt wird, war Be(com)ing Dutch, das von 2006 bis 2008 durchgeführt wurde. Hier ging es vorwiegend um den Einfluss der Kunst auf nationale Identitäten und in zweiter Linie um die Rolle, die Museen in diesem Verhältnis einnehmen. Mit diesem Projekt eruierte das Van Abbe, wie das Wechselverhältnis zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und Museum zu verstehen ist und inwiefern das Van Abbe in diese Entwicklung zurückwirken kann. Das Van Abbe positionierte sich als Ort, an dem debattiert und entschieden wird sowie Maßnahmen für seine zukünftige Entwicklung ausgehandelt werden. Mit Be(com)ing Dutch legte das Museum den Grundstein für eines seiner zentralen Ziele: Dispersion. Vgl. Charles Esche, Diana Franssen et al.: On the Van Abbemuseum Archives. In: Field Notes, 2 (2012): S. 11-24. Verfügbar unter: https://aaa.org.hk/en/ideas/ideas/on-the-van-abbemuseum-archive [Zugriff: 16.09.2016]. Vgl. auch Dutch Art Institute: CO-OP ACADEMY/THE VAN ABBEMUSEUM PRESENTS: USING THE MUSEUM. Homepage des Dutch Art Institute. Verfügbar unter: http://dutchartinstitute.eu/page/4481/co-op-academy-the-van-abbemuseum-presents-using-the-museum [Zugriff: 18.11.2016] und Dutch Art Institute (2013): Using the Museum. Homepage des Dutch Art Institute. Verfügbar unter: http://dutchartinstitute.eu/page/4978/using-the-museum [Zugriff: 18.11.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

eine Reihe von Formaten, die neben den etablierten Medien der Ausstellung und der Perfomance diskursive Formate wie Lectures, Diskussionen und Workshops einschloss. Thematisch reflektierte Play Van Abbe • • • •

in Part I: die eigene Geschichte, in Part II: verschiedene historische Museumsmodelle, in Part III: Sammlungsstrategien sowie ihre politische Bedeutung und in Part IV: Rollen, welche die Besucherinnen einnehmen könnten.

Dementsprechend betitelt, waren es Part I: The Game and the Players, der institutionelle Transparenz und historische Zufälligkeit betonte48 sowie die player im Museum und die von ihnen erzählten Geschichten aufzeigte. Als Abschluss des ersten Teils übernahm If I Can’t Dance, I Don’t Want To Be Part of Your Revolution49 das Museum für einen Tag und ordnete das Thema ›Masquerades‹ an. ›Masquerades‹ spielte auf das Problem der Rollenaufteilung an, welches im späteren Verlauf von Play Van Abbe wiederum relevant sein wird. Die Übernahme (auf Einladung des Museums) unterbrach temporär die üblichen Museumsabläufe. Part II: Timemachines rekonstruierte historische Museumsmodelle und hinterfragte, wie Museen durch Präsentationstechniken und Selektionsmechanismen Geschichten erzählen und welche Vorannahmen hinter diesen stehen. Die zugrunde liegende Frage lautete dabei: Wie entsteht im und durch Museumsschauen Kunstgeschichte? Part III: The Politics of Collecting – Collecting of Politics konzentrierte sich auf das Sammeln als eine Haupttätigkeit des Museums. Die Ausstellung zeigte, was uns Sammlungsstrategien über die jeweilige Zeit sagen und was es bedeutet, ›politische Momente‹ zu sammeln. Die Van-Abbe-Sammlung wurde mit Archiven und Sammlungen von Künstlerinnen verglichen; die Sammlungspolitiken des Van Abbe, des BKR in Eindhoven und des Contemporary Art Museum Palestine wurden visualisiert, um den Einfluss der geopolitischen Kontexte auf Sammlungspraktiken zu untersuchen. Part IV The Pilgrim, the Tourist, the Flaneur (and the Worker): Besucherinnen waren eingeladen, verschiedene Rollen einzunehmen und sich diesen entsprechend durch die Ausstellung zu bewegen. Die Pilgerin fokussiert die Objekte, die Touristin die Geschichten, der/die Flaneurin die Zeit und die gesamte Museumserfahrung, Arbeiterinnen hingegen suchen die direkte Konfrontation mit den Werken und suchen nach neuen Ideen für sich und andere. Besucherinnen können ihre Rollen zwischendurch wechseln, um Kunstwerke aus verschiedenen Perspektiven zu erfahren – die Rollen waren abgeleitet aus den Kriterien, nach denen sich der Erfahrung des Van Abbe nach das Publikum Kunstwerke ansieht. Die Rollen waren nicht hierarchisch angelegt und konnten sich unter Umständen sogar ergänzen. Sie sollten nicht dazu anleiten, zu urteilen, ob die Werke ›gut‹ oder ›schlecht‹ sind, sondern der Perspektivwechsel stand im Vordergrund. 48 49

Vgl. Bishop (2013), S. 30. If I Can’t Dance, I Don’t Want To Be Part of Your Revolution besteht aus den drei Kuratorinnen Frederique Bergholtz, Annie Fletcher und Tanja Elstgeest. Sie setzen sich vorwiegend mit performancebasierten Praktiken auseinander. Vgl. auch: If I Can’t Dance, I Don’t Want To Be Part of Your Revolution (2017): About If I Can’t Dance. Homepage von If I Can’t Dance, I Don’t Want To Be Part of Your Revolution. Verfügbar unter: www.ificantdance.org/About/00-IfICantDance/About [Zugriff: 15.12.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

An jede der vier thematischen Ausstellungen reihte sich eine transition an, in der exakt das dazwischen zwischen den Ausstellungen im Mittelpunkt stand: Umbau, Aufbau, Restauration, Zustandsprotokolle. Aus der Beschreibung der zweiten Ausgabe transitions II geht hervor, dass es dazu Führungen mit Mitarbeiterinnen wie Ausstellungsdesignerinnen und -technikerinnen, Kunsttransporteuren und Konservatorinnen gab, die sonst unsichtbar bleiben.50 Jeden Tag gab es eine freie Führung und spezielle ›behind the secenes‹-Touren, die jeweils auf einen bestimmen Aspekt der Museumstätigkeit näher eingingen.51 Zudem wurden Videos und Texte gezeigt, in denen Angestellte des Van Abbe über Ausstellungs- und Installationsprozesse sprachen. Während dieser Umbauphasen veränderten sich sonst gültige Museumsregeln: Ausstellungsräume waren zugänglich statt versperrt, Besucherinnen sahen, was ihnen sonst verborgen bleibt, und zwar sowohl Personen als auch Prozesse, die wichtiger Bestandteil der täglichen Museumsarbeit sind. Play Van Abbe lässt sich als Teil der übergeordneten institutionellen Strategie des Van Abbe einordnen, möglichst transparent und selbstreflexiv zu arbeiten sowie sich selbst, gemeinsam mit dem Publikum, zu befragen. Dafür lud das Museum verschiedene internationale Ausstellungsmacherinnen und Künstlerinnen ein, um polyperspektivisch zu operieren. Zudem sah das Van Abbe beispielsweise in Part IV vier vorbestimmte Rollen vor, die unterschiedliche Wege anbieten sich mit den Kunstwerken auseinanderzusetzen. Um Einblick zu erhalten, was Besucherinnen über das Museum wissen möchten, beantwortete Charles Esche am Ende jedes Zyklus Publikumsfragen, die das Van Abbe auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichte. Play Van Abbe erhielt nicht nur positive Resonanz. Obwohl im Kunstfeld vielfach anerkannt und besprochen52 , kristallisiert sich an diesem Projekt ein dauerhaft bestehender Vorwurf gegenüber dem Museum: Das Van Abbe lasse sich nicht auf das lokale Publikum ein und verorte sich nicht in dessen Kultur und Region.53 Die daraus entstehende Entfremdung führe dazu, dass das Programm als zu intellektuell und elitär abgewiesen werde54 , obwohl allem Anschein nach das gegenteilige Ziel Antrieb zu dieser Art von Projekt gab. Die Vorwürfe erreichten 2011 ihren Höhepunkt, als lokale Politikerinnen planten, das Budget zu kürzen und dem Museum nahelegten, sich grundsätzlich neu auszurichten um mehr Besucherinnen anzulocken, »not just the artistic 50

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Vgl. Van Abbemuseum (2010): TRANSITION II. Backstage at the Van Abbemuseum. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/en/programme/programme/transition-ii/[Zugriff: 14.12.2016]. Vgl. Ebd. Dazu gehörten die Installations tour, The museum behind the scenes, Transporting and conserving art, Research Library and Archive, Climbing the Van Abbe Towers, Handling the Goods und The Architect’s Story. Vgl. u.a. Angela Bartholomew: Painting Into a Corner: The Pedagogic Agenda, the Immersive Mediation (and the Overdetermined Experience) of Play Van Abbe 4. In: Stedelijk Studies, 4 (2016). Verfügbar unter: www.stedelijkstudies.com/journal/painting-into-a-corner/[Zugriff: 18.02.2017]. Ebenso: Claire Bishop (2013), S. 30ff. Auch: Martha Buskirk: Play Van Abbe. In: Artforum International, 48, 10 (2010): S. 342-343. Vgl. Bishop (2013), S. 55. Vgl. Max Majorana: Interpassive scepticism. Visiting the Van Abbemuseum. Notes on Metamodernism, 17.09.2012. Verfügbar unter: www.metamodernism.com/2012/09/17/interpassivescepticism-visiting-the-van-abbe-museum/[Zugriff: 16.09.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

elite.«55 Ein öffentlicher Aufruf durch Esche via Facebook, das Van Abbe vor dem entscheidenden Sitzungstag der Politikerinnen zu unterstützen, konnte in letzter Minute vereiteln, dass die Forderungen durchgesetzt wurden.56 Diese Debatte steht stellvertretend für die Herausforderungen, denen ein progressiv agierendes Museum aktuell begegnen muss. In Zeiten radikaler Budgetkürzungen und einer gestiegenen Anzahl Konkurrenzhäuser, muss ein mittelgroßes Museum zwischen eigenem Bestreben und Fremderwartungen navigieren. Dauerhafte Beziehungen zum lokalen Publikum aufzubauen, Kollaborationen zu initiieren sowie partizipative Elemente in Entscheidungsprozesse der Programmation, Ankäufe oder Ausstellungsobjekte einzubauen, markieren gängige Strategien, um Besuchende zu binden und so die lokale Förderung des Museums zu legitimieren. Using Art/Using the Museum Das zweite Projekt des Van Abbe, das vorgestellt wird, entstand aus einer dreijährigen Kooperation mit dem Dutch Art Institute, an welchem Mitarbeiterinnen des Museums während dieses Zeitraums lehrten, und rangierte unter dem Titel Using the Museum. Die Prämisse war, Kunst sei nicht autonom, sondern ein Werkzeug und somit nutzbar. Dieser Metapher entsprechend könnten Künstlerinnen und Publikum das Museum nutzen. Das Vorgehen umfasste kuratorische, theoretische und künstlerische Praktiken. In einem ersten Schritt wurden die drei Leitbegriffe des Museums – transparency, agency und dispersion – anhand von Texten in Seminaren und Vorträgen untersucht. Der zweite, kuratorische Teil umfasste zwei Ausstellungen, die als Fallstudien in einem Kurs am Dutch Art Institute besprochen wurden. Für diese beiden Displays antworteten das Museum und Künstlerinnen auf Fragen, die im ersten Schritt aus den Diskussionen generiert wurden. Es entstand einerseits die beschriebene Sammlungsschau Once upon a Time…The Collection Now sowie die Sonderausstellung The Museum of Arte Útil, die ich nachfolgend beschreibe. Im dritten Schritt erarbeiteten die teilnehmenden Künstlerinnen des Kurses selbst Installationen, Interventionen und Performances, welche die akzeptierte Vorstellung des Museums und seiner Produktions- sowie Zeigeformen herausfordert. Nachfolgend schildere ich die Ausstellung The Museum of Arte Útil. Diese Ausstellung verwandelte den Altbau des Van Abbe in The Museum of Arte Útil57 , wo Kunst aus ihrer Autonomie gelöst und auf ihre sozialen und politischen Funktio55

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Mariann Egge: The Van Abbemuseum under political pressure. Kunstkritikk, 24.10.2011. Verfügbar unter: www.kunstkritikk.com/nyheter/the-van-abbemuseum-under-political-pressure/[Zugriff: 21.09.2016]. Gespräch mit einem Kurator des Van Abbe in Eindhoven am 29.09.2016. Interessanterweise bemühte das Museum Hans Haacke um ein Fürsprechen – ein als institutionskritisch geltender Künstler unterstützte somit das Fortbestehen eines Museums. Eine naheliegende Erklärung wäre, dass Haacke das Van Abbe sieht wie es sich präsentieren will: als kritisch und experimentell. Arte Útil (zu deutsch: nützliche Kunst) muss acht Kriterien erfüllen: 1. Einen Nutzen von Kunst in der Gesellschaft vorschlagen, 2. das Feld herausfordern, in dem sie operiert, 3. zeitspezifisch sein und auf tagespolitische Dringlichkeiten reagieren, 4. in realen Situationen funktionieren, 5. Autorinnen durch Initiatorinnen und Betrachterinnen durch Nutzerinnen ersetzen, 6. praktische, hilfreiche Ergebnisse für ihre Nutzerinnen haben, 7. nachhaltig sein aber an wandelnde Bedingung anpassbar und 8. Ästhetik als ein System der Veränderung wiederherstellen. Vgl. dazu Museum of

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Institutionskritik im Feld der Kunst

nen überprüft wurde. Initiiert durch die Künstlerin Tania Bruguera58 und durchgeführt in Kollaboration mit dem Van Abbe und dem Konstruktionsunternehmen ConstructLab, blickte die Schau auf über 200 Fallstudien zurück, welche die soziale Funktion von Kunst auf die Probe gestellt haben und Taktiken vorschlagen, sich andersartig in der Gesellschaft zu verhalten.59 Die Fallstudien wurden von der Künstlerin selbst, von Forscherinnen des Van Abbemuseum und des Queen Museum in New York (den ausstellen Museen) sowie von internationalen Kollaborateuren, so unter anderem Claire Bishop, Galit Eilat, Grant Kester und Paul O’Neill, via eines open call gesammelt Darüber hinaus fanden so genannte Live Projekte im Museum und in Eindhoven, teilweise in Kooperation mit lokalen Organisationen, statt, die der gleichen Fragestellung wie die historischen Fallstudien nachgingen. Bruguera ging davon aus, dass der gesellschaftliche Wandel traditionelle Systeme aufbricht und Künstlerinnen dabei eine besondere Rolle einnehmen. Das Museum sollte sich im Zuge dieser Veränderung zu einem Social Power Plant 60 entwickeln, zu einem Ort der Produktion und des Outputs, der nicht nur der Repräsentation dient. Einzelne Teilprojekte waren in speziell benannten Ausstellungsräumen im Museum wie Institutional Repurpose, Use it Yourself oder Space Hijack ausgestellt. Sie bezogen sich auf Eindhoven oder waren gemeinsam mit lokalen Organisationen kreiert. Zu den Projekten zählten Light Therapy von Apolonija Šušteršič – ein Raum, in dem Lichttherapie stattfindet, um den Winterblues zu vermeiden. Zudem gab es The Room of Propaganda, Legitimation and Belief, The Room of Controversies, in dem Diskussionen und Debatten stattfinden sollen sowie den Archive Room und drei Räume zu A-Legal, Open Access, Legislative Change und Reforming Capital. Auf der Homepage des Projekts finden sich Hintergrundinformationen und die Namen aller an dem Projekt Beteiligten.61 Dazu gehörten neben Künstlerinnen auch andere kulturelle Produzentinnen und Aktivistinnen. Damit erfüllte das Van Abbe eine

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Arte Útil (2016): What is Arte Útil? Homepage des Museum of Arte Útil. Verfügbar unter: http://museumarteutil.net/about/[Zugriff: 11.11.2016]. An dieser Stelle sei verwiesen auf den Umstand, dass es bei den vorgestellten Projekten mitunter schwierig ist, sie eindeutig als kuratorisch, künstlerisch oder vermittelnd zu charakterisieren. Die Autorin vertritt die Ansicht, dass dies die Stärke aktueller institutionskritischer Projekte ist und dafür spricht, dass sich Institutionskritik zu einer disziplinenübergreifenden Praxis entwickelt hat. Zudem kann ein institutionskritisches Vorgehen auch, wie in diesem Fall, von einer Künstlerin angeregt sein. Hier spielt auch das Verhältnis von Künstlerin und Museum sowie der Balance der Verantwortlichkeiten eine Rolle. Kommt dem Museum stärker die Funktion als Gastgeberin der Kritik zu, läuft das Projekt Gefahr, auf seinen Status als Kunstwerk oder künstlerische Forschung reduziert zu werden. Das Archiv mit allen Projekten und seinen Beschreibungen befindet sich zudem auf der Projekthomepage der Künstlerin, verfügbar unter: http://museumarteutil.net/archive/[Zugriff: 29.01.2019]. Vgl. Van Abbemuseum (2013c): MUSEUM OF ARTE ÚTIL. 07/12/2013 – 30/03/2014. Initiative by Tania Bruguera. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/en/programme/programme/museum-of-arte-util/[Zugriff: 18.11.2016], e-flux: Museum of Arte Útil. e-flux, 26.11.2013. Verfügbar unter: www.e-flux.com/announcements/31844/museum-ofarte-til/[Zugriff: 18.11.2016]. So hat der Künstler Stephen Wright als Auftragsarbeit zu dem Projekt ein Lexikon von Begriffen entwickelt, mit denen heutige Kunstpraktiken besser beschrieben werden können.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Forderung der Institutionskritik: Gleichberechtigt alle Mitwirkenden zu nennen und nicht Projekte zu vereinnahmen und als museumsinternes Vorhaben zu präsentieren sowie es lokal einzubetten. Die institutionelle Praxis blieb von Using Art/Using the Museum als Gesamtprojekt nicht unberührt: Museumsmitarbeiterinnen sprechen seither von usern und nicht mehr von Besucherinnen. Mit diesem Terminus setzen sie eine Aktivität seitens des Publikums voraus und verstärken die Annahme, dass das Museum ein Instrument für soziale und politische Veränderungen sein kann – und zwar ein Instrument des Publikums. Führt man diese Logik konsequent weiter, folgt daraus, dass das Museum mit steigender Aktivität und ›Benutzung‹ durch andere Akteure, sukzessive Handlungs- und Deutungsmacht abgibt. Damit wären indirekt Forderungen institutionskritischer Künstlerinnen wie Renée Green, Mark Dion oder Louise Lawler erfüllt.62 Diese Einschätzung unterstützt das weiter veränderte Vokabular des Van Abbe: Im Rahmen des Projekts The Uses of Art der Museumskonföderation L’Internationale63 sprechen die Projektmitarbeiterinnen von constituency. Der politische Terminus zeugt davon, dass das Museum sich stärker mit denjenigen verbinden will, an deren Existenz es gebunden ist. Obwohl in der Pressemitteilung zur Gründung der L’Internationale von dezentralisiertem und horizontalem Austausch die Rede war64 , evoziert der Begriff constituency darüber hinaus Gewissheit und Sicherung von Unterstützung. Die constituency des Museums besteht für Esche aus stakeholdern und dem Publikum. Der Ausdruck constituency spiegelt die Abkehr von der Kunst als Zentrum der Aufmerksamkeit von Museen wider. Der Terminus trägt dazu bei, Museen als Orte sozialen Austausches und Beteiligung zu denken. Es bleibt zu beobachten, inwiefern das Van Abbe diese Logik fortführt und strukturell sowie programmatisch umsetzt. Using Art/Using the Museum zielte darauf ab, Kunst und das Museum in die Gesellschaft zurückzuführen und ihnen eine soziale und politische Funktion zuzuweisen. Fragen der Instrumentalisierung für solche Zwecke wurden dabei anscheinend nicht mitreflektiert. Die Vermutung liegt nahe, dass es darum ging, ein positives Bild zu zeichnen wie Kunst und Künstlerinnen als Katalysatoren und Agenten gesellschaftlicher Transformationen wirken. Ausgeblendet wurde dabei, dass aktives Eingreifen und Vereinnahmung als zwei Seiten einer Medaille diesen Prozess begleiten. Künstlerinnen einzuladen, in Museen und Ausstellungen zu intervenieren, weckt Erinnerungen an Fred Wilsons institutionskritisches Projekt Mining the Museum (1992).65 Mit seinen ungewöhnlichen Displayzusammenstellungen sorgte er für Aufruhr und weigerte sich, Vermittlerinnen über seine kuratorischen Absichten zu informieren. Nah mit den Künstlerinnen zu arbeiten, ihren Arbeitsprozess zu begleiten und ihnen teilweise die Verantwortung für die kuratorisch-inhaltliche Tätigkeit zu überlassen, sind vor allem für zeitgenössische Häuser gängige Praktiken. Dabei nimmt die Kuratorin eine unterstützende Rolle ein, die kuratorische Vision tritt stärker in den Hintergrund. 62 63 64

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Siehe Kapitel 3.1.3. zu der ersten und 3.1.4. zu der zweiten Phase der Institutionskritik. Siehe Kapitel 4.6.2. für die Untersuchung von L’Internationale. Vgl. Van Abbemuseum (2013d): Press Release L’Internationale. Homepage des Van Abbemuseum. PDF verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/fileadmin/files/Pers/PDFs/2013/Press-release_L-Internationale_The-Uses-of-Art_100413.pdf [Zugriff: 08.10.2015], S. 1. Siehe Kapitel 3.1.5.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Die Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Kuratorinnen hat heute einen weniger kritischen Impetus, sondern will die Künstlerin stärker am Entstehungsprozess der Ausstellung beteiligen und sie mitentscheiden lassen.

4.2.1.4.

Diskursivität

Das Van Abbe positioniert sich als Forschungseinrichtung und Laboratorium66 , dessen Themen sich aus den Interessen des Direktors und der Kuratorinnen speisen, im Anschluss an aktuelle Debatten im Kunstdiskurs. Das Museum stellt Plattformen bereit, auf denen sich ein kritischer Zirkel von Akteuren aus dem Theoriebereich zusammenfindet, um selbstreflexive Praktiken des Museums zu bearbeiten. Seminare, Konferenzen oder Vorträge, die entweder an spezifische Ausstellungsthemen anknüpfen oder, wie im Falle des Van Abbe, im Kontext von größeren Forschungsprojekten entstehen, gehören heute zum Standardrahmenprogramm von Museen. Das Sprechen über Kunst ist nicht zuletzt dank Andrea Frasers Performance Museum Highlights (1989)67 als elementarer Bestandteil der kuratorischen Praxis in den Fokus gerückt. Fred Wilson hob, indem er sich weigerte, Vermittlerinnen Informationen über sein Projekt Mining the Museum zu geben, ebenfalls die Rolle der diskursiven Auseinandersetzung und ihre Bedeutung für das Museumserlebnis hervor. Die systematische Ausweitung des Ausstellungsmachens über das reine Zeigen von Objekten hinaus unterläuft auf diese Weise die traditionelle Vorstellung von Kuratieren. Sogenannte »paracuratorial activities«68 zeugen von einer Verschiebung hin zu Formaten, die eine dialogische, prozessuale Logik gegenüber einer produkt- und ergebnisorientierten Logik bevorzugen.69 Bisherige kuratorische Konstellationen werden destabilisiert, aber laufen Gefahr, Prozesse als einzige Projektform gegenüber beispielsweise Ausstellungen zu favorisieren. Mit der beschriebenen Verschiebung hin zu forschungs- und sprachbasierten Formaten geht ein gestiegenes Interesse an Forschung über Ausstellungshäuser einher. Nicht erst seit dem umfassend rezipierten Band Curating Research70 sind Forschung und Kuratieren in einen engen Zusammenhang gerückt. Museen wollen Wissen generieren, eigene Beiträge zum Diskurs leisten und führen langfristige Projekte durch, die sich nicht zuletzt mit dem Museum und seiner Rolle selbst beschäftigen. Konferenzen, Symposien und Vorträge scheinen die passenden Medien, um Ergebnisse vor- und zur Diskussion zu stellen. Das Van Abbe denkt über sich selbst, seine Geschichte, Struktur und Funktionen nach und tut dies in verschiedenen internationalen Rahmungen und 66

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Charles Esche stellt sich ein gegenwärtiges Museum vor, dass zum Teil community centre, zum Teil Labor und zum Teil Akademie ist. Vgl. Charles Esche (2004): What’s the Point of Art Centres Anyway? – Possibility, Art and Democratic Deviance. republicart. Verfügbar unter: http://republicart.net/disc/institution/esche01_en.htm [Zugriff: 21.10.2015]. Siehe Kapitel 3.1.5. Paul O’Neill: The Curatorial Constellation and the Paracuratorial Paradox. In: The Exhibitionist, 6 (2012): S. 1-4. O’Neill konstatiert, dass das Präfix ›para‹ auf einen Nebenschauplatz verweist, auf eine Ergänzung zur Ausstellung als unvermeidlichem Ergebnis kuratorischer Praktiken, gibt aber zu bedenken, dass damit eine binäre Vorstellung von primärer und sekundärer kuratorischer Arbeit verfestigt würde. Vgl. Ebd. O’Neill und Wilson (2015).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

in Abgrenzung zu anderen Museumsmodellen. Oft wird auf Kooperationen gesetzt, um Diskursivität zu erzeugen – für das Van Abbe gehörten in der Vergangenheit SALT Istanbul, das Kunsthaus Bregenz, das Netzwerk Giant Step und Universitäten zu den Partnerinnen der Veranstaltungen. Dabei ist eine gewisse inzestuöse Tendenz zu beobachten: Die Kooperationen gehen zumeist auf die Netzwerke des Direktors oder der Kuratorinnen zurück, die Namen der Referentinnen sind aus den zentralen Texten der kritischen Museumsliteratur bekannt: von Gerald Raunig zu Ruth Sonderegger, Irit Rogoff und Jacques Rancière, Martha Buskirk, Sven Lütticken und Claire Bishop bis hin zu Künstlerinnen wie Tania Bruguera und Museumsdirektorinnen wie Manuel Borja-Villel. Der Kreis der Beteiligten ist überschaubar: Man kennt sich. Symposien wie Who owns the artwork? (2010), Questions to the Museum of the 21st Century (2011) oder Autonomy Project (2011) werfen darum die Frage auf, ob sie überhaupt ein Publikum erreichen, das nicht bereits qua Position am Diskurs teilnimmt. Das Van Abbe läuft Gefahr, sich durch diese engen Zirkel in einen selbstbeliefernden Kreislauf zu begeben. Dieser zeitigt kaum Effekte außer sich weiterzuführen, um seiner selbst willen. Änderungsmaßnahmen konkretisieren sich in dieser Situation selten. Dies führt wieder zu der Ausgangsfrage der Studie zurück: Für wen finden diese kritischen Formate eigentlich statt und wozu dienen sie?

4.2.1.5.

Vermittlung

Im Folgenden stelle ich wiederkehrende Vermittlungsformate des Van Abbe vor. Die Ansätze sind multidisziplinär71 und die Vermittlungspalette umfasst viele dialogische Formate. The Issues of Art löst die klassische monologische Führung ab: Es erprobt mit den Teilnehmenden assoziatives Denken zu Werken, indem tagesaktuelle Themen mit ihnen verknüpft werden. Anschließend führen sich die Besuchenden gegenseitig durch die Ausstellung. Die Veranstaltung bricht mit der Vorstellung, dass es eine einzige Lesart der Objekte gäbe, die von der institutionell autorisierten VermittlerIn verbreitet wird. Das Museum stellt implizit seine Deutungsmacht in Frage, ermöglicht eine persönlichere Auseinandersetzung mit Kunst und bietet eine Alternative zur ›allwissenden Institution‹ an. Daneben gibt es das Special Guests Programme für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen oder anderen körperlichen Einschränkungen, die den Museumsbesuch verändern. Das Museum verschreibt sich unter dem Motto »Unlimited Van Abbe«72 der Aufgabe, für alle zugänglich zu sein. Wenngleich diese Form von Vermittlungsangebot bereits in vielen Häusern fest verankert ist, hat das Van Abbe eine technische Neuerung eingeführt: Besucherinnen können von ihrem eigenen Zuhause aus mittels eines 71

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Ein Format beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von und dem Umgang mit Kunst: Etwa Speed Dating mit Kunstwerken. Create an exhibition/Curator for a day wirbt damit‹ dass Teilnehmerinnen mit »high-quality copied artworks« arbeiten können. Es steht nicht das Kunstwerk im Mittelpunkt, sondern der Akt des Kuratierens. Das Museum legt mit dieser Betonung nahe, dass es keine Rolle spiele, ob es sich um Originale handelt oder nicht. Vgl. Van Abbemuseum (2016): CREATE AN EXHIBITION. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/en/mediation/workshops-for-adults/create-an-exhibition/[Zugriff 04.10.2016]. Van Abbemuseum (2016): INCLUSION. Unlimited Van Abbe. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/en/mediation/special-guests/[Zugriff: 30.09.2016].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Roboters das Museum besuchen, sich per Fernsteuerung eigenständig durch die Ausstellung bewegen oder sich führen lassen, ohne selbst durch die Ausstellung gehen zu müssen. Die Formate im Special Guests-Bereich thematisieren indirekt die Frage der Zugänglichkeit und propagieren ein ›Museum für alle‹, das reproduktiven Anspruch hat und letztendlich Besucherinnen an das Museum führen und binden will. Ein weiteres Element mit Vermittlungscharakter ist der toolshop, eine Nachwirkung der letzten Play Van Abbe-Ausstellung, in dem es um das Besucherinnenverhalten in der Ausstellung ging.73 Das Museum hinterfragte, wie man sich aus eingeübten Rollen lösen und diese während des Besuchs wechseln kann, um Kunst auf vielfältigere Weisen zu erleben. Toolshop ist der Vorschlag, wie mögliche Rollen, die Besuchende einnehmen, im Ausstellungsraum aktiviert und verhandelt werden können. Die Bezeichnung toolshop ruft in Erinnerung, dass das Van Abbe seine Besuchenden als Nutzerinnen – hier: als Nutzerinnen der angebotenen ›Werkzeuge‹ – imaginiert. Die fünf ›Werkzeuge‹ sind als Hilfsmittel für den Ausstellungsbesuch zu verstehen und regen an, den Raum jeweils unterschiedlich zu nutzen. Ein Seitenraum am Anfang der Sammlungsausstellung beherbergt die verschiedenen Hilfsmittel, die einen anderen Zugang zum Display und den ausgestellten Werken bieten wollen:

Abb. 7: toolshop.



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›Werkzeug‹ 1 Storylines führt die Idee der Mehrstimmigkeit fort. Es handelt sich um einen Audioguide mit Touren, die von Menschen außerhalb des Museums eingesprochen wurden. In der Bedienungsanleitung zu diesem tool propagiert das Van Abbe, dass die Geschichten des Selbst immer unvollständig seien. Es lohnt sich, Siehe dazu Kapitel 4.3.1.3

4 Die dritte Phase der Institutionskritik







multiple Perspektiven auf einen Gegenstand einzunehmen, um einen vollumfänglichen Eindruck zu erhalten. Neben des vom Museum offiziell vorgegeben Narrativs stehen individuelle Interpretationen zur Auswahl, die andere Hintergründe und neue Perspektiven offenlegen. Ein open call lud ein, neue Touren hinzuzufügen. Das Feedback der Besuchenden bestimmte im Anschluss darüber, welche Selektion an Führungen verfügbar war. Für das weitere Audioelement No Kiddin’ – An Audio Tour Through Children’s Eyes haben Kinder Kommentare und Interpretationen zu Objekten eingesprochen. In der Deskription bedient sich das Van Abbe des Stereotyps, dass Kinder Dinge anders sehen und dass der Besuch durch die kindliche Perspektive eine spielerische, unvoreingenommene Dimension erhalte. Jüngere Kinder sprechen über zeitgenössische Werke, Jugendliche bis zu 18 Jahren über ältere Kunst. Hier scheint die Verknüpfung alt-alt, jung-jung als zu statisch und nicht nachvollziehbar, warum die Kommentare nicht durchmischt sind, sodass eine vielfältigere Zusammenstellung entstanden wäre ohne zu suggerieren, dass ein bestimmtes Alter notwendig ist, um sich beispielsweise mit Klassischer Moderne auseinanderzusetzen. ›Werkzeug‹ 2 This is not a Space – Audible Architecture unterlegt den Ausstellungsbesuch mit einer Geräuschebene. Konträr zu bekannten Audioguides gibt dieses Hilfsmittel nicht den Weg vor, sondern begleitet den Besuchenden bei seinem Rundgang als zusätzliche Soundkulisse. Indem andere Geräusche ausgeschaltet werden, fühlt man sich als Besucherin auf sich selbst zurückgeworfen. Der Blick fällt auf bisher unbeachtete Elemente der Architektur und Raumgestaltung und verändert Gehgewohnheiten. Die Kopfhörer versetzen die Besucherin in einen Kontemplationsmodus, der sie nicht andächtig die Werke bestaunen, sondern konzentriert auf die Geräusche lauschen lässt. Die Kunsterfahrung selbst steht dabei eher im Hintergrund. Eine weitere Variante, sich selbstständig der Ausstellung anzunähern, ist ›Werkzeug‹ 3 Punt.Point – Self-guided Tour: Aus der Zusammenarbeit einer Choreographin und eines Architekten entstand eine selbstbestimmte Führung, für die sie ein tragbares tool kit bereitstellen mit einem runden Sitzkissen sowie anderen Gegenständen. In der Sammlung sind spezielle Punkte markiert, von denen man in variablen Positionen und Stellungen die ausgestellten Objekte neu betrachten kann, um eine neue Beziehung zwischen Werk, Körper des Besuchenden und Architektur entstehen zu lassen. ›Werkzeug‹ 4 Inhaling Art – Scented Art umfasst spezielle Aromainterventionen im Ausstellungsraum. Mithilfe eines Flyers, in dem die Positionen der Aroma-stationen verzeichnet sind, können Besucherinnen sich eine Do-it-Yourself Tour zusammenstellen. Im tool shop stehen Gläser mit Kaffeebohnen bereit: Die Gläser kann man sich umhängen und mit dem Kaffeearoma den jeweiligen Duft neutralisieren, um sich auf neue Aromen vorzubereiten. Normalerweise gebraucht man vorwiegend den Sehsinn im Museum, sodass durch Inhaling Art – Scented Art ein anderer Sinn stimuliert wird und zusätzliche Ideen und Gefühle zu den Kunstwerken hervorgerufen werden.

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Institutionskritik im Feld der Kunst



Als Folge des Forschungsfokus Queer des Museums ist 201674 als fünftes und letztes ›Werkzeug‹ Qwearing the Collection – Perspective from Garments hinzugekommen. Das 2015 entwickelte Queer Glossary bildete die Grundlage für das Vermittlungstool. Besucherinnen können sich durch ein rotes »Q« gekennzeichnete Kleidungsstücke überstreifen, auf denen Zitate und Bilder zu ausgewählten Werken zu finden sind. Die Kleidung fungiert als tragbare Vertiefungsstation, die queer-bezogene Hintergründe und Kontextinformationen zu Kunstwerken liefert.

Die verfügbaren tools sind, abgesehen vom queering-Element, von externen Partnerinnen konzipiert. Künstlerinnen, Aromakunsthistorikerinnen und Aroma Jockeys, Choreographinnen und Architektinnen haben auf Einladung des Museums die Werkzeuge entwickelt und realisiert. Der toolshop lässt sich als Angebot lesen, neue Umgangsweisen der Kunstbetrachtung zu erproben und neue Verhaltensweisen zu erlernen.

Abb. 8: Qwearing the Collection.

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Laut Pressemitteilung beabsichtigt das Van Abbe inklusiver zu werden (vgl. Van Abbemuseum (2016): Press Release Queering. Homepage des Van Abbemuseum. Verfügbar unter: https://vanabbemuseum.nl/en/collection/queering/[Zugriff: 30.09.2016]). Man verhandelt Fragen und Probleme von LGBT oder Homosexualität und stellt alles in den Mittelpunkt, was fluide oder unerwartet ist hinsichtlich Identität, Sexualität und Politik. Eine Konsequenz des queerings ist, dass das Van Abbe genderneutrale Toiletten eingeführt hat. Dies ist allerdings nicht durchgehend im Museum umgesetzt, sondern betrifft die Haupttoilette in der Nähe des Shops und Cafés. Die Toilette in den oberen Etagen der Sammlungsausstellung ist nach wie vor getrennt. Es bleibt fraglich, ob es sich hier um eine repräsentative Maßnahme nach außen handelt, in dem Wissen, dass mehr Besuchende die untere Toilette aufgrund ihrer zentralen Lage aufsuchen oder ob es rein organisatorische Gründe sind, die eine Komplettumgestaltung zeitlich verzögern.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Der verantwortliche Head of Marketing, Mediation and Education sowie Initiator des Museum-Roboters, etikettiert den toolshop und das DIY-Archief als Experimente, um neue Perspektiven aufzuzeigen und Möglichkeiten die verhindern, »zu sehr ›im eigenen Saft zu schmoren‹ und in eine selbsterhaltende und sich selbst reproduzierende Affirmation zu geraten.«75 An dieser Stelle ist die oben genannte Positionsbezeichnung interessant: Marketing, Mediation und Education könnten als drei Bereiche mit sehr unterschiedlichen Zielstellungen identifiziert werden. Die Bündelung in einer Person gibt zu bedenken, ob Bildung und Vermittlung für das Museum dem Marketing zugeordnet sind oder ob es drei unabhängige Variablen sind. Man fragt sich, ob es sich bei den beschriebenen Angeboten zwar um eine vor allem körperliche Aktivierung des Besuchenden handelt. Als solche führt sie letztlich dazu, den Museumsbesuch als interaktives Erlebnis zu gestalten und wird somit stärker den konsumistischen Forderungen an das Museum als Ort des Events gerecht, statt eine Plattform für Kritik und gesellschaftliche Veränderungen zu sein. Ähnliches führen jene Workshops fort, die das Van Abbe unter ›Vermittlung‹ führt. Ihre Beschreibungen lassen einen spielerischen Zugang zu Kunst und zum Ausstellungsmachen vermuten. Lerneffekte werden fokussiert. Dadurch erhalten die Veranstaltungen einen Selbstverbesserungs-Charakter und reproduzieren die Vorstellung vom Museum als Bildungsinstitution. Hinsichtlich seiner Vermittlungsformate scheint das Van Abbe demnach zwiegespalten: Einerseits bietet der toolshop diverse Möglichkeiten für Besucherinnen selbstbestimmt und multiperspektivisch sich mit gezeigten Kunstwerken und ihren gesellschaftspolitischen Entstehungskontexten zu beschäftigen. Andererseits finden sich viele Formate, die einem reproduktiven Vermittlungsansatz folgen; das heißt, neue Zielpublika zu erschließen und Wissen zu vermitteln. Zum Abschluss des Kapitels zum Van Abbemuseum möchte ich zwei Charakteristika festhalten, die sich in allen beschriebenen Aspekten der institutionellen und kuratorischen Arbeit wiederfinden. Kontexte bereitzustellen ist, erstens, eines der zentralen Anliegen des Van Abbe, das sich wie ein roter Faden durch die institutionelle Praxis zieht. Die historische Einordnung, welche die Sammlungsausstellung vornimmt, stellt ein Beispiel dafür dar. Die Chronologie und die Bezüge zu gesellschaftlichen und politischen Ereignissen des jeweiligen Zeit- und Sammlungsabschnitts demonstrieren, wie eng Umstände und Kontexte mit der Entwicklung der Sammlung verknüpft sind. Exemplarisch sei hier auf The

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Cynthia Krell (2015): Interview Daniel Neugebauer – I Museums. The Art Educator’s Talk. Verfügbar unter: https://arteducatorstalk.net/?interview=daniel-neugebauer [Zugriff: 28.10.2016]. An späterer Stelle erklärt der Verantwortliche: »Ich will natürlich alles andere tun als Institutionen heilig zu sprechen. Natürlich ist es wichtig, kritisch auf den Umgang mit Macht im institutionellen Kontext zu schauen, keine Frage. Aber diesen Aspekt setze ich als selbstverständlich voraus, sodass es möglich wird, die positiven Aspekte der Institution zu sehen und zu gebrauchen (meine LinkedIn headline ist darum auch nach wie vor »I museums«).« Er offenbart eine fast bipolare Sicht zu kritischen Praxis der Institution. Während sie einerseits für ihn selbstverständlicher Bestandteil ist, führt in seine positive Grundeinstellung zu Museen dazu, einen »[…] erhobenen Mittelfinger in Richtung der institutional critique […]« zu zeigen.

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World System after 1945 und auf Hippies, punks and other counter-cultures (1965-1985) hingewiesen: Während das eine Kapitel einen Einschnitt in der Weltgeschichte markiert, der umfassend in das Kunstfeld zurückwirkte, greift der andere Titel ein gesamtgesellschaftliches Phänomen der Alternativ- und Untergrundszene auf und zeigt, welcher Kunstformen sich diese bedient, um in die Gesellschaft zurückzuwirken. Zweitens geht das Van Abbe, wie die Untersuchung des Museums gezeigt hat, bewusster und reflexiver als traditionell arbeitende Kunstmuseen mit seiner Sammlungspraxis und -politik um, was in die Ausstellungsformen hineinwirkt. Es will transparent operieren. Dieses Bestreben durchzieht alle Ebenen der Museumsarbeit. Damit antwortet das Haus auf eine der Kernforderungen institutionskritischer Künstlerinnen, welche anklagen, dass Institutionen ihre Vorgehensweisen verdecken. Um aufzuzeigen, dass es sich beim Van Abbemuseum hinsichtlich der institutionskritische Praktiken nicht um eine Ausnahme handelt, stelle ich im Folgenden zwei Vergleichsbeispiele vor. Die im Anschluss diskutierten weiteren Museumsbeispiele dienen dazu, institutionskritische Praktiken des Van Abbe zu vergleichen, zu ergänzen und Anknüpfungspunkte zu zeigen. Gleichzeitig helfen kontrastierende Ansätze, die Vielfältigkeit kritischer Museumsstrategien hervorzuheben und aufzuzeigen, wie sie sich kontextspezifisch und situativ in unterschiedlichen Gegebenheiten entfalten. Dazu werden zwei hinsichtlich ihre Lage, Größe und Position unterschiedliche Häuser beleuchtet: Das Museu d’Art Contemporani de Barcelona und die Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig.

4.2.2.

Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA)

Das 1995 eröffnete, unter dem Akronym MACBA76 bekannte Museum liegt im ehemaligen Arbeiterviertel Barcelonas, El Raval, in direkter Nähe zu touristischen Hauptpunkten wie der Flaniermeile Las Ramblas und dem Markt Mercat de la Boquerìa. Im Zuge der Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1992 leitete die Stadt ein Erneuerungsprojekt in die Wege. Zu den Maßnahmen gehörte, Kulturzentren wie das MACBA im El Raval anzusiedeln, um das Viertel aufzuwerten. Heute ist das Quartier belebt, heterogen und wird oft als Studenten- und Szeneviertel bezeichnet, in dem viele Aktivistinnengruppen ihre Treffpunkte haben und politische Debatten führen. Diese besondere Umgebung wollte der ehemalige Direktor Manuel Borja-Villel (1998-2008), mittlerweile Leiter des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid, reflektieren. Das Haus ist aus mehreren Gründen von besonderem Interesse für meine Untersuchung. Das von Borja-Villel initiierte institutionelle Profil ist als ›MACBA Model‹ in den Diskurs eingegangen.77 Um einen Vergleich mit dem bereits analysierten Van Abbemuseum zu ermöglichen, konzentriere ich mich auf drei Aspekte, die im vorangestellten 76 77

Nachfolgend verwende ich das Akronym MACBA. Dieser Terminus wird museumsintern wie -extern verwendet, dennoch ist aber nicht klar zu erkennen, ob das Museum den Begriff selbst geprägt oder im Nachhinein aufgegriffen hat – und durch stetige Verwendung perpetuieren will. Besonders häufig nutzt Jorge Ribalta, ehemaliger Leiter der Public Programms, diesen Begriff u.a. in Jorge Ribalta (2010): Experiments in a New Institutionality. In: Manuel Borja-Villel, Kaira Marie Cabanas et al. (Hg.), Relational Objects, MACBA Collections 2002-2007.Barcelona: MACBA, S. 225 -265. Vgl. auch Ribalta, Jorge: On the recent events

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Kapitel ebenfalls besprochen wurden: Sammlungspolitik und -ausstellungen, Strategien der Transparenzerzeugung und die maßgeblichen Akteure, die den Ruf des MACBA als kritische Institution beeinflusst haben. Zudem stelle ich ein Alleinstellungsmerkmal des MACBA vor: das Independent Studies Program. Es exemplifiziert, wie innerhalb der Institution an theoretische Diskurse angeknüpft und die Auseinandersetzung mit Institutionskritik institutionell verankert werden kann.

4.2.2.1.

Sammlungspolitik und -ausstellungen

Es hat sich bereits beim Van Abbe angedeutet und bestätigt sich mit Blick auf das MACBA: Essenzielles Merkmal von zeitgenössischem, kritischem Kuratieren, ist es selbstreflexiv mit der Sammlung, der Sammlungspraxis und mit der eigenen Geschichte als Ausstellungshaus umzugehen.78 Museen arbeiten mit dezentralen Sammlungsstrategien, die Werke einbeziehen, welche • • •

(noch) nicht im Kanon der Kunstgeschichte fixiert sind, bisher vernachlässigt wurden oder die eigene Vergangenheit aufarbeiten.

Das MACBA hat unter Borja-Villel eine Sammlung aufgebaut, deren Schwerpunkte abseits der westlichen Kunst liegen. Neben einer Vielfalt an Werken osteuropäischer Künstlerinnen finden sich vermehrt lateinamerikanische Objekte. Indem Borja-Villel diesen Fokus ausbaute, leitete er eine Reflexion über die kolonialen Aktivitäten Spaniens an und entwarf ein alternatives Narrativ zur überlieferten Kunstgeschichtsentwicklung. Dies exponiert die Kontingenz des eurozentrischen Narrativs. Hinsichtlich seiner Sammlungsausstellungen pflegt das MACBA zudem eine Tradition kritischer Displays. In der Kollaboration Volume! – Works from the collections of ›La Caixa‹ foundation and MACBA mit der CatalunyaCaixa, einer Bank mit Hauptsitz in Barcelona, die sich kulturpolitisch engagiert, Ausstellungsräume betreibt und eine eigene Sammlung besitzt, vereinten beide Institutionen ihre Werke in gemeinsamen Ausstellungen und wendeten sich dabei bewusst von chronologischen und linearen Narrativen ab. Institutionskritische Arbeiten wiesen auf eben diese Kanonisierungsprozesse von Museen und die damit verbundenen Ausschlussmechanismen hin. Alternativ schlug man thematische Ordnungen vor, die sich als Ausstellungsteile unter ›critique of representation‹, ›play and pleasure‹ oder ›institutional critique and the media‹ fassen ließen. Obwohl damit die rein historische Sichtweise verhindert wurde, hatte auch diese thematische Sortierung eine starke Kanonisierungsfunktion, in dem sie kunsthistorische

78

at the MACBA. Homepage von L’Internationale, 11.04.2015. Verfügbar unter: www.internationaleonline.org/research/alterInstitutionality/25_on_the_recent_events_at_macba [Zugriff: 10.12.2015]. Dass Borja-Villels Anknüpfungspunkte an kritische Sammlungsaktivitäten stark von museologischer Perspektive geprägt war, führt der Terminus Radical Museology fort, der sich für diese Praxis entwickelt hat. Claire Bishop widmet dieser Bewegung eine gesamte Publikation und Victoria Preston verwendet diesen Begriff, um Borja-Villels Vorgehen dazustellen. Vgl. Bishop (2013) und Preston (2014).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Entwicklungen untersuchte und diese unter neuen Stichworten ablegte. Hier wurde ein dominierender Kanon durch einen anderen ersetzt.79 Bis heute präsentiert das MACBA seine Sammlung thematisch als critical episodes, in denen Werke zusammenkommen, die das Museum als Ausdruck »systemischer Krisen«80 verstehen. Dabei schlägt das Ausstellungshaus nur eine Lesart neben anderen vor. Diese Tatsache wurde wiederum mit dem dreiteiligen Projekt Our history starts here in den Jahren 2014/15 reflektiert, in denen MACBA die politischen Rahmenbedingungen der Sammlungspraxis, kulturelle Kollisionen und Momente der Unterbrechung zwischen den 1970ern und 1990ern untersuchte, die sich in der Sammlung zeigen.81

4.2.2.2.

Transparenzstrategien

Das MACBA hat sich zum Ziel gesetzt möglichst vielen Menschen das Wissen des Museums zugänglich zu machen. Deswegen wird das Wissen geteilt, sei es mittels offener Seminare oder durch auf der Homepage publizierte Interviews, Texte und Vorträge. Daran schließt ein weiterer Aspekt der institutionskritischen Strategien des MACBA an, auf den ich eingehen möchte: Transparenz. Eine Maßnahme zur Steigerung der Transparenz läuft bereits seit längerem: 1999 engagierte der damalige Direktor Borja-Villel den Künstler Jorge Ribalta als Leiter der Public Programmes. Ribalta suchte die Auseinandersetzung mit lokalen Künstlerinnenund Aktivistinnengruppen, um gemeinsam mit ihnen über dominante kulturelle Praktiken, soziopolitische und ökonomische Bedingungen zu diskutieren. Als Resultat dieser Debatten experimentierte das MACBA mit neuen Formen der Vermittlung, in welchen sie Teilnehmerinnen nicht als passive Konsumentinnen, sondern als Agentinnen und Forschungskompagnons begriffen. Ziel war es, das Museum als poröse Institution zu entwerfen, empfänglich für und kommunizierend mit seiner Umgebung, mit Organisationen und Akteuren außerhalb seiner eigenen Wände.82

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Nowotny (2008) führt aus, dass Geschichtsschreibungen – und somit auch Kanonisierungen – institutionelle Praktiken sind. Deshalb müsse man nach Alternativen zur Kanonisierung suchen, die nicht Gegenkanonisierung bedeuten. Beschreibung des Formats Critical Episode auf der Homepage des MACBA. Museu d’art contemporani de Barcelona (2012): CRITICAL EPISODES (1957-2011). MACBA COLLECTION. Homepage des Museu d’art contemporani de Barcelona. Verfügbar unter: www.macba.cat/en/exhibition-criticalepisodes [Zugriff: 27.09.2016]. Im dazu erschienenen Text The Immaterial Legacy. An Essay on the Collection. CHRONOLOGY erstellt das MACBA eine Chronologie, die sich an eine Diskursanalyse anlehnt, in der es auf wichtige Momente und Akteure eingeht, welche die Entwicklung der Sammlung befeuert haben. Die Beschreibung setzt im Jahr 1977 ein und endet 1993. Vgl. Museu d’art contemporani de Barcelona (2014b): The Immaterial Legacy. An Essay on the Collection. CHRONOLOGY. Homepage des Museu d’art contemporani de Barcelona. PDF verfügbar unter: www.macba.cat/uploads/20141106/Cronologia_Herencia_ANG_241014.pdf [Zugriff: 06.05.2016]. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Umgebung hatte mit dem Projekt How do we want to be governed im Jahr 2004 unter der Leitung von Roger Buergel einen Vorläufer. Es untersuchte die Rolle von Regierung und Herrschaft in künstlerischen Kontexten, welche Bedeutung Kunst für politische Forderungen hat und wie Museen in diesem Gefüge agieren. Eine Serie von Seminaren, Vorträgen, Filmvorführungen und Ausstellungen fand an drei verschiedenen Orten in der näheren Umgebung sowie an improvisierten Treffpunkten statt.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Wie beim Van Abbe eruiert, ist die Durchlässigkeit institutioneller Vorgänge integraler Bestandteil einer kritischen Museumspraxis. Die Nachvollziehbarkeit, die damit einhergeht, dass das Museum ein Stück ihrer Deutungshoheit abgibt, stand im MACBA im Frühjahr 2015 zur Debatte. Und zwar im Anschluss an einen Skandal: Der damalige Direktor Bartomeu Marí hatte die Pressekonferenz zur Ausstellung The Beast and the Sovereign einen Tag vor der Ausstellungseröffnung abgesagt, da es Unstimmigkeiten mit den Kuratorinnen gab.83 Stein des Anstoßes war die Skulptur Not Dressed for Conquering von Ines Doujak und die Frage, ob diese ausgestellt werden solle und dürfe.

Abb. 9: Ausstellungsansicht »Die Bestie und der Souverän« im Württembergischen Kunstverein Stuttgart: Ines Doujaks Skulptur »Not Dressed for Conquering«.

Das Objekt stellt einen Anhänger dar, mit Kartons beladen, auf denen sich SSHelme stapeln. Darauf befindet sich der spanischen König Juan Carlos nackt im Vierfüßlerstand. Hinter ihm kniet die bolivianischen Aktivistin Domitila Barrios, die wiederum von einem Schäferhund penetriert wird. Der Direktor sei bis kurz vor der Eröff83

Einen genauen Bericht, auch über die institutionellen Verstrickungen mit dem Königshaus, finden sich unter anderem in Ribalta (2015). Die Ereignisse sind bereits öffentlich diskutiert worden, vgl. u.a. Artleaks: The Exhibition »The Beast and the Sovereign« That Should Have Opened Today at MACBA Has Been Censored (Barcelona, Spain). Artleaks, 19.03.2015. Verfügbar unter: https://art-leaks.org/2015/03/19/the-exhibition-the-beast-and-the-sovereign-that-shouldhave-opened-today-at-macba-has-been-censored-barcelona-spain/[Zugriff: 01.12.2015]. Vgl. auch Lorena Muñoz-Alonso und Brian Boucher: MACBA Barcelona Show Canceled Over Pornographic Artwork Ridiculing Spanish King Juan Carlos. artnet News, 18.03.2015. Verfügbar unter: https://news.artnet.com/exhibitions/macba-barcelona-censors-pornographic-artwork-278877 [Zugriff: 01.12.2015]. Die Ausstellung mitsamt der Skulptur Doujaks war danach im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart zu sehen.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

nung nicht über das Objekt, das er als unangemessen empfand, informiert worden und die Kuratorinnen hatten sich geweigert, es zu entfernen. Die Ausstellungseröffnung wurde zunächst abgesagt; durch den Druck der Medien gab Marí nach und eröffnete die Ausstellung drei Tage später als geplant – mit eben jener Skulptur, die den Skandal auslöste. Nach dem Vorfall musste sich das Museum der Frage stellen, inwiefern es zensieren darf; Bartomeu Marí trat daraufhin zurück. Es wurde scharf beobachtet, wie das Museum mit den Vorwürfen umging. Ein erster Schritt, das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder zu gewinnen, bestand darin, die Notizen und das Protokoll der Sitzung, in welcher der neue Direktor Ferran Barrenblit bestimmt wurde, online zu stellen. Das Dokument ist auf Katalanisch und nicht für viele lesbar, aber in diesem Fall war die Geste der Transparenz entscheidend, um eine offene, demokratische Handlungsweise zu demonstrieren. Unter dem Header ›Transparencia‹ stellt das MACBA auf seiner Homepage zudem Informationen zu Besuchszahlen, Ankäufen für die Sammlung, Leihgaben und andere Statistiken zum Download bereit.84

4.2.2.3.

Independent Studies Program

Besonderes Merkmal, an dem sich die institutionalisierte Institutionskritik des MACBA kristallisiert, ist der Masterstudiengang Independent Studies Program. Dieser wurde in der Konjunktur der Institutionskritik Mitte der 2000er gegründet. In ihm wird über die institutionellen Rahmenbedingungen reflektiert, in denen Wissen und Werte produziert werden.85 Ausgangspunkt der Überlegungen war, dass Widerstand von innen kommen muss. Dieser Ansatz ist innovativ, denn der aktuelle Diskurs über Institutionskritik in Kuratorinnenkursen wird als reine Selbstbelieferung wahrgenommen, der als Marketinginstrument für jene Kurse dient. Der Studiengang möchte nicht unendlich viele neue Kuratorinnen produzieren, die ins Feld dringen und doch nur den Status Quo übernehmen. Ähnlich wie das gleichnamige Programm des Whitney Museum of Art besetzt das ISP die Lücke zwischen Museum und Universität und will dazu beitragen, die hegemoniale Position des Ausstellungsapparats und »the bloating of the omniscient figure of the curator«86 zu hinterfragen. Museen sollen Forschungslaboratorien sein, die sich mit kritischen Praktiken und sozialer Produktion befassen.87 In regelmäßigen Abständen finden dazu offene Seminare und Workshops statt. Zwar ist das Studienprogramm mit deutlich höheren Kosten als ein gewöhnliches Universitätsstudium verbunden, aber es stehen Stipendien zu Verfügung. Ein Großteil der Studierenden stammt aus Lateinamerika, was wiederum an Borja-Villels Maßnahmen der

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Vgl. Museu d’art contemporani de Barcelona (2016): TRANSPARENCIA EN EL MACBA. Homepage des Museu d’art contemporani de Barcelona. Verfügbar unter: www.macba.cat/es/transparencia-nueva [Zugriff: 10.11.2016]. Aus der Selbstbeschreibung in der spanischsprachigen Ankündigung des Curriculums für die Studienjahre 2014-15 des Independent Studies Programme. Vgl. Museu d’art contemporani de Barcelona (2014a): PEI Independent Studies Programme 2014-15. Homepage des Museu d’art contemporani de Barcelona. PDF verfügbar unter: www.macba.cat/uploads/PEI/PEIEnglishWeb14Abril2014.pdf [Zugriff: 31.07.2015]. Ebd. Vgl. Ebd.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

postkolonialen Sammlungspraxis anknüpft.88 Das MACBA hat mit diesem Programm sein Interesse an der Reflexion und Aktualisierung des Konzepts Institutionskritik in einen dauerhaften institutionellen Bestandteil überführt. Das Museu d’Art Contemporani de Barcelona hat in verschiedener Hinsicht auf institutionskritische Themen reagiert. Zusammenfassend sind folgende Anknüpfungspunkte festzuhalten: Das MACBA hebt seine postkoloniale Sammlungspolitik hervor. Es fokussiert Objekte und Künstlerinnen außerhalb des etablierten Kanons, setzt sich mit politischen Themen auseinander und integriert Formen des künstlerischen Aktivismus in seine Tätigkeiten. Es produziert Gegenerzählungen und adressiert den Apparat der Wertekodierung. Das MACBA strebt danach, möglichst vielen Menschen den Zugang zum Wissen des Museums zu ermöglichen. Damit platziert das MACBA sich auf der Grenze zwischen Museum und Universität, als diskursive Plattform, die kollaborativ forscht, bildet und kuratiert.

4.2.3.

Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK), Leipzig

Als drittes prominentes Beispiel kann die Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig gelten. Sie liegt fußläufig von der Innenstadt entfernt und verfügt über insgesamt drei Gebäude: Villa, Neubau und Gartenhaus. Diese liegen auf dem Areal der Herfurt’schen Villa. Der Neubau entstand in Zusammenarbeit mit den Berliner Architekten AS-IF und zeichnet sich durch seinen veränderbaren Grundriss aus. In der unmittelbaren Umgebung befinden sich Einrichtungen wie die Hochschule für Grafik und Buchkunst oder das Deutsche Literaturinstitut. Das Museum verzeichnet zwischen 18.000 (2008), 24.100 (2009-2011) und 37.000 (2013) Besucherinnen.89 Die Leipziger Kulturszene wird häufig als vielfältig, innovativ und sich rasch entwickelnd beschrieben – sowohl die freie als auch die institutionelle Kulturszene erhalten stetig zunehmende finanzielle Zuschüsse. Heute finanziert sich das Museum über Beiträge des Freitstaats Sachsen, der Stadt Leipzig und durch den Förderkreis der GfzK, dem auch Unternehmerinnen wie Arend Oetker angehören. Als Fallstudie ist die GfzK interessant, da man an ihr sehen kann, wie ein öffentlich gefördertes Museum sich mit einer kritischen Arbeitsweise in einem diversen, wachsenden Kulturfeld in einer Stadt der früheren DDR dauerhaft etabliert. Barbara Steiner leitete das Museum als Direktorin von 2001 bis 2011 und ist eine bekannte Figur aus dem kritischen Museumsdiskurs. Sie ist vor allem im osteuropäischen Raum vernetzt. Ihre Projekte polarisierten90 , standen exemplarisch für eine mögliche Form des kritischen Kuratierens und sind daher von besonderem Interesse für diese 88 89

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Diese Erkenntnis basiert auf meinen eignen Erfahrungen als Studierende im Masterstudiengang im Frühjahr 2011 und Gesprächen mit den Dozierenden. Vgl. Stadt Leipzig (2012): Bildungsreport 2012. Homepage der Stadt Leipzig. PDF verfügbar unter: https://static.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.5_Dez5_Jugend_Soziales_Gesundheit_Schule/51_Amt_fuer_Jugend_Familie_und_Bildung/Lernen_vor_Ort/Publikationen/Bildungsmonitoring/Bildungsreport_Leipzig_2012.pdf/[17.11.2016], S. 279. Vgl. Tranzit.hu (2006): Barbara Steiner. Free School for Art Theory and Practice. Homepage von tranzit.hu. Verfügbar unter: http://hu.tranzit.org/en/free_school/0/2006-09-21/free-school-steiner [17.11.2016].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Studie. Ihre Nachfolgerin Franciska Zólyom nahm den Faden der institutionellen und kuratorischen Praxis auf. Nachfolgend möchte ich die Sammlungsstrategie der GfzK, ihren starken Lokalbezug sowie das proklamierte Verständnis von »Vermittlung als kuratorischer Praxis«91 untersuchen.

4.2.3.1.

Sammlungsstrategie

Die Existenz und Ausrichtung der Sammlung sind stark von der institutionellen Geschichte geprägt. Die Sammelpraxis bezieht sich auf die Situation der Wende im Jahr 1989 und die unmittelbar darauffolgende Nachwendezeit. Die grundlegenden sozialen und politischen Wandlungsprozesse leiteten die Entwicklung der Galerie für zeitgenössische Kunst und prägen ihr Selbstverständnis, lokale und globale Entwicklungen zueinander in Beziehung zu setzen. Werke von Künstlerinnen aus Ostdeutschland dominieren die 1500 Objekte umfassende Sammlung. Viele dieser Künstlerinnen kooperieren langfristig mit der Galerie für zeitgenössische Kunst und gestalten sie mit. Rücken wir zunächst die Vermittlung und Präsentation der Sammlung durch die GfzK in den Fokus. In den regelmäßig wechselnden Sammlungsausstellungen stellt das Museum seine Geschichte zur Disposition. Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung Aneignung der Gegenwart (2012/13): Sie nahm die Kontexte der Sammlungsobjekte in den Blick und erörterte, wie Verschiebungen in der Wahrnehmung, Darstellung und Interpretation von Wirklichkeiten geschehen können. Vor dem Hintergrund der Produktionsbedingungen, der gesellschaftlichen und ideologischen Umstände trat zutage, welche Geschichten die Objekte erzählen und welche sie verschweigen. Den ausgestellten Werken war gemeinsam, dass sie einen Zusammenhang mit dem für die GfzK wichtigen Jahr 1989 herstellen und sich im Verhältnis zu dieser Zäsur entweder im ›Davor‹ oder ›Danach‹ verorten. Eine weitere Präsentation der Sammlung erfolgte unter dem Titel Sammlungsalphabet (2014). Die Ausstellung stellte die Ordnungssysteme von Kollektionen vor und untersuchte, wie diese funktionieren und welchen Zweck sie erfüllen. Jeweils einem Buchstaben des Alphabets zugeordnet, leiteten Aspekte des Sammelns – kulturelle Prägung und Erinnerung, Schriftbilder und Archive – das Narrativ. Einen Einblick in die museale Arbeit gewährt außerdem seit 2008 das Projekt Konservierungsmaschine. Konservatorische Fallbeispiele wie die Skulptur Labyrinth von Olaf Nicolai werden als Teil der Sammlungsausstellung präsentiert. Museumsmitarbeiterinnen agieren dabei als Performancekünstlerinnen und machen die museale Tätigkeit des Konservierens zum Ausstellungsgegenstand.92 91

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Galerie für zeitgenössische Kunst (2016): Vermittlung als kuratorische Praxis. Homepage der Galerie für zeitgenössische Kunst. Verfügbar unter: http://gfzk.de/aktivitaeten/vermittlung/devermittlungals-kuratorische-praxis/[Zugriff: 29.11.2015]. Dies scheint eine gängige Methode, um niederschwellig Transparenz zu erzeugen. Die Unterscheidbarkeit entsteht mit der Inszenierung: Die Fondation Beyeler beispielsweise hat das Werk ›Acanthes‹ von Henri Matisse parallel zum Ausstellungsbetrieb restauriert. Das von einem großen Schweizer Versicherer finanzierte Restaurierungsprojekt dauerte drei Jahre. Allerdings befand es sich in einem separaten Raum im Keller, der mit Glasfenstern ausgestattet war, um den Besuchenden die Beobachtung zu erleichtern. Glas steht symbolisch für Transparenz und kommt in zeitge-

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

4.2.3.2.

Lokalbezug und Ortsspezifizität

Die Galerie für zeitgenössische Kunst hat sich zum Ziel gesetzt, ihr Programm stets lokal zu verorten. Dabei reicht es nicht, eine kunstinterne Frage an das örtliche Publikum heranzutragen. Man möchte an einen spür- und sichtbaren lokalen öffentlichen Diskurs anschließen und daraus destillierte Phänomene eigenständig zum Anlass nehmen. Direktorin Franciska Zólyom unterscheidet deutlich, dass es dabei nicht um dokumentarische oder beschreibende Arbeit geht: Die GfzK hebt nicht nur Probleme wie Segregation im Bildungsbereich hervor, sondern sucht nach und erprobt Maßnahmen, um dieser entgegen zu wirken.93 Für Zólyom geht das kritische Kuratieren über ein repräsentatives Anklagen oder Abbilden eines Problems hinaus. Es werden Formate entwickelt, die das Museum als gesellschaftlichen Agenten positionieren und in die Gesellschaft zurückwirken. Direkter Kontakt und Austausch mit Kunstproduzentinnen vor Ort ist dafür impulsgebend. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die langfristigen Kooperationen mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst, dem Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, kurz DOK Leipzig, dem Schauspiel Leipzig oder der Burg Giebichenstein Hochschule Halle. So können durch die Institutionskritik in Erinnerung gerufene Problematiken mit unterschiedlichen Akteuren diskutiert werden.

4.2.3.3.

Vermittlung als kuratorische Praxis

In der Auflistung der Vermittlungsangebote der GfzK fallen zunächst die bekannten Vermittlungsformen auf, für die üblichen Zielgruppen: Erwachsene, Schülerinnengruppen, Kindergartenkinder und Familien. Dazu gehören thematische Führungen und studienbegleitende Seminare, die in die Kategorie der auf Wissensvermittlung ausgerichteten Formate einzuordnen sind. Kreativworkshops mit Künstlerinnen und Führungen, die jüngeren Besucherinnen das Konzept ›Museum‹ näherbringen sollen, erfüllen reproduktive, das Publikum erweiternde Funktionen und dienen dazu, mögliche Zugangsschwellen abzubauen. Die Galerie für zeitgenössische Kunst definiert ihre Vermittlung aber darüber hinaus als kuratorische Praxis. Damit einher geht der Wunsch von Seiten des Museums, »Ausstellungen anders zu denken.«94 Indem sie sich in verschiedenen Formaten mit den Bedingungen des Ausstellungsmachens auseinandersetzen, sollen Besucherinnen ihre eigenen Hintergründe und Fragen vor Augen geführt bekommen. Beispiel für ein solches Projekt, das Kuratieren und Vermitteln zusammenführt, war Puzzle (2010). Dafür lud die GfzK verschiedene Gruppen über den Zeitraum eines halben Jahres ein, einen Teil der Ausstellungsräume im Neubau zu bespielen. Zwei Bedingungen wurden gestellt: Die Sammlung der GfzK bildete die Ausgangsbasis und die eingeladenen Gastkuratorinnen mussten einen Bezug zu dieser haben. Unter den Gastkuratorinnen fanden sich Förderkreismitglieder, Restauratorinnen, Künstlerinnen, die

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nössischer Museumsarchitektur zum Einsat. Auch das Louvre Lens setzt gläserne Wände ein und exponiert die Werkstätten, Archive und andere museale Räume, die sonst verborgen bleiben. Skypegespräch mit Franciska Zólyom am 27.10.2016. Galerie für zeitgenössische Kunst (2016).

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Depotverwalterin und eine Klasse der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Die Ausstellung veränderte sich in regelmäßigen Abständen, indem neue Displays aufgestellt wurden. Die Szenographie war entsprechend von vornherein flexibel angelegt, um die von der Architektur gewünschte Veränderbarkeit auszutesten. Ein Format wie Puzzle stellt die institutionelle Autorität und Deutungshoheit des Museums zur Disposition. Indem Akteuren, über Kuratorinnen und Direktorinnen hinaus, die Sammlung zugänglich gemacht wird, eröffnet sich die Möglichkeit, die Sammlung neu zu lesen, ihre Objekte anders zusammenzustellen und für das Publikum den Blick auf bekannte Werke zu variieren. Hier ist Vermittlung nicht etwa ein Zusatzangebot, das dazu dient, Ideen der Kuratorinnen zu transportieren, sondern sie ist mit der Praxis des Ausstellungsmachens verwoben. Kuratieren als Vermittlung – diese Setzung lässt an die in den letzten Jahren viel besprochene Wendung des eductional turn in curating denken.95 Um noch deutlicher an Letzteren anzuschließen, schlage ich eine Neuauflage dieses Formats vor. Fruchtbar wäre dafür, Akteure außerhalb des Kunst- und Museumsfeldes einzuladen, sich mit der Sammlung der GfzK auseinandersetzen, um die Grenzen des Projekts und die Bereitschaft des Museums zu testen, sich abseits gewohnter kunstinterner Lesarten zu bewegen. Auch in der Vermittlung spiegelt sich das selbstgesteckte Ziel der GzfK, dialogisch zu arbeiten. Direktorin Franciska Zólyom96 versteht darunter, dass Vermittlungsangebote in ihrem Ablauf und ihren Inhalten nicht von den Vermittlerinnen vorgegeben sind, sondern beispielsweise anhand von Fragen Ausstellungsinhalte gemeinsam geplant und auszuarbeiten sind. Dies schlage sich in Workshops nieder, in denen Teilnehmerinnen kollektiv entscheiden, ob visuell oder textuell, individuell oder in Gruppen gearbeitet wird. Solche Veranstaltungen gestalten sich als Balanceakt zwischen dem Bestreben der Institution, auf Bedürfnisse ihres Publikums einzugehen und sich von ihm leiten zu lassen einerseits, und andererseits nicht den eigenen Anspruch aus den Augen zu verlieren. Die Galerie für zeitgenössische Kunst möchte Formen des Dialogischen in seine institutionelle Struktur überführen. Für Direktorin Franciska Zólyom manifestiert sich dieses Bestreben darin, dass die programmatischen Entscheidungen im Team diskutiert und getroffen werden. Zudem seien Kompetenzen verteilt und nicht an eine Abteilung gebunden. Die Personalzusammensetzung und -auswahl bekräftigen diesen Plan: Viele Positionen sind von Künstlerinnen besetzt oder Departements werden von ihnen betreut. Künstlerische Ansätze wie eine assoziative und semantisch vielseitig verknüpfte Ordnung durchziehen beispielsweise die Bestände der Bibliothek. 95

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Vgl. O’Neill und Wilson (2010). Auch ARGE Schnittpunkt, Beatrice Jaschke, et al. (2012): Educational Turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Wien: Turia+Kant. Ebenso Tranzit.org (2016): Curatorial dictionary. Educational turn. Homepage von tranzit.org. Verfügbar unter: http://tranzit.org/curatorialdictionary/index.php/dictionary/educational-turn/[Zugriff: 02.11.2016]. Die aktuelle Relevanz des Themas verdeutlicht auch die jüngste Publikum von Mörsch, Sachs und Sieber (2016). Der Band untersucht, wie sich Museumsarbeit verändert, wenn die beiden Bereiche Kuratieren und Vermitteln integriert gedacht werden. Die Informationen zu diesem Absatz beziehen sich auf ein Skypegespräch mit Franciska Zólyom am 27.10.2016.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Wie stark diese Ansätze tatsächlich wirken und spürbar sind, ist von außen schwer zu beurteilen. Mit den Maßnahmen entsteht jedoch das Potenzial, naturalisierte Abläufe und Handlungen zu unterbrechen und zu hinterfragen. Institutionskritische Elemente bleiben damit bei der täglichen Arbeit in Erinnerung. Institutionell ist ein kontinuierliches Selbstbefragen verankert, indem interne ›Störfaktoren‹ integriert sind, die zu alternativen Denkweisen musealer Arbeit antreiben. Für die Galerie für zeitgenössische Kunst sind folgende Charakteristika festzuhalten: • • •

Das Dialogische steht im Zentrum ihrer Arbeit; Dialoge realisieren sich im Lokalbezug der Sammlungen und Ausstellungen und der Zusammenarbeit mit Produzentinnen vor Ort; Geschichtsbewusstsein, das die Rolle der Kunst für sich wandelnde Gesellschaften kontinuierlich in den Blick nimmt.

Diese Faktoren ergeben ein institutionelles Profil, das sich in dieser Weise nur an diesem Standort entwickeln konnte.

4.2.4.

Zwischenfazit

Jedes der vorgestellten Museen wählt einen anderen Schwerpunkt, um an institutionskritische Praktiken anzuknüpfen: 1 2

3

Van Abbemuseum: Politische und gesellschaftliche Kontextualisierung seiner Arbeit, selbstreflexive Sammlungsstrategien. MACBA: dezentrales Sammeln und Ausstellen (produziert Gegenerzählungen), Einbindung künstlerisch-aktivistischer Strategien, (Re-)Politisierung des Kuratorischen. GfzK: Geschichtsbewusstsein, Lokalbezug und dialogisches Arbeiten mit Kulturproduzentinnen und Künstlerinnen.

In diesen Schwerpunkten äußert sich, welche Anliegen das Haus als dringlich wahrnimmt und auf die es zu reagieren gilt. Erinnert man sich daran, dass institutionskritische Künstlerinnen sich gegen jegliche Formen der Institutionalisierung wendeten und in der ersten Phase vorwiegend mit der Vorstellung der Anti-Institution operierten, scheint ein abschließender Blick auf die institutionellen Strukturen der vorgestellten Museen sinnvoll. Zunächst ist festzuhalten, dass alle Häuser über eine stabile, hierarchisch-funktionale Struktur verfügen: Alle drei Institutionen stehen unter der Leitung einer Direktorin, die – in unterschiedlichem Maße – in kuratorische Prozesse involviert sind. Es scheint naheliegend, dass diese Direktorinnen-Kuratorinnen daran interessiert sind, nicht zu statische Strukturen zu etablieren, um sich die Möglichkeit zu erhalten, sie bei Bedarf zu modifizieren. Sie selbst schaffen schließlich die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. In ihrer Arbeit erhalten sie direkte Rückmeldung, wie geeignet der von ihnen etablierte Rahmen ist, um kritisch zu wirken.

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Obwohl sich die Häuser organisatorisch am traditionellen Museumsmodell anlehnen, sind neue und ergänzende Positionen dazugekommen. Forschungskuratorinnen, Kuratorinnen für Vermittlung, Kuratorinnen für diskursive Programme und Projekte symbolisieren, wie sich kuratorische Praxis erweitert hat. Die interdepartementäre Zusammenarbeit bleibt trotz dieser Vielfalt eine Seltenheit. Ein deutlicher institutionskritischer Trend lässt sich in den Häusern feststellen: Die Museen präsentieren einen selbstreflexiven Umgang mit musealen Aktivitäten. Sie gehen bewusst mit Sammlungen und Sammlungsprozessen um, bearbeiten ihre eigene Geschichte und die historische Rolle von Museen intern, kommunizieren Erkenntnisse darüber nach außen und dokumentieren sie. Mit diesem »reflexive turn«97 wächst auch das Interesse an Transparenz und Kontextualisierung: Die Museen gestatten dem Publikum einen – bewusst inszenierten und konstruierten – Blick hinter die Kulissen. Sie erheben sich selbst zum Ausstellungsgegenstand. Die institutionellen Vorbedingungen bilden nun selbst Ausgangspunkt kuratorischer und musealer Arbeit.98 Diese Praxis steht auch im Einklang mit der Forderung Tone Hansens, Direktorin des Henie Onstad Art Centers: »[…] the following statement might work as a reminder to self: be aware of where you stand and of the historical ground beneath your feet, whether it is a place, a space or a situation. Familiarise yourself with the current political structures and their underlying history. Use the authority of the institution to make these structures visible, attractive and accessible. Collaborate with artists and art works and allow the institution to develop reflexivity. »99 In dieser Aussage zeigt sich eine weitere institutionskritische Praktik, die sich in den Museen durchgesetzt hat: Man ist gerne bereit, Künstlerinnen einzuladen, mit ihren Sammlungen zu arbeiten, Interventionen zu veranstalten. Künstlerische Praktiken können Handlungsmuster und Rollenverteilungen offenlegen. In der Folge verhandeln Institution, Künstlerinnen und Publikum Verantwortlichkeiten auf performative Weise neu. Auch andere Kollaborationen werden angestrebt: Die Ausstellungshäuser vernetzen sich international und kooperieren mit Museen und anderen Akteuren kultureller Produktion. Transnationale Projekte dienen dazu, die eigenen Vorstellungen von kuratorischer und institutioneller Arbeit abzugleichen und gemeinsam Wege abseits des etablierten Kunst-, Sammlungs- und Ausstellungskanons zu beschreiten. In der Präsentation nach außen heben die Häuser ihre Ausstellungen hervor. Dennoch manifestiert sich in zusätzlichen Projekten abseits von Werkschauen eine Verschiebung der Formate: Diverse diskursive Formen gehören zu den Programmen, von Workshops über Vorträge, Führungen, Diskussionen, Symposien und Konferenzen. Tone Hansen erkennt darin die »Erweiterung des kuratorischen Feldes und eine Reflexi-

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Nora Sternfeld (2013): Kuratorische Ansätze. In: ARGE schnittpunkt (Hg.), Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis. Wien, Köln, Weimar: Böhler Verlag, S. 73. Vgl. Hoffmann (2006), S. 324. Tone Hansen (2011b): Learning from Critique. In: Dies. (Hg.), (Re)Staging the Art Museum. Oslo/Berlin: Henie Onstad Art Center/Revolver Publishing, S. 104f.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

on über seine gesellschaftliche Relevanz.«100 Sie schließt daraus, dass Kuratorinnen, die sich einer kritischen Haltung verschreiben, Ausstellungen nicht mehr als unumgehbares und letztendliches Ziel ihrer Praxis begreifen. So verstanden wird Kuratieren zur umfassenderen Tätigkeit, welche die Organisation von Diskursen und öffentlichen Debatten fokussiert.101 Kennzeichnend dafür ist Esches Vorstellung, dass das Museum zugleich als »community center, laboratory and academy«102 wirken soll. Er drückt die Vorstellung aus, dass Museen mit ihren Ausstellungen Prozesse in Gang bringen können und in die gegenwärtige Gesellschaft zurückwirken. Entsprechend dieser theoretischen Forderung und verbunden mit dem Wunsch, am aktuellen kunstinternen und gesellschaftlichen Diskurs anzuschließen und sich als Akteur in dessen Entwicklung zu positionieren, werden neue Formate entwickelt und das kuratorische Feld erweitert. Dies zeigt sich am gesellschaftspolitischen Fokus der bearbeiteten Themen, deren lokalen Bezügen sowie multiperspektivischen und polyphonen Narrative abseits der durch das Museum autorisierten Sicht. Voraussetzung dieser dekonstruktiven Praxis ist die Reflexion der eigenen Position und deren Offenlegung. Demnach verstehen sich die Häuser bewusst als Produzenten von Wissen und reflektieren die besondere Rolle der Kuratorin in diesem Prozess. Dennoch ist die museale Landschaft, wie sich an den untersuchten Museen zeigt, weit von einer umfassenden Verinnerlichung institutionskritischer Praktiken entfernt. Die Übersetzung institutionskritischer Praktiken gestaltet sich als schwierig, da zwischen verschiedenen Interessen von Künstlerinnen, Mitarbeiterinnen und Geldgeberinnen vermittelt werden muss, die nur bedingt mit institutionskritischen Forderungen vereinbar sind. Nicht eingelöst sind beispielsweise nach wie vor die Forderungen, Künstlerinnen und Mitarbeiterinnen wie Praktikantinnen und Volontärinnen gerecht zu entlohnen und finanzielle Gleichberechtigung zu sichern. Hans Haacke hat in seinen Arbeiten aufgedeckt, wie Museen mit Sponsoren und Akteuren aus der Wirtschaft verstrickt sind: Sie sind abhängig von staatlicher Finanzierung und Drittmitteln, erhalten von diesen Seiten Vorgaben hinsichtlich der institutionellen Gestaltung und sind daher nur eingeschränkt autonom handlungsfähig.103 Museen mittlerer Größe scheint es an alternativen Modellen zu mangeln, um finanziell unabhängig oder eigenständig zu sein, ohne dem Entertainmentzwang anheim zu fallen, der größere Museen dazu verleitet, Blockbusterausstellungen und Events zu organisieren. Die Budgets der vorgestellten Museen zeugen jedoch von weniger prekären finanziellen Bedingungen als bei independent spaces, die oftmals an ihrem Existenzminimum arbeiten. Der Blick auf Medienberichte und Ausstellungsrezensionen der drei analysierten Häuser verstärkt den Eindruck, dass zwar Institutionskritik thematisiert, nicht aber 100 Tone Hansen (2011a): Introduction: What is to be (re) staged? In: Dies. (Hg), (Re)Staging the Art Museum. Oslo/Berlin: Henie Onstad Art Center/Revolver Publishing, S. 10. 101 Marchart fasste die kuratorische Funktion dementsprechend als Organisation von Öffentlichkeit zusammen. Vgl. Marchart (2007), S. 172. 102 Esche (2004). 103 Vgl. Hans Haacke (2001a): Provisorische Bemerkungen zur Absage meiner Ausstellung im Guggenheim Museum, New York, In: Christian Kravagna und Kunsthaus Bregenz (Hg.), Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen. Köln: Walther König, S. 49-53 und Haacke (2001b).

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vollständig verinnerlicht wurde: Obwohl es das ausgesprochene Anliegen der Museen ist, sich mit ihren spezifischen Orten und Publika auseinanderzusetzen, nimmt man die Häuser als Orte wahr, denen es in erster Linie um die Kunst und den eigenen Diskurs geht.104 Von außen erscheint es als würde die Intention des Museums, gesellschaftspolitisch zu wirken, über zu viele Zwischenstationen verschleiert. Ihr Anspruch kommt nicht bei den Besucherinnen an und die besten Absichten werden in den Vorwurf gekehrt, elitär zu sein. Wie ein Kurator des Van Abbemuseums diagnostiziert: Museen von innen zu verändern, ist bereits schwierig; sie in der Wahrnehmung des Publikums zu transformieren, noch deutlich komplizierter.105 Das ist es, woran die Häuser kontinuierlich arbeiten müssen. Institutionskritische Praktiken nehmen die Erinnerungsfunktion ein, darauf hinzuweisen, wenn Museen in tradierten Mustern zu erstarren drohen und leiten sie an, sich immer wieder aus ihnen zu lösen. Dass es ein Bedürfnis nach dieser Loslösung gibt, haben die beschriebenen Beispiele in allen drei Häusern gezeigt.

4.3. 4.3.1.

Nicht-sammelnde Ausstellungshäuser neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Berlin

Die neue Gesellschaft für bildende Kunst gründete sich 1969 in Berlin; zu einer Zeit, in welcher der politische, anti-institutionelle Geist der 68er-Bewegung deutlich seine Spuren zeitigte. In der Stadt, die sich heute durch eine vielfältige und sich rasant verändernde Kunst- und Kulturszene auszeichnet, fehlte es zum damaligen Zeitpunkt an Ausstellungsräumen und Museen für zeitgenössische Kunst. Innerhalb von drei Tagen entstanden die beiden größten, heute noch aktiven Kunstvereine Berlins: der Neue Berliner Kunstverein und die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).106 Gegründet mit der Vision einen alternativen Kunstraum zu erschaffen, hält die nGbK nach wie vor Strategien der Selbstorganisation und Eigeninitiative für ihre Arbeits- und Organisationsweisen für bedeutsam.107 Kunstmarktkritik und der Wunsch weniger repräsentative Ausstellungen zu zeigen leiteten die Programmplanung.108

104 Vgl. u.a. Majorana (2012), Egge (2011) und Ribalta (2015). In der Befragung von Besuchenden in Leipziger Museen 2016 stellte sich beispielsweise heraus, dass die Verständlichkeit der Texte zur Ausstellung und an den Exponaten geringer ist als die Wichtigkeit dieses Aspekts, damit Besucherinnen zufrieden sind. Vgl. Stadt Leipzig (2016): Besucherbefragung 2016/Museen. Ergebnisse. Homepage der Stadt Leipzig. PDF verfügbar unter: https://www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.1_Dez1_Allgemeine_Verwaltung/12_Statistik_und_Wahlen/Stadtforschung/Besucherbefragung_Museen_2016.pdf [Zugriff: 19.12.2017]. 105 Gespräch mit einem Kurator des Van Abbe in Eindhoven, 29.09.2016. 106 Es finden sich verschiedene Schreibweisen der Abkürzungen für die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst. Nachfolgend verwende ich nGbK wie es auf der Homepage derselben zu finden ist. 107 Skypegespräch mit zwei aktiven Mitgliedern der nGbK am 17.01.2016. 108 Vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2019): Archiv. Nach Jahren. Archiv-Homepage der neuen Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar https://archiv.ngbk.de/index/jahre/[Zugriff: 23.10.19]. Für eine Aufarbeitung der Geschichte der nGbK vgl. auch neue Gesellschaft für bildende Kunst (2009):

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Im institutionellen Modell des basisdemokratischen Kunstvereins und dem kollektiven Programmations- und Kurationsansatz sowie dem stark politisch-gesellschaftskritisch ausgerichteten Programm der nGbK spiegeln sich institutionskritische Themen. Im Folgenden beschreibe ich zunächst die Lage und Räumlichkeiten, gehe dann auf die Besonderheiten des institutionellen Modells ein und untersuche die der Struktur inhärenten Herausforderungen. Anschließend beleuchte ich die Formen der kuratorischen Praxis, Themenschwerpunkte der Ausstellungen und Forschungsprojekte sowie diskursive Formate. Lange Zeit ohne feste, eigene Räume, sitzt die nGbK seit 1992 an der Oranienstraße im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Das Künstlerhaus Bethanien und der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien liegen in der Nachbarschaft. Mit etwa 34.000 Besuchern (2008)109 hat die nGbK ein im Vergleich zu anderen Berliner Institutionen kleineres, aber kontinuierliches Publikum, das regelmäßig die Ausstellungen besucht und aktiv an Veranstaltungen teilnimmt. Die Ausstellungsräume liegen in dem Gebäude einer ehemaligen Tresorfabrik hinter einem Buchladen im Vorderhaus. Durchquert man diesen, gelangt man zu einem Empfangsraum mit Tresen – da der Eintritt kostenlos ist, kann man ihn passieren und direkt in die dahinter liegenden Ausstellungsräume gehen. 400 qm Fläche und ein Veranstaltungsraum mit 90 qm sind zu bespielen und können szenografisch angepasst werden. Die Büroräume der Geschäftsstelle befinden sich im ersten Stock desselben Gebäudes und umfassen neben den Arbeitszimmern der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen auch Gruppenarbeitsräume.

4.3.1.1.

Der basisdemokratische Kunstverein: Struktur und Profil

Die Struktur der nGbK spiegelt von Beginn an stark die Gründungsideen eines neuen, demokratisch organisierten Vereins wider. Die spezielle Entstehungsgeschichte und der gesellschaftliche Kontext der Anfangszeit prägten die nachfolgende Entwicklung und seien hier deshalb knapp skizziert. Auch nenne ich zentrale Elemente der Satzung wie die Arbeit in Kleingruppen, die Programmentscheidung sowie die Honorarordnung und das Mitgliederprofil, um einen Eindruck zu vermitteln wie die nGbK aufgebaut ist und funktioniert. Unzufrieden mit der Ausrichtung der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst (DGBK) wollten im Dezember 1968 vorallem junge Kunstschaffende und Studierende Einfluss auf die Berliner Kunst- und Kulturpolitik nehmen und mitbestimmen, wie finanzielle Mittel verteilt werden. Das Ziel der daraufhin eingerichteten Arbeitsgruppe war es, die DGBK umzustrukturieren und sich der willkürlichen Förderpraxis und dem Verhalten der Organe des Kunstvereins zu widersetzen. Die Aktivitäten der DGBK hatte bis dato ein Vorstand gelenkt, der mit Entscheidungsgewalt ausgestattet war, und

Neue Gesellschaft für Bildende Kunst 40 Jahre. Publikation anlässlich des 40. Geburtstages. Berlin: neue Gesellschaft für bildende Kunst. 109 Austauschseite (2009): Kennzahlen Ausstellungshäuser. Homepage von Abgeordnetenhaus Berlin. Verfügbar unter: https://www.parlament-berlin.de/ados/16/Kult/vorgang/k16-0107-vSchlussbericht_Austauschseite.pdf [Zugriff: 06.02.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

der fast autonom von den 600 Mitgliedern agierte. In den Augen der Beteiligten war er der »höchstdotierte Kunstverein in der Bundesrepublik […] und gleichzeitig […] der undemokratischste.«110 Als die Bemühungen der Gruppe scheiterten, spaltete sie sich nach der Auflösung der DGBK ab und setzte ihre Vorstellungen in der neue Gesellschaft für bildende Kunst um. Die politischen Ereignisse der späten 1960er formten die Vorstellung der Akteure von Politik, Wissenschaft und Kunst und fanden in dem neuen »Modellkunstverein« ein Ventil. Zentrale Neuerungen betrafen die Einbindung aller Mitglieder in die Programmentscheidungen sowie das Bestreben, alle Mitglieder ständig zu informieren, Arbeit in Gruppen und Kontrolle der Aktivitäten durch alle Mitglieder in Form direkter Demokratie.111 Wiederholt finden sich in den Notizen zu damaligen Treffen Termini wie ›Mitbestimmung‹, ›mitbestimmen‹ und ›Mitentscheidung‹.112 Der neue Verein machte es sich zur Aufgabe, Künstlerinnen und ihre Werke nicht zu instrumentalisieren und das sich wandelnde Verständnis von Kunst und seinen Produzentinnen in den Aktivitäten zu reflektieren. Bereits damals wurde das heute noch bestehende Strukturmodell aus Koordinationsausschuss, Präsidium und Geschäftsstelle festgelegt.

Abb. 10: Abstimmung nGbk; Abb. 11: Mitglieder mit ihren Stimmzetteln auf der Hauptversammlung, Auftakt 2016, 28. Februar bis 5. März 2016.

Die aktuelle Satzung gibt zu erkennen, dass diese Grundlagen weiterhin Bestand haben.113 Zudem legt die Satzung fest, dass eine Arbeitsgruppe aus fünf Mitgliedern zu bestehen hat und nur mit dieser Anzahl als funktional angesehen wird. Die Gruppe löst sich auf, sobald ihr Vorhaben umgesetzt und beendet ist. Um ein Projekt durchzuführen, müssen die Arbeitsgruppen zwei Wochen vor der Hauptversammlung schriftlich ein Konzept inklusive Finanzplan vorlegen, das an alle Mitglieder verschickt wird. Die Hauptversammlung entscheidet über das Programm des folgenden Jahres und wählt 110

111 112 113

Irene Below (2009): »Berlins demokratischer Modellkunstverein […] eine linke Bastion wie im Theaterleben die Schaubühne« – Wie alles anfing. In: neue Gesellschaft für bildende Kunst (Hg.), Neue Gesellschaft für Bildende Kunst 40 Jahre. Publikation anlässlich des 40. Geburtstages, 2 Bde. Berlin: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, S. 31. Vgl. Aktionsgruppe im Kunstverein an die Fördernden Mitglieder im Kunstverein, vervielfältigtes Typoskript vom 1.1.1969, S. 2 (Archiv Below), zitiert nach Below (2009), S. 41. Vgl. Below (2009), S. 45f. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2016a): Satzung. Homepage der neuen Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: http://ngbk.de/de/gesellschaft/satzung [Zugriff: 10.11.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

das Präsidium. Von den etwa 900 Mitgliedern sind auf Hauptversammlungen zumeist 50 bis 80 anwesend – jene, die regelmäßig aktiv mitarbeiten. Nichtsdestotrotz ist die Versammlung beschlussfähig, insofern sie ordnungsgemäß berufen wurde.114 Der Koordinationsausschuss besteht aus dem Präsidium sowie drei direkt Gewählten und wird jährlich durch ein Mitglied jeder AG ergänzt, um in seiner Zusammensetzung dynamisch zu bleiben. Seit 2014 ist eine Honorarordnung gültig: Sie ist das Resultat langfristiger, vereinsinterner Diskussionen und steht in enger Verbindung mit dem veränderten Mitgliederprofil. Denn: Der Anteil an freiberuflichen Kuratorinnen, Künstlerinnen und anderen Kulturschaffenden stieg im letzten Jahrzehnt deutlich an. Einerseits reflektiert diese Entwicklung, dass sich die nGbK zunehmend professionalisiert und als Arbeitsort attraktiv erscheint.115 Andererseits verweist es auf die zumeist prekären Arbeitsbedingungen im Kunstfeld, die sich durch eine hohe Anzahl verfügbarer Akteure, welche auf Erfahrung drängen, auszeichnen. Seit dem Gründungsjahr der nGbK hat die Anzahl an studentischen Mitgliedern abgenommen. Die Zahl der Neuzugänge hat sich erhöht; das Durchschnittsalter bei Ein(28 auf 38 Jahre) und auch Austritt (37 auf 41 Jahre) ist gestiegen. Die Übersichten, denen diese Daten entstammen, reflektieren zudem den bereits erwähnten Überschuss an Professionellen, für welche die Arbeit in der nGbK eine Vermarktungsplattform und ein Sprungbrett sein kann. Aus gutem Grund: Der Verein hat, laut Geschäftsführerin Lilian Engelmann, ein sehr gutes Verhältnis zur Presse.116 Auf diese Weise ist eine hohe mediale Wahrnehmung garantiert, die angehenden Kuratorinnen Sichtbarkeit beschert. Im folgenden Abschnitt widme ich mich dezidiert den Herausforderungen und Besonderheiten des basisdemokratischen Institutionsmodells. In Gesprächen mit der Geschäftsführung, mit Arbeitsgruppen- und Vereinsmitgliedern sowie in internen Dokumenten schimmert mehrfach eine Herausforderung durch, die den Vereinsvorgaben geschuldet zu sein scheint117 : Die Geschäftsstelle, die Arbeitsgruppen und Mitglieder ringen um eine Balance zwischen dem Bestreben, die Arbeitsgruppen autonom agieren zu lassen und andererseits den Grad der Institutionalisierung zu erhöhen. Der Umstand, dass Entscheidungen basisdemokratisch getroffen werden sollen und die 114

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Der letzte Absatz bezieht sich auf Informationen aus der Vereinssatzung, vgl. ebd. Die genauen Abläufe sind weiterhin in der Geschäftsordnung detailliert, vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2012): neue Gesellschaft für bildende Kunst e. V. Geschäftsordnung des Koordinationsausschusses/Vorstandes. Homepage neue Gesellschaft für bildende Kunst. PDF verfügbar unter: http://ngbk.de/images/stories/PDF/Verein/geschaeftsordnung_ngbk_2014.pdf [Zugriff: 22.11.2016]. Die Angaben des folgenden Absatzes entstammen der ausgewerteten Mitgliederstatistik von 1969-2011, die im Archiv der nGbK unter dem Stichwort ›Institution‹ zum Download zur Verfügung steht. Vgl. Hannes Wiedemann (2016): Mitgliederstatistiken 1969-2011. Webarchiv der neue gesellschaft für bildende Kunst. PDF verfügbar unter: https://archiv.ngbk.de/institution/[Zugriff: 11.02.2016]. Gespräch mit Lilian Engelmann am 05.11.2015 in Berlin. Die mediale Recherche der Autorin förderte für die Studie verwendete Hintergrundartikel zutage und belegen dieses Selbstverständnis. Eine umfassende Analyse der Medienberichterstattung müsste allerdings gesondert vorgenommen werden. Gespräch mit Lilian Engelmann am 05.11.2015 in Berlin, Skypegespräch mit zwei aktiven Mitgliedern der nGbK am 17.01.2016.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

dadurch nicht-prognostizierbaren Ergebnisse kollidieren unter Umständen mit einem intern erwünschten und extern verlangten Maß an Professionalisierung.118 Diese verschiedenen Erwartungen müssen permanent abgeglichen werden. Problematisch bei diesem Balanceakt ist, dass es sich um abstrakte Konzepte handelt und wieder darüber abgestimmt werden müsste, was beispielsweise Autonomie bedeuten und was als Institutionalisierungsprozess zu verstehen ist. Genau diese ständigen Aushandlungsprozesse kennzeichnen den basisdemokratischen Verein und sein selbstreflexives Verhalten. Ein Beispiel aus der Praxis für dieses Miteinander-Ringen ist der Umgang von Geschäftsstelle und Kleingruppen. Nach der Einsetzung einer Gruppe durch die Mitglieder der nGbK, obliegt die Verantwortung für die inhaltliche Umsetzung eines Projekts der Gruppe. Strukturell stehen ihnen ein Arbeitsraum in der Geschäftsstelle der nGbK zur Verfügung, den sie nach vorherigen Anmeldung nutzen können. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle begleiten die Arbeitsgruppen in der Vorbereitung. Wichtig ist laut Engelmann, Standards in der Abrechnung und der externen Kommunikation einzuhalten und sicherzustellen, dass die nGbK nach außen kontinuierlich in der gleichen Form und als geschlossen auftritt.119 Wer diese Vorgaben festsetzt, bleibt allerdings offen. Die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle beschreiben sich selbst als Ansprechpartnerinnen und verstehen die nGbK als Sicherheitsnetz, das den Gruppen ermöglicht, sich im institutionellen Arbeiten zu üben. Laut Selbstverständnis der nGbK will sie – paradoxerweise – nicht institutionell wirken, aber dennoch festgelegte Standards sicherstellen. Somit ergibt sich für die Praxis folgende Situation: Die Arbeitsgruppen entwickeln innerhalb des abgesteckten Rahmens die Inhalte der Ausstellung. Die Geschäftsstelle überwacht alle Vorgänge, nimmt sich aber selbst als unterstützend und nicht kontrollierend wahr. Hier artikuliert sich ein Ungleichgewicht zwischen Kontrolle und Autonomie. Damit stellt sich die Frage, inwiefern die nGbK tatsächlich ein Experimentierfeld ist, wenn doch die Institution Standards vorgibt und diese, wenn in ihren Augen nötig, durchsetzt. Welche Folgen das institutionelle Modell und seine Ambivalenz für die Ausstellungspraxis und Programmatik haben, untersuche ich im sich anschließenden Teilkapitel.

4.3.1.2.

Ausstellungspraxis und Programmatik

Das Programm einer Institution definiert maßgeblich ihr ›Gesicht‹. Für die nGbK bedeutet das, dass es sich um ein fluides Profil handelt, da allein die Mitglieder die Aktivitäten festlegen. Demnach kann das Programm von Jahr zu Jahr stark variieren. Das extensive Ausstellungs- und Veranstaltungsarchiv zeichnet nach, welche Themen und Formate in der Vergangenheit im Zentrum standen. Im folgenden Kapitel untersuche ich

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Ein internes Bedürfnis entsteht insofern, dass AGs wie beschrieben vermehrt mit professionellen, freien Kuratorinnen besetzt sind, die ihre Projekte in der nGbK als Visitenkarte nutzen möchten. Von außen wird die Erwartung an einen professionellen Auftritt vor allem von Seiten der Geldgeberinnen und Sponsorinnen herangetragen, die aufgrund einer sich stark entwickelnden Alternative und Off-Space-Szene ein ambitioniertes Programm verlangen, das dann ihre Unterstützung legitimiert. Gespräch mit Lilian Engelmann am 05.11.2015 in Berlin.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

diese Archive auf Schwerpunkte, um einen möglichen roten Faden in der Programmatik herauszuarbeiten. Anhand der Ausstellungspraxis der nGbK ziehe ich Rückschlüsse zu ihrem Gesamtkonzept und ihrem Verhältnis zur Institutionskritik. Um den inhaltlichen Rahmen zu stecken, beginne ich mit einigen Vorbemerkungen zu den vom Verein vorgegebenen Richtlinien für die Arbeitsgruppen sowie zur allgemeinen Ausrichtung des Programms der nGbK. In der kuratorischen Praxis versucht der Verein kontinuierlich eine kollektive Praxis zu realisieren. Das heißt: Die Vereinsordnung sieht vor, dass jedes Projektteam, oft mit einem Kuratorinnenteam gleichgesetzt, sich aus fünf Leuten zusammensetzt und nur in diesem Fall handlungsfähig ist.120 Polyphonität und Interdisziplinarität sind im Idealfall bereits in den Prozess des Ausstellungsplanens und -organisierens integriert, sind aber kein Muss, denn die Arbeitsgruppen finden sich vorab selber zusammen. Die Gruppen schlagen Projektthemen vor und setzen diese bei Zustimmung durch die Vereinsmitglieder um. Ihre Vorschläge präsentieren die Kleingruppen auf der Hauptversammlung; alle Mitglieder erhalten sie vorab postalisch. In der Abstimmung einigen sich die anwesenden Mitglieder auf fünf bis sieben Projekte, die umgesetzt werden. Trotz der vorgegebenen Anzahl an Gruppenmitglieder ist weder abgesichert noch nach außen hin erkenntlich, ob es sich um gleichberechtigte, tatsächlich kollektive Zusammenarbeit handelt oder aber einzelne Gruppenmitglieder den Projektverlauf stärker beeinflussen.121 Die Programmvorschau und das Archiv der nGbK lassen konstatieren, dass Ausstellungen nach wie vor das gängigste Medium sind, ergänzt durch Begleitveranstaltungen, Diskussionsrunden, mitunter Performances und Publikationen. Auf welches dieser Elemente die Arbeitsgruppen das Hauptaugenmerk legen, bleibt ihnen überlassen, ebenso wie sie über das Ausstellungsdesign entscheiden können. Sie müssen sich lediglich innerhalb des eingereichten Finanzplans bewegen und mit ihrem Budget haushalten, da zu späteren Zeitpunkten keine zusätzlichen Gelder verfügbar sind. Zwei Projektformate sind möglich: Einerseits kurzfristige, die innerhalb eines Jahres umgesetzt werden können und entweder lokal oder international ausgerichtet sind. Hierfür fordert die nGbK keine Vorkenntnisse oder Erfahrungen der Kuratorinnen. Andererseits gibt es Langzeitprojekte, die über zwei bis maximal drei Jahre laufen. Dieses Format ist neu seit der Programmplanung für 2018 und soll Gruppen ermöglichen, zu forschen, kulturwissenschaftliche oder gesellschaftspolitische Fragestellungen grundlegend aufzuarbeiten und sich inhaltlich am größeren, internationalen Diskurs zu orientieren. Voraussetzung ist ein kooperatives Element, das Vernetzungsmöglichkeiten bietet. Um ein solches Projekt zu beantragen, müssen de Mitglieder bereits über ähnliche Erfahrung verfügen, vor Antragstellung ein Gespräch mit der Geschäftsstelle führen, jährlich einen Rechenschaftsbericht ablegen und sich von der Hauptversammlung bestätigt lassen. Aufgrund des Aufwands läuft jeweils nur ein mehrjähriges Projekt zur gegebenen Zeit.

120 Vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2016a). 121 Kollektive sind ebenso anfällig für mögliche Hierarchien zwischen den Beteiligten. Ergebnisse werden dann zwar von allen Mitgliedern getragen, müssen aber nicht unbedingt einem Konsens entsprungen sein.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Die nGbK versteht ihr Programm als Plattform, um Themen abseits des Kunstdiskurses zu verhandeln – solche, die bisher in akademischen Institutionen oder Kunstorten keinen Platz haben. Darunter fallen tabuisierte Themen und »kulturelle Phänomene im gesamtgesellschaftlichen Kontext«122 , also aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen, welche die Sphäre der Politik und der Kulturpolitik streifen. Zu den tabuisierten Themen zählen jene, die – zu einem bestimmten Zeitpunkt – vom gesellschaftlichen Diskurs stillschweigend ignoriert und ausgeschlossen sind, da sie beispielsweise zu viel Konfliktpotenzial bergen oder als anstößig gelten. Ebenso stehen Aspekte der gegenwärtigen Kunstproduktion und -präsentation zur Debatte. Eine solche Programmatik fußt auf einem erweiterten Verständnis von Kunst, das sie als gesellschaftlich und politisch wirksam begreift, gepaart mit der Suche nach Alternativvorschlägen zu der vorgefundenen Situation oder zumindest einer temporären Verschiebung der Perspektive. Es überrascht nicht, dass sich im Programmarchiv wiederkehrende Bereiche entdecken lassen, welche an die oben beschriebene Ausrichtung anknüpfen. Neben dem Schwerpunkt Gesellschaft, beschäftigten sich Projekte der nGbK intensiv mit den Themenfeldern Arbeit, Feminismus und feministischer Theorie, Vermittlung, Migration, Urbanismus und öffentlicher Raum, DDR, Postkolonialismus und nicht zuletzt Gender und Queer. Bemerkenswert ist, dass der Verein hinsichtlich vieler dieser Themen Pionierarbeit geleistet hat; einen Platz in der institutionellen Kunstlandschaft bereitgestellt hat, um Arbeiten dazu auszustellen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen und die Öffentlichkeit für neue, teilweise zuvor nicht sichtbare Fragestellungen zu sensibilisieren. Im Jahr 1988 realisierte die nGbK beispielsweise in Kooperation mit der Deutschen AIDSHilfe e.V., Berlin, und der Deutschen AIDS-Stiftung ›Positiv leben‹ die deutschlandweit erste Ausstellung zum Thema Aids unter dem Titel Vollbild AIDS. Eine Kunstausstellung über das Leben und Sterben.123 Exemplarisch umreiße ich nun zwei weitere Projekte aus den letzten Jahren knapp: Reiseagentur – Ins Innere der nGbK (2013) und Father Figures are Hard to Find (2016). Bei den ausgewählten Beispielen handelt es sich um vergangene Ausstellungen. Während das eine Projekt die nGbK selbst zum Thema macht, lässt sich die andere ausgesuchte Schau innerhalb der gesellschaftskritischen Ausstellungstradition des Vereins verorten. Sie zeigen beispielhaft zwei wichtige Tendenzen innerhalb der institutionellen Programmatik, die unmittelbar an institutionskritische Strategien erinnern: Selbstreflexivität und Gesellschaftskritik. Reiseagentur – Ins Innere der nGbK Reiseagentur – Ins Innere der nGbK bewegte sich an der Schnittstelle zwischen Forschungsprojekt, Archiv, Kunstvermittlung und Ausstellung. Das Projekt ging aus dem seit 2008 jährlich vergebenen Kunstvermittlungsstipendium hervor, das über den Zeitraum August 2012 bis Juli 2013 Birgit auf der Lauer und Anja Bodanowitz erhielten. 122

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Eylem Sengezer in ihrem Beitrag ›Gesellschaft‹ im Wissensspeicher der nGbK, vgl. Eylem Sengezer (2016): Gesellschaft. Webarchiv der neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: https://archiv.ngbk.de/gesellschaft/[Zugriff: 25.11.2016]. Vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2016c): Vollbild AIDS. Webarchiv neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: https://archiv.ngbk.de/en/projekte/vollbild-aids/[Zugriff: 15.01.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Inhalt der unterschiedlichen Formate, als ›Reisen‹ tituliert, war die nGbK selbst. Ihre Ausstellungsprojekte sowie spezifische Bezugspunkte, Orte und Akteure außerhalb der Institution galt es zu erforschen, um ein besseres Verständnis für die aktuellen Praktiken und Strukturen der nGbK zu entwickeln sowie deren Änderungen im Verlaufe der einzelnen, mitunter thematischen ›Reiserouten‹ nachzuvollziehen. Dem Konzept des Projekts lagen einige Annahmen hinsichtlich Methoden und Begrifflichkeiten zugrunde, die vorab erläutert werden sollen. ›Reise‹ wurde verstanden als Mittel der Ortsbestimmung und -veränderung, zur Exkursion und Erforschung, von der Institution ausgehend, aus ihr heraus und wieder zurück. Eine aktive und zielgerichtete Bewegung in Kombination mit Formen der künstlerischen Recherche ist die Methode der Wahl. ›Sich bewegen‹ bezieht sich neben dem wörtlichen Sinne auf gedankliches Fortbewegen, ein Schreiten entlang von Themen. Über den gesamten Zeitraum des Stipendiums hinweg veranstalteten auf der Lauer und Bodanowitz acht Reisen, von denen sich bis auf eine alle thematisch an aktuelle Ausstellungsprojekte anlehnen. Die Reise Nr. 4/1318O22O13, die aus dem Rahmen zu fallen scheint, soll hier nun näher betrachtet werden, da sie sich wie keine der anderen mit den Praktiken und der Organisation der nGbK selbst auseinandersetzt.124 Zudem war sie mit einer Dauer von einer Woche das längste der Formate und fand als einziges in den Ausstellungsräumen der nGbK statt. Zur Halbzeit ihres Stipendiums trugen Auf der Lauer und Bodanowitz das ›Innere‹ des Vereins in seine Räume. In verschiedenen Veranstaltungen wie Performances, Diskussionen, Vorträgen und Ausstellungselementen mit eingeladenen Gästen und mit dem allgemeinen Publikum – vor allem Absolventinnen und Teilnehmende am FSJ und FSJ Kultur waren angesprochen – stand eine Recherche zur basisdemokratischen Struktur der nGbK auf dem Programm. Die zentrale Frage lautete: Können demokratische Handlungsweisen in der Kunst- und Kulturproduktion Ressourcen hervorbringen, die im Sinne einer selbstbestimmten Bildung genutzt werden können? Inszenatorischer Kern war ein in den Ausstellungsraum transportiertes Archiv. Es stellte eine Sammlung der Satzungsartikel von 1969 bis zum damaligen Zeitpunkt zur Schau, zusammengestellt von Auf der Lauer selbst. Ergänzend stellte der Künstler Gernot Bubenik Organigramme und Zeichnungen aus den Gründungsjahren aus. Eine Diapräsentation visualisierte fortlaufend ausgewählte Bilder aus dem Fotoarchiv, welche Arbeitsgruppen bei der Arbeit zeigten. Ein weiteres Element waren die von dem Grafiker Clemens Jahn entwickelten Organigramme, die Satzung, Struktur und Organisation zu übersetzen versuchten. Zusätzlich hatten die beiden Fotografinnen Daniela Garcia de Pomar und Paul Holdsworth die Räume der nGbK-Geschäftsstelle dokumentiert und überführten sonst unsichtbare Strukturen des Vereins in den Ausstellungsraum. Als letzter Bestandteil des Archivs wurde das Logo beziehungsweise Piktogramm der

124 Interessanterweise setzte sich auch das Projekt Mapping the Commons – Zur Lage der nGbK der Kunstvermittlungsstipendiatin 2015 Yvonne Zindel (geb. Reiners) mit dem Verein selbst auseinander. Vgl. Yvonne Zindel (2015): Mapping the Commons – Zur Lage der nGbK. Homepage von Yvonne Zindel (geb. Reiners). Verfügbar unter: http://yvonnereiners.de/mapping-the-commons/[Zugriff: 22.01.2016].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

nGbK untersucht: Bubenik kontextualisierte den explodierenden Stern, indem er weitere – historische, politische und künstlerisch-grafische – Verwendungszwecke dieses Symbols veranschaulichte.

Abb. 12: Clemens Jahn: Diagramm der nGbK.

Legende zu der Grafik: Ö (Öffentlichkeit), NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V.), M (Mitglieder), HV (Hauptversammlung), KoA (Koordinationsausschuss), AG (Arbeitsgruppe), G (Geschäftsstelle), P (Präsidium), V (Vorsitz einer Arbeitsgruppe), Pro (Projekt), S (Satzung), GO (Geschäftsordnung), D (Dinge).

Um dieses Archiv herum formierten sich die anderen Veranstaltungen, indem sie Bezüge zu den ausgestellten Inhalten herstellten. In Diskussionen, Performances und einem Workshop fragten die ›Reiseveranstalterinnen‹ gemeinsam mit Gästen und Besucher-innen, wie aktuell die Strukturen und Arbeitsprinzipien der nGbK noch sind. Letztere wurden dafür mit alternativen demokratischen Arbeitsansätzen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen und der Vergangenheit abgeglichen. Zur Debatte standen der in der Selbstbeschreibung und im Programm des Vereins omnipräsente Begriff der (Basis-)Demokratie und Termini wie »gesellschaftliche Handlungsräume« und »(Selbst)Bildungspotenzial«.125 Das stete Aushandeln von Fragen ist der nGbK aufgrund des basisdemokratischen Selbstverständnisses inhärent. Neben den internen Debatten auf Mitgliederversamm125

Vgl. die genaue Beschreibung dieser vierten Reise im Webarchiv der nGbK, vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2016b): reiseagentur. Birgit auf der Lauer und Anja Bodanowitz. Webarchiv neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: https://archiv.ngbk.de/projekte/reiseagentur/[Zugriff: 21.12.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

lungen unternahm der Verein mit dem vorgestellten Projekt den Versuch, das ständige Ringen mit sich selbst für seine Mitglieder und Außenstehende erfahrbar zu machen. Indem die Selbstbetrachtung im Rahmen des Kunstvermittlungsstipendiums realisiert wurde, bewegte sie sich an der Grenze zwischen innerhalb und außerhalb des Vereins, hatte somit die Möglichkeit, eine gewisse Distanz mit tiefergehenden Einblicken in die Vereinsarbeit zu kombinieren. Bodanowitz und Auf der Lauer gelingt es, Methoden der künstlerischen Forschung mit kollaborativen Ansätzen zusammen zu bringen. Inhaltlich wie räumlich ging es um eine Öffnung der nGbK. Gleichzeitig verfolgten die beiden Projektleiterinnen das Ziel, einen osmoseartigen Prozess anzuregen, indem Akteure von außen in den Verein zurückwirken können und ihn mitgestalten. Mit Reiseagentur war ein Projekt entstanden, dass zwar vom profunden Interesse an Selbstreflexion zeugt, aber in der Dokumentation und in Gesprächen mit Mitgliedern des Vereins ist nicht ersichtlich, ob und inwiefern diese Nabelschau Früchte getragen hat. In diesem Kontext scheint es sinnvoll, noch einmal einen genaueren Blick auf die Geschichte der nGbK zu werfen. Wie in dem Projekt und in der vorangestellten Darstellung des institutionellen Modells herauskristallisiert, geht die Struktur der nGbK mit den eingesetzten Gremien und ihren untereinander durchaus klar hierarchisch geregelten Verhältnissen, auf die Anfangsjahre des Vereins zurück. Das bedeutet: Trotzdem das eigene Modell immer wieder zur Diskussion gestellt wurde, haben sich in 50 Jahren Vereinsgeschichte keine validen, alternativen Organisationsmöglichkeiten entwickeln lassen. Als markantes Beispiel möchte ich hier auf die Besetzung der Geschäftsführung eingehen. In einem Gespräch mit zwei Vereinsmitgliedern stellte sich heraus, dass nach der Amtszeit von Leonie Baumann ein Modifikationsvorschlag für eine Doppelspitze als Geschäftsführung initiiert wurde, um die Dominanz einer einzelnen Person zu reduzieren.126 Hintergrund dieses Vorschlags war die Erkenntnis, dass basisdemokratische Strukturen gleichermassen anfällig für Machtgefälle sind, in dem sich Gruppen bilden oder einzelne Personen innerhalb der vorgegeben Organisation eine besondere Position erlangen. Die Änderung wurde abgelehnt und die alte Struktur blieb bestehen. Daran zeigt sich exemplarisch eine der Kernherausforderungen des basisdemokratischen Institutionsmodells: Alles kann jederzeit zur Diskussion gestellt werden. Debatten beanspruchen dementsprechend einen Großteil der Vereinsarbeit und lassen deutlich verschiedene interinstitutionelle Lager zutage treten. Auch ein basisdemokratischer Verein ist nicht vor Machtkämpfen gefeit. Seine alternative Praxis, die sich ganz im Sinne der Institutionskritik gegen rigide Konventionen hierarchisch aufgebauter, autoritärer Institutionen auflehnte, behindert sich so mit seinen bürokratischen Prozessen selbst. Die Selbstreflexion wird zum Selbstzweck. Father Figures are hard to find Die Ausstellung Father Figures are hard to find fand im Frühjahr 2016 in den Räumen der nGbK statt. Wie im Verein üblich leitete eine fünfköpfige Arbeitsgruppe das Projekt. Seinen Ausgangspunkt nahm es in folgender Feststellung: Das traditionelle Vaterbild

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Skypegespräch mit zwei aktiven Mitgliedern am 17.01.2016.

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und der patriarchale Kanon der Kunstgeschichte stecken in der Krise. Über sechs Wochen waren in den Ausstellungsräumen Kunstwerke zu sehen, die neue Vaterfiguren entwarfen, nach queeren Genealogien suchten und künstlerisch die Aneignung Vätern vorbehaltenen Rechten thematisierten. Dabei inszenierte das kuratorische Team Arbeiten, die sich dem Themenkomplex auf unterschiedlichen Ebenen nähern. Was sind Eigenschaften einer Vaterfigur, die sich vom Körper und von der Biologie lösen? Neben der Frage danach, was eine Vaterfigur sein kann, entfaltete das Konzept eine kanonkritische Komponente: Welche Figuren der Kunstgeschichte wurden unterschätzt oder ausgeblendet, weil sie nicht weiß, männlich und/oder heterosexuell waren?   Die vorgegebene Raumarchitektur wurde nur minimal modifiziert: Die Wände waren in White Cube-Manier weiß getüncht, einzelne eingezogene und blau gestrichene Wände trennen Werke und Themengruppen voneinander ab. Skulpturen waren auf weißen Sockeln positioniert. Großformatige Gemälde fanden sich entweder skulpturartig im Raum oder lehnen teilweise, mit zwei kleinen Holzblöcken aufgebockt, an der Wand. Auffällig ist, dass gleich zwei Vorhänge ausgestellt waren, die ein Moment der Wiederholung schufen, eine räumliche Trennung erzielten und sich farblich, einer in blau, der andere in einem Pfirsichton, kontrastierten. Letzterer war das Werk Har Hazofim (2010) der israelischen Künstlerin Naama Arads: Sie versteckte die Präsidentenköpfe von Mount Rushmore hinter einem rosa-pfirsichfarben schimmernden Vorhang, der auf diese Weise inszeniert den patriarchalen Symbolgehalt zu ironisieren schien, indem sie mit der Assoziation zwischen weichen Stoffen, pastelligen Farben und Feminität spielte. Antje Prusts Videoinstallation D.I.L.F. (Daddy I’d like to fuck) spielt mit dem aus Pornografie bekannten Ausdruck der M.I.L.F. (Mother I’d like to fuck) und stellte diesem einen Gegenentwurf zur Seite. Das Video lief auf einem Laptop, der auf einer Ein-Personen-Matratze platziert war. Die Unterlage besprenkelten stellenweise pinke, schwarze und gelbe Farbflecken. Zudem liegt ein Paar Kopfhörer bereit. Vorträge, Performances, Aufführungen von Ritualen und Diskussionen ergänzen die permanent ausgestellten Objekte, Gemälde und Videoinstallationen. In der Kombination von künstlerischen Praktiken und diskursiven Formaten entstehen so die Konturen neuer Vaterfiguren jenseits bekannter Reproduktionslogiken. Die Arbeitsgruppe setzt sich aus Künstlerinnen, Kuratorinnen und Performerinnen zusammen. Raoul Klooker, Mitglied des kuratorischen Teams und selbst Künstler, fasst die Intention des Projekts zusammen: »Wir bieten Vaterfiguren an, die wir großartig finden.«127 Er führt weiter aus: »Das hat schon mit Subjekt-Formierung zu tun, […]. Wodurch man geprägt ist. Man ist ja kein unbeschriebenes Blatt. Für mich hat das auch mit Reproduktion von Gesellschaft zu tun. Was ist die Keimzelle des Staates, der Gesellschaft?‹«128 Mit dieser Absicht formuliert Klooker einen Kern der Ausstellungstätigkeit der nGbK: Gesellschaftspolitisch relevante und brisante Themen mit künstlerischen Strategi-

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Zitiert nach Stefan Hochgesand: »Father Figures Are Hard To Find« im nGbK. tip Berlin, 24.03.2016. Verfügbar unter: https://www.tip-berlin.de/father-figures-are-hard-find-im-ngbk/ [Zugriff: 05.01.2017]. Ebd.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

en verhandeln. Die Institution offeriert eine Plattform, um diese Fragen innerhalb und abseits des Kunstdiskurses zu verhandeln. Durch die Wahl der Themen beeinflusst die nGbK, was Sichtbarkeit erlangt oder aber aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen ist. Sie dreht somit die Ausschlußmechanismen um und stellt genau das aus, was sonst ausgeklammert und ignoriert worden wäre. Die Liste vergangener Ausstellungen demonstriert, dass es vielfach tabuisierte oder stigmatisierte Sujets waren, die an anderen Kunstorten keinen Platz gefunden hätten. Auf diese Weise macht die nGbK sich zum Advokat unter- oder weniger repräsentierter Fragen oder Personengruppen. Das politische Moment der Institutionskritik der ersten Generation setzt sich hier fort, indem die nGbK sich von der traditionellen Vorstellung von einer Kunstinstitution als bürgerlichem Repräsentationsort löst, an dem etablierte Werte festgeschrieben, weitergetragen und naturalisiert werden.129 Die Projekte der nGbK schaffen Gegenentwürfe und schlagen alternative Perspektiven vor. Wie anhand der Beispiele exemplarisch aufgezeigt, gibt es zwei wichtige Stränge in der Ausstellungspraxis: Die Auseinandersetzung mit sich selbst als basisdemokratischem Verein, als Kunstinstitution – und gesellschaftlich relevante, tabuisierte Themen. Für beide Richtungen gilt: In den Projekten wird ausgelotet, was künstlerische Strategien bewirken können, wie sie als Impulsgeberinnen für ein gesellschaftliches Umdenken fungieren können und alternative Perspektiven aufzeigen. Das Programm der nGbK kann als (kultur-)politischer Seismograph interpretiert werden. Der politische Antrieb; der Wunsch, ein Ort zu sein, an dem politische Kämpfe ausgetragen werden können, prägt die Ausstellungspraxis nach wie vor signifikant und markiert den kritischen Anspruch der nGbK.

4.3.1.3.

Diskursivität und Vermittlung

Diskursorientierte Veranstaltungen machen seit Beginn einen integralen Bestandteil der programmatischen Ausrichtung der nGbK aus. Basisdemokratie lebt von Debatten, insofern ist es naheliegend, dass ein derart zentrales Element der Vereinsarbeit an das Publikum herangetragen und mit ihm geteilt wird. Welchen Stellenwert die diskursiven Aktivitäten tragen, wird in der Satzung evident. §2 Zweck formuliert: »Veranstaltung und Förderung von öffentlichen Diskussionen, Seminaren, Vorträgen, Colloquien, Führungen, Kunstreisen u.ä.«130 Charakteristisch für die Veranstaltungen der nGbK ist, dass sie sich stark an aktuelle Diskurse anlehnen, sei es kunstinternen oder gesellschafts- und kulturpolitischen Debatten. Exemplarisch für ein solches Format ist die jour fixe initiative Berlin, die seit 2009 regelmäßig in der nGbK zu Gast ist. Diese Initiative besteht bereits seit 1997. Sie veranstaltet Vortragsreihen zu linksgerichteten, ideologiekritischen Themen, und initiiert dazu Diskussionen mit Bezug auf Theoretikerinnenen wie Foucault, Derrida und Bourdieu. Die Vorträge erscheinen gesammelt als Publikation, daneben stellen sie Theoriereihen mit fremdsprachigen Beiträgen zusammen, um die linksradikale Debatte zu internationalisieren. 2017 widmet sich die

129 Siehe dazu das Kapitel 3.1.3. zur ersten Phase der Institutionskritik. 130 neue Gesellschaft für bildende Kunst (2016a).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Vortragsserie mit je einem Referat in den Monaten Januar bis Mai dem Thema Anti!Kommunismus. Struktur einer emanzipatorischen Ideologie.131 Einzelveranstaltungen kehren regelmäßig im Veranstaltungskalender wieder. Im Juni 2016 rief die nGbK auf am Trauermarsch: Gedenken und Austausch zu den Vorfällen in Orlando teilzunehmen. Im Mai desselben Jahres fand eine Veranstaltung zu 20 Jahre Stolpersteine in Berlin statt. Ebenso diskutierten Interessierte im September 2014 zu dem Thema Charisma 2.0 – POSITIONS Berlin, Aktuelle Ausformungen einer genuin künstlerischen Disposition. Die Formate und Themen sind heterogen – die Referentinnen setzen sich zum Teil aus dem festen Umkreis der nGbK und sujetspezifischen Expertinnen zusammen. Mit diesen Sonderveranstaltungen geht die nGbK zeitnah auf brennende Fragen und Ereignisse ein. Da die Mitglieder das Programm gestalten, lastet diese Aufgabe nicht hauptsächlich auf der Geschäftsführung. Mitunter besteht die Möglichkeit, spontaner zu reagieren, da die Organisationsverantwortung geteilt werden kann. Nach dieser Einführung in die diskursive Arbeit der nGbK, werfe ich in den folgenden Abschnitten einen genaueren Blick auf Formate, die allgemein unter dem Begriff Kunstvermittlung gefasst werden. Schaut man unter demselben Schlagwort im Webarchiv nach, steht an erster Stelle eine der zentralen Fragen, welche die Arbeit der nGbK seit Beginn an antreiben: Welche Funktion kann Bildende Kunst in unserer Gesellschaft einnehmen?132 In dem Eintrag definieren die Autorinnen, dass Vermittlung an ökonomische Verhältnisse in der Gesellschaft gebunden sei – Kunst ist zu verstehen als »Mittlerin für politische Inhalte«.133 Ein erstes Projekt, das hinterfragte, wie Vermittlung funktionieren kann, fand 1999 statt: Unmittelbare Vergangenheit. Drei Kulturvermittler der 80er Jahre griff eine Kernfrage der Institutionskritik auf: Wer darf Inhalte an die Institution bringen? Institutionelle Autorität sei nicht einfach hinzunehmen, sondern müsse hinterfragt werden. Bekanntheit erlangte die Gruppe Kunstcoop©, die über zwei Jahre lang die Ausstellungsaktivitäten des Vereins begleitete und mit neuen Formen von Vermittlung experimentierte. Kunstcoop© bildete sich im Herbst 1999 und setzte sich aus Absolventinnen des Studiengangs Kunst im Kontext an der Universität der Künste zusammen.134 Ihrer vermittlerischen Tätigkeit unterlag die These, dass die Grenze zwischen künstlerischer Praxis und Vermittlung seit den 1990ern zunehmend porös geworden sei.135 Die Gruppe beschrieb diese Tendenz als parallele Entwicklung zu einem sich verändernden Kunstbegriff, der das Verständnis von Werk und Autorschaft neu verhandelt sehen wollte. In 131

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135

Vgl. Jour Fixe Initiative Berlin (2017): ANTI!KOMMUNISMUS. Struktur einer emanzipatorischen Ideologie. Homepage der Jour Fixe Initiative Berlin. Verfügbar unter: www.jourfixe.net/veranstaltungsreihe/antikommunismus [Zugriff: 21.02.2018]. Vgl. Anna-Lena Wenzel (2016): Kunstvermittlung. Webarchiv neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: https://archiv.ngbk.de/kunstvermittlung/[Zugriff: 29.11.2016]. Ebd. Carmen Mörsch (2009b): Educational Einverleibung, oder: Wie die Kunstvermittlung vielleicht von ihrem Hype profitieren könnte.Ein Essay – anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von Kunstcoop©. In: neue Gesellschaft für bildende Kunst (Hg.) Neue Gesellschaft für Bildende Kunst – 40 Jahre. Berlin: neue Gesellschaft für bildende Kunst, S. 253. Vgl. Eintrag ›Kunstcoop©‹ im Webarchiv der nGbK, neue Gesellschaft für bildende Kunst (2017): Kunstcoop©. Webarchiv neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: https://archiv.ngbk.de/projekte/kunstcoop/[Zugriff: 29.11.2017].

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der Folge sei Kunstvermittlung zu einem »offenen Feld […] mit vielfältigen Handlungsund Interventionsformen«136 geworden. Zunächst stelle ich grundlegende Ziele dieses Vermittlungsprojekts vor. Auf diese Weise lassen sich bereits erste Hinweise darauf entdecken, wie das Publikum entworfen wird. Im Anschluss steht das Verhältnis der Gruppe zur nGbK als Institution zur Disposition. Abschließend ordne ich die Aktivitäten von Kunstcoop© in den Gesamtrahmen der Vermittlung und der diskursiven Tätigkeiten der nGbK ein und zeige auf, wie sich daran Anknüpfungspunkte zur Institutionskritik manifestieren. Die Hauptversammlung der nGbK bestimmte im Jahr 2000 Kunstcoop© als ein zu realisierendes Projekt für das kommende Jahr. Die Gruppe hatte sich der Aufgabe verschrieben, Kunst einem größeren Publikum zugänglich zu machen und dadurch die Sichtbarkeit von Gegenwartskunst zu erhöhen. In Dialogen mit Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen und beruflichen Kontexten sollte ein neuer kommunikativer und sozialer Raum entstehen. Dafür musste sich die Kunstvermittlung öffnen, interdisziplinär arbeiten und sich selbst als Schnittstelle positionieren. Nicht zuletzt repräsentiert die englische Übersetzung für Vermittlung, welche die nGbK aktuell verwendet, diesen reproduktiven Ansatz, nämlich Art Outreach.137 Um wie formuliert eine breite Öffentlichkeit anzusprechen, nahmen die Vermittlerinnen sich vor, verschiedene Rollen für die nGbK einzunehmen und diese je nach Projekt, Inhalten und Bedürfnissen anzupassen. Exemplarisch sind Fotoaktionen zu nennen, die sich thematisch angliedern, oder Planspiele im öffentlichen Raum sowie gemeinsame Besuche von inhaltlich assoziierten Orten. Bei den erwähnten Bedürfnissen kann es sich um jene der Ausstellungsmacherinnen oder den Gremien der nGbK selbst handeln. Zentral für die Arbeit von Kunstcoop© ist es, Vermittlung als eigenständige Praxis zu verstehen. Vermittlerinnen agieren mitunter autonom von den spezifischen Projekten, fügen ihnen etwas hinzu. Kunstvermittlung bietet einen Gegenpol, indem sie auf institutionelle Praktiken aufmerksam machen, die sonst unsichtbar bleiben. Sie thematisieren Einladungspolitiken, inszenieren Diskussionsforen oder Informationssituationen, kommentieren oder dokumentieren auf neue Weisen die Ausstellungen. Dies war durchaus eine Neuheit im Kunstbetrieb: Vermittlung als (zusätzliche) kritische Dimension zur Ausstellung zu denken, die nicht als Dienstleistung, als Wissensübertragung interpretiert wird. Vielmehr bildet sie eine eigene Praxis, die hinterfragt, was im Vorfeld der Ausstellung, in der Produktion, im Ausstellungsraum und in der Umgebung der Institution geschieht. Die Formate lehnen sich zwar an Inhalte der Ausstellung an, sind aber nicht von den Kuratorinnen vordefiniert oder abgesegnet. Die nGbK überlässt diesen Projekten einen eigenen Handlungsrahmen. Mit Kunstcoop© nahm die nGbK eine Pionierrolle bezüglich der Neugestaltung institutioneller Vermittlungsarbeit ein. In den folgenden Jahren entwickelte sich im

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Ebd. Vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2018): Art Outreach 2018. Homepage neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: http://ngbk.de/en/program/left-performance-histories [Zugriff. 21.02.2018]. Für weitere Erläuterungen zur reproduktiven Funktion von Vermittlung vgl. Mörsch (2009a).

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deutschsprachigen Raum auf der Basis ihrer Ansätze eine neue Richtung der Vermittlung in Theorie und Praxis. Die so genannte kritische Kunstvermittlung knüpft hinsichtlich Themen, Formen und Fragen an die Institutionskritik an, insofern sie die Bedingungen der Ausstellungsproduktion in der Institution hinterfragt, situativ und ortsspezifisch arbeitet sowie politische Prozesse zum Thema macht. Kunstcoop© hat demonstriert wie eine Vermittlung ›zwischen‹ aussehen könnte; eine, die sich als Schnittstelle zwischen Ausstellung und Publikum sowie Institution und Publikum versteht. Um diese Zwischenposition der Vermittlung dauerhaft beizubehalten, lagert die nGbK ihre ›allgemeine‹ Vermittlung aus und vergibt dafür Stipendien. Die von Kunstcoop© angestoßene Richtung einer – zumindest teilweise – unabhängigen Vermittlung wird damit fortgesetzt. Das Stipendium für Kunstvermittlung, seit 2008 ausgeschrieben, baut auf die von Kunstcoop© gelegten Grundsteine auf und ist das Ergebnis mehrmonatiger interner Diskussionen darüber, was die nGbK und ihre Mitglieder von Vermittlungsarbeit erwarten.138 Die damalige Geschäftsführerin Leonie Baumann formulierte als Inhalt und Ziel des Stipendiums: »Alles könne stattfinden, alles war erwünscht.«139 Dynamische Vorgänge und jährliche Veränderungen statt starrer Formatvorgaben. Andere Akteure, neue Orte statt sich wiederholender Führungen von Vermittlerinnen, die aufgrund der monotonen Arbeit schwerer zu motivieren sind. Dialoge und Austausch statt Kuratorinnen, die neben anderen Tätigkeiten noch ihr spezifisches Hintergrundwissen zum Konzept und Inhalt der Ausstellung in einseitiger Informationsübertragung ›rüberbringen‹ wollen. Durch diese Dynamisierung, die sich ebenfalls den Interessen der Mitglieder anpasst, hält sich die nGbK ein Experimentierfeld offen. Die Worte Baumanns oben lassen die Frage auftauchen: Wenn die nGbK aus institutioneller Sicht einlädt, auszuprobieren und zu kritisieren, welches subversive Potenzial wohnt dann den als experimentell deklarierten Strategien noch inne? Hier scheint es sich um eine weitere Geste der institutionellen Autorität zu handeln, die bewahrt werden soll, auch wenn die nGbK sich nach außen weniger autoritär gibt. An dieser Stelle ist darauf zurück zu verweisen, dass die Geschäftsstelle selbst mit Partnerinnen für Veranstaltungen wie Stiftungen kommuniziert anstatt den Kontakt zu den Arbeitsgruppen herzustellen. Die institutionelle Realität der nGbK, einhergehend mit dem Wunsch als professionelle Institution wahrgenommen zu werden, kollidiert mit der institutionellen Vision eines anti-autoritäreren basisdemokratischen Vereins. Wie ist Kunstcoop© nun im Gesamtkontext der Vermittlungsarbeit der nGbK zu verstehen? Zu unterscheiden ist zwischen projektspezifischer und allgemeiner Vermittlung in der Institution. Die Arbeitsgruppen organisieren das Rahmenprogramm ihrer Ausstellungen – insofern ihre Konzepte nicht von vornherein diskursive und vermittelnde Formate vorsehen. Wie die Beschreibungen und der Veranstaltungskalender auf der Homepage der nGbK bekräftigen, sind diese in vielen Fällen als traditionell verstandene Formen einzuordnen wie Kuratorinnenführungen, Diskussionsrunden oder Expertinnenvorträge. Lilian Engelmann weist darauf hin, dass die Geschäftsführung für 138 139

Vgl. Leonie Baumann (2010): Kunstvermittlung als Freiraum in der NGBK. In: Neue Gesellschaft für bildende Kunst (Hg.), Mischen Possible. Mona Jas: Kunstvermittlung 2008-2010. Berlin: nGbK, S. 2.  Ebd.

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gewöhnlich nicht eingreifen muss, sondern die Arbeitsgruppen ein Rahmenprogramm als selbstverständlichen Teil ihrer kuratorischen Arbeit ansehen.140 Dahingegen übernimmt es die nGbK, beziehungsweise die Geschäftsstelle als ihre Vertreterin, größer angelegte diskursive Veranstaltungen wie die nGbK lectures oder Symposien zu organisieren, die grundsätzliche Fragen des Kunstbetriebs, der Arbeit als Ausstellungsraum und von Kunstvereinen erörtern. Engelmann begründet diese Trennung der Verantwortlichkeiten damit, dass die nGbK bereits etablierte Kooperationspartnerinnen für Veranstaltungen hat, zu denen Kontakte bestehen. Aus den verschiedenen Facetten ergibt sich ein vielschichtiges Modell der Vermittlungspraxis, das die unterschiedlichen Ebenen der institutionellen Arbeit und Akteure tangiert und zu reflektieren sucht. Für die nGbK ist festzuhalten: Die Themen der vorgestellten Projekte weisen über das künstlerische Feld hinaus. Wenngleich es nicht das aktive Ziel des Vereins ist, ein nach außen homogen wirkendes Programm zu entwickeln, ziehen sich inhaltliche Schwerpunkte durch die Veranstaltungen und Aktivitäten: Feminismus, Postkolonialismus, Faschismus, Gender – die nGbK gibt sich als Ort für Themen, die Kunst in einen gesellschaftlichen Kontext stellen. Der Name des Vereins verweist ebenfalls auf die gesellschaftliche Einbettung und rekurriert auf einen nicht-repräsentativen, sich am Markt orientierenden Kunstbegriff, der für politische und gesellschaftliche Zwecke instrumentalisiert werden darf und soll. Seit 2016 entwirft und verfestigt die nGbK mit ihrem Webarchiv, das die bisherigen Projekte thematisch kategorisiert und verschlagwortet, eben dieses Bild. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, als progressiver, alternativer und politischer Kunstort aufzutreten. Er versteht sich als Teil eines öffentlichen Netzwerks, das die politische Tragweite von Kunst und ihren Institutionen fortsetzen will.141 Die Gründerinnen wollten einen alternativen Kunstverein, der sich nicht hierarchisch organisiert und stattdessen vorsieht, dass alle Mitglieder über Programm und Struktur mitentscheiden können. Die basisdemokratische Ausrichtung prägt nach wie vor die Außenwirkung der nGbK und fungiert als Aushängeschild für eine in dieser Form seltene Praxis. Dennoch sollte nicht unbeachtet bleiben: Ganz gleich wie viel die Mitglieder über die aktuelle Struktur, Satzung und Arbeitsprozesse debattieren – wie sich offenbart hat, sind in der fast 50-jährigen Geschichte des Vereins nur wenige Änderungen durchgesetzt worden. Obwohl selbstreflexive Formate einen festen Platz in der institutionellen Praxis haben und dieser Fakt als Indiz dafür gesehen werden kann, dass die nGbK beabsichtigt, flexibel zu sein, ist die nGbK in der Realität eine permanente Struktur und auf eine solche angewiesen. Der Balanceakt zwischen Autonomiebestreben und Institutionalisierungsprozessen ist ein zentrales Symptom dieser Herausforderung, welche die wesentlichen Anliegen der Institutionskritik mit sich bringen. Einerseits will die nGbK eine Plattform für Tabuthemen sein sowie ihre Mitglieder mitbestimmen und den

140 Gespräch mit Lilian Engelmann am 05.11.2015 in Berlin. 141 Selbstbeschreibung auf der Homepage, vgl. neue Gesellschaft für bildende Kunst (2016d): nGbK. Mitglied werden. Homepage der neue Gesellschaft für bildende Kunst. Verfügbar unter: http://ngbk.de/development/index.php?option=com_content&view=article&id=399&Itemid=309&lang=de&template=ngbkberlinmelior [Zugriff: 05.11.2015].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Arbeitsgruppen freie Hand lassen. Andererseits scheint sie der Wunsch zu begleiten einem experimentelleren, weniger hierarchischem Institutionsmodell Dauer zu verleihen. Zu bedenken bleibt: Ein Experiment in die Dauerhaftigkeit zu überführen und mit festen Strukturen sowie Regeln auszustatten, verstetigt es und nimmt ihm damit seine Dynamik.

4.3.2.

basis voor actuele kunst (bak), Utrecht

Ein erstes prominentes Vergleichsbeispiel zur nGbK, dem Hauptfall der Ausstellungshäuser ohne Sammlung, ist die basis voor actuele Kunst (bak).142 Das heutige Ausstellungshaus geht auf eine Initiative zurück, die sich 1989 gründete und im Jahr 2000 begann, sich in eine professionell aufgestellte Organisation für Kunst und Künstlerinnen zu transformieren. Seit dieser Zeit steht sie unter der Leitung der künstlerischen Direktorin Maria Hlavajova, die 2003 die erste Ausstellung unter dem Namen bak eröffnete.143 Hlavajova publiziert und spricht regelmäßig zu Fragen des zeitgenössischen Kuratierens, insbesondere darüber, was es heißt, im Kunstbereich kritisch zu arbeiten.144 Als Fallstudie eignet sich die bak, da sie in ihrer aktuellen institutionellen Form aus einer temporären Initiative erwachsen ist und dabei verschiedene Phasen der Institutionalisierung durchlaufen hat. Sie bewegt sich zwischen Kunstraum, Forschungsprojekt und einer aktivistisch angehauchten Gruppierung. Das zeigt sich so auch in den Termini, welche die bak verwendet, um sich selbst zu beschreiben: Als Raum für Wissen

142 Nachfolgend verwende ich das Akronym bak. 143 Sie ist zudem Mitgründerin des Netzwerks tranzit.org. Tranzit.org wäre ebenfalls ein interessantes Fallbeispiel für die vorliegende Studie. 2002 ist das polyzentrisch strukturierte Netzwerk ins Leben gerufen worden, das sich aus autonomen lokalen Einheiten in den fünf osteuropäischen Ländern zusammensetzt. Jede der Einheiten in der Tschechischen Republik, in Ungarn, Slowakei, Rumänien und in Österreich – als Grenzland zwischen dem westlichen und östlichen Europa – arbeitet unter eigenen Bedingungen, wählt verschiedene Formate und Methoden. Gemeinsam haben sie sich dem Ziel verschrieben, die zeitgenössische Geschichte seit den 1960ern und 1970ern zu überdenken sowie den Kanon und die übergeordneten Narrative des kunstgeschichtlichen NachkriegsEuropas herauszufordern. Unter den – bis auf Österreich– totalitär-kommunistischen Regimes der Länder, die allesamt erst in den 1990ern unabhängig wurden, spielte Selbstorganisation eine wichtige Rolle, da von staatlicher Seite, ihre Institutionen und Initiativen kaum gefördert wurden. Auf dieser Geschichte baute tranzit.org nun ein translokales Bündnis auf, das zwischen lokalen Initiativen und globalen Anliegen vermittelt. Tranzit.org präsentiert sich als ein Netzwerk, das diverse Funktionen in sich vereinen will. In erster Linie bringt es verschiedene Akteure zusammen, fungiert aber auch als Informationsplattform. Es arbeitet mit Formaten wie Ausstellungen, Vorträgen und Workshops, regen Kollaborationen mit anderen Organisationen an und publizieren regelmäßig im eigenen Verlag. Tranzit.org tritt als Hybrid aus Kunstinstitution, Akademie, Netzwerk, Verlagshaus und Forschungseinrichtung auf und zeugt davon wie ehedem getrennte Sphären zusammengeführt werden. 144 2015 war sie beispielsweise Referentin der Vortragsreihe Curating… im Museum für Gegenwartskunst in Basel. Sören Grammel, Direktor des Museums, lädt dazu Kuratorinnen und Direktorinnen ein, die über ihre eigene kuratorische Praxis sprechen. Zu den bisherigen Vortragenden gehörten im Diskurs bekannte Figuren wie u.a. Anselm Franke, Maria Lind, Elena Filipovic.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

und Aktivismus; als Basis, die mit Kollaborateuren zusammenarbeitet. Eine Besonderheit sind dabei die Programmatik und das kuratorische Modell. Recherchebasierte kollaborative Praktiken machen den Kern ihrer Tätigkeiten aus, ergänzt um ein intensives Bemühen, aktuelle Themen aus der Gesellschaft und der Politik aufzunehmen und sich mit ihren Inhalten dazu zu positionieren. Die bak hat den Status einer non-profit Organisation mit einem Aufsichtsrat. Dem entsprechend darf das Haus keinen Gewinn erzielen und ist auf finanzielle Zuwendungen von öffentlichen Stellen angewiesen. Die bak erhält finanzielle Förderung von dem Niederländischen Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft und von der Stadt Utrecht. Darüber hinaus unterstützen sie eine Reihe von Stiftungen und Förderprogrammen im In- und Ausland, so unter anderem der Europarat in Brüssel, die DOEN Foundation in Amsterdam, die Botschaft der Niederlanden in Wien und die Pro Helvetia in Zürich, die Aktivitäten.145 Beginnen werde ich mit einer allgemein gehaltenen Beschreibung des Ausstellungshauses. Für den Vergleich zur nGbK erläutere ich in dann das institutionelle Selbstverständnis und die eng damit verbundene kuratorische Praxis. Die bak befindet sich im Museumsquartier in Utrecht, mit knapp 340.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt der Niederlande.146 Das Viertel zeichnet sich, wie der Name andeutet, durch eine hohe Dichte an Museen und kulturellen Zentren aus wie dem Centraal Museum und dem Catarijneconvent oder unabhängigen Kunsträumen wie Casco. Die basis voor actuele Kunst ist vom Hauptbahnhof fußläufig zu erreichen.

Abb. 13: Außenansicht bak; Abb. 14: Innenansicht Flur, erster Stock.

145

Eine komplette Auflistung der Förderinnen findet sich auf der Homepage der bak unter basis voor actuele kunst (2019): Financial partners. basis voor actuele kunst. Verfügbar unter: https://www.bakonline.org/over-ons/financial-partners/[Zugriff: 13.02.2019]. Auch die Bilanzen sind einsehbar in den Jahresberichten, die auf Niederländisch auf der Homepage veröffentlich werden. 146 Ergänzung 2019: Im Herbst 2017 zog die bak in neue Räumlichkeiten um und wechselte damit auch das Viertel.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Das Ausstellungshaus befindet sich in einem Backsteingebäude. Es gibt drei Stockwerke: Auf der ersten Ebene ist der Empfangstresen und ein Ausstellungsraum, auf dem zweiten Stock ein weiterer Ausstellungsraum und im dritten Stock liegen die Büroräume der Mitarbeiterinnen. Äußerlich fällt zunächst auf, dass die Außenhülle aus Backstein nur durch einen an der Fassade herabhängenden Banner und einen Aufsteller als Ausstellungshaus erkennbar ist. Die Innenarchitektur hingegen eindeutig: Lichte Stahltreppen und durchsichtige Böden kommunizieren Temporalität und Transparenz. Die Ausstellungsräume waren zum Zeitpunkt des Besuchs mit festem Boden ausgestattet und die Wände in dunklen Farben gestrichen. Die Gestaltung erscheint reduziert und funktional.

4.3.2.1.

Die Institution als gesellschaftliche Plattform und Gesprächspartnerin

Die bak versteht sich als ein Ort an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissen und Aktivismus. Ein Blick auf die institutionelle Struktur scheint deshalb lohnend, um zu verstehen wie ein solcher Raum sich organisiert. Das kleine Team besteht aus der künstlerischen Direktorin, einem Geschäftsführer, Office Managerin, Herausgeber, Projektmanager und einem administrativen Assistenten.147 Die Organisation spiegelt die Aufgabenverteilung wieder: Die inhaltliche – künstlerisch-kuratorische – Arbeit liegt bei Hlavajova. Die Struktur ähnelt stark derjenigen von Kunstvereinen wie der nGbK oder Kunsthallen; der Unterschied ist hier, dass Hlavajova gemeinsam mit research fellows über zwei Jahre das jeweilige Programm für diesen Zeitraum erarbeitet.148 Diese kollaborative Praxis ist fest in das institutionelle Selbstverständnis eingeschrieben, indem sich die bak als »site of interlocution«149 , als Ort der Gesprächsführung und der Diskussion definiert. Eine solche Diskussion findet naturgemäß immer zwischen mehreren Beteiligten statt. Die bak beschreibt sich als Katalysator für diskursive Prozesse, in denen Kunst eine Form des aktiven Wissens darstellt. Dieses soll multipliziert und in die Gesellschaft zurückgetragen werden. Mit dem Terminus der Basis stellen sie heraus, dass sie das Fundament für diesen Diskurs bilden wollen, ein Grundgerüst in der Form einer analogen und digitalen Plattform. Hlavajova verdeutlicht den gesellschaftspolitischen Anspruch der bak: »I see bak as a platform for thinking – from, with, and through art – about the urgencies that we share in our age and in a time characterized by a profoundly unsettled

147

Ergänzung 2019: Mit dem Umzug haben sich auch die institutionellen Strukturen verändert und neue Stellen wurden geschaffen. Die Verantwortlichkeiten haben sich stärker ausdifferenziert und das Team hat sich deutlich vergrößert. Erwähnenswert scheinen für den vorliegenden Kontext besonders die Verantwortlichen für Discourse & Public Program, Fundraising & Rentals sowie Research & Production. 148 Zu den research fellows zählten unter anderen Simon Sheikh, Marion von Osten und Sven Lütticken. 149 Selbstbeschreibung auf der Homepage, vgl. basis voor actuele kunst (2017): about. mission. Homepage der basis voor actuele kunst. Verfügbar unter: https://archive.bakonline.org/en/About [Zugriff: 04.02.2017].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

sense of certainty about who we are as citizens and what the options before us to lead responsible and inspired lives are, or could be.«150 Hlavajova interessiert sich dafür, über zeitgenössische Kunsträume und -institutionen sowie deren Funktion in der heutigen Gesellschaft zu reflektieren. Sie sieht es als Aufgabe von kulturellen und politischen Institutionen, Narrative anzubieten – das heißt, Dinge sichtbar und öffentlich machen. Das kritische Potenzial liegt zum einen darin, selbstreflexive Formate einzuflechten und sich selbst zu fragen, was es bedeuten kann, eine experimentelle und risikofreudige Kunstinstitution zu sein. Eine, die auf die Herausforderungen reagiert, die zeitgenössische Kunstpraktiken ihr stellen, welche wiederum ständig in Veränderung begriffen sind. Ihre eigene Position in diesem Gefüge will Hlavajova durch Rückzug verändern statt die Kontrolle und Deutungsmacht beizubehalten.151 Die Projekte und Ausstellungen sollen sich in ihrem eigenen Rhythmus entfalten.152 Die grundsätzliche Möglichkeit, sich zu transformieren, hat die bak am eigenen Leib erfahren. Von einer Künstlerinneninitiative hat sie sich zu einem Kunstraum mit institutioneller Struktur gewandelt. In der Folge entwickelte sich ein Projekt mit dem Titel Becoming oneself, das sich in einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen mit Momenten der instituierenden Praxis auseinandersetzt. Letztere versucht, sich nicht in einer »comfort zone of self-assurance and conformity«153 fixieren zu lassen.

4.3.2.2.

Kuratorische Praxis

Die kuratorische Praxis der bak intendiert, neue Handlungsräume zu öffnen, indem sie Impulse von außen, Kollaborationen und Austausch in ihr Programm einbindet. Eng damit verbunden ist die Absicht, gemeinsam mit dem Publikum und der Öffentlichkeit in diesen Räumen zu verhandeln, wie die Zukunft aussehen soll. Ihrem Selbstverständnis als Plattform und Gesprächspartnerin folgend versammelt die bak für ihre Projekte verschiedene kulturelle Akteure, um mit ihnen gemeinsam ein ausgewähltes, gesellschaftlich virulentes Thema zu bearbeiten. In diesen langfristig angelegten Projekten mit einer Dauer von einem bis zu acht Jahren154 , geleitet von einem der aktuellen bak research fellows, können alternative Formen der Wissensgenerierung getestet werden. Öffentliche Veranstaltungen unterbrechen den Forschungsplan und bieten Einblicke in die multiperspektivischen Prozesse. Ein Phänomen zu kritisieren oder ein Problem aufzuzeigen, ist lediglich der Ausgangspunkt: Die Projektgruppen arbeiten darauf hin, Vorschläge zu artikulieren und 150 Sanneke Huisman: Call the Witness: An interview with Maria Hlavajova. Open Society Foundation, 08.06.2011. Verfügbar unter: https://www.opensocietyfoundations.org/voices/call-witnessinterview-maria-hlavajova [Zugriff: 16.12.2016]. 151 Vgl. Ebd. 152 Vgl. Ebd. 153 Franciska Zólyom: Institutional Criticality. Interview with Maria Hlavajova, 09.02. 2015. Verfügbar unter: http://tranzit.org/freeschool/interju/institutional-criticality-maria-hlavajova-interviewedby-franciska-zolyom/?lang=en [Zugriff: 30.08.2016]. 154 Ein Beispiel für diese Art Langzeitprojekt ist Former West (2008-2016), das sich mit den Auswirkungen der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Ereignisse 1989 auf die Gegenwart auseinandersetzt.

169

170

Institutionskritik im Feld der Kunst

deren Umsetzung zu unterstützen. Die Gruppen treffen sich, um Entwürfe und Ideen zu präsentieren, diese zu diskutieren und in einem offenen Feedbacksystem weiterentwickeln. Künstlerische Imagination und bürgerliches Engagement sind zwei zentrale Methoden der bak. Durch Zusammenarbeit mit bildnerischen oder aktivistischen Akteuren wird diese Methodenpalette erweitert, die Bandbreite der Formate geöffnet: Abhängig vom Sujet organisiert die bak Podiumsdiskussionen, Vorträge, Workshops, Unterrichtsmodule für Schülerinnen und Studierende, Konferenzen, Ausstellungen oder Publikationen. Das Veranstaltungsarchiv indiziert, dass keinem Format Vorrang gilt, ihnen aber eins gemeinsam ist: Sie wollen einen Ort für kritische Pädagogik und Emanzipation anbieten, Ideen mobilisieren, Diskussionen entfachen und dazu anleiten, vermehrt interdisziplinär zu denken. Hlavajova gibt zu bedenken, dass diese Bewegung weg vom Kuratieren als Ausstellungsmachen die Kuratorin in eine ungewöhnliche Position versetze.155 Während für viele Ausstellungen einander gegenübergestellte Objekte, auf kontrollierte Weise, in ihrer Kombination etwas transportieren, geht es in den dominierenden Formaten des bak darum, Positionen und Menschen einander gegenüber treten zu lassen sowie die Diskussionen zu forcieren.156 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass kollaboratives Arbeiten essenziell für das Auftreten und Handeln der bak ist. Es ist das Herzstück ihrer institutionellen Arbeit und manifestiert sich in der Selbstverpflichtung zu Diskursivität, Bildung und Lernen. Es überrascht daher kaum, dass sich der kuratorische Ansatz in der Themenwahl widerspiegelt und die programmatische Gesamtrichtung definiert. Sie betrifft politische, soziale und kulturelle Fragen, die eine gesellschaftliche Dringlichkeit mit sich bringen. Das Ziel scheint zu sein, weniger aus einem kunstinternen Diskurs heraus zu argumentieren – aus diesem Grund die verschiedenen Kollaborationspartnerinnen –, sondern Kunst als Vehikel zu nutzen, um etwas über die eigene Beziehung zur Welt mit der jeweiligen Frage im Hinterkopf zu erzählen. Eines diese Projekte ist Instituting for the Contemporary, Teil eines grösseren Forschungsstrangs zu Future Vocabularies157 und dessen Subthema Instituting Otherwise, welches die Programmplanung in 2016 leitete.

4.3.2.3.

Future Vocabularies: Instituting for the Contemporary

Wie der Titel ankündigt, geht es um Formen des Instituierens und um alternative institutionelle Ideale. Im Verlauf des Jahres fanden drei Ausstellungen sowie die genannte 155 156 157

Vgl. Zólyom (2015). Vgl. Huismann (2011). Future vocabularies (2014-17) ist ein vielfältiges Langzeitprojekt, das mit Forschungs-, Bildungs-, Ausstellungs- und Publikationsaspekten über mehrere Jahre die institutionelle Arbeit des bak steuert. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich die Gesellschaft gegenwärtig in einer Übergangsphase befindet, die durch verschiedene Krisen gekennzeichnet ist. Als Intervall verstanden, das zwar Unsicherheit mit sich bringt, kann ein solcher Bruch produktiv gemacht werden, um die zukünftige Richtung zu bestimmen, beispielsweise hinsichtlich des verwendeten Vokabulars, der Zukunft von (institutionellen) Infrastrukturen oder aktuellen soziopolitischen Herausforderungen wie der so genannte ›Flüchtlingskrise‹, welche die politischen Diskussionen in Europa seit einigen Jahren bestimmt. Ein Resultat ist ebenfalls ein critical reader. Vgl. Maria Hlavajova, Ranjit Hoskote und Nancy Adajania (2016) (Hg): Future publics (The Rest Can and Should Be Done by The People): A Critical Reader in Contemporary Art. Amsterdam: Valiz, bak.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Veranstaltungsreihe Instituting for the Contemporary statt. Die Serie von diskursiv angelegten Treffen kulminierte in einer Publikation, welche die bak traditionell als critical reader bezeichnet. Dafür wurden drei öffentliche Redaktionssitzungen als Rahmenprogramm zu einer Ausstellung organisiert. Mit dem reader strebt die bak an, die Vorstellung von ›instituting‹ als adäquaten Vorschlag für die Gegenwart durchzuspielen und zu denken. Zwei Aspekte sind dabei richtungsweisend: Instituieren als Methodologie und als Herausforderung für Institutionen selbst. Über das begrenzte Gerüst der Kunstinstitution(en) hinauszudenken und Ideen für mögliche Instituierungsmodelle zu entwerfen, geschieht anhand von acht Schlüsselthemen: Bildung (education); Verstrickungen (entanglements); nicht Nicht-Kunst, nicht Nicht-Politik (not not art, not not politics); von Pflege zu Macht (care to power); Kompositionalismus (compositionalism), das Zeitgenössische (the contemporary), Instituieren (instituting) und Hingabe/Verpflichtung (commitment). Die Autorinnen präsentieren während dieser Treffen ihre Ideen und debattieren in einer offenen Runde mit Feedback.158 In den Redaktionskonferenzen für die bevorstehende Publikation greift die bak jeweils auf eine der essenziellen Fragen der Institutionskritik zurück: Was verstehen wir unter Institution und wie funktioniert sie, wie instituiert sie? Indem die bak gemeinsam mit Autorinnen und dem Publikum diese Prozesse reflektiert, können Gegenentwürfe skizziert werden, die sich einer sofortigen Kategorisierung entziehen wollen. Die Veranstaltungssequenz führt fort, was Raunig und Nowotny in ihrem Band zu Instituierenden Praxen begonnen haben, in dem es darum geht, institutionelle Apparate neu zu definieren und zu aktualisieren. Mit dem geöffneten Fokus des Begriffs Institution spiegelt die bak wider, dass Fragen der Institutionskritik heute nicht nur im und für das Kunstfeld diskutiert werden, sondern sich auch auf andere gesellschaftliche Institutionen beziehen. In dem Projekt Instituting Otherwise und der Veranstaltungsreihe Instituting for the Contemporary kulminieren die Anknüpfungspunkte der bak an eben jene kritischen Strategien: Diskursivität, kollaboratives Arbeiten, ein Befragen der eigenen Struktur und der Funktion von Institutionen. In der Beschreibung der Formate tritt deutlich zutage, dass sich die bak – ebenso wie Künstlerinnen der zweiten Phase der Institutionskritik – ihrer ambivalenten Position bewusst ist: Indem sie öffentliche Institutionen hinterfragt und kritisiert, verteidigt sie diese. Indem sie innerhalb bekannter Infrastrukturen nach neuen Modellen sucht, verfestigt sie Bekanntes. Sie öffnet einen Raum zwischen institutioneller Realität und Utopie. Die bak macht sich angreifbar und öffnet sich für Veränderungsvorschläge; sie zieht somit am selben Strang wie die kritischen Künstlerinnen.

158

Vgl. zu diesem Absatz die Beschreibung des Formats auf der Homepage des bak, vgl. basis voor actuele kunst (2018): Research itinerary. Future Vocabulary 2014-2017. Homepage der basis voor actuele kunst. Verfügbar unter: https://archive.bakonline.org/en/Research/Itineraries/FutureVocabularies/Themes [Zugriff: 21.01.2018].

171

172

Institutionskritik im Feld der Kunst

4.3.3.

Shedhalle, Zürich

Die Shedhalle trägt als Verein das gleichnamige Ausstellungshaus. Es ist das Resultat der Bemühung einer Initiative lokaler Künstlerinnen, die sich im Kunstfeld nicht repräsentiert fühlten und ihren eigenen Ausstellungsraum gründeten. Die Shedhalle ist eng mit dem Verein Rote Fabrik verbunden, auf deren Gelände sie sich heute noch befindet. Die beiden Organisationen trennten sich 1986 und im Jahr darauf schrieb die Shedhalle erstmals eine Kuratorinnen- und Geschäftsleistungsstelle aus. Aus diesem Grund kann das Jahr 1987 als Gründungsjahr der Shedhalle, wie sie heute noch existiert, angesehen werden. Das institutionelle Modell ist das eines Kunstvereins. Die Aktivitäten des Vereins werden komplett von der Stadt Zürich finanziert. Seither steuerten etwa zwölf Kuratorinnen das Programm, sei es in Einzelverantwortung, als Gruppenformation oder im Duo.159 Unter ihnen sticht Marion von Osten160 (1996-99) heraus – sie arbeitet nach wie vor kuratorisch und setzt sich aktiv mit Fragen auseinander, was zeitgenössisches Ausstellungsmachen bedeutet und wie Kunstinstitutionen gestaltet werden können. Als Fallbeispiel ist die Shedhalle wegen ihrer konsequenten Durchmischung von künstlerischen, kuratorischen und aktivistischen Praktiken relevant. Seit 2012, mit Katharina Morawek als leitender Kuratorin, tritt diese Tendenz deutlich zutage.161 Die Projekte vereint ein gesellschaftspolitischer Fokus, der an aktuelle Themen anschließt. Das Programm setzt auf eine Vielzahl von Formaten und sieht Ausstellungen nur als ein Medium neben vielen anderen, um Fragen zu thematisieren. Schwerpunkte der nachfolgenden Beschreibung sind im Anschluss daran: das institutionelle Selbstverständnis, der gesellschaftspolitische Impetus der Programmatik und der kollektive Kurationsansatz. Die Shedhalle liegt im so genannten Kreis 2 der Stadt Zürich, am linken Ufer des Zürichsees. Der Kreis 2 schließt sich an den Altstadtbereich an, ist vom Hauptbahnhof aus nicht fußläufig zu erreichen. Zürich ist die größte Stadt der Schweiz mit einer vielfältigen Kunst- und Kulturszene. Die Rote Fabrik, in der sich die Shedhalle befindet, gehört zu den wichtigsten Kultur- und Freizeitzentren. Die alte Seidenweberei und spätere Fabrik für Fernmeldetechnik verdankt ihren Namen der Fassade aus roten Backsteinen. Die Ausstellungsräume spiegeln die frühere Nutzung wider: Eine Industriehalle mit ca. 700 Quadratmetern dient ebenerdig als Ausstellungsfläche. Durch Oberlichtfenster gelangt Tageslicht in die Halle, die mit einem grauen Boden ausgestattet ist und von weiß bemalten Stahlpfeilern gestützt und unterbrochen wird.

4.3.3.1.

Eine Institution im ›Zwischen‹

Die Shedhalle positioniert sich in einer Nische, die sie bewusst geöffnet hat, zwischen anderen Institutionen. Sie ist weder eine Galerie noch ein Museum oder Off-Space und 159 Kuratorinnen bis einschließlich 2017 berücksichtigt. 160 Von Osten ist Künstlerin, Autorin und Ausstellungsmacherin. Sie leitet das Forschungsprojekt Aesthetics of Decolonoization am Institut für Theorie an der Zürcher Hochschule der Künste. Zudem war sie Professorin an verschiedenen Hochschulen in der Schweiz, Österreich und Deutschland. An der bak begleitete sie als research advisor von 2008-12 zudem das Projekt Former West. 161 Ergänzung 2019: Katharina Morawek gab die Leitung der Shedhalle Ende 2017 ab.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

macht sich dieses ›Dazwischen‹ zunutze, um mit vielfältigen Formen der Kunstproduktion und Ausstellungspraxis zu arbeiten. Aufgrund der institutionellen Struktur und der Programmatik arbeitete die Shedhalle lange Zeit im Abseits der lokalen Kunstszene, hat sich über die Jahre aber zu einem festen Ort in der institutionellen Landschaft entwickelt, der Projekte und Formate jenseits der traditionellen Ausstellungskonventionen anbietet.162 Durch eine kontinuierliche inhaltliche Ausrichtung hat sie sich diese Position geschaffen und bildet das Bindeglied zwischen großen, etablierten Institutionen wie dem Kunsthaus und kleineren independent spaces. Während andere Museen und Kunsthallen in Zürich fertige Werke und damit Ansichten (re-)präsentieren, versteht sich die Shedhalle als Forum und kultureller Think Tank, der neue Ansätze der Kunstproduktion ermöglichen will. Mitarbeiterinnen und ihre Kollaborateure produzieren, recherchieren, diskutieren und vermitteln ihre Fragen. Insofern liegt der Fokus ihrer Tätigkeit stärker auf den Elementen des Arbeitsund Organisationsprozesses einer Ausstellung. Die Institution organisiert sich um einen achtköpfigen Vorstand, der verantwortlich für die Team- und Arbeitsstrukturen zeichnet. Der Vorstand wählt die Kuratorinnen und legt damit den Grundstein für die inhaltliche Ausrichtung der folgenden Jahre. Das Team besteht aus einer künstlerischen und finanziellen Leitung, einer Assistenz, Mitarbeiterinnen für Öffentlichkeitsarbeit, Produktion und Technik sowie temporär einem Vermittlungsteam.163 Die künstlerische Leitung – das Kuratorium – setzte sich nach dem Ende des Ein-Kuratoren-Modells 1994 in den meisten Fällen aus zwei bis drei gleichgestellten, kollektiv wirkenden Kuratorinnen zusammen.164 Ein besonderes Merkmal ist die interne Zusammenarbeit, die sich an den Ideen einer egalitären und kollaborativen Praxis im Team orientiert. Marion von Osten stellt klar, dass dies nicht bedeute, alle Kuratorinnen seien gleichermaßen an einem Projekt beteiligt. Vielmehr steht eine gemeinsame institutionelle Politik im Vordergrund sowie 162

Interessant ist in diesem Zusammenhang die nachträgliche Anmerkung einer Bewerbung um die kuratorische Leitung im Jahr 2017. Dort beschreiben die Bewerberinnen die Shedhalle als Jugendzentrum und als Zufluchtsort für jugendliche und akademische Akteure, die ihre während des Studiums erworbenen Ideologien nicht der gesellschaftlichen Realität entsprächen. In der Unterstützung solcher Akteure sehen die Verfasserinnen des Papiers die eigentliche Intention der Stadt Zürich für die Shedhalle behindert, nämlich »[…] eine experimentelle und schwebende Kunst fördern zu wollen.« Es wird deutlich, dass Akteure des Kunstfeldes in Zürich die bisherige Arbeit der Shedhalle durchaus nicht als unterstützenswert sehen. Vgl. dazu Neue Kunsthalle Zürich (2017): Konzeptstudie Shedhalle Zürich ›. back to forward, return to future .‹ Die Shedhalle als visionäres Model für eine nachhaltige Institution zur Bewahrung und Präsentation von Kunst. Verfügbar unter: www.neuekunsthalle.ch/Konzeptstudie_Shedhalle_Zuerich_2017.pdf [Zugriff: 28.01.2019]. 163 Von 2013-2015 war ein festes Team aus drei Vermittlerinnen im Rahmen eines Pilotprojekts Shedhalle (Un-)learning community in der Shedhalle aktiv. 164 von 2014 bis 2017 hatte Katharina Morawek allein die kuratorische Leitung inne. Ihre Amtszeit hatte sie 2012 aber gemeinsam mit Can Gülcü begonnen. Auflistung der bisherigen Kuratorinnen vgl. Shedhalle (2018a): Geschichte. Websitenarchiv der Shedhalle 2012-2017. Verfügbar unter: http://archiv2017.shedhalle.ch/de/72/GESCHICHTE [Zugriff: 03.02.2018]. Vgl. auch Interview mit Marion von Osten in der Shedhalle Zeitung [01/06]. Vgl. Sønke Gau und Katharina Schlieben (2006): ZEITUNG [01/06] – INTERVIEW MIT MARION VON OSTEN. Websitenarchiv der Shedhalle 2004-2009. Verfügbar unter: http://archiv2009.shedhalle.ch/dt/programm/zeitung/06/vonosten/index.shtml [Zugriff: 20.12.2016].

173

174

Institutionskritik im Feld der Kunst

eine Vorstellung von inhaltlichen Schwerpunkten und politischen Interessen, die sie nach außen vertreten.165

4.3.3.2.

Kollektives Kuratieren mit (gesellschafts)politischem Antrieb

Wie eingangs beschrieben, fällt in der Programmatik der Shedhalle der gesellschaftspolitische Impetus ins Auge, der sich als roter Faden durch die Veranstaltungen zieht. Die Shedhalle experimentiert in einem wechselnden Programm mit neuen Formaten, Präsentationsmodellen und Strukturen, die auf gesellschaftspolitische Themen Bezug nehmen. Die eigenen Bedingungen, den Kunstbegriff und das Verständnis von Institution zu befragen, sind ebenso programmatische Schwerpunkte, wie sich im Onlinearchiv erkennen lässt.166 Grundlage dafür ist der erwähnte kollektive Kurationsansatz: Kuratorinnen, Kulturproduzentinnen, Aktivistinnen und Theoretikerinnenen arbeiten interdisziplinär zusammen. Sie öffnen das Ausstellungshaus für unkonventionellere Arbeits-, Ausstellungs- und Vermittlungsformen, die sich an der Schnittstelle von Kunst, Diskursivität und politischem Engagement bewegen. Arbeitsgruppen mit rotierenden Teams entwickeln Formate, die sich diskursiv mit Fragen und Problemen beschäftigen. Sie konzentrieren sich auf langfristige Projekte, die vor Ort stattfinden, oder eine Verbindung zum Ort herstellen und welche künstlerischen Praktiken bevorzugen, die kommunikative und partizipative Strategien zur Förderung gesellschaftlicher Veränderungen nutzen. Themen stammen aus verschiedenen Bereichen wie cultural studies, feministische Theorie, Urbanismus und politische Praxis. Dieser Ansatz soll starre institutionelle Strukturen dynamischer machen und eine fortgesetzte Fokussierung auf thematische Fäden über einen längeren Zeitraum ermöglichen. Die Shedhalle hat festgestellt, dass vielen Kunstinstitutionen Ressourcen – seien es finanzielle oder zeitliche – für diese Art von Projekten fehlen und temporäre Formate bevorzugen, die dazu neigen, die Form von Spektakeln und einzigartigen Events anzunehmen. Der Ansatz der Shedhalle betont den Arbeitsprozess, macht es möglich, Veränderungen in der Gesellschaft zu verfolgen und erlaubt Teilnehmenden an Projekten im Verlauf zu wachsen.167 Ein besonderes Kunstverständnis begleitet diese Arbeit: Kunst ist ein Instrument, um alternative und subversive Unterwanderungen des vorherrschenden Systems vorzustellen. Eine solche Kunst zeigt, was möglich ist und entwickelt Utopien. Seit Katharina Moraweks Übernahme der künstlerischen Leitung hat sich das politische Profil des Programms fokussiert. Zentrale Themen der letzten Jahren waren

165 Vgl. Gau und Schlieben (2006). 166 Das Webarchiv gibt bei der Suche nach Projekten zu dem Themenblock Kunstproduktion: Zensur/Kulturpolitik/Kunstbegriff/Institutionskritik 57 Seiten mit Ergebnissen aus. Alle anderen Bereiche kommen maximal auf 12 Seiten, wodurch deutlich wird, welchen Platz die Selbstbefragung mithilfe kunstinterner Themen im Programm einnimmt. Vgl. Shedhalle (2016): Archiv. Webarchiv der Shedhalle. Verfügbar unter: https://archiv.shedhalle.ch/[Zugriff: 21.12.2016]. 167 Vgl. Guidle (2016): Ausflugsideen, Dienstleistungen & Gewerbe. Shedhalle. Guidle. Verfügbar unter: https://www.guidle.com/de/kulturanbieter/zuerich/kultureinrichtungen/shedhalle_A13928435 [22.12.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

unter dem Titel #URBANCITIZENSHIP. STADT UND DEMOKRATIE Fragen der Aufenthaltsfreiheit und der Migrationspolitik in der Schweiz. Für dieses Projekt spielte das Pilotvorhaben der Vermittlung (Un)learning community (2013-2015), das über seine Dauer ebensolche Fragen der Zugänglichkeit, der Repräsentation und Machtverhältnisse in die Institution Shedhalle zurückwarf. Es sollte nicht allein bei einer Aufführung der Diskussion dieser Thematiken bleiben, sondern die Shedhalle analysierte ihre eigene Rolle als gesellschaftliche Agentin und wollte ihre Position in der Maschinerie des symbolischen Kapitals reflektieren.168 Um die Shedhalle zu einem Raum zu machen für jene, die strukturell ausgeschlossen oder diskriminiert werden, galt es diese Ausschlüsse zunächst aufzuzeigen und anschließend zu verschieben. Es ging nicht um eine Teilnahme an der Institution, sondern um ihre Transformation, sodass bestehende Hierarchien und naturalisierte, teilweise asymmetrische Umgangsweisen in der institutionellen Praxis verlernt werden. Hier schloss die Gruppe der Vermittlerinnen an ihren Namen an: Sie zielten auf eine gemeinschaftsstiftende Praxis, die etablierte Vorstellungen davon, was eine (Kunst)Institution ist, sein kann und wer Kunst machen sowie verstehen darf, umwarf. Sie wollten Besucherinnen anleiten, sich von Selbstverständlichkeiten zu lösen und die Auseinandersetzung mit Kunst als politischer Ausdrucksform installieren. Exemplarisch für die politische Aufladung von Kunst im institutionellen Kontext sei hier auf Formate wie Was ist Arbeit wert? (2014), Reinigungsquatsch (2014) Lampedusa in Zürich (2015) oder den Workshop Sprache_um_arbeiten (2015) verwiesen. Sie griffen Themen wie Geld und den Wert der Arbeit auf, die in direktem Zusammenhang mit Reinigungsquatsch stehen, der professionelle Reinigungskräfte in den Mittelpunkt stellte und mit ihnen verbundene Vorurteile aufzeigte sowie hinterfragte. Lampedusa in Zürich bildete den Auftakt einer Reihe an Veranstaltungen, die an die Flüchtlingskrise in Europa 2015 anschloss und die Position der Schweiz dazu kritisierte. Die Shedhalle bearbeitet regelmäßig Themen, die in den letzten Jahren im Zentrum institutionskritischer Praktiken standen. Zu diesen gehören die mitunter prekären Arbeitsverhältnisse und -bedingungen im Kunstfeld, sowohl auf Seite der Künstlerinnen als auch für einige Institutionen. Dabei ist die Shedhalle längst nicht mehr in einer solch finanziell instabilen Situation. Die Grenze zwischen Nicht-Institution und Institution hat sie überschritten, sie ist fest in Zürich etabliert und kann auf kontinuierliche finanzielle Zuschüsse zählen. Dies gibt Sicherheit und ermöglicht langfristige Planungen. Die Shedhalle hebt politische Diskussionen von einer repräsentativen Ebene auf eine Handlungsebene, die sich in der Konsequenz auf sie selbst auswirken kann. Sie ist sich bewusst, selbst die Bedingungen mit zu produzieren, die sie kritisiert. Dieses Bewusstsein ist Voraussetzung für ihr gesamtes Vorgehen, aktivistische und künstlerische Strategien zu verschränken. Es entsteht ein heterogenes System aus Formen, wie Kunst produziert, rezipiert und vermittelt wird und auf dessen Basis eine fluide, politisch und gesellschaftlich aktive Institution entstehen soll.

168 Vgl. Shedhalle (2018b): VERMITTLUNG. Websitenarchiv der Shedhalle 2012-2017. Verfügbar unter: http://archiv2017.shedhalle.ch/de/40/VERMITTLUNG [Zugriff: 20.02.2018].

175

176

Institutionskritik im Feld der Kunst

4.3.4.

Zwischenfazit

Die untersuchten Häuser sind – im Gegensatz zu den Museen in Kapitel 4.2. – hinsichtlich ihrer Größe deutlich homogener. Alle drei sind mittelgroße Organisationen und befinden sich zum Teil in Städten, die als Kunstzentren bekannt sind wie Berlin und Zürich. Die bak fällt als einziges Haus aus der Reihe, da es in Utrecht zwar eine lebendige Kunst- und Kulturszene gibt, gleichwohl nicht im selben Maßstab wie in den genannten Großstädten. Die ausgewählten Ausstellungshäuser grenzen sich deutlich von den traditionellen Kunstmuseen ab, sodass institutionskritische Praktiken nicht nur ausgestellt sind, sondern in die Organisation und Arbeitsformen der Institutionen integriert werden. Von den Akteuren der Institutionskritik hervorgebrachte Kritikpunkte haben vor allem die kuratorische Haltung mitsamt Formaten und Themen aber auch die institutionelle Struktur und das Selbstverständnis der drei vorgestellten Räume infiltriert sowie maßgeblich verändert. Das Zwischenfazit entfaltet sich nachfolgend entlang dieser Aspekte. Hinsichtlich der Programme der untersuchten Häuser wurde deutlich, dass Ausstellungen nicht immer das passende Mittel sind, um Themen zu bearbeiten. Neue kuratorische Haltungen fordern neue Formate. Ausstellungshäuser ohne Sammlung, wie die drei Beispiele, geben Langzeitprojekten Vorrang. Sie bevorzugen offene und prozessorientierte Arbeitsformen, bei denen nicht allein das Ergebnis bedeutsam ist, sondern die Erkenntnisse auf dem Weg dorthin gesammelt werden. Diskussionen, Austausch und Diskursivität sind Kernelemente solcher Projekte. Während die 1960er und 1970er den Aufstieg der so genannten Kuratorinnenfigur und der Ausstellungsmacherin verzeichneten, assoziiert mit Namen wie Harald Szeemann, hat sich in den letzten Jahren ein anderer kuratorischer Zugang Sichtbarkeit erarbeitet. Kollektives Kuratieren als zentrale kuratorische Haltung der vorgestellten Häuser. Dieser Ansatz reflektiert den Wunsch, Setzungen einer einzigen autoritativen Stimme, die repräsentativ für das gesamten Ausstellungshaus spricht, herauszufordern. Kuratorinnenkollektive vereinen verschiedene Zielsetzungen und Arbeitseinstellungen, stärken polyphone und interdisziplinäre Perspektiven, um eine einzige dominante Sichtweise auf eine Thematik abzuwenden. Die kuratorische Vision formt sich aus multiplen Stimmen und Co-Autorschaft. Mitzubestimmen, gemeinsam zu entscheiden und Verantwortung zu teilen, gehört zum Arbeitsprozess. Kollektiv zu arbeiten, widersetzt sich hierarchischen Strukturen, Selbstorganisation läuft einer Instrumentalisierung entgegen.169 Neue Modelle wie die nGbK entsprechen dem Verständnis, 169 Vgl. Farquharson (2006). Die hier dem kollektiven Kuratieren zugeschriebenen Eigenschaften werden in der Literatur kontrovers diskutiert. Denn trotz einer Vielzahl kollaborativer Arbeitsformen werden die Strukturen und die Motivation solcher Praktiken infragegestellt. Debattiert werden auch angewandte Methoden und die Frage nach der genauen Autorschaft, da kollektives Kuratieren nicht automatisch das Modell der Autorschaft unterläuft. Oliver Marchart argumentiert, dass »die kuratorische Funktion wesentlich kollektiv ist«, da es sich um eine organisierende Tätigkeit handelt. Vgl. dazu Marchart (2007), S. 176. Auch erscheint es einigen Autorinnen als ein beliebtes Arbeitsmodell im postfordistischen Zeitalter, welches Projektarbeit und temporäre Arbeitszusammenhänge fördert. Beatrice von Bismarck diskutiert diesen Aspekt in Beatrice von Bismarck (2011): Celebrity Shifts: Curators. Individuals and Collectives. In: Mona Schieren und Andrea Sick (Hg.),

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

dass politische Aspekte und aktivistische Praktiken zeitgenössischer Kunst sich darum drehen, selbstorganisiert und kollektiv zu operieren. Kollektives Kuratieren versucht mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Institutionelle und kuratorische Macht wird umverteilt – eben so, wie es von institutionskritischen Künstlerinnen gefordert wurde. Jedoch zeigen sich – wie bereits im Kapitel zur nGbK erwähnt – auch nicht-hierarchisch angelegte Kurationsmodi als anfällig dafür, von einzelnen Personen dominiert zu werden und so nicht immer die geplante Vielstimmigkeit umzusetzen. Zudem neigen sie dazu, sich in selbstreflexiven Diskussionsschleifen zu verstricken und bringen nicht zwangsläufig die gewünschte Progressivität zur Umsetzung. Wie in Kapitel 4.3. exemplifiziert, sind Kollaborationen mit Künstlerinnen ein gängiges Mittel, um nach außen eine Zone relativer Autonomie innerhalb der Institution zu proklamieren. Die vorgestellten Ausstellungshäuser dieser Sektion verschieben den Grad der Autonomie weiter in Richtung jener Akteure, die nicht direkt an die Institution angegliedert sind. Heutige kollektive Praktiken haben Vorgängerinnen in den ersten beiden Phasen der Institutionskritik wie dem Kollektiv Group Material.170 Sie beeinflussten eine kritische Auseinandersetzung mit der Institution, indem sie beispielsweise die rahmende Funktion von Institutionen für Kunst untersuchten. Zu ihren Methoden gehörte es, kuratorische Strategien nachzuahmen und zu adaptieren. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Institutionskritik zu institutionalisieren, war die signifikant angestiegene Zahl kollektiver und kollaborativer Formate in den 1980ern und 1990ern. Dadurch weitete sich der Kreis potenzieller kritischer Akteure aus und verabschiedete die Vorstellung von Institutionskritik als einer rein künstlerischen Strömung. Institutionskritik war nun auch eine kuratorische Strategie.171

Look at me. Celebrity Culture at The Venice Art Biennale. Nürnberg : Verlag für moderne Kunst, S. 180191. Die Manifesta Journal widmet mit Collective Curating eine ganze Ausgabe diesem Thema, zu dem sich Künstlerinnenkollektive wie Raqs Media Collective aber auch Theoretikerinnenen und Kuratorinnen wie Paul O’Neill und Julia Moritz äussern. Vgl. dazu Manifesta Foundation (2009): MJ – Manifesta Journal. Journal of contemporary curatorship. #8 Collective Curating. Milano : Silvana editoriale. Katja Molis bietet in ihrer Dissertation einen knappen Überblick über die Debatte, vgl. dazu Katja Molis (2019): Kuratorische Subjekte. Praktiken der Subjektivierung in der Aus- und Weiterbildung im Kunstbetrieb. Bielefeld: transcript, S. 257ff. Für eine tiefergehende Betrachtung empfehlen sich u.a. Maria Lind (2007b): The Collaborative Turn. In: Johanna Billing, dies. und Lars Nilsson (Hg.), Taking the Matter lnto Common Hands: On Contemporary Art and Collaborative Practices. London: Black Dog Publishing. Grant Kester betrachtet kollaborative Praktiken in einem internationalen Kontext in Grant Kester (2011): The one and the many. Contemporary collaborative art in a global context. Durham, London: Duke University Press. Ebenso Claire Bishop (2012): Artificial hells. Participatory art and the politics of spectatorship. London: verso. Mit einem Fokus auf kollektive Selbstorganisation Stine Hebert und Anne Szefer Karlsen (2012): Self-Organised. London/Bergen: Open Editions/Hordaland Art Centre. 170 Für die weiterführende Beschreibung von Group Material siehe Kapitel 3.1.5. 171 Victoria Preston zeichnet in ihrer Publikation eine Entwicklungslinie der Verschiebung der institutionskritischen Akteure nach. Sie skizziert, dass sich die Kritik von Akademikerinnen zu Künstlerinnen, Künstlerinnen-Kuratoren, über Kollektive und unabhängigen Kuratorinnen und schließlich zu Direktorinnen verlagert habe und somit eine größere institutionelle Einbettung kritischer Praktiken nach sich ziehe. Sie lässt jedoch Akteure jenseits der Grenzen des Kunstfeldes außer

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Obwohl eng an die Idee des Kollektiven gebunden, gehen partizipative Projekte einen Schritt weiter, da sie auf die Zusammenarbeit mit Besucherinnen und Personen außerhalb des Kunstfeldes abzielen. Partizipative Projekte verinnerlichen die Idee des Kollektiven: Sie intendieren so viel wie möglich unabhängig zu organisieren und selbstverantwortlich zu arbeiten. Indem sie sich derart organisieren, versuchen sie, konventionelle Vorstellungen von Zugänglichkeit, institutionellen Strukturen und kuratorischen Modellen neu zu beurteilen. Statt sich aus den Institutionen zurückzuziehen, wie es die erste Generation der Institutionskritik forcierte, bieten diese Projekte eine Plattform, Teilnehmerinnen einzubinden und mit ihnen zu interagieren.172 Indem sich institutionskritische Strategien ins Innere der Institution verschoben und auf Akteure wie Kuratorinnen und Direktorinnen verlagert haben, begannen letztere regelmäßig mit Vermittlerinnen zusammen zu arbeiten. Gemeinsam entwickeln sie Formate, die Aspekte beider Felder vereinen und somit den educational turn in curating widerspiegeln.173 Viele der Projekte, die in diese Kategorie fallen, werden in traditionell operierenden Kunstmuseen der Bildungsabteilung zugeordnet. In den vorgestellten Ausstellungshäusern fallen sie hingegen direkt in das kuratorische und programmatische Department. Partizipative Projekte gelten nach wie vor als progressiver verglichen mit etablierten Vermittlungsformen wie Frontalführungen oder Vorträgen. Denn: Partizipative Projekte können eine dekonstruktive Funktion gegenüber der Institution einnehmen, indem sie gemeinsam mit den Teilnehmerinnen befragen, offenlegen und daran arbeiten, was als selbstverständliche Struktur und als naturalisierte Verhaltensweisen innerhalb des Kunstfeldes und seiner Institutionen gilt. Partizipative Projekte und kollektives Kuratieren brechen die institutionelle Autorität auf und ermöglichen divergente Perspektiven auf politische und gesellschaftliche Fragen. Davon ausgehend generieren sie mit den Besucherinnen Wissen, das diese ermächtigt ihre eigene Urteile zu fällen und sich ihrer Position und deren Bedingungen in diesem Gefüge gewahr zu werden. Das Potenzial solcher Formate liegt gerade in den unsichtbaren, schwer quantifizierbaren Elementen wie Gruppendynamik, sozialem Austausch und einer Bewusstmachung für bearbeitete Fragen Beide Strategien – des kollektiven Kuratierens und der partizipativen Projekte – führen polyphone Perspektiven ein, die darauf abzielen, jene Machtverhältnisse zu verschieben, die im Kunstfeldes immer vorhanden und aktiv sind: zwischen Institution und Publikum, Publikum und Künstlerin, Künstlerin und Kuratorin sowie zwischen Kuratorin und Institution. Kollektives Kuratieren und partizipative Projekte legen Wert auf den sozialen, relationalen Aspekt und darauf, Wissen kollektiv zu erzeugen. Bei der Entwicklung neuer Formate und Praktiken erfinden sie alternative Formen institutioneller Praxis: institutionelle Praxis als kollektive Praxis. Diese Arbeitsformen zielen darauf ab, die institutionelle Autorität zu dekonstruieren und herauszufordern. Und das war, ist und bleibt eine der Kernaufgaben institutionskritischer Akteure.

172 173

Acht, die in kollaborative Praktiken einbezogen werden und noch eine weitere Ebene möglicher kritischer Agenten implizieren. Vgl. Preston (2014). Sergio Edelsztein beschreibt diesen Aspekt als zentral für kollektive Formen des Kuratierens. Vgl. Sergio Edelsztein: Are Boycotts the New »Collective Curating«? In: On Curating, 26 (2015): S. 40-50. Vgl. O’Neill und Wilson (2010) und ARGE Schnittpunkt, Beatrice Jaschke et al. (2012).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Die institutionelle Struktur in Häusern ohne Sammlung bleibt nicht unberührt davon, dass sich kritische Ansätze etablieren. Wie aufgezeigt, gibt es in den Häusern eine künstlerische Leitung oder eine Geschäftsführung. Aber da diese nicht allein über die Programme entscheidet, ist sie mit weniger Macht ausgestattet als Direktorinnen großer Kunstmuseen. Selbstorganisation gewinnt an Bedeutung, was sich an kleinen Teams widerspiegelt. Die Einrichtungen verstehen sich als rahmendgebend und offerieren Plattformen, um Themen zu verhandeln. Die intensive Auseinandersetzung mit institutionskritischen Praktiken führte zu kuratorisch-programmatischen Transformationen und teilweise zu institutionellen Neuordnungen. Die vorgestellten Ausstellungsräume bewegen sich an der Grenze zwischen losem Zusammenschluss und verstetigter, institutioneller Struktur. Da sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihre eigenen Bedingungen stets mitzudenken und zur Disposition zu stellen, neigen sie teilweise dazu, Institutionskritik zu fetischisieren und zum Selbstzweck zu erheben. So stehen beispielsweise bei der nGbK die Diskussionen über Veränderungen stärker im Mittelpunkt als die Ergebnisse der Debatte. Es geht darum, Kritik äußern zu können aber sie verbleibt auf einer sprachlichen Ebene und verhindert mögliche Transformationen der institutionellen Strukturen. Die drei Kunsthäuser verstehen institutionelles Handeln als gesellschaftspolitisches Handeln, was an den jeweiligen Programmen deutlich wird. Themen wie Arbeitsbedingungen in- und außerhalb des Kunstfeldes, gesellschaftliches Miteinander und Wandel, Migrationspolitik, die Europäische Gemeinschaft oder Genderthemen sind regelmäßiger, integraler Bestandteil ihrer Formate. Die Häuser präsentieren sich als Bedeutungsträger, die auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren, die weitere Entwicklung mitbestimmen und sich als Austragungsort kritischer Diskurse anbieten. Der Frage nach der Handlungsmacht der Institutionen und Räume von Kunst gehe ich weiter im Detail im folgenden Kapitel nach.

4.4.

Independent spaces

Die Szene der independent spaces verändert sich fortlaufend. So verwundert es nicht, dass sich hinter dem Terminus keine einheitliche Struktur oder Praxis verbirgt. Dies offenbart sich auch in der Vielzahl an Begriffen, die für diese Räume im Diskurs kursieren und die jeweils einen anderen Aspekt ihrer Arbeit akzentuieren: Zu den häufig verwendeten Bezeichnungen zählen alternative space, artist-run space und independent space. Dem Aspekt der Autonomiebestrebung folgend174 , fiel für die nachfolgende Untersuchung die Wahl auf den Begriff independent space, der in den Felduntersuchungen häufig auftauchte und von beteiligten Akteuren in Gesprächen benutzt wurde. Freilich betreiben auch diese Akteure ihre Projekte nicht in einem Vakuum. Daher stellt sich die Frage, von was und in welchem Grad sie autonom agieren können und in welchem Maße sie von externen Faktoren determiniert sind.175

174 175

Genaueres dazu wie diese Autonomiebestrebungen mit Institutionskritik zusammenhängen, findet sich in Kapitel 2.1.2 Vgl. Pryde-Jarman (2013), S. 41.

179

180

Institutionskritik im Feld der Kunst

Ich stelle diese Projekträume als weitere Kategorie neben den beiden ersten des sammelnden Museums und des Ausstellungshauses ohne Sammlung vor.176 Diese Unterscheidung soll nicht als ausschließend verstanden werden – es sind institutionelle und organisatorische Ausformungen des Kunstfeldes, die nicht eindeutig und klar abzugrenzen sind oder nur einem jeweiligen Muster entsprechen. Eine ausschließende Gegenüberstellung wäre übersimplifiziert und angesichts der – wie bereits in den ausgewählten Fällen sichtbar ist – divergenten Praktiken schwerlich haltbar. Als Hauptbeispiel untersuche ich Casco Art Institute – Working the Commons. Bei den beiden ergänzenden Beispielen für die independent spaces handelt es sich um PRAXES Center for Contemporary Art und The Showroom.

4.4.1.

Casco Art Institute: Working the Commons (Casco), Utrecht

Zentrales Beispiel für dieses Kapitel ist Casco Art Institute: Working the Commons177 in Utrecht, der als einer der etablierten Räume im Feld gilt. Er wurde 1990 gegründet und stand seitdem unter der Leitung verschiedener Direktorinnen. 2006 erhielt der Kunstraum den Zusatz ›Office for Art, Design and Theory‹, um damit seinen interdisziplinären Ansatz nach außen zu kommunizieren. Seit 2008 dirigiert Binna Choi als künstlerische Leitung das Programm. Ihre Vorgängerin Emily Pethick führte bis 2018 The Showroom in London, welcher als Vergleichsbeispiel im weiteren Verlauf des Kapitels besprochen wird. 2016 war Casco einer der etwa 100 Fellow-Organisationen der Gwangju Biennale, von Maria Lind und Binna Choi gemeinsam kuratiert.178 2017 176

177 178

Mary Anne Stanszewski argumentiert in Creating Alternatives and »Alternative Histories« für eine politische Auslegung der Bestrebungen alternativer Räume. Sie konstatiert, dass sich diese Projekträume gegen die marktorientierten Vorgaben und institutionellen Begrenzungen der Mainstream Kunstwelt richten. Sie stellt sie in einen engen Zusammenhang mit sozialen Bewegungen, die parallele Lesarten und Gemeinschaften zum Status Quo vorschlagen und Gegenentwürfe zu bekannten Modellen im Kunstfeldes entwickeln. Sie konstatiert auch, dass sie nur solange alternativ sind, wie sie sich dem Mainstream entziehen können – sobald Machtsysteme sie absorbieren, um ihr kritisches und revolutionäres Potenzial zu neutralisieren, müssen sich die Projekträume wieder neue Alternativen suchen. Somit wären sie beständig damit beschäftigt, neu auszuloten, was zu einem gegebenen Zeitpunkt als alternativ gelten und wirken kann. Vgl. Hierzu Mary Anne Staniszewski (2012): On Creating Alternatives and »Alternative Histories«. In: Dies, Lauren Rosati et al. (Hg.), Alternative Histories. New York Art Spaces 1960 to 2010. Cambridge (Massachussetts)/London: MIT Press, S. 11ff. Darüber hinaus ließen sich Untersuchungen anstellen, inwiefern Kategorien wie non-profit als Unterscheidungsmerkmal dienen können. Das soll hier außer Acht gelassen werden, da alle der beschriebenen Museen, Häuser und Räume externe finanzielle Unterstützung beziehen und nicht den Verkauf von Kunst als eines ihres Hauptziele deklarieren. Im Folgenden verwende ich die Kurzform Casco. Die fellows nahmen an dem Forum To all the Contributing Factors teil, das im Rahmen der Gwangju Biennale stattfand. Dazu wurden etwa 100 kleine und mittelgroße Kunsträume und organisationen von den Kuratorinnen der Biennale eingeladen, um über Fragen zu Gemeinschaft, Kontinuität, Werten und kollektivem Handeln zu diskutieren. Das Forum wurde von Maria Lind und Binna Choi kuratiert. Vgl. u.a.: 11th Gwangju Biennale (2016): Forum and Fellows. Homepage der 11th Gwangju Biennale 2016. Verfügbar unter: www.the8thclimate.org/en/forum_and_fellows/[Zugriff: 29.03.2017] und Carla Ingrasciotta (2016): 2016 Gwangju Biennale Announces Forum & Fellows. My art guides. Verfügbar unter: http://myartguides.com/posts/news/2016-gwangju-biennaleannounces-forum-fellows/[Zugriff: 29.03.2017].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

kündigte Casco einen weiteren Namenswechsel an zu Casco Art Institute: Working the Commons. Als not-for-profit bezieht Casco finanzielle Zuschüsse aus verschiedenen Quellen: Einerseits unterstützen offizielle Stellen wie der Stadtrat von Utrecht, der Mondriaan Fund und DOEN Foundation via Arts Collaboratory seine Tätigkeiten, andererseits erhält Casco freiwillige Spenden. Als Fallbeispiel eignet sich Casco, da er in seinem Programm, seiner institutionellen Struktur und den Positionsbezeichnungen auf institutionskritische Anliegen reagiert hat. In seinen Projekten nutzt Casco politische, künstlerische und aktivistische Ansätze, um ein lokales Publikum an- und einzubeziehen. Kunst stellt ein Mittel dar, um Gemeinschaften herzustellen, Diskussionen mit den Besucherinnen zu führen und die Werte, die Casco sich für die gesamte Gesellschaft wünscht, in seinem institutionellen Verhalten vorzuleben.

4.4.1.1.

Ein ehemaliges Schulgebäude im Utrechter Museumsquartier

Seit 2014 befindet sich Casco in direkter Nachbarschaft der bereits beschriebenen basis voor actuele kunst (bak), in zentraler Lage im Museumsquartier von Utrecht. Von der Straße aus gelangt man über einen Hinterhof zu dem ehemaligen Schulgebäude aus Backsteinen, das aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Abb. 15: Außenansicht Casco; Abb. 16: Flur Casco.

Eine kleine gusseiserne Treppe führt zu den Büro- und Ausstellungsräumen, die sich auf zwei Etagen verteilen. Im unteren Stockwerk befinden sich die offenen Arbeitsräume des Teams, während im oberen Stock die Projekte und Formate realisiert werden. Das Gebäude teilt sich Casco mit Fotodok. Space for Documentary Photography, dessen Büros sich in der anderen Haushälfte befinden. Von dem gemeinsamen Eingangsbereich gelangt man links zu Casco, rechts zu Fotodok. Gemeinsam mit dem Künstler Nils Norman entwickelte Casco New Office/Play Facilities. Das Projekt veränderte auf der Ebene des Raumes die Perspektive auf institutionelles Verhalten. Die Räume waren von da an flexibel umzubauen und ermöglichten

181

182

Institutionskritik im Feld der Kunst

verschieden große Versammlungen, gemeinsame soziale Aktivitäten wie Kochen oder informellen Austausch und stärkten damit die »co-habitation«.179 Eine Treppe leitet Besucherinnen zu den Ausstellungsräumen im ersten Stock. Diese zeugen noch immer von ihrer früheren Nutzung als Schulräume: Schmale Flure führen in Räume von übersichtlicher Größe, unterbrochen von kleinen Neben- und Abstellräumen oder Waschbecken und Küchenzeilen an den Eingängen. Die Wände sind weiß gestrichen; die Grundstruktur des Gebäudes bestimmt den ersten Eindruck maßgeblich und fordert heraus, mit seiner Atmosphäre zu arbeiten.

4.4.1.2.

Ein Team mit gemeinsamen Visionen

Casco beschreibt sich selbst als offenen und öffentlichen Raum für künstlerische Recherche und Experimente.180 Die von Casco unterstützten und ausgestellten Kunstpraktiken verbindet das investigative, imaginative und erfinderische sowie prozessorientierte und kollaborative Vorgehen, wobei verschiedene Disziplinen vereint werden.181 Mit den Aktivitäten und dem Raum möchte Casco eine Mikrogesellschaft bilden, die eine Vision der Gesamtgesellschaft reflektiert und vorlebt. Künstlerinnen und Kunst spielen eine entscheidende Rolle, um diese gemeinsame Vorstellung davon, wie Gesellschaft aussehen soll, zu entwickeln und zu verändern. Zudem ist Casco in verschiedene lokale, überregionale und internationale Netzwerke informeller und formeller Art wie Cluster, Practice International und Welcome Committee eingebunden. Im Unterkapitel zum Programm stelle ich ein weiteres Netzwerk, Arts Collaboratory, näher vor. Im Gegensatz zu PRAXES – einem der nachfolgenden Vergleichsbeispiele – weist Casco eine deutlich ausgeprägte institutionelle Struktur auf. Während in anderen independent spaces wenige Personen in flacher Hierarchie alle Aufgaben paritätisch verteilen, sind bei Casco die Verantwortlichkeiten klar zugeordnet. Die Teamübersicht verdeutlicht, dass Casco andere Funktionsbezeichnungen als üblich verwendet und sich von den etablierten Termini anderer Kunst- und Projekträume abhebt. Der Begriff der ›Kuratorin‹ findet sich nicht, stattdessen trifft man auf Director Program, Resource und Network – der Titel der Leiterin Binna Choi – und Mitarbeiterinnen im Bereich Production, Infrastructure und Community.182 Die Homepage selbst trägt nicht den gesamten Namen des Raums, sondern lautet lediglich www.cascoprojects.org.183 Dies hebt den Projektcharakter hervor und rückt die kuratorische Arbeit in den Hintergrund. Es scheint um die Bereitstellung eines Rahmens zu gehen, in dem Austausch, Netzwerken und gemeinschaftliche Aktivitäten stattfinden können. Eine gemeinsame Vision zu haben, Ziele zu teilen und ähnliche

Casco Art Institute (2014b): New Office/Play Facilities. Homepage des Casco Art Institute. Verfügbar unter: http://cascoprojects.org/new-office-play-facilities [Zugriff: 01.03.2017]. 180 Vgl. Casco Art Institute (2017): Mission. Homepage des Casco Art Institute. Verfügbar unter: http://cascoprojects.org/mission [Zugriff: 24.11.2016]. 181 Vgl. Ebd. 182 Nachtrag 2019: Diese Bezeichnungen waren zum Zeitpunkt der Analyse zu finden. In der Zwischenzeit lauten die Stellenbezeichnungen Director, Office & media, Curatorial fellow, Head of publishing and education. 183 Nachtrag 2019: Mit der Umbenennung erfolgte auch eine Veränderung der Homepage in www.casco.art. 179

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Einstellungen zu vertreten, sind laut Choi zentrale Voraussetzungen für Mitarbeiterinnen.184 Aufgrund der räumlichen Nähe, in der sie zusammenarbeiten, und dem Fehlen einer Hierarchie, reduzieren diese Bedingungen Konfliktpotenzial. Gegensätzliche Vorstellungen, wie die Aktivitäten von Casco zu organisieren und durchzuführen sind, rufen möglicherweise Konflikte hervor. Müssen regelmäßig Grundsatzdiskussionen zu Arbeitsweisen oder Absichten geführt werden, und müssen die begrenzten zeitlichen Ressourcen darauf verwendet werden zunächst eine kollektive Basis zu schaffen, verbleibt weniger Raum, sich zu entwickeln. Gleichzeitig lässt sich argumentieren, dass heterogene Sichtweisen neue Perspektiven auf Routineabläufe im institutionellen Alltag oder eingeübte Handlungen ermöglichen. Casco repräsentiert eine Vorstellung von Institution, die sich stark auf deren unterstützende, organisierende Dimension konzentriert. Darauf aufbauend, sehen sie künstlerische, soziale, politische und aktivistische Praktiken nicht als getrennt an, sondern denken sie als kritische Praxis zusammen. Wie eine solche Praxis aussehen kann und auf welchen theoretischen Überlegungen sie basiert, stellt der folgende Abschnitt detailliert dar.

4.4.1.3.

Institutionelles Handeln als (gesellschafts)politisches Handeln

Als Projektraum für kritische Praktiken will Casco einen Beitrag zu einer nicht-kapitalistischen Kultur leisten. Kunst nimmt dabei als Bedeutungsträgerin gesellschaftlicher Vorstellungen eine essenzielle Position ein, in der sie sich jedoch nicht von der Gesellschaft abgrenzen darf und somit wirkungslos wäre, wie es in der Vergangenheit die historische Avantgarde vorgeworfen wurde.185 Kunst muss gemeinsam mit anderen Initiativen und sozialen Bewegungen daran arbeiten, einen Alternativvorschlag für die gesellschaftliche Umgestaltung zu unterbreiten. Cascos Verständnis von kritischer Praxis hat einen starken politischen Anstrich – kritisch zu sein, bedeutet an etwas teilzuhaben, darüber nachzudenken, zu hinterfragen und gegebene Situationen nicht hinzunehmen, sondern neu zu verhandeln. Institutionelles Handeln ist für Casco zugleich politisches Handeln: Sie greifen in die Bedingungen ein, unter denen sie arbeiten, mit der expliziten Absicht, diese zu verändern. Binna Choi konstatiert, dass in einem System zu sein, einen nicht davon abhalten sollte, es zu hinterfragen, sonst laufe man Gefahr korrupt zu werden.186 Diese Kritikalität bedeute nicht, gegen das System zu sein, weil letzteres dann nicht effektiv sei.187 Casco will konstruktive Debatten komponieren, in denen sich Spannungen artikulieren ohne dabei in starre Widersprüche zu

184 Vgl. Edwinna Brennan: Toilet Tissue and Other Formless Organisational Matters. An edited excerpt from Curating Organisations (Without) Form: A public conversation between Antariksa (KUNCI), Binna Choi (Casco), Syafiatudina (KUNCI), Emily Pethick (The Showroom) and Ferdiansyah Thajib (KUNCI). openengagement, 06.04.2015. Verfügbar unter: http://openengagement.info/tag/binna-choi/[Zugriff: 04.11.2016]. 185 Vgl. dazu u.a. Bürger (1974) und Peter Bürger (2015): Neue Theorie der Avantgarde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 186 Vgl. Mariette Twilt und Irina Shapiro: »Work with against« – Interview mit Binna Choi (casco). Slanted, 11.07.2013. Verfügbar unter: https://www.slanted.de/eintrag/work-against-interview-mitbinna-choi-casco [Zugriff. 24.11.2016]. 187 Vgl. Ebd.

183

184

Institutionskritik im Feld der Kunst

verfallen. Gleichzeitig erkennt Choi, dass man daran scheitern und nicht die Auseinandersetzung das Ziel sein kann. Kritikalität findet nicht um der Kritik willen statt – vielmehr will sie ausdrücken, wie Normativität funktioniert, um die eigene Position im Diskurs zu erkennen und von ihr aus zu handeln und zu argumentieren.188 Das steht im Wiederspruch zu Chois Wunsch, sich in der Teamauswahl von einer geteilten Vision leiten lassen will – was einen gewissen Grad an Homogenität voraussetzt. Wie der Autor und Aktivist Gregory Sholette erläutert, ist seit dem Einzug der Konzeptkunst in das Kunstfeld die Vorstellung davon, was Künstlerinnen tun und tun können, grundlegend revidiert worden.189 Künstlerin zu sein, bedeutet nicht ausschließlich, Skulpturen zu produzieren und Gemälde zu entwerfen. Die Grenzen zwischen künstlerischen und anderen Praktiken lösen sich auf und übertreten vorher klar abgesteckte Hoheitsbereiche. Analog ließe sich Ähnliches für die Institution Kunst vertreten: Was heute unter institutioneller Arbeit von Museen und Ausstellungsräumen gefasst wird, geht über das bloße Präsentieren, Bewahren, Vermitteln und Konservieren hinaus, welche die traditionelle ICOM-Definition der Funktionen von Kunstinstitutionen vorsieht.190 Wie bereits in den vorherigen Kapiteln betont, treten Ausstellungshäuser als gesellschaftliche Agenten auf, welche Diskurse einerseits abbilden und reproduzieren, andererseits aber auch aktiv mitgestalten wollen: Hervorstechendes Merkmal zeitgenössischer institutioneller Praxis ist, dass politische und aktivistische Strategien nicht unangetastet bleiben. Kunst wird zur politischen Aktion, institutionelle Praxis wird zu politischem Handeln. Es wird aus einem Pool an Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten geschöpft, Anleihen aus vormals getrennten Bereichen genommen und es werden transdisziplinäre Praktiken entwickelt, die sich der jeweiligen Frage- oder Problemstellung anpassen lassen. Von allen Seiten, von künstlerischer wie aktivistischer, politischer und institutioneller Seite – sofern diese überhaupt klar voneinander getrennt werden können – erheben sich vermehrt kritische Stimmen.

4.4.1.4.

Das Publikum als Partnerin

Die Frage danach, wie Casco sein Publikum entwirft und wie sich dieses zusammensetzt, hängt mit einer Reihe von Faktoren zusammen. Viele Projekträume versuchen, im Gegensatz zu größeren Institutionen ein kleines, aber wiederkehrendes Publikum aufzubauen. Dieses präsentiert sich als »social assemblage«191 und umfasst neben Besucherinnen, die mit dem Kunstfeld vertraut sind, wie Künstlerinnen, Intellektuelle und Aktivistinnen ebenso Gruppen, die von größeren Institutionen selten als Zielgruppen identifiziert werden192 : Hausangestellte, Reinigungsfachkräfte oder Flüchtlinge. Allein

188 Vgl. Brennan (2015). 189 Gregory Sholette: Merciless Aesthetic: Activist Art as the Return of Institutional Critique. A Response to Boris Groys. In: Field. A Journal of Socially-Engaged Art Criticism. 4 (2016). Verfügbar unter: http://field-journal.com/issue-4/merciless-aesthetic-activist-art-as-the-returnof-institutional-critique-a-response-to-boris-groys [Zugriff: 26.09.2016]. 190 Vgl. ICOM Deutschland (2006). 191 Sven Lütticken: Social media: Practices of (in)visibility in contemporary art. In: Afterall, 40 (2015b), S. 6. 192 Vgl. Ebd.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

aufgrund der durchschnittlichen Größe von independent spaces, ihrer Lage und finanziellen Mittel wäre es nicht möglich, eine breite Besucherinnenmasse zu erreichen. Besucherinnen kommen nicht einmalig, sondern verfolgen das jeweilige Programm kontinuierlich und identifizieren sich bestenfalls mit dem Kunstraum, seinen Zielen und Visionen. Einen solchen Ansatz verfolgt Casco und forciert ihn durch seine Programmatik: Langfristige Projekte, enger Austausch und informelle Diskussionen prägen die Formate. Der Vorteil einer solchen Praxis: Die Teilnehmerinnen langfristiger Formate können sich kennenlernen, ein tiefgreifendes Interesse füreinander entwickeln und eine gemeinsame Basis für weitere Zusammenarbeit schaffen. Man wechselt nicht direkt von Projekt zu Projekt, sondern baut eine Beziehung auf. Choi betont in Interviews, dass es für Casco von Bedeutung ist, eine nachbarschaftliche Gemeinschaft zu haben und zu pflegen.193 Gleichzeitig betont sie, dass eine solche Strategie von Sponsoren und kulturpolitischen Förderstellen nicht immer gewertschätzt wird.194 Mögliche Gründe hierfür könnten sein, dass einer gemeinschaftlich orientierten, auf kontinuierlichen Austausch ausgerichteten Praxis unterstellt wird, dass sie zu weniger Output und quantifizierbaren Ergebnissen wie beispielsweise Ausstellungen oder Veranstaltungen führe. Aufgrund externer Erwartungen reflektiert Casco regelmäßig, ob der beschriebene Weg beibehalten werden soll. Verbleibt man bei einem kleinen, aber beständigen Publikum scheint es schwierig, sich zu vergrößern, sichtbarer zu werden, in die institutionelle Landschaft zu intervenieren und eigene Vorstellungen nachhaltig zu etablieren. Casco sieht sich der Herausforderung gegenüber, die Balance zu wahren zwischen einem pluralistischen, wechselnden Besucherinnenkreis, der eventuell Anregungen und neue Perspektiven mit sich bringen könnte, und einem festen Publikumsstamm, mit dem man eine gemeinsame Basis hat. Letzter kann aber – vielleicht gerade durch geteilte Ansichten – verfestigend und selbstbestätigend wirken. Binna Choi erkennt im Kunstfeld aktuell einen Code für das so genannte Mainstream Publikum, das einer Massenmarktlogik folgt.195 Massenmarktlogik meint, möglichst viele, möglichst verschiedene Besucherinnen anzulocken. Die einzelne Person verbleibt anonym – eine individuelle Beziehung aufzubauen, durch die sich Besucherinnen mit dem Projektraum in diesem Fall identifizieren und aktiv diesen mitgestalten wollen, tritt in den Hintergrund. Ein solcher Code sei unpassend für eine kritische Praxis, wie Casco sie anstrebt.196 Ein Experiment, ein expansiveres Publikum anzusprechen, war die von Casco angemietete Ladenfront im Einkaufszentrum Hoog Catharijne. Das Publikum, das hier erreicht wurde, musste Casco vorab nicht kennen, und es musste Casco auch nicht bewusst aufsuchen. Zudem lockt ein Einkaufszentrum einen diversen Kreis an Besucherinnen an, sodass ohne zusätzlichen Aufwand die Sichtbarkeit steigt. Dennoch: Ein Schaufenster unterbindet jeden Dialog, da eine Glasscheibe die Betrachter von den gezeigten Objekten oder Personen trennt. Gerade dieser Dialog ist es aber, der Casco

193 194 195 196

Brennan (2015). Vgl. Ebd. Vgl. Twilt und Shapiro (2013). Vgl. Ebd.

185

186

Institutionskritik im Feld der Kunst

am Herzen liegt. Man erkennt die Ambivalenz der Strategie: Einerseits werden Kommunikationskanäle ausgebaut, andererseits wendet man sich von bisherigen Vorhaben teilweise ab und läuft damit Gefahr, das aktuelle Publikum zu verlieren. Darüber hinaus besetzt Casco andere Plattformen, um Öffentlichkeit zu generieren: Sie organisieren unter dem Titel Creative Lab Lehrveranstaltungen an der Kunsthochschule HKU in Utrecht. Casco trägt dazu bei, dass seine kritische Praxis als Teil eines universitären Curriculums anerkannt und reproduziert wird. Das sich jährlich wiederholende Format sieht eine enge Kollaboration mit der Studierendengruppe vor, die sich interdisziplinär zusammensetzt. Über ein halbes Jahr entfaltet sich eine kollektive Recherche in Anknüpfung an Themen, die Casco jeweils aktuell bearbeitet. Denkt man an die Institutionalisierung der Institutionskritik als kritische Praxis, die heute in Kuratorinnenschulen und kuratorischen Studiengängen gelehrt wird, erscheint Creative Lab als passendes Beispiel einer Strategie, die genau diese Tendenz verstärkt. Im Unterschied zu den theoretischen Spielarten der Institutionskritik, die sich über Textarbeit und das gemeinsame Sprechen über kritische künstlerische Praktiken realisieren, führt Casco kritische Praxis als institutionelle Praxis ein. Damit wird die kritische Praxis der repräsentativen Ebene enthoben und in eine re-imaginierte praktische Form überführt.

4.4.1.5.

Programmatik: Arbeits- und Lebensbedingungen untersuchen

Cascos frühere Direktorin Emily Pethick richtete nach ihrem Stellenantritt 2005 das Programm neu aus. Die Veranstaltungen setzen sich seitdem verstärkt mit Kunst und ihrem Verhältnis zur lokalen Umgebung und zum politischen Kontext auseinander. Gleichzeitig möchte Casco soziale Begegnungen der Besucherinnen ermöglichen. Zu den wiederkehrenden Formaten zählen neben Ausstellungen Forschungsprojekte, Workshops, Foren und Debatten sowie Aktionen, Filmvorführungen und Publikationen. Viele Projekte werden von Künstlerinnen geleitet, sind kollaborativ und auf lange Zeit in Partnerschaften mit ähnlich ausgerichteten Organisationen angelegt. Zwei thematische Foki treten in der Programmgestaltung heraus: Einerseits bestimmt Commons, das Gemeinschaftliche, seit 2013 kontinuierlich das Programm und wird seit 2017 auch im Titel von Casco geführt. Zum anderen interessieren Casco die Arbeitsbedingungen, Organisation und das Zusammenarbeiten von independent spaces. Im Anschluss stelle ich drei Projekte vor und konzentriere mich dabei darauf, wie diese Programmbestandteile auf institutionskritische Themen verweisen oder reagieren. Ideological Guide to Venice Biennal 2013 Das erste Beispiel ist das Projekt Ideological Guide to Venice Biennal 2013 des Künstlers Jonas de Staal. De Staal hatte eine frei verfügbare App kreiert, welche politische, ökonomische und ideologische Rahmenbedingungen der auf der Biennale vertretenden Länder und ihrer Pavillons offenlegte. Casco schrieb gemeinsam mit e-flux und der Kadist Art Foundation Reisestipendien aus, um Interessierten die Reise zur Biennale in Venedig zu finanzieren. Dort testeten die Stipendiaten die App und verfassten ein Reisetagebuch, das e-flux anschließend auf seiner Homepage veröffentlichte.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

In der App waren kritische Reflexionen von Künstlerinnen, Kuratorinnen und Theoretikerinnen – teilweise namentlich genannt, teilweise anonym – zu den einzelnen nationalen Beiträge publiziert, ergänzt durch landesspezifische Daten. Hier erfuhr man beispielsweise, wie die einzelnen Ausstellungen finanziert wurden oder wer die künstlerischen Positionen ausgewählt hat. Daneben deckte die App das Budget sowie politische Hintergründe wie frühere koloniale Aktivitäten der Länder und transnationale Allianzen auf. Die App unterlegte die Ausstellungen in den Pavillons mit einer zusätzlichen kontextuellen und kritischen Ebene. Die Biennale ist, als eine im zweijährigen Turnus stattfindende Kunstausstellung, in größere politische und ökonomische Zusammenhänge eingebettet. Diese Zusammenhänge zeigen sich in der Auswahl der Künstlerinnen und der Lage der Pavillons der einzelnen Nationen zueinander. Zweck der App war es, die Biennale als Kampfplatz zu beschreiben, auf dem um die kulturelle Vorherrschaft gerungen wird. Die Pavillons fungieren als Botschafter, welche mittels der Kunstwerke das repräsentierte Land bestmöglich auf diesem »geopolitischen Schachbrett«197 positionieren. Die App bot Einblicke in die Wirkweisen einer der etabliertesten Plattformen für Kunst. De Staal gab dem Publikum ein Instrument in die Hand, die unsichtbar wirkenden Machtmechanismen zu erkennen und die Biennale von einer Metaebene aus zu betrachten. Hierbei handelte es sich um ein externes, von Casco einmalig unterstütztes Projekt, das auf die ideologischen Rahmungen des Kunstfeldes verweist. Die eigenen Forschungsprojekte Cascos beziehen sich hingegen auf die Organisation und Struktur der Institutionslandschaft, insbesondere hinsichtlich zeitgenössischer Ausstellungsräume. Im Folgenden stelle ich nun zwei dieser Langzeitformate vor, in denen sich Casco mit den Arbeitsbedingungen im Kunstfeld auseinandersetzt. Auseinandersetzung mit Strukturen und Prozessen von Kunstorganisationen Ein erster Recherchestrang zu diesem Bereich folgt dem Titel Arts Collaboratory. Er schließt sich einer 2007 von den niederländischen Organisationen DOEN Foundation und Hivos gegründeten Initiative an, die transnationalen Austausch und Kooperation von Kunstorganisationen und -räumen fördern soll. 2013 richtete Arts Collaboratory sich unter der partnerschaftlichen Leitung mit Casco neu aus. Etwa zwanzig Projekträume aus Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten nahmen an dem Austausch teil und erprobten alternative Möglichkeiten, gemeinschaftlich zu arbeiten. Die Kunsträume konnten sich um die Teilnahme bewerben – vorausgesetzt wurde, dass sie lokal vernetzt sind, mit einem Fokus auf community work. In Indonesien fand ein erstes Treffen der Delegierten der Räume statt. Die Teilnehmenden diskutierten dafür über alternative Pädagogik, Utopievorstellungen, Lobbyingpraktiken und die Ausrichtung eines co-organisierten Film Festivals. Vier Projekte wurden dort initiiert, die dem übergeordneten Ziel folgen, Arts Collaboratory in eine organisatorische Form

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Vgl. Jonas de Staal (2013): The Venice Biennale Ideological Guide 2013. About. The Venice Biennale Ideological Guide 2013. Verfügbar unter: http://venicebiennale2013.ideologicalguide.com/about/[Zugriff: 07.03.2017]. Übersetzung des Originalterminus des »geopolitical chessboards« durch die Autorin. Dieser Ausdruck verweist darauf, dass es sich um ein dynamisches Spielfeld handelt, auf dem taktisch gehandelt und strategisch vorgegangen wird.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

zu gießen. Im Laufe des Treffens galt es eine passende Organisationsform zu finden: ein selbstorganisiertes Netzwerk, eine Gemeinschaft oder eine noch nicht bestimmte Alternative. Arts Collaboratory bietet einerseits finanzielle Unterstützung für Projekte, legt aber andererseits explizit Wert auf informelle Austausch- und gemeinsame Lernprozesse, in denen Methoden und Praktiken geteilt werden können. Fokus der Konversationen zwischen den teilnehmenden Räumen und Initiativen war vielfach die Frage, ›wie‹ sie sich organisieren, wie Arbeitsabläufe strukturiert und Programme erarbeitet werden. Eng damit verknüpft war die Notwendigkeit, Institutionalisierungsprozesse zu reflektieren. Institutionalisierungsprozesse beschäftigen Casco über verschiedene Programmstränge hinweg. Exemplarisch tritt das Thema in einem aufgezeichneten Gespräch zwischen den Mitarbeiterinnen des indonesischen Projektraums KUNCI, Binna Choi von Casco und Emily Pethick von The Showroom zutage.198 Auf einer Forschungsreise besuchten Choi und Pethick Kunsträume in Indonesien, um sich vor Ort einen Eindruck der Arbeits- und Organisationsweisen zu verschaffen und diese anschließend mit den jeweiligen Teams zu diskutieren. Eine Hauptfrage betraf das Spannungsverhältnis zwischen strukturierten und informellen Arten der Zusammenarbeit, wie es sich äußert und wie es sich gegebenenfalls unterlaufen lässt. Alltägliche Probleme – beispielsweise wer Toilettenpapier kaufen soll – verdeutlichen, welche formalisierten Strukturen im Hintergrund nötig sind, um einen Projektraum zu betreiben. Die Gesprächsteilnehmenden waren sich einig, dass Kunsträume in Indonesien zunächst als temporäre Projekte aus Freundschaften heraus entstehen, geknüpft an das Interesse, gemeinsam an etwas zu arbeiten. Um ihre Projekte fortzuführen, sind die Räume auf externe Förderung angewiesen, für die sie wiederum eine Struktur mit formalisierten Prozessen vorweisen müssen.199 Eine Frage, die im Rahmen von Projekten wie Arts Collaboratory aufkam und in Diskussionen zwischen Casco und The Showroom wiederholt thematisiert wurde, ist: Was passiert, wenn man den Institutionalisierungs- und Formalisierungszwang, mit dem sich viele Projekträume konfrontiert sehen, unterbrechen will? Wenn für ein dauerhaftes Bestehen formale Strukturen notwendig werden, um Förderanträge einzureichen? Welche Alternativen gibt es, sich zu verweigern, ohne damit aber die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen? Deinstitutionalisierung kann bedeuten, wieder zu prekären Bedingungen zurück zu kehren – und somit wieder unter den Voraussetzungen zu arbeiten, die man bekämpfen wollte und will. Arbeitsbedingungen im Kunstfeld und insbesondere in kleineren bis mittelgroßen Projekträumen zu befragen, findet sich als dauerhaftes Anliegen in verschiedenen Arbeitssträngen Cascos und von The Showroom wieder. Beide setzen sich mit Institutionalisierungszwängen auseinander, indem sie über die geforderten Strukturen sprechen, das eigene Handeln reflektieren und ihre Erkenntnisse mitteilen. Sie schließen damit an institutionskritische Strategien an, welche die eigene Arbeitsweise und die Arbeitsbedingungen offenlegen. Gleichzeitig stößt Casco einen Perspektivwechsel an: Welche Alternativen gibt es zur Institutionalisierung, wie kann man verbindlich zusammenarbeiten ohne sich durch äußere Strukturzwänge einschränken zu lassen? Diese 198 Brennan (2015). 199 Vgl. Brennan (2015).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Fragen beantwortet Casco nicht abschließend, sondern nutzt sie, um sich selbst regelmäßig den Spiegel vorzuhalten und gegebenenfalls Handlungsweisen zu justieren. Case Study #2 – Site for Unlearning (Art Organization) Ein weiteres langfristiges Projekt Cascos ist Case Study – wie der Titel bereits ankündigt, handelt es sich um Fallstudien zu verschiedenen Objekten und Organisationen, die alle drei Monate wechseln. Bisher gab es im Rahmen des Composing the CommonsProgramms von Casco drei solche Untersuchungen. Die Veranstaltungen von Composing the Commons untersuchen, wie über das Kunstfeld hinaus zusammengearbeitet werden kann. Casco misst Commons, dem Gemeinsamen und Kollektiven, einen besonderen Wert bei. Exklusionsmaßnahmen und Grenzziehungen sollen überwunden werden zugunsten eines Gemeinschaftssinns und -gefühls. Vor diesem Hintergrund stellen die Fallstudien exemplarisch dar, wie verschiedene Organisationen das Gemeinschaftliche praktisch umsetzen. Case Study #2: Site for Unlearning (Art Organization) befasste sich mit Casco selbst als Studienobjekt. Die Künstlerin Annette Krauss begleitete das Team des Projektraums dabei, Strategien zu erarbeiten, wie die Werte, die Casco nach außen vertritt – darunter die Bedeutung des Gemeinschaftlichen – innerhalb der Organisation spürbar zu machen sind. Es ging um Aktivitäten, die für das Publikum nicht direkt sichtbar sind, sich eher auf die Verhältnisse im Team auswirken. Internalisierte Verhaltensweisen und soziale Normen, die unreflektiert das marktwirtschaftliche System stützen, sollten aufgebrochen werden, um Platz für alternative Handlungsmodelle zu schaffen. Krauss arbeitete mit der Vorstellung des ›Verlernens‹ von den unbewusst reproduzierten Einstellungen, um diese aufzudecken und zu reflektieren. Die Künstlerin traf sich dafür über ein Jahr lang im zweiwöchentlichen Rhythmus mit den Mitarbeiterinnen des Projektraums, um im institutionellen Alltag kollektive Arbeitsweisen zu verankern. Krauss führte mit Cascos Team Übungen, bestehend aus Gesprächen, Diskussionen, Mindmaps, Diagrammen und Körperübungen, durch.200 Getreu dem Motto ›practice what you preach‹ befragten sie ihre eigenen Abläufe, um diese zu unterlaufen, und reproduktive Teilarbeiten wie Putzen, Kochen, Kaffeetrinken ebenso schätzen zu lernen wie produktive.201 Die Teilnehmerinnen lernten: Die Hintergrundarbeiten sind ein wichtiger Bestandteil, um einen Kunstraum zu erhalten. Von Mierle Laderman Ukeles’ Maintenance Manifesto inspiriert, ging das Casco-Team der Relevanz des ›Erhaltens‹ als Gegenprogramm zu dem Drang nach, Neues zu produzieren. Laderman Ukeles putzte in ihren seriellen Performances in und vor Museen und machte mit dieser domestic work

200 In der Beschreibung des Formats findet man folgende Aussage: »We talked, we sat on wobbly chairs while hanging onto each other for balance, we drew diagrams and mind maps to discern our passions and things that hamper their fulfillment […].« Casco Art Institute (2014a): Casco Case Study #2: Site for Unlearning (Art Organization). Homepage de Casco Art Institute. Verfügbar unter: http://casco.art/casco-case-study-2-site-for-unlearning-art-organization-0 [Zugriff: 17.02.2018]. 201 Produktive Arbeiten bezieht sich hier auf ergebnisorientierte Tätigkeiten, die am Ende für ein Publikum sichtbar werden. Oftmals steht im Mittelpunkt, etwas Neues, Einmaliges zu schaffen und dabei den erhaltenden Aspekt und die damit verbunden wiederkehrenden Aktivitäten zu vernachlässigen.

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den zumeist unsichtbaren Aspekt der institutionellen Arbeit sichtbar. Zudem inszenierte sie bewusst maintenance als Kontrast zu beständigem, schnellen Fortschritt, dem in der neoliberalen Gesellschaft viel Bedeutung beigemessen wird.202 Viele Akteure der unabhängigen Projektraumszene äußern dahingegen den Wunsch, sich von dem Produktivitätszwang des Kunstfeldes und dem damit verbundenen Gefühl des Beschäftigtseins zu lösen. Institutionelle Handlungsweisen haben sich über Jahre verfestigt. Daher ist ein fortdauernder Prozess nötig, um sie zu verlernen und nicht Gefahr zu laufen, in bekannte Muster zurückzufallen. Neben den Tätigkeiten, die dazu dienen, das Programm zu erstellen und durchzuführen, hatte Casco nun einen zweiten Aktivitätsbereich parallel geschaltet, in dem sie sich die Aufgabe stellen, »unlearning tools«203 zu entwickeln. Mit diesem Programmteil beschäftigte sich Casco bewusst jenseits einer repräsentativen Ebene mit diesen Themen. Zu diesen neuen tools gehörte, kollektiv über das Programm zu entscheiden oder das Archiv auszubauen anstatt Neues zu produzieren.204 Casco hat ein Format etabliert, in dem konkrete Mittel erarbeitet werden, wie das, was er dem Publikum gegenüber vertritt, nach innen zurückwirken kann. Institutionskritik forderte Kunstorganisationen heraus, eine Vision zu vertreten aber auch umzusetzen. Bereits die Tatsache, dass Casco dieses Format eingerichtet hat, versteht sich als Teil der ›unlearning‹ Strategie: Statt die Zeit beispielsweise für Fundraisingaktivitäten zu verwenden oder organisatorische Aspekte der nächsten Veranstaltung abzuarbeiten, hielt das Casco-Team inne und verweilt in Meetings bei sich. Die Untersuchung zu Casco hat demonstriert, wie Institutionskritik den Selbstentwurf von Institutionen und die Arbeit hinter den Kulissen verändert. Casco bezieht sich konkret auf institutionskritische Arbeiten wie die von Mierle Laderman Ukeles. Gleichzeitig knüpft er mit Projekten, die sich auf Institutionalisierungsprozesse und Organisationsformen für Kunsträume beschäftigen, an allgemeinere Kritikpunkte institutionskritischer Arbeiten an. Casco schafft in seinem Programm Platz für selbstreflexive Formate, die nicht darauf abzielen, eine kritische Haltung nach außen zu vermitteln, sondern die nach innen wirken sollen. Im Zentrum aller Aktivitäten steht das Gemeinschaftliche, das Zusammensein, -leben und -arbeiten. Casco widmet sich den verschiedenen Umsatzmöglichkeiten davon. Kunst agiert für Casco nicht in einem autonomen Vakuum; sie bleibt nicht folgenlos. Vielmehr ist sie unabdingbar an politische und gesellschaftliche Absichten gebunden. Casco zeigt exemplarisch, wie Kunstorganisationen als gesellschaftliche Agentinnen auftreten können und trotz formalisierter, als Institution erkennbarer Struktur eine eigene Nische besetzen. Eine Nische, die sich mit Institutionskritik beschäftigt.

202 Vgl. auch Kapitel 3.1.3. Laderman Ukeles äußert sich in ihrem ›Manifest der Erhaltungskunst‹ direkt zu der Bedeutung der ›Erhaltung‹ im Kunstfeld und kontrastiert dabei Entwicklung und Erhaltung. Während eine solche ausschließende Gegenüberstellung nicht sinnvoll erscheint, stellt sie beide als gleichwertig dar. Vgl. Laderman Ukeles (2001 [1969]). 203 Ebd. 204 Vgl. Casco (2014a).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

4.4.2.

PRAXES Center for Contemporary Art (PRAXES), Berlin und Bergen

PRAXES Center for Contemporary Art ist das erste Vergleichsbeispiel.205 PRAXES begann 2013 als Ausstellungsraum im Berliner Viertel Kreuzberg. Gegründet von den Kuratorinnen Rhea Dall und Kristine Siegel erstreckten sich seine Ausstellungsräume auf zwei Etagen im ehemaligen Gemeindehaus eines Kirchenkomplexes . Dall und Siegel hatten zuvor an größeren Institutionen gearbeitet, namentlich dem Museum of Modern Art (MoMA), dem Dennis Oppenheim Studio and Archive sowie der Kunsthal Charlottenburg und der Berliner Biennale. Mit PRAXES, einem zunächst auf drei Jahre angelegten Projekt, wollten sie einen Kunstraum schaffen, der mit den institutionellen Rahmensetzungen und Formaten experimentiert und diese dynamisiert. Ein für Deutschland ungewöhnliches Modell stellte die Finanzierung von PRAXES dar. Als temporäres not-for-profit registriert, hatten die beiden Kuratorinnen ein umfangreiches Netzwerk von privaten Kleinstsponsoren aufgebaut und bezogen Unterstützungen aus Förderprogrammen der Heimatländer der von ihnen eingeladenen Künstlerinnen. Sie verzichteten also auf eine öffentliche Förderung aus Berlin und vom Bund. Nach vier halbjährigen Zyklen schloss der Standort in Berlin – Dall und Siegel wurden berufen, die Bergen Assembly 2016, eine der aktuellen temporären und Biennaleähnlichen Plattformen, mitzukuratieren. Sie entschlossen sich, PRAXES als Projekt auf Reisen zu nehmen und in Bergen ein zweites Kapitel zu beginnen. Das als temporär angelegte Projekt PRAXES endete nach der Bergen Assembly.206 Aus diesem Grund gehe ich an dieser Stelle nicht auf die Lage und die früheren Räume in Berlin ein, sondern richte den Fokus auf die Ausstellungsarbeit. Von Interesse für die vorliegende Studie ist, gegen welche institutionellen Vorgaben sich die Kuratorinnen mit PRAXES aufgelehnt haben, was innovativ an ihren zyklischen Formaten ist und inwiefern sich ein solches Projekt an einen anderen Ort transportieren lässt. Welcher kuratorische Ansatz steckt dahinter? Ebenso stellt sich die Frage, wie ortsspezifisch und lokalbezogen ein Projektraum arbeiten kann und welche Rolle dies für sein Selbstverständnis spielt.

4.4.2.1.

Die Ausstellung als Prozess

Die Kuratorinnen Dall und Siegel sammelten vorab Erfahrung in institutioneller Ausstellungsarbeit. Die Einblicke in strukturelle Vorgaben, Zeitabläufe und Produktionszyklen etablierter Kunsthäuser regte sie an, gedanklich alternative Präsentationslogiken zu erproben. PRAXES wollte Künstlerinnen in Langzeitrecherchen begleiten. Als Dauerprojekte passten sie nicht in die Sequenz schnell wechselnder Ausstellungen wie sie in vielen Museen auf der Tagesordnung steht. Zentrales Format von PRAXES waren die cycles, expositorische Zyklen, die sich jeweils auf die Arbeiten zweier Künstlerinnen konzentrierten. Ein zeitlich begrenzter Rahmen war Teil des Experiments: Mit jedem neuen Zyklus begannen Dall und Siegel

205 Im Folgenden verwende ich die Kurzform PRAXES. 206 Viele dieser zeichnet ihr temporäres Bestehen aus, das sie durchaus als Chance begreifen, mit neuen kuratorischen und infrastrukturellen Ansätzen zu experimentieren.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

neu und ließen so den Versuchscharakter bestehen. In verschiedene Präsentationsmodule unterteilt, entfalteten sich über mehrere Monate – im Schnitt fünfzehn Wochen – kumulative Displays, welche die Schaffensprozesse der ausgewählten Künstlerinnen offenlegten. Die Ausstellung wuchs über ihre Dauer an und kann als Archiv künstlerischer Praxen interpretiert werden. Die Werke der Künstlerinnen waren nicht dialogisch präsentiert, sondern getrennt auf den beiden Ebenen der Ausstellungsräume, um den Verdacht der inhaltlichen Nähe zu untergraben.207 Existierende Arbeiten bildeten den Ausgangspunkt der Displays, die ergänzt wurden mit neuen Objekten, Themen, Ideen, Archivmaterialien oder Dokumentationen nicht realisierter Projekte. Dall und Siegel stellten die Oeuvres der Künstlerinnen nicht als fertig konstruierte Narrative dar, die sich schnörkel- und umweglos entwickeln, sondern als kontinuierlichen Prozess mit Abzweigungen und Irrwegen. Dieser Ansatz birgt das Potenzial, einen umfassenderen Blick auf die Künstlerinnen zu werfen, wiederkehrende Themen für das Publikum erkennbar zu machen und sich wiederholende Methoden zu kennzeichnen. Vor dem Auge der Besucherinnen sollte sich ein organisches, entwickelndes Ganzes abzeichnen. Obwohl das Konzept den Druck verringerte, bereits bei der Eröffnung ein fertiges und ›perfektes‹ Abbild der künstlerischen Praxis zu produzieren, sei darauf zu verweisen – und das machte PRAXES selber deutlich –, dass durchkuratierte Displays gezeigt werden.208 Dall und Siegel orientierten sich an institutionskritischen Praktiken, die künstlerische und kuratorische Arbeitsweisen transparent machen wollten. Obgleich die Zyklen prozessorientiert angelegt waren, zeigten sie die Ergebnisse von Entscheidungen, welche die Kuratorinnen getroffen hatten. Der Weg zu den Resultaten und ihre Begründungen enthielten Dall und Siegel dem Publikum jedoch vor.209   Wie die Kuratorinnen selbst formulieren, wollten sie mit diesem zyklischen Ansatz sich selbst und dem Publikum die Chance geben, sich langsamer und tiefer mit künstlerischen Arbeitsformen zu beschäftigen.210 Es ist fraglich, inwiefern dies tatsächlich der Fall sein kann, denn das Publikum nahm trotz des Konzeptes einen ständigen Ausstellungswechsel wahr. Zwar war es eine dann vertraute Künstlerin, die Positionen aber waren stets neue. Dall und Siegel strebten außerdem an, ›Publikum‹ anders zu denken und es zu animieren, den Ausstellungsbesuch nicht als einmaliges Produkt zum 207 Zu den ausgestellten Künstlerinnen gehörten: Jutta Koether und Gerard Byrne (Cycle 1), Falke Pisano und Judith Hopf (Cycle 2), Christina Mackie und Matt Mullican (Cycle 3), Chris Evans und Rimini Protokoll (Cycle 4) sowie Lynda Benglis und Marvin Gaye Chetwynd (Cycle 5, Bergen Assembly). Vgl. PRAXES Center for Contemporary Art (2016): Cycles. Homepage von PRAXES Center for Contemporary Art. Verfügbar unter: www.praxes.de/home.htm [Zugriff: 13.12.2016]. 208 Vgl. Adela Lovric: Have you met…PRAXES. Bpigs, 28.08.2013. Verfügbar unter: http://bpigs.com/diaries/interviews/have-you-met-praxes [Zugriff: 13.05.2016]. 209 Vgl. Kolja Reichert: Die Ausstellung als Labor. Wenn sich das Kuratorische verselbstständigt: Vier Monate mit Jutta Koether und Gerard Byrne im neuen Kreuzberger Ausstellungsraum »Praxes«. frieze, 26.02.2014. Verfügbar unter: www.koljareichert.de/artikel/die-ausstellung-als-labor/[Zugriff: 27.02.2017]. 210 Vgl. Gesine Borcherdt: Q&A: Kristine Siegel und Rhea Dall über Praxes Center for Contemporary Art. Bolinartinfo, 23.08.2013. Verfügbar unter: http://de.blouinartinfo.com/news/story/948391/qakristine-siegel-und-rhea-dall-ueber-praxes-center-for [Zugriff: 15.03.2017].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

passiven Konsum zu verstehen. Diese Idee setzt voraus, dass die Besucherinnen wiederkommen: Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, benötigte PRAXES ein festes Stammpublikum, das bereit war, sich mehr als ein Modul des Zyklus anzusehen. Bei einem einmaligen Besuch verblieb der experimentelle, prozessorientierte Ansatz mitunter nur eine kuratorische Wunschvorstellung. Wie stießen die Kuratorinnen also eine kontinuierliche Auseinandersetzung auf Seiten der Besucherinnen an? Ein Mittel, um zur Rückkehr zu verleiten, war ein extensives Eventprogramm, das die jeweiligen Zyklen rahmte. Unter dem Titel parlors fanden Liveevents, Diskussionen, Screenings, Vorträge und Workshops statt, die thematisch eng mit den ausgestellten künstlerischen Positionen verknüpft waren. PRAXES stellt den Langzeitformaten temporäre Explorationen an die Seite. Die umfangreichen Beschreibungen der einzelnen Veranstaltungen lassen erahnen, dass die über fünfzig Events in zwei Jahren einen extremen Arbeitsaufwand für die beiden Kuratorinnen bedeuteten.211 Grund dafür war die zyklische Programmation: Jedes Modul wurde einzeln eröffnet, was allein bereits in acht bis zehn Vernissagen und je einer Finissage resultierte. Der zweite programmatische Nebenschauplatz neben den parlors waren die papers. Auch dieses Format verlangte zusätzliches Engagement und zeitliche Ressourcen. Die papers waren als wachsendes Onlinearchiv konzipiert mit kommentatorischen Texten, Essays und Reflexionen anderer Kuratorinnen und Wissenschaftlerinnen zu den Arbeiten der Künstlerinnen, verwandten Materialien und Ausstellungsdokumentationen. Sie boten die Möglichkeit der Vertiefung und des Erhalts, da sie über die Zyklusdauer hinaus bestehen. Dall und Siegel maßen den parlors und papers die gleiche Wertigkeit wie den Ausstellungen zu.212 Diese Langzeituntersuchungen bewirkten, dass immer Neues zu produzieren war und Veranstaltungen zu organisieren waren. Insofern haben die Kuratorinnen mit ihrer Praxis die Produktions- und Eventlogiken des Kunstfeldes genährt, denen sie sich entziehen wollten. Der letzte Zyklus, Cycle 5, dockte wie eingangs beschrieben an eine andere Ausstellungsplattform nämlich der Bergen Assembly an. Im nachfolgenden Abschnitt stelle ich den kuratorischen Ansatz hinter dieser zweiten Phase von PRAXES vor, die ich als nomadisches Kuratieren bezeichnen möchte.

4.4.2.2.

Nomadenkuratorinnen

Bestimmte buzzwords bilden Trends und Paradigmenwechsel im kuratorischen Diskurs ab oder nehmen diese vorweg. Die vorliegende Studie zeugt von einigen dieser turns, die zu kommen und gehen scheinen: Begriffe wie Netzwerk und non-hierarchische Struktur, Kollektivität und Kollaboration sind omnipräsent.213 Die beiden Kuratorinnen von

211 212 213

Vgl. Lovric (2013). Vgl. Borcherdt (2013). Pascal Gielen ergänzt diese Reihe in seinem Artikel The Biennal. A Post-Institution for Immaterial Labour um den Terminus Rhizom, der weniger auf eine organisierte als eine wuchernde, sich ausbreitende Form verweist. Ursprünglich aus der Botanik stammend, zeichnen vor allem Gilles Deleuze und Felix Guattari für seine Verbreitung in andere Kontexte verantwortlich, auch in das Kunstfeld. Vgl. Pascal Gielen: The Biennial. A Post-Institution for Immaterial Labour. In: Open, 16 (2009): S. 819.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

PRAXES möchte ich nun mit ihrem vorgestellten Ansatz vor dem Hintergrund der so genannten nomadischen Kuratorin beleuchten. Während nomadisch allgemein als herumziehend und nicht-sesshaft verstanden wird, haben drei Faktoren dazu beigetragen, dass sich dieser Typ Ausstellungsmacherin entwickeln konnte. 1. Seit den 1960ern hat sich die Vorstellung von der Kuratorin als auteur 214 einer Ausstellung mit eigener, sichtbarer Stimme etabliert. Diese tritt nicht hinter den künstlerischen Positionen zurück, sondern bekommt eine eigene, mitunter dominierende, Stimme. 2. Die Kategorie der nomadischen Kuratorin resultierte aus dem sich immer schneller entwickelnden, beschleunigenden Kunstfeld und dem seit den 1990ern rasanten Wachstum temporärer Ausstellungsplattformen wie den Biennalen.215 Die sich wandelnden Bedingungen verlangen den Kuratorinnen flexibles Arbeiten ab, das adaptierbar sein muss und zugleich kontextspezifisch, im besten Fall lokal verankert ist. Kuratorinnen wurden zu Aushängeschildern, wechselten von Wanderausstellung zu Wanderausstellung.216 3. Der Wunsch, einen Gegenpart zu den rigiden, starren Strukturen der Museen und Institutionen des Kunstfeldes zu bilden, manifestierte sich in einer diversifizierten Ausstellungslandschaft mit pop-up Ausstellungen, temporären Projekträumen und Initiativen ohne feste Räume.

Die drei Gründe haben – neben den Curatorial-Studies-Kursen – eine Vielzahl an Ausstellungsmacherinnen auf den Markt gebracht, die nun um Stellen konkurrieren, da institutionelle Positionen nur begrenzt verfügbar sind. Dalls und Siegels kuratorische Praxis scheint sowohl von externen Faktoren, wie der großen Konkurrenz, aber auch von internen Faktoren, wie dem Wunsch nach län214 Vgl. dazu unter anderem Nathalie Heinrich und Michael Pollak (1996): From Museum Curator to Exhibition Auteur. Inventing a Singular Position. in: Bruce Ferguson und Reesa Greenberg (Hg.), Thinking About Exhibitions. New York: Routledge, S. 166-179. Heinrich und Pollak betonen die selektionierende Funktion der Kuratorin und etablieren ihre Position als Schnittstelle zwischen Institution und Publikum. Mit der zunehmenden Spezialisierung von Ausstellungen und der Professionalisierung von Kuratorinnen ging eine Tendenz zu thematischen Ausstellungen einher, die es der Kuratorin ermöglichten und von ihr forderten, eine spezifische Position zu beziehen. Die Kuratorin vereint verschiedene Funktionen – Konzeption der Ausstellung, Organisation, Präsentation und Vermittlung der Werke – und verbleibt dabei in einer relativ autonomen und singulären Position im Verhältnis zur Institution. Besonders häufig werden Harald Szeemann und Hans-Ulrich Obrist als Beispiele für den exhibition auteur angeführt. 215 Vgl. u.a. Paul O’Neill und Mick Wilson (2013): The era of the nomadic, global curator god. The Fortnightly Review. Verfügbar unter: http://fortnightlyreview.co.uk/2013/06/era-nomadic-globalcurator-god/[Zugriff: 17-03-2017]. 216 Paul O’Neill konstatiert, dass die Vorstellung einer semi-unabhängigen, semi-autonomen Kuratorin – im Sinne einer mit einer Institution oder Organisation assoziierten Ausstellungsmacherin aber ohne permanente Anstellung –, deren Ansatz und Interessen jenseits und außerhalb einer spezifischen Institution liegen, nicht sofort einhellig angenommen wurde. Vgl. Paul O’Neill: The Co-dependant Curator. In: Art Monthly, 291 (2005). Verfügbar unter: www.artmonthly.co.uk/magazine/site/article/the-co-dependent-curator-by-paul-oneill-november-2005 [Zugriff: 26.09.2016].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

gerfristigen Recherchen zu Künstlerinnen, inspiriert worden zu sein. Wie die Kuratorinnen feststellten, trieb sie ihre vorherige institutionelle Erfahrung an, alternative Ausstellungs- und Kurationsmodi zu reflektieren. PRAXES‹ erster Standort in Berlin war als temporäres Projekt geplant. Die Kuratorinnen sahen einen Zwischenraum in der Institutionslandschaft Berlins: den einer mittelgroßen Institution mit einem neuen Programmzugang. PRAXES wollte sich in dieser Nische dauerhaft etablieren.217 Die Einladung zur Bergen Assembly erlaubte einen Kompromiss. Eine – befristete – aber institutionell eingebettete Position bot einen Rahmen, mit einem institutionellen Sicherheitsnetz im Hintergrund, in einem neuen Kontext zyklische, langfristige Praxis zu erproben. Doch: Inwiefern kann ein solcher kuratorischer Ansatz an andere Orte transportiert werden? Welche Rolle spielt das lokale Publikum? Der zyklische Ansatz mit verschiedenen Ausstellungsetappen, über die sich das Werk einer Künstlerin entfaltet, forderte Besucherinnen auf, regelmäßig wiederzukommen. Dafür brauchte es einen festen Standort, der am besten zentral gelegen ist, argumentierten Dall und Siegel bezüglich der Lage ihres Berliner Raumes in Kreuzberg.218 Das trifft auf die zweite Episode von PRAXES bei der Bergen Assembly nicht zu. Hier wechselten Dall und Siegel mit ihren Veranstaltungen jedes Mal den Ort und es gab weder einen regelmäßigen Ablauf- noch Zeitplan. Insofern könnte PRAXES mit dieser Neuauflage ihrer Programmstrategie ein Vorbild sein für andere Gruppierungen, Kollektive und Kuratorinnen, dem kurzlebigen Projektraumkreislauf zu entkommen. Genauso denkbar ist es, dass es sich um eine aktualisierte Spielart prekärer Arbeitsbedingungen im Kunstbereich gehandelt hat. PRAXES ließ nicht nur seine Kuratorinnen, sondern das Gesamtkonzept dorthin wandern, wo es fortgesetzt werden konnte. Die hier aufgezeigte Ambivalenz scheint mir symptomatisch für die aktuelle Lage von independent spaces und den mit ihnen assoziierten Akteuren.

4.4.3.

The Showroom, London

The Showroom ist das zweite Vergleichsbeispiel dieses Kapitels. Er befindet sich seit 2009 in Marlyebone, einem durchmischten und belebten Stadtteil im Nordwesten Londons. Der Projektraum erhält ein fixed-term funding des Arts Council of England, also einen langfristigen festen Zuschuss und verfügt somit über eine teilgesicherte Finanzierung. Gleichzeitig muss er als »registered charity« sein gesamtes Einkommen hauptsächlich selbst aufbringen. The Showroom bietet Unternehmen und individuellen Sponsoren die Möglichkeit mittels verschiedener Modi, seine Aktivitäten zu för-

217

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Hier kam Siegel und Dall zu Gute, wie sie nicht müde werden zu betonen, dass sie nicht darauf angewiesen waren, mit PRAXES ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Beide waren als PhD Fellows fest an der Universität Kopenhagen angestellt und hatten die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung direkt in das Programm, die Infrastruktur und in die Künstlerinnen zu investieren, was in der Öffentlichkeit als größeres Maß an Professionalität wahrgenommen wurde. PRAXES präsentierte sich weniger im Stil eines selbstorganisierten, ehrenamtlichen Projektraums, sondern als durchweg inszenierter und kuratierter Raum, der teilweise galerieähnliche Züge aufwies. Vgl. Lovric (2013).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

dern. Die Website listet alle Förder auf. Darüber hinaus vermietet The Showroom seine Räumlichkeiten und generiert so zusätzliches Einkommen.219 London besitzt eine vielfältige Kunstszene, die von den global players wie der Tate und der Royal Academy dominiert wird. Daneben sind die Serpentine Gallery, das Victoria & Albert Museum und die Whitechapel Gallery bekannt, ergänzt durch unabhängige und alternative Kunsträume. 1983 gegründet, zählt The Showroom mittlerweile zu den festen Größen des Londoner Kunstfeldes. In seiner Selbstbeschreibung bezeichnet er sich als contemporary art space oder als gallery, was auf die nicht-Muttersprachlerin zunächst irritierend wirken kann: Gallery steht nicht nur für das deutsche ›Galerie‹, sondern wird im englischsprachigen Gebiet auch für ›Ausstellungsraum‹ verwendet.

4.4.3.1.

Struktur und Lage

The Showroom weist eine ausgeprägte institutionelle Organisation auf. Emily Pethick leitet den Raum, nachdem sie 2008 von Casco zu The Showroom wechselte. Neben der Direktorin gibt es eine stellvertretende Direktorenstelle, einen Gallery Manager, Collaborative Projects Curator, Assistentinnen, Praktikantinnen sowie ein Board of Trustees und Beraterinnen in den Bereichen Finanzen, PR und Personal. Damit unterscheidet sich The Showroom deutlich von jenen independent spaces, die kollektiv und nicht-hierarchisch geführt werden. Die feste Organisationsstruktur verweist darauf, dass The Showroom eine etablierte Organisation ist, was auch seine 30-jährige Geschichte bestätigt. Der non-profit Projektraum agiert in vielfältigen lokalen und internationalen Netzwerken wie How to work together, Common Practice oder gemeinsam mit dem bereits vorgestellten Utrechter Casco in Cluster und COHAB. Mit diesen like-mindeded organisations teilen sie Interessen, Vorstellungen und Ziele, arbeiten zusammen an informellen Strukturen, die gemeinsame Projekte fördern, die Position kleiner und mittelgroßer Kunsträume stärken und die Arbeitsbedingungen in diesen Ausstellungsorten kontinuierlich reflektieren. Als Vergleichsbeispiel bietet The Showroom wegen seines inhaltlichen Fokus’ auf Gemeinschaftlichkeit, der bedeutenden Rolle von Projekten sowie der engen Einbindung in die Nachbarschaft fruchtbare Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie.

4.4.3.2.

Community work: Gemeinschaftlichkeit als Programmschwerpunkt

The Showroom zeigt pro Jahr vier Ausstellungen, die um Einzelveranstaltungen ergänzt werden. Mit diesem Rhythmus sollen den Künstlerinnen ausreichend zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen, um in den Arbeiten einen Ortsbezug herzustellen und so eine Verbindung zu The Showroom und seinem Publikum aktivieren. Zwei Programmschienen heben sich deutlich ab. Zum einen gibt The Showroom kollaborative und prozessorientierte Projekte in Auftrag. Am Ende kann ein Objekt, aber auch eine Ausstellung, Event, Diskussionen, Publikationen oder ein neu etabliertes Netzwerk stehen. In vielen Fällen organisiert The Showroom die ersten großen Projekte der jeweiligen Künstlerin. 219

Vgl. die Beschreibung der finanziellen Situation auf der Website, The Showroom (2019): Support. Homepage von The Showroom. Verfügbar unter: https://www.theshowroom.org/support [Zugriff: 21.01.2019).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Zum anderen hat The Showroom die Programmsparte Communal Knowledge initiiert. Darin finden Workshops mit dem lokalen Publikum statt. Hierbei kann mit Künstlerinnen kooperiert werden. Im folgenden Abschnitt stelle ich exemplarisch ein Projekt von Communal knowledge vor. Collaborative Projects Kuratorin Louise Shelley verantwortet die seit 2010 bestehende Projektreihe Communal knowledge. Shelley lädt Kulturschaffende ein, mit Gemeindegruppen, Organisationen, Schulen und Einzelpersonen aus der Nachbarschaft zu arbeiten. Die Bewohnerinnen der Gegend stammen unter anderem aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens und Afrikas. Thematisch reagieren die kollaborativen Projekte auf lokale, soziale und politische Dringlichkeiten. Zentral ist die Suche nach Wegen, um in diesem heterogenen Umfeld etablierte Normen, Werte, Codes, Rollen und Beziehungen zu überdenken und zu ›verlernen‹.220 The Showroom versucht auf spielerische und experimentelle Art einen alternativen Wissensschatz zu produzieren, zu dem sich alle Beteiligten in Beziehung setzen können. Das Wissen wird nicht aufoktroyiert, sondern soll gemeinsam hervorgebracht werden. Kulturschaffende leiten mit künstlerischen Methoden dazu an, internalisierte Vorstellungen aufzugeben und Raum für Alternativen zu öffnen. Die einzelnen Projekte setzten sich aus Workshops zusammen mit Diskussionen und Aktivitäten, die gemeinschaftsstärkend wirken. Die Projekte können – aber müssen nicht – zu einer Ausstellung führen; teilweise setzen sich die Kollaborationen auch off-site fort. Die Beteiligten reflektieren das Programm in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, die sich mit den Arbeitsnormen von kollaborativer und gemeinschaftlicher Praxis auseinandersetzen. So fragte The Showroom 2014 in einer Podiumsdiskussion Communal knowledge: Is this working?, wie eine solche Arbeitsweise gewertschätzt werden kann und ob sie sich nachhaltig auf die Nachbarschaft auswirkt. Die Formate verändern sich durch diskursive Feedbackschlaufen, die in die Folgeprojekte einfließen. Im Einklang mit institutionskritischen Strategien reflektiert The Showroom, ob seine Formate funktionieren und passt sie gegebenenfalls an. Ein Projekt der Künstlerin Andrea Francke illustriert diese Praxis. Sie macht es sich in Invisible Spaces of parenthood: A collection of pragmatic propositions for a better future zur Aufgabe, neue Modelle der Kinderbetreuung gemeinsam mit lokalen Kindergärten, Babysittern, Tagesmüttern und Elterngruppen zu diskutieren. Francke regte Veranstaltungen wie Survival Strategies an, ein informelles Gruppentreffen für Kulturschaffende, um sich über Probleme in ihrem Arbeitsleben hinsichtlich Erziehung und Elternschaft, aber auch darüber hinaus auszutauschen. Zudem entwickelte sie eine Ausstellung mit Werkstatt, in denen das Publikum DIY-Designs für Möbel und verschiedene Spielformen testen konnte. Zum Abschluss des Communal knowledge Projekts veröffentlichte die Künstlerin ein Handbuch, das die Ausstellung dokumentierte und Interviews sowie Eventexzerpte enthielt. Communal knowledge bewegt sich – wie in einem neuen Promotionsvideo herausgestellt wird221 – am Kreuzungspunkt zwischen Kunstraum, Gemeindezentrum und 220 Übersetzung des englischen Ausdrucks ›unlearn‹. Vgl. The Showroom (2017): Communal knowledge. Homepage von The Showroom. Verfügbar unter: https://www.theshowroom.org/programmes/communal-knowledge [Zugriff: 22.03.2017]. 221 Der Kurzfilm von Lawrence Barraclough für Up Close Films, produziert von Media Trust und gefördert von John Lyons Charity, beschreibt The Showroom und lässt Collaborative Projects Kura-

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Nachbarschaftsprogramm. Es eröffnet die Frage, ob und wie sich Grenzen zwischen diesen Organisationsformen ziehen lassen, und wie die Themen Familie, Zusammenleben oder Gemeinschaft mit Mitteln der Kunst bearbeitet werden können. The Showroom versucht mit diesem Format eine zentrale Sorge institutionskritischer Künstlerinnen auszuhebeln, nämlich: wer spricht für wen? Wer darf im Kunstkontext zu Wort kommen und wie repräsentiert? The Showroom tritt mit seiner institutionellen Stimme in den Hintergrund und schafft Platz für eine gemeinschaftliche Stimme, die sich aus der gemeinsamen Projektarbeit von Künstlerinnen und Teilnehmerinnen erhebt. Ganz ohne Repräsentantin kommen die Projekte jedoch nicht aus: Die jeweilige Künstlerin steht beispielsweise namentlich im Ausstellungstitel und auf der Homepage im Vordergrund; die beteiligte Gemeinschaft hingegen verbleibt anonym. The Showroom bevorzugt »pedagogic and alter academic forms«222 wie Workshops, Seminare und Projekte. Sie sind, im Gegensatz zu dem in Museen häufig dominierenden Medium der Ausstellung, auf diskursiven Austausch ausgerichtet und generieren neues Wissen. Die Formate entstehen aus dem Wunsch, innerhalb von Organisationen polyperspektivische und antihegemoniale Arbeitsweisen zu etablieren.223 Dies aus der Überzeugung, dass Ausstellungen dazu neigen, vorgefertigte Sichtweisen und Narrative zu präsentieren, denen eine klare top-down Wissensvermittlung innewohnt. Projekte und Workshops hingegen lösen die Teilnehmenden aus dem passiven Konsummodus und erheben sie zu Mitagenten. Der Aufbau von Gemeinschaft, Beziehungen und Verbindungen reduziert die Macht der institutionellen Stimme. Die Akteure teilen die Verantwortung für den institutionellen Handlungs- und Sprechraum, beziehen kollektive Ansichten mit ein. Somit lösen sie eine der zentralen Forderungen der Institutionskritik ein.

4.4.4.

Zwischenfazit

In diesem Kapitel standen drei Organisationen und Projekträume im Mittelpunkt, mit denen ein Spektrum auf institutionskritische Fragen eröffnet werden sollte. Unabhängige Ausstellungsräume helfen, die Kunstwelt zu dezentralisieren. Gleichzeitig stehen independent spaces vor dem Problem der Sichtbarkeit – diese wird vielfach mit einem

torin Louise Shelley sowie Bewohnerinnen der näheren Umgebung zu dem Aspekt der community work zu Wort kommen. Es handelt sich hierbei nicht um ein reflexiv-kritisches Video, sondern um ein Mittel der Selbstpräsentation, kann aber als Quelle für die Absichten genutzt werden, die hinter diesem Programmteil stehen. Verfügbar ist das Video in der Online-Bibliothek auf der Homepage von The Showroom, vgl. The Showroom (2016): New film looking at The Showroom’s local work. Homepage von The Showroom. Verfügbar unter: www.theshowroom.org/library/the-showroom-2016-a-new-film [Zugriff: 23.03.2017]. 222 Lütticken (2015b), S. 6. Marion von Osten schließt daran an und erkennt hier den Trend der »project exhibition«.Vgl. Marion von Osten: Editorial – »In Search of the Post-capitalist Self«. In: eflux journal, 7 (2010). Verfügbar unter: www.e-flux.com/journal/17/67350/editorial-in-search-ofthe-postcapitalist-self/[Zugriff: 23.03.2017]223 Vgl. Lynn Marie Wray (2016): Turning Left. Counter-hegemonic Exhibition-making in the Post-socialist Era (1989-2014). Dissertation, Liverpool John Moores University, S. 42.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

höheren Institutionalisierungsgrad assoziiert.224 Iwona Blaz-wick, selbst Direktorin eines Museums in London, formulierte diese Herausforderung: »We must ask ourselves, can we create structures that are both robust and transparent? Can we combine continuity – so necessary to rebuild relationships with audiences, other institutions, artists – with the flexibility to embrace new modes of artistic production and reception?«225 Die vorgestellten Räume beantworten diese Frage mit den in diesem Kapitel vorgestellten Strategien: • • • •

Enge Zusammenarbeit mit Künstlerinnen, Einbindung der direkten Umgebung und Entwurf einer neuen Vorstellung vom Publikum sowie Reflexion der Produktionszwänge und -logiken des Kunstfeldes.

Zudem blicke ich zusammenfassend auf die jeweiligen Organisationsstrukturen und benenne gemeinsame Themen. Zunächst ist ein grundlegender Unterschied zwischen den Räumen festzuhalten: PRAXES zeichnet sich durch ein kuratorisch geleitetes Programm aus. Die Kuratorinnen Dall und Siegel stellen die kuratorische Aufgabe eines independent spaces stärker ins Zentrum. Sie unterstützen die Künstlerin bei der Umsetzung ihrer Arbeit und Vision. Bei PRAXES verschränken sich künstlerische und kuratorische Praktiken bis hin zur Ununterscheidbarkeit. Casco und The Showroom konzentrieren sich hingegen auf gemeinschaftliche Praktiken, bei denen die kuratorische Haltung hinter den Themen zurückweicht. Die beiden Räume laden Kunstschaffende ein, Projekte zu leiten und gemeinsam mit Besucherinnen – oder, wie bei Casco, auch mit dem Team des Kunstraumes – umzusetzen. Die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen gilt auch unter den independent spaces, wie schon bei den Beispielen ohne Sammlung, als zentrale Methode, um institutionelle Deutungsmacht und Autorität umzuverteilen. Die Räume setzen voraus, dass Künstlerinnen eine neue Perspektive auf altbekannte Strukturen mitbringen und das Publikum stärker in den Arbeitsprozess einbinden können als in einem Ausstellungsbesuch. Kunstschaffende nehmen eine geteilte Rolle ein: Sie verantworten die Projekte, gleichzeitig vermitteln sie die Inhalte und erarbeiten gemeinsam mit den Beteiligten die Ergebnisse. Die Räume stellen in vielen Fällen die Infrastruktur und präsentieren sich als Gemeinschaftszentrum; als Ort an dem Menschen zusammenkommen. Damit einher 224 Dieser höhere Institutionalisierungsgrad qualifiziert die Räume und Organisationen oft für öffentliche Fördermittel. In den USA regte beispielsweise das National Endowment for the Arts ebensolche Prozesse in independent spaces an. Die sich entwickelnden Räume ähnelten nicht selten Mini-Museen und die Absicht von Förderstellen und Geförderten, das Kunstfeld zu vervielfältigen, führte lediglich zu einer erweiterten Nuancierung aber nicht zu einer umfassenden Dezentralisierung. 225 Iwona Blazwick (2006): Temple/White Cube/Laboratory. In: Paula Marincola (Hg.), What Makes a Great Exhibition? Chicago: University of Chicago Press, S. 118-133. Hier zitiert nach Beryl Graham und Sarah Cook (2010): Contexts, Practices, and Processes – In and out of institutions. In: Dies. (Hg.), Rethinking Curating. Art After New Media. Cambridge (Massachussetts): MIT Press, S. 148.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

geht der Entwurf eines aktiven Publikums: Es bringt sich ein und arbeitet in den Formaten sowie Projekten des Raumes mit. Die Besucherinnen fühlen sich im besten Fall nicht nur mit ihren Interessen in den Programmen repräsentiert, sondern vertreten als aktive Teilnehmende ihre Ansichten. Ihre Stimmen werden sichtbar. Künstlerische Methoden verschränken sich mit strategischen Formen der Pädagogik: Die Beteiligten produzieren gemeinsam Wissen, die Vorstellung einer top-down Wissensvermittlung wird aufgelöst. Independent spaces organisieren gemeinschaftliche und künstlerische Praktiken, die sich an sozialen Problemstellungen des lokalen Umfelds orientieren und dorthin zurückwirken wollen. Die soziale Funktion der independent spaces gewinnt damit an Bedeutung. Ausgehend von der Kategorie der socially engaged art, schlage ich vor analog von socially engaged art organisations zu sprechen. Letztere sehe ich in der Tradition von Organisationen, die sich in den 1970ern ausbreiteten, in direkter Antwort auf die gesellschaftlichen Umbrüche, die 1968 unter anderem mit der Studierendenbewegung in Deutschland und der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt fanden. Im Zuge der Skepsis gegenüber Institutionen, so auch Kunstinstitutionen, und der anti-establishment Bewegung gründeten sich alternative Räume, die sich als antiinstitutionell und anti-kommerziell verstanden und stattdessen mit dem ortsansässigen Publikum deren spezifische soziale Probleme oder Anliegen in ihrer Umgebung bearbeiteten.226 Viele alternative Kunsträume versuchten sich konträr gegenüber den Vorgaben etablierter Kunstinstitutionen zu positionieren. Das bedeutet, dass man sich einerseits außerhalb der institutionellen Vorgaben bewegt und einen gewissen Handlungsfreiraum erarbeitet. Sich so aufzustellen, kann aber eine Selbstmarginalisierung nach sich ziehen.227 Hinsichtlich der Organisationsstruktur hebt sich PRAXES von Casco und The Showroom ab. PRAXES besteht primär aus den beiden Kuratorinnen und basiert auf dem unter independent spaces üblichen Modell der unbezahlten Eigeninitiative, unterstützt von Sponsorenbeiträgen. Einen gesicherten finanziellen Rahmen darüber hinaus gibt es nicht. Casco und The Showroom beschreiben sich als »sister organisations«228 mit gleichen Interessen und ähnlichen Formaten. Sie sind in Netzwerken gemeinsam aktiv. Beide blicken auf ein Bestehen von über zwanzig Jahren zurück. Zudem weisen sie einen hohen Grad an Institutionalisierung auf, der sich an den formalisierten Strukturen mit einem Board of Trustees erkennen lässt. Andererseits entspricht ihre institutio-

226 Vgl. Melissa Rachleff (2010): Do It Yourself: Histories of Alternatives. In: Lauren Rosati und Mary Anne Staniszewski (Hg.), Alternative Histories: New York Art Spaces 1960 to 2010. Cambridge (Massacussetts)/London (England): MIT Press, S. 26. Der Band setzt sich zwar explizit mit der Entwicklung alternativer Räume in New York auseinander; dennoch sind grundlegende Aussagen bezüglich Ausrichtung und Intention dieser Räumlichkeiten auf andere lokale Kontexte übertragbar und besitzen eine gewisse Allgemeingültigkeit. Vgl. auch: Julie Ault und The Drawing Center, New York (Hg.) (2002): Alternative Art, New York, 1965-1985: A Cultural Politics Book for the Social Text Collective. Minneapolis: University of Minnesota Press, S. 5. 227 Vgl. hierzu Lauren Rosati (2010): In Other Words: Alternative Space as Extra-Institution. In: Dies. und und Mary Anne Staniszewski (Hg.), Alernative Histories: New York Art Spaces 1960 to 2010. Cambridge (Massachussetts)/London: MIT Press, S. 41. 228 Brennan (2015).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

nelle Struktur nicht den üblichen Modellen von größeren Museen, denn die Positionsbezeichnungen und Aufgabenbereichen grenzen sich deutlich davon ab und verweisen auf neue Aufgabenbereiche. Dazu gehören Production, Infrastructure and Community im Falle von Casco und die Kuratorinnenstellen für Collaborative Projects bei The Showroom. Fragen zu den Funktionsweisen des Kunstfeldes und der Organisation von Projekträumen werden in den Räumen regelmäßig bearbeitet. Somit lässt sich eine einheitliche inhaltliche Linie über die verschiedenen Kategorien von Kunsträumen nachvollziehen. Wichtigster Anknüpfungspunkt ist das temporale Regime der Ausstellungslandschaft: Wie wollen die Räume mit dem im Kunstfeld omnipräsenten Produktionszwang umgehen? Was heißt es, busy zu sein und warum wird es als erstrebenswerter Zustand angesehen? Die Antworten wirken sich praktisch darauf aus, wie viel output, wie viele Ausstellungen, Veranstaltungen und Projekte organisiert werden. Der Rhythmus der öffentlichen Aktivitäten wiederum bestimmt, wie sichtbar und als wie ›produktiv‹ der Kunstraum wahrgenommen wird. Mit diesen Entscheidungen stellen die Räume Weichen für zukünftige Finanzierungsoptionen und ihre Aussichten, sich dauerhaft im institutionellen Feld zu etablieren. Hierbei ist zusätzlich zu unterscheiden zwischen einerseits Räumen, die ehrenamtliche Mitarbeiterinnen haben, und andererseits stärker strukturell aufgestellten Räumen wie Casco oder The Showroom. Akteure in prekär mischfinanzierten Organisationen und Kollektiven sind in höherem Maße den Konsequenzen ihrer Entscheidungen für oder gegen bestimmte Arbeitsbedingungen, für oder gegen Mainstream-Institutionsrhythmen ausgesetzt als jene Räume, die über eine dauerhafte Finanzierung verfügen. Die untersuchten Räume vereint zudem ihr Interesse für alternative Produktionslogiken und -tempi. Sie wollen selbstbestimmt entscheiden, wann, in welchem Format und über welche Dauer sie ihr Programm entwickeln. Bei Casco und The Showroom wird dies über Projektarbeit realisiert, also kollaboratives Arbeiten über einen festgelegten Zeitraum, zu nicht wiederholbaren Bedingungen. Ein Projekt erfordert eine eigene Organisations- und Infrastruktur. Gleichzeitig werden »DIY-Arbeitspraktiken«229 angewendet, bei denen Künstlerinnen oder andere Kulturproduzentinnen – im Gegensatz zu professionellen Kuratorinnen – Projekte mit oder ohne Ausstellung realisieren. PRAXES hat für sich ein Ausstellungs- und Kurationsmodell entwickelt, das während ihrer Berliner Zeit an die sakral anmutende Ästhetik des White Cube erinnerte: Zyklische Formate mit Projektcharakter, aber von vornherein auf eine bestimmte Dauer an- und festgelegt. PRAXES konzeptionierte sich als zeitbasiert und temporär. Damit öffneten Dall und Siegel den Raum als Forum zum Experimentieren, als Vehikel für neue künstlerische Praktiken oder als Ort für Projekte, die in anderen Kunsthäusern keinen Platz gefunden haben. Durch diesen gelebten Interventionscharakter ihrer Organisation wurde verhindert, dass sie zu einem der festgefahrenen, rigiden Ausstellungshäusern wurden, die sie kritisieren wollten.230 Independent spaces wie PRAXES umgehen die oben von Iwona Blazwick zitierte Frage, indem sie ihr ausweichen – sie ähneln damit pop-up Räumen und können dort auftauchen, wo sie etwas zu der aktuellen Institutions- und Ausstellungslandschaft beizutragen haben. Rosati bezeichnet 229 Wray (2016), S. 48. 230 Vgl. auch Rosati (2010), S. 42f.

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diese Art von Kunstraum als »non-sites«231 : volatile, teilweise virtuelle oder nomadische Unterfangen. Ein wiederkehrendes Thema in allen untersuchten Räumen sind auch Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Räume analysieren Formen der Zusammenarbeit und Lernprozesse. PRAXES, Casco und The Showroom favorisieren langfristige Projekte, die zu einer stärkeren Identifizierung des Publikums mit dem Projektraum führen sollen. Bei allen Kunsträumen finden sich daneben eine hohe Anzahl wechselnder Veranstaltungen und temporärer Events. Diese ermöglichen es, flexibel und zeitnah auf beispielsweise gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren, fordern aber ähnlich intensive organisatorische und zeitliche Ressourcen wie länger andauernde Projekte. Hier offenbart sich eine Herausforderung der independent spaces: Sie müssen zwischen dem Wunsch, zeitnah und flexibel zu agieren, und ihrer Suche nach alternativen institutionellen Rhythmen, vermitteln. Damit laufen sie Gefahr, dass ihnen – durch Zuschüsse und Förderungsregelungen auferlegt – externe Ablauf- und Zeitpläne oktroyiert werden.232 Die vorgestellten Räume arbeiten in relativer Unabhängigkeit von den Zwängen größerer Institutionen oder den Erwartungen des Publikums. Sie schaffen Raum für experimentelle, kritische und zum Teil unerwartete Arbeitsweisen.233 Casco, PRAXES und The Showroom streben nicht danach, Mainstream-Häuser abzulösen. Stattdessen bieten sie unterschiedliche Ansätze, mit Kunst und Künstlerinnen zu kollaborieren, sich nicht-hierarchisch zu organisieren und neue Formate auszuprobieren. Auf diese Weise treten sie in einen dauerhaften Dialog mit ihrer Umgebung und den dort vorgefundenen Bedingungen. Alle drei haben in den letzten Jahren ihren Standort gewechselt und waren gefordert, einen neuen Publikumsstamm aufzubauen und das bisherige räumliche Konzept zu überdenken. Die Räume zeigen Werke und bieten Platz für Projekte, die von einem größeren Publikum eventuell nicht so leicht angenommen werden. Sie ergänzen dadurch die Institutionslandschaft und bilden eine Gegenkraft zu etablierten Institutionen. Auch wenn die untersuchten Räume nicht die gleiche Präsenz im Feld haben wie große Museen, so arbeiten sie doch in der Hoffnung, dass ihr kritisches Potenzial als Kraftfeld auf andere große Häuser auszustrahlen vermag.234

4.5.

Post-Institutionen

In diesem Kapitel stelle ich den letzten Typ vor, den ich als Post-Institution bezeichne. Ausgehend von der Frage, was eine Institution heute sein kann, setzen sich diese Akteure über bisher traditionell mit Institutionen assoziierte Formate hinweg. Sie schlagen 231 Ebd. 232 Jakub Szeder bezeichnet dies als eine der Hauptgefahren, denen Projekträume ausgesetzt sind. Genaueres hierzu in Jakub Szeder (2014): Politicising ›independent‹ curatorial practice under neoliberalism: critical responses to the structural pressures of project-making. Dissertation, Loughborough University. Loughborough, S. 58. 233 Vgl. Alex Farquharson: Institutional Mores. In: OnCurating, 21 (2013), S. 56. 234 Vgl. Farhquharson (2013), S. 56.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

neue Parameter für institutionelles Handeln vor, das sich wieder dem Begriffsursprung von Kuratieren annähert. Zugrunde liegt das lateinische curare, was als ›sich sorgen, sich kümmern‹ übersetzt werden kann. Die beispielsweise von dem Hauptfall Inverse Institution realisierte Form der Institutionalität sorgt sich um das Wohl aller Beteiligten und beachtet ihre Bedürfnisse. Die Fallbeispiele verkörpern Praktiken, mit denen die Grenzziehung zwischen verschiedenen künstlerischen und kuratorischen Praktiken überwunden wird. Sie lassen die Unterscheidung zwischen Kunst und ihren Institutionen hinter sich.235 Die vorgestellten Beispiele operieren als relationale Gefüge, die nach neuen Wegen suchen, Wissen und Kultur zu produzieren. Die Organisationsformen variieren dabei von Gruppenpraxis über Forschungsprojekte hin zu Netzwerken. Die ausgesuchten Fälle decken dieses Spektrum ab. Ihnen ist gemein, dass sie nicht örtlich festgelegt sind. Sie alle nutzen das Internet als wichtiges Medium des Austausches und der Kommunikation. Im Fokus dieses Kapitels steht das Kollektiv Inverse Institution. Als Vergleichsbeispiele ziehe ich zwei weitere Organisationsformen heran: das europäische Museumsbündnis L’Internationale und das temporäre Projekt Para-Institution (im Zuge einer Kuratorinnenresidenz in Galway, Irland).

4.5.1.

Inverse Institution, Berlin

Bei Inverse Institution handelt es sich um ein fortlaufendes Projekt, das ein vierköpfiges Berliner Kollektiv verantwortet. Seit 2011 experimentieren sie mit kollektiven und gemeinsamen künstlerischen Praktiken. Das Kollektiv besteht aus Janine Eisenächer, Sönke Hallmann, Jo Zahn und Inga Zimprich, die alle einen künstlerisch-praktischen Hintergrund haben. In ihrer eigenen Kunstpraxis setzen sie sich alle unabhängig von Inverse Institution mit institutionskritischen Themen auseinander.236 Inverse Institution verfolgt das Ziel, zu hinterfragen, was Institutionalität im zeitgenössischen Kunstfeld bedeutet. Bis 2015 war das Kollektiv als Programmgruppe des Kunstvereins Flutgraben e.V. tätig. Dort betrieb die Gruppe einen Projektraum, bot Residenzen und Studios an und lud ein, einen Ausstellungsraum zu bespielen. Innerhalb dieser Arbeit setzte das Kol-

235 Vgl. Binna Choi und Marion von Osten (2014): Trans-Local, Post-Disciplinary Organizational Practice: A Conversation Between Binna Choi and Marion von Osten. In: Binna Choi, Maria Lind et al. (Hg.), Cluster: Dialectionary. Berlin: Sternberg Press, S. 274 und 283. 236 In dieser Zusammensetzung arbeitet die Gruppe seit 2014. Zu den vorherigen Mitgliedern zählten Lydia Hamann, Kaj Osteroth, Ulrike Jordan und Naomi Henning. Janine Eisenächer ist Theaterund Literaturwissenschaftlerin, die aktiv als Performancekünstlerin arbeitet und dabei kollektive Prozesse sowie deren Funktionsweise untersucht. Sönke Hallmann und Inga Zimprich bilden zusammen die Faculty of Invisibility, die sich in ihren Projekten mit Versammlungsmodi, Sprechendenpositionen und Akten des Sprechens beschäftigen. 2010 führten sie ein Gastkurationsprojekt an der Shedhalle durch. Jo Zahn befasst sich mit kollektivem Filmemachen und hat sich von der künstlerischen zur kuratorischen Seite hin entwickelt, auf der er sich fragt, was eine Institution ist und welche Rolle Selbstinstitutionalisierung einnehmen kann. Vgl. Gespräch mit Inverse Institution am 04.11.2015 in Berlin.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

lektiv den Programmstrang Inverse Institution in verschiedenen Formaten um. Leitend war ihr Motto »Aus Institutionskritik eine Gruppenpraxis machen«.237 Inverse Institution eignet sich als Hauptfall für die vorliegende Studie, da sich ihr gesamtes Interesse auf Institutionskritik richtet. Die beteiligten Akteure sind von dieser Kritik – als historisch-künstlerische Bewegung – nachhaltig beeinflusst. Das Projekt unternimmt den Versuch, institutionskritische Strategien zu rekapitulieren und zu aktualisieren. Damit besetzt es eine Nische in der vielfältigen Berliner Kunstszene und ermöglicht einen Einblick, wie raumunabhängige institutionskritische Praxis heutzutage aussehen kann. Zunächst blicke ich retrospektiv auf die Arbeit der Gruppe am Flutgraben. Dann stelle ich vor, wie sie die Zeit nach ihrer Tätigkeit als Programmverantwortliche am Flutgraben genutzt haben, um ihre bisherigen Tätigkeiten zu rekapitulieren und beschreibe, wie sich Inverse Institution seit 2017 als unabhängiger Projektraum neu ausrichtet.

4.5.1.1.

Inverse Institution am Flutgraben

Der Flutgraben e. V. ist ein in Berlin ansässiger, selbstorganisierter und gemeinnütziger Kunstverein. Der Verein gründete sich 1997 als »Kunstfabrik am Flutgraben«, dem Namen der Straße entsprechend, an welcher der Verein seinen Sitz hat. Der Flutgraben ist ein kleiner Nebenarm der Spree im Osten Berlins. Im Vereinsgebäude stehen etwa 50 Ateliers bereit, in denen regelmäßig internationale Künstlerinnen aus verschiedenen Disziplinen arbeiten. Daneben gibt es einen Projekt- und einen Multifunktionsraum, der von den residierenden Künstlerinnen oder Externen gemietet werden kann. Im Rahmen ihrer Programmarbeit als Inverse Institution von 2011 bis 2015 nutzte das Kollektiv am Flutgraben diverse Formate, darunter Performances, Workshops, Screenings, Archivprojekte, Publikationen und Diskussionen. Man lud Künstlerinnen, andere Kollektive und Gruppen ein, um kontinuierlich an und mit dem Verein Flutgraben zu arbeiten. Zu den zentralen Fragen, die Inverse Institution thematisierte, gehörten:238 •

• • •

»Wie können wir nachhaltige, kollektiv organisierte Strukturen aufbauen, die finanziell aussorgen, aber nicht der traditionellen Produktionslogik und dem -druck, die dem Kunstsystem innewohnen, erliegen? Wie kann man das Paradoxon navigieren, eine flexible, nicht hierarchische Institution zu führen? Wie wollen wir uns organisieren und wen wollen wir erreichen? Was sind die Implikationen von langfristiger Zusammenarbeit?«

237 Inverse Institution (2015): Inverse Institution (Statement 2015). Aus Institutionskritik eine Gruppenpraxis machen. Homepage von Inverse Institution. Verfügbar unter: www.inverse-institution.org [Zugriff: 24.03.2017]. 238 Die Fragen sind dem Inverse Institution (Statement 2015) Aus Institutionskritik eine Gruppenpraxis machen auf der Homepage des Kollektivs entnommen, vgl. Inverse Institution (2015).

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Inverse Institution befasste sich auf verschiedene Weisen mit den oben genannten Fragen, geeint unter dem Ziel, zu einem transformierten Verständnis von institutioneller Praxis zu gelangen. Inverse Institution konzentrierte sich auf nicht-repräsentative Formate, die sich auf die Erfahrungen der Mitglieder in kollektiver Praxis stützen. Die Gruppe beschreibt ihre Tätigkeit am Flutgraben als experimentellen Rahmen, um auszuprobieren, was ein institutioneller Raum sein kann. In ihrer Selbstbeschreibung tritt der Einfluss der Institutionskritik deutlich zutage: Sie wollen sich von der Vorstellung einer normierenden Institution verabschieden, ihre Bedürfnisse als Künstlerinnen, Kuratorinnen und Teil der Institution einbringen und ihre Arbeitsbedingungen reflektieren. Die Gruppe verfolgt auch das Ziel, einen größeren Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Akteuren in der Berliner Kunstlandschaft zu erreichen. Solidarität und Kollektivität ziehen sich als zwei Schlagwörter kontinuierlich durch ihre Texte und Formate. Allen Aktivitäten innerhalb von Inverse Institution unterliegt der Glaube, dass Institutionen wandelbar sind und dieser Wandel durch kontinuierliches Engagement und Auseinandersetzung angeregt wird. Ich möchte auf drei ausgewählte Projekte eingehen, um darzulegen, wie Inverse Institution die oben aufgeführten Fragen bearbeitet. Ich stelle die Institutionsmeditation vor und gehe kurz auf zwei weitere Projekte (Institutional Weekend und Steinsuppe (stone soup)) ein. Anschließend beleuchte ich das Engagement von Inverse Institution in der Kunst und Stadtpolitik Berlins.   Die Institutionsmeditation ist eine introspektive Methode, die Inverse Institution entwickelt hat und auch selbst anwendet. Die geleitete Gruppenmediation dauert 45 Minuten, in denen den Teilnehmenden nacheinander acht Fragen gestellt werden, welche sie dazu anregen, über Institutionalität und ihre Wünsche an eine Institution nachzudenken. Die Meditation führt die teilnehmende Gruppe zurück zu ihrer ersten Begegnung mit einer Institution – es muss nicht zwangsläufig eine Kunstinstitution sein. Hinter der Institutionsmeditation steht die Idee, dass Institution verändert werden kann. Das Kollektiv hat die Fragen selbst generiert. Die Beteiligten können Gedanken schriftlich notieren. Durch die Fragen lassen sich naturalisierte Verhaltensmuster und verfestigte Vorstellungen erkennen. Die Meditation fungiert als Methode, um Handlungsmuster in der Gruppe zu visualisieren. Das Kollektiv öffnet mit der Meditation einen Raum, um mit den gesammelten Erkenntnissen alternative, neue und flexiblere Institutionsmodelle zu imaginieren. Mit der zusätzlichen sinnlichen Ebene kann ein Impuls geweckt werden, Veränderung umzusetzen oder zumindest danach zu streben. Für ihre eigene Gruppenarbeit nutzt das Kollektiv die Meditationsübung, um sich zu rekonfigurieren. Das heißt, es überdenkt seine eigenen Verständnisse von Institution und bearbeitet sie anhand der jeweils neuen Erlebnisse. Man kann diese Praktik als Kurskorrektur verstehen, die für Kollektive, Kunstvereine oder für das gesamte Team eines Museums adaptier- und anwendbar wären. Ein solcher Ansatz richtet sich auf das Innere einer Institution, um von dort aus Veränderungen anzutreiben. Damit ist eines der Hauptinteressen von Inverse Institution benannt: Sich auf die eigene Struktur, die eigenen Bedingungen und Wünsche zu besinnen, um die eigenen Handlungen bewusst danach auszurichten.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Neben der Meditation untersucht die Gruppe in diversen Formaten, wie sich Institutionalität zeigt. Dazu gehören Gruppendiskussionen beispielsweise zum Thema Partizipation, ein Metaworkshop zur Dominanz des Formats ›Workshop‹ und socially engaged Kunstprojekte wie von der niederländischen Künstlerin Maaike Iza Jaspers. Durch ein Stipendium kam sie an den Flugraben und begann dort darüber nachzudenken, welchen Einfluss die Umgebung auf ihr Schaffen hat, und wie sich das Verhältnis von Kunst zu sozialem Engagement gestaltet.239 Damit reflektierte sie ihre vorherige kollektive Praxis. Während ihrer Residenz entwickelte sie das Projekt Steinsuppe (stone soup): Sie konstruierte und baute einen Raum aus Holz und Baumwolle, in dem sie jeden Tag Suppe kochte und Besucherinnen einlud, diese zu essen und mit ihr zu sprechen. Die Konversationen drehten sich darum, wie es ist, alleine oder gemeinsam zu arbeiten und welche Bedeutung die jeweiligen Räumlichkeiten für künstlerische Prozesse haben. Einzelprojekte, die aus Inverse Institution hervorgingen, nehmen sich ebenfalls der Institutionskritik an. Inga Zimprich leitete 2016 ein Institutional Weekend: Der viertägige Workshop sollte bei den Teilnehmenden internalisierte Vorstellungen von Institutionalität offenlegen und mit ihnen neue institutionelle Modelle entwickeln. Inverse Institution legt Interesse an Kunst- und Stadtpolitik an den Tag. Die Gruppe verfolgt intensiv die kulturpolitischen Prozesse und Entscheidungen in Berlin. Inverse Institution befasst sich kritisch mit Förderinstrumenten wie dem Kunstraum-Preis und stellt infrage, inwiefern er einer produktiven Weiterentwicklung der unabhängigen Szene dient. So verfasste das Kollektiv 2013 einen Brief an die anderen Bewerberinnen und die Jurymitglieder des Projektraumpreises. Darin machten die Autorinnen ihrem Unmut darüber Luft, dass die Ausschreibung des Preises eine ihrer Ansicht nach unnötige Konkurrenz zwischen den Räumen evoziere und sie auf quantifizierbare Parameter reduziere.240 Stattdessen forderte die Gruppe Solidarität zwischen den Räumen und regte eine alternative Verteilung der Fördermittel an. Zweck dieser Umverteilung war, die vom Senat und der Stadt eigentlich angestrebte Diversität zu erhalten, ohne die Bewerberinnen dazu zu verführen, sich nur selbst im besten Licht darzustellen und auf Wirkung zielende Formate durchzuführen – immer mit dem Projektraumpreis im Blick. Inverse Institution fragte in seinem Brief nach Strategien, wie man den Projektraumpreis so umgestalten kann, dass er diese normative Doppelfunktion nicht mehr einnimmt: Der Preis solle zukünftig einzelne Räume positiv hervorheben, gleichzeitig aber die Räume untereinander nicht spalten und abwerten. Die These hinter der Intervention scheint die folgende zu sein: Förderprogramme und -systeme können implizit zur Programmkontrolle und Steuerung der unabhängigen und alternativen Kunstorte eingesetzt werden.

239 Vgl. Maaike Iza Jaspers (2015): ›Steinsuppe (stone soup)‹, 2015. Homepage von Maaike Iza Jaspers. Verfügbar unter: www.maaikejaspers.nl/Steinsuppe.html [Zugriff: 31.03.2017]. 240 Das Statement zum Projektraumpreis 2013 ist auf der Homepage einzusehen, vgl. Inverse Institution (2017b): Texts. Statement Projektraumpreis 2013. Homepage von Inverse Institution. Verfügbar unter www.inverse-institution.org [Zugriff: 24.03.2017].

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

Inverse Institution zeichnet sich dadurch aus, dass sie Selbstorganisation und Institutionskritik verbinden. Aufs Engste mit diesen Fragen verknüpft ist die Berliner Initiative Haben und Brauchen, die sich für die Bedürfnisse, Arbeitsbedingungen und Rechte von Kulturschaffenden in der Hauptstadt einsetzt. Am Flutgraben richtete Inverse Institution verschiedene Treffen der Initiative aus – die Mitglieder der Gruppe engagieren sich ebenfalls in Arbeitsgruppen und anderen Formen für das Bündnis.241 Indem sich die Kollektivmitglieder für Haben und Brauchen engagieren, führen sie eine institutionskritische Praxis auf städtischer Ebene fort.

4.5.1.2.

Neuausrichtung im unabhängigen Praxisraum

Ende 2015 gab Inverse Institution das Mandat als Programmgruppe von Flutgraben e.V. auf. Die widersprüchlichen Erwartungen an die Arbeit seien für sie nicht mehr vereinbar gewesen.242 In seiner Arbeit am Flutgraben stieß das Kollektiv bei der Umsetzung von Institutionskritik als situative Arbeits- und Gruppenpraxis an Grenzen. Das Kollektiv hatte erkannt, dass man paradoxerweise Entscheidungsgewalt benötigt, um eine hierarchiefreie Institution ohne Machtgefälle zu schaffen.243 Eines der Gruppenmitglieder äußerte sich: »[…] wir haben einfach das Format des Workshops, weil es ein anderes Sprechen ermöglicht. Wir haben ganz viele Workshops und dann haben wir uns mal getroffen und über dieses Workshop-Format gesprochen. Das Format in dem das wiederum stattfand, war wieder ein Workshop.«244 In der Auseinandersetzung mit sich selbst kann man einerseits utopische und alternative Handlungsmöglichkeiten imaginieren. Anderseits misst man sich durch eine selbstreferenzielle Praxis besondere Bedeutung zu – man fetischisiert die Beschäftigung mit sich selbst. Das Kunstfeld und seine Geldgeberinnen verlangen von Akteuren, produktiv zu sein im Sinne eines sicht- und messbaren Outputs wie Ausstellungen und Veranstaltungen. Das Kollektiv empfindet es als Missstand, nach außen unproduktiv zu scheinen, auch wenn es bewusst langsamer agiert.245 Um sich nicht als gescheitert zu fühlen, mussten also gewohnte Denkmuster abgelegt werden. Inverse Institution kämpft, in der Tradition institutionskritischer Künstlerinnen, gegen selbstverständliche institutionelle Forderungen an und gerät in der Folge in einen Zwiespalt: Sie muss sich an externen Erwartungen beispielsweise von Geldgeberinnen messen lassen aber auch ihre eigenen Ansprüche erfüllen, die mitunter das Gegenteil fordern. Die Mitglieder des Kollektivs befassen sich in Abgrenzung zu dieser ›produktiven‹ Arbeit und deren Zwängen mit ›reproduktiver Arbeit‹. Darunter fallen unsichtbare, erhaltende Aktivitäten. Zu diesen gehören laut Beschreibung »Aufräumen, Vorbereiten, Kontakte pflegen, recherchieren, Räumlichkeiten instand halten, Gäste empfan-

241 Inga Zimprich ist beispielweise Mitglieder der AG Arbeit, welche die prekären und exklusiven Arbeitsbedingungen in der Berliner Kunstszene beleuchtet. 242 Vgl. Gespräch mit Inverse Institution am 04.11.2015 in Berlin. 243 Vgl. Gespräch mit Inverse Institution am 04.11.2015 in Berlin. 244 Gespräch mit Inverse Institution am 04.11.2015 in Berlin. 245 Vgl. Gespräch mit Inverse Institution am 04.11.2015 in Berlin.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

gen, Werke verstauen und lagern.«246 Diese Praktiken seien laut Inverse Institution feminisiert worden.247 Ähnlich wie Casco will Inverse Institution die Bedeutung solcher Arbeiten heben und sie als sichtbare, gleichwertige Teile der Tätigkeiten im Kunstfeld postulieren. Damit stellen sie sich der Produktionslogik des Kunstfeldes entgegen: Diese Logik verlangt beständig neue Objekte und wechselnde Ausstellungen. Die Gruppe nutzte die Zeit nach dem Flutgraben, um ihre Arbeit zu rekapitulieren und aus den gesammelten Erfahrungen zu lernen. Anhand von Fotos reflektierte das Kollektiv vergangene Projekte und schrieb gemeinsam über seine Erfahrungen. Mithilfe der selbstentwickelten Methode der Meditationen und meditativen Fragebögen visualisierte Inverse Institution ihre zukünftige institutionskritische Praxis. In dieser Übung reflektierten sie, wie eine Institution aussähe, die ihren Bedürfnissen entspricht. Welche Bedürfnisse sind das und wie könnte eine institutionelle Form darauf antworten?   Seit August 2017 betreibt Inverse Institution einen unabhängigen Praxisraum – erneut am Flutgraben. Jedes Mitglied setzt seine Interessenschwerpunkte um. Aus dem Programmvorschlag für den Praxisraum geht hervor, dass die Formate direkt an die Fragen anschließen, die sich die Gruppe in der Meditationsübung selbst stellte. Das Programm führt somit die bisherige Arbeit von Inverse Institution fort. Zu den Formaten gehören unter anderem: •





Department of Reading/On Evidence: Online-Lese- und Schreibsitzungen zum Thema Institutionspolitiken. Eine Gruppe liest gemeinsam einen Text und diskutiert anschließend über die Funktionsweise von Institutionen. Die Frage, wen die Institution auf welche Weise normiert, leitet die Debatte. Wer schreibt? Wer spricht? Das Projekt untersucht in performativen Formaten die Selbstverständlichkeit, mit der sich hegemoniale Strukturen im Kunstfeld festschreiben. Augenmerk liegt auf körperlichen Manifestationen dieser Strukturen. Wie können sie performativ analysiert und aufgebrochen werden? Die Reihe Educate ourselves! thematisiert selbstorganisierte Bildung und will Strategien dafür liefern. Weitere Themenschwerpunkte sind Videoarbeiten aus den 1980ern sowie der Umgang mit historischen Ereignissen – kultureller, politischer oder gesellschaftlicher Natur.

Inverse Institution knüpft an institutionskritische Arbeiten an, die alternative Institutionsmodelle und eigene Museen entwickeln. Das Kollektiv setzt Utopien und »Traummodelle« ein, um sich einen Ausstellungsraum vorzustellen, der selbstorganisiert und emanzipiert auftritt. Das heterogene Programm ist als Beitrag zu diesem Ziel zu verstehen.

246 Eintrag Re-Produktion auf der Homepage von Inverse Institution, vgl. Inverse Institution (2017a): Re-Produktion. Homepage von Inverse Institution. Verfügbar unter: www.inverse-institution.org [Zugriff: 24.03.2017]. 247 Feminisierung der Arbeit meint hier eine Angleichung der Arbeitsverhältnisse an bisher für Frauen typische Beschäftigungsformen. Merkmale dafür sind Anstellungen auf Projektbasis, befristete Verträge, flexibilisierte Bedingungen und geringfügig bezahlte Stellen.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

4.5.1.3.

Institutionskritik als Gruppenpraxis

Inverse Institution beschreibt ihren Ansatz als »Institutionskritik als Gruppenpraxis.«248 Dieser Vorstellung möchte ich in dem folgenden Kapitel nachgehen und die Aussage im Kontext der Auslegung von Institutionskritik als Methode und Praxis der Kritik, nicht als Kunstströmung, analysieren.249 Ausgehend von der Arbeit als Kollektiv und dem Interesse für die Arbeitsweise selbstorganisierter Räume, versteht Inverse Institution Institutionskritik als gemeinschaftliche Praxis. Mit diesem Verständnis kontrastiert die Gruppe eine Auslegung von Institutionskritik, die in den ästhetisierten Formen des Kunstfeldes verbleibt und an deren Ende immer ein Werk steht, mit Einzelpersonen verbunden. Inverse Institution erkennt an dieser Fixierung auf das bekannte Narrativ, dass die Institutionskritik selbst kanonisiert und institutionalisiert worden ist. Kritik in dieser angepassten Form sei nur gewünscht, wenn sie nach den bekannten Regeln funktioniere, dem System und seinen Prinzipien verhaftet bleibe.250 Das Kollektiv strebt daher danach, institutionskritische Praxis ohne Werkcharakter zu betreiben: Institutionskritik ist kein Event, kein Objekt, sondern manifestiert sich als »on-going mode of practice«251 – als sich immer wieder neu verändernde Arbeitsmethode. Das bedeutet, dass sie sich ortsspezifisch, kontextabhängig und reflexiv vollzieht. Das heißt auch, sich immer wieder neu auf den jeweiligen Raum und die Umgebung einzulassen – und damit gleichzeitig ortsspezifisch und ortsungebunden, da situativ, zu agieren. Entsprechend öffnete Inverse Institution den Flutgraben, beteiligte Künstlerinnen und Publikum an den Programmentscheidungen. Künstlerinnen, Publikum und Mitarbeitende des Flutgrabens gestalten den institutionellen Alltag zusammen. Das Kollektiv missachtete auch gängige Einladungspolitiken: Künstlerinnen konnten selbst Vorschläge für Projekte oder Ausstellungen einreichen. Flutgrabens institutionelle Praxis will über den Ausstellungsraum hinauswirken und die Beziehungen aller Beteiligten zueinander verändern – die Institution wird zu einem Bezugsort, zu einem solidarischen Miteinander. Mit dieser Arbeitsweise steht die Gruppe exemplarisch dafür, wie Institutionskritik als dauerhafte Arbeitsmethode eingesetzt werden kann. Welche anderen Plattformen Institutionskritik als Arbeitsmethode anwenden, analysiere ich in den nachfolgenden Kapiteln. Die zwei ausgewählten Vergleichsbeispiele stehen für zwei unterschiedliche Organisationsformen: L’Internationale als Bündnis europäischer Museen; Para-Institution als institutionsunabhängiges Projekt der irischen Kuratorin Megs Morley.

248 Gespräche mit Inverse Institution am 04.11.2015 und 20.06.2016 in Berlin. Vgl. auch Inverse Institution (2015). 249 Vgl. Sheikh (2006). Möntmann bezieht sich ebenfalls in Art and its institutions darauf, vgl. Möntmann (2006a). Auch Victoria Preston basiert ihre Dissertation auf der Annahme, dass Institutionskritik in der aktuellen Phase als Methode zu verstehen ist. Vgl. Preston (2014). 250 Vgl. Gespräch Inverse Institution am 04.11.2015 in Berlin. Ein Mitglied des Kollektivs: »Da sind wir wieder bei der institutionalisierten Kritik. Alles ist prima, wenn die Institutionskritik eine Ausstellung produziert und es Presse gibt und alle zufrieden sind. Und wenn es das nicht gibt, gut, dann stellen sich die Fragen.« 251 Preston (2014), S. 81.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

4.5.2.

L’Internationale

Als erstes Vergleichsbeispiel möchte ich ein netzwerkartig organisiertes Forschungsprojekt vorstellen: L’Internationale. Sechs europäische Museen haben sich 2013 zusammengeschlossen und erheben sich selbst – das Museum – zum Thema. Zunächst stelle ich das Museumsbündnis, seine Mitgliedsmuseen sowie die Struktur und Ziele seiner Arbeit vor. Anschließend untersuche ich die thematischen Schwerpunkte und gehe exemplarisch auf das Hauptforschungsprojekt The Uses of Art – The Legacy of 1848 and 1989 und das Teilprojekt The glossary of common knowledge ein. Letzteres greift einen hier noch nicht besprochenen Punkt der Institutionskritik heraus: institutionelles Sprechen und das dabei verwendete Vokabular.

4.5.2.1.

Selbstverständnis

L’Internationale bezeichnet sich selbst als Konföderation, als Bündnis, das sich aus sechs Kerninstitutionen zusammensetzt: Moderna galerija in Ljubljana, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid, Museu d’Art Contemporani de Barcelona, Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen, SALT in Istanbul und Ankara sowie das Van Abbemuseum in Eindhoven.252 Darüber hinaus kooperiert die Konföderation mit assoziierten Kunsthochschulen und Universitäten. Der erweiterte Mitgliederkreis umfasst den Kunstraum Grizedale Arts in London, Liverpool John Moores University, Stiftung Universität in Hildesheim und University College Ghent School of Arts. Die beteiligten Museen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Sammlungstyps, ihrer Größe und ihrer Programmausrichtung, aber sie eint das Ziel der Initiative: In den teilnehmenden Museen imaginiert L’Internationale in verschiedenen Formaten ein zukünftiges, nachhaltiges Modell eines öffentlichen Museums. L’Internationale entstand aus dem Wunsch, gemeinsam mit anderen Museen zu eruieren, wie man mit den neuen finanziellen Bedingungen zukünftig umgehen kann. Schliesslich wurde im Zuge der Finanzkrise 2010, aber auch schon davor, die Budgets für Museen – und die Kultur im Allgemeinen – in ganz Europa stark gekürzt. Die Kürzungen stießen auf Widerstände und regten teilweise eine öffentliche Debatte über den Nutzen von Museen an.253 Das Netzwerk beschäftigt sich mit einem speziellen Institutionstyp: dem modernen, zeitgenössischen Museum. Gemeinsam wollen die Museen ihre aktuellen Strukturen revidieren, die oft noch dem bürgerlichen Museumsmodell verhaftet sind.254 Man 252 Siehe Kapitel 4.2. Dort untersuche im Detail das Van Abbemuseum und präsentiere das MACBA als Vergleichsbeispiel. 253 Vgl. für diese Diskussion in den Niederlanden Codart: Funding cuts in the Dutch culture sector. Codart, 29.06.2011. Verfügbar unter: https://www.codart.nl/research-study/funding-cuts-inthe-dutch-culture-sector/[Zugriff: 07.06.2017]. Eine Übersicht über geplante Einsparungen, Stand 2010, findet sich auch hier: sica dutch art centre for international cultural activities (2010): The economic crisis and the prospects for art and culture in Europe. Homepage von Compendium Cultural Policies and Trends in Europe. PDF verfügbar unter: www.culturalpolicies.net/web/files/83/en/en_crisis_and_prospects_for_art_and_culture_in_europe_oct2010.pdf [Zugriff: 07.06.2017]. 254 Damit ist ein Museum gemeint, das die Werte und Narrative des Bürgertums verkörpert. Dieses Modell herrschte vor allem seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vor und stand seit jeher unter kriti-

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

strebt einen Neuentwurf an: Dezentral, gemeinschaftlich und solidarisch soll das ›neue öffentliche Museum‹ sein; es engagiert sich lokal und verbindet sich überregional mit anderen Museen.

4.5.2.2.

Forschungsbereiche

Das Hauptforschungsprojekt The Uses of Art – The Legacy of 1848 and 1989 schlägt eine neue Lesart der europäischen Kunstgeschichte vor, welche die Rolle der Kunst für die Entwicklung der Demokratie und der Zivilgesellschaft beleuchtet. 1848 und 1989 gelten dabei als zwei entscheidende Schwellen, die neben gesellschaftlichen Umbrüchen auch zahlreiche Veränderungen im Kunstfeld nach sich zogen, wie beispielsweise neue Kunstströmungen.255 Das Projekt dauert fünf Jahre und endet 2018. Unter dem Schirm von Uses of Art gehen einzelne Projekte aus politischen, gesellschaftlichen, kunstbezogenen und postkolonialistischen Perspektiven auf das Kunstfeld ein, wobei das moderne Museum als derzeit dominanter Museumstyp im Zentrum steht. Die Forschungsvorhaben nehmen institutionskritische Anliegen auf und analysieren Museen hinsichtlich ihrer Exklusionsmechanismen, Diversion und Dezentralität.256 Das Museumsbündnis schließt damit an Institutionskritik an und sucht nach einem progressiven und radikal neuen Modell für gegenwärtige Kunstinstitutionen indem man untersucht, welches Verhältnis Museen zum Publikum aufbauen und welches ihre allgemeinen Aufgaben sind. Alle Facetten der Institution sollen dabei überdacht werden.257 An dieser Stelle bleibt offen, ob L’Internationale damit ein Scheitern der bisherigen Institutionskritik impliziert und somit auch eine Kritik der Institutionskritik mitschwingt. Von Ausstellungen und Symposien, über Workshops bis hin zu Kommentar- und Meinungsessays auf der Onlineplattform wird in verschiedensten Formaten gearbeitet. Jedes Museum lädt zu Veranstaltungen ein, sodass der Diskurs um ein neues Museumsmodell dezentralisiert wird. Zudem entsenden die Museen Mitarbeiterinnen an ihre Partnerinstitutionen. Diese lernen alternative Abläufe kennen und können sich informell austauschen. Zu beobachten bleibt, ob das Museumsbündnis trotz der traditionellen Formate wie Ausstellungen und Workshops sein Versprechen, ein neues Museumsmodell zu entwickeln, erfüllen kann.

schem Beschuss von Künstlerinnen und Theoretikerinnenen. Siehe dazu auch das Kapitel 1.4. zum Forschungsstand und 3.1.1. zur frühen Museumskritik. 255 Der Begriff stammt aus Jochen Hörischs Abhandlung Der Takt der Neuzeit. Die Schwellenjahre der Geschichte, die 2009 im Stuttgarter Omega-Verlag erschienen ist. Hörisch erkennt ein Ordnungsmuster, nachdem sich der Lauf der Geschichte zu richten scheint. Er propagiert, dass im 20-Jahres-Takt eine Neuorientierung stattfinde und diskutiert diese These anhand wichtiger gesellschaftlicher Umbrüche von 1789 bis 1989. Hörisch identifiziert 1848 und 1989 als solche Schwellenjahre. Vgl. Jochen Hörisch (2009): Der Takt der Neuzeit. Die Schwellenjahre der Geschichte. Stuttgart: Omega. 256 Vgl. dazu Kapitel 3.1. die Analyse des Diskurses und die künstlerischen Fallbeispiele, die sich ebenfalls diesen Themen widmen. 257 Vgl. L’Internationale (2017): Alter Institutionality. Homepage von L’Internationale. Verfügbar unter: www.internationaleonline.org/research/alter_institutionality/[Zugriff: 04.04.2017]

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Institutionskritik im Feld der Kunst

4.5.2.3.

Institutionelles Sprechen und The glossary of common knowledge

Exemplarisch möchte ich ein weiteres Teilprojekt vorstellen, dass sich mit der institutionellen Sprache von Museen und deren etablierten Termini beschäftigt hat: The glossary of common knowledge. Ein aktualisierter Begriffskanon für das Sprechen in und über Institutionen sollte die veränderten Bedürfnisse der Museen stärker widerspiegeln. Sprechen reguliert Zugehörigkeiten, wirkt exkludierend im Extremfall. Haben Besucherinnen das Gefühl, sich nicht ausdrücken zu können oder die institutionelle Sprache nicht zu verstehen, bleiben sie ausgeschlossen. Das Glossar erweiterte den sprachlichen Kanon der Institution und konnte mit möglicherweise neuen Begriffen die beteiligten Museen anleiten, ihre Praktiken und Formate umzudenken. Die Moderna galerija (MG+MSUM) in Ljubljana leitete das Projekt, da ihre Kuratorinnen das Gesamtkonzept formuliert hatten. Die Kuratorinnen wählten Oberbegriffe aus: • • • • • •

Historisierung (historicization); Anhängerschaft (constituency); Gemeingüter/das gemeine Volk (commons); Geopolitik (geopolitics); Subjektivierung (subjectivization) und andere Institutionalität (other institutionality).

Von 2014 bis 2016 fanden sechs Seminare zu je einem der genannten Oberbegriffe statt. Jede der sechs Kerninstitutionen entsandte eine Sprecherin, die auf den Sitzungen einen für die Organisation relevanten Ausdruck oder Terminus zu dem Oberbegriff präsentierte. Sprecherinnen konnten Mitarbeiterinnen oder externe Vertreterinnen sein. MG+MSUM luden zusätzlich so genannte meta narrators ein, die weitere Perspektiven auf Termini boten. In den Seminaren diskutierten die Teilnehmenden die Begriffe und editierten sie kollektiv. So verschränkten sich im dialogischen Überarbeitungsprozess individuell-lokale sowie überregionale Sichtweisen. Die Ergebnisse wurden in einem Online-Wörterbuch zusammen mit Videos der Präsentationen der Sprecherinnen veröffentlicht. Das Wörterbuch entstammt also einem gemeinschaftlichen Prozess der Wissensproduktion und hat eine neue institutionelle Sprache kreiert, die Grenzen und Ungenauigkeiten bisheriger Termini offenlegt. Die Europäische Union fördert mit L’Internationale das erste Projekt, das sich dem Erbe der Institutionskritik annimmt. Damit scheint die Institutionskritik im ›Fördermainstream‹ angekommen und verankert sich weiter im Kunstfeld: Die propagierte Kritik schlägt sich in den Agenden der beteiligten Museen nieder. Das Netzwerk verleiht institutionskritischen Fragen mehr Sichtbarkeit und stellt eine neue Plattform dar, um sie zu diskutieren. Ähnlich erging es im letzten Jahrzehnt der Kulturvermittlung: Sobald Förderinstitutionen sie als wertvoll für die Bildungsziele von Kunstinstitutionen erkannte, begannen Museen und Ausstellungshäuser ihre Vermittlungsprogramme entsprechend auszubauen. Eine solche extrinsische Motivation stößt teilweise nur ein oberflächliches Interesse an. Somit verwehren sich die Kunstinstitutionen der Chance, sich durch Vermittlungsformate zu verändern. Es bleibt zu beobachten, ob Insti-

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

tutionskritik eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wird. Denn: Institutionskritische Strategien um einer finanziellen Förderung willen anzuwenden, degradiert die Kritik zu einer Pseudokritik und zu einer Feigenblatt-Maßnahme.258 Der ursprüngliche Antrieb, Institutionskritik zu einem Förderziel zu erklären, verbleibt dann ohne Erfolg.

4.5.3.

Para-Institution. Tactics for Cultural Change (Para-Institution), Galway

Als zweites Vergleichsbeispiel für Post-Institutionen stelle ich Para-Institution. Tactics for Cultural Change (Para-Institution) vor.259 Die irische Künstlerin Megs Morley realisierte das Projekt 2014 während ihres Stipendiums als Curator in Residence in Galway City. Diverse öffentliche Organe finanzierten die Residenz, um institutionsunabhängige kuratorische Forschung zu unterstützen. Galway fehlte zu dieser Zeit ein zeitgenössisches Ausstellungshaus – die kuratorische Residenz sollte diese Lücke füllen. Bereits von 2008-2010 war Morley für die Stadt Galway als Beauftragte für Kunst im öffentlichen Raum tätig und kannte somit die Ausgangssituation.260 In ihrer künstlerischen Arbeit konzentriert sich Morley darauf, wie Kunst politische und soziale Situationen wiedergibt. In Langzeitprojekten erforscht sie Formen des künstlerischen Widerstands, zu denen sie Selbstorganisation und kollektives Arbeiten zählt. Aus Morleys Untersuchungen ging The Artist-Led Archive hervor. Das Archiv dokumentierte 80 künstlerinnengeführte Initiativen und tourte als Wanderausstellung durch verschiedene Institutionen wie dem Irish Museum of Modern Art und der National Irish Visual Arts Library. Kuratorische Erfahrung sammelte Morley unter anderem beim Tulca Contemporary Art Festival 2011. Für ihr Projekt während der Residenz nutzte Morley das Konzept der »para-institution«261 von Tania Bruguera als theoretischen Überbau. Die Künstlerin schuf ein Gesprächsforum in Galway, um gemeinsam mit und parallel zu bestehenden Institutionen zu diskutieren, wie eine zeitgenössische Institution der Zukunft aussehen kann. Morley untersuchte die lokale Institutionslandschaft und reagierte auf den internationalen Diskurs, der die Funktion von Museen kritisch beleuchtet. Zunächst skizziere ich das Profil des Projekts und beschreibe dann, welche Vision von Institution Morley entwirft. Weiterhin lege ich offen, auf welche theoretischen Diskurse und praktischen Beispiele sie sich bezieht. 258 Siehe dazu auch Kapitel 3.2.5. 259 Nachfolgend verwende ich die Kurzform Para-Institution. 260 Vgl. Burren College of Art (2017): Visiting artists. Megs Morley. Homepage des Burren College of Art. Verfügbar unter: https://www.burrencollege.ie/about-us/visiting-artists/[Zugriff: 05.04.2017]. 261 Tania Bruguera (2009): Interview with Pablo Helguera. Homepage von Tania Bruguera. Transkript verfügbar unter: www.taniabruguera.com/cms/239-0-On+transpedagogy.htm [Zugriff: 05.04.2017]. Auf die Frage wie ihre Praktiken der Institutionskritik und Relational Aesthetics verpflichtet seien, antwortet Bruguera in einem Interview: »I’m more interested in the para-institution. The idea that one could build up parallel institutions, working institutions, that do propose and show in its operation other working systems, being a temporary frame of action where art enters as the self-reflective, self-critical tool while it is simultaneously being conceived and happening, a para-institution that sees itself from the outside, from the spectator’s point of view.« Eine von Pablo Helguera geleitete Podiumsdiskussion Transpedagogy: Contemporary Art and the Vehicles of Education am 15.05.2009 im MoMA war der Ausgangspunkt für das unpublizierte Interview.

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214

Institutionskritik im Feld der Kunst

4.5.3.1.

Die temporäre Neben-Institution

Para-Institution verstand sich als temporäre Diskussionsplattform, um alternative Arbeitsmethoden für den Aufbau von Institutionen zu entwickeln.262 Morley wehrte sich, ein Modell für eine zukünftige Institution für zeitgenössische Kunst zu entwerfen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, Bedingungen und notwendige Grundlagen einer solchen Institution zu diskutieren. Als Nebenakteur zu den existierenden Institutionen in Galway bot Para-Institution eine Diskussionsbasis, ohne best practices anzumahnen oder mit erhobenem Zeigefinger auf die Mängel der derzeitigen Institutionen Galways zu zeigen. Morley organisierte Einzelveranstaltungen wie Seminare und Vorträge. Sie lud unter anderem Claire Bishop ein, die ihre 2013 erschienene Publikation Radical Museology vorstellte. Gemeinsam mit der Künstlerin Fiona Woods leitet Morley die monatliche Lesegruppe Reading Through Institutions. An Ekstitutional Learning Space.263 Die Gruppe besprach einen vorab zu lesenden Text. Die Lektüre stammte von Autorinnen, die aus dem Diskurs um Institutionskritik, Öffentlichkeit und Aktivismus bekannt sind, unter anderem Florian Schneider, Gregory Sholette, Jürgen Habermas und Nancy Fraser. Zum Abschluss ihrer Residenz veranstaltete Morley im Februar 2015 das eintägige Symposium Thinking Through Institutions. Zu den Referenten zählten namhafte Akteure des kuratorischen Feldes und theoretischen Diskurses wie Nuno Sacramento, Sarah Pierce und Mick Wilson. Ausgangspunkt des Symposiums war Morleys Erkenntnis, dass die Institution in der Krise steckt. Diese Krise stellt die Akteure des Kunstfeldes vor die Wahl: Rückzug aus bestehenden Strukturen oder erfindet man sie neu? Morley verstand das Symposium als Anfangs-, nicht als Endpunkt für die Erarbeitung dieser Fragen. Der Titel des Symposiums lässt zwei Denkrichtungen durchscheinen, die an die Institutionskritik anschließen: 1. ›Institutionen durchdenken‹ regt an, detailliert zu ergründen, wie Institutionen heute vorzustellen sind und lädt Kritik an ihnen ein. 2. ›Durch Institutionen denken‹: Institutionen helfen, virulente gesellschaftliche Fragen durch ihre Aktivitäten zu verstehen. Institutionen handeln, beteiligen sich an Diskursen und produzieren Wissen – sie haben Einstellungen und Gesinnungen.

In der Ankündigung des Symposiums konstatierte Morley, dass die veränderten gesellschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen geprägt haben, wie man sich organisiert und zusammenarbeitet. Institutionskritik hat sich seit Andrea Frasers Performance Museum Highlights (1989) verändert, so Morley.264 Die Teilnehmenden debat262 Megs Morley fasst die Ausrichtung von Para-Institution in ihrer Einführung zu dem Symposium Thinking Through Institutions zusammen. Die Beiträge aller Referenten sind als Videoaufzeichnungen archiviert, vgl. Para-Institution. Tactics for Cultural Change (2016a): Thinking Through Institutions. Videos auf dem YouTube-Kanal. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/channel/UCl6BUtHWKSV0iRU8xOyrC6w [Zugriff: 01.03.2017]. 263 Florian Schneider prägte den Begriff der Ekstitution in seiner Publikation Florian Schneider: (Extended) Footnotes on Education. In: e-flux journal, 14 (2010). Verfügbar unter: www.e-flux.com/journal/14/61318/extended-footnotes-on-education/[Zugriff: 18.12.2014]. 264 Siehe Kapitel 3.1.5. für eine Beschreibung von Frasers Performance.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

tierten deshalb im Verlauf der Konferenz, wie Institutionskritik in Zukunft aussehen kann. Ein Ansatzpunkt der Diskussion war Gerald Raunigs Konzept der instituierenden Praxen.265 In seinem Vortrag plädierte Mick Wilson in diesem Zusammenhang für kritische Strategien, welche die Macht von Institutionalisierungsvorgängen anerkennen. Die Referentinnen und Akteure der vorgestellten Projekte haben detailliert durchdacht, wie man sich zu Institutionen in Beziehung setzen soll.266 Denn das – so die Annahme – müssten alle im Feld unweigerlich tun, geht man davon aus, dass die Institution Kunst sich ausgeweitet hat und man sich ihr nicht entziehen kann. Im nächsten Schritt erläutere ich, welchen Institutionsbegriff Morley ihrem Projekt Para-Institution zugrunde legt und auf welche theoretischen Positionen sie dafür zurückgreift. Weiterhin stelle ich dar, welche Parameter sie zu ändern vorgeschlagen hat.

4.5.3.2.

Alternative Institutionsmodelle: Para-Institution und Extra-Institution

Morley hielt trotz ihres Bewusstseins für die Bedeutung von Institutionskritik an der traditionellen Vorstellung der ICOM267 fest, dass Kunstinstitutionen bewahren – sie beschützen geteilte, gemeinsame Werte, Visionen und Hoffnungen und konservieren diese für die Zukunft.268 Morley baute ihre Forschung auf der Vision von fluiden Institutionen auf, die sich verbinden, kooperieren und kulturellen Wandel initiieren: Was soll heute bewahrt werden und inwiefern kann ein nicht-permanenter Ort diese Aufgaben temporär erfüllen? Diese Frage vermittelt auch der Untertitel des Projekts Tactics for Cultural Change. Institutionen wirken als Agenten des Wandels – sie treiben aktiv Veränderungsprozesse an. Morley realisierte mit Para-Institution Aspekte einer nomadischen und temporären Institution. Das Projekt lotete aus, wie veränderbar eine Institution über ein Jahr sein kann. Morleys ideale Institution erinnert an Chantal Mouffes Entwurf der extra-institution. Mouffe verwischte mit dem Konzept die Vorstellung von andersartigen Kunsträumen, die den etablierten Institutionen untergeordnet sind. Vielmehr ergänzen die extra-institutions die bestehende Landschaft. Extra-institutionelle Organisationsformen adaptieren ein Modell wie Morley es vorsah: ephemär, migrantisch, konzeptuell und kollaborativ. Sie betonen eine spezifische Perspektive, die Kunstinstitutionen als Orte versteht, an denen Macht umkämpft, Wissen produziert und um kulturelle Vorherrschaft gerungen wird – und die laut Morley dann zu kulturellem Wandel führen können. Gleichzeitig lehnte sich Morley mit dem Titel Para-Institution an das Bild des Parasiten an. Wenn von Kritik und kritischen Praktiken die Rede ist, welche Institutionen 265 Siehe Kapitel 1.4. zum Forschungsstand für eine Erläuterung zu den instituierenden Praxen. 266 Die Ausführungen beziehen sich auf den einführenden Vortrag zum Symposium von Megs Morley und Sarah Pierce, welche die Ausrichtung und Grundannahmen der Konferenz zusammenfassen. Vgl. Para-Institution. Tactics for Cultural Change (2016b): Thinking Through Institutions/Intro: Megs Morley & Sarah Pierce. Video auf dem YouTube-Kanal. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=Cn-TVjBKIoc [Zugriff: 05.04.2017]. 267 Vgl. ICOM (2006). 268 Vgl. Para-Institution. Tactics for Cultural Change (2017): About. Homepage von Para-Institution. Tactics for Cultural Change. Verfügbar unter: www.parainstitution.ie/about/[Zugriff: 12.01.2017].

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Institutionskritik im Feld der Kunst

an der Schnittstelle von innen nach außen untersuchen, dient der Parasit häufig als positiv konnotierte Metapher: Parasiten können ihren Wirt tiefgreifend verändern.269 Parasiten sind als Figuren eines Dritten in ihren Wirt sowohl ein- als ausgeschlossen. Sie bewegen sich in einer Grauzone, die dem entspricht, was Vlad Morariu als ›sowohl/als auch‹ von Institutionskritik bezeichnet.270 Für Morley bedeutete das, mit Para-Institution andere Kunstinstitutionen als Wirte zu nutzen. Sie bemächtigte sich ihrer Infrastrukturen und Ressourcen, um die Häuser gleichermaßen zu irritieren, zu subvertieren und so zu verändern. Das von der Tourismusagentur und dem Arts Council in Galway finanzierte Projekt Para-Institution lief nichtsdestotrotz Gefahr, als kulturpolitischer Katalysator missbraucht zu werden. Die Stadt beabsichtigte mit der Residenz und möglicherweise auch mit einer aus ihr hervorgehenden neuen Institution die kulturelle Landschaft aufzuwerten und attraktiver für Kulturtouristinnen zu gestalten. Indem die Stadt durch Morleys Residenz erfuhr, was von einem neuen Haus für zeitgenössische Kunst erwartet wird, versuchte sie das Risiko zu vermindern, dass das Publikum eine neue Institution nicht annimmt. Morleys Projekte hatten Interventionscharakter und griffen temporär in die institutionelle Landschaft ein, um durch das Besetzen kritischer Räume auf diese Institutionen aufmerksam zu machen. Para-Institution oszillierte zwischen dem Wunsch und Anspruch, ein Umdenken hinsichtlich des Aufbaus von Institutionen anzuregen und von der kulturpolitischen Begründungslogik instrumentalisiert zu werden. Eine einjährige Residenz zu finanzieren, die sich kritisch mit der Institutionslandschaft der Stadt auseinandersetzt, rückte die Stadt in ein selbstkritisches Licht, nahm sie aber nicht in die Pflicht, die Ergebnisse der Forschung als Handlungsanleitung zu nutzen. In der Gesamtschau gestattet Para-Institution zwei Schlussfolgerungen:

269 Ausgangspunkt dieser Metapher ist Michel Serres’ Text Le parasite. Darin vergleicht der französische Philosoph menschliche Beziehungen mit dem Austauschverhältnis zwischen Parasit und Wirt. Serres Parasit stellt eine Figur des Dritten dar, die eindringt und sich des anderen bemächtigt. Somit repräsentiert der Parasit den Widerstand gegen eine asymmetrische Beziehung. Vgl. Michel Serres (1980): Le parasite. Paris: Bernard Grasset. Insbesondere Janna Graham hat sich mit der Metapher in Bezug auf kulturelle Institutionen, soziale Gerechtigkeit und Vermittlungsarbeit auseinandergesetzt. Vgl. Janna Graham (2015): Para-sites like us: What is this para-sitic tendency? Blog auf der Homepage des New Museum. Verfügbar unter: https://www.newmuseum.org/blog/view/parasites-like-us-what-is-this-para-sitic-tendency [Zugriff: 28.11.2017]. Auch Simon Sheikh hat in ähnlicher Weise über das Verhältnis von Institutionen und Institutionskritik reflektiert: Er bezeichnet Institutionskritik als Bakterie, welche den Patienten – die Kunstinstitution – kurzfristig schwächt, aber letztendlich das Immunsystem stärkt. Damit verweist er auf die Gefahr für institutionskritische Praktiken, von den Institutionen vereinnahmt zu werden. Vgl. Sheikh (2006). Interessanterweise nannte sich auch eine offene Künstlerinnengruppe Parasites. Mitglieder waren unter anderem Julie Ault, Silvia Kolbowski, Nils Norman, Judith Barry, Clegg & Guttmann und Martin Beck. Vgl. auch Silvia Kolbowski: Was Sie schon immer über ›Parasite‹ wissen wollten…In: Texte zur Kunst, 31 (1998): S. 94-102. 270 Siehe Kapitel 2.2.3.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik 1. Mit Para-Institution stellte sich ein neuer institutionskritischer Akteur vor: Ein von einer Stadt unterstütztes kuratorisch-kritisches Projekt, das sich ausdrücklich auf die Bedingungen einer zeitgenössischen Kunstinstitution konzentrierte. 2. Dies bedeutet, dass die institutionelle Kritik zu einem kulturpolitischen Förderziel geworden ist, wie auch bei L’Internationale ersichtlich. Als einmaliges Projekt war es weder Kunstwerk noch kuratorisches Format; vielmehr verschmolzen Aspekte und Elemente beider Felder. Institutionskritik kann sich auf diese Weise als disziplinenübergreifende Praxis etablieren, die als Katalysator für eine Veränderung der lokalen Kulturszene fungiert.

Das Projekt bewegte sich an einer fruchtbaren Schnittstelle zwischen extern und intern. Morley initiierte mit Para-Institution ein gemeinsames Nachdenken über den Aufbau von Institutionen, das gleichzeitig konkret – indem es sich direkt auf Galway bezog – und abstrakt – nicht auf eine spezifische Organisation oder ein Ausstellungshaus gemünzt – in Erscheinung trat. Diese Erkenntnis stellt abermals infrage, inwiefern eine starr-dichotome Unterscheidung von außer- und innerhalb der Institution für den aktuellen institutionskritischen Diskurs noch relevant ist. Para-Institution inkorporierte Forderungen institutionskritischer Akteure und fragte wie sich ein nicht-permanentes Instrument der Institutionskritik zu dauerhaften Institutionen in Beziehung setzen und diese transformieren kann. Somit verkörperte das Projekt ein neuartiges Vehikel der Institutionskritik.

4.5.4.

Zwischenfazit

In diesem Kapitel wurden Institutionen untersucht, die sich semantisch und organisatorisch den vorher untersuchten Institutionstypen abwenden. Im Kunstfeld kursieren verschiedene Begriffe für diese neuen Infrastrukturen: Man spricht von Ekstitutionen271 , Alter-Institutionen272 oder Post-Institutionen.273 Auch wenn alle Termini eine Absage an die etablierte Vorstellung von Institution(en) formulieren, brauchen sie diese semantisch dennoch, um sich von ihr abzugrenzen.274 Statt einander auszuspielen, wollen sie bestehende Institutionen ergänzen und komplementieren. Nachfolgend fasse ich anhand der drei Beispiele Inverse Institution, L’Internationale und Para-Institution zusammen, was eine post-institutionelle Institution ausweist. Dafür gehe ich auf • • • •

271 272 273 274

ihre netzwerkartigen Infrastrukturen, das Primat diskursiver Veranstaltungen, ihre Verbindung zu kulturpolitischen Agenden und ihren Entwurf einer aktualisierten institutionskritischen Praxis ein.

Schneider (2010). Lütticken (2015b). Er spricht auch von Para-Institutionen. Gielen (2013). Ausführlicher zum Institutionsbegriff im Kunstfeld siehe Kapitel 2.1.1.

217

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Traditionelle Institutionsmodelle wie das sammelnde Kunstmuseum oder das Universalmuseum eignen sich nicht, um kritische Arbeitsweisen im Kunstfeld heute zu strukturieren. Wo institutionelle Strukturen fehlen, nehmen kollektive Aktivitäten einen post-institutionellen Status an. Dadurch entfernen sie sich zunehmend von den formalen Institutionen des Kunstfeldes wie Museen, Ateliers, Galerien oder der Markt. Nina Möntmann lieferte bereits 2007 eine Vision heutiger Orte der Institutionskritik: Sie imaginierte organisierte Netzwerke alternativer, von Künstlerinnen gegründete oder auf Forschung basierende Institutionen und forderte zeitlich begrenze Plattformen in größeren Institutionen.275 Die hier gewählten Beispiele korrespondieren mit dieser Vision: Sie basieren auf Interessengruppen, Kollektiven und Gemeinschaften und schließen sie sich zu translokalen, -regionalen oder -nationalen Netzwerken zusammen. Insbesondere L’Internationale versteht sich, Marion von Osten folgend, als »translocal«276 : in das lokale Geschehen der Mitgliedsmuseen eingebettet aber international vernetzt. Gemeinsam demokratisieren die Mitglieder des Bündnisses ihre Arbeitsabläufe und verfechten einen dezentralisierten Internationalismus, der nicht an der starren Unterscheidung zwischen zentralem und peripherem Kunstfeld festhält.277 Netzwerke wie L’Internationale versuchen ohne Hierarchien auszukommen, indem sie horizontal organisierte Gemeinschaften auf Augenhöhe bilden und damit top-down Prozesse verhindern. Die Beteiligten tauschen dafür Wissen und Erfahrungen wie in einem Wurzelgeflecht aus: Entlang dieses Bildes entwickeln Gilles Deleuze und Felix Guattari die Vorstellung eines Rhizomes. Sinnbildlich steht es für ein post-strukturales Modell der Wissensordnung, beispielsweise ein Forschungsdesign oder eine Anordnung von Informationen, die multiple, nicht-hierarchische Zugänge und Auslegeweisen ermöglicht. In diesem rhizomatischen Bezugssystem begegnen sich die Beteiligten sich ständig neu, ihre Rolle müssen permanent neu ausgehandelt werden.278 Inverse Institution, L’Internationale und Para-Institution halten die Rollenverhältnisse der Beteiligten in Bewegung, indem sie zwischen Formaten und Arbeitsweisen wechseln. Um den damit verbundenen Aushandlungsprozessen Raum zu geben, akzentuieren sie diskursive Veranstaltungen. Zum einen hat der rege Diskurs um kuratorische, museologische und institutionelle Praktiken der letzten Jahrzehnte diese Entwicklung gefördert. Zum anderen können diskursive Formate demokratischer, pluralistischer und inklusiver sein279 , was aus einer kritischen Debatte heraus als erstrebenswert und progressiv gilt. Die Vorstellung von demokratischen Arbeitsformen entspringt einem kollektiven Interesse, Räume für gegen-hegemoniale Praktiken innerhalb von Institutionen zu schaffen und zu gestalten. Die drei Fälle priorisieren Wissensaustausch vor Ausstellungspraxis und setzen auf entmaterialisierte Formate. Neben Bekanntem wie Konferenzen, Texten und Residen275 Vgl. Möntmann (2007). 276 Choi und von Osten (2014). 277 Vgl. Mark Fisher und Nina Möntmann (2014): Peripheral proposals. In: Binna Choi, Maria Lind et al. (Hg.), Cluster: Dialectionary. Berlin: Sternberg Press, S. 175. 278 Vgl. Gilles Deleuze und Felix Guattari (1977): Rhizom. Berlin: Merve. Ebenso Gilles Deleuze und Felix Guattari (1992): Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve. 279 Vgl. Wray (2016), S. 42.

4 Die dritte Phase der Institutionskritik

zen, experimentieren sie mit interdisziplinärer Forschung, die dialogisches Arbeiten und kollektives Lernen von- und miteinander wertschätzt, wie bei dem Glossary of common knowledge oder den Projekten der Inverse Institution. Institutionskritik wird hier zur gemeinschaftlichen, temporären Praxis, um neue Modelle und Visionen für Ausstellungsräume zu entwickeln. Das vielfach kritisierte temporale Regime, das rigide Zeitmanagement wird dabei nur bedingt ausgehebelt.280 Es wird durch eine andere, ebenso durchgetaktete Abfolge von diskursiven Veranstaltungen, Workshops und Seminaren ersetzt. Die von Gerald Raunig geforderten »Zeiten des Durchatmens […] Elemente des Bruchs, der Pause«281 fehlen nach wie vor. Die drei analysierten Post-Institutionen operieren ortsungebunden und verbinden sich für eine festgelegte Dauer mit Kunstinstitutionen. Dadurch verlagert sich die Kritik vom Inneren der Institutionen in ein eigenes Organ. Die neuen Schauplätze der Institutionskritik müssen durch ihre nomadische Existenz keine publikumswirksamen Veranstaltungen anbieten; sie sind nicht auf Touristinnen und Besuchendenströme angewiesen, um finanzielle Mittel zu generieren. Sie sind von materiellen Erwartungen befreit, die sonst an Kunstinstitutionen herangetragen werden. Mitunter werden die erarbeiteten Ergebnisse allerdings nicht umgesetzt. Entziehen sich die beteiligten Kunstinstitutionen der Umsetzung ihrer eigenen Vorschläge, bleibt es bei der Aufführung kritischer Gesten, bei Parolen. Die Museen und Häuser laufen dann Gefahr, zu den Rahmenbedingungen zurückzukehren, von denen aus sie nach neuen Orten und Handlungsformen gesucht haben. Hier bestätigt sich die Diagnose Mark Fishers und Nina Möntmanns, dass keine Strategie oder Struktur inhärent transformativ wirkt.282 Die untersuchten Projekte beschäftigen sich mit dem von Kunstinstitutionen verwendeten Vokabular und dessen Macht, einen spezifischen Diskurs um institutionelle Praktiken zu konstituieren. Sie beleuchten gegenwärtig dominierende institutionelle und kuratorische Termini daraufhin, welche Funktionen des Museums sie implizit transportieren und suchen nach einer gemeinsamen Sprache für die Vision einer zukünftigen Kunstinstitution. Als Formen einer aktualisierten, institutionskritischen Praxis fechten die drei Beispielfälle nicht die existierenden Institutionen und ihre Codes an, sondern finden neue Orte und Codes, um ihre eigenen Handlungsweisen zu erforschen. Indem sie sich ein paralleles Feld schaffen, implementieren die Akteure eine Form von emanzipatorischer Selbstorganisation. Neu ist in der gegenwärtigen Spielform von Institutionskritik, wie sie sich in den drei Projekten zeigt, die Verbindung mit kulturpolitischen Agenden und deren Infiltration. Die Richtung dieses Engagements ist dabei unterschiedlich. So interveniert Inverse Institution in die lokale Kulturpolitik Berlins, indem sich die Mitglieder für ein solida-

280 Siehe dazu auch die Fallstudien in Kapitel 4.4. 281 Gerald Raunig (2013): Flatness Rules. Instituierende Praxen und Institutionen des Gemeinsamen. In: Pascal Gielen(Hg.), Institutional Attitudes. Instituting Art in a Flat World. Amsterdam: Valiz, S. 175. 282 Vgl. Fisher und Möntmann (2014), S. 172.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

risches Miteinander der Kunsträume in Berlin einsetzen. Sie agieren also selbst kulturpolitisch. L’Internationale und Para-Institution profitieren hingegen von der erhöhten Aufmerksamkeit kulturpolitischer Geldgeberinnen – sie werden nicht unmittelbar selbst kulturpolitisch aktiv, sondern kulturpolitisch instrumentalisiert: Die Europäische Union fördert L’Internationale, um ein modernes Museums der Zukunft zu entwerfen und macht das Projekt somit zu einem kulturpolitischen Instrument. Ähnliches trifft für Para-Institution zu: Von der Stadt Galway finanziert, sollte die Lücke in der städtischen Institutionslandschaft gefüllt und die Stadt attraktiver für den Kulturtourismus gemacht werden. Entlang dieser kulturpolitischen Nutzung der Institutionskritik scheint sich eine Wende abzuzeichnen: Institutionskritik setzt sich als Förderschiene durch – städtisch wie europäisch. Gegenwärtig sind die zugesprochenen Beträge verhältnismäßig klein. Vor allen im Vergleich zur Förderung traditioneller, nicht-kritischer Institutionen: Kunstinstitutionen, die sich publikumswirksam ausrichten und sich als traditionellbürgerliche Bildungsinstitution aufstellen. Inwiefern Bündnisse und Netzwerke sich nachhaltig in der Kunstszene etablieren und gleichzeitig ihre Handlungsautonomie aufrecht erhalten zu können, hängt also von den entsprechenden kulturpolitischen Budgets ab.283 Die neuen netzwerkartigen Protagonistinnen im Kunstfeld kommen nicht umhin, mit den von ihnen monierten Institutionalisierungsvorgängen umzugehen: Wollen sie sich außerhalb bestehender Erwartungen an ihre Arbeitsweise, ihre Themen und Abläufe positionieren und dennoch finanzielle Zuschüsse erhalten, müssen sie zwangsläufig institutionelle Infrastrukturen in zumindest abgewandelter Form annehmen. Entsprechend dieser Anforderung kreieren die drei untersuchten Beispiele institutionelle Settings. In dem Zwiespalt, dem Wunsch nach Handlungsautonomie einerseits und den für finanzielle Unterstützung notwendigen institutionelle Strukturen andererseits, offenbart sich – wie im vorherigen Kapitel ausgeführt – ein Dilemma der Institutionskritik. Die neuen Plattformen zeigen symptomatisch, dass Institutionskritik nicht zu einem Exodus aus der institutionellen Landschaft geführt hat. Institutionskritik hat sich stattdessen vervielfältigt und ausgeweitet. Die vorgestellten Infrastrukturen setzen sie als Methode ein, um sich selbst zu untersuchen und Zukunftsszenarien für sich zu generieren. Post-Institutionen arbeiten kontinuierlich an einer gemeinsamen kritischen Diskussionsgrundlage, von der aus verändert werden soll, wie traditionellere Kunstorganisationen ausstellen, vermitteln, sammeln und forschen.

283 Vgl. Voropai (2017), S. 150.

5. Fazit: Institutionen der Institutionskritik – Gemeinsame Strategien und Konsequenzen

Wie für keine andere Kunstpraxis geht für die Institutionskritik von der Institutionalisierung die Gefahr aus, dass ihr jegliche Bedeutung entzogen wird. Indem die Institution die Kritik approbiert, gliedert sie die Kritik in die von den Künstlerinnen diskutierte und demaskierte Repräsentationslogik ein. Die vorliegende Arbeit entgegnet dieser Vorstellung einer scheinbar gescheiterten Institutionskritik und hat gezeigt, dass institutionskritische Maßnahmen nicht auf den Platz einer symbolischen Geste zu verweisen sind. Die Erkenntnis lautet stattdessen: Institutionskritik ist konstruktiv; Institutionen haben auf sie reagiert und sich verändert. Kuratorinnen und Direktorinnen agieren nun selbst kritisch. Die vormals als notwendig erachtete kritische Distanz der Institution weicht einer institutionsinhärenten Kritikalität, bei der Institutionskritik erwünscht ist und gefordert wird. Derzeitige kritische Praktiken setzen sich mit der gegenwärtigen Situation auseinander und zu ihr ins Verhältnis. Dies deutet ein zentrales Dilemma von Kritik an: Kritisieren heißt immer, sich zu etwas in Beziehung zu setzen – ob kritisch oder nicht ist dabei zunächst nachrangig. Jedes kritische Verfahren bestätigt damit qua in-Bezug-Setzung ihren Gegenstand. Aus dieser Affirmation einen Vorwurf abzuleiten, erscheint wenig sinnvoll, da diese ein der Praxis inhärentes Merkmal ist, das sich nicht umgehen lässt. Stattdessen stelle ich Institutionskritik als eine produktive, institutionelle Praxis dar, deren Kritikpunkte Gehör finden und so zu sich wandelnden Institutionen – institutions in flux – führen. Das Bild des Museums als unverrückbarer Monolith gerät ins Wanken und gibt seinen Platz für eine Institution als gesellschaftliche Agentin frei. In den folgenden Abschnitten stelle ich vor, wie sich diese produktive Institutionskritik in der Praxis zeigt. Dabei zeige ich zunächst sieben Gemeinsamkeiten der von mir untersuchten Institutionen (5.1.) und skizziere davon ausgehend vier Konsequenzen für das weitere Wirken der Institutionskritik (5.2.). Im letzten Schritt schlage ich Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen vor (5.3.).

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Institutionskritik im Feld der Kunst

5.1.

Institutionen der Institutionskritik: Sieben gemeinsame Strategien der Kritik

Die beschriebenen Fallstudien aus den vier institutionellen Typen – dem Museum mit Sammlung, dem Ausstellunghaus ohne Sammlung, den independent spaces und den Post-Institutionen – zeigen, wo die kritischen Strategien angesetzt und wie sie das Kunstfeld und seine Institutionen verändert haben. Sie demonstrieren Variationen kritischen Kuratierens, das institutionskritische Themen adaptiert und sich an Maria Linds Konzept des ›Kuratorischen‹ anlehnt: Die Ausstellung ist nicht länger ein Ort, an dem Objekte sorgfältig arrangiert sind. Vielmehr öffnet sie Räume der Aktivität und des Handelns, die diskursive Konfrontationen ermöglichen. Kritisches Kuratieren beschränkt sich nicht auf die Ausstellung als einziges Format, sondern setzt einen uneingeschränkten Rahmen voraus, der Dinge, Ideen und Ergebnisse aus dem Realisationsprozess hervortreten lässt. Der kuratorische Ansatz priorisiert kurzlebige Begegnungen, offene Enden und Veränderbarkeit. Die oftmals kollaborativen Praktiken entziehen sich dem dem Ausstellungskomplex innewohnenden Druck, regelmäßig sichtbare Ergebnisse zu produzieren. Neben den Analysen der einzelnen Häuser und den typenspezifischen Auswirkungen der Kritik, die in den Zwischenfazits detailliert beschrieben wurden, konnte ich mit meiner Forschung sieben Strategien der institutionskritischen, kuratorischen und institutionellen Praxis identifizieren, die sich bei allen Fallbeispielen erkennen lassen: 1. Hohe Bedeutung diskursiver und dialogischer Formate: Institutionen erkennen die Ausstellung nicht mehr als das alleinig adäquate Medium an. Formate wie Workshops, Vorträge, Arbeitsgruppen und work-in-progress Projekte bezeugen diese Formatverlagerung. Alle vier Institutionstypen räumen diesen quasiakademischen Formaten einen prominenten Platz im Programm ein und schaffen als öffentliche Räume einen produktiven Dissens. Allerdings begleiten sie in größeren Institutionen wie dem Van Abbe, dem MACBA oder auch der nGbK lediglich das Ausstellungsprogramm, während independent spaces wie The Showroom und Casco diskursive und dialogische Projekte zu ihrem Hauptmedium erheben. 2. Kollektivität und Partizipation untereinander und in der Vermittlung: Kollektives Arbeiten gehört fest zur institutionskritisch inspirierten Ausstellungspraxis. Eine gemeinschaftliche Arbeitsweise hilft, institutionelle Autorität abzubauen sowie polyphon und interdisziplinär zu agieren. Divergente Perspektiven von Künstlerinnen, Theoretikerinnenen und anderen Akteuren auf politische, gesellschaftliche oder kunstinterne Fragestellungen brechen die Autorität der Institution auf und enthüllen ihre als absolut wahrgenommene – aber letztlich von Kuratorinnen als Vertreterinnen der Institution konstruierte – Sichtweise. Partizipative Projekte, die das Publikum als Mitproduzentin von Inhalten einsetzen, lassen Bildung und Vermittlung in den Häusern nicht als Einbahnstraße erscheinen und setzen gleichwertiges Wissen bei allen Beteiligten voraus. Partizipative Projekte stellen sich Museen entgegen, die in Ausstellungen und Veranstaltungen keine aktive Beteiligung der Besucherinnen vorsehen, mit monologischen Führungen, topdown Wissensvermittlung und Regelung des Besucherinnenverhaltens. Die unter-

5 Fazit

suchten sammelnden Kunstmuseen setzen dem partizipative Formate entgegen, vorwiegend in Form von Workshops im Vermittlungsbereich, oftmals unter Anleitung von Künstlerinnen. Im MACBA rangieren diese Projekte unter dem Stichwort ›kritische Vermittlung‹. The Showroom widmet partizipativen Projekten den separaten Programmstrang Communal knowledge. Casco legt einen Schwerpunkt auf entsprechende Formate, die zu Ausstellungen führen können, es aber nicht müssen. Die vorgestellten independent spaces setzen partizipative Strukturen auch in flache Hierarchien um, ihre Mitarbeiterinnen verantworten zum Teil wechselnde Aufgaben. Entscheidungsgewalt und Autorität sind umverteilt. Sofern vorhanden, verfügt die künstlerische Leitung über weniger Macht; das Programm wird kollektiv bestimmt. Das Kollektiv Inverse Institution macht gemeinschaftliches Arbeiten zum Ausgangspunkt ihrer Gruppenpraxis. Als Bündnis verschiedener Museen bildet kollektives und kollaboratives Arbeiten die Grundlage für L’Internationale. Die genannten gemeinschaftlichen Praktiken erfordern mehr Zeit als Projekte von Einzelpersonen, da gemeinsame Arbeits- und Verhaltensweisen erst auszuhandeln sind. In der ersten Phase solcher Projekte findet und formiert sich die Gruppe zunächst. Durch langfristiges Miteinander-Arbeiten entsteht Verbundenheit der Beteiligten untereinander und mit der Institution. Die entspringende Verbindlichkeit ermöglicht, sich tiefer und forschend auf ein Thema einzulassen – dafür braucht es einen flexibleren, zeitlich länger andauernden Rahmen.Die Beispiele präsentieren verschiedene Varianten, wie man mehrstimmiges Arbeiten in verschiedene Bereiche der Institutions-, Vermittlungs- und Ausstellungsarbeit integrieren kann. In der Folge verhandeln Institution, Künstlerinnen und Publikum Verantwortlichkeiten auf performative Weise neu. 3. Lokalbezug und Ortsspezifizität des Programms: Alle untersuchten Häuser und Projekte beziehen sich auf ihr lokales Umfeld. Sie verstehen sich als Gegenentwurf zu Universalmuseen oder enzyklopädischen Häusern wie dem Metropolitan Museum of Art oder dem British Museum, deren Sammlungen Kunstwerke und andere kulturelle Objekte aus der ganzen Welt beherbergen. In ihren Programmen greifen die vorgestellten Häuser stattdessen Gedanken, Bedürfnisse und Sorgen von Besucherinnen auf, um für sie anschlussfähig zu sein. Ausdruck davon sind Formen von community work zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen, wie bei Casco, The Showroom, nGbK und bak. Letzteren gelingt es mit diesen Formaten, das Publikum vor Ort ein und an sich zu binden. 4. Ergebnisoffene Langzeitprojekte zur Irritation und Wissenssammlung: Blickt man in die Kalender traditionell arbeitender Museen, erkennt man ähnliche Rhythmen: Ausstellungen wechseln alle drei Monate, Führungen finden an festen Tagen statt – gerne am Mittwoch und Sonntag –, Diskussionen und andere Begleitveranstaltungen verteilen sich gleichmäßig über die Ausstellungsdauer. Die Agenden sind durchgetaktet und bieten für Besucherinnen einen Fixpunkt mit Wiedererkennungswert. Institutionskritische Akteure durchbrechen diese eingefahrenen Routinen, schaffen Platz für Unerwartetes und alternative Formate. Langzeitprojekte etablieren ein langsameres Tempo als in Kunstinstitutionen üblich. Diese Formate widersetzen sich dem Kunstfeld, das sich an Konsum- und Eventkultur orientiert und vorgibt, kontinuierlich Neues zu produzieren. In den sammelnden

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Kunstmuseen finden sich Unterbrechungen dieser institutionellen Temporalität durch Ausstellungs- und Veranstaltungsserien: Themen entfalten sich über mehrere Episoden, wie bei Play Van Abbe im Van Abbemuseum oder bei den Sammlungsausstellungen Critical episodes im MACBA und The present order in der GfzK. In den nicht-sammelnden Häusern und independent spaces sind Projekte und Forschungsprojekte, die längerfristig dauern und Themen vertiefen, fester Bestandteil des Programms. Das bak forscht beispielsweise seit 2014 zu Future Vocabularies, wobei die Beteiligten unter anderem die Zukunft institutioneller Infrastrukturen hinterfragen. Auf diese Weise gelangt die bak zu einem detaillierten, vielschichtigen Bild zur jeweiligen Fragestellung. Veränderungen in der gesellschaftlichen Haltung zu den bearbeiteten Fragen können beobachtet werden. Post-Institutionen konstituieren sich von Beginn an als Langzeitprojekte; ihnen liegt eine spezifische Frage oder ein Anliegen zugrunde, wie beispielsweise für Para-Institution; die Suche nach einem Modell für eine zeitgenössische Kunstinstitution in Galway. 5. Selbstwahrnehmung als Agentin gesellschaftlichen Wandels : Was heute unter institutioneller Arbeit von Museen und Ausstellungsräumen gefasst wird, geht über das Präsentieren, Bewahren, Vermitteln, Konservieren und Archivieren hinaus, welche die traditionelle ICOM-Definition der Funktionen von Kunstinstitutionen vorsieht. Museen und Ausstellungshäuser generieren gesellschaftliche Werte, führen neue Diskussionen ein und nutzen ihre Rolle als Antriebskraft sozialen Wandels. Dafür positionieren sich die untersuchten Häuser durch Inhalte und Formate zu gesellschaftlichen Fragen. Sie arbeiten mit ihrem lokalen Publikum und fungieren als Ort, an dem man miteinander produziert, forscht und debattiert. Sie engagieren sich in transdisziplinären, internationalen Netzwerken mit Plattformen inner- und außerhalb des Kunstfeldes. Die Institutionen reagieren auf soziale und politische Herausforderungen und entwickeln entsprechende Formate, die in die Gesellschaft zurückwirken.Die klassischen Aufgaben von Institutionen sollen nicht eliminiert, sondern um die aktiv nach außen wirkende Rolle ergänzt werden. Institutionskritik bildet dabei die permanente Vergleichsfolie, welche die Transformation vorantreibt. Sie provoziert die kontinuierliche Aktualisierung der Vorstellung von Institutionen, die einem Verständnis von Museen als Agenten (und nicht als Repräsentanten) entspricht. Die Kritik zielt dabei auf die organisatorische und institutionelle Ebene, die in das reale Geschehen eingreift und Institutionen als Agenten der Veränderungen politischer, kultureller und sozialer Bedingungen einsetzt. Die Shedhalle beschäftigt sich beispielsweise intensiv mit Fragen der Migrations- und Flüchtlingspolitik und bindet Betroffene aktiv in die Formate ein. Die Galerie für zeitgenössische Kunst erarbeitet Maßnahmen, die der Segregation im Bildungsbereich entgegenwirken und trägt diese in kulturpolitische Organe. 6. Kontinuierliche Selbstreflexion: Die untersuchten Museen, Häuser und Räume erheben sich selbst zum Thema, arbeiten ihre Geschichte auf und öffnen sich für Kritik. Der forschende Blick auf sich selbst richtet sich gegen bisherige Routinen und Rhythmen des Museums, Kontexte von Objekten und kuratorische Entscheidungen, die mit auszustellen sind. Bei den sammelnden Kunstmuseen zeigt sich dies am selbstreflexiven Umgang mit der Sammlung sowie dezentralen Sammlungsstra-

5 Fazit

tegien. Damit positionieren sich die Beispielinstitutionen konträr zu anderen Museen im Feld, indem sie Hintergründe wie postkoloniale Sammlungspolitiken oder Anlässe für Neuerwerbungen offenbaren und debattieren. Das Van Abbe legt durch dokumentarische Materialien im Ausstellungsraum offen, welche Werke wann und aus welchen Gründen in die Sammlung gelangten. Das MACBA analysiert in der Ausstellungsreihe Critical episodes, wie die Werke seiner Sammlung politische und gesellschaftliche Veränderungen abbilden. Damit werden die Ausstellungen gleichzeitig zu Zeitzeugnissen und konstruieren ein spezifisches Bild, unter welchen Umständen sich die Sammlung formierte. Casco ›verlernt‹ bewusst bisherige Verhaltensweisen im Arbeitsalltag, um sich neu aufzustellen. Die Kuratorinnen von PRAXES halten alle Ereignisse im Ausstellungsraum in einer Art Tagebuch fest. Das post-institutionelle Kollektiv Inverse Institution entwickelte ein eigenes Format, um Arbeit und Verhältnis zu Institutionen zu reflektieren – die Institutionsmediation. Jedes der Fallbeispiele hat auf sich selbst zugeschnittene Formate der Selbstreflexion entwickelt. Diese sind ein erster Schritt auf dem Weg zur institutionellen Veränderung. Zudem gelten sie als dauerhaftes Mittel, um die eigenen Strukturen in Bewegung zu halten. 7. Überschneidungen von Rollen und Disziplinen: Die Grenzen zwischen kuratorischen, künstlerischen und vermittlerischen Kompetenzen lösen sich auf. Vorher klar abgesteckte Hoheitsbereiche werden übertreten. So propagieren alle Fallbeispiele die enge Zusammenarbeit mit Künstlerinnen.In den größeren Institutionen wie den sammelnden Kunstmuseen bilden die festen Rollenzuschreibungen durch getrennte Departemente und Positionsbezeichnungen diese Veränderung allerdings nur indirekt ab. Das Van Abbe, MACBA und die GfzK sind nach wie vor hierarchisch organisiert: Das Personal arbeitet in verschiedenen Abteilungen unter der Führung einer künstlerischen Direktorin. Das Van Abbe und MACBA haben zudem kaufmännische Direktorinnen, die in kleinen Häusern wegfallen. Dafür schuf das Van Abbe eine neue Position, den research curator, um Forschung zum Museum selbst und die kuratorische Arbeit stärker zu verbinden. Die GfzK behält traditionelle Positionsprofile bei, besetzt aber Stellen durch Künstlerinnen und fördert den Austausch zwischen den Arbeitsbereichen. Die nicht-sammelnden Ausstellungshäuser nGbK, bak und die Shedhalle arbeiten mit einem kleinen Team festangestellter Mitarbeiterinnen unter einer einzelnen oder einer kollektiven Leitung. Bei den independent spaces lässt sich anhand der Personalstrukturen der Institutionalisierungsgrad ablesen. Umso mehr die Ausstellungsräume wachsen, desto mehr differenzieren sich einzelne Rollen und Stellen heraus. Dadurch lässt sich auch rückschließen, ob es sich um eine temporäre Initiative handelt. Ein kleines Team wie die beiden Kuratorinnen von PRAXES benötigen weniger finanzielle Ressourcen und können flexibler als in starren Strukturen mit etablierten Verwaltungsabläufen reagieren. Die Post-Institutionen zeichnen sich durch kollektive, nicht-hierarchische Arbeitsweisen aus. Die vorgestellten sieben Elemente decken das Spektrum von Strategien ab, derer sich Institutionen bedienen, um Institutionskritik umzusetzen. Sie sind dabei gefordert, reflexiv und kontextsensibel ihre jeweiligen kuratorisch-kritischen Verfahren anzupas-

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Institutionskritik im Feld der Kunst

sen.Eine Universallösung, mit der auf einen Schlag das kritische Renommee einer Kuratorin oder Direktorin gesichert wäre, gibt es dabei nicht. Institutionskritik ist kein Event, kein Objekt, sondern manifestiert sich als andauernde, ständig verändernde Arbeitspraxis. Die aufgeführten Strategien der Kritik bezeugen, dass die untersuchten Museen und Häuser umfassend und strukturell auf Institutionskritik reagiert haben. Das Prinzip, ein Museum von innen zu verändern und sich selbst zu kritisieren, wurde verinnerlicht, Institutionskritik hat sich in ihnen ausgebreitet und sich durch einen iterativen Prozess zur institutionellen Praxis gewandelt.

5.2.

Vier Konsequenzen der institutionalisierten Kritik

Die gemeinsamen Strategien der Kritik symbolisieren die umfassende Internalisierung kritischer Praxen in Institutionen.1 Die Gemeinsamkeiten haben Konsequenzen für das weitere Wirken der Institutionskritik, da sich ihr Handlungsraum durch die neuen Akteure erweitert und das Kunstfeld verstärkt auf diese Verdichtung des kritischen Diskurses reagiert. Die Konsequenzen lassen sich in vier Bereichen darstellen: Veränderung von Institutionsstrukturen Die institutionalisierte Kritik verändert Institutionsstrukturen. Formen und Akteure der Institutionskritik wandeln sich. Nachdem sie in bestehenden institutionellen Strukturen fest verankert ist, verändert sie die Formen der Institutionen und garantiert so ihre eigene Sichtbarkeit. Dies geschieht einerseits durch Deinstitutionalisierung, andererseits durch die Schaffung neuer Institutionsformen: 1. Deinstitutionalisierung: Um kontinuierlich arbeiten zu können, sind einige Häuser und Räume auf externe Förderung angewiesen. Für diese müssen sie eine Struktur mit formalisierten Prozessen vorweisen. In internationalen Projekten wie Arts Collaboratory diskutieren unter anderem die untersuchten Räume Casco und The Showroom, wie sie diesen Institutionalisierungs- und Formalisierungszwang, der mit der Förderung einhergeht, unterbrechen können. Welche Alternativen gibt es, sich zu verweigern, ohne dabei die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen? Selbstorganisation gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung und resultiert in deinstitutionalisierenden Maßnahmen. Deinstitutionalisierung kann bedeuten, wieder zu prekären Bedingungen zurück zu kehren. Um sich von externen Vorgaben und Zwängen zu befreien, bauen die Beteiligten etablierte Verwaltungsstrukturen ab und akzeptieren finanziell unsichere Umstände. In der Konsequenz navigieren die vorgestellten Häuser zwischen Institutionalisierungsvorgängen und dem Streben nach Autonomie.

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Diese umfassende Internalisierung zeigt sich auch in Einzelformaten und -projekten von Museen und Häusern, die üblicherweise traditionell arbeiten, wie dem Lenbachhaus in München, dem K20 in Düsseldorf oder dem Centraal Museum in Utrecht.

5 Fazit 2. Neue Institutionsformen. Die Institutionslandschaft wird vielfältiger und fragmentierter; sie gerät zunehmend in Bewegung. Neue Institutionstypen positionieren sich im Kunstfeld nicht als Gegner bestehender Museen und Ausstellungshäuser, sondern ergänzen sie.

Mit kollektiven, nicht-hierarchischen Organisationsstrukturen realisieren PostInstitutionen demokratische Arbeitsformen und öffnen einen Raum, um ihre eigenen Arbeitsweisen diskursiv zu beforschen. Transnationale Infrastrukturen von selbstorganisierten oder aktivistischen Netzwerken wie L’Internationale versuchen, bestehende Machtverhältnisse umzugestalten und solidarisch die Vision einer zukünftigen Institution zu erarbeiten. Die besprochenen Fälle Inverse Institution und Para-Institution bezeugen, dass Institutionskritik nicht zu einem Exodus aus der institutionellen Landschaft geführt hat. Institutionskritik hat die Landschaft stattdessen erweitert und vervielfältigt. Im Anschluss an Chantal Mouffe verstehe ich die Rolle dieser neuen Typen als extra-institutionell. Ich schlage vor, die erkennbare Diversifizierung der Institutionslandschaft als eine produktive Vielfalt zu verstehen. Diese Erkenntnis stellt abermals infrage, inwiefern eine starre, dichotome Unterscheidung von außer- und innerhalb von Institutionen für den aktuellen institutionskritischen Diskurs noch relevant ist. Das Projekt Para-Institution in Galway hat gezeigt, wie Extra-Institutionalität umgesetzt werden kann und sich künstlerische mit kuratorischen Handlungs- sowie Forschungsweisen überkreuzen. Das Projekt bewegte sich an einer fruchtbaren Schnittstelle zwischen externen (Publikum) und internen (Kulturpolitik Galways) Erwartungen an das Projekt. Die Künstlerin Megs Morley initiierte mit Para-Institution ein gemeinsames Nachdenken über den Aufbau von Institutionen, das gleichzeitig konkret (direkt auf Galway bezogen) und abstrakt (nicht auf eine spezifische Organisation oder Ausstellungshaus gemünzt) in Erscheinung trat. Para-Institution arbeitete gemeinsam mit anderen Institutionen vor Ort, wollte aber keine bestehende Lücke besetzen und positionierte sich so extra-institutionell in der Kulturlandschaft der Stadt. Veränderte Wahrnehmung von Institutionen und des Sprechens über Institutionskritik Die institutionalisierte Kritik verändert die Wahrnehmung von Institutionen und das Sprechen über Institutionskritik. Institutionskritik ist unter Mithilfe der Kanonisierungsprozesse aus ihrer marginalisierten Position ins Zentrum des Kunstdiskurses gerückt. Post-Institutionen dringen in kulturpolitischen Agenden vor. Die drei untersuchten Post-Institutionen erhalten kommunale, städtische und europäische Zuwendungen. Diese kulturpolitische Entwicklung honoriert die Bemühungen dauerhaft kritisch arbeitender Museen und Häuser wie dem Van Abbemuseum, der nGbK, der Shedhalle, Casco und The Showroom. Institutionskritik zur kulturpolitischen Förderschiene zu erheben, initiiert ein Umdenken seitens der Kunsthäuser: Kritisch zu arbeiten, befördert ein Haus nicht in die Bedeutungslosigkeit. Im Gegenteil fördert eine solche Praxis die Anbindung an aktuelle Diskurse im Kunstfeld und der Gesellschaft und markiert damit die Relevanz der jeweiligen Institution.

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Institutionskritik im Feld der Kunst

Die neuen und alternativen Institutionstypen werden von einem neuen Sprechen über Institutionskritik begleitet. Zum einen auf der Ebene der Praxis: Die Institutionskritik hat Museen und Häuser motiviert, über sich selbst zu sprechen. Ein höherer Grad an Selbstreflexion und -kritik ist Standard in der Museumspraxis geworden. Maßnahmen zur institutionellen Veränderung werden nicht hinter mehr hinter verschlossenen Türen und in Gremiensitzungen diskutiert, sondern finden in den untersuchten Häusern einen prominenten Platz in Ausstellungen, Mission Statements, Forschungsprojekten und im Arbeitsalltag der Mitarbeiterinnen. Zum anderen veränderte die institutionalisierte Kritik auch auf konzeptioneller Ebene das Sprechen über die Institutionskritik. War zuvor von institutions of critique die Rede, diskutiert man nun Post-, Para- und De-Institutionen. Weitere neue Rhetoriken berücksichtigen Vorstellungen des Temporär-Flüchtigen, wie die Nomaden-Institution. Außerdem gibt es mit Beyond the Box, Plattformen, Laboratorien und Foren für Experimente noch jene Typen, die sich begrifflich von der Institution abwenden. Die institutionalisierte Kritik als sich selbst erhaltendes System Den Studiengängen der Curatorial Studies wurde durch die institutionalisierte Institutionskritik der Boden bereitet. Sie führen die Kritik in abgewandelter Form als lehrbares, kuratorisches Handwerkszeug fort. Voraussetzung dafür war die Aufnahme der Institutionskritik in den kunstgeschichtlichen Kanon. Dies machte Texte von institutionskritischen Künstlerinnen zur Pflichtlektüre und vermittelte Studierenden eine kritische Perspektive auf das Kunstfeld. Seminare fixieren Institutionskritik als kunsthistorische Strömung, die man kennen muss. Kritische Akteure wie Nina Möntmann, Leonie Baumann, Simon Sheikh oder Marion von Osten wechselten in den Hochschulund Forschungsbetrieb und verstärkten die universitäre Verankerung des Themas. Die Curatorial Studies-Studiengänge bringen Kuratorinnen hervor, für die Institutionskritik eine feste Referenz darstellt. Nach ihrer Ausbildung streben sie Stellen an Museen und Kunsträumen an und setzen ihre institutionskritischen Theoriekenntnisse in der Praxis um. Kuratorische Studiengänge haben sich in der aktuellen Phase der Institutionskritik als neue Plattform für kritische Agenten des Kunstfeldes herausgebildet und etablieren die Institutionskritik als sich selbst erhaltendes System. Kuratorische Praxis zu lehren ist unmittelbar mit einer kritischen Einstellung verbunden; Institutionskritik hat sich zu einer Haltung und einer Praxis gewandelt, die für verschiedene Akteure verfügbar gemacht wird. Scheitern der institutionalisierten Kritik in einigen Punkten Die institutionalisierte Kritik ist in einigen Punkten gescheitert. Um die Auswirkungen von Institutionskritik anhand einer Momentaufnahme der gegenwärtigen Institutionslandschaft zu beleuchten, fokussierte die vorliegende Studie auf bereits umgesetzte Veränderungen. Trotzdem Institutionskritik weitreichende Auswirkungen im Kunstfeld gezeitigt hat, wie an den gemeinsamen Strategien sichtbar wird, sind viele Ansprüche institutionskritischer Akteure nur teilweise umgesetzt: Institutionelle Arbeitsweisen transparent zu gestalten, kuratorische Prozesse offen zu legen, Verantwortlichkei-

5 Fazit

ten und Rollenverteilung in der Institution zu dynamisieren. Veränderungen geschehen schrittweise und viele der Kritikpunkte befinden sich noch im Umsetzungsprozess. Insbesondere aber konnte sich eine Forderung, die in den untersuchten Projekten und in Gesprächen mit Akteuren wiederholt anklang, nicht durchsetzen. Nach wie vor herrschen prekäre Arbeitsbedingungen, insbesondere in kleineren Institutionen wie independent spaces. Von gerechten Löhnen für Künstlerinnen, Praktikantinnen und Volontärinnen ist man weit entfernt. Kunstinstitutionen wälzen die Verantwortung für diesen Missstand auf Geldgeberinnen und Sponsorinnen und deren sinkende Beiträge ab. Der Anspruch institutionskritischer Projekte, die Arbeitsbedingungen der Akteure im Kunstfeld zu verbessern und für die solidarische Verteilung von Fördergeldern einzutreten, besteht aber weiterhin. Die nachfolgende Darstellung fasst die Erkenntnisse meiner Forschung noch einmal zusammen:

Abb. 17: Übersicht Erkenntnisse.

5.3.

Forschungsdesiderate und Ausblick

Die vorliegende Studie hat eine erste Systematik zu den Nachwirkungen der Institutionskritik, ihrer praktischen Auswirkungen in den Institutionen und ihrer konzeptionellen Konsequenzen vorgelegt. Damit sind noch nicht alle Aspekte dieses Themenbereiches erschöpfend abgehandelt. Weitere Forschungsarbeiten sind von Nöten, um insbesondere die Zusammenhänge zwischen Kuratieren, Kritik und Institution zu klären. Dieses Verhältnis ist gegenwärtig nicht weniger komplex geworden. Besonders lohnenswert erscheinen Untersuchungen in folgenden drei Bereichen:

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Institutionskritik im Feld der Kunst 1. Globale Kartographie der Institutionskritik: Den regionalen Fokus auszudehnen, um neben dem westeuropäischen Raum in andere Gebiete vorzudringen, ließe ein umfangreicheres Bild der aktuellen Ausstellungs- und Institutionslandschaft entstehen. Eine solche Kartographie böte die Möglichkeit, regionale Foki hinsichtlich der Anknüpfungspunkte der Museen an institutionskritische Themen abzubilden. Zum einen bieten sich Osteuropa und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion an, da deren kulturelle Institutionen lange Zeit unter strenger staatlicher Kontrolle standen. Zum anderen schlage ich vor, Museen in den Vereinigten Staaten als Ursprungsland der Institutionskritik ausführlicher zu untersuchen. In den USA sind Museen häufig staatlich-privaten Mischfinanzierungen unterworfen und orientieren sich dementsprechend stärker an einer marktwirtschaftlichen Eventökonomie. Interessant wäre, ob und wie sich die institutionelle Kritik im dortigen System festsetzen konnte. 2. Kuratorische Studiengänge als Ort der Institutionskritik: Der Einzug der Institutionskritik in Curricula und ihre wissenschaftliche Aufarbeitung sorgen dafür, dass kritische Ansätze nicht mehr auf ihre Akteure angewiesen sind. Dies sichert auch in Zukunft einen Platz im Kunstfeld. Die Universitäten und Kuratorinnenausbildung verdienen auf Grund dieser zukunftsträchtigen Rolle für die Institutionskritik eine eigenständige Untersuchung. 3. Post-Institutionen gesondert analysieren: Geht man davon aus, dass sich die Institutionslandschaft weiter vervielfältigt und fragmentiert, wären die neuen Formen von Institutionen und die damit einhergehenden Veränderungen im Feld weiter zu beforschen. Die Ergebnisse könnten im Vergleich mit den Erkenntnissen in der vorliegenden Arbeit Aufschluss geben über die veränderte Beziehung von Institutionskritik zu den Institutionen. Es scheint zudem notwendig zu untersuchen, inwiefern es sich um nachhaltige Transformationen des Kunstfeldes oder lediglich temporäre Verschiebungen von Handlungsmöglichkeiten handelt.

Schlussgedanke Die Diskussion über Institutionskritik war lange Zeit von Binaritäten geprägt: Für oder gegen die Institution. Innerhalb oder außerhalb der Institution. Von Künstlerinnen oder von Kuratorinnen durchgeführt. Dieser Reduktionismus ist einer nuancierten Betrachtung gewichen. Wenn wir heute von Institutionskritik sprechen, meinen wir vielfältige Praktiken, Orte und Akteure. Zu dieser Ausdifferenzierung wollte die vorliegende Studie einen strukturierenden Beitrag leisten. Und diese Strukturierung machte deutlich: Institutionskritik ist hochaktuell und nicht mehr wegzudenken. Als institutionelle Praxis überlebte sie alle bisherigen Versuche, sie abzuschaffen. Sie lässt sich nicht als inaktive Kunstströmung abtun, nicht auf einen temporären Störfaktor im Feld reduzieren. Institutionskritik fordert ständig die Aufmerksamkeit, ist ständig sichtbar. Institutionskritik ist gekommen, um zu verändern; sie ist gekommen, um zu bleiben.

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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tab. 1: Überblick Fallstudien............................................................................................22 Tab. 2: Hauptfälle. ....................................................................................................... 118 Tab. 3: Überblick Fallstudien. ......................................................................................... 119 Abb. 1: Übersicht Funktionen der Kritik (Aufbau: Funktion → Strategie → Beispiele) ...................... 107 Abb. 2: Zugang 1 des Van Abbemuseums .......................................................................... 120 Abb. 3: Zugang 2 des Van Abbemuseums ......................................................................... 120 Abb. 4: Detailaufnahme Display Contexts in der Dauerausstellung 2016. ..................................122 Abb. 5: Panoramaaufnahme 1 des DIY-Archiefs. ................................................................ 123 Abb. 6: Panoramaaufnahme 2 des DIY-Archiefs................................................................. 123 Abb. 7: toolshop. ........................................................................................................ 134 Abb. 8: Qwearing the Collection. .................................................................................... 136 Abb. 9: Ausstellungsansicht »Die Bestie und der Souverän« im Württembergischen Kunstverein Stuttgart: Ines Doujaks Skulptur »Not Dressed for Conquering«. ...................................... 141 Abb. 10: Abstimmung nGbk ............................................................................................. 152 Abb. 11: Mitglieder mit ihren Stimmzetteln auf der Hauptversammlung, Auftakt 2016, 28. Februar bis 5. März 2016.......................................................................................... 152 Abb. 12: Clemens Jahn: Diagramm der nGbK. .................................................................... 158 Abb. 13: Außenansicht bak. ............................................................................................. 167 Abb. 14: Innenansicht Flur, erster Stock. ........................................................................... 167 Abb. 15: Außenansicht Casco. ........................................................................................ 181 Abb. 16: Flur Casco. ...................................................................................................... 181 Abb. 17: Übersicht Erkenntnisse. .................................................................................... 229

Bildnachweis

Tab. 1-3: Eigene Darstellung Franziska Brüggmann, 2018. Abb. 1, 17: Eigene Darstellung Franziska Brüggmann, 2018. Abb. 2-9, 13-16: Foto: Franziska Brüggmann, 2016. Abb. 13: Quelle: Archiv nGbK, Foto: Elis Hannikainen. Abb. 14: Quelle: Archiv der nGbK, Foto: Frank-Peter Harms. Abb. 15: Grafik: Clemens Jahn.

Museum Anna Greve

Koloniales Erbe in Museen Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit 2019, 266 S., kart., 23 SW-Abbildungen, 4 Farbabbildungen 24,99 € (DE), 978-3-8376-4931-4 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4931-8

Bärbel Maul, Cornelia Röhlke (Hg.)

Museum und Inklusion Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe 2018, 168 S., kart., 16 Farbabbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4420-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4420-7 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4420-3

Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hg.)

Das Museum als Provokation der Philosophie Beiträge zu einer aktuellen Debatte 2018, 286 S., kart., 19 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4060-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4060-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Museum Andrea Kramper

Storytelling für Museen Herausforderungen und Chancen 2017, 140 S., kart., 15 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4017-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4017-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4017-5

Johanna Di Blasi

Das Humboldt Lab Museumsexperimente zwischen postkolonialer Revision und szenografischer Wende 2019, 292 S., kart., 16 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4920-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4920-2

Klaus Krüger, Elke A. Werner, Andreas Schalhorn (Hg.)

Evidenzen des Expositorischen Wie in Ausstellungen Wissen, Erkenntnis und ästhetische Bedeutung erzeugt wird 2019, 360 S., kart., 4 SW-Abbildungen, 77 Farbabbildungen 32,99 € (DE), 978-3-8376-4210-0 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4210-4

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