Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und europäisches Eisenbahnregulierungsrecht [1 ed.] 9783428542871, 9783428142873

Das Verhältnis zwischen sektorspezifischem Regulierungsrecht und zivilrechtlicher Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB wi

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Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und europäisches Eisenbahnregulierungsrecht [1 ed.]
 9783428542871, 9783428142873

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Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 1

Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und europäisches Eisenbahnregulierungsrecht

Von Markus Ludwigs

Duncker & Humblot · Berlin

MARKUS LUDWIGS

Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und europäisches Eisenbahnregulierungsrecht

Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs

Band 1

Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und europäisches Eisenbahnregulierungsrecht

Von Markus Ludwigs

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-14287-3 (Print) ISBN 978-3-428-54287-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84287-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort der Herausgeber Die mit dem vorliegenden Band 1 eröffneten Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht (SDEI) verfolgen das Ziel, die dynamische Rechtsmaterie in ihrer gesamten Breite abzudecken. Sie bieten eine Plattform für herausragende Dissertationen, Monographien und Sammelbände. Schwerpunkte sollen neben dem innovativen Feld des netzbezogenen Regulierungsrechts auch klassische Materien wie das Raumordnungs-, Bauplanungs- und Fachplanungsrecht sowie infrastrukturbezogene Fragen des Umweltrechts bilden. Die SDEI wollen zur weiteren Durchdringung dieser Teilgebiete beitragen und richten sich hierzu in gleichem Maße an Wissenschaftler und Praktiker. Das Projekt einer neuen Schriftenreihe steht und fällt mit der Unterstützung des Verlegers. Herr Dr. Florian R. Simon, LL.M., hat die Idee von Beginn an mit großer Begeisterung gefördert und ihre rasche Umsetzung ermöglicht. Hierfür und für die vertrauensvolle Zusammenarbeit danken wir ihm sehr herzlich. Würzburg, im November 2013

Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs

Vorwort des Autors Das Verhältnis zwischen sektorspezifischem Regulierungsrecht und zivilrechtlicher Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB wird in Rechtsprechung und Literatur bereits seit Längerem kontrovers diskutiert. Im Eisenbahnsektor hat die Debatte mit den jüngsten Urteilen des EuGH zur Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets eine neue Dynamik gewonnen. Schlagartig ist hierdurch die bislang weitgehend ausgeblendete unionsrechtliche Dimension der Thematik in den Fokus gerückt. Die vorliegende Schrift analysiert die europarechtlichen Einwände gegen eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte und beleuchtet die Konsequenzen der Unionsrechtswidrigkeit. Sie geht auf ein Rechtsgutachten zurück, das ich im Sommer 2013 für die Deutsche Bahn Netz AG erstattet habe. Sehr herzlich danken möchte ich Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., für die zeitnahe Realisierung der Publikation und die angenehme Zusammenarbeit. Meiner Frau, Privatdozentin Dr. Kathrin Kroll-Ludwigs, schulde ich nicht nur Dank für Geduld und Verständnis, sondern auch für wertvolle fachliche Diskussionen. Würzburg, im November 2013

Markus Ludwigs

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

B. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Grundkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Überblick zum Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Eisenbahnsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Entwicklungslinien der Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) BGH, Urt. v. 18.10. 2011 – KZR 18/10 – Stornierungsentgelt . . . . . . . . . . . 20 c) Folgerechtsprechung der Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 d) Neue Impulse durch die aktuelle EuGH-Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 e) Diskussion im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Vergleich mit den anderen Netzsektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Weitgehender Ausschluss der Billigkeitskontrolle im TK-Sektor . . . . . . . . . 25 b) Rechtsprechung des BGH im Energiesektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Besonderheiten des Eisenbahnrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Spezifische Ausgestaltung des Grundsatzes der Kostenorientierung . . . . . . . . . 29 2. Betonung der eigenen unternehmerischen Rolle des Infrastrukturbetreibers . . 31 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

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Inhaltsverzeichnis

C. Regulierungsrechtlicher Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Rechtsschutzsystem im Eisenbahnsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Überblick zum Antragsverfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Vergleich mit dem Energiesektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung . . . . . . . . . . 40 1. Normative Verankerung und Anerkennung in der EuGH-Judikatur . . . . . . . . . 40 a) Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 d) Bezugspunkt der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers . . . . . . . . . . . . 43 2. Folgen einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Kritische Würdigung der Sichtweise des KG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Unbilligkeitsfeststellung und Ersatzleistungsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Methodische Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Sichtweise des KG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 und 2 BGB als „untrennbare Einheit“ . . . . . . . . . 48 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Divergierende Grundkonzeption der Prüfungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Vorrang des eisenbahnrechtlichen Entgeltmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Übertragbarkeit auf den Zugang zu Serviceeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Inhaltsverzeichnis

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III. Sektorspezifisches Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Normative Verankerung und Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Grenzen der sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Verfahrensrechtlicher Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes . . . . . . 60 1. Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Infragestellung durch eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . 62 a) Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle . . . . . . . . 62 b) Widersprüchliche Signale an die Eisenbahnunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Gebot des effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 V. Organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Begrenzung auf eine einzige Regulierungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Handeln der Zivilgerichte als Regulierungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Einordnung der richterlichen Entscheidung im Rahmen von § 315 BGB . . . 68 3. Zwischenfazit und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 E. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Handlungsmöglichkeiten der Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Verfassungsrechtliche Konsequenzen einer Vorlagepflichtverletzung . . . . . . . . . . . 74 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 F. Zusammenfassung in zehn Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABl. Abs. AcP AEG AEUV AG Anh. Anm. AöR ARegV Az. Bd. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHZ BNetzA BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. DB ders. d. h. DÖV dpa DVBl. eds. EG EGMR EIBV EIU EL EMRK EN endg. EnWG

andere/r Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft Anhang Anmerkung Archiv des Öffentlichen Rechts Anreizregulierungsverordnung Aktenzeichen Band Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesnetzagentur Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Deutsche Bahn derselbe das heißt Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Presse-Agentur Deutsches Verwaltungsblatt editors Europäische Gemeinschaft(en)/EG-Vertrag Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung Eisenbahninfrastrukturunternehmen Ergänzungslieferung Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten englisch endgültig Energiewirtschaftsgesetz

Abkürzungsverzeichnis ES EU EuGH EuR EUV EWG f. ff. Fn. FR FS GA GewArch GG ggf. GRCh Hrsg. Hs. i.E. insb. IR i.S IT i.V.m. JZ Kap. KG KOM krit. Lfg. LG Lit. lit. LMK MMR m.w.N. N&R NJW Nr. NVwZ OLG OVG PostG RdE RL Rn. Rs. r. Sp.

spanisch Europäische Union, European Union Gerichtshof Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende (Singular) folgende (Plural) Fußnote französisch Festschrift Generalanwalt/Generalanwältin Gewerbearchiv Grundgesetz gegebenenfalls Grundrechte-Charta Herausgeber/Herausgeberin(nen) Halbsatz im Ergebnis insbesondere InfrastrukturRecht im Sinne italienisch in Verbindung mit Juristen-Zeitung Kapitel Kammergericht Europäische Kommission kritisch/kritischer Lieferung Landgericht Literatur littera Kommentierte BGH-Rechtsprechung (Lindenmaier-Möhring) MultiMedia und Recht mit weiteren Nachweisen Netzwirtschaften und Recht Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Postgesetz Recht der Energiewirtschaft Richtlinie Randnummer(n) Rechtssache(n) rechte Spalte

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14 Rspr. s. S. Schlussantr. Slg. sog. SPNV SPS Spstr. str. st. Rspr. TK TKG Tz. u. a. UA Urt. v. Verf. VersorgW VG vgl. VRR VwGO WuW z. B. ZHR Ziff. ZJS ZNER ZPO ZV

Abkürzungsverzeichnis Rechtsprechung siehe Seite/Satz Schlussanträge Sammlung so genannt(e/er/en) Schienenpersonennahverkehr Stationspreissystem Spiegelstrich strittig, streitig ständige Rechtsprechung Telekommunikation Telekommunikationsgesetz Textziffer unter anderem/und andere Unterabsatz Urteil von/vom Verfasser Versorgungs Wirtschaft Verwaltungsgericht vergleiche Verkehrsverbund Rhein-Ruhr Verwaltungsgerichtsordnung Wirtschaft und Wettbewerb zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das Juristische Studium (online) Zeitschrift für Neues Energierecht Zivilprozessordnung Zweckverband

A. Einleitung I. Hintergrund Die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte zählt zu den meistdiskutierten und praktisch bedeutsamsten Fragen des Eisenbahnregulierungsrechts. Im Fokus steht dabei insbesondere das Verhältnis zwischen der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle einerseits und den Regulierungsbefugnissen der BNetzA nach den §§ 14e und 14 f AEG1 andererseits. Nachdem der BGH mit Urteil vom 18. Oktober 2011 für eine parallele Anwendbarkeit votiert hatte2, schien die Diskussion zunächst beendet. Die Entscheidung blieb indes auf eine Bewertung der einfach-gesetzlichen Rechtslage beschränkt und traf keine Aussage zur Unionsrechtskonformität einer neben das Eisenbahnregulierungsrecht (insb. §§ 14 ff. AEG, 21 ff. EIBV3) tretenden Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Die Bedeutung der europarechtlichen Vorgaben ist nunmehr durch die jüngsten Urteile des EuGH zur Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets4 verstärkt in den Vordergrund gerückt. Obgleich die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte hier nicht direkt auf dem Prüfstand stand, haben die Aussagen von Generalanwalt Jääskinnen und des Gerichtshofs zur Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers5 und zur Komplexität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems6 der Diskussion neue Impulse verliehen. Im Schrifttum ist sogar bereits der Rückschluss auf die Unionsrechtswidrigkeit einer neben das Eisenbahnregulierungsrecht 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) v. 27.12. 1993, BGBl. I S. 2378, 2396 (1994 I S. 2439), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 153 und Art. 4 Abs. 120 des Gesetzes v. 7.8. 2013, BGBl. I S. 3154. 2 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 – KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 14 ff. – Stornierungsentgelt. 3 Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV) v. 3.6.2005, BGBl. I S. 1566; zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 123 des Gesetzes v. 22.12. 2011, BGBl. I S. 3044. 4 Für einen Überblick: Kühling, N&R 2013, 139 ff. 5 s. insb. EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10, Rn. 37 ff. – Kommission/Spanien; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-545/10, Rn. 33 ff. – Kommission/Tschechien; zuletzt EuGH, Urt. v. 3.10. 2013, Rs. C-369/11, Rn. 39 ff. – Kommission/Italien; GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9.2012, Rs. C-483/10, Rn. 41 ff. – Kommission/Spanien; Schlussantr. v. 13.12. 2012 – Rs. C-545/10; Rn. 37 ff. – Kommission/Tschechien; ausführlich unter D.I. 6 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-556/10, NVwZ 2013, 494 Rn. 79 ff. – Kommission/ Deutschland; GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9.2012, Rs. C- 556/10, Rn. 76 – Kommission/ Deutschland; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-545/10, Rn. 60 – Kommission/Tschechien; näher unter D.II.

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A. Einleitung

tretenden Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB gezogen worden.7 Die Zivilgerichte sind dem bislang indes nicht gefolgt und haben auch noch keine Klärung im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUVan den EuGH veranlasst. Erst jüngst hat der BGH eine unionsrechtlich begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Berufungsurteil des OLG München8 ohne nähere Begründung (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 ZPO) zurückgewiesen.9 Implizit verneinte das Gericht damit zugleich eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die daraufhin von der DB NetzAG unter Rekurs auf das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) erhobene Verfassungsbeschwerde bildet den Hintergrund der vorliegenden Untersuchung. Die Praxis der Zivilgerichte wirft zwei Fragen auf: Zum einen ist grundlegend klärungsbedürftig, ob eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte mit den Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrecht im Einklang steht. Sollte dies zu verneinen sein, wäre zweitens zu diskutieren, welche Handlungsmöglichkeiten den Zivilgerichten verbleiben und ob eine Verletzung der Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründet. Beide Problemkreise sind insoweit untrennbar miteinander verflochten, als die auf der ersten Stufe festgestellte Eindeutigkeit eines Unionsrechtsverstoßes zugleich Rückwirkungen für die – vom BVerfG auf einen Willkürmaßstab reduzierte10 – Prüfung des grundrechtsgleichen Rechts Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entfaltet.

II. Gang der Darstellung Die derart bezeichnete Problemstellung ist in vier Schritten aufzulösen. Auf einer ersten Stufe gilt es, die rechtliche Ausgangslage zu skizzieren [B.]. Dabei soll zum einen der Grundkonflikt zwischen einer regulierungsbehördlichen Überprüfung (mit nachgeschaltetem Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten) und einer parallelen Kontrolle durch die Zivilgerichte herausgearbeitet werden. Zum anderen ist ein Überblick zum Meinungsstand hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte zu geben und nach den Besonderheiten des Eisenbahnrechts in Abgrenzung von den anderen Netzsektoren zu fragen. In einem zweiten Schritt wird das System des regulierungsrechtlichen Individualrechtsschutzes daraufhin beleuchtet, ob bereits auf diesem Wege ein effektiver Rechtsschutz der Eisenbahnverkehrsunternehmen gewährleistet wird [C.]. Sollte dies zu bejahen sein, könnte eine parallele Anwendung von § 315 BGB auf Infra7

Leitzke, N&R 2013, 70 (73 ff.). OLG München, Urt. v. 23.2. 2012 – U 3365/11 Kart (juris). 9 KZR 17/12, BeckRS 2013, 08384. 10 Exemplarisch BVerfG, Beschl. v. 31.5. 1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 (194 ff.) – Absatzfonds; näher unter E.II. 8

II. Gang der Darstellung

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strukturnutzungsentgelte jedenfalls nicht mit der Schließung einer Rechtsschutzlücke begründet werden. Das Herzstück der Untersuchung bildet sodann drittens die Auseinandersetzung mit den möglichen unionsrechtlichen Einwänden gegen eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte [D.]. Im Einzelnen sind hier fünf Kritikpunkte zu entfalten, die von der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung über die Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems und das sektorspezifische Diskriminierungsverbot bis hin zum verfahrensrechtlichen Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes und der organisationsrechtlichen Einzigkeit der Zuständigkeit im Rahmen der Eisenbahnregulierung reichen. Den zentralen Prüfungsmaßstab bildet die Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG.11 Diese wurde zwar mit Wirkung vom 15. Dezember 2012 durch die Richtlinie 2012/34/EU zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums aufgehoben.12 Die Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten bleibt hiervon aber nach der expliziten Regelung in Art. 65 Satz 1 RL 2012/34/EU unberührt. Dies kann nur im Sinne einer Fort- bzw. Nachwirkung der RL 2001/14/EG bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der neuen RL 2012/34/EU am 16. Juni 2015 bzw. (sofern vorfristig) dem Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Umsetzung gedeutet werden. Die Eisenbahnzugangs-RL ist für die Auslegung des nationalen Umsetzungsrechts also weiterhin beachtlich13 und steht daher im Fokus dieser Untersuchung. Zum Vierten und abschließend ist nach den Konsequenzen der Unionsrechtswidrigkeit einer neben das Eisenbahnregulierungsrecht tretenden zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB zu fragen [E.]. Hier sind sowohl die bestehenden Handlungsmöglichkeiten der Zivilgerichte als auch die verfassungsrechtlichen Konsequenzen einer Verletzung der Vorlagepflicht auszuleuchten.

11 Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2. 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur, ABl. 2001, Nr. L 75/29; zuletzt geändert durch: Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.10. 2007, ABl. 2007, Nr. L 315/44. 12 Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.11. 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums, ABl. 2012, Nr. L 343/32. 13 Die Frage offenlassend OVG Münster, Urt. v. 18.2. 2013 – Az. 13 A 474/11, N&R 2013, 167 (170) m. Anm. Wachinger.

B. Ausgangslage I. Grundkonflikt Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass sich die Kontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte im Spannungsfeld zwischen behördlicher Regulierung (mit nachgeschaltetem Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten14) einerseits und zivilgerichtlicher Billigkeitskontrolle andererseits bewegt. Dabei ist zwischen einer materiell-rechtlichen und einer formell-rechtlichen Perspektive zu unterscheiden. Aus materiell-rechtlicher Sicht lassen sich drei Konfliktfelder ausmachen: Erstens gewährleistet Art. 4 Abs. 1 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Berechnung des Wegeentgeltes, was im Falle einer richterlichen Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB in Frage gestellt sein könnte [vgl. D.I.]. Zweitens ist das eisenbahnrechtliche Entgeltsystem im Bereich der Trassenentgelte durch eine typisierende Betrachtung gekennzeichnet, woraus ein Konflikt des standardisierten Preisbildungsmodells mit dem (objektiv-)individuellen Maßstab der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle entstehen könnte [s. D.II.]. Zum Dritten wird die konsequente Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsengelte wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig zu divergierenden Entgelten für die einzelnen Zugangsberechtigten führen, woraus eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung des eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbots resultiert [vgl. D.III.]. In formell-rechtlicher Perspektive ergibt sich ein doppeltes Konfliktpotential mit Blick auf die rechtsstaatlich fundierte Forderung nach einer klaren Kompetenzordnung. Zum einen droht eine parallele zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle sowohl die Bedeutung des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzsystem zu relativieren als auch widersprüchliche Signale an die Eisenbahnunternehmen zu senden [s. D.IV.]. Zum anderen trifft das erkennende Gericht gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB eine eigene Ermessensentscheidung, was die Frage aufwirft, ob die Zivilgerichte hier nicht funktional vollziehende Gewalt ausüben und als eine „zweite Regulierungsbehörde“ neben der BNetzA auftreten [vgl. D.V.].

14 Für einen Überblick zum Verwaltungsrechtsschutz im Eisenbahnsektor: Ludwigs, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO-Kommentar, 2013, §§ 137¢139 TKG (mit Einführung zum Rechtsschutz im Regulierungsrecht), Rn. 66 ff.

II. Überblick zum Meinungsstand

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II. Überblick zum Meinungsstand Nachdem die potentiellen Spannungsfelder zum europäischen Eisenbahnregulierungsrecht umrissen sind, gilt es im Folgenden zunächst, den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zur Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte aufzuarbeiten. Dabei wird zuvörderst der Eisenbahnsektor analysiert, bevor ein vergleichender Seitenblick auf die anderen Netzindustrien zu werfen ist.

1. Eisenbahnsektor Im Eisenbahnsektor wird eine parallele Anwendbarkeit der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB neben dem Eisenbahnregulierungsrecht bereits seit längerem diskutiert. Bis zum grundlegenden Stornierungsentgelt-Urteil des BGH vom 18. Oktober 2011 war die Rechtsprechung der Zivilgerichte in dieser Frage uneinheitlich.15 a) Entwicklungslinien der Judikatur Gegen eine Anwendung von § 315 BGB sprachen sich das LG Berlin16 und das LG Frankfurt a.M.17 aus. Die Gerichte stützten sich im Wesentlichen auf zwei Argumente: Zum einen impliziere eine parallele Entgeltkontrolle durch die BNetzA (bzw. die Verwaltungsgerichte) einerseits und die Zivilgerichte andererseits das Risiko divergierender und inhaltlich widersprüchlicher Entscheidungen über denselben Sachverhalt.18 Gerade dies solle durch die einheitliche Kontrolle der Entgelte über die BNetzA und den Verwaltungsrechtsweg vermieden werden.19 Zum anderen sei mit zivilgerichtlichen Einzelfallentscheidungen nach § 315 BGB die Gefahr einer Umgehung des strengen Gebots eines diskriminierungsfreien Netzzugangs aus § 14

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Näher Staebe, in: Schmitt/Staebe, Einführung in das Eisenbahn-Regulierungsrecht, 2010, Rn. 580 ff. m.w.N. 16 LG Berlin, Urt. v. 17.3. 2009 – 98 O 25/08, BeckRS 2009, 12140, S. 14; LG Berlin, Urt. v. 14.5. 2009 – 93 O 47/08, S. 10, 12; LG Berlin, Urt. v. 23.7. 2009 – 104 O 95/08, S. 11; die Frage offenlassend: KG Berlin, Urt. v. 9.4. 2009 – 19 U 21/08, S. 13 f. (s. insoweit auch BGH, Beschl. v. 4.4. 2012 – XII ZR 211/09: Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde). 17 LG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.5. 2009 – 3/12 O 178/08, S. 13 f.; vgl. aber auch LG Frankfurt, Urt. v. 14.4. 2011 – 2 – 24 O 120/10, S. 6 (bestätigt durch OLG Frankfurt, Urt. v. 20.6. 2012 – 1 U 112/11), wo neben den §§ 14 ff. AEG, 21 ff. EIBV Raum für eine Anwendung des Zivilrechts (konkret: einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UKlaG, § 307 BGB) gesehen wird. 18 LG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.5. 2009 – 3/12 O 178/08, S. 13 f.; LG Berlin, Urt. v. 23.7. 2009 – 104 O 95/08, S. 11; s. auch KG Berlin, Urt. v. 9.4. 2009 – 19 U 21/08, S. 13 f. 19 LG Berlin, Urt. v. 17.3. 2009 – 98 O 25/08, BeckRS 2009, 12140, S. 14; LG Berlin, Urt. v. 14.5. 2009 – 93 O 47/08, S. 10.

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B. Ausgangslage

Abs. 1 AEG bzw. § 21 Abs. 6 Satz 1 EIBV verbunden.20 Dieses fordere, dass die Entgelte nach dem AEG auf alle Zugangsberechtigten gleichermaßen und ohne Abweichung im Einzelfall Anwendung finden.21 Im Gegensatz hierzu plädierten das LG Düsseldorf22 und das OLG Düsseldorf23 für eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte.24 Zur Begründung wies das OLG Düsseldorf darauf hin, dass das Eisenbahnrecht „im Wesentlichen die Gewährleistung des freien Netzzugangs im Blick [hat], ohne hierbei jede Streitfragen, die sich aus der typischen Interessenlage der Beteiligten eines privatrechtlichen Schienennetz-Nutzungsvertrages ergeben, klären zu wollen und zu können“.25 Dies bleibe vielmehr „den Zivilgerichten auf der Grundlage des Zivilrechts vorbehalten“.26 Darüber hinaus könne eine gerichtliche Billigkeitskontrolle das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot schon deshalb nicht verletzen, weil es ein Gebot der Gleichbehandlung im Unrecht nicht gebe. In der Konsequenz des eisenbahnrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes liege es vielmehr, „die in einem Fall erkannte Unbilligkeit in eine geänderte allgemeine Entgeltbestimmung umzusetzen“.27 b) BGH, Urt. v. 18.10. 2011 – KZR 18/10 – Stornierungsentgelt Der BGH hat sich jüngst in einer grundlegenden Entscheidung vom 18. Oktober 2011 zur Erhöhung von Stornierungsentgelten im Trassenpreissystem 2008 dem LG bzw. OLG Düsseldorf angeschlossen und eine Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte für zulässig erachtet.28 Dabei wird auch an keiner Stelle darauf abgestellt, ob die Regulierungsbehörde bereits zuvor mit der Streitigkeit befasst war. Die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB wird mithin als „echter“ zweiter Überprüfungsweg etabliert. Die Aussagen des Revisionsurteils, die im Übrigen für Trassen- und Stationspreissysteme gleichermaßen

20 KG Berlin, Urt. v. 9.4. 2009 – 19 U 21/08, Rn. 33 ff. (juris); LG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.5. 2009 – 3/12 O 178/08, S. 13 f. 21 LG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.5. 2009 – 3/12 O 178/08, S. 14. 22 LG Düsseldorf, Urt. v. 25.8. 2009 – 14c O 104/08, Rn. 26 (juris). 23 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.10. 2009 – VI-U (Kart) 4/09, Rn. 90 ff. (juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3. 2010 – VI – U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 6 f. 24 Für weitere Nachweise aus der Judikatur der Landgerichte: Jung, N&R 2012, 45 (46 mit Fn. 7). 25 OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3. 2010 – VI – U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 7. 26 OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3. 2010 – VI – U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 7. 27 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.10. 2009 – VI ¢ U (Kart) 4/09, Rn. 91 (juris). 28 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 11 ff. – Stornierungsentgelt; zustimmend Hermes, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band I, 3. Aufl. 2012, § 25 Rn. 119; Jung, N&R 2012, 45 (47); Ostendorf, NVwZ 2012, 192; kritisch Otte, LMK 2012, 327729.

II. Überblick zum Meinungsstand

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gelten29, enthalten zwei Begründungsebenen, wobei der BGH freilich an keiner Stelle auf die Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts eingeht. In einem ersten Schritt bejaht der BGH die norminternen Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB auf die Infrastrukturnutzungsentgelte. Dabei soll es nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Nutzungsvertrag ein explizites oder konkludentes Festsetzungsrecht des Betreibers der Infrastruktur beinhaltet.30 Vielmehr sei § 315 BGB auch dann anwendbar, wenn beide Parteien sich nicht über den Preis einigen konnten, den Vertrag aber gleichwohl mangels zumutbarer Alternativen durchgeführt haben. Ein solcher Fall liege vor, wenn das Eisenbahnverkehrsunternehmen dem Entgelt beim Abschluss des jeweiligen Einzelnutzungsvertrages widersprochen habe. Nach den allgemeinen Regeln komme ein Vertrag dann wegen eines Einigungsmangels gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zustande. Da dies aber nicht interessengerecht sei, könne die Vertragslücke sinnvollerweise nur über eine Analogie zu § 315 BGB geschlossen werden.31 Auf einer zweiten Stufe wendet sich der BGH dann dem Verhältnis der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB zum Eisenbahnregulierungsrecht zu und begründet die parallele Anwendbarkeit im Wesentlichen mit zwei Argumenten. Zum einen sei der in § 315 BGB zu berücksichtigende Billigkeitsmaßstab nicht völlig deckungsgleich mit den Maßstäben des Eisenbahnregulierungsrechts.32 Die §§ 14 AEG, 21 ff. EIBV zielten auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur, um so ein betriebssichereres, attraktives und wettbewerbskonformes Verkehrsangebot auf der Schiene sicherzustellen. Demgegenüber beziehe sich die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB auf die (individuelle) Interessenlage der Parteien unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Bedeutung der Leistung, um auf diese Weise einen angemessenen Gegenwert für diese zu ermitteln. Dieser Maßstab werde zwar durch die eisenbahnrechtlichen Entgeltbemessungsgrundsätze konkretisiert, ohne dass hierdurch aber die eigenständige Bedeutung des § 315 BGB in Frage gestellt werde.33 29 30

gelt.

Vgl. auch Jung, N&R 2012, 45 (47). BGH, Urt. v. 18.10. 2011 – KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 12 f. – Stornierungsent-

31 Eingehend zu den – nicht europarechtsrelevanten – norminternen Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB im Bereich der Trassenentgelte: Röckrath/Linsmeier, Zivilrechtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und Eisenbahnrecht, 2010, S. 51¢89 m.w.N., dort (S. 76 ff.) auch zu den Tatbestandsmerkmalen der sog. Monopolrechtsprechung des BGH. Danach müssen „Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden (…) und [sind] einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen (…)“ (st. Rspr., exemplarisch BGH, Urt. v. 28.3. 2007 – VIII ZR 144/06, BGHZ 171, 374 Rn. 17). 32 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 – KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 14 ff. – Stornierungsentgelt. 33 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 17 – Stornierungsentgelt.

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B. Ausgangslage

Neben dieser Maßstabsverschiedenheit weist der BGH zum anderen darauf hin, dass die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte auch zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes notwendig sei.34 Eine Klage nach § 315 Abs. 3 BGB auf Festsetzung des billigen Entgelts durch das Gericht, könne vom Eisenbahnverkehrsunternehmen ohne weitere Voraussetzungen erhoben werden. Zwingende Folge sei die Überprüfung des vom Betreiber der Infrastruktur festgesetzten Entgelts und gegebenenfalls eine Absenkung auf den noch billigem Ermessen entsprechenden Betrag mit Wirkung ex tunc. Im Kontrast hierzu seien die Möglichkeiten der Eisenbahnverkehrsunternehmen, sich nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz gegen eine als zu hoch empfundene Preisforderung zu wehren, „deutlich schwächer ausgestaltet“. Insoweit weist der BGH auf drei kritikwürdige Besonderheiten des einschlägigen Verfahrens gemäß § 14 f Abs. 2 AEG hin: Erstens bleibe offen, ob die Vorschrift auch dann Anwendung finden soll, wenn der Vertrag trotz Fehlens einer Einigung über einen Teil der Entgeltregelung im Übrigen wirksam zustande gekommen ist. Zweitens sei die Regulierungsbehörde nicht verpflichtet, auf jeden Antrag hin ausnahmslos in ein Prüfverfahren einzusteigen, sondern verfüge insoweit über ein Aufgreifermessen. Drittens lasse der Wortlaut des Gesetzes offen, ob die Entscheidung auch Wirkung für die Vergangenheit oder nur für die Zukunft entfalten solle.35 c) Folgerechtsprechung der Zivilgerichte In der Folgejudikatur sind die Instanzgerichte (KG Berlin36, OLG Frankfurt a.M.37, OLG München38 und LG Berlin39) der Bewertung des BGH durchgängig gefolgt und von der Zulässigkeit einer parallelen zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle ausgegangen. Die Entscheidungen betrafen Trassen- und Stationsentgelte gleichermaßen. Eine Auseinandersetzung mit den Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts erfolgt auch hier nur in Ansätzen. Ein Vorlageersuchen an den EuGH nach Art. 267 Abs. 2 oder 3 AEUV ist bislang nicht gestellt worden. Zum Teil begründen die Gerichte dies sogar explizit mit dem Vorliegen eines sog. acte

34 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 18 ff. – Stornierungsentgelt. 35 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 20 – Stornierungsentgelt. 36 KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 5 ff.; KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 8 ff.; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/11 Kart, S. 7 f.; KG Berlin, Urt. v. 15.4. 2013 – 2 U 19/09 Kart, S. 4 f. 37 OLG Frankfurt, Urt. v. 17.1. 2012 – 11 U 43/09 (Kart), S. 11 f.; OLG Frankfurt, Urt. v. 20.6. 2012 – 1 U 112/11, S. 6 f.; OLG Frankfurt, Urt. v. 23.4. 2013 – 11 U 84/11 (Kart), Rn. 37 ff. (juris). 38 OLG München, Urt. v. 23.2. 2012 – U 3365/11 Kart, Rn. 30, 32 (juris). 39 LG Berlin, Urt. v. 28.2. 2012 – 16 O 29/11 Kart; LG Berlin, Urt. v. 19.9. 2012 – 38 O 271/ 11 Kart; LG Berlin, Urt. v. 11.6. 2013 – 5 O 177/12, S. 7 ff., 17 f.

II. Überblick zum Meinungsstand

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clair40, d. h. damit, dass „die richtige Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts so offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt“.41 d) Neue Impulse durch die aktuelle EuGH-Judikatur Neue Impulse hat die Diskussion um die Anwendung des § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte im Eisenbahnsektor nunmehr durch die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zur Umsetzung der Richtlinien des Ersten Eisenbahnpakets erhalten. Dem zugrunde lagen Aufsichtsklagen, die von der EU-Kommission gegen insgesamt 13 Mitgliedstaaten (einschließlich Deutschland) wegen nichtordnungsgemäßer Richtlinienumsetzung erhoben wurden. In einer Reihe bereits vorliegender Schlussanträge42 und Urteile43 haben Generalanwalt Jääskinen und der EuGH weiterführende Ausführungen zum System der Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor gemacht. Die Vereinbarkeit einer neben das Eisenbahnrecht tretenden zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle im Sinne des § 315 BGB stand hier zwar nicht direkt auf dem Prüfstand. Aus verschiedenen Aussagen von Generalanwalt und Gerichtshof, vor allem zur unionsrechtlich geforderten Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers sowie zum standardisierten Preisbildungssystem, können aber möglicherweise Rückschlüsse gezogen werden [vgl. D.I. und II.].

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Hierzu näher unter E.II.; s. auch Calliess, NJW 2013, 1905 (1906). KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 5 ff., unter Verweis auf BGH, Urt. v. 18.10. 2007 – III ZR 277/06, BGHZ 174, 48 Rn. 17, wo wiederum explizit auf die einschlägige EuGH-Judikatur (grundlegend EuGH, Urt. v. 6.10. 1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415 Rn. 16 – C.I.L.F.I.T.) verwiesen wird; s. ferner KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 9; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/11 Kart, S. 8. 42 GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-556/10 – Kommission/Deutschland; Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-557/10 – Kommission/Portugal; Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-555/10 – Kommission/Österreich; Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-473/10 – Kommission/ Ungarn; Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-483/10 – Kommission/Spanien; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-625/10 – Kommission/Frankreich; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-412/ 11 – Kommission/Luxemburg; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-512/10 – Kommission/ Polen; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-627/10 – Kommission/Slowenien; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-545/10 – Kommission/Tschechien. 43 EuGH, Urt. v. 25.10. 2012, Rs. C-557/10 – Kommission/Portugal; EuGH, Urt. v. 8.11. 2012, Rs. C-528/10 – Kommission/Griechenland; EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-556/10, NVwZ 2013, 494 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urt. v. 28.2. 2012, Rs. C-555/10 – Kommission/Österreich; EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10 – Kommission/Spanien; EuGH, Urt. 18.4. 2013, Rs. C-625/10 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-473/10 – Kommission/Ungarn; EuGH, Urt. v. 30.5. 2013, Rs. C-512/10 – Kommission/Polen; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-627/10 – Kommission/Slowenien; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-545/10 – Kommission/Tschechien; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-412/11 – Kommission/Luxemburg; noch anhängig sind die Rs. Kommission/Italien (C-369/11) und Kommission/Bulgarien (Rs. C-152/12). 41

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B. Ausgangslage

e) Diskussion im Schrifttum Im Schrifttum wird die Frage des Verhältnisses von Eisenbahnregulierungsrecht und zivilgerichtlicher Billigkeitskontrolle ebenfalls bereits seit längerem kontrovers erörtert. Die Befürworter einer parallelen Anwendung44 stützen sich vor allem auf die unterschiedlichen Regelungszwecke sowie auf die verfahrensrechtlichen Schwachstellen der eisenbahnrechtlichen Entgeltregulierung durch die BNetzA. Die Gegenauffassung45 rekurriert insbesondere auf die Gefahr divergierender Entscheidungen, das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot, den Charakter des Eisenbahnrechts als „sonderkartellrechtliche Ausprägung von Billigkeit und Angemessenheit“46 sowie die Möglichkeit einer effektivitätswahrenden Auslegung des eisenbahnrechtlichen Rechtsschutzsystems. Im Lichte der aktuellen EuGH-Judikatur zur Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets in den Mitgliedstaaten wird auch die Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte geltend gemacht.47 Konkret werden eine Aushöhlung der in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) verankerten Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers sowie die Aushebelung der in Art. 30 RL 2001/14/EG (Art. 55 und 56 RL 2012/34/EU) statuierten Kontrollbefugnisse der nationalen Regulierungsbehörde gerügt.48

2. Vergleich mit den anderen Netzsektoren Nachdem der Meinungsstand im Eisenbahnsektor skizziert ist, soll im Folgenden ein Seitenblick auf die anderen Netzindustrien geworfen und nach sektorübergreifenden Begründungsmustern gefragt werden. Dabei ist zwischen dem Telekommunikationssektor einerseits und dem Energiesektor andererseits zu differenzieren.

44 Jung, N&R 2012, 45 (47); Bremer/Höppner, N&R 2010, Beilage 1, S. 1 (6 f.); Hermes, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band I, 3. Aufl. 2012, § 25 Rn. 119; Kramer, in: Kunz (Hrsg.), Eisenbahnrecht, Loseblatt, EL 36/2013, § 14 AEG Rn. 49 (EL 25); Ostendorf, NVwZ 2012, 192; Kühling, N&R 2013, 139 (142 mit Fn. 26); Pflug, Eisenbahnregulierung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, 2011, S. 165 f., 173, 191, 192 f. 45 Bredt, IR 2009, 142 (143); ders., N&R 2009, 235 (238 ff.); Makatsch, IR 2009, 162 (163); Röckrath/Linsmeier (Fn. 31), S. 67 ff.; Ruge, DVBl. 2005, 1405 (1411); ders., AöR 131 (2006), 1 (60 f.); Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 555; differenzierend Otte, LMK 2012, 327729. 46 Otte, LMK 2012, 327729. 47 Ausführlich zuletzt Leitzke, N&R 2013, 70 (73 ff.); dagegen Kühling, N&R 2013, 139 (142 mit Fn. 26). 48 Leitzke, N&R 2013, 70 (73 ff.).

II. Überblick zum Meinungsstand

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a) Weitgehender Ausschluss der Billigkeitskontrolle im TK-Sektor Für den TK-Sektor besteht in Rechtsprechung49 und Schrifttum50 Einigkeit darüber, dass eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle der regulierungsbehördlich genehmigten Netzzugangsentgelte nach § 315 BGB a priori ausgeschlossen ist. Der Grund hierfür ist, dass es sich ausweislich des § 37 Abs. 1 TKG51 um Fixpreisgenehmigungen handelt, von denen die regulierten Unternehmen in keiner Richtung abweichen dürfen.52 Angesichts ihrer in § 37 Abs. 2 TKG angeordneten privatrechtsgestaltenden Wirkung fehlt es an dem von § 315 BGB vorausgesetzten privatautonomen Spielraum des Netzbetreibers.53 Was die Übertragbarkeit dieser Argumentation auf den Eisenbahnsektor angeht, so ist immerhin festzuhalten, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen gemäß § 21 Abs. 7 Satz 2 EIBV während der gesamten Fahrplanperiode in keiner Richtung von den einmal wirksam festgelegten Entgelten abweichen können.54 Dessen ungeachtet begründet die in § 14e AEG vorgesehene Vorabprüfung der Infrastrukturnutzungsentgelte keinen Genehmigungsvorbehalt.55 Den Eisenbahninfrastruktur49 Vgl. insb. BGH, Urt. v. 24.5. 2007 – III ZR 467/04, NJW 2007, 3344 (3345); s. auch bereits BGH, Urt. v. 2.7. 1998 – III ZR 287 – 97, NJW 1998, 3188 (3191 f.); BVerwG, Urt. v. 10.10. 2002 – 6 C 8/01, NVwZ 2003, 605 (608); s. auch die Paralleljudikatur zum Postsektor (s. dort § 23 Abs. 1 PostG): BGH, Urt. v. 14.6. 2007 – I ZR 125/04, NVwZ-RR 2008, 154 Rn. 31 ff. 50 Böckmann, Anm. zu BGH, Urt. v. 24.5. 2007 – III ZR 467/04, MMR 2007, 586 (587 f.); Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 45; in diese Richtung auch Geppert/Helmes, MMR 2007, 564 (564 f., 568); ferner Attendorn, in: Geppert/Schütz (Hrsg.), Beck‘scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 25 Rn. 58, der freilich annimmt, dass „[z]ur Wahrung der Einheit des Rechts und zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken (…) eine umfassende Vertragskontrolle der BNetzA unter allen Aspekten erfolgen [muss]“ (Hervorhebung v. Verf.). 51 Telekommunikationsgesetz (TKG) v. 22.6. 2004, BGBl. I S. 1190; zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 133 und Art. 4 Abs. 108 des Gesetzes v. 7.8. 2013, BGBl. I S. 3154. 52 Näher Cornils, in: Geppert/Schütz (Hrsg.), Beck‘scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 37 Rn. 8 ff.; Peters/Mielke, in: Säcker (Hrsg.), TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 37 Rn. 8 ff. 53 Etwas anderes könnte dagegen im Falle einer – praktisch weniger relevanten (s. den Überblick bei Geppert/Berger-Kögler, in: Geppert/Schütz [Hrsg.], Beck‘scher TKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 38 Rn. 30) – bloßen ex-post-Regulierung der Vorleistungsentgelte nach § 38 TKG gelten. Hier besteht ein privatautonomer Preissetzungsspielraum des Netzbetreibers jedenfalls solange, wie die BNetzA noch nicht nach § 38 Abs. 4 TKG Entgelte angeordnet hat, die den Maßstäben des § 28 TKG entsprechen (vgl. noch zum TKG 1996 ähnlich Rädler, Anm. zu BVerwG, Urt. v. 10.10. 2002 – 6 C 8.01, MMR 2003, 246 [247]). 54 Darauf hinweisend Bredt, N&R 2009, 235 (239). 55 Eine grundlegende Änderung der Rechtslage hätte sich ergeben, wenn der am 13.3. 2013 von der Bundesregierung unterbreitete „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich“ (BT-Drs. 17/12726) verabschiedet worden wäre (vgl. für einen Überblick: Scherer/Michalczyk, N&R 2013, 35 ff., s. auch Monopolkommission, Sondergutachten 64. Bahn 2013: Reform zügig umsetzen!, Tz. 47 ff.; abrufbar unter: http://www.monopolkommission.de/index.html [zuletzt abgerufen am 8.10. 2013]). Dort war in § 33 Abs. 1

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B. Ausgangslage

unternehmen verbleibt zudem im Rahmen der inhaltlichen und verfahrensmäßigen Vorgaben aus § 14 AEG bzw. §§ 21 ff. EIBV ein privatautonomer Ermessensspielraum bei der konkreten Entgeltbemessung.56 Dieser endet freilich mit der Veröffentlichung bzw. Zusendung der Entgelte nach § 21 Abs. 7 Satz 1 EIBV, womit zugleich das eisenbahnrechtliche Gebot der Gleichbehandlung aller Zugangsberechtigten abgesichert und ein kohärentes Gesamtsystem konstituiert wird. b) Rechtsprechung des BGH im Energiesektor Richtet man den Blick auf den Energiesektor, so zeigt sich, dass die Netzzugangsentgelte dort zwar einer „echten“ ex-ante-Regulierung unterworfen sind.57 Die zum Telekommunikationsrecht entwickelten Grundsätze sind aber auch hier nicht übertragbar.58 Dies folgte bis zum 31. Dezember 2008 aus dem in § 23 Abs. 2 Satz 2 EnWG59 wurzelnden Charakter der Einzelentgeltgenehmigung als Höchstpreisgenehmigung. Die regulierten Netzbetreiber mussten die Höchstgrenze nicht ausschöpfen, sondern waren frei darin, niedrigere als die genehmigten Entgelte zu verlangen. Sie verfügten mithin über die für eine Anwendung von § 315 BGB konstitutive unternehmerische Entscheidungsfreiheit.60 Seit Inkrafttreten der Anreizregulierung gemäß § 21a EnWG am 1. Januar 2009 hat sich dieser Preissetzungsspielraum der Netzbetreiber sogar noch vergrößert. Die Konzeption der vom Verordnungsgeber61 gewählten sog. Revenue Cap-Regulierung zeichnet sich gerade S. 1 des vorgeschlagenen Eisenbahnregulierungsgesetzes (ERegG-E) vorgesehen, dass „[d]ie Entgelte der Betreiber der Schienenwege für die Erbringung der Pflichtleistungen sowie der Betreiber von Personenbahnhöfen für den Zugang einschließlich der damit verbundenen Leistungen (. . .) der Genehmigung durch die Bundesnetzagentur [bedürfen]“. Ausweislich des § 43 EReG-E sollte dem zu genehmigenden Entgelt ein Fixpreis-Charakter zukommen. Überdies enthielt § 43 Abs. 1 S. 3 ERegG sogar eine explizite Fiktion dahingehend, dass das „genehmigte Entgelt (…) als billiges Entgelt im Sinne des § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches [gilt]“. Nach dem endgültigen Scheitern des Gesetzgebungsprojekts am 5.7. 2013 im Bundesrat (Stenographischer Bericht, 912. Sitzung v. 5.7. 2013, 379B), bleibt abzuwarten, ob in der 18. Legislaturperiode ein neuer Anlauf zur Reform des Eisenbahnregulierungsrechts unternommen wird. 56 Insoweit zutreffend BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 17 – Stornierungsentgelt; OLG Frankfurt, Urt. v. 20.6. 2012 – 1 U 112/11, S. 7; OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3. 2010 – VI – U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 6 f. 57 Ausführlich zum System der Entgeltregulierung im Energiesektor: Ludwigs, Unternehmensbezogene Effizienzanforderungen im Öffentlichen Recht, 2013, S. 154 ff., 164 ff., 280 ff. m.w.N. 58 Ebenso Geppert/Helmes, MMR 2007, 564 (564 f., 568). 59 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) v. 7.7. 2005, BGBl. I S. 1970, 3621; zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 4 des Gesetzes v. 4.10. 2013, BGBl. I S. 3746. 60 Vgl. auch BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 20 – Stromnetznutzungsentgelt V. 61 Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (ARegV) v. 29.10. 2007, BGBl. I S. 2529; zuletzt geändert durch Art. 4 der Verordnung v. 14.8. 2013, BGBl. I S. 3250.

II. Überblick zum Meinungsstand

27

dadurch aus, dass lediglich Erlösobergrenzen vorgegeben werden, die dem Netzbetreiber bewusst Spielraum für ein effizienzsteigerndes Verhalten lassen.62 Im Schrifttum ist daher konsequent darauf hingewiesen worden, dass § 315 BGB „erst recht für die Entgelte gelten [muss], die nach der ARegV von den Netzbetreibern unter Einhaltung der Erlösobergrenzen kalkuliert werden“.63 Parallel zum Eisenbahnsektor ist damit auch im Energiesektor klärungsbedürftig, ob neben den regulierungsrechtlichen Vorschriften Raum für die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte verbleibt. Hierbei handelt es sich um eine der umstrittensten Fragen des Energiezivilrechts.64 Nach fünf höchstrichterlichen Entscheidungen hat sich nunmehr immerhin eine gefestigte Judikatur herausgebildet.65 Von zentraler Bedeutung ist vor allem das jüngste Urteil des BGH vom 15. Mai 2012. Dort standen erstmals Stromnetznutzungsverträge auf dem Prüfstand, die nach Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) 2005 – also nach dem Übergang vom verhandelten zum regulierten Netzzugang – geschlossen wurden.66 Der BGH gelangt zu dem Befund, dass auch die gemäß § 23a EnWG genehmigten Netznutzungsentgelte einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegen.67 Zur Begründung rekurriert er erstens darauf, dass der Gesetzgeber in § 111 Abs. 1 Satz 1 EnWG zwar die §§ 19 und 20 (sowie jetzt auch § 29) GWB, nicht aber

62

Rieke, in: von Olenhusen (Hrsg.), FS 300 Jahre OLG Celle, 2011, S. 431 (445); näher Kling, Die Rechtskontrolle von Netzentgelten im Energiesektor, 2013, S. 126 f. m.w.N. 63 Götz, N&R 2012, S. 286 (288) – Hervorhebung v. Verf.; vgl. auch Böhme/Schellberg, N&R 2012, 284 (285). 64 Bejahend z. B. Dreher, ZNER 2007, 103 (105); Grigoleit/Götz, ZNER 2009, 224 (225); Kling, ZHR 177 (2013), 90 (120 ff.); ders. (Fn. 62), S. 119 ff. m.w.N.; verneinend Baur/ Pritzsche/Garbers, Anreizregulierung nach dem EnWG 2005, 2006, S. 79; Bork, JZ 2006, 682 (684); Kühne, NJW 2006, 654 (655 f.); Metzger, ZHR 172 (2008), 458 (470); Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 63, 67; Säcker, ZNER 2007, 114 (116); Scholtka/Baumbach, NJW 2012, 2704 (2707). 65 BGH, Urt. v. 18.10. 2005 – KZR 36/04, BGHZ 164, 336 (341) – Stromnetznutzungsentgelt I; BGH, Urt. v. 7.2. 2006 – KZR 8/05, NJW-RR 2006, 915 Rn. 12 f. – Stromnetznutzungsentgelt II; BGH, Urt. v. 4.3. 2008 – KZR 29/06, NJW 2008, 2175 Rn. 23 ff. – Stromnetznutzungsentgelt III; BGH, Urt. v. 20.7. 2010 – EnZR 23/09, NJW 2011, 212 Rn. 17 f. – Stromnetznutzungsentgelt IV; BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 14 ff., 17 ff., – Stromnetznutzungsentgelt V; zu der hiervon zu trennenden Frage einer Billigkeitskontrolle der Endkundenentgelte (Strom- und Gastarife) vgl. den Überblick bei Gundel, GewArch 2012, 137 (141 f.) m.w.N. zur – u. a. im Hinblick auf den Wegfall der Monopolstrukturen – deutlich restriktiveren BGH-Judikatur (s. zuletzt BGH, Urt. v. 17.10. 2012 – VIII ZR 292/11, NJW 2013, 595 Rn. 18 ff.; vgl. auch BGH, Urt. v. 28.3. 2007 – VIII ZR 144/ 06, BGHZ 171, 374 Rn. 17); s. ferner Wielsch, JZ 2008, 68 (69 f.). 66 Näher zu den Entwicklungsstufen der Regulierung im Energiesektor: Ludwigs, in: Baur/ Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2011, Kap. 1 ff., 5 ff., 13 ff., 19 ff. 67 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 17 ff. – Stromnetznutzungsentgelt V.

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B. Ausgangslage

auch § 315 BGB ausgeschlossen habe.68 Zweitens bleibe die rein öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung auf das Verhältnis der Behörde zum Netzbetreiber beschränkt und entfalte keine privatrechtsgestaltende Wirkung.69 Drittens rekurriert der BGH auf die unterschiedlichen Ziele von Netzentgeltregulierung und Billigkeitskontrolle, wobei er den Maßstab des § 315 BGB freilich in Abweichung von seinem Stornierungsentgelt-Urteil im Eisenbahnsektor als überindividuell charakterisiert.70 Viertens schließlich weist das Gericht – insoweit parallel zum Eisenbahnsektor – auf die Rechtsschutzdefizite des energierechtlichen Verfahrens nach §§ 30, 31 EnWG hin.71 Der Netznutzer habe keinen Rechtsanspruch auf Beiladung zum Regulierungsverfahren und der Zugang zur gerichtlichen Kontrolle werde durch die geforderte Beschwerdebefugnis nach § 75 Abs. 2 EnWG eingeschränkt. Zudem verfüge die Regulierungsbehörde bei der Einleitung eines Missbrauchsverfahrens nach den §§ 30, 31 EnWG über ein Aufgreifermessen und die Rechtfertigungsfiktion des § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Hs. 2 EnWG schließe in einem solchen Verfahren die Überprüfung der Netzentgeltgenehmigung aus. Ungeachtet der derart bejahten prinzipiellen Anwendbarkeit von § 315 BGB neben dem Energieregulierungsrecht betont der BGH freilich auch, dass sich der Netzbetreiber seit Inkrafttreten des EnWG 2005 zur Darlegung der Billigkeit der von ihm geforderten Netzentgelte in einem ersten Schritt auf die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG stützen könne. Angesichts der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle nach dem EnWG und der damit verbundenen Prüfdichte durch die neutralen Regulierungsbehörden bilde die Genehmigung ein „gewichtiges Indiz“ für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte.72 Es obliege dann dem Netznutzer, im Einzelnen darzulegen, weshalb die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen. Sofern es ihm gelinge, die indizielle Wirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern, müsse der Netzbetreiber seine Kostenkalkulation vorlegen und im Einzelnen näher erläutern73.74 68

BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 20 – Stromnetznutzungsentgelt V. 69 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 20 – Stromnetznutzungsentgelt V. 70 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 23 – Stromnetznutzungsentgelt V. 71 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 24 ff. – Stromnetznutzungsentgelt V. 72 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 36 – Stromnetznutzungsentgelt V. 73 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 36 – Stromnetznutzungsentgelt V. 74 Die gleichen Grundsätze wird man seit Inkrafttreten des Systems der Anreizregulierung am 1.1. 2009 auch für die Festlegung der Erlösobergrenzen nach § 4 ARegV anzunehmen haben. Hierfür spricht – unbeschadet des erhöhten Preisgestaltungsspielraums der Netzbetreiber – neben der durch die ARegV noch gesteigerten normativen Regelungsdichte auch die Gleichstellung von Einzelgenehmigung und Erlösobergrenzenfestlegung (näher Ludwigs

III. Besonderheiten des Eisenbahnrechts

29

Zusammenfassend bleibt im Vergleich von Energie- und Eisenbahnsektor einerseits festzuhalten, dass der BGH in beiden Netzindustrien die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte im Grundsatz bejaht. Andererseits hat er den Grad der Wechselwirkung von sektorspezifischem Regulierungsrecht und allgemeinem Zivilrecht unterschiedlich beurteilt: Während der BGH im Energiesektor die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG (gleiches ist für die Festlegung der Erlösobergrenze nach § 4 ARegV anzunehmen75) als „gewichtiges Indiz“ für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte anerkennt, weist er den Eisenbahninfrastrukturunternehmen die volle Darlegungs- und Beweislast zu.

III. Besonderheiten des Eisenbahnrechts Die vorstehend skizzierten sektorbezogenen Unterschiede in der Rechtsprechung zur Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte werfen die Frage nach den Spezifika des Eisenbahnrechts in Abgrenzung zu den anderen Netzindustrien auf. Dabei ist der Fokus auf solche sektorspezifischen Besonderheiten zu richten, die potentielle Rückwirkungen gerade auf die hier untersuchte – vom BGH bislang vollständig ausgeklammerte – Frage der Unionsrechtskonformität einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle entfalten. Hervorzuheben sind insoweit der Grundsatz der Kostenorientierung der Netzzugangsentgelte sowie die Rolle der Infrastrukturbetreiber bei der Entgeltberechnung.

1. Spezifische Ausgestaltung des Grundsatzes der Kostenorientierung Erstens hat der in allen Netzindustrien nachweisbare unionsrechtliche Grundsatz der Kostenorientierung der Netzzugangsentgelte76 im Eisenbahnsektor eine spezifische Ausgestaltung erfahren. Kennzeichnend hierfür ist die partielle Entkopplung der Zugangsentgelte von den Kosten des Netzzugangs. Sie findet ihren Ausdruck zum einen darin, dass die Deckung der Fahrwegausgaben des Infrastrukturbetreibers gemäß Art. 6 Abs. 1 UA 1 RL 2001/14/EG nicht allein durch die Wegeentgelte, sondern auch über den „Gewinn aus anderen wirt-

[Fn. 57], S. 155 m.w.N.) im Rahmen der Rechtfertigungsfiktion des § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Hs. 2 EnWG. 75 s. hierzu den Hinweis in Fn. 74. 76 Vgl. hierzu Ludwigs, NVwZ 2008, 954 (956 f.); ausführlich ders. (Fn. 57), S. 193 ff. m.w.N. zu den sekundärrechtlichen Regelungen in den einzelnen Sektoren.

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B. Ausgangslage

schaftlichen Tätigkeiten“77 und die „staatliche Finanzierung“ erfolgt.78 Die Gewichtung dieser Einnahmequellen spiegelt den staatlichen Zielkonflikt zwischen der Stärkung des Schienenverkehrs im intermodalen Wettbewerb durch möglichst niedrige Benutzungsentgelte einerseits und der Ermöglichung kostendeckender – staatliche Zuschüsse vermeidender – Benutzungsentgelte andererseits wider.79 Je nach dem in welcher Höhe die öffentliche Hand durch Zuschüsse zum Ausgleich der Fahrwegausgaben des Infrastrukturbetreibers beiträgt, steigt oder fällt auch die Abbildung der Kosten in den Netzzugangsentgelten. Zum anderen bestimmt Art. 8 Abs. 1 UA 2 RL 2001/14/EG (Art. 32 Abs. 1 UA 2 RL 2012/34/EU), dass die Höhe der Entgelte „nicht die Nutzung der Fahrwege durch Marktsegmente [d.h. einzelne Verkehrsmärkte80] ausschließen [darf], die mindestens die Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen, sowie eine Rendite, die der Markt tragen kann, erbringen können“ (Satz 2).81 Sind einzelne Verkehrsmärkte nicht dazu in der Lage, ein bestimmtes Entgeltniveau zu tragen, dann müssen die Entgelte hinter den Vollkosten zurückbleiben. Um gleichwohl eine Gesamtkostendeckung zu gewährleisten, sind die sonstigen Kosten dann auf die tragfähigeren Marktsegmente zu verteilen.82 Auch hieraus erhellt, dass die Kosten des Eisenbahninfrastrukturunternehmens in unterschiedlicher Weise durch die Netzzugangsentgelte abgebildet werden. Das aus dieser doppelten Entkopplung83 von Zugangsentgelten und Kosten resultierende Konfliktpotential gegenüber der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Rechtsprechung zu § 315 BGB im Bereich der Infrastrukturnutzungsentgelte in Richtung eines strikteren Kostenmaßstabs

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Hierzu Kühling/Hermeier/Heimeshoff, Gutachten zur Klärung von Entgeltfragen nach AEG und EIBV, S. 19 mit Fn. 14, mit dem Hinweis, dass es sich hierbei um „Erlöse [handelt], die mit dem Betrieb der Infrastruktur in Zusammenhang stehen, ohne Entgelte darzustellen“. 78 In Art. 8 Abs. 4 UA 1 der bis zum 16.6. 2015 umzusetzenden RL 2012/34/EU werden jetzt noch die „nicht rückzahlbaren Zuschüsse aus privater Quelle“ aufgeführt. 79 Gersdorf, Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor, 2007, S. 20 ff.; ders., ZHR 168 (2004), 576 (608 f.); s. ferner Fehling, DÖV 2002, 793 (802); Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 438; vgl. insoweit auch Erwägungsgrund 39 Satz 2 RL 2001/14/EG (ähnlich Erwägungsgrund 70 Satz 2 RL 2012/34/EU), wonach die Mitgliedstaaten „die Kostendeckung durch Entgelte variabel festlegen, (…) wobei Ausgewogenheit zwischen Kostendeckung und intermodaler Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs herzustellen ist.“ 80 Näher zum Marktsegment als „Markt im kartellrechtlichen Sinne“: Kühling/Hermeier/ Heimeshoff (Fn. 77), S. 70 ff. 81 Hervorhebung v. Verf. 82 Vgl. auch Kühling, N&R 2013, 139 (142 f.). 83 Des Weiteren lässt sich hier ergänzend die gleichfalls nicht strikt kostenorientierte, aber gleichwohl entgeltrelevante Vorgabe des Art. 11 RL 2001/14/EG (Art. 35 RL 2012/34/EU) anführen. Danach müssen die Entgelte durch leistungsabhängige Bestandteile den Eisenbahnunternehmen und den Betreibern der Infrastruktur Anreize bieten, Störungen zu minimieren und die Leistung des Schienennetzes zu erhöhen.

III. Besonderheiten des Eisenbahnrechts

31

weist.84 So wird in der instanzgerichtlichen Judikatur zum Eisenbahnsektor die „besondere Bedeutung“ des Kostenbezugs der Infrastrukturnutzungsentgelte unterstrichen.85 Und auch der BGH betont (im Energiesektor) explizit, dass es für die Beurteilung, ob die Ermessensentscheidung des beklagten Netzbetreibers der Billigkeit entspricht, darauf ankomme soll, „inwiefern das geforderte Netzentgelt der Deckung der Kosten des Netzbetriebs und der Erzielung eines im vertretbaren Rahmen bleibenden Gewinns dient.“86 Sollte dies im Sinne eines strikten Kostenbezugs gemeint sein, würde der komplexere Ansatz des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts unterlaufen. Exemplarisch hierfür steht die jüngste Rechtsprechung des EuGH, in der dieser eine automatische Pflicht zur Weitergabe reduzierter Kosten an die Eisenbahnverkehrsunternehmen in Form sinkender Trassenentgelte verneint87 und damit der komplexen Wechselwirkung zwischen den Einnahmequellen gemäß Art. 6 Abs. 1 UA 1 RL 2001/14/EG (Art. 8 Abs. 4 UA 1 RL 2012/34/ EU) Rechnung getragen hat [s. unter D.II.].

2. Betonung der eigenen unternehmerischen Rolle des Infrastrukturbetreibers Zweitens ist das europäische Eisenbahnregulierungsrecht durch eine – in den anderen Netzindustrien so nicht nachweisbare – spezifische Betonung der eigenen unternehmerischen Rolle des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung gekennzeichnet. Ihren spezifischen Ausdruck findet sie in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/ EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU). Dort wird sowohl die „Berechnung“ des Wegeentgeltes, als auch seine „Erhebung“ explizit dem Betreiber der Infrastruktur zugewiesen. Den Mitgliedstaaten verbleibt nur die Schaffung einer Entgeltrahmenregelung und die Aufstellung „einzelne[r]“ Entgeltregeln. Die hiermit verbundene sektorspezifische Garantie eines Gestaltungsspielraums des Eisenbahninfrastrukturbetreibers droht aber in Frage gestellt zu werden, wenn das Zivilgericht im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB eine eigene Gestaltungsentscheidung treffen könnte [vgl. D.I.]. 84 Näher zur Problematik aus der Lit.: Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 56 ff., insb. 65 ff.: „[dysfunktionale] Kostenkontrolle“; s. auch Martini, DVBl. 2008, 21 (28). 85 OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3.2010 – VI – U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 10; ferner KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 10; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/ 11 Kart, S. 10. 86 Vgl. BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 35 – Stromnetznutzungsentgelt V; s. auch BGH, Urt. v. 20.7. 2010 – EnZR 23/09, NJW 2011, 212 Rn. 33 m.w.N. – Stromnetznutzungsentgelt IV; grundlegend zu diesem Konzept verursachungsgerechter Kosten: BGH, Urt. v. 2.10. 1991 – VIII ZR 240/90, NJW-RR 1992, 183 (185 f.); aus der Lit.: Karb, Energiepreiskontrolle, 2011, S. 258. 87 EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-556/10, NVwZ 2013, 494 Rn. 108 – Kommission/ Deutschland; EuGH, Urt. 18.4. 2013, Rs. C-625/10 Rn. 84 – Kommission/Frankreich.

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B. Ausgangslage

IV. Fazit Die Kontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte bewegt sich im Spannungsfeld zwischen behördlicher Regulierung (mit nachgeschaltetem Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten) einerseits und zivilgerichtlicher Billigkeitskontrolle andererseits. In der zunächst uneinheitlichen Rechtsprechung der Instanzgerichte dominiert seit dem Stornierungsentgelt-Urteil des BGH vom 18. Oktober 2011 (KZR 18/10) die Parallelitätsthese. Danach kommt § 315 BGB neben den eisenbahnrechtlichen Regelungen zur Anwendung. Die aktuelle EuGH-Judikatur zur Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets hat der Diskussion freilich neue Impulse verliehen. Dies betrifft gerade die Vereinbarkeit der Parallelitätsthese mit dem europäischen Eisenbahnregulierungsrecht. Im Quervergleich zu den anderen Netzindustrien zeigt sich, dass § 315 BGB aufgrund des Fixpreischarakters der Netzentgeltgenehmigungen im Telekommunikationssektor (§ 37 TKG) praktisch keine Rolle spielt. Demgegenüber wird eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte im Energiesektor von der ständigen Rechtsprechung im Grundsatz bejaht. Anders als im Eisenbahnsektor nimmt der BGH hier freilich eine Einschränkung dahingehend vor, dass die Höchstpreisgenehmigung nach § 23a EnWG (gleiches ist für die Festlegung der Erlösobergrenze nach § 4 ARegV anzunehmen) als „gewichtiges Indiz“ für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte anerkannt wird. Eine Analyse der Besonderheiten des Eisenbahnregulierungsrechts zeigt freilich, dass die – vom BGH bislang nicht diskutierte – Unionsrechtskonformität der Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte gerade dort in hohem Maße fragwürdig erscheint.

C. Regulierungsrechtlicher Individualrechtsschutz Bevor aber die möglichen Einwände gegen die Unionsrechtskonformität einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle von Infrastrukturnutzungsentgelten entfaltet werden können, ist zunächst das unmittelbar einschlägige regulierungsrechtliche Instrument des § 14 f Abs. 2 AEG zu beleuchten. Hier gilt es herauszuarbeiten, inwieweit bereits auf diesem Wege ein effektiver Rechtsschutz der Eisenbahnverkehrsunternehmen gewährleistet wird. Sollte dies der Fall sein, könnte eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte jedenfalls nicht, – wie es der BGH in seiner Stornierungsentgelt-Entscheidung vom 18. Oktober 2011 nahelegt [vgl. unter B.II.1.b)] – mit der Schließung einer Rechtsschutzlücke legitimiert werden.

I. Rechtsschutzsystem im Eisenbahnsektor 1. Überblick zum Antragsverfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG In § 14 f Abs. 2 AEG wird den zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen ein von Art. 30 Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Art. 56 RL 2012/34/ EU) vorausgesetztes Konfliktschlichtungsverfahren zur Verfügung gestellt.88 Dabei gilt ein grundsätzlicher „Vorrang des Vereinbarungsprinzips“89 : Die BNetzA entscheidet nur dann auf Antrag einer Seite, wenn die Beteiligten keine Einigung über die Gewährung von Zugang nach § 14 Abs. 6 AEG oder über den Abschluss eines Rahmenvertrages nach § 14a AEG erzielen konnten. Antragsberechtigt sind nach § 14 f Abs. 2 Satz 2 AEG alle Zugangsberechtigten, deren Recht auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur beeinträchtigt sein kann. Hierfür reicht es – in Analogie zur Möglichkeitstheorie bei § 42 Abs. 2 VwGO – aus, wenn nach dem Vortrag des Antragstellers eine Beeinträchtigung des Netzzugangsrechts nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.90 Im „Extremfall“ genügt daher schon eine minimale Abweichung vom Zulassungsantrag, um das Antragsrecht des Berechtigten zu begründen.91 88 Näher Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), Beck‘scher AEG-Kommentar, 2006, § 14 f Rn. 29; Kramer, in: Kunz (Hrsg.), Eisenbahnrecht, Loseblatt, EL 36/2013, § 14 f AEG Rn. 5 (EL 25); Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 544 ff.; s. auch Bredt, N&R 2009, 235 (236 f.); Röckrath/Linsmeier (Fn. 31), S. 67 ff. 89 Kramer, in: Kunz (Hrsg.), Eisenbahnrecht, Loseblatt, EL 36/2013, § 14 f AEG Rn. 5 (EL 25). 90 Ähnlich Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), Beck‘scher AEG-Kommentar, 2006, § 14 f Rn. 29; Kramer, in: Kunz (Hrsg.), Eisenbahnrecht, Loseblatt, EL 36/2013, § 14 f AEG Rn. 7 (EL 25).

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C. Regulierungsrechtlicher Individualrechtsschutz

Zu den Prüfungsgegenständen zählt nach der beispielhaften („insbesondere“) Aufzählung in § 14 f Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 – 3 AEG auch ausdrücklich die „Höhe oder Struktur der Wege- und sonstigen Entgelte“ (Nr. 3). Den Prüfungsmaßstab für die Entscheidung der BNetzA bildet das auf den freien Netzzugang bezogene Eisenbahnrecht (§§ 14 ff. AEG, 21 ff. EIBV).92 Im Falle einer festgestellten Beeinträchtigung des Rechts auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur begrenzt § 14 f Abs. 3 AEG die Handlungsoptionen der BNetzA schließlich auf zwei Varianten. Entweder verpflichtet die Regulierungsbehörde das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Änderung seiner Entscheidung oder sie legt die Vertragsbedingungen fest, entscheidet über die Geltung des Vertrags und erklärt entgegenstehende Verträge für unwirksam. Die BNetzA verfügt hier also zwar über ein Auswahl- nicht aber auch über ein Entschließungsermessen.

2. Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Ungeachtet der weit gefassten Antragsberechtigung wird kontrovers diskutiert, ob durch das Verfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG ein effektiver Rechtsschutz der zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen sichergestellt wird. Der BGH hat dies in der Stornierungsentgelt-Entscheidung vom 18. Oktober 2011 aus dreierlei Gründen in Frage gestellt.93 Zum Ersten weist das Gericht darauf hin, dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen den Antrag auf Überprüfung der Entgelte nur dann stellen könne, wenn eine entsprechende Vereinbarung aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über den angemessenen Preis nicht zustande gekommen sei. Demgegenüber ist freilich zu betonen, dass fragwürdig erscheint, ob aus diesem „Vorrang des Vereinbarungsprinzips“ eine Rechtsschutzlücke resultiert. Im Schrifttum wird dies mit Blick auf den zwar anders gelagerten, aber materiell äquivalenten Rechtsschutz der Zugangsberechtigten angezweifelt. Diesen ist im Rahmen des § 14 f Abs. 2 AEG eine Entscheidung über die Durchführung einer Vorabprüfung der Entgelte vor Vertragsschluss möglich.94 Selbst wenn man eine solche „Ex-ante-Prüfung“95 aber im Lichte des Gebots effektiven Rechtsschutzes nicht ausreichen lassen wollte, wäre freilich – 91

Kramer, Allgemeines Eisenbahngesetz. Kommentar, 2012, § 14 f AEG Rn. 3 (dort auch das Zitat im Text). 92 Näher Kramer, in: Kunz (Hrsg.), Eisenbahnrecht, Loseblatt, EL 36/2013, § 14 f AEG Rn. 12 (EL 25). 93 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 20 – Stornierungsentgelt; zustimmend KG Berlin, Urt. v 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 6; KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 8; s. bereits unter B.II.1.b. 94 Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 583, mit dem ergänzenden Hinweis darauf, dass das Argument der Rechtsschutzlücke völlig zurücktrete, wenn ohnehin eine Entgeltkontrolle über das GWB erfolge; letzteres wird freilich ebenfalls kontrovers diskutiert (hierzu Ludwigs, WuW 2008, 534 [545 ff. m.w.N.]); ähnlich Bredt, N&R 2009, 235 (236 f.). 95 Wendung im Kontext von Bredt, N&R 2009, 235 (236 f.).

I. Rechtsschutzsystem im Eisenbahnsektor

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worauf auch der BGH hinweist96 – an eine analoge Anwendung von § 14 f Abs. 2 AEG auf den Fall eines bereits erfolgten Vertragsschlusses zu denken. Hierdurch könnte systemimmanent, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung von § 14 f Abs. 2 AEG, ein effektiver eisenbahnrechtlicher Rechtsschutz gewährleistet werden. Der zweite Kritikpunkt des BGH an der Effektivität des Verfahrens nach § 14 f Abs. 2 AEG basiert auf der These, dass es im Ermessen der Regulierungsbehörde stehe, ob sie die beanstandeten Entgelte überhaupt überprüfe.97 Die Annahme eines derartigen Aufgreifermessens kann indes schon mit Blick auf das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht nicht überzeugen. Maßgeblich erscheint insoweit, dass den Zugangsberechtigten in § 14 f Abs. 2 Satz 2 AEG ein Antragsrecht zur Durchsetzung ihres materiellen Anspruchs auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur eingeräumt wird. Hieraus resultiert zugleich ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einleitung des eisenbahnrechtlichen Verfahrens (s. § 22 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG)98, welches der Antragsteller gegebenenfalls mit der Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO geltend machen kann. Im Übrigen ergibt sich die Prüfungspflicht der BNetzA auch aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 14 f Abs. 2 AEG. Einschlägig ist insoweit Art. 30 Abs. 5 Satz 1 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG. Danach „hat“ (EN: „shall be required“; FR: „est obligé“; IT: „deve decidere“; ES: „deberá resolver“) die Regulierungsstelle über Beschwerden zu entscheiden und binnen zwei Monaten ab Erhalt aller Auskünfte Abhilfemaßnahmen zu treffen.99 Die Annahme eines Aufgreifermessens ist mit dieser Vorgabe nicht kompatibel.100 Dies zugrunde gelegt, ist

96 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 20 – Stornierungsentgelt, allerdings mit (nicht näher begründeten) Zweifeln, ob durch eine analoge Anwendung auch Verträge über Trassennutzungen erfasst werden können, die – was bei einem kurzfristig beantragten Gelegenheitsverkehr vorkommen kann – zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung schon abgeschlossen sind. 97 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 20 – Stornierungsentgelt; aus dem Schrifttum Kramer, in: Kunz (Hrsg.), Eisenbahnrecht, Loseblatt, EL 36/2013, § 14 f AEG Rn. 6 (EL 25). 98 Allgemein zum Konnex zwischen der Geltendmachung eines materiellen Anspruchs gegenüber der Behörde oder Dritten und einer hieraus resultierenden Verpflichtung der Behörde auf Einleitung eines Verwaltungsverfahrens auf Antrag: Heßhaus, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, Edition 20/2013, § 22 VwVfG Rn. 14 m.w.N.; H. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG. Kommentar, 8. Aufl. 2008, § 22 Rn. 23. 99 s. daneben auch Art. 30 Abs. 5 UA 3 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 9 UA 3 RL 2012/34/ EU). 100 Vgl. noch strikter Art 56 Abs. 9 UA 1 Satz 1 RL 2012/34/EU, wonach die Regulierungsstelle eine Beschwerde innerhalb eines Monats ab Erhalt prüft und nach Erhalt aller sachdienlichen Informationen spätestens binnen sechs Wochen „über die betreffenden Beschwerden [entscheidet], (…) Abhilfemaßnahmen [trifft] und (…) die Betroffenen über ihre begründete Entscheidung in Kenntnis [setzt]“.

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C. Regulierungsrechtlicher Individualrechtsschutz

der Terminus „kann“ in § 14 f Abs. 2 AEG daher nicht als „Ermessens-Kann“, sondern als „Kompetenz-Kann“ zu begreifen.101 Zum Dritten betont der BGH, dass bei einem begründeten Antrag im Rahmen des Verfahrens nach § 14 f Abs. 2 AEG unklar bleibe, ob die Entscheidung der Regulierungsbehörde nur Wirkung für die Zukunft102 oder auch für die Vergangenheit103 entfalte. Auch für den Fall einer Beschränkung auf eine reine ex-nunc Wirkung wird indes die Existenz einer Rechtsschutzlücke bezweifelt. Denn im Hinblick auf den eisenbahnrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung entspreche es gerade der gesetzgeberischen Intention, jährlich abzuschließende Einzelnutzungsverträge (s. § 11 Abs. 2 EIBV) mit Überprüfbarkeit nur für die Zukunft vorzusehen.104 Selbst wenn man dies aber im Lichte des Gebots effektiven Rechtsschutzes anders sehen und eine Rückwirkung der regulierungsbehördlichen Entscheidung verlangen wollte, könnte dem im Rahmen einer die Wortlautgrenze wahrenden Auslegung von § 14 f Abs. 2 AEG Rechnung getragen werden. Die argumentative Brücke liefert ein Umkehrschluss zu dem nach § 14 f Abs. 1 Satz 2 AEG explizit auf eine ex-nunc Wirkung beschränkten amtswegigen Verfahren.105 Auch insoweit könnte systemimmanent ein effektiver eisenbahnrechtlicher Rechtsschutz sichergestellt werden. Neben diesen drei vom BGH benannten Kritikpunkten wird schließlich auch vielfach auf die angeblich unrealistisch engen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antragsverfahrens nach § 14 f Abs. 2 AEG verwiesen.106 Den zentralen Angriffspunkt bildet hier § 14 f Abs. 2 Satz 3 AEG. Danach können die Antragsberechtigten den Antrag nur innerhalb der Frist stellen, in der das Angebot des Eisenbahninfrastrukturunternehmens zum Abschluss von Vereinbarungen im Sinne des § 14 f Abs. 2 Satz 1 AEG angenommen werden kann. Diese Frist beträgt für den Zugang zu den Schienenwegen nach § 11 Abs. 1 Satz 4 EIBV in der Tat nur fünf Werktage. Prima facie scheint hier die Annahme einer rechtsschutzverkürzenden Minimierung der Überlegungsfrist des Zugangsberechtigten nahezuliegen. Richtigerweise ist dem aber ein Zweifaches zu entgegnen. Zum einen entspricht es der gesetzgeberischen Intention, potentielle Verfahren zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen so auszugestalten, dass eine behördliche Entscheidung zeitgerecht vor Inkrafttreten des neuen Netzfahrplans getroffen wird.107 Insoweit ist im Übrigen daran zu erinnern, dass „[w]irksamer Rechtsschutz (…) auch 101 Ebenso im Ergebnis: Schmitt, in: ders./Staebe, (Fn. 15), Rn. 581; Röckrath/Linsmeier (Fn. 31), S. 69 f.; undeutlich Bredt, DÖV 2010, 430 (433): „nur sehr begrenztes Aufgreifermessen“. 102 Dafür OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3.2010 – VI -U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 8; aus der Lit.: Jung, N&R 2012, 45 (47). 103 Dafür Otte, LMK 2012, 327729. 104 Bredt, N&R 2009, 235 (236 f.), unter Rekurs auf BT-Drs. 14/6929, S. 12; Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 583. 105 Dafür Otte, LMK 2012, 327729. 106 Bremer/Höppner, N&R 2010, Beilage 1, S. 1 (7); Jung, N&R 2012, 45 (47). 107 Röckrath/Linsmeier (Fn. 31), S. 71.

II. Vergleich mit dem Energiesektor

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Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit [bedeutet]“.108 Zum anderen ist festzuhalten, dass die Überlegungsfrist der Zugangsberechtigten im Hinblick auf die vom Eisenbahninfrastrukturunternehmen geforderten Entgelte tatsächlich deutlich mehr als fünf Werktage beträgt. Zu verweisen ist hier vor allem auf § 21 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 EIBV. Daraus folgt, dass die Betreiber der Schienenwege ihre Entgeltlisten mindestens zwei Monate vor Ende der Trassenanmeldungsfrist für den jährlichen Netzfahrplan veröffentlichen oder den Zugangsberechtigten zusenden müssen. In der Praxis vergehen bis zur eigentlichen, die Fünf-Tage-Frist des § 11 Abs. 1 Satz 4 EIBV auslösenden Abgabe der Angebote an die EVU zudem weitere Monate, innerhalb derer der Netzfahrplanentwurf erstellt wird (s. zum Verfahren § 8 Abs. 1 EIBV). So betrug etwa der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Liste der Entgelte und der Annahmefrist für die Angebote zum Netzfahrplan in der Fahrplanperiode 2010 insgesamt nahezu sieben Monate (13.2. 2009 – 3.9.2009). Von einer rechtschutzverkürzenden Minimierung der Überlegungsfrist des Zugangsberechtigten kann mithin keine Rede sein. Die zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen haben ausreichend Zeit, um darüber zu befinden, ob sie vor Abschluss der Verträge zum jährlichen Netzfahrplan ein Überprüfungsverfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG bei der BNetzA beantragen möchten oder nicht.109 Gestützt wird die These der Effektivität des eisenbahnrechtlichen Antragsverfahrens nach § 14 f Abs. 2 AEG im Übrigen auch durch den Ausschluss des Suspensiveffekts gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insoweit ist auf § 37 AEG zu verweisen, der aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung vorsieht, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen bestimmte Entscheidungen der BNetzA keine aufschiebende Wirkung haben. Hierzu zählen auch und gerade hoheitliche Entscheidungen über die Zugangsgewährung nach § 14 f Abs. 2 und 3 AEG.

II. Vergleich mit dem Energiesektor Die Effektivität des eisenbahnrechtlichen Rechtsschutzsystems macht im Weiteren auch ein Vergleich mit dem Energiesektor – für den die Anwendung von § 315 BGB gleichfalls umstritten ist [vgl. B.II.2.b)] – deutlich. Dort findet sich ein Parallelverfahren zu § 14 f Abs. 2 AEG in § 31 EnWG. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 37 Abs. 11 der Strom-Richtlinie 2009/72/EG110 bzw. Art. 41 108 St. Rspr.; exemplarisch BVerfG, Beschl. v. 16.5. 1995 – 1 BvR 1087/91, E 93, 1 (13) – Kruzifix; EuGH, Urt. v. 16.7. 2009, Rs. C-385/07P, Slg. 2009, I-6155 Rn. 180 – Grüner Punkt; EGMR, Urt. v. 8.1.2004, Nr. 47169/99, Ziff. 46 ff. – Voggenreiter. 109 Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 546 f., dort auch zu Verträgen für unterjährige Verkehre. 110 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der RL 2003/54/ EG, ABl. 2009, Nr. L 211/55.

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C. Regulierungsrechtlicher Individualrechtsschutz

Abs. 11 der Gas-Richtlinie 2009/73/EG111, die zugunsten jedes „Betroffenen“ die Schaffung eines Streitbeilegungsverfahrens zur Entscheidung über Beschwerden u. a. gegen einen Übertragungs-/Fernleitungs- oder Verteilernetzbetreiber fordern. Das energierechtliche Antragsverfahren bleibt indes in dreifacher Hinsicht hinter § 14 f Abs. 2 AEG zurück. Erstens wird schon die Antragsberechtigung dadurch eingeschränkt, dass hierfür in § 31 Abs. 1 Satz 1 EnWG eine erhebliche Interessenberührung aufgrund des Verhaltens eines Betreibers von Energieversorgungsnetzen vorausgesetzt wird. Nimmt man das Erheblichkeitskriterium ernst, so wird man die Antragsberechtigung jedenfalls dann verneinen müssen, „wenn nur eine verhältnismäßig geringfügige Entgeltabsenkung erreichbar ist“.112 In § 14 f Abs. 2 AEG findet sich eine derartige Einschränkung der Antragsberechtigung nicht. Wie bereits dargelegt [vgl. C.I.1.], reicht dort vielmehr schon eine minimale Abweichung vom Zulassungsantrag aus, um das Beschwerderecht des Eisenbahnverkehrsunternehmens zu begründen. Zweitens besteht zwar auch im Rahmen des § 31 EnWG – entgegen der selbst dies in Frage stellenden Ansicht des BGH113 – eine behördliche Prüfungspflicht (vgl. Abs. 1 Satz 2: „hat zu prüfen“).114 Bei einem festgestellten Missbrauch ist die Regulierungsbehörde aber nicht zum Einschreiten verpflichtet, sondern verfügt gemäß § 31 i.V.m. § 30 Abs. 2 EnWG („kann“) über ein Entschließungs- und Auswahlermessen.115 Im Kontrast hierzu kommt der BNetzA im Falle einer Beeinträchtigung des Rechts auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur gemäß § 14 f Abs. 3 AEG nur ein eingeschränktes Auswahlermessen, nicht aber auch ein Entschließungsermessen zu [s. C.I.1.]. Zum Dritten gelten nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Hs. 2 EnWG Entgelte, die die Obergrenze einer Genehmigung nach § 23a EnWG bzw. die Erlösobergrenze gemäß § 4 ARegV116 nicht überschreiten (unwiderleglich117) als sachlich gerechtfertigt. Der 111 Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der RL 2003/55/EG, ABl. 2009, Nr. L 211/94. 112 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 27 – Stromnetznutzungsentgelt V, zu § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG. 113 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 – EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 29 – Stromnetznutzungsentgelt V. 114 Ebenso Koenig/Rasbach/Kühling, Energierecht, 3. Aufl. 2013, Kap. 12 Rn. 35 ff., 38; Kling (Fn. 62), S. 107; Robert, in: Britz/Hellermann/Hermes (Hrsg.), EnWG-Kommentar, 2. Aufl. 2010, § 31 Rn. 13. 115 Robert, in: Britz/Hellermann/Hermes (Hrsg.), EnWG-Kommentar, 2. Aufl. 2010, § 31 Rn. 13 i.V.m. § 30 Rn. 44. 116 Zur umstrittenen Frage, ob von der unwiderleglichen Rechtfertigungsfiktion auch die seit dem 1.1. 2009 geltende Revenue-Cap-Regulierung gemäß § 4 ARegV erfasst wird vgl. bejahend Ludwigs (Fn. 57), S. 155 m.w.N., unter Bezugnahme auf Wortlaut und Regelungszweck des § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EnWG. 117 So auch – unter Rekurs auf den Wortlaut „gelten“ – Ludwigs (Fn. 57), S. 155 mit Fn. 183; Weyer, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. I, 2. Aufl. 2010,

III. Fazit

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Netznutzer kann in einem solchen Verfahren daher nach Auffassung des BGH118 gerade nicht die Überprüfung der Netzentgeltgenehmigung erreichen. Im Eisenbahnsektor erscheint die Annahme einer solchen unwiderleglichen Rechtfertigungsfiktion indes als zu weitgehend. Zwar wird die nachträgliche Kontrolle der Infrastrukturentgelte durch das Vorprüfungsverfahren nach § 14e AEG einer exante-Regulierung in ihren Wirkungen angenähert.119 Die Nichtausübung der in § 14d Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 14e Abs. 1 Nr. 4 AEG vorgesehenen Möglichkeit der BNetzA, einer beabsichtigten Neufassung oder Änderung der Infrastrukturentgelte binnen vier Wochen zu widersprechen, wird man aber allenfalls als widerlegliches Indiz dafür werten können, dass kein Verstoß gegen eisenbahnrechtliche Vorschriften vorliegt.120 Die hiermit einhergehende Einschränkung der Überprüfungsmöglichkeiten im Verfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG ist damit aber deutlich geringer als im Energiesektor. Insgesamt ergibt sich, dass die Effektivität des regulierungsrechtlichen Individualrechtsschutzes nach § 31 EnWG deutlich hinter der eisenbahnrechtlichen Parallelregelung in § 14 f Abs. 2 AEG zurückbleibt. Das vom BGH zugunsten einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte vorgebrachte Argument der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes mag daher zwar im Energiesektor Gewicht haben, erscheint aber im Eisenbahnsektor nicht tragfähig.

III. Fazit Als Fazit bleibt festzuhalten, dass das Konfliktschlichtungsverfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG einen effektiven Rechtsschutz der Zugangsberechtigten gewährleistet. Dies macht auch der Vergleich mit den deutlich schwächeren Rechtsschutzmöglichkeiten im Energiesektor deutlich. Die seitens des BGH im StornierungsentgeltUrteil vom 18. Oktober 2011 vorgebrachten Einwände lassen sich u. a. im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts entkräften. Hieraus folgt, dass eine parallele Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte jedenfalls nicht unter Rekurs auf eine (nur) vermeintlich bestehende Rechtsschutzlücke legitimiert werden kann.

§ 30 Rn. 119; a.A. Theobald/Zenke/Lange, in: Schneider/Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Aufl. 2013, § 17 Rn. 49 f. 118 BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 29 – Stromnetznutzungsentgelt V; kritisch hierzu aber Kling (Fn. 62), S. 108, unter Rekurs auf § 31 Abs. 1 Satz 3 EnWG. 119 Neumann, in: Ronellenfitsch/Schweinsberg (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts XI, 2006, S. 155 (164 f.). 120 Dafür Bredt, DÖV 2010, 431 (432); Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 581.

D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB Nachdem die Rechtsschutzeffektivität des Verfahrens nach § 14 f Abs. 2 AEG festgestellt wurde, ist der Blick nunmehr direkt auf die Vereinbarkeit einer parallelen zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte mit dem europäischen Eisenbahnregulierungsrecht zu lenken. Im Einzelnen sind hier fünf Einwände zu unterscheiden, die im Folgenden zu entfalten sein werden. Sie umfassen neben der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung [I.] und der Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems [II.] auch das sektorspezifische Diskriminierungsverbot [III.] sowie den verfahrensrechtlichen Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes [IV.] und die organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit im Rahmen der Eisenbahnregulierung [V.].

I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung 1. Normative Verankerung und Anerkennung in der EuGH-Judikatur Die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung findet ihre normative Grundlage in Art. 4 Abs. 1 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU). Dort wird zum einen betont, dass eine von den Mitgliedstaaten zu schaffende Entgeltrahmenregelung, „die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/440/EWG zu wahren [hat]“. Zum anderen sind die Mitgliedstaaten zwar dazu berechtigt, „einzelne“ Entgeltregeln festzulegen. Die „Berechnung“ des Wegeentgeltes muss aber ebenso wie seine „Erhebung“ dem Betreiber der Infrastruktur zugewiesen werden. Als Streitpunkt zwischen EU-Kommission und mehreren Mitgliedstaaten erwies sich die genaue Trennlinie zwischen den hoheitlichen Steuerungsmöglichkeiten einerseits und dem Grad der unternehmerischen Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers andererseits. Für die Grenzziehung kommt es maßgeblich auf die genaue Reichweite des Begriffs der „Berechnung“ des Wegeentgeltes in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) an. Klärung brachten hier nunmehr

I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung

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zwei aktuelle Urteile des EuGH in den Vertragsverletzungsverfahren der EUKommission gegen Spanien und Tschechien.121 a) Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen In seinen Schlussanträgen vom 6. September bzw. 13. Dezember 2012 hatte Generalanwalt Jääskinen für ein weites Verständnis des Begriffs der „Berechnung “ plädiert und den Entscheidungsspielraum des Infrastrukturbetreibers bei der Festsetzung der Höhe der Wegeentgelte unterstrichen.122 Zur Begründung machte er im Wesentlichen drei Argumente geltend: Erstens rekurrierte der Generalanwalt darauf, dass in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/ EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) zwischen dem „Entgeltrahmen“123 und der „Berechnung des Entgelts“ unterschieden werde. In Anbetracht dieser Differenzierung gehe der Begriff „Berechnung“ über eine bloße verfahrensmäßige „Abrechnung“ hinaus, die ohnehin bereits von der „Erhebung“ des Wegeentgeltes in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) gedeckt werde.124 Zweitens verwies GA Jääskinen auf den Erwägungsgrund 12 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 43 RL 2012/34/EU).125 Danach sollen die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur einen „Anreiz“ geben, die Nutzung ihrer Fahrwege in dem von den Mitgliedstaaten abgesteckten Rahmen zu optimieren. Eine derartige Optimierung erscheine aber – so der Generalanwalt – nur möglich, wenn dem Infrastrukturbetreiber im Rahmen des Entgeltsystems „eine gewisse Flexibilität eingeräumt wird (…)“.126 Die gleichen Erwägungen würden auch für die in Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 RL 2001/ 14/EG (Art. 32 Abs. 3 und Art. 33 RL 2012/34/EU) vorgesehenen Befugnisse des Betreibers der Infrastruktur zur Erhöhung oder Herabsetzung der Entgelte gelten. Zum Dritten sieht GA Jääskinen seine Auslegung von Art. 4 Abs. 1 RL (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) bestätigt „durch die Systematik der Richtlinie 2001/14 sowie durch den Kontext der streitigen Bestimmung in dem von der Richtlinie ge121 EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10 – Kommission/Spanien; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-545/10 – Kommission/Tschechien; s. zuletzt auch EuGH, Urt. v. 3.10. 2013, Rs. C-369/11 – Kommission/Italien; vgl. aus der Lit.: Berndt/Lerche/Remmert, EuZW 2013, 647 (648 f.); Leitzke, N&R 2013, 70 ff. 122 GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-483/10, Rn. 41 ff. – Kommission/Spanien; Schlussantr. v. 13.12. 2012 – Rs. C-545/10; Rn. 37 ff. – Kommission/Tschechien. 123 Hervorhebung v. Verf. 124 GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-483/10, Rn. 45 – Kommission/Spanien. 125 Zur vom EuGH anerkannten Bedeutung der Erwägungsgründe im Rahmen der Auslegung des Sekundärrechts vgl. EuGH, Urt. v. 3.2. 1976, Rs. 63/75, Slg. 1976, 111 Rn. 16/19 – Roubaix/Roux; EuGH, Urt. v. 22.11. 2005, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 Rn. 74 – Mangold. 126 GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-483/10, Rn. 49 – Kommission/Spanien.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

schaffenen System“.127 Insoweit erinnert er daran, dass den Betreibern der Infrastruktur gemäß Art. 6 Abs. 2 der RL 2001/14/EG (Art. 30 Abs. 1 RL 2012/34/EU) Anreize zur Senkung der mit der Fahrwegbereitstellung verbundenen Kosten und der Zugangsentgelte zu geben sind. Der Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 RL 2001/14/EG (Art. 33 Abs. 2 RL 2012/34/EU) zeige zudem, dass der Betreiber Nachlässe auf Entgelte gewähren kann, die er von einem Eisenbahnunternehmen erhebt. Schließlich belege Art. 30 Abs. 2 und 3 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 1 und 6 RL 2012/34/EU), dass der Ermessensspielraum, den der Betreiber der Infrastruktur haben müsse, u. a. die in den Nutzungsbedingungen enthaltenen Kriterien, das Zuweisungsverfahren und dessen Ergebnis, die Entgeltregelung sowie die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte betreffe. b) Urteile des EuGH In seinen Urteilen vom 28. Februar 2013 bzw. vom 11. Juli 2013 ist der Gerichtshof der Bewertung des Generalanwalts vollinhaltlich gefolgt.128 Lediglich ergänzend rekurriert er noch auf den Erwägungsgrund 34 der RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 66 RL 2012/34/EU). Danach sollen Wegeentgeltregelungen den Eisenbahninfrastrukturunternehmen Anreize geben, wirtschaftlich sinnvolle Investitionen zu tätigen. Den Infrastrukturbetreibern könne aber – so der EuGH – kein Investitionsanreiz vermittelt werden, wenn diese im Rahmen der Entgeltregelung über keinerlei Spielraum verfügten.129 Die Ausführungen des Gerichtshofs münden in der Feststellung, dass der Betreiber der Infrastruktur zur Wahrung der Unabhängigkeit seiner Geschäftsführung „in dem von den Mitgliedstaaten definierten Rahmen der Entgelterhebung über einen gewissen Spielraum bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen muss, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können.“130 c) Kritische Würdigung Bei einer kritischen Würdigung ist festzuhalten, dass GA Jääskinen und ihm folgend der EuGH mit Recht die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers im Rahmen der Entgeltberechnung betonen.131 Zum einen wird allein hierdurch das Spannungsverhältnis zwischen der staatlich verantworteten „Entgeltrahmenrege127

GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9.2012, Rs. C-483/10, Rn. 51 – Kommission/Spanien. EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10, Rn. 37 ff. – Kommission/Spanien; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-545/10, Rn. 33 ff. – Kommission/Tschechien; bestätigend: EuGH, Urt. v. 3.10. 2013, Rs. C-369/11, Rn. 39 ff. – Kommission/Italien. 129 EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10, Rn. 45 – Kommission/Spanien. 130 EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10, Rn. 49 – Kommission/Spanien; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-545/10, Rn. 35 – Kommission/Tschechien. 131 Ebenso Leitzke, N&R 2013, 70 (72). 128

I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung

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lung“ bzw. den „einzelne[n] Entgeltregeln“ auf der einen Seite und der „Berechnung“ bzw. „Erhebung“ des Wegeentgeltes durch den Betreiber der Infrastruktur auf der anderen Seite widerspruchsfrei aufgelöst. Zum anderen erscheint insbesondere die Erwägung bestechend, dass die richtlinienrechtlich geforderten „Anreize“ denklogisch nur im Verhältnis zu solchen Adressaten wirken können, die auch über einen gewissen Spielraum zu ihrer Umsetzung verfügen. d) Bezugspunkt der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers Klärungsbedürftig bleibt, ob die richtlinienrechtlich geforderte Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers auf die Berechnung der Entgelte für den Zugang zu Schienenwegen (Mindestzugangspaket nach Anhang II Nr. 1 RL 2001/14/EG) beschränkt bleibt oder sich auch auf die Entgelte für den Zugang zu Serviceeinrichtungen im Sinne von Anhang II Nr. 2 RL 2001/14/EG erstreckt.132 Für ein enges Verständnis spricht auf den ersten Blick ein doppeltes Wortlautargument. Erstens bezieht sich der deutsche Text des Art. 4 Abs. 1 UA 2 Satz 2 RL 2001/14/RL (Art. 29 Abs. 1 UA 4 RL 2012/34/EU) allein auf „Wegeentgelte“. Ein Vergleich mit den anderen Sprachfassungen der Richtlinie macht aber deutlich, dass eine extensive Auslegung angezeigt ist. Dort ist allgemeiner von „charge for the use of infrastructure“ (EN), „redevance pour l’utilisation de l’infrastructure“ (FR), „diritti per l’utilizzo dell’infrastruttura“ (IT) oder „canon por el uso de infraestructuras“ (ES) die Rede. Der enger gefasste deutsche Wortlaut lässt sich zudem entstehungsgeschichtlich damit erklären, dass die Differenzierung zwischen Schienenwegen und Serviceeinrichtungen in den ursprünglichen Entwurfsfassungen der Richtlinie überhaupt noch nicht angelegt war.133 Zweitens garantiert Art. 4 Abs. 1 UA 2 Satz 2 RL 2001/14/RL allein dem „Betreiber der Infrastruktur“ die Unabhängigkeit bei der Entgeltberechnung. Der Begriff des Infrastrukturbetreibers wird in Art. 2 lit. h RL 2001/14/EG (Art. 3 Nr. 2 RL 2012/34/EU) legaldefiniert als „eine Einrichtung oder ein Unternehmen, die bzw. das insbesondere für die Einrichtung und Unterhaltung der Fahrwege der Eisenbahn zuständig ist (…).“ Aus der sprachlichen Fokussierung auf die „Fahrwege“ ist vereinzelt geschlossen worden, dass Betreiber von Serviceeinrichtungen nicht erfasst werden.134 Dabei bleibt indes der nicht-abschließende Charakter („insbesondere“) der Regelung ausgeblendet. Hierauf haben jüngst auch das VG Köln135 und das 132

s. auch Anhang II Nr. 1 und Nr. 2 RL 2012/34/EU. Vgl. insoweit den am 29.9. 1998 vorgelegten Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten, die Erhebung von Wegeentgelten im Eisenbahnverkehr und die Sicherheitsbescheinigung, KOM (1998) 480 endg.; s. auch den geänderten Vorschlag v. 25.11. 1999, KOM (1999) 616 endg.; vgl. zum Argument bereits: Kühling/Hermeier/Heimeshoff (Fn. 77), S. 29; Ludwigs (Fn. 57), S. 195. 134 Staebe, in: Schmitt/Staebe [Fn. 15], Rn. 440. 135 VG Köln, Urt. v. 8.3. 2013 – 18 K 115/12, Rn. 68 (juris); s. auch schon VG Köln, Urt. v. 14.1. 2011 – 18 K 1546/09, Rn. 53 (juris). 133

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

OVG Münster136 hingewiesen.137 Für ein weites Begriffsverständnis spricht im Übrigen Art. 5 Abs. 1 RL 2001/14/EG, wo auch der Zugang zu Serviceeinrichtungen als Leistung des „Betreiber[s] der Infrastruktur“ qualifiziert wird (S. 3). Aus alledem folgt, dass sich die in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG geforderte Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers auch auf die Berechnung der Entgelte für den Zugang zu den Serviceeinrichtungen (wie u. a. Personenbahnhöfe) erstreckt.138

2. Folgen einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle Setzt das Unionsrecht damit eine gewisse Unabhängigkeit des – begrifflich weit zu verstehenden – Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung voraus, bleibt zu klären, welche Auswirkungen dieser Befund auf die Anwendbarkeit von § 315 BGB hat. Maßgeblich kommt es hier darauf an, ob und inwieweit der unionsrechtlich geforderte Preissetzungsspielraum durch eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle in Frage gestellt wird. a) Kritische Würdigung der Sichtweise des KG Berlin Nicht zu überzeugen vermag es hier zunächst, wenn das KG Berlin zugunsten einer Anwendung von § 315 BGB argumentiert, dass die Zuerkennung eines Spielraums des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung nicht bedeute, dass Entscheidungen der Geschäftsführung gerichtsfest seien.139 Diese Aussage ist zwar als solche zutreffend, geht aber am Kern der unionsrechtlichen Forderung nach Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers vorbei. Im Lichte des Gebots effektiven

136 OVG Münster, Urt. v. 18.2. 2013 – Az. 13 A 474/11, N&R 2013, 167 (170) m. Anm. Wachinger. 137 Vgl. aus der Lit.: Ludwigs (Fn. 57), S. 195 mit Fn. 393; i.E. ebenfalls für ein weites Verständnis des Infrastrukturbetreibers: Kühling/Hermeier/Heimeshoff (Fn. 77), S. 26 f. 138 Zweifelhaft erscheint freilich, ob ein solches Verständnis auch der neuen – allerdings erst bis zum 16.6. 2015 umzusetzenden – Richtlinie 2012/34/EU zugrunde liegt. Dagegen könnte sprechen, dass hier nunmehr explizit zwischen dem „Infrastrukturbetreiber“ gemäß Art. 3 Nr. 2 RL (auf den sich das Unabhängigkeitspostulat des Art. 29 Abs. 1 UA 4 RL bezieht) und dem „Betreiber einer Serviceeinrichtung“ gemäß Art. 3 Nr. 12 RL differenziert wird (näher Lerche, N&R 2013, 27 [30 ff.]). Denkbar erscheint insoweit freilich auch ein Verständnis als Ober- und Unterbegriff. Darauf könnte die Qualifizierung der „Personenbahnsteige und Laderampen (…) in Personenbahnhöfen und Güterterminals“ als „Eisenbahninfrastruktur“ im Sinne des Art. 3 Nr. 3 i.V.m. Anh. I Spstr. 2 RL 2012/34/EU hindeuten. Im Übrigen hat auch die EU-Kommission in ihrem seinerzeitigen Richtlinienvorschlag v. 17.9. 2010 lediglich zwischen „[z]wei Akteure[n]“ unterschieden, den „Eisenbahnunternehmen“ als Zugangsberechtigten und den „Infrastrukturbetreiber[n]“ als Verpflichteten (KOM [2010] 475 endg., S. 3). 139 Vgl. KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 7; KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 9.

I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung

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Rechtsschutzes140 ist es schlicht selbstverständlich, dass Art. 4 Abs. 1 Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) einer gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers nicht a priori entgegensteht. Gefordert ist vielmehr allein (aber immerhin), dass im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle dem Entscheidungsspielraum des Infrastrukturbetreibers Rechnung getragen wird. Es geht also nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ der gerichtlichen Kontrolle. Im Übrigen vermag es auch nicht zu überzeugen, wenn das KG Berlin demgegenüber auf die in Art. 30 Abs. 5 UA 3 RL 2001/14/EG (zitiert wird irrtümlich Art. 21 Abs. 5 Satz 3 RL) geregelte Befugnis der Regulierungsstelle verweist, dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine Änderung seiner Entscheidung gemäß den behördlichen Vorgaben vorzuschreiben.141 Dies aus zwei Gründen: Erstens lassen sich aus der behördlichen Ermächtigung keine zwingenden Rückschlüsse auf den Umfang der gerichtlichen Kontrolle ziehen.142 Art. 30 Abs. 6 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 10 Satz 1 RL 2012/34/EU) bestimmt insoweit lediglich, dass die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Entscheidungen der Regulierungsstelle zu gewährleisten ist. Zweitens haben sich auch die behördlichen Vorgaben nach Art. 30 Abs. 5 UA 3 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 9 UA 3 RL 2012/34/EU) innerhalb des durch Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) gesetzten Rahmens zu bewegen. Auch der Regulierungsbehörde ist es damit aber verwehrt, ihre eigene Beurteilung bzw. ihr eigenes Ermessen an die Stelle der Ausgestaltungsentscheidung des Infrastrukturbetreibers zu setzen.143 b) Unbilligkeitsfeststellung und Ersatzleistungsbestimmung Dies zugrunde gelegt ist mit Blick auf die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB zwischen der Unbilligkeitsfeststellung nach Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 und der richterlichen Ersatzleistungsbestimmung gemäß Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB zu differenzieren: Sofern das Zivilgericht bei seiner Prüfung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB zur Unbilligkeit der Leistungsbestimmung gelangt, erscheint es zwar bei isolierter 140 Zum weiten Verständnis der Rechtsschutzgarantie des Art. 47 GRCh im EU-Recht s. Jarass, Charta der Grundrechte, 2. Aufl. 2013, Art. 47 GRCh Rn. 9 ff.; spezifisch im Kontext der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG vgl. Art. 30 Abs. 6 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 10 Satz 1 RL 2012/34/EU); zum umfassenden Ansatz der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4 GG bzw. Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) vgl. BVerfGE 107, 395 (406 f.) – Fachgerichtlicher Rechtsschutz. 141 Vgl. KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 9; KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 8. 142 Leitzke, N&R 2013, 70 (74). 143 Vgl. auch (zu § 14 f AEG): Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.): Beck‘scher AEGKommentar, 2006, § 14 f Rn. 48; Röckrath/Linsmeier (Fn. 31), S. 67 ff.; ferner Koenig/Neumann/Schellberg, WuW 2006, 139 (145).

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Betrachtung zweifelhaft, ob bereits hierin eine Infragestellung des unionsrechtlich geforderten Preissetzungsspielraums des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung zu sehen ist.144 Dies gilt vor allem im Hinblick darauf, dass das Gericht im Rahmen des § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Parteiermessens setzen darf.145 Ganz anders liegen die Dinge aber dann, wenn das Zivilgericht zugleich eine Ersatzleistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB trifft. Dies kann zum einen durch die originäre richterliche Bestimmung eines billigen Entgelts erfolgen. Zum anderen liegt aber auch dann eine – faktische – Entgeltfestsetzung vor, wenn der Zivilrichter, wie jüngst vom LG Berlin146 und vom KG Berlin147 praktiziert, die vom Infrastrukturnutzer tatsächlich entrichteten Zahlungen zugrunde legt. In beiden Fällen ergibt sich eine substantielle Einschränkung des unternehmerischen Preissetzungsspielraums. An die Stelle der unbilligen Leistungsbestimmung tritt die durch das zivilgerichtliche Urteil neu getroffene Leistungsbestimmung, „welche einen Leistungsbefehl darstellt, zugleich aber auch den Leistungsinhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages neu festlegt“.148 Der unternehmerische Preissetzungsspielraum wird für die Dauer der richterlichen Ersatzleistungsbestimmung auf Null reduziert. Der Infrastrukturbetreiber bleibt auf die rein verfahrensmäßige Abrechnung beschränkt. Diese fällt aber richtlinienrechtlich bereits unter den Begriff der „Erhebung“ der Entgelte in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU). Die den Infrastrukturbetreibern kumulativ zugewiesene „Berechnung“ des Wegeentgeltes würde obsolet. Hieraus folgt, dass eine zivilgerichtliche Ersatzleistungsbestimmung der Infrastrukturnutzungsentgelte gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB gegen die in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) wurzelnde Unabhängigkeit der Infrastrukturbetreiber bei der Entgeltberechnung verstößt.149

3. Konsequenzen a) Methodische Prämissen Zu klären bleibt damit, welche Konsequenzen sich aus der unionsrechtlich geforderten Unanwendbarkeit des § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB ergeben. 144 Verneinend KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 7; KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 8 f.; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/11 Kart, S. 8. 145 Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 88; s. auch Kling (Fn. 62), S. 140. 146 LG Berlin, Urt. v. 11.6. 2013 – 5 O 177/12, S. 14 [unter V.2.]. 147 KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 11 [unter B.II.1.]. 148 Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 92. 149 So auch Leitzke, N&R 2013, 70 (74); a.A. Kühling, N&R 2013, 139 (142 mit Fn. 26).

I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung

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In methodischer Hinsicht ist hier zunächst festzuhalten, dass sich die Verdrängung des richterlichen Ersatzleistungsbestimmungsrechts durch die eisenbahnrechtlichen Vorschriften aus einer richtlinienkonformen Auslegung ergibt. Diese dient der Gewährleistung einer vollen Wirksamkeit des Unionsrechts und stellt eine Unterform der unionsrechtskonformen Auslegung dar. Eines weitergehenden Rückgriffs auf die Rechtsfiguren der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung bzw. des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts bedarf es vorliegend nicht, weil sich das richtlinienkonforme Ergebnis innerhalb des Gesetzeswortlauts bewegt.150 Denn an keiner Stelle findet sich eine positiv-rechtliche Normierung der Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte. Im Weiteren ist klärungsbedürftig, ob trotz der Verdrängung des richterlichen Ersatzleistungsbestimmungsrechts für eine isolierte Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB Raum bleibt. Relevant wird die Frage, wenn man – vorbehaltlich der weiteren Einwände [vgl. D.II.-V.] – die Unionsrechtskonformität der isolierten Unbilligkeitsfeststellung unterstellt. Im Ausgangspunkt ist insoweit hervorzuheben, dass sich die Beantwortung dann allein nach nationalem Recht richtet. Der Grund hierfür ist, dass das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nicht weiter reichen kann, als der durch den Anwendungsbereich der Richtlinie begrenzte Umsetzungsbefehl.151 Steht das europäische Eisenbahnregulierungsrecht aber nur einer Anwendung von § 315 Abs 3 Satz 2 Hs. 2 BGB entgegen, was hier – vorbehaltlich der weiteren Einwände [vgl. D.II.¢V.] – unterstellt sein soll, so richten sich die Konsequenzen für die Unbilligkeitsfeststellung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB allein nach der deutschen Methodenlehre. Vorzugswürdig erscheint es insoweit, auf die Grundsätze zur Teilnichtigkeit152 bzw. „Teilunanwendbarkeit“153 von Gesetzen zurückzugreifen. Hier wie dort stellt sich die Frage nach einer Teilbarkeit der Norm. Wegweisend ist insoweit die ständige Rechtsprechung des BVerfG zur Teilnichtigkeit von Gesetzen. Danach kommt es entscheidend darauf an, ob die nichtige Vorschrift mit den übrigen Bestimmungen „eine untrennbare Einheit [bildet], die lediglich um den Preis von Sinnverlust, Rechtfertigungswegfall oder Verfälschung der gesetzgeberischen Intention in ihre Bestandteile zerlegt werden könnte“.154

150

Näher Kroll-Ludwigs/Ludwigs, ZJS 2009, 123 (124 f.). Statt vieler Kroll-Ludwigs/Ludwigs, ZJS 2009, 7 (9) m.w.N. 152 Vgl. hierzu aus der Lit. insb. Gern, NVwZ 1987, 851 ff. m.w.N. 153 Eingehend jüngst Kruis, Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis, 2013, S. 241 ff., 245 ff. m.w.N., der (a.a.O., S. 245) für eine Übertragbarkeit der Überlegungen zur Teilnichtigkeit von Gesetzen auf das Verhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht plädiert. 154 BVerfG-K, Beschl. v. 16.12. 2010 – 2 BvL 16/09, NVwZ-RR 2011, 387 Rn. 29; st. Rspr. vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 12.11. 1958 – 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274 (301) – Preisgesetz; BVerfG, Urt. v. 19.10. 1982 – 2 BvF 1/81, BVerfGE 61, 149 (206 f.) – Amtshaftung. 151

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

Dies zugrunde gelegt stellt sich mithin die Frage, ob die richterliche Unbilligkeitsfeststellung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB und das Ersatzleistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB untrennbar miteinander verflochten sind oder selbständige Normbestandteile bilden. b) Sichtweise des KG Berlin In der obergerichtlichen Judikatur wird die Möglichkeit einer isolierten Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB inzident bejaht. Deutlich wird dies, wenn das KG Berlin eine Vorlage an den EuGH wiederholt mit der Begründung ablehnt, dass sich die vorliegende Entscheidung nur zur Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung (und nicht zum richterlichen Ersatzleistungsbestimmungsrecht) verhalte.155 Zwar enthalten die einschlägigen Urteile keine Ausführungen zur Teilbarkeit der richterlichen Unbilligkeitsfeststellung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB vom Ersatzleistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB. Wäre das KG Berlin von einer „untrennbaren Einheit“ ausgegangen, hätte es die Vorlage an den Gerichtshof indes nicht ablehnen können. Dies spricht dafür, dass das Gericht eine Teilbarkeit beider Elemente zugrunde legt. c) § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 und 2 BGB als „untrennbare Einheit“ In der Sache vermag diese Bewertung freilich nicht zu überzeugen. Richtigerweise sind die Unbilligkeitsfeststellung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB und die Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB untrennbar miteinander verflochten. Den Beleg hierfür liefert ein Zweifaches: Zum einen entspricht es der überwiegenden Ansicht im zivilrechtlichen Schrifttum, dass eine nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB unverbindliche Bestimmung nicht nur für den Erklärenden sondern auch für dessen Vertragspartner solange wirksam bleibt, bis eine Ersatzleistungsbestimmung durch das Zivilgericht erfolgt.156 Hierfür spricht vor allem der Umstand, dass anderenfalls ein regelungsloser Zustand

155 KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 7 f.; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/11 Kart, S. 7 f. 156 Gernhuber, Handbuch des Schuldrechts, Bd. 9, 1989, S. 295 f.; Grüneberg, in: Palandt, BGB-Kommentar, 72. Aufl. 2013, § 315 BGB Rn. 16; Hager, in: Erman, BGB-Kommentar, Bd. 1, 13. Aufl. 2011, § 315 Rn. 24; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB-Kommentar, 7. Aufl. 2012, § 315 Rn. 11; Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 77; M. Wolf, in: Soergel, BGBKommentar, Bd. 2 – Schuldrecht I, 12. Aufl. 1990, § 315 Rn. 46; a.A. Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315 – 326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 350 ff.; Wagner, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB. Schuldrecht, Bd. 2/1, 2. Aufl. 2012, § 315 Rn. 15; Würdinger, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 44.

I. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung

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entstehen würde.157 Die untrennbare Verbindung zwischen der Unbilligkeitsfeststellung und dem richterlichen Ersatzleistungsbestimmungsrecht findet hierin einen markanten Ausdruck. Zum anderen würde § 315 BGB bei einer alternativ denkbaren Reduzierung der Entgelte auf Null ein mit dem Billigkeitsprinzip unvereinbarer Strafcharakter zukommen.158 Nichts anderes gilt für die vom LG Berlin und vom KG Berlin159 praktizierte faktische Verlagerung des Bestimmungsrechts auf die andere Vertragspartei. Zwar trifft es zu, dass der Netzbetreiber einer Überprüfung und Neubestimmung der Netzentgelte nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht dadurch entgehen kann, dass er sich jeder Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen verweigert. Dies liefert aber keine Rechtfertigung dafür, das Infrastrukturnutzungsentgelt auf null Euro festzulegen160 oder das Bestimmungsrecht der anderen Vertragspartei zuzuweisen. Die Gerichte haben zur Ermittlung eines billigen Entgelts vielmehr auf Sachverständige (sofern wirtschaftlich) oder im „Freibeweis“ auf andere Informationen zurückzugreifen, die schnell, einfach und kostengünstig verfügbar sind.161 Dieser Sichtweise hat sich zwischenzeitlich – jedenfalls für den Regelfall – auch der BGH angeschlossen.162 In einer Entscheidung zum Energiesektor vom 8. November 2011 betont er explizit, dass „die Feststellung der Unbilligkeit der Entgeltbestimmung des Netzbetreibers nicht zur Folge hat, dass der Netznutzer „ohne weiteres die von dem Netzbetreiber erlangten Entgeltzahlungen in Höhe des von ihm als Überteuerung angegebenen Mindestbetrages (…) oder sogar in voller Höhe herausverlangen kann.“163 Dem stehe die Regelung des § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB entgegen, wonach „das Gericht selbst im Falle einer unterbliebenen Leistungsbestimmung durch den Bestimmungsberechtigten auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien eine Ersatzleistungsbestimmung treffen muss“.164 Hierbei handele es sich um eine Ermessensentscheidung, die das Gericht unter Ausschöpfung des Parteivorbringens zu treffen habe.165 Die Festsetzung eines geschuldeten billigen

157 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB-Kommentar, 7. Aufl. 2012, § 315 Rn. 11. 158 Insoweit zutreffend OLG München, Urt. v. 23.2. 2012 – U 3365/11 Kart, Rn. 58 (juris); vgl. auch OLG München, Urt. v. 14.5. 2009 – U (K) 3283/08, Rn. 28 (juris). 159 Vgl. die Nachweise in Fn. 146 und 147. 160 Überzeugend Kling (Fn. 62), S. 146. 161 Kling (Fn. 62), S. 146 f., unter Verweis auf OLG München, Urt. v. 14.5. 2009 – U (K) 3283/08, Rn. 30 (juris); OLG München, Urt. v. 20.5. 2010 – U (K) 4653/09, Rn. 66 (juris); OLG Nürnberg, Urt. v. 26.5. 2009 – 1 U 1422/08, Rn. 87 (juris); a.A. OLG Celle, Urt. v. 17.6. 2010 – 13 U 155/09 (Kart), Rn. 52 (juris). 162 BGH, Urt. v. 8.11. 2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 22 ff.; zustimmend Brändle, VersorgW 2012, 157 (160). 163 BGH, Urt. v. 8.11.2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 23. 164 BGH, Urt. v. 8.11.2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 23. 165 BGH, Urt. v. 8.11.2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 24.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

Entgelts dürfe – wie bei einer nach § 287 ZPO vorzunehmenden Schätzung – nur dann unterbleiben, wenn es hierfür an „greifbaren Anhaltspunkten“ mangelt.166

4. Zwischenfazit Als erstes Zwischenfazit bleibt damit festzuhalten, dass eine richterliche Ersatzleistungsbestimmung der Infrastrukturnutzungsentgelte gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB gegen die in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL2012/34/ EU) garantierte Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung verstößt. Aufgrund des „untrennbaren Zusammenhangs“ mit der vorgelagerten Feststellung der Unbilligkeit der Entgeltbestimmung des Netzbetreibers erfasst die Unionsrechtswidrigkeit zugleich die Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB. Für § 315 BGB bleibt daher neben den eisenbahnrechtlichen Regelungen insgesamt kein Raum.

II. Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems Ein zweiter materiell-rechtlicher Einwand gegen die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte resultiert aus der Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems. Zu seiner Entfaltung ist im Ausgangspunkt die jeweilige Grundkonzeption der Prüfungsmaßstäbe des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts und der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB herauszuarbeiten. Darauf aufbauend ist sodann nach dem Verhältnis der beiden Maßstäbe zueinander zu fragen.

1. Divergierende Grundkonzeption der Prüfungsmaßstäbe Eine Analyse des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems für den Zugang zu Schienenwegen ist im Rahmen der aktuellen Vertragsverletzungsverfahren zur Umsetzung der Richtlinien des Ersten Eisenbahnpakets von Generalanwalt Jääskinen vorgenommen worden. Nach seiner Bewertung bilden die Bestimmungen der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG ein „komplexes System (…), mit dem die bei der Berechnung des Wegeentgelts zu berücksichtigenden Faktoren, die mit dem System angestrebten Ziele sowie die jeweiligen Befugnisse des Mitgliedstaats, des Betreibers der Infrastruktur und der in Art. 30 der Richtlinie vorgesehenen Regulie-

166

BGH, Urt. v. 8.11.2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 25.

II. Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems

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rungsstelle festgelegt werden.“167 Mit dieser treffenden Charakterisierung wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um ein standardisiertes Preisbildungssystem handelt, das unterschiedliche, zum Teil auch konfligierende Zielsetzungen und Faktoren abbilden und ausgleichen muss.168 Wie der EuGH in der Rechtssache Kommission/ Deutschland betont hat, werden die Richtlinienziele erreicht, wenn sich das Wegeentgelt „zwischen einer Untergrenze, die den in Art. 7 Abs. 3 (…) vorgesehenen, unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallenden Kosten entspricht, und einer Obergrenze bewegt, die sich aus den Gesamtkosten des Betreibers der Infrastruktur ergibt, wie Art. 8 Abs. 1 (…) vorsieht“. In diesem Rahmen „kann das Entgelt nach der Richtlinie 2001/14, wie ihn Art. 7 Abs. 4 vorsieht, variieren, indem die Knappheit der Fahrwegkapazität oder die in Art. 7 Abs. 5 erwähnten Kosten von umweltbezogenen Auswirkungen oder auch spezifische Investitionsvorhaben nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie sowie die in ihrem Art. 9 vorgesehenen Nachlässe berücksichtigt werden.“169 Der typisierende Ansatz dieses komplexen Regelungsgeflechts findet einen spezifischen Ausdruck in Art. 8 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 32 Abs. 1 RL 2012/34/ EU). Hinsichtlich des dortigen Vollkostenaufschlags wird auf die Tragfähigkeit für den Markt abgestellt. Die Höhe der Entgelte darf insbesondere „nicht die Nutzung der Fahrwege durch Marktsegmente ausschließen, die mindestens die Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen, sowie eine Rendite, die der Markt tragen kann, erbringen können“ (UA 2).170 Sind einzelne Verkehrsmärkte nicht dazu in der Lage, ein bestimmtes Niveau zu tragen, dann müssen die Entgelte also hinter den Vollkosten zurückbleiben.171 Um diese abzudecken, sind die sonstigen Kosten auf die tragfähigeren Marktsegmente zu verteilen.172 Mit dieser Fokussierung auf „Marktsegmente“, d. h. auf einzelne Verkehrsmärkte173, wird zum Ausdruck gebracht, dass etwaigen marktbezogenen Unterschieden zwischen den Nachfragern

167

GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-556/10, Rn. 76 – Kommission/ Deutschland; Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-545/10, Rn. 60 – Kommission/Tschechien. 168 In diese Richtung weist auch die Judikatur des EuGH, wenn dieser – im Kontext der „leistungsabhängigen Entgeltregelung“ nach Art. 11 RL 2001/14/EG (Art. 35 RL 2012/34/EU) – wiederholt darauf hinweist, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Richtlinienumsetzung ein „kohärentes und transparentes Ganzes“ darstellen müssen (EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-483/10, Rn. 64 – Kommission/Spanien; EuGH, Urt. 18.4. 2013, Rs. C-625/10, Rn. 70 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urt. v. 11.7. 2013, Rs. C-545/10, Rn. 80 – Kommission/Tschechien; GA Jääskinen, Schlussantr. v. 6.9. 2012, Rs. C-483/10 Rn. 69 – Kommission/Spanien). 169 EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-556/10, NVwZ 2013, 494 Rn. 85 f. – Kommission/ Deutschland; dort auch das Zitat im Satz zuvor. 170 Hervorhebung v. Verf. 171 Zur hierin liegenden Priorisierung der verkehrlichen Interessen gegenüber fiskalischen Belangen: Gersdorf (Fn. 74), S. 32 f. 172 Vgl. bereits den Nachweis in Fn. 82. 173 s. den Nachweis in Fn. 80.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

Rechnung zu tragen ist. Im Umkehrschluss folgt daraus freilich auch, dass es nicht auf die individuelle Interessenlage des einzelnen Unternehmens ankommen kann. Die Grundkonzeption der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB steht zum europäischen Eisenbahnregulierungsrecht in scharfem Kontrast. Kennzeichnend hierfür ist gerade ihre Ausrichtung auf „Austauschgerechtigkeit im Einzelfall“174 bzw. „konkrete Einzelfallgerechtigkeit“175. Der von § 315 Abs. 3 BGB zugrunde gelegte objektive Maßstab wurzelt im „innervertraglichen Beurteilungsrahmen“ der Parteien.176 „Billig“ ist eine Leistungsbestimmung die alle Umstände des Einzelfalls und die Interessenlage beider Parteien angemessen berücksichtigt. Die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB ist mithin durch einen primär individuellen Maßstab gekennzeichnet, der sich auf die Interessenlage der Parteien bezieht. Generalisierende Aspekte wie die Üblichkeit und die Angemessenheit nach der allgemeinen Verkehrsanschauung können „nur“ ergänzend in die Betrachtung einfließen.177 Hierzu steht zwar die Rechtsprechung im Energiesektor in einem gewissen Kontrast. Dort hat der BGH abweichend von den allgemeinen Grundsätzen betont, dass der Maßstab der Billigkeit in § 315 BGB im Rahmen der Überprüfung von Netzentgelten „kein individueller [ist], sondern (…) aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden [muss]“.178 Fraglich erscheint hier indes bereits, worin dann noch der spezifische Mehrwert einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB liegen soll. Vor allem aber hat der BGH diese Judikatur in seinem Stornierungsentgelt-Urteil vom 18. Oktober 2011 gerade nicht auf den Eisenbahnsektor übertragen. Dies wird deutlich, wenn er dort zur Ausfüllung des Billigkeitsmaßstabs „auf die Interessenlage der Parteien unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Bedeutung der Leistung, deren angemessener Gegenwert zu ermitteln ist“ abstellt.179 Hiermit greift der BGH erkennbar auf sein klassisches Verständnis180 von der „Billigkeit“ als einem individuellen Maßstab zurück. 174

Würdinger, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 31. 175 Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 305. 176 Kling (Fn. 62), S. 139 (dort auch das Zitat im Text) m.w.N.; vgl. ferner Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 308 f.: „Vertragsinternalität“. 177 Kling (Fn. 62), S. 140; ausführlich Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 310 ff., 314 ff. 178 St. Rspr. BGH, Urt. v. 4.3. 2008 – KZR 29/06, NJW 2008, 2175 Rn. 21 – Stromnetznutzungsentgelt III; BGH, Urt. v. 15.5. 2012 ¢ EnZR 105/10, NJW 2012, 3092 Rn. 23 – Stromnetznutzungsentgelt V. 179 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 17 – Stornierungsentgelt (Hervorhebung v. Verf.). 180 Vgl. z. B. die Parallelformulierung in BGH, Urt. v. 4.4. 2006 ¢ X ZR 80/05, NJW-RR 2007, 56 Rn. 17, zur Bestimmung der Vergütung eines Kfz-Sachverständigen im Werkvertragsrecht.

II. Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems

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2. Vorrang des eisenbahnrechtlichen Entgeltmaßstabs Die festgestellte Disparität zwischen dem typisierenden Entgeltsystem des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts und der objektiv-individuellen Billigkeitskontrolle durch die Zivilgerichte wirft zwangsläufig die Frage nach dem Verhältnis beider Maßstäbe zueinander auf. Die Antwort kann bei richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts nur im Sinne einer Maßstabsexklusivität der eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems ausfallen. Der Grund hierfür ist, dass sich die übergeordneten Ziele der Richtlinie für die Entgeltregulierung, etwa die in Art. 8 RL 2001/14/EG (Art. 32 RL 2012/34/EU) abgebildete Berücksichtigung der Tragfähigkeit von Marktsegmenten einerseits und die Gewährleistung der Vollkostendeckung andererseits nur in einem einheitlichen, für alle gleichermaßen anwendbaren Preissystem realisieren lassen. Die Betrachtung individueller wirtschaftlicher oder vertraglicher Verhältnisse ist mit einem solchen standardisierten Preisbildungssystem nicht kompatibel.181 Die unterschiedlichen Preisbildungselemente sind durch das übergreifende Ziel einer Deckung der Gesamtkosten der Wegeentgelte aus Art. 6 Abs. 1 UA 1 RL 2001/14/EG (Art. 8 Abs. 4 UA 1 RL 2012/34/EU) miteinander verbunden182 und stehen in einem Wechselwirkungsverhältnis. Punktuelle Eingriffe, wie etwa die Veränderung von Entgelten für bestimmte Trassen aufgrund einzelvertraglich geprägter Billigkeitserwägungen, wirken sich zwangsläufig auf andere regulatorisch vorgegebene Elemente des Entgeltsystems aus, etwa die Gestaltung markttragfähiger Preise in den einzelnen Marktsegmenten. Das komplexe System des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts würde folglich durch eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte aus der Balance gebracht. Ein weiteres Argument für den Vorrang des sektorspezifischen Regulierungsrechts liefert die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/ 14/EG (Art. 8 Abs. 4 bzw. Art. 30 Abs. 1 RL 2012/34/EU) in der jüngsten EuGHJudikatur. Im Ausgangspunkt ist hier zu betonen, dass der Entgeltmaßstab des Art. 6 RL 2001/14/EG eine Kombination von Vollkostendeckung (Abs. 1) und Effizienzsteigerungsanreiz (Abs. 2) beinhaltet.183 In einem ersten Schritt sind die Vollkosten der Infrastruktur zu berücksichtigen, bevor auf einer zweiten Stufe effizienzstei-

181 Nicht überzeugend daher LG Berlin, Urt. v. 11.6. 2013 – 5 O 177/12, S. 17 f., wonach „der zivilrechtliche Vorwurf der Unbilligkeit nach § 315 BGB (…) nur ein Preissystem [trifft], das [den richtlinienrechtlichen] Kostenbezug nicht wahrt“; hiermit würde im Übrigen der komplexe – z. B. auch die Tragfähigkeit von Marktsegmenten berücksichtigende – Entgeltmaßstab des EU-Eisenbahnrechts auf einen bloßen Kostenmaßstab reduziert (s. insoweit auch schon unter B.III.1.). 182 Näher zum Grundsatz der Kostendeckung: Ludwigs (Fn. 57), S. 195 f. 183 Kühling, N&R 2009, 36 r. Sp.; ebenso Berndt, Die Anreizregulierung in den Netzwirtschaften, 2011, S. 228 f.; Haucap/Heimeshoff, in: Ronellenfitsch/Schweinsberg/HenselerUnger (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts XIV, 2009, S. 179 (183); ähnlich Fehling, in: ders./Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, 2010, § 10 Rn. 52; Gersdorf, DVBl. 2009, 942 (944 f.); ausführlich zuletzt Ludwigs (Fn. 57), S. 208 ff. m.w.N.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

gernde Anreizelemente einbezogen werden.184 Die genaue Ausgestaltung des Effizienzanreizelements bleibt freilich offen. Dies betrifft neben der Intensität der Anreizwirkung185 auch die Frage, ob Art. 6 Abs. 2 RL 2001/14/EG (Art. 30 Abs. 1 RL 2012/34/EU) die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dem Betreiber der Infrastruktur Anreize dafür zu bieten, über die Senkung der Entgelte einen Teil der durch eine Steigerung seiner Kosteneffizienz erzielten Überschüsse an die Netznutzer weiterzugeben. Der EuGH hat eine automatische Pflicht zur Weitergabe reduzierter Kosten an die Eisenbahnverkehrsunternehmen in Form sinkender Trassenentgelte in einer Reihe aktueller Entscheidungen verneint. Dahinter steht die Erwägung, dass der Infrastrukturbetreiber dann womöglich – bei gleichzeitigem Wegfall staatlicher Zahlungen – „nicht in der Lage wäre, sämtliche Kosten für die Bereitstellung der Infrastruktur zu erheben“.186 Diese Aufhebung des Konnexes zwischen reduzierten Kosten und sinkenden Entgelten im europäischen Eisenbahnregulierungsrecht droht indes durch eine parallele zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle ausgehebelt zu werden. Hierzu kann es dann kommen, wenn § 315 BGB im Sinne eines strikteren Kostenmaßstabs interpretiert wird, wohin die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu neigen scheint.187 Für die Maßstabsexklusivität der eisenbahnrechtlichen Vorschriften spricht schließlich auch Erwägungsgrund 35 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG. Danach sollen die von den Entgeltregelungen ausgesandten wirtschaftlichen Signale „für Eisenbahnunternehmen (…) widerspruchsfrei sein und die Nutzer zu rationalen Entscheidungen veranlassen.“188 Hiermit werden zwar vordergründig die Infrastrukturbetreiber angesprochen, deren Entgeltregelungen widerspruchsfreie Signale an die Zugangsberechtigten aussenden müssen. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist aber, dass auch der den Betreibern der Infrastruktur vorgegebene gesetzliche Regelungsrahmen selbst widerspruchsfrei ist. Die derart geforderte Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen wird durch eine parallele Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte indes in Frage ge184 Von diesem Entgeltmaßstab im technischen Sinne zu trennen sind die in Art. 7 bis 9 der Richtlinie 2001/14/EG (Art. 31¢33 RL 2012/34/EU) normierten Entgeltgrundsätze. Diese können im Wege eines Baukastenprinzips zur Implementierung des Entgeltmaßstabs herangezogen werden (näher Kühling/Hermeier/Heimeshoff [Fn. 77], S. 34 ff.; krit. Staebe, in: Schmitt/Staebe [Fn. 15], Rn. 460, 463). 185 Hierzu jetzt insb. EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-556/10, NVwZ 2013, 494 Rn. 98 ff., 102 – Kommission/Deutschland, wonach die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) v. 14.1. 2009, die zwischen dem Bund, der DB AG und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen dieser Gesellschaft geschlossen wurde „einen Anreizmechanismus im Sinne des in Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14 vorgesehenen mehrjährigen Vertrags dar[stellt]“; zuvor bereits aus der Lit.: Ludwigs (Fn. 57), S. 325 ff. m.w.N. 186 EuGH, Urt. v. 28.2. 2013, Rs. C-556/10, NVwZ 2013, 494 Rn. 108 – Kommission/ Deutschland; EuGH, Urt. 18.4. 2013, Rs. C-625/10 Rn. 84 – Kommission/Frankreich. 187 Vgl. die Nachweise in Fn. 85 und 86. 188 s. auch Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/EU, wo nunmehr von „klare[n] und kohärente[n] wirtschaftliche[n] Signale[n]“ die Rede ist.

II. Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems

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stellt. Besonders deutlich erscheint dies im Hinblick darauf, dass § 315 BGB selbst keine greifbaren Wertmaßstäbe zu entnehmen sind, anhand derer eine Preiskontrolle durchgeführt werden könnte.189 Der Begriff „Billigkeit“ ist vielmehr gleichzusetzen mit Einzelfallgerechtigkeit und bedarf der Konkretisierung durch andere gesetzliche Wertungen.190 Eine Kompatibilität mit Erwägungsgrund 35 ließe sich daher nur dann erreichen, wenn die Zivilgerichte – parallel zur BGH-Judikatur im Energiesektor [B.II.2.b)] – von einer gewichtigen Indizwirkung des regulierungsbehördlichen Handelns ausgehen würden. Einen Anknüpfungspunkt hierfür könnte die Nichtausübung der in § 14d Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 14e Abs. 1 Nr. 4 AEG vorgesehenen Möglichkeit der BNetzA bilden, einer beabsichtigten Neufassung oder Änderung der Infrastrukturentgelte binnen einer vierwöchigen Frist zu widersprechen. Hierdurch wird die nachträgliche Kontrolle vorverlagert und einer ex-ante-Regulierung in ihren Wirkungen immerhin angenähert.191 Zum Teil wird vor diesem Hintergrund sogar von einer „Quasi-Genehmigung“ gesprochen. Der BGH hat dies in seinem Stornierungsentgelt-Urteil vom 18. Oktober 2011 freilich nicht zur Begründung einer Indizwirkung ausreichen lassen und die Darlegungs- und Beweislast einschränkungslos dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zugewiesen.192 Eine Übertragbarkeit der Judikatur zum Energiesektor wurde hier nicht einmal erwogen.

3. Übertragbarkeit auf den Zugang zu Serviceeinrichtungen Steht damit die Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems für den Zugang zu Schienenwegen fest, bleibt klärungsbedürftig, ob Gleiches auch für den Zugang zu Serviceeinrichtungen im Sinne von Anhang II Nr. 2 RL 2001/14/EG (Anhang II Nr. 2 RL 2012/34/EG) gilt. Dagegen spricht einerseits, dass Art. 7 Abs. 7 RL 2001/14/EG die Erbringung der in Anhang II Nr. 2 genannten Leistungen explizit vom Anwendungsbereich des Art. 7 RL und damit auch von den hierauf aufbauenden Art. 8 und 9 RL193 ausnimmt. Das Unionsrecht fordert mithin keine Bindung der Betreiber von Serviceeinrichtungen an das Geflecht der Entgeltgrundsätze nach Art. 7 – 9 RL 2001/14/EG (Art. 31 – 33 RL 2012/34/EU). Art. 7 Abs. 7 RL sieht vielmehr lediglich vor, dass „bei der Festsetzung der Preise (…) die Wettbewerbssituation des Eisenbahnverkehrs berücksichtigt [wird]“. Von einem komplexen Regelungssystem kann hier nicht in gleichem Maße wie beim Zugang zu den Schienenwegen die Rede sein.194 189

Martini, DVBl. 2008, 21 (28). Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 305. 191 Vgl. den Nachweis in Fn. 119. 192 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 24 – Stornierungsentgelt. 193 Kühling/Hermeier/Heimeshoff (Fn. 77), S. 40 f. 194 Diese Bewertung wird sich auch im Lichte der bis zum 16.6. 2015 umzusetzenden Richtlinie 2012/34/EU nicht ändern. Dort findet sich zwar in Art. 31 Abs. 7 RL eine konkre190

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

Dessen ungeachtet ist andererseits zu betonen, dass der in Erwägungsgrund 35 RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/EU) verankerte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen in einem kohärenten Gesamtsystem auch den Zugang zu Serviceeinrichtungen erfasst. Ein Nebeneinander der wettbewerbsbezogenen Entgeltkontrolle des Eisenbahnregulierungsrecht und des individual-vertraglichen Billigkeitsmaßstabs gemäß § 315 BGB trägt dem nicht hinreichend Rechnung. Denn durch den Rekurs auf die Berücksichtigung der „Wettbewerbssituation des Eisenbahnverkehrs“ in Art. 7 Abs. 7 RL 2001/14/EG wird auch beim Entgeltsystem für Serviceeinrichtungen ein generalisierendes, überindividuelles Element in den Vordergrund gerückt.195 Daraus resultiert ein Spannungsverhältnis zum (objektiv-)individuellen Maßstab des § 315 BGB. Hinzu kommt, dass der Entgeltmaßstab des Art. 6 Abs. 1 und 2 RL 2001/14/EG (Art. 8 Abs. 4 bzw. Art. 30 Abs. 1 RL 2012/34/EU) mit seiner – wie gezeigt [vgl. B.III.1. bzw. D.II.2.] – zu § 315 BGB nicht ohne weiteres kompatiblen Kombination aus Vollkostendeckung (Abs. 1) und Effizienzsteigerungsanreiz (Abs. 2) auch für die Betreiber von Serviceeinrichtungen gilt.196 Insgesamt spricht vor diesem Hintergrund daher mehr für die Annahme, dass die unionsrechtlich geforderte Maßstabsexklusivität der eisenbahnrechtlichen Vorschriften auch die Entgelte für den Zugang zu Serviceeinrichtungen erfasst.

4. Zwischenfazit Als zweites Zwischenfazit ergibt sich, dass dem europäischen Eisenbahnregulierungsrecht eine Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems immanent ist. Neben dem durch eine typisierende Betrachtung gekennzeichneten standardisierten Preisbildungssystem des sektorspezifischen Regulierungsrechts ist für eine individual-vertraglich geprägte Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB kein Raum. Das komplexe System des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts würde tisierende Vorgabe, wonach „[d]ie Entgelte für den Schienenzugang innerhalb von Serviceeinrichtungen gemäß Anhang II Nummer 2 und für die Erbringung von Leistungen in diesen Einrichtungen (…) die Kosten für deren Erbringung, zuzüglich eines angemessenen Gewinns, nicht übersteigen [dürfen]“. Das komplexe „Baukastensystem“ der Entgeltgrundsätze für den Zugang zu Schienenwegen (s. Art. 31¢33 RL 2012/34/EU; zu Modifikationen gegenüber der Eisenbahnzugangsrichtlinie: Lerche, N&R 2013, 27 [30 f.]) wird aber nicht auf den Zugang zu Serviceeinrichtungen übertragen. 195 Vgl. insoweit auch Art. 31 Abs. 7 i.V.m. Art. 3 Nr. 17 RL 2012/34/EU, wo der dem Betreiber einer Serviceeinrichtung zugestandene „angemessene Gewinn“ als „Eigenkapitalrendite“ definiert wird, „die (…) von der durchschnittlichen Rendite in dem betreffenden Sektor in den Vorjahren nicht wesentlich abweicht“ (Hervorhebung v. Verf.). 196 Näher Ludwigs (Fn. 57), S. 195; Kühling/Hermeier/Heimeshoff (Fn. 77), S. 26 ff.; maßgeblich ist auch hier wieder der Vergleich mit den anderen Sprachfassungen, die anders als der deutsche Text des Art. 6 Abs. 1 UA 1 RL 2001/14/EG nicht von „Fahrwegausgaben“, sondern allgemeiner von „infrastructure expenditure“ (EN), „dépenses d’infrastructure“ (FR), „costi di infrastruttura“ (IT) oder „gastos de infraestructura“ (ES) sprechen.

III. Sektorspezifisches Diskriminierungsverbot

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durch eine parallele Anwendung von § 315 BGB vor allem im Bereich der Entgelte für den Zugang zu Schienenwegen aus der Balance gebracht. Zudem drohen – auch im Bereich des Zugangs zu Serviceeinrichtungen – der Entgeltmaßstab aus Art. 6 Abs. 1 und 2 RL 2001/14/EG (Art. 8 Abs. 4 bzw. Art. 30 Abs. 1 RL 2012/34/EU) sowie der in Erwägungsgrund 35 RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/ EU) wurzelnde Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen grundlegend in Frage gestellt zu werden.

III. Sektorspezifisches Diskriminierungsverbot 1. Normative Verankerung und Beeinträchtigung Ein weiterer materiell-rechtlicher Einwand gegen die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte resultiert aus dem für den Zugang zu Schienenwegen und Serviceeinrichtungen gleichermaßen geltenden eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbot. Seine normativen Wurzeln liegen insbesondere in Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 3 Satz 1, Art. 9 Abs. 5 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 3, Art. 13 Abs. 1 und 2, Art. 32 Abs. 5, Art. 33 Abs. 5 RL 2012/34/EU). Danach tragen die Betreiber der Infrastruktur „dafür Sorge, dass die Anwendung der Entgeltregelung zu gleichwertigen und nichtdiskriminierenden Entgelten für unterschiedliche Eisenbahnunternehmen führen, die Dienste gleichwertiger Art in ähnlichen Teilen des Markts erbringen (…)“ (Art. 4 Abs. 5 RL 2001/14/EG). Eine Beeinträchtigung dieses richtlinienrechtlich vorgegebenen Diskriminierungsverbots bildet die logische Konsequenz der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle. Denn die parallele Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte wird zwangsläufig zu Situationen führen, in denen Netzentgelte zu Gunsten des die Billigkeitskontrolle veranlassenden Unternehmens von den gegenüber den anderen Unternehmen geltenden Netzentgelten abweichen. Diese Folge ist der in hohem Maße ausfüllungsbedürftigen Ausrichtung von § 315 BGB auf „Austauschgerechtigkeit im Einzelfall“197 geradezu immanent. Dies gilt umso mehr, als der BGH – anders als im Energiesektor – dem Eisenbahnregulierungsrecht keine Indizwirkung für die Prüfung des § 315 BGB entnommen hat.198

197 198

Nachweis in Fn. 174. s. hierzu bereits näher unter B.II.1.b), B.II.2.b) und D.II.2.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

2. Grenzen der sachlichen Rechtfertigung Klärungsbedürftig ist damit, ob die Durchbrechung des eisenbahnrechtlichen „Uniformitätsdogmas“199 im Hinblick auf die mit der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB angestrebte „konkrete Einzelfallgerechtigkeit“200 legitimiert werden kann. Nicht weiterführend erscheint es hier zunächst, wenn von mehreren Oberlandesgerichten betont wird, dass es kein Gebot einer Gleichbehandlung im Unrecht geben könne.201 Dahinter steht die Erwägung, dass die eisenbahnrechtliche Forderung nach Gleichbehandlung nicht zur Ausblendung eines im Einzelfall auf der Grundlage von § 315 BGB identifizierten Unrechts führen darf. Mit dieser Argumentation wird indes der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Richtigerweise ist zunächst klärungsbedürftig, ob der zur Rechtfertigung einer Durchbrechung des eisenbahnrechtlichen „Uniformitätsdogmas“ herangezogene Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit überhaupt einen legitimen Differenzierungszweck darstellt. Nur dann ist nämlich vom Vorliegen eines „Unrechts“ gegenüber den betroffenen Zugangspetenten auszugehen. Die Legitimität der Anknüpfung an den Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit ist aber gerade zu verneinen. Wie bereits näher ausgeführt wurde, soll mit der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (nichts anderes gilt für die RL 2012/34/EU) ein standardisiertes Preisbildungssystem installiert werden. Der hiermit verfolgte typisierende Ansatz steht in scharfem Kontrast zur zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle im Einzelfall. Eine Anwendbarkeit des § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte im Eisenbahnsektor würde das Grundkonzept des eisenbahnrechtlichen Regulierungsrechts konterkarieren. Die Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit kann damit von Vornherein keinen Zweck darstellen, der eine Durchbrechung des eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbots legitimiert. Für einen Rekurs auf das Verbot der Gleichbehandlung im Unrecht ist daher vorliegend überhaupt kein Raum. Es fehlt insoweit schlicht an der Grundlage, nämlich einem feststellbaren „Unrecht“. In der Konsequenz können die Eisenbahnverkehrsunternehmen als Bezieher einer standardisierten Leistung und als Vertragspartner eines an Gleichbehandlungsgrundsätze gebundenen Unternehmens aus § 315 BGB keinen Anspruch auf ein niedrigeres als das nach eisenbahnrechtlichen Maßstäben ermittelte Entgelt ableiten.202 Eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle wäre zwangsläufig mit einer Verletzung des eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbots verbunden. 199

Jung, N&R 2012, 45 (47). Nachweis in Fn. 175. 201 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.10. 2009 – VI ¢ U (Kart) 4/09, Rn. 90 ff. (juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.3. 2010 – VI – U (Kart) 16/09, BeckRS 2011, 25332, S. 8 f.; ferner KG Berlin, Urt. v. 9.4. 2009 – 19 U 21/08, S. 13 f.; s. jetzt auch OLG Frankfurt, Urt. v. 17.1. 2012 – 11 U 43/09 (Kart), S. 11 f.; OLG München, Urt. v. 23.2. 2012 – U 3365/11 Kart, Rn. 32 (juris); kritisch hierzu Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 581. 202 Vgl. im Kontext der Abgrenzung von BGB und GWB: Wielsch, JZ 2008, 68 (71). 200

III. Sektorspezifisches Diskriminierungsverbot

59

Nur ergänzend ist schließlich darauf hinzuweisen, dass auch die von der Gegenauffassung gezogenen Konsequenzen nicht überzeugen können. Vor allem vom OLG Düsseldorf und vom OLG München203 ist insoweit argumentiert worden, dass aus dem Diskriminierungsverbot eine Verpflichtung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens resultiere, „die in einem Fall erkannte Unbilligkeit in eine geänderte allgemeine Entgeltbestimmung umzusetzen“.204 Hiergegen spricht aber schon der Umstand, dass der zivilrechtliche Maßstab der Billigkeit im Sinne des § 315 BGB grundsätzlich ein (objektiv-)individueller ist [D.II.1.]. Bei der Billigkeit kommt es mithin entscheidend auf den konkreten Vertragszweck und die Umstände des Einzelfalls an. Dies hat auch der BGH erkannt, wenn er in seiner StornierungsentgeltEntscheidung betont, dass „eine Anwendung der Maßstäbe des § 315 BGB in Einzelfällen (…) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen [kann]“.205 Die pauschale Umwandlung der einzelfallbezogenen (Un-)Billigkeitsentscheidung eines Zivilgerichts in eine „allgemeine Entgeltbestimmung“ ist damit von Vornherein ausgeschlossen. Sie würde das Verhältnis zwischen einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle im Einzelfall und dem unionsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung aller Zugangsberechtigten sinnbildlich gesprochen „auf den Kopf stellen“. Im Übrigen würde sich die Frage stellen, wie der Infrastrukturbetreiber bei konfligierenden Vorgaben der unterschiedlichen Zivilgerichte zu verfahren hätte. Folgerichtig formuliert der BGH die Verpflichtung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens auch immerhin deutlich zurückhaltender dahingehend, dass es „für die auf das Urteil des Zivilgerichts folgende Netzfahrplanperiode etwaige sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellungen der anderen Unternehmen durch eine Änderung ihres Tarifpreissystems zu beseitigen [hat]“.206

3. Zwischenfazit Das dritte Zwischenfazit lautet damit wie folgt: Eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte führt aufgrund der Einzelfallbezogenheit zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbots. Das zur Rechtfertigung geltend gemachte Argument der Einzelfallgerechtigkeit stellt keinen legitimen Differenzierungszweck dar. Denn der mit dem standardisierten Preisbildungssystem des Eisenbahnregulierungsrechts verfolgte typisierende Ansatz konfligiert a priori mit dem für die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle prägenden Abstellen auf das konkret-individuelle Vertragsverhältnis.

203

OLG München, Urt. v. 23.2. 2012 – U 3365/11 Kart, Rn. 32 (juris). OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.10. 2009 – VI ¢ U (Kart) 4/09, Rn. 91 (juris). 205 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 22 – Stornierungsentgelt. 206 BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 22 (Hervorhebung v. Verf.) – Stornierungsentgelt. 204

60

D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

IV. Verfahrensrechtlicher Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes Steht damit fest, dass die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle in dreifacher Hinsicht gegen materielle Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts verstößt, bleibt abschließend die Frage nach möglichen verfahrens- und organisationsrechtlichen Einwänden zu stellen.

1. Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsstelle In verfahrensrechtlicher Hinsicht ergibt sich aus Art. 30 RL 2001/14/EG (Art. 56 RL 2012/34/EU) ein Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsbehörde bei nachgeschalteter gerichtlicher Kontrolle. Eine Billigkeitskontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte durch die Zivilgerichte nach § 315 Abs. 3 BGB ist daneben ausgeschlossen. Für eine solche Konzentration der Entgeltstreitigkeiten bei der nationalen Regulierungsbehörde spricht ein Dreifaches: Erstens etabliert die RL 2001/14/EG in Art. 30 (Art. 56 RL 2012/34/EU) ein detailliertes Verfahren zur Bewältigung von Konflikten bei Zugangs- und Entgeltfragen. Ausweislich des Art. 30 Abs. 2 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 1 RL 2012/34/EU) handelt es sich um ein spezifisches Rechtsschutzinstrument für einzelne Zugangspetenten. Diese können die Regulierungsstelle befassen, wenn sie sich ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in ihren Rechten verletzt fühlen. Taugliche Verfahrensgegenstände bilden u. a. die „Entgeltregelung“ (lit. d) sowie die „Höhe oder Struktur der Wegeentgelte (…)“ (lit. e). Hiervon umfasst ist auch die Überprüfung von Ermessensentscheidungen der Infrastrukturbetreiber in Bezug auf ihre Trassen- und Stationspreise.207 Charakteristisch für das Rechtsschutzverfahren ist schließlich die Aufgabenteilung zwischen der Regulierungsstelle und den Gerichten. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 30 Abs. 6 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 10 Satz 1 RL 2012/34/EU) verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Entscheidungen der Regulierungsstelle zu gewährleisten. Daneben ist kein Raum für eine weitergehende, womöglich parallel zum behördlichen Verfahren ablaufende, zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle. Zweitens lässt sich das Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsbehörde auch aus der richtlinienrechtlich angeordneten Allgemeinverbindlichkeit ihrer Beschlüsse gemäß Art. 30 Abs. 5 UA 2 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 9 UA 2 RL 207

Letzteres folgt aus dem hier zugrunde gelegten weiten Begriff des „Betreibers der Infrastruktur“, gegen dessen Entscheidungen sich der Antragsteller im Verfahren nach Art. 30 Abs. 2 RL 2001/14/EG wehren kann [D.I.1.d)]. In Art. 56 Abs. 1 der bis zum 16.6. 2015 umzusetzenden RL 2012/34/EU werden die Entscheidungen des Betreibers einer Serviceeinrichtung nunmehr auch explizit als tauglicher Beschwerdegegenstand aufgeführt.

IV. Verfahrensrechtlicher Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes

61

2012/34/EU) ableiten. Danach sind die Entscheidungen der Regulierungsstelle „für alle davon Betroffenen verbindlich“. Vorgegeben wird mithin eine inter omneswirkende Bewältigung von Konflikten über die Entgelthöhe oder -struktur durch die nationale Regulierungsbehörde. Eine Einschränkung erfolgt nur insoweit, als Art. 30 Abs. 6 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 10 Satz 1 RL 2012/34/EU) die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten; in Deutschland ist insoweit der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass eine daneben tretende zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle unzulässig ist.208 Anderenfalls wäre die BNetzA faktisch nicht mehr dazu in der Lage, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen. Diese stünden stets unter dem Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung im Rahmen der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Drittens ist auf den Konnex zwischen dem eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbot [D.III.] und dem verfahrensrechtlichen Überprüfungsmonopol der Regulierungsstelle hinzuweisen. Die Gleichbehandlung der Zugangsberechtigten ist nämlich zwangsläufig gefährdet, wenn unterschiedliche staatliche Organe unterschiedliche Maßstäbe auf denselben Sachverhalt anwenden. Gerade dies ist aber der Fall, wenn neben die regulierungsbehördliche Überprüfung nach eisenbahnrechtlichen Maßstäben (mit nachgeschalteter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle) eine Billigkeitskontrolle durch die Zivilgerichte nach § 315 Abs. 3 BGB tritt. Folgerichtig weist Art. 30 Abs. 3 RL 2001/14/EG (Art. 56 Abs. 6 RL 2012/34/EU) allein der Regulierungsstelle die Aufgabe zu, sicherzustellen, dass die Entgelte richtlinienkonform und nichtdiskriminierend sind, und lässt auch Verhandlungen zwischen Infrastrukturbetreibern und Eisenbahnverkehrsunternehmen nur unter behördlicher Aufsicht zu. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang zudem ein Zweifaches: Zum einen üben die Zivilgerichte im Rahmen des § 315 BGB nicht nur eine Rechtskontrolle aus, sondern treffen – worauf noch im Einzelnen einzugehen sein wird [unter D.V.] – gegebenenfalls zugleich eine eigene Ermessensentscheidung. Damit ziehen sie die Kompetenzen der Regulierungsbehörden an sich209, wodurch sich das Risiko divergierender Entscheidungen erhöht. Zum anderen ist der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der BNetzA gemäß §§ 45, 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO beim sachlich und örtlich zuständigen VG Köln konzentriert, was zur Herausbildung einheitlicher Rechtsprechungsgrundsätze beiträgt. Im Gegensatz hierzu richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit für Klagen gemäß § 315 BGB nach zivilprozessualen Grundsätzen, was zur Folge hat, dass hier gerade keine Bündelung an einem Gerichtsstandort erfolgt. Im Gegenteil würde die eigenständige Konkretisierung des Billigkeitsmaßstabs durch eine Mehrzahl von Landgerichten (und später Oberlandesgerichten) die Gefahr einer Rechtszersplitterung hervorrufen.

208

Ähnlich Leitzke, N&R 2013, 70 (74). Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 60. 209

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

2. Infragestellung durch eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle Das derart skizzierte Überprüfungsmonopol der BNetzA (mit Rechtsschutzmöglichkeit vor den Verwaltungsgerichten) wäre durch die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte grundlegend in Frage gestellt. Mit der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle würde ein zweiter Überprüfungsweg eröffnet und damit die unionsrechtlich vorgegebene Bündelung der Entgeltstreitigkeiten bei der Regulierungsstelle aufgehoben. Zugleich wären hiermit widersprüchliche Signale verbunden, die im Kontrast zur Forderung nach Aussendung widerspruchsfreier Signale an die Eisenbahnunternehmen gemäß Erwägungsgrund 35 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/EU) stünden. a) Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle Für die These einer aus der parallelen Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB resultierenden Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle spricht in empirischer Hinsicht bereits die Tatsache, dass – soweit ersichtlich – seit dem 16. Dezember 2010210 kein Verfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG mehr eingeleitet wurde.211 Faktisch wird das eisenbahnrechtliche Konfliktschlichtungsverfahren durch die Billigkeitskontrolle mithin nicht nur ergänzt, sondern geradezu ersetzt. Die Problematik lässt sich auch an zwei konkreten Praxisbeispielen aus jüngerer Zeit verdeutlichen. Im ersten Fall war die DB Netz AG im Jahr 2009 vom OLG Düsseldorf unter Rekurs auf die §§ 20 GWB und 315 BGB zur Rückzahlung sogenannter Änderungsentgelte212 verurteilt worden.213 Die Revision hatte das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Im Rahmen der vom Unternehmen angestrengten Nichtzulassungsbeschwerde stellte die BNetzAvor dem BGH einen Antrag auf Akteneinsicht. Zur Begründung verwies die Regulierungsbehörde darauf, dass sie wegen Beschwerden von Eisenbahnverkehrsunternehmen ein Verwaltungsverfahren eingeleitet habe, in dem die Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Änderungsentgelte mit den Vorschriften des Eisenbahnrechts überprüft werde. Der BGH gewährte daraufhin zwar Akteneinsicht. Er setzte das Gerichtsverfahren aber nicht etwa gemäß § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung der BNetzA aus, sondern wies die

210 Vgl. hierzu den Bescheid der BNetzA v. 6.6. 2011; abrufbar unter: http://www.BNetzA. de/cln_1931/DE/Sachgebiete/Eisenbahnen/Unternehmen_Institutionen/Veroeffentlichungen/Ei senbahnrechtlicheLeitentscheidungen/eisenbahnrechtlicheleitentscheidungen_node.html (zuletzt abgerufen am 8.10. 2013). 211 Vgl. zur Empirie auch Bremer/Höppner, N&R 2010, Beilage 1, S. 1 (6); Staebe, in: Schmitt/Staebe (Fn. 15), Rn. 545. 212 Hierbei handelt es sich um Entgelte, die von der DB Netz AG dafür erhoben werden, dass eine bestellte Trasse nach Annahme des Trassenangebots durch ein Eisenbahnverkehrsunternehmen noch einmal auf dessen Wunsch abgeändert werden muss. 213 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.10. 2009 – VI ¢ U (Kart) 4/09, Rn. 48 ff. (juris).

IV. Verfahrensrechtlicher Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes

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Nichtzulassungsbeschwerde zurück.214 In der Folge wurde das Verwaltungsverfahren der BNetzA eingestellt, weil die DB Netz AG aufgrund der gescheiterten Nichtzulassungsbeschwerde die Höhe des Änderungsentgelts für die folgende Fahrplanperiode abgesenkt hatte. Die ihr in Erwägungsgrund 46 RL 2001/14/EG (noch deutlicher jetzt Erwägungsgrund 76 RL 2012/34/EU) zugedachte Funktion als Überwachungsorgan für die effiziente Verwaltung und gerechte und nichtdiskriminierende Nutzung von Eisenbahnfahrwegen konnte die Regulierungsbehörde hier mithin nicht wahrnehmen. Der zweite Fall betrifft die auf § 315 BGB gestützten Klagen mehrerer Zweckverbände gegen die Erhebung der Regionalfaktoren im Trassenpreissystem der DB Netz AG in der Zeit vor ihrer Abschaffung zum Fahrplanjahr 2012.215 Speziell mit Blick auf das Fahrplanjahr 2011216 erweist sich hier als problematisch, dass die Erhebung der Regionalfaktoren in einem am 30. Juli 2010 zwischen der DB Netz AG und der Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch die BNetzA)217 geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag festgeschrieben wurde. Die DB Netz AG verpflichtete sich dort zur Außerkraftsetzung der Regionalfaktoren ab dem 11. Dezember 2011 sowie zur Absenkung bestimmter Regionalfaktoren ab dem 12. Dezember 2010 (vgl. §§ 1 und 2 des Vertrages). Zugleich wurde das bei der BNetzA geführte Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Regionalfaktoren im Vergleichswege beendet (s. § 3 des Vertrages). Sollten die Zivilgerichte nunmehr davon ausgehen, dass diese Entgeltbestandteile gleichwohl der Kontrolle nach § 315 BGB unterworfen sind, wäre eine effektive Kompetenz der BNetzA, verbindliche Entscheidungen über Entgeltfragen zu treffen, grundlegend in Frage gestellt. Das regulierungsbehördliche Handeln stünde unter dem Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung der Zivilgerichte im Einzelfall. Richtigerweise wäre hier vielmehr an ein – systemimmanentes – Vorgehen des Eisenbahnverkehrsunternehmens gegen den öffentlichrechtlichen Vertrag im Wege einer Klage nach § 43 Abs. 1 VwGO auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages zu denken gewesen. Voraussetzung hierfür ist freilich analog § 42 Abs. 2 VwGO218 die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten. 214

BGH, Beschl. v. 29.6. 2010 – KZR 50/09. Vgl. die entsprechende dpa-Meldung v. 27.3. 2013; z. B. abrufbar unter: http://www.zeit. de/news/2013 – 03/28/verkehr-trassenpreiseverkehrsverbuende-klagen-gegen-die-bahn28123805 (zuletzt abgerufen am 8.10. 2013). 216 Vgl. insoweit die derzeit vor dem LG Frankfurt anhängigen Klagen in den Verfahren VRR u. a ./. DB Netz AG (Az. 2-03 O 318/13) sowie ZV SPNV Rheinland-Pfalz Nord ./. DB Netz AG (Az. 2-07 O 56/13); s. ferner den ebenfalls beim LG Frankfurt anhängigen Rechtsstreit Städtebahn Sachsen ./. DB Netz AG, Az. 2-06 O 218/13. 217 Abrufbar unter: http://www.BNetzA.de/cln_1931/DE/Sachgebiete/Eisenbahnen/Unter nehmen_Institutionen/Veroeffentlichungen/EisenbahnrechtlicheLeitentscheidungen/eisenbahn rechtlicheleitentscheidungen_node.html (zuletzt abgerufen am 8.10. 2013). 218 Vgl. zur analogen Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO bei der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO: BVerwG, Beschl. v. 30.7. 1990 – 7 B 71/90, NVwZ 1991, 470 (471); 215

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

b) Widersprüchliche Signale an die Eisenbahnunternehmen Neben die Gefahr einer Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle tritt auch das Risiko divergierender Entscheidungen seitens der BNetzA bzw. der Verwaltungsgerichte einerseits und der Zivilgerichte andererseits. Die hiervon ausgehenden gegenläufigen Signale an die Eisenbahnunternehmen stünden in scharfem Kontrast zum Erwägungsgrund 35 RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/EU). Der dort zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen219 wird gerade auch über den in Art. 30 RL 2001/14/EG (Art. 56 RL 2012/34/EU) wurzelnden Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes abgesichert. Ein praktisches Beispiel für das aus einer parallelen zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle resultierende Risiko von widersprüchlichen Signalen gegenüber den Eisenbahnunternehmen liefern zwei Entscheidungen des OVG Münster bzw. des KG Berlin zum Stationspreissystem 2005 (SPS 05) der DB Station&Service AG. Im SPS 05 wurde ein Preismodell zugrunde gelegt, das die Einordnung der Bahnhöfe in sechs verschiedene Kategorien vorsah. Zu diesem Zweck erfolgte auch eine unterschiedliche Gewichtung von Nah- und Fernverkehr. Der Fernverkehr bewirkte bei jedem maßgeblichen Merkmal (Anzahl der Zughalte – Anzahl der Ein- und Aussteiger pro Tag – Verknüpfungsfunktion des Bahnhofs) eine deutlich höhere Wertung als der Nahverkehr. Von den hiermit befassten Gerichten wurde dieser Ansatz grundlegend unterschiedlich beurteilt. Während das OVG Münster gegen die Differenzierung zwischen Nah- und Fernverkehr „keine rechtlichen Bedenken“ äußerte220, formulierte das KG Berlin „Zweifel an der Billigkeit“ dieser Vorgehensweise221. Beide Gerichte legten mithin unterschiedliche Maßstäbe an die Eisenbahnrechtskonformität einerseits bzw. die Billigkeit andererseits an. Diese Divergenzen gefährden aber die in Erwägungsgrund 35 RL 2001/14/EG (Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/EU) geforderte Widerspruchsfreiheit der Entgeltregelungen im Eisenbahnsektor. Sie zu gewährleisten ist ratio des in Art. 30 RL 2001/14/EG (Art. 56 RL 2012/34/EU) wurzelnden Überprüfungsmonopols der nationalen Regulierungsstelle.

3. Gebot des effektiven Rechtsschutzes Der vorstehende Befund eines Verstoßes gegen Art. 30 RL 2001/14/EG (Art. 56 RL 2012/34/EU) könnte allenfalls dann zu revidieren sein, wenn das auf nationaler BVerwG, Urt. v. 27.5. 2009 – 8 C 10/08, NVwZ 2009, 1305 Rn. 24; krit. W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2012, Rn. 410, 414 m.w.N. 219 s. hierzu bereits unter D.II.2. 220 OVG Münster, Beschl. v. 23.3. 2010 – 13 B 247/10 Rn. 14 (juris). 221 KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 9; s. auch KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 11 f.; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/11 Kart, S. 11; KG Berlin, Urt. v. 15.4. 2013 – 2 U 19/09 Kart, S. 7 f.; LG Berlin, Urt. v. 11.6. 2013 – 5 O 177/12, S. 10 f.

IV. Verfahrensrechtlicher Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes

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wie auf europäischer Ebene gleichermaßen anerkannte Gebot des effektiven Rechtsschutzes222 eine parallele Billigkeitskontrolle durch die Zivilgerichte fordern sollte. In diese Richtung weisen immerhin die Ausführungen des BGH in seinem grundlegenden Stornierungsentgelt-Urteil vom 18. Oktober 2011. Dort stützte sich das Gericht zur Begründung der Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte auch darauf, dass mit dem Antragsverfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG kein wirksamer Rechtsschutz gewährleistet werden könne.223 Zu beachten ist indes, dass es sich beim Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsstelle einerseits und der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes andererseits um zwei streng zu trennende Fragen handelt. Das unionsrechtliche Gebot eines behördlichen Überprüfungsmonopols darf nicht gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes ausgespielt werden. Vielmehr ist die praktische Wirksamkeit beider Vorgaben zu verwirklichen. Insbesondere sieht das europäische Eisenbahnregulierungsrecht keine Ausnahme vom Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsstelle aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes vor. Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass schon die Ausgangsthese des BGH unzutreffend ist, weil § 14 f Abs. 2 AEG der Forderung nach effektivem Rechtsschutz voll entspricht. Insoweit kann auf die Ausführungen zum regulierungsrechtlichen Individualrechtsschutz im Eisenbahnsektor [vgl. C.I.2.] verwiesen werden. Nicht zu überzeugen vermag in diesem Kontext im Übrigen auch die jüngste These des KG Berlin, wonach die Beendigung eines bei der BNetzA geführten Überprüfungsverfahrens durch öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag224 den Beleg dafür liefern soll, dass „der Rechtschutz für die Eisenbahnverkehrsunternehmen nach dem AEG unzureichend ist“.225 Völlig ausgeblendet bleibt dabei, dass auch Dritte (hier: die Eisenbahnverkehrsunternehmen) gegen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Wege der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO vorgehen können, sofern sie durch ihn möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sind [s. D.IV.2.a)].

222

Vgl. die Nachweise in Fn. 140. BGH, Urt. v. 18.10. 2011 ¢ KZR 18/10, NVwZ 2012, 189 Rn. 18 ff. – Stornierungsentgelt. 224 Konkret ging es um einen am 24.8. 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch die BNetzA) und der DB Station&Service AG geschlossenen öffentlichenrechtlichen Vertrag über die Einführung eines Verkehrsleistungsfaktors im Stationspreissystem (abrufbar unter: http://www.BNetzA.de/cln_1931/DE/Sachgebiete/Eisenbahnen/Unternehmen_Institutionen/Veroeffentlichungen/EisenbahnrechtlicheLeitentscheidungen/eisenbahnrechtlicheleitentscheidungen_node.html (zuletzt abgerufen am 8.10. 2013). 225 KG Berlin, Urt. v. 17.1. 2013 – 2 U 10/11 Kart, S. 8; KG Berlin, Urt. v. 31.1. 2013 – 2 U 1/ 11 Kart, S. 7. 223

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

4. Zwischenfazit Als viertes Zwischenfazit bleibt damit festzuhalten, dass die praktische Wirksamkeit des eisenbahnrechtlichen Rechtsschutzmechanismus durch eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte ausgehebelt würde. Denn mit der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle ist sowohl eine Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle, als auch eine Beeinträchtigung der Widerspruchsfreiheit der Entgeltregelungen verbunden. Hierin liegt ein Verstoß gegen den im Lichte des Erwägungsgrunds 35 zu interpretierenden Art. 30 RL 2001/14/EG (s. auch Erwägungsgrund 44 mit Art. 56 RL 2012/34/EU). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes kann diesen Befund schon deshalb nicht in Frage stellen, weil anderenfalls das regulierungsbehördliche Überprüfungsmonopol und die Rechtsschutzgarantie ohne Grund gegeneinander ausgespielt würden.

V. Organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit 1. Begrenzung auf eine einzige Regulierungsstelle Ein fünfter und letzter Verstoß der Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte könnte sich schließlich in organisationsrechtlicher Perspektive aus dem richtlinienrechtlichen Grundsatz der „Einzigkeit der Zuständigkeit“226 ergeben. Dieser findet seinen normativen Anker in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 der Eisenbahnzugangs-RL 2001/14/EG. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „eine Regulierungsstelle ein[zurichten]“.227 Wie Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Kommission/Tschechien treffend hervorgehoben hat, folgt hieraus die Verpflichtung der Mitgliedstaaten „eine Regulierungsstelle, und nicht mehrere Stellen [einzurichten]“.228 Nochmals unterstrichen wird dies auch in Art. 55 Abs. 1 Satz 1 der neuen Richtlinie 2012/34/EU, wo es nunmehr heißt, dass jeder Mitgliedstaat für den Eisenbahnsektor „eine einzige nationale Regulierungsstelle ein[richtet]“.229

2. Handeln der Zivilgerichte als Regulierungsstelle Der spezifische Verstoß der Billigkeitskontrolle gegen den Grundsatz der Einzigkeit der Zuständigkeit könnte darin liegen, dass die Zivilgerichte im Rahmen des 226

Wendung (in anderem Kontext) von: Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 108 ff.; s. auch Ludwigs, WuW 2008, 534 m.w.N. in Fn. 1. 227 Hervorhebung v. Verf. 228 GA Jääskinen, Schlussantr. v. 13.12. 2012, Rs. C-545/10 Rn. 107 – Kommission/ Tschechien. 229 Hervorhebung v. Verf.

V. Organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit

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§ 315 BGB funktional vollziehende Gewalt ausüben und damit als eine „zweite Regulierungsstelle“ auftreten. In diese Richtung weisen Stimmen, wonach die Zivilgerichte durch eine Prüfung der Netzentgelte am Maßstab des § 315 BGB „Aufgaben einer staatlichen Regulierungsbehörde wahr[nehmen], die das Regulierungsrecht ihnen nicht zuweist.“230 Bezeichnend erscheint es in diesem Kontext auch, wenn selbst der BGH betont, dass der Billigkeitskontrolle (im Energiesektor) die Funktion einer „Preisregulierung“ zukommt, sofern der Preis nach Auffassung des Gerichts unbillig überhöht und deshalb durch Urteil zu bestimmen ist.231 Schließlich weisen auch entschiedene Befürworter einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte prononciert darauf hin, dass ihr Ausschluss zu einer „Regulierungsbremse“232 führen würde. a) Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung In der Sache kommt es für die Frage, ob die Zivilgerichte im Rahmen des § 315 BGB funktional vollziehende Gewalt ausüben und damit als „zweite Regulierungsstelle“ auftreten entscheidend auf die Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung an. Das BVerfG bestimmt den Begriff der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 92 GG von der konkreten sachlichen Tätigkeit her233.234 Danach handelt es sich um Rechtsprechung im materiellen Sinn, „wenn bestimmte hoheitsrechtliche Befugnisse bereits durch die Verfassung Richtern zugewiesen sind oder es sich von der Sache her um einen traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung handelt (…).“235 Daneben ist Rechtsprechung aber auch dann gegeben, „wenn der Gesetzgeber für einen Sachbereich, der nicht schon materiell dem Rechtsprechungsbegriff unterfällt, eine Ausgestaltung wählt, die bei funktioneller Betrachtung nur der rechtspre230 Martini, DVBl. 2008, 21 (28); ähnlich Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 60: „Zivilgerichte [ziehen] die Kompetenzen der Regulierungsbehörden an sich“. 231 BGH, Urt. v. 17.10. 2012 – VIII ZR 292/11, NJW 2013, 595 Rn. 23 (Hervorhebung v. Verf.). 232 Kühling, N&R 2013, 139 (142 mit Fn. 26) – Hervorhebung v. Verf. 233 Vgl. insb. BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (136 ff.) – Wahlprüfung Hessen; bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 23.5. 2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1 (10) – Insolvenzverwalter; BVerfG-K, Beschl. v. 26.11. 2009 – 1 BvR 339/09, NJW-RR 2010, 1063 (1064). 234 Eingehend zum Begriff der rechtsprechenden Gewalt aus der Lit: Hillgruber, in: Maunz/ Dürig, GG-Kommentar, Loseblatt, Lfg. 69/2013, Art. 92 Rn. 31 ff., 39 ff., 45 ff. m.w.N. (Lfg. 51); ferner Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 92 Rn. 5 ff.; Wilke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 3. Aufl. 2007, § 112 Rn. 72 ff. 235 BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (137) – Wahlprüfung Hessen; näher BVerfG, Urt. v. 6.6. 1967 – 2 BvR 375, 53/60 und 18/65, BVerfGE 22, 49 (76 f.) – Verwaltungsstrafverfahren.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

chenden Gewalt zukommen kann.“236 Nach diesem funktionell-rechtlichen Begriff liegt Rechtsprechung vor, „wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhängige Gerichte herbeiführen können“.237 Prägende Begriffsmerkmale bilden „das Element der Entscheidung, der letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist (…)“.238 Die Aufgabe der Gerichte besteht darin, „Rechtssachen mit verbindlicher Wirkung zu entscheiden, und zwar in Verfahren, in denen durch Gesetz die erforderlichen prozessualen Sicherungen gewährleistet sind und der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör besteht (…)“.239 Zusammengefasst liegt das Charakteristikum rechtsprechender Tätigkeit mithin typischerweise in der „letztverbindliche[n] Klärung der Rechtslage in einem Streitfall im Rahmen besonders geregelter Verfahren.“240 b) Einordnung der richterlichen Entscheidung im Rahmen von § 315 BGB Subsumiert man die richterliche Entscheidung im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB unter die Begriffsmerkmale der rechtsprechenden Gewalt, dann erscheint das Kriterium der „Klärung der Rechtslage“ fragwürdig. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Zivilgerichte im Rahmen des § 315 BGB nicht nur eine Rechtskontrolle ausüben, sondern eine eigene Ermessensentscheidung treffen.241

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BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (137) – Wahlprüfung Hessen. BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (137) – Wahlprüfung Hessen. 238 BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (137) – Wahlprüfung Hessen, unter Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 28.11. 1957 – 2 BvL 11/56, BVerfGE 7, 183 (188 f.); BVerfG, Beschl. v. 27.4. 1971 – BvL 31/71, BVerfGE 31, 43 (46); BVerfG, Beschl. v. 20.4. 1982 ¢ 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253 (269 f.) – Anwaltsverschulden. 239 BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (137 f.) – Wahlprüfung Hessen, grundlegend BVerfG, Beschl. v. 30.11. 1955 ¢ 1 BvO 2/52, BVerfGE 4, 358 (363) – Reichsgesetz über den Finanzausgleich. 240 BVerfG, Urt. v. 8.2. 2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (138) – Wahlprüfung Hessen; s. auch BVerfG-K, Beschl. v. 26.11. 2009 – 1 BvR 339/09, NJW-RR 2010, 1063 (1064). 241 Bei einer Entscheidung nach „billigem Ermessen“ stellt im Übrigen auch der EuGH das Vorliegen einer Rechtsprechungstätigkeit in Frage. Dies macht ein Blick auf das Almelo-Urteil deutlich. Dort begründete der EuGH die Gerichtseigenschaft (Art. 267 AEUV) eines nach „billigem Ermessen“ entscheidenden niederländischen Gerichts gerade damit, dass es als staatliches Organ gemäß Art. 5 EWGV (Art. 4 Abs. 3 EUV) verpflichtet sei, dabei „die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts (…) zu beachten (…)“ (EuGH, Urt. v. 27.4. 1994, Rs. C-393/ 92, Slg. 1994, I-1477 Rn. 23 – Almelo [Hervorhebung v. Verf.]; eingehend zum Begriff des einzelstaatlichen Gerichts aus der Lit.: Dauses, in: ders. [Hrsg.], Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, Bd. 2, EL 33/2012, P.II. Rn. 113 ff. [EL 15]). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Entscheidung nicht als Rechtsprechungstätigkeit zu qualifizieren ist, soweit sie anhand außerrechtlicher Maßstäbe getroffen wird. 237

V. Organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit

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Richtigerweise ist hier erneut zwischen der Unbilligkeitsfeststellung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB einerseits und der richterlichen Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB andererseits zu differenzieren (s. bereits D.I.2.b.). Was zunächst die Kontrolle der Parteibestimmung durch das Gericht angeht, so lässt sich diese nicht als Ausübung richterlichen Ermessens deuten.242 Denn das Gericht darf im Rahmen des § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Parteiermessens setzen. Es hat vielmehr allein zu prüfen, ob sich der Bestimmungsberechtigte bei der Preisbemessung innerhalb der Grenzen der Billigkeit bewegt. Nur dann ist die getroffene Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB für die andere Partei verbindlich.243 Anders gewendet, muss der Spielraum der bestimmungsberechtigten Partei „eindeutig überschritten“ sein, um die Unbilligkeit der Preisbemessung begründen zu können.244 In diesem Sinne wirkt die richterliche Kontrolle als Übermaßverbot245 und ist allein an rechtlichen Maßstäben ausgerichtet. Eine abweichende Bewertung könnte sich dagegen für die richterliche Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB ergeben. Der hierbei anzulegende Kontrollmaßstab ist im zivilrechtlichen Schrifttum umstritten.246 Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, es handele sich nur um einen bloßen Erkenntnisakt, der die „einzig richtige Entscheidung“ identifiziere.247 Folgerichtig wird der Maßstab der „Billigkeit“ als voll gerichtlich überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff begriffen.248 Gegen diese Sichtweise spricht aber ein Zweifaches: Zum einen müsste das Zivilgericht im Rahmen des § 315 BGB den gerechten Preis („iustum pretium“) er-

242 Insoweit überzeugend Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 88; grundlegend Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705 (706 f.). 243 Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 88; s. auch Kling (Fn. 62), S. 140. 244 Kling (Fn. 62), S. 140 f. (dort auch das Zitat im Text), unter Rekurs auf M. Wolf, in: Soergel, BGB-Kommentar, Bd. 2 – Schuldrecht I (§§ 241¢432), 12. Aufl. 1990, § 315 Rn. 39, 48. 245 Explizit BVerfGE 81, 242 (256) – Handelsvertreter. 246 Für einen Überblick zum Meinungsstand vgl. Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 82 ff.; s. auch Karb (Fn. 86), S. 259 f. 247 Vgl. insb. Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 89, wonach die Billigkeit im Sinne von § 315 Abs. 3 S. 2 BGB ein „reversibler unbestimmter Rechtsbegriff [ist], bei dem nur eine Entscheidung möglich ist (…)“; grundlegend Kornblum, AcP 168 (1968), S. 450 (460), der sogar von einem reinen Feststellungsurteil ausgeht. 248 Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 90.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

mitteln, was ein praktisch unmögliches Unterfangen darstellt.249 Zum anderen wäre der Begriff des „billigen Ermessens“ in § 315 BGB eine contradictio in adiecto. Eines der beiden einander ausschließenden Elemente müsste „geopfert“ werden, „mit dem Ergebnis einer einzigen billigen Entscheidung, wenn das Ermessen in die Billigkeit aufgelöst wird; mit dem Ergebnis eines Spielraums dagegen, wenn dem Ermessen der Vorzug gegeben wird“.250 Richtigerweise ist das „billige Ermessens“ daher mit Rechtsprechung und herrschender Lehre als einheitlicher Begriff aufzufassen.251 Beleg hierfür liefern im Übrigen auch die Motive zum BGB.252 Hieraus erhellt, dass es sich beim „billigen Ermessen“ um die Übernahme des arbitrium boni viri handelt, wonach die Billigkeit zwar anhand objektiver Kriterien, aber innerhalb eines gewissen Entscheidungsspielraums zu ermitteln ist.253 Die Konsequenz hieraus ist, dass die Gerichte im Rahmen des § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB nicht nur eine Rechtskontrolle ausüben, sondern zugleich eine Gestaltungsentscheidung treffen.254 Bei der Ersatzleistungsbestimmung handelt es sich mithin um eine „echte“ Ermessensentscheidung.255 Im Schrifttum ist insoweit prägnant darauf hingewiesen worden, dass es sich bei § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB um die „nur ausnahmsweise“ erfolgende Einräumung einer „[gerichtlichen] Ermessensbefugnis im Hinblick auf die Sachentscheidung“256 handelt.257 Dem entspricht es, wenn sich der BGH für die Überprüfung der tatrichterlichen Ausführungen zur Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB in ständiger Rechtsprechung

249 Darauf hinweisend Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 302 f. m.w.N. 250 Gernhuber (Fn. 156), S. 287 f.; eingehend zum Bestimmungsmaßstab: Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 16 ff. m.w.N. zum Meinungsstand. 251 Aus der Rspr.: BGH, Urt. v. 8.11. 2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 24; BGH, Urt. v. 4.4. 2006 – X ZR 80/05, NJW-RR 2007, 56 Rn. 16; s. auch bereits BGH, Urt. v. 2.4. 1964 – ZR 10/62, BGHZ 41, 271 (280); aus der Lit. statt vieler: Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 299 ff., 323; Kronke, AcP 183 (1983), 113 (138). 252 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. II. Recht der Schuldverhältnisse, 1888, S. 192. 253 Kronke, AcP 183 (1983), 113 (139); s. insoweit auch Völzmann-Stickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 16. 254 BGH, Urt. v. 18.10. 2007 – III ZR 277/06, BGHZ 174, 48 Rn. 20 f.; vgl. auch KG Berlin, Urt. v. 29.10. 2012 – 2 U 10/09 Kart, S. 7. 255 s. z. B. BGH, Urt. v. 20.7. 2010 – EnZR 23/09, NJW 2011, 212 Rn. 39 m.w.N. – Stromnetznutzungsentgelt IV. 256 Hervorhebung v. Verf. 257 Hess, in: Storme/Hess (eds.), Discretionary power of the judge: limits and control, 2003, S. 395 (400).

V. Organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit

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an der verwaltungsrechtlichen Ermessensfehlerlehre orientiert.258 Danach bleibt das Revisionsgericht darauf beschränkt zu prüfen, „ob das Berufungsgericht den Begriff der Billigkeit verkannt, ob es die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat und ob es von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, der ihm den Zugang zu einer fehlerfreien Ermessensentscheidung versperrt hat (…)“.259 Im Umkehrschluss ist aus der derart festgestellten Beschränkung der revisionsgerichtlichen Kontrolle auf Ermessensfehler zugleich die prinzipielle Anerkennung einer begrenzten, an außerrechtlichen Maßstäben orientierten Wahlfreiheit des Tatrichters bei der Rechtsfolgenentscheidung abzuleiten.260 Die These von der „einzig richtigen Entscheidung“ ist damit nicht in Einklang zu bringen. Der an die Stelle des Bestimmungsberechtigten tretende Richter nimmt vielmehr eine (revisions-)gerichtlich nur beschränkt überprüfbare Rechtsgestaltung durch Urteil vor. Folgerichtig spricht auch der BGH bei der richterlichen Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB explizit von einer „Ermessensentscheidung“.261 An dieser grundsätzlichen Anerkennung eines richterlichen Ermessensspielraums ändert sich im Übrigen auch dann nichts, wenn man, mit einer im Vordringen befindlichen Auffassung im zivilrechtlichen Schrifttum, annimmt, dass das richterliche Ermessen eingeschränkter ist, als das Parteiermessen und sich – was immer dies genau bedeutet262 – „tunlich in der Mitte halten sollte“.263

258 Ausführlich zur Wesensgleichheit von verwaltungsbehördlichem und richterlichem Ermessen vgl. Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozess, 2002, S. 242 ff. m.w.N.; s. auch Behrens, Die Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 36 ff., 43 ff., 54 ff.; Rieble, Die Kontrolle des Ermessens der betriebsverfassungsrechtlichen Einigungsstelle, 1990, S. 87 ff. 259 St. Rspr., vgl. insb. spezifisch zur richterlichen Ersatzleistungsbestimmung: BGH, Urt. v. 8.11. 2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 24; s. auch BGH, Urt. v. 19.11. 2008 – VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 28; BGH, Urt. v. 13.6. 2007 – VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn. 20; BGH, Urt. v. 10.10. 1991 – III ZR 100/90, BGHZ 115, 311 (321); näher: Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 323, 422 ff. 260 Ähnlich Büdenbender, Zulässigkeit der Preiskontrolle von Fernwärmeversorgungsverträgen nach § 315 BGB, 2005, S. 20: „Nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB üben diese Zivilgerichte nicht nur Rechtskontrolle aus, sondern praktizieren zugleich eine nur begrenzt rechtlich nachprüfbare Vertragsgestaltung“; s. auch Brändle, VersorgW 2012, 157 (160); a.A. VölzmannStickelbrock, in: Junker (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 83 ff. 261 BGH, Urt. v. 8.11. 2011 – EnZR 32/10, RdE 2012, 63 Rn. 24. 262 Kritisch auch Rieble, in: Staudinger, BGB-Kommentar, §§ 315¢326 (Leistungsstörungsrecht 2), 2009, § 315 BGB Rn. 326, mit dem pointierten Hinweis, dass offen bleibe „welche Rechtskategorie das auch sein mag“. 263 Statt vieler Würdinger, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 315 Rn. 30 m.w.N.

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D. Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB

3. Zwischenfazit und Konsequenzen Als fünftes Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass der Charakter der richterlichen Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB als echte Ermessensentscheidung für ihre Einordnung als – zumindest auch – funktionale Ausübung vollziehender Gewalt spricht. Indem die Zivilgerichte dergestalt Verwaltungstätigkeiten ausüben, ziehen sie Kompetenzen der Regulierungsbehörde an sich. Hierin liegt ein Verstoß gegen den in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 RL 2001/14/EG (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 RL 2012/34/EU) wurzelnden organisationsrechtlichen Grundsatz der Einzigkeit der Zuständigkeit der Regulierungsstelle. Im Gegensatz dazu stellt sich die bloße Unbilligkeitsfeststellung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB zwar isoliert betrachtet als reine Rechtsprechungstätigkeit dar. Da beide Elemente aber [wie unter D.I.3. ausführlich dargelegt wurde] eine „untrennbare Einheit“ bilden, bleibt für § 315 BGB neben den eisenbahnrechtlichen Regelungen insgesamt kein Raum.

VI. Fazit Als Fazit ergibt sich, dass die Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte in fünffacher Hinsicht gegen Vorgaben des europäischen Eisenbahnrechts verstößt. Eine die sektorspezifische Regulierung ergänzende zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle missachtet neben der Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung und der Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems auch das sektorspezifische Diskriminierungsverbot sowie den verfahrensrechtlichen Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes und die organisationsrechtliche Einzigkeit der Zuständigkeit bei der Eisenbahnregulierung.

E. Konsequenzen I. Handlungsmöglichkeiten der Zivilgerichte Fragt man abschließend nach den Konsequenzen der Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte, so ist zunächst festzuhalten, dass die Zivilgerichte vor der Alternative stehen, etwaige Klagen auf Rückzahlung vermeintlich unbilliger Entgelte entweder ganz abzuweisen oder die Frage dem EuGH vorzulegen.264 Das Vorlagerecht der Instanzgerichte aus Art. 267 Abs. 2 AEUV wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der BGH die Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte in seinem Stornierungsentgelt-Urteil vom 18. Oktober 2011 explizit bejaht hat.265 Abgesehen davon, dass das deutsche Recht ohnehin keine Präjudizienbindung kennt, betont auch der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass die nationalen Gerichte „ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichthof haben, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei Ihnen anhängige Rechtssache Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der gemeinschaftsrechtsrechtlichen Bestimmungen aufwirft (…)“.266 Über dieses Vorlagerecht hinaus, besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV für diejenigen einzelstaatlichen Gerichte, deren Entscheidungen im konkreten Verfahren267 selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des nationalen Rechts angefochten werden können, sogar eine Vorlagepflicht. Zu den „Rechtsmitteln“ im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV zählt dabei nach übereinstimmender Ansicht von EuGH268 und BVerfG269 auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung von Berufung und Revision.

264

Leitzke, N&R 2013, 70 (74). Darauf hinweisend auch Leitzke, N&R 2013, 70 (74). 266 Grundlegend EuGH, Urt. v. 16.1. 1974, Rs. 166/73, Slg. 1974, S. 33 Rn. 3 f. – Rheinmühlen I. 267 Hierzu statt vieler Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Kommentar, 4. Aufl. 2011, Art. 267 AEUV Rn. 27 m.w.N. auch zur heute – soweit ersichtlich nicht mehr vertretenen, weil den Aspekt der Sicherung der Rechtseinheit negierenden – abstrakten Theorie. 268 EuGH, Urt. v. 4.6. 2002, Rs. C-99/00, Slg. 2002, I-4839 Rn. 16 – Lyckeskog. 269 BVerfG, Beschl. v. 31.5. 1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 (196) – Absatzfonds. 265

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E. Konsequenzen

II. Verfassungsrechtliche Konsequenzen einer Vorlagepflichtverletzung Verletzt ein konkret letztinstanzliches Gericht seine Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV stellt sich schließlich die Folgefrage, ob hierin zugleich ein mit der Verfassungsbeschwerde rügefähiger Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu sehen ist. Nach der im Schrifttum vielfach kritisch bewerteten270 Rechtsprechung des BVerfG stellt nicht jede Verletzung der Vorlagepflicht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Die verfassungsgerichtliche Prüfung bleibt vielmehr darauf beschränkt zu klären, ob die in Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Ausdruck kommende Zuständigkeitsregel „offensichtlich unhaltbar“, mithin willkürlich, gehandhabt wurde. Davon soll – neben den Fällen einer grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht und eines bewussten Abweichens ohne Vorlagebereitschaft – insbesondere dann auszugehen sein, wenn hinsichtlich der entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Frage eine Rechtsprechung des EuGH gar nicht bzw. nur unvollständig existiert und das Ausgangsgericht den ihm in solchen Fällen notwendigerweise zukommenden Beurteilungsrahmen „in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung)“.271 Bei der Bestimmung der Vertretbarkeitsschwelle haben die beiden Senate des BVerfG in jüngerer Zeit unterschiedliche Akzente gesetzt, wobei hier freilich noch „Vieles im Fluss ist“272. Nach der überkommenen Formulierung des Zweiten Senats kann ein unvertretbares Überschreiten des Beurteilungsspielraums „insbesondere dann [gegeben sein], wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (…)“.273 In gewissem Kontrast hierzu hat sich der Erste Senat mit Beschluss vom 25.1. 2011 einer Reihe von Kammerentscheidungen274 angeschlossen, die in Richtung einer Verschärfung des verfassungsgerichtlichen

270 Statt vieler: Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 101 Rn. 30 ff.; Fastenrath, NJW 2009, 272 (274 f.); Hänsle, DVBl. 2011, 811 (812 ff.); W. Roth, NVwZ 2009, 345 (349 ff.). 271 St. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 31.5. 1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 (194 ff.) – Absatzfonds (Hervorhebung v. Verf.); näher zu den drei Fallgruppen: Calliess, NJW 2013, 1905 (1907). 272 Calliess, NJW 2013, 1905 (1909). 273 BVerfG, Beschl. v. 6.7. 2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (317) – Honeywell (Hervorhebung v. Verf.); grundlegend BVerfG, Beschl. v. 31.5. 1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 (196) – Absatzfonds. 274 BVerfG-K, Beschl. v. 25.2. 2010 – 1 BvR 230/09, NJW 2010, 1268 Rn. 20 f.; BVerfG-K, Beschl. v. 30.8. 2010 – 1 BvR 1631/08, NJW 2011, 288 Rn. 48; BVerfG-K, Beschl. v. 10.11. 2010 ¢ 1 BvR 2065/10, ZUM 2011, 236 Rn. 23.

III. Fazit

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Kontrollmaßstabs weisen.275 Für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kommt es danach „nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.“276 Die hierin liegende Akzentverschiebung277 verdeutlicht insbesondere ein aktueller Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Mai 2012, in dem darauf abgestellt wird, „ob das letztinstanzliche Hauptsachegericht vertretbar von einem ,acte éclairé‘ [Päjudiz] oder von einem ,acte clair‘ [eindeutige Rechtslage] ausgegangen ist.“278. In der Sache spricht für den neuen, strengeren Maßstab des Ersten Senat insbesondere, dass allein hierdurch eine ausreichende Kongruenz mit der EuGH-Judikatur gewährleistet und der acte-clair-Doktrin entsprochen werden kann.279 Vorliegend kommt es darauf freilich schon deshalb nicht an, weil selbst die strengeren Vorgaben des Zweiten Senats für eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfüllt sind. Wie im Einzelnen dargelegt wurde, verstößt eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte gleich in fünffacher Hinsicht gegen die klar gefassten Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts. Die Annahme der Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte erscheint daher gegenüber der Gegenthese der Unionsrechtskonformität als eindeutig vorzugswürdig.

III. Fazit Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Zivilgerichte vor der Alternative stehen, etwaige Klagen auf Rückzahlung vermeintlich unbilliger Entgelte entweder ganz abzuweisen oder die Frage dem EuGH vorzulegen. Die konkret letztinstanzlichen Gerichte sind gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV sogar zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens verpflichtet.

275 Ähnliche Bewertung bei Calliess, NJW 2013, 1905 (1909 f.); s. auch M. Schröder, EuR 2011, 808 (818 f.). 276 BVerfG, Beschl. v. 25.1. 2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157 (188) – Klinikprivatisierung. 277 Vgl. aber die Selbsteinschätzung des Ersten Senats, wonach der eigene Maßstab dem des Zweiten Senats „entspricht“ (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.1. 2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157 (188) – Klinikprivatisierung). Der Zweite Senat scheint dagegen in seinem HoneywellBeschluss von einem gewissen Kontrast auszugehen, wenn er dort einen Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25.2. 2010 (s. Fn. 274) explizit als anderen Ansatz kennzeichnet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.7. 2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 [316]). 278 BVerfG-K, Beschl. v. 29.5. 2012 – 1 BvR 3201/11, NZA 2013, 164 Rn. 24. 279 Thüsing/Pötters/Traut, NZA 2010, 930 (932); i.E. auch Calliess, NJW 2013, 1905 (1909 f.); M. Schröder, EuR 2011, 808 (819 ff.).

76

E. Konsequenzen

Eine Verletzung der Vorlagepflicht hat zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zur Folge.280 Dies gilt selbst dann, wenn man zur Konkretisierung des dortigen Willkürmaßstabs die großzügige Rechtsprechung des Zweiten Senats des BVerfG zugrunde legt. Denn der fünffache Verstoß gegen die klar gefassten Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts lässt die Annahme der Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte als gegenüber der These der Unionsrechtskonformität eindeutig vorzugswürdig erscheinen. Damit liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer „Unvollständigkeit der Rechtsprechung“ als dritter Fallgruppe einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter vor.

280 So wie bei dem – den Gegenstand des dieser Monographie zugrunde liegenden Gutachtens bildenden – Nichtzulassungsbeschluss des BGH v. 11.12. 2012 (KZR 17/12 BeckRS 2013, 08384); s. hierzu bereits unter A.I.

F. Zusammenfassung in zehn Thesen Ausgangslage

I.

Die Kontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte bewegt sich im Spannungsfeld zwischen behördlicher Regulierung (mit nachgeschaltetem Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten) einerseits und zivilgerichtlicher Billigkeitskontrolle andererseits. In der zunächst uneinheitlichen Rechtsprechung der Instanzgerichte dominiert seit dem Stornierungsentgelt-Urteil des BGH vom 18. Oktober 2011 (KZR 18/10) die Parallelitätsthese. Danach kommt § 315 BGB neben den eisenbahnrechtlichen Regelungen zur Anwendung. Die aktuelle EuGH-Judikatur zur Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets hat der Diskussion freilich neue Impulse verliehen. Dies betrifft gerade die Vereinbarkeit der Parallelitätsthese mit dem europäischen Eisenbahnregulierungsrecht.

II.

Im Quervergleich zu den anderen Netzindustrien zeigt sich, dass § 315 BGB aufgrund des Fixpreischarakters der Netzentgeltgenehmigungen im Telekommunikationssektor (§ 37 TKG) praktisch keine Rolle spielt. Demgegenüber wird eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte im Energiesektor von der ständigen Rechtsprechung im Grundsatz bejaht. Anders als im Eisenbahnsektor nimmt der BGH hier freilich eine Einschränkung dahingehend vor, dass die Höchstpreisgenehmigung nach § 23a EnWG (gleiches ist für die Festlegung der Erlösobergrenze nach § 4 ARegV anzunehmen) als „gewichtiges Indiz“ für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte anerkannt wird. Eine Analyse der Besonderheiten des Eisenbahnregulierungsrecht zeigt freilich, dass die – vom BGH bislang nicht diskutierte – Unionsrechtskonformität der Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte gerade dort in hohem Maße fragwürdig erscheint. Regulierungsrechtlicher Individualrechtsschutz

III.

Das Konfliktschlichtungsverfahren nach § 14 f Abs. 2 AEG gewährleistet einen effektiven Rechtsschutz der Zugangsberechtigten. Dies macht auch der Vergleich mit den deutlich schwächeren Rechtsschutzmöglichkeiten im Energiesektor deutlich. Die seitens des BGH im Stornierungsentgelt-Urteil vom 18. Oktober 2011 vorgebrachten Einwände lassen sich u. a. im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts entkräften. Hieraus folgt, dass eine parallele Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnut-

78

F. Zusammenfassung in zehn Thesen

zungsentgelte jedenfalls nicht unter Rekurs auf eine (nur) vermeintlich bestehende Rechtsschutzlücke legitimiert werden kann. Unionsrechtswidrigkeit der parallelen Anwendung von § 315 BGB

IV.

Eine richterliche Ersatzleistungsbestimmung der Infrastrukturnutzungsentgelte gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB verstößt gegen die in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/14/EG (Art. 29 Abs. 1 RL 2012/34/EU) garantierte Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers bei der Entgeltberechnung. Aufgrund des „untrennbaren Zusammenhangs“ mit der vorgelagerten Feststellung der Unbilligkeit der Entgeltbestimmung des Netzbetreibers erfasst die Unionsrechtswidrigkeit zugleich die Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB. Für § 315 BGB bleibt daher neben den eisenbahnrechtlichen Regelungen insgesamt kein Raum.

V.

Dem europäischen Eisenbahnregulierungsrecht ist eine Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems immanent. Neben dem durch eine typisierende Betrachtung gekennzeichneten standardisierten Preisbildungssystem des sektorspezifischen Regulierungsrechts ist für eine individualvertraglich geprägte Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB kein Raum. Das komplexe System des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts würde durch eine parallele Anwendung von § 315 BGB vor allem im Bereich der Zugangsentgelte für die Schienenwege aus der Balance gebracht. Zudem drohen – auch im Bereich des Zugangs zu Serviceeinrichtungen – der Entgeltmaßstab aus Art. 6 Abs. 1 und 2 RL 2001/14/EG (Art. 8 Abs. 4 bzw. Art. 30 Abs. 1 RL 2012/34/EU) sowie der in Erwägungsgrund 35 RL 2001/14/ EG (Erwägungsgrund 44 RL 2012/34/EU) wurzelnde Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen grundlegend in Frage gestellt zu werden.

VI.

Eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte führt aufgrund der Einzelfallbezogenheit zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbots. Das zur Rechtfertigung geltend gemachte Argument der Einzelfallgerechtigkeit stellt keinen legitimen Differenzierungszweck dar. Denn der mit dem standardisierten Preisbildungssystem des Eisenbahnregulierungsrechts verfolgte typisierende Ansatz konfligiert a priori mit dem für die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle prägenden Abstellen auf das konkret-individuelle Vertragsverhältnis.

VII. Die praktische Wirksamkeit des eisenbahnrechtlichen Rechtsschutzmechanismus würde durch eine Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte ausgehebelt. Denn mit der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle ist sowohl eine Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle, als auch eine Beeinträchtigung der Widerspruchsfreiheit der Entgeltregelungen verbunden. Hierin liegt ein Verstoß gegen den im Lichte des

F. Zusammenfassung in zehn Thesen

79

Erwägungsgrunds 35 zu interpretierenden Art. 30 RL 2001/14/EG (s. auch Erwägungsgrund 44 mit Art. 56 RL 2012/34/EU). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes kann diesen Befund schon deshalb nicht in Frage stellen, weil anderenfalls das regulierungsbehördliche Überprüfungsmonopol und die Rechtsschutzgarantie ohne Grund gegeneinander ausgespielt würden. VIII. Der Charakter der richterlichen Ersatzleistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BGB als echte Ermessensentscheidung spricht für ihre Einordnung als – zumindest auch – funktionale Ausübung vollziehender Gewalt. Indem die Zivilgerichte dergestalt Verwaltungstätigkeiten ausüben, ziehen sie Kompetenzen der Regulierungsbehörde an sich. Hierin liegt ein Verstoß gegen den in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 RL 2001/14/EG (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 RL 2012/34/EU) wurzelnden organisationsrechtlichen Grundsatz der Einzigkeit der Zuständigkeit der Regulierungsstelle. Im Gegensatz dazu stellt sich die bloße Unbilligkeitsfeststellung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB zwar isoliert betrachtet als reine Rechtsprechungstätigkeit dar. Da beide Elemente aber eine „untrennbare Einheit“ bilden, bleibt für § 315 BGB neben den eisenbahnrechtlichen Regelungen insgesamt kein Raum (s. These IV.). Konsequenzen

IX.

Die Zivilgerichte stehen vor der Alternative, etwaige Klagen auf Rückzahlung vermeintlich unbilliger Entgelte entweder ganz abzuweisen oder die Frage dem EuGH vorzulegen. Die konkret letztinstanzlichen Gerichte sind gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV sogar zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens verpflichtet.

X.

Die Verletzung der Vorlagepflicht (s. These IX.) hat zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zur Folge. Dies gilt selbst dann, wenn man zur Konkretisierung des dortigen Willkürmaßstabs die großzügige Rechtsprechung des Zweiten Senats des BVerfG zugrunde legt. Denn der fünffache Verstoß gegen die klar gefassten Vorgaben des europäischen Eisenbahnregulierungsrechts lässt die Annahme der Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte als gegenüber der These der Unionsrechtskonformität eindeutig vorzugswürdig erscheinen. Damit liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer „Unvollständigkeit der Rechtsprechung“ als dritter Fallgruppe einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter vor.

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Thüsing, Gregor/Pötters, Stephan/Traut, Johannes: Der EuGH als gesetzlicher Richter i.S. von Art. 101 I 2 GG, NZA 2010, S. 930 Wachinger, Lorenz: Anmerkung zum Urteil des OVG Münster vom 18. Februar 2013 – Az. 13 A 474/11, N&R 2013, S. 173 Wielsch, Dan: Die Kontrolle von Energiepreisen zwischen BGB und GWB, JZ 2008, S. 68

Sachverzeichnis Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung 67 f. – rechtsprechende Gewalt siehe dort Acte clair 22 f., 75 Acte éclaire 75 Antragsverfahren gem. § 14 f Abs. 2 AEG 33 ff. – analoge Anwendung 34 f. mit Fn. 96 – Antragsberechtigung 33, 34, 38 – Aufgreifermessen 22, 35 f. – effektiver Rechtsschutz 16, 33, 34 ff. – eingeschränktes Auswahlermessen 38 – Prüfungsgegenstände 34 – Rechtsschutzdefizit 28, 64 f. – rechtsschutzverkürzende Minimierung der Überlegungsfrist 36 f. – richtlinienkonforme Auslegung 35 – Untätigkeitsklage 35 – Vergleich mit dem Energiesektor 37 ff. – zeitliche Wirkung der Entscheidung 22, 36 Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte 19 ff., 26 ff. – Eisenbahnsektor 19 ff. – Energiesektor 24, 26 ff. – Monopolrechtsprechung 21 mit Fn. 31 – norminterne Voraussetzungen 21 – Parallelitätsthese 32 – Postsektor 25 mit Fn. 49 – Stornierungsentgelt-Urteil siehe dort – Telekommunikationssektor 24, 25 ff. Baukastenprinzip 54 mit Fn. 184, 55 mit Fn. 194 Besonderheiten des Eisenbahnrechts 29 ff. – Kostenorientierung der Netzzugangsentgelte siehe dort – Rolle des Infrastrukturbetreibers 31 Betreiber einer Serviceeinrichtung (Begriff) 44 mit Fn. 138, 56 mit Fn. 195 Billigkeitsmaßstab des § 315 BGB 52 – arbitrium boni viri 70

– Austauschgerechtigkeit im Einzelfall 52, 57 – Energiesektor 28 f., 52 – iustum pretium siehe dort – konkrete Einzelfallgerechtigkeit 52, 55, 58 – objektiv-individueller Maßstab 52, 56, 59 – Stornierungsentgelt-Urteil 52 Diskriminierungsverbot, sektorspezifisches 17, 18, 20, 24, 40, 57 ff. – Beeinträchtigung 57 – eisenbahnrechtliches „Uniformitätsdogma“ 58 – Gleichbehandlung im Unrecht 20, 58 – Grenzen sachlicher Rechtfertigung 58 f. – normative Verankerung 57 – standardisiertes Preisbildungssystem 58, 59, 76 – Stornierungsentgelt-Urteil 59 – typisierender Ansatz 58, 59 Effektiver Rechtsschutz 22, 34 ff., 44 f. Einzigkeit der Zuständigkeit 66 ff. – Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung siehe dort – Begrenzung auf eine einzige Regulierungsstelle 66 – Einordnung der richterlichen Entscheidung gem. § 315 BGB 68 ff. – Konsequenzen 72 – richterliche Ersatzleistungsbestimmung 69 ff. – Schlussanträge GA Jääskinen 66 – Unbilligkeitsfeststellung 69, 72 – Zivilgerichte als Regulierungsstelle 66 ff. Eisenbahnregulierungsgesetz 25 f. mit Fn. 55 Energiesektor 26 ff. – Billigkeitskontrolle der Endkundenentgelte 27 mit Fn. 65 – Billigkeitskontrolle der Netzzugangsentgelte 27 f.

Sachverzeichnis – Einzelentgeltgenehmigung (Höchstpreisgenehmigung) 26 – Indizwirkung regulierungsbehördlichen Handelns 32 – Missbrauchsaufsicht gem. §§ 30, 31 EnWG siehe dort – regulierter Netzzugang 27 – Revenue Cap-Regulierung 26 f., 28 f. mit Fn. 74 – Vergleich mit dem Eisenbahnsektor 29 Energiezivilrecht 27 Entgeltkontrolle nach dem GWB 32 mit Fn. 96 Erstes Eisenbahnpaket 15, 24 – Aufsichtsklagen der Kommission 23 – Schlussanträge GA Jääskinen 15, 23, 41, 50 f., 66 – Urteile des EuGH 23, 40 ff. Gebot der Gleichbehandlung, eisenbahnrechtliches 26 – Diskriminierungsverbot, sektorspezifisches siehe dort Individualrechtsschutz, regulierungsrechtlicher 16, 33 ff. – Antragsverfahren gem. § 14 f Abs. 2 AEG siehe dort – Vergleich mit dem Energiesektor 37 ff. Indizwirkung regulierungsbehördlichen Handelns 32, 55, 57 Infrastrukturbetreiber (Begriff) 43 f. mit Fn. 138, 60 mit Fn. 207 Iustum pretium 69 f. Konsequenzen der Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB, 73 ff. – Handlungsmöglichkeiten der Zivilgerichte 17, 73 – Stornierungsentgelt-Urteil 73 – Vorlagepflichtverletzung, siehe dort Konzept verursachungsgerechter Kosten 31 mit Fn. 86 Kostenorientierung der Netzzugangsentgelte 29 ff. – partielle Entkopplung 29 ff. – spezielle Ausgestaltung im Eisenbahnsektor 29 ff.

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– Tragfähigkeit der Marktsegmente 30, 51 f., 53 – Zielkonflikt 30 Marktsegment (Begriff) 30 mit Fn. 80 Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems 17, 50 ff. – divergierende Grundkonzeption der Prüfungsmaßstäbe 50 ff. – richtlinienkonforme Auslegung 53 ff. – Schlussanträge GA Jääskinen 50 f. – Serviceeinrichtungen 55 f. – standardisiertes Preisbildungssystem 51, 56 – Tragfähigkeit der Marktsegmente 30, 51 f., 53 – typisierender Ansatz 51 – Vollkostendeckung und Effizienzsteigerungsanreiz siehe dort – Vorrang des eisenbahnrechtlichen Entgeltmaßstabs siehe dort – Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen 54, 56 Missbrauchsaufsicht gem. §§ 30, 31 EnWG 28, 37 ff. – Antragsberechtigung 38 – Aufgreifermessen 28 – Behördliche Prüfungspflicht 38 – Beiladung 28 – Entschließungs- und Auswahlermessen 38 – Erheblichkeitskriterium 38 – gerichtliche Kontrolle 28 – Rechtfertigungsfiktion 28 f. mit Fn. 74, 38 f. – Rechtsschutzdefizit 28 – Vergleich mit dem Antragsverfahren gem. § 14 f Abs. 2 AEG 38 Recht auf den gesetzlichen Richter 16, 74 ff. – Fallgruppen 74 – Judikatur des ersten Senats 74 f. – Judikatur des zweiten Senats 74 – Vorlagepflichtverletzung 17, 74 ff. – Willkürmaßstab 16, 74, 76 Rechtsprechende Gewalt (Begriff) 67 f. – BVerfG-Judikatur 67 f. – EuGH-Judikatur 68 mit Fn. 241 – funktionell-rechtlicher Begriff 66 ff.

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– materiell-rechtlicher Begriff 67 Reduzierung der Entgelte auf Null 49 – Strafcharakter 49 Regionalfaktor 63 Richterliche Ersatzleistungsbestimmung 18, 45 f., 50, 69 ff. – „echte“ Ermessensentscheidung 70 f. – funktionale Ausübung vollziehender Gewalt 72 – Kontrollmaßstab 69 – These von der „einzig richtigen“ Entscheidung siehe dort Richtlinie 2012/34/EU 17 – Fort- bzw. Nachwirkung der Richtlinie 2001/14/ EG 17 Richtlinienkonforme Auslegung 35, 39, 47, 53 ff. Sektorspezifisches Diskriminierungsverbot, siehe dort Serviceeinrichtungen 43 f., 55 ff. – Betreiber einer Serviceeinrichtung (Begriff) siehe dort – Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems siehe dort – Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers siehe dort Standardisiertes Preisbildungssystem 23, 51, 53, 56, 58 f. Stationspreissystem (2005) 64 Stornierungsentgelt-Urteil 33 f., 39, 73 – Folgerechtsprechung der Zivilgerichte 22 f. – Kernaussagen 20 ff. – neue Impulse durch EuGH-Judikatur 23 Telekommunikationssektor – ex-post-Regulierung 25 mit Fn. 53 – Fixpreisgenehmigungen 25, 32 – zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle 25, 32 These von der „einzig richtigen“ Entscheidung, 69, 71 Trassenpreissystem (2008) 20 Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers 17, 24, 40 ff. – Anerkennung in der Judikatur 40 ff.

– Entgeltberechnung als Geschäftsführungsinstrument 42 – EuGH-Judikatur 42 – faktische Entgeltfestsetzung 46 – Folgen einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle 44 ff. – kritische Würdigung 42 f. – normative Verankerung 40 ff. – Rolle des Infrastrukturbetreibers, siehe dort – Schlussanträge GA Jääskinen 41 f. – Serviceeinrichtungen 43 f. – Unbilligkeitsfeststellung und richterliche Ersatzleistungsbestimmung 45 ff., siehe auch dort Unbilligkeitsfeststellung und Richterliche Ersatzleistungsbestimmung 45 ff., 68 ff. – BGH-Judikatur 49 f. – isolierte Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BGB 47, 72 – Sichtweise des KG Berlin 48 – „untrennbare Einheit“ 47 ff., 72 Unionsrechtswidrigkeit einer Anwendung von § 315 BGB 40 ff. – Diskriminierungsverbot, sektorspezifisches siehe dort – Einzigkeit der Zuständigkeit siehe dort – formell-rechtliche Perspektive 18 – Konsequenzen der Unionsrechtswidrigkeit siehe dort – Maßstabsexklusivität des eisenbahnrechtlichen Entgeltsystems siehe dort – materiell-rechtliche Perspektive 18 – Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers siehe dort – Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes siehe dort Verhältnis von Eisenbahnregulierungsrecht und Billigkeitskontrolle – Antragsverfahren gem. § 14 f Abs. 2 AEG siehe dort – Billigkeitsmaßstab des § 315 BGB siehe dort – Diskussion im Schrifttum 24 – Entwicklungslinien der Judikatur 19 f. – Indizwirkung regulierungsbehördlichen Handelns siehe dort

Sachverzeichnis – neue Impulse durch EuGH-Judikatur 23 – Parallelitätsthese 32 – Stornierungsentgelt-Urteil siehe dort Vollkostendeckung und Effizienzsteigerungsanreiz 53 f., 56 Vorabprüfung gem. § 14 e AEG 25, 39, 55 Vorrang des eisenbahnrechtlichen Entgeltmaßstabs 53 ff. Vorrang des regulierungsrechtlichen Rechtsschutzes 17, 60 ff. – Bedeutungsminimierung der regulierungsbehördlichen Kontrolle 62 f., 66 – effektiver Rechtsschutz 64 f. – Gefahr der Rechtszersplitterung 61 – Infragestellung durch zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle 62 ff.

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– Überprüfungsmonopol der nationalen Regulierungsstelle 60 f., 64 f. – Verfahren zur Bewältigung von Konflikten bei Zugangs- und Entgeltfragen 60 – Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen 64, 66 Wechsel des Bestimmungsrechts 49 Widerspruchsfreiheit der eisenbahnrechtlichen Entgeltregelungen, 54, 56 f., 62, 64, 66 Zugang zu Schienenwegen 43, 50 f., 55 f., 57 Zugang zu Serviceeinrichtungen 43 f., 55 f., 57