Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [4]

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Zeitschrift

Historischen Verein für

Schwaben und Neuburg.

Vierter Jahrgang.

Augsburg, 1877. In Commission der J. A. Schloss er'sehen Buchhandlung. (Ludwig Schulze.)

Druck von J. P. Hinnner in Augsburg.

Inhalt Seite

Ueber die angebliche Grafschaft und Grafenfamilic Kelmtinz. Von Dr. Ludwig Baumann in Donaueschingon...........................................1 Beiträge zur Geschichte des Augsburger Schulwesens. Yon Pfarrer Julius Hans in Augsburg.......................................................................... 17 Riedheim zur Zeit des J. Müller daselbst

dreissigjährigen Krieges. Yon Pfarrer ............................................................................... 72

Fund einer römischen Goldmünze. Von Domcapitular Gross­ hauser in Augsburg.............................................................................. 91 Sprachliches von Dr. Fr. L. Baumaun in Donaueschingen

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Das Todenbuch des Stiftes in Lindau sammt Nachrichten über die Stiftsfräuleins und Stiftsgeistlichkeit. Von Primbs, k. ReichsArchivsekretär in München...................................................................... 97 Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Von Archivar Dr. Buff.......................................... 160 Die römischen zu Augsburg gefundenen Münzen. Von Domcapitular Grosshauser......................................................................................282 Römische Funde aus der Gegend von Gundremmingen, Aislingen und Faimingen. Beschrieben von Dr. R. Schreiber . .

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Bilolveshusa in pago Vilvesgewi. Von Dr. Baumann

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Beiträge zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte der Stadt Augsburg. Von Dr. Christian Meyer.................................................................... 257 Ueber die städtische Kronik von Kempten. Von Dr. F. L. Bau mann

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Beiträge zur Ortsgeschichte. Von Dr. F. L. Baumann

325

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Kriegerische Vorgänge im Markte Krumbach a. d. Kamlach und in dessen Umgebung aus dem Jahre 1800 .....

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Ueber die angebliche Grafschaft und Grafenfamilie Kelmünz. 1. Direktor von Raiser erzählt in seiner antiquarischen Reise von Augusta nach Yiaca mit Exkursionen nach Venaxomodurum und Coelio - Monte, Augsburg 1829, S. 89—90 über Kel­ münz: „Aus der Römer-Stätte Celio-monte ging frühzeitig eine Unter-Gaugrafschaft oder Cente, die Cometie Keil­ münz mit den Schirmvogteilichen Rechten über die Bischöflich Augsburgischen und Kloster Kempten’schen Besitzungen in der Heimertinger Marke ^Hervor. Vielleicht sassen hier auch die Grafen des jenseits der Iller gelegenen Ra me ch-Gaues.... Noch itzt gehören zu dem Cadre der alten Grafschaft, der itzigen Herr Schaft Keilmünz der Markt Keilmünz, 2/s Theile am Pfarrdorf Unter-Roth und das Filial-Dorf Filsin gen auf dem rechten, dann das Pfarrdorf Ober- und Filialdorf UnterDettingen, der Weiler Buchau und die Höfe Nordhofen auf dem linken Iller-Ufer. Die Herrschaft Illeraichen mit ihren ältern grossen Zugehörden, worunter die Burg Nord holz mit den Zugehörden „ihrer Bergs“ oben an steht, welche durch Käufe und Vermächtnisse an das Kloster Roggen bürg kamen, die grosse Herrschaft Schöneck mit Babenhausen und Zugehörde, Beuern, und die Burgen und Besitzungen aller Dienst­ mannen dieses Distrikts waren Bestandtheile der alten Graf­ schaft Kellmünz. — Die zum Urstamme der Dynasten v. Ruck gehörigen, mit den Grafen von Kirchberg und Berg StammverzWeigten Pfalz-Grafen des Herzogthums Schwaben, „v. Tüwingen“ zugenannt, besassen dieses Comitat als Amts- und Reichs-Lehen.“

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2 Diese hier wörtlich gegebene Stelle ist meines Wissens fast für alle, die seitdem auf die Geschichte von Kelmünz zu sprechen kamen, gleich unbestreitbar Thatsächlichem massgebend geblieben, kann aber vor der gründlicheren Forschung nicht als Wahrheit bestehen, wie denn auch in manchen anderen Punkten die zahl­ reichen Schriften des genannten Verfassers einer Berichtigung bedürfen, was gewiss nicht in oberflächlicher Behandlung durch diesen ausserordentlichen Freund und Förderer der schwäbischen Geschichte, dem unser Verein zum grossen Theile seine Gründung und erste erfreuliche Entfaltung verdankt, sondern in der damals noch grösseren Beschränkung des urkundlichen Materials, in der geringeren Zahl der in gleichen Forschungen thätigen Kräfte und in der überaus grossen Ausdehnung des von ihm zur Bearbeitung erwählten historischen Gebietes seinen Grund findet. Der Hauptirrthum, in den v. Raiser bei obigen Angaben ver­ fiel, ist die Vermischung und Verwechselung/des Grafengutes mit der Grafschaft. Da dieser Fehler leider immer wieder gemacht wird, und da derselbe namentlich die Monographien der einzelnen Ortschaften zu verunstalten pflegt, so wird es wohl nicht unge­ rechtfertigt erscheinen, wenn ich an dieser Stelle das Verhältniss zwischen dem Grafenbesitz und der Grafschaft in Kürze näher zu beleuchten versuche. Es muss im Mittelalter wohl zwischen öffentlicher und pri­ vater (lehensherrlicher und hofrechtlicher) Gewalt unterschieden werden. Die Uebung der erstem steht dem Könige zu, der in den einzelnen aus den urdeutschen Gauen hervorgegangenen Be­ zirken mit derselben den „Grafen“ nach mittelalterlicher Weise nicht nur betraut, sondern belehnt. Darnach ist Grafschaft im echten, alten Sinne des Wortes ein Bezirk, in dem der Graf im Namen des Königs, von diesem mit seinem Amte belehnt, die hohe Gerichtsbarkeit, die polizeiliche und forstliche Jurisdiktion über die in seiner Grafschaft eingesessenen Freien und deren allode Güter verwaltet und den Heerbann dieser Freien aufbietet, denn ganz besonders in der hohen Gerichtsbarkeit (Blutbann), Polizei­ gewalt (Geleite), forstlichen Hoheit (Wildbann) und im Heerbanne tritt die öffentliche Gewalt, welche damit freilich noch nicht er­ schöpft ist, auf. Daraus dürfte ohne weiters folgen, dass der Graf in dem also definirten Amtsbezirke, in seiner „Grafschaft“ nicht an und für sich Güter haben muss, und umgekehrt, dass Güter desselben, ja selbst die Hauptmasse seiner Güter ausserhalb seiner Cometie liegen können. Wir wissen zwar, dass zum Grafenlehen

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auch wirkliche in Grund und Boden bestehende Benedeien gehör­ ten, aber diese brauchen durchaus nicht in dem Amtsbezirke des Grafen selbst zu liegen, wenn dies natörlich auch die Regel bil­ den mochte. Folglich darf nicht geschlossen werden, weil der und der Graf an dem und dem Orte Güter besitzt, gehört letzterer in seine Grafschaft, d. h. in seinen Amtsbezirk, sondern es darf hur umgekehrt, falls wir die Grafschaftsgrenzen kennen, und der Graf an einem innerhalb derselben liegenden Orte königliche Lehen besitzt, mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuthet werden, dass diese Lehen einen Theil der gräflichen Amtsbeneficien ausmachen. Grund­ besitz und öffentliche Gewalt haben also im Mittelalter nichts mit einander zu thun; mit andern Worten Grafschaft und Grafengut decken sich nicht. Wir können die erstere nicht aus letzterem, sondern nur aus den Grenzen erkennen, innerhalb deren dem Gra­ fen die Verwaltung der öffentlichen Gewalt zusteht. Wenn also der Inhaber von Kelmünz auch Herr der oben von v. Kaiser beschriebenen Ortschaften und Herr der in deren Um­ fang hausenden Dienstmannen ist, so ist damit noch lange nicht bewiesen, dass es eine Grafschaft Kelmünz gegeben hat, und dass der vorgenannte Bezirk zu derselben gerechnet werden muss; v. Raiser hat mit jener Behauptung vielmehr lediglich die Un­ kenntnis seiner Zeit mit dem Satze bewiesen, dass man im Mittelalter zwischen öffentlicher Gewalt einer- und Lehenshoheit und Grundbesitz anderseits scharf unterscheiden muss. Aus der soeben gegebenen Definition des Grafenamtes dürfte ferner folgen, dass es in Schwaben keine Untergaugrafschalten gegeben hat oder geben konnte, denn da in jeder Grafschaft der Graf die öffentliche Gewalt als königliches Amtslehen besas-;, so konnte er nicht einen Theil derselben seinerseits wieder einem ihm untergeordneten „Untergrafen“ weiterleihen, sondern alle Grafen sind, wie sie auf gleiche Weise vom Könige belehnt sind, einander gleichstehend. Dies gilt selbst da noch, wo eine Graf­ schaft im Besitze einer mächtigen Familie so erblich geworden, dass dieselbe von dieser thatsächlich als Lehen hingegeben wurde,1) denn diese Familie konnte nicht die öffentliche Gewalt in einer so behandelten Grafschaft als Lehen hiugeben, da diese ja einzig und allein dem Könige zusteht, sondern lediglich die mit dem Grafenamt verbundenen Beneficien und Einkünfte. Der mit einer 1) So besass Pfalzgraf Hugo von Tübingen die Grafschaft auf dem Fildern bei Stuttgart als Leben von Welf VI. i*

4 solchen Grafschaft Belehnte musste deshalb seine eigentliche Grafengewalt vom Könige empfangen, war also in dem, was in Wahrheit erst ihn zum Grafen machte, dem Könige ebenso un­ mittelbar untergeordnet, wie ein Graf, der ohne Zwischenglied königlicher Vasall ist. Es wäre demnach Zeit, endlich einmal mit den Untergauen und Untergaugrafschaften aufzuräumen. Unrichtig ist es ferner, dass v. Kaiser die Centen mit den angeblichen Untergaugrafschaften zusammen wirft, denn jene sind nichts, als die Bezirke, aus denen die Grafschaft sich zusammen­ setzt. Alle öffentliche Gewalt wird in den Centen oder Huntaren von deren Vorsteher, dem Schultheissen, im Namen und Auftrag des Grafen geübt; der Schultheiss richtet unter Grafenbann. Da übri­ gens die Öffentliche Gewalt des Schultheissen sich wesentlich nur auf die Freien und auf freie Güter erstreckte, und da Freie und Allode im grössten Theile Schwabens schon im Anfang des 13. Jahr­ hunderts beinahe ganz verschwunden waren, .so wurde die Cent­ einrichtung in Schwaben schon sehr frühe, Abgesehen von ver­ einzelten Ueberresten, z. B. den Stürzen der Freien im Allgäu, hinfällig. Wenn aber, was nicht selten geschah, eine ursprüngliche Huntare später Grafschaft wurde, so bildete sie nicht eine Unter­ grafschaft des Muttergaues, sondern wurde diesem gleichberechtigt, coordinirt, ganz so wie der Theil eines Bezirksamtes, der heute zu einem eigenen Amtsbezirke erhoben wird, jenem gegenüber von da an unabhängig ist. Auf keine Quellenangabe irgendwelcher Art ferner kann die Behauptung v. Kaisers zurückgeführt werden, dass mit der Cometie Kelmünz die Schirmvogtei über die augsburgischen und kempti­ schen Besitzungen in der Heimertinger Mark verbunden gewesen, und, dass wegen der Ausdehnung der schirmvogteilichen Rechte über diese Kemptner Besitzungen in der Heimertinger Mark die Fehde zwischen den Welfen und *Tübingern 1166 entstanden sei.1) Auch v. Raisers Vermuthung, dass in Kelmünz die Grafen des Kammagaues sassen, ist gegenstandslos, denn nicht die Iller, wie wohl v. Kaiser hiebei annahm, sondern erst die Wasserscheide zwischen der wirtenbergischen Roth und der Rottum schied den Iller- vom Rammagau. Noch im 11. Jahrhunderte werden aus­ drücklich die wirtenbergischen Orte Erolzheim (Erolfesheim 1040), 1) Ueber diese Fehde s. Stälin, wirt. Geschichte II, 97 ff.

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Kirchberg und Balzheim (Chirichberc, Baldesheim 1087) AuttagerBhofen bei Balzheim (Adalgiseshoven 1090) zum Illergau gerechnet.1) Auch v. Raisers Aufzählung der Bestandteile der Herrschaft Kelmünz ist mangelhaft und teilweise unrichtig, wie wir im Ver­ laufe unseres Aufsatzes sehen werden. Aus der bisher gepflogenen Erörterung dürfte sich ergeben, dass v. Baiser für das Dasein einer Grafschaft Kelmünz keine Beweise beizubringen vermag; in Wahrheit gab es niemals eine solche Grafschaft. Nie und nirgends hören wir von einem cömitatus Clementia; Kelmünz wird vielmehr jederzeit nur als „Herr­ schaft“ bezeichnet , die allerdings in spätem Zeiten die sämmtlichen gräflichen Hoheitsrechte an sich gebracht hat, was indessen bekanntlich nach dem Verfalle der Grafschaftsverfassung im 14. und 15. Jahrhunderte beinahe einem jeden Reichsritter in Ober­ schwaben gelang, was also keineswegs das Dasein einer Graf­ schaft Kelmünz erhärten kann. Kelmünz erscheint ferner als freieigene Besitzung, als Allod der Pfalzgrafen von Tübingen und deren Nachfolger, der Grafen von Wirtenberg; gerade diese Eigenschaft aber zeugt unwider­ leglich gegen eine Grafschaft, denn wäre Kelmünz je eine Cometie gewesen, dann würden wenigstens einige der mit derselben ver­ bundenen Güter noch in späterer Zeit als Rest der ursprünglichen Amtsbeneficien vom Reiche zu Lehen gegangen sein. Wir können endlich, was unsere Behauptung vollends bestäti­ gen dürfte, mit einiger Wahrscheinlichkeit die Grafschaft nennen, in welcher Kelmünz lag. Ursprünglich gehörte dasselbe mit seiner ganzen Umgebung zum Illergau, der sich vom 11. Jahrhunderte etwa an in die Graf­ schaften Kirchberg und Marstetten auflöste. Kelmünz lag von da an, da das benachbarte Balzheim bereits zu der Kirchberger Graf­ schaft zählte und später sogar Hauptort eines von dieser losge­ lösten selbständigen Comitates wurde,2) auf der Grenze der bei­ den Grafenbezirke, zählte aber nicht mehr zu dem Amtssprengel der Kirchberger, sondern zu dem der Grafen von Marstetten, eine Behauptung, die ich freilich nicht vollgiltig beweisen, wohl aber, wie ich glaube, wahrscheinlich machen kann. Noch am 4. April 1356 wurde nämlich Thannhausen an der 1) Stalin I, 297, 298, OberAein. Zeitschrift IX, 210. 2) Beschreibung des p. A. Laupheim 201—202.

6 Mindel ausdrücklich zu der Grafschaft Marstetten gerechnet. *) Da nun die echten, alten Cometien in Schwaben ausnahmslos geographisch zusammenhängende, geschlossene Gebiete waren, so kann auch Thann­ hausen nicht durch einen andern Amtssprengel von seiner Graf­ schaft getrennt gewesen sein, sondern es muss dieser Thatsache zufolge alles zwischen Thannhausen und dem mittlern Illerthale liegende Land unter der öffentlichen Gewalt der Grafen von Mar­ stetten gestanden haben, folglich auch die Herrschaft Kelmüflz. Wir wissen ferner, dass Rechtsgeschäfte aus der nächsten Umgegend von Kelmünz, z. B. der Verkauf des Dorfes Kirchberg (im wirtenbergischen Oberamt Biberbach) 1356a) vor dem Land­ gerichte der Grafschaft Marstetten in Memmingen vollzogen wur­ den. Weil aber kein Landgericht in dem Bezirke eines andern competent war, so folgt auch aus der Thatsache solcher Rechts­ geschäfte, dass Kelmünz zum Sprengel des Memminger Landge­ richts, mit andern Worten zu der Grafschaft Marstetten gehörte. 2. Es ist bekannt, dass ausser den wirklichen, mit einem Grafenamte belehnten Grafen auch andere Familien, ohne eine Grafschaft zu besitzen, den leeren Grafentitel geführt haben. Meines Wissens sind diese sämmtlichen Titulargrafenfamilien Neben­ zweige von gräflichen Häusern, die, um sich als höher im Range stehend, denn die gewöhnlichen Nobiles zu bezeichnen, missbräuch­ licher Weise jenen Namen sich angeeigftet haben. Zu dieser Klasse von „Grafen“ zählen in unserm Vereinsgebiete nur die von Neuhaus, welche zum Stamme der Kirchberger gehören, im übrigen Schwaben ausserdem die Grafen von Brandenburg, Berneck, die zahlreichen Tübinger Nebenlinien, die Grafen von Rohrdorf, Freiburg u. a. Nun wird im 12. Jahrhundert eine comitissa Bertha de Clementia genannt, ohne dass es, wie wir soeben gesehen, eine Grafschaft Kelmünz je gegeben hätte. Somit liegt der Schluss sehr nahe, dass es auch Titulargrafen von Kelmünz.gegeben, dass, weil nach dieser Bertha niemals mehr ein Graf von Kelmünz genannt wird, das fragliche Haus mit derselben ausgestorben sei, und dass deren Besitzungen an die Nachkommen dieser Gräfin Bertha aus ihrer Ehe mit einem Tübinger, an die Pfalzgrafen von Tübingen ge­ diehen seien. Diese Annahme klingt um so vertrauenerweckender, als die annales Marchtalenses diese Gräfin Bertha geradezu „nobi1) Kegesta boica VIII, 360. 2) Stadelhofer, hist, collegii Rothens* 1 166 ff.

7 lissima comitissa, de Clementia orta“ nennen, und als Pfalzgraf Hugo dieselbe 1173 „ava nostra, comitissa de Clementia“, betitelt.1) Wirklich identificirt Stalin dieselbe mit Bertha, der Gemahlin des angeblichen Stifters von Blaubeuren, des Grafen Anshelm von Tübingen2),3 und behauptet, dass sie den Tübingern deren Güter an der Iller und Donau zugebracht habe. Gegen diese Annahme Stälins spricht sich aber mit Recht L. Schmid aus, weil diese Gräfin Bertha noch 1131— 33 laut urkund­ lichem Beweise gelebt habe, während doch ihre Söhne, wenn sie die Gemahlin Graf Anshelms von Tübingen sei, schon 1087 er­ wachsen gewesen wären.*) Ueberhaupt fällt die Annahme, dass es Titulargrafen von Kelmünz gegeben habe, schon dadurch, dass solche erst von der Mitte des 12. Jahrhunderts an auftreten, und dass deren Existenz für das 11. Jahrhundert, in dem die echte Grafschaftsverfassung noch ungebrochen bestand, eine Unmöglich­ keit genannt werden darf. 3. Wir müssen also, um das Dasein dieser räthselhaften comitissa de Clementia uns zu erklären, nach einem andern Aus­ wege suchen und etwa annehmen, dass dieselbe einem andern Geschlechte angehörte und neben ihrem echten Namen noch nebenbei auch den einer Gräfin von Kelmünz geführt habe, sei es weil sie Herrin dieser Burg war, sei es weil ihr diese etwa zum Wittwensitze gedient habe. Den richtigen Weg dürften die eben genannten Annales Marchtalenses uns weisen, wenn sie von der Gräfin Bertha er­ zählen:4) „De illorum (sc. ducum Suevie) stirpe et cognatione nobiliores Alamannie principes descenderunt; et quamvis postea Marhtelennum castrum desolatum fuerit, tarnen patronatus VII praebendarum quibusdam heredibus in eorum dominium jure hereditario cessere. Igitur tres earum quondam nobilissima comitissa, de Clementia orta, de progenie eorundem ducum, Bertha nomine, retinebat. Hec eadem comitissa fuit, quae cum comitibus de Chirperch Hiedungeshain viriliter pugnavit, ubi multitudinem 1) Wirt. Urkundenbuch II, 175. 2) Stälin II, 432. Er folgt hiebei dem Blaubeurer Chronisten Tubingius von 1521. 3) Geschichte der Pfalzgrafen von Tübingen 37 und 532—538. 4) Diese wichtige Quelle für die schwäbische Geschichte (geschrieben im 13. Jhdt.) veröffentlichte Pfarrer Schöttle im Freiburger Diöcesanarchive IV 147—210. Obige Stelle steht dort auf S. 158.

8 magnam utrinque caesam esse ex multorum relatione notissimum est. Acta est haec pugna anno domini MCYIII.“ Wir erfahren nämlich aus dieser Stelle, dass die Gräfin Bertha herzoglicher Abstammung war, und dass sie die Schlacht bei Jedesheim mitgefochten hat. Diese Schlacht wurde nach der gewöhnlichen Er­ zählung zwischen den Grafen Hart mann von Kirchberg und Rudolf von Bregenz,*) nach obiger Angabe aber zwischen den Kirchbergern und der Gräfin Bertha geschlagen. Dieselbe trifft aber nicht nur bei Jedesheim auf dem Schlachtfelde, sondern noch ein­ mal aus Anlass eines friedlichen Rechtsgeschäftes, 20 Jahre später, und zwar in Kelmünz selbst, mit dem Grafen Rudolf von Bregenz zusammen. Letzterer übergibt nämlich 1128 apud Clementiam opidum an das Kloster Ochsenhausen einen halben Mansus in Bonlanden (wirtenberg. Illerthal), welchen domna Bertha de Roto cum sua domina Bertha comitissa diesem Gotteshause wenige Tage vorher geschenkt hatte. Es bestand folglich eine Verbindung zwischen der Gräfin Bertha und dem Bregenzer Grafenhause, eine Verbindung, welche auch dadurch noch weiter bezeugt wird, dass am 22. October 1110 der Edle Oggoz von Hairenbuch (Bez.-A. Krumbach) an das Schwarzwaldkloster St. Blasien Güter in Warmisried bei Mindelheim prope castrum Cheleminzo vor Oudalricus de Bregenzo vergabt.12 3 Wir werden so zu der Annahme geleitet, dass diese Gräfin von Kelmünz in Wahrheit zu dem Bregenzer Grafenhause gehörte. Da dieselbe aber nach dem Zeugnisse der Marchthaler Annalen vom Geblüte der schwäbischen Herzoge war, so kann sie nur durch Heirat in jenes Haus eingetreten sein. Gerade dies aber trifft bei Bertha, der Gemahlin Udalrichs X. von Bregenz zu, denn dieselbe ist die Tochter des schwäbischen Herzogs und deutschen Gegeakönigs Rudolf von Rheinfelden.s) Diese Bertha, die Mutter der ebengenannten Bregenzer Rudolf und Oudalricus, ist deshalb, wie schon Vanotti4) und L. Schmid 5) behauptet haben, identisch mit der Gräfin von Bregenz. Ihr Gemahl, Graf Udalrich X., lernte sie, als er einmal mit Herzog Welf nach Kelmünz kam, kennen, und eine gegenseitige Liebe verband ihre Herzen, obwohl derselbe mit der Tochter des 1) S. die betr. Darstellung in meinem Alpgau (in dieser Zeitschrift II, 30). 2) Gerbert, hist. Nigrae Silvae III, 48. 3) Ihren Namen hat dieselbe vermuthlich von der Gemahlin Heinrichs IV, der Kaiserin Bertha, der Schwester ihrer Mutter Adelhaid ererbt. 4) Gesch der Grafen v. Montfort 17. 6) a. a. 0. 528, 532.

9 Grafen Wernher von Habsburg verlobt war. Die Leidenschaft verleitete sie zu einem Fehltritte, zu dessen Sühne die mächtigen Verwandten der Königstochter den Grafen zur Auflösung seiner Verlobung und zur Ehe mit der letztem nöthigten.1)2 3 Schon am 27. Oktober 1097 wurde Bertha Wittwe.8) Um der Seelenruhe ihres Gemahls willen gab sie bei dessen Beisetzung im Kloster Petershausen (bei Constanz) mit ihren Söhnen Rudolf und Udalrich diesem Gotteshause das ihm von dem Verstorbenen widerrechtlich entrissene Biginhusin (Wickenhausen im wirtenberg. Oberamt Tettnang) zurück. Ihr war die Thatkraft, der hoch­ strebende Geist ihres unglücklichen Vaters als Erbtheil zuge­ fallen,'denn männlich führte sie, wie wir oben gehört, die Waffen bei Jedesheim. Von ihrem späteren Leben wissen wir nicht viel. Sie war eine Hauptwohlthäterin des Klosters Mehrerau bei Bregenz, das ihr Gatte gestiftet hatte, so dass dasselbe ihr selbst den schönen Titel „fundatrix dictis factisque diserta“ dankbar zuer­ kannte. Namentlich die Pfarrkirche Sargans hatte Mehrerau der Gräfin Bertha zu verdanken.8) Auch andern Klöstern erwies sich Berhta, comitissa de Brigäntia, wohlthätig. So trat sie c. 1122 uls Fürbitterin für strafbare Mönche von Petershausen bei deren Abt mit Erfolg auf.4)5 61128 * gestattete sie, wie bereits mitgetheilt, ihrer Vassallin Bertha von Roth (bei Babenhausen) eine Schenkung an Ochsenhausen zu machen. Zwischen 1131—33 aber schenkte sie als Beretha, cometissa Cheleminza, an das Kloster St. Ulrich in Augsburg Güter in Tirol zu Watenes und zu Pfulle.8) Von da an verschwindet ihr Name. Sie starb am 20. Januar unbekannten Jahres und fand ihre letzte Ruhestätte in der Klosterkirche zu Mehrerau.8) Noch bleibt uns zu erörtern, weshalb man sie, wenn auch 1) Chron. Petrishusamim in Mon. Germ, script. XX, 655. Mone, bad. Quellcnsammlung I, 146. 2) Mon. Germ script. XX, 656. 3) Bergmann, necrologium Augiae Majoris Brigantinae, S. 2, 30. 58. 4) Dieselben hatten den Kämmerer Wolferad, der ihnen die nöthige Klei­ dung versagte, geprügelt und mit heissem Wasser begossen, s. mon. Germ, script. XX, 663. 5) Mon. Boica XXII, 17; diese Aufzeichnung ist übrigens jünger, als daB von ihr erzählte. 6) Die Necrologien von Mehrerau (a. a. O 30), Ottenbeuren (Manuscript in der f. f. Hofbibliothek zu Donaueschingen aus dem Anfang des 13. Jhdrs.) er­ wähnen ihrer an gen. Tage als Bertha comitissa, das von Zwiefalten (Hess, mon. Guelfica 236) als Bertha, comitissa de Brigantia.

10 nicht zu ihren Lebzeiten, so doch schon wenige Jahrzehnte nach ihrem Tode Gräfin von Kelmünz nennen konnte, mit andern Worten, in welchem Verhältnisse sie zu der Herrschaft d. N. stand. Ursprünglich bregenzisch war Kelmünz nicht, so dass dasselbe ihr etwa als Widdum verschrieben gewesen wäre, denn da­ gegen spricht namentlich die Angabe der Marchthaler Annalen, dass Bertha de Clementia orta sei. Wir müssen deshalb anneh­ men, dass sie selbst diese Herrschaft als Heiratgut den Bregen­ zern zugebracht habe, und müssen, um diese Annahme zu bewei­ sen, zu erforschen suchen, wie dieselbe in den Besitz der Gräfin Bertha gelangt ist. Zu dieser Herrschaft gehörten 1806 Kelmünz, Filsingen und zwei Drittel von Unterroth auf dem rechten, Ober- und Unter­ dettingen, Buchau und Nordhofen auf dem linken Illerufer. Diese Orte sind jedoch nur ein unbedeutender Rest des einstigen Be­ standes der Herrschaft Kelmünz. Wir £ind freilich nicht mehr im Stande, denselben vollständig nachzuweisen; aus den Orten aber, die wir als einst kelmünzisch darthun können, vermögen wir wenigstens die bedeutende Grösse der Herrschaft zu ahnen. Wir lernen solche Zugehörden kennen theils dadurch, dass in ihnen die Grafen von Bregenz und ihre Rechtsnachfolger, die Pfalz­ grafen von Tübingen, direkt begütert sind, theils dadurch, dass die betreffenden Orte noch in spätester Zeit Lehen von Tübingen, resp. von Wirtenberg sind. Bregenzischer und tübingischer Besitz lässt sich nachweisen in den baierischen Orten Kettershausen, Günz und Riedlingen bei Donauwörth, in den wirtenbergischen Bonlanden, Goppertshofen, Hattenburg, Walpertshofen, Kirchberg (Chyrburg). Zahlreicher sind die Tübinger Lehen um Kelmünz. Solche waren Baben­ hausen mit Weinried, Grimelzhofen, Kirchhaslach, Herlazhofen, Olgishofen, Schwauben, ferner in Wirtenberg Erolzheim mit Edenbachen, Bechtenroth, Dietbruck, Edelbeuren, Laubach, end­ lich Kirchdorf mit Binnroth, Ober und Unteropfingen, Waldenhofen.1)2 Als kelmünzische Vasallen und Dienstmannen endlich geben sich dadurch, dass sie im Gefolge von Tübingern erscheinen, zu erkennen die Nobiles von Illereichen, Rieden, Roth und Hürbel (bei Biberach), die Ritter von Kelmünz,*) Erolzheim, Oberstetten 1) Schönegg dagegen war kaum je ein Theil der Herrschaft Kelmünz; zweifelhaft ist dies auch bei Osterberg. 2) Diese Dienstmannen von Kelmünz sind wohl zu unterscheiden von den

11 (O.-A. Biberach), Schwarzach (O.-A. Waldsee) und die um March­ thal angesessene vielverzweigte Familie der Bossonen.*1) Mit diesen letztgenannten Dienstmannen stehen wir an der Donau, an welcher sich ein zweiter Theil des von der Gräfin Bertha den Bregenzern zugebrachten Besitzes hinzog. Bertha besass, so haben wir oben gehört, einen Theil von Marchthal, und weiter Donauabwärts, wie Pfalzgraf Hugo von Tübingen aus­ drücklich hervorhebt, die Kirche zu Kirchbierlingen (im wirtenb. O.-A. Ehingen).2)3 Mit Recht wohl behauptet deshalb Stälin, dass auch die übrigen Tübinger Besitzungen im wirtenbergischen Donauthale von der Gräfin von Kelmünz an die Pfalzgrafen ver­ erbt worden seien.8) Gerade diese Güter an der Donau aber dürften uns den Weg weisen, auf dem eine so bedeutende Herrschaft, deren festen Mittelpunkt Kelmünz bildete, an die Gräfin Bertha gelangt ist. Dieselben gehörten nämlich in der Karolingerzeit jenen Nach­ kommen der altalamannischen Volksherzoge, welche man nach ihrem ältesten uns bekannten Gliede die Alaholfinger nennen könnte. Namentlich Marchthal und Kirchbierlingen sind urkund­ lich in deren Besitz.4) Im zehnten Jahrhundert war der eigent­ liche Sitz dieser Alaholfinger die Veste Marchthal selbst, denn Herimann von Reichenau nennt den zu ihnen zählenden, 953 in der Verteidigung des Bischofs St. Ulrich von Augsburg gefal­ lenen Grafen Adalbert ausdrücklich de Marhtale,5) und ebenso klingt noch in den Annales Marchtallenses die Volkssage aus, dass in Marchthal dereinst „nobilissimi et praepotentissimi quondam Suevie aliarumque terrarum duces per successionem consederunt.“6) Dieses uralte Geschlecht erlosch mit Berchtold zu Ende des 10. Jahrhunderts; seine Besitzungen fielen, wie die ebengenannten Annalen verraten, an den Herzog Herimann III. von Schwaben. Dass diese Angabe aber Wahrheit biete, dafür spricht die Thatsache, Besitzern der Herrschaft; sie waren nicht mehr, als die Burgwarte der letztem auf der Veste Kelmünz. 1) Schmid a. a. 0. 104, 141, 151, 162, 265, 359, 529, 530 — v. Kaiser, Viaca 89 91 — Wirt. Urkundenhuch I, 377 ; III, 81 — Necrol. Augiae Majoris 30; Beschreibung des Oberamtes Leutkirch 145, 166. 2) Wirt. Urkundenbuch II, 175. 3) Wirt. Geschichte II, 433. 4) S Meyer’s von Kronau betr. Excurs in den St. Galler Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte XIII, 188, 233. 5) Mon. Germ, script. V, 114. 6) Freiburger Diöcesanarchiv IV, 157.

12 dass dieser Herzog Marchthal in der That besessen und hier um 1011 ein weltliches Canonicat errichtet hat.1) Der Rechtstitel, auf Grund dessen die Alaholfinger Besitzungen an Herimann fielen, ist uns nicht überliefert; weil aber nach Angabe der Marchthaler Annalen, die sich dabei ausdrücklich auf eine alte Vorlage berufen, Herimann auf Bitte seiner Gemahlin Gerberga (Geburga), einer Tochter des burgundischen Königs Conrads, für den letzten Alaholfinger Berchtold die villa Bettighofen (auch ein Alaholfinger Ort) zum Seelgeräthe hingab, und sein Sohn aus Liebe zu diesem den Namen Berchtolt erhielt, so werden wir mit der Annahme schwerlich irre gehen, dass die Herzogin Gerberga die Erbin der Alaholfinger war und deren grossen Güterbesitz ihrem Gemahle zubrachte, wenn wir auch deren Ver­ wandtschaft mit jenen nicht näher erklären können. Mit Herimann III. erlosch sein Haus 1012, da sein Sohn Berchtolt als Knabe starb. Seine Besitzungen wurden unter seine Schwestern vertheilt, ein Loos, das namentlich auch die Alaholfingischen traf. Ein Theil der letztem, insbesondere Daugendorf, fiel nämlich ah dessen Schwester Brigitta, Gemahlin des Herzogs Adalbero von Kärnthen;2) der ungleich grössere Theil der Alaholfinger Besitzungen aber gedieh, so haben wir anzu­ nehmen, an Gisela, die Gemahlin des österreichischen Markgrafen Ernst, der auch im Herzogthume Schwaben der Nachfolger seines Schwagers Herimann III. wurde. Bekanntlich überlebte Gisela diesen ihren Gatten und reichte später ihre Hand dem Kaiser Konrad, dem Salier, von dem sie Mutter des Kaisers Heinrich III. wurde. Da sie ihre beiden Söhne erster Ehe, die schwäbischen Herzoge Ernst II. und Herimann IV., ebenfalls überlebte, so war ihr einziger Erbe der ebengenannte Heinrich 111., der denn auch sofort nach dem Tode seines Stiefbruders Herimann 1038 Herzog von Schwaben wurde. Nach Heinrichs III. Tode wurde der Rest der Alaholfinger Besitzungen abermals einer Theilung, wie es scheint, unterworfen; wenigstens vermag ich die Thatsache, dass Marchthal im 12. Jahr­ hunderte zwischen den Staufern und Tübingern getheilt war,*) nicht anders zu deuten. Ich nehme also an, dass ein Theil jener Be­ sitzungen an Kaiser Heinrich IV. und durch dessen Tochter Agnes 1) Stälin, 1, 473. 2) Stalin, I, 473. Freiburger Diöcesanarchiv IV, 158.

13 an deren Gemahl Friedrich von Staufen gefallen ist. Der andere Theil aber kam in die Hände des schwäbischen Herzogs Rudolf von Rheinfelden, denn dieser schenkte Alleshausen und Brasenberg am Federsee, also Orte mitten im alaholfingischen Gebiete, an St. Blasien.1)2 Weil 3 * wir aber wissen, dass dieser Herzog 1059 Mech­ thild, die Schwester Heinrichs IV. ehelichte, und dass diese ihm eine reiche Ausstattung, die in jenen Zeiten hauptsächlich in Grund und Boden bestand, zubrachte,8) so werden wir bekennen dürfen, dass dieser zweite Theil der alaholfingischen Ländereien mit zu dem Heiratgute der Königstochter Mechthild gehörte. Zwar starb diese schon 1060 kinderlos; da aber Rudolf sofort Adelhaid, die Schwägerin Heinrichs IV., heirathete, also Doppelschwager des letztem wurde, und da die in jenen Tagen von Schwierigkeiten aller Art fast erdrückte Reichsverweserin Agnes ihren Schwieger­ sohn nicht vor den Kopf sto^sen durfte, so wird Rudolf die ihm durch Mechthild angeheiratheten Güter auch nach deren Ableben als freies Allod behalten haben. In solcher Eigenschaft aber konnten dieselben auch nach seiner Empörung im Besitze seiner Kinder bleiben und bei deren Theilung als Erbe an Bertha, die Gemahlin Udalrichs von Bregenz, fallen. Ich halte indessen nicht nur die Tübinger Güter an der Donau, sondern auch die engere Herrschaft um Kelmünz für einen Bestandtheil der auf dem eben geschilderten Wege an Bertha ge­ langten alaholfingischen Besitzungen, denn bei anderweitiger Annahme scheint mir weder die allodiale Eigenschaft der Herr­ schaft Kelmünz, noch viel weniger aber die Benennung der Gräfin Bertha nach derselben erklärbar.*) Gerade diesen Titel möchte ich als Beweis dafür anführen, dass sie nicht etwa nur auf Kelmünz ihren Wittwensitz hatte, sondern dass sie als frei bestimmende Herrin dort hauste. Dafür spricht ausser diesem Titel namentlich auch die Thatsache, dass sie ihren Consens zu der Schenkung der domna Berhta de Roto, die zu einer bestimmt Kelmünzischen Vasallenfamilie gehörte, an Ochsenhausen ertheilt. 4. Bertha hatte 1097 nach dein Zeugnisse des chronicon Petrishusanum zwei Söhne Rudolf und Udalrich, die damals, weil 1) Beschreibung des O.-A. Riedlingcn 107 und 108 2) St&lin I, 493.

3) Man beachte namentlich die Angabe der Annales Marchtallenses Wohl: de Clementia orta!

14 sie mit deren Hand Wickenhausen an Petershausen übergab,1)2 be­ reits volljährig waren. Rudolf, der ältere, der nach seinem mütterlichen Grossvater benannt worden, bekam die altererbteri Grafschaften und Lande seines Hauses, er wurde Graf von Bre­ genz. Udalrich dagegen scheint zum Erben der mütterlichen Güter bestimmt gewesen zu seiu. Für diese Vermuthung möchte ich wenigstens stützend anführen, dass derselbe 1110, wie wir oben gehört haben, in Kelmünz bei der Schenkung des Oggoz von Hairenbuch thätig war. Nach diesem Ereignisse wird Udalrichs von Bregenz nirgends mehr gedacht, er ist deshalb zwei­ felsohne früh in der Blüthe seiner Jahre gestorben. Sein Nach­ folger in der Anwartschaft auf das mütterliche Erbe wurde aber nicht Graf Rudolf von Bregenz, sondern, wie ich annehmen möchte, ein dritter Bruder desselben, Namens Heinrich. Der schwerlich- ganz aus der Luft gegriffenen Ueberlieferung des Bregenzer Hausklosters Mehrerau zufolge hatte nämlich Bertha ausser den mehrgenannten Rudolf und Udalrich noch einen dritten Sohn, den diese Ueberlieferung Ludwig nennt. Dieser Name dürfte indessen irrig sein, denn derselbe kommt niemals bei den Bregenzern oder bei den Verwandten der Gräfin Bertha vor; er ist überhaupt in Schwaben im frühem Mittelalter selten. Da­ gegen lehrt uns das chronicon Bertholdi Zwifaltensis *) einen Heinricus de Clementia vel Keleminza3) kennen, der Zeitgenosse des Grafen Rudolf von Bregenz ist, und in dem ich jenen dritten Sohn Berthas suche. Derselbe wurde, wie das genannte chronicon erzählt, durch seine Gemahlin am Eintritte in das Kloster Zwiefalten verhin­ dert; als er aber erkrankte, gab er diesem mehr denn 30 Mansus mit einem grossen Walde und Alpen in Valrun „in Romana terra, in pago Walechgou nuncupato“ und fand als Gegengabe sein Grab vor der Zwiefaltner Klosterpforte. Dieser Heinrich muss, weil ihm Berthold den Titel vir praestantissimus beilegt, ein Mann von hoher Geburt gewesen sein. Oben aber haben wir die Besitzer von Kelmünz von den Alaholfingern an bis auf die Gräfin Bertha verfolgt und gefunden,, dass dort kein Raum für eine eigene edle Familie gegeben ist; folglich muss dieser Heinrich 1) Mon. Germ, script. XX, 656. 2) Mon. Germ, script. X, 113. 3) Von Raiser macht aus demselben nach seiner Weise Wieder einen Gra­ fen Heinrich von Kelmünz, Viaca 90. Sein Citat aus der Beschreibung des O.-A. Ehingen ist irrig) ich kann dort keinen Heinrich v. Kelmünz finden.

15 von Kelmünz, der Zeitgenosse Berthas, zu deren Familie gehören; er muss, weil letztere mindestens seit dem Tode ihres Vaters, seit 1080 Herrin von Kelmünz ist, also neben ihr kein anderer Inhaber dieser Herrschaft existiren kann, deren Sohn sein. Diese Ansicht halte ich ferner auch dadurch gestützt, dass Berthold un­ mittelbar nach der Schenkung Heinrichs von Kelmünz eine Ver­ gabung des Grafen Rudolf von Bregenz erzählt, und ganz beson­ ders. dadurch, dass jener im Walgau, dessen Grund und Boden beinahe ohne Ausnahme dem Bregenzer Hause gehörte, und der als Kern ihres Besitzes anzusehen ist, eine so umfangreiche Schenkung machen konnte. Da aber Graf Rudolf von Bregenz auch Kelmünz nach dem Hingange seiner Mutter erbte, so ist Heinrich von Kelmünz ohne Hinterlassung von Kindern gestorben. Da derselbe ferner 1097 bei der Vergabung von Wickenhausen noch nicht genannt wird, wohl weil er damals als noch minderjährig nicht an einem Rechts­ geschäfte Theil nehmen konnte, und da Graf Rudolf von Bregenz schon 1127 als Herr von Kelmünz sich zu erkennen gibt,1) so ist auch Heinrich spätestens in dem eben genannten Jahre, also wie sein Bruder Udalrich in der Blüthe seines Lebens gestorben. Von Graf Rudolf kam Kelmünz durch die Heirath seines einzigen Kindes Elisabeth mit dem Pfalzgrafen Hugo von Tü­ bingen 2) an dessen Haus. Bekannt ist es, dass unter diesem neuen Herrn in dessen Fehde mit den Welfen die Burg Kelmünz von letztem 1165 von Grund aus zerstört wurde.3) Dieselbe wurde aber nach Beendigung des Krieges von Hugo wieder erbaut, denn am 27. Juni 1179 weilte derselbe wieder in Castro Clementie.4) Als Hugo’s Söhne Rudolf, Pfalzgraf von Tübingen, und Hugo, der Anherr der Grafen von Montfort und Werdenberg, endlich ihr Erbe unter sich theilten, fiel, wie bekannt, die Herrschaft Kelmünz an erstem und blieb von da an eine Zugehörde von Tübingen. Ich schliesse. Wohl ist durch diese Arbeit, wie ich hoffe, der Nimbus einer Grafschaft für Kelmünz verloren gegangen; ich glaube aber diesem Orte vollen Ersatz in den grossen Erinnerun­ gen zu bieten, die sich, falls meine Aufstellungen begründet sind, 1) 2) 3) 4)

Wirt. Hugo Stälin Wirt.

Urkundenbuch I, 375. war bereits 1158 mit Elisabeth verheiratet, Schmid a. a. 0. 76. II, 99. Urkundenbuch II, 202.

16 an den Burghügel von Kelmünz knüpfen. Hier auf Coelio Monte sassen einst die Römer, sorgsam die Grenze gegen die unruhigen Juthungen bewachend; hier hausten die Alaholfinger, deren Namen an den Unabhängigkeitskampf des Schwabenstammes unter Führung seiner Herzoge gegen die Franken mahnt; hier herrschte Gisela, die Mutter des sagenberühmten, unglücklichen Herzogs Ernst; hier gebot ihr Sohn, der thatengewaltige Heinrich III. Die Namen der folgenden Herren von Kelmünz, des Königs Rudolf und der Gräfin Bertha, weisen hin auf den furchtbaren Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII., zwischen Imperium und Sacerdotium. Nach ihnen mahnt die Veste zu Kelmünz an die Welfen und deren erfolgloses Streben nach der Herrschaft in Deutschland und endlich, da sie unter Rudolf von Habsburg unter Sequester stand, an die vergeblichen Anstrengungen dieses Königs, das Herzogthum Schwaben wiederherzustellen und den Landfrieden zu sichern. Wahrlich, keine^Burg in unserm ganzen Vereinsgebiete dürfte solche Erinnerungen erwecken! Möge ein mit Müsse gesegneter Vereinsgeuosse auch die spätere Geschichte von Kelmünz unter den Herrn von Rechberg zum Gegenstände einer eingehenden Untersuchung machen, es gibt auch in dieser ungleich hellem Periode noch gpr viel Schutt wegzuräumen! So ist namentlich noch nicht aufgeklärt, auf welchem Wege die von Rechberg den Lehenbesitz der Herrschaft Kelmünz erlangt haben, denn die Annahme von Raisers, dass Ulrich von Rechberg den­ selben mit der Hand der Gräfin Agnes von Tübingen erworben habe, ist in keiner Weise zu begründen.1) Reichen Stoff für diese Periode der Geschichte von Kelmünz birgt zweifelsohne das Archiv der Grafen von Rechberg zu Donzdorf. 1) Schmid ak a. O. 359. Auch die Behauptung v. Kaisers, dass auf Kelmünz eine eigene Tübinger Linie gehaust, und dass Graf Hartmann von Dillin­ gen den Grafen Aegid von Kelmünz, seinen Schwiegervater, ermordet habe, ist als unrichtig zu bezeichnen.

n. Beiträge zur Geschichte des Augsburger Schulwesens. Von

Julias Hans.

II. Neubildungen zur Zeit der Reformation. **) Dass auf dem Gebiete des Schulwesens in Deutschland im 16. Jahrhundert bedeutende Veränderungen ein traten, ja dass eine völlige Umgestaltung und Neubildung sich vollzog, diess dürfte wohl unbestritten sein. Nicht bloss das Gelehrtenschulwesen wurde neu organisirt, auch die Anfänge des Volksschulwesens treten uns in dieser Periode entgegen. Fraglich ist nur, wem wir diesen Umschwung verdanken. In populären protestantischen Schriften wird er meist allzu einseitig der Reformation zuge­ schrieben. Von entgegengesetzter Seite wird ebenso einseitig jedes Verdienst der Reformation auf diesem Gebiete geläugnet und ihr vielmehr Schuld gegeben, dass sie die Entwicklung der Wissenschaften gehemmt, die Bildung unterdrückt habe.2) Unter­ suchen wir desshalb diese Fragen etwas näher, ehe wir zur besondern .Schilderung der Augsburger Verhältnisse übergehen. Es ist ja wohl keine Frage, dass schon vor der Reformation ein neuer Geist zu erwachen begann, dem das Alte nicht mehr genügte, und der besonders auf dem Gebiete der Wissenschaft nach neuen Bahnen und Formen suchte. Den wesentlichsten Antheil daran trägt die von Italien ausgehende Wiedererweckung *) S. II. Jahrgang 1. Heft. *) S. Döllinger, die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wir­ kungen etc. I. 408 ff.

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18 des classischen Alterthums. Und es ist begreiflich, dass besonders die Schulen davon nicht unberührt bleiben konnten. Anfänglich waren es allerdings nur die Universitäten, auf denen die neue Richtung sich zur Geltung zu bringen suchte, und nur allmählich gingen ihre Wirkungen auch auf die niedern Schulen über. Aber auch dann vollzog sich keine tiefgehende, völlige Umge­ staltung auf diesem Gebiete. Verdrängung der bisherigen barba­ rischen Lehrbücher, Herstellung einer besseren Latinität, Ein­ führung der Klassiker in die Schulen, das war das Ziel, das der Humanismus im wesentlichen erstrebte. Die bisherigen Lehr­ gegenstände blieben grossentheils unverändert, und selbst die Methode unterschied sich oft sehr wenig von der in den Kloster­ schulen üblich gewesenen.J) Der Humanismus war eben in erster Linie ein wissenschaftliches und nicht ein pädagogisches Princip; wenn er Hand an die Verbesserung der Schulen legte, so geschah es, ich möchte sagen, aus Mitleid nicht mit der vernachlässigten Jugend, sondern mit dem verwahrlosten Latein.s) Und so sehen wir ihn denn bestrebt, die Gelehrsamkeit zu fördern — und er hat darin gewiss bedeutende Früchte erzielt — wir sehen ihn bestrebt, richtigere wissenschaftliche Principien zur Anwendung zu bringen, aber der Gedanke einer allgemeinen Volksbildung, die nicht allein gelehrte Kenntnisse zu verbreiten, sondern er­ ziehend auf das Volk zu wirken bestimmt ist, liegt ihm, soviel ich urtheilen kann, ferne. Dieser Gedanke und die Durchführung desselben ist erst eine Frucht der Reformation. Nun hätte die Reformation freilich darin so Erhebliches nicht zu leisten ver1) Vergl. die Schilderungen des Thomas Platter, der in der Schule des Sapidus bu Sohlettstadt den ganzen Donat auswendig lernte und doch nicht ein Wort der 1. Declination decliniren konnte (Raumer, Gesch. der Pädagogik I, 341). Luther, der doch in Magdeburg eine Schule der Brüder vom gemeinsamen Leben besuchte und in Eisenach den Johann Trebonius zum Lehrer hatte, der ein „Poetu genannt wird und sonach vom Humanismus wenigstens berührt war (Köstlin, Luthers Leben I S. 39), sagt später: „Die Schulen waren die Hölle und das Fegfeuer, da wir innen gemartert waren über den Casualibus und Temporalibus, da wir doch nichts, denn eitel nichts, gelernet hatten, durch so viel Staupen, Zittern, Angst und Jammer.“ 2) Man denke an Agricola, der auf die Einladung seines Freundes Barbirianus, die Leitung einer Schule in Antwerpen zu übernehmen, zur Antwort gibt: „Eine Schule gleiche einem Gefängniss, wo Schläge, Thränen, Geheul ohne Ende. Ich soll eine Schule leiten? Wo bliebe mir Zeit zum Studium, wo Ruhe zum Erfinden und Ausarbeiten ?“ Ob wir nicht heutzutage auch zuweilen in Gefahr sind, wissenschaftliche Nebenbeschäftigungen und die eigne gelehrte Ausbildung höher zu achten, als die tüchtige Ausübung des Berufes selbst?

19 mocht, wenn nicht die ganze Zeitrichtung mit ihr im Bunde ge­ wesen wäre, wenn sie nicht der Kräfte des Humanismus sich hätte bedienen können; aber auf der andern Seite muss doch auch gesagt werden, dass dessen siegreiches Vordringen und weiteres Umsichgreifen ohne den Sieg der Reformation sehr in Frage gestellt gewesen wäre. In einigen Gegenden von Norddeujtschland war bis zu Luthers Zeit hin noch nicht die geringste Spur der Studienverbesserung wahrzunehmen. In Schlesien kam erst mit der Reformation klassische Literatur und Licht ih die Schulen. Noch ärger sah es in der Mark Brandenburg aus, wo erst nach 1540 derartige Einflüsse sich geltend machten. *) Ueberhaupt ist eine durchgreifende Neuorganisation des Schul­ wesens doch immer nur im Anschluss an die territoriale Neu­ organisation des Kirchenwesens erfolgt, was schon darin zum Ausdruck kommt, dass die Schulordnungen gewöhnlich den Kirchen­ ordnungen einverleibt sind. So ist es die ganze Zeit, mit allen ihren Bestrebungen und Errungenschaften — die Erfindung der Buchdruckerkunst nicht zu vergessen —, die auf eine Neugestal­ tung des Schulwesens hindrängte und die Mittel dazu lieferte, und man thäte Unrecht, wollte man der Reformation allein das Verdienst dafür zuschreiben. Aber man thäte eben so Unrecht, wollte man ihr nicht den wesentlichsten Antheil daran zuerkennen. Bekannt ist d^r Eifer, mit welchem Luther auf Errichtung von Schulen drängte. Welche köstlichen Worte hat er über die Nothwendigkeit und den Segen guter Schulen in der Schrift : „an die Rathsherren aller Städte Deutschlands, dass sie Christ­ liche Schulen aufrichten und halten sollen“ ausgesprochen. Wie ist er sonst so oft auf dieses Thema zurückgekommen. Zwar, man hat gesagt, diese Ermahnungen hätten wenig genützt, der Stand des Schulwesens habe sich durch die Reformation eher verschlechtert, als verbessert, und hat das aus Luthers Schriften selbst, in denen er über die mangelnden Erfolge seiner Thätigkeit oft bittere Klage geführt, zu beweisen gesucht. Nun ist es nicht zu leugnen, dass manche Schule damals, statt aufzublühen, in Verfall gerieth, und manche neugegründete nur einer kurzen Blüthe sich erfreute. Es ist das in den Zeitverhältnissen durchaus be­ gründet. Die Schulen galten bis dahin vorzugsweise als Vor­ bildungsanstalten zum geistlichen Berufe und standen in engster Beziehung zur Kirche, die 'ihnen auch zum grossen Theile die 1) Rubkopf, Geschichte des Schul* und Erziehungswesens I, 267.

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20 Subsistenzmittel lieferte. Die tiefgehende Erschütterung der kirchlichen Verhältnisse musste nun nothwendig auch die Schulen berühren; der Zudrang zum geistlichen Stande nahm ab; und nicht bloss die Katholiken, sondern auch die Evangelischen hatten darüber zu klagen; denn die ganze Lage war doch anfangs zu unfertig und ungewiss, als dass sich ein Vater leichten Herzens dazu hätte entschliessen können, seinen Sohn zum Prediger zu bestimmen. Ueberhaupt pflegen solche Uebergangszeiten, wie wir ja auch jetzt wieder eine erleben, den geistlichen Stand in wenig lockendem Lichte erscheinen zu lassen und ihm wenig neue Kräfte zuzuführen. Denn der selbständigen Geister, die aus einer zer­ fallenden Form den unvergänglichen Kern herauszuschälen wissen, die neben der Schärfe des Denkens Wärme des Gemüthes und Glauben genug besitzen, um auch in stürmischer, gährender Zeit an der Kraft und dem Siege der Religion nicht zu verzweifeln und ihr Leben für sie einzusetzen, wird, es immer wenige geben. Dass aber der Besuch gelehrter Schulen auch dem nothwendig sei, der sich nicht zum Geistlichen bestimme, galt jener Zeit keines­ wegs für ausgemacht. „Ja, sagen sie“, schreibt Luther, „was soll man (die Kinder) lernen lassen, so sie nicht Pfaffen, Mönche und Nonnen werden sollen?“ — So ist es also nicht zu verwun­ dern, wenn die Reformatoren nicht sofort ein blühendes Schul­ wesen nach ihren Wünschen hervorzuzaubern vermochten und mit ihren Bestrebungen oft auf unbesiegbare Hindernisse stiessen. Aber dass sie durch ihr Wort und ihr Werk einen kräftigen Anstoss zu zahlreichen Neubildungen auf dem Gebiete des Schul­ wesens gegeben haben, dass die ganze Bewegung, die von ihnen ausging, naturgemäss darauf hindrängte, neue Bildungswege auf­ zusuchen und einzuschlagen, wird sich ohne Befangenheit nicht wohl leugnen lassen.1) — Ich habe geflissentlich bisher nur von den gelehrten Schulen gesprochen und die Volksschule ganz ausser Betracht gelassen. l) Schon 1524 wurden zehn Gymnasien theils umgestaltet, theils neu ein­ gerichtet. 1525 richtete Luther selbst die Schule zu Eisleben ein; 1526 wurde unter JJelanchthons Beirath das Gymnasium in Nürnberg eröffnet. Bis zum Jahre 1600 gab es in Deutschland schon nahe an 150 Gymnasien (Schmid, Encyclopädie, Art. Luther S. 475). Dass die Einrichtung von Schulen eine zeitlang geradezu als ein protestantisches Werk galt, wie etwa die Stiftung eines Klosters als ein katholisches, geht daraus hervor, dass sich der schmalkaldische Bund 1537 anheischig machte, für die Verbesserung alter und die Anlegung neuer Schulen zu sorgen.

21 Man pflegt auch diese als eine Frucht der Reformation zu be­ zeichnen. So unmittelbar, wie man vielfach annimmt, ist sie das nun wohl nicht. Ja, es ist billig zu bezweifeln, ob Luther bei all seinen Ermahnungen, Schulen aufzurichten, an das, was wir heutzutage Volksschule nennen, auch nur jemals gedacht habe.1) Immer sind es nur die Sprachen, deren Nutzen er preist; für den geistlichen Stand und „weltliches Regiment“ will er in den Schulen tüchtige Leute gebildet wissen, und wenn er auch die Eltern, die nicht die Absicht haben, ihre Kinder dafür zu bestimmen, auffordert, dieselben in die Schule zu senden, so begründet er es hauptsächlich damit, dass er sagt, es müsse für den Nothfall gleichsam ein Vorrath geeigneter Leute vorhanden sein, die man für die verschiedenen Aemter in Staat und Kirche brauchen könne. Ja, selbst wo er die Errichtung von‘„Mägdleinschulen“ empfiehlt, schwebt ihm offenbar zunächst ein Unterricht im Lateinisphen vor. Doch ist hier auch schon der Punkt, wo sein genialer Blick das Richtige sieht, und wo er in seinen Aeusserungen über das, was er praktisch erstrebte und was ihm selbst als Princip und Ziel seiner Bestrebungen zum klaren Bewusstsein gekommen war, vor­ ahnend hinausgeht. Denn wenn er sagt: „Wenn nun gleich keine Seele wäre und man der Schule und Sprache gar nichts dürfte um Gottes willen, so wäre doch allein diese Ursache ge­ nugsam, die allerbesten Schulen, beide für Knaben und Mägdlein, an allen Orten aufzurichten, dass die Welt, auch ihren weltlichen Stand äusserlich zu halten, doch bedarf feiner geschickter Männer und Frauen, dass die Männer wohl regieren könnten Land und Leute, die Frauen wohl ziehen und halten könnten Haus, Kinder und Gesinde“, so ist doch nicht zu verkennen, dass hier das Ideal einer allgemeinen Volksbildung geahnt und angedeutet wird, wie es' uns in der Jetztzeit als das Ziel der Volksschule erscheint. Aber wer nun etwa glauben wollte, die Reformatoren hätten auch dieses Ideal in unsrer Weise praktisch zu verwirklichen gesucht, hätten in Städten und Dörfern eigentliche Volksschulen zu grün­ den begonnen, in denen man jedes Kind, ausser in der Religion, im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet hätte, um es für die nothwendigsten Aufgaben des bürgerlichen Lebens geschickt 1) Gegen die bestehenden deutschen Schreibschulen ist man sogar im Be­ ginne der Reformationszeit fast feindselig gesinnt. Sie mögen freilich schlecht genug gewesen sein. Wenn jedoch Herzog Ulrich von Württemberg 1546 sogar die Abschaffung der deutschen Schulen in kleineren Landstädten anordnete, so geschah diess, um die lateinischen Schulen nicht zu schädigen.

22 zu machen, würde sich in einer bedeutenden Täuschung befluden und den wirklichen Sachverhalt wenig kennen. Denn die religiöse Unterweisung, der Unterricht im Katechismus, wozu allerdings durch die Reformation ein neuer Anstoss gegeben wurde, sollte ja ursprünglich eine rein kirchliche Sache sein, ja Luther wollte sogar, dass ihn Hausvater Hnd Hausmutter bei Kindern und Ge­ sinde ertheilen sollten, indem sie ihnen die Hauptstücke täglich vorsprächen, und an Aufrichtung von Schulen zu diesem Zwecke dachte man anfänglich nicht. Allerdings ist • dann aber aus dem Bedürfniss, diesem Unterricht, eine festere Form und gesichertere Basis zu geben, an vielen Orten die Schule erwachsen. Denn man fühlte bald, dass sich dabei die Kenntniss des Lesens nicht entbehren lasse, und wurde so unwillkürlich weiter geführt. Ueberhaupt weckte ja das Wirken der Reformatoren, besonders die Verbreitung der Bibel in der deutschen Sprache und die An­ forderung an die Laien, sich durch eignes Forschen darin ihr Urtheil zu bilden, auch unter dem Volke mehr das Bedürfniss, des Lesens mächtig zu sein. Und wo ein Bedürfniss kräftig sich regt, pflegt es sich bald die Mittel zu seiner Befriedigung zu schaffen. — Man muss sich übrigens auch hier den Uebergang von der alten zur neuen Zeit nicht allzu schroff vorstellen. Weder fehlte es gänzlich an Schulen, in denen man das Deutschlesen und Schreiben lehrte, sie waren vielmehr in den Städten als Privatanstalten schon mehrfach vorhanden, noch steht es so, dass die religiöse Unterweisung der Jugend etwas ganz Neues gewesen wäre, was man vorher kaum dem Namen nach gekannt habe. Man pflegt das zum Theil auch aus Aeusserungen Luthers zu schliessen, in denen er seine Jugenderfahrungen in dieser Hinsicht in den trübsten Farben schildert. Und Myconius und Mathesius berichten Aehnliches wie er. So versichert der Letztere, dass er in den 25 Jahren, die er in der römischen Kirche zugebracht, niemals den Katechismus von der Kanzel erklären gehört, auch nie eine Auslegung des Katechismus gefunden habe, ob er gleich in München ein ganzes Jahr in einer ansehnlichen Bibliothek studirt hätte. *) Aber die Erfahrungen Einzelner geben noch kein richtiges Gesammtbild des allgemeinen Zustandes. Und man muss nicht vergessen, dass der confessionelle Gegensatz zuweilen auch die Blicke etwas getrübt hat. Est ist wahr, dass es um die religiöse Unterweisung der Jugend und des Volkes im allgel) Ruhkopf, Geschichte des Schul- und Erziehungswesens S. 295.

23 meinen aufs übelste bestellt war, aber es ist nicht wahr, dass es an jeder Bestrebung in diesem Punkte und an jedem Versuche in der mittelalterlichen Kirche gefehlt habe.x) So berichtet Mathesius selbst: „Eltern und Schulmeister lehrten ihren Kindern die Gebote, Glauben und Vater unser, wie ich diese Stücke in meiner Kindheit gelernt und nach alter Schulen Weise andern Kindern oft fürgesprochen“. *) Und schon 1246, um von den Be­ strebungen der ausserhalb der Kirche stehenden Parteien, der Waldenser u. A. ganz zu schweigen, verordnete eine Synode zu Bezieres, dass alle Knaben vom siebenten Jahre an allsonntäglich in der Kirche im katholischen Glauben Unterrichtet werden sollten. In demselben Jahre gebot der englische Bischof Richard von Chichester auf einer Synode seines TSprengels allen Priestern, ihren Parochianen das Gebet des Herrn, das apostolische Glaubensbe­ kenntnis und den englischen Gruss in der Landessprache einzu­ üben. Ja, in dem Lagerbuch der westphälischen Pfarrei Bigge, Amts Brilon, das im Jahre 1270 von dem Bischof von Köln be­ stätigt wurde, findet sich schon die Anordnung, dass der Küster die Kirchspielsjugend im Lesen und Schreiben unterrichten solle, und die Kirchspielseingesessenen werden bei Strafe von 12 Mark verpflichtet, ihre Kinder zur Schule zu schicken.®) Als im 14. Jahrhundert Urban V. Klage führte, wie sehr das Volk durch Verwahrlosung von Seiten der Geistlichen verwildere, wurden durch drei Erzbischöfe, Peter von Narbonne, Goffredus von Toulouse und Arnoldus von Armagnac einige Anstalten ge­ troffen, die Priester zu fleissiger Katechisation in ihren Gemeinden anzutreiben.14) 2 *Nun mögen freilich diese Anordnungen sehr wenig befolgt worden sein. Denn als Gerson, der berühmte Kanzler der Pariser Unisersität (f 1429) in seinem Alter in einer Kirche zu Lyon Kiiider im Glauben und Gebet unterrichtete, wunderte sich alle Welt über das seltsame Schauspiel. Aber doch wohl weniger über die Sache selbst, als darüber, dass ein so bedeu­ tender, hochgestellter Mann mit einem so rühmlosen, scheinbar 1) Es darf uns daran auch Melanchthons Wort nicht irre machen: Apud adversarios nulla prorsus est catechcsis puerorum. Im allgemeinen mag er für seine Zeit und Umgebung recht haben; aber daraus auf den Zustand der ganzen mittelalterlichen Kirche einen Schluss zu ziehen, dürfte doch wohl un­ begründet sein. 2) Brüstlein, Luthers Einfluss auf das Volksschulwesen S. 19. 8) Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens I, 1 f. 4) Brüstlein a. a. 0. S. 20.

24 so leichten und unbedeutenden Werke sich abgab. Und es ist diese Thatsache selbst doch auch wieder ein Beweis dafür, dass die Nothwendigkeit, der Jugend eine bessere Unterweisung im Christenthum zu geben, auch damals empfunden wurde. Dass es aber an Bestrebungen, dem Volke im allgemeinen dieKenntniss der religiösen Wahrheiten zu vermitteln, im 15. Jahrhundert durchaus nicht gemangelt hat, sondern dass sie zahlreich vor­ handen waren, das hat Geffken in seinem für die Geschichte der Katechese so instructiven Werk: „Der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts. I. die zehn Gebote“ überzeugend dargethan. Er zählt eine Reihe von Schriften auf, die theils für die Geistlichen bestimmt waren und diesen Anleitung geben sollten, das Volk zu unterrichten, theils dem Volksgebrauche unmittelbar dienen sollten und desshalb durch Beispiele erläutert und vielfach mit Bildern geschmückt waren. Es sind grossentheils Beichtbücher, in denen der Glaube, das Vater unser und die 10 (geböte (besonders diese letzteren) behandelt und zum Gegenstände von Fragen gemacht werden. Und da ja auch die Kinder zu beichten hatten, so wurde denselben auf diesem Wege immerhin einige Kenntniss des christ­ lichen Lehrgehaltes mitgetheilt, und Geffken sagt geradezu: „Was später der Katechismus zu leisten bestimmt war, das ward im 15. Jahrhundert durch die Beichtunterweisung angebahnt.“ Wir haben auch aus der Zeit vor der Reformation schon ein Beispiel einer öffentlichen Katechisation in der Kirche. In einem 1557 erschienenen Buche: „Gebet Churfürst Johann Friedrichs und seines churfürstlichen Gemahls und Söhnen“ heisst es, dieser Fürst habe als ein Kind von 8 — 9 Jahren oft seinen Vater ge­ beten: „S. G. sollte ihm vergönnen mit andern der Stadt Torgau Kindern zu der Kirche in den Katechismum zu laufen, denn das gefiel dem Herrlein damals wohl, dass ein Knäblein das andere also schön und lieblich fragte.“ *) Man darf sich also wie gesagt den Uebergang vom 15. zum 16. Jahrhundert auch in Bezug auf die religiöse Unterweisung *) Sein Opuscnlum tripartitum de praeceptis decalogi, de confessione et de arte moriendi bestimmt Gerson nach der Vorrede 1) den ungelehrten und ein­ fältigen Priestern und Seelversorgern, 2) allen weltlichen oder geistlichen ungelehrten Personen, 3) „den Kindern und Jungen, die von ir Jugent und Kind­ heit von dem gemein inhalt und fttrnemen puncten unsers glouben vor allen Dingen sollend unterwisen werden“, 4) den Personen, so die Gotsheuser und spital pflegen. S. Geffken, der Bilderkatechismus des 15. Jahrh. etc. S. 36. a) Brüstlein a. a. 0. S. 20.

25 der Jagend nicht so schroff und unvermittelt denken, wie man es vielfach tbut. Aber es ist ja natürlich, dass schon der confessionelle Gegensatz, besonders bei den Evangelischen, das Bedürfnis hervorrief, für eine gründliche Kenntniss der christlichen Lehre zu sorgen; und da die Reformatoren den Anspruch erhoben, die seligmachende Wahrheit des Evangeliums wieder an’s Licht ge­ bracht zu haben, so musste ihnen ja alles daran gelegen sein, sie unter dem Volke zu verbreiten. So entwickelt sich von der Reformation an ein weit regerer Eifer für religiösen Volksunter­ richt, als man ihn bis dahin gekannt hatte, und dieser führte, in Verbindung mit' den übrigen Richtungen, Bestrebungen und Errungenschaften jener Zeit naturgemäss zur Schaffung und För­ derung eines allgemeinen Schulunterrichtes, der eine gewisse ele­ mentare, grundlegende Bildung für jedermann im Volke erstrebte. Ich glaube also, man würde einseitig und beschränkt urtheilen, zum mindesten höchst missverständlich sich ausdrücken, wollte man sagen: die Reformation hat die Volksschule geschaffen. Wohl aber wird man mit vollem Rechte sagen können: die Volks­ schule, allerdings eine nothwendige und unausbleibliche Frucht jener ganzen Zeit, fand in der Reformation, in der ganzen von ihr ausgehenden Bewegung, erst den praktischen Antrieb in’s Leben zu treten und die nothwendigen Existenzbedingungen, deren sie zum gedeihlichen Fortleben bedurfte. In verschiedenartiger Weise ging übrigens die Gründung der ersten Volksschulen vor sich. Nicht überall gründete man eigne deutsche Jungen- und Mädchenschulen neben den lateinischen Schulen. In den Städten reorganisirte man oft nur die schon bestehenden und von Privatlehrern geleiteten deutschen Schreib­ schulen, indem man ihnen auch den Religionsunterricht zur Pflicht machte und sie der Schulaufsicht der Geistlichen unterstellte. So schreibt die Pommer’sche Kirchenordnung*): „Es sollen die gemeinen Schreibschulen, die der Rat gewilligt hat, nicht ver­ hindert werden, aber ihnen auferlegt, deutsche Psalmen, gute Sprüche aus der Schrift und den Katechismus zu lehren.“ Auf den Dörfern aber erwuchs aus dem Katechismusunterricht, den der Pfarrer ertheilte, allmählich auch ein Schreibe- und Lese­ unterricht, und damit, an Stelle der Kinderlehr©, eine förmliche Schule. Bald wurde das zur Regel und allgemein an geordnet. In der Kursächsischen Kirchenordnung von 1580 z. B. findet sich *) Heppe 8. 8.

26 die Anordnung, „wo noch zur Zeit durch die Custoden oder Kirchendiener nicht Schulen gehalten, dass solches mit Rath derer Erb- und Gerichtsherren, auch des Yisitatoris und unsrer Ambtleute aufgerichtet und dahin getrachtet werde, dass jederzeit die Ktlstereien einer solchen Person verliehen werden, die schreiben und lesen könne, und wo nicht durch das gantze Jahr, doch auf bestimmte Zeit, besonders im Winter, Schule halte, damit die Kinder in dem Katechismus, und im Schreiben und Lesen etlicher Massen unterwiesen werden möchten.“ ‘) Nach diesen einleitenden Bemerkungen, die zur Orientirung nothwendig schienen, gehe .ich dazu über, die Augsburgischen Schulzustände zur Reformationszeit eingehender zu schildern.

1. Die Anfänge des St. Anna - Gymnasiums. **) Es scheint, dass Luthers Schrift: „an.die Rathsherren aller Städte Deutschlands, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ mit ihren Ermahnungen auch in Augsburg auf empfänglichen Boden traf. Wir haben in unserer ersten Abhand­ lung gesehen, dass im Mittelalter das Schulwesen unserer Stadt lediglich in den Händen der Geistlichkeit war, dass gegen Ende dieses Zeitraums eine Reihe von Privatlehrern auftauchten, dass aber der Rath um dieses ganze wichtige Gebiet des Unterrichts und der Erziehung sich so gut wie gar nichts kümmerte. Nun aber fängt er an, demselben seine ernstliche Fürsorge zuzuwenden, und die Stiftung der lateinischen Schule zu St. Anna ist der erste wichtige Schritt, den er auf diesem Wege thut. Im Carmeliterkloster von St. Anna hatte alsbald nach dem Auftreten Luthers dessen Lehre Wurzel geschlagen. Besonders der Prior, Joh. Rana (Frosch), war ein begeisterter Anhänger des Reformators, mit dem er schon 1516, als er sich in Witten­ berg die Licentiatenwürde holte, in Berührung gekommen war, und den er dann näher kennen lernte, als Luther während seines Aufenthaltes in Augsburg 1518 im Carmeliterkloster seine Woh­ nung hatte. Dieser trat nun 1526 mit mehreren Mönchen aus 1) Vormbaum, evangel. Schulordnungen I 233.

*) Vgl. bes. Cropbius, Kurtze und gründliche Historische Erzehlung von dem Ursprung, Einrichtung und Schicksaalen des Gymnasio zu St. Anna etc. 1740. — Beyschlag, Kurze Nachrichten von dem Gymnasium zu St. Anna, 1831. —■ G. C. Mezger, Memoria Hieronymi Wolfii. In vier JaJbresprogrammen der Anstalt, 1833—62.

27 dem Kloster aus, und daraufhin scheint sich der Rath eines Theiles der Klostergebäude, die ilm später gänzlich überlassen wurden, bemächtigt zu haben. Darin errichtete er 1531 eine lateinische Schule. Die gewöhnliche Angabe, dass er dazu die Einkünfte des Ulrich Langenmantel’schen Stipendiums verwendet habe, be­ darf jedoch einer Einschränkung. Ulrich von Langenmantel, Propst zu Völkenmarkt und Canonicus zu St. Moritz in Augsburg, stiftete nämlich 1464 ein Stipendium für fünf arme Theologie studierende Bürgerssöhne aus der Stadt oder dem Bisthum Augs­ burg. Dieses Stipendium, das in einer Rente von 103 fl. bestand, wurde später auch an Mediciner, Juristen und Philologen gegeben, von 1537 an aber, wie sich aus den Bauamtsrechnungen ergibt, gar nicht mehr ausbezahlt. Statt dessen erscheint vom selben Jahre an in den Rechnungen eine viermalige jährliche Ausgabe von circa 45 fl. „den drei schuelmeistern.“ Es scheint also aller­ dings, dass der Rath eine Zeit lang die Erträgnisse der Langenmantel’schen Stiftung dazu verwendet hat, die ihm neu erwach­ senen Ausgaben für Schulzwecke decken zu helfen. Aber er hat das nicht von Anfang an gethan; denn noch 1533 wird die Gesammtsumme an vier Stipendiaten ausgetheilt, und noch 1536 finden sich 20 fl. auf den urspünglichen Stiftungszweck verrechnet. Und in jedem Falle waren auch später die Erträgnisse jenes Stipendiums nicht ausreichend, die nöthig gewordenen Ausgaben zu bestreiten, sondern es bedurfte eines Zuschusses aus der Stadt­ kasse. Denn da jeder der drei Lehrer einen jährlichen Gehalt von 60 fl. bezog, ausserdem den Calefactoren oder Custoden, die aus der Schülerzahl genommenen Gehülfen gewesen zu sein scheinen, zusammen circa 36 fl. jährlich bezahlt wurden, der Ertrag des Stipendiums aber nur in 103 fl. bestand, so waren in jedem Falle noch über 100 fl. aus andern Mitteln aufzubringen. Auch die Bezahlung des Schulgeldes für arme Schüler musste die Stadtkasse wohl leisten; denn das Schulgeld, das sogenannte Quatembergeld, bildete ja einen wesentlichen Theil der Einkünfte der Lehrer, und da diese nicht gerade glänzend besoldet waren, konnte man ihnen eine Verziehtleistung in einzelnen Fällen nicht wohl zumuthen. In der Bauamtsrechnung von 1540 findet sich denn auch ein Posten: „für schuler Quatembergelt 1 fl. 24“.* So ist es also zweifelhaft, wie in den ersten Jahren die Besoldungsverhältnisse der Lehrer geregelt waren, ob und aus welchem Fond ihnen 0 Seida, Kirchen-, Schul-, Erziehungs- u. WohlthSUgkeitsanatalten I, 802.

28 etwas zufloss; vom Jahre 1537 an aber ist ohne Frage die Stadtkasse betheiligt, und mit der bescheidenen Summe von etwas über 100 fl. beginnen in jener Zeit die städtischen Ausgaben für das Schulwesen. Der erste Lehrer an der neugegründeten Schule war Gerhard Geldenhauer aus Nymwegen, *) der wahrscheinlich von Strassburg aus hieherberufen wurde. Er war ein Schüler' des Alexander Hegius, des bekannten Humanisten und Leiters der berühmten Schule zu Deventer; und da er auch mit Erasmus in freundschaft­ lichen Beziehungen stand, so können wir wohl annehmen, dass er ein Mann von tüchtiger wissenschaftlicher Bildung war. und dass er die nöthige Befähigung besass, eine Schule zu leiten. Er folgte jedoch schon 1534 einem Rufe nach Marburg, so dass sich die Augsburger Schule nur kurze Zeit seiner Wirksamkeit an ihr erfreute. Nach seinem Weggange finden wir Wolfgang Anemoecius (Winthauser), *) Arsacius Seehofer 3) * 2 und Stephan Vigilius4)5 als Lehrer der Schule gewannt. Zum Theil mögen sie schon gleichzeitig mit Geldenhauer gewirkt haben. Von Ane­ moecius wenigstens ist es in hohem Grade wahrscheinlich, dass er spätestens 1533, und nicht wie Cropliius angibt, 1535 hierher berufen wurde.6) Er fing auch an das Griechische zu lehren, während man sich im Anfang darauf beschränkt hatte, die Ele­ mente des Lateinischen den Schülern beizubringen. Da der Rath nun dem Schulwesen thätige Unterstützung an­ gedeihen liess, so fühlte er sich natürlich auch berufen, für die Ueberwachung und Leitung desselben Sorge zu tragen. Es wur­ den zu diesem Zwecke eigene „Schulherren“ aufgestellt, die, wie wir später sehen werden, auch das Volksschulwesen zu organisiren begannen. Wahrscheinlich geschah diess 1534. Stetten (Gesch. Augsburgs I, 338) schreibt wenigstens zum Jahre 1535: „Denen beyden in dem vorigen Jahr gesetzten Ober-Schulherren Wolfgang Rehlinger und Zymbrecht Hofer wurden wegen Beschwerlichkeit dieses Geschäfts noch drey andre, nämlich Bonifacius Wolffhart, 1) Crophius a. a. O. S. 105. 2) Veith, Bibliotheca Augustana I, 5. 3) Veith, a. a. O. XI, 164. Es ist diess derselbe, der als Student * in Ingol­ stadt seiner Hinneigung zur lutherischen Lehre wegen mit dem Feuertode be­ droht, dann aber, da er widerrief, ins Kloster Ettal gesperrt wurde, und dessen Bestrafung Argula von örumbach (durch Gutzkow’s Hohenschwangau auch in weiteren Kreisen bekannt) zu heftigen Briefen an den Senat der Universität Ingolstadt veranlasste. 4) Veith, a. a. O. XI, 217. 5) Veith, a. a. 0. I, 8.

29 ein Theologus, Conrad Hel, ein Jurist, und D. Geryon Sailer, ein Medicus zugeordnet.“1)2 Wenn dagegen Greiff*) auf einem „Catalog der teutschen Schulmaister von 1568“ die Bemerkung gefunden, dass schon 1531 Dr. Gereon und Dr. Bonfacj (also Sailer und Wolffhart) zu Schulherren „erwölt sein sollen“, so ist doch schon die Fassung dieser Notiz eine zu unbestimmte, als dass ihr be­ sonderes Gewicht beizulegen wäre. Bestimmte Spuren von der Thätigkeit der Schulherren finden wir jedenfalls erst vom Jahre 1535 an. In diesem Jahre sollen sie nach Gasser, nachdem sie den Stand der Schule näher unter­ sucht hatten, dieselbe in bestimmte Klassen eingetheilt und der ersten Anemoecius, der zweiten Seehofer, der dritten Vigilius, die sämmtlich oben schon Erwähnung fanden, übertragen haben. Ausserdem wurden in einer Vorschule die neueintretenden Knaben (elementarii pueri) im Lesen unterrichtet. Aber obwohl nun auch das Griechische in den Lehrplan aufgenommen war, war doch der ganze Charakter der Schule der einer lateinischen Elementar­ schule, die über die Anfangsgründe der beiden Sprachen nicht hinausging. Damit scheint die Bürgerschaft nicht zufrieden ge­ wesen zu sein. Man wünschte, dass die Schüler bis zu ihrem Abgang auf die Universität in ihrer Vaterstadt vorbereitet werden könnten. Und die Schulherren sahen sich desshalb nach einem tauglichen Manne um, der die Schule bis zu dieser Stufe empor­ heben könnte. Auf ihren Vorschlag wurde im Jahre 1536 Xistus Birk oder Betulejus,3)4 ein geborner Augsburger, aus Basel, wo er schon mehrere Schulämter bekleidet hatte, hierher berufen, und dieser widmete sich denn auch alsbald mit grossem Eifer seiner Aufgabe. *) Besonders suchte er durch Rede- und Disputirübungen seine Schüler zu fördern, sie zu klarem, raschem Denken und zur Fertigkeit im Ausdruck zu erziehen. Jeden Monat gab er zwei oder drei Themata auf, worüber die Schüler unter seiner Leitung disputiren mussten. Einmal im Jahre war dann öffentliche Dispu­ tation, wozu Prediger, Aerzte und Juristen, sowie die Mitglieder des Rathes eingeladen wurden. Den Eingeladenen waren die zu 1) v. Stetten schöpft dabei aus Gasser, Annales ad. a. 15S5. 2) Beiträge zur Geschichte der deutschen Schulen Augsburgs, S. 8. 3) Crophius, a. a. O. S. 113. Veith, Bibi. Aug. V. 2. 4) Nach Crophius, S 12 hatte er zugleich die Aufsicht über die zwei untern Schulen zu unser Frauen und zu St. Ulrich, sowie die Oberaufsicht über die Stipendiaten. Es ist dies daraus zu erklären, dass zwischen 1637 und 1548 sich der Rath der Stiftsschulen ganz oder theilweise bemächtigt hatte.

30 verteidigenden Thesen vorher zugesandt worden, und sie konnten sich vorbereiten, denselben zu opponiren. Auch eine Comödie liess ßetulejus jährlich von seinen Schülern aufführen, die er meistens, wenn nicht immer, selbst verfertigte. Den Stoff dazu pflegte er, wie aus den in Druck gegebenen hervorgeht, ‘) fast ausschliesslich der Bibel zu entnehmen, und die sogen. Comödien selbst sind auch im Grunde nichts anderes, als gereimte biblische Geschichten. — Mit seinen Collegen, deren er anfänglich zwei, später drei hatte, stand er im besten Einvernehmen; er verstän­ digte sich sogar mit ihnen über einen geeigneten Wechsel des Unterrichts, so dass sie zuweilen die Stunden in seiner obern Classe übernahmen, während er selbst in den untern lehrte. — Obwohl ihm nun von seinen Nachfolgern Schenck*) und Wolf grosse Er­ folge nachgerühmt werden, so scheint seine Lehrart doch auch ihre Schattenseiten gehabt zu haben. Sie ging offenbar über das Alter und die Fähigkeiten seiner Schüler hinaus. Und wenn sich, bei seinem Tode, die Schule in grossem Verfall befand, und von den Schülern der obersten Klasse geklagt wird, dass sie zwar die schwersten lateinischen und griechischen Schriftsteller läsen und Khetorik und Dialektik trieben, dabei aber in den Elementen der Grammatik nicht fest seien, so war wohl daran nicht allein die Kränklichkeit und Schwachheit Birks in seinen letzten Lebens­ jahren schuld, sondern auch seine ganze Methode. So war es ja gewiss zwar ein Zeichen lobenswerthen Eifers, wenn Wolf von ihm berichtet, er habe die Knaben, wenn sie auch noch ziemlich schwach gewesen und weder die Syntax noch die Prosodie recht verstanden, in seine Klasse aufgenommen, und sich dann ganz nach dem Stand der Kenntnisse der Einzelnen gerichtet, indem er sie in besondere Abtheilungen getheilt und einer jeden beson­ dere Aufgaben zugewiesen habe. Aber es ist leicht einzusehen, welche Uebelstände ein solches Verfahren im Gefolge haben muss. Kurz, die Schule war in Verfall gerathen, und man musste darauf denken, ihr durch eine neue tüchtigere Kraft wieder auf­ zuhelfen. Betulejus selbst rieth dazu. Unterdessen waren, da die Geschäfte der Schulherren sich von Jahr zu Jahr mehrten, Unterschulherren aufgestellt worden, denen die unmittelbare Lei­ tung und Beaufsichtigung des Schulwesens übertragen wurde, die aber in allen wichtigeren Angelegenheiten die Beschlüsse der 1) Ein Vereeichniss derselben bei Veith, a. a. O. V. 20. 2) Schenk sagt, er habe Leute hinausgeschickt, die mit promoTirten magistris hÄtten in die Wette streiten können«

31 Oberschulherren oder durch sie die des Rathes einzuholen hatten.x) Einer dieser Unterschulherren, der Syndicus Augustin Müller, wurde nun 1551 nach Tübingen geschickt, um einen tauglichen Schulmann ausfindig zu machen, der der griechischen und lateini­ schen Sprache kundig und — im Besitze einer Frau sei; denn man wünschte, dass er eine Anzahl von Schülern, wahrscheinlich die Stipendiaten der Stadt, in Kost und Wohnung nehme. In Tübingen war jedoch eine solche Persönlichkeit nicht zu finden. Professor Benignus, an den sich Müller wandte, empfahl diesem desshalb Mathias Schenck aus Constanz, einen Schüler Sturm’s, der mehrere Jahre lang die lateinische Schule seiner Vaterstadt geleitet hatte, nun aber in Folge der Verwicklungen des schmalkaldischen Krieges von Amt und Brod gekommen war. Dieser fand sich denn auch auf die an ihn ergangene Einladung hin in Augsburg ein und erklärte sich, nach längeren Verhandlungen, bereit, die Stelle zu übernehmen, und zwar gegen einen Jahres­ gehalt von 170 fl., nebst dem dritten Theile des Schulgeldes und freier Wohnung. *) Am 8. August 1553 trat er sein Amt an, und zwar als primarius oder Lehrer der ersten Klasse. Doch scheint seine Stellung keine sehr klare gewesen zu sein. Betulejus lebte noch, und dieser schrieb ihm erst am 4. Mai 1554, als er fühlte, dass er immer schwacher werde : Concedo ergo tibi sedem, doctissime Schencci, Cedo lubensque locum, munera diva scholae. *) 1) Näheres darüber in der im Anhänge veröffentlichten Schulordnung aus der Zeit von 1548—1552. 2) Ein Brief Schenk’s an Hieron. Wolf, in dem er selbst seinen Lebensgang beschreibt, s. Schelhorn, Amoenitates literariae tom. IX, 1047. 3) Betulejus starb dann noch im selben Jahre. Sein in der St. Annakirche befindliches Epitaphium lautet: Christo. Sacrum. Qui locus insigni vidit cum laude docentem Betulium Xystum nunc tegit ossa viri. Ingenium mores doctrinam scripta per orbem Cognita testantur, Spiritus astra tenet. Ille quidem luctum patriae doctisque bonisque Liquit, at haud similem liquit in urbe sui. Vixit annos LIII, mens. III, d. XVI. Obiit XIII. Cal. Jul. An. MDLIV. Joannes Baptista et Paulus Hainzelii Fratres Germani Praeceptori B. M. F. C.

32 Bis dahin scheint also Betulejus Schenck nur als seinen Stell­ vertreter betrachtet zu haben. Die eigentlichen Rectoratsfunctionen hat aber Schenck auch später nicht vollständig ausgeübt. Denn in der Denkschrift, die er den Scholarchen über die Ver­ besserung der Schule einreichte, beschränkte er sich ausdrücklich auf die Zustände und Bedürfnisse seiner eignen Klasse, und als er später auf die Berufung Wolfs drang, wünschte er, dass dieser beauftragt werde, die unteren Klassen regelmässig zu inspiciren. Er selbst hatte also bis dahin dieses Geschäft' nicht versehen, obschon es durch die Schulordnung von 1551 dem primarius über­ tragen war, — Wenn ich nun daran gehe, den Stand der Schule bei Schenck’s Eintritt und seine Thätigkeit als Lehrer zu schil­ dern, so stütze ich mich vorzugsweise auf eingehende Aufzeich­ nungen von Schenck selbst, die sich im Evangelischen WesensArchiv befinden und von 1552—1565 reichen. Das Studium der­ selben hat mir eine hohe Achtung, nicht »nur vor der pädagogi­ schen Begabung, sondern auch vor dem trefflichen Charakter dieses Mannes eingeflösst. Er nennt sich selbst ab ostentatione inani remotissimus, und in der That, seine ganze Thätigkeit, wie sein Bericht über dieselbe bestätigen dieses Selbstzeugniss. Geht diess doch auch daraus hervor, dass er äusserst wenig in Druck gegeben, und von der „jiolvQafpla“ seiner Zeit sich gänzlich frei zu halten wusste. — Was zunächst die’ äussern Verhältnisse der Schule betrifft, so bestand sie bei Schenck’s Eintritt aus drei Klassen, wozu eine Art Vorschule kam, deren Schüler in einem Raume mit der 3. Klasse unterrichtet wurden. Die erste Klasse hatte provisorisch Simon Schart übernommen, der aus Verdruss darüber, dass man ihn nicht selbst zum primarius machte, bald darauf seinen Abschied nahm. Der zweiten Klasse stand Andreas Diether, der dritten Johannes Pellio vor. Die Gesammtschülerzahl betrug 135; in der 1. Klasse, die nun Schenck übernahm, befanden sich 29 Schüler. Schon am 16. September reichte Schenck eine Denkschrift an die Scholarchen ein, worin er sich über den Zustand der Schule und die nach seiner Ansicht vorzunehmenden Verbesserungen aus­ sprach. *) Man erkennt daraus sofort seinen praktischen und einfachen Sinn. Wie wir oben schon erwähnten, war Betulejas mit der Art seines Unterrichtes über die Fähigkeiten seiner Schüler offenbar hinausgegangen, und es waren infolge davon *) Gedruckt bei Brücker, Miscellanea hist, philos. etc. S. 345 ff.

grosse Üebelstände eingetreten. Schenck klagt, dass kaum vier oder fünf seiner Schüler einen erträglichen Brief schreiben könnten. Er will deshalb, dass man nicht um des Ruhmes der Lehrer oder der Schule willen schwere Autoren lese, sondern, dass man die Schüler recht in der Grammatik befestige und sie möglichst lange dabei aufhalte. Doch versteht er darunter nicht die Einprägung todter Regeln, sondern die Fähigkeit, sich klar und richtig im Lateinischen auszudrücken. Da man aber nicht sofort von Grund aus ändern könne, so schlägt er folgenden Lehrplan vor: Vor­ mittags von 7—8 soll die Dialektik Philippi (Melanchthons), von 9—10 die Rhetorik desselben getrieben werden, so jedoch, dass an jedem zweiten Tage Grammatik oder Virgil an die Stelle trete; Nachmittags um 1 Uhr soll Terenz oder Cicero (zuerst die Briefe, dann die Reden) gelesen, um 3 Uhr Griechisch getrieben werden, und zwar an einem Tage Grammatik, am andern die Uebersetzung eines griechischen Autors. Einmal in der Woche, von Samstag auf Montag, soll eine Uebersetzung aus dem Deutschen ins Latei­ nische gemacht werden. Wem dieser Unterricht zu elementar sei, sagt Schenck, wer lieber die Dialektik und Rhetorik des Aristoteles, als die des Philippus, lieber den Demosthenes als den Aesop lese, lieber Ethik und Physik als Grammatik treiben wolle, solle auf die Universität gehen. Er habe nicht auf einige wenige, sondern auf die Mehrzahl seiner Schüler Rücksicht zu nehmen. In der_That war man mit seiner Lehrweise vielfach unzu­ frieden ; man beschuldigte ihn, dass er den Ruhm der Schule zer­ störe, dass er die Knaben zu lange bei den Elementen aufhalte, und suchte ihn um desswillen bei seinen eignen Schülern als einen ungelehrten Mann verächtlich zu machen, während er sich doch in alledem nur als einen guten Pädagogen gezeigt hatte. • Im Jahre 1555 reichte Schenck eine neue Denkschrift bei den Scholarchen ein, um auf die an der Schule herrschenden Uebelstände hinzuweisen und auf Abstellung derselben zu dringen.x) Vor allem klagt er, dass die Schule zu wenig Schüler habe. In Augsburg seien wohl 2000 Knaben und Jünglinge, die des Unter­ richts bedürften, und 150 seien in der Schule. Dann klagt er, wie in der ersten Denkschrift, über die äusserst mangelhaften Kenntnisse der Schüler. Kaum einer könne einen Brief von l) Ich veröffentliche diese Denkschrift, die gleich der vorgenannten einen äusserst klaren Einblick in die Schulverhältnisse damaliger Zeit gewährt, im Anhänge.

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34 einigen Zeilen schreiben, ohne zahlreiche Fehler zu machen. Zur Probe theilt er in wörtlicher Abschrift die lateinischen Uebersetzungen eines deutschen Briefes mit, welche fünf seiner Schüler geliefert, und die allerdings schlecht genug sind. Die Schuld an diesem Uebelstande liege jedoch nicht an ihm. Er bekomme die Knaben zu wenig vorbereitet in seine oberste Klasse. Früher habe man in die unterste Klasse aus der St. Martinsschule nur solche aufgenommen, die schon batten lesen können. Seit aber Bongartner Lehrer von St. Martin geworden sei, müsse man Knaben nufnehmen, die kaum sprechen, geschweige denn lesen könnten. *) Dadurch werde die ganze Lehrordnung gestört, und es könne in keiner Klasse das gesteckte Ziel erreicht werden ; besonders da die Lehrer häufig wechselten und viele von ihnen ihres Amtes /nicht fleissig genug warteten.ä) Unter diesen Umständen sei es nicht zu verwundern, wenn die Eltern ihre Kinder in die Privat­ schalen schickten, deren Zahl immer grösser werde, wenn auch die einzelne oft kaum 6 —10 Schüler habe. Schenck beklagt es auch, dass nicht mehr wie früher ein Geistlicher unter den Scholarchen sei. Diese hätten früher das Interesse für die Schule durch Ermahnungen von der Kanzel aus immer neu geweckt; nun aber unterliessen sie das; und so komme es, besonders da man auch einen Theil der Stipendien aufgehoben habe, dass der Zudrang zum Studium immer geringer werde. Auf diesen Punkt legte Schenck so grosses Gewicht, dass er bald darauf, gemein­ schaftlich mit seinen Collegen, eine eigne Ermahnungschrift an 1) Eine zuverlässige Nachricht über die Gründung der St. Martins-Schule habe ich nicht finden können. Doch ist die Notiz einer Chronik, dass es 1538 geschehen sei, nicht unwahrscheinlich. Denn in diesem Jahre liess der Rath die alte St. Martinskirche niederreissen, nachdem er schon 1537 eigene Pfleger über das von seinen Bewohnerinnen verlassene Kloster gesetzt hatte (Steichele, Beiträge zur Gesch. des Bisthums Augsburg I, 187). Es ist also möglich, dass er damals, wie 1531 hei St. Anna, die leerstehenden Klosterräume zur Errich­ tung einer Schule benützte. Von der Interimszeit an erscheint dann die St. Martinsschule als katholische Stadtschule. Doch stand sie auch dann noch lange in einem Abhängigkeitsverhältniss zu St. Anna. Sie bestand bis zu Anfang dieses Jahrhunderts.

2) Die Lehrer hatten insbesondere wenig Lust, rechtzeitig ihre Unterrichts­ stunden zu beginnen und dieselben regelmässig zu halten. Dass man im Falle etwaiger Verhinderung diess dem Rector anzeigen müsse, musste ihnen erst dringend eingeschärft werden. Ihre Stellung war übrigens auch eine sehr prekäre 5 sie selbst mussten sich verpflichten, 6 Jahre zu bleiben, der Rath aber konnte sie „Urlauben“, wann er wollte. Dazu waren ihre Besoldungen nicht glänzend und ihr Sinnen und Denken desshalb stets auf Gehaltserhöhung gerichtet.

35 die Geistlichen richtete, worin er sie hat, doch auch ferner von der Kanzel aus zum Besuch der Schulen und zum Studium der Wissenschaften zu ermahnen. Obwohl nun die Scholarchen einsehen mochten, dass Schenck völlig im Rechte war, wenn er unter den obwaltenden Verhält­ nissen sich seine Ziele, möglichst niedrig steckte und nicht auf Kosten der Gründlichkeit äusserlich glänzende Resultate zu er­ reichen suchte, so wünschten sie doch, dass die Augsburger Schule auch nach aussen einen Namen habe und im Stande sei, ihre Schüler so weit zu fördern, dass die den hohem Studien sich Zuwendenden nicht nach wenig Jahren schon genöthigt seien, ihre Vaterstadt zu verlassen, um fremde Anstalten aufzusuchen. Sie glaubten dieses Ziel durch Berufung einer neuen tüchtigen Lehrkraft zu erreichen. Anfangs richteten sie ihre Blicke auf Joachim Camerarius, der jedoch die Annahme des Rufes ablehnte. Dann wurden sie auf Hieronymus Wolf aufmerksam gemacht, der damals Bibliothekar bei Joh. Jakob Fugger war und sich durch seine Schriften schon einen Namen gemacht hatte. Kaum hörte Schenck von diesem Gedanken, so ergriff er ihn mit Begeisterung und suchte aufs eifrigste für die Ausführung desselben zu wirken, — wieder ein Zeichen seines uneigennützigen, nur auf die För­ derung der Sache gerichteten Sinnes. Denn Wolf sollte ja doch an die Spitze der Schule treten und Schenck ihm untergeordnet werden; wie mancher andre hätte das um jeden Preis zu hinter­ treiben gesucht. Wolf sollte der Reformator der Schule werden, und je glänzender seine Erfolge waren, desto tiefer mussten Schencks Verdienste dadurch in Schatten gestellt werden. Dennoch wirkte er nicht nur, wie schon gesagt, für die Berufung Wolfs, sondern stand auch bis zu seinem Tode im innigsten Einvernehmen mit demselben. Uebrigens ist es schwer, die eigentliche Stellung Wolfs und sein amtliches Verhältniss zu Schenck genauer zu charakterisiren. Der erstere war in jedem Falle der geistige Leiter des Ganzen und auch den Scholarchen gegenüber der Ver­ treter der Schule. Dazu hatte er den Unterricht in den untern Klassen zu überwachen und zu inspiciren, und wir sind deshalb geneigt, ihn in unserm Sinne als den Rector der Schule zu be­ trachten. Aber ein von Wolf selbst im Jahre 1561 an Schenck gerichtetes Schreiben trägt die Aufschrift: ' Matthaeo Schenckio, primae classis magistro et totius scholae rectori. 1567 liess sich Wolf von der Verpflichtung, die untern Klassen zu inspiciren, förmlich wieder entbinden und sie auf Schenck übertragen, und in 3*

einem Briefe von 15710 klagt dieser, dass sein Haus von Besuchern nicht leer werde, die ihm bald eines Lehrers, bald eines Schülers wegen etwas vorzutragen hätten, bald ihre Kinder zur Aufnahme in die Schule brächten, bald über die Fortschritte derselben sich erkundigten. Auch hatte Wolf selbst, wenigstens im Anfänge, gar keine eigne Klasse, sondern unterrichtete gemeinschaftlich mit Schenck an der ersten, die deshalb dieser auch „nostra“ nennt. Aus alledem scheint hervorzugehen, dass die Competenzen nicht genau geschieden waren, dass Wolf an die Spitze des Ganzen trat und Schenck sich ihm unterordnete, dass aber dieser doch eine über die übrigen Lehrer erhöhte Stellung einnahm und eine Anzahl von Geschäften versah, die nach unsern Begriffen dem Bector zufallen. Ein ehrenvolles Zeugniss für die beiden Männer, dass bei dieser Lage der Dinge die Harmonie zwischen ihnen niemals gestört wurde. , Mit Wolf beginnt nun eine neue Periode in der Geschichte der St. Anna-Schule. Ist auch die Absicht, von der man bei seiner Berufung geleitet war, die Schule zu einem Gymnasium academicum zu erheben, das bis zu einem gewissen Grade Universitäts­ studien ersetze, nicht erreicht, sondern bei seinem Tode alsbald wieder aufgegeben worden, so war doch sein Einfluss auf die ganze Gestaltung der Schule, ihren Lehrplan und ihre Unterrichts­ weise ein so tiefeingreifender und nachhaltiger, dass von da an erst eine ruhige, in testen Bahnen sich bewegende Entwicklung beginnt. Eine eingehende Darstellung dieses Einflusses und der durch ihn hervorgerufenen Veränderungen zu geben, liegt jedoch ausserhalb des Bereiches dieser Abhandlung, die sich nur die Anfänge des St. Anna-Gymnasiums zur Eeformationszeit zu schildern vorgesetzt hat und deshalb diese neue Periode seiner Entwicklung nicht mehr verfolgen kann. Zudem besitzen wir ja in den obengenannten Programmen Mezgers eine vorzügliche Dar­ stellung der Lehrthätigkeit Wolfs, und die Hauptpunkte dieser Abhandlung sind auch in Raumer’s Geschichte der Pädagogik**) übergegangen und dadurch weitern Kreisen zugänglich geworden. Da aber in der Mezger’schen Abhandlung vorzüglich die Pläne Wolfs beim Antritt seines Amts und die allgemeinen Gesichts­ punkte, von denen'er geleitet war, zur Darstellung gekommen sind, bei der Ausführung jedoch sich manches zu modificiren pflegt 1) Schelhom, Amoenitates tom. IX. 1068. *) I, 193.

37 and überhaupt die Zustände der Schule damals in stetem Fluss begriffen waren, so erlaube ich mir noch, nach den Aufzeichnungen Schencks aus dem Jahre 1565, also aus einer Zeit, da Wolf schon 8 Jahre an der Schule wirkte, ein kurzes Bild der Thätigkeit und des Lebens an derselben zu geben. Sie bestand damals aus sechs Klassen.1) In der sechsten Klasse, in welche die Knaben zum Theil wohl schon mit dem fünften Jahre eintraten, lernte man (lateinisch) lesen und schreiben. Das Vater unser, das Glaubensbekenntnis, der Dekalog und einige kleine Gebete, die in der zum Lesenlernen benützten tabella elementaria oder Fibel in lateinischer Sprache enthalten waren, wurden auswendig gelernt, ebenso die Declinationen und eine Anzahl lateinischer Vocabeln. In der fünften Klasse wurden die Leseübungen fort­ gesetzt, doch unter Benützung eines andern Buches. Die auf der untersten Stufe benützte Fibel, die auch einige kurze Sentenzen enthielt, deren Wortfolge möglichst der im Deutschen üblichen entsprach, wurde nun übersetzt und erklärt. In der Grammatik schritt man dazu fort, die in der sechsten Klasse gelernten Decli­ nationen, unter Verbindung des Nomens mit Pronomen, Verbum und Participium, nun auch praktisch einzuüben. Auch in der, vierten Klasse wurden die Leseübungen noch fortgesetzt. Zum Uebersetzen dienten kürzere Briefe Cicero’s nach der Auswahl von Joh. Sturm. Nach vorausgegangener Erklärung des Lehrers waren dieselben zu Hause ins Deutsche zu übertragen und sauber geschrieben dann einzuliefern, in der Grammatik lernten die Schüler nun auch die übrigen Wortarten kennen. Als Lehrbuch diente Eivius, von dem in dieser Klasse das erste Buch, ein Theil des zweiten, die wichtigsten Genusregelu aus dem dritten, und ausserdem einige leichte Syntaxregeln dem Gedächtnis einzu­ prägen waren. In der dritten Klasse waren dann die übrigen Theile zu lernen, doch wurde in der Prosodie und Syntax nur das Wichtigere ausgewählt. Gelesen wurden: ebenfalls kürzere Briefe von Cicero, dann Sentenzen aus seinen Schriften, gesammelt 1) Bei Schenck’s Amtsantritt bestand die Schule, wie oben erwähnt, aus drei Klassen, nebst einer Vorschule, den sogen. Ahecedariis oder Abcschülprn. Für die letzteren wurde im August 1555 ein eigenes Klassenzimmer errichtet, während sie bis dahin im Klassenraum der 3. Klasse gleichzeitig mit dieser Unterricht gehabt hatten, woraus sich manche Uebelstände ergaben. Mit Wolfs Eintritt in die Schule wurden es dann fünf Klassen, die sich allmählich, bis 1576, auf neun vermehrten. Auch die Schülerzahl wuchs dem entsprechend. Denn während sie im Jahre 1557 198 betrug, war sie 1569, da die Schule 7 Klassen zählte, schon auf 388 gestiegen,

38 von Lagner, und die dialogi sacri Seb. Castalionis;x) ausserdem noch zur Einübung der Regeln der Prosodie und des Skandirens eine poetische Bearbeitung des Jesus Sirach von R. Walther. In dieser Klasse wurde auch mit dem Uebersetzen kurzer Dictate aus dem Deutschen ins Lateinische begonnen, die womöglich aus Cicero entnommen und jedenfalls mit Benützung Ciceronianischer Phrasen gefertigt sein sollten. Vom Griechischen wurde zunächst nur das Lesen geübt, und zwar an den Sonntagsevangelien und kürzeren Aesopischen Fabeln. In der zweiten Klasse wurde noch einmal die Grammatik behandelt, aber eingehender, als auf den unteren Stufen. Gelesen wurden Cicero’s epistolae familiäres (mit Auswahl), die auch zu Stilübungen benützt wurden, und eine Art Anthologie aus Ovid, „Ovidii Flores, hoc est, elegantiores versus.“ i) 2)* *Die * * *Schüler sollten besonders auch lateinische Briefe schreiben lernen. Im Griechischen wurden die wichtigem gram­ matikalischen Regeln eingeübt und Aesopifeche Fabeln übersetzt. An der ersten Klasse unterrichteten Schenck und Wolf gemein­ schaftlich, doch so, dass der letztere nur einen Theil der Schüler, die besseren und geförderteren, unterwies. Schenck las Cicero’s epistolae familiäres und Virgil’s Aeneide, mit steter Rücksicht auf die Grammatik, und trug Rhetorik und Dialektik vor. Wolf las Cicero’s Laelius und die Reden des Isokrates. Zur Vorbereitung auf letztere musste Schenck noch Grammatik nach Clenardus8) treiben und „Isocraticam paraenesin ad Demonicum scriptam“ lesen. ln allen Klassen dauerte der Unterricht von 7 —10 und von 1 — 4, doch so, dass Vormittags, wie Nachmittags eine halbe Stunde zur Erholung freigelassen wurde. Die Vormittagsstunden am Samstag waren der Religion gewidmet. — In jeder Klasse sollten die Schüler durchschnittlich 18 Monate bleiben; doch waren die Versetzungen in eine höhere Klasse nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden, sondern sollten je nach den Fortschritten der Schüler, bei dem. einen früher, bei dem andern später vorge­ nommen werden.- Zur Erhaltung der Disciplin auch während der i) Wolf bemerkt gelegentlich darüber: ex historiis utriusque testamenti sic concinnati, ut is libellus passim et in pontificias et lutheranas scholas fuerit receptus. ■-*) Eine solche Anthologie erschien 1548 hier unter dem Titel: Flores seu ssutentiae morales, ex Publii Ovidii Nasonis operibus, per Andream Dietherum Augustanum diligenter congestae ac comportatae. His adjectae sunt formulae Poeticae, ad versus condendos utilissimae, per eundem. 3) Clenardus, institütiones linguae graecae, Lugd. 1554.

39 Abwesenheit des Lehrers waren die einzelnen Klassen in mehrere Abtheilungen (decuriae) getheilt, an deren Spitze fleissigere und befähigtere Schüler gestellt wurden, die ihre Genossen zu über­ wachen und unter anderm auch dafür zu sorgen hatten, dass von keinem — ein deutsches Wort gesprochen wurde. *) Und nun nur noch einige Nachträge! Obgleich die Schüler damals schon mit dem fünften oder siebenten Jahre in die latei­ nische Schule eintraten und also vorher keinen andern Unterricht empfangen hatten, sondern in der untersten Klasse erst buchstabiren und lesen und nothdürftig schreiben lernten, waren doch anfangs in den Lehrplan keine anderen Unterrichtsfächer als Lateinisch und Griechisch aufgenommen. Erst allmählich wurde noch Rechnen und anderes, doch privatim gelehrt. Im Jahre 1558 fing Leonhard Baier, Lehrer der 3. Klasse, an, Musik zu lehren, viermal in der Woche. Im selben Jahre begann Johann Spreng, Lehrer der 2. Klasse, das Schönschreiben zu lehren. Da er aber keine passendere Stunde fand, als Morgens 6 Uhr, scheint die Sache keinen Bestand gehabt zu haben. 1561 wurden jedoch zwei eigne Schreiblehrer aufgestellt, die Nachmittags um 4 Uhr gegen ein Quatembergeld von 12 Kreuzern pro Person das Schön­ schreiben lehrten. Mit der Arithmetik wurde erst 1563 durch Johann Maior der Anfang gemacht, der gleichfalls um 4 Uhr Nachmittags seine Stunden hielt und von den Schülern, die daran theilnahmen, bezahlt wurde, während die Schulbehörde ihm keinerlei Remuneration gewährte. 1576 jedoch wurde auf Wolfs dringenden Vorschlag Georg Henisch, ein junger, aus Ungarn gebürtiger „medicus und mathematicus“, nachdem er einige Zeit lang prob­ weise an der Schule unterrichtet hatte, von den Scholarchen als Lehrer der mathematischen Wissenschaften anfgestellt. Wolf versichert, dass man sich nach jener Probezeit habe überzeugen können, wie trefflich seine Schüler in der Arithmetik und Geo­ metrie seien unterrichtet gewesen, und wollte ihn besonders als Gehilfen an seinem auditorium benützen, einer Art Lycealklasse, die, wie wir gesehen haben, aus den besten Schülern der Ober­ klasse gebildet war, und die er nun von dieser gänzlich zu trennen wünschte. Nach Wolfs Tode aber gieng das auditorium ein, und l) Welche Modificationen dieser Lehrplan durch die später erfolgte Er­ weiterung der Schule in neun Klassen erfuhr, ist zu ersehe» aus der von Wolf verfassten: „De Augustani Gymnasii ad S. Annae Instauratione deliberatio. 1576.“ Vormbaum, Evang. Schulordnungen I, 467 ff,

40 Herrisch lehrte nun in der obersten Klasse des Gymnasiums Geo­ graphie, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik und Geometrie, oder wie man es später genannt haben würde, die Realien. Religionsunterricht wurde wohl von Anfang an in der Schule ertheilt; wenn ihm auch nicht gerade immer besondere Stunden gewidmet waren, so wurde doch zur Einübung des Lateinischen und Griechischen stets auch religiöser Lehrstoff mitbenützt und bei dieser Gelegenheit eingeprägt. Zwar machte man vorüber­ gehend den Versuch, den Religionsunterricht aus dem Lehrplan der Schule zu beseitigen; und Wolf war damit einverstanden — nicht aus religiöser Gleichgiltigkeit, oder gar aus Feindseligkeit gegen das Christenthum, denn Wolfs Gesinnung war eine wahr­ haft christliche; suchte er doch stets auch bei Erklärung der Philosophen den christlichen Standpunkt zu wahren; sondern weil ihm der Hader der Theologen, die über tausend Nebendinge stritten und die Uebung des practischen Christenthums darüber vergassen, in der Seele zuwider war, und weil er gerne auch den Katholiken den Eintritt in die St. Anna-Schule ermöglicht hätte. Doch ist es natürlich, dass unter den damaligen Verhältnissen jener Versuch nur die schärfste Verurtheilung erfuhr, und Wolf als ein „Christi e schola expulsor“ verschrieen wurde. 1589 wurde deshalb der Katechismus wieder in der Schule eingeführt, und zwar von nun an der kleine lutherische, der früher manche An­ fechtungen erfahren hatte. 3. Die Anfänge des Yolksschulwesens.x) Die Volksschule ist in Augsburg aus den deutschen Privat­ schulen erwachsen, die schon im Mittelalter bestanden und deren Unterricht sich auf Schreiben und Lesenlehren beschränkte. Diese Schulen wurden unter obrigkeitliche Aufsicht genommen, ent­ sprechend umgestaltet und in öffentliche Schulen verwandelt. Das sind hier die Anfänge des Volksschulwesens. Nun ist es aller­ dings schwer, einen bestimmten Punkt dafür anzugeben, wann die Privatschulen in öffentliche Schulen übergingen, und sonach das Geburtsdatum der Volksschule genau zu bestimmen. Denn so darf man sich ja die Sache nicht denken, wie wenn eines Tages in dem Kopfe des Rathes die Idee der Volksschule aufgetaucht und dieser nun daran gegangen wäre, einen Organisationsplan für dieselbe zu entwerfen und sie zu gründen, wie man etwa ) Greiff, Beiträge zur Geschichte der deutschen Schulen Augsburgs.

41 heute eine Kunst- oder Fortbildungsschule gründet. Das hat sich alles mehr von selbst und allmählich gebildet, das ist mehr ge­ wachsen, als gemacht worden. Und nach unseren heutigen Be­ griffen gemessen, trägt noch das ganze 16. und 17. Jahrhundert hindurch, ja bis auf den Anfang dieses Jahrhunderts, das Augs­ burger Volksschul wesen zum grossen Theil einen privaten Charakter. Denn da war ja kein Schulzwang, sondern jeder Lehrer unter­ richtete die Kinder, die ihm zuliefen; da waren keine festen Be­ soldungen, sondern das Einkommen der Lehrer bestand in dem Quartalgelde, das ihre Schüler ihnen brachten; nicht einmal öffent­ liche Schulhäuser gab es, sondern jeder unterrichtete in seinem Hause oder in seiner Miethwohnung. Erst nachdem Augsburg bayrisch geworden, war, wurde das anders, wurde der Schulbesuch obligatorisch, wurden eigentliche Besoldungen eingeführt und öffentliche Schulhäuser errichtet. — Wollte man aber meinen, den Anfang der Volksschule von dem Zeitpunkte an datiren zu können, wo die Lehrer vom Rathe der Stadt aufgestellt wurden, so würde man vergessen, dass auch die Privatlehrer jener Zeit nicht ohne Genehmigung des Rathes ihre Lehrthätigkeit ausüben konnten. Wir müssen also nach einer andern Unterscheidungs­ grenze suchen. Und mir scheint sie da zu liegen, wo die Be­ stimmung über den Lehrstoff, über das, was in der Schule zu treiben und zu behandeln ist, nicht mehr dem einzelnen Lehrer üerlassen, sondern allgemein geregelt wird, und wo nicht mehr die Aneignung einzelner Fertigkeiten oder Kenntnisse, sondern eine auch das Gemüth und den Willen beeinflussende Gesammtbildung, wie sie jedem Gliede des Volkes nothwendig ist, als das Ziel der Schule erscheint. Erst von da an haben wir eine Volks­ schule. Denn das ist ja doch bis auf den heutigen Tag die Idee derselben, dass sie bestimmt ist, nicht blos die Elemente des Wissens zu lehren, sondern einem jeden diejenige Bildung zu vermitteln, die unerlässlich ist, um ihn zu einem brauchbaren und tüchtigen Gliede der bürgerlichen Gesellschaft zu machen. — Legen wir diesen Massstab an, so können wir vom Jahre 1537 den Beginn des Augsburger Volksschulwesens datiren. Denn in diesem Jahre ist die erste Schulordnung erschienen, *) und diese i) Eines Erbaren Rats bevelch den verordneten Scbuelherren mit erinnerung Jrer pflicht gegeben. (Gedr. bei GreifF, a. a. O. S. 11.) Schon in dieser ersten Schulordnung wird die dann immer wiederholte Anordnung getroffen, „dass die Maidlein besonnder von den Knaben gelert werden“ sollen.

42 verlangt in ihrem ersten Paragraphen, dass in den Schulen „die Relligion, gute Kunst und Stattliche Sitten“ gelehrt werden sollen, hat also nicht bloss die geistige, sondern auch die religiös-sittliche Bildung im Auge. Die Ueberwachung und Leitung des Schul­ wesens aber ist den verordnten Schulherren übertragen, von deren Einsetzung wir oben gehört haben. Von diesen heisst es im 3. Artikel, „das alle Pücher, auch weis und mas die kinnder zu 1eren und in Zucht zu halten, aller Dinng nichts ausgenommen, durch Sie allweg verordnet und angestellet, auch wo von nötten gepessert und corrigirt werden sollen, und kain Schulmaister gewalt haben, in dem allem für sich selb etwas fürzunemen.“ Eingedenk dieser Instruction arbeiteten sie, nachdem sie mehrere Jahre lang ihr Amt geführt und sich geeignete Erfahrungen ge­ sammelt hatten, eine neue Schulordnung aus, die im Jahre 1543 vom Rathe bestätigt wurde,x) die aber ebenso, wie die erste Schulordnung von 1537, nur die äusseren Verhältnisse der Schule berührt, und über das, was gelehrt und wie es gelehrt werden soll, fast gar nichts enthält. Aehnlich verhält es sich mit den Schulordnungen von 1551 *2) und 1575 3), die eine Anzahl nothweudig gewordener Erklärungen und Erweiterungen zu den früheren hinzubringen, die sich aber gleichfalls zum grössten Theile nur auf solche Dinge, wie Inspection der Schulen, die verordneten Ferientage, die „belonung“ der Schulmeister und Aehnliches be­ ziehen. Doch ist zweifellos, dass sich anfangs der Unterricht gewöhnlich auf Lesen und Katechismuslernen beschränkte. Denn wenn die Schulordnung von 1575 die Bestimmung enthält, die in den früheren Schulordnungen fehlt: „Sy (die Schulmeister) sollen auch zuvor durch die unndern Schuelherrn Inn schreiben und Rechnen Examiniert und Inen nachgefragt werden“, so geht doch daraus hervor, dass die Befähigung zum Schreib- und Rechen­ unterricht erst später als unumgängliches Erforderniss betrachtet wurde. Dass der Lehrer des Lesens kundig sein müsse, wurde als selbstverständlich gar nicht erwähnt, aber dass er im Schreiben und Rechnen bewandert sein müsse, musste, sobald man diess forderte, ausdrücklich hervorgehoben werden, weil es etwas Neues war, was nicht immer als nothwendig galt. Uebrigens soll die Bestimmung, dass die Lehrer auch im Rechnen examiniert werden sollten, erst 1628 ins Leben getreten und der Schulmeister Wiest *) Gedr. bei Greiff, a. a. O. S. 12. 2) Vgl. Anhang S. 57. 3) Gedruckt bei Greiff a. a. X). S. 36.

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der erste gewesen sein, bei dessen Prüfung auf der Conventstube zu St. Anna sie angewendet wurde. Doch darf man daraus nicht schliessen, dass vorher in den Schulen überhaupt kein Rechen­ unterricht ertheilt worden sei. Er wurde vielmehr nur als Privat­ unterricht gegen ein besonderes Honorar denjenigen Kindern er­ theilt, deren Eltern es wünschten. Und es gab eigene Rechen­ lehrer, die nur das Rechnen lehrten. Erschienen doch schon 1514 zwei Rechnungsbüchlein hier im Druck, eines von Johann Kögel, das andre von Johann Böschenstein aus Esslingen, ‘) und dann mehrere, die theilweise von hiesigen Lehrern verfasst sind; so 1549 eines von Joh. Bürtzel. Das Schreiben aber wurde jeden­ falls noch allgemeiner gelehrt, als das Rechnen. Doch gehörten, wie gesagt, diese beiden Gegenstände wohl nicht vom ersten An­ fang an zum vorgeschriebenen Unterricht, sondern wurden erst nach einiger Zeit in denselben aufgenommen. Yon Anfang aber gehörte, wie wir oben, schon angedeutet haben, der Religionsunterricht dazu. Schon in der Schulordnung von 15.37 wird verlangt, dass die „Relligion“ gelehrt werden solle, und in der von 1543 heisst es ausdrücklich: „Sy (die Schulmeister) sollen auch versprechen, das sy die Kinder in der Wuchen, auf bestymbten Tag, den Gatechismum ldren, nit wie es jnen*gefall, Sonnder wie der bey dieser Kirchen im brauch ist.“ Ferner: „Sy sollen die Kinder in der Wuchen in den gemainen Catechismum zu Kirchen füren, unud auch in der Kirchen yr acht auf sy haben. Dessgleichen sollen sy die Knaben auch am Sonntag zu morgen, bey guter zeit, in die Predigt füren. Auch die Psalmen, wie sy in der Kirchen hie gebraucht werden, leren singen.“ Der Katechismus, der gelehrt werden sollte, war natürlich der evangelische; denn damals war der Rath entschieden auf evange­ lischer Seite, und die gesammte katholische Geistlichkeit hatte ja 1537 infolge seiner Massnahmen die Stadt verlassen. Und es ist ja wohl dem Religionsunterricht in der Schule gerade um des­ willen so viel Aufmerksamkeit zugewendet worden, weil man darin das geeignetste Mittel sah, die evangelische Lehre zu ver­ breiten und immer fester in den Herzen zu gründen. Unter dem „gemainen Catechismus“ aber, in welchen die Lehrer ihre Kinder ’) Ain New geordnet Rechenbüchlin mit den zyffern den engenden Schülern zu nutz Inhaltent die Silben species Algorithmi mit sampt der Regel de try und sechs regeln der prüch und der regel Fusti mit vil andern guten fragen den kindern zum anfang nutzbarlich durch Johann Böschenstein von Esslingen priester neulich aussgangen und geordnet. Panzers Annalen S. 873.

44 führen sollten, ist die Kinderlehre zu verstehen, die an jedem Mittwoch Nachmittag in der Kirche gehalten wurde und in einer Predigt über den Katechismus, nebst einem daran sich anschlies­ senden Examen aus demselben, das der Pfarrer von der Kanzel ans vornahm, bestand. Man sieht daraus, dass sich von Anfang an Kirche und Schule in den Religionsunterricht theilten. Wann diese Mittwochkinderlehre eingeführt wurde, ist allerdings mit Genauigkeit nicht zu bestimmen; doch mag es jedenfalls noch in den dreissiger Jahren geschehen sein. 1548 ging sie dann infolge der durch das Interim hervorgerufenen Verhältnisse wieder ein und wurde erst 1559 wieder erneuert. Die Einführung des Interim rief überhaupt manche Verände­ rungen im Augsburger Schulwesen, und speciell in der Ertheilung des Religionsunterrichtes hervor. Die der Unterwerfung unter dasselbe sich weigernden Lehrer (14 unter 37) wurden gleich den Predigern aus der Stadt vertrieben, den Zurückbleibenden aber verboten, den Religionsunterricht in der bisherigen Weise zu ertheilen. Sie sollten keine Psalmen mehr in den Schulen singen oder lernen lassem, sondern „die Jugend jeder Zeit, wann sie in die Schul kommen und ehe sie wieder daraus gehen, das Vater unser, den englischen Gruss, den Glauben und die 10 Gebote lassen sprechen und beten.“ Statt des evangelischen Katechismus aber sollten sie den von dem Predigermönch Johann Faber ver­ fassten in Gebrauch nehmen. Doch fügten sich diesen Bestimm­ ungen nur sieben von den Zurückgebliebenen. Die Uebrigen gaben nun gleichfalls ihre Schulen -auf und verliessen die Stadt. Aller­ dings dauerten diese Zustände nicht lange. Denn schon 1552 trat ja jene politische Veränderung ein, die d6m Kaiser wieder die Macht aus den Händen wand. Und infolge davon kehrten auch die vertriebenen Geistlichen und Lehrer wieder nach Augs­ burg zurück, und es wurde alles wieder auf den alten Fuss gesetzt. Der evangelische Katechismus wurde wieder zurückgeführt und stets eingehender getrieben; nach den Zusätzen zur Schulordnung von 1581 sollte er nicht mehr bloss einmal, sondern dreimal in der Woche, Samstag, Donnerstag und Mittwoch Nachmittag in der Schule gelesen und eingeprägt werden. Allerdings mag das manchmal in recht ungeschickter Weise geschehen sein. Wenig­ stens findet sich in einem aus jener Zeit stammenden, vermuthlich von dem Scholarchen Joh. Matth. Stamler verfassten Memorial die Klage: „So wirdt auch bei der Jugent bei Verbörung des gewöhnlichen Catechismi an radgebrochnen Worten und unförm-

45 licher recitation ein sollicher Mangel gespürt; dabei zu vermuthen, dass sie (die Schulmeister) mehrtheils denselbigen zu tradireu keine acht und lust (oder das vermuthlicher ist) selb wenig ver­ stand haben.“ Doch wird in einem von katholischer Seite aus­ gegangenen Gutachten vom Jahre 1629 der evangelischen Be­ völkerung das Zeugniss ausgestellt: „Es ist mit den Alten hier in der Stadt nit ein Ding, wie mit dem einfältigen Bauers-Volckh; es weiss der gemein Lutherisch Mann mehr circa controversias fldei, als mancher grosser Catholischer Gesell; Sie seind auch wohl beschossen in der Bibel-, aber ihre halsstarrigkeit wollen sie)nit lassen.“ Es scheint also der Katechismusunterricht doch nicht ohne Erfolg gewesen zu sein. Uebrigens gab es auch eine Zeit, da man den Katechismus gänzlich aus der Schule verbannen und „als nicht ein Schul- sondern der Kirchen Werk“ nicht den ludimoderatoren, sondern den Eltern die Sorge für seine Einprägung überlassen wollte. Doch scheint man das nicht erstrebt zu haben aus Gründen, wie sie bei Wolf Vorlagen, wenn er in Bezug auf die lateinische Schule diese Absicht billigte, oder aus solchen, durch welche man etwa heutzutage zu ähnlichen Bestrebungen getrieben wird; sondern es scheinen die damals katholischen Oberschulherren die Sache angeregt zu haben, um der Weiter­ verbreitung der evangelischen Lehre, die durch die Einprägung des Katechismus in den Schulen selbstverständlich auf’s stärkste unterstützt ward, wirksam entgegenzutreten. Es blieb aber bei dem Vorhaben. Erst 1629, bei der Durchführung des Restitutionsedictes hatte man die Macht in Händen, jenen Plan zur Ausfüh­ rung zu bringen. Es wurde den Lehrern bedeutet, „dass sie hinfüro den Catechismum nit mehr recitieren, auch nit mehr betten, Singen oder das Psalterbüchlein brauchen sollen.“ Und da die' selben erklärten, „dass sie sich dieses nicht spärren lassen; sie wollen ehe das Schuelwesen gar meiden, inn betrachtung, dass der Jugent solches ir meister nutzen und Wolfahrt sei“, wurden sie sämmtlich geurlaubt.1) Da sie aber im geheimen ihre Thätigkeit fortsetzten, wurden sie verhaftet und auf einige Tage „in die Eisen“ gelegt. Eines hatten die durch das Interim eingetretenen Verände­ rungen zur bleibenden Folge, dass nun auch katholische Lehrer zum Schulhalten zugelassen wurden, während bis 1551 für das Bedürfniss der Katholiken nur die aus dem Mittelalter noch ») Greiff, ». ». O. S. 42.

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herübergekommenen Stiftsschulen vorhanden waren. Allerdings waren es anfangs nur sehr wenige. Greiff *) zählt bis 1568 immer nur je einen auf; nach 1618 waren es nur 3 unter 28; und erst im Anfänge des 18. Jahrhunderts hat sich das Verhältuiss wesentlich, geändert und finden wir z. B. 1725 unter 22 deutschen Schulhaltern 9 katholische. Doch musste schon von jener Zeit, und insbesondere vom Abschlüsse des Religionsfriedens an, auch in den Schulordnungen anf sie Rücksicht genommen werden. Während in der Schulordnung von 1543 verlangt wird, dass die Schulmeister „der Christlichen lere dess Evangelii nit widerwärtig“ sein sollen, und dass sie „der Jugent kaine Bücher wollen lassen, die aintweders der Evangelischen lere widerwertig, Abergläubisch und Fabulos, oder sunst üppig, Bulerisch und un­ züchtig seyen“, heisst es in der Schulordnung von 1575: Sie sollen „aintweders der alten Catholischen Religion oder aber der Augspurgischeu Coniession, die im Reichstag Anno 1555 Alhie Im Publicirten Religionsfrieden zugelassen, Anhängig“ sein, und der Jugend „Allain Catholische oder der Augspurgischen Confession gemässe und Kain unchristliche, Schwörmische oder unzüchtige Bücher“ in die Hände geben. Natürlich waren die Schulen damals confessionell getrennt. Es findet sich zwar in einer Verth eidigungsschrift des Rath es (1587) gegen Dr. Georg Müller, den besonders durch den Kalender­ streit bekannt gewordenen, kampfeslustigen Pfarrer von St. Anna, die auffallende Bemerkung, es hätten die „Catholischen und Evan­ gelischen ihre Kinder on underschied bisshero zu den Teutschen Schulmeistern geschickt, unangesehen, was Religion dieselben seien.“ Kennt man aber die Verhältnisse jener Zeit einigejjoaassen, so wird man sofort vermuthen, dass damit der wirkliche Sach­ verhalt schwerlich zutreffend geschildert wird. Denn Gleichgiltig­ keit gegen confessionelle Unterschiede oder verwandte Regungen wird man doch im 16. Jahrhundert nicht suchen wollen. Die Sache dürfte vielmehr so zu erklären sein, dass wegen Mangels an katholischen Schulen manche katholischen Eltern genöthigt waren, ihre Kinder evangelischen Lehrern zu übergeben, und dass auch das Umgekehrte in einzelnen Fällen vorkam. Der Rath aber, der die Oberschulherren wegen ihrer Absicht, den Kate­ chismus aus der Schule zu beseitigen, entschuldigen wollte, hatte seine Gründe, die Verhältnisse im obenerwähnten Lichte darzu1) S. 117.

4? stetlen. t)ie Leitung des Schulwesens freilich blieb noch lange eine einheitliche. Denn wenn auch die Stellen der Sehulherren zum Theil mit Evangelischen, zum Th eil mit Katholiken besetzt wurden, so war es doch eine Behörde, der das Ganze unterstellt war, und deren Verfügungen für alle Schulen gültig waren. Erst mit dem westphälischen Frieden trat darin eine Aenderung ein. Erst von da an vollzog sich eine vollständige Trennung zwischen dem katholischen und evangelischen Schulwesen und wurden die Angelegenheiten beider Theile durch getrennte Behörden geregelt, was allerdings insoferne ein Fortschritt war, als nun nicht mehr ein Theil den andern so leicht tyrannisiren konnte, wozu man beiderseitig, wenn man die Macht in Händen hatte, nicht geringe Neigung besas. Fragen wir nach dem Lehrbuch, welches in den evangelischen Schulen dem Religionsunterricht zu Grunde lag, so finden wir, dass sich der Katechismus Luthers selbst nur langsam Eingang verschaffte. Es hieng das mit den Abendmahlsstreitigkeiten und der Richtung der Augsburger Prediger zusammen, die sich darin zum grossen Theile den Schweizern zuneigten oder wenigstens eine Einigung erstrebten und schroffen Aufstellungen abgeneigt waren. Es wurden desshalb von ihnen selbst einige Katechismen in Druck gegeben. Der erste erschien 1533 und war von Wolf­ gang Musculus verfasst, also im Sinne der Tetrapolitana gehalten.') Nach Annahme der Wittenberger Concordie aber soll 1540 ein von Bucer verfasster Katechismus hier gebraucht worden sein. Da dieser den strengeren Lutheranern, besonders Caspar Huberinus und Joh. Flinner nicht zusagte, so gab ersterer selbst einen Kate­ chismus heraus, und zwar, wie Luther, einen grösseren und klei­ neren. Doch fand er damit wenig Anklang. Zu allgemeinem Gebrauche kam vielmehr der von Joh. Meckhardt, Pfarrer bei St. Anna, verfasste und 1548 zum erstenmal im Druck erschienene Katechismus, der eine vermittelnde Stellung einnahm. Allerdings fand auch er von Seiten der strengeren lutherischen Richtung bald Opposition, und der Verfasser liess sich desghalb herbei, bei

0 Catechismus Christianae religionis institutionem paucis complectens. Per Woli’gaiigum Musculum. Die Lehrbestimmung über das hl. Abendmahl lautet: Simpliciter intelligo, nos carne ac sanguine Domini pasci, Sacramentaliter in Eeclesiastica communione, spiritaliter Vero, quando vera in illum fide mortis illius participes reddimur, et per han« aeternae Vitae compotes evadimus.

48 einer neuen Auflage manches zu ändern *) Doch wurde ihm auch später noch Schuld gegeben, er sei „auf Zwinglischen Schlag gerichtet.“ Die Stimmung der Bürgerschaft aber war ihm günstig. Als man 1559 bei St. Anna den kleinen lutherischen Katechismus einführte, musste man in den deutschen Schulen den Meckhardischen belassen, und erst von 1632 an scheint er völlig beseitigt und durch den kleinen lutherischen ersetzt worden zu sein. — In den katholischen Schulen brauchte man anfänglich den schon genannten Katechismus von Faber, und später den des P. Canisius. In wessen Händen sich die Leitung des städtischen Schul­ wesens befand, haben wir oben schon gesehen. Es waren zu diesem Zweck eigene Ober- und Unterschulherren aufgestellt, die der Rath zu wählen hatte und die in seinem Namen das gesammte Schulwesen der Stadt, das lateinische wie das deutsche, mit Aus­ nahme der noch fortbestehenden Stiftsschulen von St. Moritz, St. Ulrich und Unser Frauen, überwachen und leiten spllten. Vor allem sollten sie die, welche eine Schule eröffnen wollten, prüfen, ob sie ge­ schickt und tauglich dazu seien, und Niemanden sollte, ohne ihre Bewilligung, Schule zu halten gestattet sein. Allerdings mögen ihre Befugnisse anfangs mehr auf dem Papier gestanden haben, als dass sie praktischen Gebrauch davon hätten machen können. Als man 1568 einen Katalog sämmtlicher Schulmeister anfertigte und die Einzelnen nach den Umständen befragte, unter denen sie ihre Thätigkeit begonnen hätten, erklärte Peter Höschel, er habe 1537 angefangen Schule zu halten, aber „von kainem Schulherrn gewust, sondern sich auf der Cantzel verkünden lassen, seye im nie geweret worden.“ Dasselbe erklärt Narcis Raminger, der um 1544 seine Schule er öffnete. Es war nämlich Sitte, dass neue Lehrer sich von der Kanzel verkünden liessen, und es erregte keinen geringen Unwillen, als man sich einmal von Seiten der Prediger dem nicht mehr uuterziehen, sondern ihnen zumuthen wollte, durch einen an der Kirchthüre angeschlagenen Zettel sich anzukündigen. Nun war zwar schon 1537 angeordnet worden, dass Keiner auf der Kanzel verkündet werden sollte, den die Schul­ herren nicht zugelassen hätten. Aber Verordnungen werden immer i) Der Titel dieser 2. Auflage (die erste war mir nicht zugänglich) lautet: Catechismu8. Ain kurze Christliche Leer unnd unterweysung | für die Jugent | Durah Johann Meckhart zusammengelesen | und von jme mit fleiss übersehen und Corrigiert. 1554. Ueber das hl. Abendmahl wird darin gelehrt: „Christus mein Herr gibt mir durch den dienst seines Heyligen Worts sein waren Leyb und sein wares Blut zu einer Speise und zu einem Tranck zum ewigen leben.i) 4 **

49 leichter gegeben als durchgeführt. Und so scheint man auch hier um die neuen Vorschriften des Rathes sich anfangs nicht allzu­ gewissenhaft gekümmert zu haben. — Grössere Schwierigkeiten noch bereitete die Ueberwachung der Schulen und der Lehrer, die doch sehr noth wendig gewesen wäre. Denn die Lehrer jener Zeit waren keineswegs immer die zuverlässigsten Persönlichkeiten und Hessen es auch noch in andern Dingen als der Befolgung formeller Gesetzesvorschriften an der nöthigen Gewissenhaftigkeit fehlen. Gab doch schon ihr Leben oft das grösste Aergerniss. In der Schulordnung von 1543 wird die ausdrückliche Ermahnung ausgesprochen: „Sy sollen auch keine Unzucht in iren Heusern, weder an Weibern, noch an Eehalten dulden.“ 1568 wird geklagt, dass „etlich gar mit unerbaren Weibern aus der Statt gezogen.“ Ja, 1546 kam es vor, dass ein Lehrer, Jörg Hieber, entlassen werden musste, weil er 3 Pferde entführt hatte. So ist es begreif­ lich, dass ein Schulherr aus jener Zeit die Befürchtung ausspricht, wenn man eine gründliche Visitation vornehme, möchten wohl etliche gefunden werden, „die sich selb zu regieren nit verstendig, soviel desto weniger andere zu informiren sollten tüchtig sein, und denen vielleicht billicher möchten Rinder dann Kinder zu erziehen vertraut werden.“ Es waren ja meist Männer ohne jede pädagogische Vorbildung, die im besten Falle in der Jugend leidlich lesen und schreiben gelernt hatten, und oft auf das Schul­ halten nur verfielen, weil sie sich durch nichts besseres zu er­ nähren wussten oder nach einem passenden Nebenerwerb suchten. In letzterem Falle mussten sie dann ihre Frauen wohl häufig im Schulamt vertreten, wenn sie nicht vorzogen, was noch bequemer war, wenn sie andere Geschäfte hatten, die Schule auszusetzen. Aus welchen Gründen man aber oft den Lehrerberuf ergriff, mögen einige Beispiele lehren. 1551 bittet Jörg Braun, der Buchbinder, Schule halten zu dürfen, da ihn sein Handwerk nicht ernähre. 1555 stellt Christoph Herrlein dieselbe Bitte, „da er einen Leibschaden habe und für keinen Herrn zu brauchen sei.“ Und ein Petent aus dem Jahre 1563 wendet sich aus dem Grunde mit einer höchst beweglichen Bitte um die Erlaubniss zum Schul­ halten an die Schulherren, damit er „den hl. Almusenseckhel“ nicht länger in Anspruch nehmen müsse und sein „grossschwanger“ Weib ernähren könne. So kommt es, dass noch 1568 die Schulherren die uns sehr selbstverständlich scheinende Meinung aussprechen müssen, man solle Niemand zum Schulhalten zulassen, der nicht schreiben und rechnen gelernt habe und von Jugend auf dazu 4

50 erzogen sei.J) — Unter diesen Umständen wäre es sicherlich nicht überflüssig gewesen, sich zuweilen um die Lehrthätigkeit und die Unterrichtserfolge dieser Männer etwas zu kümmern. So wurde denn auch schon 1537 den Schulherren zur Pflicht gemacht, wenigstens einmal in jedem Vierteljahr alle Schulen zu besuchen und zu erforschen, wie die Jugend darinnen gelehrt werde. Und in der Schulordnung von 1543 heisst es: „Wie aber die Teutschen Schulen Visitirt und in acht gehabt werden sollen, Ist zuvor, in verganngenen Jahren, den Pfarrherrn und iren Helffern, befelch thon worden. Also das ain jeder Pfarrherr durch sich, oder durch sein Helffer, was Teutsche Schulen in seiner Pfarre zu jeder Zeit seind, etlich mal im Jar haimsuchen und hesichtigen solle.“ Es scheint aber, dass weder die Schul­ herrn, noch die Pfarrherrn sich anfänglich dieses Geschäft beson­ ders angelegen sein Hessen. Und auch als die Schulherrn.damit begannen, Visitationsgänge durch die Schulen zu machen, be­ schränkten sie sich wohl anfangs darauf, zu constatiren, ob der Lehrer in seiner Schule anwesend und thätig sei und kejpe groben Ordnungswidrigkeiten vorlägen. Zwar wurde 1551 ausdrücklich verordnet, sie sollten die Schüler etlichemale im Jahr in ihrem Beisein examiniren lassen; aber dass dies weder allgemein, noch regelmässig geschah, geht daraus hervor, dass der Vorschlag, in den deutschen Schulen wie in den lateinischen regelmässige Examina zu halten, im J^ 1588 wieder als ein neuer auftaucht und dann den unteren Schulherrn notificirt wird, „sie sollten auch in den teutschen Schulen zu halben Jaren die Visitation fürnemen und Senatui die befindenden Mängel anzaigen.“ — Was aber die Betheiligung der Geistlichen an der Inspection der Schulen be­ trifft, so war diese dem Rathe selbst nicht immer erwünscht. l) Von 1660 an finden wir denn auch die meisten Schulh alter als gewesene „Studenten44 aufgeführt. Doch darf man sich unter diesem Titel nichts allzu Gelehrtes vorstellen. Jedenfalls wurde erst im Anfänge des 18. Jahrhunderts hier der Versuch gemacht, eigne Lehrer für die deutschen Schulen heranzu­ bilden. 1703 nahm der Inspector des Armenhauses M. Johann Christian Rende zwei der grösseren Knaben seines Hauses zu Gehilfen an, um sie so allmählich zu Lehrern heranzubilden. Dieselben eo'lten zugleich das Gymnasium besuchen, fünf Klassen desselben absolviren, im Rechnen und der Musik aber besondern Unterricht erhalten. Später wurde duses Project wieder fallen gelassen. 1725 aber sprach sich Joh. v, Stetten jr. in einem Gutachten dahin aus, dass in der VI. Klasse des Gymnasiums ein Seminar für Schullehrer errichtet und in dem­ selben Katechetik, deutscher Styl und Latein gelehrt werden sollte. (Greift? a. a. 0. S. 78.)

51 Auch unter den Schulherren finden wir das ganze 16. Jahrhundert hindurch nur zweimal einen Geistlichen, und diess ganz im An­ fänge der Entwicklung, Bonifacius Wohlfarth und Wolfgang Musculus. Dann vermied man es, sie zu wählen, und wir haben ja die Klage Schencks darüber gehört. Sicher hieng diess zusammen mit den politischen Zuständen der Zeit. Denn der von Karl V. 1548 eingesetzte Geschlechterrath war ja der Sache der Refor­ mation nicht günstig gesinnt, und die von da an fungirenden katholischen Oberschulherren trugen aus gleichem Grunde kein Verlangen, die evangelischen Geistlichen zur Betheiligung an der Leitung des Schulwesens heranzuziehen* besonders da sich die­ selben keineswegs immer durch Milde und Fügsamkeit auszeich­ neten. Man forderte dieselben allerdings zuweilen, wie z. B. 1558, auf, ein Acht auf die Schulmeister zu haben und vor kommende Ungebührlichkeiten den Schulherren anzuzeigen. Aber ein eigent­ liches Inspectionsrecht stand ihnen nicht zu. Selbst als der evan­ gelische Theil sein Schulwesen von 1649 an selbstständig zu ver­ walten begann, schien bei den Scholarchen wenig Neigung vor­ handen, sich der Hülfe der Geistlichen zu bedienen. Versuche der letzteren, in Schulsachen dreinzureden, wiesen sie aufs schroffste zurück, wie sie z. B. 1653 in einem Schreiben an die Kirchenpfleger sich ausliessen, es scheine ihnen, als ob man sich „nach und nach gar anmasse, die Mit- oder gar Ober-Inspection und Direction zu forciren, indem nur zu viel bewusst, dass den Herren Ecclesiasticis zum Theil das Maul schon längst darnach gewässert und derentwegen bald diess, bald das an den Schulen getadelt“; „vernünftige Regimentspersonen“ aber hätten „derlei allzuvielem Gewalt“ der Geistlichen stets widerstanden. 1672 aber wurde dennoch den Geistlichen, unbeschadet der Rechte der Scholarchen, die Visitation der lateinischen und deutschen Schulen übertragen, und zwar in der Form, dass für das Gymnasium 4 Geistliche, die Senioren nebst dem Pfarrer und Diakonus von St. Anna bestimmt wurden, von denen immer einer nebst einem der Scholarchen die Visitation vornehmen sollte, für die deutschen Schulen aber gleichfalls 4 geistliche und ausserdem 4 weltliche Visitatoren aufgestellt wurden, die die Schulen unter sich theilen und von denen immer „ein theologus und ein politicus“ gemein­ schaftlich alle 8 oder 14 Tage eine Schule besuchen sollten. Vorkommende Mängel oder Missstände'jedoch sollten sie nicht öffentlich auf der Kanzel rügen, sondern den Scholarchen zur Abstellung anzeigen. — Es ist also, das sehen wir aus alledem, 4*

52 nicht die Kirche, sondern die städtische Obrigkeit, die in Augs­ burg das Volksschulwesen in’s Leben gerufen und ihm die ersten Organisationsformen gegeben hat. Aber die städtische Obrigkeit war dabei durch kirchliche Impulse getrieben. Es waren die reformatorischen Bewegungen und die durch sie neugeschaffenen Zustände, die den Rath zum ersten Handanlegen an diese Dinge bestimmten. Und es waren auf diesem Boden erwachsene, also kirchliche Rücksichten und Principien, nach denen er dabei ver­ fuhr. Denn er stellte sofort die Schule in den Dienst — nicht der Geistlichkeit, wohl aber der Kirche, indem er die Befestigung im kirchlichen Bekenntniss und die Heranziehung zur lebendigen Theilnahme am kirchlichen Leben als eines ihrer Hauptziele be­ trachtete. Wenn es also auch, bei diesen Verhältnissen, keine völlig zutreffende Bezeichnung wäre, die Volksschule eine Tochter der Kirche zu nennen, so finden wir doch beide in der Jugendzeit der ersteren in den engsten Beziehungen ,zu einander und sehen die Entwicklung der Schule durch den Geist der Kirche wesent­ lich bedingt. — 1568 war noch eine andere Aufsichtsbehörde aus den Kreisen der Lehrer selbst gebildet worden, die sogenannten Vorgeher. Da, wie oben angedeutet, oft schwere Unzukömmlichkeiten, selbst in Bezug auf den Lebenswandel der Lehrer vor kamen, so beschloss man, „das man Aufsäher und Vorgeher under Inen machen solte, denen man bey iren Ayds-Pflichten einbunde, das sie auff die andern Schulmaister ir fleissiges Aufsehen hetten, und bei wölchem sie unfleiss oder ander ungebürlich Sachen spürten, denselben zu red setzen und warnen: da es aber nit erschiessen wolte, dem domino praesidi under den undern Schulherrn jederzeit anzaygen solten, der ferner die gebür nach Gelegenheit fürzunemen wüste.“ Die ersten, die zu solchen Vorgehern bestellt wurden, waren Ludwig Stähelin, Lienhart Hieber, Hieronymus Kaldschmid und Georg Mayer. Besonders der letztere suchte die Pflichten seines neuen Amtes mit Eifer zu erfüllen, hatte aber dafür auch manche Unannehmlichkeiten zu bestehen. Diese Vorgeher erschienen zu­ gleich als Vertreter der Lehrerschaft den städtischen Behörden gegenüber und suchten in dieser Eigenschaft die Interessen ihrer Standesglieder nach allen Seiten zu wahren. Besonders wachten sie darüber, dass der Privatlehrer nicht allzuviele wurden, und dass die lat. Schulhalter sich nicht beigehen Hessen, DeutschLesen und Schreiben oder Rechnen in ihren Schulen zu lehren. Auch brachten sie zum öftern die Klagen ihrer Collegen über



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die schlechten Zeiten und die Geringfügigkeit ihrer Einkünfte vor die Ohren des Rathes. Worin bestanden denn aber diese Einkünfte? Ich habe oben schon gesagt, dass ein eigentlicher Gehalt zu reichsstädtischen Zeiten im Grunde niemals gezahlt wurde. Welche Vergütung ward denn nun den Schulmeistern für ihre Arbeit? Die Schul­ ordnung von 1543 enthält unter der Ueberschrift: „Von der belonung der Schulmeister“ folgende Bestimmung: „Es soll kain Schulmaister von einem knaben zur Quotember mer fordern denn drey patzen, wirt Im abel etwas weitters aus der eitern gutwilligkeit zur Verehrung geben, soll kainem benomen sein.“ Dieses Quatembergeld bildete die eigentliche Einnahmsquelle der Lehrer. Dazu musste noch jedes Kind an Martini zur Beheizung des Schullokals 2 Kreuzer zahlen. 1603 wurde das Quatember­ geld auf 15, das Holzgeld auf 4 Kreuzer erhöht. Durch spätere Erhöhungen kam das erstere vom Ende des 17. Jahrhunderts an auf 30 Kreuzer, das letztere auf 10 Kreuzer, und zuletzt sogar gleichfalls auf 30 Kreuzer. Die Höhe der Einnahme richtete sich also nach der Schülerzahl, die bei der völligen Freiwilligkeit, die auf diesem Gebiete herrschte, in den einzelnen Schulen eine äusserst verschiedene war. So hatten nach einem Verzeichnisse von 1623 einige 160 —170 Schüler, andere 30 — 40, ja einer sogar bloss 16. Daraus entstanden manche Eifersüchteleien. Daraus erklärt sich auch das Bestreben der Lehrer, die Anzahl der vorhandenen Schulen möglichst zu mindern, oder wenigstens eine Mehrung derselben zu verhüten, und ihre öfters widerholte Bitte, eine vakant gewordene Stelle nicht mehr zu besetzen, oder wie wir den Verhältnissen jener Zeit entsprechender sagen müssen, eine offen gewordene Gerechtigkeit nicht mehr zu verleihen. Denn wie eine Concession wurde die Erlaubniss zum Schulhalten verliehen, und es war genau normirt, wieviel solcher Concessionen verliehen werden sollten. Doch konnten die Schulherren im Bedürfnissfalle darüber hinausgehen. Die höchste Zahl (45) finden wir 1566, die niederste (19) 1649.J) Waren nun die Zeiten gut, so flössen auch die Einnahme­ quellen, wenigstens für die beliebteren unter den Schulhaltern, nicht allzu spärlich. Denn die wohlhabenderen Eltern reichten sicherlich ausser dem Quatembergeld manche „Verehrung“. Waren aber die Zeiten schlecht, so trat der doppelte Uebelstand ein, 1) Näheres bei Greift, a. a. O. S, 1X7,

54 dass das Quatembergeld nicht pünctlich gezahlt wurde, und dass viele Eltern ihre Kinder gänzlich aus der Schule nahmen, weil es ja einen Schulzwang nicht gab. In solchen Zeiten regte sich dann auch das Bedürfniss nach der Flüssigmachung anderer Einnahmequellen. Zunächst war es die Privatwohlthätigkeit, die da eintrat. Als im Beginn des 30jährigen Krieges durch die Manipulationen der „Kipper und Wipper“x) jene Entwerthung des Geldes hervorgerufen wurde, die den Preis der Lebensmittel bis ins Unglaubliche steigerte, und selbstverständlich auch die Schulmeister, die auf fest begrenzte Bezüge von nicht sehr grossem Umfang angewiesen waren, in die schlimmste Noth geriethen, wusste man sich nicht anders zu helfen, als dass man Sammlungen für sie veranstaltete. Diese ertrugen soviel, dass jeder im Laufe eines Jahres 50—60 Thaler erhielt. Als dann infolge des Kestitutionsedictes die evangelischen Schulhalter plötzlich ganz von ihrem Brode kamen, war es natürlich doppelt noth wendig, in ähnlicher Weise für sie zu sorgen. Damals nun kommt auch das erste ßeichniss aus dem aerarium publicum vor,l) 2) aber nicht an die evangelischen, sondern an die katholischen Schulhalter. An diese wurden 1630 zum erstenmal 7x/$ Gulden quartaliter aus der Stadtkasse gezahlt, vielleicht um ihr Loos ihren evangelischen Collegen so reizend erscheinen zu lassen, dass der eine oder der andere die Neigung fühlen sollte, es mit dem seinen zu vertauschen. Nach dem Einzuge der Schweden und der dadurch bewirkten Regimentsänderung wurde desshalb jene Gabe wieder zurückgezogen, aber jedem Lehrer ein Klafter Fichten­ holz und ein Schäffel Korn verabreicht. 1635 aber erhielten die katholischen Lehrer ihr Quatembergeld wieder. Als jedoch nach dem westphälischen Frieden und der durch ihn hervorgerufenen Einführung der Parität die evangelischen Lehrer um die gleiche Vergünstigung baten, wurde sie — auch den katholischen wieder entzogen. Erst 1726, nachdem verschiedene Privatstiftungen zum Unterhalt der Lehrer gemacht worden waren, erhielten sie auch l) Ygl. die anschauliche Schilderung dieser Vorgänge bei Freitag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, III, 152 ff. '*) Noch 1628 war den Schulhaltern ihre Bitte um Ueberlassung von Holz aus städtischen Mitteln abgeschlagen worden, „da sie keine von der Stadt besoldte und beambte Diener nit seien.“ Eine Wohnungsentschädigung in einem einzelnen Fall kommt jedoch schon 1581 vor. In diesem Jahre erhielt Kaspar Brinner, der aus der Vorstadt, wo es billiger war, in die Stadt zog, um seinen Schülern näher zu sein, 40 fl. aus der Stadtkasse.

55 aus der Stadtkasse wieder ein jährliches Reichniss. Doch galt es mehr als Gnadengeld, als „Ergötzlichkeit“, wie als eigent­ licher, rechtlich zu fordernder Gehalt. Und nur allmählich ge­ wöhnte man sich, diese Bezüge in letzterem Sinne anzusehen. Eine völlige Aufhebung des durch die Schüler zu zahlenden Quatembergeldes und eine gänzliche Neuregelung der Besoldungs­ verhältnisse fand jedoch erst zur bayrischen Zeit statt. Unter diesen Umständen wird man es begreiflich finden, dass besonders in der ersten Zeit das Schulhalten meist nicht den ausschliesslichen Lebensberuf eines Mannes bildete, sondern dass noch allerlei Nebenerwerb dabei gesucht werden musste, wenn nicht, was auch vorkam, das Schulhalten selbst als Nebenerwerbs­ zweig galt. Besonders dass die Lehrer zugleich Notare oder Bedienstete in Handlungshäusern waren, kam häufig vor. In einem Verzeichniss der Notare von 1575 finden sich unter 37 12, die zugleich Schule hielten. Das liess sich am Ende damals auch noch miteinander vereinigen. Und von Notaren und Buchhaltern liess sich wenigstens voraussetzen, dass sie selbst des Schreibens und Lesens mächtig waren. Weniger passend und förderlich war es sicherlich, wenn neben der Schule noch ein Handwerk getrieben wurde. Deshalb sprechen sich auch die Schulordnungen dagegen aus. Eine Bestimmung von 1587 sagt sogar: „Und soll hinfür keiner zur Teutschen schuelhaltung zugelassen werden, wellicher ein handtwerckh kan oder dasselbe zu treiben qualificiert wer.“ Doch wird sich das nicht so bald haben vollständig durchführen lassen. Denn obwohl man auch vorher schon dagegen aufgetreten sein mag, finde ich doch noch 1568 in einem, wie es scheint, von den Schulherren selbst verfassten Katalog bei dem Namen eines Lehrers die Bemerkung: „Diser ist ein Tuchscherer und underkeuffel mit Barchetstücklen, haltet Schul darneben.“ — Einen Nebenerwerbszweig der Lehrer bildete auch die Auffüh­ rung von Komödien, die sie mit ihren Schülern darstellten. Die Bewilligung hiezu musste anfangs von den Oberschulherren ge­ geben werden; 1581 aber wurde die Sache so geregelt, dass ein für allemal die Aufführung von drei Komödien per Jahr gestattet und durch das Loos entschieden werden sollte, wem die Berech­ tigung dazu zustehe. Welcher Art diese Komödien gewesen, mag aus dem Titel einer solchen ersehen werden, die Martin Kaufmann und Abraham Schädlin 1597 ihrem Anzeigen nach zur Aufführung bringen wollten: „Wie Jafet der Sohn Noe Europam eingenommen, die Schwaben einen grossen Theil Deutschlands bewohnt, die

56 Stadt Augsburg erobert, die Weiber Amazones und andre dieselbe bekrieget, wie der heilige Lucius, König in Engelland (A. 108 n. Chr. Geb.) die Stadt zum christlichen Glauben bekehret.“ Der erste, der mit der Aufführung solcher Comödien kunstsinnige Zuschauer ergötzte, war Christoph Brunnenmayr, dem 1549 die Bewilligung dazu gegeben wurde. — Vergleichen wir nun dieses Bild, das uns die Anfänge unsres deutschen Schulwesens bieten, mit der heutigen Gestaltung des­ selben, so werden wir uns der Einsicht nicht verschliessen können, dass wir höchst bedeutende Fortschritte auf diesem Gebiete ge­ macht haben, dass besonders in diesem Jahrhundert ein ungemein reges Interesse aller Orten dafür wach geworden ist, und dass die äusseren und inneren Zustände der Schule in jeder Eichtung sich gebessert haben. Aber thöricht wäre es, um deswillen jener schwachen Anfänge nur verächtlich zu gedenken, thöricht wäre es, dje Mängel, die auch unsrem heutigen Schulwesen noch ankleben, zu vergessen, thöricht wäre es, zu glauben, dass wir am Ziele seien und das Ideal schon verwirklicht hätten. Wir sind ihm immer noch ferne. —

Anhang.

1. Schul Ordnung für die Kaiserlich des halligen Reichs Statt Augspurg. *) V o r r e d. Nachdem nichts, wie gut es immer angerichtt, in bestendigem wesen beleihen mag, es werde dann mit gewisser mass und guter Ordnung unnderhalten: Hat ain Ersamer Rath der löblichen Statt Augspurg nit allain für nützlich, sonnder auch gantz notwendig geachtet, nachfolgende Ordnung fürzunemen und zu bestädtigen: darinn auf das kürtzest begriffen, was der ordenlichen Schulherren Ambt sey: und wie sich die Schulmaister, bede Latinischer und Teutscher Sprach, in dieser Statt mit der zucht und lere: Dessgleichen auch die Schüler in gehorsam und lernung halten sollen. Dann bissher genugsam durch die tegliche erfarun^ erlernet und befunden worden, das dises Christlich notwendig werck der aufgerichten Schulen gar bald verfallen und sein begert ennd gar nit erlangen, wa dasselbig nit mit Städter und bestendiger Ord­ nung und tapfferkait erhalten wurde, also dass ain jeder seinem fürgeschribnen und zugehörigen Ampt und Dienst auffs fleissigest nachkeme. Dann wie kain Schiffmann das Schiff, noch Hauptmann das Heer, noch haussvatter das hauss, also mügen auch die Schul­ herren und Schulmaister die Jugent, so zu zucht und lernung verordnet, nit recht und wol underweisen und regieren, wa nit guter form, lere und weis nachgangen wurd. Darumb ist ains Ersamen Raths diser Statt ernstlicher will und befelch, nach­ folgende Ordnung aufs trewlichest und also ins werck zefüreii, 1) Nach einem alten Druck der Münchner Staatsbibliothek, ohne Jahrzahl. — Diese Schulordnung ist jedenfalls nach der Einführung des Interims verabfasst. Wann sie aber publiciert worden, ist nicht genau zu bestimmen. Sie stimmt mit der von 1551 bis auf einige Zusätze und Abänderungen wörtlich tibereinDiese Abänderungen sind jedoch der Art, dass es unmöglich ist, nur eine Redactionsverschiedenlieit darin zu sehen.

58 auch zu erhalten, dass die unerzogne Jugent erstlich zu Gottes eer, also auch zu gemainer Statt nutz und Christenlicher besserung angefürt und erzogen werde: Darob auch ain Ersamer Rath mit besonnderm fleiss und ernnst auss den genaden Gottes gedenkt zu halten, und ob was unbillichs darwider fürgenomen wurde, mit gebürendem Einsehen abzuschaffen. Von den Schulherren. Die verordenten Schulherren auss den gelerten sollen wissen, das jnen nit ain geringe, sonnder treffenliche sorg, daran gemainer Statt vil gelegen, vertrawt und befolhen ist: Welche sy mit möglichem fleiss und trewen, so sy erstlich Gott, darnach ainem Ersamen Rath und gemainer Statt, als jrem Yatterlannd schuldig, verwalten und verrichten sollen. Jr gewalt soll sein, ain aufsehens auf die Schulmaister und Schulen, bede Latinisch und Teutsch, zu» haben. Und was sich in denselbigen für Sachen werden zutragen, die ains einsehens bediirffen, die sollen für sy gebracht und durch sy von Ambts wegen auffs fruchtbarlichst, so jnen möglich, gebessert werden. Erhübe sich etwas in den Schulen, die Schulmaister oder die Schüler belangend, das jnen wölte widerwertig oder sonst zu schwer sein, so solln sy solchs für die Obersten, jederzeit von ainem Ersamep Rath gesetzte Schulherren pringen, und von den­ selbigen oder durch dieselbigen von ainem Ersamen Rath ain entschid begeren und nemen: Darinn jnen auch gebürlicher Beystand gelaistet und bericht gegeben soll werden. Es sollen auch dise verordnete Schulherren ain fleissigs aufsehen haben, was zu jeder zeit der jugent in den Schulen für­ tragen werde und etlich mal im Jar dieselben in jrem beysein lassen examinieren, und, welche sich gebessert, fürter zu weiter lere verordnen, damit notwendiger fleiss und ernnst bey der jugent erhalten und den fleissigen zum Aufsteigen und fürganng der lere geholffen werde. Dieweil *) aber jnen von ainem Ersamen Rath weder mass noch weiss, was zu jrem Ampt und befelch jeder zeit von nöten und wie zu hanndien sein werde, ausstrucklich und mit namen fürgeschriben werden kann, ist jnen von ainem Ersamen rath solchs unter jnen selbs mit ainhelligem Rath, zu dem sy jre not*) Dieser ganze Absatz fehlt in der mit der Jahrzahl 1551 versehenen Schulordnung.

59 wendige versamblung haben sollen, auffs trewlichest zu bedencken und alle zeit nach gelegenhait zu handlen jrem verstannd und fleiss haimgesetzt. Und hierzu sollen sich die Schulmaister und Schüler, samptlich oder sonderlich, gegen den Schulherren kaineswegs ungehorsam, sonnder nit anders, dann als were solchs von ainem Ersamen Rath ausstrucklich gesetzt und Specificiert, allzeit willig und gehorsam erzaigen. Es sollen auch die verordneten Schulherren, wo man ains Schulmaisters bedarff, sich nach ainem bewerben, und so ain be­ quemer, brauchsamer gefunden, denselben mit der stimm der Obersten Schulherren annemen, und in versammleter Schul mit besonderm fleiss und ernnst einsetzen. Were») aber sach, das ain Schulmaister auss ursach zu Urlauben, sollen sy dasselbig auch nit thun, one yorwissen und befelch der Obersten Schulherren, und also, das es dem, so zu Urlauben, ain Quattemper zuvor anzeigt werde. Von den Schulmaistern in gemain. Solche2) Schulmaister sollen angenommen werden, die nit allain mit gebürender und zu jrem dienst notwendiger kunst ver­ fasst, sonnder auch am Glauben und Christlicher Religion gesund, *) darzu ains untadelichen lebens und erbaren wandeis, den kindern mit Lere und zuckt besserlich und Christlich fürgesetzt werden künden, die auch nit mit zuvil senfte der jugent ain ursach zur liederlichhait, noch mit zuvil ernst und strenge die freyhait der jugent verzagt und hinderschlögig machen. Es soll kain Schulmaister, auch der Primarius nit, etwas auss aignem fiirnemen, one wissen und bewilligung der Schulherren, ordenlich in der Schul lesen. Ausserhalb der Ordnung ist ainem jeden zugelassen zu lesen und zu leren was er will, soferr das nit sey wider die gesunde lere unsrer Christlicher Religion. Es soll auch kain Schulmaister sonderliche Discipul oder Kostknaben haben, die er nit in die gemaine Schul zun andern knaben füre, und in die Classes setze, die jnen gebürlich sey und in die sy der Primarius, nachdem sy Examiniert sind, zu setzen verordnet habe. Es soll auch ain jeder Schulmaister, er sey Latinisch oder Teutsch, wann jm ain knab zugefürt wirt, den öltern zuvor sagen, 1) Dieser letzte Satz fehlt gleichfalls in dem Exemplar von 1551. 2) Auch dieser Absatz findet sich in der 1551 publicierten Schulordnung nicht. 3) Man erkennt an diesem unbestimmten Ausdruck die Zeit des Interims.

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das sy jr kind werden lassen nach Ordnung der Schul halten und ziehen: Wa sy dp,s nit gestatten wolten, das sy jr kind widerumb mit jnen haim nemen und es jrs gefallens selb ziehen. Es soll weiter auch kain Schulmaister ainiche offenliche Lection ausserhalb der Schul umb belonung lesen, es sey jm dann von den Schulherren erlaubt. Die Schulmaister sollen ainannder, so es die notdurfft erhaischet zuspringen. Es soll sich aber kainer one ursach von seiner Arbait abziehen. Von den Schulmaistern insonderhait: Und erstlich von dem Primario. i

Es soll unnder den Schulmaistern bey Sanct Annen (damit ain bestendige Ordnung gehalten werde) ain Oberer und Primarius sein, der ain teglich aufsehen auf die andern und jre Schulen habe: Dann ja nit möglich, das die Schulherren solch teglich aufoehen verrichten können. Der soll sein auf dissmal, bis die notdurfft ain anders erfordert, der über die Dritte Classen gesetzt ist und zukünfftig wirdt. Es soll auch diser Primarius sorg tragen auf die zwo mindere Schulen zu unser Frawen und zu St. Ulrich, über die Stipendiaten und den Pedagogen von St. Ulrich.») Wa die notdurfft etwas erheischet, soll er mit den Schulherren darvon hanndien. Er soll in dem Examinieren der Schüler in allen Schulen zu St. Annen, zu unser Frawen und zu St. Ulrich den Schulherren beystendig sein. Wann man Schüler annimpt und in die Qlasses setzet, soll er sy aufzaichnen in ain Register und sy nach jrer geschicklichhait setzen. 1) Statt dessen heisst es 1551: „Es soll auch dieser Primarius sorg tragen auf die Stipendiaten und den Pedagogen von St. Anthony.“ Und später sind statt der Schulmeister von Unser Frauen und [St. Ulrich die von St. Martin genannt. Wäre obige Schulordnung aus der Zeit vor 1548, so liesse sich die Sache leichter erklären. Denn damals hatte sich der Rath der Aufsicht über die Stiftsschulen bemächtigt, oder vielmehr dieselben in städtische umgewandelt. Ihre ganze Fassung aber spricht dafür, dass sie erst nach der von 1551 er­ schienen ist. Ich vermuthe deshalb, dass nach der durch Churfürst Moritz 1552 hervorgerufenen Regimentsänderung die Stiftsschulen noch einmal vorübergehend unter des Raths Aufsicht kamen und dass man damals die Schulordnung von 1551 mit einigen Zusätzen und nothwendig gewordenen Abänderungen noch ein­ mal publicirte. Unerklärlich bleibt mir dabei nur, dass St. Martin, das doch immer eine Stadtschule gewesen, dabei gar nicht genannt wird.

61 Wann ain knab, den man aufnemen will, Examiniert werden soll, soll er darzu nemen die zween undern Schulmaister bei St. Annen. Er soll die Classes teglich besuchen, der Knaben ingenia und fleiss, auch insonderhait, wa es notwendig, erkundigen und mercken. Von dem Secundario das ist der Anndern Classes Schulmaister. Diser soll so wol gelert sein, das er, so es die not erfordert, den Primarium verwesen künde. Er soll verpflicht sein, so es von nöten were, in der unndern Schulen Examinieren zu helffen. Von dem unndern Schulmaister zu Sanct Annen. Diser soll zum wenigsten so gelert sein, das er nit allain die Ersten Rudimenta, sonnder auch die Grammatica wisse die Kinder zu leren, und die Zungen der Jugent, nach Lateinischer Sprachart, recht ausszufüren. Er soll, wa es jm befolhen wirdt, die Schulherren zusamen berufen. *) Er soll kainen Schüler annemmen one wissen dess Primarii. Und'wa ein Schüler in der lere dahin noch nit kommen, das er anzunemmen sey, soll jn auch der Primarius nit annemmen. Dann kainer dahin gehört, er seye dann nach Ordnung der Schul dahin auss den mindern Schulen gewelet, oder in dem Examen also be­ funden, das er den andern Knaben in diser Classen zugestelt werden möge. Von den mindern Schulmaistern zu unnser Frawen und zu Sanct Ulrichen.*) Dise Schulmaister sollen nit weniger gelert sein, dann der zu Set. Annen in der unndern Classen ist. Sy sollen auch kainen Schüler annemmen, der der Oberen Schul tauglich sey, sonnder den dem Primario zu Set. Anna zuschicken. Solche knaben sollen sy annemmen, die aintweders gar nichts künden, oder aber in den Teutschen Schulen haben lesen gelernt. *) Er war also zugleich Pedell. 2) Statt dieses ganzen Abschnittes findet sich in der Ordnung von 1661 folgender Passus: „Von den Schulmaistern zu Sanct Martin. Dise Schulmaister sollen sich nach gelegnheit jrer Schul den zu Sanct Anna gemess halten.“

62

Sy sollen auch ainen jeden Knaben nach seinem fürfaren setzen, darmit ain eyfer zur lere unnder jnen erweckt werde unnd das man wisse, wievil ain jeder in der lernung zunemme. Wann sy die Namen der Kinder einschreiben, sollen sy die nit allain in ain Tafel zaichnen, sonder auch in ain Register, mit verzaichnung dess tags, damit man wissen künde, wie lang ain jeder in die Schul ganngen sey. Es soll auch auss disen minder Schulen kain Knab vor jars frist gen St. Annen genommen werden. Dann ain jedes Kind ain Jar genug zu schaffen hat in den undern Schulen, es sey dann, das es vorhin zum Teutschen Schreiber hat lernen lesen. Was sich schwers bey jnen zutragt, sollen sy für die Schulherren bringen und one deren vorwissen nichts unbreuchlichs fürnemen. Es soll auch ain Schulmaister bey unser Frawen und zu Set. Ulrich, so er über die Fünfzig knaben hat, ainen Substituten haben, darmit er der jugent möge genug thun. Von Zucht der Jugent. Dieweil an der Zucht nit weniger, sonder etwas meer, dann an der lernung gelegen, will ain Ersamer Rath haben, das von den verordneten Schulherren und Schulmaistern in allen Schulen gewisse Satzung zur Zucht und guten Sitten der Jugent dienlich gemacht und mit ernnst gehandthabt werden, es belange Klaider oder geberden oder den wanndel der Jugent, es seye in den Schulen oder auf den Gassen, darmit die leichtfärtige Jugent in guten geberden und Sitten auferzogen, mit jrem lernen dem Allmechtigen eerlicher, und gemainer Statt zierlicher und breuchlicher werde. Von der lernung der Jugent in gemain. Erstlich: Dieweil die Schulen under den Christen fürnemlich der Religion dienen sollen, will ain Ersamer Rath haben, das in allen Schulen diser Statt wuchenlich auf bestymbten Tag nach jeder Schulen gelegenhait solche Lection oder Catechismi gehalten werden, die den gemütern der Jugent den rechten waren Glauben an Christum Jesum, unnsern Herrn und die wäre Gottseligkait dess Lebens auch dess Gepets einbilden. Zum Anndern: Soll der Jugent fleissig einbildet werden, was sy nach Gott jrem Vatterland schuldig, in welchem sie geporn und nit schlecht, sonnder Christlich und erbarlich jnen und jederman zu nutz auferzogen werden.

63 Zum Dritten: Sollen die Schulmaister im leren und unnderweisen sich der Jugent gemess hernider lassen und nach jedes gelegenhait sich mit fragen oder antwortten also hallten, das besserung volgen möge. Zum Vierdten: Sollen die Schulmaister besondern fleiss an­ wenden, das sy die Jugent erstlich leren (lesen), recht ordenlich und wol, und demnach auch behend Schreiben: Dann wol und förtig Schreiben ist halb gestudiert. Zum Fünfften: Soll kain Schulmaister one vorwissen der Schulherren von dem lernen ainen Feyrtag machen, ausserhalb der breuchlichen, als Sonntag, Donnerstag nachmittag, und die Jartag Sanct Michels und Sanct Ulrichs. Endtlich sollen die Lectionen mit dem Veni sancte in den Latinischen Schulen und mit ainem offnen Gepet in den Teutschen angefangen, und mit ainem Gepet in den Latinischen und %in Psalmen in den Teutschen Schulen die Jugent wieder haim ge­ lassen werden. Von der Lernung insonnderhait. Was aber in jeder Schul, es sey bei St. Annen in der Unndern, Mittel und Obern Classen oder bey unser Frawen und zu St. Ulrich der Jugent insonderhait, nach jeder Schulen gelegen­ hait, fürtragen werden soll, will ain Ersamer Rath kains wegs dulden, das solchs im gewalt und willen ains jeden Schulmaisters stände: damit die Schulmaister nit mer, was jnen selb lustig, dann was der jugent bequemlich und dienlich für die hand nemen ; sonnder es soll jnen von den Schulherren sampt dem Primario bey Set. Annen zu jeder zeit befolhen werden, was sy die jugent leren sollen. Es will auch ain Ersamer Rath insonderhait befolhen haben, das die Jugent nit mit vilerley Büchlin überschüttet werde, dann sollichs den ingeniis der jugent schädlich, der lernung hinderlich und den Armen Eltern beschwerlich, in welches die Schulherren ain sonderlichs Einsehen haben sollen. Von den Stipendiaten und den Knaben zu St. Ulrich.1) Wenn man Stipendiaten auf die Hohen Schulen zu schicken oder Knaben gen St. Ulrich aufnemmen will, soll man zum ersten i) Statt dessen heisst es 1551: Set, Antlionj.“

«Von den Stipendiaten und den knaben zu

64 weder gunst noch pit noch Schanckung ansehen, sonnder die annemmen, die erstlich in der Obern Classen zu St. Annen unnder dem Primario oder auf ainer Hohen Schul gestudiert haben, und mit gepürender Prob darzu geschickt erfunden; nach dem die Armut halben dem Studium sunst nit nachkommen künden. Solche sollen erstlich durch die Schulmaister anzaigt, demnach durch die Schulherren mit bewilligung der Obern Schulherren angenommen werden.

2. Denkschrift von Matth. Schenk. 1555 ’) Ad prudentissimos viros, ornatissimos homines, Dominos Scholarchas, M. Schenkii de restituenda in antiquum statum schola oratio.

Quod molestum aliis ludimagistris fortassis est, quod scilicet ad eorum, quos Scholarchas nominamus, nutum ac voluntatem rationem administrandae scholae accomodare coguntur, id tantum abest, ut mihi grave sit, vix ut me quidquam aliud in munere tarn laborioso aeque recreet atque sustentet. Nam cum in bene constituenda recteque gubernanda schola et consilio et labore opus sit, prudenter ita sunt distributae Scholarcharum et ludimagistrorum operae, ut hi docendi, illi vero consulendi partes sibi sumant. Cum nullus sit, neque tarn experitus (sic) ac prudens praeceptor, neque tarn laboris patiens ocioque abundans Scholarcha, ut utrumque munus simul obire aut possit aut velit. Quare quod adjuncti mihi sunt quasi t'gcopot Scholarcliae, qui me in re tarn difficili adjuvent, et gravissimam oneris partem ipsi suscipiant, mihi labores solos quotidianos relinquant, magna me cura molestiaque levatum puto. Nam quomodo conquiescere obsecro unquam et vel spiritum tranquillum ducere possem, nisi eo quo dixi modo, certis quasi flnibus esse circumscriptam muneris mei rationem scirem, meoque officio me perfunctum haberem, posteaquam tradendis summa fide ac diligentia artium linguarumque praeceptis horas a vobis viris ornatissimis praescriptas quotidie consumpsissem, et deferendis quae incidunt erratis, de cavendo scholae interitu vos commonuissem ? Etenim qua spe, quibus cogitationibus alii in ferendo tarn gravi onere sese sustentent nescio, me scio hoc uno maxime niti, quod, cum munus certis quasi regionibus definitum geram, me et officio meo et vestrae de me expectationi atque mandato satis *) Aus den Aufzeichnungen Schenck’s, die das evangelische Wesensarchiv

enthält.

65 i'acere posse intelligo. Qua spe sublata, non Video, qüa re erigere me et solari in his tantis laboribus possem. Caeterum cum duplex sit muneris a vobis mihi assignati ratio, una in perferendis scholasticis molestiis sita, altera in tuendo scholae statu, denunciandisque imminentibus periculis: ego quod ad priorem illam docendi partem attinet, nequaquam mihi videor officio meo hactenus defuisse. Sed ne quam in erudiendis pueris me consecutum diligentiae laudem spero, eam tacendis ac dissimulandis quae scholam eversura esse videntur malis amittam: etiam de impendente ei (nisi occurratur) ruina vos commonefacere hoc tempore volui, atque instar naviculatoris boni de tempestate veniente admonere: ut si (quod nulla equidem his temporibus in spe pono) scholae optime constitutae famam et gloriam consequi nequeam, saltem (quod proximum est) depravatae ac perditae infamiam effugiam, et, si minus corrigendis quae in scholam irrepserunt vitiis hominum sermones vitare possum, at certe iisdem ad vos deferendis diligentiam meam vobis approbem. Ut ergo ad rem ipsam accedam tandem, dubium nemini esse existimamus, non posse de ullius scholae statu judicium aliunde fteri rectius ac certius, quam e puerorum, quibus illa constat, tum numero, tum eruditione: ita quidem, ut rectissime is ludus literarius habere credatur, in quo quam maximus sit puerorum erudi­ tione praestantium numerus, pessime autem ille esse comparatus judicetur, qui ex paucis et iis male institutis discipulis constet. Ad quam quasi normam ac regulam si etiam Augustanam hanc scholam nostram revocare atque examinare volumus, vix ipsum profecto scholae nomen retinere, viri prudentissimi, poterimus. Adeo nec numero, nec doctrina, non dico urbibus aliis frequentibus praestat, sed ne conferri quidem etiam potest. Nam ut de numero priore loco dicam, quis facile credat, in schola publica ßeipublicae tarn amplae ac celebris, et totius imperii quasi dominae, quaeque pueros habere discendis per aetatem literis aptos plus quam 2000 creditur, vix 150 literarum studiis deditos adolescentulos repqriri? Aut quis adduci (ut ad eruditionem veniam) queat, neminem ut in ea ipsa schola puerum eflSse credat, qui vel paucorum versuum epistolam componere mediocriter norit? Atque ita se res omnino habet, viri ornatissimi, D. Scholarchae, ut plus centum et quinquaginta discipulos in toto literario ludo nostro non inveniatis, et inter eos ipsos quidem nullum, qui in scribenda epistola non saepissime erret. Quod cum ita sit, cogitandum profecto nobis est (si facere modo officium nostrum volumus) quo pacto hanc neglectae 5

66 scholae maculam effugiamus: Ne ex omnibus bene constitutae Reipublicae partibus haec una deesse nobis videatur. Neque vero existimare debetis ab eo ipso demum tempore, quo ego docendae pueritiae munus vestro jussu suscepi aut certe ulla mea culpa ita collapsam et in hune locum rcdactam scholam esse. Jam antea labi coepit et ruinam minata est. Nam quod ad puerorum multitudinem attinet, major certe quidem bodie eorum est frequentia, quam quo primum die scholam ingressus sum; quod vero ad studia ipsa scholastica (ex quibus facilius statui de re tota potest) nec tum ita ut ego mihi persuaseram et plerique credidere, fuerunt instituta, neque hodie ita habent, nihil ut desiderari possit: quin ita sunt nunc comparata, ut nisi mature ei rei prudentia vestra succurratur, nullus tandem puer in hac nostra schola ultra primas literas progressurns esse videatur. Id adeo unde et qui fiat, ut edocere vos, viros clarissimos, possim, totius scholae statum vobis ob oculos ponatis necesse est. Scitis ergo, in ordines sive classes quatuor universam puerorum multitudinem in hoc nostro ludo literario esse distributam, jamque inde a multis annis satis prudenter institutum, ut in quartam (quam eandem infimam facimus) nulli nisi legendi admodum periti ex Martiniana schola recipiantur: In tertia vero solis iis, qui jam grammatica praecepta cum authorum explicatione conjungunt, locus sit, ii denique in proximam hoc est secundam tribum translati ad classem supremam non admittantur, nisi in cognitione linguae latinae eo progressi sint, ut Graecis literis discendis et audiendis Dialecticae atque Rhetoricae praeceptionibus idonei sint. Scitis praeterea illud quoque, eam esse classium rationem, ut si in una peccetur, hoc est, una aliqua etiam ex inferioribus suam dignitatem non retineat, salvae esse et locum suum tenere caeterae non queant. Superiori autem proximo anno, quo scholae Martinianae cura D. ßongartnero a vobis est commissa, nos a veteri illo et inprimis utili scholae instituto (quo e collegio nostro excludebantur, qui literis nullis imbuti essent) recedere coactos et pueros r.vaXrpaß/jrovq etiam quique fari per aetatem vix possunt in scholam recipere. Quo quasi ariete, ita non modo percussa, sed et *labefactata ea est, ut ex eo tempore pejus pejusqua habere in dies coeperit. Etenim cum qui in infimam tribum recipiebantur pueri non eos haberent in literis progressus, quos oportebat, docendi certe quidem etiam tota ratio ie ea classe immutanda novaque ineunda fuit. In locum ergo elementorum Grammaticae atque Catonis, tabellae Abecedariae paulatim successerunt, idemque malum in reliquos etiam ordines

67 sensim penetravit, ita ut in secundo ordine illi tandem fuerint explicandi libri, qui antea tertio utiliter faerunt propositi, nec ulla classis dignitatem suam amplius tueri potuerit, cum qui in superiorem locum transferentur pueri, eos gradus eruditionis non haberent, ut ejus in qua collocarentur classis authores intelligere possent. Ad summam: eo res tandem rediit, nt in supremum puerorum ordinem et eorum, qui in schola doctissimi liabentur, numerum, ii recipiantur, et (si conservare modo eam classem volumus) sint omnino recipiendi, qui (quod turpissimum est) unum et alterum verbum, ita ut puri sermonis ratio postulat, connectere non possunt. J) Atque his ipsis tarn egregie scilicet institutis pueris Isocratem Graecum vestro jussu, viri prudentissimi, interpretor, imo Ehetoricen praelego, et quibus nihil prope in liac arte absolutius extat, Erotemata Dialectices D. Philippi explico, hoc est, ornate dicendi, prudenterque disserendi artem iis trado, quos pure loquendi praecepta ignorare haec ipsa scripta, Cicerone (si Diis placet) digna testantur. Quamquam vero certum est, hoc malum ex amissa temporum vitio classium dignitate, ut dixi, potissimum proficisci: tarnen dubium profecto non est, quin aliqua ejus rei culpa in ipsis etiam collegis meis haereat De quibus ut singulis seorsim dicam, meamque sententiam exponam, B. L. (Leonhard Bavarus oder *) Zum Beweise des Gesagten fügt Schenk nun die wörtliche Abschrift von fünf fehlerhaften Probearbeiten seiner Schüler bei, die ich weglasse. Den deut­ schen Brief jedoch, den ihnen Schenck zur Uebereetzung gegeben hatte, füge ich hier bei, da daraus ersichtlich ist, welche Anforderungen er stellte: Tiro M. T. Ciceroni S. D. Wiewol ich nit gezweifflet hab, du würdest mir (nach deiner liebe gegen mir) ganz offt, auch ob dem weg schreiben, jedoch hast du im selbigen fall mer thon, dann ich vermeint hab. Dann on ander vil brieff, die du baldt auff einander an mich geschriben, hab ich gestern, das ist den 12. Dezember 3 von dir em­ pfangen , so voller lieb und sorgfeltigkeit, das, wann ich dein bruder were, du kein grossere und gewissere anzeigung der höchsten lieb hättest geben künden. Und dieweil ich dann verston, dich meiner kranckheit halben so fast bekümmert sein und dich bemühen, das ich aufs beldest dir nachziehe, so wil ich auch von deinetwegen allen vleiss ankeren, das ich aufs beldest bey euch sey, wiewol ich dir gar nit gestand, das du begiriger seiest mich zu sehen, dann ich dich. Allein biss guets mueths und meinethalben on sorg, damit nit diss dein Sorg­ fältigkeit dich auch in das bett bring. Dann es soll mir weder an vleiss in meiner erholung, noch an der fürsichtigkeit und behutsamkeit manglen. Mitlerweil aber wil ich das verlangen, so du nach mir hast, mit brieffschreiben sovil ich kan miltern, in welchem so ich dir mit vleiss nit kan genug thon, wellest du es mer der wenige der hotten, dann mir zuschreiben.

5*

Baier) quidem, qui proximum mihi locum in schola obtinet, dupliciter in officii ratione obeundoque munere suo (quod sine odii suspicione dixerim) peccat. Primum quod non satis magnam cum diligentiam et industriam, tum authoritatem severitatemque in docendo adhibet. Deinde quod bonam etiam ejus temporis, quo scholae operam quotidie damus, partem, in instituendis nescio quorum locupletum civium filiolis (qui vix dum literas connectere norunt) consumit. Quare quantopere reliquorum adolescentulorum, qui in eadem tribu sunt, studia impediantur, nolo exaggerare dicendo, ne ejus odio potius, quam officii ratione adductus commemorare quidquam yidear: tantum dico (quod negari sane non potest) pueros in discipliuam ei traditos eura eruditionis locum, qui isti ordini propositus est, non assequi, sed in meam classem praeceptionibus Grammaticis vix degustatis transmitti. Quod cum ita esse liquido modo ex ipsorum scriptis cognoveritis, non laborandum mihi magnopere censeo, quo paote ödem vobis ejus rei faciam. Neque enim ubi rerum testimonia adsunt, multis verbis opus est. Ad J. P. (Johannes Pellio) ergo venio, de quo jam misso facto, ut pauca dieam, cui obsecro vestrum ignota fuit ejus in obeundo munere negligentia? Tarnen eüm invitum retinendum quidam esse putarunt, et retinuerunt quidem annum totum, invitis canibus sc. venaturi. Equidem quid odii sentiam nescio: ego praeclare cum schola actum judico, quod homine animo a ludo literario tarn alieno, et a laboribus seholasticis adeo abhorrente liberata sit: praesertim cum is ei successerit, qui nullum objurgationi locum relicturus esse videatur. Jo. Sprengius videlicet, qui quod molestias prima Latinae linguae elementa atque adeo literarum notas in tanta puerorum turba docendi perferre diutius noluit, in eo suis magis, quam scholae rationibus consuluit. Idque veteri multorum exemplo, qui ipshquoque ubi primum eam provinciam (paedagogi nimirum) coepissent de ea deponenda cogitarunt. Quod quanto scholae malo fiat, quid attinet dicere? Etenim cum omnino Alphabetarios istos pueros, qui superioribus annis in ludum D. Martini ut scitis oranes mittebantur, in collegium hoc nostrum admittere recipereque, aut placeat aut sit necesse, par certe quidem et opus erat eorum vel praecipuam habere rationem ac curam, atque eos illis attribuere institutores, quorum quam maxime diuturna opera uti possent, cum quod maximus eorum est eritque semper in ludo literario numerus, tum quod illis tanquam surculis neglectis, nullas unquam sumus habituri vel in schola vel in republica justas et frugiferas arbores. Quam autem sit hoc factum hucusque negli-

60 genter, ipsi mihi testes estis, viri hnmanissimi, qui scitis nulluni hactenus ei muneri diu praefuisse, sed brevi hoc admodum temporis spacio, quo ego primarii partes sustineo, et Simonem Schart et Alberum et Michaelem Lucium et Jo. Sprengium officio hoc paedagogi functos et expectari jam nescio quem Sam. Dilpaumium prope menses duos totos, meis discipulis eas partes obeuntibus, hoc est, infimae classis pueros erudientibus. Quod etsi certum est scholae multum incommodare, tarnen non commemorem, nisi idem saepe etiam antea, dum tardius alius alii succedit, esset factum, multosque viros bonos, qui instituendos nobis liberos suos tradiderunt, ea re graviter oflendi constaret, atque hoc quidem gravius oflendi, quod eam ipsam Alphabetariorum classem non, ut caeteras, etiam loco sejunctam distinctamque a tertia esse sciunt, sed in unum idemque hypocaustum, plures propemodum quam capere locus ipse possit pueros, apud nos detrudi vident. Ex qua sane quidem duarum classium conjunctione, praeter clamores perpetuos discentium seseque exercentium, illud etiam existit incommodi, quod cum duo in eodem hypocausto sunt doctores atque magistri, bonam temporis partem privatis sermonibus consumunt, et plerumque alter dum alterüm adesse in ludo literario seit, aut affore sperat, securiore animo a schola abest, aut tardius certe venit. Atque haec cum ita sint mirabimurne, aut indigne, viri ornatissimi, feremus, quod multi parentes aliam instituendorum filiorum rationem hodie quaerunt atque ineunt? Existuntque nunc, non dieo tarn multi civium opulentorum paedagogi (nam id quidem novum non est), sed scholae privatae, quodque hic sex, illo octo, alius decem suscipit erudiendos discipulos? Equidem dubium non est, de scholae publicae nostrae authoritate et fama plurimum per eas ipsas detrahi, sed profecto nisi quae commemoravi vitia emendentur, iis interdici nemini meo judicio potest. Nam qua fronte cuiquam privatis scholis interdicas, cum curae tibi non sit, melius instituere publicam ? Aut ad publicam frequentandam quenquam adigas, quum non desint in quibus majores progressus facere possis, pri­ vatae? Quare aut nulla aut haec certe est sola tollendi scholas privatas nobis relicta ratio, ut optime instituamus publicam, quod quidem nisi fecerimus, quid futurum tandem de ea sit, facile me tacente intelligitis. Sed ut ad alia pergam, Jioc quoque nomine melius superioribus illis annis schola habuit, quam hodie, quod in Scholarcharum numerum tum asciscebatur semper unus alius ex Ecclesiastis, qui non modo de rebus ad scholam attinentibus una cum aliis deliberabat, sed et quoties decrescere scholasticorum

70 numerum videbat, et ad paucos redigi, de eo populum publice admonebat et accusabat, scholarumque conservationem, propter linguarum atque artium adeoque literarum sacrarum cognitionem, necessariam esse ostendebat, qua Ecclesiastae exhortatione flebat, ut non solum parentes plerique liberorum animos ad amanda colendaque literarum studia traducerent, sed et multi viri boni atque divitiis affluentes adolesceritulos literarum studiosos suis sumptibus alerent, quae ipsa deinde stipendiorum institutio ad augendum scbolasticorum numerum maximopere conducebat, cum etiam cives tenuiores, spe consequendi stipeiidii, suos filios ad Magistros lite­ rarum mitterent. Neque vero dubium est, quin idem hodie quoque efflcere dicendo ad populum concionatores possent, si quae muneris scholastici pars illis demandaretur. Sed ea quae est inter nos in religione dissensio, ut multa alia mala atque incommoda in Respublicas, et ludos literarios invexit, ita a scholarum gubernaculis Ecclesiastas, magno earum malo, removit.“ Quod ubi factum est, cum nemo esset, qui populum de cavendo scholae interitu admoneret, et ad amanda studia cohortaretur, qui studiosorum puerorum inopiam sua liberalitate sublevaret, imo sublata essent magna ex parte publica etiam stipendia, quibus ad D. Anthonii olim adolescentes pauperes alebantur, circiter duodecim, haec quam videmus literarum studiorumque neglectio atque contemptio secuta est. Postquam vero illa etiam accessit classium perturbatio, et alia quae enumeravi mala scholam adligere coepere, admirandum certe non est, hanc, quam queror, a pueris (doctis praesertim) solitudinem in ea extitisse. Etsi enim frequentiorem hodie (quod idem etiam ante dixi), quam quo ego docere primum hie coepi anno, scholam habemus: tarnen cum ex Alphabetariis prope solis sit coriflata, quique a literis propediem, ubi majores facultatibus suis sumptus ad eas discendas requiri viderint, sint recessuri, solitudo certe quidem appellanda est, haec ipsa etiam qualiscunque frequentia, in urbe praesertim adeo, ut dixi, frequenti et celebri. Atque haec quidem sunt ea, quae vobis indicanda hoc tempore esse duxi, viri clarissimi, scholae exitium allatura vitia. Neque vero haec vel sola eam premunt, vel ejusmodi sunt, ut iis sublatis, optime ea sit habitura. Multa etiam alia in eam sensim irrepserunt, quae alio loco commemorabuntur, at ea quae exposui, talia sunt, ut nisi corrigantur, eversura tandem scholam esse videantur, sublata, talem eam fortassis sint relictura, qualem ego accepi. Neque enim id modo agimus, ut nostram de optimo scholae statu sententiam vobis exponamus (neque enim requirere vos puto meum

71 in ea re judicium) sed ut nullam corruptae ac labantis culpam in me residere ostendamus: quod cum fecisse me satis diserte putem: (etenim videre vos arbitror nullam meam culpam, neque im amissa classium dignitate, neque perturbato earundem ordine, neque in collegarum indiligentia, mutatione aut tarda successione, neque in classium duarum in locum tarn angustum constipatione, neque in male institutis, qui in meam transferentur, pueris, neque in sublatis stipendiis, neque in constitutis passim tarn multis scholis privatis, neque in neglecta a concionatoribus scbola publica, esse) reliquum est, vos ut rogem, primum ut eo quo scripsi animo, hoc scriptum accipiatis, deinde ut me liberosque meos commendatos vobis semper habeatis. Dabo ego vicissim operam, ut ne male eollocasse, quae in me contuleritis beneficia, cuiquam videamini. Yalete. Augustae.

DT.

Riedheim zur Zeit des dreissigjährigen Krieges. Von

Pfarrer J. Müller daselbst.

In der Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg (dritter Jahrgang, 2. und 3. Heft, Seite 157 etc.) werden die Schicksale des Klosters Elchin gen und seiner Umge­ bung in der Zeit des dreissigjährigen Krieges (1629—1645) aus dem Tagebuche des P. Johannes Bozenhart mitgetheilt. In diesen höchst interessanten Mittheilungen wird auch etliche Male der Orte Kiedheim (Kiethen) und WeissingenJ) Erwähnung gethan. Vielleicht ist es manchem Leser dieser Zeitschrift erwünscht, gleichsam zur Bestätigung und Ergänzung des Elchinger Kloster1) Es möge gleich hier die Bemerkung erlaubt sein, dass unter diesem Weissingen nicht der Ort Weissingen, B.-A. Dillingen, gemeint sein kann, sondern der zur Pfarrei Riedheim gehörende Weiler Weissingen, B.-A. Günzburg, welcher vom Kloster Elchingen ohngefähr eine Stunde entfernt liegt. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung lässt sich aus dem hiesigen alten Kirchenbuch führen. Im Tagebuch des Klosters wird S. 237 erwähnt: „Den 5. Oct. (1636) haben wir eine ziemlich gute Kirchweih gehabt, indem uns Herr Mörz von Ulm, welcher uns einen Baurenhof zu Weysingen abgekauft, einen guten Ochsen in den Kauf gegeben, an welchem wir bis zum Advent Fleisch gehabt.44 Dieser Herr Mörz von Ulm wurde Die Michaelis, 29. Sept. 1656 hier begraben und es heisst im Sterberegister der Pfarrei: „Ist allhier mit einer Leichpredigt zur Erden bestattet worden der EhrenVöste, Wolnorgeachte Herr Augustin Mertz, der ältere, seines Alters 53 jahr, welcher Freytags den 26. Sept. i?u Weisingen auff seinem Gut mit gutem Verstand, Christlich, sanft v. Selig hora merid. 12. verschieden. Requiescat in pace et resurgat ad Gloriam.44

73 tagebuchs Einiges * darüber zu erfahren, was ein benachbartes Dorf während jener Schreckenszeit hat durchmachen müssen. Man könnte allerdings einwenden, dass ja Riedheim den aller­ wenigsten Lesern kaum dem Namen nach bekannt ist. Allein meine Absicht ist auch nicht die, das bisher unbekannte Dorf Riedheim bekannter zu machen; sondern ich möchte nur einen kleinen Beitrag liefern zur Kenntniss dessen, was unsere Vor­ fahren in jenen drangsalsvollen Zeiten des dreissigjährigen Krieges haben durchmachen müssen. Vielleicht lässt mancher College dadurch sich ermuntern, seine vergilbten, alten Kirchenbücher zu durchforschen, und theilt uns dann mit, was er gefunden hat. Freilich ist das keine leichte Arbeit. Wir finden keine Tage­ bücher vor, sondern müssen aus den oft sehr schlecht geschrie­ benen Kirchenbüchern das Brauchbare mühsam zusammensuchen, um es dann zu einem Ganzen zu verbinden. Da aber die Leser unserer Mittheilungen sachverständige Männer sind, welche die Schwierigkeiten unserer Arbeiten wohl zu würdigen verstehen, so dürfen wir auch auf nachsichtige Beurtheilung hoffen. Doch nun zur Sache. Das Dorf Riedheim (früher Rietheim, noch früher Riethen geschrieben) liegt auf der linken Seite der Donau (ohngefähr 4 Stunden von Ulm und 2 Stunden von Elchingen entfernt), und gehörte in früheren Zeiten zur Markgrafschaft Burgau, obwohl im Allgemeinen die Donau die Grenze der Markgrafschaft gegen Nordwesten bildete (siehe die Denkwürdigkeiten des Oberdonau­ kreises 1824/25 von Dr. v. Raiser, Seite 107). Die Inhaber des Dorfes waren also vorderösterreiehische Lehenträger. Dieselben wechselten, sehr häufig. Der letzte war der Augsburgische Kauf­ herr Lucas Rem. „Seine hinterlassene Wittib, Magdalena Weiserin, verkaufte am 10. Februar 1502, Schloss, Burgstatt dabei und das ganze Dorf Rietheim it. den Kirchsatz, das Gericht, Zwäng, Bänn, alle Herrlichkeit und Obrigkeit, it. den Zoll u. s. w. um 8200 fl. gut rheinisch an die Stadt Ulm, alles für ledig und unbekümmert, wie es Lucas Rhem inne hatte und als Lehen vom löblichen Haus Oesterreich, regierden Landesfürsten Maximilian Römischen Kaiser“ (siehe Ulmer Rathsakten, sowie auch das im 26. Jahresbericht des histor. Vereins von Schwaben u. Neuburg für das Jahr 1860 von Studienlehrer Greiff mit Anmerkungen veröffentlichte Tage­ buch des Augsburger Kaufherrn Lucas Rem, Anmerkung 14). Das Schloss wurde nun vom Rath der Stadt Ulm mit einem Vogt besetzt, der dem Obervogt zu Leipheim untergeben war.

74 Diese V ögte waren meist Ulmer Patrizier und wurden desshalb als „edle und ehrenveste Junker“ angeredet. Es ist bereits von dem Heraus­ geber des Elchinger Klostertagebuches, Herrn Dr. P. L. Brunner, pag. 203 in einer Anmerkung erwähnt worden, dass die Stadt Ulm, als sie im Jahre 1632 einBündniss mit Schweden einging, wegen Riedheim, das ja österreichisches Lehen war, in einige Verlegen­ heit gerieth und desshalb einen Scheinverkauf vornahm, der, wie es scheint, von Oesterreich nicht beanstandet wurde, viel­ leicht weil das Haus Oesterreich damals seine ganze Aufmerk­ samkeit auf die Führung des Krieges lenkte und keine Zeit und Müsse hatte, sich um solche Kleinigkeiten zu bekümmern, vielleicht auch desshalb, weil die vorderösterreichischen Beamten von wegen der Kanzleisporteln den Sachverhalt, der ihnen doch wohl bekannt sein musste, höher hinauf mit Stillschweigen übergingen. Zehn Jahre später, 1642, bezahlte — laut Ulmer Rathsprotokoll — „die Stadt Ulm wegen Rietheim an die Regierung zu Inspruck 248 fl. 28 kr. Lehentax mit Einschluss der Kanzleisporteln.“ Und soviel wird wohl auch im Jahre 1632 bezahlt worden sein, vielleicht auch etwas mehr an Kanzleisporteln u. s. w., um die Angelegenheit recht bald glatt abzumachen. Da übrigens die Junker Vögte resp. Scheinlehenträger uns nichts Schriftliches über ihre Wirksamkeit und Erlebnisse während der damaligen Zeit hinterlassen haben, so müssen wir uns an andere Personen wenden, und das sind die damaligen Pfarrer.1) *) Im Jahre 1531 beschloss der Rath der Stadt Ulm sowohl in der Stadt als auch im ganzen Landgebiet die Reformation durchzuführen. Die reformatorische Bewegung hatte aber daselbst schon viel früher ihren Anfang genommen und ging vom Franziskanerkloster in Ulm aus. Johann Eberlin von Günzburg war im Jahre 1519 in dieses Kloster eingetreten, und Heinrich von Kettenbach kam um’s Jahr 1521 eben dahin. Diese beiden griffen die Kirche und ihre Einrichtungen an, und dabei gebrauchte besonders Heinrich von Kettenbach sowohl in seinen Predigten als auch in seinen Schriften eine ungemein heftige und derbe Ausdrucksweise. Die Folge davon war, dass sie sich in Ulm nicht lange halten konnten und das Kloster verliessen. Allein die reformatorische Bewegung hatte nun bereits ihren Anfang genommen und liess sich nicht mehr unterdrücken. Ja, sie nahm mehr und mehr zu, als „Johann Diepold, genannt Dollfuss, Prediger in Unserer Lieben Frauen Kirche vor der Stadt Ulm auf dem Gottesacker44 seit dem Jahr 1523 mild und sanft und ohne bittere Ausfälle auf die Gegner seine immer zahlreicher werdenden Zuhörer mit Luthers Grundsätzen bekannter machte und an seinen Collegen Schrein, Weithals und Schichting Gesinnungsgenossen erhielt. Die Anhänger Diepolds stellten an den Magistrat das Ansuchen, noch einen Prediger dieser Richtung zu berufen. Und der Ma­ gistrat, auf diese Bitte eingehend, berief im Jahr 1526 den Konrad Sam, der um

75 Vier Pfarrer waren hier während des dreissigjährigen Krieges der Eeihe nach im Dienst: 1. 2. 3. 4.

M. M. M. M.

Ulrich Beckelhaub von 1608 bis Dez. 1630, Balthasar Bachmann von 1631—1636, Christoph Pfauz von 1636—1639 und Johannes Ströhlen (auch Strehlen) von 1639—1656.

Betrachten wir zunächst die Erlebnisse des M. Ulrich Beckelhaub. Am 13. October 1608 zog er hier auf und bereits anderthalb Jahre später war der Ort und die ganze Umgegend mit Soldaten über­ schwemmt, so dass Beckelhaub in das Communikantenverzeichniss im Frühjahr 1610 schreiben konnte: „Summa summarum seind von Manns- und Frawenpersonen auf den hl. gnadenreichen und hochtröstlichen Ostertag der siegreichen Auferstehung unsers HErrn und Erlösers Jesu Christi 131 zum Nachtmahl gegangen. Seind darum fleissig und in grösserer Anzahl gegangen zu dem Tisch des HErrn jung und Alte wegen Kriegsgefahr, so nun im Schwange geht, sich zu dem HErrn zu bekehren. Dazu sie denn auf das fleissigest auf der Kanzel seind vermahnt worden. Seind hin und wieder in allen Landen und Fürstenthumben und Städten Quartier, auch fast in allen Flecken unsers lieben Vaterlands diese Zeit von der erzherzoglich österreichischen Regierung im Herzogthum Württemberg seines Pfarramtes in Brockenheim entsetzt worden war, weil er den nach Brockenheim gekommenen Johann Eberlin im Pfarrhause beherbergt hatte. Dieser Konrad Sam (auch Som oder Saum) wurde die Seele der ganzen Bewegung. Da aber Sam zwinglisch gesinnt war, so wurden, als der Rath der Stadt Ulm im Jahre 1531 die Reformation durchzuführen beschloss, auf Sams Anrathen als Gehilfen hei dieser Durchführung zwinglisch gesinnte Männer nach Ulm eingeladen, nämlich Mart. Bucerus, Argent., Joannes Oecolampadius, Basil. Ambrosius Blaurerus, Constant. Dazu noch der evangelische Prediger Zimprecht von Memmingen und Bartholomäus Müller* von Biberach. Erst Sams Nachfolger, Martin Frecht, hat dann die schweizerische (zwinglische) Richtung verdrängt und die Reformation in Luthers Sinn und Geist vollendet. — Im benachbarten Städtchen Leipheim, das gleichfalls zum Ulmer Gebiet gehörte, hat bereits ums Jahr 1524 der Stiefbruder des Johann Eberlin, der Pfarrer Hans Jakob Wehe, sich von der alten Kirche losgesagt, auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgetheilt. Da aber Wehe sieh in die Bauernunruhen hineinziehen liess, so wurde er, nachdem am 4. April 1525 die Bauernhaufen am Biberberg bei Leip­ heim von Georg von Truchsess, dem Obersten der schwäbischen Bundestruppen, geschlagen worden waren, am Abende des folgenden Tages auf freiem Felde zwischen Leipheim und Bubeslieim enthauptet. — Der erste Protestant. Pfarrer von Riedheim (seit 1532) war Wolfgang Russ, vorher „Gesellpfaffe11 zu Oettingen (Altötting) in Bayern, ein Mann, der den Kennern der Kirchengeschichte nicht unbekannt ist.

76 Soldaten einfurieret und gelegt worden. Deus nobis ob nomen et meritum Jesu Christi caelitus succurrät. Amen.“ Es wurden auch von diesen Soldaten in Riedheim zwei getraut und zwar auf Be­ fehl des Capitains schon nach einmaliger Proclamation. Einer von diesen hier copulirten Soldaten war von „Wasendrigengen“ (Wassertrüdingen am Hesselberg). Diese damaligen Truppenbewegungen waren nur das Vorspiel des dreissigjährigen Krieges. Die katholischen und protestantischen Stände in Deutschland traten sich immer feindseliger gegenüber, und die Spannung wurde durch mancherlei Vorkommnisse verstärkt. Schon die Kalenderverbesserung des Papstes Gregor XIII. (1582), welche die Katholiken annahmen, die Protestanten dagegen zu­ rückwiesen, verursachte feindselige Berührungen, die sich täglich erneuten. Und nachdem einmal das gegenseitige Misstrauen er­ wacht war, so konnte es nicht fehlen, dass immer aufs neue Ge­ rüchte von verderblichen Plänen der Gegner auftauchten. Dazu kamen dann noch einzelne Ereignisse, durch welche die Besorg­ nisse vermehrt wurden. Besonders wurde auf protestantischer Seite die Besorgniss und wohl auch die Erbitterung dadurch aufs höchste gesteigert, dass der Eeichshofrath über die schwäbische Reichsstadt Donauwörth die Acht verhängte, weil eine vom Abt zum heil. Kreuz daselbst veranstaltete Prozession verhindert wor­ den war. Herzog Maximilian von Bayern, dem die Vollstreckung dieser Acht aufgetragen worden war, verwandelte die freie Stadt in eine bayerische Landstadt und hob alle evangelische Religions­ übung in derselben auf (1607). Da alle Klagen der Protestanten ohne Erfolg blieben, so schloss ein grosser Theil der protestanti­ schen Stände am 4. Mai 1608 zu Auhausen die evangelische Union ab, deren Haupt Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz, war. Die Katholiken setzten der Union alsbald die katholische Liga (1609) entgegen unter dem energischen Herzog Maximilian von Bayern. Beide Parteien rüsteten sich nun zum Krieg und standen bald genug bewaffnet und feindselig einander gegenüber. Eine Folge dieser kriegerischen Rüstungen war ohne Zweifel auch die Truppenconcentration in hiesiger Gegend, von welcher Pfarrer Beckelhaub, wie oben berichtet wurde, Mittheilung macht. Und da damals ein Paar protestantische Soldaten hier getraut wurden, einer auch von Wassertrüdingen, also aus der Markgrafschaft Ansbach, so wird man zu dem Schlüsse berechtigt sein, dass da­ mals in hiesiger Gegend Unionstruppen lagen. Nach Beginn des Krieges und im weiteren Verlauf desselben kam es freilich häufig

11 genug vor, dass Katholiken unter schwedischer Fahne und Prote­ stanten in kaiserlichen Heeren kämpften. Das drohende Ungewitter des Krieges ist damals noch gnädig vorübergezogen. Dafür kamen aber bald andere schwere Zeiten und Plagen. So herrschte im Jahre 1614 eine drückende Theuerung. „Am 20. August 1614 hat das alte Korn [Kern aus Dinkel oder Veesen] gegolten und ist verkauft worden um 9 fl. und 15 kr.; seind auch die andern Früchte aufs höchste kommen und in hohem Geld verkauft worden. Eben dies Jahr (5. Nov.) 10 fl. sine [weniger] 2 Batzen; hat auch gölten 10 fl. 10 kr.“ In diesem nämlichen Jahre (1614) wurde der Ort auch von einer Feuers­ brunst heimgesucht. Pfarrer Beckelhaub schreibt: „Sequitur alius tragicus Casus. Ist allhier eine grosse und erschrockenliche Feuersnoth und Brunst zu unterst im Dorf in der Gassen in einer Wittiben, genannt Schlechten Anna, Haus auf- und angangen und entstanden. Ob das Feuer gelegt oder verwahrloset worden, weisst man nit. Und haben in einer Viertelstund 4 Fürst oberhäuptling daher gebronnen, und dasselbig in grossem Windsturm. Hat sich diese Feuersnoth und der schreckliche Jammer erhebt Sonntag S. S. Trin. 14 gegen Morgen nach 2 Uhr den 25. Sept.“ Es mussten sowohl die beiden Sonntagspredigten als auch die auf diesen Tag fallende Abendmahlsfeier ausfallen: „denn man den ganzen Sonntag hindurch hat müssen schaffen, arbeiten, führen, tragen und fahren.“ Acht Tage darauf wurde sodann das heil. Abendmahl gefeiert und eine Feuerpredigt gehalten. „Textus war geschöpft ex Num. 11. cap. versiculus 1, secund. und tertius. Dominus nobis benedicat. Amen.“ Während des Jahres 1616 wütheten hier Seuchen, wesshalb Pfarrer Beckelhaub dieses Jahr ein „annus mortiferus“ nennt, wie denn in genanntem Jahre nicht weniger als 35 Personen beerdigt werden mussten, was für einen so kleinen Ort wie Ried­ heim eine ungemein hohe Zahl war. Das Jahr 1618 brachte eine grosse Wassersnoth. Pfarrer Beckelhaub schildert dieselbe folgendermassen: „Sequitur deploratus, lamentabilis ac luctuosus Casus. Am 29. Januar ist ein schrecklich und gefährlich Gewässer angefallen, das Grundeis gegangen, welches denn merklich grossen Schaden gethan, auch die Brucken hin und wieder abgehebt und weggeflösst. Und hab ich dazu­ malen mein Quartal Korn [Besoldungsgetreide] zu Ulm geholt, den Weg auf Leipheim per in undationem aquae fürgenommen [der nähere Weg, der aber überschwemmt war, wäre über El-

78 chingea gegangen], aber in grosse Gefahr gerathen, wie ich denn eine Nacht in Fahlheim, zwei Nächte aber za Leipbeim aufVerlaufung des Grundeises pernoctirt und mich daselbst gleichsam als in einer Insull aufgeh'alten habe, dann ich weder hinter sich auf Ulm zu, noch für sich nach Riedheim zu anheim zu reisen vermochte; denn ich zwischen den Wassern eingeschlossen ge­ wesen. Hab derohalben meine beede Sonntagspredigten coactus et invitus cum lacrimis atque gemitibus multis, cumque magna melancholia suspendiren müssen, denn das Gewässer so gross ge­ wesen, dass Riedheim in dem Wasser gestanden und dannenhero auch wenig Leut zu den Gottesdiensten sich präsentiren können. Bin endlich selbigen Sonntag Domin. Septuag. auf den hohen Mittag von Leipheim bis auf den Anger allher in einem Rennschiffle trajiciret und hergeführt worden. Deus optimus ter maximus dementer, misericorditer ac benigne hos ab omni malo, periculo atque calamitate pertegat ac conservet, ob nominis sui magniflcentissimi, sanctissimi ac salvifici gloriam, et tandem in aeternam ac coelestem patriam comitetur, nt felicissime ad eam appellamus. Cui Deo uni et Trino sit laus, decus, sapientia, potentia, honos et gloria per omnem infinitam aeternitatem. Amen.“ *) Das Jahr 1618 übrigens, das mit Angst und Sorge begann, war ein überaus fruchtbares und gesegnetes. Pfarrer Beckelhaub konnte mit Dank gegen Gott rühmen: „dass in dem faisten vnd hochgesegneten heurigen Schnitt vnnd voller Ehrendt (Ernte) 1) Von solchen Ueberschwemmungen, durch den Austritt der Donau ver­ ursacht, wurde die hiesige Gemeinde sehr häufig heimgesucht. Das Wasser kam oft plötzlich und bisweilen mitten in der Nacht von Weissingen herunter, so dass die Leute es erst wahrnahmen, wenn es mit Geräusch in ihre Häuser und Wohnstuben eindrang oder wenn das Vieh im Stall anfing zu brüllen. Es leben noch viele Leute, die sich erinnern können, dass sie von hier bis Leipheim im Schiffe fahren mussten, um etwa einen Arzt zu holen. In solchen Ueberschwemmungen musste das Vieh entweder in den Schlosshof oder den gleich­ falls etwas höher gelegenen Kirchhof geflüchtet werden. An einem Sonntag geschah es einmal, dass sämmtliche Kirchgänger im Kahne abgeholt und zur Kirche gefahren werden mussten. Endlich im Jahre 1856 entschloss man sich, einen „Donauschutzdamm111 aufzuführen, der bei Weissingen seinen Anfang nimmt und sich dann an der Riedheimer und Leipheimer Gemarkung bis in die Gtinzburger Flur erstreckt. Seitdem haben die verheerenden Ueberschwemmungen aufgehört. Doch kam es bereits einige Male — auch im vorigen Jahre — vor, dass das Gewässer die Höhe des Danynes fast völlig erreichte. Leider musste der Damm etwas niedriger gebaut werden, als der auf dem rechten Donauufer sich hinziehende Eisenbahndamm, damit nicht letzterer vom Wasser überschwemmt, sondern dieses Wasser über den Schutzdamm hinübergeleitet wird.

79 wegen vieler Früchte und weil das Wetter erwünscht und ange­ nehm und man bald zu einerlei Zeit hin und her wieder des Schnitts halben auf dem Feld gearbeitet dem Schnitter des Tags 5 Batzen geben musste [Es wurde also Winter- und Sommerfrucht ziemlich gleichzeitig reif.]. Diese Fruchtbarkeit hatte auch auf die Vermehrung der Bevöl­ kerung Einfluss. Es wurden nämlich im folgenden Jahre 28 Kinder geboren, so dass der Pfarrer die Bemerkung machen konnte: „Annus multifer, imo hujusque fertilissimus xal nohytexvzQoq.“ Bald aber kamen wieder schwerere Zeiten. Im Jahre 1620 zog sich bereits wieder ein Ungewitter des Krieges in hiesiger Gegend zusammen. Es heisst von diesem Jahre: „Annus hic fuit periculosus, castrensis seu militaris si quidem proxime hic, adeoque quod tentoria et principum cum tuguriis in hac domo parochiali sint visa, imo et in hoc musaeo (Studirstube)“. Ebenso heisst es vom nächsten Jahre (1621), dass es sei ein seculum calamidosissimum, tristissimum, periculosissimum. Welche Truppen damals in der Umgegend lagen, hat der Herausgeber des Elchinger Kloster­ tagebuchs, Herr Professor P. L. Brunner pag. 162 mitgetheilt. In der Nähe von Ulm und herwärts gegen Elchingen befanden sich ohngefähr 13,000 Mann Unionstruppen unter dem Markgrafen Joachim Ernst von Brand enburg-Ansbach, während der Herzog Maximilian von Bayern, das Haupt der Liga, mit überlegener Macht auf der Strecke von Dillingen bisLeipheim stand. Da der Pfarrer Beckelhaub von keinem Zimmer des Pfarrhauses aus also auch nicht von seinem Musaeum aus rückwärts gegen Elchingen zu blicken konnte, indem die Oekonomiegebäude diesen Ausblick verhinderten, während der Blick gegen Günzburg zu völlig frei war, so konnte er nur das Lager des Herzogs von Bayern meinen, wenn er schreibt, er habe die tentoria et principum cumtuguriis gesehen. Da es dem Herzog Maximilian gelang, einen friedlichen Vergleich zu Stande zu bringen, so wurde unsere Gegend nicht der Schauplatz eines blutigen Kampfes. Aber diese Truppenconcentration hatte doch die schlimme Folge, dass im nächsten Jahre eine furchtbare Theuerung in der Gegend herrschte. Pfarrer Beckelhaub schrieb im Jahre 1622 in das hiesige Kirchenbuch: „Omnium curissima, molestissima utque calamidosissima tempora, quae neque in xoafioygacpia vel %QovoXoyla leguntur uspiam.“ Und nun führt er die Preise der Lebensmittel verschiedener Ulmer Markttage an:

- so Korn das Immi am

7. März über die 15 fl. 16» n » « 20 fl. » » » » 24. Aug. „ „ 33 fl. „ „ „ im Oktober „ „ 50 fl. Der Roggen stieg bis auf 24 fl.; die Gerste gleichfalls bis auf 24 fl., der Haber bis 14 fl. Ein Mittle Erbeiss (Erbsen) auf 6 fl.; eine Salzscheib 30 fl.; ein Pfund Schmeer 24 Batzen; ein Pfund Schmalz über 1 lj2 fl.; ein Ei 4 kr.; eine Maass Wein 12 — 18 Batzen. Eine Klafter Holz stieg auf 30 fl., auch bald darauf auf 40 fl., mox 50 fl. Eine Kuh bis über 126 fl.!) Wohl eine Folge dieser theuren Zeit war es, dass wieder gefährliche Krankheiten ausbrachen. So erwähnt Pfarrer Beckelhaub im Jahre 1624 eine lues grassans. Und abermals zwei Jahre später musste er wieder über grosse Theuerung klagen und be­ merkt dabei: „Seind zu Augsburg zwei Frawen bei nächtlicher Weile vor dem Beckenladen, Brod zu kaufen, erdrückt worden. Hab es von einem gehört, so dabei gewesen, deren die eine schwangers Leibs gewesen. Geschehen im Ende des Mayen.“ Dazu kam, dann wieder Kriegsunruhe und Einquartierung, wie er denn das Jahr 1627 ein Soldatenjahr nennt. Und aus dem Trauregister ist zu ersehen^ dass Soldaten, die hier und in der Umgegend im Quartier lagen, von ihm getraut werden mussten. Wahrscheinlich waren dies wieder Unionstruppen. Dieselben wur­ den aber bereits im folgenden Jahre (1628) von Tilly’schem Volk zurückgedrängt, dem, wie wir von Herrn Professor P. L. Brunner erfahren, von Ende März an Kronburgisches Volk nachrückte. „Damals“, schreibt Pfarrer Beckelhaub, „war das Pfarr- oder Taufbuch mit dem Kelch u. s. w. auf unserer gnädigen Herren Vermahnung gen Ulm geflehnet.“ Eine ähnliche Bewandtniss wird es wohl auch mit dem silbernen Kelch haben, von dem es im Tagebuch des Klosters Elchingen S. 181 heisst: „Am 12. Nov. »

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1) Ein Ulmer Immi bestand aus 4 Mittlen, ein Mittle aus 6 Metzen, ein Metzen aus 4 Vierteln. Ein Immi = 0 bayer. Schaff 3 Metzen 1 Vierling und 233/iuo Sechzentel. Wenn demnach im Oct. 1622 ein Immi Korn 50 fl. kostete, so würde ein bayer. Schäffel circa 92 fl. 30 kr. gekostet haben, ein ungeheurer Preis, wenn man bedenkt, dass damals das Geld noch einen viel hohem Werth hatte, als heutzutage. Ein Hektoliter würde etwa 411/^ fl. gekostet haben oder 71 Jt 15 /ij, da ein bayer. Schäffel = 222,35 Liter ausmacht. Dass das Salz damals in hiesiger Gegend sehr theue* war, wird auch im Klostertagebuch von Elchingen wiederholt erwähnt. So heisst es pag. 189: „Das Salz zu Ulm ist sehr schwerlich zu bekommen, ja ein Salzscheib haben wir über 13 fl. kaufen müssen“ (im April 1634).

81 (1633) sein Von Leibheimb bis 50 Personen mit Weib und Kind gegen Nacht um 4 Uhr hieher ins Gottshaus kommen, um Nacht­ quartier gebeten, welches ihnen auch vergunnt worden.----------Unter diesen ist auch — — — der Prädikant von Burttenbach mit Weib und Kind gewesen, welcher unter anderen auch ein silbern Kelch oder 2 bei sich gehabt. Wie er solche gekriegt, ist gut zu erachten.“ In dieser schweren Zeit musste aber Pfarrer Beckelhaub auch noch manches häusliche Kreuz tragen. So musste er einmal den Diakonus von Leipheim um Aushülfe bitten, weil ihn ein schwerer Unfall, von dem sein Töchterlein betroffen worden war, so nieder­ gebeugt hatte. „Me tum propter tristissimum casum filiolae meae (frangens femur) non bene habente.“ Besonders griff ihn aüch der Tod seines treuen Weibes, mit welcher er „bis in die 23 Jahr wohl und ehrlich gehauset“, sehr an. An Weihnachten 1622 konnte sie zum letzten Male mit ihm im Gotteshause das heilige Abendmahl feiern. „Am 23. Febr. 1623 (Domin. quinquages.) hat der barmherzige Gott und treue Vater im Himmel aus diesem elenden, trübseligen Jammerthal in dieser hochbedrängten, verdriesslichen, kläglichen, langwürig theuern, unruhigen, unfried­ fertigen, seuchhaften Zeit zu seinen göttlichen, himmlischen Gna­ den und die ewige Ruh und Seligkeit abgefordert meine vertraute und herzgeliebte eheliche Hausfrau und sie endlich von ihrer schweren Last und grossem Kreuz ihres viel erlittenen Leib­ schadens und Schmerzen entlediget und treulich entholfen.“ Er selbst war auch während seines hiesigen Aufenthalts wiederholt krank. So schreibt er einmal: „hoc tempore graviter decubui“, und brauchte längere Zeit nachbarliche Aushülfe. Im November 1630 befiel ihn seine letzte Krankheit und er starb am 13. December. Am 15. December wurde er „in die 22 Jahr wohl verdienter Pfarrer dieser Kirche und Gemeinde allhie mit einer christlichen Leichpredigt zur Erde bestättiget.“ Seine beiden Symbola, die er auch ins Pfarrbuch eingeschrieben hatte, waren: „Symbolum ex actis, c. 7: Domine Jesu Christe, suscipe Spiritum meum. Symbolum alt.: In manus tuas commendo spiritum meum; Domine Jesu Christe, liberasti me.“ Er verwaltete sein schweres Amt mit grosser Treue und war besonders auch von dem Segen und der Kraft des Sakramentes der hl. Taufe erfüllt. Im Taufregister schrieb er alle Aussprüche der Kirchenväter) die ihm bekannt waren, nieder. Da lesen wir : „Dionysius Areopag.: Baptismus est Jivaysveoigxal Osoyeveoia, 6 •

ßapt. est regeüeratio et renascentia divina. Cassiodor. Vocat ß. divinum fontem. Dom. patres nominant Sacramentum intrantium, comparant cum diluvio; item cum mari rubro. Baptismus dicitur consitium Dei (Luc. 7.) u. s. w.“ Sein Nachfolger war der bisherige Pfarrer von Scharenstetten (gleichfalls im Ulmer Gebiet) M. Balthaser ßachmann. Er schrieb seinen Namen und die Zeit seiner Ankunft (1631) mit dem Wunsche ins Kirchenbuch; „Largiatur Deus Spiritus Sancti gratiam, ut hic porro doceam ac vivam, ut multi per me aedificentur ac salventur. 1. Tim. 4, 16. Da o luminum pater servo tuo, ut et hoc isto fitru xa$QTjota Gelt, das jaerlich geht von hans des wyer haus an der nuwen. (2) 3. Juliane virg. Erasmus m. ead. ist von späterer Hand beigesetzt. O frow anne von Arbun wilend abtissin von schennis ligt auf dem zehent ze schoenaw. 4. 0 jvdinta Buggin g. Cunz der schaerer 3 ß von ein keller . bei den fleischpenken. 5. Bonifacij epis. et soc. ej. auf den tag fallen die 5 ß von k. voegellin. 0 catharina dieta Voegellin g. 5 ß 4 von der voegellin wing. genant eglj uf dem bühel bei des swartz garten und bei hans diem garten. (3) 7. 0 ritter cvonrad Cviresil vnd maier dis gotshvses g. 6 ß von ein gut ze livtfridingen. 9. Primi et Feficiani mart. 0 ver Haime g. die schnephin 2 ß von krautg. ze eschach bei ihrem torggel. 8*

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10. Vitalis mart. 0 her cunrat Eraltzheim ain priester waz kirchherr ze riiti schafft 5 ß const. aus haus an Tischergasse sollen an dem abent über sein grab gehen mit selvesper. 12. Nazari et soc. ej. 0 grave Manegold vnd Stifter dis gotshuses hat uns gegeben das dorf frittelingen und vil anders gut. wein fleisch brot. (5) soll von diesem gut auch die eptissin machen ein gesotten mus von 4 malter hebrins melwis und von ein schwainbachin ze geben den armen leuten. Von späterer Hand steht darunter: An des Stifters tag soll man bestellen 5 priester ausshalb des münsters die mess habend und mit die in munster und git die pflegerin in das gelt.

13. 14.

0 hainrich Vntruwe g. Johan vegellie 2 aimer wein und 2 ß vert brot von dem weing. ze kalcofen in der insei. 0 adilhait vs dem torggel g. bruder rudolf 3 ß von des schriber haus an der vischergasse.

16. 17.

20.

0 herr vlrich von Pflegelbereh ain ritter g. 4 ß von der stegmül von 4 die er gab. (6) 0 maister Cvono von Wolfurt vnd Chorherr dis gotshvses hat gesezt eptissin sigena seines bruders tochter ze geben 1 mut Korn von dem gut ze schafhusen das der brumesi hat. 0 salemennin g. walther der vischer 30 4 von seinem haus, die darauf gesezt sind von den hofstetten, die an der brueder kilchof lagen. c dictus Guderscher jarzeit ligt auf dem zehent ze schoenaw. er was stattamann ze lindaw. (7) 0 aepli von schowenstein und hans sin sun.

(8)

21. Albenj mart. 0 elsa von Willer korfrow dis gotzshuses geht die jarzeit von dem 0? gelt das man Jegg Golgg kauft von sinem garten gab 5 Ü /&. (9) 22. Paulinj epi. 0 Adilhait Trvtel g. die senderin an der vischpruggen 2 ß von krutg. in der insei hinter des erringer haus des Webers. 24. Natiuitas S. Joh. ßapt. , 0 wernherus früg et Verena uxor ejus et pater et mater et filii et filiae. g. 5 ß 4 ze jarzeit und 4 4 zu 2 leuchter auf das grab und hjant von Sanct Cathrin pfrnnd. (10)

117 25. Aman di spi. 0 volrich Waltuon g. Jacob minchbuoch 3 ß von Sigeburgemül. * 0 chunrad Guderscher der aman g. 3 & 426. Joh. et Pauli mart. 0 Ita Sligin g. jakob frig selig frow und ihre kind von ein. wing. ze kreutz 4 ß. 27. 0 willebvrg dvc Cluftererin g. die stufenaerin von bregentz 3 ß von wing. an der schaerer stad. 29. Petri et Pauli. 0 mehtilt Hainins wip. g. die snepfin 2 ß von dem krutg. ze eschach bei ihrem torkel. 30. Commemoracio S. Pauli. 0 cvonrat die Fundin g. 3 ß von dem krutg. enseit der ach links gegen Isenbrechtsbuehel. 0 cunrat Milwe g. des furling witwe 2 ß von dem wing. vor strass.

Julius habet dies 31 luna 30. 1 Fidei Spei et Caritatis (octava Scti. Joh. Bapt.) 0 walther Mane g. Ulrich ab bürg 30 4 von »ein. gart. 2. Processi et Martiniani. 0 rvodolf Hitto g. sin sun 2 ß und dem Chorherren 6 4 h Zunel 0 g. 5 ß von fluk haus am baumgarten neben dem steg. von demselben haus gehen 10 ß an sanct martins tag bei verfall des hauses an den Stift. (1) 4. Udalrici epi. Cunrat Bentz und oswald der Syber iro vater vnd mutter vnd Urselen Wermaisterinen des conrads Syber frow und eis und frene, bentz Sibers frawen, und all ihr vordem, Catharina Reminin frow des oswald Siber, ihr jarzeit ge­ feiert proxima dominica post udalrice. 0 margreth Westermaenin ihr jarzeit liegt auf dem zehent ze schoenaw. (2) 6. Octav. apost. 0 ritter berhtold von Craeinriet g. heinrich Keller 5 ß und 1 opferpfening von rengersweiler; (3) 0 Christina miner frowen gehus was 971/* 9. Felicitatis virg. Octav. visit. Marie. Cyrilli et soc. 0 maechtild der von trisen junkfrow. g. den nuwen antifoner den sie kauft um ij % 4-

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0 Lvogard Wnochrarin g. ullin Stooffener 3 ß von sin hus an kilchgasse. Margrete virg. 0 adilhait Wercmaisterin g. 2 ß 1 opferpfening für den korherren. 0 heinrieh Bytwolf g. bruder heinrich der weber 3 ß und 1 opferfening für den chorherrn von des spreng hus an der vischergasse. 0 ylricus de Trisim g. dietrich des weber haus am stad an vischergasse iij ß 4* 0 frow anna von Schowenstain corfraw und aubrecht von Schowenstain ir vater und hans von Schowenstein ihr bruder g. xij 8> 40 adilhait Graserin g. die milwin 2 ß von maister rudolff des Arzat hofstetten an kilchgasse. Praxedis virg. 0 heinrich der Zaendring soll man ihm über das grab gen. (4) 0 frow ursula von Schellenberg und frow eis von Schellen­ berg soror ejus chorfrauen amelie von Trichlingen sororis praedictorum de Schellenberg, herr Lienhards von Schellen­ berg landkomentur und aller Schellenberg. (41/*) Christine virg. 0 volrich der Andir g. lugelie 3 ß von dem weing. zem hussen. Jacobi ap. Christofori mart. 0 albrecht der Smit g. Cunz huodorf 3 ß und 1 opferpfening dem Chorherren v. sein, weing. in der insei. 0 abatissa Katarina de Trisen die dem gotshaus vil guts getan hat und noch von ir warttind ist, wen herr hans von brunenuelt erstirbet. 0 ruode Maier und anna sin hausfrau und hans sin son 5 ß zue jarzit auf den nächsten sontag nach sanct Jacob und gat ab sanct michelspfrund. (5) Abdon et Senen. mart. 0 bertha vnd hic chorfrau die frvmt disem gotshavs durch ir sele vnsre zwai metunbuoch. Augustus habet dies 31 luna xxxj. Advincula S. Petri. 0 bvrcart Ehinger g. 3 ß von dem gut in rudolfsriet. 0 berthold Gebur g. uzzo der scherer 2 ß von weing. in der insei.

119 2. Stephani pap. 0 Eggebvrg g. Conrat stumph selig fraw 3 ß v. weing. 3. Innencio S. Stephani prot. mya closterfrowe dises gotshuses 0 dePhlegelberg. 4. 0 margreth Slaichin uxor rudolfl slaich. 5. Oswaldi regis. Johannes Tannennelse 0 dedit 7 ff sedecim libros pro remedio anime sue (1) ist das gelt auf die stegemul ge­ geben gibt jährlich 6 malter waitzen. 6. Syxti pap. et soc. , 0 herr Thoman g. von des schulmaisters garten. 7. Afre m. Donati ep. 0 wetzel der Binder g. peter von schoeninstein 2 ß von weing. 0 Wunegebe g. Lassauer 2 ß von haus. 9. vigilia. Ö walther von Bergerdorf g. der maier von Ziegelbach 3 ß von weing. 10. Laurentii mart. 0 berhta Mvenserin g. 2 ß von ein hof in hemmicoven. 11. Tyburcii mart. 0 walther Ylinz g. Jacob munchbuoch 3 ß von Sigeburge muel. 0 elis Friesin Peter müder des jungen fraw g. 5 ff 4* 12. Cläre virg. 0 volrich Herbold g. 3 ß vom gutel in ymmeriet; 0 domnus cvonradus Brfimsi miles pater margarethe conventualis huius monastery et debet celebrari anid. dies domine mar­ garethe praedicte. ded. mj ff 4(2) 13. Ypoliti et soc. ej. guota herrn Thoma sin muoter. g. nj ß von nj ff. 15. Assumptio S. Marie patroc. in mon. beate virg. 16. 0 ita Mvonsaerin g. ulrich der brender 3 ß von weing. in der insei am horn; 0 gerdrvt Hvtterin g. peter von schoeninstain 2 ß v. weing. 17. Octava S. Laurentii. 0 rudolf Bomgartner margreth uxor eius vlricus vom Rin et adelhaid uxor eius und die jarzeit sol man hegen auf den nächsten Sontag nach u. 1. f. tag. g. 5 ff 4* (3) 18. Agapiti mart. 0 reginlint Burkartes wirtin des Bengels, g. conrad rindbach 3 ß von ein. haus an vischergassen.

120 19. Magni m. 0 hans von Schowenstain g. von dem zehent ze schoenau. 20. 0 vro guote von Raeterschen korfraw dis gotshaus g. 5 ß von eblin weltz garten in der insei der von des hertrich war des alten. 21. 0 berhta Haneraegin g. benzo herriman 2 ß von ein. haus an webergassen_ anno d. MCCCCLxnj 0 margreht spielmaenin de aeschach que dedit pro salut. anim. velum magnum daz hungertnch. 22. Thimothei et Symphor. 0 margreta Schoemanin. 24. Bartolomei apo. obiit margret Brümsin corfrow. get von zehent ze schoenaw Ulrich Bürgi nes Werchmaistrin sin husfrow und hainrich und Cuno ihr bruder und ir aller vaeter und mütter iarzit.

25. Yincencij mart. 0 grave Yozzo und Stifter dis gotzhuses g. gisilingen im ries brot. wein, fleisch. (4) 0 grave Manegolt von Rordorf g. 21/* 4> von der muel in struspoltswiler. (5) 27. Rufi mart. 0 frow ann von Roschach korfraw dis miinsters a xxvnj. (6) 29. Decollacio S. Joh. Bapt. Sabine virg. 0 cvonrat Struibo g. cunrad Gebzo 3 ß von garten. 31. Paulini conf. 0 berhtold Blaser g. die blaue tuefelin 3 ß und 1 opferpfening dem chorherrn von wing. (7)

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September habet dies 30 luna 30. 1. Egidij conf. Verene virg. O herr cunrat vom Schwartzenberge priester g. 3 Const. gegeben an die 10 ß gilt bei dem steg an vischergasse. 2. Anthonj conf. Mansuiti epi. 0 dies ist ein jargezeit richenz von Wiler und gab von der stegmül. 3.

0 adilhait Wuochrarin g. 3 ß von den hofstetten neben des vegellin haus das dem kloster angefallen, von diesen hofstettli gibt berthold schoeniman 7 ß und 2 hühner ze Vaschnach.

121 4. Marcelli mart. frow gut von Trysen aeptissin des gotshaus die diesem gotshaus vil guts getan hant vn die ander stifterin ist dies gotshus. 7. Vigilia. 0 vlrich Knolrude g. viderlie 3 ß von haus an wuhrerstad. 0 cvon Slige. g. cunz der schaerer 3 ß von dem keller. 8. Natiuitas S. Marii Adriani mart. patroc. in mon. S. Marie. 9. Sorgonii mart. 0 gertrud burcartes wirtin des Sporers g. der spital 3 ß von der mul ze ach. es ist jarzit am naechsten suntag nach vnser frowentag haenni Haeberlings et margret uxoris und ires suns und ihrer tochter und hans frygen sins tochtermans. 10. 0 bvrkart Strvbe g. graelin sun 3 ß von dem garten ensit der ahe. a. d. MCCCCxxxviij 0 dominus conrad de Mfinchswil major canonicus huius monasterij qui construxit novam domum curie canonicalis et multa alia fecit bona hic. (1) 11. Prothi. Jacinti Felicis et regule mart. 0 hainrich der Verre oder schefman g. Johan der blaser 3 ß von garten an der ahe. 0 herrn nicolaus von Wolfurt Chorherr der mern pfrondt des gotshaus. (2) 12. 0 frow vrsel von Buochenstain korfrowe dis gotshaus g. 5 ß von eberlin weltz garten in der insei. (3) 13. 0 her claus Solbach ze sant catherine capplan und elis ramerin und hans geben um ihr selsheil v ff 4- 0 frow magdalena von Wolfurt korfraw dis munsters hat geben durch ir seelwillen xij ff a xxvnj um ein ewig jarzit. (4) 14. Exaltario S. Crucis. Cornelij et Cy. 0 marquard Tretnwssi g. die lererin 3 ß von ein haus in lassaurs gaessele. 15. Nycomedis mart. 0 agnes von Arben korfraw jarzit vom zehent ze schoenaw. 16. Eufemie virg. Lucie et Geminiani m. 0 georius Sporer eliz und Johann Haeberling margreth uxor eius, georius fllius et verena et fllia clara filia ejus. g. 5 ff 417. Lamperti mart. 0 gertrud de Stoffeln g. von der stegmuele. 18. 0 hainrich der Mueller von Legoe und get die jarzit von dem zehent ze schoenaw. 0 Johans von der Schaer ein priester. (5)

122 20. vigilia. 0 gertrnd voö Ehingin g. 3 ß von 9 haeusern in der nider insei. 22. Mauritii et soc. 0 clara Surginstainin de lochen g. 5 & /$. 23. Fecle virg. obitns clansen Kytzins jarzit liegt am zehent ze schoenau. 24. Ruperti conf. (6) 0 methilt Hiltibolts wirtin g. bruder heinrich weber 3 ß von des spreng haus an fischergassen. 25. 0 peter rienolt g. vom krutgarten ennet der achprugg l ß 4> 26. Justine virg. 0 Elisabet. 0 herr hans von Brunnenuelt priester, 0 margret Biklin ein pflumererin und ir vater vnd mutter und all Ihre gab 5 & 4 27. Cosme et Damiani mart. (7) 0 haila dicta Stainarin g. von der stegmuel; 0 frow vrsula von Wyler korfraw dis mönstersg. yinj fl? 4 minder mj fl? 428. 0 heinrih Wuocherer g. ullin 3 ß von Schwester dutzenhaus von rauensburg an kilchgasse. 0 frow anna von Rosenhart korfraw dises huses, ihr vatter, mutter und claren der Schenkin i^r schwester und derselben sun eberhards des Schenk. 29. Michahelis archang. anniuersarium anne de Rosenhart tenetur domino peragere cum placebo cum sepulchro et vigilia et cum missa defunctiset edituus tenetur dare lumina et tres solidos denariorum pro panibus pauperibus in hospitali, v ß 4> leprosis animarum. (8) 30. Jeronimi presb. 0 mehtild von Wolfurt g. der spital von conßtanz ein mut körn constanzer mass und 3 ß von ain garten in dem dorf wolfurt. Octobris habet dies 31 luna xxix. Item am naechsten montag nach sankt michelstag ist jarzeit von gret Bicklin und anna Pflumererin und ihres vaters und mutter g. V fl? 41. Remigi et soc. 0 Ita Lobarin g. Johann guldin an drei vier ß von weing. nota item herr hans Luoti der merer korherr het geben xxx fl. zu seiner jarzeit. datjodoc gurrer anuuatim ij fl. von sein haus am bomgarten a. d. 1444 obijt. (1)

123 2. Leodegarij mart. 0 jvdenta vom Tor g. langensewin 2 ß von dem haus hei dem tor. 3. 0 guta Fislin g. vom zehent ze schoenau. 4. Marci et Marciani mart. 0 greta Tulerin; 0 anna von Trisen korfraw dis gotzhaus g? 1 & $ von dietrich weher haus an vischergasse bei dem Steg, gibt jetzt der schmit der gerwer von wangen. 5. Lvogart hainriches wirtin an dem bvohel g. so viel brots als von ein mutt kern werden mag vnd 6 virtel wein von weing. Johan selig wirtin den graven und heinrich Zune die genz. O Elisabeth. 6. Efidius v. et m. 0 eptissinSigenag.derspitalschafhausen 1 malterroggen 7. Marci pap. Sergij et Bachj mart. 0 cvonrat Knebil g. der jude 3 ß und 1 opferpfening dem chorherrn von sein haus und keller. 0 herr chuonrat von Wolfurt ritter lies unserm gotshaus 50 fl. fahrn. 8. 0 Cvonrat Crvicimaler g. Walter des stetschreiber 3 ß von sein haus. 0 frow ann Yoegtin von Summerow junkherr rudolfen von Wiler elichi husfrow. (2) 9. Dionysij et soc. 0 mehtilt vom Tor g. heinrich der keller von rengersweiler 5 ß. 0 methild Mvcsaekin g. des langen herman selig wirtin und ir kind 3 ß von 2 gaerten. 11. Firmini. 0 vlrich Muolter g. 5 ß constanz. von sin wing. in der insei genant füllin. 12. 0 hainrich Kiler g. der Lassauer 2 ß von ein haus. (4) 14. Kalixti. 0 vrsella von Schellenberg canon. hui. mon. 16. Galli abb. patroc. in cap. s. Galli. 17. 0 ita ab Swendi g. 3 ß von ein. haus an der niwen hinter S. peter. 18. Luce ewang. 0 berhta Vlinzin g. jacob munbuoch 3 ß von Sygeburge mfil. 20. 0 eberhard von Raitenowe g. 4 ß von dem eigen in tobltzweiler. 0 berthold der sailer g.. spital auf sanct gallen abend ß von dem garten in der witi ze schachen zwischen aerni gebz garten und trüb.

124 21. Hylarionis conf. xj.mil. y. 0 berthold Goltsmid und annen siner husfrawen vnd margreth siner hausfrawen. g. 5 Ä 4 22. 0 hugo de Wolfurt sein jarzeit von dem aker vor des borherrn mul die jetzt des gotzhaus ist vnser frowen; 0 bvrkat Schenke von Easteln und ainer vrselen Dummen von neuburg siner wirtin. (5) 24. 0 helcha von Lampoltsweiler g. der spital 3 ß von dem aigen in Wisinsberg. 25. Crispini et Crispiniani. 0 aeptissin Guota von Schellenberg hat gesetzt jeder frowen jaerlich einen aimer wins, daz wir singent Salve Regina an dem fritag ze vesper den win sol gen wel abtissin ist vnd ir jarzit sol man och began mit einer gesungen vigill. 26. Amanti spi, a. d. MCCCCLxxxj 0 frow margreth von Entzberg chor. frow. (6) 27. vigilia. 0 tvoto von Zasirswiler g. der wackerer 3 ß von ein. aigen. 30. 0 friedrich der Schulthais ritter von schafhausen g. die siechen ze aeschach 12 ß. (7)

Novembrfs habet dies xxx luna xxx. 1. Festivitas omn. sanct. 0 gnannila und g. eptissin von gerhardtswiler brot wem und fleisch. 2. Eustachij et soc. Commemoracio omnium fidelium. 0 albrets der Protpeke von eschach und mehtilt sin frow g. 1 ß3. Pirminij conf. 0 ann Eliassin. g. v U 4* 4. 0 elizabeth Maigrin korfrow dis gotshus gab nj 4. dominus nicolaus Metnower ordnete zu seinem seiheil und seiner eitern vmj ß 4* 6. Leonardi conf. a. d. MCCCCLxiij ipsa die quatuor coronatorum hora nona obiit domina ursula Voegt von Summerow canonica qua dedit 1 Ä 4 census perpetue de domo petri huenlis an bindergassen cedet x ß 4 dem capitel pro annid. ut celebretur cum vigilia placebo et cum missa pro defunctis ut moris est huj. monast. et x ß 4 dem kloster zum bau

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und liecht und an ihre stelle ist erwaehlt worden die tochter ihres bruders Johann vogt von summerow. Quatuor coronatorum. 0 Johann dictus Frig (g. peter von Schoeninstain) ze den smiden a Lxxvj g. 5 ß 4Theodori mart. 0 elisabet Hvoterin g. peter von schoeninstain 30 4 von ein. garten. Leonis epis. 0 hainrich von Elnhouen genant von Hertnegg gab er und sein frau ann von Wolfurt ze jarzeit 5 4 auf sanct markustag von des ovens gut ze ruti ab hus hofstat und bomgarten an soedlis gut gelegen. (1) Martini epis. Menne mart. 0 jaek von Stain g. vij # 4 ligou auf dem zehent ze schoenaw. 0 Jakob Luiprecht von memingen g. 1 # 4 gilt von ein haus ze memingen. Brictii epis. 0 anna von Wagenberg closterfrawe g. 7 ß 4 von dem gut ze berhtramswiler. (la) Victoris mart. 0 gertrvd Grossin g. Ulrich ab bürg 30 4 von weing. 0 friedrich der Mvenser g. Conrad der friese 4 ß von dem haus auf dein keller. Floriani epis. et conf. 0 gertrvot div altiv Gebzin g. 3 ß von dem aigen in rudolfsriet. 0 albrecht von Schowenstain jarzeit vom zehent in schoenaw. dis ist jargezit Guoten von Wolfurt g. von der stegmuol. Caecile vig. proxima feria secunda festum sanct. Cath. virg. 0 ulman Korber gesa sin frow und Johann Haintzel und Nesa sin frow, und margreth frow des heinrich Haintzel. Crisogoni mart. Sigena von Schellenberg g. von der Stegmuel; 0 vrow anna diu Marschalkin klosterfrow g.ab dem zehent ze schoenaw. (2) Katherine vir. et m. Nota in vigilia sancte Catherine eritannivus. domine Cathrine de Schwartzach quod celeb. ut continetur in litera de ordinatione anniv. domine anna de Rosenhart et edituus hujus ecclesie tenetur dare pauperibus in spital an disem tag pro tribus ponderis denariorum albaspanes et unum lumen. (3)

126 27. Vitales m. 0 hainrich Vogilegge g. die schnepfin 3 ß von ein garten. 28. 0 grave Volrich widmet dem kloster althaun, g. brot fleisch wein. 29. Satnrnini Crisantis Maur. et Da. m. 0 arnolt der vogiler g. haelinschert von Constanz 3 ß von der badestube an vischergasse. 30. Andreae epis. 0 martinus der Walch g. die gysseler 2 ß von ihrem haus an webergasse. Decembris habet dies xxxj luna xxxix.

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0 gutta Kellerin von balgach g. v. der stegmuel. 0 frow Urselen Schenkin von Castein ain korfraw dises munsters. Tuoto g. brot und wein; 0 frow anna von Helmsdorf chorfrowen disses munsters a. d. MCCCCxxxvij gab x ß 4 von ein garten des hans kolb in ruti. Barbare virg. 0 margareta von Brunmnuelt g. von dietrich webers haus an vischergasse mj ß von des spreng haus an vischergasse. 0 rudolf Hiltebotis sun g. von des spreng haus. ist jarzit herin peters Glückhaft caplan ze sanct peter und seines vaters vnd mutters und all seiner gutheter. (1) Octava S. Andreae ap. 0 gvota von Schoeninstain g. jakob munchuch 2 ß von des winter weing. (la) 0 bertholt Herbolder g. 3 ß von dem aigen in Ymenriet. Concepcio S. Marie. 0 hainricus Koeli und nesa von wonpresch , uxor ejus et rudolfus Schlaich et margreth uxor ejus. 0 guota von Brunnenuelt g. dietrich webers haus an vischer­ gasse mj ß. 0 frow anna von Helmstorf chorfrow a. d. MCCCCxxvj gab x ß gilt Eulalie virg. 0 cvonrat Affe g. der Scheffmacher 2 ß von ein haus an burkard aergiler gasse. Damasii pap. 0 hainrich Werchmaister g. eggehaertin bei dem spital 2 ß von ihrem haus.

127 12. Valerii conf. 0 adilhait chorfraw dis gotshauses von Dietfurt g. 2 ß von aucharz 4 ß an das licht nnserm dormenter ze leuchten und von Dieczilins 7 ß. 13. Lucie virg. et m. Odilie virg. 0 agnesa div gravin von Rordorf diu hat vns gegeben durch ir sele und durch ir mvoter sele die mvele in der widen. 0 cvonrat von Wolfurt g. Joh. grav selig sin frow und ihr kind 3 ß von ulrich von bernang wing. 16. Trium pueror ananye aza miza. 0 hainrich Blediche g. ulrich guderscher und marquard der vaiste 6 ß von einem theile eins wing. 17. Ignacy conf. 0 wernher der Rvisinothte g. der guldin 3 ß von ein haus. 18. Winibaldi. 0 dar Schenkin von Salenstein chorfrow des klosters. 0 adelhait Haegninbergin von kofburen g. 5 tt 4 sol man ober ihr grab gehen unter dem Vorzeichen in der closnerinen grab. IX 30. 19. 0 frow ursel Schenkin von Kasteln chorfraw1 a. d. 142vij ist durchstrichen und darübergesetzt: MCCCCxxvij. Am Rande steht „dis sint die jarzeit desLobers und des alten Bleken des git ulrich gudirscher an drei 4 ß und Johan der guldin an dreie 4 ß und frike der grave an 3 4 ß und marquard vaiste 22 x/2 4 und Johan grave und frike sin bruder 221/2 20. vigilia. h. der Widman. 0 ij ß von des geburlis gut ze taintenwile. 22. Obitus eberhardi dicti Neker. 23. 0 bvrkart Bvogge g. eberlin Kaiser sine frow 3 ß von ein. haus bei den brotschalen; 0 mehtild Voogillarin g. selinschert von bregenz 3 ß von der badstat an vischergassen. 26. Stephani proth. 0 hailtwig von Salenstain closterfrowe dis gotzhvses g. 3 ß von strutpoltsweiler. 30. 0 rvodolf chorherre dis gotzhuses g. conrad sprol von Constanz sin frow und ihr kind 6 ß von ein. wies ze constanz. 31. Silvestri pap. 0 mehtild vom Kilchhove g. Joh. blaser 3 ß von ein. wing. bei der ahe; 0 adelhait des Mvonsers frow von wolfurt g. 2 ß von hemikoven.

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Anmerkungen. 1) Januar 1. Sur rin Geitraud gehört ohne Zweifel dem Geschlechte der Surri an, das sich später Surg von Syrgenstein schrieb, zur Ritter­ schaft in Schwaben gehörte, im Anfänge des 15. Jahrhunderts aber zum Theil auch in den Reichsstädten Ravensburg und Lindau verburgrechtet war. (September 22.) Clara Sürgensteinin von Lochen stammte aus dem Geschlechte von Lochen, das auf dem unferne von Lindau jenseits der Laiblach gelegenen Schlosse gleichen Namens hauste. Sie brachte ihrem Manne, der sich komischerWeise Surgenstein von Sürg schrieb, Lochen in die Ehe. Für diesen stiftete sein Sohn Heinrich, der 1447 noch Bürger von Lindau war, 1415 einen Jahrtag im Stifte 2) „ 2. Bvhil von dem Albrecht. Ein Ulrich ab dem Buhel besass schon 1260 ein Haus in Lindau 3) „ 4. Stainmair. Rathsgeschlecht zu Lindau, von Constanz stammend. Albrecht 1426-1438 daselbst. 4) „ Albrecht, Pfalzgrave, vide Einleitung. 5) „ 15. Erl o. » Der Beisatz der Spende „Brod Fleisch Wein“ findet sich in dem Todenbuche llmal, und wie es scheint zur Ehrung der vorzüglichsten Wohlthäter des Stiftes, nämlich der drei Grafen Albrecht, Manegold und Ulrich und des andern Grafen Ulrich, dann der Abtissinen Bertha, Hedwig, endlich des Ritters Erlo, eines Dietmar, der Hilteburg von Ziegelbach, des Erzbischofes Gebhard von Ravenna und einer Gnannilla. 6) „ 16. Bo mb rot. Heinrich und Conrad finden sich in Urkunden von 1258 und 1263, ChTistina war um 1320 in der Sammlung zu Lindau. Wegen eines Bombrod, der Bürger zu Memmingen war, kam die Stadt Lindau vor 1331 in die Reichsacht. 7) „ 16. 21. Stoffeln.' Das ritterliche Geschlecht Derer von Stoffeln stammte aus dem Hegau, wo die drei Stoffeln in der Nähe des Hohentwils noch ihre Häupter erheben. Aus diesem Geschlechte, von dem Maria Cleophea als die Letzte ihrem Manne Balthasar von Hornstein einen Theil von Hohenstoffeln und das Wappen ihres Geschlechtes zubrachte, war um 1320 Einer Canoniker des Stiftes zu Lindau, 1298 aber Pilgrim Burger zu Lindau. (März 13 und September 17). 8) „ 22. Schellenberg. Schloss Schellenberg am Eschnerberge, auf der äussersten Grenze Schwabens, in dem Fürstenthume Lichtenstein gelegen, gab einem Geschlechte den Namen, welches Jahrhunderte lang zur Reichsritter­ schaft in Schwaben gehörte, vide Glieder in Hochstifte und Ritterorden, dem Stifte Lindau aber drei Abtissinen und eine Anzahl Chorfräuleins gab, während Ulrich 1307 — 1314 Pfarrherr daselbst war. Unser Todenbuch gedenkt ausser der drei Abtissinen noch 11 Angehöriger dieses Geschlechtes, meist dem Stifte angehörig. Ein Leonhard, Landcomthur des deutschen Ordens, liess sich nicht finden;

129 dagegen führt Voigt in seiner Geschichte des deutschen Ordeps einen Burkard von Schellenberg auf, der 1443 und 1457 Landcomthur im Eisass war, sowie einen andren Burkard, der 1442 Comthur zu Bugheim war. Auch das adeliche Schwaben kennt nur einen Burkard als Deutschordensritter, der aus der Ehe des Marquard zu Hüfingen und der Catharina von Schomburg stammte. Die Abtissin Ursula und ihre Schwester Adelbaid waren die Töchter des Marquard und der Margreth von Ellerbach. 9) Januar 2 2. Bürgin. Die Bürgin waren ein altes und wie es scheint eingebornes SünfzenGeschlecht Lindau’s, aus dem sich schon 1379 Ulrich als Bürger­ meister findet. Sein Sohn Ulrich war gleichfalls Bürgermeister. Die Familie stiftete das leider allmäblig seinem völligen Verderben ent­ gegengehende Gemälde in der Barfüsserkirche zu Lindau. Ulrich hatte die im Todenbuche erwähnte Nes Werkmeister 1438 zur Frau. (Conf 24. August.) 10)

„ 23. Sch malz eg ge. Des Smalzeggen Haus lag nach einem Stiftsregister von 1400 am Kornmarkt zu Lindau.

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24. Häring. (März 10.) In Marquard Härings Haus zu Lindau verkaufte Herr Walher von Vatz 1228 dem Kloster Salem mehrere Güter. Alhaid wird wohl dessen Gattin gewesen sein. (Mono, Zeitschr. f. d. Ob. Rhein VII. 09.) 25. Lassauer Berta. Die Lassauer waren ein altes Rathsgescblecht in Lindau, von dem das spätere Zunel- nun Zitronengässchen eine Zeit lang den Namen trug. Albert war schon 1282 des Rathes. Berta, wohl die obige, gab 1316 der Schwester Hofmann in der Sammlung zu Lindau 4 Mark zur Vertheilung 26. 28. Gebz. Die Familie Gebz, von der sich auch einige Glieder Blaser nannten, waren ein Geschlecht Lindau’s, das schon im 18. Jahrhunderte dort blühte, und erst gegen Ende des 14. nach Frankreich sich wandte. In der Sammlung waren aus ihr 1345 Anna, Lingg 1870 Meisterin. Auch in die Sünffzen-Gesellschaft gelangten Einzelne dieser Familie. (Conf. März 4, Mai 17, November 17.)

Wilberg. Ulrich war der Nachfolger des Niklas von Wolfurt als Canoniker am Stifte und besass die Pfründe von 1371 — 1400. Im Jahre 1388 gerieth er mit dein Stifte wegen des 2 B Pfeffer betragenden Zinses von seinem Chorhofe in Streit. Sein Stammhaus lag am Wege von Wil nach Bremshofen, Cantons St. Gallen. Die Wilberg waren theils Ministerialen der Toggenburger, theils Edelknechte der Aebte von St. Gallen, und finden sich schon in Urkunden von 1210. Sein Siegel ist soferne interessant, als es zwei Schilde zeigt, von dem der rechte einen schreitenden Löwen, der linke aber sein Ge­ schlechtswappen, einen Widderkopf, zeigt.

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130 15) Januar 27. Ban wo lf. Die Banwolf finden sich schon 1364 in Lindau. Catharina, des Frick Wittwe, stiftete 1350 mit ihrem Gute im Steckartsbuch ein Licht bei St. Stephan in Lindau. Ein Johann war noch 1471 daselbst Bürger. Er hatte sich das Gedächtniss im Stifte auf den 4. Mai mit 8 U erkauft. (Conf. April 12.)" 16) „ 28. Busilin. Berchtold Busilin von Lindau lebte nach dem Todenbuche des Klosters Rott im 13. Jahrhunderte. 17) „ 29. Arnsberg Aus diesem adelichen Geschlechts hatte Einer vom Stifte zu Lindau 1363 einen Hof zu Obermowiler zu Lehen, war Heinz 1413 Bürger zu Lindau, Heinrich, gleichfalls dort Bürger, 1453 auf Schloss Lochen sesshaft. Im Jahre 1447 gab dieser dem Spitale zu Lindau den Zehent zu Flono (Flunau) zu kaufen. 1) Februar 3. T r i s e n. Das Stammschloss Trisen lag im Fürstenthume Liechtenstein. Ein Ulrich kömmt nach dem Urkundencode* des Herrn von Mohr schon 1273 vor. Er war nach ihm Vater oder Bruder der Abtissin von Lindau, Guta von Trisen. Eine Anna war zugleich mit Catharina im Stifte, und bei ihrer Wahl 1356 mitthätig. (Conf. März 26, Mai 11, Juli 18, Oktober 4.) 2) „ 2. Crebes. Conrad der Crebes und sein Bruder werden von Friedrich von Pflegelberg der Stadt St. Gallen geschenkt. Ersterer war 1279 Bürger zu Lindau. 2) „ 3. Licnbain. In einer zu Lindau ausgestellten Urkunde des Jahres 1216, das Kloster Salem betreffend, werden zwei Libinbain als Zeugen aufge­ führt (Mone, Zeitschr. f. d. Ob. Rhein). 3) „ 6. Sckenk von Landegg. Eine Mya betheiligte sich von 1369 bis 1419 an den im Stifte zu Lindau stattfindenden Abtissinenwahlen. Aus diesem Gescblechte, dessen Stammschloss bei Ramsau im Canton St. Gallen lag, und das vom Stifte St. Gallen das Schenkenamt zu Lehen trug, findet sich schon 1167 ein Ruf. Zu Lindau besassen Anton und seine Frau Agatha an der ehemaligen Salzgasse 1445 drei Häuser hintereinander, von der die davon zum Theil gebildete Strasse lange Zeit das Schenkengässchen hiess. 4) „ 8. Helmsdorf. Aus dem Constanzer Erbscbenfeen-Geschlechte von Helmsdorf, dessen Stammburg bei Immenstaad gegen Buchhorn zu lag, kommt schon 1260 Conrad der Sänger urkundlich vor. Ludwig, der in Diensten des Stiftes St. Gallen stand, kam 1465 zu Lindau ins Bürger­ recht. Das Todenbuch gedenkt ausser des Ulrich noch Dreier, welche Klosterfrauen im Stifte zu Lindau waren, von denen sich Anna an der Wahl von 1432 betheiligte; sonst aber noch 1419 und 1437 genannt wird.

131 5) Februar 9. Raet er sehen. Räterschen, von dem eich das sonst unbekannte Geschlecht schrieb, liegt in Württemberg’schen Oberamte Tettnang. 6)



10. Nekker. Die Nekker waren ein angesehenes Sünffzengeschlecht zu Lindau, aus dem Märk der Alte und Ruf 1831 Bürger daselbst waren, während noch 1392 der mit Margreth von Ostrach, einer Geschlechterin Lindau’s, verheiratete Ulrich daselbst zu Käthe ging. Die erstgenannten zu Lindau waren aber 1295 Eberhard und Rudolf. (Conf. December 22.)

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11. und 15* Straub. Die Strauber zählen zu den ältesten Geschlechtern der Stadt St. Gallen, von dem der Ort Strubenzell den Namen trägt. In Lindau wird des Albrecht Struben Gässchen und Haus im 14. Jahrb. gefunden. Johann wird 1285 in einer Urkunde des Spitales als dessen Meister und Bürger zu Lindau genannt. (Conf. Aug. 29., Sept. 10.)

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15. Manegolt. Ein Manegold, Bürger von Lindau, findet sich im Todenbuche des Klosters Roth eingetragen; ein Magister Manegold leistete 1282 den Sammlungsschwestern in Lindau Zeugscbaft.

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20. Gebehard. Gebhard bestieg 1027 nach Zettlers Lexikon als der 67te den erzbischöflichen Stuhl zu Ravenna, und starb am 15. Februar 1044 nach Gams episc. eccles. cath. S. 717. Seiner gedenkt kein andres mir bekannt gewordenes Todenbuch bayerischer Stifter oder Klöster.

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17. und 21. Arbon. Es gab nicht nur ein freiherrliches Geschlecht, das sich von dem Städtchen Arbon am Bodensee schrieb, sondern auch ein bürgerliches, das mitunter auch den Beinamen am Kilcholf führte*. Aus diesem wird Heinrich von Arbon hervorgegangen sein, dessen unser Toden­ buch sammt seiner Frau gedenkt. Zu Lindau war er 1382 Bürger und im Stinffzen. Agnes von Arbon betheiligte sich 1856 bei der Wahl des Stiftes zu Lindau. Die Ritter von Arbon, deren das Todenbuch des Stiftes zu St. Gallen zum öfteren gedenkt, sind das dritte so benannte Geschlecht. Welchem Geschlechte Frau Gut von Arbon angehörte, welche Abtissin zu Schennis wurde, lässt sich nicht bestimmen, da sich über diese Abtissin zu Schennis nichts auffinden liess. Nur soviel kann mit Bestimmtheit angenommen werden, dass sie nicht zum freiherrlichen zu zählen ,ist, da dieses schon um die Mitte des 13. Jahrhundertes erloschen war, der Eintrag unserer AbtisBin aber erst im 14. erfolgte. (Conf. Juni 2.)

Hoch seher. Anna die Closnerin wird 1360 urkundlich eTWähnt. Ein Johann mit seiner Frau Catharina besass 1360 ein Haus an des BlowelmansGasse zu Lindau, Peter schwur 1395 in Folge des Rienoltaufruhres über die Donau. 16*

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132 10) Februar 17. Wolfurt. Die Wolfurt, deren gleichnamiges Schloss einst hinter dem Gebhardsherg bei Bregenz stand, sollen aus Schottland stammen. Mit dem Stifte in Lindau standen sie länger denn 3 Lustra in Verbindung, gaben ibm drei Vorsteherinen, eine Reihe von Chorfrauen und selbst einen Canonicus. Im 17 Jahrhunderte erlosch ihr Geschlecht, dessen Wappen sich schon in der Züricher Wappenrolle findet. Ein Conrad war 1268 im Kloster zu St. Gallen, ein zweiter Abt zu Pfäffers; ein dritter Canonicus am Stifte wird mit seinem Bruder Burkard in dem um 1320 angefertigten Zeugenrotel des Pfarrherm von St Stephan in Lindau alz Zeuge aufgeftihrt. Diese zwei sowie Wölflin waren Neffen der damals regierenden Abtissin Sigena. Agnes, die zweite aus dem Geschlechte, welche Abtissin zu Lindau wurde, gab diese Gilt vom Weingarten im Stokken selbst zum Stift. Clara, die dritte Abtissin aus diesem Geschlechte, stiftete in ihr Stift 1412 mit 16 B eine Frühmesse, welche der mindere Canoniker zu persolviren hatte. 11)

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25. Goldschmidt. Die Goldschmiedt waren ein altes angesehenes Stadtgeschlecht von Lindau, aus dem Berchtold 1287, ein jüngerer Berchtold noch 1342 und 1864 in Urkunden sich findet. Die Goldschmiedtsmühle bei Oberraitenau hat ihren Namen bis auf diese Zeit erhalten. (Conf. October 21.) 28. Adelheid abbatissa. Das Todenbuch hat am 1. Januar eine Adelheid abbatissa, und am 28. Februar eine Udelhaid von Helfenstein Abtissin. Ob diese beiden Abtissinen identisch sind oder nicht lässt sich nicht sicher bestimmen, obwohl die Einträge von derselben Hand stammen. Kerler in seiner Geschichte des Hauses Helfenstein erwähnt einer Adelhaid als Schwe­ ster Eberhards und bemerkt, dass beide 1120 in einer Urkunde des Klosters Hirschau sich finden. Dass sie Abtissin zu Lindau gewesen, gibt er nicht an; dem widerspricht auch zeitlich die Angabe des Geschlechlsnamens. Das Todenbuch des Klosters Reichenau hat zum 6 K. Jan. eine Adelhaid, Abtissin von Lindau, eingetragen, deren Existenz der Schrift nach in die Zeit von 1190—1220 fällt. Sie dürfte wohl mit der Helfensteinerin eine Person sein. Das Todenbuch des Klosters Weissenau bei Ravensburg hat zum 28. Februar das Gedächtniss einer Abtissin Udelind. Sollte diese nicht auch identisch mit der Udelhilt von Helfenstein sein? Vhdl,.4 d. antiq. Gesellsch in Zürich Jhrg. 17 S. 68. In meiner Arbeit über die Abtissinen in Lindau heisst es irrthümlieh bei Adelhaid III K. Jan. statt K. Jan.

1) Märe 5.

Wucherer. Die Wucherer begegnen uns von 1258 bis 1360 in den Urkunden von Stift und Stadt Lindau, und führten gleiches Wappen mit den Goldschmidt. Jakob des Wucherers Von Lindau gedenkt das Todenbuch des Klosters Roth als im 12. Jahrhunderte verstorben.

133 2) Mär» 18. Milwin. Die Milwin waren ein altes RathBgeschlecht der Stadt Lindau, ans dem sieh in Urkunden Conrad von 1268 bis 1802 findet. Gesa und Mia waren nach einer Urkunde im Clarenkloster zum Paradiese bei Diesenhofen, Agnes dagegen 1322 in der Sammlung zu Lindau. Sie war die Tochter des Ulrich, der 1820 bekundet ist. 8) „ 19. Pfaff. Hahn. Die Pfaff zählten zu den ältesten Familien der Stadt Lindau. Hans kam 1831 mit andren Bürgern aus der Reichsacht, Steflfan wurde wegen des Rinoltaufruhres 1896 schwer gestraft. Er war der Sohn desjäk, dessen hier gedacht ist. Die Hahn zählten zu den Rathsgeschlechtern der Stadt Feldkirch. Zur Zeit der Verbannung Friedeis mit der leeren Tasche zogen mehrere nach Lindau, wo sie ins Burgrecht kamen und in den Sünffze'n aufgenommen wurden. Jäk und Clas finden sich 1894 in Lindau. Sie waren Brüder. Gleichfalls in den Rinoltsaufstand verwickelt, mussten sie 100 ff Strafe zahlen. Ein Jäk war noch 1471 in der Grttb zu Lindau hausgeBessen. 4) „ 20. Herbolder. Conrad und Walther Herbolder Ritter kommen in einer Urkunde der Abtissin von Lindau aus dem Jahre 1252 als Zeugen vor. Sonst findet des Geschlechtes Keiner mehr sich daselbst. 5) „ 20. Schneberg Nes. Die Schneeberg waren ein angesehenes Stinffzen- und RathsgeBchlecht in Lindau, von dem noch eine Gasse den Namen trägt. Urkundlich findet es sich bis 1420. Die Embser brachten es bis zum Grafenstand und hohem Güter­ besitze, waren auch fast 200 Jahre zu Lindau in der vorderen Grttb sowie im Paradies behauset und im Burgrechte. 6) „ 27. Salwenstein. Ober Arenaberg lugten einst zwei Schlösser der Junker von Salven­ stein auf den Rhein herab. Da die Salwenstein er, von denen schon 1221 Conrad in Urkunden sich findet,* von dem Kloster auf der Reichenau das Schenkenamt zu Lehen trugen, schrieben sie sich meist die Schenken von Salwenstein. 7) „ 30. Prasberg. Das Stammschloss der Vögte von Sumerow lag im Schanfikerthale. Von dort zog sich das Geschlecht ins Argenthal im heutigen Ober­ amte Tettnang, wo es die Burgen Alt- und Neusumerau erbaute. Die Burgen sind längst zerfallen, das Geschlecht aber nahm erst in dem ersten Drittheile dieses Jahrhunderts in Oesterreich seinen Aus­ gang. Je nach ihren Burgen nannten sich in früheren Zeiten einzelne Glieder dieser Familie von Lupolz, Liebeneck und Prasberg. Unser Todenbuch gedenkt neben der Abtissin Ursula noch mehrerer Glieder derer von Sumerau. 1) April 2. Schreiber. Ulrich Schreiber, der unschuldige Veranlasser des Rinoltaufruhres zu Lindau, stammte von Bregenz, und war in den Jahren 1869—1400 aum öfteren Amann und Bürgermeister zu Lindau,

134 la) April 5. Bischof. Ulrich war 1433 im Rathe zu Lindau, seine Wittwe Anna Vogler stiftete hei 8. Stephan in Lindau mit 21 H eine ewige Messe. 2) „ 9. Brising. Uli war, 1383 Johann 1402 Bürger zu Lindau. Diess Geschlecht zählte übrigens zu den angesehensten der Stadt S. Gallen. 3) „ 14. Kirne. Von dieser Familie, dessen Wappen sich unter denen derStinffzengenossen findet, weise man nur, dass sie gegen 1400 ein Haus an der ßrodlaube zu Lindau besass. 4) „ 18. Werkmaister. Die Wermeister, auch in Isny verburgert, gehörten zu den Sünffzen> gesellen Lindaus und den Edelknechten der Aebte von S. Gallen. 5) „ 22. Sigberg. Schloss Sigberg, das sich einst unfern vdh Gözis über den Rhein erhob, ist längst völlig Ruine geworden. Das Geschlecht, dem es den Kamen gegeben, gehörte zu den Ministerialen der Grafen von Montfort, und werden einzelne seiner Glieder in Urkunden dieser Herren schon 1259 gefunden. Ausser der 1476 am 19 März verstorbenen Abtissin Ursula von Siggberg nennt das Todenb’uch noch die Anna, welche 1468 Pflegerin im Stifte zu Lindau war. 6) „ 24. Dum. Conrad Dum — pollex — erscheint 1296 und 1313, Johann noch 1316 in Urkunden Lindaus. 7) „ 24. Hör wer. Die Horwer von Ringenberg blühten noch Anfang dieses Jahrhundertes in Schwaben. Anna Horwer hatte sich schon 1356 bei. der Wahl der Katharina von Trisen betheiligt. 8) „ 28. L udwig d er V i tztum. Ludwig Graf von Helfenstein, ein Bruder des Ulrich VI. und Sohn Ulrich des fünften wurde 1250 Canoniker im Domcapitel von Augsburg, 1271 zum Dompropst erkürt, starb 1288 und fand seine Ruhstätte lm Kreuzgaoge des Domes^, Cham. hier. aug. S. 27. Kerler die Grafen von Helfenstein. 9) „ 29. Sun. Magister R. Sun findet sich in einer Lindauer Urkunde von 1267. 1) Mai 1. Judenta von Kraien Das Stammschloss des häufig sich im Todenbuche der Abtei S. Gallen findenden Geschlechtes war Hohenkrähen im Hegau. Heinrich der Vogt von Craegen und seine Söhne Heinrich und Conrad sind urkundlich noch 1240 nachweisbar. Goldast. rer. alam. script. edit. III. T. I pg. 94—100. Mone Zeitsch. f. d. Ob. Rhein Bd II S. 87. 2) „ 1. Munser. Niklas Muenser, von 1335 bis 1353 Pfarrer zu Bertschanrüti sowie Chorherr der minderen Pfründe schenkte dem Capitel zu Lindau 1363 eine Gilt von 1 tt 6 ß und 10 Vassnacbt-Hülmern. In Berücksichti­ gung seiner Verdienste hatte die Abtissin Guta schon 1335 dem

135 Niklasaltar zu Bertschansrüti den Hohenberg sammt Hausgesäs« und Zehent verliehen. 3) Mai 4. Veringen Manegold Graf von. Im Geschlechte der Grafen von Veringen-Nellenburg finden sich 4 des Namens Manegold, von denen hier wohl nur der von 1263—1291 sich häufig in Urkunden findende Manegold, Wolfards Sohn gemeint sein kann. Das Todenbuch des Hochstiftes Constanz gedenkt am 1. April und 28. Mai eines Manegold von Veringen, das des Klosters in der Weissenau des ältesten Veringers dieses Namens, der 1196 starb, am 3. Mai. 4) „ Ö. Paicr. Den Paicrn, auch Paygerer genannt, begegnet man zum öfteren von 1252 - 1435 in den Urkunden Lindau’s als Bürger und Rathsherren* 5) „ 5. Lampoldsweiler. Ein Schloss Lampoltsweiler krönte einst einen Hügel bei Ricken­ bach im Gebiete der Abtei St Gallen. Urkunden von 1249 und 1310 haben Ulrichs und Friedrichs Andenken erhalten, die zu den Dienst­ mannen der genannten Abtei gehörten. Eine Guta von Lampoltsweiler, vielleicht des Berchtolds Tochter, war 1278 im Stifte zu Lindau. 6) „ 14. Lochen von Clara. Geringe Thurm und Mauerreste über dem eine Stunde von Bregenz gelegenen Dorfe Lochau zeigen noch den Ort an, wo sich einst die Burg Lochen erhob. Von ihr schrieb sich ein Geschlecht, das schon 1295 mit der Stadt Lindau, in der einzelne Glieder das Bürgerrecht nahmen, ip Berührung kam. Am berühmtesten ward Frik von Lochen, der zuerst Marschall des Königs Waldemar IV. von Dänemark, später aber oberster Hauptmann des Markgrafen Ludwig von Brandenburg war. Nach dem wegen ihrer Aufnahme 1368 ausgestellten Reverse war Clara die Tochter des Heinrich von Lochen Ritters, der zu Reitenau bei Lindau sass, und der Catharina von Ramschwag, die als Wittwe 1395 das Bürgerrecht zu Lindau annahm. 6I/2) „ 14. Wolfurt von Clara. Sie stiftete mit 16 U ^ eine Frühmesse im Stifte, die nach dem Vertrage von 1412 der mindere Chorherr zu persolviren hatte. 7) „ 18. Sen ft. Hans Senft war 1837 Bürger zu Lindau. Dort findet sich auch 1403 Claus und der Schrift nach der hier gemeinte Hans der jüngere 1437. 8) „ Rienold. Die Rienold zählten zu den ältesten und angesehensten Geschlech­ tern Lindau’8. Heinrich und Peter gelangten durch den Aufstand, den sie 1396 in ihrer Vaterstadt anzettelten, zu trauriger Berühmtheit. 1) Juni 1. Roetenberg.

Es gab in Lindau ein Sünffeengeschlecht, das sich Von Rötenberg schrieb und im 16. Jahrhdt. das alterthümliohe Hausz um Pflug besass. Vor ihm aber begegnet man dort auch in den Zinsregistern des Stiftes im 14. Jahrhunderte einer zu den Handwerkern gehöffettdeff Familie» dieses Namens, die in der Nähe des Stifts und der Barfüsser behaust war, und diesem wird wohl Heinrich angehört habend

136 2) Juni

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Renner. Die Renner, ein eingebornes Sünffzengeschlecht, besäe sen eine Zeit lang die unfern Lindaus gelegene Burg Senftenau. In den Rienoldsaufruhr verwickelt, wurden sie schwer gebüsst und mussten die Senf­ tenau der Stadt zu einem offenen Hause machen. Bald darauf kamen sie in Vermögensverfall und sanken in den Handwerkerstand herab. „ 5. V o egelin. Catbarina Blowelmann. die 1361 Conz Voegelin von Lindau geheyrathet hatte, machte 1384 den Siechen in Aeschach und dem Spitale zu Lindau Vergabungen, uud stiftete 1376 für sich und ihren Mann einen Jahrtag, zu dem sie Haus und Hofstatt bei der Metzg vergabte. „ Ouresil. Conrad und Peter die Curesil von Schafhausen trugen vom Stifte zu Lindau dessen Maigeramt über die Stiftsbesitzungen zu Nuwanhusen bei Schafhausen zu Lehen, das sie 1254 der Abtissin Anna wieder aufgaben. „ 12. vide die Einleitung. „ 16. Pflegelberg. Auf den Weiler Pflegelberg bei öoppertsweiler im Oberamte Tetnang sah einst eine Burg herab, von der sich ein Geschlecht schrieb, aus dem schon 1252 Friedrich mit seiner Frau und Sohne Friedrich dem Kloster Salem Güter zu Wangenweiler eigneten. Ulrich hiess 1291 diese genehm. In einer Montforter Urkunde von 1309 geschieht noch eines Ulrichs und Ritters Conrad als Zeugen Erwähnung. Der Schrift nach dürfte die hier genannte Mya mit der Abtissin Lindau’s dieses Namens kaum identisch sein. „ 17. Guderscher Die Gudescher, von denen einzelne Glieder den Sünffzen angehörten, hatten eine Zeit lang vom Reiche das Amanamt zu Lindau pfand­ weise inne. Conrad findet sich als Aman 1344—1365 häufig in Ur­ kunden erwähnt. Burg Senftenau hatte er nur kurze Zeit inne. „ 20. Sch owenstein. Die Schauenstein stammten aus dem Graubündtner Gerichte Tusis, * schrieben sich später Freiherren von Ehrenfels und Haldenstein, schlugen schlechtes Geld, wurden die zweiten Stifter des Frauen­ klosters Kaetzis wo Guta III 1382 Vorsteherin war. Albrecht und Rudolf stifteten sich im Dome zu Chur 1356 eine Messe. Hans war 1816 Canonicus daselbst. Ein späterer Albrecht starb vor 1368. „ 21. Weiler. Die von Weiler zur Altenburg uud Scheiben gehörten zur Reichs­ ritterschaft in Schwaben und den Lehensleuten des Stiftes in Lindau. „ v24. Frig. Die Frigen waren ein altes Geschlecht zu Lindan, das sich zeit­ weilig auch nach Constanz begab. Frick zum Thor der alte hatte 1349 zwei Töchter in der Sammlung zu Lindau; Wernhard war 1406 bis 1420 Bürger daselbst, ein Johann 1875. Juli 3. Zuneii. Das Zunels-, früher Lassauer-, nun Zitronengässchen, findet sich schon im 14. Jahrhundert in Lindau.

137 2) Juli 4. Syber und Rem. Die Sieber erwarben das reichsritterschaftliche Gut Schomburg, besas8en sonst noch mehrere Güter wie Häuser zu Lindau, zählten zu den ältesten Stinffzengenossen und erloschen daselbst im 15. Jahrh. Conrad findet sich 1383 zu Lindau, Benz starb 1439, sein Sohn Conrad hatte 1383 Ursula Wermeister zur Frau, während Elsbeth Stubuff und Vern Bonzius die Frauen des Benz waren. In Lindau gab es zwei Geschlechter des Namens Rem, von denen das ältere eingeberne auch den Beinamen Schleich führte. Das jüngere, das zu den Sünifzengeschlechtern gehörte, entstammte dem Augsburger Patrizergeschlechte dieses Namens, das erBt Anfang dieses JahrhunderteB erlosch, und im 16 Jahrhunderte von dem Lindauer Geschlechte von Kirchen die Güter Allwind und Tegelstein erwor­ ben hatte. 3) „ 6. Kraienriet Cragenrieth kommt in einer Urkunde des Klosters Salem von 1296 und 1298 vor, doch kennen weder Mone (Zeitsch. Th. III S. 484 noch Memminger (Ob. Amt Saulgau) ein Edelgeschlecht, welches sich von diesem Orte schrieb. 4) „ 21. Zendring. C. der Zendring findet sich schon 1831 als Bürger von Lindau, Elsbeth war 1435 in der Grub hausgesessen, Heinz besass 1400, und nach ihm Andreas ein dem Stift zinsbares Haus am Wuhrerstaad. 41/2) „ 23. Ursula und Elsbeth von Schellenberg. Diese Schwestern kauften sich 1480 von der Stiftspflegerin eine mit den 4 Piiestern des Stiftes und einem auswärtigen Geistlichen zu feiernde Jahrzeit. Nachdem auf Blatt 25 des Todenbuches befind­ lichen interessanten Reverse des Stiftes hatten sie au^h ein ewiges Licht zwischen den Schlafkammern gestiftet. 5) „ 26. Mayger. Die Mayger waren ein altes und reiches Geschlecht zu Lindau, aus dem Hans schon 1366 genannt wird. Ruf war 1365 im Käthe, und ward von Peter Rienold 1395 erschlagen. 1) August 5. Tannenvels. Von der Burg Tannenfels bei Sursee im Canton Luzern schrieb sich ein adeliches Geschlecht, aus dem Ruf 1225 Canonicus zu ConBtanz war, und später Archia diakon des Dekanats Albgau wurde. Adelhaid, des Heinrich Tochter, heyrathete Hainz Kizzi von Lindau. Sie verzichtete 1360 gegen die Grafen von Montfort zu Gunsten ihrer Brüder Eberhard und Hans auf den Burgstall Ratenweiler. Ein früherer Hans erscheint 1317 als Zeuge beim Vergleiche des Stiftes Lindau mit Ritter Albert von Clingenberg. 2) „ 12. Brtimsi. Mäz Brümsi war 1356 bei der Wahl betheiligt. Die Brtimsi, ein schweitzer Edelgeschlecht schrieb sich von Herblingen, und gab dem Stifte Lindau neben mehreren Chorfrauen auch eine Abtissin in der Person der Maria Rosina, welche denselben von 1676 bis 1689 regierte. 3») „ 14. Schleich Ruf war 1385 - 1395 im Rathe, besiegelte noch 1395 eine Urkunde.

138 3) August 17. Bomgartner. Die Bomgartner waren ein zünftiges Geschlecht in Lindau, aus dem Rudolf Zunftmeister von Rebleuten, in den Rienoldsaufstand verwickelt, 1396 strenge gestraft wurde. Diese Familie von der ein anderer Rudolf noch 1402 im Rathe sass, besass mehrere Häuser unferne des Stiftes, bei Barfüssern und in Yischergassen. 4) „ 25. Graf Uzzo vide die Einleitung. 5) „ 26. Gr af Ma negold v o n R o r dorf. Manegold des älteren von Rordorf Andenken ist im Zwifaltner Todenbuche auf den 2. Non. Ap. eingetragen; in dem des Klosters in der Weissenau bei Ravensburg das Gedächtniss eines Grafen Manegold des alten von Rordorf auf den 4. April, des Jungen auf den 17. Oktober, des Mittleren endlich auf den 26. August wie bei unserem Todenbuch vermerkt. Manegold, der Letzte dieses Geschlechtes, das nach Mone eines Stammes mit den Grafen von Verin gen-Vellenburg war, Bruder des Abtes Eberhard von Salem, starb im Jahre 1210 zugleich mit seinem Bruder. Das Stammschloss des Geschlechtes stand in dem bei Mösskirch gelegenen Rordorf, von dem sich übrigens auch ein Edelgeschlecht schrieb. Einer Gräfin Agnes von Rordorf gedenkt keines der Todenbücher, die sonst ihres Geschlechtes erwähnen. 6) „ 27. R o r s ch a ch. Anna von Rorschach betheiligte sich bei mehreren Verhandlungen des Stifts nach den Urkunden von 1419 und 1428. Ihr Geschlecht stammte von dem am Bodensee gelegenen Rorschach und zählte zu den Lehensleuten der Aebte von St. Gallen. 7) „ 31. Blaser. Die Blaser, wie es scheint eines Stammes mit dem Lindauer Geschlechte Gebz, kommen schon gegen das Ende des 13. Jahrhundertes in Urkunden vor, wie 1268 Conrad und Ulrich. Anna war 1282, Adel­ haid 1283, Margreth 1308, Dilg 1360 in der Sammlung zu Lindau. Des Blasets Thurm wird 1308 gedacht. 1) September 26. Pflumerer. Diese Familie ist urkundlich schon im 14. Jahrhundert in Lindau verburgert, ein Glied 1396 in den Rienoltsaufstand daselbst verwickelt gewesen. la) „ 10. Munch swil. Conz von Münchwil, der Nachfolger des Ulrich von Wilberg in der grösseren Pfründe zu Lindau, war nebenbei Propst zu Bischofs­ zell und Canoniker zu Constanz. In Lindauer Urkunden findet er sich von 1406 bis 1434. Er ver­ schaffte dem Stifte vom Bischof Otto von Constanz einen Ablass und war nach dem Vermerk des Todtenbuches der Wiedererbauer des Canonikathofes. Er hatte schon 1404 vom Könige Ruprecht primae preces für das Stift Lindau empfangen. Schloss Münchwil im Gebiete der Aebte von St. Gallen gelegen* gab einem Geschlechte den Namen, vjn dem schon früh Glieder als

139 Edelknechte dieser Abtei sich in Urkunden finden. Wappen: weisser Pfahl in blauem Felde. 2) September 11. Wolfurt. Nikolaus von Wolfurt war 1336 Pfarrherr von S. Stefan in Lindau? und von 1349—1363 Inhaber der grösseren Pfründe im Stifte zu Lindau. 3) „ 12. Buchen stein. Eine öuta von Buchenstem war nach Urkunden von 1278 und 1305 im Stifte zu Lindau. Die Stammburg ihres Geschlechtes, das ein Steinbockhorn im Wappen führte, lag mit Buchenberg und Bernang bei Altstätten im Rheinthale. 4) „ 13. So Ibach. Niklas Solbach, Caplan der Nicklaspfründe bei S. Stephan kauft für seine Pfründe aus eigenen Mitteln 1419 ein Haus bei S. Stephans Chor. Ö) „ 18. Scheer von der. Johann von der Schär war Stadtschreiber in Lindau zur Zeit der Abtissin Clara von Wolfurt. 6) „ 23. Kitzi Klaus. Ein Klaus Kitzi findet sich in einer Lindauer Urkunde von 1332 erwähnt.' Sein Geschlecht zählte zu den ältesten Rathsgeschlechtern Lindaus. Es besass eine Zeit lang von den Kaisern das Münzamt zu Lindau zu Pfände, und von dem Stifte daselbst die Fischenz in einem Theile der Laiblach zu Lehen. Ihr einstiges Familienhaus in der Bindergasse zu Lindau zeigt noch jetzt von hohem Alter. 7) „ 26. Br unnenfeld. Eines Dietrichs erwähnt Mohr in seinem Graubündtner Urkunden­ werke zum Jahre 1359. Conf. Decemb. 4. und 9. und die Note bei Trisen Catharina von im Anhänge „die Stiftsfräuleins.w 8) „ 28. 29. R o senh art. Eine Susanna vom Rosenharts betheiligte sich an der Abtissinen­ wahl zu Lindau im Jahre 1356, eine Anna bei denen von 1368 und 1390. Die Gedächtnissfeier der einen Anna sammt ihres Vaters, ihrer Schwester und des Sohnes des Letzteren hat das Todenbuch der Stift Lindau’schen Pfarrei Bösenreutin, aber bei dem 1. Sep­ tember eingetragen. Die Rosenharts, welche eine Zeit lang vom Abte zu S. Gallen mit der Burg Mollenberg im äusseren Gebiete der Stadt . Lindau gelegen, belehnt waren, stammten von der Burg gleichen Namens in dem nunmehrigen Wirttemberg’scben Oberamte Ravensburg. 1) October 1. Luti Dieser Eintrag muss auf einem Schreibverstosse beruhen, denn während sich nirgend ein Hans Luti finden lässt, begegnet uns ein Hans Ruti 1416 als Pfarrherr von S. Stephan in Lindau. 2) „ 1. Gurrer. Jos. Gurrer war 1429 des Rathes zu Lindau, und besass 1432 am Baumgarten ein Haus. Sonst finden sich noch Conrad 1406, Conrad jünger 1412, Johann 1449 als Bürger von Lindau. 3) „ 8. Wiler. Ruf von Wiler und seine Frau Anna Vögtin von Summerau ver­ kauften 1436 ihr Haus an Kilchgassen in Lindau um

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Die Wiler waren sonst noch im Besitze eines Hauses in der Bürstergasse zu Lindau und trugen vom Stifte mehrere Güter zu Lehen. October 11. Multer. Ulrich Multer war nach Urkunden von 1834 und 1342 Sichenpfleger und nach solchen von 1336 und 1339 Spitalmeister zu Lindau. „ 22. Schenk von Castell. Ursula Schenk von Castell war nach den Wahlinstrumenten von 1368 und 1390 im Stifte. Sie starb im Jahre 1427. Sie wird wohl die Tochter des zum 22 Oktober genannten Burkard und seiner Frau Ursula Thum von Neuburg gewesen sein. „ 26. Enzberg. Die 1481 gestorbene Margreth von Enzberg betheiligte sich 1476 noch an der Wahl der Aebtissin. Eine zweite Margreth starb nach den zu Ende des Todenbuches befindlichen Notizen 1492 als Chorfrau zu Lindau. „ 30. Schulthaiss. Friedrich der Schulthaiss von Schaffhausen empfing 1333 mit seinem Sohne Egli vom Stifte zu Lindau den Keilhof zu Nuwanhusen bei Schafhausen um 18 Mark. * Sein Schild ist viermal geschrägt.

1) November 10. Ellnhofen. Die von Ellenhofen genannt von Hartnegg waren eines Stammes mit dem auch in Lindau und Ravensburg verburgrechteten Geschlechte der von Neidegg mit den 3 Sternen im Wappen; aus dem Christoph von Ellnhofen genannt von Hartnegg 1403 die Veste SchrekenManklitz an Joseph und Eberhard von Wiler verkaufte. la) „ 3. Elias. Elias und Heinrich sein Sohn werden 1258, Conrad 1282 in einer Urkunde als Zeugen aufgeführt. Der Name findet sich übrigens noch 1298 in Lindau. lb) „ 13. Wagenberg. Ausser der 1238 und 1255 bekundeten Abtissin Anna von Wagen­ berg findet sich 1805 auch eine Chorfrau Anna im Stifte zu Lindau, die noch in dem zwischen 1320 und 1330 fallenden mehrerwähnten Zeugenrotel mit der Bemerkung aufgeführt wird, „bereits über 50 Jahre im Stifte.“ Ausser diesem, dem Thurgaue entstammenden Geschlechte wird im Todenbuche der Abtei 8. Gallen am 8. Id. Decemb. eines Ritters Burkard Erwähnung gethan. Der Schild des Geschlechtes zeigt einen halben Bären. 2) „ 24 Marse halk. Anna Marschalk wählte im Jahre 1356 mit. 8) „ 25. Schwarz ach. Schloss Schwartzach liegt bei Saulgau. Von einem Geschlecht diese Namens finden sich viele Glieder in Urkunden des Klosters . Salem von 1273—1303. Das Geschlecht setzte sich auch zum Theil nach Constanz und Lindau; in welch letzterer Stadt Conrad 1385 ein Haus bei der Metzg besass. Eine Clara war 1508 Meisterin der

141 Sammlung in Lindau. In den Stiftsurkunden finden sich keine Glieder der Familie erwähnt. 4) November 28. Grave VI rieh, vide Einleitung. 1) December 5. Glückhaft. Peter Glückhaft baute aus seinen Mitteln den Thurm an Sankt Peterscapelle. Im Jahre 1434 machte er eine Stiftung in den Spital, dass man des Jahres 8 mal den Armen Bettgewand und Wäsche reinige, nachdem er schon 1430 dorthin in die Siecbstube ein Capital vermacht hatte, damit man am 15. November neun Ballen wullen Tuches zu Röcken, 60 Ellen zu Hemden und zwanzig Paare Schuhe kaufe. 2) „ 10. Scho enstein. Die von Schoenstein gehören zu den ältesten S. Gallen sehen Edel­ leuten, aus dem bereits ein Conrad 1214 beim Angriffe des Bischofes von Constanz auf St. Gallen dort befehligte. Sie hatten mehrfache Besitzungen um Lindau. Heinrich wurde 1337 Bürger in Lindau. Im Jahre 1460 machte Bat, österreichischer Hauptmann, einen Anschlag auf Lindau.

Anhang.

Die Stiftsfräulein, Chorherren und Geistlichen des Stiftes in Lindau. A) Stiftsfräulein. Im Laufe der Jahrhunderte hatte eine grosse Zahl von Töch­ tern des Adels in dem Stifte zu Lindau Aufnahme gefunden. Oft wurden sie schon als Kinder zur Erziehung demselben über­ gehen, um später zum Theil an der Hand von Edelleuten wieder in die Welt hinauszutreten. Anfangs war es fast ausschliesslich der Adel um den Bodensee, von der Schweiz und aus Schwaben­ land, der seine Töchter dort zu versorgen bestrebt war, vom 16. Jahrhunderte an aber begegnet man wie bei allen Hoch- und adelichen Stiftern auch in Lindau Stiftfräuleins auch aus entfern­ teren Gegenden. Primae preces, Verwandtschaft und Einwanderung boten meistens den Anlass dazu. Für diese Zeit bietet das Archiv des Stiftes ziemliche Aus­ beute, um so ärmlicher aber sind die Nachrichten aus den vorher­ gehenden Zeiten. Noch spärlicher sind die Mittheilungen, welche sich über die Canonici und Geistlichen erhalten haben, welöhe einst an diesem Stifte ihres Seelsorgeamtes oblagen. Es dürfte deshalb dieser Anhang um so weniger überflüssig erscheinen als über viele dieser Personen sonst kein Aufschluss zu finden sein dürfte. Soweit bei den einfach chronologisch vorgeführten Personen nichts Anderes bemerkt ist, stammen die Angaben aus Urkunden des Reichsarchives. ca. 1270 Loenegg und Loubegg Mathilde von. (a) 1278 Brachsberg Adelhaid von. Sie findet sich noch 1305. v. Nec. III 30. Wolfurt Guta von. Buchenstein Guta von. Urkundlich noch 1805. Lampoltsweiler Guta von.

143 Schönstein Siguna von. Schellenberg Ursula (?) von. cf. Nec. X 14. Wolfurt Sigena von. Urk. noch 1305. cf. Nec. III 2. In dem Wahlinstrumente von 1305 finden sich noch: Humaberg Agnes von, Wagenberg Anna von, (cf. Nec. XI13) Phiegelberg Mia von (cf. Nec. VIII 3) ( ); Stain Haila von, und Rainung Mechtild. Nach dem Wahlinstrumente von 1356 befanden sich damals im Stifte: Triesen Catharina von, welche zur Abtissin gewählt wurde; (b) Arbon Agnes von, cf. Nec. IX 15; Trie sen Anna von; Bruemsi Margreth; cf. Nec.-VIII 12; Marschalk Anna Wolfurt Agnes von; findet sich urkundl. 1360 noch im Stifte ; Schellenberg Ursula von, welche 1410 zur Abtissin gewählt wird ; Rosenharz Susanna von; Horwer Anna, die noch 1390 ge­ nannt wird. Cf. Nec. IV 27; endlich Montfort Adelhaid von, die jedenfalls nicht aus dem Grafengeschlechte dieses Namens ' stammte. Im Jahre 1368 wurde des Heinrich von Lochen und der Catharina von Ramschwag Tochter in das Stift aufgenommen, welche jedoch 1435 auf ihre Pfründe Verzicht leistete. An der 1369 vorgenommenen Wahl betheiligten sich folgende Stiftsfräuleins: Rosenharz Anna von, begegnet uns noch bei der Wahl von 1390; Schenk von Landegg Agnes, die 1419 noch am Leben war; (cf. Nec. II 6): Zwingenstein Elsbetk von. Sie ging 1392 aus dem Stifte weg; (c) Schenk von Castell Ursula. Sie verschied im Jahre 1427. cf. Nec. XII 18; Wolfurt Magdalena von. Sie lebte noch 1419. cf. Nec. IX 13; Wiler Ursula von. Diese findet sich schon 1360 im Stifte und be­ theiligte sich noch 1419 an der Wahl. cf. Nec. IX 27. Wolfurt Clara von und Agnes, welche Abtissin wurde. Im Jahre 1393 findet sich eine Clara von Rosenharts im Stifte, und im Jahre 1419 betheiligten sich ausser den schon ge­ nannten Stiftsfräuleins noch folgende an der Wahl: Helms­ dorf Anna von, die noch 1437 erwähnt wird; Vogt Elsbeth, die noch 1432 lebte, und Rorschado Anna von. Nach dem Wahlinstrumente von 1432 waren damals im Stifte: Haideiberg Margreth von; Vogt Ursula, die noch 1463 lebt; Siggberg Anna von; Schellenberg Anna; Münchwil Verena von, des Stiftskanonikus von Münch wil Nichte; Siggberg Ursula von, die 1463 Pflegerin war, und Zwingenstein Elsbeth von.

144 Nach dem Jahre 1453 werden, erwähnt : Eine von Haimenhofen; von Klingenberg; von Rischach; Margreth Thumb von Neuburg, welche 1473 den Stift verliess; Adelhaid von Schellenberg, die noch 1467 daselbst lebte, endlich Ursula von Helmsdorf, die jedoch austrat um Johann von Landenberg zu heirathen. Sie starb im Jahre 1457. cf. Nec. I 6. Im Jahre 1473 ward an Stelle der Thumb Dorothea von Ainwil in den Stift aufgenommen. Als 1476 Ursula Vogt von Summerow zur Vorsteherin des Damen­ stiftes in Lindau er kürt ward, nahmen an ihrer Wahl Antheil: Schellenberg Ursula von, die 1488 starb, und ihre Schwester Elsbeth; Dorothea Truchsess von Diessenhofen; Margreth von Enzberg; Amalia von Helmsdorf, die sich 1479 und 1480 als Pflegerin findet; Amalia vftn Reischach, die später Abtissin wurde; und Verena Schenk von Castell, die noch 1531 lebte. Barbara, Johann Jakobs von Bodmann Tochter, kam 1478 in den Stift. Als Wählerinen werden 1491 mit Ausnahme der Bodman noch die alten Fräuleins genannt. Neben der Reischach finden sich während der Dauer ihrer Regierung sonst noch: 1492 Margreth von Asch; Dorothea von Ainwil, des Hans von Ainwyl, Constanzer Obervogtes zu Bischofszell Tochter, welche schon 1473 in den Stift aufgenommen worden war; Margreth von Helmsdorf, Margreth von Reischach, Cordula von Stain, des Conrad zu Stainegg Tochter, die schon 1486 angenommen worden war; Elsbeth von Ramsch wag, Elsbeth von Schlandersberg, wegen deren Aufnahme ihr Vater Dipold zu Aspermont 1485 einen Revers ausstellte; Catharina von Bodmann, die nach dem Reverse ihres Vaters Johann Jakob 1520 ins Stift gelangt war. Ihre Mutter Helena war des Geschlechtes der Schellenberger. Als letztere den Stab zu Lindau Im Stifte trug waren neben ihr daselbst: Catharina von Ramsch wag, die später des Lindauer Prädi­ kanten Gasser Gattin ward; Elsbeth von Landenberg; Margreth Vögtin von Summerowe, welche Hans Loher von Bregenz zum Manne nahm; Margreth Schenk von Castell, welche uns n)ch 1531 im Stifte begegnet; Verena Schenk; Anna von

145 Heudorf, welche Georg von Friedingen die Hand reichte; Catharina von Freyberg, Walburga von Hanenhofen (wohl Haimenhofen); Margreth von Landenberg, die schon 1550 sich im Stifte befand^ Ursula von Hohenlandenberg; Candida von Eischach (Claudina), des Bilgeri und der Beatrix von Bluinenegg Tochter, welche von 1572 bis 1589 Coadjutorin war; endlich Elsbeth von Syrgenstein, des Wolf zu Oberraitenau Tochter, die schon 1534 in den Stift kam. Nach Eeversen vom Jahre 1551 kamen in den Stift: Anna, des Johann Werner von Eaitenau und der Margreth von'Syrgenstein Tochter, welche später bei ihrem Bruder, dem Abte von Murach, starb. Nach dem Anniversarbuche der Kirche zu Boesenreutin bei Lindau vermachte sie dieser Kirche ein Caporaltäschchen. Elsbeth, des Balthasar von ßamschwag und der Ursula von Schlandersberg Tochter, die später sich mit ßudolph von Eoggenstein zu Pfinn verheirathete; Diirli von Eamschwag; Cleophea, des Jakob von Dankertsweiler und der Elsbeth von Ast Tochter, welche in dem Stifte starb, war 1539 an­ genommen worden. Barbara, des Jakob von Stoffeln und der Anna von Ehingen Tochter, die sich mit Christoph von Ow vermählte, befand sich bereits 1551 im Stifte; Barbara, des Dietrich von Hallweyl und der Eva von Bern­ hausen Tochter, ward 1554 in den Stift aufgenommen, verliess denselben jedoch wieder, um Caspar von Bodmann auf sein Schloss zu folgen. Salome, Wilhelms von Bernhausen und Maria Cleopheas von Helmsdorf Kind, ging in den Stift, wo sie jedoch nicht lange verblieb. Sie beglückte zwei Männer mit ihrer Hand, Beat Schenk von Castell, dann Heinrich Volker von Freyberg; Margreth, der schon erwähnten Elsbeth von Eamschwag Schwester, trat 1556 in den Stift ein; Barbara von Breitenlandenberg, welche 1578 zur Abtissin gekürt wurde, erhielt 1556 die Aufnahme. Ihre Eltern waren Christoph zu der Breitenlandenberg und Cäcilia aus dem schwäbischen Adelsgeschlechte der Nothaft von Hohenburg; . Anna von Füllenbach, geborne Bodmann und Frau des Wilhelm von Füllenbach, starb 1599 im Stifte; 10

146 Johanna von Werdenstein, die Johann und Felicitas von Breidenstein ihre Eitern nannte, gelangte 1556 in den Stift, woselbst sie auch im Jahre 1626 verstarb; Adelhaid Vögtin vonSummeffau kam kaum 10 Jahre alt 1564 in den Stift, den sie jedoch wieder verliess, um zu­ erst mit Johann Ernst von Beischach, und dann mit Philipp Dietrich von Geispitzheim das Band der Ehe zu schliessen. Sie entsprosste der Ehe des Johann Jakob und der Clara von Clingenberg. Unbekannt wann kam Anna, des Dietrich von Wemdingen und der Lea von Schellenberg Tochter in den Stift, die später Dietrich von Laudan-Wahl zum Manne nahm. Johanna von Heggelbach, Johann Jakobs und der Bichardis von Furtfenheim Tochter, trat 1572 in den Stift, verliess ihn aber wieder, um sich mit Johann Ulrich von Schellenberg zu Kislegg, und nach dessen Ableben mit Eitel Pilger von Stain zu Walsburg zu verehelichen. Susanna von Bubenhofen, welche 1572 in dem Stifte Aufnahme fand, war aus der Ehe des Johann Christoph mit der Barbara von Freyberg hervorgegangen. Im gleichen Jahre fand eine andre Susanna, die Tochter des Welf von Klingenberg und der Lora von Falkenstein im Stifte Unterkunft, heirathete aber später einen Nussdorf, der Pfleger zu Tölz war. Nach erhaltenen Einträgen wurden 1578 Anna, Dietrichs von Gemmingen zu Diesenbrunn Tochter, 8 Jahre alt, 1581 Maria Jakobea von Beischach, des Bilgeri und der Käthe von Stoffeln Tochter, erst 7 Jahre alt, Ursula von Frauen­ berg, schweizerischen Geschlechtes, gleichfalls noch ein Kind von 7 Jahren, 1581 aufgenommen, die 1641 starb. Ihre Eltern waren Ernst und Katharina von Gemmingen. Amalia von Heggelbach trat 1586 an Stelle ihrer schon, er­ wähnten Schwester Johanna in den Stift; 1587 mit 10 Jahren Catharina von Bamschwag, des Hektor und der Barbara von Syrgenstein Tochter, die Johann Beinhard von Breitenlandenberg heirathete. Mit ihr kam auch Anna Elsbeth von Kalten­ thal in den Stift, die 1635 ausser demselben verschied. Die Eltern waren Georg und Dorothea von Werdenstein. Im Jahre 1589 übergaben Balthasar von Hornstein und Maria Cleophea von Stoffeln ihre Tochter Maria Cleophea

147 dem Stifte, der sie später dem Hektor von Ramsch wag als Gattin abtrat. Ursula, aus der Ehe des Caspar von Ramsch wag mit Susanna von Kippenheim, nahm 1593 das Ordenskleid zu Lindau, später aber Johann Conrad von Bodmann zu Möckipgen zum Manne. Nach einigen Chroniken wären im 16. Jahrhunderte noch im Stifte gewesen: Anna von Gemmingen, die in demselben 95 Jahre alt ver­ starb, und Endli, Adelhaid und Salome aus dem Geschlechte der Reischach. Aus dem 16. Jahrhunderte liessen sich folgende Stiftsfräulein auffinden: Barbara von Wolfurt, 1602 aufgenommen. Eltern: Johann Georg und Maria Cleophea von Reischach. Mann: N. Krinss. Maria Cleophea von Breitenlandenberg, aufgenommen 1609. Eltern: Johann Wilhelm und Catharina von Neuenegg. Sie starb 1616 im Stifte. Maria Magdalena Thumb von Neuburg, aufgenommen 16 („ Eltern: Melchior und Maria Salome von Leonrod. Mann: N. Freiherr von Herberstein. Nach dem schon erwähnten Anniversarbuch der Kirche zu Bösenreutin starb sie am 11. Juni 1621. Anna Christina Humpiss von Waltrambs, aufgenommen 1613. Eltern: Friedrich und Margreth Humpiss. Clara Anna Vogt zu Altensummerau, aufgenommen 1613. Eltern: Johann Philipp und Salome Pförr. Mann: Jakob Dominik Crivelli, genannt Castellanza. Als die Stiftsfräulein 1615 zu einer Wahl zusammentraten, waren ausser den schon Erwähnten noch vorhanden: Susanna von Bubenhofen, die 1621 starb, und Ursula von Frauen­ berg, Thurgauischen Adels, die noch 1634 Pflegerin war. Brigitta von Schellenberg, aufgenommen 1616. Eltern: Gabriel Dionys und Elsa von Ramschwag. Maria Eva von Kaltenthal, aufgenommen 1607. Eltern: Philipp Hans und Margreth zum Stain. Mann: 1621 Caspar Schrampf von Eichberg. Franziska von Bodmann, aufgenommen 1621. Eltern: Georg und Maria Truchsess von Rheinfelden. Mann: N. Freiherr von Herberstein. 10*

148 Cuni Späth, von Zwiefalten. Aufgenommen 1624. Mann: Franz von Neuhausen. Sie stirbt 3. Februar 1627. Maria Franziska von Neu haus. Aufgenommen 1627. Eltern: Philipp und Walburga von Kalthenthal. Sie starb im Jahre 1628 im Stifte. Ursula Sabina von Sch inen. Aufgenommen 1631 war sie 1634 noch nicht „bemäntelt“. Maria Ursula von Schennis. Aufgenommen 1636. Eltern: unbekannt. Mann: 1653 Ludwig Truchsess von Rheinfelden. Maria Rosina Brümsi von Herblingen. Aufgenommen 1638, 1676 zur Abtissin erwählt, gestorben 1689. Eltern: Johann Joachim und Barbara von Wolfurt. Ihr Monument ist dem Brande der Stiftskirche von 1719 entgangen. * Maria Cleophea von Bern hausen. Aufgenommen 1640. Vater: Willem, Rath und Gerichtsherr zu Roggwyl. Maria Katharina von Hallweil. Aufgenommen 1641. Vater: Hans Walther zu Blideg. Nach dem an der Aussenseite der Stiftskirche befindlichen Grabsteine starb sie im Jahre 1711. Maria Anna Humpiss von Waltrams. Aufgenommen 1645. Mann: 1667 Leopold Fugger. Franziska Paulina von Rein ach. Aufgenommen 1654. Sie war des Basler Oberjägermeisters zu Pruntrut Tochter. Catharina Sophia Schenkin von Staufenberg. Aufgen. 1658. Mann: 1670 Franz Marquard von Eyb. Amalia von Heggelbach. Aufgenommen 1665. Maria Agatha von Enzberg. Aufgenommen 1667. Maria Anna Franziska Humpiss von Waltrams. Aufgen. 1670. Margreth Creszentia von Freyberg. Aufgenommen 1672. Mann: Johann Dietrich Schenk von Staufenberg. Maria Clara Eva Eleonora von Heydenheim. Aufgenommen 1679. Vater: Johann Ludwig. Mann: 1701 Fidel von Thurn, St. Gallischer Edelknecht. Maria Magdalena von Hall weil. Aufgenommen 1680, Abtissin 1689, gestorben 1720. Vater: Wolfgang Dietrich zu Blideg. Mutter: Magdalena von Schönau. — Ihr Grabmal in der Stiftskirche hat dem Brand von 1719 widerstanden.

149 Maria Franziska Reichlin von Meldegg. Aufgenommen 1687. Vater: Johann Ludwig. Maria Theresia von Eyb. Aufgnommen 1690. Vater: Franz Marquard. Mann: 1692 N. von Werdenstein. Maria Anna Esther von Hallwyl, der Abtissin Nichte, aufgenommen 1698. Maria Rosina Franziska von Ulm. Aufgenommen 1699. Vater: Johann Anton. Mann: 1707 N. von Freyberg. Maria Dominika Vögtin von Altensummerau und Prassberg. Aufgenommen 1700. Vater: Franz Ludwig. Mann: 1728 Johann Albert Wilhelm von Prassberg. Maria Josepha Carolina von Heidenheim. Aufgenommen 1710. Vater: Marquard Christoph. Maria Anna von Baden. Aufgenommen 1716. Vater: Conrad Friedrich. Ein Deutschordensritter dieses Geschlechtes ward in der Stiftskirche, wo sich noch sein Grabmonument befindet, be­ graben. Damit schliessen die Aufzeichnungen des Stiftes über Auf­ nahmen von Fräuleins in denselben. Um einiger Massen die Lücken auszufüllen, welche so zwi­ schen 1700 und dem Ende des Stiftes klaffen, mögen die erwähnt werden,'welchen kaiserliche Vorschreiben zu Th eil wurden, oder von den Abtissinen Anwartschaftsbriefe empfingen; sowie andere einschlägige Nachrichten. Kaiser Joseph gab am 16. August 1766 ein Vor sehr eiben für Febronia von Freyberg und Maria Rosina von Liebenfels; Leopold II. am 5. November 1791 für Franziska von Minucci, 13. Oktober 1792 für Gräfin Josepha von Strassoldo. Unter der Abtissin Maria Magdalena empfingen An­

wartschaften: 1692 Maria Franziska von Bodmann, die damals 6 Jahre alt war. Sie trat jedoch 1707 in das Kloster zu Bregenz; 1698 Maria Anna Esther von Hallweyl, wie schon erwähnt. Ihr Vater Johann Joseph war Obervogt zu Güttingen; Maria Felicitas Helena von Stotzingen, Heudorfer Linie. Sie starb 19. Januar 1715 im Kloster zu Hofen;



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1701 Maria Josepha Carolina von Heidenheim, die schon er­ wähnt worden ; Maria Magdalena von Prasberg, die später das Kloster, St. Anna in Augsburg wählte; 1702 die schon bemerkte von Baden; 1706 Maria Carolina, der von Prasperg Schwester, der gleich­ falls schon gedacht worden; 1707 Maria Anna Franzisca Humpiss von Waltrambs, des Marquard Jakob Tochter, der Fürstenberg’söher Rath und Präsident war; 1708 Maria Otilia von Bodmann; 1709 Maria Anna von Freyberg, des Michael Ludwig Tochter, die 1730 sich im Stifte befand; 1716 Maria Agatha Josepha von U1 m - Langenrhein, ebenfalls 1730 noch im Stifte; 1722 Josepha Ignatia von Wessenber j*. Später empfing ihre älteste Tochter Humpiss von Ratzenried die Anwartschaft. 1725 Maria Anna Margaretha von Gern min gen-Mülhausen, Wolf Dietrichs Tochter, die 1757 zur Abtissin gekürt wurde. 1773 Maria Agatha Josepha von Hornstein, die zwar in den Stift eintrat, später jedoch heirathete; 1775 Maria Genofeva Keller von Schleitheim zu Isenburg. Diese trat 1780 ein, schwor 1781 auf, ward 1782 be­ mäntelt, heirathete 1794 den Freiherrn Max Karl von Prugglach; 1779 Luise von Syrgenstein, die später sich jedoch in ein Kloster zu Augsburg begab; 1781 Eine von Ratzenried, die später verzichtete; 1782 Juliana Ebing er von der Bürg, die 1785 eintrat, 1786 aufschwor, 1789 bemäntelt wurde, 1797 resignirte; Carolina von Westernach. Sie trat 1788 ein, schwor 1789 auf; Friederica von Bretzenheim, Kurfürst Karl Theodors natürliche Tochter, die spätere Abtissin. Sie trat 1788 ein, und schwor 1789 auf. Maria Antonia von Enzenberg. 1793 Maria Antonia Späth von Zwifalten, welche 1794 auch eintrat. Im Jahre 1793 wurden Anwartschaften ertheilt für Töchter aus den Geschlechtern: Reichlin von Meldegg, Enzenberg, Späth, Falkenstein und Kassier,

151 dann 1794 für: von der Schleyss, Reichlin, Keller von Sclileitheim, Roth von Schreckenstein, Thurn-Valsassina, Gemmingen, Freyberg, Blarer von Wartensee. Unter der letzten Abtissin Maria Anna- empfingen solche noch: 1796 Baaden, Rottberg, Rüpplin von Keffikon Josepha Karolina, Antonia Fidelis Rink von Baldenstein und eine Eberstein; 1799 eine Tänzl von Tratzberg. Nach verschiedenen Vermerken waren sonst im Stifte: 1722 Maria Antonia von Bätigkam Seniorin, und Maria Regina von Aham; 1730 Maria Anna Monika von Freyberg und Maria Anna Margreth von Gemmingen; 1744 Frobenia von Freyberg; 1746 Maria Rosina von Liebenfels. Diess muss auf einem Schreibverstoss beruhen, da beide erst 1766 primae preces erhielten. Im Jahre 1786 befanden sich folgende Fräuleins im Stifte: Maria Anna von Freyberg Custerin, Maria Josepha von Ulm und ihre Schwester Maria Franziska, Maria Franziska von Riedheim, Maria Sophia Ungelter von Teisenhausen, und Anna Carolina Reichlin von Meidegg. Zwei Jahre später waren davon nur mehr die jüngere Ul» und die Ungelter im Stifte. Dazu waren gekommen: Maria Veronika von Freyberg, Maria Juliana Ebinger von der Burg, Maria Cordula von Westernach und Maria Antonia von Enzberg. Nach einem Grabsteine in der Stiftskirche war Maria Elisabeth von Syrgenstein, welche 1740 geboren wurde, 17 Jahre im Stifte und starb 1788. a)

Der Brief ist undatirt. Die Lobeggerin wird wohl eine Verwandte des damaligen Stiftspropstes Walther von Lobegg gewesen sein. b) Die Verwandtschaft der zweiten Stifterin Catharina von Triesen lassen mehrere Stiftsurkunden erkennen. N. von Triesen Katharina Anna Margareth heirathet Einen von Brunnenveld 1335 bis 1335 und 1343 1338 Stifts­ 1343 im fräulein, später Abtissin. Stifte. Johann Guta 1343 1343 Nonne im Kloster St. Peter Kilchherr zu im Wallgau. Niedernvatz Vermuthlich war der im Anniversarbuch erwähnte Eglolf Catharina’s Vater.

152 c) Den Brief, durch welchen sie ihren Austritt erklärt und auf alle Ansprüche an den Stift verzichtet, besiegelten vier Herren mit ihr. d) Nach einer handschriftlichen Chronik von Lindau, welche im 16. Jahrhunderte angelegt wurde, hätten sich im Jahre 1259 folgende Fräuleins rectiiis Nonnen im Stifte befunden: Judenta von Egimunderiet, Anna von Bibrach, Utecha von ^Vartsfein, Mathilde von Wagenowe, Adelhaid von Brachsberg, Adelhaid von Bodmann und Guta von Kisslekke. ,Nach der undatirten Urkunde von ca. 1270 war wirklich eine Wartstein einst im Stifte. B.

Die Canonici des Stiftes. 1227 C. und Albero de Schan. (a) N. de Stoffeln. Wird im Zeugenrotel bei Heyder als Nach­ folger des Albero erwähnt. 1262 Albert de Pfynn. (b) 1262.1264 Heinrich Camerarius, Canonicus der niederen Pfründe, (c) 1278 Walther von Lobegg. (d) . 1278. 1305 Heinrich Hütten. Seiner wird häufig in den Urkunden des Stiftes als Canonicus erwähnt. 1292 Heinrich Graven incuratus majoris praebendae. c. 1290 Clas Kizzi, Canonicus. 1305 Heinrich von Montfort, Propst zu Chur und Canonicus des Stiftes. c. 1310 Burkard von Wolfurt. Er besass die niedere Pfründe. 1342—1363 Niklas von Wolfurt. Nach vielen Urkunden besass er die mehrere Pfründe. 1363— 1370 Niklas Münser. Er starb 1370 als minderer Chor­ herr. (e) 1390—1400 Ulrich von Wilperg. Er war Nutzniesser der grösseren Pfründe und 1399 Pfarrer zu Oberraitenau. 1406 Johann von Schmalenberg. Vorher Pfarrer zu Reuti, erhielt er später die zweite Pfründe. 1390—1419 Conrad Isenbach war in dieser Zeit zweiter Chorherr. 1406—1435 Conrad von Münchwil. Neben der mehrern Pfründe zu Lindau besass er ein Canonicat zu Constanz und war Propst zu Bischofszell, (f) 1412—1432 Conrad Kramer, der 1406 Des von Münchwil Caplan war, erhielt 1412 die ringere Pfründe. Zwischen 1411—1434 Otto III. von Hochberg, Bischof zu Constanz und Canoniker am Stifte, (h) 1459—1476 Heinrich Locher, Canonicus am Stifte, (i) 1489 Hans Geser von Isny hatte die mindere Pfründe inne.

153 1494 Melchior Truchsess von Pornmersfelden besass ein Canonicat am Stifte, (k) 1508—1509 Erhard von Hausen. Er war vorher Pfarrer zuOberraitenau und kam 1509 in den Genuss der zweiten Pfründe. 1517— 1541 Georg Sigmund von Embs. Erhielt die ringre Pfründe. (1) 1518— 1536 Jos von Eeinach. Er war Canonicer zu Chur und Propst zu Lindau. 1578 Jäk Hinteregger vicarirte die mindere Pfründe.

c. Pfarrer und Capläne des Stiftes. 1262—1264 Biderbebam sacerd. B. M. Y. Vor 1300 Thomas pleb. S. Joh. in Constanz und Vicar des Canonicus von Stoffeln; dann H. Galkeis Cantor ' zu Constanz und Vicar des Canonicers von Lobegg. 1359—1376 Johann Wisiand capell. S. Sixti im Stifte. 1406 Conrad Kramer, Capelan Des von Münchwil. vide-retro. 1419 Johann Velder presb. 1424 Niklas Selbach und Johann Bachmann capellani. 1454—1481 Niklas Schlaich, Capellan von S. Catharina im Stift. 1476 Heinrich Metzler, Eector der Stiftskirche. 1511 Hieronymus Klingenstein, Oederlin genannt. Er besass die St. Gallen Pfründe im Stifte, welche er jedoch 1549 resignirte. Seine Heimath war Opfenbach. 1531 Leonhard Wagner, Vicar; 1598 Johann Wetzel, Pfarrherr des Stiftes. 1628 Georg Lutz, Pfarrherr im Stifte. 1629 Peter Droll, Verweser des Canonicates und Pfarrer zu Bösenreutiu. 1637 Jakob Bruderhofer, Capellan.

a) Diese beiden Canonicer sind in einer Urkunde von 1227 erwähnt. b) Albero von Pfynn war nach Urkunden von 1262 und 1,267 zugleich Canonicer am St. Johannesstiffc zu Constanz. c) Die mehrere Pfründe war von Papst Gregor XIII. 1584 aufgehoben und ihre Dotation der Tafel der Abtissin einverleibt worden. Die mindere Pfründe wurde erst 1657 beseitigt Die geistlichen .Verrichtungen liess das Stift von da an durch einen Vicar vornehmen. d) Das Stammhaus der von Lobegg, die manchmal auch von Liehegg und Laubegg genannt werden, lag zwischen Stockach und Sernatingen. Ausser der Pfründe im Stifte zu Lindau besass er nach Band I des Freyburger Diöcesanblattes noch sechs Pfründen, nämlich im Stifte von St. Johann zu

154

e) f) g) h) i)

k)

l)

Constanz, im Kloster in der Mehreraa, zu Beesenreutin, K&itenau, Winters­ beuern und Frikenweiler, die ihm 75 ff 30 ß eintrugen. Ausserdem War er noch 1276 Decan zu Pforen. Im Jahre 1293 hatte er nach dem bei Heyder abgedruckten Zeugenrotel und einer Urkunde sein unbebautes Besitzthum in Reicherzstaige — der heutigen Btaige bei Lindau — an 12 Personen gegen einen Zins von 10 ß Const. und Entrichtung des Zehents zur Anlage eines Weinberges überlassen. Vide Note zum Todenbuche Mai 1. Wegen seines Rücklasses kamen Stift und Stadt Lindau in Streit, der jedoch durch Vergleich beigelegt wurde. Vide die Note zum Todenbuche September 10. Blatt 30b des Todenbuches sagt, dass Bischof Otto von Constanz „der och hier Chorherr gewesen“, dem Stifte einen Ablass verliehen habe. Er stiftete mit Haus und Capital 1482 die St. Justinen-Pfrtinde bei St. Stephan in Lindau. Die Urkunden nennen ihn Lehrer der Rechte, Pfarrer von St. Stephan, Capitelsdechant und Chorherren des Stiftes. Er stammte aus einem angesehenen Oeschlechte der Stadt Bregenz, das zu den Sünifzengesellen in Lindau zählte. Nach Blatt 30 unseres Todenbuches hatte Melchior Truchsess bei der römi­ schen Curie dem Stifte zu Lindau einen Ablass von 100 Tagen für schwere, und von 200 Tagen für leichte Schulden von je 17 Cardinälen verschafft. Er war zugleich Canonicus in Mainz, Speyer, Nymwegen, Wtirzburg und Lindau. Im Jahre 1532 war er neben der Pfründe im Stifte noch im Besitze der Pfarrpfründe von Oberraitenau, auf welche er 1544 jedoch Verzicht leistete.

155

R e

g

i s t e r.

Aerbeit Heinrich II 6. Affe Conrad XII 10. Alhaid V 8. * Albrecht Pfalzgrav I 8. Ambrosius IV 20. Andic Ulrich VII 24. "Arbun von Heinrich II 17 \ Wilbing ux. II 21J o

Agnes fn IX 15. o S chennis. Arnsberg von Hans I 29. o Arzat Co'nz der I 8. Augsburg Ludwig Dompropst v.Helf ens tein IV 28. Paier Ludwig V. 5. Mechtild ux. V 13. "Banwolf frik I 27. Catbarina IV 12. Bengel Burk II 18. Reginlind VIII 18. Bentz Conz VII 9. Bergendorf v. Waith. VIII 8. o Bertha m VII 30. o Pfaff Jäk. III 19 Stef. III. 19. P fl egelberg v. Ulrich mil. VI. 16. o Mya ° VIII 3. Pflummerer Anna IX 26. Bittelmann Conz. III 16. Bike Margth. IX 26. Binder Ruf IV 21. Adolf ux. IV. 21. Wenzl VIII 7. Bischof Ulrich IV. 5. wBlaser Berchtold VIII 11. Bleck XII 19. Blediche Heinz XII 16. Pluem Veljha III 12. Botze Heinz I 24. Else II 14. Bombret Gertraud I 16. Ulrich HI 1. "Bomgartner Ruf l Mgth. ux.’ o Prasperg v. Adelh. £ III 30. Brising Conz. )

Mecht;. / V ö' Brosius Cath. IV 20.

Protpek alb. XI 11. Brumsi M&z I 8. Conz mil VII 12. o Marg. £ IV 20. o ta VIII 24. Brunnen feld o Mgth. XII 4. Guta XII 9. o Joh. can. IX 26. o Buchenstein v. Urs. m IX 12. Buchler Ella III 3. Bühel v. d. Alb. I 1. Hemma IV 30. Heinz V 2. Lugard ux. X 5. wBurgi Uli. I 22. Uli et ux. VIII 24. Bugge Judinta VI 4. Burk XII 23. Busilin Mechtild I 28. Bytwolf Heinz VII 14. Keller Elsb. I 19. ab dem Wilbing V 4. v. Balgach Gut XII 2. Christna VI 6. o Christoph can. V 16. Ciciveler Heinz X 12. Kilcholf vom Conz I 27. Mecht. XII 31. "Kirne Conz. IV 15. ^Kitzin Claus IX 23. Klainer Gert. III 6. Alb. III 14. Cleber Hedwig III 22. Clufterer Wilbg. VI 27. Kneb Adelh. III lö. Knebel Gert. III 21. Conz. X 7. Knollruede Heinz V 10. Uli IX 7. Koeli Hein Nes v. Wonpresch ux XII 8. Korb Tutecha I 1. Korber Ulmann XI 22. Judenta I 1. Ges XI 22. Kraien v. vid. Lindau Abt. Kraienriet o bercht. mil. VII 6. Krebes II 2.

156 Kricimaler Conz. X 8. Gert. III 3. Cure sei Conz mil. VI 7. Kurze Heinz III 31. Tannenfelse Job. VIII 5. Tetnang v. Wernh. I 2(>. o Dietfurt v. Adelhaid £ I 12. Dietmar I 20. Thoman VIII 6. Gut VIII 13. Torggel aus dem Heinz IV 3. Adelh. VI 14. Tor vom Judenta X 2. Mecht. X 9. Treffer Urs. III 19. Tretwusch Berta I 29. Marg. IX 14. Trichtlingen o Amal. VII 23. o Triesen v. Anna i X 4, Eglolf II 3. Ulrich III 26. „ VII 18. Mia V 11. Trutel Alhaid VI 22 Truteler Uli IV 7. Dum Conz. IV 24. Heinz i Alhaid > Ursula \ Eggeburg VIII 2. Ehingen Conz. V 20. Gert. X 10. Ehinger Burk VIII 1. Elinhofe n-Hartegg v. Hain XI10, et Wolfurt v. Anna uxor. Etyas Anna XI 3. Embs Agnes v. . . Schneberg. Engeltrut £ III 27. o Entzberg. Marg. £ X 26. Er 16 mil. I 15. o Eraltsheim Conz VI 10. Eteli Heinz II 26. Conz. III 6. Verg Heinz IX 11. V eringen Gf. v. Maneg. V 4. Fisl Guta X 3. Vlintz Uli IV 13. Walt. VIII 11. Berta X 18.

Vogeler Arnold XI 29. Mecht. XII 23. Woegelin Cath. VI 5. Vogilegg Heinz XII 27. Vogt v. Summerau Anna X 9. o Ursula XI 6. * Else IV 22. o Weiler von. Fries Mgth. IV 11 u. Hans. Peter II 20. Elsb VIII 11. Frig Job. XI 8. IX 8. W ernh. VI 24. • Vren. ux. Funden Conz VI 30. Alhaid III 1. Gebz I 26. Gertrud d. alte XI 17. Berta I 28. der hlte III 4. der mindre V 17. Gebur Berchtold IX 1. Gerung III 24. ) Glückhaft Peter XII 5. Gnanila XI 1. ''Goldschmidt Lugard II 25. Berchtold j X 21. Anna ux. Marg ux. Grageler Mecht. IV. 24. Graser Alhaid VII 20. Gramer Elsb. IX 12. Gross Gertd. XI. 14. ~Guderscher Conz St. A. VI 17. VI 25. Gurr er Jodok XI 1. Haeberling Henne i IX 9. Mgth. ux. \ Johann Mgth. ux. Verena. Clara. IX. 16. Hagnenberg Alhaid XII 18. Haering Alhaid I 24. Marqd. III 10. Haime Veronic. VI 9. Mecht. VI 20. Ilainzel Hans Nes ux. XI. 22. Heinz Mgth. ux.

157 Han Anna Hans Gret Jäk Clas Uli

\ III 19. j f | \ )

Haneregg Berta VIII 21. o Hardegg v. Heinrich III 30. Heinius MechtVI 29. o Helfenstein Gfo. v. Augsburg. v. Lindau. o Helmsdorf v* Uli II 8. Mgth. II 8. Anna ® XII 3. 9. „ V 20. Ursnl. V 20. Helfer Irmgard UI 7. Hengst Marqd. 1jy 16. Mecht. ux.' 25. Hensin Eis. III 4. Herbolder Uli mil. III 20. Berchtold XII 7. Hergersweiler v. Berta II 23. Hiltebold I 7. Mechtild IX 24. Ruf. fil. XII 5. Hiltebrand Clara. Hitto Ruf VII 2 Hochseher Anna clos. II 16. II 5. Hohenberger Uli II 20. o Hör wer Anna IV 27. Hupolt I 18. Hüter Sifried II 1. III 17. Gertrud VIII 16 Eis II XI 1. Junzela III 26. Lampoltsweiler v. Bercht wil. V 6. Helcha X 24. Landenberg v. Urs. I 6. 'Lassauer Berta I 25. Laymilie Conz \ 1 3 Aid. ux. / Ledergerw Salman D. IV 4. Lererin Gus II 24. Linbain Heinz II 3. Mecht. II 27. Lingard II 12.

Lober Wernhd.| „ ^ Burk / Ita X 1. der alte XII 19. Lochen v. Clara V 14. o Luti Joh. Can. IX 1. Lutkilch v. Conz I 30. Linprecht Jak. XI 12. Lindau Abtissinen. Adelhaid II. Helfenstein Adelhaid v. II 28. Agnes v. Wolfurt II 17. Berta II 13. Clara v. Wolfurt V 14. Catharina v. Triesen VII 25. Guta v. Triesen V 27. IX 4. Guta v, Schellenberg X 25. Hedwig III 8. Judenta v. Crayen V 1. Sigena v. Schellenberg V 14. Sigena „ X 6. Ursula v. Schellenberg V 3. Maier Rudi . Anna ux. ; VII 26. Hans fil. 1 o Maiger Elsb. £ XI 4. Mane Rudi I 19. Waith. VII 1. Manegold II 15. Manegold Graf VI 12. o Marschalk Ahna i XI 24. Maechtild III 29. VII 9. Megen Heinz V 17. Mesemer Mecht. IV 26. Conz V 3. Hainz V 2. Metenower Niclas XI 4. ^Milwin Gesa III 18, Heinz III 28. Adolf. V 26. Conz VI 36. Muelin Mechtild I 25. o Munchwiel v. Conz can. IX 10. Munser Berta VIII 10. Adelhd. XII 31. Ita VIII 16. Friz XI 15. o Niki. can. V 1.

158 o Sigena IH 9. Müller v. Legau Heinz IX 18. „ XI 24. Mugsac II 3. o UrsulaVII23.IX18. Mecht. X 9. o „ X 14. Multer Uli X 11. o Lienhard VII 23. Mure v. der Mart. V. 16. v. .Lindau Abtiss. "Murer Stef. IV 22. Schenk Clara "Nekker Uli II 10. } IX 28. Ebhd. Ebhd. XI 22. o Schenk v. Castell Urs. mXII2.19. Obrenhofen v. Alhaid \ V 6. Burk. u. Urs. ux. X 22. Heinz / Schenk v. Landegg Nesa II 6. Otilia IH 10. o Schenk v. Salenstein Clara „ Raeterschen v. Jakob II 9. III 27. 0 Gut ® VIII 20. Heilwig £ XII 26. III 27. Raitenau v. Ebhd. X 20. o Schennis Anna abb. VL 3. o Ravenna Qebhd. Erzbisch, v. II 16. Schindler Anna III 19. Rem Cath. VII 4. "Schleich Mgth. 1 VIII 14. ^Renner Mecht. VI 2. Ruf. » XII 8. Riederer Anna n 24. Schlige VI 26. ‘Hienolt Uli \ Conz IX 7. V 24. Mgth. ux. / Burk I 31. Peter IX 25. Tutecha III 11. Rin vom Uli VHI 17. Heinz V 9. Adel. ux. “Schmalzegge Herrn. I 23. Rinegg v. Gonz. Schmit Herrn III 24. Lucia ux Albert VII 25. Hiltprand "Schneeberg Hans III 20. V 18. Caspar Nes. ux. cf. Embs. Lucia ux “Schnell Herrn. II 24. Hugo frat. Schönstein v. Guta XII 7. Römerin II 5. Schowenstein v. Aepli VI 20. Heinz III 18. Hans Roetelin Gert. I 21. o Anna Roetenberg v. Heinrich VI 1. Albr. VH 19. Rordorf Manegold Graf v. VIII 26. Hans Agnes XII 13. Hans VIII 19. o Rorschach v. Anna Vni 27. Albcht. XI 18. o Rosenhart v. Anna XI 25. Schöman Mgt.h. VIII 22. Anna ® XI 28. 29. Schreiber Ulrich IV 2. o Rudolf can. XII 30. Mecht. III 13. Rusinothte Werner XII 17. Schulthaiss Friz mil X 3(. Salmenin VI 17. Schwab Adelhaid IV 19. o Schaer von der Joh. IX 18. Schwarz ach Cath. XI 25. Schaetz Utz II 24. o Schwarzenberg v. Conz IX 1. Scheffmeister Adolf I 22 Schwendi ab Ita X 17. "8 che lienberg v. Agnes I 22. Conz II 12. Anna II 3. “Schwinger Herrn. V 3. Adelheid III 11. Seiler Berchtold X 20. Albrecht V 12. Senft Hans V 18. o Elsbeth £ VII28.

159 S i b e r Conz Osw. Benz. Elsb. Verena Urs. Wermei8fcer ux. ] VII4. Catb. Rem Siggberg v. Ursula IV 22. Solbach Clas IX 12. Specht Mecht. III 2. Spiler Conz II 19. Spilman Mgth. VIII 21. Sporer Burk \ GrotuxJ ST8 1 IX 16. Elsb. ux. / S t a in v. Jak. XI 11. Stainer Haila IX 27. "Steinmaier Englhd. I 4. Steinach v. Hans IV 17. Stoffeln v. Bertold I 17. Jakob I 21. Cath. III 13. Gertd. IX 17. d Straub Ita II 11. Luigard II 15. Judenta V 22. Conz VIII 29. Burk. IX 10. Streber Mecht. V 25. Sun Alhd. IV 19. Surre Conz IV 1. Gert. I 1. Surgen 8 teinv. Lochen Clara IX 22. Ulrich Graf XI 28. * Ulrich Graf Stifter VIII 25. Untriewe Heinz VI 13. d Wagenberg v. Anna £ XI 13. "Walch Mart. XI 30. Waltum Uli VI 2«. Warman II 28. Watman Ebhd. V 7. Weiler v. Ruf X 8. Elsb. £ VI 21. Richenza IX 2 j Ursula IX 27.

Welschpfaeffin Gert. IV 6. o Wenigeahofenv. Lugart£III23. "Wermeister. Berchtold IV 18. Adihd VII 13. Heinz XII 11.

vra 24. 122. Nesa VIII 24. I 22. Conz VIII 24.

I 22. Ursula I 22. VI 4. v. Burgi. v. Sieber. Westermann Mgth. VII 6. Wezl Magth. V 10. Heinch. I 19. Werder Gret IH 19. Widmann Conz IV 22. Heinz XII 20. o Wilberg v. Ulrich I 23. "Winmann Conz IV 22. Woeppe II 22. Wdfu'tv ConzUy 28 Adehd. / Mechtild IX 30. Hugo X 22. Conz X 7. XII 13. Guta XI 21. Anna XI 10 v. Ellnh o f e n. o Niklas Can. IX 11. o Magdal. £ IX 13. o Cuno Can VI 17. Sigenon III 2. o Lindau Abtiss. Wucherer Martin III 5. Lugard VII 12. Adehd. VII 12. Heinz IX 28. Wunegebe VIII 7. Wurman II 28. Zaisersweiler v. Juta X 27. "Zendring Heinz VII 21. Ziegelbach v. Hiltiburg 111 8. Reinbot V 20. Zunel H. VII 3.

o — Stiftsangehörige, w =, Lindauer Geschlechter.

Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Mit zu den interessantesten Stücken des städtischen Archivs zu Augsburg gehört ein altes Achtbuch. Dasselbe gewährt uns zunächst, schon bei blossem oberflächlichem Blättern, viele höchst belehrende Einblicke in die socialen Zustände unsrer Stadt. Es sind selbstverständlich vorzugsweise die Nachtseiten des Lebens, die wir darin kennen lernen; und in den folgenden Blättern soll der Versuch gemacht werden, hauptsächlich aus dieser Quelle, ein ungefähres Bild davon zu entwerfen. Zuvor jedoch ist es wohl am Platze, noch ein paar weitere Worte über unsre Quelle selbst zu sagen. Unser Achtbuch also besteht aus zwei Abtheilungen. In der ersten sind die Aechter verzeichnet, also diejenigen Verbrecher, welche sich dem Gericht nicht gestellt hatten, und deren Verbrechen bedeutend genug war, um den Ausspruch der Acht zu veranlassen. Neben dem Namen des Geächteten finden sich in der Regel noch ein paar kurze Angaben bezüglich seiner Misse'that, sowie die Namen der Kläger. In der zweiten Abtheilung sind diejenigen eingeschrieben, die persönlich vor Gericht standen, und denen nachher — mit Ausnahme einer geringen Anzahl solcher, die man gleich begna­ digte, und einer noch geringeren von solchen, deren Unschuld an den Tag kam — die Stadt verboten wurde, mit oder ohne

161 Beifügung noch anderer Strafen *). In den meisten Fällen wird auch hier mit einigen Worten, gelegentlich wohl auch etwas aus­ führlicher, gesagt, was die betreffenden Personen verbrochen haben. Ausserdem sind gewöhnlich die Bürgen genannt, die für den Missethäter einstehen, und dazu wird in der Regel noch be­ merkt, dass derselbe geschworen hat der Stadt wegen seiner Be­ strafung keine Feindschaft zu tragen. Die zweite Abtheilung fängt im Jahre 1338 an. Die erste beginnt schon 1302; zuerst stehen mehrere einfache Namenslisten Proscribirter, der letzte aus dem Jahre 1323, und darauf folgt eine Reihe allerdings eigentlich nicht hierher gehöriger Angaben über Beschädigungen durch Raub und Brand, die Augsburger Bürger in den Jahren 1319 und 1321 erlitten *). Erst im Jahre 1338 fangen in beiden Theilen regelmässige Einträge an, die auch bis gegen den Schluss des Jahrhunderts hin fortdauern. Nur wenige Jahrgänge fehlen ganz. Später wurde das Buch nachlässiger geführt. Die erste Abtheilung reicht noch, wohl in sehr fragmentarischer Gestalt, bis zum Jahre 1528®) die zweite geht eigentlich nur bis 1405, und zum Schlüsse folgen noch mehrere Aechtungen aus den Jahren 1402—1412, die in der ersten stehen sollten. Das Material unseres Achtbuches ist Pergament mit einem alten Holzeinband. Die Schrift ist von verschiedenen Händen und reicht bis tief ins 14. Jahrhundert. Die Einträge sind wahr­ scheinlich nie sofort eingeschrieben worden, mitunter jedenfalls erst lange nach dem Ereigniss, über welches sie berichten; denn einigemal sind verschiedene Jahrgänge vollständig durcheinander gerathen. Doch sind augenscheinlich stets gleichzeitige Aufzeich­ nungen benutzt worden. Dass dabei vieles vergessen, oder über­ sehen wurde, ist unzweifelhaft. Was in dem Achtbuche steht, ist vollkommen zuverlässig, nur steht nicht alles darin, was hinein 1) Daneben kommen jedoch auch Uebelthäter vor, die offenbar nicht in Person vor Gericht gestanden, deren Verbrechen aber nur einfach* mit dem Ver­ bot der Stadt, nicht mit Aechtung gestraft wurde; so z. B. einmal (1358) eine Anzahl Weber, die eine Bleiche in Regensburg eingerichtet hatten (vergl. An­ hang Nr. VII). 2) Vgl. Anhang Nr. I. 3) Von 1400—1528 sind über 70 Jahre, in denen gar keine Aechtungen verzeichnet sind. Zum Theile mag dies freilich daher rühren, dass von 1369 an in Augsburg überhaupt die Acht viel seltener ausgesprochen wurde *ls vorher.

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162 gehört. Auch ist die sonstige Ordnung, ganz abgesehen von dem gelegentlichen chronologischen Wirrwarr, keineswegs musterhaft zu nennen, wenigstens nicht nach unseren modernen Begriffen; gar manches was in der ersten Abtheilung stehen sollte, steht in der zweiten und umgekehrt. Wir haben also hier keineswegs ein auch nur annäherungs­ weise vollständiges Verzeichniss sämmtlicher Vergehen und Ver­ brechen, die in Augsburg von 1338—1400 begangen wurden. Abgesehen von dem nicht wenigen, was einfach aus Nachlässig­ keit weggeblieben, werden zunächst alle Uebelthaten, deren Ur­ heber nicht bekannt wurden, nicht berührt, und weiter werden nicht erwähnt alle diejenigen Verbrecher, die ihr Vergehen mit Geld sühnten, oder die bloss mit Leibes- und Lebensstrafen belegt wurden, ohne zugleich ausgewiesen zu werden. Und gerade mit Leibes- und Lebensstrafen war man in jenem Zeitalter durchaus nicht sparsam, wie man schon aus den dahin bezüglichen Strafbestimmungen des alten Augsburger Stadtrechts schliessen kann. Darnach stand z. B. auf Todtschlag—Enthaup­ tung, auf Diebstahl, wenn über 60 Pf. — die Strafe des HängenSj auf Mord—Radbrechen, auf Ketzerei (d. h. Sodomiterei) Verbren­ nen, auf Nothzucht—Lebendigbegraben. Schwere Verwundun­ gen, insofern sie nicht noch strenger bestraft wurden, sollten mit Handabhauen gebüsst werden; dieselbe Strafe stand auf Meineid und auf Spielen mit gefüllten Würfeln u. s. w. u. s. w. Wer ein­ flussreiche Freunde hatte und über hinlängliche Geldmittel ver­ fügte, konnte sich allerdings in der Regel von den meisten dieser Strafen loskaufen, indem er die Kläger befriedigte und ausserdem dem Richter und der Stadt eine gewisse Summe bezahlte. Nichts­ destoweniger war die Anwendung von Leibes- und Lebenstrafen etwas sehr gewöhnliches. In unserm Achtbuche wird gar mancher Hinrichtung bei­ läufig Erwähnung gethan, ab und zu finden sich auch bei dem Namen eines Verbrechers die ominösen Worte beigekritzelt: suspensus est, decoltatus est oder mortuus estx), und die alten Chro1) So wird z. B. 1369 feria tertia post Keminiscere (27. Febr.) gemeldet, dass „Henslin Auspurgerlin“ in den Pranger gestellt und gepeitscht, und ihm dann die Ohren abgeschnitten und die Stadt auf ewig verboten worden sei. An dem Rande jedoch ist beigeschrieben: mortuus est. Dass diese zwei Worte soviel bedeuten, wie „ist hingerichtet worden“ erhellt aus den Baumeisterrechnungen. Dort heisst es, 1369: Oculi, (4. März) „1 U. Wirtzburger dem nachrichter wegen von orn absniden dem Auspurgerlin und umb holtz und strick,“ uudwei-

163 niken berichten nicht selten über Todesstrafen, deren in dem Achtbuche nicht gedacht wird, so z. B. über die im Jahre 1355 erfolgte Hinrichtung eines Maurers, Namens Kindlin, und seines Sohnes nebst 6 Gesellen, weil sie bei dem Mauern von Kaufmanns­ gewölben Steine lose eingesetzt und nachher bei Nacht wieder herausgehoben und Waaren gestohlen hatten. Ueberdies lässt sich aus den alten Kechnungsbüchern der Stadt, den sogenannten Bau­ meisterbüchern, von denen uns leider die meisten aus dem 14. Jahrhundert, wie es scheint, verloren sind,*) sehr deutlich erken­ nen, eine wieviel beschäftigte Person der Henker war. Zehn und mehr Hinrichtungen kamen öfters in Einem Jahre vor, z. B. 1321=8 (vielleicht 10), 1322=8, 1324=7, 1329=10, 1369=10, 1371=13, 1372=11, 1373=5, 1374=13, 1375=12 *). Für ein einfaches Hängen oder Köpfen erhielt der Nachrichter neben einigen anderen Emolumenten in der Regel, wie schon das alte Stadtrecht bestimmte, 5 Schilling Pfennige, ebensoviel für Erträn­ ken 3) * 1für 2 Lebendigbegraben 8 4), für Rädern 10 Schilling Pfennig. Am theuersten scheint das Verbrennen gekommen zu sein; so ter: Ecce deus (22. Juli) VII. ß. d. dem nachrichter von wegen von henken daz Auspurgerlin. Bei dieser Gelegenheit seien ein paar Worte über die Grundsätze gesagt, nach denen ich in der Schreibung der alten Texte verfahren hin. In den Anmerkungen sowohl wie im Anhänge habe ich mich stets getreu an das Original gehalten; nur sind die Eigennamen gross geschrie­ ben, und „uu und „vu nach der jetzigen Bedeutung dieser Buchstaben gebraucht. In dem Texte wird es jedesmal durch Gänsefüsschen „ 44 angezeigt, wo getreue Wiedergabe des Originals stattfindet; einfache Anführungszeichen , 4 besagen, dass die Orthographie modernisirt ist, und auch sonstige kleine Veränderungen zur Erleichterung des Verständnisses vorgenommen worden sind. Die Inter­ punktion rührt selbsverständlich überall von mir her. 1) Z. B. alle vor 1320, ferner sämmtliche von 1332—1368. 2) Die oben angeführten Zahlen machen wie alle Zahlenangaben in diesem Aufsatze keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit, doch können die Fehler nicht sehr bedeutend sein. 3) Z. B. Baumeisterbuch 1374: Salus populi „V. ß. d. dem nachrichter, daz er sinen knecht ertranckt;44 Miserere „XV. ß. d. dem nachrichter von dryen zertrencken.44 Diese letzterwähnten drei waren Jakob Püttrichs Diener. Be dieser Gelegenheit mögen auch noch die übrigen Kosten einer solchen Procedur eine Stelle finden. Es heisst also weiter: „Item II. ß. d umb strick; Item XVI. ß. d. vier knechten, die die dry die man ertranckt trugen in dem kirohhoff ab dem plaichgarten; Justus es, VII. ß. d. dem grebel, der die dry be­ grub, die man ertranckt; Da pacem V. ß. d. dem vicari sinen Schreiber, daz man den dryen, die man ertranckt, den kirchof erlaubt.44 4) Z. B. 1329 Respice, „suspensori pro eo quod Rushlinum decollavit et eiusdem mulierem vivam sepellivit XIII. ß. d.44

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164 erhielt einmal der Scharfrichter von Donauwörth, den man nach Augsburg hatte kommen lassen, um einen armen Sünder zu ver­ brennen, 3 Pfund und 6 Pfennige, ausserdem kostete das Holz (Ein Fuder) noch 5 Schilling 1). Verstümmlungen, wie Augen aus­ stechen, Ohren und Zunge abschneiden und dergl. wurden nicht immer gleich hoch bezahlt; gewöhnlich kostete es 30—36 Pfen­ nige, doch erhielt der Henker gelegentlich auch einmal 6 Schil­ linge oder 72 Pfennige für eine Blendung.2). Wäre die Thätigkeit des Henkers nicht öfters für solche Proceduren in Anspruch genommen worden, so hätte sich wohl kaum ein bestimmter Zahlungssatz dafür ausgebildet. Von dem häufigen Vorkommen schwerer Leibesstrafen, wie: durch die Zähne und auf die Stirne brennen, Zunge ausschneiden, Hand abschlagen, Nase und Ohren abschneiden u. s. w., legen übrigens schon die Namen vieler Verbrecher Zeugniss ab. Da Familiennamen noch

1) Baumeisterbuch 1369. Exaudi, 13. Mai. 2) Vgl. z. B. Baumeisterbuch 1321 Quasi modo, suspensori VIII. ß. d. pro tormento et suspensione cuiusdam furi; Jubilate, suspensori pro amputacione unius auris III ß\ 1322 Memento, suspensori 1* U. IIII ß. d. pro tribus suspensionibus et tormentacionibus; 1373 Gaudete III. ß. dem nachrichter von plenden den Kopelt; 1374 Elizabet, VI ß. dem nachrichter von ze blenden den Rüden; 1378 Reminiscere, III /j.^dem nachrichter von dem schusterknecht dem er die oren absnid etc. etc. Der Henker bezog übrigens ausser diesen unregel­ mässigen Einnahmen einen festen Sold, der wahrscheinlich den grössten Theil des Jahrhunderts durch 5 Sch. Pfennig wöchentlich betrug. 1375 wurde derselbe auf 7 Sch. erhöht (vgl. Bmstrb. von Cantate an). Weitere Erhöhungen gegen Ende des Jahrhunderts fanden wohl nur in Folge der greulichen Münzverschlechtcrung statt. Auch waren dem Nachrichter noch einige andere nicht uneinträgliche Geschäfte übertragen; so hatte er schon nach dem alten Stadtrechte eine ge­ wisse Aufsicht über die öffentlichen Dirnen zu führen, sowie die Reinigung der Abtritte oder Sprachuser zu besorgen (vgl. Stadtbuch herausgeg. v. Ch. Meyer p. 71.) Vgl. Baumstrb. 1325 Quasimodo, suspensori pro purgatione canalis privete XV. ß. et II. d.; 1327 Populus syon, suspensori pro purgatione privete civium XXVII ß.; 1329 Pop. syon, dedimus suspensori pro purgatione privete in principio II ß. et postea X ß. et postea VI ß. et postea VIII ß. Ueber die Bedeutung dieser Summen wird man sich vielleicht noch am ersten klar, wenn man weiss, dass dem Waibel in der Regel für Kost und Beherbergung eines Gefangenen ungefähr Ein Schilling Pfennig den Tag angerechnet wurde, vgl. z. B Bmstrb. 1374, Miserere, V Pfd. II. ß. d. zu kost den waibeln von dez Putrelchs diener, die man ertranckt, (die p. 3 Anmerk. 3 erwähnten), von LIII tagen jetwedrem (d. i. soviel für jeden von den dreien); 1394. Exurge, IIII# und VIII ß. d. Clausen dem waibel von dem Engellander und sinnen wibe, daz kostgeld von XLIIII tagen; 1398. fol. 86 b. II Pfd. VIII ß. d. Clausen waibel von XII tagen kostgelt von dem Starken und dem Rothainzen etc. etc.

165 nicht allgemein gebräuchlich waren, so führte gewöhnlich jeder, der sich nicht eines solchen erfreute, neben dem Taufnamen einen Beinamen, der von seinen persönlichen Eigenschaften, von seinem Handwerk oder sonstiger Beschäftigung oder irgend welchen an­ dern Umständen hergenommen war. Ein paar Beispiele sind viel­ leicht nicht unwillkommen: der rot Ermel, Gebhart Dürrsbein, der Mageramhals, der Ezzwadel, der Plerrer, Eünzlin Bozzwort, das grindig Bäuerlein, der hupfend Schneider, der schilchent Diettel von Wirtzburch, der bös Nyesel, Johans Misserat, der Mäusezzer, der Kötzer im Loch, die keichend Eis, das rotzig Diemlin, das kotig Metzlin, die hupfend Eis, der Eilinsgrab, der Zucks­ messer, der Leutscherer, der rot Schisser, Kuntz Dremelindemarsch, Johans Schisse in die Stuben, die Scheizzinbrunnen u. s. w. Neben solchen Namen finden sich denn auch viele mit einem criminellen Anklange, z. B. Johans mit dem Buchstaben, Claiblin mit dem Mal, Jeckel mit dem Finger, der Vierfinger, Zwirggel mit der Einen Hand, Walpurg mit dem Stumpf, der handlos Sehneider, das handlos Müllerlin, Ellen die Orlos von München, die naslos Anna, die naslos Metz von Ulm, die einäugig Karrnerin, der blind Schneider, derBaier der Blind und andere mehr; namentlich Einäugige und Blinde kommen oft vor. Man darf wohl annehmen dass die Delinquenten von der Natur nicht stiefmütterlicher be­ handelt worden seien, als andere Leute, auch lässt sich die grosse Anzahl Verstümmelter unter ihnen schwerlich damit erklären, dass ihr Leben ein gefährlicheres war. Es ist eben die Wirk­ samkeit der Strafrechtspflege, die wir hier erkennen müssen. Für gewöhnlich, doch keineswegs immer *) wird wohl ausser der Verstümmlung auch noch Ausweisung aus der Stadt erfolgt sein. Jedenfalls enthält unser Achtbuch eine beträchtliche Menge derartiger Fälle. Es ist nicht nöthig den Leser mit Beispielen zu überhäufen, a) im weiteren Verlaufe wird so wie so noch man­ ches dahin bezügliche Vorkommen. 1) So erhält z. B. im Jahre 1373 der Henker Geld für die Blendung des Kopelt und im Jahre 1374 für die des Rüden (vgl. letzte Anmerkung) die beide nicht in dem Achtbuche Vorkommen. 2) Ich setze ein paar Beispiele in die Anmerkung: 1348 „An dem samztag nach unser Frawen tag habent die ratgeben ainen juden, haizzt Yssa, dem vor durch sin boshait die äugen uzgestochen sint, disiu stat ewiclich verboten an gnade, umb sin boshait, die man von im weste ;w würde er wieder in der Stadt erwischt, „so sol man in aun urteil in einen sak stozzen und ertrencken.“ 1348. Am Samstag in den Weihenächten (31. December) ward zwei Knechten, die

166 Der Zweck, weshalb alle diese Dinge hier erwähnt wurden, war ja eigentlich nur, zu zeigen, dass in unserm Achtbuche bei weitem keine vollständige Aufzeichnung der üblen Thaten die zu jener Zeit in Augsburg verübt wurden, enthalten ist. Man hatte von vorneweg bei der Anlegung desselben gar nicht die Absicht etwas derartiges zu machen; man wollte nur für praktische Zwecke der Erinnerung zu Hilfe kommen und weiter nichts. Was uns in dem Achtbuche fehlt, sind hauptsächlich erstens die schweren Verbrecher, die mit dem Tode bestraft wurden, doch helfen uns hier, freilich in unvollkommener Weise, die Baumeister­ bücher aus. Soviel wenigstens erhellt daraus, dass die meisten Hingerichteten wahrscheinlich Diebe und Strassenräuber und über­ haupt solche waren, die sich an dem Eigenthum vergangen hat­ ten; viele derselben hatten ihr Verbrechen offenbar ausserhalb der Stadt verübt. Und zweitens fehlen uns die kleineren Uebelthäter, die mit Geldbussen oder leichteren körperlichen Strafen, wie öffentlichem Auspeitschen und dergl. davon kamen, oder bloss auf den Pranger gestellt wurden. Ueber diese mangeln uns über­ haupt alle näheren Angaben. Gelegentlich sei hier noch bemerkt, dass Entziehung der Freiheit auf längere Dauer in jenen Zeiten nur ausnahmsweise zur Anwendung kam. Einen Feind hielt man wohl unter Umständen lange gefangen, der Verbrecher dagegen, wenn man seiner Person habhaft war, musste zahlen, oder er wurde an Leib oder l^jben gestraft oder aus der Stadt geschafft. Wie Anfangs erwähnt, ist es die letzte Hälfte des 14. Jahr­ hunderts, oder um genauer zu sein, die Strecke von 1338 bis zum Schlüsse des Jahrhunderts, worüber uns unsere hauptsächlichste gegen ein Verbot auf der Juden Hofstatt gegangen waren, (im Herbst 1348 war eine Judenverfolgung in Augsburg), die Hand abgehauen und die Stadt auf ewig verboten. 1349 wurden am Donnerstag vor Reminiscere dem Scheller, Johannsen des Bruns Austräger, wegen seiner Bosheit und Ungerathenheit die Augen ausgestochen und ihm und seinen beiden Weibern die Stadt auf ewig verboten. Dasselbe geschah aus demselben Grund am Ostermontag vor St. Gallentag 1358 dem Haber von Graben, und am Donnerstag nach Galli Merklin dem Sperlin, einem Weberknechte u. s. w. Auffallend ist es, dass gewöhnlich, wenn Blen­ dung stattfand, das Verbrechen nur in unbestimmten Ausdrücken, wie Bosheit und Ungerathenheit und dergl. angegeben ist. 1368. „in vigilia Magni wait Heinrich der Swertfurb — — — gestelt in den branger und darnach wart im die zung uz dem hals geschniten und die stat ewigclich verboten, aun genaud; daz beschach darumb, dass er grozz und ungehort swür off getaun hat bi Got und unser Frawen und auch übel von in retu u, s. w. vgl. 1370. 1385. 1390. etc. etc.

167 Quelle das am meisten vollständige Material bietet. Es sind also die letzten Jahre Kaiser Ludwigs, und dann die Regierung Karls des Vierten und Wenzels, ein Zeitabschnitt von 62 Jahren. Wir können darin, wie ich glaube, deutlich zwei sehr wesentlich von einander unterschiedene Perioden erkennen. Der Charakter der ersten, die bis zum October des Jahres 1368, dem Datum der Einführung des Zunftregiments geht, und mit welcher diese Blätter sich besonders beschäftigen sollen, ist Gewalttätigkeit und zügellose Unbändigkeit, die beinahe unge­ hindert nach allen Seiten aus Rand und Band zu schlagen scheint. In der zweiten haben wir ohne Zweifel noch denselben unbändigen, gewaltthätigen Sinn; es kommen noch Dinge vor, die scheusslich genug sind. Allein die Ausbrüche sind unverhältnissmässig seltner, und sie sind augenscheinlich in der Abnahme begriffen. Offenbar befinden sich seit der Veränderung der Ver­ fassung die Zügel der Regierung in festen und geschickten Hän­ den, die es verstehen die wilden und trotzigen Gemüther einigermaassen in Ordnung zu halten. Ich werde später noch einmal auf diesen Unterschied zurück­ kommen. Zunächst ist es, wie gesagt, vorzugsweise die erste Periode, die berücksichtigt werden soll; die zweite soll vorerst nur in soweit, als sie Uebereinstimmendes bietet, in unsere Be­ sprechung hineingezogen werden. Wohl Jedem wird sich schon nach kurzem Blättern in unserm Achtbuche der Gedanke aufdrängen, dass wir es hier mit einer hochgradigen Unsicherheit der Person, selbst innerhalb des Stadtfriedens, zu thun haben. Wir finden mitunter in einem Jahre 9, 10, ja 11 verschiedene Todtschläge verzeichnet, z. B. 1352 = 11> 1354 = 10, 1359 = 9, 1368 = 11 (vgl. Anhang Nr. VI.), sämmtlich innerhalb des Stadtfriedens verübt; es ist noch beizufügen, dass, mit Ausnahme des letzten, wir in keinem der genannten Jahre von irgend welchen besonderen Unruhen wissen. Und dabei sind noch nicht gerechnet die Todtschläge, die aus Nothwehr geschahen, oder mit dem Tode bestraft, oder sonst irgend wie gebüsst oder ausgeglichen wurden, oder deren Thäter verborgen blieb. Und sind weiter nicht gerechnet die vielen Hinrichtungen, deren es ja auch, wie wir gesehen haben, alljährlich eine be­ trächtliche Summe gab ')• Aber wenn auch nichts mehr dazu 1) Selbstverständlich erwähnt das Achtbuch auch nichts über Todtschläge, die sich bei feindlichen Ueberfällen ereigneten; so steht z. B. von dem folgen-

168 käme, zehn und elf Todtschläge in Einem Jahr auf eine Stadt, die wie Augsburg damals vielleicht 16—17000, höchstens 20000 Einwohner zählte, lässt auf einen höchst bedenklichen Zustand der öffentlichen Sicherheit schliessen. Ungleich seltner kommen in unserem Achtbuche Fälle von Körperverletzung ohne tödtlichen Ausgang vor; in den angeführten Jahren 1352, 1354, 1359, 1368 z. B. sind die Ziffern 6, 4, 2, 0, und über 9 steigt die Ziffer nie1). Doch beweisst das keineswegs, dass zu jener Zeit Hiebe und Stiche um so viel tödtlicher waren als jetzt. Einfache Körper­ verletzungen liessen sich eben in der Regel leichter mit Geld arrangieren, und es war dann keine Veranlassung mehr, dieselben zu Buche zu bringen. In Wirklichkeit werden ohne Zweifel Ver­ wundungen, ebenso wie jetzt, viel häufiger vorgekommen sein als Tödtungen. Draussen auf dem Lande war, wie man sich leicht denken kann, die Unsicherheit der Person, sowie #auch des Eigenthums noch viel grösser. Alle Ordnung des Reiches schien damals fast aufgelöst in den zahllosen grösseren und kleineren Fehden, bei denen es wohl nie ohne Raub, Brand und Mord abgieng. Der Friedfertige hatte einen schweren Stand, für den Wildesten und Unbändigsten lagen die Chancen am günstigsten. Nicht selten kam es vor, dass unzufriedene Bürger aus ihrer Stadt zogen und derselben Fehde ansagten. Ich erinnre nur an die für Augsburg so widerwärtigen Händel mit Jacob Pütrich, die wahrscheinlich im Sommer 1369 ihren Anfang nahmen. *) den von den Chroniken überlieferten 'Vorfall nichts darin: In der jarzal unsers Herren, in dem 1374 jar, an sant Barteimens abent, do cham Jacob Püttrich in die vorstat zu sant Niclaus, ihr acht, und erstachen vier man zu tod, der was ainer ain ussetzel etc. Städtechroniken IV, p. 42. 1) Die höchsten Ziffern, welche ich überhaupt in der ganzen Zeit bis 1400 finde, sind folgende: 1339 = 6, 1341 = 9, 1346 = 5, 1351 = 6, 1352 == 6, 1355 == 7, 1358 = 7, 1360 = 6, 1362 = 7, 1364 = 7. Allerdings zähle ich nur vollkommen klare Fälle. Es kommt aber öfters vor, dass Personen im All­ gemeinen wegen Bosheit und Ungerathenheit (vgl. p. 165. Anm. 2.) bestraft wer­ den, oder wegen gewaltthätigen Benehmens, wobei zweifelhaft bleibt, ob wirklich eine Verwundung vorgekommen oder nicht; gelegentlich wird auch des Ver­ brechens gar nicht gedacht. Manche Verwundung mag darunter versteckt sein. Doch selbst alle solche zweifelhafte Fälle eingerechnet, würde die Zahl der Verwundungen dennoch nicht die der Tödtungen erreichen. 2) Städtechroniken IV, p. 23. Anmerk. 6. Ein Rathserkenntniss vom 14. August 1390 deutet ebenfalls auf eine derartige Fehde, allerdings von geringeren Leuten. Dasselbe steht in dem ältesten Rathserkenntnissbuch des städtischen

169 Jacob Pütrich war ein angesehener und einflussreicher Ge­ schlechter, der mit mächtigen auswärtigen Herren, namentlich mit denen von Bayern in Verbindung stand. Allein auch ein ge­ ringerer Mann konnte schweres Unheil anrichten, er brauchte nicht zu besorgen im Kampfe, selbst gegen eine ansehnliche Stadt, allein zu bleiben, denn beutelustiges Gesindel war in der Nähe wohl­ habender, viel Verkehr treibender Orte stets in Menge vorhanden. Da es bei allen diesen kleinen Kriegen sehr wesentlich darauf ankam Beute zu machen, so ist es begreiflich, dass das reiche Augs­ burg besonders viel befehdet wurde; und dadurch, dass Augsburger Bürger — und darunter gerade die vornehmeren am meisten — sich vielfach, wenn schon nur als Privatpersonen, an den Fehden Auswärtiger betheiligten, war es demjenigen, der Händel mit der Stadt suchte, in der Regel leicht gemacht, irgend einen scheinbaren Grund zum Streite zu finden, wenn er sich überhaupt die Mühe gab nach einem solchen zu suchen.J) Archivs (1390—1392) und lautet dort also: It. Der rate haut Symons Kystlers sün baide begnadet und si wider herin gelazzen; die habent gesworn der stat dehain vintschaft noch schaden tzu tragen und tzu zu ziehen; und ist die schuld gewesen, daz sie der stat widersagt hetten mit ainem brieff, wider daz das si ir stösse gegangen wauren hinder den burgermeister Ulrich den Tendrich gen der stat, und do derselben burgermeister ussprach, do giengen die zwen Symons sün von der stat. Nu haut si der rate begnadet, also war, daz si ihtz mer täten, so sol man in ains tzu dem andern slahn; und ist daz beschehen in vigilia assumptionis beate virginis Marie, — Der Vater Symon der Kystler selbst scheint ebenfalls ein wilder Kerl gewesen zu sein. 20 Jahre vorher war ihm einmal wegen Todtschlags die Stadt auf mehrere Jahre verboten worden. Achtb. 1371. Feria quinta post Jacobi. 1) Um Händelsuchenden diesen Grund abzuschneiden wurde 1372 verfügt dass kein Bürger ohne Erlaubniss an den Fehden Fremder theilnehmen dürfe; wer dawider handle, solle aus der Stadt verbannt sein, und es solle ihm erst nach Beendigung der Fehde gestattet werden dürfen wieder hereinzukommen, und auch dann nur gegen Erlegung von 100 Gulden (vgl. Stadtbuch p. 254). Wahrscheinlich hat folgender, in dem Achtbuche verzeichnete Vorfall die un­ mittelbare Veranlassung zu diesem Rechtserkenntniss gegeben: 1372 25. October feria secunda ante Symonis et Jude hat der rat Peter Kunzeimann und Chunrat Aunsorgen die stat ewiglich verboten: dorumb daz sie, on dez ratz heizz und wizzen, ritten mit Hartman von Burgau, do er den Swelher zu Stainenkirch angraiff mit brant und nam, und im dez hulffen: Und aso sollen sie in die stat nicht kommen, ez wer dann daz der Krieg zwischen Hartman von Burgau und Herrn Ulrichs des Swelchers verricht wurd, der helff sie gewesen sind, duncket den rat denn, daz sie der stat fügsam sien, so mag er sie wol begnaden; und umb die hundert guldin as der rat bekent hat, daz sol stan an dem rat, wan daz gebot daz der rat gesezt hat, Weiher bürger, reicher oder armer, dhainem

170 Fehde führen hiess in der That in sehr vielen Fällen nichts anderes als Strassenräuberei treiben, und der Fehdeführende wurde dem entsprechend, von den Städten wenigstens, oft auch kaum anders behandelt als ein Strauchdieb. Die Umgegend Augsburgs war wohl zu jenen Zeiten selten ganz frei von Strassenräubern oder Landzwingern, wie man sie häufig nannte x). Mochte man auch alljährlich eine grössere oder kleinere Anzahl solcher Ge­ sellen einfangen und hinrichten, es gab immer wieder neue. Der Gewinn war so verlockend, dass sogar Einwohner der Stadt, für die die Sache natürlich doppelt gefährlich war, oft nicht wider­ stehen konnten. So meldet das Achtbuch, dass am Montag nach St. Bartholemäentag (28. August) 1344 zweien Bürgern, Ulrich dem Burggraf und Heinrich dem Baumwolf die Stadt auf ewig verboten ward, weil sie mit' schädlichen Leuten Gesellschaft hatten und die Bürger verrathen wollten. Ein andermal wurde aus demselben Grund ein hier wohnender l^ördlinger Bürger aus­ gewiesen (1372), wieder ein andermal ein Augsburger Fleischuzman, er sie pfaff oder lay zu dhainem angriff dienet oder hilffet aundez ratz heizz, der soll ewigclich in dise stat nummer komen, ez wer dann, so der krieg verricht wurd zu dem sie geholffen hetten, so mocht sie der rat wol begnaden, mit der beschidenheit, daz sie vor der stat hundert guldin geben. Wan nu die vorbenanten Peter Kunzeimann und C. Aunsorg vor dem gebot zu dem angriff geholffen haunt, darumb sol ez umb die hundert guldin an dez ratz gnaden stan und wurden sie liinn begriffen, so sol sie der rat dorumb pezzen, az er ze rat wirt. Uebrigens war dieses nicht das einzige Mal, dass Ohnsorgen an fremden Fehden theilnahmen (vgl. Städtechron. IY p. 47, besonders Anm. 2 und 6.) 1) Wie wir aus den Baurechnungen ersehen, verging fast kein Jahr, ohne dass ein paar StrasBenräuber gefangen und aufgeknüpft oder geköpft wurden. Personen, die mit bösen Leuten auf dem Lande Gesellschaft haben, werden öfters erwähnt. So ward Am 27. Februar 1342 einem Knechte die Stadt auf 5 Jahre verboten, „darumb daz er belümbdet waz und mit bösen lüten gesellschafft het, darumb er auch gevangen was; wurd er darüber hie begriffen, so sol man über in richten als über einen schedlich manw. 1372 an Maria Magdalenetag heisst es: die drey H. Vischer von Agenwanck und G. Kugler von Schennbach und . . . der Hopff wauren dem rat furgeben, daz sie ein gesellschaft hetten, und landtwinger weren, und den luten uf dem land daz ir abnemmen wider recht u. s. w. Liese drei stellen Bürgen. 1381 feria secunda post St. Mauricii wurde Hans Zwingenberg, der im Verdachte stand zu den Gesellen zu gehören, die „uf dem land morderey tribent“ für unschuldig befunden. Am Donnerstag nach Exaltationem St. Crucis 1390 begnadete der Rath „den Thoman Kramer, Chuntzen des Holtzhaimers knecht, den selben Holtzhaimer wir mit dem rehten verderbt haben, mit demselben Holtzhaimer der vorgenannt Thoma geritten istu u. s. w., ältestes Rathserkenntnissb. 1390. 15. September. Ueber den Schaden den die Stadt von Fehde und Räuberei zu leiden hatte vgl. Anhang No. I.

171 häckel, Namens Kunz der Chrützer, ,darumb dass er böse Gesell­ schaft an ihm hat, die uf dem Lechfeld reiten und die Leute berauben' (1365). Mehrere Jahre später fingen ein paar Augs­ burger Metzger einen festen Bürger von Giengen und führten ihn über den Lech in ein Holz bei Möhringen um ihm sein Gut ab­ zunehmen, ,und sie sollen mit Weib und mit Kinden us dieser Stadt sein uf 10 Jahre, und welcher unter ihnen zweien innerhalb dieser Frist hier ergriffen würde, dem soll man die Hand abschlagen, und soll auch niemand umb sie bitten' (1374). Hecht bezeichnend für diese Zustände ist ein Vorfall, der sich im Jahre 1366 zutrug. Ich will denselben möglichst in seiner ursprünglichen Gestalt vorführen: ,Man soll wissen umb die grosse Schmachheit und Bosheit, die Herr Berchtold der Truchsess, Chorherr zu dem Dom zu Augsburg und seine nach­ geschriebene Diener an uns und an unsrer Stadt gethan haben: also, dass sie einen ehrbaren Mann — hiess Chunrad der Swap und war ein Amptmann der Herrschaft von Tirol — us unsrer Stadt betrugen und äfften, mit sogethaner Bosheit, die er anlegte mit dreien Frauen, deren hiess eine Kathrin und war sein Weib, die ander Irmel, Henslin’s des Marstallers Weib, die dritt war zu Laugingen bei der alten Truchsessin. Von den dreien ging eine zu Chunrad dem Swap und sprach, sie wollt ihm wol eine erbare Frauen zubringen, die seinen Willen thäte, und sie zielte (d. i. be­ stellte ihn) ihm für die Stadt, da sollt er sie finden. Und do er nun fort durch des Attenhover’s Hof us gieng für die Stadt, do war der Truchsess in dem hintern Haus, und ritt zur Hand us mit seinen Dienern — das war Ulrich der Höbeller, Hans der Rysenburger, Heinzlin der Marstaller, der Ullin sein Knecht und Henslin Marstaller, der seitdem enthauptet ist. — Und do der Swap eine ziemliche Strecke (ettwi verr) von der Stadt gekommen, do ritten sie uf ihn und fiengen ihn und führten ihn hin (d. i. ent­ führten ihn). Darumb haben sie die Eathgeben alle, Frauen und Männer, in dies Achtbuch heissen schreiben, dass sie fürbass ewiglich in die Stadt nimmermehr kommen Süllen, dass sich andere Leute fürbass daran stossen, und dass man die Stadt sogethaner Sache fürbass erlasse.' Leider erfahren wir nicht, wesshalb jener Chorherr den Amtmann Konrad den Swap entführte, und ebenso­ wenig was aus dem letzteren geworden ist. Die Zustände innerhalb der Wälle der Stadt waren von dem ebengeschilderten allerdings himmelweit verschieden; Person wie Eigenthum erfreuten sich hier denij, doch eines ungleich höheren

172 Grades von Schutz, und vor allem das letztere war wenigstens gegen gewaltsame Angriffe ungleich gesicherter. Raubanfälle waren in der Stadt doch zu gefährliche Unternehmungen um sehr häufig vorzukommen. Wenn einer diesseits der Ringmauer einem anderen an sein Eigenthum wollte, so suchte er ihm lieber mit List und Schlauheit beizukommen. Ein Unternehmen wie das des Chorherrn Berchtold des Truchsessen konnte nur ausserhalb der Wälle auf Erfolg rechnen. Das Charakteristische der Gewaltthätigkeit inerhalb der Stadt liegt vielmehr, darin, dass dieselbe fast immer der Ausfluss ent­ weder übermächtig hervorbrechender Leidenschaft, oder blosser wüster, roher Lust am Schlagen, Hauen und Stechen u. dgl. war. Unser Achtbuch gibt uns eine unendliche Menge von Bei­ spielen. In den 31 Jahren von 1338 bis zum Schlüsse von 1368 sind darin die Namen von etwa 420 Geächteten verzeichnet; und darunter sind nur ganz wenige, deren Verbrechen nicht diesen Charakter offen an der Stirne trägt. Ausserdem sind während dessel­ ben Zeitraums — ungerechnet die Haufen Gesindels, die alljährlich im Herbst um St. Gallentag (16. October) zusammen ausgewiesen wurden — noch über 360 andere Personen eingeschrieben, denen die Stadt verboten wurde. Und davon wird wohl die grössere Hälfte ebenfalls aus solchen bestehen, die sich in der Leidenschaft oder im Uebermuth gewaltthätiger Handlungen schuldig gemacht hatten. Alle Stände sind darunter vertreten. Der Vornehme und Geringe waren gleich schnell mit dem Zuschlägen bei der Hand. Gerade wie der Bäcker und Metzger sofort trotzig das Messer gegen den Weibel zuckt, der ihm zu ungelegner Zeit erscheint um Brot und Fleisch zu wägen, eben so zieht der Patricier auf der Stelle sein Schwert, wenn ihm Jemand in die Quere kommt. Kürschner, Beutler und Metzger scheinen besonders gefährliche Leute gewesen zu sein. Ueber Unthaten von Bäckern und Schneidern wird ebenfalls öfters berichtet. Auch von Gewaltthätigkeiten der Juden hören wir mitunter; so verbot im Jahre 1372 (in die St. Margarete) der Rath Mosse und Mathys zweien Juden von Attelried die Stadt auf ewig ,darumb, dass sie jemanden hie in der Judengassen anlufen und ihn geschlagen und missehandelt wollten han, dass er kum entrann*. Selbst Priester und Schul­ meister waren oft streitsüchtige Gesellenx), und nicht einmal das 1) Ich gebe nur Ein Beispiel aus dem Jahre 1355.* Darnach an dem nehsten donrstag nach sant Lucyentag (17. December) sint di$ dry her Jos.

173 schöne Geschlecht blieb anverschont. So warf einmal einer eine ehrsame Wittib in den Koth, riss ihr den Mantel ab und hätte ihr beinah die Augen ausgebrochen (1356); ein andrer schlug einer ehrbaren Bürgerin, der Alpershoverin, nachts unter die Augen, ,dass man sie kum erkannt4 (1355) *); ein dritter Wiitherich, Heinz der Kaufmann, misshandelte seine eigne Frau, des Dörnbecken Schwester, ,und wollte ihr die Nas abgeschnitten haben und wundete sie in den Kinnbacken und in eine Hand4 (1358); ein vierter, Kunz von München, zerhieb seiner Ehewirthin das Bett und verwundete ihr Kind (1361); ein fünfter gieng dem Husler, dem Fischer, ,frechentlich in sein Haus und misshandelte ihm seine Wirthin schwer mit Worten und Werken, und zog sie bei dem Haar herumb, do ihr Wirth zugegen war4 (1372); ein sechster, Peter der Wolfhart, folterte sein Mägdlein, Katharine, Jacobs des Tuchscheerers Tochter, um von ihr zu erfahren, wer ihm eine gewisse Summe Geldes gestohlen, indem er ihre beiden Daumen in ein in die Wand gebohrtes Loch stiess, gut Speidel dazu schlug, und sie so sehr zwang, dass das Blut vorn an den Nägeln herausgieng, und dazu misshandelte er noch seine eigne Wirthin, Ulrichs des Schribers Tochter, und wundete sie ein wenig in die Hand mit einem Pfeil (1364 St. Afrenabend). Allen diesen Uebelthätern, mit Ausnahme des zweiten, den man auf ewig und des letzten, den man auf 10 Jahre verbannte, wurde die Stadt auf 5 Jahre verboten. Es bedarf keiner weiteren Beispiele, sehen wir ja doch, dass die Weiber selbst in jenen Zeiten von einem ausserordentlichen Thatendurste erfüllt und ebenfalls rasch bereit waren zuzuschlagen. Greth, Emerlins des Klingenschmieds Tochter, schlich sich einmal (1373) in Späten, des Chorherrn Hof und misshandelte dessen Kellnerin (Dienerin); von Metz der Emmanin lesen wir, dass sie eine ehrbare Jungfrau auf der von Meringen, priester, und her Chunrat der Müttinck, evangelier und Stephan, der do Schulmeister ze dem hailigen Crütz hie ze Auspurg was, mit gericht und mit urtail in die acht getaun, von Hansen des Grymoltz clag wegen, darumb daz si in in diser stat fried aun schuld und aun reht an beiden armen erlembt haund und in sust vast gewundet habent, und Homen im darzü sin swert und sin mezzer raplich tif des reichs-strazz, und habent daz auch noch inne ♦, und da si in nti geschlagen, daz er viel, da wolten si in darzü in den Lech geworffen haben, m\d wolten ihn ertrenckt haben. Der Name des Herrn Chunrats des Müttincks ist ausgestrichen, d. i. die Acht wurde bald wieder rückgängig gemacht; wahrscheinlich hatte er sich verglichen. 1) Der Eintrag steht als erster im Jahre 1356. da er aber vom 28. December datirt, so wird er wohl als letzter in das Jahr 1355 gehören.

174 Strasse schlug und misshandelte und ihr ihr Hülltuch abzerrte und sprach, sie war ein Pfaffenweib und sie hätte sich um Minne­ geld angeboten. Sie ward für ein Jahr ausgewiesen (1364). Agnes die Christanin vergass sich im Zorn soweit, dass sie in Unsrer Frauen Münster vor dem Frühmessaltar eine ehrbare Frau, die gar nichts mit ihr zu schaffen haben wollte, mit bösen Worten bescholt. Ihr wird die Stadt auf 10 Jahre verboten und würde sie in dieser Frist hier erwischt, so soll man sie auf den Pranger stellen und ihr die Ohren abschneiden (1386 feria tertia vor Michaeli). Eine andere Amazone, die Wolfhartin, des Schrei­ bers seligen Tochter, vielleicht die Gattin oder sonst eine Ver­ wandte des oben genannten Peters des Wolfharts, liess sich an derselben heiligen Stelle von der Leidenschaft zu solchen Thätlichkeiten gegen eine Feindin hinreissen, dass dieselbe blutrünstig wurde, ,von desswegen man Unsrer, Frauen Münster wieder weihen muss*. Dies geschah gegen Ende des Jahres 1390, ihr wurde am 5. November die Stadt auf 10 Jahre verboten, und am selben Tage wurde ein andres Frauenzimmer wegen einer ähnlichen That, die sie in des Minners Kapelle verübt, mit derselben Strafe belegt. Noch schlimmer ist ein andrer Vorfall, der sich freilich erst etwa ein halbes Jahrhundert später ereignete: ein paar Weiber, Agnes Pfisterin, Jörgen Pfisters eheliche Wirthin, und Agnes Liwmennin, die Ledrerin führten die Magd der erstge­ nannten in eine Kammer, legten ihr einen Schleier um den Hals, warfen sie zur Erde nieder, schlugen sie mordlichen und schnitten ihr eine Hand ab. Was die Ursache dieser barbarischen Behand­ lung war, wird nicht gesagt. Uebrigens warteten die beiden Furien die Strafe nicht ab; sie flohen und wurden geächtet (1449 Dorotheentag). Nun wo die Weiber schon so zornwüthige, gewaltthätige Ge­ schöpfe waren, wie mag es da erst mit den Männern ausgesehen haben? Ein solches Geschlecht in Ordnung zu halten war keine leichte Aufgabe, schon bei Tag und unter normalen Verhältnissen, und nun gar erst bei Nacht wenn die wilden Gemüther durch reichlichen Genuss berauschender Getränke noch mehr erhitzt waren. Trunksucht war schon damals das nationale Laster der Deutschen. Leute, die im Rausche gefährlich waren, oder, wie es gewöhnlich ausgedrückt wurde, vor denen niemand sicher ist, wenn sie trinken, finden sich sehr häufig aufnotiert, besonders nach 1368; sie werden öfters für ein Zeit verbannt. Sogar ein Jude — Schranz ist sein Name — kommt einmal vor, dem wegen

176 seiner Unbescheidenheit und Gefährlichkeit im Trunk die Stadt verboten ward, und zwar auf 5 Jahre (1382 feria quarta post Joh. ante portam latinam). Es gab eine grosse Menge Trinkstuben, namentlich um den Perlachberg herum, und am Abend, nachdem sich dieselben ge­ füllt hatten, muss es da oft wild hergegangen sein. Ueber den erhitzenden Getränken kam es dann leicht zu bösen Worten und Thätlichkeiten, und die leidenschaftlichen Gemüther kannten bald keine Schranken mehr, Schwert und Messer flogen gleich aus der Scheide, Todtschlag und schwere Körperverletzungen waren keine ungewöhnlichen Vorkommnisse. Welch geringen Anlasses es bedurfte um Streit hervorzurufen lässt unter anderm ein Raths­ dekret von 1384 erkennen. Es wird darin verfügt, dass niemand jemanden, den er für seinen Feind hält, in Person angehen und zu ihm sprechen darf: Ich will wissen, ob du mein Feind seist oder nicht; er soll vielmehr, wenn er Aufklärung über diesen Punkt zu erhalten wünscht, einen unbetheiligten Dritten an den vermeintlichen Feind schicken (Stadtb. p. 256). Nachdem die Schenken abends geschlossen, setzt sich der Skandal auf den Strassen fort. Wir lesen öfters, ebenfalls be­ sonders nach 1368, dass bösartige Gesellen im Harnisch, oder mit blossen Schwertern und Spiessen nachts auf der Strasse auf­ gegriffen werden. Es wird bei Nacht in Thüren und Fenster hineingestochen, schwere Steine werden auf Dächer und in Häuser hineingeworfen, einmal ersticht sogar einer in tollem Uebermnth ein Rind im Stalle. Manch’ ehrsame Bürger und Bürgerinnen, die abends friedlich auf dem Heimwege begriffen, werden über­ fallen, gejagt, geschlagen und verwundet. Friedliebende Personen, die einem wüsten Anfalle gegenüber gerne die Flucht ergriffen, zu verfolgen und zu jagen, scheint ein besonders beliebter Zeit­ vertreib gewesen zu sein; so wird einmal ein paar Kerlen, deren einer ein Schüler war, die Stadt auf 10 Jahre verboten, weil sie die Diener des Probstes zum heiligen Kreuze gejagt und ihnen ihre Pferde hatten abnehmen wollen (1348 feria quarta post Epiph.); ein andermal überfällt ein trotziger Messerer einen armen Frauenbruder und jagt und verfolgt ihn bis in das Innere seines Klosters hinein. Die Strafe für diese Gewaltthat ist ein Jahr Verbannung, doch scheint ihm dieselbe erlassen worden zu sein. Ich will nicht mit weiteren Einzelheiten ermüden; um ein vollkommnes Bild von der rohen, brutalen Gewaltthätigkeit jener

176 Zeit zu geben, müsste fast da§ ganze Achtbuch ausgeschrieben werden.J) Man darf nun nicht glauben, dass solchem Unwesen gegen­ über die Obrigkeiten sich gleichgiltig verhalten hätten. Aber die Mittel, die man zur Abhilfe anwandte, waren denn doch wohl nicht die richtigen, und um es gleich hier zu sagen, die Obrig­ keit war viel zu schwach und unmächtig, um etwas Erkleckliches ausrichten zu können. Gegen einen wilden, leidenschaftlichen Sinn hilft nur eiserne Consequenz. Präventivmassregeln nützen wenig, sowie sie nicht mit rastloser, nie nachlassender Energie durchgeführt werden; und bei den Strafen kommt viel weniger darauf an, dass sie recht streng, als darauf, dass sie gewiss sind und als unausbleibliche Folge des Verbrechens angesehen werden. Gerade an consequenter Energie aber in der Behand­ lung der Verbrecher und namentlich der gewaltthätigen Verbrecher, scheint es in der Periode, von der hier speziell die Rede ist, sehr bedenklich gemangelt zu haben. Später allerdings, nach der Ein­ führung des Zunftregiments, wie gleich hier eingeschaltet werden soll, hat sich dies geändert. Es gab zwar eine Menge Verordnungen, die bestimmt waren dem wüsten Treiben und besonders dem nächtlichen Unfug zu steuern, und man kann auch nicht sagen, dieselben seien todter Buchstabe geblieben. So war verfügt, dass die Trinkstuben bis 1) Ich setze noöh ein Beispiel aus dem Jahre 1362 hierher, welches als Sittenbild vielleicht nicht uninterressant ist: Darnach am Donrstag vor Gregorii habent die ratgehen Berhtold dem Smid von Oedenhusen, der in dirr stat vancknüzz was, disiu stat ewiclich verboten und ain myl von der stat, und hat auch dez zenhayligen gesworen, und nieman dhain veintschaft darumb tragen; und ist darumb beschehen, daz er . . . die frawen ze sant Martin haimsdcht und zi°i in sprach frevelich, daz sie im sin hdren her ds gaeben, oder si wern vor ihm nicht sicher, und daz er in . . . der Süzzin hds auch gieng und in frevelich mit rett, daz si sich vor ihm besorgoten; und ward auch erkent, daz er den frawen die haimsdch und . . . dem vogt bezzern solt, bis an ir genad. Darzd haut man im auch in den ayd geben, daz er noch nieman von sinen wegen, weder der stat, noch dhainem der iren, noch — — den frawen ze sant Martin, noch — — dem Stizzen, noch nieman der darzd gewant ist dhain veintschaft darumb tragen sol, noch mit in nichtz ze schaffen haben, dann mit dem rehten; und darüber hat er ze bürgen gesetzt zd im unverschaidenlich: Uetzen Oedenhdsen, den Ledrer, sinen brdder, Chdntzen von sant Lienhart, Ulrich den alten Win­ ter, den Ledrer, C. Winter, sinen si°m, cives, Ulrich Schönmair und Rügern den Mair, Ulrichs sdn von Pünnenbach; mit der beschaidenliait, wa er daz überfür und dawider tet, daz si darumb behaft Süllen sin; und wa man in fürbaz hie oder inner ainer myl ergriffe, so sol man hintz im rihten nach dez rates rat.

17-7 spätestens um 9 Uhr Abends geschlossen würden. Wer noch nach­ her in der Schenke war, oder auch nur auf der Strasse ohne Licht betroffen wurde, galt als Bösewicht, sollte in die Eisen gelegt werden und musste, falls ihm nicht noch Schlimmeres ge­ schah, zum wenigsten Bürgen für künftiges gutes Betragen stellen; hatte er Harnisch an, oder trug er entblösste Waffen bei sich, so war dies eine Verstärkung des Verbrechens.Mitunter giengen Vogt und Bürgermeister selbst herum um zu sehen ob alles in Ordnung sei. Besonders streitsüchtigen Gesellen wurden die Wirthshäuser untersagt, oder es wurde ihnen verboten Messer und Schwert zu tragen. Gerade hinsichtlich des Waffentragens kamen vielerlei bis ins Kleinliche ausgediftelte Verfügungen vor. Einem Wagner, der sich ungebärdig benommen, wurde einmal ausser Messer und Schwert auch noch untersagt sein Beil mit sich zu führen, nur in der Werkstätte oder sonst bei der Arbeit sollte ihm gestattet sein dasselbe zu haben.12) Ruhestörer wurden 1) Vgl. z. B. Achtb. 1366. Darnach Philippi und Jacobi ist — Bernbarts, des Motzenhovers sün disiu stat V jar verboten und V myl hin dan, wann er dez halben Ofen Ziegels niht het ze geben, darumb daz er aun laugen waz, er het harnasch nahtes getragen, wider diser stat gesatzt, und ist aun genaud. Vgl. Ratherkenntnissb. 1391: An dem obgenannten Samstag post conversionem Pauli haut der rat erkant und gesetzzet, daz alle hushäblich gesessen liite wol swert tragen mügen bey tag und naht, und sunst niemand anders, und sol auch nie­ mand dehain 1 enger messer tragen, dann daz mit dingen und heft alz lange sie, alz daz mauss an dem pranger staut. Welicher daz überfert, der sol ein U A geben tzu pene, und mag der vogt oder die burgermeister wol das messer nemen. Item es sol nieman dehain harnasch tragen, weder tag noch nahtes, welicher daz überfert, der sol der vorgenannten pene verfallen sein. It. der rat haut auch erkant an dem obgenannten tage, daz niemand, er sye reich oder arme mit verdaggtem antlitz gaun sol, weder man noch frow, und sol auch nie­ mand dehainen schienen tragen in dehain wis. Vgl. Stadtb. p. 256. Rathserkenntniss von 1384. 2) Dieser Fall ereignete sich erst im Jahre 1370, also nach der Einführung der Zunftverfassung. Aehnliches kam jedoch auch früher vor. Derselbe scheint mir aus mehreren Ursachen als besonders charakteristisch: 1870. Darnach an unser Frawen abent als si geborn wart, wart Frischhertz der wagner uz der prysun gelauzzen in die er gelet waz, darumb, daz er . . . sinem sweher drot an sin lib und an sin gut und sin elich wirtin missehandelt und si von im schlug und erbern leuten freffentlich mit ret, daz in an ir ewerck gieng und umb andriu frefeliu wort, daz alles dem rat kunt und wissent waz, darumb man in ser gebezzert wolt haben; do wart der rat von vil erbern leuten erbeten, daz er sin genaud an in leit, und der hat daz getaun mit der beschaidenhait, daz er gesworen hat nieman kainen has noch veintschaft von der vanknuzz wegen ze tragen, und auch nu furbaz mit sinem sweher und mit siner wirtin nicht wan

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L78 häufig verbannt, selbst einfache Nachtskandalmacher mussten mit­ unter die Stadt auf Jahre verlassen. Körperverletzungen und überhaupt bösartigere Anfälle auf die Person zogen nicht selten grausame Verstümmelungen nach sich. Kurz, dass viel und hart gestraft wurde, kann nicht bezweifelt werden. Allein trotz mancherlei lebhafter Anstrengungen der Unordnung Herr zu wer­ den wurde doch nur wenig erreicht. Es war offenbar keine Consequenz im Handeln. Die Strafen, obschon grausam und bar­ barisch genug, waren, zum Theil vielleicht gerade desswegen, ebenso wie die Handhabung der Polizei unsicher, um nicht zu sagen zufällig. Einem Uebelthäter, so lange er sich nicht am Eigenthum vergriffen, muss es nicht eben schwer gefallen sein, wenigstens seine Person in Sicherheit zu bringen, denn wenn wir die Eigen­ thumsverletzungen ausser Acht lassen, so finden wir gerade bei den schlimmsten Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit, wie Todtschlägen und Heimsuchungen, d. h. widerrechtlichem Ein­ dringen in fremde Behausungen, ausserordentlich häufig, dass die Thäter, obwohl bekannt, nicht in Person vor Gericht gebracht werden konnten. In unserm Achtbuche sind in den 31 Jahren von 1338 bis zum Schlüsse von 1368, wie vorhin erwähnt, 169 Todtschläge notiert; und von 164 derselben stehen der oder die Thäter in dem ersten Theile als Geächtete, also als solche, deren man nicht habhaft geworden war. An den 5 übrigen waren 9 Personen betheiligt; davon wurde einer begnadigt, von einem ist nicht klar was mit ihm geschehen, die sieben andern wurden aus­ gewiesen. Aber nur von dreien ist es unzweifelhaft, obgleich von allen neunen wahrscheinlich, dass sie persönlich vor Gericht gestanden. Diesen dreien ward, beiläufig bemerkt, die Stadt auf ewig verboten, einem unter ihnen mit der Bedingung, dass er

lieb und gut ze schaffen han, und hat er mit in iht ze Sachen, daz söl er tun mit einem friuntlichen rehten und sol auch in dieser stat weder messer noch swert tragen noch dhein ander wauffen, uz geuomen sin bychel in einer werckstat oder so er gieng einem an sin werck, da er sin bychel must han; er sol auch sinem Zunftmeister gehorsam sin und ze rechter Zeit haim gaun; und swa er die vorgeschriben artickel uberfur, daz man kuntlich hintz im bewisen mocht, so ist er der stat vervallen mit lip und gut. Und daz zu einer Sicherheit hat er zu im die nachgeschriben zu bürgen gesetzt, ob er die vorgeschrieben sach uberfur und da von entwich, so stillen die selben bürgen in den schulden sin und darumb behalft sin, do er inne waz etc.; folgen die Namen der Bürgen, da­ runter zwei Ritter, Her Chunrat der Stumpff und Her Ulrich der Stumpff.

179 eine Wallfahrt nach Rom und dem heiligen Grab unternähme.J) Wir wissen zwar nicht über wie viele Todtschläger sonst noch, ohne in das Achtbuch eingeschrieben zu werden, in Person ver­ handelt worden sein mag; so gross jedoch kann die Anzahl der­ selben unmöglich gewesen sein, dass nicht immer diejenigen, die es verstanden hatten sich in Sicherheit zu bringen, bei weitem die Mehrzahl gebildet hätten. Geächtet zu werden hatte nun freilich auch sein Unange­ nehmes, doch war es lange nicht so gefährlich, wie es sich auf den ersten Blick ansah; denn durch Geld und gute Freunde liess sich, sobald nur der erste Zorn der Kläger verraucht war, die Sache in der Regel ohne grosse Schwierigkeiten wieder ausgleichen; und war beides nicht vorhanden, so ist wohl in den meisten Fällen, wenn nicht besonders erschwerende Umstände dazu kamen» nach einiger Zeit alles von selbst in Vergessenheit gerathen.12)3 * * * * Aehnlich wie mit der Acht verhielt es sich aber mit den meisten Strafen. Auch wo es nicht schon ausdrücklich durch das Gesetz bestimmt war, dass anstatt einer körperlichen Strafe oder Ausweisung aus der Stadt Erlegung einer Summe Geldes eintreten könne, war ein Uebelthäter mit Geld und guten Verbin­ dungen, so lange es sich nur um eine blosse Gewaltthat handelte, unter gewöhnlichen Verhältnissen fast immer im Stande, Milderung einer schweren Strafe zu erwirken, sich wenigstens vor schimpf­ licher Verstümmelung und dem Tode zu retten.8) Die Fürbitte 1) Vgl. Anhang No. II. 2) In unserm Achtbuche wird es gelegentlich ausdrücklich bemerkt, dass, die Acht oder das Verbot der Stadt aufgehoben worden sei, gewöhnlich ist es jedoch bloss durch Ausstreichung des betreffenden Eintrags angezeigt. Uebrigens findet man auch Personen, die geächtet oder ausgewiesen worden, wieder in der Stadt, ohne dass irgend etwas bemerkt wäre. 3) Dass es mit dem Verbot der Stadt nicht allzu genau genommen wurde kann man aus den beiden folgenden Rathserkenntnissen vom Jahre 1391 er­ kennen: Donnerstag vor Judica (9 März) haut clainer und alter rate erkant und gesetzt, welichen hie in der stat die stat verpoten Wirt, ez sie umb todslag, umb wunden oder umb ander missetaut, der sol herin nicht chomen, er hab sich dann vor mit der stat verriht. Item: Am Mitwochen nach Resurrexi (29. März) haut clainer, alter und grosser rate erkant, welicher der ist, er sie rieh oder arme, der nu furbazzer gevangen wirt, dem sol nieman usnemen, noch lösen in dehain weisse, an erlohnüsse des rates; welicher aber das überfert, den sol der rate strauffen an Übe und gute. Im Anhang No. III gebe ich 4 Einträge aus dem ältesten Rathserkenntnissbuche des städt. Archivs und dem Achtbuche, die das Verfahren nach einem Todtschlage zur Anschaunng bringen.

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180 der Freunde des Angeklagten oder überhaupt irgend welcher Personen die sich aus was für einer Ursache immer für denselben interessierten, war ein Element, welches beständig in die Kriminal­ justiz jener Zeiten hineinspielte und auf das Urtheil selbst, sowie auf dessen Ausführung, nachdem es gesprochen, nicht selten einen sehr wesentlichen Einfluss übte. Selbst Diebe und Räuber wurden öfters in Folge einflussreicher Verwendung, statt gehenkt zu werden einfach aus der Stadt geschafft. Manchmal freilich war die Wohlthat- der Gnade nach unseren Begriffen von etwas zwei­ felhafter Natur, wie wenn einem statt der Hand ein Fuss abge­ hauen wurde (1363) u. dgl. Auch die Begnadigung die man einmal einem Schmiedeknecht, Namens Hainz dem Stadelmaier, an gedeihen liess, erscheint in unsern Augen wohl noch als voll­ kommen genügende Bestrafung. Derselbe hatte nämlich mit noch ein paar Gesellen nachts einem ehrbaren Bürger, Hans dem Velden, dessen Wein aus den Fässern gestohlen und dafür Wasser ein­ gefüllt. Die andern entflohen, der unglückliche Hainz aber ward über der That erwischt und wäre aufgeknüpft worden, hätte sich nicht der Herzog Stephan von Baiern für ihn ins Mittel gelegt. So begnügte man sich, ihn nackend aus der Stadt hinauszu­ peitschen und auf ewig zu verbannen (1365 Samstag nach Licht­ mess). Zuweilen geschah es wohl auch, dass man besonders nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft, die sich irgend wie ver­ gangen hatten, die gebührende Strafe schenkte; so begnadigte man am Freitag vor Pfingsten 1361 Heinrich den alten Henner — was er verbrochen, wird nicht gesagt — weil er ein rechter Arbeiter war. Und ein andermal wurde Marquart, dem Zimmer­ mann, der sich verschiedener arger Unbescheidenheiten im Trünke schuldig gemacht, alle weitere Strafe erlassen, weil man ihn als guten Werkmann kannte; nur sollte er kein Schwert und Messer tragen und ein Jahr lang keinen Wein trinken dürfen (1381 in vigil. Sylvestri). Die Hauptsache war jedoch immer einflussreiche Fürsprecher zu haben, und es ist sehr auffallend, wie selbst allem Anscheine nach gemeine Diebe es oft zu Wege brachten, dass vornehme Persönlichkeiten inner- und ausserhalb der Stadt, sogar grössere Reichsfürsten, wie die Herzoge von Teck, von Bayern, von Oesterreich, ja der Kaiser selbst sich für sie ver­ wandten. Vermuthlich spielte dabei das Geld eine nicht unbe­ deutende Rolle; Hessen sich auch die hohen Herrschaften schwer­ lich für ihre Fürsprache von einem gemeinen Verbrecher bezahlen, so gab es doch in ihrer Umgebung wohl stets Leute, die Einfluss

181 auf sie hatten und geneigt waren, diesen Einfluss vielleicht oft um ein Geringes zu verkaufen. Doch wie dem sei, es ist leicht begreiflich, dass das schwache, in der Bürgerschaft keinen festen Halt mehr besitzende Patricierregiment dergleichen Einwirkungen, ob sie nun aus den eignen Reihen oder von auswärtigen Herren kamen, nur geringen Wider­ stand entgegen zu setzen vermochte. Uebrigens haben die Ver­ suche vornehmer und mächtiger Nachbarn und Freunde, die Ge­ rechtigkeitspflege innerhalb der Stadt zu beeinflussen, nicht mit der Einführung der Zunftverfassung aufgehört. Noch Jahrhunderte später finden wir, wie derartige Einmischungen als unliebsame Möglichkeiten in den Berechnungen der städtischen Behörden eine Rolle spielten. Nur ein in dieser Hinsicht charakteristischer Vorfall soll hier kurz berührt werden.' Man hatte im Oktober des Jahres 1516, wie es alljährlich zu geschehen pflegte, eine Liste von allerlei schlechten Subjecten, grösstentheils übelbeleu­ mundeter Weiber, aufgestellt, die aus der Stadt geschafft werden sollten. Doch der Kaiser befand sich in der Stadt und man be­ fürchtete, er möchte sich des Gesindels annehmen. Daher beschloss der Rath um jeden Versuch einer Fürsprache von Seiten dessel­ ben von vornherein zu vereiteln, dass die Namen der Auszu­ treibenden diesmal nicht eher veröffentlicht werden sollten, als bis seine Kaiserliche Majestät abgereist sei.J) Dies diplomatische Verfahren scheint auch in der That den gewünschten Erfolg ge­ habt zu haben.

1) In dem Augsburger Archiv befindet sich eine grössere Anzahl Straf­ bücher verschiedener Art aus dem 16. Jahrhundert, die theilweise für die Kultur- und Sittengeschichte von hohem Interesse sind. Ich gebe als Probe und zugleich als Seitenstück zu den in Anhang No. V befindlichen Listen der St. Gallenleute von 1349 und 1379 den folgenden, zu dem obigen Texte ge­ hörigen Eintrag: Anno 1516 auf Sambstag nach Galli hat der gros rat den nachbenanten die stat verpoten, doch soll daryn still gestanden werden bis auf Kaiserl. Maj. weckziehen, damit ir M. und ein rat unangefochten beleihen der furbet halben: Eis Zirchlin, Beltzfleckerlin, stosst ein, "Walpurg Federlerin, stosst ein, Margaret Hof junckfraw, stosst ein, Ritterin,beydemKlenkendorlin,stosstein, Bognerin, stosst ein (durchstrichen), Altsarcktragerin, hilft zu der bieberey, Buscheldorffer und sein weib, stossen ein,

Jacob Sekler und sein weib, stosBen ein, Jerg Stadelmayr, stosst ein, Rasch,kurssner und sein weib, stosseneini Grissin Vischerin, stosst eiD, Barbara Eysenmannin und ir man, Eis Betzenhoferin, stosst ein, [ein. Engel Bloschin im Kantzengässlein stosst

182 Bis hierher ist vorzugsweise nur von denjenigen Vergehen und Verbrechen die Rede gewesen, in welchen das Gewaltthätige der Ausführung, das wesentlichste Moment bildete, und so wenig das Gesagte auf Vollständigkeit Anspruch machen will, so wird doch der Unterschied zwischen den Zuständen von damals und unseren modernen deutlich genug hervorgetreten sein. Vielleicht ist hier der passendste Ort noch eine andere Seite in dem Leben jener Zeit etwas näher zu beleuchten, wo der unbändige Sinn unserer Vorfahren, obwohl der Natur der Sache nach nur aus­ nahmsweise zu gewaltthätigen Handlungen hinreissend, doch kaum minder deutlich zum Vorschein tritt. Ich meine die Beziehungen der beiden Geschlechter zu einander. Sind wir auch im Einzel­ nen über diese Dinge aus leicht begreiflichen Gründen sehr viel weniger genau unterrichtet, als über die Todtschläge oder über die schweren Körperverletzungen, so giebt- es doch auch hierüber so vielerlei Anhaltspunkte nach verschiedenen Richtungen hin, dass im Grossen und Ganzen über die Umrisse des Bildes keine Zweifel bestehen können. Das Prostitutionswesen stand wie in allen deutschen Städten des Mittelalters auch in Augsburg in üppigem Flor, und war durch die öffentliche Gewalt sanctioniert. Daneben aber muss der Um­ fang der nicht concessionierten Unsittlichkeit in allen Ständen und Schichten der Gesellschaft ebenfalls sehr bedeutend gewesen sein. Namentlich scheinen die zahlreichen Badestuben den öffentlichen Häusern gefährliche Concurrenz gemacht zu haben; dass zur Be­ dienung in denselben vielfach liederliches Gesindel verwandt wurde erhellt schon aus der Thatsache, dass alle Augenblicke Bade­ knechte und -mägde mit der Rechtspflege in Collision geriethen. Doch waren auch ausserdem Kuppelei und Unzucht vielbetriebene und, wie es scheint, einträgliche Geschäfte. Wir ersehen aus den obenerwähnten, alljährlich um St. Gallentag aufgestellten Ver­ zeichnissen der schädlichen Leute, dass mitunter auf Einmal 20 und mehr Kuppler ' und Kupplerinnen und dergl. Volk aus der Stadt geschafft wurden. *) Wie viele mag es da überhaupt ge1) Ich lasse hier die Zahlen von 1349—1360 folgen, bemerke jedoch, dass dieselben wahrscheinlich, wenigstens theilweise, zu niedrig angesetzt sind; denn in den Verzeichnissen stehen eine Menge Namen ohne weiteren Zusatz, viele davon, zumal die Weiber, dürften noch in unsere Kategorie zu rechen sein: 1349 = 21. 1350 = 12. 1351 = 12. 1352 =^7. 1353 = 7. 1354 = 12. 1355 = 25.1356 = 23.1357 = 13.1358 = 18. 1359 = 25. 1360 = 15. Uebrigens darf das Wort „Kupplerin“ nicht bloss im eigentlichen Sinne aufgefasst werden. In den Strafbtichern des 16. Jahrhunderts heisst es öfters

183 geben haben? Schon der Umstand, dass man eine Menge ver­ schiedener Namen hatte, um die Personen die dergleichen Ge­ schäfte ausübten, zu bezeichnen, giebt zu denken. So sprach man von Rufflanern und Ruffianerinnen, von Pulionen und Pulionerinnen, von Bärentreibern und Bärentreiberinnen, von Purlierern und Purliererinnen, von Aufmachern und Aufmacherinnen, von Sponsierern, Aus­ schütterinnen, Einheimerinnen, Einstösserinnen, Aschenpreteln u. a. m. 0 alle mehr oder weniger dasselbe bedeutend, wie das ebenfalls oft gebrauchte Kuppler und Kupplerin. Gelegenheitsmacherinnen für verheirathete Männer und Frauen nannte man, V er werrerinnen' (V erwirrerin) oder auch Zerstörerinnen ehelichen Lebens, mitunter wohl auch Ehebrecherinnen*2).1 Häufig begegnen wir dem Worte: Yerrätherin; man verstand darunter eine Person, die Ehe-weiber und -männer und Töchter ehrbarer Eltern verkuppelte. Auf den Ausdruck „sein lediges Weib“, wofür wir etwa sagen würden „seine Maitresse“ stösst man alle Augenblicke, öfters wird auch neben jemandes ehelichem Weibe noch sein lediges Weib erwähnt. Eigentliche Bigamie dagegen kam wohl nur selten vor; in unserem Acht­ buche ist nur Ein Fall verzeichnet; der Thäter wird auf den Pranger gestellt, geblendet und auf ewig verbannt ,darumb dass er wol zwu lebender Ehweiber hätt oder mehr' (St. Mathias Abend vor Fasnacht 1367). Nothzucht scheint ebenfalls nicht so häufig gewesen zu sein, wie man bei dem wilden leidenschaftlichen Sinne jener Menschen sich vielleicht versucht fühlen könnte an­ zunehmen. Unser Achtbuch jedenfalls berichtet von 1338—1368 nur von 4—5 Fällen und es mag dahin gestellt bleiben, ob die­ ses Verbrechen in der That weniger oft begangen, oder ob es nar aus irgend einem Grunde seltener aufgeschrieben wurde. Die im Anfänge angeführte Strafe dafür, nämlich des Lebendigbegrabens, ist übrigens wohl nur ausnahmsweise in Anwendung gekom­ men, vielleicht nur dann, wenn es sich um sehr angesehene Wei-. ber handelte. Für gewöhnlich nahm man es leichter; so verbot man 1360 einem Obstler, weil er ein ,arms kleins Mädlein benotzoget‘ hatte, die Stadt 10 Jahre lang, und 1353 wurde ein Bursche, von schlechten Weihern: „stosst ein und tuts selbst“. Die beiden Geschäfte sind eben häufig von derselben Person betrieben worden und lassen sich nicht scharf auseinander halten. 1) Die Worte „Rippelreiger und Rippelreigerin,“ die eigentlich eine andere Bedeutung haben, scheinen ebenfalls mitunter in diesem Sinne gebraucht worden zu sein. 2) Das am Schlüsse der vorletzten Anmerkung gesagte gilt auch hier.

184 der seiner Mutter Magd Gewalt angethan, nur auf 2 Jahre aus­ gewiesen und diese geringe Strafe schenkte man ihm noch dazu. In Bezug auf Ehebruch und besonders Entführung von Ehewei­ bern fliesst unsere Quelle reichlicher, und in diesem Punkte ist auch ohne Zweifel sehr viel mehr gesündigt worden. Unter an­ derem wird einmal von einem frechen Kerl, namens Muckel gemeldet, dass er einfach einem ehrsamen Bürger frevent­ lich in sein Haus gieng und dort sass und mit dessen Eheweib gefährlich lebte (Hilarienabend 1378). Was die Bestrafung dieser Sorte von Uebelthätern betrifft, so war sie sehr verschieden. Es kam wohl hauptsächlich auf zwei Dinge an, wer die Personen waren um die es sich handelte, und, ob der durch den Ehebruch beschä­ digte ausserdem auch noch Verlust an Hab und Gut erlitten hatte. Der obengenannte Muckel z. B. musste nur Bürgen für künftiges besseres Verhalten stellen; dagegen ward am Donnerstag vor Agnesen 1360 einem ertappten Ehebrecher die Stadt auf 10 Jahre verboten, und dieselbe Strafe erhielt im darauffolgenden Juni (Samstag vor St. Joh. 1360) einer, der Rügern dem Schneider seine Wirthin und Ehre und Gut entführt hatte, während die entführte Frau nur zu 5 Jahren Verbannung verurtheilt und bald ganz begnadigt wurde. Im nächsten Jahre (Donnerstag vor Lae­ tare 1361) wurde Heinz der Paierlin des nämlichen Vergehens halber ebenfalls auf 10 Jahre ausgewiesen; besser ergieng es im Jahre 1362 dem Entführer eines Eheweibes, Fritz dem Schnei­ der, er kam mit 5 Jahren durch, vermuthlich weil der betrogene Ehemann nicht Bürger von Augsburg war J), Dagegen wurde 1366 einem Fleischhäckel, namens Martin, die Stadt auf ewig verboten, und auch das nur, wie ausdrücklich be­ merkt wird, als Gnade von grosser Fürbitte wegen, ,darumb, dass er Heinrichen dem Ringgen sein Ehr und Gut enpführt hat, also, dass er mit seinem Weib zu schaffen hatte unkuschiglich und ihm darzu sein Gut enpführt*. Offenbar ist es die Beschädigung des Eigenthums was in diesem letzten Falle die Verschärfung der Strafe verursachte. Was uns Moderne in den Sitten und Gewohnheiten jener alten Zeiten vielleicht am Fremdartigsten berührt, ist die eigen­ tümliche und bedeutende Stellung, welche die öffentlichen Dirnen oder, wie man sie in Augsburg gewöhnlich nannte: die schönen Frauen, Hübscherinnen, fahrende, freie oder thorende Fräulein, 1) Er war ein Meier der Ohnsorgen, „einer von Pergenu.

185 gemeine Töchter und dergl. — auch hässlichere Namen kommen vor — im Lehen der Stadt einnahmen. Sie betheiligten sich an öffentlichen Aufzügen und Festivitäten, an Gastmälern und Tän­ zen, und oft fiel ihnen dabei eine hervorragende Rolle zu. Lust­ barkeiten, bei denen sie fehlten, fehlte ein wesentlicher Reiz. Auch bedingte die Gegenwart ehrbarer Frauen keineswegs den Ausschluss der leichtfertigen Schwestern. Aus unserem Acht­ buche, das nur über Verbotenes berichtet, kommt uns natürlich über diese Dinge nur kärgliche Kunde, die mehr nur eine Ahnung von der Wirklichkeit gibt als ein Bild. Folgender Vorfall mag, als ein Licht auf die einschlägigen Sittenzustände jener Zeit wer­ fend, hier eine Stelle finden. Ein übermüthiger Bursche — bei­ läufig bemerkt ein Ulmer — gieng einmal in einem Anfalle von toller Laune in den Frauenhäusern herum, holte frechentlich die ,schönen Frauen* heraus und führte mit ihnen auf dem Perlach einen öffentlichen Tanz auf. Solches Benehmen durfte nicht ungerügt bleiben, doch fühlte man sich nicht veranlasst Strenge walten zu lassen; dem Anstifter des Streichs wurde die Stadt bis auf Widerruf, d. h. für ein paar Tage, höchstens Wochen untersagt, die schönen Tänzerinnen dagegen scheinen ungestraft davonge­ kommen zu sein (1385). Ihre Wohnung hatten die öffentlichen Dirnen beim Henker, der auch eine gewisse Disciplinarjurisdiction über sie ausübte, oder in besondern Häusern unter einem sogenannten Frauenwirthe oder einer Frauenwirthin, gelegentlich wohl auch bei einem Freunde; so logierte gegen Ende 1339 oder Anfang 1340 ein fah­ rendes Fräulein bei dem Bürgermeister Herren Peter dem Minner und wurde unter seinem Obdache verwundet (Donnerstag vor StPauls Bekehrung 1340). Des Henkers Haus und wahrscheinlich sämmtliche concessionnierten Frauenhäuser waren Eigenthum der Stadt; jedenfalls zeigen die ßaumeisterrechnungen, dass in den­ selben öfters bauliche Reparaturen verschiedener Art und sonstige Einrichtungen auf öffentliche Kosten hergestellt wurden1). 1) Ygl. z. B. Baumeisterb. 1369. Salus populi. VIII ß. d. umb venster und ram zu machen in der schonen frawen huser. 1370 Sal, pop. XXXVIII. d. von ofen zu machen in der schonen frawen huser. Si iniquit. XXXIII. ß d. dem Fryesen ze decken uf dem rathus und uf der schonen frawen husem etc. etc. Auch deuten die hohen Abgaben, welche die Inhaber oder eigentlich In­ haberinnen (denn es waren wohl gewöhnlich Weiber) dieser Häuser zu entrich­ ten hatten, darauf hin, dass wir es hier weniger mit einer Besteuerung des Ge­ schäftes als mit einem Zins vom Haus zu thun haben. So zahlte z. B. im Jahre

186 Ueberhaupt ist nicht zu verkennen, dass die ,schönen Frauen* sich von Seiten der Allgemeinheit und deren Stellvertreter einer besonderen Pflege, um nicht zu sagen schonenden Rücksichtsnahme erfreuten. Wurde eine ,schöne Frau* verwundet oder getödtet, was keineswegs zu den Seltenheiten gehörte, so traten gemeinig­ lich die Bürgermeister und Rathgeben als Kläger auf. Nur muss man sich die Sache nicht so vorstellen, als ob dem ein humaner Gedanke zu Grunde gelegen, als ob man sich etwa gedacht hätte: die armen Dinger haben keinen natürlichen Freund, der sich ihrer annehmen könnte, daher muss die Stadt für sie einstehen. Der­ artige Anschauungen lagen jener harten egoistischen Zeit gänz­ lich ferne. Hatte Jemand keinen Freund, so war das sein Scha­ den, Fernerstehende kümmerten sich nicht darum. Wenn z. B. eine unverheirathete Mutter ihr neugeborenes Kind umbrachte, so ward schwerlich viel Aufhebens davon gemacht. Nicht als ob eine solche That nicht als etwas schlechtes gegolten hätte J), aber kein Ueberlebender war in seinen Rechten gekränkt und somit lag keine Veranlassung vor einzuschreiten. Es ist recht bezeich­ nend, dass unter den 3000 Uebelthätern, die in unserem Acht­ buche von 1338—1400 genannt sind — denn soviele mögen es 1389 die Plaw Eis von Regenspurg 5 ß. die Woche, Eis von Landsberg eben­ falls 5 ß., die Rtidgerin ebensoviel, die Plettersetzerin 4 /?., Katharina de Lands­ berg wieder 5 ß.y und endlich die Pflantzenmennin 4 ß., vgl. Bmstrb. 1389. Chr. Meyer, Stadtbuch p. 71 Anmerk. 2, hält die hier aufgezählten Frauenzimmer irrtümlicher Weise für öffentliche Dirnen; es ist kein Zweifel, dass die Wirthinnen gemeint sind. Die Frauenwirthe wurden gewissermassen als öffentliche Diener angesehen, im nächsten Jahrhundert, vielleicht schon damals, mussten sie wie andere Beamte einen Eid ablegen. 1) Mehrere Male wird es in unserem Achtbuche tadelnd hervorgehoben, dass eine Mutter ihr Kind im Stiche gelassen, oder nicht gehörig Sorge für das­ selbe getragen habe, vgl. z. B. Verzeichn, der St. Gallenleute von 1375: Item Kugel, Utzen ledigs weip, ein boziu wichtin und die ir aygen kint hat von ir gelegt. Im folgenden Jahrhundert wurde das Aussetzen eines Kindes mit harten Strafen belegt, vgl. Rathsdekret von 1434: Item, an mitwochen nach sant Bartholomeotag haut clainer und alter rate erkennet, wer nun füro von frowen oder mannen seine kind von im setzet heimlichen und davon gaut, das man dieselben allwegen in den branger stellen und usser der statt mit rutten schlahen wil, oder sunst hertticlich darumb straffen, nach gestalt der sach. Und wer sölich leut also fürbringet, der yeglichen wil man allwegen geben ainen guldin, als offt ains fürgebracht wirt. (Rathsdekret im städt. Archiv vol. I. pag. 392.) Freilich erwuchs auch dem Gemeinwesen durch das Aussetzen eines Kindes eine Last, daher vielleicht die Erkenntniss. Dass die Tödtung eines neugeborenen, unehe­ lichen Kindes unter die Verbrechen gerechnet wurde, verdanken wir wohl ledig­ lich dem Einflüsse der Kirche.

187 etwa sein, vielleicht ein paar Hundert mehr oder weniger — nur Eine Kindestödterin vorkommt (sie heisst Gret von Freysingen, vgl. Verzeichn, d. St. Gallenleute von 1366 und 1367); und diese Eine erhält nicht speciell wegen dieses Verbrechens eine Strafe, sondern sie wird bei dem alljährlichen Austrieb mit einem Haufen anderen Gesindels hinausgeschafft, als eine im Allgemeinen schlechte Person '). Wenn also bei Verwundungen und Tödtungen fahrender Frauen gewissermassen die Stadt selbst als Klägerin auftrat, so ist die Ursache lediglich darin zu suchen, dass dieselben als werthvoller Besitz angesehen wurden, um dessen Sicherung und Erhaltung es sich schon der Mühe lohnte einige Anstrengungen zu machen. Eine ehrbare Bürgerin stand ohne Zweifel unendlich höher in der öffentlichen Achtung; dessen ungeachtet war das Interesse der Allgemeinheit an dem Wohl und Wehe einer concessionnierten Dirne ein sehr viel lebhafteres. Und es ist erst etwa gegen die Zeit der Reformation hin, dass allmählich in diesem Punkte eine Aenderung der Anschauungen eintrat. Als weitere Illustration für die theilnehmende Sorge, welche die Behörden den öffentlichen Dirnen widmeten, mögen ein paar Rathsdekrete aus dem 15. Jahrhundert dienen. Das erste datiert vom 1. Febr. 1438 und ist bestimmt den offenbaren Frauen und Töchtern gegen die gefährliche Concurrenz der sogenannten heim­ lichen, d. h. den concessionnierten gegen die nicht-concessionnierten Dirnen, einen gewissen Schutz zu verleihen. Zu diesem Zwecke wird verfügt, dass die letzteren hinfüro weder seidne Stürze noch Pater Noster von Corallen tragen dürften, stets ohne Magd aus­ gehen und ausserdem zur Unterscheidung von ehrbaren Weibern einen Schleier mit einem zweifingerbreiten grünen Strich tragen sollten. Der Vogt und die sogenannten vier Knechte werden an­ gewiesen, jeder, die gegen dieses Gebot verstossen werde, die verbotenen Gegenstände oder ihren Mantel abzunehmen 12). Ein andermal wird den „freien Frälchen“ sogar gestattet ihre heim­ lichen Concurrentinnen, die sie ,zur Winterszeit nach dem andern Rathsläuten (d. i. 7 Uhr) und zur Summerszeit nach 9 Horen uf

1) Nach Kriegk „deutsches Blirgeith. im Mittelalter“ 1868 p. 203 wäre der erste Fall von Kindsmord, dessen in Frankfurt gedacht wurde, im Jahre 1444 vorgekommen Die Mörderin wurde zum Ertränken verurtheilt, jedoch auf Für­ bitte der Frauen begnadigt. 2) Montag nach Exaudi 1481. Rathsdekr. im städt. Archiv.

188 der Gassen betreten ohne Licht und gefährlich* in das offne Haus zu führen und zu pfänden T). Wieder eine andere Verord­ nung gebietet, um dem nächtlichen Unfug und Geschrei der freien Töchter auf der Strasse zu steuern, dass dieselben in Zukunft von Georgi bis Michaeli um 9, und von Michaeli bis Georgi um 7 Uhr zu Hause sein sollten. Dabei steht aber noch der charak­ teristische Zusatz: „usgenommen so herrschaft hie ist, oder so eine einem zu hus gan wollt, das mögen sie wol thun“ 12). Es ist nicht unschwer zu erkennen, weshalb auf dieses In­ stitut der schönen Frauen ein so grosses Gewicht gelegt wurde. Es war nicht Freude am Laster, sondern das instinktive Gefühl des Unvermögens, gegenüber der übermächtigen Sinnlichkeit und dem unbändigen Wesen der Massen, ohne einen solchen Ableitungs­ kanal die bestehenden gesellschaftlichen Ordnungen in Bezug auf Ehe und Familie aufrecht zu erhalten. So wie eine Dirne ihre Stellung, den Grund weshalb sie geduldet* und geschützt ward, vergass, da war es mit der schonenden Behandlung gleich zu Ende. So wurde 1344 am Tage nach St. Mauricien ein gemeines Fräulein ,ist geheissen das Kottig Metzlin* auf 3 Jahre verbannt, ,weil Berchtold der jung Halpherr mit ihr zu thun hatte*, und gleich der nächste Eintrag berichtet über ein ähnliches Vorkommniss. . Gret die Schusterin nämlich wird darin auf 10 ganze Jahre verbannt, ,ohne Gnad, und soll auch dieser Stadt nicht näher kom­ men dann bei 5 Meilen, und wenn sie das bricht, so soft man ihr die Augen ausstechen ohne Urtheil, und ist darumb beschehen, dass sie mit Bartholomeen dem jungen Volkwin zu schaffen hatt wider aller seiner Freunde Willen und dass sie mit ihm von der Stadt gefahren ist und 100 & Haller mit einander hingeführt 1) Ostermontag nach weissen Sonntag. Rathsdekr. um die Mitte des 15. Jahrh. im städt. Archiv. Ob man zu Augsburg diese sogenannten heimlichen Töchter schon im 14. Jahrh. zwang sich ebenso wie die öffentlichen Dirnen durch ihre Tracht kenntlich zu machen, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls schritt man gelegentlich gegen sie ein, vgl. Achtb 1381. Mittwoch vorSt. Mangen hat der rat der von Buch und irer tochter, die bei dem Rad uf dem Berg sazzen? die stat ewigclich verboten, dor umb daz sie sich unerlich hilte und man zu ir gieng az in ein burdell — —. 2) Dass es übrigens mit diesen Stunden nicht allzu genau genommen wurde, kann man aus einem Erlasse vom 3. Sept. 1459 sehen, (vgl. Rathsdekr. vol. Y. p. 112 b.) darnach soll man mit den Frauenwirthen und ihren Töchtern reden, dass die letztem in Zukunft zwischen 9 und 10 Uhr nachts ab der Gassen heim gehen, und nicht mehr ihre Büberei und Geschrei uf dem Berlach umb das Rathaus treiben, sondern sich stilliglich verhalten sollen u. s. w.

189 han, die ihm sein Mutter, Frau Salme, die Volkwinin gegeben hat, dass er damit sollt gearbeitet haben14. * * Wenn fahrende Fräulein sich bessern, ihr sündhaftes Leben aufgeben wollten, so legte man ihnen nichts in den Weg; im Gegentheil, sie konnten bis zu einem gewissen Grade sogar auf den Schutz des Gesetzes rechnen. Im Uebrigen aber sollten sie bei ihrem Geschäfte bleiben und vor allem sich nicht beikommen lassen Söhne guter Häuser und vielleicht gar noch obendrein deren Vermögen gegen den Willen von Freunden und Verwandten für sich in Beschlag nehmen zu wollen, oder in anderer Weise durch ihre Aufführung Verwirrung und Zerwürfnisse in anständige Fa­ milien zu tragen. Und nicht zum wenigsten deshalb, weil man im ganzen nicht so leicht zu befürchten brauchte, dass der Um­ gang mit öffentlichen Dirnen von dergleichen ernsteren Folgen begleitet sein würde, schützte und begünstigte man dieselben, suchte man andererseits die heimlichen und verschämten auf die­ selbe Stufe hinab zu drücken. Es ist schon erwähnt worden, dass sich unter den Haufen Gesindels die jedes Jahr im Spätherbst hinaus getrieben wurden, öfters grössere Mengen von Kupplern und Kupplerinnen (das Wort im dem genannten weiteren Sinne aufgefasst) befanden. In den früheren Verzeichnissen steht in der Regel hinter dem Namen der Person einfach die Angabe: „Ruffianer“, „Ruffianerin“, „Aufmachk’in“ oder ein ähnliches Wort von mehr allgemeiner Bedeu­ tung; so dass man sich fast versucht fühlen könnte anzunehmen, es sei die blosse Thatsache, dass jemand ohne dazu concessionniert zu sein, sich mit Kuppelei befasst oder eigene Unzucht betrieben, die Ursache der Strafe. Doch scheint dies nicht recht wahrscheinlich. Ich glaube vielmehr, dass Kuppeln und Unzucht, ob conces­ sionniert oder nicht concessionniert, für sich allein, wenn nicht noch ein anderes erschwerendes Moment hinzutrat, nur ausnahmsweise und in besonders eclatanten Fällen das Verbot der Stadt nach sich zog. Aus den spätem Verzeichnissen erkennen wir was dieses erschwerende Moment war. Während früher gewöhnlich nur einfach vermerkt ist, ») dass die betreffenden Personen gekup1) Doch finden sich auch hier gelegentlich etwas spezialisirtere An­ gaben wie: 1351 Ela Rötin diu Minz ain eebrecherin. 1365 Popp Ullin ain ruffianer und sin weip Sophya ain Verräterin.

190 pelt oder Unzucht getrieben, findet sich in den späteren häufig auch angegeben, für wen und mit wem sie das Geschäft ausgeübt haben. Einige Beispiele mögen das Gesagte erläutern und zwar zu­ erst aus dem Jahre 1359: „It. Sophya die jüdin ain diepin, ebrecherin undain posiu haut“. „It. Ellin Schapelerin, hat mit dez Pachers sun zu schaf­ fen, ist ain kintverderberin, mortmacherin.“ 1362: „It. Trafell, ain ruffianerin und verreterin erberr lut kind, wib und man.“ „It. Eis Köchin, widergötin, ruffianerin und ain Ver­ räterin erberr lüt.“

1371: „It. Gret dezVerbers ledigs weip, ruffianerin, ain ver­ reterin.“ „It. Kathrin Schölcherin, ain Verräterin.“ 1372: „It. Eil die Hebrin, ain Verräterin.“ „It. Ges von Nürnberg, meister Johansen des Ridrers kelnerin, ain Verräterin und ain ruffianerin.“ „It. Haimin, dez von Haholsingen kelnerin, ein diepin und verrufft den pfaffen jung tochter.“ 1374: „It. Liugg die Ausspurgerin verruffet eman und ewip.“ „It. Eli von Menchingen, hinder dem beckenbad ain rechtiu diepin, ain rechtiu hingeberin erbern frawen.“ „It. Walthers dez Pfaffenschniders wip ain arsverkaufferin, verufft erbern luten iriu kint.“ „It. Anna v. Sultzdorf, des Zallingers ledigs wip, ain boziu schand und ain verwerrerin elicher leut.“ „It. Kathrin, Haintzen des Tumprobsts wip, ain ruf­ fianerin und tut erbern leuten iriu ewip yn.“ 1374: „It. Gut die Schreiberin diu Weberin, die in dez Bairschusters hus an dem Huntgraben (Hunoldsgraben) inne ist, ein rechtiu ebrecherin und fridzerstererin zwischen erbern leuten.*1)“ 1348 die Volknerin ain ruffianerin und ain seckelsniderin und die erbern luten ir tochter verfürt und verwiset. 1) Dieselbe Gut erscheint in dem Verzeichniss von 1378 wieder in dersel­ ben Eigenschaft, doch ist ihr Name ausgestrichen und dazu geschrieben fideiussores Swigger sutor, 2 maler am Zitzenberg pro V Pfd.

191 1378: „It. Anna dez schniders tochter bei dem Rucheibrunnen, ein kindverderberin und verwerrerin, ein diepin, ein zawprerin.“ „It. Die Glauhornerin, hinder sant Margareten, ein ruffianerin und haimot weip zuir, mit den pfaffen und layen ir hurheit tribent in irem hus.“ „It. Katrin Stegerin, ein mortmacherin, ein pfaffen hur, ein diepin, ein durchvarens bozz weip.“ „It. Die Totenriederin, ein bozziu ruffianerin, diehuset pfaffen und jung1) juden und bozziu weip und lat die bozzheit triben in irem hus, und ein rechtiu mortmacherin.“ 1379: „It. Die Wickmenin am Huntgraben (Hunoldsgraben), verrufft und haimot in ir hus eweip und jung tochter erber leut kind und laut munch und pfaffen zu den in ir hus.“ „It. Eis Hollin, etwenn ein Cramerin, haimot zu ir jung juden gevärlich, boz weip und poser dann bos.“ „It. Die von Botzen, ein luplerin, ein boziu wichtin, einiu die die juden minnen lat um geld.“ 1385: „It. Dez Frölichs dez sacktregers ledigs weip, ein abrisserinund nimpt frumen frawen ir eman.“ „It. Pridenscbencklin dez Motzenhovers, dez satlers magt waz, ein rechtiu bozwichtin und nimpt einer erbern frawen iren eman und spricht, sie welle den han und well in zu einem armen man machen; und dennoch muzz er si han und das eweip lazzen; und ist ein efferin und ein Zaubrerin.“ 1389: „It. Gret Schererin dez Scherers dez kürsners wib ain böswichtin und ain zerstörerin elicher lüte und die einer erbern frauwen iren wirt von hinnan gefürt hat, dez si und iriu kint verdorben sint.“ 1390: „It. Dez Hochslitz kelnerin, ain rechtiu ruffianerin, ain boswichtin, die erbern luten iriu wibe verruft.“ „It. Plahenpeckin ain grünt bös wip und haimot pfaffen und layen, und fürchtend die nachgeburen si werds verprennen.“ 1) Das Wort Jung“ ist nachträglich eingeschrieben.

192 1390: „It. Katharina, dez Prendlins, dez schniders tochter, die haut einem erbern manne sein tochter verruft und verfürt und die verkauft in rechter posheit.“ 1391: „It. Slickenpfllin ain rechtiu bosiu hut und ain rechtiu rufflanerin, die juden und Christen ruft.“Bei allen diesen Personen lag offenbar das Strafwürdige nicht einfach in der Kuppelei oder Unzucht die sie trieben, sondern viel­ mehr darin, dass sie bei der Ausübung dieser sauberen Geschäfte störend in die gesellchaftlichen Ordnungen eingriflfen. Die einen — und das waren wohl die meisten — indem sie verheiratheten Männern und Frauen Gelegenheit zu unsittlichen Handlungen gaben, oder, was vielleicht noch als schlimmer galt, Töchter ehr­ barer Eltern verführten, die anderen, indem sie Klerikern und Juden zur Befriedigung ihrer unmoralischen Gelüste verhalten. Wahrscheinlich werden die meisten Kuppler und Kupplerinnen und übelbeleumundeten Frauenzimmer, denen wir in jenen Verzeich­ nissen begegnen, sich in ähnlicher Weise Vergangen haben, inso­ weit sie nicht überhaupt wegen anderer Schlechtigkeiten, wie Diebstahl, Hehlerei u. s. w. unter diese sogenannten schädlichen Leute gerechnet wurden. Die besondere Aufmerksamkeit die man den Gelegenheits­ macherinnen und Dirnen, die sich mit Klerikern und Juden abgaben, zu Theil werden liess, hat nach unseren Begriffen etwas Seltsames; allein sie lag durchaus im Geiste jener Zeit. Nament­ lich war nach den Anschauungen des Mittelalters die Vermischung von Juden und Christinnen etwas höchst Unreines und Abscheu­ liches, und es standen schwere Strafen darauf. Nach dem Augs­ burger Stadtrechte sollte ein Jude und eine Christin die zusam­ men ertappt wurden, verbrannt werden. Wenn die Christin eine öffentliche Dirne war, so gab dies freilich einen Grund zur Mil­ derung ab. So wurde einmal ein Jude — heisst Jecki derSchalantjud — durch die Zähne gebrannt und auf ewige Zeit aus­ gewiesen ,und hat auch einen jüdischen Eid gesworen deshalb niemanden Feindschaft zu tragen, und ist darumb beschehen, dass er in des Nachrichters Haus bei einer gemeinen Frauen lag — hiess Kathrin die Nunn —; und wo man ihn fürbass in dieser Stadt ergriffe, so soll man über ihn richten und ihn verbrennen.4 Das Fräulein Kathrin die Nunn, und ein Obstlerknecht, der auch mit in die Geschichte verwickelt- war, wurden nur auf 3 Jahre fortge­ schickt. Jedenfalls aber hatte jenes Gesetz Bestand und| Gültigkeit, und mag wohl auch vorkommenden Falls mitunter zur Ausführung ge-

193 kommen sein, und was die Hauptsache ist, das Bewusstsein des Volkes rechnete damit. Ich will hier einen dahin bezüglichen Vorfall mittheilen, der seiner Zeit ein grosses, und ohne Zweifel berechtigtes Aufsehen erregt haben muss, und für die Sittenzu­ stände und Denkart jener Zeit höchst charakteristisch ist. Die alten Geschlechternamen der Stolzhirsche, Hurnusse und Mühl­ eisen spielen darin eine keineswegs beneidenswerthe Rolle. Die Geschichte wird in dem bei weitem längsten Einträge unseres Achtbuchs ausführlich beschrieben, und ich gebe denselben in seiner vollen Ausdehnung. Nur ist die Orthographie und hie und da ein altes, nicht mehr allgemein verständliches Wort modernisiert; den Satzbau habe ich unverändert gelassen. Der damalige Stadt­ schreiber Nikolaus Hagen hat offenbar ganz besonders Sorgfalt auf diesen Bericht verwandt; er mag daher zugleich als Probe seines Erzählertalents dienen: ,Man soll wissen, dass nach Christi Geburt im dreizehnhundert und fünfundfttnfzigsten Jahr vor der Fasnacht eine grosse Missethat und eine übele Sach geschah in dieser Stadt. Es war ein Jude — hiess Lemmlin — der hatte eine Feindschaft gegen einen andern Juden — hiess Jöhlin —; und gedacht Lemmlin hinterlistig (unkusticlichen), wie er Jöhlin verrathen und dran­ geben möcht. Und gieng Lemmlin in rechter Untreu zu Jöhlin und sprach: „Es sind erbare Leute bei mir gewesen, die bedörften einiges (ettwie vil) Geld, und wollten dir darumb gute Pfand einsetzen, da (wan) ich selbst zu dieser Zeit nicht Geldes habe. Und wenn sie dir entbieten — dass du dann zu ihnen kommest, allein, und die Pfand sähest, da sie sich schämten, ob es jemand wüsste.“ Da sprach Jöhlin: „Nu han ich jetzo nicht Geldes, aber ich gewinn (d. h. bringe es zusammen) es wohl; wie viel müssen sie haben?“ Lemmlin sprach: „Siebenzig Pfund Haller.“ — Kürzlich Jöhlin gewann die Haller und sagte das Lemmlin. Do gieng Lemmlin in rechter Verrathnüsse in des Langen Haus hinter St. Moriz — da war dasmals inne Heinrich der jüngere Hurnus1) — und das war an dem Sunntag vor Fasnacht — zu dem erstgenannten Heinrichen dem Hurnus, zu Hansen dem Hurnus, seinem Bruder, zu Hansen dem Stolzhirsch1) und zu Frauen Kathrinen der Mühleisin, Mangolds des Mühleisen’s Wirthin, und legten da mit einander an und kamen überein, wie sie Jöhlin den Juden beschatzen 1) Die gesperrt gedruckten Worte sind im Originale ausgestrichen.

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194 wollten, als hernach geschrieben steht. — Do sandt ... die Mühleisin Adelheiden, ihre Magd nach Jöhlin, als Lemmlin vor mit ihr verabredet (gerett) hatt. — Do gieng die Magd vor und Jöhlin nach, allein, in das vorgenannte Haus. Er gieng über den Hof, er sah niemand; er gieng die Stieg hinauf, er sah aber niemand; er trat hinein, da stund eine Kammer und war offen. So geht die . . . Mühleisin her und empfieng ihn schön, und hiess ihn Gottwillkommen sein, und bot ihm die Hand und sprach: „Wohl ein, Herr, so will ich für euch nach Meth senden.“ Jöhlin sprach: „Liebe Frau, es gehört uns nicht an, und ist auch unser Recht nicht, dass wir allein bei Christenfrauen seien.“ In der Weil hatte sie ihn hinein bracht über das Drischaufel. Da schlug die Magd die Kammer zu. Zur Hand liefen die vorgenannten Hein­ rich und Hans die Hurnusse und Hans der Stolzhirsch und ihreKnechte1) für die Kammer und stiessen sie auf — und hin über den Juden und schlugen und stiessen ihn und schalten ihn fest und sprachen: „Ihr böser Jud, sullt ihr uns unsre Muhme also schänden! ihr müsset in das Eisen, und wollen euch ver­ brennen“, und handelten den Juden als übel, und bunden ihn, dass er sich des Lebens nahe verwegen hätte. Do sprach einer unter ihnen: „Magst du jemand haben, der sich unib dich an­ nähme und dich uns tädingete“ (d. h. wegen deiner mit uns unterhandelte). Jöhlin sprach: „Hätt ich Hansen den Rappot, dem getraute ich, er hülfe mir, dass ich ledig würde.“ Sie sprachen: „Du magst ihn nit haben, er ist in Wörth bei seinem Schwäher; weisst du jemand anders?“ Er sprach: Hätt ich dann Schmulen, den Juden, dem getraute ich auch, er nähme sich umb mich an als er best möcht.“ Sie sprachen: „Den magst du auch nicht haben, wann er ist nicht daheim (in haim); lug, wen du anders haben mögest.“ Do sprach aber einer unter ihnen: „Wie gefiel dir Lemmlin?“ „Ja“, sprach Jöhlin, „hätt ich Lemmlin, dem getraute ich auch, er thäte durch meinen Willen (d. i. um meinet willen), was mir lieb wäre.“ Zur Hand schickten sie nach Lemmlin. Der Bot lief seine Strasse, als ob er ihn bringen wollte. Man versah sich aber, er war auch in dem Haus (d. hman hatte schon im Voraus arrangiert, dass er auch in dem Haus war). Lemmlin kam und sah Jöhlin dort gebunden liegen und sprach: „0 weh! Du böser Jud! wie schändest du die Jüdischlieit und uns allesambt.“ Jöhlin sprach: „0 weh, lieber Lemmlin, das 1) Die gesperrt gedruckten Worte sind im Originale ausgestrichen.

195 weiss Gott, dass ich unschuldig darzu kommen bin, und getraue dir wohl, du nähmest dich umb mich an und sprächest für mich, dass ich ledig werde.“ Lemmlin sprach: „Das will ich gern thun“, und gieng in rechter Untreu zu den vorgenannten und tädingete mit ihnen. Do forderten sie vierhundert Pfund Haller. Er tädingete fest und lang. — Kürzlich, sie wollten nicht minder nehmen denn anderthalbhundert Pfund Haller. Lemmlin gieng zu Jöhlin und sagte ihm’s. Er sprach: „Lieber Lemmlin, so sprich du für.“ Lemmlin sprach: „Das will ich gern thun, gib mir die Schlüssel über dein Gut, und heiss deinen Sohn Siisskind auch dafür sprechen.“ Jöhlin sprach: „Wär mein Sohn hier, er thät wohl was ich ihn Messe.“ — Lemmlin nahm die Schlüssel, und gieng nach Jöhlin’s Sohn Süsskind und brachte ihn und die fünf Bücher Mose mit ihm in das vorgenannte Haus. Und sprach Jöhlin’s Sohn auch für das Geld; und mussten die d*ei Juden uf den zehen Geboten schwören nach ihrem Rechte, dass sie diese Sach fürbass nimmermehr sagten noch bekannt machten (öffneten) an keiner Statt. Da schwuren die Christen, Mägde und Knechte und alle, die dabei waren, nach unserem Rechte, dass sie es auch für­ bass nimmermehr sagten noch bekannt machten an keiner Statt. Do gefiel das Geld (d. h. fiel zu, wurde bezahlt), und ward Lemm­ lin des ersten fünfzig Pfund Haller und dem obgenannten Hein­ richen demHurnus wurden zehnPfundHaller, Hansen demHurnus zehn Pfund Haller und Hansen dem Stolz­ hirsch auch zehn Pfund Haller1) und Adelhen(vorher und nachher heisst sie Adelheit) der Mühleisin Magd 4 Pfund Haller und . . . den Knechten 2 Pfund Haller.1) Do hatte die Mühleisin ihr Gewand stehen bei (datz) dem Jöhlin umb siebenzig Pfund Haller, die fahren ab.2) — Das ward also verschwiegen von dem vorgenannten Sunntag bis hin -umb vor St. Martinstag; do ward es einigen (sumlichen) Rathgeben gesagt, und bracht es je einer an den andern, bis dass man der Wahrheit an ein Ende kam. Und am St. Martinsabend da fieng man den vor­ genannten Lemmlin, den Juden und Adelheiten, der Mühleisin Magd; da fieng man ... die Mühleisin des Morgens an St. Mar­ tinstag. Und schickten ... die Rathgeben die zvveen Bürger­ meister und einige andere Rathgeben (andere ratgeben ettwie viel) 1) Die gesperrt gedruckten Worte sind im Originale ausgestrichen. 2) Die Rechnung stimmt nicht. Doch kann man dies von Rechnungen aus jener Zeit, "wenn sie über zehn gehen, auch gar nicht erwarten.

13*

196 des ersten zu . . . der Magd, dass sie die Wahrheit erführen und gehiessen . . . der Magd, sie wollten ihr gut sein, dass ihr an dem Leben nichts geschähe (iht würde), dass sie die Wahrheit sagte. Do sprach die Magd, es wär von Wort zu Wort also ge­ gangen als da vorgeschrieben steht. Darnach giengen sie zu dem Lemmlin; der sagte ihnen dieselbe Rede, auch von Wort zu Wort als die Magd. Do giengen sie zu der Mühleisin; die sagte ihnen auch also von Wort zu Wort als die zwei. Darnach über zween Tagen führte man den Lemmlin vor Gericht, und ward darumb mit dem Rechten erhängen; do ertheilt der kleine und der grosse Rath, dass man die Mühleisin vermauern sollte; do ward . . . der Magd diese Stadt ewiglich verboten und die Zunge ausgeschnitten. Und den Weilen1) waren die vorgenannten Heinrich und Hans die Hurnusse und Hans der Stolzhirsch von der Stadt entwichen. Denselben allen dreien haben die Rathgeben des kleinen und des grossen feathes diese Stadt ver­ boten jetzo von St. Martinstag, ihrer jeglichem, über zehn ganze Jahr und drei Meilen allumbundumb vor der Stadt hin dann, ohne alle Gnade, umb die vorgenannte Gethat. Und wenn (wa) man sie in der Frist in dieser Stadt oder bei drei Meilen ergriffe, so soll man über sie (hintz in) richten als über (hintz) schädliche Leute. Und wer der wäre, des wir gewaltig seien, der in den zehn Jahren umb sie bäte, oder der von Fürbitte wegen gewährte (d. h. der sie begnadigte), der soll einen Ofen Ziegel geben an die Stadt ohne alle Gnade. Und wenn die zehn Jahre us kommen, so soll es dannoch stan an dem Rath, ob man sie wieder herein lassen solle oder nicht. Also hat man diese Sache in das Buch heissen schreiben, dass sie nicht vergessen werde.*2) Nicht am wenigsten charakteristisch ist bei dieser Geschichte die Art wie die verschiedenen Schuldigen bestraft wurden. Der Jude wird sofort aufgeknüpft, der Magd wird die Zunge ausge­ schnitten und die Stadt verboten; die vornehme Geschlechterin dagegen, obwohl verurtheilt eingemauert zu werden, wird auf dringendes Verwenden des Markgrafen Ludwig von Brandenburg, Herzogs von Baiern, (Kaiser Ludwigs Sohn) begnadigt und nur 1) Soviel wie „Mittlerweile“. Von hier an bis zum Schlüsse des Absatzes ist im Originale alles ausgestrichen. Die gesperrt gedruckten Worte sind noch besonders durchstrichen. 2) Eine ähnliche Geschichte ereignete sich im Jahre 1372 feria quinta post Galli.

197 aus der Stadt gewiesen. *) Den drei Patriciern aber lässt man Zeit zu entweichen. Zwar wurde ihnen noch nachträglich die Stadt verboten, doch trat dafür bald Begnadigung ein.12) Uebrigens scheinen die beiden Hurnusse in den nächsten Jahren wieder etwas Uebles verübt zu haben. Denn schon im Jahre 1358 finden wir, dass ihnen die Stadt zum zweiten Male, auf ewig verboten wird, und zwar dies mal mit Weibern und Kindern.3) — Von den Vergehen und Verbrechen gegen das Eigenthum, insofern nicht Gewalttätigkeit dabei im Spiele war, ist bis jetzt nur beiläufig die Rede gewesen. Selbstverständlich hat es auch an dergleichen nicht gefehlt, nur fliesst unsre Quelle allerdings im Ganzen sehr viel spärlicher darüber. Auf der einen Seite fehlt uns nähere Kunde hinsicht­ lich der kleineren Unredlichkeiten und Uebervortheilungen im täglichen Handel und Wandel. Wozu auch hätte man all­ tägliche Vorkommnisse aufzeichnen sollen? Gelegentlich wird wohl einmal einer erwähnt, der fälschlich Blutwurst für Leber­ wurst, (1343) oder ein anderer, der eine heimische Sau für Wildpret verkauft4) und manches ähnliche; im ganzen wissen wir jedoch in Bezug auf diese Dinge kaum viel mehr als 1) Auf einem an die Stelle, wo von der Strafe der Mtihleisin die Rede ist, angehefteten Pergamentstreif wird dies des näheren auseinandergesetzt: Darnach kurtzlich hat für si Marggraf Ludwig von Brandenburg, Hertzog ze Baiern, und sant uns darumb sin ernstlich briefe, und auch sin botschaft an uns, alz offt und alz dicke, daz wir in mit clainem und mit grozzem rat erhörten, und ims ergaben und ledig liezzen, mit der beschaidenhait, daz si vor uns zen hailigen gesworn haut ewiclich in dis stat nimmer mer ze körnen, und sechs myl allumbundumb von der stat hin dan. Und habent auch mit ir vor uns gesworn Mangelt Müleisen, ir wirt, und ir friunt Ulrich der Grozz kürsner und Hainrich der Kayser etc. etc. Würde sie in der Stadt wieder ergriffen, so sollte sie ein­ gemauert werden. 2) Es geht dies daraus hervor, dass der Theil des Eintrags, welcher sicji auf ihre Bestrafung bezieht, ausgestrichen ist. Ausserdem sind die drei betreifen­ den Namen überall wo sie Vorkommen noch besonders durch strichen. 3) Achtb. 1358. Darnach am Donrstag vor Symonis et Jude habent die ratgeben des clain . . . des alten und des grozzen rates der stat ze Auspurg Hainrichen und Hansen den Hurniizzen, gebrüdern, und ir baider wirttin und allen iren kinden aun der . . . Gollnhover enicklin disiu stat ewiclich verboten und vier myl allumbundumb von der stat hin dan, umb die grozzen poshait und ungeratenbait und gar unbillich swerlich Sache, die die selben Hurndzz vormals und auch jetzo in unsrer stat getan und vollbraht haben; und wa man sie für­ bas in unsrer stat oder inner vier myln ergriffe, wer daz tete, so sol man hintz in rihten alz hintz rehten aehtern. 4) 1353, Dem ersten wird die Stadt auf 2, dem andern auf 1 Jahr verboten.

198

was sich aus den mancherlei Verordnungen dagegen schliessen lässt; nämlich, dass die Ehrlichkeit und Verlässlichkeit im täg­ lichen Kauf und Verkauf eine keineswegs allgemein befriedi­ gende war. Anderseits wieder sind es die schlimmeren Fälle von Eigen­ thumsverletzung, über die wir wahrscheinlich nur sehr mangelhaft unterrichtet sind. Was Raub, Diebstahl, Urkunden- und Münzfälsch­ ungen, kurz alle gröberen Angriffe auf das Eigenthum betrifft, so wurde der allgemeine Unwille in ungleich stärkerem Grade dadurch erregt, als durch Körperverletzungen. Ein einfacher Diebstahl gab um vieles gewisser der öffentlichen Gewalt Anlass zum Eins chreiten, als Mord und Todtschlag *), und die Strafe war in der Regel sicherer und zugleich schärfer. Gerade desshalb aber war um so weniger Veranlassung dergleichen Fälle zu notieren. Wenn man einem Diebe die Ohren abgeschnitten oder ihn sonst ver­ stümmelt hatte, so war er gekennzeichnet, es bedurfte keines Aufschreibens; und wurde er, wie es oft geschah, aufgehängt, so war überhaupt jedes denkbare Interesse fürderhin etwas von ihm zu wissen, verschwunden. Immerhin aber reicht, was in dem Achtbuche steht, aus, uns auch von dieser Seite des Augsburger Verbrecherthums eine ungefähre Vorstellung zu geben. Abgesehen von einer langen Reihe soge­ nannter schädlicher- Leute, von denen gleich noch mehr die Rede sein wird, finden sich darin von 1338—1369 etwa 160 Personen wegen Vergehen gegen das Eigenthum verzeichnet, darunter über 30 wegen Raub (theilweise ausserhalb der Stadt verübt), gewalt­ tätiger Erpressung u. dgl., etwa ebensoviel wegen falschen Spiels, Urkunden- und Insiegelfälschung, Münzverbrechen und sonstiger Betrügereien, 4 wegen Brandstiftung; alle andern endlich sind Diebe, Diebeshehler, Heimer böser Leute und ähnliches. *) 1) Von den 500—600 Geächteten, die in dem Achtbuche von 1338—1399 inch verzeichnet sind, sind nur 25 solche, die sich an dem Eigenthum anderer vergangen hatten und darunter nur 5 Diebe. Vgl. Anmerk. 1 auf Seite 216. 2) In dem Achthuche stehen während dieser Periode etwas über 100 Uebelthäter, von denen entweder gar nicht gesagt wird, was sie verbrochen, oder nur in unbestimmter Weise „wegen Bosheit und Ungerath enheit“ und ähnliche Ausdrücke. Die meisten derselben sind ohne Zweifel solche, die sich irgend eine mindere Gewaltthätigkeit hatten zu Schulden kommen lassen; doch mögen sich auch manche Diebe und Betrüger etc., vielleicht auch Wucherer darunter befinden.

199 Alle diese Verbrechen sind, soweit ein Urtheil möglich ist, ziemlich einfacher Natur. Verwickelte Fragen kommen nicht vör. Ueber Recht und Unrecht ist nicht leicht Zweifel möglich. Wir hören nichts von Bankerotten und nichts von Schwindel, der sich nicht von vorneweg als solchen zu erkennen gab. Nur ein paar­ mal werden Leute erwähnt, die borgen ohne Aussicht ihre Schuld je bezahlen zu können. Häufiger dagegen kam es vor, dass Frauenzimmer durch Eheversprechen getäuscht und um ihr Ver­ mögen betrogen wurden; so ward 1386 (feria quinta ante Mar. Magd.) Meister Berchtold dem Kälberarzt die Stadt 5 Jahre ver­ boten ,umb seine Aefferei und Bosheit, dass er den Weibern die Ehe verspricht und ihnen ihr Gut abnimmt4. Raub und Diebstahl erstrecken sich verhältnissmässig selten auf Geld, noch seltener auf Juwelen oder ähnliche Kostbarkeiten, meist auf sonstige Ge­ genstände des gewöhnlichen Gebrauchs, wie Betten, Bettfedern, Kissen, Leintücher, Tuche, Mäntel, Röcke, Kittel, Schleier, über­ haupt Kleidungsstücke aller Art, dann Messer, Holz, Obst, Kraut, Pferde, Ochsen, Kälber, Ferkel, Hühner u. s. w. Einmal wird auch eines Malers gedacht (1361 Aftermontag nach Urbani) namens Waltherlin, der aus St. Peters Münster ein Bild gestohlen hatte; er soll auch noch andere Bilder gestohlen haben. Leider erfahren wir nichts näheres darüber, weder was für Bilder es waren, noch was der diebische Kunstfreund damit hat machen wollen. Die Strafe, die er erhielt, nämlich 5 Jahre Verbannung ist übrigens auffallend gering. Die meisten Diebstähle fanden wohl auf öffentlicher Strasse und in Wirthshäusern statt, oder nachts in Gärten; Einbrüche in Häuser scheinen seltner gewesen zu sein; namentlich aber wurde auch in den Badestuben viel gestohlen; die Badeknechte und Reiberinnen genossen nicht umsonst eines sehr üblen Rufes. Die Schilderung von den Nachtseiten des Augsburger Lebens zu jener Zeit, soweit ich sie in dem Vorhergehenden gegeben, wird im Allgemeinen wohl für alle deutschen Städte, grosse und kleine, passen. Da und dort mag die Sicherheit der Person und des Eigenthums grösser oder geringer gewesen sein, man mag ein Mehr oder Minder von Todtschlägen, Körperverletzungen und sonstigen Angriffen auf die Person, von Diebstählen und Be­ trügereien u. dgl. zählen; im Grossen und Ganzen jedoch wird, trotz mancher vielleicht sogar bedeutender Abweichungen im Ein­ zelnen, das Bild in seinen Hauptlinien überall dasselbe sein.

200 Nur in Bezug auf die Anzahl der Kuppler und Kupplerinnen und liederlichen Dirnen dürfte sich in den kleineren und weniger verkehrsreichen Orten eine sehr merkliche und wesentliche Ver­ schiedenheit herausstellen. Ich komme damit auf eine Seite mei­ nes Themas, welche obwohl keineswegs eine spezielle Augsburger Eigenthümlichkeit bildend, doch unsere Stadt von der grossen Masse anderer Städte wesentlich unterschied. Es gab hier eine ganze im Verhältniss zu der geringen Be­ völkerungsziffer der Stadt sehr zahlreiche Klasse von Leuten, die sich von vorneweg darauf verlegten und gewissermassen ein Ge­ schäft daraus machten zu stehlen und zu betrügen oder sonst irgend­ wie die Schwachheiten, Nachlässigkeiten und Leidenschaften anderer auszubeuten. Alljährlich im Herbst, gewöhnlich zwischen St. Gallentag und Simonis uud Judä wurde, wie schon mehrfach erwähnt, eine An­ zahl schlechter Subjecte unter dem Geläute d§r Sturmglocken aus der Stadt hinausgetrieben, und zwar in der Regel mit der Bestimmung, dass sie binnen dreier Jahre nicht wieder herein kommen dürften; wer trotzdem innerhalb dieser Frist wiederkäme, sollte auf den Pran­ ger gestellt, durch die Zähne oder auf die Stirne gebrannt wer­ den und dann auf die doppelte Zeit verbannt sein. Mit den drei Jahren, beiläufig bemerkt, nahm man es nicht gar genau, viele Namen, bei denen es auch nicht ausdrücklich bemerkt ist, dass sie be­ gnadigt wurden, trifft man dessenungeachtet in der Liste des nächsten Jahres wieder. Die meisten dieser sogenannten St. Gallenleute nun waren, wie wir etwa sagen würden, gewerbsmässige Verbrecher; doch ist der Ausdruck nicht ganz entsprechend, der alte Name „schäd­ liche Leute“ ist zutreffender. Die Listen derselben in unserm Achtbuche liefern uns ein anschauliches Bild von der Beschaffen­ heit und Zusammensetzung dieser Klasse. Neben den Kupplern und Kupplerinnen, von denen schon die Rede war, kommen da grosse Mengen von Dieben und Diebshehlern, Säckelschneidern, Räubern — gewöhnlich Abbrecher und Abreisser, auch Pfadhuche genannt — vor, dann verschiedene Sorten von falschen Spielern, wie Scholdrer, Vierharter, Fünfler, Köpper etc., weiter Bettler, Land­ streicher (Semner und Giler) Bauernfänger (burenveratter), kurz Betrüger der verschiedensten Art, insbesondere dem tief religiösen, doch dabei abergläubischen Sinne der Zeit entsprechend, allerlei Spekulanten auf die religiöse Leichtgläubigkeit, wie Wahrsager, Teufelsbeschwörer, fingierte Priester und Mönche, fromme Pilgrime,

201 die um irgend welcher Sünden willen vorgeblich im Begriffe sind nach heiligen Orten zu wallfahrten und die gläubige Einfalt da­ zu in Contribution setzen u. s. w. u. s. w. Mehrere Male werden in den Verzeichnissen der Auszutreibenden die verschiedenen Sor­ ten von Spekulanten auf das fromme Mitleid und den Aberglau­ ben der Menge aufgezählt. So heisst es in dem Verzeichniss von

1343: „Darnach hand die burger den gilern, eifern und betriegern in den vorgeschribnen rechten (d. h. unter den Bedingungen, un­ ter denen die schädlichen Leute gewöhnlich hinausgeschafft wur­ den, vgl. p. 200) diu stat auch verboten driu gantziu jar ane alle gnad: It. ain haizzend Grantner, daz sint die sich annement si habent den vallenden Siechtum. It. ain haizzent S i n w e g e r, die nement sich an, si haben erschlagen ir vater, muter und ir brüder. It. ain haizzent Spanvelder, die verbent sich und spre­ chend si sien sich. It. Kappsierer, die jehent, (geben an) sie sienphaffen und hant wip und kint. It. Clamyerer, die jehent, sie gangen von Rom undchamen nie dar. It. Mümser, die jehent, sie sien siech münche und sint dez niht und tragent doch kutten an. It. Scherpier er, die jehent, si sien pilgrim und sint sünste böse wiht. It. Fopp er in, die nement sich unsinne an und warsagens. It. Hurlentzer, die nement sich an sie sien getauffet juden und sint dez niht. Und sulen alle bi diser tag zit uzvaren.“ *)

1) Die Erklärung dieser Worte überlasse ich den Sprachforschern, Ich setze hier in die Anmerkung ein ähnliches Verzeichniss aus dem Jahre 1342 : „Den gilern, die hernach geschriben, ist in demselben rechten diu stat verboten: De3 ersten Hürlentzern die gand für taeuffet juden. Darnach Clamniern, daz sint die pilgrim die vor den circhen ligent. Darnach Grentzier, die man fueret und sprechen^ sie sin siech. It. ^Darnach ain haizzent Münser und tragent kutten an und semnent uf dem land. Darnach haizzent ain Serpner, die sprechent, sie habent lüt erschlagen und semnent darzü.w

202 Es braucht hier nicht näher untersucht zu werden, ob man bei der Aufstellung dieser Kategorien nur im Sinne hatte den­ jenigen, welche beauftragt waren die Listen zu verfertigen, gewissermassen eine Richtschnur zu geben, wer alles unter die schädlichen Leute zu rechnen sei, oder ob jede Kategorie eine Anzahl wirklicher Personen bezeichnete, deren Namen man viel­ leicht anderswo aufgeschrieben hatte, oder auch unaufgeschrieben kannte und zu behalten glaubte. Uebrigens sind in dem Verzeich­ nisse von 1343 so wie so schon 108 Bösewichte aufnotiert. Jeden­ falls aber haben wir es hier nicht mit allerlei theoretisch mög­ lichen Schlechtigkeiten zu thun, sondern mit Dingen, die wirklich vorgekommen waren und noch vorkamen. Ich lasse hier eine Reihe von Auszügen aus den genannten Listen folgen. Man wird dadurch ein anschaulicheres Bild ge­ winnen, als durch jede weitere Beschreibung (vgl. im Anhänge Nr. V. die Verzeichnisse von 1349 und 1379): Verzeichniss von 1348. „It. bruder Henslin der b eg hart, ain aeffer und ain sponsierer, und der den wirten wirbt umb ir tochter und umb ir meide und spricht, der ober gaist ist ufgestanden, ez sol der under gaist nu auch ufstan“ 1). 1349. „It. einer ist ein gast, haizzet Inkinskytzin und hat niwr ein hant, und ist herr uf dem Perlach aller scholdrer und aller böser lüt.“ 1357. „It. H. Röhlinger fürt nunnen üf dem lande und geit in brief und nimt halbentail.“ „It. der Mieger und der Helmsmit gaund üf dem land und sprechent, sie wellen gen Rom, und ir jeglicher haut zway wyp, die gaund auch üf dem lande und sprechent, si sien unsinnig.“ 1) Die Begharde und Beginen standen überhaupt zu Augsburg bei geist­ licher und weltlicher Obrigkeit in schlechtem Ruf. Ich benutze diese Gelegen­ heit um zu sagen, dass in unseren Achtbuche, besonders in den letzten 2 —3 Decennien des 14. Jahrhunderts, auch mancherlei Spuren der religiösen Beweg­ ung, die damals durch einen grossen Theil Europas gieng, zum Vorschein kom­ men, doch reichen sie nicht aus, um bestimmte Schlüsse daraus ziehen zu kön­ nen. Daher lasse ich diese Dinge lieber ganz bei Seite. Nur das sei noch bemerkt, dass schon im Jahre 1364 ein „Grüblinsmann“ vorkommt: Darnach an donrstag nach sant Nyclaus tag habent die ratgeben ainem kneht, ist ge­ nant der Gr üb lins man disiu stat ain jar verboten------------ darumb daz er erberr lüt kind und knehte flirt in die ziegelstedel und in tailtiu gab i°if den würffeln und in damit ir gelt ab erefft u. s. w.

203

1301.

1366.

1367.

1369.

1371.

„It. ainer haizzt der Witzig und sin gesell Bertschi, sprechent, si sien ritter und varen von sant Jacob, und iriu wyp sprechent si sien unsinnig, und komus dem lythüs nimmer.“ „It. ainer an der Würin, haizzt Hans Müller, spricht auch er hat) die lüt erschlagen und well gen Rom.“ „It. Fritz .... des mangmaisters tochtermann, der nimt gelt üs ze kaufmanschaft von den luten und waiz wol daz ers nit ze vergelten mag und aefft die lüt also.“ „It. der Henigin, ain hanausser, die gaund alz ritter üf dem land und effent die lüt, und sin wip, die Strovögelin auch ain efferin. „It. Peter der Sünder, sin gesell, auch ain hanausser und tribt dieselben poshait und effny.“ „It. Wernlin Kelblin, ain effer und git sich üs für ain tauften juden, und sin wip, ain diepin und gotzefferin.“ „It. Ann Stockerin, ain efferin und laufft als ain unsin­ nig und nimt den lüten ir gelt ab, und ir man Er­ härt gat da als ain pfaff und predigt in den kirchen.“ „It. Liupolde Scripto an Fürstenvelder hof, ain rech­ ter pöswicht und macht valsch brief und insigel, der ist darumb enthaupt.“ „It. Chünrat von Kirchhaim git sit sich für einen pfaffen dar und lat im ain platten scheren und ist ein böser effer.“ „It. Chüntz Metz, weder man noch weip, die verunraint einveltig man oder weip, man solt sin drizzig dar­ umb verbrennen um sogtan schuld.“ „It. Hans Eck ze Lechhusen, ein bozwicht, ein spiler und bringt erbern leuten iriu kind spiles an, und licht den uf iriu pfand.“ „It. Grymolt Groplin und Chuntzlin Schniderlin und Henslin Schniderlin die da zerent datz (bei) Luther dem koch, die für ent erbern leuten iriu kind da­ hin und gjewinnent den ir gelt ab mit falsch und effeny.“ „It. Chuntz Bayr der schnider, der by der Grozzin am Swal inne ist, wurcht nicht sin antwerck, ain diep

204 und sin weip ain rechtiu diepin und sin muter die Bayrin ein eltiu seckelscbniderin.“ 1372. „It. Kathrin, weilunt by der Bropstin uf dem Graben, ein diepin, und Merklin ir lediger man, frizzet ir ab was si verstilt.“ „It. Ein fraw von Babenberg und ein schalant jud, die zarten mit anander datz Luther dem koch in dem keler by den Weizmaulern, ein bozz volk und heten mit anander ir bozheit und sullen ewiglich in die stat nimmer mer komen.“ „It. Brocklin, ein bozwicht, verfurt den luten iriw kind und bringt sie mit effni umb daz ir.“ 1374. „It. Der Tumprobst ein burenveratter, wenn si körn in die schrann furent, so verrat er sie mit den pfeningen gen deD, die in dem vorrath ritent.“ „It. Diu Egendacherin, ein ruffianerin und nimt von den dienstmeden, waz si ir verstolens zu tragent.“ „It. Chuntz Swab hinder sant Jacobs capell und sin wirttin, haiment verstolnes gut, waz man yn zu bringt.“ 1377. „It. Henslin, pütler, dez Mosmans gesell, ein gotswerer, und so man im brot geit, daz wurfft er in daz hör (dreck).“ 1385. „It. Drifuzz, ein gotzentrager, ein effer, ein bozwicht, und tret uf dem land ein gansbain, und spricht, ez sei eins heilgen bain.“ 1390. ,,-It. Enderlin Tritherfür haut siben erstochen, ein rechter hemscher und übel knecht mit manigerlay äffery und poshait und ein rechter rnorder, und sieht die lüte dartzu, so er in daz ir an gewonnen hat“ *) u. s. w. u. s. w. Die ausgewählten Beispiele sind lauter solche, in denen etwas ausführlicher angegeben ist, weshalb die genannte Person auf der Liste steht, meistens wird dieselbe jedoch nur mit einem kur­ zen Worte, wie Dieb, Säckelschneider, Abzerrer, Buffianer, Fünfler und dergl. charakterisiert, oft steht auch nichts als der blosse Name. 1) Dem Enderlin Tritherfür wird am Samstag vor Esto mihi 1391, wie unser ältestes Rathserkenntnissbuch meldet, die Stadt auf ewig verboten. Das Achtbuch schweigt darüber,

205 Es war aber auch wohl nur in den wenigsten Fällen eine be­ stimmte üble That, was Anlass gab den Namen einer Person in das Yerzeichniss zu setzen, sondern vielmehr im Allgemeinen die schlechte Meinung, die man von derselben hatte. Die Strafe wäre sonst oft erstaunlich gering gewesen. Der Stadtschreiber Niko­ laus Hagen setzt einmal mitten in eine lange Reihe nichtsnutziger Subjecte die Worte: „all die vil verzerent und nicht gewinnent, sind.alle dieb und diebsgesellen“.1) Dieser Auspruch gibt eine ungefähre Idee von dem was man unter den schädlichen Leuten verstand. Es waren eben Personen, die, meist den niederen Schich­ ten der Bevölkerung entsprossen, in ihrem Berufe nachlässig und faul waren und keine anderweitigen sichtbaren Mittel des Unter­ haltes besassen, von denen man daher voraussetzen durfte, dass Bettelei und andere noch schlechtere Künste ihre Hauptbeschäf­ tigung bildeten, ihren Nebenmenschen und vor allem der Stadt selbst zum Schaden. Die zahlreichen, als Mörder und Gottschwörer charakterisierten schädlichen Leute stehen wahrscheinlich eben­ falls nicht deshalb in den Verzeichnissen, weil sie gemordet und geflucht, sondern weil man sie sonst für schlechte Subjecte hielt. 2) Uebrigens verfuhr man bei der Zusammenstellung der Listen schwerlich nach festen Grundsätzen, und man liess sich wohl mehr durch ein instinktives Gefühl leiten, als durch bestimmte Indicien. Der Hauptsammelplatz der Lumpen und Bösewichte war auf und um den Perlachberg. Dort war schon damals der Mittelpunkt

1) Der Ausspruch steht in dem Verzeichniss der schädlichen Leute von 1362. Schon in dem Verzeichnis von 1354 kommt einmal eine ähnliche Phrase vor, dort heisst es: „Itetr, alle die vil vertunt und nicht würkent etc.41 2) Das Fluchen und namentlich das Erfinden neuer ungewöhnlicher Schwüre war ürigens nach den Empfindungen jener Zeit ein Verbrechen, das harte Strafe verdiente. Oefters findet sich angemerkt, dass die Schwüre, die einer getlian, „nit gut ze hören noch ze reden sint,w oder dass einer „Got und die heiligen übel handelt mit ungewonlichen tibeln Worten, die nit ze nennen seint, alz gar böse sein siu u. s. w. Was sich die verschiedenen Verfasser unseres Acht­ buches nicht zu sagen getrauten, muss allerdings arg gewesen sein. Wir sehen aber daraus, dass man in diesem Punkte sehr lebhaft gefühlt haben muss. Dem Gottschwörer wurde nicht selten, wie andern Verbrechern, die sich mit der Zunge vergangen hatten, dieses Glied ausgeschnitten und dann die Stadt ver­ boten (vgl. pag. 165, Anmerk. 2). Doch würde man trotzdem wol schwerlich einem bösen Flucher, wenn er nicht auch sonst ein schlechtes Subject war, den Schimpf angethan haben, seinen Namen auf die Liste der St. Gallenleute zu setzen.

206 des täglichen Handels und Verkehrs, dort strömten Fremde und Einheimische zusammen, dort war die einzige Stelle wo gewisse sonst in der ganzen Stadt streng verpönte Spiele gestattet waren J) und dort gab es mancherlei Lustbarkeiten und Schaustellungen, *) bei denen der Unerfahrene dem geriebenen Gauner zur leichten Beute ward. Unter anderm wurden dort öfters die Hinrichtun­ gen und sonstigen Straf-Executionen vollzogen; die Baumeister­ rechnungen führen mitunter den Wein an, den die Rathsherren tranken, während sie sich vom Rathhause aus das Schauspiel mit ansahen. Doch blieb die Thätigkeit der schädlichen Leute selbstver­ ständlich nicht auf den Einen Platz beschränkt; nicht wenige dehnten ihre Streif- und Beutezüge bis weit in das Land aus. Ihre Anzahl muss, wie gesagt, sehr beträchtlich gewesen sein. Bei dem regelmässigen Austrieb im Herbst wurden oft 70, 80, 90, 100 und mehr Personen auf einmal fortgeschafft18),2 3auch **** sind viele von den das Jahr hindurch Geächteten und Verbannten ohne Zweifel ebenfalls hieher zu rechnen. Und da man vernünf­ tigerweise nicht annehmen kann, dass jedesmal alle schlechten Subjecte bis zum letzten Mann fortgeschafft worden seien, da viel­ mehr im Gegentheil wahrscheinlich stets bei weitem die Mehrzahl derselben zurückblieb (um ganz abzusehen von denen die sich von selbst entfernten), so wird man die Anzahl solcher schädlicher

1) Vgl. z. B. ein Rathserkenntniss von 1391 (29. Jan.): Item an dem obge­ nanten tage (i. e. Samstag post conversionem Pauli) haut der rate auch verpoten allez spil uff dem prett karten, wie daz alles genant ist, usgenomen prett spil und kuglen; welicher aber der wäre der ain offen wirt und schenck ist, der in sinem huse spilen laut, de geit 1 U Regenspurger ; tut es ain andrer man, der nit ain wirt ist, der geit II U Regenspurger /$, und welicher spilt, der geit II & usgenomen uff dem Perlach platz, da mag man wol spilen. Vgl Bmstrb. 1369. Domine in tua: Sitzen demWaibel von beruffen, daz nieman spilen soll, dann uf dem platz. 2) Unter anderm wird auch einmal ein Seiltänzer erwähnt, der dort seine Künste producierte, vgl. Bmstrb. 1393. Jubilate: It. 1 ß dem der uff dem sail sein behendickeit traibe, von dem rathus an dez ain Wegen huse. 3) So stehen in der Liste von 1349 108 verschiedene Namen, worunter 9 Mörder, etwa 20 Ruffianer und Rufflanerinnen und dergl., 14 falsche Spieler, 30 Diebe und Säckelschneider, mehrere Räuber oder Abbrecher, viele Gottesschwörer und Böswichte und schädliche Männer im Allgemeinen; im nächsten Jahre sind es 90, 1351 fällt die Zahl auf 48, 1354 haben wir 78, 1355 = 77, lind 1356 wieder über 100 u. s. w.

207 Leute, die in Augsburg ihr Unwesen trieben, im Durchschnitt mindestens auf mehrere Hunderte schätzen dürfen. Unwillkürlich drängt sich hier die Frage auf, woher in einer Stadt von nicht mehr als etwa 16—17,000 Einwohnern eine solche Masse nichtsnutzigen, von anderer Hände Arbeit lebenden Gesin­ dels, wie sie im Verhältnisse schwerlich eine unserer modernen Grossstädte aufzuweisen hat? Zunächst ergibt sich daraus, dass Augsburg, obgleich nach unsern Begriffen nichts weniger als eine grosse Stadt, doch bis zu einem gewissen Grade den Charakter einer Grossstadt gehabt haben muss. Nur an einem bedeutenden Mittelpunkte des Verkehrs, wo ansehnlicher Reichthum vorhanden war, wo ein fortwährender Zusammenfluss wohlhabender Fremder stattfand, und wo der einzelne nicht jeden Schritt und Tritt des Nachbarn controllierte, konnte eine zahlreiche Bevölkerung von der angegebenen Beschaffenheit Unterhalt finden und Geschäfte machen. Auch rekrutierte sich dieselbe wohl, was an und für sich schon höchst wahrscheinlich, und überdies noch in den Listen der StGallenleute einigermassen Bestätigung findet, zum bei weitem grössten Theil aus zugewanderten Fremden; Einheimische bildeten wahrscheinlich nur eine geringe Minderheit. Doch damit ist unsere Frage noch nicht beantwortet: Woher diese Masse von Tagedieben und Taugenichtsen in Augsburg? Es ist eine allbekannte Thatsache, dass im spätem Mittelalter das deutsche Volk von einem ausserordentlichen Wandertriebe erfasst war. ') Jeder der sich um die Kulturgeschichte jener Jahrhunderte bekümmert hat, weiss, welche Bedeutung die fahren­ den Leute — fahrende Schüler, fahrende Spielleute und Gaukler, fahrende Frauen u. s. w. im Leben jener Zeit hatten. Doch das ist noch das Geringste. In der That scheint ein nicht unbedeu­ tender Bruchtheil der Gesammtbevölkerung stets mehr oder weni­ ger unterwegs gewesen zu sein. Schaaren von Pilgern aller Art zogen durch das Land; gerade in der Zeit mit der wir uns be­ schäftigen spuckteu an vielen Orten Deutschlands, von den Obrig­ keiten stets ungern gesehen, grössere oder kleinere Gesellschaften jener dein modernen Sinne kaum noch begreiflichen Schwärmer, soweit sie wirklich Schwärmer und nicht Vagabunden waren, der

1) Im 15. Jahrhundert erscheint jedoch der Wandertrieb wenigstens in den unteren Schichten der Bevölkerung schon lange nicht mehr so lebhaft.

208 Geissler herum. Auch Augsburg wurde einmal im Jahre 1349 von einem Zuge von 400 solcher Gesellen heimgesucht. x) Der sprechendste Beweis für die weitverbreitete, bis in die untersten Schichten der Gesellschaft gedrungene Unruhe liegt aber doch wohl darin, dass jeder Fehdelustige mit Leichtigkeit eine Bande verwegener Gesellen um sich zu sammeln vermochte, ob­ gleich das Fehdeführen für einen ärmeren Mann, der als Gefan­ gener kein Lösegeld bieten konnte, mit keineswegs unbeträchtlichen Gefahren verknüpft war. Wären nicht so wie so schon beständig grössere Massen von Menschen in Bewegung gewesen, so hätten wahrscheinlich die meisten, besonders der kleineren Fehden gar nicht geführt werden, oder wenigstens nicht so geführt werden können, wie sie geführt wurden. Mancherlei Ursachen kamen zusammen, um ein seit Jahrhun­ derten vollkommen ansässiges und ruhiges Volk so unstät und wanderlustig zu machen. Ohne Zweifel* wirkten die religiösen Gefühle nach dieser Richtung viel lebhafter als jetzt, es gab ge­ wiss sehr viele, die aus einem wahren Herzensdrang, um für be­ gangene Sünden die Verzeihung des Himmels zu erlangen, Pilgerschaften unternahmen. Das Verlangen Neues zu sehen, Sucht nach Abenteuer, die Bedürfnisse des Verkehrs und vieles andere, was jetzt auch noch wirksam ist, trieben ebenfalls Manchen in die Fremde hinaus. Allein noch ein anderes Moment kommt dazu, welches viel­ leicht mehr als irgend etwas geholfen hat eine zahlreiche noma­ disierende Bevölkerung zu erzeugen.12)3 Unser Achtbuch gibt uns einige Anhaltspunkte darüber und damit zugleich eine Ant­ wort auf die oben aufgeworfene Frage. Während der 81 Jahre von 1338 bis zum Schlüsse von 1368 sind darin, wie schon erwähnt, 420 Geächtete verzeichnet, ausserdem noch gegen 370 Personen denen die Stadt verboten wurde. So hoch diese Ziffern sind, so geben sie doch wahrscheinlich noch nicht die volle Summe, denn es ist unzweifelhaft, dass viele Auslassungen vorgekommen sind. *) Die Gesammtsumme aller, die so während 1) In der Liste der St. Galienleute von diesem Jahre wird unter andern ein Mörder namens Bömerlin erwähnt, der in die Geissei gangen ist. 2) Die colossalen Schwankungen in den Preisen der nothwendigsten Nah­ rungsmittel mögen freilich auch nicht wenig dazu beigetragen haben. 3) In der zweiten Abtheilung fehlt z. B. 1345 ganz, 1357 giebt nur 1 Per­ son, 1340 und 1341 nur je 2, 1350 und 1368 je 3, 1339 und 1351 je 5, in der ersten Abth. 1341 = 1, 1361 = 4, 1344= 5, vgl. Anhang Nr. VII.

209 etwa einer Generation gezwungen waren die Stadt auf längere oder kürzere Dauer zu meiden, mag sich also auf 900—100Ö be­ laufen; und dabei sind die Haufen Gesindels, die jeden Herbst fortgeschafft wurden noch nicht einmal eingerechnetJ). An andern Orten war das Verfahren schwerlich viel anders, die Zahlen der Ausgestossenen mögen im Verhältniss oft viel ge­ ringer gewesen sein, wie sie ja auch in Augsburg selbst bald grösser bald kleiner waren. Allein allerwärts gehörte Aechten und Verbannen zu den am meisten gebrauchten Strafmitteln. Man sieht, die Wirkung dieses Systems musste für sich allein schon immer von neuem gewaltige Massen in Bewegung setzen, und ge­ fährliche Menschen noch gefährlicher machen. War auch bei Acht und Verbannung das Wort viel schlimmer als die Sache, mochte es auch vielen ohne grosse Schwierigkeiten gelingen bald wieder in die Heimath zurückkehren zu dürfen, wurde auch bei vielen andern die Rückkehr wenigstens stillschweigend geduldet, so wur­ den doch alle für den Augenblick in den grossen Strudel geworfen, den schlimmsten Verführungen ausgesetzt. Für Unvermögende, die so aus ihrem Berufe und aus dem Kreise ihrer Bekannten herausgerissen, und vielleicht noch oben­ drein gebrandmarkt oder durch sonstige Verstümmelung gekenn­ zeichnet wurden, war die Schwierigkeit sich wieder aus dem Strudel herauszuarbeiten selbst bei dem besten Willen — und der war ja oft nicht da — kaum zu überkommen. Die Noth erzeugte neue Vergehen und neue Verbrechen, damit wurde wiederum Orts­ veränderung nothwendig, und so im Kreise weiter. Unstreitig war es bequem einen Uebelthäter sich dadurch vom Halse zu schaffen, dass man ihn einfach fortjagte; es kostete für den Augenblick wenig Geld und noch weniger Nachdenken. Allein es war eine höchst kurzsichtige Politik, die sich, wie alle engherzige Selbst­ sucht am Ende selbst bestrafte. Es wurde so eine zahlreiche heimathslose, an keinen Beruf, keine bestimmte Beschäftigung ge­ bundene Bevölkerung herangezüchtet, die ruhelos von Ort zu Ort getrieben, je nach Sinnesart und Gelegenheit sich den vielen grossen und kleinen Räubern, die die Landstrassen unsicher machten, anschloss, oder als Bettler und Landstreicher herum­ vagabundierte und das hauptsächlichste Material für die Verbrecher1) In unserm Achtbuche sind ausserdem ein paar Listen der von Kaiser und Reich Geächteten, die also innerhalb der Grenzen des Reiches eigentlich nirgendswo sein durften; im Jahre 1331 sind es 143, 1359 = 168, 1361 = 252*

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210 klassen der Städte, und vorzugsweise der grösseren Städte lieferte. — Hie und da mag wohl eine leise Ahnung der Wahrheit auf­ gedämmert sein, ohne dass dieselbe jedoch irgendwo zu einer klaren Erkenntniss sich fortgebildet hätte. Schon gegen Ende des Jahrhunderts scheint man viel vorsichtiger mit den Auswei­ sungen aus der Stadt verfahren zu sein, von den achtziger und neunziger Jahren an tritt in unserm Achthuche wenigstens eine sehr beträchtliche Verminderung derselben ein x). Wenn sich dagegen sofort von 1369 an eine plötzliche, sehr bedeutende Abnahme in der Anzahl der Aechtungen zeigt, so beweisst das wohl nichts, als dass von da an eine schärfere Polizei geübt wurde. Ich habe im Anfang meiner Schilderung darauf hingewiesen, dass in unserm Achtbuche ein auf der Stelle in die Augen fallender Unterschied zwischen der Periode vor und nach der Einführung des Zunftregiments hervortritt. Zum Schlüsse soll diess noch etwas weiter ausgeführt werden. Die Eevolution, durch welche diese Verfassungsveränderung zu Stande kam, war nicht eine plötzliche, gleichsam über Nacht hereingebrochene; sie war schon seit langen Jahren im Werke und mehrere Etappen bezeichnen ihren Weg, wie denn über­ haupt im 14. Jahrhundert in den meisten deutschen Städten ähnliche Umwälzungen stattfanden oder wenigstens angestrebt wurden. In unserm Achtbuche, besonders in den letzten 10—15 Jahren vor dem Eintritt der Veränderung finden wir deutliche Spuren von der allgemeiner werdenden Unzufriedenheit mit den vorhandenen Zuständen, und von dem Dahinschwinden der alt­ hergebrachten Ehrfurcht vor der Obrigkeit und den vornehmen Geschlechtern. Wir lesen von Gesellen, hauptsächlich von Webern und Beut­ lern, die Strike machen um höhern Lohn zu erwirken, und ihre Kameraden, die willig gewesen wären, weiter zu arbei­ ten, ebenfalls verführen12). Wir sehen, dass die Vorzüge eines Zunftregiments, wie es z. B. in Strassburg und andern Städten 1) Allerdings ist dasselbe wohl auch gegen Ende des Jahrhunderts hin etwas unregelmässiger geführt worden, vielleicht gerade deshalb, weil weniger oft etwas hinein zu schreiben war. 2) Vgl. z. B. 3358 Sabbato post Gregorii und Donnerstag vor Georgen; dahin gehört wahrscheinlich noch: Donnerstag, Sonntag und Montag nach Gal-

211 schon bestand, offen angepriesen wurden *1). Allerlei Pläne dasselbe auch in Augsburg einzuführen scheinen sogar aus dem Schoose des Rathes selbst hervorgegangen zu sein 2).3 Oefters werden auch frevel­ hafte und verächtliche Reden über Bürgermeister und Rath, über die Behörden und überhaupt über die Reichen erwähnt. So wird einmal einem Schuster vor dem heilig Kreuzer Thor — sein Name wird nicht genannt, statt dessen ist ein weisser Platz gelassen — die Stadt auf 3 Jahre verboten und ist darumb beschehen: ,es brann ein Haus vor dem heilig Kreuzer Thor und war der Nebel morgens als dick, dass der Wächter auf dem Perlachberg das Feuer nicht sah, und darumb nicht läuten konnte (gelütten torst). Da sprach derselb Schuster: Wär das Haus eines reichen Manns, so hiess man die Glocken läuten und die Bürgermeister und die Reichen Hessen nimmer darvon, bis dass man ihnen ein Brudermus machte, dass blutig Köpf da würden*. (1553. Montag vor Lichmess.) Viel ungewaschenerer Redensarten bediente sich einmal Hainz der Zinngiesser an der Katharinen Gasse; er schlug und miss­ handelt eine Frau, Elsbeth die Stadtlerin, gar übel und hatte dazu noch die Frechheit, derselben auf ihre Drohung mit dem Bürgermeister, zu antworten, ,er gab einen Fist (ventus tacitus) um den Bürgermeister „und daz si in plies in ir fischus“darnach sprach sie, sie wollt es klagen dem Vogt, do sprach er, er gäb ein Zers um ihn und dass sie’s nur fest klagte dem Vogt und den Bürgermeistern* *), und anderes mehr. Durch die Errichtung des sogenannten Zunftregiments ist allerdings gerade in diesem Punkte nichts oder wenig geändert worden. Schimpfereien über die Obrigkeit und deren Organe scheinen nachher noch gerade so häufig vorgekommen zu sein. Auf das Wesen und die Bedeutung dieser Verfassungsveränderung näher einzugehen ist hier nicht der Platz. Nur so viel sei ge-

lentag, vielleicht auch Ostermontag vor Gallentag desselban Jahres; dann 1363 Samstag nach Georgi, vielleicht auch feria tertia ante inventionem Ste. crucis u. 8. w. 1) Vgl. Donnerstag in der Pfingstwochen 1365, vgl. Samstag nach Hilarien desselben Jahres. 2) Vgl. Anhang Nr. IV. 3) Donnerstag nach St. Ulrichs 1367. Der unverschämte,jZinngiesser ward zu 2 Jahren Verbannung verurtheilt, doch muss, obwol ausdrücklich gesagt wird, die Strafe solle „aun alle genad“ sein, und „daz man dhein bet umb in verhören sol,tf dieselbe bald nachgelassen oder mit Geld ausgemacht worden sein, denn der Eintrag ist ausgestrichen.

212 sagt: Das vorher ausschliessliche Patricierregiment wurde dadurch auf eine breitere, demokratische Grundlage gestellt, ohne dass jedoch den Geschlechtern jeder Antheil an der Regierung ent­ zogen worden wäre. Einer der beiden Bürgermeister sollte stets* aus ihrer Mitte genommen werden, und ausserdem wurde ihnen im Rathe eine im Verhältniss zu ihrer geringen Anzahl sehr starke Vertretung gewährt. Auf beiden Seiten muss lobenswerthe Mässigung und Klugheit vorgewaltet haben, sonst hätte schwerlich eine so tiefgreifende Umgestaltung des ganzen Regierungssystems so ganz ohne Blutvergiessen, wie es allen Nachrichten zu Folge geschah, in’s Werk gesetzt werden können. Auch hat die Verfassung, wie sie damals eingeführt wurde, mit geringen Ver­ änderungen nahezu 200 Jahre fortgedauert. Dass die Wirkung dieser Verfassungsveränderung eine günstige war, darüber ist im Allgemeinen kein Zweifel. Man datiert ge­ wöhnlich sogar vom Jahre 1368 einen neuen Aufschwung der Stadt nach allen Richtungen hin. Die Zeit des Zunftregiments war für Augsburg die Zeit der höchsten Blüthe. Die Frage ist nun, welchen Einfluss hatte die Neuerung auf die öffentliche Sicherheit? Aus unserm Achtbuche ergibt sich, wie ich glaube, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass, wenigstens was die Sicherheit der Person anlangt, mit der neuen Regierung eine sofortige und überraschend grosse Besserung eintritt. Ich will zunächst ein paar Zahlen anführen. In den 31 Jahren von 1338—69 sind 169 Todtschläge verzeichnet, in den 31 Jahren von 1369—1400 dagegen sind es nur 59; und zwar vertheilen sich dieselben wie folgt: 1338-48 = 40 1369—79 = 25 (1372 u. 1375 fehlen) 1348—58 = 61 1379-89 = 18 (1388 fehlt) 1358—68 = 57 1389—99 =14 im Jahre 1368 = 11 im Jahre 1399 = 2 *1). Der Unterschied springt in die Augen und bleibt auffallend genug, selbst wenn man annehmen wollte, dass während der 3 1) In den Jahren 1372, 1375, 1388 sind keine Aechtungen verzeichnet, entweder weil keäne vorgekommen, oder, was wahrscheinlicher, aus irgend welcher Nachlässigkeit. Da nun die Todtschläge bis auf wenige Ausnahmen alle in der I. Abtheilung des Achtbuches (vgl. Anhang Nr. YI) stehen, so würde man für diese 3 fehlenden Jahre noch ein paar zu der angegebenen Gesammtsumme zuzu­ zählen haben.

213 fehlenden Jahre, besonders viele Todtschläge vorgekommen seien; auch macht er sich sofort mit dem Jahre 1369 bemerklich (vgl. Anhang VI). Leichtere Körperverletzungen sind wahrscheinlich, aus den früher angegebenen Gründen (p. 168) überhaupt nur zum gering­ sten Theile verzeichnet worden, doch zeigt sich auch hierin das­ selbe Verhältniss. Von 1338 — 69 sind es etwa 120 und von 1369 —1400 nur etwa 30 — 40 Fälle, in den Jahren von 1358—68 = 40, im Jahre 1368 = 0, von 1369—79 dagegen nur 9. Die Heimsuche verminderten sich in noch auffallenderer Weise. Geächtet wurden wegen dieses Verbrechens in der ersten Periode 26 Personen, in der zweiten nur 2; ausserdem wurde wegen desselben Verbrechens die Stadt untersagt in der ersten Periode etwa 8 Personen, in der zweiten kaum die Hälfte *). Ich muss noch beifügen, dass in Bezug auf Vergehen gegen das Eigenthum in den ersten 10—15 Jahren in unserem Achtbuche umgekehrt eine kleine Vermehrung zum Vorscheine kommt — von 1358—68 sind darin 50 und einige Verbrecher gegen das Eigenthum ver­ zeichnet, 1368 = 2 und 1369—79 einige über 60; man wird daher kaum annehmen dürfen, dasselbe sei nach 1368 sofort un­ regelmässiger geführt worden 12). In den Verzeichnissen der schädlichen Leute vor und nach dem Jahre 1368 tritt uns ebenfalls ein höchst bedeutender Unterschied entgegen, sowohl hinsichtlich der Zahl, wie in der Beschaffenheit des jedesmal ausgetriebenen Gesindels. Vor 1368 stehen mehrere Male über 100 Personen in Einer Liste (1343, 1349, 1356) und in der Regel wenigstens mehr als 40; nach 1368 sind es nur ein paarmal über 40, gewöhnlich unter 30. In den Verzeichnissen vor 1368 befindet sich meistens eine Anzahl von Mördern, Abzerrern und anderen gewaltthätigen Gesellen3); nach 1368 dagegen kommen dergleichen nur noch vereinzelnt vor. Vor 1368 sind im Durch­ schnitt ein Viertel bis ein Fünftel der notierten Personen Weiber, 1) Genaue Ziffern lassen sich hinsichtlich der letzeren nicht geben. 2) In den letzten 10—15 Jahren des Jahrhunderts scheint das Achtbuch allerdings etwas Dachlässiger geführt worden zu sein — vgl. p. 210. Anmerk. 1. 3) Z. B. 1349 = 9 Mörder, 1350 = 7 Mörder, 1355 = 9, 1356 = 12, 1357 = 5, 1358 = 6, 1359 = 10. Uebrigens ist nicht gesagt, dass diese Mör^ der oder Todtschläger stets ihre Opfer in Augsburg selbst gefunden. Auch wäre es nicht unmöglich, dass man mit dem Worte „Mörder“ oft nur einen ge-* waltthätigen Burschen bezeichnen wollte, dem man einen Mord zutraute,

214 nach 1368 betragen die Weiber beinahe die Hälfte1). Man könnte allenfalls versucht sein diese überraschenden Zahlenunterschiede mit der Annahme erklären zu wollen, es seien von dem Eintritt des neuen Regierungssystems an, alle Körperverletzungen gleich­ gültiger behandelt worden. Wir wissen ja, dass selbst Todtschläge öfters auf privatem Wege zwischen den verschiedenen Betheiligten ausgeglichen wurden, ohne dass die öffentliche Gewalt es für nöthig befunden hätte eine Strafe zu verhängen (vgl. Anhang III). Vielleicht wären solche Privatausgleiche, von denen natürlich der notarius publicus keine Notiz zu nehmen hatte, sehr viel häufiger vorgekommen als früher? Nur liegt gar kein Grund vor, auf den sich eine solche Erklärung stützen könnte. Allerdings darf man nicht etwa auf den Glauben gerathen, als sei durch die Veränderung der Verfassung auch eine plötzliche Veränderung der Sinnes- und Gemüthsart der Einwohner Augs­ burgs bewirkt, als sei mit dem neuen Regimente zugleich humanere Gesinnung und Verfeinerung der Sitten eingeführt worden. Dazu gehören Generationen. Man mag sich den Hergang der Sache so denken: Die reelle Macht der alten Geschlechter war in den letzten Zeiten ihrer Herrschaft schon sehr auf der Neige. Hätten sie nicht schon längst das Heft nur noch lose in der Hand ge­ habt und wären sie sich nicht vollkommen bewusst gewesen, dass ihre Stellung unsicher, auf die Dauer nicht mehr haltbar sei, sie würden sicherlich nicht so ganz ohne Kampf die oberste Leitung der Geschäfte sich haben abdringen lassen. Dagegen gab es eine starke, vielleicht den grössten Theil der Bürgerschaft umfassende Oppositionspartei, die gewiss, wo sie konnte, der Regierung Hin­ dernisse in den Weg legte. Polizeiliche Maassregeln, insofern sie nicht den Schutz des Eigenthums bezweckten — denn in diesem Punkte herrschte Einigkeit — fanden wahrscheinlich wenig Unterstützung. Widersetzlichkeit gegen die Behörden durfte in vielen Fällen auf Wohlwollen, vielleicht sogar auf thatsächliche Hilfe von Seiten der Bevölkerung rechnen. Man darf die Be­ deutsamkeit dieser Einflüsse nicht nach der Wirkung bemessen, 1) In den letzten Jahren vor der Einführung des Zunftregiments zeigt sich übrigens schon eine beträchtliche Verminderung der schädlichen Leute und da­ mit zusammenhängend eine Vergrösserung der Verhältnisszahl der Weiber; in den 4 Jahren 1365, 66, 67, 68 sind im 0anzen 132 Personen verzeichnet (wo­ bei allerdings diejenigen, die in 2, 3, oder jedem der 4 Jahre Vorkommen, 2-, 3-, oder 4-fach gezählt sind) darunter 42 Weiber. In den Jahren 1369, 70, 71, 72 sind es 93 Personen (ebenfalls manche mehrfach gerechnet) und darunter 38 Weiber.

215 welche dieselben allenfalls unter unsern modernen Verhältnissen und Zuständen haben würden. Denn zu jenen Zeiten beruhte Polizei, Gerichtswesen, und überhaupt alje Ordnung des Gemein­ wesens in ungleich höherem Grade auf dem opferwilligen Zu­ sammenwirken der Bürgerschaft, als dies jetzt der Fall ist, wo für jede besondere Thätigkeit der Staatsgewalt besondere Organe bestehen. Eine starke Regierung wäre vielleicht im Stande ge­ wesen alle Hindernisse zu überwinden, aber die Patricier mit ihrem schwachen Anhänge bildeten eben keine starke Regierung. Durch die Veränderung der Verfassung wurde dies alles mit einem Schlage geändert. Entschlossene Männer, die einen festen Rückhalt hatten, traten an die Spitze. Die alten Geschlechter, insofern sie nicht vorzogen auszuwandern, scheinen sich loyal der neuen Ordnung der Dinge gefügt zu haben. Vorkehrungen, die jetzt zum Schutze der öffentlichen Sicherheit getroffen wurden, mochten im Einzelnen auf manchen Widerspruch stossen; allein die Gesammtheit lieh ihnen unbedingt ihren Beistand. Die Festig­ keit und Energie der oberen Leitung theilte sich auch den niedern Organen bis zu den Nachtwächtern herab mit. Das Bewustsein einen sicheren Rückhalt zu besitzen, gab allen den Muth, vorkommenden Falls mit Entschiedenheit einzugreifen, während anderseits Unruhstifter und. Skandalmacher nicht mehr durch das Gefühl einer unbeliebten Obrigkeit gegenüber zu stehen, ge­ hoben und gestärkt wurden. In der That sind denn auch, wie ich glaube, ziemlich un­ zweideutige Anzeichen einer erhöhten Thätigkeit der Polizei vor­ handen. Schon das Kleinerwerden der St. Gallenliste scheint darauf hinzuweisen. Nicht als ob nach der Einführung des neuen Regiments die „schädlichen Leute“ sofort angefangen hätten Augsburg zu meiden, dazu war es denn doch ein viel zu günstiger Operationsplatz; aber sie nahmen sich doch mehr in Acht; die das nicht thaten, wurden gleich bestraft, und was die Haupt­ sache ist, die meisten werden, sobald sie merkten, dass man ein Auge auf sie habe, sich schon von selbst für eine Zeit entfernt haben. Viel schlagender scheint mir jedoch Folgendes zu sein. Wäh­ rend sich in der Zahl der Missethäter, die sich durch die Flucht dem zuständigen Gerichte entzogen, nach der Einführung des Zunft­ regiments eine sofortige überraschend grosse Abnahme zeigt, nämlich von etwa 150 in den letzten 1Ö Jahren vor, auf etwa

216 50 in den ersten 10 Jahren nach 1368 x), steigt die Gesammtsumme derer, die als vor Gericht gestanden verzeichnet sind, um ein nicht Unbeträchtliches, nämlich in den genannten Jahren von etwa 180 auf etwa 220*) vgl. Anhang VII. Während die Todtschläge, Verwun­ dungen, aber auch die Heimsuche sich in auffallender Weise ver­ mindern, sehen wir eine Vermehrung der leichteren Gewalt­ tätigkeiten, trunkner Excesse, Wiederspenstigkeiten gegen die Behörden, gefährlicher Drohungen u. dgl. und überhaupt aller Arten von Thätlichkeiten, bei denen keine schlimmeren Körper­ verletzungen vorkamen. Es wäre ungereimt anzunehmen, dass in Wirklichkeit zugleich eine Vermehrung der kleineren Excesse und eine so auffallende Ver­ minderung der schweren Verbrechen an der Person stattgefunden; und es ist, mindestens gesagt, kein Grund vorhanden zu glauben, die kleineren Excesse seien nach 1368 fleissiger, die gröberen da­ gegen nachlässiger aufnotiert worden. Zudem sehen wir, dass die neue Regierung sich der Unzulänglichkeit der bisherigen Polizei recht wohl bewusst gewesen sein muss, denn bei der ver­ mutlich sofort nach der Verfassungsveränderung vorgenommenen Revision der Strafgesetze wurde unter anderm bestimmt, dass fortan je zwei Mitglieder des Rathes, die sogenannten Einunger, mit dem Vogt und einem der Bürgermeister wöchentlich einige­ mal die Stadt nach bösen Leuten durchforschen sollten. Früher wurden diese Visitationen von den letzteren allein besorgt5). 1) Ich rechne nur die Geächteten. Im zweiten Theile des Achtbuchs werden, wie gesagt würde, hie und da noch ein paar Entflohene erwähnt, doch sind es so wenige, dass eine besondere Zählung derselben nicht nothwendig ist. Jedenfalls würde, wollte man sie auch zurechnen, das obenangegebene Verhältniss nicht wesentlich geändert. Ein paar weitere Angaben über die Ver­ brechen der Geächteten mögen hier ihre Stelle finden. Von den 420 in den 31 Jahren vor der Verfassungsveränderung in den ersten Th eil des Achtbuchs eingezeichneten Personen wurden 26 wegen Heimsuchs geächtet, wegen Kaub, gewalttätigem Abzerren des Gewandes u. dgl. 12 (darunter 2 Raubmörder), wegen Brandstiftung 4, wegen Diebstahl ebenfalls 4, wegen Fälschung 3, alle andern wegen Körperverletzungen. Bei den 120 in den folgenden 31 Jahren Geächteten war das Verbrechen bei zweien Heimsuch, bei Einem Unterschlagung, bei Einem Diebstahl, bei allen andern wieder Körperverletzung. 2) Von der ersten Zahl kamen 16, von der andern 36 mit einer kürzern Einsperrung oder einer sonstigen kleinern Strafe davon, den übrigen wurde die Stadt verboten. 3) Vgl. Städtechroniken IV. p. 142 f. Der Einunger wird in dem Achtbuche zum ersten Male im Jahre 1371 (feria quarta ante Lucie) gedacht.

217 Die am nächsten liegende und zugleich einfachste Erklärung ist, dass eine Menge Excesse, namentlich trunkene Raufereien u. dgl., die, sich selbst überlassen, zu schlimmem Ende geführt hätten, durch energische und von der Bürgerschaft besser unter­ stützte Handhabung der Polizei schon im Entstehen erstickt oder mindestens ungefährlicher gemacht wurden. Es ist keine Rede von einer plötzlichen Umwandlung der Sinnesart, oder überhaupt von irgend einer direkten humanisieren­ den Einwirkung, die durch die Verfassungs Veränderung auf die Sittenzustände der Stadt ausgeübt worden wäre. Wohl aber muss eine indirekte Einwirkung constatiert werden. Indem das neue Regiment der öffentlichen Sicherheit eine erhöhte und erfolg­ reiche Sorge widmete, trug es sehr wesentlich zu dem Auf­ schwünge bei, den alle friedlichen Künste und Gewerbe, Handel und Wohlstand nahmen; und damit ist immer eine vielleicht zwar langsame, sehr allmähliche, doch sicher und stetig fortschreitende Humanisierung des Sinnes und der Sitten verbunden.

Anhang.

I. Anno domini M.CCC.xx°i in ebdomada post diem sancti Augustini (28. Aug.) habent die ratgeben haizfcen an geschiiben und gemercket, die si oder ir lüt beschädigend Zu dem ersten clagt Wernher der Zelter, daz der Trutenweiler und Uellin der Yorster, den man haizzet von Tribs, und ander sin gesellen, daz si sinem mair ze Altmanshoven raplicb genomen habent in der vorgenant wochen zway bow ros. An unser Frawen abent alz si geborn wart habent . . . dez von Mindelberg diener Hainrich dem Nürnberger genommen driu rinder ze Hürnloch und haund daz getan üf Swabegge. „ Sie haund auch üf Swabegge Chünrad dem ßoelon ain grozz putschen mit saltz genomen. Item. Der Riethüser, der Brem, und der Fuser nomen Herman dem Brunner, da er nach hew waz gevaru, driu ros zu Grabun by naht üs ainem hüs; die vand er ze Füzzen. Item. Die Irren und ir gesellen, die do dez von Oettingen diener warn, nomen unserm burger Eberhard dem Fungeller von Staindorf vier pferit by ainer naht ab der waid, dez nehsten frytages vor St. Mangen tag (4/9). Darnach in der wochen vor sant Michels tag hat Chünrat der Gleslin und ... der Barrer ... der Steub und ... der Stumpf von Buehel, der rihter ze Aychach waz, hem Hainrich dem Langenmantel und sin arm lüt ze Werttungen beraubet, daz er ahtet mer dann umb xn # 4>Sider unser boten nü jungst ze Ysnin schieden von hertzog Fridrich von Oesterrich und er uns gehiezz, er wolt schaffen mit

219 allen den sinen, daz man den frid stet an uns hielti, alz er vor verschribeh und gemacht waz; syder ist uns daz geschehen, und die hernach geschriben staund habent den frid an dirre stat ge­ brochen mit raub und mit brand, und dannoch vil mer dann hie an disem puch geschriben staut. Zum ersten hat her Bartholome der Waler und sin diener genomen ze Moeringen hem Büdigern dem Langenmantel x ros und c. dem Zwickel n ros. Item. Der von Mindelberg hat Chunrat dem. Zwickel ain grozz putschen saltzes genomen und ze Erringen maister Wolfran v ros und Spitalern n ohsen und m ros. Item. Dez von Eirebach diener Jacob von Pfaffenhusen und sin gesellen nomen vich by Fridberg, dez gehörten unser burger vn rinder an, die si niht wolten wider geben. Dez von Mindelberg diener habent Chunrat dem Alpershover zu Eglingen auch ain ros genomen. Der Waler hat genomen ze Kissingen den frawen von sant Kathrinen v ros, und in rinder verbrunnen in, und verbranten in zway gut. Der von Mindelberg hat genomen an sant Johans abent ze Sünwenden der burger lüt ze Erringen alles ir clain vich und x grözziu haupt. Dez diener von Elrebacb (sic) Ungehiur und Swinckrist und ir gesellen habent genomen . .. dem von Hoy; Chfinrat dem Herworten und .. . dem Wyzzinger und iren lüten ze .. . xvmi haupt vichs. Daz von Mindelberg diener Hürnbach, .. . der Brenner, ... der Huser, und ir gesellen habent genomen dem Hütschmair im ros und ... dez Minners man n ros. Dez von Eirebach diener nomen an sant Mairien Magdalenen abent (21. Juli) ze Wilamshüsen viertzig haupt; do eilten die burger nach, und do die rauber daz vich niht hin bringen mohten, do stummelten si und erstachen daz selb vich alles ze tod by Niwnburg; daz taten Swinckryst etc.

II. 1353. An dem naehsten affermontag nach dem Wyzzensuntag (12. Februar) habend die ratgeben Sytzen und Utzen den Maennen, den vischern, Henslinen Gebhartlin und ... des Schyringers sün von Lechhusen disiu stat ewiclich verboten zehen myl von der stat hindan; darumb daz der vorgenant Sytz der Man . . . den Buhen ze tod erschlug in diser stat frid, und daz die dry auch

220 daby warn und hilff darzu gauben; und wurden auch die vorge­ nant zwen brüder die Maenn darurab gevangen, und ward der Sytz in den stock geschlagen; und darumb daz die clager abliezzen und durch bet willen haut man in disiu stat ewiclich verboten, und wa man si ergriffet in der stat oder umb disiu stat inner zehen myln, so sol man hints in rihten alz reht ist. 1363. Darnach an donrstag nach dem Weizzensuntag (23. Februar) habent die ratgeben frawen Mehthilden der Weitenstorfferin und frawen Velen irr tohter, die gevangen lag, disiu stat ewiclich und x myl hin dan verboten; darumb daz die selb fraw Vel niht verr davon stund und sach, alz si uns geseit hat, daz C. Martrer der Fleischheckel von Aittingen und Hans derHacker, Fritzen dez Obsers sun uf dem Perlach J) Micheln den Murer von Nürnberg ermurten und in by dem kalkofen in den Lech wurffen, und daby waz .. . dez Marttrers ledigs wip und dez selben Michels rehtz ewip, mit der C. der Martrer*ze schaffen het, und es von iren wegen tet, alz Vel geseit hat. Darzu habent si baid gesworn zen hailigen daz also ze halten und dawider niht tun noch nieman dhein veintschaft darumb tragen. Und wa man si fiirbaz hie oder inner x myln ergriffe, so sol man über si rihten alz über schedlich lüte. ‘ 1364. Darnach an mitwochen vor dem hailigen tag ze Pfingsten (8. Mai) wart Haintz, maister Menhartz des nachrihters seligen sun, gebunden und gevangen für geriht gefürt und clagt hintz im mit fürsprechen Hainrich der Grashay, burger ze Auspurg, er het im sinen brüder Utzen den Grashayen in dirr stat frid aun schuld und aun reht vom leben zu dem tod braht, und het auch den schub und daz plütig gewant sins brüders engagen, damit er in wol überwunden het mit dem rehten. Do wart Hainrich der Grashay erbeten von rychen und von armen, daz er in ergab üf daz hailig grab, mit dem gedinge, daz er zen hailigen ainen gelerten ayd gesworn hat, daz er weder dem vor­ genanten clager, dhainem sinem friunt noch der stat gemainclich reichen noch armen, noch nieman anders darumb dhain veintschaft haben noch tragen sol, und daz er ewiclich in dis stat nimmer mer körnen sol, noch innerhalb x myl allumbundumb dise stat, und daz er ietzo angeentz gaun sol gen Rom und von dannan gen l) Die gesperrt gedruckten Wörter sind ausgestrichen, und eine Note zu dieser Stelle besagt, dass Hans der Hacker gegen Stellung von Bürgen begna­ digt wurde.

221 Ach und von Ach gen Avinion, und sol da alles sin vermügen tun, ob er darüber dispensieren müg; mag er daz tun, so sol er priester werden, moecht er aber darüber niht dispensieren so sol er sust ain laibruder werden, ob er mag. Wer aber, daz er darüber hie in dirr stat oder inner x myln ergriffen würd, ewiclich, so sol man hintz im rihten in allen dem rehten alz dez mals da er gebunden und gevangen vor geriht stund und alz hintz ainem schedlichen man. 1368 feria quarta ante letare (15. März) habent die ratgeben Hansen dem Kuffringer, dem flescheckel, disiu stat x gentziujar verboten und dri myl hin dan aun alle genade umb sin ungeratenheit die man von im west, und besünderlich, daz er ... Hermans unter den Juden sun zo tod erschlug in der stet frid aun schuld und aun reht. Und wa man in [in] der frist hie oder inner dry mylen ergriffe, so sol man hintz im rihten alz hintz ainem schedlichen man. 1368 (letzter Eintrag, ohne Tagesangabe) habent die rat­ geben dem Ruterer von Bibrach, ainem surbeckn kneht die stat verboten von ains totschlags wegen und umb ander sin ungerautenheit. Und swa man in hie ergrifft, so sol man hintz im rihten als hintz einem schedlichen man.

in. Rathserkenntnissb. 1391. It. von des todslags wegen, den i/3 Albrecht Zieglers sun getan haut an Henslin dez Langenmantels kneht, und dez Henslins fründe darumb geclagt haund, daz haut man gestellet biz uff sant Görgen tag den tag biz naht in guter früntschafft, an alle gefärde, darumb, mag es hie zwischen mit früntschafft verriht werden, daz sie gut-, mag dez niht gesein, so Süllen die fründe clagen in allem dem rehten alz hüt dicz tags alz es gestellet warde. factum quarta feria ante letare. Nota: Am donrstag vor sant Georn tag ist die obgeschriben20/4 sach bestellet biz aht tag nach dem hailigen Pfingstag der schierst chompt in allem dem rehten alz davor geschriben staut von dez Zieglers sun von dez todslags wegen. Achtbuch. 1391. An der nehsten mitwochen nach sants8/6 Johanns tage sunwenden ist Abellin Aulbrechtz dez Zieglers sun ipit geriht und urtail in die aht getaun, darumb daz er Henslin den Weisen, Peters des Langenmantels kneht waz zu tode erslagen haut in dirr stett ffride aun schuld und aun reht, von clage we­ gen diser hernachgeschriben, daz ist: Elspethe die Maulerin ge­ nant, umb iren wirt, Adelhait Herman dez Pfettners wirtinn

222 umb iren prüder, Herman, Elslin und Künlin, der vorgenanten Adelhaiden der Pfettnerin kinde, umb iren ohaim. ; i391. An der nehsten Mitwochen nach saut Johannstage tzu sunnwendin ist Betz Schiunagel, der fflosman mit geriht und urtail in die aht getaun von clag wegen Alberhtz dez Zieglers, Hansen, Clausen und Peters siner sün, darumbe, daz der vorge­ nant Betz Schiunagel ainen rehten hantfride gebrochen haut an Abellin, Albrehtz dez Zieglers sun und an Rufen dem Nyder, sinem gesellen.1)

IV. 1367. Darnach an der zwelfboten tag Philippi und Jacobi (1. Mai) habent die ratgeben — — — 2)* disiu stat verboten von dem Aufferttag der schierst kumbt über zway gentziu iar und zwü myl hin dan, aun all gnad, und daz auch niemant umb in biten sol, und wer umb in baete der sol der stat ze pezzrung vervallen sin hundert pfunt haller, und dannoch sol man niemant geweren; darzu sol er äuch fürbaz die wil er lebt ---------- nit----------- ez sy dez clainen oder dez grozzen r a t e z;8) und hat er auch zen hailigen gesworn daz alles also ze halten und niemant dhain veintschaft darumb ze tragen; und ist darumb beschehen, daz man in und ettlich mer schuldigot si stalten nach ainer zunft, daz wider der stat reht ist; und do man si besantt für den rat, do kamen ir dry und nomen sich mit iren ayden davon daz si dez unschuldig wern; do wolt d---------- 4) für den rat niht komen und enbot dem rat, er wolt hin üf niht, het man mit im iht ze reden, man fünd in nach ezzens da niden wol. Do sant der. rat zem andern mal nach im, do sazz er ob dem tisch und sprach, er wolt hin üf niht, und daz si biz naht sezzen, so körn er doch niht. Darzü hat er ge­ sprochen hintz dem pallenbinder, der der stat gesworner pinder ist, er verriet im sin güt, und wer daz er sin güt üf dem veld verliir oder genomen würde, er wolt ez von niemant haben dann von im, und er wer ain Verräter und er wolt im die äugen für 1) Dieser letzte Eintrag ist ausgestrichen. 2) Hier sollte der Name des Bestraften stehen, doch ist derselbe sorg­ fältig ausgewischt und noch besonders ausgestrichen. Der ganze Eintrag ist ausgestrichen. 3) Die gesperrt gedruckten Worte sind noch besonders ausgestrichen, die freigelassenen Stellen durch Wischen und Streichen ganz unleserlich gemacht. Der Sinn des Satzes ist offenbar, dass der Betroffene sein Leben lang nicht mehr zum Rath gehören solle. 4) Der Name wieder durch Wischen und Streichen unkenntlich gemacht.

223 den köpf stechen, und ander unzeitlich red, die er von dem rat gerett het. Und an dem ersten do er für den rat kom dez an­ dern tages, do nam er sich mit sinem ayd davon, daz er nach dhainer zunft nie gestellet het und daran unschuldig wer und ez auch fürbaz niht tun wolt.

y. Verzeichnis der schädlichen Leute von 1349. Do man zalt nach Cristes gebürt driuzehenhundert iar und dar nach in dem niunden und vierzigosten iar an dem nehsten Samptztag nach sant Gallen tag hant die burger gemainclich arm und rieh mit dem clainen und grozzen rat, den die hernach geschriben stant umb ir bozheit und ungeratenheit, die man von in west, dise stat driu gaentziu iar verboten, an all gnad, und sullen auch sie in der selben frist diser stat niht neher chomen dann by einer myle, und würden si darüber hie in der stat oder by einer myl umb die stat begriffen, so sol man si an all urtail durch die zen brennen oder an die stirn, daz man si erkenne. Ze dem ersten diu Claiberin mit dept mal by dem äugen und ir tohter diu mit Peters sun ze tun hat, bed zwu ruffianerinn. Item. Peter der Grebel der Frümoldin sün, ein diep uud ein ruffian.x) It. Haenigin dez Bruins ustrager, einbozswiht, ein gotzswerer. It. Thoman der giler und sin wip, dieb und sind inne bi Eberhard dem gyler. It. Der Scharfrichter, ein nachtabprecher und ein fünfler. It. Der Witzig Haintz, ein bözwiht und ein diep. It. Der Karrer, dez Vettern kneht ein rehter Verräter ein spiler und ein ruffian. It. Der Haller und sin wip, diep und diepinn. It. Der Renner ein diep, der us den kammern und andern steten vil gestoln hat. It; Gantzhain, der ein vogler ist, ein rehter bozwibt, schedlich riehen und armen. ‘) It. Der Froelich von München, ein bütler und sin wip, diep und diepin. It. Der Hacker von München und sin wip, ruffian und ruffianerin, und bozwiht. i) Im Original ausgestrichen.

224 It. It. It. It. It. It. It.

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Pafils der flozkneht ein ruffian und sin wip ein bozwip. Der [Name unkenntlich] ein fünfter, ein ruffian und rehter bozwiht aller bozhait. >) Der Schüler von Wirtzburk ein böser ruffian, ein abprecher und ein fünfler. Haintz von Wirtzburk und sin wip Clolin, diep und diepin und vertans volk. Irmel von Ehingen und Jeklin ir man, er ein ruffian und sie ein diepin und vertans volk. DerJungPfleghär dez Maierlins kneht, dez bierbriuwen, ein schedlicher kneht der stat mit allerhand bozhait. Einer ist ein gast, haizzet Inkinzkytzin und hat niwr ein hant, und ist herr uf dem Perlach aller scholdrer und aller böser lüt. Dez Yihlins tohter und ir man bozsvolk, schedlich diser stat mit aller bozhait.x) » Der Hindanhoch, ein kürsner, ein bozwiht, ein morder.1)2 Henslin, dez Kü kneht, ein gotswerer. DerSwarzSniderein gotswerer und ein bozwiht. Der Stern und sin wip, die vor den Barfuzzen gesezzen sint und von Werd entrunnen sint von rehter diebstal und bozheit und bediu diubigs gewant chauffent. Spresserin ein keufflerin, ein rehtiu ruffianerin. Hans von Memmingen, ein kürsner, ein ruffian und sin wip ein diepin. Der Tyti ein rehter abprecher nahtes. Ullin von Nördlingen, by dem alten gyger, ein rehter diep. Diu Dreigin ein rehtiu diepinn. Ch. Tiuffelin ein scholdrer in lithüsern und uf dem Perlach. Der Magerammhals ein rehter diep uf affner sträzz. Lang Öler uf der blaich, dez bruder ein henker waz, ein rehter diep. Metz diu nazlos Claiberin und ir tohter zwu ruffianerinn. *) Hans Kreenkopf ein ruffian. Claus de Wirtzburg hat niuwr dry vinger ein bütler, ein morder. Die zwen Truhtel brüder von Babenberg, und sind bütler, zwen morder und reht dieb. 1) Im Original ausgestrichen. 2) Wiederholt.

225 It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It. It.

Bomerlin, der in der Gaysel ist gangen ein morder. Ströbellins sun dez bekken, ein rebter gotswerer mit niuwen swüren, die niht gut ze reden sint. Schoberlin von dem Niuwenmarkt, der Volkwinin briuknebt, ein gotswerer. Der Blä Rock ein rehter gotswerer mit niuw'en swüren. DesWadlerssunein rehter fünfler und ein gotswerer.1) Der Hütlin ein boswiht mit gefülten würfeln, die er selb macht. Eamensetzer ein weber, mit dem crumen fuzz, ein rehter bozwiht mit bösen würfeln.J) Der Röslin und Utz sin gsell zwen göfczentrager zwen reht dieb. o Utz von Dylingen ein götzentrager ein rehter morder.1) Chünzlin der scheffler von Frysingen ein ruffian. sin gsell der Hertzog von München auch ein ruffian. DezBanzirs kneht ein fünfler. Der Turn ein bekkenkneht ein diep. Sitzlin von Batzenhoven ein fünfler mit bösen würfeln.1) Der Bobinger, ein altbuzzer ein kursner ein rehter got­ swerer. Dez Gletlers sun, daz Paeullin, ein rehter gotswerer. Hermans dez sürbekken sün zwen rehter, zwen morder, zwen kursner. DerHaiminsün, zwen dieb und zwen fünfler mit bösen würfeln. Haintz dez Tümirliebs sun ein rehter gotswerer, ein fünfler. Pauls der bekkenkneht und sin wip, er ein ruffian ein abprecher, sie ein ruffianerinn. J ecklin von Babenberg und sin wip, ruffianer und ruffianerin. Der Snider von Wirtzburg ein fünfler und ein bozwiht. Haintz Heroldzhüsen und sin gsell der Smit, bozwicht valscher.J) Haintz von Nürnberg, ein briukneht, ein dieb und ein zaubrer. Krüglin von Ingolstadt ein dieb. Liehtrock ein morder. Haintzlin Nobiser, ein diep. Diu Jung Wehetrickinn, ein bözswip.

i) Im Original ausgestrichen.

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It. Ein scholdrer uf einer krukken, ein böswiht. It. Uellin Morskopf, ein kürsner, ein boswiht. It. ChünzFülin von Ingolstat, ein sarwürk, ein ruffian und ein boeswiht. It. Lüglinin, chaufferinn, diu ein efferin ist und den lüten ir gut ab erefft und giht siu woll ins verchauffen. It. Anna Mürlin, der stat ein schedlich wip mit aller bozheit.*1) It. Der Eenner, der nü gevangen lag, ist ein diep lang ge­ wesen in diser stat.2) It. Der Snider mit dem krumen mul, der zotlot här hat, dirr stat ein schedlich man.J) It. Mye und ir man von Zell ein seckelsnider. It. Walther oblater uf dem Hohenweg ein schedlich man. It. Henslin des Brendlins bruder ein diep. It. Eis diu Boschinn ein diepin. It. Pfeffer, mangkneht. It. Langlampuel ein diep. It. E n g 1 i n, der karrenman waz, nü ein tagwerker, ist ein diep. It. Einer heizset Preller der Mogler und derTumming1) die der stat nit gut sint. It. Füllsach der weber der stat ein böser man mit verraten mit aller bozhait. It. Petrin diu kürsnerin von Aichach ein bözwip mit haller besniden. It. Kolb der flaischhekkel und der Oblater und allen, den diu stat ze Nürnberg verboten ist. It. Var Ullin der beghart ein effer. It. Ö11 i n, vischer, des Schappellers sün, der da gehaubtot wart.x) It. Kethrin Zetlenekkrin. It. Prenner briukneht ein boswiht.2) It. Auspurger der mürer, mit bösen, würfeln.1) It. Prehtel von München und ist aineugg ein bozwiht und ein gotswerer. It. Haintz der VolkWlnin kneht was, ein scholdrer. It. Heslin, der briukneht ein scholdrer, ein böswiht.1) i) Im Original ausgestrichen. 1) Wiederholt.

227 Verzeichntes der schädlichen Leute von 1379. Anno Lxxviiii. An dem afftermentag nach Galli haunt die burger, reich und arme gemeinlich mit clainem und grozzem rat den nachgeschribenen leuten umb ir bozheit und ungeratenheit die man von in west disiu stat verboten driu jare diu nehsten und drey meil hin dan, und wurden sie inder frist und weit er­ griffen, so soll man sie stellen on urteil in den branger und dann durch die zen brennen oder an die Stirn. Item. Gechtlin ein ruffianer, ein diep ’), fideiuss. Franck, metzger, burgerbader pro x 8>. It. Mertel, ein ruffian. It. Agnes der Seldnerin swester, ein bozzweip mit diupstal. It. Eli dez Wolgemutz brudertohter an dem Luterlech, ein rehtiu bozwichtin It. dieselb ein ufmacherin und aursverkaufferini) 2) It. dieselb Eil ein derstererin elichs und gaistlichs lebens 2) It. Eis die Hollin, etwenn ein kramerin, ein bozz weip und pozer denn bozz. It. G o t z bader vor Strevinger tor, ein vierharter und gewint ab den leuten mit falschen würffeln *), fideiuss. Zotman et balneator pro x & 4 It. Eil die Laufflin hat einen ufslacher, ein ruffianerin, ein Verräterin, ein erabschniderin und bozz weip. 0 fid. sin swiger Smit von Burgau, Nathan sutor pro x 15 ß 10 h 126 fl?

Summa summarum alles aus£ebens 284 S 2 ß 6 h Disen vncosten haben die zunftmaister nach vnd nach wider meines behalts aus der zunften gefallen anno 6, 7 vnd 48 4) bezalt etc.“ 1) nÄmlich von Waffen. 2) Dieser Satz stammt aus Fläschutz, s. a. a. O. 388. 3) Vor.aimer steht eine Abkürzung, die vielleicht in „Kemptner“ aufzu­ lösen ist. 4) 1546—48.

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306 Unmittelbar hinter diesem Satze beginnt Schwarz die Ge­ schichte des Mathias Waibel, Pfarrvicars ab der unmittelbar neben dem Stifte Kempten ausserhalb der Stadt gelegenen Kirche St. Lorenz. Wir sind über Waibels Antheil am Bauernkriege nur sehr unvollkommen unterrichtet: nur das wissen wir aus dem Zeugnisse des Fläschutz, des Schreibers des Truchsessen Georg von Wald­ burg, des bairischen Kanzlers Eck, dass derselbe gegen Keichung von Zinsen, Gilten und Zehenten gepredigt und dadurch mit den Aufstand im Kemptischen und im Allgäu angefacht, dass er namentlich einen Ausgleich der Kemptner Landschaft mit ihrem Für stabte an der Leubas im Februar 1525 hintertrieben hat. Selbst Schwarz, der in seiner Erzählung über Waibel denselben als Märtyrer des Evangeliums feiert, kann doch nicht umhin, wie wir soeben von ihm selbst vernahmen, zu gestehen, dass Waibels Predigt gegen die Härte und Pracht desClerus den Auf­ stand befördert habe. Wie einflussreich dieser redegewaltige Mann in der That weithin durch das Allgäu 1525 gewirkt haben mag, das können wir namentlich aus der Mittheilung der Werdensteiner Chronik ersehen, dass die Bauern von Eckarts bei Immenstadt von ihrem Pfarrer forderten, er solle ihnen so predigen, „wie man zue Kempten predige, und insunders, wie der auf dem berg.“ x) Nichts aber spricht so sehr für die aussergewöhnliche Geisteskraft, für den gewaltigen Einfluss Waibels auf die Allgäuer Bauern, als die Thatsache, dass das Volk ihn allein unter all den zahl­ reichen Führern und Häuptlingen des Aufstandes so lange Zeit, ja theilweise bis zur Stunde noch nicht vergessen hat. Schon bald nach seinem Tode tauchte ein Volkslied auf, das Waibel als Märtyrer seiner Ueberzeugung, seiner Volksliebe feierte, und das noch zu den Zeiten des Chronisten Schwarz ein Lieblings­ gesang des Volkes war. Dieses Lied wurde die Grundlage, auf die gestützt das Allgäuer Volk das Andenken Waibels, seines Helden, seines Märtyrers lebendig festhielt. Wie es aber allen 1) S. meine oberschwäbischen Bauernkriegequellen S. 377, 436, 533 und Jörg, Deutschland in der Revolutionsperiode 1522—26 S. 193. Unter den von der christlichen Vereinigung der Allgäuer, Bodenseer und Baltringer vorgeschlagenen Auslegern des „göttlichen Rechts“ finden wir auch den Prediger zu St. Mang in Kempten (Cornelius, Studien zur Gesch, des Bauernkriegs in den Schriften der k. bair. Akad. d. Wiss. III. CI. IX. Bd. I. Abthl. S. 165). Ich möchte hier einen Schreibfehler annehmen und für St. Mang „St. Lorenz“ lesen, denn dafür, dass ein Prediger zu St. Mang der Kemptner Stadtkirche besonders bauernfreundlich 1525 sich gehalten habe, findet sich nirgends ein Beleg..

307 acht volkstümlichen Personen, die unsterblich im Volke fortleben, ergeht, so ergieng es auch Waibel. Nicht seine concrete Persön­ lichkeit hielten seine Landsleute fest, diese wurde vielmehr von den veredelnden Gebilden der Sage umrankt und verhüllt. Die Volksüberlieferung bietet uns nicht jenen Waibel, wie er lebte und wirkte, sondern den poetisch verklärten Helden einer legenden­ haften Sage, das Ideal eines Volkspredigers, wie sich die Leute des 16. Jahrhunderts ein solches vorstellten. Sie kennt deshalb Waibel nicht mehr als entflammenden Volksaufwiegler, ihr ist derselbe nur noch der Priester, der, um seine Pflicht zu erfüllen, selbst vor dem sichern Tod nicht zurückscheut und für seine Feinde im Angesichte des Galgens noch zu beten weiss. Diese Volksüberlieferung und das vorerwähnte Lied über Waibel hat zuerst, und zwar nach seiner eigenen Angabe aus dem Munde „etlicher glaubwürdiger vnd Ehrenleüten, so noch bey leben vnd vil gemeynschaft mit jm gehabt haben“, der Memminger Ludwig Rabus, der hl. Schrift Doctor und Prediger der Kirche zu Strassburg, 1558 im 2ten Theile seiner „Historien der heyligen, ausserwölten Gotteszeugen“ Bl. 151—157 veröffent­ licht und damit Waibel der Welt bekannt gegeben. Schon 1563 diente der Bericht des Rabus seinerseits wieder als Quelle dem Basler Universitätsprofessor Heinrich Pantaleon in seiner Martyrum historia pag. 58. Noch mehr wurde der Bericht des Rabus verbreitet in dem 1597 in französischer Sprache erschienenen „grossen Martyrbuch und Kirchenhistorien“, die 1606 Dr. Paulus Crocius Cycnaeus, Diener am Worte Gottes zu Lasphe, in Hanau bei Wilhelm Antonius auch in deutscher Uebersetzung heraus­ gegeben hat.1)2 In Waibels Heimath, im Allgäu sodann wurde die'Erzählung des Rabus namentlich dadurch bekannt, dass Jacob Kesel in seinem kemptischen Denkmal 1727 (S. 39—43) und Jo­ hann Wilhelm Loy in seiner Geschichte der Reichsstadt Leutkirch 1786 (S. 170—172) wesentlich nach derselben das Leben Waibels beschrieben haben. *) Dagegen liegt die Erzählung des Rabus nicht dem Berichte der schwarzischen Chronik über Waibel zu Grunde, sondern jene, 1) Mir stand nur des Cycnaeus Uebersetzung, nicht das französische Ori­ ginal zu Gebote. Cycnaeus hat Waibels Biographie S. 189—190. 2) Auch die kurzen Angaben über Waibel in Goltwurms Kirchenkalender 1561, Hondorffs Calendarium 1573, in Crusius Annales suevici 1595 (pag. 595, in Mosers deutscher Uebersetzung 1733, II, 215), in Zedlers Universallexicon 1747, LIV, 60 führen auf Rabus als ihre Urquelle zurück.

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308 wie dieser sind selbständige Wiedergaben derselben Volksüberliefer­ ung, was daraus erhellt, das sowohl Rabus, als auch Schwarz ein­ zelne Züge in seiner Darstellung bietet, die dem andern fehlen. Im ganzen dürfte die Erzählung des Schwarz jene Ueberlieferung getreuer wiedergeben, als die des Rabus, der in seiner Mittheil­ ung stark moralisiert. Ich gebe deshalb im folgenden den Text der schwarzischen Chronik und theile in den Noten, um die Volksüberlieferung über Mathias Waibel vollinhaltlich zu bieten, diejenigen Stellen des Rabus mit, in denen derselbe selbständige, nur bei ihm erhaltene Nachrichten bringt. Zugleich mache ich auch auf jene Stellen des Schwarz aufmerksam, welche sich nur bei diesem vorfinden. Rabus und Schwarz reihen an ihre Erzählung das mehrge­ nannte Volkslied über Waibels Gefangenschaft und Tod an. Ich theile hier dasselbe, das ja einen wesentlichen Theil der Ueber­ lieferung ausmacht, ebenfalls, aber nach d6m Texte des Rabus mit, weil derselbe besser ist, als der der schwarzischen Chronik, die vielfach ihre Vorlage sozusagen modernisirt und manche Stelle missverstanden hat. In den Anmerkungen sind jedoch die be­ deutendem Abweichungen derselben verzeichnet. Eine Wieder­ gabe dieses Liedes scheint auch deshalb angezeigt, weil dasselbe in Lilien! rons historischen Volksliedern der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhunderte fehlt, und weil dasselbe den Lesern unserer Zeitschrift, denen doch das Werk des Rabus kaum zugänglich sein wird, besser als eine lange Erörterung die Art und den Werth des Meistergesangs nahe bringen dürfte. Der Bericht der schwarzischen Chronik über Mathias Waibel lautet also: [90] „Wie aber kein freud on laid und nichts bestendiges in diser weit, also gieng es auch zu Kempten diser zeit, dann jedermann hats freud, das man von dem abbt ledig kauft worden. Hegegen vberfiel die ganze statt ein grosse trüebsal, denn als der schwäbisch bund domalen zwischen den Widertäufern und recht euangelischen lehrern ein schlechten vnderschid gehabt, für andern aber herr Mathias Waibel, pfarherr1) bey St. Lorenzen hinder dem Berg, vbel angeben worden, alss ob er an der aufruer nit wenig schuld hette, derowegen er gefencklich angenommen vnd volgends vnschuldig hingericht vnd gemartert worden. 1) Waibel wird bald Pfarrer, baldVicar, bald Prediger genannt; in Wahr­ heit war er Pfarrvicar zu St. Lorenz, einer dem Stifte Kempten incorporirten Pfarrkirche.

309 Von seinem leben vnd tod hat man soviel bericht, das ehrngedachter herr Waibel von baursleuten zu Martinszell*) geborn vnd von seinem vatter Hans Waibel in vnser statt Kempten zu einem burger 2 jahr in die cost verdinget vnd in des Stifts schuel gangen, in wellicher er in kurzer zeit sovil gefasst vnd von sich scheinen lassen, das in der abbt selbs in sein vnderhaltung genomen, darnach mit etlichen jungen von der schuel, die des Stands waren, das sy künftig conuentualen mochten werden, als ain paedagog nach Wien auf die hoche schuel verschickt.18) 2 *Nach **** seiner widerkunft ist er zu aim pfarrer bey -St. Lorenzen auf dem Berg beruofen, wellichem pfarrdienst er mit sonderm ernst in die 6 jahr lang vorgestanden, hat mehr auf nutze predigen, dan mess halten, was ihm zue opfer gefallen, den armen austheilt vnd endlichen des messhaltens sich gar geeussert nach laut der seligmachenden euangelischen lehr, das Vergebung der Sünden vnd die ewige Seligkeit ohn verdienst durch den glauben an den eingebornen sohn gottes Jesum Christum, der durch sein bluot solliches erworben, aus gnaden erlangt, empfangen werde, aus welchem wahrem glauben rechtschaffene, lebendige frucht vnd werck der liebe gegen gott vnd dem menschen' herfliesse, die leut starck vor aufrur vnd entpörung gewarnet vnd getroet, gott werde den vngehorsamb selbs grimig strafen, sie die vnderthonen werden der hl. euangelischen lehr ein hindernus [91] machen vnd ein Schandfleck anhencken, dann dieselb jederman das seinig zu geben bevilcht. Er hat ihme darneben selbs propheceit, er wurde vber seinem ambt vnd dienst etwas gewalthätlichs leiden müssen, man soll sich nun daran nit ergern, denn also sey es ergangen den Propheten vnd aposteln. Neben disem allem ist vormaln in diser chronik vermeldet, wie man bey St. Maria capel auf der Schwaickwiss järlich den 1) An der Iller, zwei Stunden südlich von Kempten. 2) Rabus hat hier noch weiter: „Daseihst ist er im studieren gantz fleyssig vnd ernstlich fürgefaren vnd eins züchtigen, erbaren lebens vnd wandeis für und für geblyben, wie dann von solchem vil frommer gottesgelehrter letit, so zum theyl noch bey leben seind, warhaftig zeügnuss geben. Nachdem er nun aber von der hohenschul widerumb anheymisch kommen8, hat jm der apt die schul desselbigen orts vertrauwet vnd erstlich zu einem schulmayster gemacht, bald aber nach solchem jn zu einem priester, (wie zur selbigen zeyt der brauch gewesen) weyhen lassen vnd jm als einem verstsendigen gottseeligen mann die seelsorg sampt dem predigampt, vnd nemlich ein sondere pfarr (genannt die pfarr auf dem Berg, welche kirchen ausserhalb der statt Kempten zunechst am kloster vnder des apts herrsch aft gelegen ist) befolhen,

310 vermainten grossen ablass verlesen,l) dahin dan die lent aus der landschaft sich vnder die Linden versandet vnd den ablass geholet, vnder wellichen aber allerley sünd vnd schand fürgeloffen.2)* Disen ablass hat der pfarrer nit billiehen wöllen, sich starck darwider gelegt vnd allein vff Christi verdienst gewisen. Das hat die geistlicheit nit wöllen zum besten verstehen, als ob er dardurch die bäpstlich hailigkeit verachtet, dem stift sein ausehen vnd würde geschmelert. In summa er wurd für den gehalten, daz er dem stift schedlich vnd vnleidenlich. Darzue kam auch des abbts zu Praitenstains) sein erste mess, [die er] in anwesen viler von adl vnd anderer benachbarten gaistlich gesungen hat. Da predigt herr Waibel vnd strafet der gast­ lichen pracht vnd vbermuet mit sollichem ernst, das ihne des abbts brueder erstochen hette,4) wo der burgermaister vnd stattschreiber von Kempten solliches nit vnderkommen hetten. Conrad Gailin, lateinischer dbhuelmaister, hat ihn mit sich, kairnb genommen vnd nit allein dieselbe, sonder andere nächt beherbergt, da er sich daussen in seiner behaussung nit sicher sein befände. Ob wohl viel im stift gewinscht hetten, der Waibel hin (sic) jedoch derften sie selbs wegen der burgerschaft vnd gemaind nit hand anlegen. So war der guet pfarrer auch gewarnet, sich in kain gefahr zue geben, vnd viel hierinnen bey M. Paul Hölin, prediger [zu] St. Mangen stift [zu] Kempten,5) derowegen erdacht der abbt ein lüst, verklagt ihn bey des punds obersten, herren Georgen truchsessen. Nun warn dozumol von den gemainen pundsorten in Schwaben zu hauptleuten bestelt herr Wernacher6) Völcker zu Preiberg vnd Diepold von Stain, die hatten 200 pferd, die sollen allent­ halben straifen vnd an gewisse ort etlich pferd in die statt legen, 1) Rabus gibt auch an, es sei dies am Herrentag, d. h. am Tage der Stiftspatronen Gordian und Epimacbus geschehen, an dem man das Heilthum aus dem Kloster auf die Schwaigwiese getragen habe,*' eine Angabe, die Schwarz hier tibergehen konnte, weil er auf Bl. 59 von diesem Herrentag und Ablass gesprochen hat. 2) Dahin — ftirgeloffen] fehlt bei Rabus. B) Sebastian von Breitenstein Ftirstabt von 1523 — 1535, aus einer ober­ pfälzischen Geschichte stammend. 4) Von da an hat Rdbus das von Schwarz erzählte nicht mehr. 5) Man beachte, dass hier der wichtige Umstand verschwiegen wird, dass Waibel nach und in Folge des Bauernkriegs sich also in die Stadt Kempten zurtickziehen musste 1 6) L. Wernher.

311 aufruer zu verhtieten ynd . . . *) vnd Kisslegk, souil her Vlrich von Schellenberg*) zustendig gewesen, in namen des punds einnam vnd die arme leut inen schweren lassen, biss er sich mit dem pund vertrag. Sy hetten auch bevelch, auf die Widertaufer [92] vnd andere des punds feind zu straifen vnd dieselbe [an] dem pund zustendige Örter gefencklich zu führen vnd mit rat Hansen Freiburger, burgermaister zu Vberlingen, zu strafen. Als nun von sollichen des punds reitern vil zu Leukirch *) lagen, sein in 12 pferd mitsambt dem profosen Aychelin genant (J. Hans von Werdenstain14)*2bericht 3 mich, das diser Aichelin der letste wisende sey gewest von dem westphalischen gericht, ein reiter von Pregentz) ausgeritten vnd den 26. [August] im stift Kempten ankommen. Weilen6) aber der pfarrer hinnen in der statt in pfarhof kommen, sie seiner nit mechtig werden, stiften den messmer hinder dem Berg an, der pfarrer soll eilents hinaus, ein kind taufen, darnach die predigt verrichten. Das war ime von Predigern vnd schuelmaister in der statt vast widerraten, saget er doch, dieweil das sein beruef sey, er wolle das verrichten vnd gewarten, was im gott darüber zu leiden zuschickt. Als er nun hinaus kommen fürs closter, begegnet ihm ein caplan, her Au­ gustin, vnd vermanet ihn, er solte nit predigen, denn er verstund wol soviel, das die Sachen nit recht stunden.6) Darauf wolt er in sein haus gehen, da wirt er bey dem garten angefallen, im grim ze fachen (sic), da er sich doch nichts gewehrt vnd willig in die band vnd hend der bluetdurstigen ergeben hat etc.7) Was sich nun weiter verloffen, ist aus hie beigefuegtem lied abzuenemmen, welliches zwar die pfaffen nicht zum liebsten sin­ gen hören. 1) Leerer Raum für etwa zwei Wörter. 2) Bekannter Landknechtsführer. In Kislegg, wirt. O.-A. Wangen, ist noch sein Grabstein vorhanden. Welche Späne derselbe mit dem schwäbischen Bunde 1525 hatte, vermag ich nicht zu sagen. 3) Ehemalige Reichsstadt im wirt. Allgäu. 4) Wohl Hans Jacob von der Ebersbacher Linie dieser Familie, s. Haggen­ müller II, 113. 6) Das Folgende gibt Rabus ebenfalls wieder. 6) Als — stunden] fehlt bei Rabus. 7) Hier setzt Rabus noch bei: „Auch in solchem einen stich entpfangen vnd verwundet worden, also daz man sein mutter, so zur selben zeyt noch bey leben wäre, geentzlich beredt, sie auch anderst nicht geglaubt hat, dann er seye am selbigen stich gestorben.a

312 Ain lied *) von der lehre, leben, geiäncknuss und tod des theuren martyrers Mathie Weybels. Zu singen in des Benzenauwers weyse.12) 1. 4. Die warheyt thut mich zwingen Das wort gottes thet erschallen Auss meines hertzen grund, Auss dises hirten mund, Das ich ein lied muss singen, Biss er von Schafen allen Dardurch ich euch thu kund, Verstanden ward im grund. Wie es kürtzlich ist ergangen,3) Da fiengen sich an zu mehren Dauon ich sing vnd sag. Die schaf all augenblick, Ein hirt ward schnell gefangen, Allein ’s wort gottes6) zu hören, Die schaf haben grosse clag. Auss lauter gnad vnd glück. 2. 5. Den hirten thu ich nennen, Darwider theten sprechen Herr Matheis Weybel gut. Die wölf im schafeskleyd: Welcher sich sein thut4)5schemmen „Wir wölln vns an ihm recheu, Der hat kein christenblut. Es muss* im werden leyd, Sein schäflin hat er triben Er thut vns gar verführen Auf d’weyd zu guter frucht. Daz volck mit ketzerey,7) Beym wort gotts ist er blyben Das könden wir probieren In gottes ehr vnd zucht. Mit vnser fantasey. 3. 6. Wann ihr mich recht verhörten, Er ist ein seelenmörder, Was ich euch singen wett,6) Kein gut werck will er thon, Zue Kempten vor der porten So doch all vnser vordem Hat er sein schafstal gehept, Derselben vil hand thon, Darein hat er gezogen Es seind fromm leut gewesen, Die schaf mit warer stimm. Ihr glaub dunckt vns noch gut, Sein lehr hat niemands trogen, Wir hands im seelbuch glesen, Das zeugt die geschrift von im. Das er verwerfen thut.“ 1) Rabus bemerkt von demselben: „Vnd were gut, das man dise vnd der­ gleichen lieder mehr der jugent eynbildete, damit sie nicht allein mit Worten, sondern auch mit solchen herrlichen, augenscheynlichen christlichen exempelen zur gottseeligkeyt angereytzt vnd getriben wurden , darneben aber der anderen schändlichen, üppigen weltlicdern, die zu aller vnzucht dienen, müssig stunden. 2) Diese Weise findet sich im Liede über den Kufsteiner Hauptmann Benzenauer 1:04, woher der Name, s. Lilienkron, die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert II, 562. Die schöne Melodie desselben s. ebenda, Nachtrag Nr. XHI, S. 35. 3) Schwarz : es ist kurtz. 4) Schwarz: sich ein theils. 5) Rabus und Schwarz: wölt (oder wett). 6) Schwarz: allein gottswort. 7) Die letzten Verse lauten bei Schwarz: Er thuet das volck verführen —

Mit seiner ketxerei.

313 7. Ye mehr sichs wort thet mehren Ye grösser war der neyd, Sie klagtens fürsten vnd herren Ob jemands wer so gscheyd, Der in ein rat möcht gehen, Wie sie das gryffen an, Ihn z’bringen vmb sein leben Still vor dem gmeynen mann.

11. Der gut herr kam getretten Gar frü zur statt hinauss, Im geyst da thet er betten, Wolt gehn vor in sein hanss, Darinn wolt er sich rüsten Zur kirchen, predig z’thon. Mercken, ir frommen Christen, Wie brachtens in dar von!

8. 12. Ein wolf darf ich nit nennen, Sie theten ihn anfallen Der tregt ein gugel1) an, Mit ihren Waffen gross, Er meynt nit, das man kenne, Ihr freud thet sehr erschallen, Das er sey diser mann, Bis er sein blüt vergoss. Der ’s wort gottes wölt vertreyben, „Thun gemach, ihr lieben herren“, Sprach er mit gantzer begir, Des will er han kein wort, Durch liegen vnd durch schreyben „Euwer gefangner bin ich gerne, Hat er gestift das mort. Der will gotts gschech an mir!“ 9. Durch sollich falsch fürgeben Ward angeschlagen gut, Sölten stelln nach seim leben. Doch das in stiller hüt, Ynd solten in aufzwicken, Wie es in füglich wer, Wie sie köndten gschicken, Als gschech es ongefär.

13. Zu ross ward er gebunden, Vnd fürten in dar von, Ein rat hands kaum erfunden, Wa sie in hin wolten thün, Sie mussten mit im eylen, Biss sie sein wurden satt, Fürwar drey grosser meylen Gen Lewkirch in die statt.

10. 14. Die kundschaft ward beschlossen Da must er sein gefangen Auf einen sonntag frü Biss an den zwölften tag, Kein recht mocht er erlangen, Zu fuss vnd auch zu rossen, Das doch eim mörder pflag. Das man doch sorget nye, Doch thet er gar männlichen Sie theten auf in warten, Wann er kem predig thon, Das wort verkünden thon, Zu strass vnd in seim2)3 garten Sein glaub blib onuerblichen Ward er verfüret8) schon., In gott durch seinen son. 1) Schwarz: kutten. Gugel von cuculla, Kaputze. 2) Schwarz: sein. 3) Schwarz: verhuetet.

314 15. 19. Darbey ichs jetzt lass bleyben, Der abt sprach bald mit wüten: Ihr lieben brüder mein. „Ihr solt mich recht verstohn, Dazgschrey kam mann vndweybenDarfür soll mich gott bhüten, Gar bald gehn Kempten ein, Solt ich in selbers hon Der pfarrherr wer gefangen, Vor offnem bund verklagt, Darzü hinweg gefürt. Solt für ihn bitten thün, Also ist es ergangen, Wa daz würt von mir gsaget, Wie man noch hören wört. Muss ich mich schämen thün.“ 16. 20. Daz thet die gmeynd verdriessen, Darbey müsst man’s Ion bleyben, Sie wolten im nach sein, Verdross die gemeynd noch sehr, Die porten müsst man bschliessen, Vnd wa man hin thet schreyben, Verbotts bey grosser pein: Da half kein bitten mehr, Nyemand solt im nachwandlen, Dan das man gott thet bitten, Wer es nit wider in, Man hett von nyemant gleyt, „Wir wöllen weisslich handlen, Er wolt sie3) selb entschütten Als euwer oberkeyt.“ Vnd in vns4)5 wider gehn.6) 21. 17. Lewkirch thet auch das beste Ein rat thet sich nit säumen Mit bitt. Nün mercken daz! Dem apt von Kempten zü: „Herr, wir thünd zü euch kommen, Sie sprachen: „Edler, vester!“ Zü dem, der hauptmann waz, Vns steht zü gross vnrüw, „Ihr wölt vns gen6) den gfangnen, Das man vns ist entwychen Mit vnserm pfarrherrn fromb, Daz bitt euch manigfalt, Ein rat lasst euch vast pitten, Rat, gmeynd hat gross verlangen Nach christenlicher gstalt.“ Ihr helft vns wider drumb 22. 18. Der hauptmann sprach: „Ir herren, Vnd wöllen für in schreiben, Der gwalt der ist nit mein, Den bund auch bitten thon, Das man in vns1) lass bleyben, Ich wolt euch gern geweren, Wölln wirs2) verdienen schon Meinthalben möcht es wol sein, Ich wolt in aber schicken Gehn euwer gnad mit willen, Wa daz jetzt möcht gesein, Herr Jergen truchsäss zü, Da mag sich wohl gelücken Auf das wir möchten gstillen Die gmeyn vor straf vnd pein.“ Sein sach zü güter rüw.“ 1) 2) 8) 4) 5)

Vns fehlt Schwarz. Schwarz: wir wöllens. Schwarz: ihn. Rabus und Schwarz: vnd. Schwarz: geben.

315 23. 27. Sie freuwten sich gar sehr Der pfarrherr sprach mit züchten: Vnd sagten in die mer, „Man gab mir zu verstohn, Sie lobten gott den herren, Man wolt mich noch nit richten, Sie meinten all, es wer Wolt mich versprechen Ion, Der sach also gewesen, Mag es anderst nicht werden, Wie er in zu hat gsagt, So fart mit mir daruon, Sie meynten, er wer gnesen Ir nempt mir nur den cörper, Ynd wurd nit mehr verjagt. Der seel köndt ir nichts thon.“ 24. 28. Der hauptmann thet sich rüsten, Eh sie die strass verliessen, Sass auf vnd ritt daruon, Begegnen in zühand Mit sein verborgenen listen Zween mönch, die auf sie stiessen, Ward man betrogen schon. Sie triben spott vnd schand Darnach in zweyen stunden Dem pfarrherr vnder äugen: Sass auf der pfarrherr gut, „Ist das der heilig mann, Aufs ross ward er gebunden, Daz müssen wir warlich fragen, Wie man den gfangnen thut. Der so wol predigen kan?“ 25. 29. Sie theten mit im reyten Noch mit vil bösen Worten Die strass auf WaltzenJ) dar. Waren sie nit vast klüg, Sie möchten kaum erbeyten,s) Ich wolt nicht, das mans hörte, Biss sie fürs thor allgar Es wurd nit sein ihr fug. Ein kleinen weg seind kommen, Den spott, den sie hand triben Der frid der hett ein end, Vor Lewkirch auf der Heyd, Die bottschaft sie vernommen13),2 Mancher hats aufgeschryben Eylten mit im behend. Den landsfrid4) zum bescheyd. 26. 30. Der profoäs thet herreyten Der pfarrherr thet ansehen Selbzwölft in solchem scheyn Die mönch mit ihrem spott. Dem pfarrherr z’beyden seyten, Er sprach: „Pfaff, schick dich Nun hört, was thet er jehen.5) Er schauwet auf zu gott: dreyn, „0 gott, du thüst erkennen Du musst dein leben lassen Die hertzen alle gar.“ In dieser stund!“ sobald Also must er von dennen Sie ritten ab der Strassen Mit seiner hencker schar. Gehn einem grünen wald. 1) 2) 3) 4) 5)

Wirt Oberamtsstadt Waldsee. d. h. erwarten. Schwarz: falsch kundschaft sich vernamend. Schwarz sinnlos: lentzkrieg. Jehen = sagen, der Stamm ist erhalten in Beicht, Urgicht, ja«

316 34. 31. Er opfert gott sein leben Sie theten fürbass toben Vnd auch die grosse schand, Mit irem neyd vnd spott. Er thet ihn all vergeben, Gar schon thet er da loben Die im vnrecht thon hand, Mit psalmen !) seinen gott. „Gott vatter“, thet er sprechen, Da sie kamen zfim walde, „Mein geyst befilch ich dir, Da es in füglich was, Mein tod wöllst, herr, nit rechen, Sie banden in auf balde. Bit ich dich mit begir.“ Nun merckend mich fürbass! 35. 32. Also hat sich geendet Sie zeygten ihm den aste, Das christlich leben sein, Daran er hangen must, Der profoss thet sich wenden Er lobet gott so faste, Sein creutz er freündlich grüst, Zu andern orten eyn, Er sprach : „Du heyligs leyden, Da er hat lassen laufen Des Barrabams geschlecht, Ich bin nit würdig dein, Die Christen thut er strafen D’welt will ich gern meyden, Vnd will sein haben recht. Herr, vmb den namen dein.“ 36. 33. Den strick den thet er küssen, Also ist es ergangen, Noch solt ihr mercken mehe:4) Den man im strayft an hals. Manchem ist es wol z’wissen,12)3 Am sonntag ward er gfangen Nechst nach sant Barthlome,5) Der das hat gsehen als, Doch thund sie ihm verjehen8), An Vnser frauwen abend6) Marie der gebürt Mit warheit all behend, Ward er seins lebens braubet, Keiner hab nye gesehen Am strick ward er ermürt. Kein christenlichers end. 37. Im tausend vnd fünfhundert Fünf vnd zwentzigsten jar Da hat ihn gott besunder Beruft für andre dar.7) Also ist es beschlossen Mit disem heylgen mann. Seiner lehr hat mancher gnossen, Der’s wort hat gnomen an. 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

Schwarz: psalmensingen. Schwarz: wohl wissent. bekennen. schwäbisch == mehr, 27. August 1525. 7. September. Schwarz: für andern zwar.

317 [96] Als er 3 tag gehangen, hat sich ain burger von Kemp­ ten haimlich aufgemacht vnd ihme nachsehen wollen, ist er so nider gehangen, das er ihme die maden an den henden, so zwi­ schen den stricken vmbkrochen, abgelösten (sic), ist gar schön in seinem krauss vnd schoberten *) haar da gehangen. Der vogt zu Zeil Martin Fürstheuser a) erlaubet zwaien bür­ gern von Leukirch, das sy sein leichnam in die veldcapel bey St. Wolfgang,8) auf der Haiden14) 2 genant, 3 begraben. Dahin machten die leut ein walfart, trugen die erd hinwegk, gaben für, wie ihre krancken daruon hail wurden, etliche legten sich da nider, das man endlich die capel versperren vnd den boden pfla­ stern muest, dann die leut hetten gewisslich die gebein für hailtumb ausgraben. Die buchen sambt dem ast, daran er gehangen, soll auf disen tag noch stehen, vnd der ast noch gruenen. Yolgendts jahr ist Hans Meusserle zu Leukirch mit andern priestern gen Reichenhouen zu einer besingnus gangen, vnd als sy am herwidergehen an die stell kommen, da herr Waibel ge­ martert worden, ist er seiner zured worden vnd gesagt, wann des Waibels lehr gerecht sei gewesen, so wöll gott, das er des gehen tod sterbe, darauf er vber 3 oder 4 schritt nit gangen, da ist er zu boden gefallen, kain wort geredt vnd kain ader mehr geriert. Darauf der vnselig cörper vm 4 vhr abends auf ainem karren in die statt gebracht vnd in die kirchen begraben worden.“ Am Rande hat hier der Copist gleichzeitig mit dieser vor­ stehenden Erzählung bemerkt: „NB. Heur wider durch 2 tagwercker ausgraben vnd bei der buchen eingelegt, da er gemartert worden, all haar, flaisch, haupt vnd gantz schedel (sic). Ein bader von Richenbach schiegt ihm ein schinbein ab, ein ritterliche that!“ Es geschah dies im Herbste 1610, als St. Wolfgangs Kapelle erweitert wurde, und der Constanzer Weihbischof den Neubau nicht einweihen wollte, es seien dem zuvor Waibels Gebeine aus demselben entfernt. Diese That rief sofort ein neues Meister­ sängerlied zu Kempten ins Leben, das auch durch den Druck verbreitet wurde. Ich glaube hier dasselbe ebenfalls mittheilen 1) Von Schober = Haufen, schobert also = gehäuft, dicht. 2) In meinen Akten zur Gesch. des Bauernkriegs aus Oberschwaben S. 260 wird derselbe Vorstenhewsler genannt. 3) Steht noch bei Reichenhofen, wirt. O.-A. Leutkirch. 4) So heisst der schöne, fruchtbare Thalkessel um Leutkirch.

318 zu sollen, weil es einmal bezeugt, dass noch 1610 zu Kempten eine Meistersängerschule bestand und weil es deren Erzeugnisse würdigen lehrt, sodann aber weil dasselbe in lehrreicher Weise zeigt, wie in so kurzer Zeit die Sagenbildung über Waibel sich üppig entfaltete, ein Umstand, der für die Würdigung von Volks­ überlieferungen überhaupt von Gewicht sein dürfte. Dieses neue Lied, ebenfalls noch in der beliebten Benzenauer Weise gedichtet, lautet also:1) 4. 1. Von mitternacht her flöge Denn da man fünfzehnhundert Ein schwan mit seinem gsang, Und fünf und zwantzig zehlt, Der durch Europam zöge, Hat der teufel ermuntert Erlösete aus zwang, Und ihm zu dienst bestellt Die in finsterniss sassen, Ein rott, die hielt beysammen, Zündt an das helle licht, Zu Kempten vor der stadt, Den Antichrist ohn massen Ein prediger gefangen nahmen. Er gar zu boden rieht. Wie er geheissen hat, 2. 5. Als zu denselben Zeiten Will ich euch machen künde: Das evangelium Mathias Weibel frumb, Sich gar weit thät ausbreiten Der hat aus seinem munde In Teutschland um und um, Das evangelium Da ward zu boden fallen Kein unverfälscht gelehret Das antichristisch reich, Zu trutz dem Antichrist, Des pabsts ablass und bullen Viel volck dazu bekehret, Wurden zerstört dessgleich. Hört, wie es gangen ist! 3. 6. Der teufel und sein rotte Gefangen sie ihn führten Wüteten gar sehr, Gen Leutkirch in die stadt, Damit er brächt in nothe Dahin thet bald entbieten Die evangelisch lehr. Von Kempten gmein und rath, Die ihr thäten anhangen, Ihren pfarrer loss zu geben, Die fürbitt war nicht klein. Wurden schrecklich ermördt Mit feur, Schwerter und stang' Der hauptmann antwortt eben, Und mit viel plagen hart. Seinthalb möcht es wohl seyn.

1) Einen erhaltenen Einzelndruck desselben von 1610 kenne ich nicht; ich gebe dasselbe daher nach dem Abdrucke in der fortgesetzten Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, zweiter Beitrag 1728, S. 206—214, eine Zeitschrift, die nicht vielen unserer Vereinsgenossen zugänglich sein dtjjfte.

319 7. Zum niedergang mit wunder, Mit freuden thät man hoffen, Darnach es sich begab, Er solt erledigt seyn. Dass fromme leut besonder Doch ward die sach bald offen, Ihm macheten ein grab Denn sie mit falschem schein 12. Den pfarrer brachten dannen In ein kleine capellen, Ein halb meil von der stadt, Liegt auf Leutkircher Heid, Allda der fromme manne Mit rath thät man bestellen, Sein end genommen hat. Dass er wird drein geleit. 8. Allda istv er gelegen Ward gehenkt an ein buch schöne Gleich 85 jahr. Die steht noch zu der zeit, Also führt gott allwegen Bleibt auch durchs gantz jar griine, Seine heiligen wunderbar. Am weg nach Walzen1) leit, 13. Da denn halten ihr wesen Unter der zeit ist kommen An dieser schönen gräntz Gar mancher Wandersmann Von Walpurg die truchsessen Zum grab, haben genommen Lang hier ihr residenz. Erden, in die schuh gethan, 9. Vor müde sich zu wehren. Und weil er ist gehangen Das grab wurd oft gar leer, An dieses baumes ast, Die erd holt man von ferren Ward sein angsicht umfangen Zu Schäden und geschwär, Mit einem rothen glast. 14. Drey tag nach seinem tode Die es von grund aus heilet, Gieng fürüber ein mann Man wundert sich darob. Sah, wie er war so rothe, Ein messpfaff hinzu eilet, Hatt gross verwundern dran, Thät zum spott auf das grab 10. Und nahm ein hand voll erden, Nahm ein messer behende Sprach: „Kanst vertreiben du Und schnitt ein wündelein So vielerley beschwerden, In des heiligen hände, Heil mir das loch auch zu!“ An das klein flngerlein. 15. Da floss mit grossen häufen Gott lässt seiner nicht spotten, Heraus sein werthes blut, Das erfuhr dieser pfaff, Das noch zetter und Waffen Dann über ihn mit nothen Im himmel schreyen thut. Bald kam die göttlich straf, 11. Sechs tag ist er gehangen, Das loch heilt ihm behende, Alle tag sich wenden thät Da er mit schmertz und pein Gegen der sonnen aufgange Nahm ein erschrecklich ende, Und denn zu abend spät Gott gnad der seelen sein! 1) Waldsee.

320 Da er sein leib und leben 16. Die capell musst man beschlossen, Christo aufgeopfert hat. Erbaut sie mit der zeit, Das müssen zeugniss geben, Und zu S. Wolfgang hiessen, Die ihn haben ermordt, Dahin liefen viel leut 21. Wallfarten. An dem orte Dass sie nicht haben gesehen Geschah des Wunders viel, So ein christliches end. Also der teufel forte Also thut auch verjehen Vertreib sein affenspiel. Der hauptmann und sein gsind 17. Christo ans creutzes stammen, Als man zehlt 1600 Dass er war gottes sohn, Und darzu 10 jahr, Die gross wunder vernahmen Kam ein weihbischof gsundert Am himmel, sonn und mon. Zu dieser capell dar, 22. Wolt die segnen und weihen Weil er sein leib und leben Auf antichristisch art. Von tfegen reiner lehr „Ach, herr, thut mir verzeihen“, So willig hat aufgeben Sprach einer zu der fahrt, Zu gottes preiss und ehr, 18. „Es wird kein form nicht haben, Wird er billig gezehlet Unter die märtyrer frumb, Weil in dieser capell Weil er ihm hat erwehlet Ein ketzer liegt begraben.“ Den tod mit freud und ruhmb. Auf des bischofs befehl 23. Sucht man, fand nicht ohn schreWie es aber ist gangen Des heiligen gebein. [cken Denen, so zu dem mord Hans Graf von Reichenhofen Geholfen mit verlangen, Wolt da der fürnehmst seyn, Zu hindern gottes wort, 19. Nahm ein bein, sprach mit spotte: Will ich kürtzlich erzehlen: Ihr waren zwölf an der zahl, „Radbrechen will ich ihn“, Die man darzu thät wehlen, Er kam in grosse nothe, Doch ihnen zu Unfall. Gott beraubt ihn seiner sinn. 24. Ein alt fischreis sie nahmen, Den abtx) so gar vermessen, Das war die todtenbaar, Der schuldigst an dem mord, Und die beiner zusammen Haben die läuss gefressen, Stiessen die henckerschaar. Er mocht an keinem ort 20. Der gottesstraf entrinnen Mit viel spöttischen Worten Trugen sie ihn davon Frey und bekennen thät, Über die heiden forte Er wurd wahrhaftig innen, Biss zu dem bäume schon, Dass ers verdienet hätt 1) Sebastian von Breiten stein.

321 •29. 25. Ab dem greulichen tode, An diesem frummen manne, Ins kloster führten ihn Wollt doch bekennen nicht, Mit klag und grosser nothe. Dass sein lehr wär vorane Die stadt danckt gott hierin, Auf gottes wort gericht. Mit ach und grossen schmertzen Dass er also thät rächen Des frommen Weibels tod. Gab er auf seinen geist Manchs frommes hertz thät Mit einen gesunden hertzen, sprechen: Wie jederman wol weist. „Dein gericht seyn recht, o gott!“ 26. 30. Dem landvogt1) wurd auch eben Gen Leutkirch in die stadte Für sein profosenamt Giengen etlich pfaffen auch Der rechte lohn gegeben, Ab einer kirchweih spate. Weil er so gar verdammt Einer, Hans Mauserlin sprach: Die evangelisch lehre, „Wenn dann des Weibels lehre Auch all, die sich darzu Recht ist, so gebe gott, In der gottesfurcht bekehren. Dass ich nicht weiter kehre Nun höret wunder zu! Und sterb den jähen tod!“ 27. 31. Er ritt heim durch die Strassen, Die red er kaum thät enden, Wie man nach Sultzberg2) geht, Giengen 2 oder 3 schritt, Da dünckt ihn allermassen, Erzeiget gott behende Wie man ihm pfeifen thät. Sein gross allmacht hiemit, Zurück wollt er sich wenden, Fiel er vor dem Heidschachen3) Das wehrt ihm dar ein knecht, Und gab kein Zeichen mehr, Er wolt nicht weiter landen, Man thäts bald kündbar machen, Biss ers erführe recht, Der vicari gestorben wär. 28. 32. Zuhand thät man verschaffen Und thät eilends umkehren Ein ross, und kamen gschwind, Wider in die strass hinein, Fand da nach seinem begehren Zu holen diesen pfaffen. Da lief zu viel gesind, Den, der begehret sein. Gott weiss sein schrecklich ende, Zu sehen dieses wunder, Das gott gewircket hat. Denn er gar jämmerlich Sprachen: „Das ist besonder Zurissen wurd behende. Ein grosse wunderthat.“ Die knecht entsetzten sich 1) 1526 war Landvogt des Stifts Kempten der Ritter Moriz von Altmannshofen. 2) Südlich von Kempten. 3) So hiess der zwischen Leutkirch und Reichenhofen gelegene Wald, in dem Waibel gehenkt wurde. Derselbe wurde um 1850 in Feld verwandelt.

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322 36. 33. Also hat gott der herre Den andern wurd auch eben Bewiesen seine macht Ihr wol verdienter lohn, An denen, die sein ehre Denn sie ihr leib und leben Und wort haben veracht, Schändlich verloren han, Darzu bracht sie der teufel, Auch all ihre nachkommen Doch welche reu und leid Haben kein glück noch heil, Kommt ihn noch nicht zu fromme i, Hatten, hab ich kein zweifei Wie ich selbst kenn ein theil. An ihrer Seligkeit. 37. 34. Aus lauter gottes gnaden Der hencker ist ersoffen Kempten, die werthe stadt, In einem bächlein klein. Zum reich gottes ward geladen Ein andern sonst hat troffen Und angefangen hat Unmenschlich grosse pein, Die lehr zu reformiren Einer zu tod gefallen, Von der abgötterey, Und das in kurtzer frist, Daraus uns thäte führen Ja keiner aus ihn allen Matthias Weibel frey. Natürlich gestorben ist. 38. 35. O gott, thu uns erhalten Etlich an ihrem ende Bey deinem heiligen wort Vor gott und menschen frey Lass uns davon nicht spalten Mit aufgehabnen händen Des teufels trug und mord, Erkannten ihr untreu, Sprachen: „Die pein und quäle, Thu uns dein rechte lehren, Dass wir dich preisen thun, Die wir jetzt leiden thun, Im heiligen geist lehren Haben wir verdient zumale Durch Christum deinen sohn! An diesen frommen mann.“ 39. Hiemit thu ich beschliessen Diese warhaft geschieht, Die ich ohn alles verdrüssen Mit fleiss hab zugericht’ Gott dem herren zu ehren Und seinem sohn Jesu Christ, Auf frommer leut begehren In den druck geben ist. Kehren wir zu der schwarzischen Chronik zurück! Dieselbe hat ihrer Darstellung der Ereignisse im Jahre 1525 als Anhang eine Liste von Haushaltungen im Allgäu beigefügt, welche nach Niederwerfung des Aufstandes je 6 fl. Brandschatzung dem schwä- .

323 bischen Bunde erlegen mussten. Obwohl diese Liste nicht voll­ ständig, ist — es fehlen z. B. die westallgäuischen Ortschaften fast gänzlich — so gebe ich hier dieselbe dennoch wieder, weil sie die Angabe der berühmten zimmerischen Chronik, dass im 16. Jahrhundert das Allgäu übervölkert gewesen sei,1)2 bestätigt. 3 Schwarz leitet sie also ein: „Nach disem allem seit (sic) den stenden des schwäbischen punds grosser kriegscosten auferloffen, ist ain brandschatzung hin vnd wider angelegt vnd herr vom Stains) vnd alt8)9 Gordian Seuter zu comissarien sampt Panthaleon Vogt zum einbringer verordnet vnd vf jede hofstatt 6 fl.............,4) es sey den der mann vmbkommen, gericht, oder das haus gar verbrent, oder sonst offenbar gemacht worden, das sy an der aufruhr nit schuldig gewest sein. Wieuil dozumahl jedes dorf [hofstatt] innen gehabt,5) ist aus nachuolgender verzaichnus zu sehen: Altusried 157 Bruck bei Fischen ®) Durrach 50 Altstetten 54 Bleichach 28 [97] Eberspach 62 Abbt von Fuessen l Betzigew 90 Eckarts 13 St. Agatha6) 6 Lechbrugg 34 Ebrutzhofen1’) 31 Akhamus7) 38 Bidingen 70 Fischen 12) 143 Bernbeuren 150 Buchenberg 146 Gruenebach13) 95 „ mehr 70 Disslberg10) 16 Grüenbach u) 136 Gerstrass 15) 100 Berchtoldhouen8) 64 Diepoltz 26 Bernbach 61 Günzburg16) 250 Dietmanssried 143 1) Ed. Barack IV, 304. „Dieweil dann selbiger Zeiten, als nämlich im abgang der grafen von Werdenberg, das Allgew mit vile des volks gar übersetzt und sich in irer heimet nit wüsten weiter zu betragen oder zu erneren, da kamen sie haufenweis herab in unser landtsart [bad. Amt Meskirch], begerten inen stockvelder usszumessen und darvon gewonliche zins und landtgarben zu raichen. Also liess ihnen graf Gottfridt Wernher [von Zimmern] zu Ingelswis [jetzt Engels wies], alda ein kirch und nur ain wurtsbaus dozumal stände, felder ussmesen, gab inen holtz zum bawen neben anderer befurderung.w Nach Angabe derselben Chronik (III, 595—596) waren die damaligen Allgäuer trotzig und grob. 2) Adam von Stein zu Ronsberg. 3) L. Altbürgermeister. 4) Hier ist eine halbe Zeile leer gelassen. 5) Die folgenden Orte liegen in den Bezirksämtern Lindau, Sonthofen, Kempten, Memmingen, Oberdorf, Kaufbeuren, Füssen, Schongau. 6) Agathazell. 12) an der obern Iller. 7) Akams. 13) Grünenbach bei Weiler. 8) Bertoldshofen 14) Grönenbach bei Memmingen. 9) Etwa Tiefenbruck bei Füssen? 15) Gestratz. 10) Theinseiberg. 16) Obergünzburg. 11) Ebratzhofen.

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Oberhofen 25 St. Veyti®) 10 Gerissried^) 56 Oberdorf 91 Steten**) 78 Hambershofen 13 Otackers 11 StaulFen 115 Hamelkirch*) 65 Soya*o) 46 Obermaisslstain 15 Hopfen 61 Oberstorf 153 Hindenlang 80 Sultzberg 109 Oterschwang ®) 26 Hellengerst 41 Sachsenried 23 Obersunthouen 249 Haldenwang 90 Schellang 15 Oberthingaw 61 Hagbach*) 38 Stain**) 32 Ostrach®) 8 Juderried*) 48 Teuffenbach **) 29 KhildorfS) 43 Oberholtz 47 Thal 90 ßeichartsried 62 Kümratzhofen 82 Thalhofen 22 Raitenbach ^'^) 39 Krugzell 59 Thoneberg*®) 12 Rauenzel 9 Kraftisried 30 Vnserfrawen zell**) 43 Rötenbach 87 Knotenried 6 Vndrassried 68 Reichartsried ®^) 35 Luterschach®) 30 Vnderthingaw 73 Raumrieden 43 Lindenberg 71 Weiler 98 Rieden bei Füessen 'fS Wilboltzried 100 Legaw 150 Rosshöbten 98 Luibas 13 Wald 47 Rinholtzried 73 Martinszell 63 Wertach 117 Ried bei Sultzberg 21 Waltenhofen 79 • Mossbach 26 Rauna^®) 14 Mitelberg 100 Weitenaw 102 St. Lorenzen 190 Maiselstain 58 Weisensee 53 Seyga“) 219 Misse 79 Wiggenspach 100 Seyfertzhouen‘®) 65 St. Mangen 31 Imenstat 65 Scheyteg^*) 122 Mumasshofen’) 24 Imenstetter pfarr 70 Stifertzberg 17 1®)) 115 Nesselwang 145 Zell bey Grönebach 16 Nidersunthouen 90 Steffansretenberg 100 Summa 7675, von yeder 6 fl., sind 972 abgezogen, das vbrig bis in das 46. 47 vnd 48. jar erst völlig eingebracht worden vnd den Stenden pro rata ausgethailt.“ 1) Görisried. 2) Harbatzhofen. 3) Heimenkircb. 4) Haslach, Judenried bei Kempten ? Wenn dem so sein sollte, passt die dann viel zu grosse Zahl der Hofstetten nicht. 5) Thalkirchdorf. 6) Leuterschach. 7) Muthmannshofen. 8) Ofterschwang. 9) mir unbekannt. 10) Rettenbach bei Oberdorf. 11) Reinhartsried.

12) Remnatsried. 13) Rauns. 14) Seeg. lÖ) Stiefenhofen? 16) Scheidegg. 17) Seifriedsberg. 18) Veits. 19) Stötten. 20) Schwabsoien. 21) Stein bei Immenstadt. 22) Tiefenbach bei Sonthofen. 23) Ronsherg ? 24) Frauenzell.

IX.

Beiträge zur Ortsgeschichte von

Dr. F. L. Baumaim. 1) Die Herzoge von Kärnthen besassen noch im 13. Jahr­ hunderte Besitzungen in der Gegend von Dillingen und Donauwörth, nämlich zu Wittislingen, Binswangen, Tapfheim, Kicklingen, Osterhofen. Dr. L. Brunner hielt es in seiner mustergiltigen Geschichte der Markgrafschaft Burgau (Jahresbericht unseres Vereines für 1865 S. 89 — 90) für das wahrscheinlichste, dass dieser für jene Herzoge so entlegene Besitz von den Staufern an dieselben gediehen sei. Ich möchte dieser Annahme nicht beistimmen, weil die Herzoge von Kärnthen, wenn sie von den Staufern, was offenbar aus politischen Motiven geschehen wäre, wirklich beschenkt worden wären, kaum ihnen so entlegene Güter erhalten hätten, gab es ja doch ihnen viel passendem staufischen Besitz im heutigen Tirol. Diese Erwägung, sowie die freie, allodiale Eigenschaft der schwäbischen Güter der Herzoge von Kärnthen bestimmt mich vielmehr, einen schon von Brunner nahe gelegten Gedanken aufzugreifen und in jenen Gütern die Mitgift einer Schwäbin zu erblicken, welche Gemahlin eines Herzogs von Kärnthen wurde. Ich erblicke dieselbe in Beatrix,1) der Gemahlin Adalberos von Kärnthen, denn diese war mit ihren Schwestern Gisela und Mathilde die Erbin des Schwabenherzogs Herimann III. (1012) und der grossen Güter des altalamannischen Fürstenge­ schlechts, das ich in dieser Zeitschrift IV, 11—12 Alaholfinger zu nennen vorgeschlagen habe. Wir wissen nämlich, dass Beatrix Alaholfinger Gut, z. B. Daugendorf im wirt. Oberamte Riedlingen besessen hat, und dass ihr Gemahl Adalbero 1019 mit ihrem Schwestersohne Konrad bei Ulm eine Fehde durchgefochten hat, 1) Dass Adalberos Gemahlin so, nicht nach gewöhnlicher Annahme Brigitta hiess, darüber s. Hirsch, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich II. Bd. I, 160. II, 312.

326 ein Ereigniss, das nnr dann Erklärung finden dürfte, wenn die beiden Gegner, beide Erben der Alaholfinger durch ihre Mutter und Gattin, an der schwäbischen Donau begütert waren. >) Dass die Alaholfinger aber auch an der Donau im baierischen Schwaben begütert waren, wissen wir daraus, dass Reisensburg bei Günzburg, wie schon Brunner a. a. 0. dargethan hat, von der Alaholfingerin Kunegunde an die Schyren gekommen ist. Ich deute hier 'nur an, dass auch der vohburgische Besitz um Giengen und in den wirtenbergischen Oberämtern Riedlingen und Saulgau mit höchster Wahrscheinlichkeit ebenfalls Alaholfinger Erbe war, das durch Vermittlung der Zähringer in Luitgarde an ihren Gemahl, den Markgrafen Diepold von Giengen kam. 2) Die Ausgabe der Vita s. Magni bei den Bollandisten (Sept. II, 745) lässt den hl. Magnus ad Fontes alpium Juliarum kommen. Da aber ein solcher Ortsname im quellenreichen Gebirge wegen seiner nichtssagenden Allgemeinheit kaum denkbar ist, so dürfte jener Ausdruck, wie ich schon in dieser Zeitschrift II, 126 kurz angedeutet habe, ein Schreibefehler sein. Verbessern wir denselben um in Frontes alpium, so erhalten wir die ur­ sprüngliche Form des Thalnamens Pfronten. Ich bin deshalb der Ansicht, dass wir in dieser Stelle die älteste aus dem 9. Jahr­ hundert stammende Nennung dieses Thaies vor uns haben. 3) Die Kirche, welche der hl. Ulrich im Alpgau (selbstredend in dem zu seinem Bisthume gehörigen Theile desselben) eingeweiht hat, habe ich in dieser Zeitschrift II, 14 unbestimmt gelassen. Dieselbe lag aber nach der deutlichen Angabe der Vita s. Oudalrici in einer entlegenen Wildniss, muss folglich in dem obern Theile des augsburgischen Alpgaues liegen. Wir dürfen aber dieselbe kaum in Sonthofen oder Altstätten suchen, denn der Name des letztem deutet auf eine vorschwäbische, auf römische Nieder­ lassung, so dass zu Zeiten des hl. Ulrich der Sonthofer Thalkessel schon längst angebaut gewesen sein wird. Es dürfte sonach nicht unwahrscheinlich sein, dass jene Kirche entweder die zu Oberstdorf oder die zu Schöllang ist. Die Lage der letztem auf steilem Berge und der Name ihres Patrons, des Erzengels Michael lassen zugleich errathen, dass schon die heidnischen Alpgauer an dieser so geeigneten Stätte ihren Stammesgott Ziu, an dessen Stelle ja St. Michael getreten ist, verehrt haben.

1) Vgl. Stalin, wirfc. Geschichte I, 475.

827 4) Werimbretiscella, wo St. Gallen 872 Güter geschenkt er­ hielt, habe ich a. a. 0. II, 14 vermuthungsweise in Rauenzell bei Sonthofen gesucht. Diese Vermuthung gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass der Patron der Rauenzeller Kirche der hl. Othmar, dass folglich diese wohl von dem ebengenannten Kloster aus gestiftet worden ist. 5) Im Jahre 933 oder 942 vertauschte Abt Thieto von St. Gallen gegen eine Hube in Sigilines einigen Besitz in Ratinishoven und 30 Jauchert Ackerlandes in Tetinishovan an seines Klosters Hörigen Penzo gleiches Mass Land in Svedinisperch und Bruccon.J) Die letztgenannten Orte sind zweifelsohne die neben einander liegenden Weiler Bruck und Schweineburg (älter Schweine­ berg) bei Gestratz, B.-A. Lindau. Die andern drei Orte dagegen liegen in Wirtenberg, es sind nämlich das bei Isny, also nahe bei Schweineburg und Bruck gelegene Ratzenhofen und Dettishofen bei Waltershofen an der untern Argen. Sigilineswilare stimmt lautlich am besten zu Sigglis, einem nördlich von Zeil im wirt. Oberamte Leutkirch liegenden Hofe, trotzdem wage ich aber nicht denselben mit jenem zu identificieren, weil Sigglis von Ratzenhofen und Dettishofen bei sechs Stunden entfernt liegt. Vielleicht ist Sigilineswilare das zwischen diesen beiden Weilern in der Mitte gelegene Siggen, das 1128Siccum lautet, das freilich später nicht als Lehen von St. Gallen, sondern von Kempten erscheint, oder das südlich von Siggen liegende Siebertsweiler in der Gemeinde Eisenharz. 6) Dass die zwischen 833 und 890 neben Stiefenhofen ge­ nannte Paldis marca, „die Mark Baldo’s“ mit dem heutigen Baldshofen zusammenfällt,ä) beweist namentlich auch, 'dass nördlich von diesem Weiler der „Balzenberg“ sich erhebt. Dass in der­ selben Urkunde die Stivunhovar marcha neben den Marken Paldos und Meginfrids genannt werden, dürfte beweisen, dass die An­ siedelungen dieser beiden Alpgauer 883 noch so jung waren, dass die nach ihrem Personennamen gebildeten Benennungen derselben noch nicht feststehend, wie das Wort „Stivunhovun“ geworden waren. Die Meginfridis marca lag selbstredend ebenfalls in Stie­ fenhofens unmittelbarer Nähe, sie vermochte aber ihren Namen nicht, wie die Paldos zu einem wirklichen Ortsnamen emporzu­ schwingen.13) 2 Engilmuntiswilare, wo 883 Liphart seinen Besitz an 1) Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen III, 13, No. 793. 2) Wartmann II, 280, No. 678. 3) Der Lage nach könnte dieselbe wohl mit dem zwischen Stiefenhofen und Baldshofen liegenden Mittelhofen identisch sein.

328 St. Gallen gegen 120 Jauchert Wald zwischen den eben erörterten drei Marken abtrat, aber liegt nicht in Baiern, sondern ist vermuthlich das heutige Englisweiler bei Eggenreute im wirt. Ober­ amte Wangen. 7) Ich habe in dieser Zeitschrift II, 23 die Vermuthung aus­ gesprochen, dass Waltrams im Bezirksamte Kempten, das Lehen vom Hofstifte Würzburg war, an dieses ca. 080 von Adalhard Graf des Sualafelds geschenkt worden sein könnte. Diese Vermuthung ist indessen unstichhaltig, denn nach gütiger Mittheilung des k. Kreisarchives Würzburg auf eine von mir gestellte Anfrage hat am 6. März 1258 Bischof Iring von Würzburg die Burg und das Dorf Waltrammes, einen Hof im Dorfe Kirchdorff,!) zwei Höfe im Dorfe Witenowe,12) den Hof Bervallun3) und die zu diesen Gütern gehörigen Eigenleute, was alles Ritter Heinrich von Waltrammes seinem Hofstifte geschenkt hat, demselben und seinen Nachkommen als Sohn- und Tochterlehen zurückgegeben und sie zugleich mit zwei würzburgischen Eigenleuten in der Constanzer Diöcese belehnt. Vom Stifte Würzburg trugen auch die Herren von Laubenberg Kirch- und Zehnten zu Urlau bei Leutkirch zu Lehen. Ueber die Entstehung dieser Lehenshoheit ist in Würzburg nichts bekannt, aber schon unter Bischof Andreas von Würzburg (1303—14) empfieng Conrad von Hohenthann4) zwei Theile des Zehntens in Urlungen zu Lehen. 8) Unsere bisherigen Kenntnisse über Besitz des welfischen Hauptklosters Weingarten innerhalb unseres Vereinsgebietes, stammten aus den unächten Weingartner Urkunden von 1090, 1143 und 1155, in denen angeblich Herzog Welf, Papst Innocenz II. Kaiser Friedrich I. die Besitzungen dieses Klosters bestätigten.5)6 Wie misslich solche Fälschungen als Quellen waren, liegt auf der Hand, um so dankbarer müssen wir deshalb die Herausgabe *) einer ächten Weingartner Quelle, des codex maior traditionum Weingartensium durch den Archivrath Dr. Stälin in Stuttgart begrüssen. Nach dieser Quelle nun hat Weingarten im Kreise Schwaben und Neuburg folgende Besitzungen erworben: 1) Thalkirchdorf hei Immenstadt. 2) Weitnau. 3) Bärfallen hei Weitnau. 4) bei Kinratshofcn. 5) Wirtenberg. Urkundenbuch I, 292, II, 19 und 83 ff. 6) Festgruss des k. wirt. Staatsarchives zum 400sten Stiftungstag der Universität Tübingen 1877.

329 1083x) durch die Schenkung Pernkards, seiner Gemahlin Elizabeth und seines Sohnes Adelgoz 1 Mansus in Türkheim, Vs in Irsingen (Dvrinchein, Vrsingen); zwischen 1084 und 1099 durch die mit Genehmigung des Herzogs Welf und seiner Söhne Welf und Heinrich erfolgte Seelgeräthestiftung eines Priesters Bernhard dessen praedium in Vrsingin in pago Owesgowe; in gleicher Zeit das praedium einer Richgart zu Hailbrechtesrieth (das abgegangene Ablachried bei Willishausen? 12) in pago Owes­ gowe und von Welf V. den Zehnten der Kirche Mersgisilingin (Mörslingen bei Dillingen). Im Laufe des 12. Jahrhunderts kamen hinzu halb Dornidorf (Derndorf bei Mindelheim) durch Schankung des Weingartner Kämmerers Marquard, Güter in Onginishousen (Engishausen bei Illertissen) durch Vergabung des Bernhard de Porta, Güter in pago Rischinowa zu Mothartishouen (Mutterhofen bei Krumbach) durch Schankung eines Gerbold Cecus und seiner Neffen Dietmar und Heinrich, ein praedium zu Liutinbach (Lauter­ bach bei Krumbach?) durch Schenkung des Cvnradus Cecus, zu Chounigunderieth (Köngetried bei Mindelheim) von einem gewissen Megingoz, zu Memmingen von Roudolf, Heinrich, Marquard, Adelpert, das praedium ad Zunberch (Zaunberg bei Immenstadt) von Chunrad undGotebold, Gebrüdern, ein praedium zu Hadebrehteslioven3) (Harbatshofen bei Weiler) von Gerbold, 2 Mansus zu Herheresberge (Hörensberg bei Dietmannsried) von Friedrich und seiner Gemahlin Gisela. 1) Da der Codex chronologisch geordnet ist und er manche genaue Zeit­ daten gibt, so können seine einzelnen Angaben zeitlich festgestellt werden. 2) Steiohcle, Bisthum Augsburg II, 110. 3) Das Mittelhofen, wo Weingarten von Heinrich voif Bettenreute erwirbt, ist nicht der gleichnamige Ort bei Harbatshofen, sondern ein jetzt abgegangener Weiler bei Eavensburg s. Oberrhein. Zeitschrift 29, 111.

Kriegerische Vorgänge im Markte Krumbach a. d. Kamlach und in dessen Umgebung aus dem Jahre 1800/ Die nachfolgende Darstellung der Bedrängnisse des im jetzigen bayerischen Kreise Schwaben und Neuburg gelegenen Marktes Krumbach und der Umgebung im zweiten Coalitionskriege wurde von dem damaligen Bürgermeister des genannten Ortes, Johann Michael Jochner, zum Zwecke des bleibenden Andenkens und der Ermuthigung in ähnlicher Zeit für die späteren Bewohner ver­ fasst und von dem gegenwärtig daselbst befindlichen k. Bezirks­ arzte, Dr. Binswanger, zur beliebigen Benützung für die Zeit­ schrift des historischen Vereines mitgetheilt. Wenn auch dieselbe keinen Gewinn für die nähere Kenntniss des betreffenden Krieges im weiteren Umfange, und sei es auch nur in der Ausdehnung auf den schwäbischen Kreis, darbietet, so dürfte sie doch auch iu ihrer Beschränkung auf ein kleines Terrain und auf das besondere Interesse der diesem angehörigen Geschichtsfreunde und zugleich als Bild für ähnlichen, hundertfach an anderen Orten sich wiederholenden Druck dieser bewegten Zeit beachtenswerth und des Abdruckes nicht unwürdig erscheinen. Den Bericht iü wörtlicher Vollständigkeit zu geben, schien aus dem Grunde gerathen, dass die Natürlichkeit und Lebendigkeit, die sich zugleich mit dem biederen und opferwilligen Sinne des Verfassers in dieser ursprünglichen Form kuudgibt, dem Werk­ elten einen eigenthümlichen Beiz und eine gemehrte Theilnahme zu verleihen im Stande ist.

331 Liebe Nachkommen! Schon lange haben wir uns vorgenommen, an euch zu schrei­ ben und euch das Wichtigste von den Begebenheiten, die sich im Jahr 1800 unter uns ereignet haben, zu berichten, um euch einigen Begriff zu geben von dem, wie es in Kriegszeiten gehen kann, und zugleich euch zu zeigen, wie man um das Geld kommt in solchen betrübten Umständen und was eine Ortschaft, wie der hiesige Markt ist, hat leisten und leiden müssen. Es soll aber ietzt geschehen, und euch hiermit ein Denkmal in die Hand gegeben werden von jener merkwürdigen Zeit, die nun zwar, Gott Lob! vorüber ist, die uns aber tiefe Wunden ge­ schlagen hat, Wunden, deren Schmerz auch noch ihr, liebe Nach­ kommen, empfinden müsset und die wohl so bald nicht geheilet werden können. Es thut uns leid, dass es so ist, und kränkt es auch euch, liebe Nachkommen, so sehet hier zuerst auf die Leiden eurer Väter, die, wenn sie einmal zu den ihrigen heimgegangeu seyn werden, doch noch des Andenkens ihrer Kinder werth seyn dürften, weil sie es sind, die diese Dinge an sich erfahren haben. An der Wahrheit dessen aber, was wir euch hier schreiben, dürfet ihr keinerwegs zweifeln. Es ist leider alles wahr. Auch ist es nicht in der Hitze aufgezeichnet oder mit dem überspann­ ten Eifer einer Leidenschaft dargestellet, sondern es ist geschicht­ liche Wahrheit, die wir euch bald am Band des Grabes erzählen. Denn etliche Jahre sind bereits schon verflossen, seitdem sich diese schauerlichen Dinge ereignet haben, durch die wir auch viel älter geworden sind, als es unsere Lebensjahre sonst mit sich bringen. Daher ist es uns nimmermehr um Unwahrheit oder um ein übertriebenes Wesen zu thuu. Wir wollen vielmehr manche Nebensachen, die mit unterliefen, und manches eben nicht gar wackere Geschichtlein, das sich ereignete, lieber ganz verschwei­ gen und auch keinen Namen nennen von denjenigen, die in diesen traurigen und fürchterlichen Auftritten hier und da eine Rolle spielten, welche eben nicht die beste wahrhaft gewesen ist, ob­ wohl wir es könnten von Freunden, wie von Feinden, sondern nur unsern schon besagten Zweck im Auge behalten und Nie­ manden beleidigen. * *

*

Also berichten wir euch, dass wir mit dem Uebel, welches man Krieg nennet, schon ein wenig bekannt waren, und dass

832 wir ebendesswegen mit Furcht und Schrecken den Rückzug der k. k. Armee im Frühjahr 1800 bemerkten. Im Monat Mai näm­ lich war es, in der schönsten Jahreszeit, wo man immer mit Freuden einem guten Jahr entgegensieht und wo alle Geschöpfe neues Leben zu erhalten scheinen, — da war es, wo wir, in grausenvolle Bangigkeit versetzt, die fürchterlichen Dinge er­ warten mussten, die in dieser schönen Zeit über uns und über unser ganzes Vaterland kommen sollten. Ein Flügel der k. k. Armee ward geworfen und schnell rückten die siegenden Fran­ zosen vorwärts. „Also, wie wird es uns ergehen ?“ Vor einem Jahre hatten wir die Küssen vom 4. November bis den 5. Dezember, da sie auf dem Rückmärsche von der Schweiz her begriffen waren. Was durch diese Leute, die sich zwar ganz gut betrugen, wenn sie nur genug zu essen hatten, der Markt Krumbach litt, beträgt nicht weniger als eine Summe von 3293 fl. zu baarem Geld gerechnet. ► Denn wir verpflegten im Ganzen 181 Offiziers, 4390 Gemeine, 1434 Pferde, ohne von den Kosaken etwas zu melden. Der General Suwarow und der Grossfürst Konstantin selbst zogen hier durch. — Und ietzt sollen die Franzosen kommen! Ein andersmal hatten wir sie schon gesehen — nämlich im Jahr 1796. Sie kamen aber dazumal zu Ende des Sommers und verweilten bey uns eben nicht. Ja, wir durften wohl mit ihnen zufrieden seyn in Ansehung der Behandlungsart, mit der sie uns begegneten, wenn wir betrachten, wie es dazumal andern Ort­ schaften ergangen ist, die weiter von uns, nach Baiern hin, liegen, obgleich unser Vermögenszustand stark passiv schon dazumal wurde. Denn die Requisitionen und die nothwendigen Honorato­ rien betrugen eine Summe von 1968 fl. 25 kr., und die Einquar­ tierungen von 1185 Mann, den Mann nur zu 20 kr. gerechnet, macht 385 fl., und die Fouragerationen für 457 Pferde, das Pferd zu 24 kr., beträgt 182 fl. 48 kr., folglich im Ganzen eine Summe von 2546 fl. 13 kr. Unkosten, ohne Privatbeschädigungen in An­ schlag zu bringen. Es war erst noch dazumal unser Glück, dass alles geschwind durchaus gieng und niemals ein Lager hier war; und die Zeit vom 16. August, wo wir die ersten hier sahen, bis den 26. September 1796, wo die letzten auf ihrem Rückmärsche nach Frankreich hier durchzogen, war eben nicht so lange. Auch gieng, wie es wohl bekannt ist, jener merkwürdige Rückzug so



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unvermuthet und geschwind vor sich, dass man nur schauen und staunen musste. „Wie wird es uns aber dieses mal ergehen. Wir haben iezt eine Festung in der Nachbarschaft, — Ulm, die mit so vieler Mühe neu zugerichtete Festung! Diese wird so geschwind nicht fallen, und wir haben also die ganze französische Armee auf dem Hals — wie lang ? weiss Gott . . . “ so dachten wir in einstim­ miger Furcht und beschlossen mit diesen traurigen Gedanken manche Unterredung. Die k. k. Armee retirierte immerfort und war bereits bey uns vorüber; nur noch ein kleiner Theil der Arriergarde v. Blan­ kenstein Husaren waren hier. Den 12. Mai war das Hauptquartier der Franzosen nur mehr vier Stunden von Krumbach. Also erwarten mussten wir sie, denn flüchten konnten wir uns nicht und den ganzen Markt sammt unserm eignen unbeweglichen Vermögen im Stiche lassen. Bitter aber war diese Erwartung, liebe Nachkommen! Am heissesten Sommertage, wo das schwerste Gewitter am Himmel auf­ steigt und Zerstörung unsern blühenden Feldern drohet, athmeten wir oft schwer und seufzten: aber ein Gewitter, als sich iezt eines über unsere Köpfe, Weiber und Kinder, über unsere Häuser und Felder und über unser weniges, sauer erworbenes Eigenthum znsammenzog, .war ungleich schrecklicher. Das Sengen und Bren­ nen in einigen Gegenden von Breisgau und Oberschwaben kam uns zu Ohren. Wie wir nun in dieser bangen Erwartung Athem holten und seufzten, könnet ihr euch, liebe Nachkommen, nicht genugsam vorstellen! Die Stunde schlug. Es war am 14. Mai, 5 Uhr Abends. Die k. k. v. Blankenstein-Husaren waren den ganzen Tag sehr unruhig, patroullierten ganz still hin und her, wurden Nachmittag immer weniger, bis wir endlich gar keinen mehr sahen. „Also sie sind fort!“ Wir sahen ihnen nach mit trüben Augen und wurden gewahr, dass sie eben nicht fort, sondern nur auf dem Rückzug, ausser den Grenzen von Krumbach waren. Sie hatten sich nämlich auf dem sogenannten Kirchberg, der von Krumbach gegen Morgen liegt, postiert. Nun verging uns in der traurigen Lage, in der wir uns befanden, keine halbe Stunde, so kam schon der Lärm „Franzosen kommen! Franzosen kommen! von Theissenhausen her!“ Wirklich sprengten auch einige französische Hu­ saren mit verhängtem Zügel, den blossen Säbel schwingend, in unsern Markt herein und ritten in Eile zum besagten Berg hinaus,

334 wo die Kaiserlichen waren. Beide Theile feuerten auf einander, und diese zogen dann den nämlichen Tag noch ab, bis nach Thanhausen; die Franzosen aber kamen alsogleich wieder zurück in unser Ort herein. Inzwischen hatten wir uns im Haus des Bürgermeisters versammelt, wo wir uns gefasst hielten, sie auf alle Weise höflich zu empfangen. Ihr Anführer, der ein Korporal zu seyn schien, kam der erste zu .uns in’s Zimmer und begrüsste uns mit den Worten: „Also, iezt sind wir da; ihr werdet wissen, was wir wollen?“ Wir fragten ihn, nachdem wir unser Kompliment gemacht hatten mit der beigefügten Bitte um schonliche Behandlung — „mit was wir ihm dienen könnten?“ „Zwanzig Karolin, und das gleich auf der Stelle“, sagte er mit drohender Miene. Mit Furcht sahen wir einander an und machten eine bittende Vorstellung, dass dieses doch zu viel wäre; ein Douceur wollten wir gerne geben, wenn nur keine Unord­ nungen im Markte geschähen u. dgl. Allein sein auffahrendes Benehmen sagte uns, dass wir lieber schweigen sollten. „Zwanzig Karolin!“ wiederholte er unter Drohen und Fluchen mehrmalen und schwang den Säbel; und wir mussten uns also entschliessen, die 220 fl. herzugeben — denn seine Forderung war sehr pres­ sant — um sie, als die ersten Franzosen, die wir dazumal sahen, zu gewinnen und dann auf schonlichere Behandlung Überhaupts rechnen zu können. Währenddem wir ihm nun im ersten Schrecken dieses Geld vorzählten, beschäftigten sich seine Kameraden in verschiedenen Gassen mit einzelnen Menschen und Häusern. Sie forderten Geld, und nahmen es denjenigen, die gerade das Unglück hatten, in ihre Hände zu fallen, mit Gewalt, pochten an den Hausthüren mit so gefälliger Höflichkeit, dass man es im halben Markte hören konnte, begehrten ein Hemd, ein Nasentuch, oder ver­ langten einen Trunk Bier oder dergleichen Kleinigkeiten, die man ihnen auch gerne gegeben hätte, wenn sie damit zufrieden ge­ wesen wären. Allein, sowie sie in ein Haus, wie immer, kamen — entweder durch eigne Gewaltthätigkeit, oder wo man so gut war und ihnen die Thüre freiwillig öffnete — waren sie Meister von demselben und die Einwohner mussten thun und geben, was die gewaltthätigen Gäste nur immer haben wollten. Die Leute gaben auch an Geld, was sie konnten und hatten, aus Furcht, misshandelt zu werden: und so machten sich diese Kerls räuberi­ scher Weise vielleicht mehr Geld als ihr Anführer, den sie darauf

335 beim Bürgermeister suchten, und für ihre Bemühung 11 fl. von uns forderten. Wir gaben ihnen 5 fl. 30 kr. und wunderten uns in der Stille, dass sie so geschwind damit zufrieden waren. Nach diesem schafften sie noch Brod, Bier, Käse, Branntwein, Wein für die Truppen in Theissenhausen, Geflügel, Braten u. s. w. für die Herrn Offiziers an mit dem Befehl, das Verlangte augen­ blicklich hinüberzuführen, und ritten fort. Inzwischen war es Nacht geworden. Bald darauf kamen vom nämlichen Regiment ein Wachtmeister und einige Gemeine, um die Viktualien abzu­ holen. Diese assen und tranken erst, was ihnen schmeckte, ver­ sprachen dann auf unser Ansuchen Ordnung, Schonung und gute Mannszucht und Hessen sich dieses Versprechen mit 101 fl. 45 kr. bezahlen. Der Wachtmeister nahm für sich 66 fl. und seine Kameraden 35 fl. 45 kr., und somit führten wir die geforderten Lebensmittel ab. Der übrige Theil der Nacht war ruhig von aussen, aber nicht von innen, weil wir auf diesen ersten franzö­ sischen Gruss nicht schlafen konnten. Wir waren wie betäubt und der ganze Auftritt von diesem erlebten Abend kam uns wie ein Traum vor. Von der Wahrheit aber konnten und mussten wir uns überzeugen, indem wir unsere Kassa betrachteten und die im Markte ausgeübten Gewaltthätigkeiten hörten, — mussten uns überzeugen, dass es keine Luftbilder, sondern Menschen, nicht einmal wahre Franzosen, sondern Deutsche, und, wie wir nach der Hand in Erfahrung brachten, einige aus ihnen Schwaben, geborne Schwaben, unsere eigne Landsleute waren, die dem hie­ sigen Markte in einer Zeit von 3 bis 4 Stunden einen Schaden von mehreren hundert Gulden gemacht haben! Den andern Tag, als den 15. Mai, kamen von Ebershausen her beiläufig 350 Mann Franzosen, theils Reiter, theils Fussgänger, und machten bei unserer Feldkapelle Halt. Zween Schasseurs ritten in Markt herein und forderten, nicht Geld oder Lebens­ mittel, sondern den Bürgermeister. Dieser musste nun‘herbey, er mochte wollen oder nicht. Sie nahmen ihn zwischen ihre Pferde und führten ihn zur Feldkapelle hinaus. Der Anführer der Truppe gab sich für einen General aus und forderte mit Ungestüm 400 (schreibe: vier hundert) Karolins. Diess gleich auf der Stelle. Wo nicht, so werde der Bürgermeister gleich zusammengehauen und der ganze Ort geplündert. Der Bürgermeister erwiderte, dass er bereit sey, alles Mög­ liche zu thun, womit er immer der französischen Armee dienen könnte, entschuldigte sich aber darauf, dass er allein das gefor-

336 derte Geld weder zusichern, weder auftreiben könnte (er müsse es zuerst dem Markt-Rathe anzeigen) und sezte bey, dass in die­ sem so kleinen Markte kein einziger reicher Baur sondern mei­ stens nur Professionisten, Handwerker und arme Einwohner seyen, und also unmöglich da so viel Geld aufgetvieben werden könnte; diess könne er dem Herrn General vorläufig versichern. Allein der vorgebliche General wollte keine Versicherung und keinen Wortwechsel, sondern Geld, und liess, um die Sache geschwinder zu betreiben, zwei hundert Karolin fahren und for­ derte nur mehr den halben Theil, aber diesen augenblicklich oder die ganze hiesige Kassa. Der Bürgermeister versezte, ;dass man die Kassa an höhere Orte habe abliefern müssen, und dass also dieses Verlangen gar nicht könnte befriediget werden. Als nun der General seinen Unwillen und Ungnade durch heftige Aeusserungen von Zorn und Wutli an den Tag legte, so wollte sich der Bürgermeister beurlauben, um der gemachten Aufforderung das Möglichste zu leisten, wiederholte aber, alsbald er sah, dass sich die Hitze legte, seine schon gemachte Vorstell­ ung, und jener liess endlich noch 100 Karolin nach. Aber Ein Hundert forderte er ohne allen Pardon, — oder seine schon ge­ machte Drohung werde alsogleich in Erfüllung gehen, donnerte er. Nebst diesem hatte er noch nöthig 350 Bouteillen Wein, 300 Maas Bier und 300 Laibe Brod. Nach dieser galanten Aufforderung zog er mit seiner Mannschaft in’s Ort herein, stieg bey dem Bürgermeister ab, liess seine Truppe bis auf einige Mann, die er zu seiner Bedeckung bey sich behielt, weiter nach Hürben mar­ schieren und erwartete die augenblickliche Ablieferung des Geldes und der Lebensmittel. Wir brachten nun in der Geschwindigkeit Bier, Brod und Wein zusammen, so gut es seyn konnte; wegen den hundert Karolins aber machten Bürgermeister und Rath eine neue Bitte und nachdrucksamste Vorstellung, aber vergebens. Die 100 Karolins mussten unter angedroheter, allgemeiner Plün­ derung binnen 3/4 Stund erlegt seyn. Er erhielt selbe auch, aber nicht anders, als gegen ein Rezepisse. Wir glaubten nun, was Gutes wir in Händen hätten an dem Fresszettel, den er uns mit seinem Namen unterschrieben gab. Allein, als bald darauf diese Bescheinung einem gewissen franzö­ sischen General, der in Theissenhausen lag, vorgezeigt wurde, so sagte dieser, dass der darin unterschriebene Namen bey der ganzen französischen Armee nicht existiere, und behielt die Be-

337 scheinung. Für die gütige Sicht derselben aber, wie auch für sein gemachtes Versprechen, uns Sicherheit der Person und des Eigenthums zu gewähren, um was ihn nämlich unser Ausschuss zugleich ersucht hatte, liess er sich von dem Juden, der als Ob­ mann der Judenschaft von Hürben auch bey diesem Ausschüsse war, viel Geld bezahlen. Kurz, um es zur Steur der Wahrheit zu sagen, wie es ist, wir mussten dem Juden 72 fl. 54 kr. vergüten. Darauf kam noch in der Nacht um 111/2 Uhr an uns eine fürchterliche Requisition vom Hauptquartier, das iezt in Baben­ hausen war, an Vieh, Wein, Brandtwein, Bier, Brod, Haber, Heu u. s. w., was alles auf der Stelle musste abgegeben werden. Der Verlauf dieser zweimal 24 Stunden kam also dem Markte Krumbach sehr theuer und vermehrte die Furcht in dem Gemüth eines jeden gutdenkenden Bürgers um Vieles. Den darauffolgenden Tag, als den 16. Mai, sahen wir hier den ersten Scharmüzel, aber leider! nicht umsonst. Die k. k. v. Blankenstein-Husaren kamen von Thanhausen her, attaquierten die Franzosen in Hürben und Krumbach und in einer halben Stunde waren wir von unsern Gästen befreit. Nun wurde es uns auf dem Herzen leichter und wir hatten Ruhe. Dauerte auch dieser glückselige Zustand nur wenige Stunden , so war er uus doch willkommen. Um 3 Uhr Nachmittag kamen die Franzosen mit stärkerer Mannschaft und attaquierten. Wir verschlossen alsobald alle Thüren und Fenster-Läden. Da jagten sie dann einander durch alle Gassen in Krumbach hin und her, dass das Feuer davonflog. Bald waren es kaiserliche, bald französische Husaren: iezt hörten wir nichts mehr; dann auf einmal wieder viel Tumult und Lärm, und so gieng es eine gute Zeit fort, bis es wirklich einige Todte und mehrere Blessirte von beyden Seiten gab und wir mit blassem Gesichte wahrnahmen, dass die Kaiserlichen, sich zurückzogen und der Markt Krumbach den Franzosen auf ein Neues über­ lassen war. Jezt wurden beede Bürgermeister zur Feldkapelle hinaus­ berufen. Da ward ihnen im Namen des französischen Haupt­ quartiers angekündiget, dass der Ort Krumbach auf der Stelle 5 Stück Hornvieh, 5 Pferde, 2000 Laibe Brod, 2000 Maas Bier, 1000 Maas Wein, 500 Maas Brandtwein .nebst unbeschreiblich viel Heu und Haber, ohne allen Verzug und ohne den mindesten Nachlass zu erwarten, liefern müsse. Gut! unser Amtsbürger­ meister kam also mit diesem Befehl allein zurück, und wir such23

338 ten alsogleich in Angst und Geschwindigkeit diese Sachen zu­ sammenzubringen. Während dem aber dieses geschähe, kamen die französischen Infanteristen daher geschlichen, erbrachen mit Säbeln und Bajonetten ganz still an einzelnen Häusern die Thiiren und Fensterläden, die man überall gesperret hatte, und nahmen, was sie nur erwischen konnten; selbst die Wägen, anf denen man ihnen die Lebensmittel zuführen wollte, griffen sie einzeln an und beraubten dieselben. Der Bürgermeister lief wieder zur Feldkapelle hinaus und bat den General um Wache. Dieser be­ orderte auf der Stelle gleich mehrere Mann dazu. Allein es zeigte sich auf einmal ein ganz anderer Auftritt. Die k. k. Hu­ saren überfielen die Franzosen, welche sich im Markte verweilten und beschäftigten, und waren auf dem Platz, ehe sie von den Franzosen bemerkt wurden. Es entstund dann anf einmal ein entsetzlicher Tumult, durch Schreien, Schiessen, Reiten, Springen; die Husaren sprengten ihre Pferde in den Gassen herum, dass Feuer und Staub davonflog, ärger als zuvor; es fielen Schüsse, man hörte Säbel klirren, auch wurden von beiden Seiten wiederum einige leicht und tödtlich blessiert, und endlich zogen sich die Franzosen zurück, dem Wald gegen Ebershausen zu. Da gieng es dann über Hecken und Zäune, durch das Krumbächleiu und durch’s Kornfeld u. s. w. Inzwischen retteten sich die beiden Bürgermeister, welche von der Feldkapelle nach Haus gehen wollten, durch Uebersteigen der nächstgelegenen Gartenzänne und verbargen sich in den angränzenden Häusern, welche sie mit Lebensgefahr zu erreichen suchen mussten. Da es nun nach und nach Ruhe wurde, so hoff­ ten wir, dass auch unsere Requisition unterbleiben würde; wir sahen aber ganz was anders. Die Kaiserlichen waren verschwun­ den und die Franzosen nahmen auf ein neues Besiz von Krumbach und forderten iezt um so strenger die augenblickliche Ablieferung der obbesagten Lebensmittel. Sie waren auch wegen dem Gefecht wüthender, als vorher. Ein Schasseur ritt dazumal zum Bürger­ meister in’s Haus und in das Wohnzimmer hinein, als dieser ge­ rade nach Haus kam, schalt ihn einen Spionen, der die Franzosen den Kaiserlichen verrathen hätte, misshandelte ihn sehr grob und wollte sein Pferd durchaus da im Zimmer stehen lassen. Wollten wir selbes sammt seinem groben Reiter, der ein besoffener Kerl war, aus dem Hause haben, so mussten wir ihm Geld und gute Worte geben, und zwar nahm er für seine Höflichkeit nicht weniger, als 11 fl.

839 Die Requisition lieferten wir dann alsogleich um so bereit­ williger ab, als weniger Aussicht wir nun hatten auf eine baldige Erlösung. Ober- und Subaltern-Offiziers, deren eine Menge da war, mussten wir einquartieren, und diese Hessen sich kostbar in jedem Hause aufwarten und beehrten den Markt mit ihrer Gegenwart bis den 20. Mai. Dass wir uns aber alsogleich an den Kommandanten wendeten und um gute Ordnung und Mannszucht baten, versteht sich von selbst; dass aber ein solches erlangtes Versprechen, welches wir immer ohne Anstand erhielten, mit theurem Geld bezahlt werden musste, versteht sich nicht minder. Doch war wirklich zu unserm Tröste diese Tage ziemlich Ruhe und Ordnung, so dass wir in dieser Rücksicht zufrieden seyn konnten, obgleich die Bedienung, die sie in jedem Hause forderten, kostspielig war, denn mit Hausmanns-Kost durfte man nirgends kommen. Auch war ein Braten, Wein, Bier nebst Rindfleisch und Zugemüs nur ordinär, nichts Besonderes. Geflügel und Süssigkeiten, Kaffee und ExtraWeine, Punsch und Gloria war ihnen lieber. Denket euch nun, liebe Nachkommen, die Unkösten, die .dieses Volk von ungefähr zwei Halbbrigaden, welches in und um Krumbach herum verlegt war, der hiesigen Bürgerschaft machte! Nebst diesem denket euch verschiedene Prellereien und ausstudierte Ränke und Schwänke, die es gab, um uns von unserm wenigen noch vorräthigen Gelde zu helfen, und ihr werdet euch über das weiter unten vorkom­ mende Verzeichniss von Ausgaben nicht wundern. Ein Beispiel von besonderer Art sey hier zur Probe. Ein gewisser Kapitain von einem französischen Husarenregiment kam in das Haus des Bürgermeisters, wo wir uns immer versammelt hielten. Er gab sich für unsern Platzkommandanten aus, war sehr freundlich gegen uns alle und versprach uns auf unser Bitten alle Ordnung und Sicherheit. Wir verloren in seiner angenehmen Gegenwart alle Furcht und wurden mit ihm vertraulicher. Wir erzählten ihm, weil er gut Deutsch verstand, die Vorfallenheiten vom 14. und 15. Mai, wie wir nämlich gleich den ersten Husaren so und so viel Geld hätten bezahlen, und dann den andern Tag eine Summe pr. 1100fl. Brandschazung geben müssen; wir sagten ihm auch Alles, was wir an Lebensmitteln und Fouragierung schon abgeliefert haben, und hofften von ihm, da er Mitleiden gegen uns äusserte, Erleichterung und Unterstützung, wenn etwa was Neues auskommen sollte. Er sprach unsMuth zu und zeigte sich besonders aufgebracht gegen den vorgeblichen General, der 23*

340 eine Brandschazung forderte, und versicherte uns, dass dieser gar kein Recht dazu hätte haben können, gab uns gleichsam einen Verweis, dass wir ihm eine solche Summe Geld ausfolgen Hessen, und sagte uns auch Sachen, wie Verhaltungsregeln vor, wie wir uns benehmen sollten, wenn wieder ein solcher Geld fordern sollte, der kein Recht dazu hätte. Endlich, da er merkte, dass wir ihn für einen wackern Mann und für unsern Nutzen eifrigen Platzkommandanten ansahen, fieng er an: „Nun, meine ließen Bürger! es ist wahr, ihr habet Vieles geleistet und ge­ litten; und wie ich sehe, so thut ihr euer Möglichstes für die französische Armee; ihr gebet sogar Leuten, die gar kein Recht haben, an euch Geldforderungen zu machen, Brandschatzung, als wie ihr nämlich jenem vorgeblichen General, der vielleicht ein Lumpenkerl seyn kann und den Niemand kennet, lOOKarolin ge­ geben habt. Was gebt ihr iezt mir, der ich das Recht habe, Brandschatzung zu fordern, der ich euer Platzkommandant bin von dem iezt das Schicksal eures ganzen Ortes abhängt?“ Wir sahen einander an und jeder bemerkte an dem andern ein blasses Angesicht und blaue Lippen. Sprechen konnten wir nicht. Der Kapitain fuhr aber weiter in seiner BeschwörungsFormel, mit der er uns sprachlos gemacht hatte: „Doch, ich will billig mit euch seyn und euch nicht übernehmen, indem ihr schon Vieles gelitten habet, und will also nur den halben Theil verlangen von dem, was ihr jenem gegeben habet, der gar kein Recht hatte, euch zu brandschatzen.“ Also 50 Karolins! dachten wir — ein warmer Freund! — aber nicht für uns und für unsere Kassa, sondern für sich und seinen Geldbeutel! — Wir fiengen dann an, Vorstellungen zu machen, als uns die Sprache wieder gegeben wurde, entschuldigten uns mit der Unmöglichkeit, indem wir nicht mehr so viel Geld hätten, noch auftreiben könnten; wir klagten, wir baten. Endlich kam er in seiner Forderung auf 40 Karolins. Wir erneuerten aber alsogleich einstimmig unsern Jammer und Klaggeschrei und brachten ihn dadurch auf 30. Durch wiederholte Bitten und Vorstellungen, die er ausstehen musste, kam er dann auf 20, und da wir nicht müde wurden, ungeachtet seiner Drohungen, so liess er auch von diesen noch den halben Theil fahren und forderte nur mehr 10 Karolins. Bei diesen aber blieb er unveränderlich und unerbittlich, wir mochten weiter sagen was wir wollten. Folglich steckte ihm der Bürgermeister eine Rolle in den Sack von 56 fl., worüber er zufrieden schien und sich entfernte. Es

341 stund aber nicht lange an, so brachte er die Rolle zurück, machte Vorwürfe, dass man ihn betrogen habe, und forderte mit Droh­ ungen die 10 Karolins vollständig. Wir mussten uns also be­ quemen, dem braven Herrn für seine Lieblichkeit und für sein Mitleiden, das er mit uns hatte und das uns theuer war, die 110 fl. zu bezahlen, dem Vertrag und Handel gemäss, den wir mit ihm haben schliessen müssen. Diess ist der merkwürdigste von den Streichen, die uns widerfuhren vom 16. auf den 20. Mai, und blieb uns eben darum am Besten im Gedächtniss. Den 20. Mai rückten die k. k. Husaren auf ein neues an, attaquierten die Franzosen, und diese zogen sich alsobald zurück. Bey diesem Attaque machten die Blankensteins einen guten Fang an einigen französischen Markatender-Wägen. Davon hatten wir wenigstens den Vortheil, dass wir einen Tag ausruhen konnten, indem wir den 21. Mai keinen Mann vom Militair ausser den einzeln stehenden k. k. Vorposten sahen. Gott Lob! dachten wir alle, und in stiller Ruhe brachten wir diesen guten, lieben Tag zu. Unsere Ruhe dauerte aber nicht länger, als über Nacht. Den 22. Mai — es war der Festtag der Himmelfahrt Christi — rückte Nachmittag der ganze linke Flügel der französischen Ar­ mee an. Die k. k. Vorposten zogen sich alsogleich zurück und der ganze französische General-Stab zog hier ein. Der Bürger­ meister wurde aufgefordert, dem ersten Korps den Weg nach Hürben hinaus zu zeigen. Er verbat es sich aber und schickte statt seiner einen andern Mann, der es ebensowohl konnte. Die Kaiserlichen wurden dann attaquiert und mussten weichen bis nach Thanhausen. Jezt forderten alle Offiziers in Krumbach und Hürben Quartier und alle Häuser wurden von denselben angefüllet. Sogar in Pfarrhof mussten wir 3 oder 4 verlegen und 4 andere quartierten sich selbst noch dahin ein. Die Mannschaft schlug dann ihr Lager um Krumbach herum Baraquen ohne Ende wur­ den errichtet und wir mussten ihnen dazu Holz und Stroh her­ schaffen, mehr, als sie nothwendig hatten — und alles auf der Stelle, in Einem Augenblick. Weil nun aber alles auf Einmal nicht geschehen konnte und jedes Geschäft einen Verzug hat, so rissen die Soldaten alle Hecken und Zäune nieder, die meistens bei uns von starken, gespaltenen Holzstücken und hier und da auch von Brettqrn gemacht sind, baueten ihre Baraquen davon und verbrannten das Uebrige. Sie thaten dieses auch noch, nach­ dem wir ihnen Holz und Stroh genug hergeschafft hatten. Um

342 Heu oder Gras für die Pferde zu bekommen, fragten sie nicht lange; sie mähten ohne weiters viele Wiesen ab. Ebenso zer­ traten und verdarben sie das blühende Getraid auf den Feldern und nahmen solches auch zuweilen für Pferdefutter. — Wir be­ kamen einen Platzkommandanten. Alles Läuten zum öffentlichen Gottesdienst wurde von ihm abgeschaffet; keine Glocke durfte mehr ertönen. Auch mussten wir noch eine besondere Brücke über den Fluss Kammei schlagen und was dergleichen Dinge mehr waren. Dann kamen die Requisitionen, und es wurde in diesen Tagen des Kummers und des Elendes vom Markte Krumbach nur für die Küche des kommandierenden Obergenerals allein gefordert: ein Kalb, ein Schaf und ein Spanferkel, dann 20 Pfund Butter, 100 Eier, 12 St. Tauben und Hühner, 30 Pfund Mehl, 20 Pfund Kaffee und 20 Pfund Zucker, 4 Pfund Mandeln, ein Pfund Pfeffer, 1/8 Pfund Zimmet, 1I2 Pfund Muskatnüsse, */* Pfund Gewürznägel, 24 St. Zitronen, 2 Bouteillen Liqueur, 4 Bouteillen Rheinwein, 6 Bouteillen Schampagner, 6 Pfund Kerzen, ein Krug Baumöl und ein Krug Weinessig. Diess war die Vorschrift für alle folgenden Täge. Woher sollten wir nun so viel Zeugs alle Tage nehmen? Das kümmerte keinen fremden Menschen. Genug, es musste einmal hergeschafft werden, was verlangt wurde, wir mochten es nehmen, wo wir wollten. Jetzt erst die Erhaltung der unzähligen Menge Soldaten, Reiter und Pferde, und noch vieler Menschen, die sich im Lager aufhielten und sich an die französische Armee anschlossen oder derselben nachliefen. Was da alle Tage verzehrt wurde an Mehl, Brod, Fleisch, Bier, Brandt­ wein, ist fast nicht zu beschreiben, nichts zu melden von Heu, Haber, schwachem Spelz, Stroh u. dgl. für die Pferde, und