Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [25]

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Zeitschrift

Historischen Vereins für

Schwaben und Neuburg.

Fünfundzwanzigster Jahrgang.

Mit Abbildung des Füssener Totentanzes.

Preis im Buchhandel sechs Mark.

Augsburg, 1898. In Commission der J. A. Schlosser’schen Buchhandlung.

(F. Schott.)

L Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Riess von

Prof. Dr. L. Müller.

Vorbemerkung. Die beträchtliche Anzahl von Urkunden, die das Archiv der Stadt Nördlingen für die Geschichte ihrer Judengemeinden während des 14. Jahrhunderts bewahrt, hat bereits im Jahre 1837 den Nördlinger Stadtpfarrer J. F. Weng veranlasst, ein von einer historischen Einleitung begleitetes Verzeichniss derselben im 4. Hefte der von ihm und J. B. Guth herausgegebenen Zeitschrift „das Ries, wie es war und ist“ zu veröffentlichen. Eine Skizze ähnlicher Art findet sich in A. Steichele’s Geschichte des Bisthums Augsburg (1861 f. DI. S. 937 —942). Wenn auch in der Behandlung des Stoffs weit über ihrer Vorgängerin stehend, reicht sie im Wesentlichen doch nicht über sie hinaus, da sie, wie jene, lediglich die Geschehnisse des 14. Jahr­ hunderts eingehender behandelt und dann nur noch die bei der Judenvertreibung entstandenen Streitigkeiten der Stadt mit dem Antonierorden berichtet. Es lag! eben damals, als der treffliche Forscher seine Riesser Archivreisen unternahm, sonstiges Material zu unmittelbarer Benützung nicht vor. Dieses hat sich erst der Ver­ fasser im Lauf mehrerer Jahre bei seinem jeweiligen Urlaubsaufent­ halt in Nördlingen beschaffen können. Vor allem galt es, um eine sichere Grundlage zu erhalten, den städtischen Bürger-, Steuer- und Rechnungsbüchern und den Rathsprotokollen die auf die jüdischen Einwohner bezüglichen Einträge zu entnehmen. Als besonders er­ giebige Quelle erwiesen sich ferner die städtischen Missive des l

2 14. bis 16. Jahrhunderts. Unerlässlich war es endlich, wollte man zu sicherer Kenntniss der jüdischen Geschäftsgebahrung und Lebens­ führung gelangen, die durch die Urfehdbücher, Pfandregister, Canzleiprotokolle und die Fülle von Einzelprozessen gewährten Aufschlüsse zu verwerthen. Bei dem Fortschreiten dieser Arbeit trat immer mehr die Nothwendigkeit hervor, auch über die Verhältnisse der zahl­ reichen, um Nördlingen angesiedelten Judenschaften einiges Licht zu er­ halten, und es erschien um so zweckmässiger, auch sie in den Kreis der Erörterung zu ziehn, als gerade die Geschichte der jüdischen Land­ bevölkerung weiterer Erforschung bedarf. Nach Abschluss seiner Thätigkeit im Nördlinger Archiv suchte der Verfasser daher seine Sammlungen aus dem Fürstl. Öttingischen Archiv in Waller stein"" zu vervollständigen, dessen Beamte mit dankenswertester^Bereitwillig­ keit allen Wünschen entgegenkamen. Die Ausbeute blieb allerdings hinter den Erwartungen zurück, da sich aus den früheren Jahr­ hunderten ausser einigen, schon in J. P. Lang’s Materialien zur Öttingischen Geschichte (1771 — 1775) verzeichneten Urkunden nur wenig erhalten hat und namentlich die Bestände des Ött.Spielbergischen Landestheils schlimme Verluste erlitten haben müssen — immerhin war sie reichlich genug, einen besonderen Abschnitt der vorliegenden Darstellung zu ermöglichen. Diese bietet demnach ein Bild von den ehemaligen Zuständen der jüdischen Ansiedelungen im Riess und seiner nächsten Umgebung, das mancherlei Lücken aufweist, aber in seinen einzelnen Strichen lediglich verlässigen Documenten nachgezeichnet ist und die in ihnen zum Ausdruck gelangte Denkungsweise getreu wiederzuspiegeln sucht. Zeitlich beschränken sich diese Mittheilungen 'auf die Dauer der Reichsunmittelbarkeit des Hauses Öttingen und der Stadt]Nördlingen, brechen also kurz nach Beginn des 19. Jahrhunderts ab. Die fernere Gestaltung der Geschicke der Riesser Judengemeinden nach ihrem Übergang in grössere Staatengebilde zu verfolgen, lagjnicht in der Absicht des Verfassers, die nur dahin gieng, zum Ausbau der Geschichte der deutschen Judenschaft ein bis jetzt ungenütztes Material ans Licht zu stellen. Dabei war es natürlich nicht zu vermeiden, gelegentlich auch auf Altbekanntes zurückzukommen.

3 I. Jüdische Ansiedelungen im Riess bis 1400. Das jüdische Volk hatte seinen nationalen Mittelpunkt verloren, als unter Kaiser Hadrian an die Stelle Jerusalems die heidnische Stadt Aelia Capitolina getreten war, die kein Jude betreten durfte. Aber schon geraume Zeit vorher und noch vor Beginn der christlichen Aera hatten sich seine Angehörigen über die ganze Welt verbreitet, soweit diese unter römischer Botmässigkeit stand, und bildeten ge­ schlossene Gemeinden in allen grösseren Städten der Länder um das Mittelmeer, trotz ihrer beispiellosen Zerstreuung ihren nationalen und religiösen Charakter unerschütterlich wahrend. Wo nur immer die römischen Legionen ihre siegreichen Adler in neue Länderstrecken trugen, schloss sich ihnen als Vermittler des Verkehrs der unter­ nehmende jüdische Handelsmann an, den ihr Schutz gewinnreicher Thätigkeit versicherte. Man darf daher wohl annehmen, dass seit der Erwerbung und während der Besitzdauer der rhätischen Provinz im obern Donaugebiete, der Rhaetia secunda, dort auch der jüdische Händler mit seinen Waaren nicht ausblieb. Gerade an ihrer Nord­ grenze, nahe dem hier vorüberziehenden Limes, wo die Riessebene den römischen Provinznamen in deutscher Aneignung noch heutiges Tages trägt, müssen, nach den zahlreichen Ortsnamen der Peutingertafel zu schliessen, sich Anfänge eines auf regem Handelsbetrieb ruhenden höheren Culturlebens entwickelt haben, wenn auch die spärlicheren Reste verbieten, es dem im Mittelpunkt des unteren Rhätiens, der glanzvollen Augustusstadt, reich erblühten an die Seite zu stellen. Aber verbürgte historische Angaben über jüdische Ansiedelungen auf deutschem Boden aus der Römerzeit*) finden sich nur über die Juden in Köln unter den Kaisern Postumus und Constantin 1) Unter den wundersamen Erzählungen, denen man in den Eingängen reichs­ städtischer Chroniken zu begegnen pflegt, kehrt auch wiederholt die von uralten Judengemeinden in Nördlingen, Ulm und Regensburg wieder, die briefliche Mit­ theilungen von einem durch den Volks Verführer Christus erregten Aufstand und seinen Kreuzestod durch ihre Glaubensgenossen in Jerusalem erhalten haben sollten. Man darf jedoch diese als geschichtliche Documente völlig werthlosen Briefe, von denen einer — er ist in Pressel’s Geschichte der Juden in Ulm (1873) S. 26 abgedruckt — nach dem Bericht des Felix Fabri 1348 in Ulm gefunden wurde, nicht unbesehen in das Gebiet der freien Erfindungen unserer Chronisten verweisen. Derartige Schreiben sind wahrscheinlich von jenen Judengemeinden in der damals ihnen dräuenden Todesgefahr ersonnen und verbreitet worden, um mit der Unschuld ihrer Vorfahren am Tode Christi ihre eigene zu erhärten und sich wenigstens vor den Ausbrüchen des religiösen Fanatismus zu sichern. Auch die spanischen Juden erdachten ähnliche Fictionen in der gleichen Absicht. 1*

4 dem Grossen. An sie schliesst sich, wenn auch mehrere Jahrhunderte später, Kunde von jüdischen Gemeinden gleichfalls auf dem Boden ehemaliger Römerstädte, wie Worms und Mainz. Für die Mainund die obere Donaugegend beginnen die Nachrichten über Juden­ gemeinden erst etwa um das Jahr 1000 mit der Erwähnung des Judenquartiers in Regensburg, wiederum einem alten römischen Stand­ lager. Jüdischer Einwohner in Würzburg wird 1119, in Rothenburg und Nürnberg um 1180, in Augsburg 1212 zuerst gedacht. Nicht ganz so weit führen die Berichte über jüdische Ansiede­ lungen auf der weiten, von einem Haupthandelsweg durchzogenen Strecke zwischen den letztgenannten Städten zurück, in deren Mitte etwa das Riess sich erstreckt. Doch dürfen wir für ihr Bestehen in Nördlingen und Donauwörth wohl auch eine gleich frühe Zeit ansetzen, wie für jene. Die günstige Lage beider Orte macht dies sehr wahrscheinlich. Donauwörth vermittelte nicht nur durch seine Brücke die Handelsbeziehungen zwischen dem Süden und dem mitt­ leren und nördlichen Deutschland, sondern eröffnete auch auf dem hier schiffbar gewordenen Strom den Wasserverkehr thalwärts während Nördlingen als Hauptort des von wohlhäbigen Dorfschaften erfüllten, reichgesegneten Riessgaues nicht minder zur Niederlassung einlud. Seine vielbesuchten Jahrmärkte werden schon 1219 erwähnt, wie auch Donauwörth seit 1030 ein kaiserliches Marktprivilegium besass. In der That wohnten um 1241 bereits Juden zu Donau­ wörth, und man wird nicht fehl gehn, wenn man für Nördlingen das Gleiche annimmt.1) Um die Zeit, in welche unsere Quellen zurückreichen, hatte sich die Lage der Juden, die unter den Römern, wie im fränkischen 1) In dem von J. Schwalm im 23. Band des Neuen Archivs der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (1898) veröffentlichten Verzeichnisse der Steuern königlicher Städte aus dem Jahr 1241 findet sich eine Steuer von 2 Mark von Juden zu Werd und Bopfingen verzeichnet. Eine Stouer von Nördlingen ist über­ haupt nicht eingetragen, da es von 1238—1243 wegen Brandes von der Reichs­ steuer befreit war. Dagegen hat die Stadt wegen einer ungesetzlichen Handlung eine Strafsumme von 100 Mark zu erlegen. Schwalm bemerkt hierzu: „Ob hier eine Conventionalstrafe, die an den Fiskus fiel, oder Strafe für einen Eingriff in königliche Rechte, etwa des Judenschutzes, vorliegt, lässt sich nicht sagen.“ Die letztere Annahme erklärt am einfachsten die auffällige Nichterwähnung einer Juden­ ansiedelung in Nördlingen gegenüber den in den kleineren Nachbarorten^ Donau­ wörth und Bopfingen aufgeführten, denn das Verzeichniss enthält ausschliesslich Steuern von Städten und Judenschaften, und eine weitere Strafe als die über Nörd­ lingen verhängte kommt darin nicht vor.

5 Reich und noch unter den ersten deutschen Kaisern als die handel­ treibende Klasse der Bevölkerung in gesicherter Stellung lebten und zeitweise sogar sich besonderer Begünstigung erfreuten, wesentlich verschlechtert. Die beiden ersten Kreuzzüge hatten schwere Ver­ folgungen über sie gebracht. Wohl waren es zunächst nur zucht­ lose, dein Kreuzheere vorausziehende Schaaren, die, statt sich mit den gefürchteten Saracenen zu messen, den Kampf mit den Feinden Christi sogleich im Abendland beginnen wollten und am Rhein und Main Tausende von wehrlosen Juden niedermetzelten: aber das Schlimme dabei war, dass sie die bereitwillige Unterstützung des städtischen Pöbels fanden. Meist erwiesen sich solch schmählichem Treiben gegenüber die Obrigkeiten als schwach oder gleichgiltig, so dass sich die geistliche und weltliche Obergewalt genöthigt sah, sich der hartbedrängten Judenschaft anzunehmen. Papst Alexander III. forderte zu christlicher Duldung auf, und Kaiser Friedrich I. erklärte die Juden zu kaiserlichen Kammerknechten: sie sollten von nun an im Schutz des Kaisers stehen, wogegen ihnen die Verpflichtung zu Abgaben an die kaiserliche Kammer zufiel. Aber religiöse Ver­ hetzung und unverhüllte Habgier richteten sich während der folgen­ den Jahrhunderte immer wieder gegen Eigenthum und Leben der jüdischen Bevölkerung, namentlich seit sich um das Jahr 1235 in Deutschland der Wahn verbreitet hatte, als verwende sie Christen­ blut als Heilmittel oder zu rituellen Zwecken. Wäre den Angaben der Nördlinger Historiker zu trauen, so hätte bereits 1290 eine ,,Judenschlacht“ zu Nördlingen stattgefunden. Wir entnehmen den Bericht hierüber der gemeinsamen Quelle, aus der sie ohne Nennung ihres Gewährsmanns alle unmittelbar oder mittelbar geschöpft haben, der 1544 zum erstenmal gedruckten Kosmographey Sebastian Münsters. Dort heisst es in der „Be­ schreibung der Statt Nördlingen im vntern Riess: [Es] hat sich von Tag zu Tag je mehr zugetragen, dass sich die Juden in grosser Anzahl durch erlangte Freyheiten zu Nördlingen eyngetrungen vnd dermassen gesterckt, dass sie auch mitten in der Statt die besten Plätz erkaufft vnd ihre eigen zugehörige Gassen vnd Wesen gehabt, das Ihre geraehret, die Burgerschafft ausskaufft vnd in ein Verderben gebracht, vnd sie endtlich verursachet, dass sich die Burger anno Christi 1290 im Höwmonat auss grosser Dürftigkeit gegen den Juden beschwerlichen empört vnd auff ein Nacht biss in etlich hundert Juden vnd Jüdin erschlagen haben. Darauss erfolgt, dass nicht allein Rudolph, damals regierender Keyser, der Statt vmb sollicher

6 Judenschlacht willen ein mercklich Exaction oder Schatzung, die sie auch heutigs Tags jährlich reichen müssen, aufgelegt, sonder es haben sich auch die Juden vnd ihre Anhenger, die hinder den Juden Verpfendungen gehabt, biss in 59 Jar lang biss zu Keysers Carles des vierdten Absolution vnd Ledigzehlung, die Burger derwegen angefochten, sie dardurch von jhren Gewerb vnd Handtierung abgetrieben, zu beschwerlichen Verträgen getrungen vnd dadurch die Statt abermals inn hoch beschwerlich Verderben gericht. Dann wiewol jhre Nachbawren die Grafen bey jhnen gelegen vnd andere hoch vnd nider Stands, so mit Schuldenlast gegen den Juden behafft waren, dieser Judenschlacht mehr Vortheils dann Nachtheils gehabt, in dem dass jhre Verschreibungen in demselben Eynfall vnd Plündern verloren vnd derhalben jhre Schulden vngefordert anstehn bliben, so haben doch et.lich auss jhnen vermeynlich für­ geben, dass jhnen dardurch viel treffenlicher versetzter Vnderpfandt aussstehen vnd verloren seyn solten, die sie von den Nördlingern mit Ernst begerten, wie sie sich dann darauss allerley Vehd vnd Feindschaft gegen jhnen angemasset. Vnd sonderlich hat Grafe Hans von Oetingen anno Christi tausent vierhundert vnd viertzig die Thorwarten zu Nördlingen mit Gelt vnd Verheiss heimlich dahin gebracht, dass sie jhm drey Tag vnd drey Nächt die Statthor offen hielten11 . . . Als Verfasser dieses so zuversichtlich auftretenden Berichts nennt sich eine Persönlichkeit, die man ohne Weiteres als verlässigen Gewährsmann in Nördlinger Angelegenheiten ansehen möchte: Wolfgang Vogelmann, vielleicht der bedeutendste aller Nördlinger Rathsschreiber, durch Jahrzehnte der politische Berather oder Leiter des Stadtraths, dazu, wie ihm Sebastian Münster nachrtihmt, „ein sunderlicher Liebhaber der Historien und Cosmography.“ Seine Darstellung ist aber bereits dem 1759 als Bürgermeister verstor­ benen Nördlinger Chronisten Georg Heinrich Weng als wenig glaub­ würdig erschienen. Wie unwahrscheinlich klang es auch, dass Karl IV. erst 1349 dazu veranlasst worden sein sollte, der Stadt für eine 1290 an den Juden verübte Unthat Absolution zu ertheilen. Ludwigs des Baiern Wohlwollen, das sich neben wichtigeren Gnaden­ erweisen gerade auch in Ertheilung von zwei Judenprivilegien kund gab, hätte doch sicher eine noch an der ihm treu ergebenen Stadt wegen einer Verschuldung gegen die Juden haftende Makel getilgt. Und worin bestand denn die Absolution, wenn Karl IV. die von Rudolf I. angeblich auferlegte Strafe nicht aufhob, so dass dieselbe noch im 16. Jahrhundert erlegt werden musste? Selbstverständlich

7 steht auch in der Absolution Karls kein Wort von einer aus dem Jahr 1290 herrührenden Schuld und Strafe, sondern sein Brief hat lediglich den unter seinem Regiment verübten Judenmord im Auge. Ueberdies hat weder diese noch eine andere Gewaltthat der Reichs­ stadt an ihren Juden während des 14. Jahrhunderts zu Feindschaft und Fehde mit den Oettinger Grafen und andern Nachbarn geführt, so dass sich Vogelmann genöthigt sieht, seine Behauptung mit dem 1440 erfolgten Ueberfall der Stadt durch den Grafen Hans von Oettingen zu belegen. Der Beweggrund für den Raths­ schreiber, seine Stadt mit einem weiteren Judenmord zu belasten, tritt deutlich aus den gleichzeitigen Verhandlungen des Nürnberger Reichstags von 1542 zu Tage, auf welchem die Stadt Nördlingen es nochmals versuchte, sich der lästigsten von ihren Verpflichtungen gegen das Reich zu entledigen. Diese bestand unter dem Namen der Reichskerngült in einer jährlichen Reichniss von 7011/* Maltern Königsmass und ruhte auf den zum ehemaligen Königshof Nordilinga gehörigen Grundstücken der Stadtmarkung, den s. g. Hub­ äckern und Hub wiesen. Seit Jahrhunderten war sie an die Grafen von Oettingen als Reichspfandschaft verliehen und gab beständig Anlass zu Zerwürfnissen mit ihnen. Wohl hatten die Bemühungen des Raths 1517 dahin geführt, dass Maximilian I. Arrest auf diese Kerngült schlug; er hob ihn aber sofort wieder auf, als man gräflicherseits die Natur dieser Leistung klar legte. Um sie zu ver­ dunkeln, suchte man ihr wenigstens theilweise die Eigenschaft einer Strafleistung beizulegen und ersann zu diesem Behuf die Mähr von einer alten Judenverfolgung und einer dafür der Stadt auferlegten, unbilligerweise Jahrhunderte laug fortdauernden Busse. Das Er­ scheinen der Kosmographey Münsters bot nun willkommene Gelegen­ heit, dieser plumpen Erfindung den Anschein einer historischen Thatsache zu geben, indem man sie den übrigen, durch den Namen des Rathsschreibers verbürgten Denkwürdigkeiten aus der Nördlinger Vergangenheit zugesellte. Ohne irgendwelchen materiellen Erfolg zu erzielen, gewann sie doch auf diese Weise die weiteste Verbreitung und wurde unbedenklich als Quelle für spätere Darstellungen benützt.1) 1) Josef Kohen ben Josua nahm sie in seine 1575 vollendete Compilation Emek habacha (das Thränenthal) auf. Ebenso ist sie in die städtischen Chroniken und in geschriebene Memorbticher öbergegangen und wurde neuerdings in das Denkbuch der jetzigen israelitischen Gemeinde zu Nördlingen eingetragen. Selbst Anton Steichele, der sonst sehr besonnene Geschichtsschreiber des Bisthums Augs­ burg, ist der angeblichen, auch von J. Fr. Schöpperlin und andern Nördlinger

8 Das Jahrhundert sollte aber nicht zn Ende gehn, ohne der deutschen Judenschaft ein Geschick aufzuerlegen, das die Drangsale der Kreuzzugsperiode an Härte noch ttberbot. Während die Könige Adolf und Albrecht um den Besitz der deutschen Krone stritten und sich Niemand um den Schutz der Kammerknechte des Reichs küm­ merte, erschien die durch eine im fränkischen Städtchen Röttingen von Juden angeblich begangene Hostienschändung gebotene Gelegenheit zu einem Angriff auf sie ungemein günstig. Der zu Röttingen gesessene Edelmann Rindfleisch überlieferte im Frühjahr 1298 zunächst die dortige Gemeinde dem Flammentod und durchzog dann mit einem immer mehr anwachsenden Haufen das ganze Frankenland und einen Theil Schwabens, überall verkündend, der Himmel habe ihn berufen, die Juden vom Erdboden zu vertilgen. Das Loos der Vernichtung traf in unserer Gegend die jüdischen Ansiedelungen zu Gunzenhausen, Wassertrüdingen, Hohentrüdingen, Spielberg, öttingen, Nördlingen und Hürnheim. Das Martyrologium*1) der Nürnberger Gemeinde, die gleichfalls den Untergang fand, verzeichnet die Namen der Opfer, die in den beiden letztgenannten Orten dem religiösen Wahn ver­ fielen. Zu Nördlingen wurden — wohl im Sept. 1298 — erschlagen oder verbrannt: R. Jakob, Sohn R. Judas, der Gesetzrollenschreiber, seine Frau Kronlin und seine beiden Kinder; R. Levi, Sohn R. Salomos, und seine Frau Mirjam; die alte Frau Hanna und ihre Enkelin Frau Hanna; — zu Hürnheim: R. Juda, Sohn R. Samuels, seine Frau Gutlin, seine beiden Söhne und seine Tochter Belle-assez; R. Jsak, seine Frau Zeruja und seine beiden Kinder; der Knabe Simson; R. Mardochai, Sohn R. Jakobs, seine Ehefrau Rechlin, sein Sohn R. Jechiel, dessen Frau Rechlin und seine beiden Kinder; seine Tochter Frau Lea nnd ihre beiden Kinder; R. Samuel, Sohn R. Jakobs, seine Frau Mija und sein Sohn R. Bonzip; R. Jechiel und sein Sohn; Frau Guta, Tochter R. Abrahams, und der Knabe David. Sie erlitten insgesamt den Märtyrertod für den Glauben ihrer Väter. Denn Rindfleisch verschonte alle Juden, die sich zum Christen­ thum bekehrten.2) Historikern festgehaltenen Tradition gefolgt, und erst jüngst hat sie S. Salfeld in seiner Bearbeitung des Nürnberger Martyrologiums (s. u.!) als unbezweifelte Thatsache hingestellt, was zu näherem Eingehen auf sie nöthigte. 1) Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland, III. Das Martyro­ logium des Nürnberger Memorbuches herausgegeben von Siegmund Salfeld (1898) S. 181. 2) Die Liste im Memorbuche Charlevilles (s. Quellen IQ. S. 270) erwähnt übereinstimmend mit der Nürnberger Aufzeichnung Nördlingen und Hürnheim

9 Die zweite Judengemeinde zu Nördlingen tritt in der Zeit König Ludwigs des Baiern in die Geschichte ein. Ihre Glieder sassen dort mit Genehmigung des Königs auf Grund und Boden, der zum Reichs­ gut gehörte, und waren dem Vertreter ihres königlichen Schutz­ herrn, dem Reichsschultheiss oder Reichsamman untergeben. Noch standen sie nicht im Gemeindeverband, wenn sie auch zu einzelnen städtischen Umlagen herangezogen wurden, sondern waren Hinter­ sassen des Reichs, als welche sie der Reichskammer zinsten. Der Reichsammman erhielt von seinen Schutzbefohlenen eine jährliche Reichniss aus ihren Häusern und eine fixirte Abgabe bei ihrem Abzug, die s. g. Weglos, und bei Todesfällen den s. g. Fall. Ihm oblag neben dem Schutz auch die Einhebung einer jährlich von ihnen an das Reich zu entrichtenden Steuer, über die der König verfügte. Am 10. Nov. 1324*) verpfändete König Ludwig diese Steuer samt der Reichssteuer der Judenschaft zu Ulm an die Gebrüder Ludwig und Friedrich, die „jungen“ Grafen zu Öttingen, wegen ihrer im Reichs­ dienst erlittenen Einbussen um 1000 % Haller bis zur Wiederlösung dieser Summe. Nimmt man nach dem Brauch jener Zeit an, dass die Erträgnisse dem zehnten Theil der Pfandsumme gleichkamen, so betrug die von den beiden Judenschaften zu leistende Jahressteuer etwa 100 U Haller. Von nun an entrichtete die Nördlinger Juden­ gemeinde ihre Reichssteuer direkt an die Pfandherrn.8) Auf Grund dieser Verpfändung wurde am 5. Sept. 1329*3) 1 den 2 beiden Grafen von Amman und Rath der Stadt Nördlingen zugesichert, dass sie wegen des Bezugs verschiedener, vom Reich den Grafen zugewiesener städtischer Steuerleistungen in den nächsten 10 Jahren nicht geunter den Orten, gegen die sich Rindfleisch und seine Schaaren wandten, und fügt dazu die übrigen oben genannten Namen. Unsere einheimischen Geschichts­ quellen schweigen sämtlich über dies Ereigniss. Möglicherweise spielt bei Vogel­ manns Erfindung eines Gemetzels im Jahr 1290 noch eine halbverloschene Tradition von einem am Ausgang des 13. Jahrhunderts stattgehabten Judenmord mit. Von einer Hürnheimer Judengemeinde ist später nie wieder die Rede. Vielleicht hatten sich, da die Verfolgung fast ein halbes Jahr währte, Flüchtlinge dort nieder­ gelassen, die weder die Grafen von Öttingen noch die Edelherrn von Hürnheim zu retten vermochten. 1) M. Wiener: Regesten zur Geschichte der Juden in Deutschland (1862) S. 31. Nr. 44. 2) Am 11. Juli 1361 bekennen die beiden Grafen Ludwig zu Öttingen, dass ihnen „die Jüdscheyt, die ietz zu Nördlingen wonet ist, von disem angande jare gewert und bezalt haut dnssig pfunt haller.“ 3) Orig.-Urk. in Wallerstein.

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irrt werden sollten, namentlich nicht bezüglich der Juden und Kawerzin. Die Zahl der Nördlinger Juden war allem Anschein nach nicht unbeträchtlich, da ihnen 1331 Kaiser Ludwig das Privilegium ge­ währte, „böse, schädliche und busswürdige Juden odeT Jüdinnen, die zu ihnen kämen“, durch ein Gericht von vier erbaren, gesessenen Juden nach ihrem Recht abzuurteilen. Es konnte die Strafen des Augenausstechens, Gliederabschneidens, Säckens oder die unter den Augsburger Juden12) üblichen Strafen verhängen, und Amman und Rath sollten verbunden sein, diese Strafen zu vollstrecken. Diese Uebertragung der strafrechtlichen Gerichtsbarkeit an die Judengemeinde, wenn auch zunächst nur über nicht eingesessene Glaubensgenossen, hat doch wohl den Besitz der civilrechtlichen zur Voraussetzung, die, wie der Hinweis des Privilegs auf Augsburg erkennen lässt, eine ähnliche Regelung wie dort gefunden haben mag.3) In welcher Weise, lässt sich nicht angeben. Denn nur eine einzige, um das Jahr 1380 getroffene Bestimmung des Raths über Rechtsverfahren gegen Juden hat in das Nördlinger Statutarrecht Aufnahme gefunden und zwar eine strafrechtliche. Sie besagt, dass Juden für die von ihnen verwirkten Frevel und Besserungen den im gleichen Fall für Christen geltenden Strafsatz in zwiefachem Betrag der Stadt und den Bürgern zu geben hätten. Eine weitere kaiserliche Vergünstigung vom Jahr 1342, die für das rituelle Gemeindeleben unerlässlich war und zugleich die Vermeidung von Streitigkeiten mit der Metzgerzunft bezweckte, ge­ stattete ihnen für immer, zwei oder drei Fleischbänke unter dem 1) Der Ausdruck „Kawerzin“ kommt nur dies eine Mal in Nördlinger und Öttinger Urkunden vor. Dem Kaiser standen ähnliche Rechte über die Kawerzin zu wie über die Juden. Das Wort bedeutet ursprünglich wohl Bewohner der süd­ französischen Stadt Cahors, die Dante als Sitz des Wuchers brandmarkt, wurde aber dann wie der Name Lamparter im Allgemeinen zur Bezeichnung christlicher Geld­ wechsler, Pfandbeleiher und Wucherer gebraucht. In einer für Schlettstadt 1360 ausgestollten Urkunde spricht Karl IV. von den „Kawirschin, die sich Lamparter nennen.“ 2) Nach dem Vorbild der offenbar hochangesehenen Augsburger Gemeinde ordnete Ludwig d. B. auch die Verhältnisse der Jndengemeinden in München und Ingolstadt. — Das am 21. Nov. 1331 zu Nürnberg ausgestellte Privilegium ist abgedruckt bei A. Steichele: Das Bisthum Augsburg III. S. 937. 3) Das Augsburger Stadtrecht von 1276 enthält über das dortige, aus jüdischen und christlichen Beisitzern zusammengesetzte Judengericht, Pfand- und Darlehensverhältnisse u. dgl. sehr eingehende Anordnungen.

n Namen „der Juden Bench“ zu haben, das Schlachtvieh dort oder in ihren Häusern zu tödten und das Fleisch in ihren Bänken zu ver­ kaufen, sowie den Bedarf an Schlachtvieh in oder ausser der Stadt einzukaufen.1) Auch im Bereich der Grafschaft Oettingen2) finden sich in jener Zeit wieder Judenansiedelungen. Am 30. Mai 1331 gestattete Kaiser Ludwig dem „alten“ Grafen Ludwig zu Oettingen, alle Juden, die jetzt bei ihm sässen oder zu ihm fahren und sesshaft werden wollten, bis auf Widerruf zu nutzen und zu niessen mit allen Rechten, Ehren und guten Gewohnheiten.3) Der Kaiser übertrug hiemit dem Grafen das Judenregal unter Verzicht auf die ihm bis­ her von den unter dem Grafen gesessenen Juden entrichtete jähr­ liche Steuer. Das gleiche Recht gewährte er des Grafen Neffen, den Gebrüdern Ludwig und Friedrich, am 27. April 1333.4) Ihnen wurde auch am 15. Dezember des gleichen Jahres5) neben dem Nördlinger Rathe aufgetragen, die Juden zu Nördlingen, des Kaisers „liebe Kammerknechte“, wegen ihrer dem Kaiser geleisteten Dienste — wohl einer ausserordentlichen Beisteuer für Reichsbedürfnisse — für die nächsten zwei Jahre zu schirmen vor Allen, die ihnen Steuern auferlegen oder sie sonst beeinträchtigen möchten, selbst vor dem Kaiser oder einem Reichspfleger. Der Kaiser versichert, dass die Schirmer seine Huld und Gnade nicht verlieren sollten, wenn sie ihn gegebenenfalls „ermahnen“ und so ihre Schützlinge vor Schaden behüten würden. Sollte sich in der gedachten Frist ein Jude zu 1) Die in E. Winkelmann: Acta Imperii inedita (1885) II. Nr. 638 abge­ druckte Urkunde ist am 20. Juni 1342 zu München ausgestellt und enthält noch folgende Bestimmungen: Ein christlicher „Fleischmann“ , der von den Juden ge­ schachtetes Fleisch unter der Christen Bänken verkauft, verfällt in eine Strafe von 1 7? Hallern bei einem Rind, von 60 Hallern bei Kalb, Schaf oder Betze. Salzt er derartiges Fleisch ein, oder mischt er es unter anderes, um es an Christenleute zu verkaufen, so trifft ihn neben jener Busse auch Stadtverbannung auf ein Jahr. Fremde, die solches Fleisch in die Stadt führen, haben es gleichfalls bei Strafe unter den Judenbänken feilzuhalten. 2) Die Grafen von Öttingcn besassen damals auch die Städte Ansbach, Gunzenhausen, Wassertrtidingen u. a., in denen nachweislich Juden 1328 und 1343 sassen (S. Bänle: Geschichte der Juden im ehern. Ftirstenthum Ansbach (1867) S 44. 47. 51). 3) Wiener Reg. S. 35. Nr. 80. 4) Wiener Reg. S. 37. Nr. 92. 5) Nürnberg, Mitw. nach S. Lucien Tag. Wiener Reg. S. 38. Nr. 99, wo fälschlich nach Böhmers Regesten K. Ludwigs d. B. Nr. 2776 der 13. Dec. ange­ geben ist. Wiener Reg. S. 253. Nr. 98a ist als irrig zu streichen.

12 Nördlingen ansiedeln, so habe auch er seinen Theii an der bereits geleisteten ausserordentlichen Steuer zu übernehmen. Da der Kaiser dem alten Grafen Ludwig 400 U Haller an der „Losung zu Giengen“1) schuldig geblieben war, so erneuerte er ihm hiefür am 21. Sept. 13422) das Privileg von 1331 mit dem Zusatz, bis zur Heimzahlung dieser Schuld keinerlei Forderung an die in den Schlössern und Vesten des Grafen sitzenden Juden zu richten. Der Kaiser bedang sich nur den güldenen Opferpfennig aus, eine jährlich von allen Juden und Jüdinnen über 12 Jahre als Leibzins zu entrichtende Abgabe von einem Goldgulden, die er seit diesem Jahre der ge­ samten Judenschaft im Reiche auferlegt hatte, und die alle seine Nachfolger beanspruchten. Bald darauf fühlte er sich verpflichtet, Graf Ludwig den Jüngern für die ihm im kaiserlichen Dienst auf wiederholten Fahrten gen Avignon an den päpstlichen Hof erwachsenen Kosten zu entschädigen, und er schlug daher am 8. Juli 1345 weitere 600 % Haller auf die Nördlinger Judensteuer, die der Graf mit seinem Bruder seit 1324 pfandweise besass.3) Kaiser Ludwigs Nachfolger, König Karl IV., bestätigte dem Grafen Albrecht, dem Sohn des älteren Grafen Ludwig, am 16. Oct. 1347 seine Reichspfand schäften und insbesondere alle Rechte über die Juden in seinen Schlössern, wie sie sein Vater gehabt.4) In Anerkennung der von den Grafen Ludwig und Friedrich dem Reich geleisteten Dienste erneuerte er am 16. Dec. 1347 die früheren An­ weisungen auf die Judensteuern zu Ulm und Nördlingen von 1324 und 1345, am 19. Dec. ihr Judenregal und erhöhte am 24. Dec die Pfandsumme für die Judensteuer der beiden Städte auf 2000 U Haller.5) Als Beweis besonderer Gnade überliess König Karl den beiden Grafen am 18. Febr. 13486) den Juden Pfefferkorn, um ihn „zu nutzen und zu niessen mit allen Rechten.“ Pfefferkorn mag eines eigenen Privilegiums wohl werth gewesen sein, da er am 18. Oct. 1345 als notabler Mann zusammen mit Ludwig von Ramstein sich 1) Kaiser Ludwig hatte 1332 seinen Söhnen statt der ihnen versetzt gewesenen Stadt Hochstätt die Stadt und Burg Giengen als Pfand überwiesen. Von 1336—1342 befand sich Giengen in Afterpfandbesitz Graf Ludwig des Altern von Öttingen. 2) Frankfurt an S. Mathäus Tag. Bei Böhmer Reg. Ludw. d. B. Nr. 2266 irrig unter dem 20. Sept. 3) Böhmer Reg. K. Ludw. d. B. Nr. 2444. 4) Böhmer-Huber Reg. Karls IY. Nr. 370. 5) Ebenda Nr. 5981. 5982. 5986. 5988. 6) Nürnberg, Mont. n. St. Valentins Tag. Orig.-Urk. in Wallerstein.

13 für Graf Ludwig den Aeltern gegen die Jüdin Gutta, Moses Wirthin, von Gunzenhausen verbürgte,1)2 dass * * * ihr * * während ihres Sitzes unter dem Grafen von dessen Dienern kein „Widertrieb“ angethan, dass sie selbst bei Ueberfahrungen nicht ins Gefängnis gesetzt, und dass ihr beim Abzüge Friede und Geleit auf vier Wochen zugestanden werden solle. Nur kurze Monate war es den Grafen vergönnt, ihren neuen Schützling zu nutzen. Er wurde ein Opfer der schlimmen Ereignisse, die gegen das Ende des Jahres eintraten. Während der Jahre 1348—1350 zog der „schwarze Tod“ oder das „grosse Sterben“ durch Europa, eine aus dem Orient zunächst in die südeuropäischen Hafenplätze eingeschleppte Pest, die ver­ heerender auftrat, als je eine Seuche zuvor. Nach dem gegen Ende 1349 zu Regensburg verfassten Bericht des naturkundigen Konrad von Megenberg wüthete die Pest im Laufe des Jahres 1348 in Süd­ frankreich, Italien und Kärnthen, hierauf „starb viel Volkes in Wien 1349, und darnach streckte sich der Sterb auf gegen Baiern und Passau“ . . Regensburg wurde um S. Jacobstag 1350 erreicht, ebenso Stuttgart.8) In Südfrankreich begann schon 1348, als die Pest einzog, auch der Judenmord. Man beschuldigte, wie schon früher geschehen, die Juden der Brunnen Vergiftung und suchte sich durch den Tod der vermeintlichen Übelthäter zu rächen. Aber in der Schweiz, im Eisass, in den Rheinlanden, in Schwaben und Thüringen war gleichfalls der Judenmord wie eine Epidemie auf­ getreten, noch ehe sich die Pest gezeigt hatte, so dass man genöthigt ist, diese allgemeine Verfolgung der Juden als einen Akt wirtschaftlicher Nothwehr, freilich furchtbarer Art aufzufassen. Er findet genügsame Erklärung aus der Art des Erwerbs, auf den sich 1) Das Siegel, dessen sich Pfefferkorn bedient, zeigt einen Schild mit drei (Pfeffer-) Körnern und seinen Namen. — Die Urkunde hängt vermutblich mit dem Tode des Mosse von Gunzenbausen, gesessen zuBaldern, zusammen. Am 2. Juni 1344 besiegelte Graf Ludwig der Elter eine Urkunde, worin Mosse auf alle Ansprüche verzichtete, die ihm laut eines in den Händen seines Partners Samuel von Weischenfeld liegenden Briefes an die Burggrafen Johann und Albrecht von Nürnberg zu­ standen (Monumenta Zollerana III. Nr. 122). 2) Die Ellwanger Jahrbücher erwähnen der Seuche 1349 und 1350 in so allgemeinen Ausdrücken, dass man daraus schliessen könnte, sie sei in unserer Gegend überhaupt nicht aufgetreten. Doch wüthete sie im Frühjahr 1350 ganz in der Nähe. Nach dem Bericht des Joh. Knebel starben im Kloster Kaisersheim bei Donauwörth vom 15. April bis 15. Mai 22 Angehörige des Convents. Auch der Gottesfreund Heinrich von Nördlingen, der damals in der Gegend weilte, erwähnt diese Heimsuchung des Klosters.

14 die Juden der damaligen Zeit angewiesen sahen. Ehedem lag der Handelsbetrieb in ihren Händen, aber als seit dem 12. Jahrhundert sich Zünfte und Kaufmannsgilden bildeten, war ihnen der Eintritt in dieselben versagt geblieben, und sie sahen sich allmählich vom Waren­ handel ausgeschlossen. Ihre Existenz beruhte nunmehr vorzugsweise auf dem Geldgeschäft, dessen Ausübung den Christen auf Grund des kanonischen Zinsverbots untersagt war. Es ist das zinsbare Darlehen, das für sie eine unversiegbare Quelle des Reichthums, zu­ gleich aber immer neuer Verfolgungen bildete. Der Geldbedürftige vom Bauern oder Handwerker bis zu den geistlichen und weltlichen Fürsten sah sich auf die Hilfe des Juden angewiesen, bei dem religiöse Bedenken gegen Zinsnahme nur bezüglich seiner Glaubens­ genossen1) bestanden. Bei grösseren Darlehen wurden die Zinsen der Regel nach jährlich bezahlt, während der gemeine Mann für die ihm dargeliehenen Beträge Wochenzinse zahlen musste, die be­ trächtlich höher waren als jene. Denn in vielen Fällen gingen sie noch weit über den gesetzlich erlaubten Zinsfuss hinaus, der zwischen 21 Vs% und 869/3% betrug. Derartige Bedingungen mussten natür­ lich einen grossen Theil der Schuldner zu Grund richten. Der Handwerker jener Zeit aber hatte in energischer Selbsthilfe das wirk­ samste Mittel erkannt, sich der ihn drückenden Lasten zu erwehren. Wie er fast überall die Geschlechterherrschaft in den Städten ge­ brochen und sich die Theilnahme am Stadtregiment erkämpft hatte, so trug er noch weniger Bedenken, die ihm seitens der ohnedies fast als rechtlos betrachteten jüdischen Geldmänner auferlegte und immer wachsende Bedrängniss abzuschütteln. So kam es allent­ halben zum Judenmord, zu dessen Abwehr sich die städtischen Obrigkeiten meist zu schwach fühlten, während die vielfach ver­ schuldeten adeligen Herrn, geistlichen und weltlichen Fürsten der Vernichtung ihrer Gläubiger ruhig zusahen. In unsere Gegend ist die Bewegung wohl aus der Schweiz und vom Bodensee her vorgedrungen. Der zeitgenössische schwäbische Chronist Heinrich von Diessenhofen, der zu Constanz lebte, berichtet, im Nov. 1348 habe der Judenmord zu Solothurn und Zofingen be­ gonnen und dann habe man die Juden in Stuttgart, Landsberg am Lech, Kaufbeuren, Memmingen und Burgau verbrannt. Gleiches Schicksal traf die Augsburger Juden am 22. November. In Nördlingen, wo eben die Zünfte im Begriff standen, sich den Eintritt in 1) 2. Mos. 22, 25; 3. Mos. 25> 30; 5. Mos. 23, 19. 20.

15 den Rath zu erzwingen, fand die Verfolgung um die gleiche Zeit statt, sie zählte aber auch im Riess weitere Opfer.1) Doch ist aus den Urkunden ersichtlich, dass es nicht zu einer allgemeinen Ver­ tilgung der Judenschaft gekommen ist. Am 18. Dec. 1348 ermächtigte König Karl IV. den Grafen Albrecht von Öttingen, alles Gut an Gold, Silber, Kleinodien, Hallern (baarem Geld) und Briefen (Verschreibungen), was in seinen Vesten von den Juden, sie seien lebend oder todt, gefallen sei oder von ihm noch erforscht werde, zu behalten und in seinen Nutz zu wen­ den, namentlich auch die von ihnen hinterlassenen Häuser und Hof­ stätten. Insbesondere wurde ihm das Eigenthum am Nachlasse der Jüdin Meriant, genannt die Normennin, an Gold, Silber, Hallern und Häusern zugesprochen.2) Bezüglich der Nördlinger Judenschaft trafen die Grafen Fried­ rich und Ludwig, die als Pfandinhaber ihrer Reichssteuer in engeren Beziehungen zu ihr standen, ein gütliches Abkommen mit dem Rath am 24. Dec,, nachdem sie der Stadt einen vorläufigen Sühnebrief bei König Karl ausgewirkt und sich das Eigenthum an der Juden Gut von ihm hatten übertragen lassen. Der Stadt wurden 1700 U Haller und weitere 300 U Haller, die sie den Juden schuldete, zu­ gesprochen, dazu noch 600 die sie aus Judengut erlöst hatte. Wegen der „Gült“, die die einzelnen Bürger „arm und reich“ den Juden geben sollten, wurde bestimmt, dass „sie davon niemand nichts schuldig seien.“ Den Grafen fielen ausser einigen Juden, die ihnen ausgeantwortet wurden, sämtliche Häuser und Hofstätten unter dem Beding zu, dieselben binnen 3 Jahren dem Stadtrecht entsprechend an Bürger zu verkaufen und bis dahin keine neuen Gebäude auf den Hofstätten zu errichten. In ihren Besitz gingen gleichfalls über alle von auswärtigen Juden in Nördlingen Vorgefundenen Schuld­ verschreibungen und Werthgegenstände. An Kleinodien stellte ihnen der Rath zu eine vergoldete Krone, die einst der Herzogin Judith, der im Jahr 1320 verstorbenen Wittwe Herzogs Stephan von Niederbaieru, gehört hatte, einen vergoldeten Silbergürtel im Werth von 12 Mark, zwei Silberschalen und drei Köpfe (Trinkgefässe), einen 1) Unter den Marterstätten zur Zeit des schwarzen Todes werden aufgeführt: Nördlingen, Trüdingen, Bopfingen, Harburg. Wahrscheinlich beziehen sich die als Blutorte in einem Gebetbuch des 14. Jahrhunderts neben Nördlingen vorkommenden Namen Wallerstein und Öttingen gleichfalls auf die Verfolgung von 1348 (Quellen z. Gesch. d. Juden in Deutschland III. S. 275. 281 f.). 2) Böhmer-Huber Reg. Karls IV. Nr. 795.

16 goldnen, einen kristallenen and einen perlmutternen, die letztem auf vergoldeten Silberfüssen ruhend. Als Schuldner erscheinen auf den in die Hände der Grafen gelegten Verschreibungen — die Briefe Konrads von Hacheltingen behielt die Stadt und entschädigte dafür die Grafen mit 160 % Hallern — neben dem Grafen Friedrich1) der Abt von Deggingen, Gerung von Emershoven, Chunrat der Sachse von Bopfingen, Ulrich von Bopfingen, Chunrat von Merkingen, ßamung von Maiingen, Chunrat und Menwart von Steinheim, Men­ wart der Frikke zu Öttingen, Rudolf und Hans die Frikken, Sifrid von Altheim, Hans von Zipplingen und Heinrich Niukom. Unter den Schuldbeträgen, die im Ganzen gegen 1200 % Haller aus­ machen, findet sich nur ein bedeutender Posten, ein Brief über 600 % von Ulrich von Bopfingen für die Jüdin Brünin, Pfefferkorns Wittwe. Die übrigen einheimischen jüdischen Gläubiger sind Falk Selmlin, Hanne, Simon, Mosse, Micheltrut, Simon StrOlin, Salman von Baldern und Simon Josbel von Baldern. Nachdem sich die Grafen auf diese Weise „lieblich und fründlich“ mit dem Nördlinger Rath um die an den Juden verübte „Gethat“ geeint und sogar zu­ gestanden hatten, bei Differenzen bezüglich später aufgefundenen Judenguts vor dem Amman zu Nördlingen minniglich Recht zu nehmen, gaben sie wiederholte verbriefte Zusage, innerhalb der nächsten zwei Jahre die Stadt und die Bürger mit dem Rechten zu versprechen oder ihnen sonst beholfen zu sein, wenn Jude oder Christ Ansprüche wegen des an sie gekommenen Gutes von leben­ den oder todten Juden erheben sollte. Für jeden Schaden, der der Stadt daraus entstünde, erklärten sich die Grafen haftbar. Sie setzten dafür Land, Leute und Gut zu Pfände und stellten dazu als Bürgen eine Anzahl adeliger Herren des Riesses, von denen be­ reits einige als Judenschuldner erwähnt sind. Es waren die „ersamen vesten Manne und die bescheiden Lüt“ Herr Gerung der Truchsezze von Wilburgsteten, Herr Gerung und Herr Eberhart von Emershoven, Herr Ekkart von Merkingen, Herr Ulrich von Bopfingen, Herr Chunrat von Hoppingen, Heinrich von Rychenbach, Ulrich der Slutenhover, Göry der Schenk vom Stain, Rudolf von Pfaulhen (Pfalheim), Ludwig von Ramstein, Hans von Zipplingen, Kraflft vom 1) Graf Friedrich wird nur als Mitbetheiligter an einer Schuld von 100 B Hallern in einer von ihm, Chunrat dem Sachsen und Gerung von Emershoven ge­ meinschaftlich ausgestellten Urkunde genannt. Von sonstigen Schuldverschreibungen der Grafen ist selbstverständlich in den Urkunden nicht die Rede.

17 Stain, Chunrat der Sachse von Bopfingen, Heinrich von Scheppach und Berchtolt von Hoppingen. Die Bürgen verpflichteten sich, im Fall nicht erfolgter Entschädigung acht Tage nach ergangener Mah­ nung in Nördlingen einzureiten und dort in eines erbem Gastgeben Hause -bis zum Abtrag des Schadens in „Leistung“ (Personalhaft) zu verbleiben. Eine förmliche Absolution über den Vorfall ertheilte König Karl erst am 26. März 1349.*) Er versicherte in seinem Brief die Bürger der Stadt Nördlingen, seine lieben Getreuen, seiner Huld und Gnade wegen der Gethat, die an den Juden geschehen sei, die „da entleibt sind, gefangen oder beschetzt oder inen ir Brief oder irGut genommen ist“, sprach die Bürger der Verschuldung daran ledig und los, wie auch der Schulden, die sie bei den Juden gehabt, und untersagte männiglich, weitere Anforderungen deshalb an sie zu stellen. Indem er so den an seinen Kammerknechten geschehenen Mord guthiess, die Judenschulden der Bürgerschaft aufhob und die Grafen in den Besitz des übrigen Judenguts setzte, handelte er nach den bereits von seinem Vorgänger aufgestellten Grundsätzen, wonach der König unumschränkter Herr über Leib und Gut der Judenschaft sei. Als er am 1. Jan. 13499) die Grafen Friedrich und Ludwig auch ihrer Judenschulden zu Nürnberg quitt und ledig sprach und den dortigen Juden befahl, den Grafen ihre Verschreibungen zurück­ zugeben, fügte er zu Begründung dieser Massregel bei: „wann wir daz von unser vollenkommen kuniglichen Gewalt wol getun mugen, wann aller Juden Leib und Gut in unser Gewalt sin, damit zu tun und zu lassen volleclichen.“ Gegen den so unzweideutig sich manifestirenden Volkswillen, der das jüdische Element aus den Städten verbannen wollte, waren die Machthaber aller Orten machtlos gewesen. Es lag aber so sehr in ihrem Interesse, eine so ergiebige Einnahmequelle nicht versiegen zu lassen, dass man den Juden sehr bald wieder Aufnahme ge­ währte. Schon wenige Wochen nach der berichteten Verfolgung er­ mächtigte König Karl den Nördlinger Eath, mit den etwa am Leben gebliebenen Juden oder mit denen, welche „um Beschirms willen“ in die Stadt kommen wollten, ganz nach seinem Gutdünken ein Übereinkommen zu treffen und den hieraus entspringenden Nutzen zu der Stadt Notdurft zu verwenden.8) Hiermit übertrug der König 1) Böhmer-Huber Reg. Karls IV. Nr. 895. 2) Böhmer-Huber Reg. Karls IV. Nr. 6564. 3) Dresden 1348 Dec. 31. Orig, im Nördl. Archiv.

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18 das Schirmrecht und das damit verbundene Besteuerungsrecht auf den Rath. Die verpfändete Reichssteuer und der güldene Opfer­ pfennig blieben von dieser Abmachung unberührt. Auch die Abgabe an den Reichsamman dauerte fort, bis das Ammanamt vom Reich an die Stadt übergieng. Allmählich sammelte sich wieder eine Judengemeinde um die entweder von den Grafen gelöste oder neu erbaute Synagoge, als deren Eigenthümer 1357 Mosse von Bopfingen, dessen Schwager Isaak, Anshalm Levis Sohn, Leo Michels Sohn, Lieberman Selikmans Sohn, Symon Selikmans Diener, Hanne Levis Schwieger, die Wittwe Levis und die Mutter Leos auftreten — mit Ausnahme von Hanne lauter neue Ansiedler. Ihre Wohnsitze hatten sie in einer zum nahen Rathhause führenden Gasse, die den Namen der Juden­ gasse durch allen Wechsel der Zeiten beibehalten hat. ’) Im Laufe des Jahres 1373 hatte Karl IV. die Mark Branden­ burg den Wittelsbachern abgenommen und seinem Hausbesitz an­ gefügt. Hiefür bedurfte es sehr bedeutender Geldmittel, zu deren Beschaffung er sich nicht scheute, den Reichsstädten eine bis dahin unerhörte Schatzung*) aufzulegen, während er zugleich Nördlingen, Dinkelsbühl, Donauwörth und Bopfingen seinem Schwiegersohn, dem Herzog Otto von Baiern, für dessen Verzicht auf Brandenburg um 100000 Gl. verschrieb. Graf Eberhard von Wirtemberg, der ge­ fürchtete Gegner der Städte, der erst 1372 das Stadtvolk bei Alt­ heim niedergeworfen hatte, wurde vom Kaiser beauftragt, die fast unerschwinglichen Summen von den Städten einzutreiben. Selbst­ verständlich vergass man bei diesem Anlass der Juden nicht. Es wird berichtet, man habe der jüdischen Gemeinde zu Augsburg 10000 Gl., der zu Ulm 12000 Gl. abgepresst. Aber die beiden Judenschaften zu Ulm und Nördlingen, deren Reichssteuer den Grafen von öttingen verpfändet war, wurden auch angewiesen, dem Grafen Ludwig abgesehen von der gewöhnlichen Reichniss die Summe von 3600 % eiteliger Haller zu erlegen, wofür ihnen Ereiung während der nächsten 10 Jahre zugestanden wurde. Graf Eberhard sollte

1) S. Abschnitt VI. 2) Der Augsburger Chronist Burkard Zink klagt: „Die grofs unpillich beschatzung was vormals nie kainem kaiser noch kunig widerfaren und ist auch nie gehört worden, und umb sollich gross beschatzung muesten die burger in den reichstetten leibgeding hingeben, ie ain guldin umb fünf guldin“ (Hegel: Die Chroniken der deutschen Städte V. S. 7).

19 dafür sorgen, dass das Geld abgeführt würde, und die Juden dazu nöthigen, wenn sie sich weigerten.1)2 Die Zusicherung zehnjähriger Freiung — mochte sie sich auf ausserordentliche Schatzungen beziehen oder auch die gewöhnliche Jahressteuer in sich schliessen— sollte zunächst wohl die Geschätzten geschmeidiger machen, war aber keineswegs ernstlich gemeint. Be­ reits im Jahr 1377 traf der Kaiser bezüglich der Judenschaft zu Nördlingen für die nächsten drei Jahre eine Bestimmung, die er als einen Act besonderer Gnade für die Stadt bezeichnete. *) Diese sollte mit allen Juden, die schon ansässig waren oder ihren Wohn­ sitz daselbst nehmen würden, ein Abkommen bezüglich der Steuer treffen, die Hälfte derselben bei Eid und Treuen an die kaiserliche Kammer abliefern, die andere Hälfte aber zu der Stadt Nutzen ver­ wenden. Während dieser Jahre sollte die Judenschaft mit beson­ derer Schatzung oder Bete verschont bleiben. Die Bedeutung dieser Vergünstigung ist darin zu suchen, dass fortan die Regelung des gesamten Steuerwesens der Juden, auch ihrer Reichssteuer, dem Rath zustand, der die Verhältnisse seiner Schirmbefohlenen genau kannte und ihre Leistungsfähigkeit am besten beurtheilen konnte. Durch diese Verfügung wurden die Bezüge der gräflichen Steuerpfandherm auf die Hälfte herabgesetzt und sind es seitdem ge­ blieben. Es liegt nahe, mit dieser natürlich nur unter Zustimmung der Grafen vorgenommenen Reduction ihrer Steuereinnahmen jene Zahlung von 1373 in Verbindung zu bringen und sie wohl auch als Tilgung eines Theils der Ffandschaftssumme aufzufassen. Wenn der Kaiser dem Rath gestattete, Juden aufzunehmen, die „um Beschirms willen“ in die Stadt kommen wollten, so war damit keineswegs die Freizügigkeit der Juden ausgesprochen. Zur Verlegung ihres Wohnsitzes war die Erlaubniss des jeweiligen Schirm­ herrn nothwendig. Als der Jude Joseph die damals dem Herzog Stefan von Baiern verpfändete Reichsstadt Werd verliess, um sich in Nördlingen anzusiedeln, forderte der Herzog „im Vertrauen, dass die Stadt den Juden nicht lieber habe als ihn, den Herzog“, seine Ausweisung, da man sonst denken könne, er sei beschatzt und be­ schwert worden, was dem Herzog Unglimpf bringen müsse. Die gleiche Reclamation liess er an Augsburg wegen seines Juden Sanwel 1) Prag 1373 Dec. 13. (Abgedruckt in E. Winkelmann: Acta Imp. inedita II. 612). 2) Tangermünde 1377 Sept. 1. (Bühmer-Huber Reg. Karls IV. Nr. 5800).

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20 ergehen. Der Nördlinger Rath behielt seinerseits ebenso den Juden Anshelm, des Meirs Sohn von Köln, als Marschalk Heinrich von Pappenheim an ihn das Ansinnen richtete, da jener sein Jude geworden sei, solle ihn die Stadt gütlich von sich weisen und ihm dagegen freies Geleite gewähren. Ein Menschenalter hatte diese dritte Judengemeinde zu Nördlingen unangefochten verlebt, als auch über sie ein Schreckenstag kam. An verschiedenen Orten in Franken und Schwaben brach 1384 eine Verfolgung über die Juden herein, über deren verwerf­ lichen, von frevler Raub- und Mordgier getragenen Charakter die christlichen Zeitgenossen selbst sich genugsam ausgesprochen haben. In Augsburg und Nürnberg nahm man die Juden gefangen, um ein ungeheures Lösegeld von ihnen zu erzwingen; in Nördlingen, Weissenburg und Windsheim aber fanden Aufläufe statt, bei denen viele Juden das Leben einbüssten. Am schlimmsten ist^'es ihnen wohl in Nördlingen ergangen. Die gleichzeitige Rathschronik berichtet den Vorfall mit Worten, die über ihre völlige Vernichtung keinen Zweifel lassen: „Item die Juden hat man zu Nördlingen erschlagen an Sant Martha Tag (29. Juli) 1384.“ Etwas ausführlicher meldet eine Augsburger Aufzeichnung*): „Des Jars erschlugen die von Nördlingen all ir Juden zu tod, Man und Wib und Kind,*) am Freitag nach Jacobi, und namen in alles ir Gut; und wer in schuldig was, da gab in niemand nichts umb. Die Graven von Ötingen stunden vast an den Juden,3) den wurden ir Pfand und Brief wider. Das tät der Pofel wider ainen Raut.“ Hinter dem erregten Pöbel aber standen doch auch Angehörige alter rathsfähiger Geschlechter, deren Beziehungen zur Judenschaft sich leicht errathen lassen. Der schwäbische Städtebund, dem Nördlingen am 9. Aug. 1377 beigetreten war,'nahm die Sache sehr ernst und fällte am 13. Sept. 1384 zu Nürnberg ein strenges Urtheil über „das an des Reichs Juden be­ ll Chronik des Hektor Mülicb in Hegels Chroniken der deutschen Städte XXII. S. 27. — Das Chronicon Elwacense hat unter dem Jahr 1884 folgenden Eintrag Hoc anno occisi sunt omnes Judaei in civitate Nördlingensi per aliquot cives iusdem, quorum capitaneus fuit quidam Schüler (Mon. Germ. Scr. X. 41). 2) Eine andere Augsburger Nachricht hat den Zusatz: „der wol 2 hundert was“ (Hegels Chroniken IV. S. 74 f.). 3) Der Ausdruck besagt, dass sich die Grafen in finanzieller Abhängigkeit von den Juden befanden, enthält aber nichts, was den Augsburger Historiker Pirm. Gasser dazu berechtigte, den Grafen eine Miturheberschaft am Aufstand beizuraessen (P. Gassari Ann. Augstb. in Script, rer. Germ. ed. J. B. Menckenius (1728 I. p. 1524: eam rem incitante Oetingense comite inscio senatu . .).

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gangene Mort.“ Die an der Blutthat Betheiligten: Peter Schüler, Oswalt Frikkinger, Heinz Zindel, Velwer der Zimmermann, Hans Schnider, Walther Nawer, Wolf Baier der Metzger, Hans Schaffer Fritz Kaltsmid, Herman Applin und der Schmid von Giengen, so­ wie das Rathsmitglied Cunz Swenterer, der um den Anschlag wusste und ihn dem Rath verschwieg, wurden auf Lebenszeit aus Nördlingen und den schwäbischen Bnndesstädten verwiesen. Würde einer dieser Männer in einer der Städte ergriffen, so sollte er als Mörder'unverzüglich berechtet und vom Leib gethan (hingerichtet werden. Auch die fremden Städte und die Fürsten sollten aufge­ fordert werden, sie zu greifen. Verbannung auf 5 Jahre traf die weniger belasteten Bürger Tolfus, Cunzel Binder und Heinz Rot. Bei den Verhandlungen, die über die wegen der Unthat zu ergreifenden Massregeln zwischen dem schwäbischen Städtebund und dem Nördlinger Rath gepflogen wurden, zeigte sich dieser so wenig gefügig, dass die Stadt auf dem Speirer Städtetag am 23. März 1385 aus dem Bundesverband gestossen wurde. Auf dem ersten in der Sache angesetzten Bundestag zu TJlm äusserte die Nördlinger Raths­ botschaft zwar ihr herzliches Bedauern über den Vorfall und war sogar damit einverstanden, mit einer Abordnung der Städte nach Nördlingen zu reiten, um über die Frevler ein Blutgericht zu halten. Als aber verlangt wurde, dass das vom Rath in Verwahrung ge­ nommene Judengut’) an Geld, Verschreibungen und Pfändern bis zur Entscheidung des Bunds über das einzuhaltende Verfahren in Ulm hinterlegt werden sollte*), erklärten die Nördlinger Vertreter, hiezu keine Vollmacht zu besitzen. Ähnlich verhielten sie sich auf den nächsten Tagen zu Nürnberg und Constanz, zu denen sie an­ gewiesen waren, ein Verzeichniss des Judengutes vorzulegen. Als auch bei einem zweiten nach Nürnberg anberaumten Tag die Nörd­ linger Rathsboten ohne ausreichende Vollmacht erschienen waren, wurden sie geheissen, wieder nach Haus zu reiten und sich vom Rath mit vollem Gewalt versehen zu lassen. Dies geschah, und nun 1) Am 24. Nov. 1385 schrieb Herzog Stephan v. Baiern an den Rath, Abraham, Sanbels Sohn, habe gen Nördlingen an seines Weibs Vettern Anssei Bücherizum Verkauf gesandt. Letztere seien, als die Juden zu N. „bekümmert“ wurden, auf das Rathhaus gekommen und noch in des Raths Gewalt. Dieser wolle dem Juden seine Bücher widerfahren lassen (Anssei war bereits 1382 nach Nürn­ berg übergesiedelt). 2) Absatz 2 der Beschwerdeartikel der Stadt Nürnberg gegen einzelne Glie­ der des schwäbischen Städtebundes (Hegel, Chroniken d. deutschen Städte I. S. 161).

22 griffen die Städte, wie es im Schreiben vom 23. März heisst, zu den Sachen und arbeiteten sich darin ab so getreulich sie immer vermochten, wie sie die Sach nach Nutz und Ehren und der Stadt Besten niederlegen und verrichten möchten. Wegen der ablehnen­ den Haltung der Nördlinger Gesandten aber „einten sie sich etlicher Aussprüch und Ordnung“ bezüglich des Judenguts, um sich vor König, Fürsten, Herren und Städten verantworten zu können, und entsandten mit diesen Beschlüssen, die nach ihrer Überzeugung red­ lich und gütlich und im Interesse des Bundes wie der Stadt gefasst waren, die Städteboten von Basel, Ulm, Constanz und Ravensburg an den Nördlinger Rath. Dieser beharrte jedoch bei seinem Ent­ schlüsse, das Judengut nicht auszuantworten, und verweigerte auf dem folgenden Tage zu Ulm den von ihm verlangten Gehorsam, so dass seine Vertreter angewiesen wurden heimzureiten. Eine letzte Einwirkung auf das widerspenstige Bundesglied wurde in der Weise versucht, dass die Städte des Viertels, zu dem Nördlingen gehörte — Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Rotenburg, Dinkelsbühl, Winds­ heim, Schweinfurt, Weissenburg und Bopfingen — durch eigene Abgesandte den Nördlinger Rath auffordern liessen, auf den Speirer Tag seine Botschaft mit vollem Gewalt zu schicken. Als diese wie­ der ohne Vollmacht erschien, erfolgte der Beschluss, Nördlingen aus dem Bund zu stossen. Auf Fürsprache des rheinischen Städtebunds wurde noch ein Aufschub bis zum Palmsonntag gewährt, innerhalb dessen der Rath seine Unterwerfung unter die Bundesbeschlüsse zu Ulm in einem offenen, mit dem grossen Stadtsiegel versehenen Brief zu erklären hatte. Die Stadt liess auch diese Frist verstreichen und war somit am 26. März 1385 vom Bunde ausgeschlossen. Das ganze Verhalten des Raths in der Sache musste bei den Bundesstädten den Verdacht hervorrufen, als habe er sich um schnöden Gewinns willen zu seinen Schritten bestimmen lassenUnumwunden und in schärfster Form geben sie ihm ihre Entrüstung hierüber zu erkennen: „Wir besorgen, daz laider nit allain die, die von der Sach wegen beliumbdet (geächtet) und vertriben sint, sunder ir mit in an der selben Juden Getat Schuld, Raut und Getat gehabt haben, wan uns dunkt, und erfindet sich auch aigenlich, daz baidiu, iuch und ouch den, die genossen hant, daz böss Juden Gut lieber sie, denne iuwer aller Ere.“ Um seine auffällige Haltung den eifrigen Bemühungen seiner Verbündeten gegenüber doch einigermassen zu rechtfertigen, hatte der Nördlinger Rath die Competenz des Bundes für diese Angelegenheit zu bestreiten versucht. Dieser

23 nahin deshalb Anlass darauf hinzuweisen, der Rath habe den Bundes­ brief an mindestens drei Stellen überfahren und sei daran brüchig, meineidig und ehrlos geworden. Die Stadt habe sich weder den Beschlüssen der Mehrheit gefügt, noch auch den Austrag der Städte ihres Viertheils angenommen, die zum Theil wegen ihrer Bürger Ansprüche zu erheben gehabt. Zumal aber habe sie gegen die Be­ stimmung gehandelt, dass keine Stadt, an die der König einen Antrag stelle, denselben für sich erledigen und sich damit einen Vortheil verschaffen dürfe.1)2 Während der Zeit nämlich waren, was dem Bund nicht verborgen bleiben konnte, Unterhandlungen zwischen König Wenzel und der Stadt hin und hergegangen*), bei denen sie ein vortheilhafteres Abkommen hoffte. Der Rath, der sich anfänglich bereit zeigte, die Sache durch den Bund erledigen zu lassen, hat, wie es scheint, sehr bald unter dem Einfluss der Grafen von Oettingen gehandelt, die auch bei dem Judenmord von 1348 als Vermittler zwischen dem König und der Stadt den Sühnebrief erwirkt hatten. Es wurden ihnen diesmal ihre bei den Juden Vorgefundenen Briefe und Pfänder wohl sofort zurückgestellt, und eine nochmalige zweifelhafte Entscheidung hier­ über von Seite des Städtebundes musste ihnen natürlich äusserst unbequem sein. Die Rücksicht hierauf bestimmte dann vermuthlich den Rath, mit dem König wegen des Verlustes seiner Kammerknechte in directe Verhandlung zu treten, wenn der Vorwurf des Bundes auch darauf hinzuweisen scheint, dass das Anerbieten zu einem Vergleich von Seite Wenzels erfolgt ist. Die Stadt erklärte sich schliesslich bereit, die Summe von 3500 Gl. in die Hände des Grafen Kraft von Hohenlohe für den König niederzulegen3), worauf dieser am 21. März 13854) die Stadt zu Gnaden aufnahm, ihr das gesamte Judengut zusprach und ihr seinen Schutz gegen Jeder1) Bundesbrief vom 28. Sept. 1882: „Waere daz dehain vordrung oder mütung an uns beschaech von roemiscben kaisern oder kungen oder von jemant andre von iren wegen, dar umbe sol sich doch dehain stat under uns verantwurten noch versprechen noch dehainen vortail dar inne suchen noch uf niemen, sy berüffe denne vor alle stet in diser buntnuss und gelubde ze samen und sol die sach nach gemeiner stett raet und nauch dem merrentail ir erkantnufz daz verantwurten.“ 2) Absatz 2 der Beschwerdeartikel der Stadt Nürnberg schliesst: „sie schikten ir botschaft on der stet wissen zu unserm herren dem künig und teidingten sich mit dem on der stet wissend 3) Prag 1385 April 28 (Orig, im Nördl. Archiv). 4) Prag 1385 an S. Benedicten Tage (Orig, im Münchner Reichsarchiv).

24 mann verhiess, der sie deshalb mit geistlichem oder weltlichem Gerichte vornehmen wollte. An alle Fürsten, Herrn und Städte er­ ging der Befehl, den von Nördlingen in dieser Sache Beistand zu gewähren. Einen besondern Auftrag zum Schutz der Stadt ertheilte Wenzel den Grafen Ludwig und Friedrich von Oettingen. Sie ver­ pflichteten sich, ihr gegen alle, welche sie wegen der an den Juden geschehenen That beschweren würden, so beizustehen, als handelte es sich um ihre eigene Sache. Alle Städte und Vesten der Graf­ schaft sollten den von Nördlingen in ihren Nöthen offenstehn und Beschädigungen der Stadtgemeinde den Grafen zur Last fallen. Bei etwaigen Angriffen wollten sie unverzüglich zu frischer Gethat zukehren oder die zu treffenden Massregeln gemeinsam mit dem Rath festsetzen. In gleicher Weise verpflichtete sich der Rath, in jede Richtung oder Sühne, die in der Sache erfolgen würde, die Grafen und die Ihren einzubeziehen. Dem ausdrücklichen Befehl des Königs gegenüber sah sich der Städtebund genöthigt, bereits am 5. Mai 1385 Nördlingen wieder in den Bund aufzunehmen. Er that dies mit der Begründung: „da die von Nördlingen mit dem König verrichtet seien, so wolle auch der Bund wieder gut Freund derselben sein.“ Trotz dieser Sicherung von Seite des Königs und der Grafen von Oettingen und des wiedererlangten Bundesschutzes hielt es der Rath von Nördlingen für räthlich, sich noch während der beiden nächsten Jahre Schirmbriefe von einer grossen Zahl adeliger Herrn und einigen Stadtbürgern ausstellen zu lassen. Es versprachen wegen der Gethat an den Juden oder ihrer Briefe wegen auf ge­ schehene Mahnung der Stadt beholfen zu sein am 13. Juni 1385: Hainrich von Gumppenberg, Ritter; am 17. Juni: Berchtolt vom Stain von Klingenstain, Ritter, und Chunrat vom Stain, genannt von Elrbach; am 19. Juni: Hainrich Fulhin, Ritter; Hainrich Marschalk von Rechberg, Sitz Marschalk und Ulrich Marschalk von Dornsperg, Gebrüder; Ekhart von Eppenberg; am 20. Juni: Hainrich vom Stain der Jünger von Diemenstain; am 22. Juni: Hans von Swaubsperg (Schwabs­ berg); Chunrat Knoll von Ganshain und Geori Knoll sein Sohn; Chunrat von Knöringen vom Tutenstain; Erhärt von Ersingen; am 23. Juni: Kraft Durlacher; am 26. Juni: Hainrich Burggraf von Ehenhaim; Chunrat der Holtzhammer; am 28. Juni: Lutz Schenk von Swinisbund (Schweinspoint); Brun der Güss von Brentz; am 29. Juni: Hainrich von Friberg von Angelberg, Ritter, Pfleger zu Laugingen; Fridrioh von Friberg, Ritter; Hainrich von Friberg der Lang und

25 Hainrich von Friberg der Jünger, alle 3 Gebrüder zu Libhain gesessen; Eberhart von Früstingen; Frau Anna Gräfin Wittwe zu Helffenstain von Oetingen geboren; am 8. Juli: Haubt der Marsohalk von Fappenhain, Ritter; Burkart von Friberg von dem Nüwen Stttsslingen, Ritter; Ulrich der Marsohalk von Oberndorff; am 4. Juli: Hans der Schenk von Swinisbund; Fridel Brun von Rötingen; Hans von Westerstetten von dem Altenberg; Chunrat vom Stain von Richenstain, Ritter, und Walther vom Stain, sein Sohn; am 11. Juli: Chunrat der Amman zu Vaimingen gesessen und Wilhalm von Grunberg, sein Tochtermann; am 15. Juli: Hans von Blinthain der Jung und Chunrat Warcolfstetter; Hainrich der Kirchherr von Mauren, Chunrat von Mauren, sein Bruder, und Gerung von Mauren, ihr Vetter; am 22. Juli: Hans Haiden, Hans Kitzi und Wernher Schüfelin, alle 3 Bürger zu Laugingen; Wilhalm Schenk und Fritz Schenk vom Schenkenstain, sein Bruder; Marschalk Chunrat von Pappenhainj; am 8. August: Sitz von Althain von Aederhain; am 10. Aug.: Her­ degen von Husen; am 19. Aug.: Graf Chunrat von Kirchberg und Graf Eberhart von Kirchberg, sein Bruder; am 24. Aug.: Ulrich der Kyfer, Ritter; am 31. Aug.: Berchtolt vom Stain von Marohteln; am 6. Sept. : Chunrat Glahaimer, seines Herrn von Wirtenberg Schriber; am 13. Sept.: Marquart Hürting, Vogt zu Graispach; Hans von Trugenhofen; Pauls Waller und Geori Waller, sein Bruder; am 15. Sept.: Chunrat Unberait; am 25. Sept.: Hainrich der Lankwater; am 8.Dec.: Berchtolt vom Stain von Richenstain. Am 10. Febr. 1386: Johannes Schriber von Wemdingen; am 19. Juni: Mantz von Horenstain, Ritter.1) Die schwäbischen Städte hatten bei der Wiederaufnahme Nördlingens in den Bund die flüchtig gewordenen Judenmörder ausdrücklich für ausgenommen erklärt. Einigen derselben gewährte Herzog Stefan von Baiern Aufnahme entgegen den Bestimmungen der zwischen Herrn und Städten zu Heidelberg am 26. Juli 1384 aufgerichteten „Stallung“. Diese und andere Zwistigkeiten, die zwischen dem Herzog und den Städten obwalteten, fanden gütliche Lösung auf dem Tag zu Augsburg am 6. Dec. 1386. Einzelnen der Flüchtlinge wurde nachmals die Rückkehr in die Heimat verstattet. Oswalt Frikkinger schwur am 26. Nov. 1389 Urfehde. Ihm wurde eine Busse von 200 Gl. auferlegt, obwohl seine Hausfrau schon früher von seinetwegen hatte Besserung geben müssen. Bürgschaft 1) Ein in einem Verzeichniss aufgeffikrter Schirmbrief, den Ott der Bot genannt Hittishain, Burger zu Ulm, ausgestellt hatte, ist verloren gegangen. Die übrigen verwahrt das Nördl. Archiv.

26 für ihn übernahmen sein Bruder Heinrich Frikkinger, Heinrich von Bopfingen, Hans Mair der Jüngere nnd Heinrich Lauginger, sämtlich zu den Geschlechtern zählend. Oswalt Frikkinger trat übrigens, wie Heinrich Zindel, später in das Dinkelsbühler Bürgerrecht. In dem Urfehdbrief Peter Schülers v. 24. April 1393 ist nur ausgesprochen, dass er „lieblich, früntlich und gütlich ver­ richtet und Übereinkommen sei mit Bürgermeister, Rath und den Bur­ gern gemeinlich von der Auflöff und Geschieht wegen, die da an den Juden beschehen ist, wobei er auch gewesen, und wegen aller anderen Aufläufe und Handlung, die sich zwischen den von Nördlingen und ihm verlaufen haben.“ Auch für ihn bürgen drei der Erbaren: Wilhalm von Hall, Hans Mair und Hainrich Müllner. Am 29. Sept. 1390 wurde Wölflin Baier der Metzger gegen eine Busse von 100 U Hallern wieder aufgenommen, am 15. Juni 1402 Hans Velwer, der für immer vom Rathsgang ausgeschlossen blieb. Es hatte seinen guten Grund, dass der Rath noch 1391 die erbaren Wilhalm von Hall und Heinrich Lauginger an das Hof­ gericht zu Rotweil entsandte, dort den Gnadenbrief Wenzels von 1385 vorlegen liess und um Urtheil bat, ob die Stadt der in der Urkunde gedachten Gnade und Freiheit billig gemessen solle. Der Hofrichter Graf Hermann von Sulz und die Urtheiler sprachen sich zustimmend aus und ertheilten ihnen ein Vidimus darüber unter des Hofes zu Rotweil Siegel. Dieses Urtheil enthob den Rath der Ansprüche von Seite der durch die Wegnahme des Judengutes Ge­ schädigten, die sie bei ihren Gerichten geltend zu machen versuchten. So brachten die edeln Herrn Friedrich von Haideck und sein Sohn Johannes 1391 eine Klage vor den Landrichter zu Nürnberg, Hilpolt von Maiental, gegen die Nördlinger Bürgermeister Fritz Herterich, Heinrich Frikkinger, Hans Schon und Wilhelm von Halle, welche den Klosterfrauen Anna und Kunigunde zu Kirchheim im Riess, der Kläger Schwester und Base, die von ihnen bei den Juden ver­ pfändeten Köpfe (Trinkgefässe) und andere Kleinodien im Werth von 1000 Mark Silbers vorenthielten. Der Landrichter sprach aber nach Einsichtnahme des Gnadenbriefs die von Nördlingen der Zu­ sprüche der Herrn von Haideck ledig und los. Auch auswärtige Juden traten klagbar auf. Die Söhne des unmittelbar vor der „Gethat“ nach Nürnberg übergesiedelten Nördlinger Juden Jeklin,1) 1) Jeklin, einer der ersten Finanzmänner jener Zeit, Termittelte u. a. für die Stadt Ulm, wo er 1375 auftritt, den Ankauf von Langenau und Albegg. Er verliess Ulm im Dec. 1379, war dann Bürger in Nördlingen und zog schliesslich

27 Mennli und Leo, legten zu Strassburg Arrest auf die dort lagernden Güter des Nördlinger Bürgers Fritz Berwig. Der Nördlinger Rath sandte deshalb eine Abschrift des Gnadenbriefs nach Strassburg mit dem Ersuchen, da Nördlingen mit dem König und den Städten ver­ eint sei, seine Mitbürger unbekümmert zu lassen. Eine freundliche Haltung nahm der Nürnberger Rath in dieser Angelegenheit ein. Er erklärte alle Forderungen, welche seine Mit­ bürger an die zu Nördlingen erschlagenen Juden hatten, am 16. Sept. 1389 für erledigt und sprach die Nördlinger Stadtgemeinde von allen desfallsigen Ansprüchen los. Auch dieses Abkommen er­ folgte vermuthlich auf Grund von Wenzels Gnadenbrief. Nördlingen hatte aber unmittelbar nach seiner Wiederaufnahme in den schwäbischen Städtebund eine weitere Zahlung für seine ehe­ malige Judenschaft an diesen zu entrichten. Schon im Oct. 1383 verlautete, König Wenzel beabsichtige, an Fürsten und Städte den Zehnten vom Vermögen ihrer Juden zu fordern und im Fall der Ablehnung letztere citiren zu lassen. Eine greifbare Gestalt ge­ wannen diese Finanzpläne erst auf dem Ulmer Städtetag vom Juni 1385. Der König liess sich von 38 süddeutschen Städten 40000 Gl. zahlen, wofür diese die Judenschulden nach ihrem Gutdünken regeln durften. Man kam überein, es seien von den im Lauf des letzten Jahres gemachten Schulden nur die Kapitalien ohne Zinsen zurück­ zuzahlen. Bei den älteren Schulden wurden Kapital und rück­ ständige Zinsen zusammengerechnet und davon nur */4 für rück­ zahlbar erklärt. Diese reducirten Schulden hatten die Schuldner den Städten gegenüber mit genügsamen Pfändern zu versichern und spätestens bis 1388 mit 10 °/0 Zinsen an letztere, nicht etwa an die jüdischen Gläubiger heimzuzahlen. Die Städte verblieben dem­ nach im Besitz der bezahlten Schulden und trafen mit den früheren jüdischen Gläubigern nur ein Abkommen über die Höhe der Kapi­ talien, welche diesen zurückgestellt werden und verbleiben sollten.*) nach Nürnberg, wo er am 21. Juli 1384 gegen eine Jahrossteuer von 200 Gl. Bürger ward und 1402 oder 1403 starb. 1) Hogel berechnet den Reingewinn, den Nürnberg bei dieser schmählichen Finanzoperation zog, auf 60000 Gl. Von dem Juden Jeklin von Ulm, der 1384 von Nördlingen nach Nürnberg übersiedelte, und dessen Söhnen Feifelin und Isaak erpresste der Rath nicht weniger als 15000 Gl. (Hegel: Die Chroniken der deutschen Städte I, 113 f. Weizsäcker: Deutsche Reichstagsakten I, 461 f.) In der für den Rath aufgestellten Abrechnung über „der Juden gelt“ 1386 - 90 finden sich folgende Einträge: „Item die von Öttingen tenentur nobis (schulden uns) 1800 guidein ungerisch, do haben wir bey 190 mark silbreins geschirs für ynnen,

28 8o hatten die Städte und nicht der König ein ausserordentlich gewinnreiches Geschäft gemacht, aber der Vorwurf, den sie vor wenigen Monaten gegen den Nördlinger Rath erhoben, „dass ihm das böse Judengut lieber sei als seine Ehre“, fiel nun in vollem Mass auf sie zurack. Eine neue Beraubung der Judenschaft, die diesmal haupt­ sächlich Fürsten und Herren zu gute kommen sollte und dem Könige noch mehr abwarf als das Abkommen mit den Städten, ordnete Wenzel am 16. Sept. 1390 zu Nürnberg an. Man einigte sich dahin, dass das den Juden geschuldete Kapital samt Zinsen gegen eine dem König zu zahlende Summe als getilgt gelten sollte. Herzog Friedrich von Baiern, der Bischof von Wirzburg und „der Graf“ von Oettingen erlegten jeder „für sein Land“ den Betrag von 15000 Gl.1) Die Angaben über den an den König durch diese Zahlung geleisteten Procentsatz der Schulden schwanken von 15°/o bis 50%. Nimmt man an, dass Wenzel sich mit 30% begnügte, so betrug damals die auf den Grafen von Oettingen und ihren Landesangehörigen lastende Judenschuld noch 50000 Gl., nachdem man ihre bei den ermordeten Nördlinger Juden 1384 Vorgefundenen Ver­ schreibungen und Pfänder ihnen zurückgestellt hatte.8) Diese er­ sichtliche Zerrüttung der gräflichen Finanzen bedarf einer Erklärung. Das Oettinger Grafengeschlecht weist während des ganzen Jahr­ hunderts eine Folge hochgemuther Herren auf, die nicht nur am die hat uns derJeckel gesatzt und einen Brief, der stet 3000 guidein, und wir haben einen brief von den von öttingen, daz ez mit irem willen ist geschehen , und sie sullen uns daz egeschriben gelt bezalen uf lichtmesse anno 88. — Item Sant Sewold (St. Sebald) und Conrat Haller tenentur 741/a guidein ungerisch umbe ein rauchvas und umbe einen silbrein gtiitel, waz dez von öttingen. — Item, die aptassin und daz closter zu Zymern (Kl. Zimmern im Riess) und her Heinrich von Lentershein ritter und Conrat von Rechenberg der elter und Conrat von Lentersheim der elter tenentur nobis unverscheidlichen 1000 on 10 guidein ungerisch, zu geben uff sant Mertins tag anno 86 . . und haben uns dorzu sechs bürgen zu leysten gesaczt“ (M. Stern: Die israelitische Bevölkerung der deutschen Städte III. S. 261 f.). 1) So erzählt Ulman Stromer in seinem „Püchel“ (s. Hegel: Chroniken der deutschen Städte I. S. 26). 2) Mit dieser Zahlung erlosch auch die 1387 von den Grafen Ludwig und Friedrich in Gemeinschaft mit ihrem Bruder Friedrich d. J., Bischof von Eichstätt, bei den Juden Feifelin in Nürnberg, Mennel und Löw zu Strassburg, den Söhnen Jeklins, gemachte Anleihe von 4740 Gl., für die neben 12 Herren vom Adel auch die Bürger von Öttingen und das Kloster Neresheim hafteten. Als Zins waren 10% stipulirt.

29 königlichen Hoflager oder als Vertreter des Königs bei diplomatischen Sendungen erscheinen, sondern ihm auch bedeutende Geldsummen vorschiessen und rühmlich Theil an Romfahrten und Kriegszügen nehmen. Wohl suchten die Könige ihrer opferwilligen Hingabe an den Reichsdienst durch Privilegien und Verpfändungen von Reichs­ gut zu lohnen, soweit es in ihren Kräften stand. Diese Ver­ gabungen reichten aber nicht aus, das Haus vor empfindlicher Ein­ busse zu schützen. Es kam zur Veräusserung sehr werthvollen Besitzes: 1336 wurde die Stadt Onolzbach verkauft, 1349 Gunzen­ hausen, 1360 Monheim, Aalen und Heubach, 1364 die Burg Kapfenburg, 1367 Wassertrüdingen und von 1358 ab die Landgrafschaft im untern Eisass mit ihren Zubehörden. Trotzdem geriethen die Grafen in schwere Bedrängniss durch Judenschulden, die sogar zur Ver­ pfändung von Hauskleinodien1) führte. Die durch die Nürnberger Ab­ machung von 1390 bewirkte Tilgung des grössten Theils dieser Schul­ denlast darf man aber ihnen sowenig wie den sonst dabei betheiligten Fürsten zum besondern Vorwurf machen: es hatte lediglich dem Könige gefallen, wieder einmal über das Vermögen seiner Schirmbefohlenen zu ver­ fügen, das ja nach den Anschauungen der Zeit ihm gehörte. Mit dieser misslichen finanziellen Lage des Hauses mag es immerhin Zusammen­ hängen — es kann aber doch ebenso als Beweis entgegenkommen­ der Fürsorge für ihre jüdischen Schützlinge aufgefasst werden —, wenn die Grafen eine wesentliche Erleichterung des Verfahrens bei ihren Rechtsstreitigkeiten herbeiführten. Die Art des Geschäfts­ betriebs, auf die der Jude ausschliesslich angewiesen war, zog in vielen Fällen gerichtliche Verhandlungen nach sich, woran sich er­ hebliche Kosten und Weiterungen knüpften, wenn der Beklagte eine Ladung vor einen entfernten Gerichtshof erhielt. Die Grafen Friedrich und Ludwig erwirkten daher zu Gunsten ihrer Judenschaft von

1) Am 25. Mai 1388 versetzten die Grafen Ludwig und Friedrich eine aus 28 Theilen bestehende gUldine Krone, ein Halsband mit Perlen, 4 goldne Haften, ein Hirzlin, 14 gUldine Yingerlin (Hinge) und 13 Stränge Perlen — 2 silberin, die andern güldin — in einem versiegelten Behälter an die Nürnberger Juden Moese, Symon und Seligmann, die Söhne Salmans von Neuenmarkt, und ihren Schwager Isaak gegen ein wöchentlich mit 2 neuen Hellern vom Gulden (etwa 27Va°/o) ver" zinsliches Darlehen von 1000 Gl. Fordern die Gläubiger ihr Darlehen zurück und wird es dann nicht binnen einem Vierteljahr heimgezahlt, so haben sie Gewalt, die Pfänder zu verkaufen, und „daran soll sie nit irren weder Keysers noch Königs Gebot noch Bapstes Bann noch Bündnisse und Freiheit der Herren und Städte.“

30 König Wenzel ein Privileg1), das den Grafen und ihren Gerichten in Schuldsachen ihrer Juden die ausschliessliche Rechtsprechung zuwies. Eine Ausnahme sollte nur bei Rechtsverweigerung statt­ finden. Ein ähnliches Privileg hatte Karl IV. bereits 1354 der Stadt Nördlingen ertheilt. Es sicherte die Bürgerschaft vor fremdem Gerichtszwang und galt natürlich auch für die jüdische Bevölkerung der Stadt. Gegen das Ende seiner Regierung dachte Wenzel nochmals an eine ausserordentliche Schatzung seiner Judenschaft. Am 15. Juli 1398 erhielt Graf Friedrich zu Oettingen, des Königs Rath, die Vollmacht, mit allen in den Reichsstädten der Landvogtei zu Schwaben ge­ sessenen Juden im Namen des Königs ein Uebereinkommen über alle Sachen zu treffen, die er ihm empfohlen habe. Die städtischen Behörden wurden zugleich angewiesen,, dem Grafen dabei die nöthige Förderung zu gewähren. Würden sich die Juden wider­ spenstig gegen den Grafen erzeigen, so sollten sie die Städte ihm auf so lang mit Leib und Gut ausliefern, bis dem Willen des Königs genügt sei. Es verlautet jedoch nichts über den Verlauf der Verhandlungen.2)3 *Für * * *Nördlingen waren sie jedenfalls bedeu­ tungslos. Zweimal binnen wenigen Jahrzehnten hatte die Nördlinger Judenschaft das Loos theilweiser oder völliger Vernichtung betroffen, allerdings ohne nachweisbares Verschulden des Raths. Es war nicht zu verwundern, wenn nun auf längere Zeit die Juden es vermieden, sich an einer Stätte niederzulassen, wo ihnen leicht neues Verderben drohte. Das von König Wenzel am 24. Oct. 1392 der Stadt auf zehn Jahre ertheilte, die Vergünstigung von 1377 bestätigende Privilegium, Juden einzunehmen und die Hälfte der Steuer samt dem Opferpfennig-Guldin dem König abzuliefern, ist während seiner Regierungsdauer wohl völlig wirkungslos geblieben. Die städtischen Steuerbücher jener Zeit geben keine Kunde von eingesessenen Juden.8) 1) Nürnberg 1383 März 12 (Gedruckt bei J. P. Lang: Materialien z. ött. Gesch. Y. S. 44 f.). 2) Weizsäcker: Reichstags-Acten III. S. 2. (Gedr. bei J. P. Lang Mater. I. S. 312 f.). 3) In dem noch erhaltenen Steuerbuch von 1399 finden sich keinerlei auf Juden bezügliche Einträge. Das Gleiche versichert der Nördlinger Rector Dolp in seiner handschr. Chronik von dem jetzt nicht mehr auffindbaren Steuerregister von 1394. Auch in dem Steuerstreit mit Öttingen erklärt der Nördl. Rath, nur Steuerquittungen von 1401 -1437 zu besitzen. Ein weiterer Beweis für die Abwesenheit

31 II. Die 4. Jadengemeinde zu Nördlingen 1401—1507. 1. Verhältnis zu Kaiser und Reich. Als König Ruprecht am 18. Aug. 1401 die Huldigung der Nördlinger Bürgerschaft empfing, verehrte ihm der Rath der Stadt 200 Gl. Ihre kleine Judengeraeinde aber, deren Anfänge mit Ruprechts Regierungsantritt zusammenfallen, übergab ihrem neuen Ober-Schirmherrn eine freiwillige Steuer von 50 Gl. Der König hatte der Stadt in Anbetracht der treuen Dienste, die sie ihm und dem Reiche geleistet, unter anderen Gnaden auch das von seinem Vorgänger ihr verliehene Privilegium, Juden annehmen zu dürfen) auf 10 Jahre erneuert.*l) Da auch die „Gethat“ von 1384 noch unliebsame Verwickelungen nach sich ziehen konnte, so unterliess der Rath nicht, hiefür einen eigenen Schirmbrief zu erwirken, der die Stadt von aller rechtlichen Verantwortlichkeit entband.2) Der Bestand dieser neuen Judengemeinde währte — abgesehen von einer fünfjährigen, diesmal aber durch keine Gewaltthat her­ vorgerufenen Unterbrechung — bis in den Beginn des folgenden Jahr­ hunderts. Ihre Zahl ist niemals beträchtlich gewesen. Von den zwei Familien der Begründer hebt sie sich während der ersten Jahr­ zehnte zu einem Durchschnittsbetrag von 5—6 Haushaltungen und erreicht von 1485 ab mit 12 steuerpflichtigen Gemeindegliedern wiederholt ihre höchste Grenze. Ihr Verhältniss zu Kaiser und Reich war unverändert geblieben. Den alljährlich an Weihnachten von allen Juden und Jüdinnen über 12 Jahre zu erlegenden güldenen Opferpfennig nahm der König für sich in Anspruch. Ihre Steuer gehörte seit 1377 zur einen Hälfte der Stadt, zur andern dem Reich. Letztere war aber seit 1324 an die Grafen von Öttingen verpfändet und wurde von diesen bis 1437 vereinnahmt. Die an die Grafen abgelieferten Beträge beliefen sich während der Jahre 1401—1419 auf 157a Gl. bis 74’/2 Gl., von 1420—1428 auf 9 bis 46 Gl. und sanken von 1434—1436 auf

von Juden während dieser Zeit lässt sich den 1393 und 1394 von der Stadt mit dem Antonierorden wegen Abtretung der Synagoge gepflogenen Verhandlungen ent­ nehmen (s. Abschnitt VI). 1) Augsburg 1401 Aug. 15 (Chmel: Keg. Ruperti (1834) Nr. 827). 2) Weissenburg 1401 Aug. 19 (Ebenda Nr. 868). Auf Grund dieses Privi­ legs macht 0. Stobbe: Die Juden in Deutschland während des Mittelalters (1866) S. 289 die irrige Angabe, die Juden zu Nördlingen seien 1401 mit einer Verfolgung heimgesucht worden.

32 8 and 7 Ql. Warum nach 1437 die Entrichtung dieser Steuer unterblieb, ist nicht recht ersichtlich. Vermuthlich hängt dies mit dem Ableben Sigmunds und wohl auch mit den Fehden zu­ sammen, die um jene Zeit die Stadt gegen adelige Herren zu be­ stehen hatte, unter denen Graf Johannes zu Wallerstein in vorderster Linie stand.') Während der Jahre 1454—1458 fiel die Verpflichtung zur Zahlung weg, da keine Juden in Nördlingen sassen. Aber erst 1465 Hessen die Grafen Ulrich und Wilhelm unter Vorlage ihrer Ffandschaftsbestätigungen durch Ruprecht und Sigmund von 1407 und 1418 vor Rath anbringen, dass ihnen die Stadt noch etliche Jahressteuern von den Juden schulde. Als der Rath ablehnend ant­ wortete, wies Graf Ulrich darauf hin, dass die Stadt der auf Nicht­ achtung der gräflichen Privilegien gesetzten Pön verfallen sei; er gewärtige desshalb, dass sie ihm seinen Theil daran entrichte. Auch an Ulm, dessen Judensteuer zugleich mit der von Nördlingen seit 1324 den Grafen verpfändet war, hatten diese eine Auf­ forderung zur Zahlung ergehen lassen, aber zn Unrecht. Denn ihre halbe Judensteuer hatte diese Stadt in letzter Zeit auf Grund j kaiserlicher Briefe an Graf Johann von Eberstein gereicht. Graf Ulrich erwirkte nun die Intercession des Herzogs Ludwig von Baiern, der ihn zu seinem Rath ernannt hatte, und seines Schwagers, des^Markgrafen Albrecht von Brandenburg. Sie blieb erfolglos, da der Nördlinger Rath sich darauf berief, er sei weder von König Albrecht noch von Kaiser Friedrich berichtet worden, dass er die Judensteuer an die Grafen von Öttingen zahlen solle. Allerdings behielten Privilegien nach der Anschauung der Zeit nur für die Lebensdauer des Verleihers Geltung, ohne den Nachfolger zu binden, und die Grafen hatten es bei den Regierungswechseln von 1438 und 1440 versäumt, sich ihre Privilegien erneuern zu lassen. Aber die Pfandsumme, auf welcher diese Steuerreichniss beruhte, war den Grafen niemals zurückerstattet worden, und die Stadt hatte sachlich offenbar den Rechtsboden verlassen, was ihr auch von Seite Ulms ziemlich unverblümt nahegelegt wurde. Man erinnerte daran, dass die Steuerhälfte dem Reich zustehe; wenn also der Rath die ganze Steuer behalten wolle, möchte ihm ein unbilliges Verhalten dem Reiche gegenüber zugemessen werden. Wäre es dem Rath nicht fügsam, die Steuer zu reichen, so könnte er sich der Dinge anders nicht erwehren, als durch den römischen Kaiser. Das eigenthümliche 1) Vgl. Steichele: Das Bisthum AugBburg III. S. 943 f.

33 Verhalten des Nördlinger Raths erklärt sich doch einigermassen daraus, dass auch die Qrafen in jener Zeit mit ihren Zahlungsver­ pflichtungen gegen die Stadt sehr im Rückstand geblieben waren« Sie schuldeten gemeinsam 13000 01. an die Stadt and hatten sich trotz wiederholter Mahnung zu der bedungenen Leistung in Nördlingen weder selbst eingefunden noch ihre Bürgen gestellt. Es musste daher der Schiedsspruch, den am 4. Juli 1469 die Tädungsmännner Abt Georg von Kaisersheim und Jacob Protzer fällten, sich ebensowohl mit der Judensteuer als mit der Regelung dieser Schuld­ verhältnisse befassen. Bezüglich der Jadensteuer wurde bestimmt, die gräflichen Anforderungen sollten bis zu diesem Tag aufgehoben sein, in Zukunft möge sich aber jeder Theil seiner Gerechtigkeit der Judensteuer gebrauchen. Die Sache ruhte nun geraume Zeit. Im Jahr 1473 richtete Herzog Ludwig von Baiern, den Graf Ulrich in­ zwischen zum Gerhaben (Vormünder) und Administrator seiner Graf­ schaft erwählt hatte, die Aufforderung an die Stadt, ihm unverzüg­ lich zur Entrichtung ihrer seit längerer Zeit verfallenen Judensteuer zu verhelfen. Am 21. Mai erliess auch Kaiser Friedrich an die Städte Nördlingen und Ulm einen Gebotsbrief, die fällige Juden­ steuer an Herzog Ludwig als Vormünder des Grafen auszurichten. Hätten die Städte oder ihre Jüdischeit Einrede dagegen zu erheben, so solle Bischof Wilhelm von Eichstätt die Sache entscheiden. Der Bischof übernahm die kaiserliche Commission und berief die Parteien und ihre Vertreter auf den 18. Oct. 1474 nach Eichstätt, schrieb aber „wegen merklicher und grosser Handlungen, mit denen er von des Kaisers wegen beladen sei,“ den Termin wieder ab und verschob mit Einverständniss der Parteien die Verhandlungen auf das nächste Jahr. Am 23. April 1475 wurde denn auch ein gütlicher Tag ge­ leistet, an welchem aber keiner der streitigen Punkte erledigt wurde. Da es nicht zum Schiedsspruch kam, so ist anzunehmen, dass die Parteien von da ab sich wieder auf dem Boden des Richtungsbriefes von 1469 befanden, laut dessen „sich jeder Theil seiner Gerechtig­ keit gebrauchen mochte.“ Eine weitere Zahlung der halben Juden­ steuer von Seite der Stadt an die Grafen hat aber nicht mehr statt­ gefunden. Während die Kaiser schon früher den grössten Theil der Judensteuer an Landesherrn und Städte abgetreten hatten und diese mit der Zeit immer mehr den Charakter eines landesherrlichen Regals annahm, hielten alle Nachfolger Ludwigs des Baiern an der durch ihn als Weihnachtsgabe für den obersten Schirmherrn der Juden 3

34 geschaffenen Reichniss des güldenen Opferpfennigsx) fest. Diese Abgabe wurde nicht durch Vermittelung der Stadt erhoben, sondern durch eigene Bevollmächtigte des Königs oder deren Gewalthaber. In den ersten Jahr­ zehnten des 15. Jahrhunderts ist öfter der königliche Hofschreiber Johannes Kirchheim mit der Vereinnahmung betraut. 1401 erhielt er zu Nördlingen 12 Goldgulden als Opferpfennige für die beiden Jahre 1401 und 1402. Als Kirchbeims Bote durchzog 1414 Konrad mit dem Hebysen die schwäbischen Lande, wobei er auch dem Nördlinger Rath sein Creditiv überreichte. Nicht selten werden in jener Zeit Juden mit diesem Geschäft beauftragt: 1400 und 1402 Elyas von Winheim und Isaak von Oppenheim, 1404 Meyer von Cronenberg, 1417 Mosse, 1423 Joseph von Wttrzburg. Später lässt häufig der Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg durch seine Diener diese Reichniss sammeln.12) 1461 ermächtigte Kaiser Friedrich den Markgrafen Albrecht von Brandenburg wegen seiner treuen dem Reich geleisteten Dienste, die Judensteuer des laufenden Jahres „mitsamt der Schatz­ ung und dem gewöhnlichen güldenen Opferpfennig“ einzunehmen und darüber zu quittiren. Nur dem Erzbischof von Mainz als römischem Kanzler sollte er davon seine Kanzlergerechtigkeit ent­ richten. Die Obersten der Jüdischeit wies zugleich der Kaiser an, „unter ungehorsame Glaubensgenossen den Bann zu legen.“ 1495 über­ sandte Ritter Veit von Rechberg von Hohenrechberg zu Aichen durch einen Knecht dem Nördlinger Rath ein Schreiben des Königs, das ihm „den gülden Opferpfennig bei der Judischait allenthalb im Land Swabenu überwies, mit der Bitte, ihm zur Einhebung desselben be­ hilflich zu sein, was er „der Kön. Maj. nit unberembt laussen wolle.“ Diese Versicherung machte aber wenig Eindruck, denn der Knecht überbrachte nur 4 Gl., über welche der Anzahl der Juden offenbar nicht entsprechende Leistung der Ritter nachmals bei dem Rathe Beschwerde erhob. Auch im Jahr 1504 wurde die städtische Be­ hörde angegangen, sich bei der Einsammlung des Weihnachten 1503 1) Die deutschen Kaiser erachteten sich als Rechtsnachfolger der römischen Cäsaren. Ludwig d. B. hielt sich deshalb für berechtigt, von den Juden alljährlich eine ähnliche Abgabe einzufordern, wie sie dieso in Gestalt einer Didraohme früher an den Tempel zu Jerusalem, dann auf Vespasians Befehl an den Tempel des Jupiter Capitolinus zu Rom geleistet hatten. 2) ln der Streitsache wegen der Judensteuer (1465) liess der Rath von Ulm seinen Juden Josep verhören, der von 1439—1453 in Nördlingen sass. Seine Aus­ sage „die Nördl. Jüdischeit sei etwenn durch den von Winsperg, danach durch Jacob Faislen quittirt worden“, bezieht sich offenbar auf die regelmässige Abführung des güldenen Opferpfennigs.

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verfallenen güldenen Opferpfennigs hilflich zu erzeigen. Damals liess ihn Ritter Hans von Landau als „röra. kön. Maj. Schatzmeister im Reich“ durch einen Diener erheben. Trotz dieser alljährlichen Contribution für den kaiserlichen Schutz blieben die Juden von Seiten des Kaisers thatsächlich schutz­ los. Im Gegentheil waren namentlich die Herrscher aus dem Luxem­ burger Haus bei den gegen die Judenschaft verübten Greueln inso­ fern sogar betheiligt, als sie einen grossen Theil des ihr geraubten Gutes für sich in Anspruch nahmen. Allmählich gewann auch die von Ludwig, dem Baiern aufgestellte Fiction, dass Leib und Gut der Juden dem König oder Kaiser gehöre und dieser jederzeit nach Belieben darüber verfügen könne, die Geltung eines staatsrechtlichen Grundsatzes. Der König, hiess es, könne bei seiner Krönung die Juden bis auf eine kleine Zahl vertilgen, die zu „einer Gedechtnus“ zu erhalten sei. Aber er ziehe es vor, sie sich mit dem dritten Theil ihrer Habe lösen zu lassen. Der König beanspruchte daher eine Krönungssteuer von den einzelnen Judengemeinden, die dem dritten Theil ihres Vermögens entsprechen sollte, gewöhnlich aber durch Vermittelung der Landesherrn oder Stadtobrigkeiten — natür­ lich in deren eigenem Interesse — möglichst herabgemindert ward. Diese Theorie des bei der Königskrönung zu erlegenden dritten Pfennigs, die im Grund doch nur einer brutalen Beraubung legale Formen verleihen sollte, erweiterte König Sigmund anlässlich seiner Kaiserkrönung 1433. Er verlangte bei diesem Act von allen Juden des Reichs eine sehr ansehnliche Ehrung, mit deren Sammlung Konrad von Weinsberg betraut wurde. Im Burggrafthum Nürnberg, der Grafschaft Oettingen, der Herrsohaft Heideck und den Städten Nördlingen, Bopfingen und Dinkelsbühl hatte sie Martin von Eyb einzufordern. Die von den Juden der Grafschaft Öttingen erlegte Summe nebst den von Augsburg, Ulm, Werd, Reutlingen und Gmünd eingegangenen Ehrungen wurden dem Grafen Ludwig von Öttingen, des Kaisers Hofmeister, überwiesen; die Zahlung der Nördlinger Judenschaft erhielt Haupt Marschalk von Pappenheim1). 1) Die obigen Angaben sind der Abhandlung von Dietrich Kerler: Zur Go­ se hichte der Besteuerung der Juden durch Kaiser Sigmund und König Albrecht II. (Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland hsg. v. L. Geiger III. S. 123) entnommen. Die Beträge der von den Nördl. u. ött. Juden gezahlten Gelder sind in dem von ihm veröffentlichten Verzeichnisse nicht namhaft gemacht. Reutlingen u. Gmünd zahlten zusammen 600 Gl., Ulm 400 Gl., Augsburg u. Werd zusammen 1500 Gl.

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36 Sigmunds Nachfolger, König Albrecht II., lud die deutsche Judenschaft auf den 13. Juli 1438 nach Nürnberg, um mit seinem Kammermeister Konrad von Weinsberg ein Abkommen wegen des zu zahlenden dritten Pfennigs zu treffen: er brauche Hilfe und Steuer zur Ordnung der böhmischen Verhältnisse und zu seiner Krönungsfahrt nach Aachen.1)2 3Zu * diesem Zweck hatte der Wiener Jude Nachem eine Aufstellung gemacht, der zu Folge der dritte Pfennig des jüdischen Vermögens im ganzen Reich 156100 öl. be­ tragen sollte. Die Nördlinger Judenschaft war dabei mit 600 Gl., die der Grafschaft Oettingen mit 1000 Gl., die von Werd mit 300 Gl., die von Augsburg und Ulm zu je 20C0 Gl. veranlagt.9) Am 3. Mai 1439 richtete Albrecht ein Beschwerdeschreiben an den Nördlinger Rath. Die Vertreter der Judenschaft seien zu zweien Malen nach Nürnberg zur Einigung über den dritten Pfennig ver­ tagt worden. „Von mancherlei Sachen und Hindernisse wegen, die derselben Jüdischeit zugezogen und der der König wohl unterrichtet sei, von wem das herlange“, sei dies nicht zur Ausführung gekommen. Damit geschehe ihm, der nur seine und des hl. Reichs Gerechtigkeit verlange, unbillig und wider Recht. Der Rath möge deshalb seine Judenschaft oder deren Vertreter auf den 25. Juli 1439 nach Nürnberg zu den königl. Räthen und Machtboten entsenden, um mit diesen die Angelegenheit zu regeln. Durch den bereits am 27. Oct. plötzlich erfolgten Tod Albrechts blieben diese Ver­ handlungen, wie es scheint, erfolglos. Nach Sigmunds Vorgang beanspruchte Friedrich III. von den Juden sowohl anlässlich seiner 1442 in Aachen erfolgten Krönung zum römischen König als auch beim Empfang der Kaiserkrone zu Rom 1453 die herkömmliche Ehrung und Steuer. Beidemale ver­ langte er vom Nördlinger Rath vertrauliche Mittheilung über den Vermögensstand seiner Juden, damit sich seine Machtboten darnach zu richten wüssten.s) Während bei der Königskrönung nur im Allgemeinen von einer Ehrung die Rede war, forderte er bei Annahme der Kaiser­ würde den dritten Pfennig und bedrohte die Juden mit Acht und Verlust Leibs und Guts, wenn sie sich bis zum 24. Juni nicht mit ihm durch Machtboten wegen Ausrichtung dieser Steuer geeint 1) Schreiben Albrechts an den Nördl. Rath: Wien 1438 Mai 18. 2) Kerler a. a. 0. S. 127. 3) „Der Rath möge diese Unterrichtung vor den Juden in guter Gehaim halten.“

37 hätten. Am 16. Nov. 1453 stellte er diese Forderung für die Nördlinger Judenschaft auf 800 Ql. fest und verlangte für seine Amtleute dazu soviel, „als ihnen nach Anzahl der gemeldeten Summe gebühre/1 Eine Königsehrung mag ihm gereicht worden sein, aber zu einer Kaisersteuer ist es wohl nicht gekommen, da der Rath 1453 seinen Juden insgesammt den Pact gekündigt hatte und erst 1459 wieder mit der Aufnahme jüdischer Bürger begann. Als „angehender regierender König“ vergass auch Maximilian I. nicht, im Jahr 1495 von der Nördlinger Judenschaft „nach altem löblichen Gebrauch die Ehrung und den dritten Theil44 zu heischen. Als ihr Vertreter begab sich Jacob an den königlichen Hof, wo man ihr eine unerschwingliche Summe auflegen wollte. Der Rath trat für seine Schutzbefohlenen entschieden ein und wies darauf hin, dass sie nicht mehr so zahlreich und vermöglich wie früher seien. Darauf verlangte der König 600 GL: das sei eine leidliche Summe, die Jacob und Veyel, Michels Wittib, allein zu geben ver­ möchten, wie man ihn berichtet habe. Im Weigerungsfall solle der Rath der Juden liegende und fahrende Güter annehmen und davon solche Bezahlung selbst thun. Nochmals ging eine Deputation an den königl. Hof ab, um ihr armes Vermögen anzuzeigen. Wieviel sie dort ausgerichtet, ist nicht bekannt.1) Zu den dem König für seine Person zustehenden Bezügen von der Judenschaft sind auch gelegentliche Geldbussen zu rechnen, die er für gewisse seiner Jurisdiction vorbehaltene Vergehen, z. B. bei Hinterziehung der an die kön. Kammer zu entrichtenden Leistungen verhängte.*) In den ersten Jahren König Ruprechts strafte der Nördlinger Rath den Juden Joseph, seine beiden Söhne und einen andern Juden „von etwas Geschieht und Brüch wegen44 um eine ungenannte Summe. Als dies zur Kenntniss des Königs kam, ver­ hielt er den Rath, dafür 200 Gl. an die kön. Kammer zu zahlen, „da dieselbe Buss ihm als einem römischen Kunige zugehoret habe.44 3) Im Jahr 1491 hatten es die Juden Salman und Mann 1) Bei diesem Anlass zeigte Jude Josep dem Rath einen Brief mit dem Siegel des Grafen Johann Peter von Monsax (Misox), mit dem Joseps Vater für sie beide um solche königliche Ehrung ein Abkommen getroffen hätte, und bat, das dem König zu berichten, dessen Meinung nicht sein könne, dass J. solch Geld zweimal gebe. 2) Der zum obersten Hochmeister der Juden unter K. Ruprecht ernannte Israel besorgte auch die durch säumige Steuerzahlung erwirkte Erhebung von Bussen für den König (Reichstags-Akten VI. S. 170). 3) Heidelberg 1404 Eebr. 28. Chmel:Reg.RupertiNr. 1693. - R.A.Vi.8.761,

wegen Ortsabwesenheit versäumt, ihren Antheil an dem von König Max der Nördlinger Judenschaft für eine eilende Hilfe auferlegten Betrag zu übernehmen und wurden wegen dieser „merklichen Verhandelung“ gleichfalls mit einer Busse von 200 Gl. bedroht. In andern Fällen hing es wohl von der Schwere des Vergehens oder von der Höhe der Geldstrafe ab, wenn ein Theil von ihr der Reichs­ kammer zufliessen sollte. In der später zu berichtenden Streitsache zwischen Liebermann und Mosse 1414 wurden Falk und David als Zeugen erbeten. Liebermann machte sich verbindlich, falls die von den Zeugen verlangte Sicherheit irgendwie verletzt würde, als recht­ loser und bänniger Jude zu gelten, die Zeugen schadlos zu halten und überdies eine Busse von 500 Gl. zu erlegen, die halb in des Reiches Kammer kommen und halb der Stadt Nördlingen zufallen solle. Schliesslich wurde ihm die Stadt versagt. Da er früher unter dem Schutze des Herzogs Ludwig von Oberbaiern gestanden, beklagte er sich nun bei des Herzogs Hauptmann, dem Grafen Ludwig zu öttingen, dass man ihm das Seine zu Nördlingen ver­ boten habe und ihm seine Schuldenguthaben nicht folgen lassen wolle. Man habe dies „des Reichs“ wegen gethan, was den Grafen „unzitlich“ dünkte. Neben diesen durch das Herkommen einigermassen geregelten Auflagen hatte die Nördlinger Judenschaft des 15. Jahrhunderts eine ganze Reihe ausserordentlicher Leistungen für Reichszwecke zu über­ nehmen. Im Sommer 1414 waren Boten König Sigmunds im Süden wie im Norden Deutschlands geschäftig, von den Juden Beisteuern zur Deckung der grossen Opfer zu erheben, die der König sich be­ hufs der Herstellung der Einheit der Kirche auferlegt habe und noch fortwährend bringe.x) Überall suchten die Städte ihre Schütz­ lunge vor Überforderung sicher zu stellen, und auch der Nördlinger Rath blieb nicht unthätig. Als Unterhändler waren der Ritter Hermann Hirt von Sawelnheim (Salheim) und Haupt zu Pappen­ heim, des Königs Marschalk, in Nördlingen erschienen und hatten am 20. Sept. mit der Judenschaft eine Zahlung von 800 Gl. getädingt. Es gelang aber der Vermittelung des Raths, die Summe auf 46612/8 Gl. zu ermässigen, worüber der König am 25. Nov. quittirte.2) 1) Id seinem Schreiben an Nördlingen machte Sigmund geltend, dass die Jüdischeit seinen Vorfahren an dem Reich in langer Zeit nie nichts gedienet habe; „dorumb meinen wir ein redlich Steuer von in allen zu haben.“ 2) Altmann: Die IJrk. K. Sigmunds Nr. 1163, Nr. 1235 (wo irrig 866 Gl. steht) und Nr. 1337.

39 Eine weitere Berechtigung zu ausserordentlicher Besteuerung1)2 der Juden, die wenigstens diesmal mit ihren Interessen zusammen­ hing, gründete Sigmund auf seine Anstrengungen zur Bestätigung der von den Päpsten bisher den Juden gewährten Privilegien durch die Bulle Papst Martins V. vom 12. Febr. 1418. Konrad von Weinsberg leitete die Einhebung dieser Beisteuer, zu der jeder Jude den 30. Pfennig seines Vermögens beitragen sollte. Am 6. März traf er mit den Juden von Ulm, Augsburg, Biberach, Nördlingeu und einer Reihe von anderen schwäbischen Territorien das Ab­ kommen, dass sie vor Pfingsten 600 Gl. nach Constanz erlegen sollten.a) Die Bemühungen Sigmunds um die kirchliche Einheit hatten ein übles Nachspiel in den Husitenkriegen, die ihn mit dem Verlust seines böhmischen Erblandes bedrohten. Während derselben nahm er auch die Hilfe der deutschen Judenschaft wiederholt in Anspruch. Im Aug. 1422 beauftragte er den Pfalzgrafen Johann von Neumarkt, die Juden in Nürnberg, Regensburg, Rotenburg, Nördlingen, Weissenburg und Hall mit einer ausserordentlichen Kriegssteuer zu belegen. Über die Höhe derselben steht nichts fest. Sigmund hatte ur­ sprünglich wieder an den dritten Pfennig gedacht. Auf dem Reichs­ tag zu Frankfurt 1427, der eine allgemeine Besteuerung zur Be­ streitung der Kriegskosten auordnete, wurde jedem Juden und jeder Jüdin ohne Rücksicht auf das Alter eine Leistung von 1 Gl. auf­ erlegt, von anderen Ungleichheiten abgesehen etwa der zwanzigfache Betrag der von den Christen geforderten Beisteuer.3) Eine noch1) Einen eigenthümlichen Gnadenbrief ortheilte Sigmund am 6. Juni 1415 der gesamten deutschen Judenschaft, der nach Regesta boica XII. S. 223 für die Judengemeinden zu Nürnberg, Nördlingen, Windsheim und Weissenburg am 14. April 1416 noch gesondert ausgefertigt wurde. Seine 12 Artikel besagen meist nicht mehr, als dass mau sie bei altem Herkommen belasse. Andere wieder waren wider den Willen der Torritorialherrn nicht durchführbar. Dagegen sollten die Juden neben der gewöhnlichen Steuer jährlich 10rt/0 von ihrer fahrenden Habe — mit Ausnahme von Kleidungsstücken, Leibeszierdc und Hausratli — an die könig­ liche Kammer entrichten. Für Nördlingen lässt sich nicht erkennen, ob man diesem in die Form eines Privilegs gekleideten Besteuorungsversuch Sigmunds Folge gegeben habe. Auffällig ist auch, dass dies (bei W. Altmann und E. Bern­ heim: Ausgew. Urkunden zur Erl. d. Verfassungsgeschichte Deutschlands im MA. 2. A. S. 164 f. abgedruckte) Documont unter den sonst vollständig erhaltenen Judenprivilegien des Nördl. Archivs sich nicht findet. 2) Korler a. a. 0. S. 9. 3) Kerler a. a. 0. S. 108. S. 112.

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malige Zahlung dieses „gemeinen Pfennigs“ verfügte der Reichs­ abschied zu Nürnberg 1431. In Kaiser Friedrichs III. Namen heischte 1463 Markgraf Albrecht von Brandenburg eine Steuer von ungenanntem Betrage für den „kaiserlichen Krieg“. Die Verwickelungen zwischen dem Markgrafen und dem Herzog Ludwig von Baiern hatten 1461 zur Erklärung des Reichskrieges gegen den Herzog geführt. Der Mark­ graf wurde zum Reichshauptmann ernannt, und die Städte sahen sich genöthigt, ihm Heeresfolge zu leisten. Der Krieg nahm einen für den Markgrafen und seine Verbündeten unglücklichen Verlauf, und als Hans Moninger, der marbgräfiiche Sendbote, in Nördlingen erschien, um von der dortigen Jüdischeit die kaiserliche Steuer für den Markgrafen zu erheben, fand er wenig Entgegenkommens. Beim Heimreiten nach Ansbach gingen ihm seine Rosse verloren, und er belangte deshalb die Nördlinger Judenschaft wegen Schadenersatzes bei dem kaiserl. Kammergericht, worauf der Rath den Markgrafen ersuchte, seinen Diener vor das zuständige Nördlinger Gericht zu weisen. Zu einer ausserordentlichen Besteuerung der Nördlinger Juden­ gemeinde kam es wieder im Jahr 1475, als Kaiser Friedrich gegen Herzog Karl den Kühnen von Burgund zu Feld lag. Am 9. Febr. verlangte ein kaiserliches Schreiben aus Andernach an den Rath, die seinen Juden Aron, Michel und Bunnum auferlegte Kriegshilfe von 1000 Gl. seinem Diener Dr. Caspar von Wernau zu reichen. Wollten sich die Juden gegen diese Steuer auflehnen, so solle man ihnen von Kaiser und Reichs wegen ihre Synagoge versperren, ihr Leib, Hab und Gut zu Händen nehmen und sie mit Gewalt dazu zwingen. Der Intervention des Raths1) gelang es, die übermässige Forderung auf 200 Gl. abzumindern. Herzog Maximilian zu Öster­ reich zog diese Summe im Namen seines Vaters durch Vermittlung seines „Kuchlschreibers“ Hans Weickamater ein. Am 11. October 1470 meldete Graf Hugo zu Werdenberg als ,,kaiserlicher“ Anwalt dem Nördlinger Rath, der Kaiser habe auf die Jüdischeit einen Anschlag gemacht, von dem auf die Juden zu

1) Das Rathsglied Gabriel Eringer und der „Juden Anwalt“ Geschaia tädingten mit dem im Namen des Kaisers handelnden Ritter Sigmund von Nidertor. Geschaia bot dabei anfänglich 90 Gl., wogegen der Nidertorer zuerst 300 Gl. verlangte (Wiener gibt in seinen Regesten Friedrichs 111. Nr. 99 die bezahlte Summe irrig auf 2000 Gl. an).

41 Nördlingen 200 61. fielen. Das Geld sei für den kaiserlichen Tag zu Nürnberg bestimmt. Der Rath gab eine ausweichende Antwort. Dieser Reichstag aber verlangte von der Jüdischeit neue Opfer, da den Städten 1482 zugestanden wurde, den vierten Theil der von ihnen erforderten Türkenhilfe von ihren Juden aufzubringen.1)2 Eine weitere Beisteuer von je 100 Gl. gewährte die Judenschaft 1484 und 1486 zu dem „kaiserlichen Kriege1 ‘ gegen König Matthias von Ungarn. Die zu Nürnberg 1491 tagende Reichsversammlung legte der gesamten deutschen Judenschaft zu einer „eilenden Hilfe“ gegen Ungarn und Frankreich die Zahlung von 2800 Gl. auf. Bei der Umlage des die Nördlinger Judenschaft treffenden Anschlags von 285 Gl., die sie selbst vorzunehmen hatte, wollten verschiedene Gemeindeglieder sich nicht zur Zahlung verstehen, andere hatten im Lauf des Jahres die Stadt verlassen und sich in Pflaumloch, Erlingen und Lauterburg bei Aalen angesiedelt. Die Rathsverordneten machten daher den Vorschlag, ein Theil der Juden solle einstweilen die ganze Summe vorschiessen und an den mit der Einsammlung betrauten Nürnberger Bürger Franz Horn senden und dann die Renitenten nach jüdischer Ordnung zur Rechtfertigung ziehen. Bei diesen Verhandlungen wird einer Judenlade gedacht, in welche zur Bestreitung unerwarteter Anforderungen für Öffentliche Zwecke vorsorglich regelmässige Bei­ träge eingelegt wurden. An dieser Lade waren jedoch nicht alle Ge­ meindeglieder betheiligt, sondern nur die zur „Verainung“ zusammen­ getretenen.3) 1) Die Kosten Nördlingens zur Erlangung dieser „Judenfreiheit“ am kaiRerl. Hof beliefen sich auf 235 61. Für den Krieg verausgabte die Stadt während der Jahre 1480—82 gegen 2900 Gl., wovon auf die Judenschaft etwa 725 Gl. entfielen. 2) Worauf sich das kaiserl. Mandat bezog, das Jacob Ehinger der Elter zu Ulm nach Neujahr 1493 dem Nördlinger Rath d.irch Jörgen von Perg überreichen liess, war nicht zu ermitteln. Ehinger’s Begleitschreiben — das Mandat selbst liegt nicht vor — spricht nur davon, der Kaiser befehle der Jüdischait zu Nördlingen, eine benannte Summe Geldes an Ehinger zu erlegen. Der Rath wolle seinem Diener beholfen sein, diese Summe oder „soviel der sein möge“ einzu­ bringen. Dabei verhehlt der Schreiber nicht, dass „die Dinge ihm zum Theil auch zu Nutz kommen mügen.“ Aus der Correspondenz aber, die Ehinger, damals „alter Bürgermeister zu Ulm“ 1502 mit dem Amtsbürgermeister Gabriel Eringer zu Nördlingen führte, geht hervor, dass er mit den Juden auch sonst zu schaffen hatte. Abraham von Heilbronn, der von Ulm nach Pappenheim und später nach Nördlingen übergesiedelt war, liess ibn an die Zahlung einer Schuld von 8 Gl. er­ innern. Ehinger erkannte die Schuld wohl an, behauptete aber, er habe diese 8 Gl. für mancherlei dem Juden geleistete Dienste erhalten. Da man in Ulm keine Schenke nehmen dürfe, so habe er ein „Trugbrieflein“ ausgestellt und darin

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1495 griff maii auf die Leistung des „gemeinen Pfennigs“ zurück und legte als solchen gleich für die vier nächsten Jahre „jeder Judenperson, jung oder alt, Mann oder Frau“, die Zahlung von 1 Ql. auf. Nach Ablauf dieser Periode wurde diese Auflage erneuert (Augsburg 1500 Juli 2) und dabei bestimmt, es sollten die reichen Juden den armen zu statten kommen, d. h. ihre Zahlung übernehmen. Aber im Jahre 1499 hatte sich auch König Maxi­ milian an die Nördlinger Judengemeinde gewendet, um von ihr ein Hilfsgeld für den Schweizerkrieg in der Höhe von 2000 Gl. zu er­ halten. Der Rath liess nun dem König durch dessen Secretarien Niclas und Caspar Ziegler, beide geborene Nördlinger, und Herrn Sigmund von Rorbach, des Königs „Kuchinmaister“ und des Reichs Hauptmann, der die Hilfsgelder zu erheben hatte, die Bitte vortragen, seine Judenschaft, deren Zahl gering und deren Reich­ thum nicht gross sei, dieser Steuer gnädig zu erlassen. Sie hätte ohnehin in den letzten Monaten Beträchtliches geleistet. Die Stadt hatte zu dem Zug gegen die Eidgenossen über 100 Mann gestellt. Die Hälfte dieses Contingents bestand aus ausgelosten Bürgern oder deren Ersatzmännern, die wöchentlich für „Lieferung“ 1/2 Gl. erhielten. Den Rest bildeten geworbene Söldner, von denen die Judenschaft 10 besoldete, wofür sie allwöchentlich 10 Gl., im Ganzen 210 61. 3 Ort erlegte. Bereits vor Beginn dieser Wochenzahlung hatte sie 70 Gl. als Kriegssteuer an den Rath entrichtet. Im Jahr 1502 eutsandte König Maximilian seinen Kammerschreiber Hieronymus Haller nach Nördlingen, um von der dorthin berufenen Judenschaft 1000 Gl. zu erlangen, die sie selbst unter sich an­ schlagen sollte. Ein Theil der vorgeladenen Juden erschien nicht, weshalb die Verhandlungen zunächst erfolglos blieben. Der König liess sie auf den 10. Dezember 1502 nochmals nach Nördlingen citiren und beauftragte den Grafen Wolfgang zu Öttingeu, in Geversprochen, die Summe zurückzuzahlen, wenn Abraham der nicht langer gerathen wolle, in der Meinung, dieser werde sic nie zurückfordern. Eringer wolle diese Vorschreibung, die Abraham in Händen habe, mit Beschlag belegen und mittheilen, wie dieser sich dazu stelle, damit sich Ehinger „danach gegen die Kon. Maj. des Juden halb verrer zu richten wisse.“ Bürgermeister Eringer aber verstand sich nur dazu, den Juden zum Bericht über den Handel aufzufordern. In diesem äussert Abraham sein Befremden über Ehingers Vorgehen. „Er hätte sich dessen nach don Diensten, die er ihm bisher mit Darleihen grösserer und kleinerer Summen bewiesen, nicht versehen, er lasse es aber in seinem Werth stehn.“ Während seines Aufenthalts zu Ulm habe er übrigens mit Mosse dem Altenburger­ meister auf sein ernstliches Ersuchen 40 Gl. geliehen, die er seinerzeit auch er­ fordern werde.

43 meinschaft mit Jörg Kirchmüllner und Vincenz Sandtner, des König Rath und Kanzleischreiber, die Angelegenheit zu Ende zu führen.1)2 Von dem eingehenden Gelde sollte der Jude Rabe von Gtinzburg 100 GL erhalten, der sich erboten hatte, zu dem Pro­ pheten Usaigisan zu ziehen und bei ihm des Königs Befehl auszu­ richten.3) Graf Wolfgang berichtete dem König, Kirchmüllner habe mit den gehorsamen Juden weiter gehandelt und, soviel man wisse, auch etliches Geld von ihnen empfangen. Da man ihn aber nicht beigezogen habe, so vermöge er Weiteres über den Verlauf der Sache nicht mitzutheilen. Jedenfalls war die Nördlinger Juden­ gemeinde an ihr nicht unbetheiligt geblieben. So sehen wir unsere Judenschaft das ganze Jahrhundert hin­ durch bei allen Reichshändeln in Mitleidenschaft gezogen. Aber auch die städtische Behörde ermangelte nicht, den Säckel ihrer jüdischen Mitbürger für s. g. Reisgelder in Anspruch zu nehmen, wenn die Stadt mit ihren Nachbarn der Fehde pflog. Die städtischen Rechenbücher ver­ zeichnen u. a. im Jahr 1453 anlässlich der Fehde der schwäbischen Reichsstädte gegen Hans von Rechenberg eine namhafte Kriegshilfe von Seite der damals aus dem Pactverhältniss entlassenen Juden: 66 GL von Liebermann, 51 GL für das Kind von Süss, 25 GL von Enslin, 100 GL von Josep von Werd. Für den baierischen Krieg im Jahr 1504 hatten die jüdischen Gemeindeglieder 150 GL Reis­ steuer zu tragen. Aber bereits vor Ausbruch desselben hatte sich der Rath schlüssig gemacht, seine Judenschaft trotz aller ihrer Opfer für Reich und Stadt für immer aus dem Schutzbürgerverband zu entlassen. 1) Der König sprach zugleich den Wunsch aus, hei diesem Anlässe solle die gesamte Jüdischait des Reiches einen Procurator bestellen und ihm namhaft machen, der in ihrem Namen mit dem König über alle ihre Angelegenheiten ver­ handele, um ihr die durch fernere Zusammenberufungen erwachsenden Kosten zu sparen. Die Commission erhielt den weiteren Auftrag, mit Hilfe der anwesenden Juden vollständige Verzeichnisse ihrer Glaubensgenossen und der bestehenden jüdischen Feuerstellen anzufertigen. Der ihn begründende Zusatz: „dann wir die haben wollen“ lässt auf den Zustand der damaligen Statistik schliessen. 2) Um jene Zeit erwartete man in den jüdischen Kreisen auf dio Berech­ nungen des hoebangesehenen Gelehrten Isaak Abrabancl hin die Ankunft des Messias. Als dessen Vorläufer trat 1502 in istrien oder im Venetianischen der oben als Prophet bezeichnete Ascher Lemrael (Lamm!ein) auf und verkündigte» wenn sich das jüdische Volk strenge Busse anferlege, werde der Messias nach einem halben Jahre erscheinen. Die Enttäuschung trat aber natürlich bald darauf ein. Der Name Usaigisan , der in dem königlichen Schreiben vom 10. Dec. 1502 dem Propheten beigelegt wird, wird sonst nirgends erwähnt und hat bis jetzt den Deu­ tungsversuchen widerstanden. Die für Rabes Mission bestimmte Instruction, von der das Schreiben spricht, hat sich leider nicht erhalten.

44 2. Verhältnis zu Rath und Bürgerschaft. Im Nördlinger Statutarrecht des 14. Jahrhunderts werden — abgesehen von einem einzigen, unerheblichen Eintrag1) — die Ver­ hältnisse der jüdischen Einwohnerschaft nicht berührt. Erst in den beiden Ordnungen von 1433 und 1447 finden sich die für ihre rechtliche und sociale Stellung und ihren Geschäftsbetrieb mass­ gebenden Bestimmungen niedergelegt. Sie stützen sich im Wesent­ lichen jedenfalls auf den Brauch früherer Zeiten und erhielten im Lauf des Jahrhunderts durch gelegentliche Rathserlasse ihre Er­ gänzung. Die in den städtischen Schirm aufgenommenen Juden wurden zwar Bürger des hl. Reichs und der Stadt Nördlingen“, aber nicht Vollbürger, sondern nur Pactbürger auf 1, 3 oder 5 Jahre. Nach Ablauf dieser vereinbarten Frist stand es dem Rath wie dem Juden frei, den Pactvertrag zu lösen. Doch gewährte der Rath bei der seinerseits erfolgten Kündigung dem Abziehenden die Vergünstigung, vom Tag der Aufsagung des Bürgerrechts noch bis Martini des nächsten Jahres zur Abwickelung seiner Geschäfte verweilen zu dürfen.2) Einzelnen Juden wurde der Pact immer wieder erneuert. Falk sass von 1401 — 1414, seine Wittwe 1415—1424, Liebermann von 1423—1453 im Bürgerrecht, ebenso Aaron von 1459 bis zu seinem 1488 erfolgten Tod, Leo von 1469 bis 1507. Zur Strafe ausge­ wiesen wurden Süssmann im Jahr 1401, Liebermann 1414 und Enslin mit seiner Familie 1474. Als Pactbürger nahmen die Juden keinen Theil an den poli­ tischen Befugnissen der Vollbürger; sie blieben vom Eintritt in die Zünfte, wie von Rathsgang und Gemeindeämtern ausgeschlossen, waren aber auch der Waffenpflicht ledig. Mit der Zusage des ihm von dem Leibherren der Judenschaft, dem König, übertragenen Schirmes übernahm der Rath auch die scheinbar entgegenstehende ausdrückliche Verpflichtung, gegen die vom König oder seinen Bevollmächtigten ausgehenden Schatzungen

1) S. S. 10. 2) Der Abzug von Juden wurde bisweilen in besonderer Weise zu allgemeiner Kenntniss gebracht. Als Jacob von Wassertrfidingen nach Nördlingen übersiedelte (1482), liess er auf des Vogts Geheiss in der Kirche zu W. öffentlich berufen, er sei wegfertig; wer mit ihm von Pfand wegen zu thun hätte, möge sich zu ihm verfügen.

45 der Judenschaft berathen und beholfen zu sein. Auch war letzterer in solchen Fällen vergönnt, sich der Vermittlung anderer Herr­ schaften zu bedienen. Es lag ja im Interesse der Stadt, die meist übertriebenen Anforderungen der königlichen Kammer auf ein leid­ liches Mass herabsetzen zu helfen. Der aufzunehmende Jude legte in einer doppelt ausgefertigten Urkunde1)2die eidliche Verpflichtung nieder, Bürgermeister und Rath treu und gewähr zu sein, der Stadt Gebote zu halten, ihren Schaden zu warnen und ihr Frommen zu fördern, während der Bürgerrechts­ dauer sich nur mit Verwilligung des Raths unter einer andern Herrschaft Schirm zu stellen, sowie an Martini die Jahressteuer und an Johannistag zu Sonnwenden die Abgabe für die Benützung der Synagoge zu erlegen.8) Jene betrug in den beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts mindestens 2 GL, für wohlhabende Gemeindeglieder aber zwischen 10 und 25 GL, nach 1430 nur mehr 1—8 GL Die Synagogen- oder Schulsteuer dagegen begann mit 5 G1., erreichte in einem Fall (1434) die Höhe von 36 GL und betrug später meist das Drei- oder Vierfache der eigentlichen Steuer. Der Grund für die niedere Bemessung der regelmässigen Steuer und die Höhe des Schulzinses liegt wohl darin, dass von der ersteren die Hälfte an die Grafen von Öttingen als Pfandinhaber der dem König zustehenden Steuerquote abzuführen war — was bis 1437 geschah —, während die Synagogensteuer ungeschmälert im Besitz der Stadt verblieb.3)* * * * 1) Von den 14 noch vorhandenen Verschreibungen sind 13 von dem jewei­ ligen Stadtamraan und einem der Herrn des alten Raths besiegelt. Nur die jüngste von 1486 trägt lediglich das Siegel des Stadtammans. 2) Die von den einzelnen Gliedern dieser Gemeinde jährlich erhobenen Steuern finden sich im 6. Abschnitt verzeichnet. Beigegebene Zusammen­ stellungen der von der höchstbesteuerton Klasse der christlichen Bürger im Lauf des 15. Jahrhunderts bezahlten Steuerbeträge gewähren einen Massstab für die Höhe der den jüdischen Pactbürgern auferlegten Leistungen. 3) Der Jahreszins von der Synagoge betrug für die Gesamtjudenschaft 1401:20 G1., von 1405-1413 : 30 GL, 1415-18 : 28 GL, 1419—1424 : 20 Gl., 1425 : 50 Gl. Von da ab wurde den einzelnen Familienhäuptern Schulzins auf­ erlegt. Er ertrug 1426 und 1427 nur 33 Gl., stieg aber 1428 auf 83 Gl. und brachte 1449 die Summe von 86 Gl. Bei der Wiederzulassung von Juden nach der Pactkündigung von 1453 wurde der Schulzins wesentlich erhöht. 1462 erreichte er bei einer Zahl von 9 Gemeindegliedern den Betrag von 162 Gl., 1488 von 149 Gl. bei 11 Betheiligten. Die mit öttingen hälftig zu theilende Jahresteuer ertrug 1411 hei 9 Contribuenten 149 Gl., 1426 nur 18 bei 3, 1435 nur 15 bei 5 Betheiligten. Seitdem hielt man an dem Satz von 3- 4 Gl. etwa bis 1449 fest.

46 Hauseigenthümer zahlten eine Haussteuer, Inhaber von Häusern, die dem Rath gehörten, einen Miethzins. Erheischten gefährliche Zeitläufe einen besondern Aufwand der Stadt für ihre Bewachung, so wurden auch die Juden an der Umlage hiefür, dem s. g. Wach­ geld, betheiligt. Eine ähnliche Auflage war das Grabgeld, das sie zum Ausbau des bei der Stadterweiterung angelegten neuen Grabens während des ersten Drittels des Jahrhunderts entrichteten. Seit seiner Mitte wurden ihnen, wie bereits erwähnt, Reisgelder, d. h. ausserordentliche Contributionen zur Deckung der städtischen Kriegs­ kosten, abverlangt1). Ebenso wurde die Judenschaft zur Erlegung des Wein-Ungeldes, der wichtigsten Einnahmequelle der Stadt, heran­ gezogen. Es war ihr sogar gestattet, Wein auszuschenken oder auszuleihen, wobei sich das Ungeld nach Massgabe des geforderten Preises erhöhte. Der Steuerfreiheit (Zinsfreiheit) genossen Neuver­ mählte während des ersten Jahres ihrer Ehe, des s. g. Kostjahres, wenn sie nach alter Sitte in dem elterlichen Hause Wohnung und Tisch fanden. Sie durften aber während dieser Zeit keinen selb­ ständigen Geschäftsbetrieb beginnen, sondern befanden sich in der Stellung von Ehalten (Dienstboten). Fremden Juden ward mitunter zeitweiliger Aufenthalt gewährt, aber immer nur gegen eine Gebühr, die der Besteuerung der Ge­ meindeglieder einigermassen entsprach. Fenderlin von Gunzenhausen gab 14Ö1 für eine siebenwöchentliche Anwesenheit 3x/2 Gl. an die Rechner, Simon für 3V2 Monate 7 Gl. 1479 entrichtete Veit (Veifs), der ein Jahr bei seinem Schwäher Michel zubrachte, dafür 6 Gl.; Markgraf Albrecht ersuchte 1481 den Rath, ihn nicht zu steigern. Von 1503—5 wohnten Isaac und Moll in der Stadt gegen das geringe Pactgeld von 1 Gl. Leo liess wiederholt einen jüdischen Augenarzt kommen, für den er 6 U im Jahr 1469 und 8 % im folgenden erlegte. Für einen ,,Lernmeister41, der früher als Dienstbote zu der ln der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, wo man die Zahlung an Öttingen unterHess und ihrer auch überhoben zu sein glaubte, wurde dagegen diese Leistung auf 3—8 Gl. gesteigert. 1) Wie der Rath von den im Schutz der Stadt stehenden Klöstern jährlich zu einem Mahl geladen wurde, wobei er aber den Wein stellte, so erhielt er auch zu Anfang des 15. Jahrhunderts von der Judenschaft Fische verehrt. 1411 wurden 10 % 2 Pf. verausgabt „do man die Judenvisch ass“, 1413 aber 21 U 18 Pf. für die Judenvisch und das Mahl zu den ßarfiissen. Im Amtleutbuch von 1453 werden die zwei Büttel und der Vogtsknecht angewiesen, den Gulden miteinander zu theilen, den die Juden an der „Lobrysin“ oder „Lobfellin“ (dem Laubhüttenfest) den städtischen Dienern spenden.

47 Familie zählte, wurde 1502 Samuel, Michels Sohn, yt Gl. abverlangt. Im gleichen Jahr zahlte die gesamte Jüdischait 3 Gl. für 3 „Schalatjuden“ (Scholares, Studenten), die sie wohl eingeladen hatte, religiöse Vorträge bei ihr abzuhalten. Es war streng untersagt, ohne Wissen der Rechner Fremde länger als acht Tage bei sich zu herbergen.1) Bunam wurde 1473 deshalb um l/i Gl. gestraft; 1488 wurde der ganzen Gemeinde aus gleichem Grund eine Busse von 6 Gl. zu­ erkannt. Juden, die dem Glauben ihrer Väter absagten, winkte neben andern Vortheilen auch Erledigung von ihrer bisherigen Steuerlast. Doch sind während des Bestands der vierten Judengemeinde nur drei Fälle von Glaubenswechsel zu verzeichnen. Samuel von Werd wurde 1462 „Cristan“ und unter dem Namen Johannes „getäfft.44 Seine Familie aber musste klagbar gegen ihn auftreten, da er Werthschaften, die ihr gehörten, an sich genommen hatte, und der Rath von Ulm, unter dem sie sass, forderte die Nördlinger Behörde auf, diese Güter in Verhaft legen zu lassen. Eine übel beleumdete Jüdin, die Tochter Enslins von Wemdingen, begehrte 1474 der Taufe. Sie wurde statt dessen ausgewiesen, als man in Erfahrung brachte, „was sie für ein Wesen geführt44, worauf sie sich mit dem gleichen Anbringen an den Rath von Heilbronn wandte, der aber vorsichtigerweise in Nördlingen Erkundigungen einzog. Bei diesem Anlass wurden, wie es scheint, auch die Verhältnisse ihrer Sippe näher geprüft, denn nicht nur Enslin, sondern auch sein Sohn Feifelmann, der bereits 1471 wegen Wuchers im Gefängniss ge­ sessen, wurden geurlaubt. Die gewesene Jüdin Anna dagegen, die 1472 den christlichen Glauben annahm, hielt sich nach des Raths Meinung „fromklich und früntlich44, weshalb er ihr eine Fürschrift ertheilte, als sie 1474 eine Wallfahrt zu U. L. Frau nach Aachen beabsichtigte, zu der sie die Mittel fremder Leute in Anspruch zu nehmen gedachte. Über die innere Organisation der Nördlinger Judengemeinde finden sich nur spärliche Anhaltspunkte. Um 1420 wird zuerst eines Schulklopfers gedacht, dem es oblag, die Gemeinde zum Gottesdienst zu laden, und dem es auch zustand, wenn ein Schul­ bann verhängt werden sollte, die Abstimmung zu leiten. Er war wohl abgabenfrei, da sein Name in den Steuerbüchern fehlt, und den Zins für seine Wohnung zahlte die Gemeinde für ihn an die 1) 148C wurde diese Frist auf drei Tage beschränkt.

48 Stadt. In dem späteren Verlauf des Jahrhunderts ist der Schul­ klopfer das Organ der Gemeinde, durch welches der Rath mit ihr verhandelt.1)2 Ihm wurden die Rathsbeschlüsse zur Übermittelung an seine Glaubensgenossen zugestellt. Auch ihm war es gestattet, Geld auf Zins auszuleihen, doch nur bis zum Betrag von 60 Gl. Das Amt eines Schulklopfers bekleidete von 1461--63 Meir, von 1464—67 Süsskind, zuletzt Leo. Als Rabbiner oder Hochmeister wurde 1469 Jakob von Ulm berufen, der 1482 starb. Von 1484—90 fungirte Jakob, der Schwiegersohn Josephs von Nördlingen. Ihn ersetzte Joseph, nach dessen 1498 erfolgtem Tod man von einer Neuwahl absah. Auch mit der Stellung eines Hochmeisters war die Bethei­ ligung am Geldgeschäft vereinbar, und die Gemeinde kam wohl auch für die von ihm an die Stadt zu entrichtenden Abgaben auf.*) 3. Rechtspflege. Wie aus den Einträgen in den Stadtrechnungen von Beginn des 15. Jahrhunderts ersichtlich ist, übte der Rath das Strafrecht über die jüdischen Insassen, während der Stadtamman über die zwischen Juden und Christen entstandenen Civilrechtshändel zu Gericht sass. Auswärtige Juden erbaten hierbei für sich und ihre Boten „Fried und Geleit zu Gericht und von Gericht.“ Die Schlichtung von Differenzen zwischen Gliedern der Judengemeinde aber blieb dieser selbst überlassen. Dies erhellt aus der Urkunde vom 13. Juli 1414, in welcher sie auf die Ausübung irgendwelcher Rechtssprechung für alle Zukunft Verzicht leistete. Den Anlass dazu 1) Es werden deshalb auch Parnossen oder Gemeindevorsteher nie erwähnt. Die Judenschaft liess sich natürlich dem Rath gegenüber durch eine geeignetere Persönlichkeit vertreten, als es der in ihrem Dienst stehende Schulklopfer war. Als solche erscheint namentlich Aaron von Neresheim, der schon zu den Exulanten von 1454 zählte (s. u.), 1459 zuerst wieder in den Bürgerverband aufgenommen ersichtlich die Gemeindeangelegenheiten leitete und 1488 als Patriarch der Ge­ meinde und Haupt eines gliederreichon Familienkreises sein Dasein beschloss. Neben und nach ihm verkehrt Michel mit dem Rath, einmal in so entschiedener Weise, dass dieser ihm dafür eine Gefängnisstrafe zubilligen zu müssen glaubt. 2) Da Pactverschreibungen von Hochmeistern überhaupt nicht vorliegen, die städtischen Rechenbücher erst seit 1486 regelmässig einen Hochmeister, doch immer ohno Namensnennung, aufführen, und zudem nicht selten die Bezeichnungen von Hochmeister und Schulklopfer verwechseln, so sind obige Aufstellungen, die auf sonstigen gelegentlichen Erwähnungen beruhen, nur unter Vorbehalt gemacht. Leo wird erst 1486 Schulklopfer genannt, obwohl in seinem Aufnahmspact von 1469 ausdrücklich die Eventualität ins Auge gefasst ist, dass er die Schulklopferstelle übernehme.

49 gaben allem Anschein nach schwere Zerwürfnisse der Gemeinde­ glieder im gleichen Jahr, die zu „Frevel und Unzucht14 in der Syna­ goge geführt hatten. Es kam dort zwischen Liebermann und Mosse1) und dessen Sohn Salman von Worten zu thätliclier Beleidigung, wobei der erstere das Messer gegen seine Gegner zückte, so dass der Rath sich genöthigt sah einzuschreiten. Die Judengemeinde gab nun die Erklärung2) 3ab, * * *„um * ihres gemeinsamen Nutzens und Friedens willen“ alle Gemeindestreitigkeiten oder Händel der ein­ zelnen Mitglieder, wie auch Klagen gegen christliche Bürger in Zu­ kunft nur vor Rath und Gericht austragen und nicht vor andere Gerichte, sie seien geistlich oder weltlich, bringen zu wollen. In dem Statut von 1433 wurde den Juden die Befugniss zur Recht­ sprechung über ihre Glaubensgenossen in Civilsachen zurückgegeben. Bei dieser führte den Vorsitz ein Hochmeister8) oder Rabbiner, dessen Wahl den Parteien freistand, da es in Nördlingen nicht immer einen Rabbiner gab. Nur wenn die eine Partei das jüdische Recht ab­ lehnte, wurde die Sache vor dem Stadtamman ausgetragen. Betraf sie aber eine straf- oder busswürdige Handluug, so blieb Rath und Amman ihr Recht Vorbehalten. Streitigkeiten zwischen Juden und Christen fanden vor dem Stadtamman und dem Stadtgericht ihre Erledigung. Als Zeugen gegen Juden sollten nur solche Juden zu­ gelassen werden, die mit ihnen nicht in offener Feindschaft lebten, oder ein „unversagter“ Christ, d. h. ein Mann unbescholtenen Charakters.

1) S. 38. 2) Sie ist eigenhändig von allen Gemeindegliedern in hebräischer Sprache unterzeichnet und von Junker Georg von Lierheim und dem Stadtamman Hans von Mauren, genannt Slaiss, besiegelt. 3) War der Hochmeister selbst bei der Sache betheiligt oder einer der Par­ teien verwandt, so wählte meist jede Partei zwei Schiedsmänner, wozu noch ein Unparteiischer nach der Wahl der übrigen Judenschaft trat. Als Eabbi Lazarus gegen die Nördlinger Juden Michol und dessen Sohn Leo einen Rechtshandel hatte, verlangte König Max (22. Juni 1492) für ihn bei dem Nördlinger Rath ein achtwöchentliches Geleit mit dem Ersuchen , „der Rath wolle bei Michel und Leo daran sein, dass sie ihren Gegner zu Nördlingen vor dem Rabbi oder zu Roten­ burg vor Rabbi Alexander, zu Nürnberg vor Jacob Margoles oder zu Ulm vor Rabbi Meschi und Henyn seiner Sprüche halb annehmen, und ob sie sich der Sachen nicht vereinigen möchten, vor gemeiner Jiidischait und vor denen, so den Parteien nicht verwandt sind, nach jüdischer Gewohnheit Rechtens pflegen.“ Michel besass ein 1492 von Kaiser Friedrich III. erwirktes Privilegium, nur vor den Hochmeistern zu Regensburg, Ulm und Friedberg zu Recht belangt werden zu können.

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50 Für die Eidesleistung bei wichtigeren Rechtshändeln, die in der Synagoge auf die fünf Bücher Mosis stattfand, galt folgende Norm:1) „Der den ayd geyt, sol also sprechen: Jud, ich beswer dich bey der ee,2)3 die got gab Moysi uf dem berg Synai, ob daz buch daz recht buch sey, daruf ein Jud zu recht sweren sölle, daz da haisst Hinnas2) (et sunt quinque libri Moysi). Dörnach spricht er also: Jud als dich .H. anspricht oder zeiht, des bist du un­ schuldig. Also helf dir got, der hiess iverden himmel und erden, laüb und gras, daz e nit was, wassery ys und tufft, nebel, feür und kifft, und daz du recht swerest, also helf dir got Abrahams, Ysaacs und Jacobs, und daz dü recht habest, also helf dir die e, die got gab Moysi uf dem berg Synai, und als du recht swerest, also helf dir Adonay und sein gewaltig gotheit, und als du recht habest, also müsse über dich und dein gebürt daz jüngst gericht ergan.“ Eine ähnliche Eidesleistung wurde auch bei den gericht­ lichen Urfehden, die nach beendigter Haft und bei Stadtverweisung zu schwören waren, regelmässig auferlegt. Bei Eidesabnahmen vor Rath begnügte man sich mit einem Handschlag an Eides statt. Der Schulklopfer Süsskind „gibt seine Treu an eines rechten jüdischen Eids statt inmass als hätt er zu Gott geschworen“ (1464). Ebenso gelobt 1486 Mosse „bei handgebenden Treuen.“ Zu den Strafen, die in der Zuständigkeit von Rath und Amman lagen, konnte von Seite der Gemeinde der Bann treten. Mit seiner milderen Form wurden Unftigsame belegt; ihm folgte aber, wenn er nach Monatsfrist wirkungslos geblieben, der schwere Bann, der den Betroffenen aus der Gemeinschaft des Judenthums stiess.8) Wenn ihn die Gemeinde nicht mehr in der Stadt dulden wollte, so sollte ihn die weltliche Obrigkeit ausweisen. Nach dem Tode des Nördlinger Juden Mosse von Giengen kam dessen Schwiegersohn Jacob von Giengen in die Stadt (1491), erhielt aber auf Antrag der Judengemeinde vom Rath den Befehl, wegen des auf ihm lastenden Banns binnen 14 Tagen die Stadt zu räumen. Jacob behauptete,

1) Sie ist auf dem Schlussblatt des Rathsprotokolls von 1440 eingetragen, aber, wie die drei Reimpaare beweisen, weit älteren Ursprungs. Vergl. den Er­ furter Judeneid in K. Miillenhoff und W. Scherer: Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem 8.—12. Jahrh. 1892. II. S. 465 ff. 2) E oder Ee =. Gesetz. Hinnas steht irrig statt Humas (Khumäsch = Fünfbuch). 3) H. Grätz: Geschichte der Juden (1861) V. S. 152 f.

51 unschuldig versagt zu sein, und bat, ihm zur Eintreibung der vielen von seinem Schwäher hinterlassenen Pfänder wenigstens ein Jahr Frist zu gewähren, damit er den Schuldnern nicht beschwerlich falle. Nach dem Statut von 1447 besass der Schulklopfer die Be­ rechtigung, abstimmen zu lassen, wenn ein Schulbann verhängt werden sollte. Auch die christliche Kirche des Mittelalters, die alle Ver­ gehn als Sünden betrachtete und sie deshalb vor ihr Forum zu ziehen sich für berechtigt erachtete, wenn sich der weltliche Richter noch nicht damit befasst hatte, verhängte als Strafe den Bann über die Juden, der allen Christen die Gemeinschaft mit ihnen verbot. Als der Neresheimer Vogt Rudolf Hagk von Hohenegk 1493 von Stadtamman Strauss zur Bezahlung einer Schuld an den Nördlinger Juden Michel gemahnt wurde, brauchte er die Einrede, Michel sei durch das geistliche Gericht zu Augsburg von aller Ge­ meinsame ausgeworfen, auch als bännig öffentlich zu Nördlingen verkündet worden, er sei also weder als Kläger noch als Mahner zuzulassen. Wollte Hagk der Mahnung Folge leisten, so würde die Augsburger Curie nach geistlichem Recht gegen ihn gleichfalls mit dem Bann vorgehn. Michel Hess sich dadurch nicht abhalten, auf seiner Forderung gegenüber den Gewissensscrupeln des Vogts zu bestehn und ein paar Monate später Hagk zur Leistung gen Nördlingen zu mahnen, was natürlich auch der Stadtamman für Rechtens hielt. Nach Ausweis der Urfehdbücher und Stadtrechnungen1) fand übrigens der Nördlinger Rath nur in verhältnissmässig wenigen Fällen Anlass, gegen seine jüdischen Insassen strafend vorzugehen. Letztere enthalten für das ganze 15. Jahrhundert nur etwa 50 über Juden verhängte Geldstrafen, meist von geringer Höhe und nament­ lich wegen verpönten Spiels.2) 1401 wurde Süssmann aus unbe1) Tn den Urfehdbüchern stehen alle Frevel verzeichnet, wegen deren Haft verfügt wurde, die man bei Entlassung aus derselben nicht zu rächen geloben musste. Geldbussen dagegen waren den Stadtrechnern zu erlegen und wurden von ihnen in die städtischen Kechnungsbiicher eingetragen. 2) Die bei den von öffentlichen Lustbarkeiten ausgeschlossenen Juden leicht erklärliche Lust am Kartenspiel, die sich namentlich im 15. Jahrhundert sehr geltend machte, gab vielfach Anlass zu Erörterungen über seine Moralität in jüdischen Kreisen, da sich selbst fromme Gelehrte demselben hingaben. Die Frank­ furter Judenordnung von 1402 schrieb vor, in der jüdischen Wohnung dürfe nicht um Geld, sondern nur um 1 oder 2 Mass Wein gespielt werden.

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52 kannten Gründen mit 4 Gl. Busse belegt und der Stadt verwiesen, 1414 Liebermann wegen Scblaghandels in der Synagoge, 1474 die Familie Enslin wegen übler Führung. „Von etwas Geschieht und Brüch wegen“ verfiel Josep in eine Busse, die 1404 König Ruprecht für sich beanspruchte. Besserungsstrafen von je 10 Gl. für gleich­ falls nicht angegebene Vergehen werden Mosse und Anselm 1416, von 20 Gl. Jöslin 1423 zuerkannt. Leo wird 1436 wegen Fund­ diebstahls zu einer Strafe von 200 Gl. verurtheilt, Samuel wegen Leihens auf einen städtischen Harnisch zu 50 GL, 1437 Uri zu 50 GL Bussgeld und zu 10 GL wegen Kaufs gestohlener Hühner, ebenso der Schulklopfer. Mosse wird 1442 wegen seines Austretens und unredlichen Verhandelns um 200 Gl. gestraft. 1488 wurde der gesamten Judenschaft wegen eines anlässlich einer von ihr veran­ stalteten Tanzbelustigung entstandenen Auflaufs eine Strafe von 100 Gl. dictirt, dazu eine weitere von 6 Gl. wegen Beherbergens fremder Juden. Ins Gefängniss aber musste 1478 Michel wandern, weil er dem Rath unstatthafte Worte zugeredet habe. Diese für ein ganzes Jahrhundert immerhin recht mässige Zahl von Be­ strafungen1) legt doch ein günstiges Zeugniss für das Bestreben der jüdischen Einwohner ab, den städtischen Ordnungen nachzuleben. Die Judenschaft ist sich dessen auch bewusst und spricht es ge­ legentlich in ihren Eingaben an den Rath aus.2) Ein langwieriger Handel beschäftigte den Rath zwischen 1492 und 1498. Leo, Michels Sohn, und der Rabbiner Josslin hatten sich zertragen.3) Ersterer trieb nun eines Tags seinen Widersacher mit gespannter Armbrust vor sich her nach Nördlingen, um ihn zum Austrag ihres Handels vor dem Rath zu nöthigen. Dieser be-

1) Die sämtlichen in den städtischen Registern verzeichneten Strafen gegen Juden sind den Personalien im 6. Abschnitt angefügt. 2) Michel bat 1488, ihn noch weiter im Bürgerrecht verbleiben zu lassen, „als bisher ich bey eueren genaden 29 jar guts und Übels mit gelitten hab . . item in sölicher zeyt nit clag über mich komen ist, das ich yement hett begert unrecht zu tun . . so hot mein sun Leo nie kainem menschen für gericht oder recht gebotten, des geleichen im hinwider auch niemet geton hot.. so seinen ich und mein sun Leo zu allen zeyten ainer stat getreu und gewer gewesen in krigs layfen und zu veuersnöten und zu andern Sachen mit unsern leybon und guten, doran ain gemain ain gros wolgefallen gehat hot.“ 3) Der Anlass ist nicht ganz klar. Leo behauptete, der Rabbiner habe un­ richtige Angaben über ihn beim Kaiser gemacht, die ihn in den Judenbann und dem Kaiser gegenüber zu Verlust seines Vermögens hätten bringen können.

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stimmte die Gegner, sich nach jüdischem Recht zu einigen, behielt sich aber Strafe und Frevel vor. Es wurden zwei Schiedsrichter aus der Nördlinger Gemeinde ernannt, die im Fall von Meinungs­ verschiedenheit einen Vorsteher der Nürnberger Judenschaft als Ob­ mann zu sich nehmen konnten. Inzwischen wurde Leo durch Heirats- und Geschäftsangelegenheiten veranlasst, sich nach Padua zu begeben (1494), befürchtete aber unterwegs einen gegnerischen Überfall, wesshalb er durch den Rath den Dogen Aug. Barbadico bitten liess, ihm seinen Schutz angedeihen zu lassen. Obwohl schliesslich eine Einigung nach jüdischem Recht stattfand und Leo von Seiten des Raths straffrei ausgieng, wurde er nachträglich (Sept. 1498) wegen jenes früheren Überlaufs auf der Reichsstrasse vor den königlichen „Fiscalgeneral“ nach Worms geladen, wobei ihn der Rath mit Fürschriften versah. Auswärtige Juden unterstanden hauptsächlich während ihrer Anwesenheit in der Nördlinger Pfingstmesse der Jurisdiction des Rathes. Als Mosse von Andernach 1470 mit zwei Christinnen, einem Mädchen und einer Ehefrau, „zu schicken gehabt“, wurde er nach überstandenem Gefängniss in den Pranger gestellt, mit „brinnenden Schauben aus der Stadt gezündet“, und ihm dieselbe ewiglich verboten. Die bei der „Bübry“ betheiligten Weibspersonen und zwei Kupplerinnen erhielten die gleichen Strafen und wurden auf 10 Jahre aus der Stadt gewiesen. 1473 liess es sich Elias von Rottenburg am Neckar beikommen, „gen Unser Frawen Bild die Zunge auszublecken.“ Ihm wurde dementsprechend die Stadt so lange verboten, bis er an Unser Frawen Bau (zum Bau der Haupt­ kirche) 10 Gl. bezahlt hätte. Ins Gefängniss kam 1499 Falk, der einen andern Juden „blutreiss“ geschlagen. Drei Juden aus Ederheim und Erlingen, die in der Judengasse einander mit „trockenen“ Streichen bedient, traf nicht nur die gleiche Strafe, sondern sie wurden auch der Stadt verwiesen. Obwohl die Juden formell den Schutz des Landfriedens1) ge­ nossen, da sie ausser Stand waren, sich selbst zu schützen, so sicherte sie dies thatsächlich nicht vor zeitweisen schweren Verfolg­ ungen. Dabei konnte es doch Vorkommen, dass man geradezu in

1) In dem Rechtsbuch des Sachsenspiegels heisst es: Alle Tage und alle Zeit sollen Friede haben Pfaffen und geistliche Leute und Weiber und Mädchen und Ju IWr >ar

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H" Wra» M»Kak Umb^Wr U|i^a»dUnik»M 'iUiHI W«M k Ist alssk> verschwunden wie der rach. ^ 0 weh und ach an jetz und immer, Wo ist jetzundm) mein Frawen Zimmer, Heut Fürstin und dann nimmermeh,“) 0 angst und noth, wie thuets so weh! °) 6. Herr Doctor, bschaut mein zarten leib, p> Ob doch derselb recht gmachetq) sey, Ihr habt offt manchen hin gericht Der aller gstaltr) jetz mir gleich sicht. Ich hab mit meinem wasser bschauen8) Geholfen baiden man und frauen. Wer bschaut mierD nur dass wasser mein Mich treibt der todt in rayen nein.

7. Las ab kaufman von deinem werben, Die Zeit ist hie11) jetz muest duchv) sterben. Hast duw) schon ghabtx) vil siesser gschleckh/) Jetz wierts dier saur, du muest hinweckh. ä)

d) i) k) o) p) q) u) w)

Ewer b) Ess Ist Zeit c) fehlt. Geacht e) AVeil f) Nun g) Landt h) Zur Wo l8t gmacht offt wein. An einer mass zwey kreuzer gwin,e) Ist gar zu vil tantz hehr muest hin.a) f) b) c) * * Ich het zwar offt vil seltzam gest, Jetz kompt der todt und ist der lest Mit dem ich nur abrechnen rauess, Für zech gibt er mir todten buess. g) 9, Du wuecherer und‘h) Dein guet und gelt Der armen leit hast Ein schwartzer todt

Gottloser man, sich ich nit an vil verderbt ist jetz dein gfert. 9

Ich fragt nit vil nach Christi lehr, Gedacht, der wuecher tragk) vil mehr Jetz bleibt der bettel all1) dahinden, Was hilfft mich jetz mein schaben und schinden. 10 Hui auff om) baur mit deinem knecht Du muest mir halten auchn> ein gfecht,0) Dein pflegel magstp) wol fallen lohn, Zu unserra tantz rieht dich gar schon. Mein leben ward’q) der arbait vol, An meinen henden sicht mans wol, Das feld wolt ich doch lieber bauen/) Dan diesen thirling jetz anschaun/ a) b) c) e) f) g) i) in) p) 8)

Sthäen voll Muess Ich Jetz Mit dem Todt dahin. Abgelehrnet d) fehlt Des Dritentheil Gewin Dantz Herr Muess Nur hin. Die Todten Bues. h) Du Ist Dir Beschert, k) trägt 1) Allen fehlt n) fehlt o) Gefecht mangst q) war r) bawen Als Einen Solchen Dirling Anschawen.

160 11. Herr Abbt vor mir seit ihr nit gfreit,a) Mnest auch mit mir inh) todten streit. Legt weckh den stab und Infol fein, Kombt hehr ess muess getantzet sein. Prelat wardc) ich in disem landt Und hochgeacht in meinem standt. Jetz kombt der todt was ist mein gwin Gott bhuetd) e)mein * Kloster ich far dahin

12. 0 Junckher mitt dem knebelbartt Ewre) rew habt ihr Zu lang gespartt. Ihr maint ess gang euch alless hin Danzt hehr mitt mir ist euerf> gwin. In diser weltt wassg) ich bekantt Dar Zu ein Edelman genantt. Nur bin ich von dem todt gefeltt Unnd hehrh) an disen tantz gesteltt.

13. 0 fraw wass sol doch diser prachtt, Den ihr thuett fderen tag und nacht Ziechtt ab dass klaidlenzartt und waich Und tanztmit mir so werdt ihr blaich. Der todt kompt mir auch für die thür Ess kompt mir graussamral seltzam für. Hab nit vermaint dass noch sey Zeit Gar schnell hatt er mich tibereiltt.

14. Herr11) Pfarrer merckhtt auff euer lehr,

Kompt auch in meinen tantz hieher. Ihr singt und sagt vil°> von dem todt, Ihr müest erfaren auch die nott. Ich hab gepredigt offt und vil Dass keiner hab kein gwisess zil. Dass werckh probiertt den maister fein, Drum lauff ich auch in reyen nein. ;i) Gefreyt b) Mit In den c) War d) Behiet e) Ewer f) Ewer g) War h) fehlt i) Nur k) Khleid 1) DanU m) Grassam n) 0 Herr o) wol

1G1

15. Scitt ihr herr vogt und Amptraan hie,a) Kompt hehr, versuecht mein pfefferbhrue. Mitt scliankh und schmieren^ ist ess miss, Kompt hehr mitt mir inss nobisv) hauss. Im Ampt hab ich nit braucht gewaltt Dass ich thett wass in Dienerss gstaltt/1) Durch schankhung ward ich nit verfuertj) Doch muess ich thonf) wass dir geliebtt.

16. Hupff auf du hessigs kammelthier,g) Im fewr muest du jetz schwitzen schier.h) Dein gabel reitten hat ein endt Vom hewberg hol ich dich gar gschwendt. Gott selbst auchk) seine haylgen zwar Hab ich verlaugnet offenbar*l) * g) h) i) * * Mein gl übt hab Ich dem teuffei thon 0 weh o weh wass wiert mein lohn.111)

17. Korn hehr spilgur jetz ist dein Zil Muest mitt mir thon ein seltzamss spil. Wan du schon hast drey beste thaussn) Gewinst nichts darmitt dass spil ist auss.°) Ich hab verspiltt vil guett und geltt Nurp) muess ich fortt auf diser wreltt. Mein falschen q> list nit helffen thon, Ich bsorg mir wirdr) der spiler lohn.

18. 0 Junckfraw schaw dein rotter mundt Wiertt blaich jetzundt zu diser stundt, Hast offt getantzt mitt Jungen knaben, Mitt mir muest jetz ein8) vortantz habon. a) Hir b) Schänckhung Unnd Schmierben c) In Unser d) Gestaldt e) Geiebt f) Schon Thon g) Schemeldier h) In dem Feur must du Schwitze schier i) Auf dem Heyberg Dich Hoch Hast Geschenndt k) Gott Und 1) Ist Offenbar m) Was Wiert Meur für Ein Lohn n) Schwein o) Mein p) Nun q) Mein Fluchen Falschen r) Wert s) Den

11

162 0 weh wie grewlich hast mich gfang“) Mir ist all muett, und freud vergang.a) b) c) * Hab eben gsinttc) nach einem man Ach vor der Zeit muess ich jetz dran. 19. Der Jugottd) tlmo ich nit verschonen Die kündlein nem ich wie die bluomene) Kom hehr mein liebess kündelein Vergiss der muetter jetz 0 bist mein. Schaw schaw*) mein liebess muetterlein l)o gelitt ein langer man herein Der zuichtb) mich fortt und wil mich hon Muess tantzeu schon1) und kan kaumk) gohn.

20. Jakob hiebeier1) lass dass mahlen stöhn Wirff bensel hin du muost darvon. Hast du schon grewlich gmachtt mein leib.m) Tantz hehr muest mir jetz werden11) gleich. Ich hab gemaltt den todtten tantz, Muess auch in0) spil sonst worssp) nit gantz. Jetz ist dass mein verdienttor lohn Kompt allhernach ich muess dar von. (Oberstdorf 17.) Jüngling! Wie Gehest Du So Frech herein Weist Nit, dass du Jetz Must Meiu sein, Nim Hin dass Mailein Dnd den Crantz Und Kom mit Mir zum Todten Dantz. Ich Gedacht noch Manchen Sprung zu Thon So Khombt der Todt Nimbt Mich darvon Muess Es Nur Sein So Erbarm ess Gott 0 Jugend Gedenkhs, Mit Mir Ist’s zu Spott.) a) b) c) e) fj i) 1) in) n) o)

Hat Er Mich Umfangen Allo Freid Unnd Muot vergang’n Gesiindt d) Jugent Die Khürloin Nimb ich Wie die Blumen Du g) Schaw An h) Zeucht Schon dantzen k) Khuin Gabriel Neckher Hast Gredlich Gemacht Meinens Gleich i)u must Mir Worden In’s p) Wer Es

168

Anhang II. Tabelle A. Die Szenenfolge der drei älteren Totentänze. Füssen (F.)

Oberstdorf

Breitenwang. Evangcllonseite

1. 2.

8. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

21.

Papst. Kaiser Herzog. Bischof. Fürstin Doktor. Kaufmann Wirt Wucherer Bauer Abt, Graf. Frau. Pfarrer Amtmann Unhold Spieler Jungfrau. Kind. Maler —

Papst Kaiser. Bischof (F. 4.) Fürst (F. 3.) Fürstiu. Abt (F. 11.) Pfarrer (F. 14.) Junker (F. 12.) Frau (F. 13.) Doktor (F. 6.) Vogt (F. 15.) Kaufmann (F. 7.) Wirt (F. 8.) Wucherer (F. 9.) Bauer (F. 10.) Spieler (F. 17.) Jüngling *) Jungfrau. Hexe (F. 16.) Kind (F. 19.) Maler.

Papst Moses *) Frau Wirt Bettler*)

fipistclseito.

Kaiser. Jurist.*) Soldat.*) Fassbinder.*) Bauer.

*) Nicht in Füssen.

11

164 Tabelle B. Falgers Totentänze. Elbigenalp.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. (19.) (20.) (21.) (22.) (23.) (24.)

Eimen

Beinlians.

Friedhof.

Papst König Künstler Richter Bürger Soldat Kind Mutter Arzt Knabe Braut Grossmutter Bauer Reiche? Bettler Mörder Magd Totengräber —

Papst (2).*) König (1). Künstler (4). —

— Soldat (5). Kind (10). Mutter (9). Arzt (3).



Soldat (10). Kind (12). —

Braut (6). Ahnfrau(12). Bauer (7).

— Knabe (11) Braut (9). Grossmutter (2). Bauer (8).







Bettler (11.)







Magd (8). — —,













— —

__ *

Fürst (5). • — —

Schattwald. __ Monarch (5). — — —

Soldat (10). Kind (12). Mutter (2). —

Knabe (11). Jungfrau (8). Grossmutter (1). Bauer (6). —

Bettlerin (4). —

Magd (4).







Bäuerin (1). Holzhauer (3). Bürgerin (6). Priester (7).











— Bürgerin (6) —

Bischof (9). Handwerker (3).

*) Die bei Friedhof, Eimen und Sobaltwald in ( ) gesetzte Zahl bedeutet die Reihenniunmer der Szene daselbst.

1G5

Anhang III. Die Verse des Totefttanzes im Beinhaus in Elbigenalp. 1. Papst:

Wohin des Menschen Fuss auf Erden tritt, Da gehst Du an der Seite mit. Tod; Zur Seite war ich immer Dir Jetzt gehst Du von dem Thron mit mir. 2. König; Ich bin Gebiether in dem Reich. Wer ist an Würde mir wohl gleich? Tod: Der Krone Dir und Szepter gab, Der nimmt Dir Deine Würde ab. 3. Künstler: Lass leben mich der Kunst allein, Ich möcht durch sie verewigt sein. Tod: Sieh, andern bring ich keinen Kranz, Durch mich erhältst den Ruhm Du ganz. 4. Richter: Ich richte, wie der Codex lehrt, Thu alles, wie’s mein Fürst begehrt. Tod: Ich breche jetzt den Stab auch Dir. Herr Richter, komme nur mit mir. 5. Bürger : Lass mich bei Tanz und Saitenspiel Noch fröhlich sein im Weltgewühl. Tod: Verlassen musst Du Tanz und Spiel. Jetzt tanz mit mir zum letzten Ziel. 6. Soldat: Hier stehe ich voll Heldenthat Wie jeder tapfere Soldat. Tod: Ja, Du stehst auf dem Feld der Ehr, Durch mich erwirbst Du Dir Lorbeer. 7. Kind: Lass mich doch da, ich bin noch klein, Lass mich bei meiner Mutter sein. Tod: Ich sehe nicht auf Klein und Gross Und jedem werde ich sein Loos. 8. Mutter: Ist denn bei Dir gar kein Pardonn, Nimmst Du mich von den Kleinen schon ? Tod: Sieh, ich verrichte Deine Pflicht Und bringe alles vor Gericht. 9. Arzt: Hier nehmet diese Gabe ein, Sie wird gewiss zur Heilung sein. Tod; Du willst die Kranke heilen hier, Doch unverhofft musst Du mit mir. 10. Knab: Lass mich doch in der Stadt zurück! Ich lebte wenge Augenblick. Tod: Das Menschenleben geht in Eil Und alles tödet dieser Pfeil.

— 11. Braut: Tod: 12. örossmutter: Tod: 13. Bauer: Tod: 14. Reicher: Tod: 15. Bettler: Tod: 16. Mörder: Tod: 17. Magd! Tod: 18. Totengräber: Tod:

166



Lass mich noch hier hei der Musik, Lass mich noch hier und geh zurück! Ich gebe Dir jetzt meine Hand Und binde mit Dir ein neues Band. Lass mich doch da, nimm andere hier Und lasse noch erzählen Dir. Ich höre nicht auf Deine Wort, Du musst wie Deine Kinder fort. Was willst schon da auf diesem Feld? Besiegst denn Du die ganze Welt? Ich mäh die Leut wie Du das Gras, Nimm alles und mach keinen Spass. Bestechen lässt sich viel mit Geld, Ich zahle, lass mich auf der Welt. Ich will kein Geld, nur Dich allein, Steh auf, ich will Dein Kutscher sein. Ich habe nichts, oft kein Stück Brod, Lass mich noch hier in meiner Not. Nein, Du musst fort, hier ist Dein End Und auch vollendet Dein Elend. Du bist mir auch kein Freiheitsbot, Ich glaub, Du führst mich aufs Schafiot Das Morden war Dir nicht erlaubt, Jetzt schlag ich Dir auch ab das Haupt Du Ich Zu Ich

bist mir nicht der rechte Mann, schlag nach Dir, so lang ich kann. schwach bist Du, schlag Du nur zu, bring gewiss Dich heut zur Ruh.

Wer hätte das einst je Dass ich das Grab für Vollendet ist hier Dein Geh mit mir jetzt, Du

gedacht, mich gemac t? Taglohn. Erdensohn.

Eine vergessene Grösse. Therese Huber, geb. 1764 in Göttingen gest. 1829 in Augsburg. Von

Lorenz Werner. Es sind gerade siebzig Jahre her, dass in Augsburg eine Frau ihr Leben beschloss, welche, selbst literarisch thätig, mit fast allen literarischen Grössen ihrer Zeit bekannt und befreundet gewesen. Damals war es ihr gerade noch vergönnt, den Briefwechsel Georg Försters, des uns bekannten Erdumseglers, herauszugeben und ver­ öffentlicht zu sehen. Ein Menschenalter war eben vorübergegangen, seit dieser Mann — einst wie ein Weltwunder angestaunt, weil er mit den Insulanern der Südsee sein Brot geteilt hatte — gestorben war, und nun zählte er schon zu den Vergessenen. Eine andere Anschauung von Welt und Dingen hatte nach dem Zeitalter Kousseaus platz gegriffen; politische Stürme waren, die Staatsformen und Landesgrenzen verändernd, über Europa dahingebraust, und wieder herrschte politische Windstille, ehe eine neue Erschütterung im Staatsleben eintreten sollte. Da sammelte jene Frau — es war die eigene Gattin Försters — Albs, was sie an Briefen ihres einstigen Lebensgefährten linden konnte, ungefähr 440 im Druck zwei starke Bände füllende Stücke, begleitete sie mit einer aus unmittel­ barer Anschauung geschöpften Biographie und gab das Ganze unter dem Titel „J. G. Försters Briefwechsel von Th. H. geb. H.u in Leipzig heraus. Aber nicht wegen dieser Arbeit, durch welche sie einen verdienstvollen Mann der Vergessenheit entriss, verdient die Frau eine Beachtung der Nachwelt; ihre eigene Persönlichkeit, ihre wechselreichen Schicksale, die sie als Gattin an der Seite Försters und eines andern merkwürdigen Mannes verlebte, sowie ihre seltene Bedeutung in der literarischen Welt geben uns ein liecht, ihr Andenken in diesen Tagen waclizurufen, zumal sie läugere Zeit im bayrischen Schwaben und die letzten Jahre ihres Lebens in der Hauptstadt unsers Kreises verbrachte.

.168



I.

In dem Titel des genannten Buches, welcher die Verfasserin bloss mit dem Anfangsbuchstaben des Namens bezeichnet, ist, wenn man den letzteren vervollständigt, das Ganze ihrer Generalien ent­ halten. Th(erese) H(uber) geb. H(eyne) trug ihren Autornamen nach ihrem zweiten Gatten, dem aus der Dresdener Zeit bekannten Freunde Friedrich Schillers, Ludwig Ferdinand Huber. Ihr Vater war Christian Gottlob Heyne (1729—1812), der ein halbes Jahrhundert lang als Professor an der Universität Göttingen wirkte, und mit dessen Namen der Ruf dieser Hochschule aufs innigste verwachsen war. Er lehrte Archäologie, Mythologie, Philologie, Kunst­ geschichte, Historie sowie Politik und verfasste aus allen Fächern, über welche er vortrug, auch Werke, die in wissenschaftlichen Kreisen aufmerk­ same Beachtung erfuhren. Ausserdem stand er an der Spitze der „Göttinger gelehrten Anzeigen14, der bekannten, in Deutschland ein hohes Ansehen geniessenden kritischen Zeitschrift. In dem Hause eines solchen Vaters wurde Therese Huber (am 4. Mai 1764) geboren. Hier sollte, wie man annehmen möchte, ein rosiger Himmel ihre erste Jugend verklärt haben. Dem war aber nicht so. Die Mutter, nach deren Taufnamen das Kind benannt wurde, eine Tochter des sächsisch-polnischen Hofmusikus Weiss in Dresden, suchte, da sie einst als Kammerfrau des Prinzen Anton von Sachsen Hofluft geatmet hatte, in Gesellschaft zu glänzen, und kann auch von dem Vorwurf nicht freigesprochen werden, dass sie sich gewisse Galanterien erlaubt habe, welche das Eheglück in Frage stellten. Die Tochter Therese, deren Schönheit erst sehr spät sich entfaltete, war der lebenslustigen Mutter schon um ihres Äussern willen nicht sympathisch, während sich die Letztere zu einem ihr an Charakter ähnlichen Sohne, der in seiner Gesichtsbildung sie an die Jugend des Gatten erinnerte, innig hingezogen fühlte und demselben eine Nach­ sicht angedeihen liess, die für seine Charakterbildung unheilvoll wurde. So begreift man, was die Tochter Heynes in späten Tagen an Böttiger in Dresden schreiben konnte: „Meine Kindheit war ein verdriessliches Chaos — nur wenn ich im Garten war, Sonne, Blumen und Grün sah, Laubdunkel und fliessendes Wasser, dann hatte ich Augenblicke, welche mir erwärmende Kindheitsbilder gaben.“ Zum Glücke starb die Mutter frühzeitig und die zwei Jahre später ins Haus kommendeStiefmutter suchte die 13 jährige Tochter zu entschädigen für Das, was ihr vonseite der eigenen Mutter versagt geblieben war. Gleichwohl griff Therese Heyne, ohne sich lange zu besinnen, zu,

169 als sich Gelegenheit zur Versorgung bot. Aus Kassel herüber war Georg Förster, umstrahlt vor der seltenen Gloriole eines Weltumseglers, nach Göttingen zu ihrem Vater gekommen, um die Be­ kanntschaft eines Mannes zu machen, von dem er Ehre gewinnen, wie er sie ihm erweisen wollte. Der berühmte junge Mann — er war eben dreissig Jahre alt — machte einen vorteilhaften Eindruck. „Nicht etwa, dass er hübsch gewesen wäre,14 bemerkt später die Gattin; „seine regelmässigen Züge waren von den Kinderblattern entstellt. Aber sobald er durch das Gespräch belebt war, erhielten seine Züge den mannigfachsten Ausdruck, und kaum sah ich je ein Gesiebt, das durch den Geist und die Empfindung einer grossen Verschönerung und eben — auch des Gegenteils fähig gewesen wäre.“ Die Weltumsegelung, an der er teilgenommen hatte, war die zweite (1772—75) des Kapitäns Cook gewesen. Als die englische Regierung nämlich daran ging, diese Expedition zu veranstalten, und sich keiner von den Naturforschern, die am ersten Unternehmen beteiligt waren, derselben mehr anschliessen wollte, da stellte sie an Reinhold Förster, den ehemaligen Prediger von Massenhuben bei Danzig, der schon einmal für die russische Regierung eine Forschungs­ reise nach Sibirien unternommen hatte und sich nun als Privat­ gelehrter in England aufhielt, den Antrag, Capitän Cook als Natur­ forscher zu begleiten. Reinhold Förster nahm an, jedoch unter der Bedingung, dass ihn sein 17 jähriger Sohn begleiten dürfe. So kam es, dass Georg Förster in den Jahren, da Andere erst die Hochschule beziehen, bereits eine Reise um den Erdball machte. Ja er sollte auch früh genug seine Kenntnisse, mit deren Aneignung er schon in den Knabenjahren begonnen hatte, schriftstellerisch zu verwerten Gelegenheit haben. Sein eigenwilliger Vater hatte sich mit der engherzigen Regierung Englands nach Beendigung der Reise überworfen, und man enthielt ihm nicht nur den versprochenen Lohn sondern auch, sich auf einen Punkt des Contraktes stützend, die Erlaubnis vor, eine Beschreibung der Erdumsegelung im Drucke erscheinen zu lassen. Da übertrug Reinhold Förster die Aufgabe dem jugendlichen Sohne, bezüglich dessen der Contrakt hierüber keine Bestimmung getroffen hatte, und gab ihm gleichzeitig das gesammelte Material, aus welchem derselbe mit nicht wenig eigenen Zuthaten das in englischer Sprache geschriebene Werk „Observations made during a voyage round fixe world. London 2 voll. 177744 herstellte. Fast gleichzeitig gab der 23jährige eine deutsche Übersetzung desselben heraus. Eine vorteilhafte Wirkung hievon erfuhr er, nach Deutschland

170 zurtickgekehrt, durch die Austeilung als Lehrer der Naturgeschichte an der Ritterakademie zu Kassel, von wo aus eben Förster die Bekanntschaft Therese Heynes in Göttingen machte. Dort lernte er auch Alexander von Humbold kennen, der diese Begegnung als die folgenreichste seines ganzen Lebens bezeichnete. Georg Förster hatte alle Zweige der Naturkunde mit Einschluss der Physik und Chemie auf den Schulen zu London und Warrington studiert, zeichnete vortrefflich Pflanzen und Tiere, besass vorzügliche Kenntnisse in der philosophischen Literatur sowie in den schönen Künsten und widmete sich mit aller Kraft seines Geistes und seines Herzens vorzugsweise der Geographie, Geschichte und Politik. Er schrieb lateinisch, verstand das Griechische; er sprach und schrieb mit Leichtigkeit französich und englisch, las holländisch uud italienisch. Auch das Schwedische, Spanische, Portugiesische, Russische und Polnische waren ihm nicht fremd, und bei alle dem verstand er es, ein geistreich bescheidener, liebenswürdiger Gesellschafter zu sein. Humboldt bezeichnete ihn als philosopke aimable, als den Schrift­ steller, welcher in unserer vaterländischen Literatur am kräftigsten und gelungensten die Richtung der neuen Reisebeschreibung, im Gegensatz zu der dramatischen des Mittelalters, eröffnet hatte. „Durch ihn begann,“ sagt der spätere Verfasser des Kosmos, „eine neue Ära wissenschaftlicher Reisen, deren Zweck vergleichende Länder- und Völkerkunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühl begabt, in sich bewahrend die lebensfrischen Bilder, welche auf Tahiti und andern damals glücklicheren Eilanden der Südsee seine Phantasie erfüllt hatten, schilderte Georg Förster zuerst mit Anmut die wechselnden Vegetationsstufen, die klimatischen Verhältnisse und deren Einfluss auf die Gesittung der Menschen. Alles, was der Anschauung einer exotischen Natur Wahrheit und Individualität verleihen kann, findet sich in seinen Werken vereinigt.“ Aber auch des Schattens entbehrt das Bild nicht. Förster war, wie ihn einer seiner Biographen bezeichnet, ein edler Schwärmer, ein guter, aber schwacher Mensch, eiii Träumer, der im Reich des Ideals umherschweifend, sich im Praktischen wenig zurechtfand. Von einem tyrannischen Vater zu sklavischem Gehorsam erzogen, lernte er niemals recht selbständig werden. Er war so wenig seines Wertes bewusst und so frei von Eigenliebe, dass er fremdes Verdienst auf Kosten seines eigenen anpries. Und wie mit seinen Talenten, so verfuhr er mit den Rechten seines Herzens. Als er sich mit Therese Heyne verlobte, spielte die Leidenschaft dabei so

171 wenig eine Rolle wie die Liebe aufseite seiner Braut. Försters Briefe an dieselbe — er war als Bräutigam einem Rufe als Professor an die Universität Wilna in Polen gefolgt — waren Alles, nur keine Liebesbriefe, wie er sie denn selbst einmal im Humor — Predigten genannt hat. Im Jahre 1785 holte er Therese heim nach Wilna, in seine „Wüste“. Die Reise geschah auf grossen Umwegen und ging nur langsam vor sich. In Weimar wurde Goethe aufgesucht, der in Gesellschaft von Herzog Karl August ihn schon in Kassel kennen gelernt, ihn auch ausserdem einmal in Weimar bei sich gesehen hatte. Über den Besuch Goethes in Kassel berichtet Förster an Jakobi, Hofkammerrat in Düsseldorf, in einem Briefe vom 10. Oktober 1779: „Vor vier Wochen war Goethe, nebst dem Kammerherrn von Wedel und dem Oberforstmeister von Wedel bei mir. Ich soupierte mit ihnen, ohne zu wissen, dass der Letztgenannte der Herzog von Weimar sei. Zum Glück bewahrte mich mein guter Genius, dass ich ihm keine Sottise sagte, wiewohl ich von grossen Herrn überhaupt mit grosser Freimütigkeit sprach. Ich wette, es hat Goethen Mühe gekostet, bei einigen Gelegenheiten nicht laut loszupruschen. — Deu Tag darauf besahen sie den Garten zu Weissenstein; ich sollte die Parthie mitmachen, allein ich war allzusehr beschäftigt. In der Zwischenzeit erfuhr ich, dass der Herzog in der Gesellschaft sei. Den andern Morgen kam Goethe wieder zu mir, und der Kammerherr bald hernach; wir gingen zu­ sammen nach dem landgräflichen Cabinet der Altertümer und der Kunstkammer, wohin der Herzog sich nachher auch begab. Ich musste bei ihnen bleiben und mit ihnen speisen, und gleich nach frühe eingenommenem Mittagsmahl reisten sie ab. Da sich Goethe anfangs nicht genannt hatte, so kannte ich ihn nicht und erkundigte mich nach ihm — bei ihm selbst!“ In Wien wurde Förster vom Kaiser Joseph II. empfangen. Der Kaiser zeichnete ihn durch das Geschenk einei Busen­ nadel mit Brillanten aus. Nicht so glänzend waren die Tage, welche in Wilna folgten. Förster war viel von Gesellschaften und wissenschaftlichen Arbeiten in anspruch genommen, so dass seine Frau die grösste Zeit des Tages sich selbst überlassen blieb. Ja es schien, als sollte eine länger dauernde örtliche Trennung eintreten, da Förster von der russischen Regierung zu einer Forschungsreise nach Ostasien ausersehen war. Zum Glück oder Unglück zerschlugen sich die Unterhandlungen, da mittlerweile ein Krieg mit der Türkei ausbrach. Aber Förster wurde wenigstens der lästigen Verpflichtung

172 los, noch länger in Wilna auszuharren, und nahm mit Freuden einen Vorschlag an, der ihm von Mainz aus gemacht wurde. Hier hatte sein Jugendfreund, der an der Universität daselbst wirkende Physiker Sömmering, den er bereits in London kennen gelernt, das Augenmerk des kurmainzischen Hofrates Johannes von Müller auf ihn gelenkt. Dieser Letztere lud den berühmten, mit seiner Stellung unzu­ friedenen Gelehrten ein, dem Rufe der kurmainzischen Hochschule mit seinem Namen aufzuhelfen, und so erschien Förster im Jahre 1788 in Mainz, wo er die Stelle eines Hofbibliothekars erhielt. Dieses Jahr bildet einen Wendepunkt in seinem und der Gattin Leben. Er selbst fand den Schauplatz, wo sich seiu ureigenstes Leben entfalten konnte, und Therese erfuhr, was sie noch gar nicht oder nur wenig gekannt: Leidenschaft und Liebe. Doch blieb während der ersten Zeit des Mainzer Aufenthaltes der Himmel über ihnen noch wolkenlos, wenn auch das Leben nicht gerade so idyllisch verfloss, wie es sich der schwärmerische Gatte anfangs geträumt hatte. In Mainz angekommen, schrieb er nämlich an Therese, die vorläufig mit ihrem Töchterchen bei einer Freundin in Gotha zurückgeblieben war, unterm 11. April 1788: „Ich miethe einen Garten auf mehrere Jahre und wende ein Stück Geld daran, um ihn mit Lauben und Bosquetts zu bepflanzen, worin Du und Röschen bequem verweilen mögen. In der Entfernung von wenigen Stunden soll es schöne, romantische Situationen geben, wohin man von Zeit zu Zeit kleine Ausflüge machen müsste. Dieses zu tliun, würde in Haushalt und Stadtvergnügungen eine strenge Ökonomie erfordern; da das Letzte Dein Wunsch ist und häusliche Einfachheit Dir eigen, so wird sich das Alles schon machen lassen.“ Eine angenehme Überraschung brachte in den Beginn des Mainzer Stilllebens*) für beide Gatten Alexander von Humboldts Besuch, der auch für diesen selbst so anregend war, dass er versprach, schon im nächsten Jahre wiederzukommen und mit Förster., in dem sich aufs neue die Reiselust regte, eine gemeinschaftliche Fahrt nach dem Niederrhein zu machen. Im Frühlinge 1790 wurde dieselbe *) Damals erschien auch, allerdings unter störenden „Begleiterscheinungen“, auf Einladung die Freundin Theresens, Caroline, gleich ihr die Tochter eines Professors (J. D. Michaelis) aus Göttingen, zu Besuch. Gleich ihr geistreich und literarisch gebildet, machte diese im spätem Leben Wandlungen durch, welche denen Theresens nicht unähnlich waren. Verwitwet durch den Tod des Bergmedikus Böhmer in Clausthal, heiratete sie 1796 August Wilhelm von Schlegel, und nach friedlicher Trennung von diesem, den Philosophen F. W. von Schelling.

173 wirklich unternommen. Humboldt führte ein Tagebuch über dieselbe, und Förster hat sie später in einem klassischen Werk, „Ansichten vom Niederrhein“ beschrieben. Eine in demselben vorkommende Stelle ist zu bezeichnend für beide Männer, als dass sie nicht wieder­ gegeben zu werden verdiente, zumal da der Aufenthalt im Kölner Dome Gegenstand der Schilderung ist: „Meine Aufmerksamkeit,“ sagt Förster, „hatte (ausser dem Dom) einen wichtigeren Gegenstand: einen Mann von der beweglichsten Phantasie und vom zartesten Sinn, der zum erstenmale in diesen Kreuzgängen den Eindruck des Grossen in der gothischen Baukunst empfand und beim Anblick des mehr als 100 Fuss hohen Chores vor Entzücken wie versteinert war. 0, es war köstlich, in diesem klaren Anschauen die Grösse des Tempels nochmal, gleichsam im Widerschein zu erblicken! Gegen das Ende unseres Aufenthalts weckte die Dunkelheit in den leeren, einsamen, von unsern Tritten widerhallenden Gewölben, zwischen den Gräbern der Kurfürsten, Bischöfe und Ritter, die da in Stein gehauen lagen, manch schauriges Bild der Vorzeit in seiner Seele. In allem Ernste, mit seiner Reizbarkeit und dem in neuen Bilder­ schöpfungen rastlos thätigen Geiste möchte ich die Nacht mit ihm dort nicht durchmachen. Ich eilte mit ihm hinaus ins Freie, und sobald wir {unsern Gasthof erreicht hatten, erwachte (in Förster) die beneidenswerte Laune, womit er, durchdrungen vom Genuss der lieblichen Natur, schon auf der ganzen Fahrt, von Coblenz bis hieher die einförmigen Stunden verkürzt hatte.“ So zeigte der junge Humboldt Sinn für mittelalterliche Kunst wie für exotische Natur, ganz im Geiste seiner kosmopolitischen Weltbetrachtung. Die Reise erfuhr in der Folge eine Verlängerung, indem sie nach England Und Frankreich ausgedehnt wurde. In letzterem Lande hatten beide Männer Gelegenheit, die Vorbereitungen zu dem grossen National­ fest auf dem Marsfelde mitanzusehen, was wenigstens für Försters republikanische Zukunft von ungeahnter Tragweite wurde. Humboldt bezeichnete die ganze Reise stets als ein für ihn besonderes Glück. Förster mit seinen Neigungen und Wünschen war ihm überhaupt am meisten sympathisch von allen seinen Jugendfreunden. Noch am späten Abend seines langen Lebens schrieb er an H. König, als dieser ihm sein Werk (Georg Förster in Haus und Welt) zuge­ sandt hatte: .... Ich habe ein halbes Jahrhundert zugebracht — wohin mich auch immer ein unruhiges, vielbewegtes Leben geführt —- um mir zu sagen, was ich meinem Lehrer und Freund Georg Förster in Verallgemeinerung der Naturansicht, Bestärkung und

174 Entwicklung von dem, was lange vor jener glücklichen Vertraulich­ keit in mir schlummerte, verdanke.“ — Der Besuch Humboldts in Mainz und der an den Niederrhein, nach England und Frankreich unternommene Ausflug war wohl die letzte reine Freunde, die Georg Förster gekostet hat. Bald kamen Tage, die in jeder Hinsicht als ernste und bewegte erscheinen. Mögen auch manche jener beabsichtigten Ausflüge in die romantische Umgebung von Mainz unternommen worden sein, mögen die Gatten im ersten Sommer auch in traulicher Laube des Gartens mit Böschen gesessen haben: zu der Idylle, welche sich Förster von seinem häuslichen Leben ausgeträumt hatte, kam es nicht, keinenfalls war sie von langer Dauer. Und doch muss Therese damals alle Eigen­ schaften besessen haben, die einen Gatten glücklich machen können. Ein Gast des Hauses, Justus Erich Bellmann, schildert in einem Briefe aus dieser Zeit, allerdings etwas überschwenglich, die Frau als das erste aller Weiber, die er bis dahin kennen lernte: „Sie ist dies nicht nach meinem Urteile allein, sondern nach dem Urteil jedes Mannes von Kopf und Herz, der sie kennt. Ein unbegrenztes Gefühl für Witz und niemals versagender guter Laune, dabei mit immer durchschauender Güte des Herzens erscheint hier verbunden mit einer Menge von Kenntnissen und einer unglaublichen Fertigkeit, jeden Gegenstand von einer angenehmen und nützlichen Seite zu fassen, sowie mit einer liebenswürdigen Naivetät in Allem, was sie thut und spricht.“ Ähnlich Wilhelm von Humboldt, der ihr auch das Zeugnis einer guten Hausfrau erteilt. Und diese Frau fühlte die Ehe zuweilen wie eine Last. Da trat ein Mann in den Lebenskreis der Beiden ein, ein Mann, welcher der Frau gerade Das zu bieten schien, was sie bisher entbehrt hatte: verständnisvolles Eingehen auf ihre Ideen, Freude an ruhigem Besitz und vor allem ein der ungeschmälerten Liebe fähiges Herz. Dieser Mann war Ludwig Ferdinand Huber, in Paris geb. 1764, also 24 Jahre alt, ebenso wie damals Therese Förster. Zwar hatte auch er keine Vergangenheit hinter sich, mit der sein Herz zufrieden sein konnte. Er kam von Dresden her, aus dem Körner’schen Kreise, in welchem er wie ein Familienglied gehalten war. Er ist es, der mit Körner, Dora und Minna Stock an den jungen Schiller nach Mannheim jenen Brief richtete, welcher eben zur rechten Zeit den Dichter aus Verhältnissen riss, welche seine ganze Zukunft in Frage gestellt hätten. Nachdem Schiller dem Bufe nach Dresden gefolgt war, schloss er sich an Huber, den genial

175 veranlagten, etwas leichtblütigen Schöngeist, aufs innigste an. Da­ mals arbeitete der Dichter gerade an seinem Don Carlos, und Ludwig Ferdinand soll nicht wenige Züge zu dem Bilde des heroischen Freundes, zu Marquis Posa, geliefert haben. Huber — der Name deutet auf bayerische Abstammung; in der That war sein Vater Michael, der zu Paris eine Französin heiratete, aus Frankenhausen in Niederbayern gebürtig — war damals mit Dora Stock, der Schwägerin des Appellationsgerichtsrates Gottfried Körner, im stillen versprochen. Es waren herrliche Tage, welche die Dresdener Freunde damals verlebten; insbesondere Schiller fühlte sieb glücklich. Geehrt und geliebt von hochherzigen Menschen, emporgehoben über die Sorgen der Alltäglichkeit wollte er damals die ganze Menschheit an sein Herz drücken, und bei einem der nächtlichen Symposien des Freundeskreises, im Garten des Körner’schen Landgutes war es, wo Schiller das allbekannte „Lied an die Freude“ sang. Aber für Dora währte der Liebesfrühling nur kurze Zeit. Ferdinand Huber, ohne Stellung, ja ohne bestimmtes Lebensziel, fühlte sich voreilig gebunden, und er betrachtete es nicht als seine grösste Schuld, dass er ein Verhältnis mit einem um mehrere Jahre älteren, bei aller Schönheit des Angesichts etwas verwachsenen Mädchen nicht durch einen Schritt besiegelte, der für beide Teile kein beglückender werden konnte. Vorerst wurde es für Huber die erste Pflicht, eine sichere Lebensstellung zu gewinnen, und dies gelang ihm, indem er von der sächsischen Regierung als Legationssekretär an den kurfürstlichen Hof nach Mainz geschickt wurde, wohin er im Jahre 1788 übersiedelte. Während dort Förster seinen eigenen Charakterschwächen, z. B. zu prunken, ohne die Mittel mit seinen Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen, immer mehr freien Lauf liess, muss es gesagt werden» dass Huber, einmal in Amt und Brot, durch Erfahrung und Er­ kenntnis sich fortan zu einem besonnenen und tüchtigen Mann herausbildete. Freudig benützte er in Mainz die ihm reichlich zu­ gemessene Mussezeit, um sein schriftstellerisches Talent zu bethätigenAuf Försters Betreiben übersetzte er z. B. die Memoires du silcle de Louis XV. von Duclos, arbeitete er an einem Bühnendrama ,Das heimliche Gericht1, dessen 1. Akt in Schillers Thalia abgedruckt wurde, und wandte er in seinen Studien auch der bayerischen Ge­ schichte, der er sich durch Geburt und Abstammung verwandt fühlte, sein Augenmerk mit einem Aufsatz zu, welcher Maximilian, den Herzog in Bayern, behandelte und in Schillers ,Historischem Kalender für das Jahr 17921 erschien. Kaum hatte Förster, der

— 176 — ein Talent besass, „Freunden ein Freund zu sein“, ihn kennen ge­ lernt, so drängte er ihn seiner Frau, die den Fremden anfänglich mit Misstrauen betrachtete, zu gesellschaftlichem Umgang förmlich auf. Huber machte sich auch bald verdienstlich und zwar dadurch, dass er in dem Haushalt seines Freundes jene Unordnung beseitigte, durch welche mancher häusliche Conflikt zwischen den Gatten herbeigeführt worden war. Mit Rat und That stand er Theresen bei, und so zog in ihrem Herzen allmählich das Zutrauen und mit diesem — ohne dass sie es wollte oder ahnte — die Liebe ein. Ludwig Ferdinand war von einnehmendem Aeussern und besonders von einem Gesichtsausdruck, der im Gespräch noch bedeutender wurde. Der Schwiegersohn Heynes in Göttingen, der Geschichtsschreiber Heeren, welcher ihn bei einem Besuche daselbst kennen lernte, berichtet: „Der blühende, kraftvolle Mann — nicht leicht sah man mehr Feinheit und Anmut mit so viel Männlichkeit gepaart — gewann sich in den wenigen Tagen seiner Anwesenheit (in Göttingen) die Liebe Aller.“ — Vorerst blieben die Beziehungen zu der Gattin des Gastfreundes noch rein platonische; bald aber brachten Zeit und Umstände die Beiden einander näher, als es mit unsern jetzigen Auffassungen von Sitte vereinbar ist. Das Jahr 1789 war nicht mehr fern, und die Revolution stand vor den Thoren. Georg Förster, stets ein unruhiger, durch seine Erfahrungen zu Vergleichen und zur Unzufriedenheit mit politischen Verhältnissen geneigter Kopf, warf sich mit feuriger Begeisterung ihr in die Arme. Das aufgeregte Volk in Mainz wusste bald, dass es an ihm seinen Mann gefunden habe, und rief ihn an die Spitze seiner Unternehmungen. Je höher die Wogen der Revo­ lution gingen, desto mehr fühlte sich Förster in seinem Elemente. Während der Kurfürst als Flüchtling die Residenz verliess, sie ihrem Schicksal überlassend, wurde nach Art des Pariser Wohlfahrts­ ausschusses ein Komit6 daselbst gebildet, und Förster wurde die Seele der ,ftlubisten von Mainz4. Fortan hatte dieser kaum mehr Zeit, an Weib und Kind zu denken, geschweige denn, für dieselben zu sorgen. Therese Förster aber fand keinen Geschmack an den poli­ tischen Umtrieben und siedelte mit Zustimmung ihres Mannes zuerst nach Strassburg und dann, auf Einladung einer befreundeten Familie, nach dem neutralen Gebiet von Neuenburg in der Schweiz über. Hieher kam Huber, dessen Geschäfte mit Auflösung des kurmainzischen Hofes ein Ende genommen hatten, nach und setzte die Erfüllung seiner freiwillig übernommenen Aufgabe, für Försters Frau und ihre

177 zwei Kinder zu sorgen, mit Wunsch und Willen des Gatten fort. Dieser wurde unterdessen immer tiefer in den Strudel der Revolution hineingezogen. Sein tollkühnes Werk glaubte er damit krönen zu sollen, dass er den Anschluss von Mainz an die französische Republik beim Wohlfahrtsausschuss in Paris persönlich betrieb. Dort an­ gekommen, fand er zwar unter den Helden der Bewegung nichts weniger als die antiken Tugenden, die sie immer im Munde führten; aber, schwer enttäuscht, wurde er doch nicht mutlos und hielt mit einem fast wahnwitzigen Optimismus an den Umsturzideen fest. Mit der Gattin und dem Freunde verband ihn indessen ein un­ unterbrochener Briefwechsel, und als er — von den Parisern ohne bestimmte Aufträge gelassen — zur Unthätigkeit verurteilt schien, überrnannte ihn die Sehnsucht nach den bisher vernachlässigten Angehörigen, und er reiste mit entlehntem Gelde an die französisch­ schweizerische Grenze, wo mit denselben eine Begegnung stattfand, die letzte in seinem Leben. Nach Paris zurückgekehrt, überfiel ihn, der seit der Weltumseglung an Skorbut gelitten hatte und nie mehr sich der vollen Gesundheit erfreuen durfte, eine schwere Krankheit. Die Liebe zu den Seinen verlor er in seinen Leidenstagen so wenig wie den Glauben an die Revolution. „Wir haben überall ganz löwenmässig gesiegt“, schrieb er noch am 4. Januar 1794. „Ich bin neugierig zu erfahren, wie sich der öffentliche Geist jenseits des Rheins äussern wird, nun die Wahrheit der Nachrichten unbezweifelt ist. — Deine Briefe, liebes Kind, die ich alle erhielt, sind mir ein liebes Geschenk in meiner Krankheit gewesen; fahre ja fleissig im Schreiben fort. — Nicht wahr, liebe Kinder“, — der Brief war zugleich an Huber gerichtet — „ein paar Worte sind besser als nichts? Ich habe nun keine Kräfte mehr zum Schreiben. Lebt wohl! Hütet Euch vor Krankheit! Küsst meine Herzblättchen!“ Sechs Tage darauf starb er. Vielleicht war der frühe Tod, der den 39jährigen dahinraffte, auch ein Glück, indem er denselben vor der Enttäuschung bewahrte, die ihn früher oder später unter der Guillotine erreicht hätte. II. Wenige Monate nach dem Tode Georg Försters wurden Therese und Ludwig Ferdinand Huber durch die Ehe verbunden, und zwei Menschen gehörten einander an, die von der Natur hiezu bestimmt schienen. Zwar auch dieser Ehe blieben die Prüfungen nicht er­ spart; aber die Wolken, welche an ihrem Himmel aufzogen, trübten nicht das Glück der Herzen. Geist und Gemüt standen in vollem 12

- 178 — Einklang; Therese, deren Bildung bisher nur unvollkommen war, entfaltete unter der Führung des genial veranlagten Gatten eine Fülle von Talenten, die den seinigen ebenbürtig erscheinen. Ihm, der ihr Lehrmeister war, wurde sie bald eine Mitarbeiterin, und Huber äussert sich einmal: „Sie (Therese) und ich sind so vereint, dass wir nicht mehr unterscheiden können, wessen Geist sich in den Arbeiten ausdrückt.1 Um die gedachte Zeit schrieb Therese ,Die Abenteuer in Neuholland“, eine Erzählung, in welcher sie ihrem ersten Gatten Georg Förster, dem Weltumsegler, ein Denkmal setzte. Auch Huber, der, wie wir wissen, schon seit dem Bekanntwerden mit Förster sich mit allem Ernste auf die Wissenschaften geworfen, wurde nun seinem Berufe zum Schriftsteller vollauf gerecht. Un­ aufhörlich bereicherte er den Büchermarkt mit dichterischen und gelehrten Arbeiten. Mag er auch vom Hauche der Muse nicht so kräftig angeweht worden sein wie die gleichzeitigen Klassiker der deutschen Literatur, so atmen doch manche seiner dramatischen Werke, z. B. das bereits erwähnte „Heimliche Gericht“ den Geist Schillers. Hubers Stärke lag in publizistischen und kritisch-ästhetischen Leistungen. In Neuenburg, wo sich die Jungvermählten niedergelassen, war ihnen übrigens die Müsse zu schriftstellerischer Thätigkeit nicht beschieden. Ihres Bleibens sollte daselbst nicht sein, da die Wogen der Revolution auch hieher in den abgelegenen Erdenwinkel schlugen. Einige Zeit lang gewährte das Dorf Dröle in der Schweiz sichern Aufent­ halt; dann aber begann eine Zeit, die, insbesondere für Therese Huber, als die Periode der „Wanderjahre“, bezeichnet werden muss. > Im Jahre 1798 trat der Buchhändler Cotta in Tübingen mit einem Unternehmen hervor, (das in unsern jetzigen Tagen die Feier seiner hundertjährigen Dauer begehen konnte,) das aber damals die schwer­ erfüllbare Aufgabe vor sich sah, eine „Allgemeine Zeitung“ für die ganze gebildete Welt Deutschlands zu werden. Cotta suchte Ludwig Ferdinand Huber zum Leiter derselben aus, und so wurde dieser der erste Redakteur des Blattes, mit dem später der Ruf Augsburgs eine lange Reihe von Jahrzehnten hindurch auf das vortheilhafteste verbunden war. Noch im gleichen Jahre, wo die Allgemeine Zeitung entstand, musste diese indes auf Wunsch des Herzogs von Württem­ berg nach dessen Hauptstadt übersiedeln. Aber der Druck, den er . hier auf das Blatt ausübte, veranlasste Cotta im Jahre 1803, den Sitz der Redaktion von Stuttgart weg in die eben bayrisch gewordene Stadt Ulm zu verlegen. Ein Glück für Huber, der das Unsichere

179 seiner Existenz mit Sorge fühlen musste, ein Glück noch mehr für seine Gattin Therese war es, dass die kurfürstliche Regierung von Bayern den brauchbaren Publizisten nun als Verwaltungsbeamten in dem neu erworbenen Gebiete anstellte. Wenige Monate darauf, am Weihnachtsabende 1804, schloss er, wie einst Förster, kaum 40 Jahre alt, das früh ermattete Auge, seiner Witwe drei Töchter und den im Jahre 1800 in Stuttgart geborenen (später zu rühmlichem An­ sehen gelangenden) Sohn V i c t o r A i m e hinterlassend. Die Pension, welche Therese nunmehr aus der bayerischen Beamtenkasse bezog, bildete nebst einem kleinen Vermögen, welches sie gleichzeitig von dem in Dresden verstorbenen Vater des Dahingeschiedenen ererbte, einen dankenswerten Zuschuss zu den Einnahmen, welche sie sich nun selbst durch angestrengte Thätigkeit verschaffte. Ulm wurde als Wohnsitz von ihr verlassen, wie auch die „Allgemeine Zeitung“ ihre Wanderung (nach Osten) fortsetzte und erst einen dauernden Aufenthalt in der ehemaligen, nun sich des bayerischen Scepters freuenden Reichsstadt am Lech fand. Damals war es, wo Cotta an Stelle Hubers dessen einstigen, in Weimar lebenden Freund Friedrich Schiller gewinnen wollte, und Schiller trug sich einige Zeit mit dem ernstlichen Gedanken, dem Rufe Folge zu leisten. Darauf beziehen sich wohl die Worte, die er unterm 20. März 1804 an den mit seinen Verhältnissen gerade unzufriedenen Schwager Wilhelm von Wolzogen von Weimar aus richtete: „Auch ich verliere hier zu­ weilen die Geduld; es gefällt mir hier mit jedem Tage schlechter, und ich bin nicht Willens, in Weimar zu sterben. Nur in der Wahl des Ortes, wo ich mich hinbegeben soll, kann ich mit mir noch nicht einig werden. Es sind Aussichten nach dem südlichen Deutschland eröffnet.“ — Das Schicksal hat es gewollt, dass Schiller doch in Weimar sterbe, und die Allgemeine Zeitung erhielt einen andern Redakteur in der Person K. J. Stegmanns (1804—37). Therese Huber aber wandte sich nach dem Tode des Gatten ganz dem Berufe der Schriftstellerin zu. Mit der Notwendigkeit schienen die Talente zu wachsen, die ihr die Natur verliehen hatte. Es war, als sei die Frau, bisher Trägerin zweier literarisch hervorragender Namen, dazu ausersehen, durch eigenes Verdienst sich einen solchen zu verschaffen. Freilich kam ihr hiebei der oft eintretende Wechsel des Aufenthalts, der sie gleich im Anfang in eine recht welt­ abgeschiedene Gegend führte, nur wenig zu statten. Aber gerade in diese ihre Wanderjahre fallen die reichhaltigsten Erzeugnisse ihrer fleissigen Feder. Von Ulm aus war sie zu ihrer Tochter Claire

180 (Förster) gezogen, welche nicht weit von dieser Stadt in dem bei Günzburg gelegenen Dörflein Stoffenried wohnte und dort einen bayerischen Forstbeamten, namens von Greyerz, geehelicht hatte. Ihrem Sohne dort den ihm geeigneten Unterricht geben zu lassen, sah die Mutter keine Möglichkeit; auch war sie der berechtigten Überzeugung, dass Knaben von Männern erzogen werden müssen, und so brachte sie den kleinen Viktor Aim6 in das damals wohlbekannte, nach Rousseau’schen Grundsätzen geleitete Erziehungs­ institut von Fellenbach zu Hofwyl in der Schweiz. In Stoffenried unterstützte die Mutter, welche sich auf ihr ökonomisches Talent nicht wenig zu gute that, die unerfahrene Tochter im Haushalt; wenn sie aber am Schreibtische sass — und das bildete die Regel — konnte sie von ihm aus auf eine freundliche Landschaft blicken. Nun umgaben sie fruchtreiche Äcker, üppige Wiesenfluren und dichte Laubwälder, wie sie ihr, als sie selbst noch eine junge Frau war, Georg Förster einst in Wilna so gern geboten hätte. Wilna und Stoffenried, welche Contraste! — Mit diesen zwei Orten sind die beiden äussersten Punkte in der Peripherie ihres Erdenwallens bezeichnet. Wilna war wenigstens den Gelehrten bekannt; das schwäbische Dörflein musste Therese Huber den literarischen Freunden, mit denen sie in Correspondenz trat, immer erst nach seiner geographischen Lage kenntlich machen. An Professor Carus in Leipzig z. B. schreibend, erklärte sie den Ort des Briefdatums als „an der Heer­ strasse von Ulm nach Augsburg“ liegend. Aber ohne zu murren, fand sich die geistvolle Frau auch in die einfachsten Verhältnisse, und keinenfalls hatte sie Zeit zur Langeweile, wovor sie schon ihr ausgedehnter Briefwechsel, namentlich mit Paul Usteri in der Schweiz, schützte* Besonders Ein Brief an diesen erscheint uns interessant, weil er spezifisch bayerische Verhältnisse jener Zeit schildert. Es waren Klagen von norddeutschen in München lebenden Gelehrten, wie des berühmten Akademikers Friedrich Jakobi, laut geworden über die Anfeindungen, welche sie dort angeblich wegen ihrer Konfession erfuhren. Therese Huber, die sich schon ganz als Süddeutsche fühlte, nahm die Bayern in Schutz und schrieb unterm 18. Februar 1810 an Usteri: „Schon wie ich im September 1808 in Göttingen war (von Stoffenried aus!) sah ich aus den giftigen Briefen, die mein Vater von den nordischen Sternen am süddeutschen Himmel erhielt, wie es in diesen Köpfen umging. Mein Vater meinte so recht wehmütig, man setze uns armen Protestanten wohl recht hart zu. Ich äusserte meinen Spott gegen meinen Vater, da

181 ich nie eine Spur von Unbilligkeit gegen die Protestanten entdeokt hatte — freier Gottesdienst, freie Schule an katholischen Orten — in nichts der geringste Unterschied. Jakobs las einmal vor leeren Bänken in der Akademie sechs Viertelstunden lang griechische Gelehrsamkeit — das hat man, schrieb er meinem Vater, dem Protestanten zum Possen gethan.“ In ihren Briefen an Usteri Hess sie sich ziemlich geheu und auch den Humor zu seinem Rechte gelangen. Einmal, als sie über einen gelehrten Streit zwischen F. Jakobi und Schelling berichtete, schrieb sie: „Mir ward ganz unheimlich, wie ich in die ,göttlichen Dinge* hineinguckte. Das schienen mir für Solcherlei viel zu viel Exklamationen, Interjektionen und Gedankenstriche. Ich kam mir vor wie meine Magd, die gestern meine Bibliothek abstaubte und mir versicherte, die Bücher in Schweinsleder seien die besten, dabei hätte ich einige recht schwere (alte Franzbände), die seien auch gut; darauf.könne man Suppen­ bröckel schneiden. U. s. w.“ Weit mehr als die Korrespondenz beschäftigten Therese Huber wissenschaftliche Arbeiten. Die erste grössere Aufgabe, an welche sie sich machte, war eine Sammlung von „L. F. Hubers sämmtlichen Werken seit dem Jahre 1802“, welche zu Tübingen bereits im Jahre 1806 erschien. Therese versah sie mit einer Einleitung in Form einer von der Liebe eingegebenen Biographie Hubers. Goethe, der das Buch zu Gesicht bekam, bemerkt über dasselbe in den Annalen zum Jahre 1806: „Hubers Lebensjahre [gelesen], die wir seiner treuen, in so vieler Hinsicht schätzenswerten Gattin verdanken-“ Diesem Werke folgte eine Reihe Erzählungen, in welchen sie immer eine bestimmte moralische Idee zur Grundlage des erdichteten Vor­ ganges machte. Das leitende Motiv ihrer Schriftstellerei war übrigens für ihre Person nicht die Absicht, in der Öffentlichkeit zu glänzen und sich in der literarischen Welt einen Namen zu machen. Im Gegenteil hatte sie hievor eine gewisse Scheu, und lange Zeit gab sie ihre Erzeugnisse ohne Nennung des Namens heraus. Noch im Jahre 1811 deutete sie bei Herausgabe ihres Buches „Bemerkungen über Holland aus den Reiseerinnerungen einer deutschen Frau“ den­ selben bloss an, indem sie dem Titel beifügte „Von Therese H.“ Erst später trat sie mit dem vollen Namen vor das Publikum. Wie bereits erwähnt, war ein Hauptanlass zu ihrer Schriftstellerthätigkeit die Lage ihrer ökonomischen Verhältnisse. Sie selbst er­ zählt hierüber, auf die Zeiten, da Ludwig Ferdinand noch lebtei

182 zurückgreifend: „Wir waren arm. Ich hatte nacheinander zehn Kinder, die ich pflegte, und von denen fünf kränklich waren. Kein Schneider, keine Nähterin betrat mein Haus. In den Nachtstunden, an meiner Kinder Wiege, an Hubers Krankenbett wurde ich Ver­ fasserin der [ersten] Erzählungen.“ — Nicht Alles, wie wir Jetzt­ lebenden sagen dürfen, ist mustergiltig, was aus der Feder dieser Frau kam. Gerade in den Erzählungen, herausgegeben von ihrem Sohne 1830—33, verliert sie zuweilen das Mass für künstlerische Gestaltung und gerät in störende Weitschweifigkeit. Aber naive und treffende Ausdrucksweise, sowie naturwüchsige Frische, die ihre sonstigen Sachen auszeichnen, sind auch hier unverkennbar. Sie selbst war sich der Flüchtigkeit, mit der sie arbeitete, wohl bewusst, und bei Herausgabe eines späteren Werkes sah sie sich veranlasst, den Faktor ihres Verlegers zu ersuchen, das selbst zu verbessern, was sie im Drange der Geschäfte übersehen habe. Im Jahre 1813, nachdem der Eoman „Emilie“ in 2. Auflage erschienen war, verliess sie das stille Dörfchen und siedelte nach Mönchen über zu ihrer Tochter Louise (aus der Huber'schen Ehe), die dort mit einem Sohne Herders, dem bayerischen Forstrat Emil von Herder, verheiratet war. Leider fanden sich die Gatten nicht zusammen. Die Ehe wurde in der Folge gerichtlich geschieden und Mutter undiTochter, verliessen Beide unglücklich, die Residenz. Aber erst jetzt sollte die Erstere auf den Höhepunkt ihres literarischen Wirkens gelangen. Therese Huber übernahm auf Einladung des Verlegers die Redaktion des in Stuttgart erscheinenden Morgenblattes und zog im Jahre 1816 dorthin. Männlichen Geistes und mit dem Scharfblick des Kritikers leitete die Dame das wenigstens für die literarische Welt Süddeutschlands tonangebende Organ. „Sie wusste Alles in ihren Kreis zu ziehen, was für denselben irgend passend, was’zur Belehrung und Erhebung ihrer Leser, ohne intellek­ tuelle und moralische Pedanterie dienen konnte. Jenes Streben nach Universatilität des Geistes“, sagt R. Elvers, der Biograph ihres Sohnes, „wurde begünstigt und unterstützt durch eine ausgebreitete Kenntnis der auswärtigen Literatur, die sie jedoch nie zu magern Auszügen und trockenen Notizen benützte, sondern immer mit ihrem eigenen Geiste zu amalgamieren wusste. Sie brachte aus den unter politischen Stürmen verlebten Jahren der Jugend und ihrer besten älteren Zeit zu diesem Geschäfte der Matrone eine reiche Lebens­ erfahrung, einen bei einem weiblichen Geiste höchst seltenen Über­ blick von Welt und Zeit und jenen allgemeinen Freiheitssinn, jenes

183 Unabh&ngigkeitsgefühl für Wahrheit uud Recht mit , das jeder Schriftsteller haben soll. Mit diesen Eigenschaften war eine — unter den Erfahrungen einer Zeit, welche in Manchem die Intoleranz be­ stärkt hatte, erworbene und stets wachsende — Duldsamkeit gegen Andersdenkende verbunden, und diese äusserte sich besonders auch in der Würdigung der ihrem Blatte angebotenen Arbeiten, welche, so wie sie an und für sich gut waren, auch mit Selbstverleugnung aufzunehmen sie sich zur Pflicht gemacht hatte, so lange sie nicht fürchten musste, dass ihre Toleranz zur Charakterlosigkeit führte.“ Man begreift, dass ein Blatt, welches also geleitet wurde, nicht nur eine grosse Verbreitung fand, sondern auch ein hohes Ansehen genoss. Dichter, Schriftsteller und Gelehrte warben um seinen Bei­ fall und waren stolz, wenn sie eine wohlwollende Beachtung im Morgenblatt fanden. Der Graf von Platen z. B., welcher, so oft er ein Werk herausgab, stets mit Spannung dem Urteil desselben ent­ gegensah, suchte die einstige Leiterin des Blattes noch später in Augsburg auf, um sich die Gunst ihrer Kritik zu sichern. So übte Therese Huber im Reiche der Literatur eine mächtige Herrschaft aus, und in diesem Sinne ist die ,Grösse4 zu verstehen, auf welche in der Überschrift zu diesem Aufsatz das Interesse der Leser hin­ gelenkt werden sollteSechzig Jahre alt geworden, gab die Frau das Redaktionsscepter aus der Hand, nicht ohne mit dem Morgenblatt, wie mit der Literatur überhaupt, in Fühlung zu bleiben. Ihre journalistische Thätigkeit wandte sie jedoch jetzt mehr der Allgemeinen Zeitung zuf deren Mitarbeiterin sie schon seit der Zeit ihres Entstehens war. Um der Redaktion des Blattes möglichst nahe zu sein, zog sie nach Augs­ burg, wozu auch der Umstand beitrug, dass ihr Schwiegersohn Greyerz nunmehr als Forstmeister dorthin versetzt ward. Die da­ mals noch sehr geräuschlose Kreisstadt sollte die letzte Etappe in Therese Hubers wechselvollen Wanderungen werden. Das Schluss­ kapitel ihrer Lebensgeschichte, die in ihrer ersten Hälfte ein Roman, der Roman eiues Lebens war, beginnt mit dieser Übersiedelung. War schon der erste Teil der andern Hälfte, die Zeit von Försters Tod an, mit mehr epischer Ruhe dahingeflossen, so gleicht der letzte Abschnitt einer sanften Elegie, welche die Überschrift ,Frieden* tragen könnte. Im gleichen Jahre (1824), da sich die Matrone in Augsburg niedergelassen, empfing sie die Freudenbotschaft, dass ihre geschiedene Tochter und Emil von Herder sich wieder gefunden, und in der Folge erhielt sie die Gewissheit, dass das Eheglück ein

184 dauerndes wurde- Um die gleiche Zeit besuchte sie ihr einziger Sohn, den sie wahrend seiner ganzen Jugend nicht an ihrer Seite gesehen hatte. Viktor Aim6 Huber war bis zu seinem 16. Lebensjahre in deo^ Fellenbach’schen Erziehungsinstitute geblieben und dann, in frühem Jünglingsalter, an die Universität Göttingen obergetreten, wo er bei der Stiefgrossmutter (Professor Heyne war im Jahre 1812 gestorben) Wohnung nahm. Der junge Mann besass, als er in Augsburg eintraf, schon reiche Kenntnisse, hatte Medizin absolviert, Sprachstudien gemacht und bereits ein Buch über den ,Cid‘ der Oeffentlichkeit übergeben. Lange hielt es ihn übrigens in Augsburg nicht; er begab sich ins Ausland und unternahm in den nächsten Jahren grosse Reisen nach Schottland, Frankreich, Portugal und Spanien, überall sammelnd und beobachtend, so dass er schon da­ mals den Grund zu dem reichen Wissen legte, durch welches sich der spätere Sozialpolitiker ausgezeichnet hat. Auch die Mutter oblag, trotz dem nahenden Greisenalter, noch fleissigen Schaffen und zwar, wie sie sagte, um des Brotes willen. Nach und nach entstanden in Augsburg „Die Denkwürdigkeiten des Kapitains Ludolf,“ der Roman ,Die Ehelosen1 und die Uebersetzung eines grössern wissenschaftlichen Werkes, indem Alexander von Humboldt der Frau seines einstigen Freundes Förster die deutsche Übertragung seines Buches Vayage aux rögiom öquinoxiales anver­ traut hatte. Die letzte Arbeit, es war die eingangs erwähnte Sammlung und Herausgabe von Försters Briefwechsel, führte ihre Erinnerungen in die Zeit zurück, da sie in die grosse Welt eintrat. Während der Zeit dieser Beschäftigung mag die Frau, nach des Tages Mühen ihr Dämmerstündohen haltend, oft mit geschlossenen Augen in das eigene Innere geblickt und hundert Bilder ernsten und heitern Inhalts geschaut haben: einsame Steppen, belebte Flüsse, blaue Alpenseen, grüne Matten und schattige Wälder; dann aber wieder bevölkerte Heerstrassen und lärmende Grossstädte. Dabei mag es an ihr geistiges Ohr zuweilen geklungen haben wie der friedliche Ton von Schalmeien der Schweiz oder der erschütternde Lärm der Kriegstrompete in Frankreich, bald wie die Marseillaise und bald wie ein liebvertrautes Lied von Goethe. Es wird dem Leser einer Zeitschrift, die an dem damaligen Wohnorte Therese Hubers erscheint, nicht gleichgiltig sein, den engeren Schauplatz ihres Wirkens zu kennen. Die Frau zeigte auch hierin den ihr eigenen Hang zur Abwechslung, und nahm mindestens dreimal in Augsburg einen Wohnungswechsel vor. Wir erfahren dies

185 aus einem Briefe vom 26. April 1826, den* sie an die gleichfalls schriftstellende Gattin des Historikers Woltmann richtet: „------Zwischen den obigen Zeilen“, heisst es dort am Schlüsse, „und den heutigen sind drei Tage verflossen, in denen ich das Logis wechselte. Ich hatte meine Wohnung in einer sogenannten bewohnten und belebten Strasse mitten in der Stadt, wo ich Sonne, Mond und Sterne verkennen lernte. Nun bin ich am Domplatz, habe das alte Gebäude [den Dom], neben mir als Memento mori, aber einen schönen Horizont, Ost, ganz Süd, halb Westsonne, was mein Leben ist; denen die Ofenwärme verabscheuend, lebe ich fast nur von der Sonnen wärme.“ Die örtliche Schilderung trifft auf eines der Häuser C 52—54 am Domplatze zu. Mit aller Bestimmtheit aber lässt sich die letzte Etappe der Wandernden, nicht nur für den Aufenthalt in Augsburg, sondern für ihr Erdendasein überhaupt feststellen. Am Schlüsse ihres Lebens wohnte sie in dem bescheidenen Hause eines noch bescheideneren Stadtviertels, nämlich in dem schon damals, wie auch jetzt noch, einem Bäckermeister gehörigen Anwesen F 303 auf dem ,untern Kreuz.1 Hier klang im Sommer 1829 die Elegie dieses bewegten, früher so unruhvollen Lebens aus. Therese Huber starb in den Armen ihrer drei Töchter, welche vor dem Ende herbeigeeilt waren. Die amtliche, in dem Intelligenzblatt des Jahres 1829 enthaltene Meld­ ung ihres Todes lautet respektvoll: „15. Juni, Pfarrei St. Anna: Titl. Frau Maria Theresia von Huber, geb. Heyne, von Göt­ tingen, Landesdirektionsraths-Wittwe. 67 Jahre alt (geb. 1764!) am Zehrfieber.“ Auf dem stimmungsvollen Friedhof vor dem roten Thore fand sie ihre letzte Ruhe; das Grab befindet sich in der südwestlichen Ecke desselben auf einer sanften Anhöhe. Eine kleine ovale Marmorplatte enthält als Inschrift bloss die Worte: „Therese Huber, geb. Heyne.“ Wenn der Leser, der mit uns im Geiste dem Lebensgang der merkwürdigen Frau gefolgt ist, das Grab besucht, dann wird er sich erinnern, dass hier eine Persönlichkeit ruht, die in der literarischen Welt einst eine Art Machtstellung einnahm und mit den gewaltigsten Geistern ihrer Zeit freundschaftlich verbunden war. Und wenn er dann die in der Nähe stehenden Cypressen, etwa im Abendwinde, rauschen hört, dann säuseln sie ihm wohl nicht mehr ein Lied der Klage zu um ,eine vergessene Grösse.1

Inhalt. Seite

L Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichto der jüdischen Gemeinden im Riess von Prof. Dr. L. Müller................................................... . 1) Jüdische Ansiedelungen imRiess bis 1400 2) Die 4. Judengemeinde zu Nördlingen 1401—1507

1 3

.... 31

3) Die Vertreibung der Juden aus Nördlingen und der Process des Nördlinger Raths gegen Graf Martin zu öttingen 1507—1549 ..................................................... .....

75

4) Die Beziehungen der Reichsstadt Nördlingen zu ihren jüdischen Umwohnern1507—1802*)..........................................................

99

II. Der Flissener Totentanz und sein Fortleben. Von A. Dürrwaechter (Mit Abbildung)..............................................................................................125 Anhang I.............................................................................................. 157 Anhang II

. .

163

Anhang UI.............................................................................................. 165 III. Eine vergessene Grösse. Therese Huber, gob. 1764 in Göttingen, gest. 1829 , in Augsburg. Von Lorenz Werner...........................................................167 *) Zwei weitere Kapitel wird der nächste Jahrgang bringen.