Unternehmensbewertung [2 ed.] 9783896739728, 9783896441843

Dieses Buch gibt Informationen für die Anlässe für die Bewertung von ganzen Unternehmen oder Unternehmensanteilen, führt

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Unternehmensbewertung [2 ed.]
 9783896739728, 9783896441843

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Andreas Tewinkel

Unternehmensbewertung

Andreas Tewinkel

Unternehmensbewertung

© Alle Rechte vorbehalten 2. Auflage 2004

RKW - Verlag Düsseldorfer Straße 40 65760 Eschborn

RKW-Nr. 1437 ISBN 3-89644-184-1 Layout und Druck: RKW, Eschborn

Inhaltsverzeichnis Seite

1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Einführung Bewertungsanlässe Subjektiver und objektiver Wert Die Bewertungsmethoden: Übersicht Rechtliche Vorschriften Methodenwahl

Das Konzept der überschußorientierten Bewertung: Ertragswert und Discounted Cashflow 2.1 Konzept 2.2 Arbeitsschritte: Übersicht

7 7 9 10 13 15

2

19 19 27

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9

Die zukünftigen Überschüsse Das Stichtagsprinzip Vergangenheitsanalyse Überschußprognose Die Überschüsse: Varianten Überschüsse vor und nach persönlichen Steuern Das Vorsichtsprinzip Nicht betriebsnotwendiges Vermögen Kalkulatorische Kosten Vollausschüttung und Ausschüttungsbeschränkungen

29 29 30 33 38 42 45 46 47 48

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Der Kalkulationszins Elemente Der Basiszins Der Risikozuschlag Der Steuersatz Der Wachstumsabschlag Äquivalenz zu den Überschüssen

50 50 52 54 59 60 60

5

Barwertermittlung durch Abzinsung der Überschüsse

63

6

Substanzwert und Liquidationswert

65

5

7 Marktwerte oder Vergleichswerte 7.1 Einordnung 7.2 Vorgehensweise 8 8.1 8.2 8.3

6

Einzelfragen der Unternehmensbewertung Bewertung von Kleinunternehmen Bewertung im Familien- und Erbrecht Checkliste

67 67 71 75 75 78 79

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Einführung

1.1 Bewertungsanlässe Während das Management eines börsennotierten Unternehmens die Antwort auf die Frage nach dem Unternehmenswert täglich im Kursteil der Zeitung nachlesen kann, stellt sie sich für viele mittelständische Familienunternehmen und Kleinbetriebe überhaupt zum ersten Mal, wenn eine Nachfolgeregelung ansteht. Doch nicht nur beim Verkauf an einen Wettbewerber oder einen internen oder externen Manager ist die Bewertung des Unternehmens erforderlich, um einen für beide Seiten akzeptablen Preis festzulegen. Auch wenn ein Unternehmen vererbt wird, kann eine Wertermittlung dann notwendig werden, wenn nur einer von mehreren Erben das Unternehmen weiterführen soll und Ausgleichs­ zahlungen zu leisten sind. Einen dritten, ebenfalls sehr häufigen Anlaß für die Bewertung von Unternehmen oder Anteilen bildet die Ehescheidung, wenn ein Unternehmen oder eine Unternehmensbeteiligung unter den Zugewinnausgleich fällt. Die Anlässe für die Bewertung von ganzen Unternehmen oder von Unter­ nehmensanteilen lassen sich im wesentlichen danach unterscheiden, ob ein Eigentümerwechsel stattfindet oder nicht.

Bewertungsanlässe mit Eigentümerwechsel sind z.B. • Verkauf eines Unternehmens oder Unternehmensanteils • Einbringung von Anteilen bei der Unternehmensgründung oder Kapitalerhöhung

• Aufnahme neuer Gesellschafter • Spaltung und Verschmelzung von Gesellschaften • Ausscheiden eines Gesellschafters • Abfindung von Minderheitsgesellschaftern nach dem Aktiengesetz oder dem Umwandlungsgesetz • Festsetzung des Emmissionskurses bei der Börseneinführung.

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Zu den wesentlichen Anlässen für Unternehmensbewertungen ohne Eigentümerwechsel zählen die folgenden: • Zugewinnausgleich bei Scheidung •

Erbrechtliche Auseinandersetzungen

• Bemessung der Erbschafts- und Schenkungsteuer • Bereitstellung von Daten für Management-Entscheidungen (z.B. Abschreibung von Beteiligungen, Bonuszahlungen nach Maßgabe der Wertentwicklung).

Obwohl also die Anlässe für eine Unternehmensbewertung aus der Sicht des Unternehmers nicht immer erfreulich sind, lohnt es sich, frühzeitig eine Vorstellung vom Wert des eigenen Unternehmens zu entwickeln. Geht es um den Verkauf des Unternehmens, ist dies ohnehin unerläßlich. Wer glaubwürdig verhandeln will, muß vorab eine Vorstellung davon ge­ winnen, bis zu welchem Preis er kompromißfähig sein kann. Dies gilt na­ türlich in gleicher Weise für die Käuferseite. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß insbesondere abgebende Unternehmer häufig mit unrealistischen Erwartungen in die Verhandlungen hineingehen. Wer aber einmal eine Preisvorstellung von z. B. 15 Millionen € geäußert hat und dann fest­ stellen muß, daß alle seriösen Angebote bestenfalls im Bereich von 6 bis 8 Millionen € liegen, hat es schwer, von seiner ursprünglichen Position ohne Verlust an Glaubwürdigkeit herunterzukommen. Insofern lohnt es sich immer, beizeiten zumindest der Größenordnung nach einen Unternehmenswert zu ermitteln, der mehr ist als das Ergebnis eigenen Wunschdenkens. Die Notwendigkeit einer Unternehmensbewertung bedeutet aber nicht in jedem Fall, daß ein ausführliches Bewertungsgutachten erstellt werden muß. In vielen Fällen mag es für die Vorbereitung von Entscheidungen ausreichend sein, wenn der Unternehmenswert mit Hilfe einiger verein­ fachender Annahmen der Größenordnung nach bestimmt wird. Aber auch bei einem solchen Vorgehen sollten die wesentlichen methodischen Überlegungen, wie sie in den folgenden Abschnitten dargestellt sind, beachtet werden.

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1.2 Subjektiver und objektiver Wert Grundsätzlich wird der Wert eines Unternehmens wie der jedes anderen Gegenstandes aus ökonomischer Sicht durch den subjektiven Nutzen des Eigentümers bestimmt. Daß auch Unternehmenswerte bis zu einem ge­ wissen Grad subjektiv sind, wird schon daran deutlich, daß Unternehmen und Unternehmensanteile verkauft werden. Denn eine Transaktion wie ein Verkauf setzt ja immer voraus, daß der Gegenstand dem Käufer mehr wert ist als dem Verkäufer. In eine Unternehmensbewertung gehen also in der Regel auch subjektive Eigenschaften und Vorstellungen der am Unternehmen beteiligten oder interessierten Personen ein. Dazu zählen z. B. die persönliche Fähigkeit, das Unternehmen zu entwickeln oder zu führen, die individuelle Risiko­ einschätzung, die Finanzierungsmöglichkeiten und die Vermögenssitu­ ation. Vor allem dort, wo der Anlaß für die Unternehmensbewertung eine (bevorstehende) Transaktion ist, ist also der Wert des Unternehmens zu bestimmen, den es für eine bestimmte Person oder eine bestimmte Grup­ pe von Personen hat. Daß diese subjektiven Unternehmenswerte sehr unterschiedlich sein können, zeigt sich z. B. an der großen Bandbreite von Preisen, die verschiedene Investoren bei organisierten Bietungsprozessen für das gleiche Unternehmen anbieten. Es kommt dabei durchaus vor, daß der höchste Bieter ein doppelt so hohes Angebot abgibt wie der Bie­ ter mit dem niedrigsten Gebot.

Für einen potentiellen Verkäufer muß die Bewertung die Preisunter­ grenze ergeben, bis zu der ein Verkauf für ihn in Frage kommt, für einen potentiellen Käufer die Preisobergrenze, bis zu der er mitbieten oder in Verhandlungen gehen kann. Die Bewertung hat für diese Zielgruppen Entscheidungswerte zu liefern.

Es gibt aber zudem viele Anlässe, bei denen es notwendig wird, einen mehr oder weniger objektivierten Unternehmenswert zu bestimmen. Dazu gehört z.B. die Abfindung von ausscheidenden Aktionären, da in diesem Fall nicht für jeden einzelnen Interessierten ein subjektiver Wert bestimmt und einer Entscheidung zugrundegelegt werden kann. Gleiches gilt für den Zugewinnausgleich oder die Erbauseinandersetzung, wo zur Bemessung von Ausgleichs- oder Abfindungsansprüchen sowohl vor Ge­ richt als auch in privaten Schiedsverfahren in der Regel nach dem Ver­ kehrswert, also einem objektivierten Unternehmenswert, gefragt wird.

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1.3 Die Bewertungsmethoden: Übersicht Eine Unternehmensbewertung kann von den folgenden Fragen ausgehen: • Wieviel ist in das Unternehmen hineingesteckt worden? • Wieviel kann man aus dem Unternehmen herausholen? • Wieviel kosten vergleichbare Unternehmen?

a) Substanzwert Die erste Frage ist die nach dem Substanzwert des Unternehmens. Sie kann nicht nur vergangenheitsorientiert, sondern auch zukunftsorientiert formuliert werden: Wieviel müßte man aufwenden, um das gleiche Un­ ternehmen von Null neu aufzubauen?

Im einfachsten Fall untersucht der Bewerter dabei nur die bilanzierte Sub­ stanz. Den Ausgangspunkt bildet dann der Buchwert des Unternehmens, also das bilanzielle Eigenkapital zum Bewertungsstichtag. Der Buchwert ist dann um stille Reserven zu erhöhen und um stille Lasten zu vermin­ dern. Die stillen Reserven sind dabei die Differenzen zwischen den Buch­ werten oder Bilanzwerten der einzelnen Vermögensgegenstände (und Schulden) und ihren Zeitwerten, also den Marktwerten oder Verkehrs­ werten zum Bewertungsstichtag. Die Frage nach dem Substanzwert ist mit diesem Teilrekonstruktionswert jedoch nur teilweise beantwortet. Denn Unternehmen haben neben dem bilanzierten Vermögen oft auch noch nicht bilanziertes Vermögen wie selbst entwickelte Patente oder Marken, die Kosten verursacht haben und auch einen Marktwert haben, jedoch nicht bilanziert werden dürfen. Wird auch der Wert dieses Vermögens einbezogen, erhält man den Voll­ rekonstruktionswert. Der Substanzwert stößt allerdings, wie man sieht, schon an diesem Punkt an seine Grenzen. Denn was es gekostet hat oder kosten würde, einen Markennamen oder eine Marktposition, wie sie das zu bewertende Un­ ternehmen hat, "von Null" aufzubauen, läßt sich oft kaum einigermaßen sicher bestimmen. Noch schwieriger wird die Berechnung, wenn auch der Wert des Kundenstamms oder, allgemein gesprochen, der Firmenwert ("Goodwill") einbezogen werden soll. Diese Wertkomponenten sind jedenfalls anhand von Herstellungskosten in der Regel nicht mehr sinnvoll zu erfassen.

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b) Ertragswert Die zweite Frage ist die nach dem Nutzen, den das Unternehmen für seine Eigentümer hat. Der Bewerter interessiert sich hier nicht dafür, was das Unternehmen in der Vergangenheit gekostet hat, sondern was sich aus ihm in der Zukunft herausholen läßt. Dieser Bewertungsansatz ent­ spricht also dem allgemeinen Grundsatz, daß der Kaufmann für "das Vergangene nichts gibt". Der Nutzen, den das Eigentum an einem Unternehmen stiftet, kann viel­ fältig sein. Dazu können Geldzahlungen gehören, aber auch die Befriedi­ gung, als Unternehmer tätig sein zu können, ein hohes Prestige, Unab­ hängigkeit usw. In der Regel beschränken sich die nutzenorientierten Verfahren der Unternehmensbewertung aber auf den finanziellen Nut­ zen, den das Eigentum an einem Unternehmen mit sich bringt. Sie heißen deshalb auch ertrags- oder überschußorientierte Verfahren. Das zu be­ wertende Unternehmen wird mit den Augen eines Investors betrachtet, der verschiedene Möglichkeiten hat, sein Kapital anzulegen. Er oder sie kann ein Sparkonto eröffnen, festverzinsliche Wertpapiere kaufen, eine vermietete Immobilie erwerben oder eben ein ganzes Unternehmen oder einen Teil daran übernehmen. Gemeinsam ist all diesen Anlageformen, daß von ihnen finanzielle Überschüsse erhofft werden, sei es in Form lau­ fender Zinsen, Mieten oder Gewinnanteile, sei es durch eine spätere Weiterveräußerung, möglichst mit einem Veräußerungsgewinn.

Bei den nutzenorientierten Bewertungsverfahren werden also die Zahlungsströme, die vom Besitz eines Unternehmens erwartet werden, mit den Zahlungen verglichen, die sich bei anderen Anlagen ergeben. Der Anleger entscheidet dann für die Anlageform, die den höchsten Barwert der erwarteten Zahlungen aufweist.

Grundsätzlich sind die nutzenorientierten Verfahren auch dann anwend­ bar, wenn nicht von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausge­ gangen werden kann, sondern wenn die Bewertung unter der Annahme der Liquidation durchzuführen ist. Der Unternehmenswert ist dann die Summe der zu erwartenden Liquidationserlöse abzüglich der verbleiben­ den Schulden. Die Liquidationserlöse werden also in gleicher Weise als Zahlungen behandelt wie die Zahlungen, die sich aus dem laufenden Ge­ schäft ergeben. Auch das nicht betriebsnotwendige Vermögen läßt sich mühelos in nutzenorientierte Verfahren einbeziehen, indem es zum Liquidationswert angesetzt wird. Der Unternehmenswert ist dann der Barwert der Über­

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schüsse, die mit dem betriebsnotwendigen Vermögen erzielt werden, zuzüglich der Liquidationserlöse aus der (gedachten) Veräußerung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. c) Vergleichswert Die dritte der oben genannten Fragen ist die nach dem Vergleichswert oder Marktwert des Unternehmens. Weder die vorhandene Substanz noch Erwartungen über die erzielbaren Erträge bilden hier den Bewer­ tungsmaßstab. Die Bewertung soll vielmehr marktorientiert erfolgen. Dazu muß zum einen klar sein, mit welchen anderen Unternehmen das Bewertungsobjekt verglichen werden kann. Zum anderen müssen Preise für solche vergleichbaren Unternehmen bekannt sein. Werden Ver­ gleichswerte herangezogen, geht es nicht darum, den subjektiven Wert des Unternehmens für einen bestimmten Investor zu bestimmen. Im Mit­ telpunkt steht vielmehr die Suche nach dem Preis, der im Markt unter normalen Umständen erzielt werden kann. Die Frage, ob zu diesem Preis ein Kauf oder Verkauf stattfinden soll, kann aber erst wieder entschieden werden, wenn die alternativen Anlagemöglichkeiten des Unternehmens­ käufers oder -Verkäufers bekannt sind.

d) Mischverfahren Ob die Bewertung anhand mehrerer Verfahren, die nebeneinander ein­ gesetzt werden und deren Ergebnisse dann in irgendeiner Weise kombi­ niert werden, zu besseren Ergebnissen führt, als wenn sich der Bewerter auf ein einziges Verfahren verläßt, ist eine sehr umstrittene Frage. Viele Bewerter ziehen jedenfalls gerne zumindest der Größenordnung nach ermittelte Ergebnisse eines zweiten Verfahrens zu Kontrollzwecken hin­ zu. Dabei geht es dann insbesondere darum zu prüfen, ob das zunächst ermittelte Ergebnis plausibel ist oder ob es eventuell auf Annahmen be­ ruht, die noch einmal neu überdacht werden sollten. Gelegentlich wird auch - etwa bei gerichtlichen Bewertungsgutachten - verlangt, nach zwei Methoden vorzugehen und z. B. den Substanzwert und den Ertragswert zu bestimmen. Dies ist zwar wohl in vielen Fällen nicht sinnvoll; dennoch ist hier der Wunsch des Auftraggebers zu respektieren. Dies gilt insbe­ sondere dann, wenn bestimmte Verfahren vertraglich festgeschrieben sind. So enthalten nach wie vor viele Gesellschaftsverträge eine Klausel, nach der die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters anhand des sogenannten "Stuttgarter Verfahrens" zu bemessen ist. Dieses Ver­ fahren ist ein steuerliches Bewertungsschema, mit dem der Unterneh­ menswert als Kombination von Substanzwert und Ertragswert bestimmt werden kann. Es wird zwar, wie die anderen Kombinationsmethoden,

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von der Betriebswirtschaftslehre überwiegend abgelehnt, ist aber nach wie vor über sein eigentliches Anwendungsgebiet, die Bewertung nicht notierter Anteile von Kapitalgesellschaften für steuerliche Zwecke, hinaus verbreitet.

1.4 Rechtliche Vorschriften Das Zivilrecht regelt zwar viele Anwendungsfälle für Unternehmensbe­ wertungen, ist hinsichtlich der Bewertungsmethoden aber sehr zurück­ haltend. Das BGB enthält nur zwei konkrete Regelungen für die Unter­ nehmensbewertung.

So bestimmen § 1376 für den familienrechtlichen Zugewinnausgleich und § 2049 für das Erbrecht, daß ein landwirtschaftlicher Betrieb bzw. ein Landgut mit dem Ertragswert zu bewerten sind. Zum anderen enthalten die §§ 738 und 740 BGB Regelungen zur Bemes­ sung der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters. Danach ist dem ausscheidenden Gesellschafter "... dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft z. Zt. seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre" (§ 738 Abs. 1 BGB). Dem Wortlaut nach ist also hier eindeutig vom Liquidationswert auszugehen. Die Recht­ sprechung wendet jedoch die Vorschrift nicht so an, sondern hat im Ge­ genteil oft bestätigt, daß Unternehmen als ganzes unter Fortführungs­ gesichtspunkten, also einschließlich stiller Reserven und eines eventuellen Firmenwerts, zu bewerten sind. Auch die Regelung des § 740 BGB, wo­ nach der ausgeschiedene Gesellschafter an dem Gewinn und Verlust teil­ nimmt, der sich aus den z.Zt. seines Ausscheidens schwebenden Ge­ schäften ergibt, kommt kaum zur Anwendung. Denn wenn das Unter­ nehmen als ganzes z.B. nach der Ertragswertmethode bewertet wird, sind die zukünftigen Gewinne aus schwebenden Geschäften im Ergebnis bereits enthalten. Diese schwebenden Geschäfte stellen also keinen ei­ genständigen wertbildenden Faktor dar.

Das Steuerrecht, in dem es ja im Gegensatz zum Zivilrecht darauf an­ kommt, eine Vielzahl von Fällen zu klären, die nicht von Vertragsparteien selbst geregelt werden können, sondern bei denen der Staat dem Bürger gegenübertritt, mußte schon im Interesse der Rechtssicherheit eindeuti­ gere Bewertungsvorschriften entwickeln. Vorschriften zur Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen finden sich insbesondere im

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Bewertungsgesetz (BewG), das allerdings nach der Abschaffung der Ver­ mögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer an Bedeutung verloren hat. Immerhin faßt das Bewertungsgesetz die Vorschriften zusammen, die für die Grundsteuer, die Grunderwerbsteuer und die Erbschaftsteuer maß­ geblich sind.

Gemäß dem in § 9 BewG formulierten Bewertungsgrundsatz bildet der Verkehrswert (Marktpreis) den allgemeinen Bewertungsmaßstab, "so­ weit nichts anderes vorgeschrieben ist". Der Verkehrswert heißt in der Terminologie des Bewertungsgesetzes der "gemeine Wert". Er wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Für den Unternehmenswert gilt der Verkehrswert jedoch nur teilweise als Maßstab. Betriebsvermögen ist gemäß § 109 BewG mit den Steuerbilanzwerten anzusetzen. Diesen liegt aber gerade nicht der Verkehrs- oder Marktwert zugrunde, sondern sie sind durch das Anschaffungskostenprinzip, planmäßige und außerplan­ mäßige Abschreibungen, Sonderabschreibungen etc. geprägt. Börsennotierte Unternehmensanteile (Aktien) werden allerdings nach § 11 Abs. 1 BewG dem Verkehrswert (Stichtagskurs) angesetzt. Nicht notierte Anteile an Kapitalgesellschaften sollen nach § 11 Abs. 2 BewG ebenfalls soweit wie möglich nach Marktpreisen bewertet werden. Die Verkäufe dürfen allerdings nicht länger als ein Jahr zurückliegen, andern­ falls ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen. Diese Schätzung ist anhand des soge­ nannten „Stuttgarter Verfahrens" vorzunehmen, dessen Details früher in dem Vermögensteuerrichtlinien und heute, nach dem Wegfall der Vermö­ gensteuer, in den Erbschaftsteuerrichtlinien geregelt sind. In diesen Richt­ linien wird der Rechenweg, der eine Kombination von Substanz- und Er­ tragswertverfahren darstellt, im einzelnen beschrieben. Für größere Be­ teiligungen sieht das Bewertungsgesetz in § 11 Abs. 3 "Paketzuschläge" vor. Bei der Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften greift das Bewertungsgesetz also auf alle drei oben skizzierten Ansätze zurück. Den Vorrang hat dabei die Bewertung nach Marktwerten (Börsenkurse oder andere dokumentierte Verkaufspreise). Liegen solche Preise nicht vor oder sind die Daten nicht mehr aktuell genug, soll eine Bewertung unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten erfol­ gen. Substanzwert und Ertragswert kommen in diesem Fall also beide zur Anwendung.

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Interessant ist hier die Parallele zur Bewertung von Grundstücken. Für die steuerliche Bewertung werden sowohl Marktpreise (bei unbebauten Grundstücken) als auch Ertragswerte und Substanzwerte ("Sachwerte") herangezogen. Sowohl die sogenannte Einheitsbewertung für die Grund­ steuer (§§ 19 ff. BewG) als auch die sogenannte Bedarfsbewertung für die Erbschaftsteuer und die Grunderwerbsteuer sind allerdings so ausge­ staltet, daß sich typisierte Werte ergeben, die in der Regel unter den Ver­ kehrswerten liegen. Der Verkehrswert kommt aber bei der Bewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer gemäß § 146 Abs. 7 BewG dann zum Zuge, wenn der Steuerpflichtige nachweist, daß er niedriger ist als der nach dem typisierten Ertragswert ermittelte Grundstückswert. Auch außerhalb des Steuerrechts werden bei der Grundstücksbewertung alle drei Bewertungsansätze angewendet. So schreibt § 7 der Werter­ mittlungsverordnung von 1988, durch die insbesondere die Tätigkeit der Gutachterausschüsse für die Grundstücksbewertung geregelt wird, vor, daß zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswert, das Ertrags­ wertverfahren, das Sachwertverfahren oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen sind. Der Verkehrswert soll aus dem Ergebnis des heran­ gezogenen Verfahrens unter Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt bemessen werden.

1.5 Methodenwahl Unternehmen können, wie oben dargestellt, grundsätzlich anhand von drei verschiedenen Kriterien bewertet werden:

• Substanz (Orientierung an Kosten) • Zukünftige Überschüsse (Orientierung am Nutzen) • Vergleichswerte (Orientierung am Markt). Während in früheren Zeiten die Bewertung nach der Substanz eine füh­ rende Rolle spielte, hat sich in Deutschland seit etwa zwei bis drei Jahr­ zehnten in Betriebswirtschaft, Rechtsprechung und Bewertungspraxis die nutzenorientierte Sichtweise, also eine Bewertung nach Ertrag bzw. Überschüssen, in hohem Maße durchgesetzt. Für Wirtschaftsprüfer ist dies nach dem einschlägigen Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer

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sogar die einzige erlaubte Herangehensweise. So führt der Standard S1 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" aus (TZ4 - 6): (4) Der Wert eines Unternehmens bestimmt sich unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmens­ eigner (Nettoeinnahmen der Unternehmenseigner). Demnach wird der Wert des Unternehmens allein aus seiner Eigenschaft abgeleitet, finanzi­ elle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften. (5) ...

(6) Dagegen kommt dem Substanzwert bei der Ermittlung des Unter­ nehmenswerts keine eigenständige Bedeutung zu. Während der Substanzwert hier also als Wertmaßstab völlig ausscheidet, sollen Marktwerte wie Börsenkurse oder Umsatzmultiplikatoren nur zur Plausibilitätskontrolle von Ergebnissen dienen, die anhand eines überschußorientierten Verfahrens gewonnen wurden.

Eine solch starke Einschränkung in der Bewertungsmethodik ist gefähr­ lich. Sie kann insbesondere dazu führen, daß Ergebnisse ermittelt wer­ den, die zwar den Anforderungen an eine überschußorientierte Bewer­ tung gehorchen, aber nicht marktgerecht sind. Dies gilt z. B. bei der Be­ wertung von Kleinunternehmen, die in vielen Fällen auch dann einen über dem reinen Liquidationswert liegenden Kaufpreis erbringen, wenn der Ertragswert Null oder sogar negativ ist. Dies kann z. B. daran liegen, daß in der Praxis nicht nur, wie es die Bewertungstheorie annimmt, finanzielle Überschüsse den Wert von Unternehmen bestimmen, sondern daß die Käufer gerade von Kleinunternehmen auch bereit sind, für nicht-finanziel­ le Nutzenkomponenten etwas zu bezahlen. Teilweise werden in diesem Bereich wohl auch Preise für einen selbständigen, "unabhängigen" Ar­ beitsplatz bezahlt. Ähnliches gilt dann, wenn die Aufgabe z. B. darin besteht, den Emissions­ kurs zu ermitteln, zu dem eine Aktie am Markt untergebracht werden soll. Auch in einem solchen Fall sind selbstverständlich Überlegungen zu den zukünftigen Ertragserwartungen anzustellen. Diese werden aber in vielen Fällen nicht so gut dokumentiert werden können, daß sich daraus ein einigermaßen gesicherter Unternehmenswert ermitteln ließe. Die Aktienkurse insbesondere junger Unternehmen, die bis dahin noch gar

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keine Erträge erzielt haben, werden deshalb in der Regel vor allem an­ hand von Vergleichszahlen ermittelt. Dazu gehört etwa der erwartete Umsatz, aber auch nichtfinanzielle Daten wie die Kundenzahl u.ä. Ins­ besondere am Neuen Markt wurde in der Boomphase der Jahre 1998 bis 2000 bei Emissionen vor allen Dingen anhand solcher Kriterien bewertet. Daß sich diese Bewertungen im nachhinein in vielen Fällen als völlig über­ trieben herausgestellt haben, bedeutet nicht, daß sie zum Zeitpunkt, als sie getroffen wurden, falsch waren. Denn die Bewertungsaufgabe be­ stand hier im wesentlichen darin, einen Preis für die Aktie zu bestimmen, der am Markt akzeptiert werden würde. Um diese Aufgabe zu lösen, waren aber ertragsorientierte Verfahren zweifellos ungeeignet. Ironischer­ weise bewerten übrigens die Wirtschaftsprüfer selbst ihre Praxen in der Regel nicht nach dem Ertragswert, sondern nach einem einfachen Multiplikatorverfahren, also einem Vergleichswert. Wer als betroffener Unternehmenskäufer oder -Verkäufer, Abgefundener oder Abfindender oder in einer ähnlichen Rolle mit einer Unterneh­ mensbewertung konfrontiert wird oder Ergebnisse eines Bewertungs­ gutachtens liest, sollte sich also ruhig die Freiheit nehmen, Alternativen zu den dort angewendeten Methoden zu durchdenken und, solange die Bewertung noch nicht abgeschlossen ist, auch vorzuschlagen. Insbeson­ dere ist es ratsam, als Betroffener den Bewerter darauf hinzuweisen, daß Unternehmen in einem bestimmten Markt nach Kriterien bewertet wer­ den, die vom üblichen Ertragswert-Schema abweichen.

Eines sollte jedem, der ein Unternehmen selbst bewertet oder ein Bewer­ tungsgutachten liest, unabhängig vom Bewertungsanlaß klar sein: Niemand kennt den „tatsächlichen" Wert eines Unternehmens. Für Be­ wertungen, die ein Unternehmenskäufer oder -Verkäufer durchführt oder durchführen läßt, gilt dies ohnehin, da die subjektiven Ziele, Erwartungen und Finanzierungsmöglichkeiten das Ergebnis prägen. Doch auch wenn die Bewertung zum Ziel hat, einen objektivierten Wert („Verkehrswert") zu ermitteln, hängt sie immer von Annahmen und Voraussetzungen ab, die auch anders getroffen werden könnten. Ein Bewerter, der behauptet, das allein richtige Ergebnis ermittelt zu haben, verspricht mehr, als er hal­ ten kann.

Ein gutes Bewertungsergebnis ist eines, das sich auf solide Fakten­ kenntnis, eine kritische Analyse der Vergangenheit und eine nie vollkom­ mene, aber doch sorgfältig vorgenommene Vorausschau in die Zukunft stützt. Dabei ist durchaus zuzugestehen, daß die Unternehmens­

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bewertung auch heute noch in weiten Teilen „mehr Kunst als Wissen­ schaft" ist. Unnötig ist sie deshalb nicht. Sie regt dazu an, eine kritische Bestandsaufnahme der Vergangenheit und Gegenwart des Unterneh­ mens zu machen, die wichtigen Ertragskomponenten herauszuarbei­ ten und eine Vorstellung von den Risiken für das Unternehmen zu entwi­ ckeln. Sie liefert somit in jedem Fall Informationen, die für Verkäufer, Käufer und andere interessierte Parteien von Nutzen sind.

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Das Konzept der überschußorientierten Bewertung: Ertragswert und Discounted Cashflow

2.1

Konzept

Die am weitesten verbreiteten Verfahren der Unternehmensbewertung leiten den Unternehmenswert aus dem Nutzen ab, den das Unternehmen für die Kapitalgeber stiftet. Sie fragen danach, was das Halten oder der Erwerb eines Unternehmens oder einer Unternehmensbeteiligung für die Kapitalgeber in der Zukunft bringen wird. Diese Bewertungsverfahren werden als Ertragswertverfahren oder auch als Discounted Cash Flow - Verfahren (DCF-Verfahren) bezeichnet. Unab­ hängig von der Ausgestaltung im Detail beruhen sie auf demselben Kon­ zept: Der Unternehmenswert ist der Barwert der zukünftigen liquiden Überschüsse, die den Kapitalgebern zur Verfügung stehen.

Die Unternehmensbewertung ist aus dieser Sicht ein Spezialfall der Investitionsrechnung. Genauso wie im betrieblichen Alltag die Entschei­ dung, welche von zwei zur Auswahl stehenden Maschinen angeschafft werden soll, davon abhängt, welchen Nutzen sie jeweils im Produktions­ prozeß bringen und was die durch die Anschaffung verursachten einma­ ligen und laufenden Kosten einschließlich der Finanzierungskosten sein werden, wird in der überschußorientierten Unternehmensbewertung das Unternehmen oder der Anteil als eine von mehreren Möglichkeiten der Geldanlage angesehen. Der Wert ergibt sich dann im Vergleich des Nutzenstroms aus dem Unternehmen mit den Nutzenströmen, die andere Geldanlagen für den Investor zur Folge haben.

Der Nutzen wird in der Investitionsrechnung unabhängig vom Investitions­ objekt durch die Zahlungen gemessen, die mit der Investition verbunden sind. Typischerweise steht dabei am Anfang eine Auszahlung für den Er­ werb des Investitionsobjektes (Maschine, Gebäude, Wertpapier, Unter­ nehmen), auf die eine Reihe von Einzahlungen (z. B. Mietüberschüsse, erhaltene Zinsen, ausgeschüttete Gewinne) folgen. Am Ende der Zah­ lungsreihe steht möglicherweise eine größere Einzahlung aus der Ver­ äußerung des Investitionsobjektes, die nach einer bestimmten Anzahl von

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Jahren geplant ist. Die Zahlungsreihe kann aber auch mit einem negati­ ven Betrag (Auszahlung) abgeschlossen werden, wenn z. B. am Ende erhebliche Entsorgungs- oder Rekultivierungskosten anstehen.

In der Investitionsrechnung kommt es insofern immer darauf an, zunächst einen Zahlungsplan zu erstellen, in dem die prognostizierten Einzahlun­ gen und Auszahlungen in ihrer zeitlichen Reihenfolge aufgeführt sind. Um solche Zahlungspläne oder Zahlungsreihen vergleichbar zu machen, hat die Betriebswirtschaftslehre das Konzept des Kapitalwerts entwickelt. Eine Investition gilt nach diesem Konzept als vorteilhaft, wenn der Bar­ wert aller Einzahlungen mindestens so hoch ist wie der Barwert aller Aus­ zahlungen. Im Fall einer typischen Investition mit einer hohen Auszahlung zu Beginn und einer Reihe von Einzahlungen danach heißt dies: Der Bar­ wert der Einzahlungen muß größer als die Investitionsauszahlung, also als die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Investition.

Das Konzept des Barwerts ist insofern für die Investitionsrechnung im all­ gemeinen, aber auch für die Unternehmensbewertung von zentraler Be­ deutung. Der Barwert ist der Wert, den eine zukünftige Einzahlung oder Auszahlung heute, also zum Bewertungsstichtag, hat. Er hängt ab von der Höhe der Zahlung, von der zeitlichen Entfernung vom Bewertungs­ stichtag ("heute") und vom relevanten Zinssatz.

Beispiel:

Einem Investor wird ein Wertpapier angeboten, das eine einzige Zah­ lung verbrieft. Diese Zahlung beträgt 100,- € und ist in genau einem Jahr fällig. Beispiele für solche Geldanlagen sind etwa der Wechsel oder die Null-Coupon-Anleihe (Zerobond). Der Wert dieses Papiers für den Investor hängt nun von dem für ihn relevanten Zinssatz ab. Kann er ansonsten Geld zu 10% anlegen, wird er bereit sein, für das Wert­ papier bis zu 90,90 € zu bezahlen. Denn wenn er diesen Betrag woanders anlegt, hätte er nach einem Jahr einen Endwert von 1Ö0 realisiert (90,90 x 1,10 = 100). Hat der Investor dagegen ansonsten nur Anlagemöglichkeiten, die ihm eine Verzinsung von 5% bringen, liegt der Preis, den er für das Papier zahlen kann, höher. Er beträgt jetzt 95,24 €. Denn auch woanders müßte der Investor bei 5% Ver­ zinsung diesen Betrag anlegen, um nach einem Jahr ein Ergebnis von 100 zu erhalten (95,24 x1,05 = 100). Ein Anleger, der es gewohnt ist, 20% Zins zu erhalten, würde das Papier dagegen bestenfalls mit

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83,33 € bewerten. Denn er müßte ja auch dort, wo er sonst sein Geld anlegt, nur diesen Betrag investieren, um nach einem Jahr 100 € wieder herauszubekommen (83,33 x 1,2 = 100). Der Barwert einer erwarteten Einzahlung wird umso kleiner, je wei­ ter diese Zahlung in der Zukunft liegt. Wird der im Beispiel in Aussicht gestellte Betrag von 100 € nicht in einem, sondern in zwei Jahren fällig, beträgt der Barwert für den Investor, der mit 10% Verzinsung kalkuliert, nicht mehr 90,90 €, sondern nur noch 82,64 €. Denn wer 10% Zins realisieren kann, muß nur diesen Betrag hinlegen, um nach zwei Jahren 100 € wieder herauszubekommen (82,64 x 1,1 x 1,1 = 100). Für einen Anleger dagegen, der nur 5% Zinsen erzielen kann, hat eine in zwei Jahren fällige Zahlung von 100 immerhin noch einen Wert von 90,70 € (90,70 x 1,05 x 1,05 = 100). Wer dagegen mit 20% Verzinsung rechnen kann, wird für eine Zahlung von 100 in zwei Jah­ ren nicht mehr als 69,45 € investieren wollen (69,44 x 1,2 x 1,2 = 100). Im Ergebnis läßt sich festhalten: Der Barwert von zukünftigen Einzahlungen, aber auch der von zukünftigen Auszahlungen, ist des­ to geringer, je höher der Zinssatz ist, den Anleger woanders erzielen können, und je weiter die Zahlung in der Zukunft liegt.

Aus dem Beispiel wird auch klar, warum Betriebswirte die Subjektivität von Bewertungsergebnissen betonen. Der Wert ein und derselben zu­ künftigen Zahlung hängt auch bei identischem Zahlungszeitpunkt von dem Zins ab, den der jeweilige Investor bei anderen Geldanlagen errei­ chen kann. Ist der anderswo erzielbare Zins für verschiedene Investoren unterschiedlich hoch, so hat für sie eine Zahlung von bestimmter Höhe zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt einen unterschiedlichen Wert. Selbst wenn man sich also auf die rein finanziellen Aspekte von Investitio­ nen beschränkt und ihre Wirkungen ausschließlich anhand der Höhe und zeitlichen Verteilung der mit ihnen verbundenen Zahlungsströme mißt und dabei individuelle Vorlieben und Abneigungen der Anleger völlig au­ ßer acht läßt, kann dennoch das Bewertungsergebnis von Anleger zu Anleger verschieden sein.

Schon dieses einfache Beispiel macht außerdem ein zweites deutlich: Der Wert ist nicht unbedingt mit dem Preis gleichzusetzen. Der im obigen Beispiel für einen mit 10% rechnenden Anleger ermittelte Barwert von 90,90 gibt vielmehr den maximalen Preis (Grenzpreis, Preisobergrenze)

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an, bis zu dem dieser Anleger die Investition tätigen würde. Liegt der Preis darunter, ist der subjektive Wert höher als der zu zahlende Preis, und der Anleger wird die Investition tätigen. Steigt der Preis über den ermittelten Barwert, wird der Anleger von der Investition absehen. Die Differenz zwischen dem Barwert der zukünftigen Ein- und Auszahlungen und dem für die Investition zu zahlenden Preis (den Anschaffungs- oder Herstellungskosten) ist der Kapitalwert der Investition. Eine Investition lohnt sich dann, wenn der Kapitalwert größer als Null ist.

Beispiel: Ein Wertpapier, das den Anspruch auf eine in einem Jahr fällige Zah­ lung von 100,- € verbrieft, bringt einem Anleger, der eine Verzin­ sung von 10% erwartet, bei einem Kurs (Preis) von 85,-€ einen Ka­ pitalwert von 5,90 (90,90 - 85). Dieser Betrag stellt den Gewinn aus der Investition dar. Würde der Anleger das Wertpapier bei einem Kurs von genau 90,90 kaufen, hätte er keinen Gewinn erzielt, son­ dern nur gerade den Ersatz für die Verzinsung bekommen, die er auch anderswo erhalten könnte.

Der relevante Zins, in unserem Beispiel also 5%, 10% oder 20%, stellt die Kapitalkosten des Anlegers dar. Wenn er die Investition tätigt, muß er auf den Zinsertrag verzichten, den er bei einer Anlage anderswo erzielt hät­ te. Je höher der Zins ist, den der Anleger ansonsten auf dem Markt erhal­ ten kann, desto höher sind die Anforderungen, die er an die Investitions­ objekte hinsichtlich der erwarteten Zahlungsüberschüsse stellen wird.

Ein Vergleich unterschiedlicher Kapitalanlagen anhand der Barwerte zu­ künftiger Ein- und Auszahlungen bei einem bestimmten Zins setzt aller­ dings voraus, daß diese Anlagen gleich riskant sind. Das Kapitalwertkrite­ rium, nach dem eine Investition dann getätigt werden sollte, wenn der Barwert aller Einzahlungen größer als der Barwert aller Auszahlungen ist, führt nur dann zum richtigen Ergebnis, wenn die zu beurteilende Investi­ tion nicht riskanter ist als die Alternativinvestitionen, die den zugrundege­ legten Zins liefern. Unterscheiden sich die verschiedenen Anlageformen hinsichtlich ihres Risikos, müssen die in den Vergleich eingehenden Zahlen entsprechend angepaßt werden. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Mög­ lichkeiten. Das höhere Risiko einer Investition kann durch einen Abschlag bei den erwarteten Überschüssen ( "im Zähler" ) oder durch einen Zu­ schlag beim "Kalkulationszins" ("im Nenner") abgebildet werden.

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Beispiel: Ein Anleger kann für sichere Anlagen einen Zins von 10% erzielen. Dies ist dementsprechend sein „Basiszins". Eine in einem Jahr fällige sichere Zahlung von 100 € hat für ihn dementsprechend einen Bar­ wert von 90,90 €.

Eine ebenfalls in einem Jahr fällige Zahlung von 100 €, die aber auch höher oder niedriger ausfallen kann, wird dagegen einen niedrigeren Barwert für ihn haben. Dies gilt auch dann, wenn Chancen und Risi­ ken sich genau ausgleichen, wenn die Investition also beispielsweise mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils genau einem Drittel zu einer Auszahlung von 80,- €, von 100,- € oder von 120,- € führt. Der Mittelwert ("Erwartungswert") der Einzahlungen hat dann zwar exakt die gleiche Höhe wie die sichere Einzahlung von 100. Der Wert für den Investor wird jedoch unter dem Wert dieser sicheren Einzahlung liegen. Dies beruht auf einer der zentralen Aussagen der Finanzierungslehre: Menschen sind risikoscheu. Sie gewichten Chan­ cen (Abweichungen nach oben) nicht so stark wie gleich hohe Risi­ ken (Abweichungen nach unten). Die Chance wiegt das Risiko nicht auf!

Diese Risikoscheu läßt sich in dem Beispiel auf zweierlei Weise erfassen. Bei Berücksichtigung „im Zähler", also bei den erwarteten Einzahlungen, wäre der Wert der sicheren Einzahlung zu ermitteln, die der Investor als gleichwertig mit der Verteilung 80-100-120 ansehen würde. Dieses "Sicherheitsäquivalent" kann im Beispiel nicht unter 80 liegen, da eine Einzahlung von 80 ja mit Sicherheit mindestens erreicht wird. Er wird aber bei einem risikoscheuen Investor unter dem Mittelwert von 100 liegen. Nehmen wir an, das Sicherheitsäquivalent liege bei 90. Dies bedeutet dann, daß der Investor eine Investition, die ihm eine sichere Einzahlung von 90 garantiert, als gleichwertig zu einer Investition ansieht, die im Durchschnitt 100 bringt, zusätzlich aber auch mit gleicher Wahrschein­ lichkeit Abweichungen nach oben (120) oder nach unten (80) zuläßt. Der Barwert läßt sich nun leicht bestimmen. Er muß gleich sein dem Barwert einer sicheren Einzahlung von 90 bei einem Zins (für sichere Anlagen) von 10% und beträgt dementsprechend 81,82 € (81,82 x 1,1 = 90). Während der Anleger also für eine in einem Jahr fällige sichere Zahlung von 100 € heute 90,90 € zu zahlen bereit wäre, würde er für eine Investition, die ihm mit gleicher Wahrscheinlichkeit 80,- €, 100,- € oder 120,- € ein-

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bringt, nur 81,82 € bezahlen. Die Differenz zwischen dem Barwert der sicheren Zahlung von 90,90 und dem Barwert der unsicheren Zahlung von 81,82 ist der Bewertungsabschlag, den der Anleger wegen des höhe­ ren Risikos der Investition macht. Dieser Bewertungsabschlag kann auch „im Nenner", also beim Kalkula­ tionszins ausgedrückt werden. In diesem Fall zinst man nicht das Sicher­ heitsäquivalent (hier: 90,- €) mit dem Zins für sichere Geldanlagen ab, sondern den Mittelwert ("Erwartungswert") von 100 mit einem entspre­ chend erhöhten Zins. Die Risikoscheu des Anlegers, der die Gleichvertei­ lung von 80,-€, 100,-€ und 120,-€ mit einer sicheren Zahlung von 90,-€ gleichsetzt, läßt sich durch einen Zuschlag von 12,3%-Punkten auf den sicheren Zinssatz von 10% abbilden. Es ergibt sich dann ein Zinssatz von insgesamt 22,3%. Wird die erwartete Zahlung von 100 mit diesem Zinssatz abgezinst, beträgt der Barwert wie oben 81,82 € (81,82 x 1,223 = 100). Die Differenz von 12,3%-Punkten ist der Risiko­ zuschlag, den der Anleger dafür verlangt, daß er sich nun statt einer sicheren Einzahlung einer Verteilung möglicher Einzahlungen gegenüber­ sieht.

Die Methode des "Sicherheitsäquivalents", also die Abbildung des Risikos durch einen Abschlag bei den Erträgen, hat zwar theoretisch einiges für sich; die Bewertungspraxis bildet jedoch das Risiko praktisch ausschließ­ lich durch Zuschläge im geforderten Zins ab. Die Beurteilung von Investitionen anhand der Barwerte der Ein- und Aus­ zahlungen ist nicht auf einfache Fälle, wie sie das hier verwendete Bei­ spiel darstellt, beschränkt. Auch komplexe, langfristige Investitions­ projekte mit ständig schwankenden Ein- und Auszahlungen lassen sich nach dieser Methode bewerten. Da jedoch in den meisten Fällen eine Planung nur für die ersten Jahre einigermaßen exakte Werte liefern wird, nimmt man oft an, daß die Überschüsse im Anschluß an die im einzelnen geplante Phase gleich bleiben. Bei unendlicher Lebensdauer der Investiti­ on, wie sie insbesondere in der Unternehmensbewertung meistens unter­ stellt wird, vereinfacht sich dann die Barwertberechnung. Denn der Bar­ wert einer solchen "ewigen Rente" ist schlicht und einfach der Quotient aus Rentenzahlung und Zinssatz.

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Beispiel: Der Barwert einer jeweils zum Jahresende gezahlten Rente von 100,- € beträgt bei einem Zinssatz von 5% 2000- €. Denn wer heute 2.000,- € zu diesem Zins "für immer" anlegt, kann pro Jahr 100,- € entnehmen, ohne jemals das Kapital anzugreifen.

Die Bewertung von Geldanlagen nach dem Barwert der zukünftigen Einund Auszahlungen ist keineswegs nur ein theoretisches Konstrukt, son­ dern kennt eine Fülle von Anwendungen. So ist in einem funktionieren­ den Kapitalmarkt der Kurs einer Anleihe nichts anderes als der Barwert der zukünftigen Zins- und Tilgungszahlungen, abgezinst mit der zum Bewertungsstichtag üblichen Rendite für Anleihen gleicher Laufzeit und gleicher Risikoklasse.

Beispiel: Der Kurs einer Bundesanleihe, die mit einem Zins (Coupon) von 6% ausgestattet ist und noch genau zwei Jahre Restlaufzeit hat, läßt sich exakt bestimmen, wenn man weiß, daß die Rendite sicherer Anleihen mit 2jähriger Restlaufzeit zum Bewertungsstichtag 4% be­ trägt. Zunächst ist ein Zahlungsplan aufzustellen, der zeigt, daß die Anleihe genau zwei Zahlungen hervorbringt: In einem Jahr wird eine Zinszahlung von 6 fällig, in zwei Jahren ebenfalls eine Zinszahlung von 6, zusätzlich aber die Rückzahlung von 100, insgesamt also eine Zahlung von 106. Der Kurs der Anleihe ist die Summe der Barwerte dieser beiden Zahlungen bei einem Zins von 4% und läßt sich wie folgt errechnen:

6/1,04 = 5,7692 106/(1,04 x 1,04)= 106/1,0816 = 98,0030 Kurs = Summe der Barwerte = 103,7722 Eine ebenfalls mit einem Zins von 6% ausgestattete, aber hoch ris­ kante Anleihe (z. B. Argentinien-Anleihe) wird dagegen einen deut­ lich geringeren Kurs aufweisen, weil die Renditeforderungen der Investoren hohe Risikozuschläge enthalten, so daß die Abzinsung mit einem weitaus höheren Zinssatz erfolgt. Beträgt dieser etwa 30%, errechnet sich der Kurs einer solchen, hohen riskanten Anleihe wie folgt:

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6/1,3 106/(1,3 x 1,3) = 106/1,69 Kurs

= = =

4,6154 62,7219 67,3373

Die große Differenz zwischen dem Wert einer sicheren oder als si­ cher geltenden Anlage wie einer Bundesanleihe und einer in einem hohen Maße unsicheren Anlage ist durchaus realistisch und läßt sich leicht durch den Blick auf den Kurszettel für Anleihen bestätigen.

Das Beispiel zeigt auch, daß sich das Barwertkalkül nicht nur, wie oben beschrieben, für die Bestimmung subjektiver Entscheidungswerte nutzen läßt, sondern daß sich damit durchaus auch objektivierte Werte ermitteln lassen. Denn der Preis (Kurs) einer an der Börse gehandelten Anleihe ist ja gleichzeitig der Barwert der zukünftigen Zahlungen, der sich bei Ab­ zinsung dieser Zahlungen mit der in dem entsprechenden Marktsegment üblichen geforderten Rendite ergibt. Je besser Kapitalmärkte funktio­ nieren, desto weniger Raum bleibt für subjektive Bewertungen. Für sichere Anlagen wie etwa Bundesanleihen gibt es praktisch keine unter­ schiedlichen subjektiven Entscheidungswerte mehr, da niemand eine höhere sichere Rendite erwirtschaften kann, als der Markt für solche Anleihen hergibt, und da andererseits sich auch niemand mit einer gerin­ geren Rendite für sichere Anlagen zufrieden geben wird. Der Markt für Unternehmen und Unternehmensanteile ist allerdings weit weniger vollkommen als z.B. der Markt für Bundesanleihen, so daß das subjektive Element hier eine größere Rolle spielt und deshalb auch die Bandbreite möglicher Ergebnisse (Entscheidungswerte) weitaus höher ist. Dies liegt daran, daß zum einen schon die Ansichten über die zu erwar­ tenden zukünftigen Überschüsse weit auseinandergehen können. Dazu kommt, daß verschiedene Investoren im Markt für Unternehmen unter­ schiedliche Informationsstände haben, und schließlich ist zu berücksichti­ gen, daß auch die Risikoeinschätzung von Investor zu Investor sehr stark divergieren kann. Die „Berechnung" des Unternehmenswerts nach dem Barwertkalkül muß insofern selbstverständlich so genau wie möglich durchgeführt werden. Dies darf jedoch nicht zu der Schlußfolgerung ver­ führen, daß auch das Ergebnis damit den einen „objektiven" Unter­ nehmenswert darstellt. Selbst wenn es das Ziel der Bewertung ist, unab­ hängig von individuellen Informationen und Risikoeinschätzungen einen „objektivierten" Unternehmenswert zu ermitteln, muß doch klar sein,

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daß damit immer nur ein möglicher Wert aus einer Bandbreite anderer Werte ermittelt wird, die ebenfalls zumindest Plausibilität für sich bean­ spruchen können.

2.2 Arbeitsschritte: Übersicht Um ein Unternehmen nach einem überschußorientierten Verfahren zu bewerten, sind die folgenden Arbeitsschritte notwendig. • Bestandsaufnahme und Vergangenheitsanalyse • Schätzung der zukünftigen Ergebnisse • Ermittlung des Kalkulationszinssatzes

• Ermittlung des Barwerts der zukünftigen Überschüsse als Unter­ nehmenswert Zunächst muß Klarheit darüber geschaffen werden, was genau der Ge­ genstand der Bewertung ist. Erforderlich sind eine Bestandsaufnahme und eine Vergangenheitsanalyse. Im Zentrum steht dabei die Ertragskraft des Unternehmens. Sind die in den letzten Jahre erzielten Gewinne oder Verluste als nachhaltig zu betrachten, oder waren sie durch einmalige oder außergewöhnliche Ereignisse beeinflußt?

In einem zweiten Arbeitsschritt sind dann die zukünftigen Überschüsse zu schätzen. Dabei kommt es letztlich nicht auf die bilanziell ausgewiesenen Gewinne an, sondern auf die Ergebnisse, die dem Unternehmer oder den Kapitalgebern in ihrer Gesamtheit tatsächlich zur Verfügung stehen, die also entnommen bzw. ausgeschüttet werden können. Den Ausgangs­ punkt für die Schätzung der zukünftigen Ergebnisse bilden im Idealfall Planungsrechnungen. Doch auch dann, wenn keine Plandaten vorliegen, ist es gefährlich, die Zukunft schlicht als Verlängerung der Vergangenheit zu sehen. Zumindest muß eine gewisse Vorstellung von der Entwicklung des Marktes und der Entwicklung des Unternehmens in diesem Markt erarbeitet werden. Den dritten Arbeitsschritt bildet die Festlegung des Kalkulationszins­ satzes. Je höher dieser Zinssatz, desto weniger sind die zukünftigen Überschüsse heute wert und desto geringer ist dementsprechend auch der Wert des ganzen Unternehmens. Im allgemeinen gilt: Je höher das mit dem Erwerb des Unternehmens oder dem Halten der Anteile ver­ bundene Risiko, desto höher ist der Kalkulationszins.

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Technisch gesprochen, ist der Unternehmenswert schließlich der Barwert der mit dem Kalkulationszins abgezinsten zukünftigen Überschüsse. Ob die Methode dann Ertragswertverfahren oder, moderner klingend, aber auf der gleichen konzeptionellen Grundlage beruhend, Discounted Cashflow-Verfahren genannt wird, ist zweitrangig. Entscheidend ist viel­ mehr, daß der Bewerter sich die Mühe macht, die einzelnen Elemente (Überschüsse, Zins) so sorgfältig zu bestimmen, wie es die ihm zur Verfü­ gung stehenden Informationen zulassen.

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3

Die zukünftigen Überschüsse

3.1

Das Stichtagsprinzip

Unternehmenswerte werden immer zu einem bestimmten Bewertungs­ stichtag ermittelt. Der Bewertungsstichtag kann frei vereinbart sein, er kann aber auch durch gesetzliche Vorgaben festgelegt sein. Ist z. B. ein Unternehmen für Zwecke des Zugewinnausgleichs zu bewerten, wird das Anfangsvermögen zum Zeitpunkt des Eintritts des Güterstands (in der Regel Tag der Eheschließung), das Endvermögen zum Zeitpunkt der Be­ endigung des Güterstands (bei Scheidung: Tag der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags) bewertet. Dient die Unternehmensbewertung dage­ gen der Bemessung eines Abfindungs- oder Ausgleichsanspruchs bei ei­ nem Gewinnabführungsvertrag, ist der Tag der Beschlußfassung der Hauptversammlung maßgeblich.

Wenn die Unternehmensbewertung nach einem überschußorientierten Verfahren (Ertragswertmethode oder Discounted Cashflow-Verfahren) erfolgt, sind die Überschüsse maßgeblich, die aus Sicht des Stichtags zu erwarten sind bzw. (in den meisten Fällen) zu erwarten waren. Es ist also von dem Informationsstand auszugehen, den ein sorgfältiger Bewerter zum Bewertungsstichtag gehabt hätte. Ereignisse nach dem Bewertungs­ stichtag oder Erkenntnisse über die Verhältnisse am Bewertungsstichtag, die aber erst nach dem Stichtag gewonnen werden konnten, dürfen nicht in die Bewertung eingehen. Nach der sogenannten „Wurzeltheorie" sind nur solche Faktoren verwendbar, deren Wurzeln in die Zeit vor dem Bewertungsstichtag zurückreichen. Dies ist selbstverständlich im einzel­ nen schwierig zu entscheiden. In gar nicht so seltenen Fällen liegt der Bewertungsstichtag bereits Jahre oder gar mehrere Jahrzehnte zurück. Dies ist z. B. in familienrechtlichen oder erbrechtlichen Auseinandersetzungen der Fall, wenn neben dem Endvermögen auch das Anfangsvermögen der Ehepartner zu bewerten ist oder für die Bemessung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs 10 Jahre hinter den (ja auch schon in der Vergangenheit liegenden) Tag des Erb­ falls zurückgegangen werden muß. Aussagefähige Unterlagen liegen dann gar nicht mehr oder nur noch teilweise vor. Dies trifft insbesondere auf solche Unterlagen, die die Zeit vor dem Bewertungsstichtag betreffen und aufgrund derer eigentlich die aus Stichtagssicht zukünftige Entwick­ lung prognostiziert werden sollte. Für diesen Fall ist es zulässig, bei weit

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zurückliegendem Stichtag auch die Vermögens- und Ertragsverhältnisse einer bestimmten Anzahl von Jahren nach dem Bewertungsstichtag her­ anzuziehen (so das Institut der Wirtschaftsprüfer in seiner Stellungnahme HFA 2/1995: Zu Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht). Auch in solchen Fällen ist aber zu prüfen, ob nicht die tatsächliche Ent­ wicklung nach dem Stichtag durch Faktoren geprägt wurde, die am Stichtag noch nicht absehbar waren.

3.2 Vergangenheitsanalyse Die Vergangenheitsanalyse soll insbesondere zeigen • wie sich der Markt, in dem das Unternehmen tätig ist, entwickelt hat, • welche Erfolge oder Mißerfolge es insbesondere in den letzten Jahren vor dem Stichtag erzielt hat, • ob die Unternehmensentwicklung Tendenzen erkennen läßt, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch in die Zukunft hinein fortgesetzt wer­ den, • wie hoch die nachhaltigen Erträge sind, die das Unternehmen vor dem Stichtag erzielt hat.

Durch die Vergangenheitsanalyse soll eine Grundlage für die Schätzung der zukünftigen Erträge und finanziellen Überschüsse des Unternehmens gelegt werden. Dabei werden in der Regel insbesondere die Jahresab­ schlüsse der letzten vier bis sechs Jahre herangezogen. Sind diese durch starke Schwankungen der Umsätze und Ergebnisse gekennzeichnet, kann es ratsam sein, auch einen längeren Zeitraum zu betrachten, um möglicherweise einen Trend erkennen zu können. Wenn möglich, beschränkt sich der Bewerter aber nicht auf die Analyse der Jahresabschlüsse, sondern bezieht weitere Daten des Bewertungs­ objektes mit ein. Dazu gehören wichtige Verträge, Steuererklärungen und -bescheide, Beschreibungen technischer Abläufe etc. Im Idealfall stützt sich vor allem die im Auftrag eines potentiellen Unternehmens­ käufers durchgeführte Bewertung dann auf eine umfassende Analyse und Prüfung von Unternehmensdaten aus verschiedenen Bereichen („Due Diligence").

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Die Vergangenheitsanalyse ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn es darauf ankommt, „... das vorhandene Unternehmen im bestehenden Konzept zu analysieren und einen objektivierten Unternehmenswert zu ermitteln. Dabei wird das Prognoseproblem zunächst auf die voraussicht­ liche Fortwirkung derjenigen Erfolgsfaktoren begrenzt, die grundsätzlich bereits in der Vergangenheit von Bedeutung waren und unabhängig vom künftigen Eigentümer wertbestimmend sein werden." (WP-Handbuch 1998, S. 30). Dabei geht es um den „Zukunftserfolgswert, der sich bei Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept und mit allen realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen seiner Marktchancen, fi­ nanziellen Möglichkeiten und sonstigen Einflußfaktoren bestimmen läßt" (ebd.).

Die Bewertung des „vorhandenen Unternehmens im bestehenden Kon­ zept" erscheint insbesondere dann angebracht, wenn ein Eigentümer­ wechsel gar nicht beabsichtigt ist und die möglichen Pläne eines neuen Eigentümers insofern gar keine Rolle spielen, z. B. im Scheidungsfall. Bei der Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse ist insbesondere an folgende Posten zu denken:

• Die sonstigen betrieblichen Erträge enthalten oft Posten, die nicht re­ gelmäßig oder doch in sehr schwankender Höhe anfallen und mit der eigentlichen Ertragskraft des Unternehmens nichts zu tun haben. Dazu gehören vor allem Veräußerungsgewinne oder Erträge aus der Auflösung von Rückstellungen. • Im Personalaufwand können Beträge enthalten sein, die z. B. aus steu­ erlichen oder familiären Gründen als Aufwendungen geltend gemacht werden, denen aber keine entsprechende Leistung gegenübersteht und die insofern, mit den Augen eines Investors betrachtet, überflüssig sind. Dazu zählen gelegentlich Ehegattengehälter, die ohne Beschäfti­ gung gezahlt werden, übertrieben hohe Geschäftsführergehälter oder Altersvorsorgeaufwendungen, die einem fremden Dritten als Mitarbei­ ter nicht gewährt würden. Umgekehrt ist bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften darauf zu achten, daß die Mitarbeit des Un­ ternehmers oder der Gesellschafter in den Gewinn- und Verlustrech­ nungen regelmäßig nicht als Aufwand erfaßt wird. Hier ist ein entspre­ chendes kalkulatorisches Geschäftsführergehalt anzusetzen.

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• Die Abschreibungen sind für die Analyse und Prognose der finanziellen Überschüsse nur insoweit von Bedeutung, als ihnen tatsächliche Investitionsauszahlungen entsprechen. Die häufig vorgenommene Un­ terstellung, daß die notwendigen Investitionen die gleiche Höhe wie die Abschreibungen haben, kann richtig sein, muß es aber nicht. So steht in vielen Fällen Abschreibungen auf einen Immobilienbestand zumindest kurz- und mittelfristig kein tatsächlicher Reinvestitions­ bedarf gegenüber. Dies gilt wenigstens dann, wenn Erhaltungsauf­ wendungen, die bei den sonstigen betrieblichen Aufwendungen aus­ gewiesen werden, in ausreichendem Umfang getätigt werden. Umge­ kehrt sind die Fälle gar nicht selten, in denen Unternehmen sehr nied­ rige und abnehmende Abschreibungen aufweisen, was zwar die bilanziell ausgewiesenen Gewinne erhöht, jedoch weniger ein Zeichen für hohe Ertragskraft als für einen Investitionsstau darstellt. In diesen Fällen sind statt der tatsächlichen Abschreibungen die Abschreibungen bzw. Investitionen anzusetzen, die zur Aufrechterhaltung der Unter­ nehmenssubstanz und damit auch der Ertragskraft notwendig sind.

Für die Beurteilung der Ertragskraft unerheblich sind in aller Regel steuerliche Sonderabschreibungen, etwa solche nach dem Fördergebietsgesetz oder zur Förderung kleiner und mittlerer Unter­ nehmen (§ 7g EStG). • Bei den sonstigen betrieblichen Aufwendungen sind zum einen die Posten zu eliminieren, die aus rein steuerlichen Gesichtspunkten in der Gewinn- und Verlustrechnung angesetzt wurden, wie etwa die Ein­ stellung in Sonderposten mit Rücklageanteil. Kritisch zu untersuchen sind auch Kostenblöcke, die - bei kleinen Unternehmen - auch private Aufwendungen beinhalten können, wie etwa die Kraftfahrzeug­ kosten. • Im Finanzergebnis sind Zinserträge dann unberücksichtigt zu lassen, wenn die zugrundeliegenden Geldanlagen beim Alteigentümer ver­ bleiben oder gesondert angesetzt werden, und Zinsaufwendungen, wenn ein Unternehmen ohne Bankverbindlichkeiten und andere Finanzschulden übergeben wird bzw. wenn diese als gesonderte Pos­ ten in die Bewertung einfließen. Beteiligungserträge können nur dann zugrundegelegt werden, wenn der Wert der Beteiligung nicht, wie es häufig geschieht, als eigener Posten in die Bewertung eingestellt wird. • Außerordentliche Erträge und Aufwendungen sind bei der Ermittlung der nachhaltigen Ertragskraft in aller Regel unberücksichtigt zu lassen.

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• Ertragsteuern sind dann kritisch zu analysieren, wenn sie im analysier­ ten Zeitraum etwa durch die Nutzung von Verlustvorträgen besonders niedrig waren. Insbesondere dann, wenn die Verlustvorträge zum Bewertungsstichtag ausgelaufen sind, sind sie durch die Steuern zu ersetzen, die ohne Verlustvorträge zu zahlen gewesen wären. Umge­ kehrt kommt es vor, daß die Ergebnisse nicht richtig abgegrenzte Steuernachzahlungen für Vorjahre enthalten, so daß die ausgewiese­ ne Steuerbelastung "zu hoch" ist. Auch hier sind Korrekturen ange­ bracht.

In erstaunlich vielen Fällen zeigt sich bei einer Vergangenheitsanalyse, daß die Jahresabschlüsse eine positive oder negative Tendenz vorgau­ keln, die durch Sondereinflüsse geprägt ist und mit der eigentlichen Er­ tragskraft des Unternehmens wenig zu tun hat. Wenn die Vergangen­ heitsanalyse dazu führt, daß scheinbare Trends und Entwicklungen als solche erkannt werden und dann auch die Prognose der zukünftigen Ent­ wicklung nicht mehr beeinflussen, hat sie bereits eine wichtige Aufgabe erfüllt.

3.3 Überschußprognose Früher wurde gelegentlich gefordert, bei der Überschußprognose ein 3-Phasen-Modell anzuwenden. Für eine erste, wenige Jahre umfassende Phase sollten dabei Erträge, Aufwendungen, Gewinne und finanzielle Überschüsse detailliert geplant werden. Die Phase 2 sollte dann durch eine Grobplanung abgebildet werden, während man sich für die anschlie­ ßende dritte Phase damit begnügte, konstante oder konstant wachsende Erträge und Überschüsse zu unterstellen ("ewige Rente"). Inzwischen sind die Bewerter bescheidener und damit auch wohl realistischer gewor­ den. Nunmehr wird (etwa im WP-Handbuch 1998 und im Standard S1 des Instituts für Wirtschaftsprüfer) gefordert, eine 2-phasige-Planung vor­ zunehmen. Die erste Phase umfaßt dabei wenige (etwa drei bis fünf) Jah­ re nach dem Bewertungsstichtag, für die angenommen wird, daß sich die Ermittlung der finanziellen Überschüsse einigermaßen sicher prognostizie­ ren läßt. Für die zweite Phase wird dann ein konstantes Niveau der Über­ schüsse oder aber eine bestimmte Wachstumsentwicklung angenommen, ohne daß noch detaillierte Planungen für die Entwicklung der einzelnen Ertrags- und Aufwandspositionen erfolgen. Da in der Regel von einer un­ begrenzten Lebensdauer des Unternehmens ausgegangen wird, ent­ spricht die Entwicklung in Phase 2 insofern in der Regel dem Modell der

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"ewigen Rente" mit oder ohne Wachstum. Der Wertbeitrag der zweiten Phase ist dann der Barwert, den diese ewige Rente zu Beginn der zwei­ ten Prognosephase hat, abgezinst auf den Bewertungsstichtag. Die An­ nahme einer unbegrenzten Lebensdauer trifft aber auch dann, wenn man vom ungeplanten Unternehmensende, etwa durch eine Insolvenz, absieht, nicht immer zu. In der Realität gibt es Unternehmen, deren Le­ bensdauer von vornherein begrenzt ist, weil sie z. B. den Zweck verfol­ gen, eine bestimmte Rohstoffquelle auszubeuten. Auch in diesen Fällen wird man allerdings für die fernere Zukunft (etwa jenseits von 5 Jahren) keine Detailplanung vornehmen, sondern von konstanten oder konstant wachsenden, möglicherweise auch mit einer konstanten Rate schrump­ fenden Überschüssen ausgehen.

Jedem Bewerter muß klar sein, daß Planungen immer unsicherer werden, je weiter sie in die Zukunft vorgreifen. Dies stellt aber kein Argument dafür dar, die Planung an einem bestimmten Zeitpunkt abzuschneiden, jenseits dessen der Bewerter keine vernünftigen Aussagen treffen zu können glaubt. Denn damit würde unterstellt, daß das Unternehmen von diesem Zeitpunkt an Überschüsse von gerade Null erzielt, was jedenfalls nicht realistischer ist als andere Zahlen, die mit noch so unsicheren und groben Plausibilitätsüberlegungen gewonnen werden. Im Idealfall erfaßt die Planung der ersten Phase die einzelnen Elemente der finanziellen Überschüsse detailliert. Zunächst wird ein Mengengerüst für Produktion und Absatz erarbeitet und mit einem Investitionsplan und einer Planung für den Lagerbestand etc. abgestimmt. Daraus ergibt sich eine Planung der Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen ein­ schließlich einer mittel- und langfristigen Finanzplanung, durch die der Finanzbedarf sichtbar wird. Um die mit jeder Planung verbundene Unsi­ cherheit zu berücksichtigen, können die Planungen auch mehrwertig er­ stellt werden, also etwa in einer optimistischen, einer durchschnittlichen und einer pessimistischen Variante. Dadurch kann der Bewerter eine Vor­ stellung davon gewinnen, mit welchen Risiken die zukünftige Entwick­ lung des Unternehmens behaftet ist. Die Planungsergebnisse müssen immer einer Plausibilitätskontrolle unter­ worfen werden. Dabei wird man sich zum einen fragen, ob die einzelnen Planungselemente miteinander kompatibel sind. So wird etwa ein starkes Wachstum in den ersten Jahren nach dem Bewertungsstichtag in der Re­ gel nur zu erreichen sein, wenn wenig Ausschüttungen oder Entnahmen stattfinden und zusätzlich Fremdfinanzierungen vorgenommen werden,

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die höheren Zinsaufwand zur Folge haben und damit die ausschüttungsbzw. entnahmefähigen Überschüsse weiter vermindern. Zu den Plausi­ bilitätsüberlegungen gehört aber auch die Frage, ob frühere Planungs­ rechnungen des Unternehmens durch die Realität bestätigt wurden. Un­ ternehmensplanungen enthalten ja, wie sich immer wieder zeigt, in vielen Fällen einen gewissen eingebauten Optimismus. So wird typischerweise die Annahme gemacht, daß Umsätze schneller wachsen als die entspre­ chenden Aufwendungen, daß also Produktivitätsfortschritte und Ratio­ nalisierungseffekte eintreten. Die tatsächliche Entwicklung bestätigt diese Annahmen bekanntlich nicht immer.

Besonders verbreitet sind (zu) optimistische Annahmen besonders bei Unternehmenszusammenschlüssen. Hier ist vielfach von "Synergien", insbesondere Kosteneinsparungen die Rede, denen aber im betrieblichen Alltag gerade durch den Zusammenschluß entstandene Integrations­ kosten und andere Aufwendungen gegenüberstehen, die im nachhinein nicht selten die positiven Wirkungen des Zusammenschlusses zunichte machen.

Echte Synergieeffekte, also solche, die ausschließlich durch die Koopera­ tion mit einem bestimmten Unternehmen zu erwarten sind, sollen bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte nicht berücksichtigt wer­ den. Sie beruhen auf subjektiven Faktoren des speziellen Kaufinteres­ senten, und ihre Berücksichtigung würde dazu führen, daß die Eigentü­ mer des (noch) selbständigen Unternehmens z.B. bei der Bemessung von Abfindungen beim Abschluß von Gewinnabführungsverträgen über das Maß begünstigt würden, das der Ertragswert ihres Unternehmens, für sich selbst genommen, zulässt. Unechte Synergieeffekte, also solche, die mit beliebigen Partnern erreichbar sind, sollen dagegen Berücksichtigung finden. Dazu gehören z. B. Verlustvorträge, die durch den Zusammen­ schluß mit einem Partner zur Erzielung steuerfreier Gewinne genutzt werden können. Umstritten ist, inwieweit auch bei einer Bewertung, die einen objektivier­ ten Wert zum Ziel hat und demtentsprechend das Unternehmen grund­ sätzlich so bewerten soll, "wie es steht und liegt", vorhandene Verbes­ serungspotentiale zu berücksichtigen sind. Wenn die Ergebnisse der Ver­ gangenheit offensichtlich durch Versäumnisse der Geschäftsleitung be­ dingt waren, die ein typischer Übernehmer ohne große Probleme abstel­ len könnte, sollten die sich daraus ergebenden Ertragsverbesserungen berücksichtigt werden. Dies gilt selbst dann, wenn kein konkreter Käufer

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mit Umstrukturierungsplänen bekannt ist, wenn aber davon ausgegan­ gen werden kann, daß praktisch jeder potentielle Übernehmer so han­ deln würde. Denn in diesem Fall hat das Unternehmen praktisch nur für den jetzigen Inhaber einen relativ geringen subjektiven Wert. Der objekti­ vierte Wert oder Verkehrswert liegt aber darüber.

Bei der Bewertung aus der subjektiven Perspektive eines Käufers sind sowohl echte als auch unechte Synergieeffekte zu berücksichtigen. Denn der Entscheidungswert des Käufers, also die Preisobergrenze, die er ge­ rade noch zu akzeptieren bereit ist, hängt von den Überschüssen ab, die er mit dem Unternehmen erzielen kann. Besonders kompliziert wird die Schätzung der zukünftigen Überschüsse, wenn ein Käufer den Erwerb als einen Schritt im Rahmen einer ganzen Wachstums- und Akquisitionsstrategie sieht. Bekanntlich werden bei Ak­ quisitionen gelegentlich strategische Zuschläge gezahlt, die den Preis über den Barwert der aus dem Akquisitionsobjekt erwarteten Überschüs­ se einschließlich der direkt meßbaren Synergievorteile hinaus hochtrei­ ben. Aus Käufersicht sind dann mit dem Erwerb Vorteile verbunden, die sich erst durch weitere Akquisitionsschritte oder andere strategische Maßnahmen realisieren werden und dementsprechend zum Zeitpunkt des Erwerbs schwer quantifizierbar sind. In neuerer Zeit wird versucht, die Wertbeiträge der zusätzlichen Handlungsmöglichkeiten, die eine Ak­ quisition liefert, durch eine Bewertung nach dem Realoptionsansatz abzu­ bilden. Dabei werden Modelle, die aus dem Bereich der Finanzmärkte stammen (z. B. für die Bewertung von Aktien- und Währungsoptionen), auf Realinvestitionen übertragen. Weit verbreitet sind diese Ansätze je­ doch bisher nicht.

Die Prognose der zukünftigen Überschüsse ist wohl das schwierigste Pro­ blem der Bewertung überhaupt. Es ist nicht davon auszugehen, daß es jemals vollständig gelöst werden wird, da wir die Zukunft eben nicht ken­ nen, sondern auf Annahmen über die weitere Entwicklung angewiesen sind. Entscheidend für die Güte der Prognose und damit auch der Bewer­ tung ist die Bereitschaft, von einer sorgfältigen Analyse der Vergangen­ heit ausgehend diese Annahmen vernünftig zu treffen und jederzeit kri­ tisch auf ihre Realitätsnähe und Konsistenz zu prüfen. Dadurch wird man jedenfalls zu besseren Ergebnisse gelangen als mit den nach wie vor sehr populären Methoden, nach denen die Zukunft einfach eine unveränderte Fortsetzung der Vergangenheit darstellt, wenn z. B. der Ertragswert auf der Basis z.B. der durchschnittlichen Überschüsse der letzten drei oder

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fünf Jahre ermittelt wird. Dies kann selbstverständlich auch einmal ange­ messen sein, etwa bei Unternehmen, die ohne erkennbares Wachstum und ohne große Schwankungen der Erträge mehr oder weniger konstan­ te Zahlen präsentieren.

Selbst in solchen Fällen ist jedoch das Fortschreiben der Vergangenheit, regelmäßig verbunden mit der Anwendung des Modells der "ewigen Rente", zweifelhaft. Sogar wenn es akzeptabel erscheint, langfristig, ja selbst auf mittlere Sicht von konstanten oder konstant wachsenden Überschüssen auszugehen, können sich bereits dann, wenn nur für die nächste Zukunft davon abweichende Überschüsse vorauszusehen sind, gravierende Einflüsse auf den Unternehmenswert ergeben.

Beispiel: Ein Unternehmen rechne langfristig mit Überschüssen von 300.000,€ pro Jahr. Im Modell der ewigen Rente ergibt sich daraus bei einem Kalkulationszins von 20% ein Ertragswert von 1,5 Mio. € (300.000 / 20% =1.500.000). Jetzt werden die Annahmen minimal variiert: Wieder wird von einer "ewigen Rente" von 300.000,- € pro Jahr ausgegangen. Die ersten zwei Jahre können jedoch keine Entnahmen bzw. Ausschüttungen vorgenommen werden, da Mittel für Anlageinvestitionen, Schulden­ tilgung oder für den Aufbau eines Lagerbestandes benötigt werden. Es ergibt sich folgende Zahlungsreihe: Jahr 1 2 3ff.

Überschuß 0 0 300.000

Der Unternehmenswert beträgt nun nicht mehr 1,5 Mio. €, sondern nur noch 1,04 Mio. €. Denn die ewige Rente der Jahre 3ff. hat zu Beginn des dritten Jahres den Barwert 1,5 Mio. €. Wird dieser auf dem Bewertungsstichtag , also für zwei Jahre abgezinst, ergibt sich folgender Ertragswert: 1.500.000 : (1,2 x 1,2)= 1.041.667

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Der Unternehmenswert liegt also jetzt um 30% unter dem Betrag, der sich bei einfacher Anwendung der ewigen Rente ergibt. Dafür mußten keine spektakulären Annahmen gemacht werden, insbesondere wurde nicht von Verlusten ausgegangen. Das Beispiel zeigt die Gefahr, die darin liegen kann, ungeprüft vom Modell der "ewigen Rente" auszugehen. Es zeigt auch, daß auch derjenige, der grundsätzlich (und zu Recht) skep­ tisch ist, ob unsere prognostischen Möglichkeiten ausreichen, die Zukunft hinreichend genau zu erfassen, sich zumindest die Mühe machen muß, die Ertrags- und Überschußentwicklung der stichtagsnahen Phase so gut wie möglich zu modellieren.

3.4 Die Überschüsse: Varianten Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Ansätze, die zukünftigen Über­ schüsse, deren Barwert den Unternehmenswert ergibt, abzugrenzen. Zum einen kann man auf die Überschüsse abstellen, die den Eigentü­ mern, also den Eigenkapitalgebern zur Verfügung stehen. Der Barwert dieser Überschüsse ist dann der Wert des Eigenkapitals. Er entspricht dem, was zumindest in Deutschland im allgemeinen als Unternehmens­ wert verstanden wird. In gleicher Weise wird ja auch als Marktwert eines börsennotierten Unternehmens die "Marktkapitalisierung" (Anzahl der Aktien x Kurs), also wiederum der Wert des Eigenkapitals bezeichnet. Man kann aber auch, und dies stellt die zweite Möglichkeit dar, die finan­ ziellen Überschüsse kapitalisieren (abzinsen), die allen Kapitalgebern zur Verfügung stehen. Dies sind dann nicht nur Entnahmen oder Ausschüt­ tungen für die Eigenkapitalgeber, sondern auch die Zinsen und Tilgungen, die den Fremdkapitalgebern zustehen. Der Barwert dieser Überschüsse ergibt dann den Gesamtwert, den das Unternehmen für alle Kapitalgeber unabhängig von der Klassifizierung in Eigen- oder Fremdkapital hat. Zieht man dann von diesem Gesamtwert den Wert des Fremdkapitals ab, er­ hält man wiederum den Wert des Eigenkapitals, also den Unternehmens­ wert im engeren Sinne. Beide Arten der Berechnung sollten natürlich möglichst zum gleichen Unternehmenswert führen. Dies ist jedoch nicht so selbstverständlich, wie es sich zunächst anhört, sondern erfordert eine Reihe von Annah­ men.

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Das in Deutschland traditionell vorherrschende Ertragswertverfahren geht von den Zahlungsströmen aus, die den Eigenkapitalgebern zuste­ hen. Der Unternehmenswert als Wert des Eigenkapitals wird hier also direkt ermittelt. Gleiches gilt für die "equity"-Version des Discounted Cash Flow-Verfahrens. Auch hier wird ohne Umweg über den Gesamt­ wert des Unternehmens direkt auf den Wert des Eigenkapitals (equity) abgezielt. Ertragswertverfahren und die equity-Methode des Discounted Cash Flow-Verfahrens sind also weitgehend deckungsgleich.

In der „entity"-Version des Discounted Cash Flow-Verfahrens wird dage­ gen zunächst der Gesamtwert des Unternehmens errechnet. Der Wert des Eigenkapitals ergibt sich dann, wie beschrieben, als Differenz aus Gesamtwert und dem Wert des Fremdkapitals.

Unabhängig vom Verfahren beruht dabei der Unternehmenswert nicht auf handels- oder steuerrechtlichen Erträgen, sondern auf den Über­ schüssen, die den Kapitalgebern zur Verfügung stehen. Auch das Ertrags­ wertverfahren rechnet entgegen seinem Namen nicht mit bilanziellen Erträgen, sondern mit entziehbaren Überschüssen. "Entziehbar" bedeu­ tet dabei, daß die Überschüsse nicht für Investitionen in Anlagevermögen oder den Aufbau von Vorrats- und Forderungsbeständen ("working capital") verwendet werden müssen, sondern daß sie für Ausschüttungen oder Entnahmen zur Verfügung stehen. Würden dagegen auch die nicht ausgeschütteten Erträge in die Bewer­ tung einbezogen, ergäbe sich eine Doppelzählung. Denn die nicht ausge­ schütteten, also investierten Erträge würden einerseits direkt als Teil des diskontierten Überschusses des Jahres, in dem sie anfallen, den Unter­ nehmenswert erhöhen, andererseits tragen sie aber durch die Investition zu zukünftigem Wachstum und damit zukünftig höheren Überschüssen bei, die wiederum selbst in die Berechnung eingehen. Prinzipiell können dabei die entziehbaren Überschüsse höher oder niedri­ ger als die bilanziellen Jahresüberschüsse sein. Werden mehr Mittel er­ wirtschaftet, als für Investitionen in das Anlagevermögen und für den Aufbau des Umlaufvermögens benötigt werden, liegen die entziehbaren Überschüsse über dem bilanziellen Gewinn (Jahresüberschuß). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Jahresüberschuß durch hohe Abschreibungen gemindert wurde, denen kein entsprechender aktueller Investitionsbedarf gegenübersteht. Umgekehrt kommt es vor, daß die benötigten Investitionsausgaben über den Abschreibungen liegen und

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insofern der Jahresüberschuß nicht voll für Ausschüttungen zur Verfü­ gung steht. Zusätzlich ist jeweils der Bedarf für die Ausweitung des Vor­ ratsvermögens zu bedenken. In dem Maße, wie Anlage- und Umlauf­ vermögen durch zusätzliches Fremdkapital finanziert werden können, mindert der Investitionsbedarf nicht die entziehbaren Überschüsse. In diesem Fall ist aber für die Berechnung zu bedenken, daß in der Zukunft zusätzlicher Zinsaufwand entsteht. Tabelle 1 zeigt beispielhaft die Ermittlung der entziehbaren Überschüsse in den beiden genannten Versionen. Bei der Berechnung nach der Netto­ methode (Ertragswertverfahren, equity-Methode) werden vom Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT=Earnings Before Interests and Taxes) von 1.000 zunächst die Zinsen in Höhe von 300 abgezogen, um das Ergebnis vor Steuern zu ermitteln. Bei einem unterstellten Steuersatz von betrieb­ lichen Steuern (hier: Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer) von 40% entsteht eine Steuerbelastung von 280 (700 x 40%) und damit ein Jahresüberschuß von 420. Da die erforderlichen Investitionen um 50 über den Abschreibungen liegen und zusätzlich 50 Geldeinheiten in die Vorräte investiert werden müssen, beträgt der entziehbare Überschuß jedoch nur 320 Geldeinheiten.

Tabelle 1: Überschüsse nach Nettomethode/Bruttomethode

Betriebsergebnis - Zinsen Ergebnis vor Steuern - Steuern + Abschreibungen - Investitionen - Zuwachs Umlaufvermögen

Entziehbarer Überschuß

Nettomethode 1.000 -300 700 -280 200 -250 -50

320

Bruttomethode 1.000 0 1000 -400 200 -250 -50

500

Den Ausgangspunkt für die Berechnung des entziehbaren Überschusses nach der Bruttomethode (entity-Ansatz) bildet wieder das Ergebnis vor Zinsen und Steuern. Da hier der Überschuß ermittelt werden soll, der al­ len Kapitalgebern zur Verfügung steht, sind die Zinsen nicht abzuziehen, da sie ja den Teil des Überschusses darstellen, der den Fremdkapital­ gebern zufließt. Das Ergebnis vor Steuern entspricht also hier dem Ergeb­

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nis vor Zinsen und Steuern. Es werden nun die Steuern abgezogen, die sich ergeben hätten, wenn das Unternehmen vollständig eigenfinanziert wäre, wenn also das Ergebnis auch im steuerlichen Sinne den Gewinn darstellte. Die Steuern betragen dementsprechend hier 40% von 1.000 = 400. Bei gleichen Annahmen über Abschreibungen, Investitionen und für den Aufbau des Umlaufvermögens benötigte Mittel ergibt sich ein entziehbarer Überschuß von 500. Bemerkenswert ist, daß der entziehbare Überschuß nach der Brutto­ methode nicht, wie man erwarten könnte, um die gezahlten Zinsen von 300 über dem entziehbaren Überschuß nach der Nettomethode liegt, sondern nur um einen Betrag von 180 Geldeinheiten. Die Differenz von 120 wird durch die Steuern erklärt, die zwar wegen der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Zinsen nicht wirklich anfallen, aber hier abgezogen werden. Der entziehbare Überschuß nach der Bruttomethode ist insofern um diese Steuern "zu niedrig". Dies wird bei der Bemessung des Kalkulationszinssatzes zu berücksichtigen sein, der ebenfalls um den gleichen Faktor "zu niedrig" angesetzt wird.

Warum dieses scheinbar komplizierte Vorgehen? Die Antwort liegt in der Funktion, die eine Bewertung nach der Bruttomethode hat. Sie soll zei­ gen, welche entziehbaren Überschüsse das Unternehmen unabhängig von seiner Kapitalstruktur (Aufteilung in Eigen- und Fremdkapital) erwirt­ schaftet. Dadurch wird es möglich, die Überschüsse verschiedener Unter­ nehmen auf der operativen Ebene, unbeeinflusst von den Effekten, die die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Eigen- und Fremdkapital mit sich bringt, zu vergleichen. Die Berechnung der Überschüsse nach der Bruttomethode, die auch "Free Cash Flow" genannt werden, gehört des­ halb insbesondere zum Repertoire von Beratern und Analysten, die einen "Shareholder Value"-Ansatz verfolgen, wobei es unter anderem darauf ankommt, die operativen Wertbeiträge von denen zu unterscheiden, die auf der Finanzierungsstruktur (z. B. durch die steuerliche Abziehbarkeit von Zinsen) beruhen. Das Beispiel trifft im übrigen nicht vollständig die deutschen steuerlichen Bedingungen, da unterstellt wird, daß Zinsen in vollem Umfang die Steuerlast mindern. Denn die bei der Nettomethode berücksichtigten Zinsaufwendungen führen ja im Beispiel zu einer Steuerentlastung von 120. Da Aufwendungen für Dauerschuldzinsen jedoch in Deutschland die Gewerbesteuer nur hälftig mindern, wäre der Steuereffekt etwas gerin­ ger. Davon soll hier abgesehen werden.

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Festzuhalten bleibt, daß es unabhängig von der angewandten Methode in der Unternehmensbewertung nicht um die handelsrechtlichen Gewin­ ne geht, die das Ergebnis des Jahresabschlusses darstellen, sondern um die entziehbaren Überschüsse. Wenn heute modern von Discounted Cash Flows gesprochen wird, ist damit nichts anderes gemeint. Der Cash Flow ist in dieser Bedeutung nichts anderes als der entziehbare Überschuß.

3.5 Überschüsse vor und nach persönlichen Steuern Klar ist, daß bei der Ermittlung der entziehbaren Überschüsse (Cash Flows, Free Cash Flows) die Ertragsteuern abzuziehen sind, die auf der Unternehmensebene anfallen. Bei Einzelunternehmen und Personen­ gesellschaften ist dies in Deutschland ausschließlich die Gewerbesteuer, bei Kapitalgesellschaften zusätzlich die Körperschaftsteuer zzgl. Soli­ daritätszuschlag. Die Gewerbesteuer belastet die Vor-Steuer-Erträge je nach Hebesatz der Gemeinde mit etwa 13 bis 19%, die Körperschafts­ teuer das nach Abzug der Gewerbesteuer verbleibende Einkommen mit 25%. Insgesamt kann damit bei Kapitalgesellschaften von einer Unter­ nehmenssteuerbelastung von etwa 40% ausgegangen werden. Bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften hat die Gewerbesteuer dagegen einen gestaffelten (progressiven) Tarif und zudem einen Freibe­ trag, so daß die Belastung je nach Höhe des Gewerbeertrags unter­ schiedlich hoch ausfällt.

Seit einigen Jahren besteht in Deutschland eine Tendenz, neben den Unternehmenssteuern auch die persönlichen Steuern des Eigentümers oder der Anteilseigner zu berücksichtigen. Der Wert des Unternehmens, so heißt es, hänge von der Höhe der Zuflüsse ab, die der Investor tatsäch­ lich zur Verfügung habe, dies seien aber die Nettozahlungen. Für Wirtschaftsprüfer ist die Einbeziehung der persönlichen Ertragsteuern nunmehr durch den Standard S1 des IDW vorgeschrieben. Um subjektive Entscheidungswerte für Käufer oder Verkäufer zu bestimmen, sollen die konkreten steuerlichen Verhältnisse der Betroffenen zugrundegelegt werden. Bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte ist dage­ gen ein typisierter Ertragsteuersatz zugrundezulegen, und zwar auch dann, wenn dem Gutachter die steuerlichen Verhältnisse der Betroffenen bekannt sind. Als sachgerecht erscheint dabei ein typisierter Steuersatz von 35%. Aufgrund des seit 2001 geltenden Halbeinkünfteverfahrens für

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Gewinnanteile (Dividenden) von Kapitalgesellschaften ist demnach bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften mit einem typisierten persönli­ chen Steuersatz von 17,5% zu kalkulieren. Da die Steuerbelastung die zu kapitalisierenden Überschüsse mindert, muß auch die Alternativrendite, mit der die Überschüsse abgezinst wer­ den, entsprechend verkleinert werden. Denn sonst würden Nettoerträge aus einem Unternehmen mit Brutto-(Vor-Steuer-)Erträgen z. B. aus einem festverzinslichen Wertpapier verglichen. Obwohl also Zähler (Überschüsse) und Nenner (Kalkulationszins) um den gleichen Steuersatz gekürzt werden, ist die Einbeziehung persönlicher Steuern für das Ergebnis der Unternehmensbewertung durchaus nicht ohne Belang. Im Spezialfall der ewigen Rente verändert sie das Ergebnis nicht, wie Tabelle 2 zeigt:

Tabelle 2: Kapitalisierung vor/nach Steuern Fall 1: ewige Rente Steuersatz 35%

Überschuß Steuer Überschuß nach Steuer Kalkulationszins

Barwert der ewigen Rente

vor Steuern 100

10% 1.000

nach Steuern 100 -35 65 6,5%

1.000

Werden also Überschüsse und Kalkulationszins in gleicher Weise um z. B. 35% gekürzt, berührt dies den Barwert der ewigen Rente als Ergebnis der Unternehmensbewertung nicht. Im allgemeinen fallen aber das Ergebnis der Vor-Steuer-Rechnung und der Nach-Steuer-Rechnung nicht ineinander. Dies wird an dem folgenden Beispiel mit einer unregelmäßigen Folge von Überschüssen deutlich, wo­ bei der in Periode 3 anfallende Brutto-Überschuß von 1.000 den Barwert aller Überschüsse repräsentiert, die in den Perioden 4ff. anfallen. Man kann sich dies auch als den gedachten Brutto-Verkaufserlös erzielen, der am Ende der dritten Periode für das Unternehmen erzielt wird.

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Tabelle 3: Kapitalisierung vor/nach Steuern Fall 2: variable Überschüsse Steuersatz 35%

vor Steuern Zins: Jahr 1 2 3

Wert

Ünerschuß 100 200 1.000

10% Barwert 90,90 165,29 751,31

nach Steuern 10% Überschuß Barwert 65 61,03 130 114,62 650 538,10

1.007,50

713,75

Die Vor-Steuer-Rechnung führt hier zu einem gerundeten Unternehmens­ wert von 1008, die Nach-Steuer-Rechnung zu einem Unternehmenswert von 714. Die Berücksichtigung der Einkommensteuer wirkt hier also durchaus nicht neutral.

Es scheint, daß sich insbesondere bei der Unternehmensbewertung durch Wirtschaftsprüfer die Nach-Einkommensteuer-Rechnung durchsetzt. Möglicherweise schafft sie allerdings mehr Probleme als sie löst. Zum ei­ nen wird durch die zweifellos notwendige Typisierung der Anspruch, die Bewertung auf der Grundlage der individuellen Nettozuflüsse für den ein­ zelnen Investor vorzunehmen, gerade nicht erfüllt. "Typisierung" und Individualität schließen sich gerade aus. An der Typisierung selbst zeigen sich also gerade die Grenzen des Konzepts. Zum anderen ist auch das Rechnen mit Netto-Vergleichsrenditen durchaus nicht so unproblema­ tisch, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn selbst für ein einfaches festverzinsliches Wertpapier(z. B. Bundesanleihe) ergibt sich die Netto­ rendite des Investors keineswegs durch Kürzung der Bruttorendite um den individuellen Steuersatz. Dies ist vielmehr nur in den ganz seltenen Fällen so, in denen die Rendite genau dem Zins (Coupon) entspricht. In allen anderen Fällen liegt die Nettorendite teilweise deutlich unter oder über dem sich rechnerisch ergebenden Wert. International ist im übrigen in der Unternehmensbewertung das Rechnen mit Nettogrößen nicht üblich. Insbesondere die Discounted Cash FlowVerfahren beziehen nur die Steuern auf Unternehmensebene, nicht aber die persönlichen Einkommensteuern in ihre Kalküle ein. Auch wenn die

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Nettokapitalisierung insofern einen gewissen deutschen Sonderweg in der Unternehmensbewertung darstellt, wird sie in den nächsten Jahren aufgrund der Festlegungen, die die Wirtschaftsprüfer in Deutschland zumindest für sich getroffen haben, wohl die überschußorientierten Be­ wertungen bestimmen.

3.6 Das Vorsichtsprinzip In der Bilanzierung gilt im allgemeinen und besonders im deutschen Han­ delsrecht das Vorsichtsprinzip. Gewinne sind erst dann zu berücksichti­ gen, wenn sie realisiert sind. Risiken und Verluste dagegen sind schon dann zu bilanzieren, wenn sie zum Abschlußstichtag entstanden sind, selbst wenn ihre Realisierung noch in der Zukunft liegt. Chancen und Risiken werden insofern im Jahresabschluß nicht symmetrisch betrachtet. Risiken sind früher zu berücksichtigen als Chancen.

Bei der Prognose der zukünftigen Überschüsse im Rahmen einer Unter­ nehmensbewertung ist dies anders. Dies folgt schon aus dem Gebot der Unparteilichkeit, das für einen neutralen Gutachter oder Schiedsgut­ achter gilt. Eine Überbetonung der Risiken würde den Unternehmenswert über Gebühr senken und damit den Käufer oder den abfindenden Unter­ nehmer begünstigen, den Verkäufer oder den abzufindenden Gesell­ schafter oder Ehepartner dagegen benachteiligen. Dies gilt umso mehr, als durch die Kapitalisierung mit einem risikoange­ paßten Zinssatz das Risiko ohnehin bereits berücksichtigt wird. Wenn es noch einmal durch eine "vorsichtige" Ertragsprognose Eingang in die Unternehmensbewertung fände, wäre dies eine Doppelzählung. Die Pro­ gnose soll insofern nicht von einem pessimistischen Wert für die zukünfti­ gen Überschüsse ausgehen, sondern vom Mittelwert (Erwartungswert).

Früher wurde häufig verlangt, das allgemeine Unternehmerrisiko durch Zuschläge im Kalkulationszins zu erfassen, die speziellen Risiken des Un­ ternehmens aber durch eine vorsichtige Ertragsprognose zu berücksich­ tigen. Eine solche Vorgehensweise ist heute nicht mehr üblich. Bei der Ertragsprognose ist vielmehr vom wahrscheinlichsten Wert oder Mittel­ wert auszugehen. Die Risiken sollen vollständig durch den Kalkulations­ zins abgebildet werden.

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3.7 Nicht betriebsnotwendiges Vermögen Der Wert der betrieblichen Substanz ist grundsätzlich im Ertragswert ent­ halten. Die betriebsnotwendige Substanz trägt zur Erzielung von Über­ schüssen bei. Dies ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht ihre Funktion und bestimmt ihren Wert. Für einen zusätzlichen oder von dieser Funktion unabhängigen Wert ist darüber hinaus kein Raum.

Daneben verfügen Unternehmen aber häufig über Vermögen, das keinen Beitrag zur Erzielung von Überschüssen leistet oder dessen Wertbeitrag geringer ist als der Wert, der sich bei einer Veräußerung erzielen ließe. Solche Vermögensgegenstände könnten veräußert werden, ohne daß die eigentliche betriebliche Tätigkeit wesentlich berührt würde. Beispiele für nichtbetriebsnotwendiges Vermögen stellen unbebaute oder aus anderen Gründen nicht genutzte Grundstücke dar, Beteiligungen, die mit dem Kerngeschäft nichts oder nichts mehr zu tun haben, bei Klein­ unternehmen auch wohl manche Fahrzeuge, die eher dem privaten Ver­ gnügen der geschäftsführenden Gesellschafter als der betrieblichen Leistungserstellung dienen. Nichtbetriebsnotwendiges Vermögen ist im Rahmen einer überschußorientierten Unternehmensbewertung mit dem Liquidationswert, also dem Preis, der bei einer Veräußerung erzielt wer­ den könnte, anzusetzen. Die mit diesem Vermögen verknüpften Einnah­ men oder Ausgaben sind dann konsequenterweise bei der Bestimmung der zukünftigen finanziellen Überschüsse außer acht zu lassen. Wird etwa ein überdimensioniertes Gebäude, das von dem Unternehmen kaum (noch) genutzt werden kann, mit dem Liquidationswert angesetzt, entfallen z. B. Grundsteuer, andere Abgaben, Erhaltungsaufwendungen. Andererseits ist für die Flächen, die das Unternehmen tatsächlich benutzt hat und die nun (zumindest gedanklich) nicht mehr zur Verfügung stehen, eine kalkulatorische Miete überschußmindernd anzusetzen. Waren zur Finanzierung dieses Gebäudes Verbindlichkeiten eingegangen worden, wird in der Regel unterstellt, daß diese aus dem Liquidationserlös getilgt werden. Dementsprechend sind bei den zukünftigen Überschüssen auch keine Zinsen für diese Verbindlichkeiten mehr zu berücksichtigen.

Gehört eine Beteiligung zum nichtbetriebsnotwendigen Vermögen, sind die Beteiligungserträge bei der Ermittlung der zukünftigen Überschüsse zu eliminieren. Andererseits können auch hier die Zinsen, die bisher für die Finanzierung der Beteiligung aufgewendet wurden, entfallen.

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Wurde kurz nach dem Bewertungsstichtag tatsächlich eine Veräußerung vorgenommen, enthält man aus dem Veräußerungserlös einen Anhalts­ punkt für den Ansatz des Liquidationswertes. Es ist dann allerdings zu prüfen, ob der tatsächlich erzielte Preis nicht auf Faktoren beruht, die zum Bewertungsstichtag noch nicht vorlagen. Im übrigen wird für den Liquidationswert eine Schätzung erforderlich. Bei Grundstücken wird man dazu möglichst einen Sachverständigen für Grundstücksbewertung her­ anziehen, bei Beteiligungen wird eine eigene Unternehmensbewertung erforderlich, bei der es darauf ankommt, einen marktgerechten (objekti­ vierten ) Wert zu ermitteln. Die mit der Liquidation verbundenen Kosten (Transaktionskosten) sind vom Liquidationswert abzuziehen. Der Wert ist ferner um die Steuern zu kürzen, die bei einer Veräußerung anfallen, insbesondere also um die Ertragsteuern auf Veräußerungsgewinne, bei Grundstücken um die Grunderwerbsteuer, soweit sie vom Verkäufer zu tragen ist.

3.8 Kalkulatorische Kosten Eine überschußorientierte Bewertung wird aus der Sicht eines Investors vorgenommen, der Investitionen in Unternehmen als eine Möglichkeit der Kapitalanlage unter anderen betrachtet. In die Bewertung dürfen deshalb nur die Überschüsse eingehen, die einem Investor für seine Überlassung von Kapital zustehen. Sofern die erzielten Gewinne Bestandteile enthal­ ten, mit denen andere Leistungen abgegolten werden, zählen sie für die Unternehmensbewertung nicht.

Zu diesen anderen Leistungen gehört insbesondere das eigene Engage­ ment des Gesellschafters im Unternehmen. Wird dieses Engagement nicht durch ein angemessenes Geschäftsführergehalt entgolten, ist der Gewinn dementsprechend um einen kalkulatorischen Unternehmerlohn zu kürzen. Gleiches gilt dann, wenn z. B. ein GmbH-Geschäftsführer sich (z. B. aus Vorsichtsgründen) ein unangemessen niedriges Gehalt zahlt. Denn auch in diesem Fall würde ein fremder Dritter, der das Unterneh­ men erwirbt, aber rein aus Investorensicht betrachtet, einen Geschäfts­ führer einsetzen müssen, der ein höheres, marktgerechtes Gehalt ver­ langt. Der Gewinn und damit auch die entnehmbaren Überschüsse wür­ den dementsprechend zurückgehen. Umgekehrt zahlen sich insbeson­ dere geschäftsführende Gesellschafter oft Gehälter, die (im Rahmen des

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steuerlich gerade noch tolerierten) über dem liegen, was fremde Dritte als Geschäftsführergehalt erhalten würden. In diesen Fällen sind schon bei der Vergangenheitsanalyse, aber auch bei der Zukunftsprognose nur die Bestandteile des Geschäftsführergehalts anzusetzen, die markt­ gerecht sind. Ganz ähnliche Überlegungen wie für die Gehälter gelten auch für Mieten. Wenn Gebäude aufgrund persönlicher, insbesondere familiärer Verflechtung zwischen Vermieter und Gesellschaft zu nicht marktgerechten Mieten überlassen werden, sind diese Mieten für Zwe­ cke der Unternehmensbewertung entsprechend zu kürzen oder herauf­ zusetzen. Den Maßstab bildet eine marktgerechte, ortsangepaßte Miete für entsprechende Gebäude. Korrekturen sind schließlich gelegentlich bei Zinsaufwendungen und erträgen notwendig, nämlich dann, wenn Gesellschafter ihren Unterneh­ men Darlehen geben oder von diesen erhalten, die zu nicht markt­ gerechten Konditionen verzinst werden.

3.9 Vollausschüttung und Ausschüttungsbeschränkungen Bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte wird in der Regel unterstellt, daß die entziehbaren Überschüsse auch in voller Höhe entzo­ gen, also entnommen bzw. ausgeschüttet werden. Denn hier kommt es darauf an, das Unternehmen in dem zum Stichtag vorhandenen Umfang zu bewerten. Veränderungen der Kapitalstruktur, also etwa eine Erhö­ hung der Eigenkapitalquote, und Erweiterungsinvestitionen, die ebenfalls die Einbehaltung von Gewinnen erfordern, sind nur zu berücksichtigen, soweit sie am Bewertungsstichtag bereits konkret eingeleitet waren.

Bei der Ermittlung subjektiver Unternehmenswerte, also etwa im Auf­ trage eines Unternehmenskäufers, kann es demgegenüber notwendig sein, zu unterstellen, daß ein Teil oder gar der vollständige entziehbare Überschuß für einen gewissen Zeitraum einbehalten wird, wenn z.B. die Absicht besteht, das Unternehmen stark zu erweitern.

In jedem Fall muß aber geprüft werden, ob die Überschüsse überhaupt für Ausschüttungen oder Entnahmen zur Verfügung stehen. Denn insbe­ sondere bei Kapitalgesellschaften gibt es eine Reihe von rechtlichen Be­ schränkungen für Ausschüttungen. So steht der Jahresüberschuß etwa in

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dem Maße, wie das Unternehmen noch gesetzliche Rücklagen zu bilden hat, nicht für Ausschüttungen zur Verfügung. Dies gilt umso mehr, wenn das Eigenkapital durch Verluste der Vergangenheit gemindert wurde oder das Unternehmen gar bilanziell überschuldet ist (negatives Eigenka­ pital). Auch bei Kommanditanteilen, die durch Verluste unter den Betrag der Kommanditeinlage gemindert sind, kann man nicht mehr von ent­ nahmefähigen Überschüssen ausgehen, da im Umfang der Entnahme die Haftung des Kommanditisten wieder auflebt. In Einzelfällen wird man auch wohl aus wirtschaftlichen Gründen davon ausgehen müssen, daß Überschüsse nicht in vollem Umfang entnahmeoder ausschüttungsfähig sind. Dies gilt etwa für Einzelunternehmer, die aufgrund von Verlusten ein negatives Eigenkapital aufweisen. In diesen Fällen gibt es zwar keine rechtliche Entnahmesperren, es besteht aber oft einfach die wirtschaftliche Notwendigkeit, wieder Eigenkapital zu bilden.

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4

Der Kalkulationszins

4.1

Elemente

Um den Barwert der zukünftigen Überschüsse zu bestimmen, muß ein angemessener Kalkulationszins festgelegt werden, mit dem die Über­ schüsse abgezinst werden können. Der Kalkulationszins besteht aus den folgenden Elementen:

• Basiszins

• Risikozuschlag • Steuersatz

• Wachstumsabschlag.

Risikozuschlag, Steuersatz und Wachstumsabschlag haben die Aufgabe, für Äquivalenz zwischen den zu kapitalisierenden Zahlungsströmen und den Zahlungsströmen einer Vergleichsanlage, deren Rendite den Basiszins darstellt, zu sorgen. Es müssen nicht immer alle vier Elemente gleichzeitig vorkommen. Sollen z. B. nominal, also ohne Bereinigung um den Inflationseffekt geplante Zahlungsströme (Cash Flows, entziehbare Überschüsse) vor dem Abzug persönlicher Ertragsteuern diskontiert werden, besteht der Kalkulations­ zins nur aus dem Basiszins und dem Risikozuschlag. Beispiel: Basiszins Risikozuschlag Kalkulationszins

6% 4% 10%

Werden dagegen nominale Überschüsse nach Steuern diskontiert, ist ein Steuerabschlag in den Kalkulationszins einzubauen: Basiszins Risikozuschlag Steuersatz Kalkulationszins

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6% 4% 30% 7%

In diesem Beispiel wurde der Vor-Steuer-Kalkulationszins um einen rele­ vanten Steuersatz von 30% gekürzt, so daß sich ein Nach-Steuer-Zins von 7% ergibt. Ein Wachstumsabschlag ist schließlich vorzunehmen, wenn unterstellt wird, daß die Überschüsse mit einer konstanten Rate wachsen. Der wichtigste Anwendungsfall ist die ewige Rente, die im Anschluß an eine detailliert geplante erste Zukunftsphase unterstellt wird.

Beispiel: Basiszins 6% Risikozuschlag 4% Steuersatz 30% Wachstumsabschlag 1% Kalkulationszins 6%

Hier wurde also unterstellt, daß die Überschüsse mit einer konstanten Rate von 1 % pro Jahr wachsen. Anstatt dies im Zähler, also bei den Überschüssen, zu berücksichtigen, läßt es sich einfacher im Nenner, also im Kalkulationszins erfassen. Der niedrigere Zins bildet exakt das gleich­ mäßige Wachstum der Überschüsse ab. Wichtig ist die Reihenfolge, in der die einzelnen Elemente verknüpft wer­ den. Der Risikozuschlag wird im allgemeinen "brutto", also vor Steuern, definiert, so daß die Steuerbelastung sich auf die Summe aus Basiszins und Risikozuschlag beziehen muß. Der Wachstumsabschlag ist dagegen am Ende der Berechnung einzuführen. Würde er "brutto", also vor Kür­ zung um den Steuersatz, angesetzt, würde man unterstellen, daß die Nach-Steuer-Überschüsse langsamer wachsen als die Vor-Steuer-Überschüsse. Dies ist aber bei einem konstanten Steuersatz falsch. Die einzel­ nen Elemente müssen also in der in den Beispielen angegebenen Reihen­ folge miteinander kombiniert werden. Der Steuersatz steht an der drit­ ten, der Wachstumsabschlag an der vierten Stelle.

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4.2

Der Basiszins

Der Basiszins stellt die Verzinsung dar, die ein Investor durch eine "risiko­ lose" Geldanlage erzielen könnte. Zwar sind tatsächlich risikolose An­ lageformen nicht bekannt. Für praktische Zwecke reicht es aber, wenn man sich darauf einigt, welche Anlagen als risikolos betrachtet werden. Andere Anlageformen können dann im Verhältnis zu diesen "risikolosen" Anlagen bewertet werden.

Es besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß die risikolose Verzinsung durch die Rendite langfristiger Staatsanleihen definiert wird. In Deutschland sind dies etwa Bundesanleihen.

Da in der Regel davon ausgegangen wird, daß das zu bewertende Unter­ nehmen eine unendliche Lebensdauer hat, sollten zur Wahrung der zeitli­ chen Äquivalenz möglichst langfristige Papiere zum Maßstab genommen werden. Es bietet sich also an, Papiere mit einer Restlaufzeit von 10 Jah­ ren, besser noch von 15, 20 oder 30 Jahren als Vergleichsmaßstab zu nehmen. Einen ersten Anhaltspunkt für den anzusetzenden Basiszins bildet inso­ fern die Rendite langfristiger "risikoloser" Anleihen zum Bewertungs­ stichtag. Üblicherweise wird dieser Wert dann aber nicht einfach ange­ setzt, sondern es wird zusätzlich geprüft, ob nicht mittel- oder langfristig mit einer anderen Rendite zu rechnen ist. Die Frage ist insofern von Bedeutung, da die Anleiherendite mittel- und langfristig beträchtlich schwankt. In den 90er Jahren zeigte sie allerdings insgesamt eine deutli­ che Tendenz nach unten. Während die Umlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere mit einer Restlaufzeit über 9 bis 10 Jahre im Jahre 1990 noch 8,7% betrug und 1995 immerhin noch 6,9% ausmachte, liegt sie seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre kontinuierlich darunter und hat sich seit 1998 bei etwa 5% oder knapp darunter eingependelt. Es ist aber natürlich nicht auszuschließen, daß die Renditen wieder eine Aufwärts­ bewegung erfahren, wenn auch vermutlich Werte, wie sie Anfang der 90er Jahre vorlagen, wenigstens mittelfristig nicht wieder erreicht wer­ den. Doch selbst wenn die Annahme zuträfe, daß die Renditen wieder deutlich ansteigen, darf daraus nicht gefolgert werden, daß als Basiszins statt der aktuellen Rendite ein langfristiger Durchschnitt (z. B. 7% oder 8% nomi-

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nal) angesetzt werden dürfte. Denn für einen Anleihezeichner, der in Zei­ ten niedriger Renditen eine langfristige Anleihe erwirbt, ist diese deutlich höhere Durchschnittsrendite nicht erreichbar.

Beispiel:

Ein Anleger zeichnet eine neue 30-jährige Anleihe mit einem Coupon von 5%, die zu 100 ausgegeben wird. Das Renditeniveau verändert sich direkt im Anschluß an den Erwerb. Die Änderung der Markt­ rendite beeinflußt aber weder die Zinseinnahmen (5,- € je 100,- € Nennwert) noch die Tilgungszahlung in 30 Jahren (100,- €) sondern ausschließlich die Wiederanlagemöglichkeiten, also die Höhe des Zinseszinseffekts. Die Rendite beträgt nach dem Ablauf von 30 Jahren: Marktrendite Rendite der Anleihe

3%

4,14%

4%

4,55%

5%

5,00%

6%

5,48%

7%

5,99%

8%

6,53%

Selbst wer also die Stichtagsrendite für einen Ausreißer hält, darf nicht einfach eine langfristige Durchschnittsrendite an ihre Stelle setzen. Denn diese ist bei langfristiger Anlage nicht erreichbar. Es gibt zum Bewer­ tungsstichtag keine langfristige sichere Alternativinvestition, die eine solche Durchschnittsrendite ermöglicht. Die langfristig erzielbaren Durchschnittsrenditen können aber, wie das Beispiel zeigt, je nach Veränderung des Zinsniveaus von der aktuellen Rendite abweichen. Sie liegen jedoch immer zwischen der aktuellen Ren­ dite und der veränderten Marktrendite. Wer die Stichtagsrendite durch eine geschätzte Zukunftsrendite ersetzen möchte, muß dies beachten.

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4.3 Der Risikozuschlag Wie oben (Abschnitt 2.1) dargestellt, kann die Abneigung gegen das Risi­ ko, die bei den meisten Investoren vorauszusetzen ist, bei der Bewertung auf zweierlei Weise berücksichtigt werden: • durch einen Abschlag bei den geschätzten Überschüssen • durch einen Zuschlag beim Kalkulationszins. Heute wird das Risiko im allgemeinen ausschließlich durch einen Zuschlag im Zins berücksichtigt. Wichtig ist, daran zu erinnern, daß in diesem Fall die Planung der Überschüsse nicht noch einmal „vorsichtig" oder „risikobewußt" erfolgt. Sonst würde das Risiko doppelt erfaßt.

Während Risikozuschläge früher oft einfach „gegriffen" wurden, ver­ sucht man heute mehr und mehr, sie aus Erfahrungswerten abzuleiten. Dazu hat insbesondere die Ausbreitung der amerikanischen Discounted Cash Flow-Methoden beigetragen, bei deren Anwendung der Risikozu­ schlag im allgemeinen aufgrund von mehr oder weniger fundierten Erfah­ rungswerten gebildet wird. Die empirische Ermittlung von Risikozuschlägen stellt dabei eine Interpre­ tation historischer Renditen dar. Aus der Beobachtung, daß eine bestimm­ te Anlageform höhere Renditen erbracht hat als eine sichere Anlage, wird geschlossen, die Differenz stelle eine „Risikoprämie" dar. Die Höhe der beobachteten Risikoprämien hängt stark von der Wahl des unter­ suchten Zeitraums ab. Im allgemeinen gilt wohl, daß bei sehr langen Zeit­ räumen die theoretisch erwarteten Renditestrukturen gut bestätigt wer­ den. Danach bringen Staatsanleihen die geringste Rendite. Unterneh­ mensanleihen liegen mit ihren Renditen darüber. Deutlich höhere Rendi­ ten lassen sich durch Eigenkapitalinvestitionen erzielen. Auf kurze und mittlere Sicht können die tatsächlich erzielten Renditen auch die umge­ kehrte Reihenfolge zeigen. So hatten im Jahr 2001 die meisten Aktien negative Renditen. Dies spricht allerdings nicht für ein geringes Risiko, sondern zeigt gerade, wie riskant insbesondere Eigenkapitalinvestitionen sind.

Für Aktienmärkte gibt es eine Reihe von Studien zum Risikozuschlag. Für Deutschland liefern sie in der Regel Ergebnisse, die langfristig etwa im Bereich von 4% bis 7% liegen. Das bedeutet: Ein Anleger, der langfristig in Aktien investiert, erhält eine Rendite, die etwa 4% bis 7% über der

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von langfristigen Staatsanleihen liegt. Nimmt man für letztere eine lang­ fristige Rendite von etwa 6% an, erhält der Aktieninvestor also eine Ren­ dite zwischen 10% und 13%. Die Mehrrendite gegenüber der von Staatsanleihen wird als Risikozuschlag interpretiert. Dieser Risikozuschlag („Risikoprämie") gilt allerdings nur für diversifizierte Portfolios börsennotierter Aktien. Es ist also damit nicht das Risiko ge­ meint, daß der Besitz einer bestimmten Aktie mit sich bringt. Es wird viel­ mehr unterstellt, daß der Investor dieses Risiko soweit wie möglich da­ durch ausgeglichen hat, daß er auch andere Aktien oder sonstige risiko­ behaftete Wertpapiere besitzt, deren Kursschwankungen teilweise ge­ genläufig sind, so daß sich die Risiken zu einem beträchtlichen Teil aus­ gleichen. Nur das verbleibende Risiko, das nicht nicht „wegdiversifiziert" werden kann, bildet das "Marktrisiko" der riskanten Wertpapiere. Der Risikozuschlag für ein bestimmtes Unternehmen wird bei börsen­ notierten Gesellschaften heute oft als Produkt aus dem Marktrisikozu­ schlag (z. B. 5%) und dem sogenannten Betafaktor bestimmt. Mit diesem Faktor soll der Beitrag gemessen werden, den die Aktie der zu bewerten­ den Gesellschaft zum Marktrisiko leistet, also das Risiko, daß der Inhaber einer solchen Aktie nicht durch Diversifikation beseitigen kann.

Mit einem risikofreien Basiszins i von 6% und einer Marktrisikoprämie p von 5% läßt sich der Kalkulationszins von drei Unternehmen, die Beta­ faktoren von 0,5, 1,0 und 1,3 aufweisen, wie in Tabelle 4 dargestellt herleiten:

Tabelle 4: Betafaktor und Kalkulationszins Unternehmen: risikofreier Zins i Marktrisikozuschlag p Betafaktor ß Kalkulationszins i+ßp

A 6% 5% 0,5 8,5%

B 6% 5% 1,0 11,0%

c 6% 5% 1,3 12,5%

Der risikofreie Zins (etwa die Rendite von Bundesanleihen) beträgt in die­ sem Beispiel 6%, der Marktrisikozuschlag, den Investoren für Geldan­ lagen in diversifizierte Portfolios von Aktien verlangen, 5%. Bei einem Betafaktor von 0,5 ergibt sich damit für das Unternehmen A ein Zuschlag

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von 2,5% und ein Kalkulationszins von 8,5%. Bei Betafaktoren von 1,0 bzw. 1,3 haben die Unternehmen B und C dagegen Kalkulationszinsen von 11,0 bzw. 12,5%. Die Betafaktoren werden aus Regressionen der Renditen der einzelnen Aktien mit den Renditen des Marktportfolios abgeleitet. Mit "Renditen" sind dabei die täglichen Kursschwankungen der Aktien (in %) gemeint. Für Abbildungen des Marktportfolios dient ein Index, wie etwa der DAX. Die Renditen (Kursänderungen) der einzelnen Aktien werden also über einen bestimmten Zeitraum (etwa 30 Tage, 150 Tage, 250 Tage) mit den Renditen (Kursänderungen) des DAX verglichen.

Bei gleicher Schwankungsintensität (Volatilität) zweier Aktien hat diejeni­ ge den höheren Betafaktor, deren Schwankungen stärker mit denen des Index korreliert sind. Denn die Kursschwankungen einer solchen Aktie lassen sich durch Diversifikation nur geringfügig ausgleichen. Eine Aktie dagegen, die für sich genommen ebenso stark schwankt, deren Schwan­ kungen aber nur wenig mit denen des Marktportfolios (z. B. DAX) zusam­ mengehen, möglicherweise sogar gegenläufig sind, hat ein deutlich gerin­ geres "systematisches" Risiko, weil ihre Schwankungen durch die der anderen Aktien weitgehend ausgeglichen werden können. Die Anwendung von Betafaktoren ist inzwischen auch in Deutschland bei der Bewertung von börsennotierten Unternehmen weit verbreitet. Die Betafaktoren der DAX-Werte werden in allen großen Wirtschaftszeitun­ gen börsentäglich veröffentlicht.

Schon für deutsche Aktien, die nicht zum DAX gehören, ist allerdings die Bestimmung von Risikoprämien durch Betafaktoren problematisch. Diese Aktien weisen teilweise sehr niedrige Betas auf, was in vielen Fällen ein­ fach darauf zurückzuführen ist, daß sie wenig gehandelt werden und dementsprechend geringe Kursausschläge zeigen. Der Schluß, daß solche Aktien wegen geringer Betas risikoarm seien, wäre wohl gewagt. Betafaktoren sind außerdem dann nur mit Vorsicht heranzuziehen, wenn es um den Kauf ganzer Unternehmen geht. Denn der Unternehmens­ käufer wird ja gerade durch den Kauf weniger diversifiziert. Er gibt ande­ re Anlageformen auf und konzentriert sich auf ein oder mehrere Unter­ nehmen, hält aber jedenfalls nicht das voll diversifizierte Marktportfolio.

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Diese Bedenken gelten umso mehr für nicht börsennotierte Unterneh­ men. Historische Betas sind hier nicht beobachtbar. Deshalb wird teilweise vorgeschlagen, in diesen Fällen

• die Betafaktoren börsennotierter Unternehmen der gleichen Branche zu verwenden • sogenannte "Accounting-Betas" zu berechnen.

Accounting-Betas sind Betas, die durch Regression einer Zeitreihe von Unternehmensdaten (z. B.: Veränderung der Gewinne) mit entsprechen­ den Marktdaten (z. B. Veränderungen der Gewinne der DAX-Werte) ge­ wonnen werden. Hier ist große Vorsicht geboten. Zum einen ist fraglich, inwieweit nicht­ börsennotierte Unternehmen überhaupt zum Marktportfolio zählen. Die­ ses umfaßt zwar theoretisch alle riskanten Anlagen (Aktien, festverzinsli­ che Wertpapiere, Rohstoffe, Immobilien, Kunstwerke, ....), wird in der Regel aber durch einen extrem kleinen Ausschnitt aus dem Universum solcher Anlagen abgebildet (wie z.B. einen Aktienindex). Inwieweit nicht­ börsennotierte Unternehmen bis zum Handwerksbetrieb oder Kiosk dadurch repräsentiert werden, ist zumindest zweifelhaft.

Gerade Kleinunternehmer sind in der Regel nicht diversifizierte Investo­ ren, sondern haben im Gegenteil an Vermögen nichts außer ihrem Unter­ nehmen und eventuell einer Wohnimmobilie. Da Kleinunternehmen zudem gar nicht zu den Anlagen zählen, die auf dem Kapitalmarkt ge­ handelt werden, tragen ihre Eigentümer insofern das volle, nicht diversifi­ zierte und für sie auch nicht diversifizierbare Risiko. Dazu kommt, daß gerade die mangelnde Handelbarkeit (Fungibilität) für solche Unterneh­ men einen eigenen Risikofaktor darstellt. Schließlich tragen nicht-börsennotierte Unternehmen typische Risiken, die bei großen, börsennotierten Gesellschaften weniger vorkommen. Dazu zählen u.a.: • geringe Diversifikation des Produktportfolios • Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten oder Kunden • Konzentration von Wissen und Kontakten auf wenige Personen • Kaum oder gar nicht vorhandenes Eigenkapital

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Insofern ist wohl die These berechtigt, daß die durchschnittliche Risiko­ prämie für nicht-börsennotierte Unternehmen deutlich über derjenigen für börsennotierte Unternehmen liegen muß. Dies gilt umso mehr, je klei­ ner und personenbezogener Unternehmen sind.

Anhaltspunkte für die anzusetzenden Risikozuschläge für nicht-börsen­ notierte Unternehmen bieten Angaben zu den Renditen, die Eigenkapital­ investoren für solche Unternehmen ("Private Equity"), aber auch etwa sogenannte "Mezzanine-Finanzierer" verlangen. Dabei ist zu beachten, daß Mezzanine-Finanzierungen kein volles Eigenkapitalrisiko darstellen, sondern eine Zwischenform bilden, und die dort geforderten Renditen insofern die Untergrenze für angemessene Eigenkapitalrenditen bilden. Im allgemeinen werden für Mezzanine-Finanzierer Renditeforderungen von etwa 15 bis 20% pro Jahr angegeben, für Eigenkapitalinvestoren (Private Equity) Renditeforderungen von 20 bis 30%. Bei einem risikofreien Basiszins von etwa 5% ergeben sich daraus Risiko­ zuschläge zwischen 10%-Punkten (bei 15% Kalkulationszins) und 25%Punkten (30% Kalkulationszins). Um zu bestimmen, wo der Kalkulationszins für nicht-börsennotierte Un­ ternehmen in einem konkreten Fall innerhalb der genannten Bandbreite anzusiedeln ist, können unter anderem folgende Kriterien herangezogen werden:

• Unternehmensgröße • Streuung der Vergangenheitsergebnisse • Eigenkapitalquote • Verschuldungsgrad

• andere Bilanzkennzahlen • Abhängigkeit von Lieferanten oder Kunden

• Abhängigkeit von der Person des Inhabers • Abhängigkeit von einem oder wenigen Mitarbeitern • Diversifikation der Produkte

Insgesamt ist die Bestimmung des Risikozuschlages bei der Ermittlung des Kalkulationszinses nach der Prognose der entziehbaren Überschüsse wohl das schwierigste Problem der Unternehmensbewertung überhaupt.

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Gesicherte Lösungen dieses Problems sind nicht in Sicht. Eine bessere Fundierung ist wohl weniger von einer Verfeinerung der betriebswirt­ schaftlichen Theorie als vielmehr von einer Erweiterung der empirischen Kenntnisse über die Renditen, die auf den Märkten für Eigenkapital gefordert und erzielt werden, zu erwarten.

Fest steht wohl, daß in der Vergangenheit in Deutschland bei der Bewer­ tung insbesondere nicht-börsennotierter Unternehmen häufig zu geringe Risikozuschläge gemacht und infolgedessen deutlich überhöhte Unter­ nehmenswerte ermittelt wurden. So hat die Rechtsprechung teilweise argumentiert, dem Unternehmerrisiko stehe die Chance mit gleicher Wertigkeit gegenüber. Risikozuschläge seien völlig abzulehnen oder auf Werte zwischen etwa 0,5% und 4% zu begrenzen. Ganz abgesehen davon, daß die Bestimmung des Kalkulationszinssatzes keine Rechtsfrage darstellt, sondern nur ein empirisch zu lösendes ökonomisches Problem, ist durch diese Rechtsprechung jedenfalls auch die gutachterliche Ermitt­ lung von Unternehmenswerten, die deutlich über am Markt erzielbaren Verkaufspreisen für Unternehmen liegen, gefördert worden.

4.4 Der Steuersatz Wird mit entziehbaren Überschüssen nach Abzug der persönlichen Ein­ kommensteuer des Investors gerechnet, ist auch der Kalkulationszinssatz dementsprechend um einen Steuersatz zu kürzen. Der relevante Steuer­ satz ist grundsätzlich der Steuersatz des Investors, für den die Unterneh­ mensbewertung gemacht wird. Bei der Ermittlung objektivierter Unter­ nehmenswerte wird die Verwendung eines Satzes von 35% empfohlen. Dabei ist bei Kapitalgesellschaften heute das Halbeinkünfteverfahren zu berücksichtigen, nach dem Dividenden und andere Gewinnausschüttun­ gen nur zur Hälfte versteuert werden. Bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse ist insofern eine Steuerbelastung in Ansatz zu bringen, die halb so hoch ist, wie der Satz, um den der Kalkulationszins gekürzt wird. Denn für die alternative Anlage (etwa ein festverzinsliches Wertpapier) ist hier von voller Besteuerung auszugehen.

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4.5 Der Wachstumsabschlag Ein Wachstumsabschlag ist immer dann bei der Berechnung des Kalku­ lationszinses anzusetzen, wenn von einer ewigen Rente ausgegangen wird, die mit einer konstanten Rate wächst. Der Wachstumsabschlag wird oft auch als Geldentwertungsabschlag bezeichnet.

Zunächst hat die Notwendigkeit eines Wachstumsabschlags jedoch mit Geldentwertung nichts zu tun. Sie ergibt sich immer dann, wenn eine mit konstanter Rate wachsende ewige Rente angenommen wird. In einer Welt mit permanenter Inflation besteht allerdings durchaus ein Zusam­ menhang. Denn die erzielten Überschüsse müssen mindestens mit der Geldentwertungsrate wachsen, wenn die reale Ertragskraft erhalten werden soll. Wird kein Wachstumsabschlag vorgenommen, würde man also unterstellen, daß das Unternehmen kontinuierlich schrumpfende reale Überschüsse erzielt.

Wenn der Wachstumsabschlag die Erhaltung der realen Ertragskraft aus­ drücken soll, muß er sich an der Inflationsrate zum Bewertungsstichtag, bzw. zu dem Stichtag, ab dem mit einer ewigen Rente gearbeitet wird, orientieren. Im allgemeinen wird er deshalb umso höher sein, je höher der (nominale!) Basiszins angesetzt wurde. Denn dieser enthält ja neben der realen Verzinsung eine Inflationskomponente, mit der er positiv korreliert ist.

In vielen Bewertungsgutachten der 90er Jahre wurde der Wachstumsab­ schlag mit 1 %-Punkt angesetzt. Dies mag für einen Teil dieses Zeitraums angemessen gewesen sein. Bei Basiszinsen, die Inflationsraten im Bereich von 2% bis 3% beinhalten, stellt ein Wachstumsabschlag von 1% aber eine sehr konservative Annahme dar, da er den Kalkulationszins insge­ samt nicht ausreichend hoch ermäßigt.

4.6 Äquivalenz zu den Überschüssen Bei der Ermittlung des Kalkulationszinses ist schließlich zu berücksichti­ gen, daß er zu den Überschüssen passen muß, die abgezinst werden sol­ len. Geht es, wie beim Ertragswertverfahren oder der equity-Variante der Discounted Cash Flow-Methode, um die den Eigenkapitalgebern zuste­

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henden Überschüsse, ist der Kalkulationszins durch die bisher behandel­ ten Elemente Basiszins, Risikozuschlag, Steuersatz und Wachstumsab­ schlag vollständig beschrieben. Soll dagegen der Unternehmenswert ein­ schließlich des Werts des Fremdkapitals bestimmt werden und sind die relevanten Überschüsse dementsprechend als die Cash Flows definiert, die allen Kapitalgebern zustehen, muß auch der Kalkulationszins entspre­ chend angepasst werden. Er muß dann den gewogenen Durchschnitt der Kalkulationszinsen darstellen, die für die einzelnen Kapitalbestandteile gelten (WACC: Weighted Average Cost of Capital). Ein solcher gewogener Kapitalkostendurchschnitt kommt insbesondere in der entity-Variante des Discounted Cash Flow-Verfahrens zur Anwen­ dung. Wie oben dargestellt, wird dabei ein vollständig eigenfinanziertes Unternehmen unterstellt, so daß eine "zu hohe" Belastung mit Unter­ nehmensteuern (Gewerbesteuer und eventuell Körperschaftsteuer) ein­ gerechnet wird. Bei der Bestimmung des Kalkulationszinssatzes ist dementspechend der Zins für das Fremdkapital um den bei der Ermittlung der Einkünfte angewendeten Steuersatz zu kürzen, so daß sich der Steuer­ effekt im "Zähler" und "Nenner" der Barwertermittlung aufhebt. Beim Eigenkapitalanteil der gewogenen Kapitalkosten ist eine solche Kürzung nicht vorzunehmen. Denn die auf die Eigenkapitalgeber entfallenden Er­ träge und Zuflüsse haben ja tatsächlich eine Ertragsteuerbelastung zu tragen. Im Kapitalisierungszins für das Eigenkapital ist dies bereits berück­ sichtigt.

Wichtig ist, daß die Gewichte, mit denen Eigenkapitalkosten und Fremd­ kapitalkosten bei der Durchschnittsbildung versehen werden, sich nicht einfach aus der bilanziellen Eigenkapitalquote oder Fremdkapitalquote ergeben, sondern aus den Marktwerten des Eigen- bzw. Fremdkapitals. Da diese aber erst das Ergebnis der Berechnungen darstellten, besteht ein Zirkularitätsproblem. Dieses kann dadurch gelöst werden, daß ent­ weder die gesuchten Werte in mehreren Schritten (iterativ) bestimmt werden oder aber eine Kapitalstruktur festgelegt wird, die dann (jeden­ falls gedanklich) von Jahr zu Jahr durch Kreditaufnahme, Kredittilgung, Kapitalerhöhung oder Kapitalherabsetzung erreicht wird. Beispielhaft läßt sich die Berechnung der gewogenen Kapitalkosten so därstellen:

Die Eigenkapitalkosten (Basiszins + Risikozuschlag) betragen 10%, die Fremdkapitalkosten (z. B. geforderte Darlehnszinsen) betragen 6%. Der

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betriebliche Steuersatz liege bei 40%. Der Wertanteil des Eigenkapitals soll 39% betragen, der des Fremdkapitals 61%. Die gewogenen Kapital­ kosten lassen sich dann wie folgt errechnen:

0,39 x 10% + 0,61 x 6% x (1 - 0,4) = 0,39x10%+ 0,61 x3,6% = 3,9% + 2,2% = 6,1%

Die gewogenen Kapitalkosten betragen also in diesem Beispiel 6,1%. Festzuhalten ist, daß diese Kapitalkosten ohne die Berücksichtigung per­ sönlicher Einkommensteuern berechnet wurden. Sollen diese einbezogen werden, so sind unter den Bedingungen des Halbeinkünfteverfahrens bei Kapitalgesellschaften für den Eigenkapitalanteil und den Fremdkapitalan­ teil der gewogenen Kapitalkosten unterschiedliche Steuersätze anzu­ wenden, was die Nach-Einkommensteuer-Rechnung relativ kompliziert macht.

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5

Barwertermittlung durch Abzinsung der Überschüsse

Im letzten Arbeitsschritt ist nun der Unternehmenswert als Barwert der zukünftigen Überschüsse, abgezinst mit dem Kapitalisierungszins, zu be­ rechnen. Die Liquidationserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermö­ gens sind diesem Barwert dann hinzuzurechnen. Die Kapitalisierung kann auf zweierlei Weise erfolgen. Zum einen können die Überschüsse bzw. Cash Flows, die den Eigenkapitalgebern zustehen, mit den Eigenkapitalkosten abgezinst werden. Dies nennt man die „Netto­ methode" der Kapitalisierung. Zum anderen können die Überschüsse, die allen Kapitalgebern zur Verfügung stehen, mit den gewogenen Kapital­ kosten (WACC) diskontiert werden. Die Berechnung nach beiden Methoden läßt sich anhand der Tabelle 5 nachvollziehen. Dabei wird der Einfachheit halber davon ausgegangen, daß die ermittelten Überschüsse als ewige Rente anfallen. Der Wert des Eigenkapitals ergibt sich nun dadurch, daß die entziehbaren Überschüsse mit den Eigenkapitalkosten von 10% diskontiert werden, so daß der Wert das 10-fache der Überschüsse beträgt. Der Wert des Gesamtkapitals nach der Bruttomethode ergibt sich durch Diskontierung des entziehbaren Überschusses von 500 mit den gewogenen Kapital­ kosten von 6,1%. Das Fremdkapital soll annahmegemäß 61% davon be­ tragen und macht dementsprechend 5000 aus. Gleichzeitig ist der Betrag von 5000 der Barwert der zukünftigen, gleichbleibenden Zinszahlungen von 300, abgezinst mit den Fremdkapitalkosten (5000 x 6% = 300). Nach Abzug des Fremdkapitals vom Gesamtkapital ergibt sich wiederum das Eigenkapital von 3200. Die Annahmen sind in diesem Beispiel so gesetzt, daß in der Tat Nettomethode und Bruttomethode zum gleichen Ergebnis führen. Die Iterationsschritte, die notwendig sind, damit das Ergebnis beider Versionen zusammenpaßt, sind hier schon vollzogen.

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Tabelle 5: Diskontierung nach Nettomethode/Bruttomethode Wertanteil Eigenkapital: Wertanteil Fremdkapital:

39% 61%

Eigenkapitalkosten Fremdkapitalkosten Betriebliche Steuern WACC = 0,39*10% + 0,61 *(1-0,4) *6%

10% 6% 40% 6,1%

Betriebsergebnis - Zinsen Ergebnis vor Steuern - Steuern + Abschreibungen - Investitionen - Zuwachs Umlaufvermögen Entziehbarer Überschuß

Nettomethode 1.000 -300 700 -280 200 -250 -50 320

Wert Eigenkapital: 320/10%

3.200

Wert Gesamtkapital: 500/6,1% davon Fremdkapital davon Eigenkapital

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Bruttomethode 1.000 0 1000 -400 200 -250 -50 500

8.200 5.000 3.200

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Substanzwert und Liquidationswert

Wie bereits in dem Abschnitt über die Bewertung des nicht betriebsnot­ wendigen Vermögens dargestellt, sind jene Vermögensgegenstände, die keinen Beitrag zum Ertragswert leisten bzw. deren Wertbeitrag geringer ist als der Liquidationserlös, zu diesem Liquidationserlös zu bewerten. Es kommen aber auch Fälle vor, in denen das Unternehmen als ganzes so ertragsschwach ist, daß das erwartete Liquidationsergebnis höher ist als der Ertragswert. In diesen Fällen ist der Liquidationswert der Unter­ nehmenswert. Der Liquidationswert stellt die Wertuntergrenze für das Unternehmen dar. Er sollte insofern bei jeder Unternehmensbewertung zumindest der Größenordnung nach geschätzt werden, um zu prüfen, ob er nicht über dem Ergebnis eines überschußorientierten Verfahrens liegt. Gibt es Anzei­ chen dafür, ist der Liquidationswert dann möglichst genau zu bestimmen.

Auch die Berechnung des Liquidationswerts kann eine Abzinsung not­ wendig machen, und zwar dann, wenn davon auszugehen ist, daß die Abwicklung nur über einen längeren Zeitraum hin erfolgen könnte, wenn nicht starke Einbußen hingenommen werden sollen.

Durch die Liquidation selbst können Belastungen entstehen, die bilanziell zum Bewertungsstichtag noch nicht erfaßt waren. Dazu gehören insbesondere Sozialplanverpflichtungen, das Liquiditorengehalt etc.. Die­ se Belastungen sind zu berücksichtigen. Andererseits können durch die Liquidation Belastungen entfallen. Dazu gehören insbesondere Rückstel­ lungen für Verpflichtungen und Aufwendungen, die durch die Liquidation wegfallen. Im Gegensatz zum Liquidationswert stellt der Substanzwert des Unter­ nehmensvermögens keine relevante Größe dar mit Ausnahme der Fälle, in denen Parteien eine Bewertung zum Substanzwert vereinbart haben. Der Substanzwert ist der Gebrauchswert oder Wiederbeschaffungswert der Vermögensgegenstände und Schulden. Diese werden hier also nicht, wie bei der Liquidationswertermittlung, unter der Annahme der Zerschla­ gung, sondern unter der Annahme der Fortführung des Unternehmens ermittelt. Der Substanzwert ist insofern mindestens so hoch wie der Liquidationswert, liegt in vielen Fällen aber darüber, insbesondere des­ halb, weil Vermögen, das bei einer Liquidation wertlos wäre, unter Fort­

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führungsgesichtspunkten durchaus einen Wertansatz rechtfertigt. Dies gilt nicht nur für immaterielles Vermögen, sondern auch für so handfeste Vermögensgegenstände wie Maschinen. So können etwa Zuleitungen für Energie etc., die bei einer gedachten Liquidation nicht mit veräußert wer­ den könnten, im Rahmen einer Substanzwertermittlung zu berücksichti­ gen sein. Ein Geschäftswert (Firmenwert, Goodwill) gehört in jedem Fall nicht zum Substanzwert, da er nicht im eigentlichen Sinne einen Vermögensgegen­ stand darstellt. Außerdem könnte ein Geschäftswert eben erst durch die Anwendung eines überschußorientierten Verfahrens (z. B. Ertragswert­ verfahren) festgestellt werden, so daß dann gleich ein solches Verfahren und nicht die Substanzbewertung zum Zuge käme. Anderes immateriel­ les Vermögen dagegen ist durchaus anzusetzen, wobei es nicht darauf ankommt, was bisher bilanziert war, solange sich entweder die Wieder­ beschaffungskosten oder ein Veräußerungspreis einigermaßen genau schätzen lassen.

Die Feststellung, daß der Substanzwert keine eigenständige Funktion innerhalb der Bewertung hat, bedeutet nicht, daß es auf die zum Bewer­ tungsstichtag vorhandene Substanz nicht ankommt. Denn die Höhe des vorhandenen Vermögens hat unmittelbare Auswirkungen auf den Er­ tragswert. Sie beeinflußt die Höhe der entziehbaren, also den Kapital­ gebern zur Verfügung stehenden Überschüsse. Dies läßt sich einfach am Beispiel der Forderungen zeigen: Verbleiben die zum Übergabestichtag bestehenden Forderungen beim Alteigentümer, hat dies auf den Gewinn, den der Erwerber im ersten Geschäftsjahr erzielt, keinen Einfluß. Es kommt aber, wie oben dargestellt, nicht auf den Gewinn, sondern auf die entziehbaren Überschüsse an. Die in der Zukunft erwirtschafteten flüssi­ gen Mittel sind aber, wenn die Forderungen nicht mit übertragen wer­ den, um die Zahlungen geringer, die auf diesen Forderungsbestand zum Bewertungsstichtag eingehen. Dementsprechend ist auch der Ertrags­ wert geringer. Ähnliches gilt für das Vorratsvermögen. Je mehr Vorräte von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen oder Waren vorhanden sind, desto weniger muß der Erwerber im ersten Geschäftsjahr zukaufen, und desto höher sind die ihm verbleibenden ausschüttungsfähigen Mittel. Ein möglichst neues und daher wertvolles Anlagevermögen schließlich er­ möglicht es, in der nächsten Zukunft mit relativ wenig Investitionen aus­ zukommen und dementsprechend mehr zu entnehmen bzw. auszuschüt­ ten. Wie die Beispiele zeigen, ist die "Substanz" also deshalb und inso­ weit werterhöhend, als sie zu einer Erhöhung der entziehbaren Über­ schüsse der Zukunft führt.

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7

Marktwerte oder Vergleichswerte

7.1

Einordnung

Während die (deutsche) Betriebswirtschaftslehre die Subjektivität des Unternehmenswerts betont und auch deshalb allein die überschuß­ orientierten Verfahren für maßgeblich erachtet, verlangt die Bewertungs­ praxis in der überwiegenden Zahl der Fälle die Bestimmung von objekti­ vierten Unternehmenswerten (Verkehrswerten). Dies gilt z. B. in gerichtli­ chen oder außergerichtlichen Verfahren zur Abfindung von Gesellschaf­ tern, zum Zugewinnausgleich oder zur Erbauseinandersetzung. Aber selbst beim Verkauf von Unternehmen spielt die in der Theorie hervorge­ hobene Funktion des Bewerters als eines Beraters einer Partei, der deren subjektiven Grenzpreis (Preisuntergrenze des Verkäufers bzw. Preisober­ grenze des Käufers) bestimmen soll, eine völlig untergeordnete Rolle. In der Regel haben nämlich Käufer und Verkäufer bereits Preisvorstellungen entwickelt, bevor sie einen Berater einschalten. Dieser wird dann nicht benötigt, um die subjektiven Erwartungen zu klären, sondern ganz im Gegenteil, um diese subjektiven Erwartungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Marktbedingungen hin zu prüfen, um also insbesondere festzu­ stellen, ob eine bestimmte Preisvorstellung realistisch ist oder ob sie wenigstens einen brauchbaren Ausgangspunkt für Verhandlungen bietet.

Auch die überschußorientierten Verfahren erlauben, wie im zweiten Kapitel dargestellt, durchaus die Ableitung objektivierter Unternehmens­ werte. Es liegt aber in einer Marktwirtschaft nahe, zusätzlich oder auch stattdessen bekannt gewordene Preise für Unternehmen oder Unter­ nehmensanteile als Grundlagen der Bewertung heranzuziehen. Denn bewerten heißt ja immer vergleichen. Während bei den überschußorien­ tierten Verfahren die aus dem Unternehmen erwarteten Zahlungsüber­ schüsse mit Zahlungsüberschüssen anderer Anlagen verglichen werden, versucht der marktorientierte Bewerter, den Unternehmenswert durch einen Vergleich mit bekannten Preisen zu ermitteln. Gegen einen solchen Preisvergleich wird vor allem eingewandt, es exis­ tierten keine zwei tatsächlich vergleichbaren Unternehmen. Dies ist si­ cher richtig, wenn unter "vergleichbar" verstanden wird, daß die Unter­ nehmen identisch sein sollen. Wenn mit solcher Strenge geurteilt wird, könnte man aber den gleichen Einwand auch ebenso gut gegen die überschußorientierten Bewertungsverfahren erheben. Denn niemand

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kann ja tatsächlich wissen, ob dabei z. B. der Risikozuschlag im Kalku­ lationszins wirklich exakt so bestimmt wurde, daß er die Zahlungsströme aus dem zu bewertenden Unternehmen tatsächlich zu den jeweils erwar­ teten Zahlungsströmen etwa aus einer Bundesanleihe äquivalent werden läßt.

Es gibt eine Reihe von Anlässen, bei denen Vergleichswerte mehr oder weniger regelmäßig zum Zuge kommen. So hat sich bei der Bewertung freiberuflicher Praxen die Ertragswertmethode nicht durchsetzen können. Es hat sich vielmehr eine Bewertungspraxis herausgebildet, bei der sich der Gesamtwert der Praxis darstellt als Summe aus dem Substanzwert und einem selbständig ermittelten "Praxiswert". Der "Praxiswert" (Good­ will, Firmenwert) wird dabei in der Regel in Abhängigkeit vom Umsatz bestimmt. Er läßt sich also als Produkt aus dem Umsatz und einem für die jeweilige Berufsgruppe üblichen Multiplikator errechnen. Diese "Umsatz­ methode" beruht auf dem Grundgedanken, daß sich mit einem bestimm­ ten Umsatz eine mehr oder weniger bestimmte Höhe an Einkünften (nicht nur Gewinn!) erzielen läßt. Ihre wichtigste Rechtfertigung erfährt die Umsatzmethode allerdings nicht durch theoretische Überlegungen, sondern durch die Tatsache, daß Freiberufler sie bei Praxiskauf überwiegend anwenden. Aus diesem Grun­ de wird sie auch bei der Ermittlung des Verkehrswerts von Freiberufler­ praxen für andere Zwecke an erster Stelle praktiziert. Sie ist auch von der Rechtsprechung weitgehend anerkannt und in einigen freien Berufen durch Richtlinien der Standesorganisationen zum Standard erhoben wor­ den. Dies gilt z. B. für Ärzte und Steuerberater. Solche Standesrichtlinien haben indirekt rechtliche Verbindlichkeit, da es dem Bundesgerichtshof sachgerecht erschien, daß eine Bewertungsmethode angewendet wird, die von der zuständigen Standesorganisation empfohlen und in der Praxis verbreitet ist. Weit verbreitet sind marktorientierte Bewertungen auch bei der Börsen­ einführung von Unternehmen. Die Preisfestsetzung erfolgt dabei in der Regel in Anlehnung an die Börsenkurse vergleichbarer Unternehmen. Vergleichsorientierte Bewertungen können aber auch in anderen Zusam­ menhängen eine Rolle spielen. So interessieren sich Käufer und Verkäufer dafür, welche Preise in letzter Zeit bei Transaktionen mit Unternehmen­ santeilen von Konkurrenten erzielt wurden, und passen ihre eigenen sub­ jektiven Wertvorstellungen daran an. Schließlich können geschätzte Marktpreise auch in überschußorientierte Bewertungen eingehen. Wie oben gezeigt wurde, werden bei diesen Verfahren in der Regel die Über­

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schösse für eine erste Phase detailliert geplant, während für eine zweite Phase von einer ewigen Rente ausgegangen wird, deren Barwert wiederum auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen ist. Statt des Barwerts einer solchen ewigen Rente kann aber auch der erwartete Verkaufspreis, der sich beim Ausstieg ("exit") des Investors ergibt, in die Ertragswert­ berechnung einfließen.

Um einen Vergleichswert zu bestimmen, benötigt man mindestens den bekannt gewordenen Preis eines Vergleichsunternehmens sowie eine Bezugsgröße, deren Ausprägungen sowohl für das Vergleichsunter­ nehmen als auch für das zu bewertende Unternehmen bekannt sind.

Beispiel:

Es ist ein Unternehmen mit einem Umsatz von 8 Mio. € zu bewer­ ten. Es ist bekannt, daß ein anderes Unternehmen aus der gleichen Branche vor kurzem zu einem Preis von 5 Mio. € verkauft wurde und daß dieses Unternehmen zuletzt einen Umsatz von 10 Mio. € realisiert hat. Der Vergleichswert ergibt sich dann als

Wert A = Preis B x (Umsatz A : Umsatz B) = 5x(8 : 10) =4

Im allgemeinen wird ein Vergleichswert umso zuverlässiger sein,

• je vergleichbarer Bewertungsobjekt und Vergleichsobjekte sind • je mehr Vergleichspreise vorliegen • je zeitnäher die Vergleichstransaktionen dem Bewertungsstichtag sind • je stärker die Korrelation zwischen der Bezugsgröße und dem Preis ist. Einen Extremfall, bei dem die Bewertung anhand von Vergleichspreisen unmittelbar einleuchtet, bildet der Wert von börsennotierten Unterneh­ mensanteilen, also Aktien. Hier kann der Anteilswert anhand von Preisen bestimmt werden, die im Handel mit Anteilen desselben Unternehmens erzielt wurden. Es besteht insofern Identität zwischen Vergleichsunter­ nehmen und Bewertungsobjekt, und in einem liquiden Markt können Preise zugrundegelegt werden, die zum Bewertungsstichtag selbst erzielt wurden.

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Anhand dieses Beispiels läßt sich aber auch zeigen, daß die Vergleichs­ preisermittlung nicht immer so unproblematisch ist, wie es auf den ersten Blick scheint. So kann selbst bei börsennotierten Aktien nicht immer von einer uneingeschränkten Vergleichbarkeit die Rede sein. Der Preis, der für einige tausend Aktien erzielt werden kann, entspricht in den meisten Fällen nicht dem, der für ein Aktienpaket von etwa 10% oder 25% zu zahlen wäre. Ein Käufer müßte dafür einen Paketzuschlag zahlen, ein Verkäufer, der eine große Zahl von Aktien über die Börse abstoßen woll­ te, müßte mit Kurseinbußen rechnen. Auch die absolute Zeitnähe ist selbst bei börsennotierten Unternehmen durchaus nicht immer gewähr­ leistet. Es gibt wenig liquide Aktien, für die zwar ein Börsenkurs ausge­ wiesen wird, wo aber die letzte getätigte Transaktion möglicherweise schon einige Tage zurückliegt. Noch schwieriger ist die Bewertung an­ hand von Preisen, die für Anteile des Bewertungsobjekts selbst erzielt wurden, bei nicht börsennotierten Unternehmen. So bekommt man etwa aus der Information, daß ein Anteil an einer GmbH vor sechs Monaten zu einem bestimmten Preis verkauft wurde, sicherlich einen Anhaltspunkt für die Bewertung eines anderen Anteils zu einem anderen Bewertungs­ stichtag. Der Stichtagswert muß aber nicht mit dem rechnerischen Ver­ gleichswert identisch sein. Inzwischen können sich die Marktverhältnisse geändert haben, die Ertragsaussichten des Unternehmens mögen nun besser oder schlechter sein, der jetzt zu bewertende Anteil mag eine Mehrheit der Stimmrechte ermöglichen, was bei dem Vergleichsanteil nicht der Fall war, etc..

Auch die Vergleichsbewertung ergibt also keinesfalls automatisch den richtigen Unternehmenswert. Dennoch wäre es sicher fahrlässig, die In­ formationen, die Vergleichspreise vermitteln, völlig beiseite zu lassen, zumal dem Grundsatz nach davon auszugehen ist, daß in einer Markt­ wirtschaft Werte insbesondere durch Preisbildungsprozesse festgestellt werden. Merkwürdigerweise hat die Betriebswirtschaftslehre in Deutsch­ land lange den realisierten Preisen nicht einmal eine Indikatorfunktion für den Wert von Unternehmen oder Unternehmensanteilen zugestehen wollen. So sollte ausgerechnet der Börsenkurs von Aktien für die Unter­ nehmensbewertung in Fällen der Entschädigung von Minderheitsaktio­ nären börsennotierter AG's völlig unbeachtlich sein. Erst im Jahr 1999 hat das Bundesverfassungsgericht (und nicht etwa die Betriebswirtschaftsleh ­ re) festgestellt, der Verkehrswert dürfe bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden. Dieser bil­ det die Untergrenze des Abfindungsanspruchs der Aktionäre. Dabei muß nicht der Börsenkurs zum Stichtag (Beschluß der Hauptversammlung) zu­ grundegelegt werden, in den ja spekulative Einflüsse im Wissen um den

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Abschluß eines Unternehmensvertrags einfließen können, sondern es kommt z. B. auch der Börsenkurs vor Bekanntgabe der beabsichtigten Änderung in Betracht. Auch ein Durchschnittskurs aus einigen Wochen oder Monaten kann zur Anwendung kommen. Immerhin hat damit die Rechtsprechung der Betriebswirtschaftslehre vor­ gegeben, was in einer Marktwirtschaft eigentlich selbstverständlich sein sollte: Unternehmenswerte können nicht ohne Rücksicht auf Marktpreise festgelegt werden.

7.2 Vorgehensweise Eine Bewertung anhand von Vergleichswerten/Marktpreisen hat vor al­ lem zwei Grundprobleme zu lösen: Zunächst muß bestimmt werden, wel­ che Unternehmen als vergleichbar anzusehen sind, und dann muß die Bezugsgröße oder auch eine Anzahl von Bezugsgrößen definiert werden, anhand derer der Wert des Bewertungsobjektes zu den beobachteten Preisen der Vergleichsobjekte in Beziehung gesetzt werden kann.

Die erste Frage kann man auch als die Frage nach der Vergleichsgruppe oder "peer group" ausdrücken. Im allgemeinen wird man Unternehmen auswählen, die im gleichen Markt wie das Bewertungsobjekt tätig sind. Das ist nicht immer einfach, etwa dann, wenn die Vergleichsobjekte di­ versifizierte Unternehmen darstellen, die für ihre Aktivitäten im relevan­ ten Markt keine eigenen Daten (etwa in einer Segmentberichterstattung) veröffentlichen. Schon in scheinbar einfachen Fällen ist auch die Abgren­ zung des relevanten Marktes nicht völlig problemlos. So mag es ausrei­ chend erscheinen, bei der Bewertung einer Arztpraxis bekannt gewor­ dene Preise bei Verkäufen anderer Arztpraxen heranzuziehen. Man könnte aber auch in der Vergleichsgruppe nur Daten für Praxen aus dem gleichen Fachgebiet (etwa HNO) zulassen, oder gar verlangen, daß die Vergleichsobjekte auch hinsichtlich des Standorts (z. B. Großstadt, Klein­ stadt, Land) vergleichbar sind. Kompromisse zwischen dem Wunsch nach einer möglichst großen Zahl von Vergleichsobjekten einerseits und dem Bestreben nach möglichst großer Ähnlichkeit zwischen Vergleichs­ objekten und Bewertungsobjekt sind wohl nicht zu umgehen.

Nach der Auswahl der Vergleichsgruppe sind geeignete Bezugsgrößen zu definieren. "Geeignet" bedeutet dabei vor allem, daß ein möglichst star­ ker Zusammenhang (Korrelation) zwischen der Bezugsgröße und beob­

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achteten Unternehmenswerten (Aktienkursen, bezahlten Preise) beste­ hen sollte. Mögliche Bezugsgrößen sind z.B.: • der Umsatz

• der Jahresüberschuß • das Betriebsergebnis (EBIT) • das Betriebsergebnis vor Abschreibungen (EBITDA) • die Kundenzahl • die Verkaufsfläche • die Produktionskapazität

• der Buchwert

Die Relation zwischen Unternehmenswert und Bezugsgröße wird dabei jeweils als Multiplikator bezeichnet. Der Umsatz ist als Bezugsgröße relativ weit verbreitet. Zwar ist er kein Erfolgsmaßstab; hoher Umsatz kann auch mit Verlusten einhergehen. Doch bedeutet Umsatz andererseits einen Anteil in einem bestimmten Markt, mit dem zumindest die Hoffnung verknüpft ist, damit markt­ übliche Erträge oder auch, wenn die eigenen Fähigkeiten positiv einge­ schätzt werden, überdurchschnittliche Gewinne realisieren zu können. Umsatzmultiplikatoren spielen so insbesondere bei der Bewertung von Freiberuflerpraxen eine große Rolle. So sieht eine Richtlinie der Bundes­ ärztekammer vor, den Gesamtwert einer Arztpraxis als Summe aus Substanzwert und einem Drittel der durchschnittlichen Praxiseinnahmen der letzten drei Jahre, vermindert um einen kalkulatorischen Arztlohn, zu bestimmen. Für Steuerberaterpraxen wird etwa eine Spanne von 80% bis 140% eines Jahresumsatzes für den „immateriellen Praxiswert" ange­ geben. Der (meist nicht sehr hohe) Substanzwert ist dann jeweils noch hinzuzuzählen. Auch bei der Bewertung vor einem Börsengang spielen Umsatzmultiplikatoren eine Rolle. Dies galt insbesondere im Boom des Neuen Marktes, wo für die Bewertung der meisten Unternehmen erfolgs­ bezogene Ansätze mangels erzielter Gewinne ohnehin nicht in Frage ka­ men.

Gewinnmultiplikatoren sind ansonsten bei der Bewertung börsennotierter Unternehmen weit verbreitet. Der bekannteste ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), bei dem der Börsenkurs zum Jahresüberschuß (also Gewinn nach Steuern) in Beziehung gesetzt wird. Im Nenner kann auch ein berei­

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nigter Jahresüberschuß stehen, wie ihn etwa das sogenannte DVFA-Ergebnis darstellt. Auch der Cash Flow kommt als gewinnorientierte Bezugsgröße in Frage. So wird das Kurs-Cash Flow-Verhältnis regelmäßig für börsennotierte Unternehmen angegeben.

Doch nicht nur Größen aus der Erfolgsrechnung, sondern auch physische Maßstäbe können als Vergleichsgrundlage dienen. Dazu zählt im Einzel­ handel etwa die Verkaufsfläche, in Produktionsbetrieben die Produktions­ kapazität (etwa hl-Bier). In vielen Fällen ist es angebracht, die Bezugsgrößen nicht mit dem Wert des Eigenkapitals, sondern mit dem Gesamtwert des Unternehmens (Ei­ genkapital + Fremdkapital) in Beziehung zu setzen. Dadurch wird vermie­ den, daß die beobachteten Relationen aus Wert und Bezugsgröße durch unterschiedliche Kapitalstrukturen beeinflußt werden. So bietet es sich an, den Umsatz, aus dem ja sowohl für die Fremdkapitalgeber als auch für die Eigenkapitalgeber Überschüsse erwirtschaftet werden, in Bezie­ hung zum Gesamtwert des Unternehmens zu setzen und den Wert des Eigenkapitals als Differenz aus Gesamtwert und dem konkret im Einzel­ fall vorhandenen Fremdkapital zu ermitteln. Gleiches gilt für Größen wie den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA), der sich sinnvoll nur zum Gesamtwert des Unternehmens, nicht aber zum schließlich gesuchten Wert des Eigenkapitals in Verbindung bringen läßt. Bezieht sich die Bezugsgröße dagegen nur auf das Eigenkapital (wie z.B. beim Jahresüberschuß) wird richtigerweise direkt auf den Wert des Eigenkapitals abgestellt, wie es im Kurs-Gewinn-Verhältnis geschieht. Oftmals werden auch mehrere Bezugsgrößen nebeneinander betrachtet in der Hoffnung, daß die sich daraus ergebende Bandbreite von Unter­ nehmenswerten dann einigermaßen zuverlässig den Bereich definiert, in dem der gesuchte Wert liegen wird.

Beispiel: Eine Bewertung stützt sich auf die bekannten Unternehmenswerte (etwa Marktkapitalisierung oder bekannter Verkaufspreis) dreier Vergleichsunternehmen A, B, C. Das zu bewertende Unternehmen U hat einen Umsatz von 300 Mio. € und einen Jahresüberschuß von 15 Mio. €. Für die Vergleichsunternehmen gelten die in Tabelle 6 wiedergegebenen Daten.

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Tabelle 6: Multiplikatoren

Unternehmen Marktwert Umsatz Jahresüberschuß Umsatzmultiplikator Gewinnmultiplikator

A 250 400 10 0,63 25,00

B 400 500 25 0,80 16,00

C 100 150 8 0,67 12,50

Der ungewichtete durchschnittliche Umsatzmultiplikator beträgt 0,70, der durchschnittliche Gewinnmultiplikator 17,83. Legt man diese Durch­ schnittswerte zugrunde, ergibt sich folgende Bandbreite der Unterneh­ menswerte für das Bewertungsobjekt U:

Umsatz 300 x 0,70 =210 Jahresüberschuß 15 x 17,83 =267,45. Diese Bandbreite mag auf den ersten Blick hoch erscheinen, grenzt den Bereich möglicher Werte aber angesichts der Unsicherheit, der jede Unternehmensbewertung unterliegt, durchaus passabel ein. Die Bewer­ tung zeigt aber auch, daß im Markt noch extremere Bewertungen mög­ lich sind. So würde der niedrigste beobachtete Gewinnmultiplikator von 12,5 für das Vergleichsunternehmen zu einem Wert von 187,5 führen, während der höchste Multiplikator von 25 einen Unternehmenswert von 375 ergäbe. Bei den Umsatzmultiplikatoren ergibt sich eine Bandbreite von 189 (0,63 x 300) bis 240 (0,8 x 300). Daß die Umsatzmultiplikatoren hier relativ eng zusammenliegen, spricht dafür, den Unternehmenswert in der durch sie definierten Bandbreite anzusiedeln und jedenfalls nicht den Extremwert in Betracht zu ziehen, der sich bei Anwendung des Gewinn­ multiplikators von 25 von Unternehmen A ergibt. Denn ein solch hoher Gewinnmultiplikator beruht regelmäßig darauf, daß ein Unternehmen zeitweilig geringe Erträge erzielt, vom Markt aber erwartet wird, daß die Erträge wieder ein normales Maß erreichen.

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8

Einzelfragen der Unternehmensbewertung

8.1

Bewertung von Kleinunternehmen

Für viele Kleinunternehmen wie Handwerksbetriebe, Gaststätten, frei­ berufliche Praxen, Einzelhandelsgeschäfte und andere kleine Dienstleis­ tungs- und Produktionsbetriebe können im Prinzip die oben beschriebe­ nen Bewertungsmethoden ebenso wie bei großen oder mittleren Unter­ nehmen angewendet werden. Bei der Anwendung ist jedoch zu beach­ ten, daß es bei Kleinbetrieben oft eine Verflechtung zwischen Unter­ nehmenssphäre und Privatsphäre gibt, die insbesondere die Abgrenzung der entziehbaren Überschüsse erschwert. So beinhalten die Gewinn- und Verlustrechnungen in vielen Fällen Posten, die nicht auf eigentlich be­ trieblichen Aufwendungen beruhen, sondern auf dem Motiv der Steuer­ ersparnis oder anderen betriebsfremden Erwägungen. Andererseits feh­ len oft in den Gewinnermittlungen Posten, die zwar betriebswirtschaftlich als Kosten zu sehen sind, aber in den Jahresabschlüssen nicht aufgeführt sind. An erster Stelle zählt dazu der Unternehmerlohn. Allein die Bereini­ gung um den Unternehmerlohn führt bei einer sehr großen Anzahl von Kleinbetrieben zu der Erkenntnis, daß aus betriebswirtschaftlicher Sicht keine Gewinne erzielt werden, obwohl die Jahresabschlüsse oder Ge­ winnermittlungen solche ausweisen. Doch auch da, wo selbst nach Ab­ zug des Unternehmerlohns ein positives Ergebnis übrig bleibt, hat dieser Abzug gravierende Konsequenzen für die Bewertung.

Beispiel:

Ein kleiner Produktionsbetrieb wird seit drei Jahrzehnten vom jetzi­ gen Inhaber als Einzelkaufmann betrieben. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren mit 4 Mio. € Umsatz und rund 200.000,- € Ge­ winn nach Gewerbesteuer stabile Ergebnisse vorzuweisen. Nun wird ein Nachfolger gesucht. Er oder sie sollte eine technische Ausbildung haben, möglichst Ingenieur sein, und zusätzlich einige Jahre Ver­ triebserfahrung besitzen, Führungsqualitäten unter Beweis gestellt haben und über ein gutes betriebswirtschaftliches Rüstzeug verfü­ gen.

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Der bisherige Inhaber hat den Unternehmenswert wie folgt abge­ schätzt: Gewinn = Überschüsse = 200.000,- € pro Jahr, Kalkula­ tionszins 10%, Unternehmenswert 2 Mio. €. Er hat dabei eine ewige Rente unterstellt. Aus Sicht des Nachfolgekandidaten stellt sich jedoch die Unter­ nehmensübernahme wie folgt dar: Zur Zeit hat er ein Bruttogehalt von 60.000,- €. Dazu kommen ein Dienstwagen sowie die Arbeit­ geberanteile zur Sozialversicherung, so daß das Gesamtpaket bei etwa 75.000,- € liegt. Wenn er nun als Nachfolger gewonnen wird, beträgt sein Einkommen nicht mehr 75.000,- €, sondern 200.000,- , vorausgesetzt, der zur Zeit realisierte Gewinn läßt sich auch in der Zukunft in ähnlicher Höhe erzielen und steht für Entnahmen zur Ver­ fügung. Durch die Nachfolge kauft sich der Nachfolger also ein zu­ sätzliches jährliches Einkommen von 125.000,- €. Rechnet auch er mit einem Kalkulationszins von 10% und geht von einer ewigen Rente aus, kann er für die 125.000,- € Extraeinkommen 1,25 Mio. € zahlen. Schätzt er das Risiko höher ein, ist ihm das zusätzliche Ein­ kommen entsprechend weniger wert.

Der Erwerber wird also nur für das Einkommen bezahlen wollen, welches er über sein sonst übliches Gehalt hinaus erhalten kann. Denn die Tätigkeitsvergütung kann er ohnehin im Markt verdienen und muß dafür nichts bezahlen.

Allein die Berücksichtigung des angemessenen Unternehmerlohns führt also selbst bei identischer Risikoeinschätzung in dem Beispiel zu einer Minderung des Unternehmenswerts um 750.000,-€ bzw. um 37,5%.

Die Bestimmung des richtigen Unternehmerlohns erhält umso mehr Ge­ wicht, je kleiner das Unternehmen und der in ihm erzielte Gewinn ist. Besonders schwierig sind die Fälle, in der die anzusetzenden zukünftigen Überschüsse in etwa die gleiche Größenordnung wie der Unternehmer­ lohn haben.

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Beispiel: Nimmt man eine ewige Rente und einen Kalkulationszins von 20% an, so ergibt sich bei einem Gewinn von 100.000,- € und einem Unternehmerlohn von 60.000,- € ein Überschuß von 40.000,- €, was einem Unternehmenswert von 200.000,- € entspricht (40.000 : 20% = 200.000). Wird der Unternehmerlohn dagegen mit 70.000,-€ angesetzt, reduziert sich der Unternehmenswert auf 150.000,- €, da der Überschuß nach Unternehmenswert jetzt nur noch 30.000,- € beträgt. Ein Unternehmerlohn von 80.000,- € führt dementspre­ chend zu einem Unternehmenswert von 100.000,- €, bei 90.000,- € Unternehmerlohn beträgt der Wert nur noch 50.000,- €, und bei 100.000,- € liegt kein Ertragswert mehr vor. Relativ kleine Variatio­ nen im Unternehmerlohn führen also zu bedeutenden Änderungen des Unternehmenswertes. In diesen Fällen ist insofern besondere Sorgfalt bei der Bestimmung des Unternehmerlohns erforderlich.

Es läßt sich allerdings in recht vielen Fällen beobachten, daß Unterneh­ men, die nach Abzug des Unternehmerlohns keine entziehbaren Über­ schüsse mehr aufweisen und deren Ertragswert dementsprechend Null ist, dennoch Verkaufspreise erbringen, die deutlich über den Liquidations­ werten liegen. Die Verkaufspreise werden dann oft anhand eines Um­ satzmultiplikators oder anderer Vergleichsgrößen festgelegt. In diesen Fällen trifft möglicherweise eine zentrale Annahme der überschußorien­ tierten Bewertung nicht zu, nämlich die Voraussetzung, daß ausschließ­ lich finanzielle Überschüsse den Unternehmenswert bestimmen. Insbe­ sondere bei Kleinunternehmen kaufen sich die Erwerber möglicherweise einen Arbeitsplatz, der dann einen Verkehrswert hat. Sie erhalten für den Kaufpreis keine eigentliche Kapitalverzinsung, sondern die Möglichkeit, durch selbständige unternehmerische Aktivität Geld zu verdienen. Kommt es darauf an, den Verkehrswert zu bestimmen, kann sich der Bewerter in solchen Fällen nicht darauf zurückziehen, daß der Ertrags­ wert Null sei. Hier liegt dann eher ein Fall vor, in dem Vergleichsverfahren zum Zuge kommen müssen, um ein angemessenes Ergebnis zu erzielen.

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8.2 Bewertung im Familien- und Erbrecht Bei Unternehmensbewertungen zur Bemessung von familienrechtlichen oder erbrechtlichen Ausgleichsansprüchen liegen die Bewertungs­ stichtage oft sehr weit zurück, was insbesondere die nachträgliche "Pro­ gnose" der aus Sicht des Bewertungsstichtags zu erwartenden finanziel­ len Überschüsse schwierig macht.

Außerdem dient die Bewertung als Grundlage für Ausgleichszahlungen, die zwischen den Parteien zu leisten sind. Dabei behält der Abfindende (Ausgleichsverpflichtete) sein Unternehmen oder seinen Unternehmens­ anteil, während der Abgefundene (Ausgleichsberechtigte) Bargeld erhält. Neben den Liquiditätsproblemen, die daraus für den Ausgleichsverpflich­ teten erwachsen können, kann auch die unterschiedliche steuerliche Be­ lastung der Parteien zu einem Ungleichgewicht in der sich nach dem Aus­ gleich ergebenden Vermögensverteilung führen. Denn der ermittelte Unternehmenswert ist regelmäßig ein Schätzwert für den Marktpreis des Unternehmens, also für das Entgelt, daß der Unternehmer bei einem Ver­ kauf erlösen könnte. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß ein Verkauf steuerliche Konsequenzen hätte. Denn ein bei einer Veräußerung entste­ hender Gewinn durch Auflösung von stillen Reserven wäre zu versteuern. Der Bundesgerichtshof hat dazu ausgeführt, die Berücksichtigung dieser "latenten Steuern" sei eine Konsequenz der Bewertungsmethode. So­ weit der Verkehrswert ermittelt werde, dürfe nicht außer Betracht blei­ ben, daß wegen der Auflösung stiller Reserven dem Abfindenden wirt­ schaftlich nur der um die Steuern verminderte Erlös verbleibe. Deswegen soll in familien- und erbrechtlichen Auseinandersetzungen zunächst ein objektivierter Wert des Unternehmens ermittelt werden (Schritt 1) um anschließend zu einem "fairen Einigungswert" überzuleiten (Schritt 2). Wenn Unternehmen in gleichen Wertkategorien bewertet werden sollen wie private Vermögensgegenstände, bedeutet dies für den zweiten Bewertungsschritt, daß die voraussichtlichen zukünftigen Steuer­ folgen individuell zu berücksichtigen sind.

Die Höhe der mit dem Eigentum an einem Unternehmen oder einem Unternehmensanteil verbundenen latenten Steuerlast läßt sich immer nur schätzen. Selbst wenn das Unternehmen zum Stichtag veräußert worden wäre, ergibt sich die Steuerbelastung nicht einfach aus den Steuerbe­ scheiden, da ja aufgrund der Veräußerung regelmäßig auch die übrigen Einkünfte des Unternehmers (insbesondere laufender Einkünfte aus Ge-

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werbebetrieb oder selbständiger Arbeit) eine andere Höhe aufgewiesen hätten, als sie ohne Verkauf hatten. Im Regelfall wird aber das Unterneh­ men ja nicht zum Stichtag oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammen­ hang veräußert. Die latente Steuer ist insofern eine zukünftige Belastung. Dies spricht jedenfalls dafür, sie zwar zu berücksichtigen, aber vorsichtig zu schätzen, indem z. B. die geschätzte Steuerbelastung, die sich beim voraussichtlichen Ende des Erwerbslebens des Ausgleichsverpflichteten ergibt, zum Bewertungsstichtag abdiskontiert wird. Dabei tut sich aller­ dings wiederum das Problem auf, daß die steuerlichen Regeln, die in der Zukunft gelten werden, heute nicht bekannt sind, zumal sich gerade die Regelungen für die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen in den letz­ ten Jahren mehrfach grundsätzlich geändert haben. Es dürfte jedenfalls klar sein, daß das Problem der latenten Steuern erkannt und bei Bewer­ tungen auch bearbeitet werden muß, wohl aber nur durch relativ grobe Schätzungen zu lösen ist.

8.3 Checkliste Im folgenden wird eine Checkliste präsentiert, anhand derer die durch Unternehmensbewertungen Betroffenen überprüfen können, ob die er­ mittelten Ergebnisse und zugrundegelegten Methoden Anhaltspunkte für notwendige Korrekturen bieten. Eine solche Liste richtet sich weniger an Käufer oder Verkäufer von Unternehmensanteilen, die ja frei sind, ein Verhandlungsergebnis zu akzeptieren oder auch nicht, sondern an be­ troffene Parteien, die mehr oder weniger unfreiwillig mit Bewertungs­ ergebnissen konfrontiert werden, sei es als abgefundener oder als abzu­ findender Gesellschafter, sei es als Zugewinnausgleichsberechtigter oder -verpflichteter, sei es als ausgleichsverpflichteter Erbe oder als Pflichtteils­ empfänger. Die Liste liefert selbstverständlich nur Anhaltspunkte für zu hohe oder zu niedrige Bewertungen. Im Einzelfall können die dort aufge­ führten Kriterien auch erfüllt sein, ohne daß deshalb auf eine fehlerhafte Bewertung geschlossen werden dürfte. Ein endgültiges Urteil kann immer nur nach sorgfältiger Analyse der getroffenen Annahmen und der einzel­ nen Berechnungsschritte gefällt werden.

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Tabelle 7: Checkliste

Indikatoren für zu hohe/zu niedrige Bewertung Indikator für

Indikator für

zu hohe Bewertung

zu niedrige Bewertung

Annahme , daß die Zukunftserträge den Vergangenheitserträgen entsprechen, während in Zukunft

schwächere Erträge zu erwarten sind

stärkere Erträge zu erwarten sind

Bewertung auf der Basis von durchschnittlichen Erträgen der Vergangenheit, während

die Erträge tatsächlich eine sinkende Tendenz haben

die Erträge tatsächlich eine steigende Tendenz haben

Unterstellung einer ewigen Rente, während

zunächst für einige Jahre unterdurchschnittliche Ergebnisse zu erwarten sind

zunächst für einige Jahre überdurchschnittliche Ergebnisse zu erwarten sind

Gleichsetzung von Erträgen und Überschüssen, während

der Investitionsbedarf über den Abschreibungen liegt

ein Teil der Abschreibungen nicht für Investitionen benötigt wird

Gleichsetzung von Erträgen und Überschüssen, während

Mittel für die Ausweitung von Umlaufvermögen benötigt werden

zusätzliche Mittel durch Liquidation von Umlaufvermögen zur Verfügung stehen

Feststellung

Gleichsetzung von Erträgen und Überschüssen, während

Erträge nicht ausgeschüttet werden dürfen nicht benötigte Flüssige Mittel oder anderes nicht betriebsnotwendiges Vermögen wegen Verlustvorträgen oder vorhanden sind Ausschüttungssperren

Bewertung auf der Grundlage der Aufwendungen laut Jahresabschluß, während

der Jahresabschluß den Untemehmerlohn nicht enthält

Ansatz eines Kalkulationszinssatzes (vor Einkommensteuer) von unter 12 %, während

es sich um ein nicht börsennotiertes Unternehmen handelt

Ansatz eines Kalkulationszinssatzes (vor Einkommensteuer) von über 25%, während

ein Geschäftsführergehalt gezahlt wird, daß ein fiktiver Käufer in dieser Höhe nicht zahlen würde

das Unternehmen keine außergewöhnlich hohen Risiken hat und ein Markt für die Anteile existiert

Bewertung ausschließlich nach zukünftigen ein branchentypischer Vergleichswert unter ein branchentypischer Vergleichswert über dem Ertragswert liegt dem Ertragswert liegt Überschüssen, während

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Der Autor: Dr. Andreas Tewinkel Geboren 1958. Dipl.-Volkswirt 1982, Dr. rer.pol. 1986. Berufliche Stationen in der Wirtschaftsprüfung, im Investment Banking und in der Politikberatung. Seit 1993 selbständig als Unternehmensnerater, Gutachter und Mana­ gement-Trainer. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Unternehmensbewertung regelmäßig als Gutachter für Gerichte und private Auftraggeber tätig.

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Erfolgreiches Direktmarketing im Business to Business • Industrielle Märkte sind durch zunehmenden Wettbewerb und gestiegene Erwartungen der Kunden gekennzeichnet. • Die Märkte sind gesättigt, die Produkte austauschbar. Das einzige Marketinginstrument scheint der Preis zu sein. • Ehemals langfristig stabile Kundenbeziehungen werden zunehmend in Frage gestellt. • Die Neukundengewinnung wird für Unternehmen immer bedeutender. Dies ist aber auch Intention der Wettbewerber. Der Erfolg der Neukundengewinnung ist u.a. davon abhängig • wie professionell die hierzu notwendige Werbung durchgeführt wird • inwieweit dies effektiver und effizienter im Vergleich zu den Wettbewerbern geschieht.

Dies gilt auch für alle werblichen Maßnahmen zur Kundenbindung. Das Buch zeigt auf, welches Direktmarketinginstrument zur Erreichung des jeweiligen Zieles das Beste ist und wie dies mit einfachsten Mitteln selbst entwickelt und in der Praxis eingesetzt werden kann. Zahlreiche Beispiele illustrieren die Ausführungen. Ein Ratgeber für Unternehmen, deren Kunden Hersteller (z.B. Maschinenbau), Zwischenhändler (Großhandel und Einzelhandel) oder Endverwerter (Handwerker) im B2B sind. Inhalt 1 Konzeption und Grundlagen 2 Grundlagen der Kommunikation im B 2 B 3 Kundendatenbank 4 Adressmanagement 5 Zielsetzung, Response und Erfolgskontrolle 6 Die besten Direktmarketinginstrumente im B 2 B

Christian Gündling Direktmarketing im B 2 B 2002. 108 Seiten, 20 € RKW-Nr. 1441 ISBN 3-89644-188-4

RKW-Verlag, Postfach 5867,65733 Eschborn Fax 06196/495-300, E-Mail: [email protected]