Rechtshandbuch Unternehmensbewertung [2. vollständig überarbeitete Auflage] 9783504386337

Hier werden die einschlägigen Themen an der Schnittstelle von inbesondere Gesellschaftsrecht und Betriebswirtschaftslehr

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Rechtshandbuch Unternehmensbewertung [2. vollständig überarbeitete Auflage]
 9783504386337

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Fleischer/Hüttemann Rechtshandbuch Unternehmensbewertung

Rechtshandbuch Unternehmensbewertung herausgegeben von

Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Holger Fleischer, Dipl.-Kfm., LL.M. Prof. Dr. iur. Rainer Hüttemann, Dipl.-Volksw.

2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage

2019

Bearbeiter Prof. Dr. Johannes Adolff, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.

Prof. Dr. Michael Arnold Rechtsanwalt, Stuttgart Honorarprofessor an der Universität Tübingen

Prof. Dr. Hans-Joachim Böcking Universitätsprofessor, Frankfurt a. M.

Prof. Dr. Winfried Born

Prof. Dr. Knut Werner Lange Universitätsprofessor, Bayreuth

Dr. Georg Lauber Vorsitzender Richter am Landgericht, Köln

Johannes Leverkus Wirtschaftsprüfer/Steuerberater/CPA, Bonn

Dr. Carsten Meinert Richter am Finanzgericht, Köln

Rechtsanwalt, Dortmund Honorarprofessor an der Universität Bochum

Prof. Dr. André Meyer, LL.M. Taxation

Dr. Hartwin Bungert, LL.M. (Chicago)

Dr. Karsten Nowak

Rechtsanwalt, Düsseldorf

Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher Universitätsprofessor, Konstanz

Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, Dipl.-Kfm., LL.M. (Univ. of Michigan)

Universitätsprofessor, Bayreuth Direktor, Hessischer Rechnungshof, Darmstadt

Dr. Matthias Popp Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Stuttgart

Direktor, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg

Dr. Fabian Rauschenberg

Dr. Lars Franken

Rechtsanwältin, Stuttgart

Wirtschaftsprüfer/CFA, Essen

Dr. Frederik Ruthardt

Dr. Jan Häller, LL.M. (Cambridge)

Wirtschaftsprüfer, Stuttgart

Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.

Dr. Jörn Schulte

Prof. Dr. Rainer Hüttemann,

Wirtschaftsprüfer/Steuerberater/CVA, Essen

Dipl.-Volksw. Universitätsprofessor, Bonn

Prof. Dr. Martin Jonas

Steuerberater, Rotenburg an der Fulda

Dr. Vera Rothenburg

Prof. Dr. Heike Wieland-Blöse

Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Düsseldorf Honorarprofessor an der Universität zu Köln

Wirtschaftsprüferin/Steuerberaterin, Düsseldorf Honorarprofessorin an der Universität Düsseldorf

Dr. Torsten Kohl

Prof. Dr. Martin Winner

Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Bonn

Universitätsprofessor, Wien

Prof. Dr. Marcel Krumm

Christoph Wollny

Universitätsprofessor, Münster im zweiten Hauptamt Richter am Finanzgericht Münster

Dipl.-Kfm. Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Berlin

Zitierempfehlung: Verfasser in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-45561-3 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Das Recht der Unternehmensbewertung ist weiter in Bewegung. Hervorzuheben ist namentlich der Stinnes-Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135), der die Notwendigkeit einer normgeprägten Unternehmensbewertung nachdrücklich unterstreicht. Er folgt damit der Linie dieses Handbuchs, das es sich zur Aufgabe macht, die rechtlichen Dimensionen der Unternehmensbewertung herauszuarbeiten und zugleich ihre Verzahnung mit den betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden und der berufsständischen Bewertungspraxis zu erläutern. Die Neuauflage trägt der wachsenden Bedeutung und zunehmenden Ausdifferenzierung der rechtsgeleiteten Unternehmensbewertung durch einen thematischen Ausbau Rechnung. Erstmals aufgenommen wurden Kapitel zu Planung und Prognose, Abgrenzung zwischen Rechtsund Tatfragen, Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht, von kleinen und mittleren Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, gemeinnützigen Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen sowie im Steuerverfahren. Außerdem wird die höchst- und instanzgerichtliche Rechtsprechung noch breitflächiger als bisher aufbereitet. Wir legen weiterhin Wert darauf, dass unter den Alt- und Neuautoren Angehörige aller mit Bewertungsfragen befassten Berufsgruppen vertreten sind: Hochschullehrer der Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Rechtsanwälte und Richter. Dieser ganzheitliche Ansatz soll dazu beitragen, das Recht der Unternehmensbewertung im Grundsätzlichen wie im Detail getreulich zu erfassen und sachgerecht anzuwenden. Für tatkräftige Unterstützung schulden wir von Verlagsseite Frau Ass. iur. Katharina Melkko und Herrn Dr. Bastian Schoppe einen herzlichen Dank. Anregungen und Kritik nehmen wir gerne entgegen ([email protected]). Hamburg und Bonn, im Juli 2019 Holger Fleischer

Rainer Hüttemann

VII

Inhaltsübersicht Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LIII

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LVII

Erster Teil Einführung §1 §2 §3

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem (Hüttemann) . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie (Böcking/Rauschenberg) . . . . . . . Berufsständische Bewertungspraxis (Jonas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 42 65

Zweiter Teil Bewertungsmethoden §4 §5 §6 §7 §8 §9 § 10 § 11 § 12

Überblick über das Ertragswertverfahren (Böcking/Nowak) . . . . . . . . . . Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags (Franken/Schulte) . Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes (Franken/Schulte) . . . . . . . . . . Planung und Prognose (Meyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht betriebsnotwendiges Vermögen (Hüttemann/Meinert) . . . . . . . . . Liquidationswert (Fleischer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten des DCF-Verfahrens (Jonas/Wieland-Blöse) . . . . . . . . . Alternative Bewertungsverfahren (Franken/Schulte) . . . . . . . . . . . . . . . Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung (Popp/Ruthardt) . .

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81 99 138 192 226 255 276 291 314

.... ....

371 392

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423 446 473 501 547

....

589

Dritter Teil Querschnittsfragen § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19 § 20

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen (Hüttemann) . . . . . . . . . Stichtagsprinzip (Hüttemann/Meyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards (Fleischer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbundvorteile/Synergieeffekte (Winner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berücksichtigung von Steuern (Jonas/Wieland-Blöse) . . . . . . . . . . . . . Börsenkurs und Unternehmensbewertung (Adolff/Häller) . . . . . . . . . Vorerwerbspreise (Leverkus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile (Fleischer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

Inhaltsübersicht

Vierter Teil Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht Seite

§ 21 § 22 § 23 § 24

Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht (Adolff/Häller) Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht (Bungert) . . . . . . . . Unternehmensbewertung im Übernahmerecht (Winner) . . . . . . . . . . Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht (Fleischer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.... .... ....

623 662 712

....

754

Fünfter Teil Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien- und Erbrecht § 25 § 26 § 27

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht (Wollny) . . . . . . . . . . . . Unternehmensbewertung im Familienrecht (Born) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensbewertung im Erbrecht (Lange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

787 826 867

Sechster Teil Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht § 28 § 29

Unternehmensbewertung im Bilanzrecht (Leverkus) . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Unternehmensbewertung (Kohl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

925 961

Siebter Teil Sonderbereiche der Unternehmensbewertung § 30 § 31 § 32

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) (Lauber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung in der Unternehmenskrise (Wieland-Blöse) . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensbewertung bei Non-Profit-Organisationen, gemeinnützigen Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen (Hüttemann) . . . . . . . . . . .

1029 1115 1140

Achter Teil Verfahrensrechtliche Fragen der Unternehmensbewertung § 33 § 34 § 35 § 36 § 37 § 38

. . . . . .

1167 1197 1260 1275 1298 1331

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1365

X

Spruchverfahren (Arnold/Rothenburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensbewertung in streitigen gerichtlichen Verfahren (Lauber) Unternehmensbewertung im Steuerverfahren (Krumm) . . . . . . . . . . . Privat- und Schiedsgutachten zu Unternehmensbewertungen (Lauber) . Unternehmensbewertung im Schiedsverfahren (Fehrenbacher) . . . . . . Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsvergleichung (Fleischer)

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Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LIII

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LVII

Erster Teil Einführung §1 Unternehmensbewertung als Rechtsproblem (Hüttemann) Rz.

Seite

I. Bewertung von Unternehmen als Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1

4

II. „Rechtsgebundene“ Unternehmensbewertung als juristische Aufgabe

1.5

6

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. . . . .

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1.9 1.9 1.14 1.17 1.20

9 9 11 11 13

IV. Bewertungsziel als Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Normwert“ als Bewertungsvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung ausscheidender Gesellschafter als Beispiel . . . . . . . . . a) § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . b) „Angemessene“ Barabfindung ausscheidender Aktionäre (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Abfindungsbemessung (Art. 14 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überblick über rechtliche Bewertungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . a) Normorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung des „Unternehmens als Einheit“ . . . . . . . . . . . . . d) Liquidationswert als Wertuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Quotaler Unternehmenswert oder Anteilswert . . . . . . . . . . . f) Bewertung zum Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.25 1.25 1.26 1.26

14 14 14 14

....

1.28

15

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

1.29 1.31 1.32 1.32 1.33 1.36 1.38 1.40 1.41 1.43

16 17 17 17 18 19 20 22 22 23

V. Wertermittlung als Tatsachenfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwierigkeiten der Wertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.44 1.44

23 23

III. 1. 2. 3. 4.

Rechtliche Bewertungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht Familien- und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanz- und Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Bewertungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI

Inhaltsverzeichnis

Rz.

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1.45 1.45 1.46 1.50 1.52 1.52 1.57 1.59 1.62 1.65 1.66 1.67

24 24 24 27 28 28 30 31 33 34 35 35

Unternehmensbewertung und Verfahrensrecht Kein einheitliches Verfahrensrecht . . . . . . . . . . Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitiges Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsgericht und Schiedsgutachten . . . . . . . . Steuerverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.68 1.68 1.69 1.71 1.72 1.74

36 36 36 37 37 38

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom „theoretisch richtigen Wert“ zur Bandbreite „vertretbarer“ Werte Internationale Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reform der rechtlichen Bewertungsvorgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.75 1.75 1.77 1.78

38 38 39 40

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1

43

II. Erläuterung verwendeter Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.4

44

. . . .

2.6 2.7 2.11 2.15

45 45 46 47

IV. Anlässe für Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.16

48

2.19 2.20 2.20 2.21 2.23 2.25 2.27 2.28 2.30

49 49 49 50 50 51 52 52 53

2. Wertermittlung durch Schätzung . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit einer Schätzung . . . . . . . . . . . b) Richterliches Schätzungsermessen . . . . . . . 3. Beauftragung von Sachverständigen . . . . . . . . 4. Zur Eignung einzelner Bewertungsverfahren . . a) Ertragswert- und DCF-Methoden . . . . . . . b) Substanzwert und Mischverfahren . . . . . . . c) „Marktorientierte“ Bewertungsansätze . . . . d) Börsenkurse und gezahlte Kaufpreise . . . . . e) Auswahl der Bewertungsmethode . . . . . . . f) Methodenänderungen und „Rückwirkung“ . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 1. 2. 3. 4. 5. VII. 1. 2. 3.

§2 Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie (Böcking/Rauschenberg)

III. 1. 2. 3.

Entwicklungshistorie der Unternehmensbewertung Objektive Werttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektive Werttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionale Werttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V. Funktionale Unternehmensbewertung 1. Bewertungsfunktionen . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung der Funktionen . . . . . . b) Beratungsfunktion . . . . . . . . . . . . c) Vermittlungsfunktion . . . . . . . . . . d) Argumentationsfunktion . . . . . . . . e) Nebenfunktionen . . . . . . . . . . . . . f) Funktionen gemäß IDW S 1 . . . . . . 2. Gesamtbewertung und Zukunftsbezug .

XII

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Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

2.32 2.34

54 55

. . . . . . . . .

2.37 2.38 2.38 2.40 2.44 2.44 2.48 2.51 2.53

56 56 56 58 59 59 60 61 62

VII. Ausblick: Unternehmensbewertung und Digitalisierung . . . . . . . . .

2.55

63

3.1

66

Historische Entwicklung der Bewertungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . Bewertungspraxis vor 1983: Mischverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertungspraxis seit 1983: Dominanz der Barwertmethoden . . . . . . . Bewertungspraxis ab 2000: Kapitalmarktorientierung und Vereinbarkeit von Ertragswert und DCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.7 3.10 3.14

67 68 69

3.17

69

III. Allgemeine Grundsätze der Unternehmensbewertung nach IDW S 1 . 1. Bedeutung und formaler Rahmen von IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlegendes Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewerten heißt vergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rationale Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ertragswert und DCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektivierter und subjektiver Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Typisierung der Steuerbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Typisierung der Risikoprämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Plausibilisierung des Unternehmenswerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.22 3.22 3.25 3.25 3.29 3.32 3.33 3.33 3.38 3.41 3.43 3.46 3.53

70 70 71 71 72 72 73 73 73 74 74 75 76

IV. Unternehmensbewertungskonzepte in speziellen Kontexten . . . . . 1. Bewertungsstandards anderer Berufsorganisationen . . . . . . . . . . . . . a) Östereichischer Bewertungsstandard KFS/BW 1 . . . . . . . . . . . . . b) Fachmitteilung der Schweizer Treuhandkammer . . . . . . . . . . . . c) Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung der DVFA . d) International Valuation Standards des IVSC . . . . . . . . . . . . . . . e) Empfehlungen einzelner Berufsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.54 3.55 3.55 3.56 3.57 3.60 3.61

76 76 76 76 77 77 77

3. Einzubeziehende Erfolgsgrößen und Zuflussprinzip . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonstige Bewertungsgrundsätze gemäß IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausgewählte Bewertungsverfahren . . . . 1. Einzelbewertungsverfahren . . . . . . . . . . a) Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . b) Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamtbewertungsverfahren . . . . . . . . . a) Ertragswertverfahren gemäß IDW S 1 b) Discounted-Cashflow-Verfahren . . . . c) Multiplikatorverfahren . . . . . . . . . . 3. Mischverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§3 Berufsständische Bewertungspraxis (Jonas) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3.

. . . . . . .

XIII

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. . . . . .

3.63 3.63 3.65 3.67 3.68 3.69

78 78 78 79 79 79

...

3.71

79

V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.74

80

4.1

82

2. Bewertungskonzepte im Steuerrecht und in der Rechnungslegung . a) Bewertungsgesetz und vereinfachter Ertragswert . . . . . . . . . . . b) Fair Value nach IFRS 13 und Nutzungswert nach IAS 36 . . . . . 3. Besondere Bewertungsstandards und Hinweise . . . . . . . . . . . . . . a) IDW RS HFA 10, IDW RS HFA 16 und IDW S 5 . . . . . . . . . . b) Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW S 8) c) Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . .

Zweiter Teil Bewertungsmethoden §4 Überblick über das Ertragswertverfahren (Böcking/Nowak) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Grundsätze ordnungsgemäßer Ertragswertberechnung Komplexitätsreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweckadäquanzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunftsbezogenheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtbewertungsprinzip und Kapitalwertprinzip . . . . . Subjektivitäts-, Typisierungs- und Objektivierungsprinzip Äquivalenzprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbundberücksichtigungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . Liquidationstest und Marktwertvergleich . . . . . . . . . . . Dokumentationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . .

4.4 4.4 4.6 4.7 4.10 4.11 4.17 4.20 4.26 4.27 4.29

83 83 84 84 85 85 88 88 89 90 90

III. 1. 2. 3. 4. 5.

Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . Bewertungskonzeption . . . . . . . . . . Festlegung des Planungshorizontes . . Ertragsschätzung . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung des Diskontierungszinses Berechnung des Restwerts . . . . . . . .

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4.30 4.30 4.36 4.37 4.41 4.44

91 91 94 94 96 96

IV. Rechtsprechung zur Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.46

97

V. Thesenförmige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.47

97

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1

100

II. Konzeption der Ermittlung des Zukunftsertrags . . . . . . . . . . . . . . .

5.5

100

. . . . . .

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§5 Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags (Franken/Schulte)

XIV

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

5.11 5.11 5.20 5.20 5.24 5.32 5.39 5.43 5.49 5.50 5.53

102 102 104 104 105 107 109 109 111 111 112

IV. Planungsplausibilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Maßstäbe für die Durchführung der Planungsbeurteilung . 2. Gewinnung eines Verständnisses vom Planungsprozess . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Analyse der Planungstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Plausibilitätsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Analyse der rechnerischen und formellen Plausibilität . . . . . . . . . c) Analyse der materiellen, internen Plausibilität . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unternehmens- und Vergangenheitsanalyse . . . . . . . . . . . . . (1) Unternehmensanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vergangenheitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse . . . . . . . . (c) Ergebnis der Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analyse der Erläuterungen des Managements . . . . . . . . . . . . d) Analyse der materiellen, externen Plausibilität . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Marktanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analyse der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Analyse der Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Analyse der Marktstellung des zu bewertenden Unternehmens e) Zusammenfassende Darstellung der Beurteilungsmaßstäbe für Planungsbeurteilungen/Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . 4. Einzelanalyse in der Detailplanungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Plausibilisierung der Detailplanungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten der Plausibilisierung der Übergangsphase und der ewigen Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Plausibilisierung der Übergangsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Plausibilisierung der ewigen Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.58 5.58 5.61 5.61 5.63 5.67 5.67 5.68 5.71 5.71 5.72 5.72 5.79 5.79 5.80 5.83 5.84 5.85 5.85 5.89 5.98 5.107 5.108

113 113 115 115 115 116 116 116 117 117 118 118 119 119 119 120 120 120 120 121 123 125 125

. . . .

5.115 5.117 5.117 5.129

126 128 128 131

. . . .

5.138 5.138 5.139 5.141

134 134 134 134

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.147

137

III. Anforderungen an eine Planungserstellung . . . . . . . . . 1. Integrierte Unternehmensplanung und Planungsprozess . 2. Detailplanungsphase (Phase I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Planung der Erfolgsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Planung der Bilanzgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Finanzplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Planung der Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Planung der Thesaurierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Planung der Übergangsphase (Phase II) . . . . . . . . . . . . 4. Planung des nachhaltigen Ertragsüberschusses (Phase III)

. . . . . . . . . . .

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XV

Inhaltsverzeichnis

§6 Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes (Franken/Schulte) Rz.

Seite

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1

140

II. Bedeutung des Kapitalisierungszinssatzes und Grundlage der Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.7

140

III. Ableitung des Basiszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ableitung einer aktuellen Zinsstrukturkurve auf Basis der Svensson-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung eines barwertäquivalenten einheitlichen Basiszinssatzes 4. Der Basiszinssatz in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.... ....

6.13 6.13

142 142

.... .... ....

6.19 6.29 6.35

143 146 147

IV. 1. 2. 3. 4.

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

6.43 6.43 6.45 6.53 6.69

150 150 150 152 157

Ableitung des Betafaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alternative Methoden zur Ableitung eines Betafaktors . . . . . . . . . . Ableitung von Betafaktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betafaktor des Bewertungsobjekts oder einer Peer Group . . . . . . c) Ermittlung historischer Raw Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . d) Belastbarkeit historischer Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prognoseeignung historischer Betafaktoren als künftig zu erwartende Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ermittlung von Un-/Relevered Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Betafaktor in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

6.80 6.80 6.81 6.88 6.88 6.90 6.103 6.120

163 163 163 165 165 166 169 173

.. .. ..

6.139 6.156 6.168

177 181 185

VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.178

189

Ableitung der Marktrisikoprämie . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunftsorientierte Ableitung der Marktrisikoprämie . . . . . Vergangenheitsorientierte Ableitung der Marktrisikoprämie . Die Marktrisikoprämie in der Rechtsprechung . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

V. 1. 2. 3.

§7 Planung und Prognose (Meyer) I. 1. 2. 3.

Planung und Prognose als rechtlich determinierte Kategorien Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnisbestimmung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenstellung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Analyse des Meinungsstands . 1. Berufsständische Praxis . . . . . a) Darstellung . . . . . . . . . . b) Kritische Würdigung . . . .

XVI

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. . . .

. . . .

7.1 7.1 7.4 7.7

193 193 195 197

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

7.8 7.8 7.8 7.12

197 197 197 199

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

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7.15 7.15 7.20 7.28 7.28

201 201 204 208 208

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

7.29 7.35 7.39 7.41 7.41 7.44

208 211 213 215 215 216

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

7.45 7.45 7.45 7.49 7.50 7.54

217 217 217 219 220 222

I. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen im Kontext der Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.1

227

. . . . . . . . . . . . . . . . .

8.4 8.4 8.4 8.5 8.6 8.6 8.8 8.12 8.12 8.14 8.14 8.15 8.18 8.20 8.24 8.24 8.26

229 229 229 229 229 229 230 231 231 232 232 233 234 235 237 237 237

III. Grundsätze der Bewertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens . . 1. Bestmögliche Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.31 8.31 8.32

240 240 241

2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgaben des DAT/Altana-Beschlusses des BVerfG . . . . . b) Neuere Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Jüngere Rechtsprechung der Instanzgerichte . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aktuelle Rechtsprechungsgrundsätze am Beispiel des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sichtweisen anderer Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsprechung zu Einzelpunkten . . . . . . . . . . . . . 3. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichlauf mit der herrschenden Praxis . . . . . . . . . . . . . b) Gegenmodell: Grundsatz der bestmöglichen Verwertung . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestmögliche Verwertung und Verkehrswert . . . a) Bestmögliche Verwertung als Bewertungsziel b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verkehrswert und Erwerberkalkül . . . . . . . 2. Praktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . .

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§8 Nicht betriebsnotwendiges Vermögen (Hüttemann/Meinert)

II. Abgrenzung von betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertbezogene Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Funktionale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Perspektiven der funktionalen Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelheiten zum Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertbezogene und funktionale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgebliche Perspektive im Rahmen der funktionalen Abgrenzung aa) Allgemeines und Neutralität des IDW . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) 1. Perspektive: Erfordernis einer Veräußerungsentscheidung . . cc) 2. Perspektive: Tatsächliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . dd) 3. Perspektive: Objektiver Betrachter . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertbezogene und funktionale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Perspektive der funktionalen Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . .

XVII

Inhaltsverzeichnis

a) b) c) d)

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abzug fiktiver Liquidationskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abzinsung des Verkehrswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung der fiktiven Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abzug latenter Steuern auf Unternehmens- und Eigentümerebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang des Steuerabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abzinsung der Steuerbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abzug von Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Korrektur des Gesamtwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

Seite

. . . .

. . . .

8.32 8.33 8.35 8.38

241 241 242 243

. . . . .

. . . . .

8.38 8.40 8.42 8.44 8.45

243 245 246 247 247

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

8.46 8.46 8.47 8.49 8.51 8.52 8.53 8.57 8.58 8.60

247 247 248 249 250 250 251 253 253 254

Begriff und Verhältnis zu anderen Bewertungsverfahren Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zum Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zum Zukunftserfolgs- oder Fortführungswert . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

9.1 9.1 9.2 9.3

256 256 257 257

II. Ermittlung des Liquidationswerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Liquidationserlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schulden und Liquidationskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.4 9.5 9.6

257 258 259

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Einzelfragen und Fallgruppen Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Beteiligungen . . . . . . . . . . . . Forderungen . . . . . . . . . . . . Negatives Vermögen/Schulden Immaterielles Vermögen . . . . Immobilien . . . . . . . . . . . . . Kunstwerke . . . . . . . . . . . . . Liquide Mittel . . . . . . . . . . . Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . .

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§9 Liquidationswert (Fleischer) I. 1. 2. 3.

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. . . . .

. . . . .

9.7 9.8 9.9 9.10 9.14

260 260 260 261 261

IV. Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftslehre und Bewertungspraxis . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Oberlandesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . .

. . . . . . . .

9.15 9.16 9.16 9.17 9.18 9.23 9.25 9.26

261 262 262 262 262 263 265 265

III. 1. 2. 3. 4.

XVIII

Rechtliche Relevanz des Liquidationswertes . . . . . . . . . Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens . . . Bewertung von Unternehmen mit begrenzter Lebensdauer Bewertung personenbezogener Unternehmen . . . . . . . . . Bewertung ertragsschwacher Unternehmen . . . . . . . . . . .

. . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. . . . . . . . . . . .

9.29 9.30 9.31 9.33 9.35 9.36 9.37 9.38 9.39 9.40 9.41 9.42

266 267 267 268 270 270 270 271 271 272 272 273

V. Grenzen der Maßgeblichkeit des Liquidationswertes . . . . . . . . . . . .

9.43

274

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1

276

II. Relevanz von DCF-Verfahren in der Rechtsprechung und der Praxis .

10.4

277

. . . . . . .

10.9 10.17 10.23 10.24 10.34 10.40 10.47

278 280 281 281 284 285 287

IV. Abgrenzung zum Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.52

288

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.58

289

11.1

292

11.7 11.7 11.7 11.13 11.18 11.22 11.27 11.27 11.32

293 293 293 294 295 296 297 297 298

2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Argumente gegen den Liquidationswert als Untergrenze . . aa) Ungerechtfertigter Vorteil des Abfindungsberechtigten bb) Freiheit der unternehmerischen Entscheidung . . . . . . cc) Liquiditätsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Argumente für den Liquidationswert als Wertuntergrenze . aa) Grundsatz der vollen Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektivierter Unternehmenswert . . . . . . . . . . . . . . cc) Missbrauchsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ordnungspolitische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsvergleichende Absicherung . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . .

§ 10 Besonderheiten des DCF-Verfahrens (Jonas/Wieland-Blöse)

III. Funktionsweise von DCF-Verfahren . 1. Entity-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . a) WACC-Ansatz . . . . . . . . . . . . . aa) Free Cash Flow-Ansatz . . . . . bb) TCF-Ansatz . . . . . . . . . . . . b) APV-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Equity-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . .

§ 11 Alternative Bewertungsverfahren (Franken/Schulte) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Multiplikatorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition des Multiplikatorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematisierung der Multiplikatorverfahren . . . . . . . . . . . . . . c) Differenzierung von Wert und Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleichbarkeit als grundlegende Voraussetzung . . . . . . . . . . . 2. Durchführung einer Multiplikatorbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwendung von Eigen- oder Gesamtkapitalmultiplikatoren . . . . b) Abgrenzung des Marktpreises des Eigen- und des Gesamtkapitals

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

XIX

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

c) Festlegung einer geeigneten Bezugsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auswahl der Vergleichsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.44 11.54

301 303

III. Vereinfachtes Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.66

306

IV. 1. 2. 3. 4.

. . . . .

11.75 11.75 11.80 11.84 11.89

308 308 309 310 311

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.93

311

12.1

316

Sonstige alternative Bewertungsverfahren Substanzwertverfahren . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Übergewinnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . Stuttgarter Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

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. . . . .

§ 12 Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung (Popp/Ruthardt) I. Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

12.7 12.7 12.8 12.8 12.24 12.25 12.33 12.42 12.46 12.52 12.54 12.61 12.66

318 318 319 319 322 323 325 327 328 330 331 334 335

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

12.66 12.67 12.82 12.94 12.96 12.101 12.107 12.115 12.121 12.124 12.126 12.139 12.154

335 336 338 341 342 342 344 346 347 347 348 351 355

III. Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.157

356

II. Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung der künftigen finanziellen Überschüsse . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Faktischer) Konzern und Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . c) Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Währungsumrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Phasenmethode und nachhaltige finanzielle Überschüsse . . . . . . aa) Einschub einer Übergangsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ansatz eines Durchschnittswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ableitung der Netto-Ausschüttungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Alternativanlage in ein Aktienportfolio und CAPM als Standardmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Basiszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Marktrisikoprämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Betafaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Originärer Betafaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Liquidität der Aktie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Peer Group Betafaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Raw oder adjusted Beta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Debt Beta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Länderrisikoprämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Wachstumsabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Persönliche Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XX

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

IV. Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.162

357

V. Unterschiedlich ausgestaltete Anteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.163

357

VI. Net Asset Value . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.171

359

VII. Vorerwerbspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.175

359

12.178 12.178 12.180 12.183 12.183 12.188 12.195 12.199

360 360 360 361 361 362 364 365

IX. Fester oder variabler Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.200 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.200 2. Verrentungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.208

365 365 367

X. Relevanz der kapitalisierten Ausgleichszahlung . . . . . . . . . . . . . . . 12.219

369

VIII. 1. 2. 3.

Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Desinvestitionswert . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßgeblicher Stichtag . . . . . . . . . . . . . . . Längerer Zeitraum und Hochrechnung . . . a) Längerer Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . b) Hochrechnungsmethodik . . . . . . . . . . 4. Irrelevanz des Börsenkurses als Untergrenze 5. Freiverkehrskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

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. . . . . . . .

Dritter Teil Querschnittsfragen § 13 Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen (Hüttemann) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.1

372

II. Unterscheidung von Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung . .

13.2

373

III. Festlegung der gesetzlichen Bewertungsziele als Rechtsfrage . 1. Normgebundenheit der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . a) Abfindung ausscheidender Aktionäre als Beispielsfall . . . . . b) Bewertungsvorgaben im Familien- und Erbrecht . . . . . . . 2. Weitere Konkretisierungen des Bewertungsziels . . . . . . . . . . . a) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Quotaler Unternehmenswert oder Anteilswert . . . . . . . . . c) Liquidationswert als Wertuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . d) Börsenwert als Wertuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Festlegung des Bewertungsziels als Rechtsanwendung . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

13.6 13.6 13.6 13.7 13.8 13.8 13.9 13.10 13.11 13.12

375 375 375 375 376 376 376 377 377 377

IV. Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen bei der tatsächlichen Wertfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermittlung von Unternehmenswerten als Tatsachenfeststellung a) Vom gesetzlichen Bewertungsziel zur Tatsachenfeststellung . b) Unternehmenswertfeststellungen als Schätzungen . . . . . . . c) Hinzuziehung eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . d) Würdigung des Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

13.13 13.13 13.13 13.14 13.15 13.16

378 378 378 378 378 379 XXI

Inhaltsverzeichnis

2. Richterliches Schätzungsermessen und Auswahl unter mehreren Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswahl der Bewertungsmethode als Aufgabe des Tatrichters . . . b) Optimierungsgebot oder nur Vertretbarkeits- bzw. Plausibilitätsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mangelnde Eignung einer Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . c) Unrichtige Tatsachengrundlage und falsche Berechnungen . . . . . d) Fehlerhafte Methodenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Befangenheit des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

Seite

.. ..

13.18 13.18

380 380

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

13.19 13.19 13.22 13.24 13.24 13.25 13.27 13.28 13.29

380 380 382 383 383 383 384 385 385

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

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13.30 13.30 13.33 13.40

385 385 387 390

Hintergründe, Funktionen und Reichweite . . . . . . . . . . . . . Ableitung und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fragenkreise ohne Aussagekraft des Stichtagsprinzips . . . . . . . 5. Bewertungen vor dem Stichtag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sondersituation: Ermittlung stichtagsbezogener hypothetischer Börsenkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . .

14.1 14.1 14.4 14.8 14.8 14.10 14.17 14.20

393 393 395 396 396 397 399 401

......

14.23

402

. . .

14.24 14.24 14.30

402 402 403

. .

14.30 14.35

403 405

. . . . . . .

14.40 14.40 14.41 14.41 14.41 14.43 14.48

407 407 407 407 407 408 409

V. 1. 2. 3.

Exkurs: Kritik am IDW S 1 zwischen Rechts- und Tatfragen Dominanz der IDW-Verlautbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . Eignung des IDW S 1 und gesetzliche Bewertungsperspektive . Verfahrensrechtliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 14 Stichtagsprinzip (Hüttemann/Meyer) I. 1. 2. 3.

II. Ermittlung des maßgebenden Stichtags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festlegung des Stichtags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stichtage bei ausgewählten gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen a) Aktien- und umwandlungsrechtliche Abfindungs- und Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Abfindungsanspruch aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . III. In die Wertermittlung einzubeziehende Informationen 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigungsfähige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „Wurzeltheorie“ des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prognosebildung: Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXII

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Inhaltsverzeichnis

dd) Rechtsprechung der Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . ee) Spätere Erkenntnisse über präexistente Zustände . . . b) Meinungsstand im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitpunktbezogenheit der Bewertung . . . . . . . . . . . bb) Perspektive eines gedachten Unternehmenserwerbers cc) Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Standardänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit zur Informationsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . .

Rz.

Seite

14.50 14.51 14.52 14.56 14.56 14.60 14.63 14.65 14.70 14.75

410 411 412 413 413 415 417 418 419 422

§ 15 Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards (Fleischer) 15.1

424

. . . .

15.4 15.4 15.5 15.6

425 425 426 426

.

15.6

426

. .

15.9 15.12

427 429

.

15.12

429

. . .

15.14 15.15 15.19

430 430 431

...

15.20

432

... ... ...

15.21 15.21 15.23

432 432 433

... ...

15.25 15.26

434 435

. . . . . .

15.27 15.28 15.29 15.31 15.33 15.34

435 435 436 437 438 439

I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Stinnes-Beschluss des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anlassfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorheriger Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einzelne Oberlandesgerichte: Keine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mehrzahl der Oberlandesgerichte: Nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Lehre: Nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelne Literaturstimmen: Methodenanpassungen versus Methodenverbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reaktionen in Rechtsprechung und Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entfaltung der Einzelargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachgründe für eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angemessene Abfindung als gesetzliches Bewertungsziel . . . . . . b) Auswahl einer normzweckadäquaten Bewertungsmethode . . . . c) Verschlechterungsverbot zugunsten abfindungsberechtigter Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Geringes Kostenrisiko der Antragsteller im Spruchverfahren . . . 2. Einwände gegen eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intertemporales Recht (Art. 170 EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXIII

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

f) Grenzpreisbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Verbot überlanger Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.35 15.36 15.38

439 440 441

IV. Anwendung verbesserter Bewertungsweisen auf vergangene Bewertungsstichtage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Berücksichtigung verbesserter Bewertungsstandards . . . . . . 2. Vergleich mit anderen Fällen nachträglichen Erkenntnisfortschritts . . .

15.39 15.40 15.42

441 441 442

15.43

443

15.44 15.46

443 444

I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.1

447

II. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.4

448

III. Position der Bewertungspraxis und -lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.7 16.7 16.9

449 449 450

IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.13

451

V. Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Squeeze-out gem. §§ 327a ff. AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verteilungsschlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindungsanspruch bei gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen a) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschafterausschluss im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

16.16 16.17 16.17 16.20 16.26 16.31 16.37 16.37 16.41 16.44 16.50

452 453 453 453 457 459 460 460 461 463 464

. . . . . . . .

16.53 16.53 16.53 16.56 16.59 16.61 16.67 16.70

465 465 465 466 467 468 470 471

VII. Summe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.72

471

V. Erkenntnisfortschritt durch neue Bewertungsstandards . . . . . . . . . 1. Betriebswirtschaftlich und bewertungsmethodisch bessere Ergebnisse durch IDW S 1 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überlegenheitsvermutung für einen neuen Expertenstandard . . . . . . .

§ 16 Verbundvorteile/Synergieeffekte (Winner)

VI. Anteilstausch . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung und Schrifttum . . c) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien gem. § 305 AktG 3. Weitere Fallgruppen . . . . . . . . . . . . .

XXIV

. . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

§ 17 Berücksichtigung von Steuern (Jonas/Wieland-Blöse) Rz.

Seite

. . .

17.1 17.3 17.8

474 475 475

. . .

17.12 17.15 17.20

476 477 478

. .

17.24 17.26

479 479

.... .... ....

17.28 17.28 17.39

480 480 483

. . . .

. . . .

17.46 17.46 17.47 17.50

485 485 486 487

.... .... ....

17.60 17.61 17.65

490 490 491

.... ....

17.73 17.77

493 495

IV. Bewertungskalküle ohne die vollständige Berücksichtigung von Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Unternehmensbewertungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nutzungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.80 17.81 17.82

496 496 496

V. Diskussion zur Berücksichtigung transaktionsabhängiger Steuern . . . 1. Abfindungsansprüche ausscheidender Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbrechtliche und familienrechtliche Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . .

17.84 17.85 17.88

497 497 498

VI. Diskussion zur Erfassung persönlicher Steuern bei der Bewertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.90

499

I. Grundsätzliche Berücksichtigung von Ertragsteuern bei Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertungsrelevante Unternehmensteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertungsrelevanz von persönlichen Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . a) Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei der objektivierten Unternehmenswertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmittelbare Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbare Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei subjektiven Unternehmenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abbildung von laufenden Ertragsteuern: Anwendungsbeispiel . . . . . . II. Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Laufende Ertragbesteuerung der Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . 2. Laufende Ertragsteuern der Unternehmenseigner . . . . . . . . . . . . 3. Abbildung der laufenden Ertragsteuern in Abhängigkeit vom Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) WACC-DCF-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Personengesellschaften und Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . 1. Laufende Ertragsbesteuerung der Personengesellschaft . . . . . . . . 2. Laufende persönliche Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergänzungsbilanzen, Sonderbetriebsvermögen und Tätigkeitsvergütungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. KMU und Vereinfachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

XXV

Inhaltsverzeichnis

§ 18 Börsenkurs und Unternehmensbewertung (Adolff/Häller) Rz.

Seite

. . . . . .

18.1 18.2 18.5 18.11 18.13 18.17

503 503 504 505 506 507

II. Rechtsprechung bis Ende der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.21

509

III. Die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.29

512

IV. Heutiger Stand der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . 1. Abfindung in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Quotaler Unternehmenswert (nach der Liquidationshypothese) . . b) Deinvestitionswert der Aktie (nach der Veräußerungshypothese) . . aa) Durchschnittskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien und Konzernverschmelzung . . . . . . . . . . . . . . a) Die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Siemens/SNI-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Kuka-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Telekom/T-Online-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . e) Derzeit unvollkommene Umsetzung des Deinvestitionsgedankens beim Aktientausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Echte Fusion („merger of equals“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entscheidung Wüstenrot und Württembergische des BVerfG . . . b) Die Daimler/Chrysler-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme zum Deinvestitionsgedanken beim merger of equals d) Stellungnahme zum Verhandlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

18.34 18.35 18.36 18.41 18.51 18.52 18.53 18.53 18.54 18.55 18.56

514 514 515 518 520 521 522 522 522 522 523

. . . . . .

18.57 18.58 18.58 18.59 18.62 18.64

524 524 524 525 526 527

. . . . . . . . . . .

18.65 18.65 18.67 18.67 18.73 18.77 18.82 18.84 18.85 18.86 18.88

528 528 528 528 531 535 538 539 539 540 540

... ... ...

18.88 18.94 18.97

540 543 545

I. 1. 2. 3. 4. 5.

Fallgruppen und Interessenlage . Abfindung (in Geld und Aktien) . Echte Fusion („merger of equals“) Konzernverschmelzung . . . . . . . Übernahmerecht . . . . . . . . . . . Delisting und Downgrading . . . .

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V. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abfindung in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meistbegünstigungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklungslinien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgeblicher Stichtag für die Bestimmung des Börsenkurses . . c) Konkretisierung der Ausnahmen zur Börsenkursrechtsprechung aa) Marktenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlender Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kursanomalien und Marktverzerrung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien und Konzernverschmelzung . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung der Rechtsprechung: Methodengleichheit und Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Echte Fusion („merger of equals“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXVI

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Inhaltsverzeichnis

§ 19 Vorerwerbspreise (Leverkus) Rz.

Seite

19.1

548

. . . . . . .

19.4 19.6 19.10 19.14 19.17 19.20 19.22

549 549 550 551 552 552 553

III. Sonderfragen bei der Wertermittlung mit Vorerwerbspreisen . . . . .

19.26

554

IV. Gesetzliche Vorschriften zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mindestpreis bei Übernahme- oder Pflichtangeboten nach dem WpÜG 2. Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-out nach dem WpÜG 3. Delisting vom regulierten Markt nach § 39 BörsG . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeiner Wert nach dem BewG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beizulegender Zeitwert nach § 255 Abs. 4 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beizulegender Zeitwert („Fair Value“) nach IFRS 13 . . . . . . . . . . . . .

19.33 19.36 19.40 19.46 19.50 19.53 19.57

555 556 557 559 560 560 561

V. Vorerwerbspreise in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.64 1. Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.66 a) BVerfG: Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag – DAT/Altana (1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.67 b) BGH: Squeeze-out – Stollwerck (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.70 c) OLG-Entscheidungen (1994–2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.71 d) Ausgewählte LG-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.86 aa) LG Stuttgart (2018) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.87 bb) LG Frankfurt (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.88 cc) LG Hannover (2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.91 dd) LG Köln (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.94 2. Sonstige Bewertungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.98 a) BGH: Pflichtteilsergänzungsanspruch (1982) . . . . . . . . . . . . . . . . 19.99 b) OLG Köln: Auskunftsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten (2014) 19.100 c) OLG Dresden: Zugewinnausgleich (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.101 d) Ausgewählte BFH-Entscheidungen (1980–2016) . . . . . . . . . . . . . 19.103

563 564

I. Abgrenzung des Begriffs „Vorerwerbspreise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Aussagekraft von Vorerwerbspreisen . . . . . . . . . Gewöhnlicher Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . Unveränderte Verhältnisse am Bewertungsstichtag Erworbene Anteilsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich zur Bewertung zum Börsenkurs . . . . . . Vergleich mit dem Multiplikatorverfahren . . . . . . Vergleich mit dem Ertragswertverfahren . . . . . . .

. . . . . . .

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564 565 565 569 569 570 570 571 572 572 572 573 573

. . . .

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19.111 19.114 19.121 19.130

574 575 578 580

VII. Thesen zur Relevanz von Vorerwerbspreisen . . . . . . . . . . . . . 1. Verwendung als Mindestpreis nur im Ausnahmefall . . . . . . . . . 2. Wichtiger Wertindikator für den Unternehmenswert . . . . . . . . . a) Sorgfältige Analyse der Umstände erforderlich . . . . . . . . . . . b) Vorrang von Marktpreisen in IFRS 13 methodisch anerkannt .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

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19.134 19.135 19.139 19.141 19.145

581 582 582 583 584

VI. 1. 2. 3.

Vorerwerbspreise in der Literatur . Vorerwerbspreis ist kein Grenzpreis Vorrang von Marktpreisen . . . . . . WpÜG analog anwendbar . . . . . . .

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XXVII

Inhaltsverzeichnis

c) Vorrang vor Multiplikatoren . . . . . . . . . . . . . . d) Fundamentalanalytische Verfahren unverzichtbar e) Kalibrierung der Bewertungsannahmen . . . . . . . 3. Paketzuschlag erfordert Quantifizierung . . . . . . . . .

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Rz.

Seite

19.149 19.150 19.155 19.160

585 585 586 587

§ 20 Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile (Fleischer) . . . .

. . . .

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20.1 20.1 20.3 20.4

591 591 593 594

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20.6 20.7 20.7 20.8 20.8 20.8 20.10 20.11 20.14 20.14 20.15 20.16 20.17 20.17 20.18 20.21 20.22 20.22 20.22 20.24 20.25 20.27 20.27 20.30 20.31 20.33 20.33 20.37 20.37 20.38 20.39

596 597 597 597 597 597 598 599 601 601 602 602 603 603 603 605 606 606 606 607 607 609 609 610 610 611 611 613 613 614 615

III. Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile . . . . . . . . . . . . . . 1. Stamm- und Vorzugsaktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.40 20.41

615 616

I. 1. 2. 3.

Methoden der Anteilsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . Indirekte vs. direkte Anteilsbewertung . . . . . . . . . . . . . . Abfindungen im Personengesellschafts- und GmbH-Recht Abfindungen im Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Bewertungsabschläge . . . . . . . . . . . . . . . 1. Minderheitsabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung . . . . aa) Personengesellschaft und GmbH . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 2. Fungibilitätsabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . aa) Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . bb) Berufsständische Bewertungspraxis b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung . . . . aa) Personengesellschaft und GmbH . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 3. Abschlag für Schlüsselpersonen . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . .

XXVIII

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Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

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20.42 20.45 20.47 20.47 20.49 20.50 20.51 20.52

616 618 619 619 620 620 621 621

I. Bewertungsanlässe im Aktien- und Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktienrechtlicher Squeeze-out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschluss, Prüfung, Eintragung und Auszahlung . . . . . . . . . . . . . . . b) Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Verhältnisse der Gesellschaft“ zum Bewertungsstichtag . . . . . . . . . . 2. Aktienrechtliche Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründung eines Vertragskonzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages nach dem AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wiederkehrende Ausgleichszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fixer Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Variabler Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Angebot der Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Barabfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abfindung in Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschluss eines isolierten Beherrschungsvertrages nach dem AktG . . . 4. Verschmelzungsfälle (aus Sicht der aufnehmenden Aktiengesellschaft) . . . a) Unterschiedliche Schutzsysteme „unten“ und „oben“ . . . . . . . . . . . . b) Verfahren der Anfechtungsklage nach § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . c) Materieller Verwässerungsschutz nach § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . d) Spielräume für eine unternehmerische Entscheidung . . . . . . . . . . . . e) Gleiche Grundsätze für die Konzernverschmelzung . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitalerhöhung der Bietergesellschaft beim öffentlichen Tauschangebot . 6. Übrige Fälle des Verwässerungsschutzes nach § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . 7. Kapitalaufbringung und Werthaltigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgeblicher Schwellenwert für die Werthaltigkeitsprüfung . . . . . . . b) Rechtliche Methodenvorgaben für die Werthaltigkeitsprüfung . . . . . . aa) Regelfall der Bewertung im Rahmen der Werthaltigkeitsprüfung . bb) EU-rechtlich vorgegebene Befreiungstatbestände nach § 33a AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Delisting und Downgrading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.1 21.4 21.4 21.7 21.9 21.12 21.16

625 626 626 627 628 630 631

21.16 21.17 21.18 21.22 21.23 21.24 21.25 21.30 21.32 21.32 21.37 21.41 21.44 21.46 21.47 21.53 21.55 21.61 21.71 21.71

631 631 632 633 633 634 635 636 636 636 637 638 639 640 641 643 643 645 647 647

21.75 21.78

649 649

2.

3. 4. 5.

a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . Mehrstimmrechte . . . . . . . . . . . . . a) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . b) Personengesellschaft und GmbH Besondere Vermögensrechte . . . . . . Sonstige Sonderrechte . . . . . . . . . . Übertragungsbeschränkungen . . . . .

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Vierter Teil Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht § 21 Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht (Adolff/Häller)

XXIX

Inhaltsverzeichnis

II. Rechtliche Methodenvorgaben für die Unternehmensbewertung . 1. Abfindung in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelfall der Barabfindung bei Verlust der Teilhabe an den unternehmerischen Erträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts (Fundamentalwert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Deinvestitionswert der einzelnen Aktie . . . . . . . . . . . . . . cc) Kein „Meistbegünstigungsprinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stichtagsprinzip, Wurzeltheorie und Verbundvorteile . . . . . b) Sonderfall der Barabfindung bei bereits „verrenteten“ Aktien im Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

Seite

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21.80 21.80

650 650

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21.81

651

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21.88 21.92 21.95 21.96

652 653 654 654

. . . 21.103 . . . 21.108

657 659

22.1

664

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. . . .

§ 22 Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht (Bungert) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines Umtauschverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Umtauschverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ermittlung des Umtauschverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Problem des „krummen“ Umtauschverhältnisses . . . . . . . . ee) Auswahl der Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Grundsätze der Ermittlung des Unternehmenswertes . . . . . gg) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung hh) Verschmelzungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz von Sonderrechten, § 23 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsbehelfe gegen die Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . 2. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Barabfindungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kernregelung, § 29 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . c) Rechtsbehelfe gegen die Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . d) Sonderfall: Barabfindung beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderfall: Verschmelzung zur Societas Europaea . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . d) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung . . . e) Geplante Änderungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung

XXX

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.3 22.5 22.5 22.5 22.10 22.11 22.12 22.16 22.27 22.36 22.37 22.40 22.43 22.50 22.51 22.53 22.53 22.56 22.60 22.63

665 665 665 665 667 668 668 669 676 680 681 681 682 685 685 686 686 687 688 689

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

22.64 22.68 22.68 22.73 22.77 22.78 22.79

689 691 691 692 693 694 694

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

III. Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines Umtauschverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Umtauschverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auf- und Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendungsbereich der Unternehmensbewertung . . . . . . . cc) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung dd) Spaltungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendungsbereich der Unternehmensbewertung . . . . . . . cc) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung d) Schutz von Sonderrechten, §§ 133, 23 UmwG . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsmittel gegen die Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auf- und Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzüberschreitende Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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22.84 22.89 22.89 22.95 22.95 22.96 22.101 22.102 22.104 22.104 22.105 22.106 22.107 22.108 22.109 22.110 22.111 22.112

696 697 697 699 699 699 700 701 702 702 702 702 703 703 703 703 704 704

IV. Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung eines (Umtausch-)Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensbewertung als Ausnahmefall . . . . . . . . . . . . . . . b) Bare Zuzahlung gem. § 196 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung . . . . . . . . . . . . . d) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz von Sonderrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestimmung des Geschäftsguthabens gem. § 256 UmwG bei Genossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzüberschreitender Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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22.116 22.119 22.119 22.123 22.127 22.128 22.128 22.130 22.131 22.132 22.132

706 706 706 707 708 708 708 709 709 709 709

. . 22.134 . . 22.135

710 710

V. Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.138

711

§ 23 Unternehmensbewertung im Übernahmerecht (Winner) . . . .

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23.1 23.1 23.4 23.7

713 713 714 715

II. Unternehmensbewertung durch den Bieter . 1. Entscheidungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Information in der Angebotsunterlage . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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23.10 23.10 23.12 23.12

716 716 716 716

I. 1. 2. 3.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . Themenüberblick und Abgrenzung Erfasste Gesellschaften . . . . . . . . .

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XXXI

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

b) Barangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tauschangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23.15 23.23

717 720

Unternehmensbewertung durch die Zielgesellschaft Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat . . . . . Inhalt der Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sorgfaltspflichten und externer Rat . . . . . . . . . . . . . Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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23.25 23.25 23.27 23.34 23.41

720 720 721 724 727

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23.42 23.42 23.42 23.47 23.51 23.54 23.59 23.59 23.64 23.68 23.71

727 727 727 729 731 732 734 734 735 736 738

Gegenleistung bei Übernahme- und Pflichtangeboten . . . . „Angemessene“ Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichender Unternehmenswert grundsätzlich unbeachtlich Unternehmenswert maßgeblich bei Illiquidität . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durchführung der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . 4. Unternehmenswert in anderen Konstellationen maßgeblich? . 5. Bewertung von Gegenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tauschangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung erbrachter Gegenleistungen . . . . . . . . . . . . .

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. 23.77 . 23.77 . 23.80 . 23.84 . 23.84 . 23.85 . 23.86 . 23.90 . 23.94 . 23.94 . 23.95 . 23.105

739 739 740 741 741 742 743 744 746 746 747 750

III. 1. 2. 3. 4.

IV. Fairness Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff, Funktion und Methoden . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführende Berater . . . . . . . . . . c) Bestandteile und Inhalt . . . . . . . . . d) Vorgehen und Methoden . . . . . . . . 2. Fairness Opinion für die Zielgesellschaft . a) Fairness Opinion i.e.S. . . . . . . . . . . b) Inadequacy Opinion . . . . . . . . . . . c) Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . 3. Fairness Opinion für den Bieter . . . . . . V. 1. 2. 3.

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§ 24 Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht (Fleischer) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Bewertungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kleine und mittlere Unternehmen als „Stiefkinder der Bewertungslehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsrelevante Merkmale kleiner und mittlerer Unternehmen . c) Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein allgemeiner Bewertungsabschlag für kleine und mittlere Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXII

24.1 24.1 24.4

756 756 757

24.4 24.5

757 758

24.6

758

24.8

760

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24.9 24.9 24.9 24.10 24.11 24.12 24.14 24.14 24.18 24.19 24.21 24.22 24.23 24.26 24.28 24.31 24.32 24.33 24.36 24.36 24.38 24.39 24.44 24.44 24.45 24.47 24.48

761 761 761 761 762 763 764 764 766 767 768 768 769 770 772 773 773 774 775 775 776 777 778 778 779 780 780

III. Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung des eingebrachten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24.49 24.50 24.52

780 780 782

IV. Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung einer unternehmerisch tätigen Organisationseinheit a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24.55 24.55 24.56 24.56 24.58

783 783 784 784 785

II. Abfindung ausscheidender Personen- oder GmbH-Gesellschafter 1. § 738 BGB als bewertungsrechtliche Basisnorm . . . . . . . . . . . . . . a) Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertungsziel bei der Abfindungsbemessung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geeignete und ungeeignete Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . a) Rechts- oder Tatfrage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Bindung an eine bestimmte Wertermittlungsmethode . . . c) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Discounted Cash Flow-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Liquidationswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Substanzwertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Misch- oder Kombinationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Vereinfachte Preisfindungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zulässigkeit einer Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundsatz der indirekten Anteilsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertungszu- oder -abschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abfindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abdingbarkeit des § 738 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grenzen gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . aa) Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelne Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abfindungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Buchwertklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stuttgarter Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Auszahlungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fünfter Teil Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien- und Erbrecht § 25 Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht (Wollny) I. Schaden, Unternehmensbewertung und Schadensersatz . . . . . . . . . .

25.1

789

II. Grundlagen des Schadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anspruchsgrundlage und Höhe des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . .

25.7 25.7

790 790 XXXIII

Inhaltsverzeichnis

2. Anspruchsberechtigung des Geschädigten – wer ist Gläubiger des Schadensersatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine gesetzliche Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Naturalrestitution oder Schadensersatz in Geld . . . . . . . . . . . c) Differenzhypothese und normativer Schadensbegriff . . . . . . . d) Positives und negatives Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Totalreparation – unmittelbarer und mittelbarer Schaden . . . . f) Ersatz des entgangenen Gewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entgangener Gewinn als Vermögensschaden . . . . . . . . . bb) Beweis des entgangenen Gewinns – abstrakte vs. konkrete Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wahrscheinlichkeit des entgangenen Gewinns . . . . . . . . g) Stichtage für die Schadensbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitlicher Rahmen des Schadensverlaufs . . . . . . . . . . . . bb) Verletztes Interesse und Informationsstichtag . . . . . . . . . cc) Entgangener Gewinn und Informationsstichtag . . . . . . . h) Dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

13.

Rz.

Seite

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25.10 25.12 25.12 25.13 25.15 25.17 25.20 25.22 25.22

791 792 792 792 793 793 795 795 795

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25.23 25.29 25.30 25.30 25.35 25.38 25.41

796 797 798 798 799 799 800

Unternehmensbewertung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . Schadensberechnung durch Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . Subjektive Unternehmensbewertung zur Schadensermittlung . . . . . . . Bewertungsverfahren zur subjektiven Unternehmensbewertung . . . . . Kaufpreise und Multiplikatorverfahren als Grundlage der Ermittlung des Schadensersatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schaden am Unternehmenswert und Zielgruppe der Bewertung . . . . . Unternehmensbewertung in Abhängigkeit vom Anspruchsberechtigten Direktes oder indirektes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berechnungsweg des indirekten Verfahrens – entgangener Gewinn und entgangener Unternehmenswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmenswertschädigung als Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . Einfluss des positiven und negativen Interesses auf Unternehmensplanung und Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergangenheitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektive Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intersubjektive Nachprüfbarkeit der Planung – Objektivierte Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wachstumsfaktoren und Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . c) Planungszeitraum und Erkenntniszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schädigungszeitraum – endliche oder unendliche Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Szenarien und subjektive Wahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . f) Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrscheinlicher Gewinn vs. Erwartungswert des Gewinns . . . . . . . .

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25.42 25.42 25.46 25.51

801 801 802 804

. . . .

25.54 25.60 25.62 25.65

805 806 807 808

. .

25.68 25.71

809 809

. . .

25.72 25.75 25.77

810 811 811

. . .

25.77 25.80 25.82

811 812 813

. . . . . .

25.84 25.87 25.89 25.93 25.95 25.96

813 814 814 815 816 816

XXXIV

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. 25.98 . 25.98 . 25.102 . 25.105

817 817 818 819

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25.117 25.118 25.120 25.127 25.128

821 822 822 824 825

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26.1

827

14. Subjektiver Kalkulationszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überprüfung des subjektiven Kalkulationszinssatzes . . . . . . . . . . 15. Stichtage zur Bewertung des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Vergleich von Teil-Unternehmenswerten oder Gesamt-Unternehmenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Abzinsung und Aufzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Kaufpreisanpassung bei culpa in contrahendo durch Täuschung . . . . . 19. Exkurs Eigenkapitalgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Schadensersatz und Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 26 Unternehmensbewertung im Familienrecht (Born)

II. Grundlagen und Systematik des gesetzlichen Güterrechts . 1. Gütergemeinschaft und Gütertrennung . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzlicher Güterstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ehetypen und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilungsposten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Indexierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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26.2 26.2 26.2 26.3 26.5 26.7 26.7 26.8 26.12 26.14 26.15

828 828 828 828 829 829 829 830 831 832 832

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26.16 26.16 26.17 26.19

833 833 833 834

IV. Allgemeine Grundsätze der Bewertung . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektiver Wert . . . . . . . . . . . . . . b) Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verkehrswert . . . . . . . . . . . . . . . . b) Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . c) Latente Ertragssteuern . . . . . . . . . .

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26.21 26.21 26.22 26.23 26.25 26.26 26.27 26.28 26.29 26.31

834 834 835 835 835 835 836 836 836 836

V. Bewertung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wertformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26.33 26.33 26.33

837 837 837

III. 1. 2. 3.

Stichtage . . . . . . . Anfangsvermögen . . Endvermögen . . . . Trennungsvermögen

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26.34 26.36 26.37 26.37 26.38 26.40

837 838 838 838 839 840

Bewertung von Unternehmensbeteiligungen . Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abfindungs- und Ausschlussklauseln . . . . . . . Sonderfall: Abschreibungsgesellschaften . . . . .

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26.41 26.41 26.42 26.45

840 840 840 842

Bewertung freiberuflicher Praxen . . . . . Wertformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen der Standesorganisationen . Durchführung der Bewertung . . . . . . . . . Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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26.46 26.46 26.48 26.49 26.51

842 842 843 843 844

VIII. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktuelle Entscheidungen des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14 (Putenmastbetrieb) . . . . . . e) BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16 (Unternehmensbeteiligung) . f) BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17 (Beschwer) . . . . . . . . . . . 2. Weitere Rechtsprechung nach Branchen und Berufsgruppen . . . . . a) Aktenvernichtungsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwaltspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Architekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bäckerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Druckerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Handwerksbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) KG-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Landwirtschaftlicher Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Tierarzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Vermessungsingenieur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Versicherungsagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Zahnarzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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26.52 26.52 26.53 26.55 26.57 26.59 26.61 26.63 26.65 26.65 26.66 26.69 26.70 26.71 26.72 26.73 26.74 26.75 26.76 26.77 26.79 26.80 26.81 26.83

844 844 845 846 848 850 851 852 853 853 853 854 854 854 854 855 855 855 856 856 856 857 857 857

. . . . . .

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26.85 26.86 26.90 26.90 26.90 26.92

858 858 858 858 858 859

b) Substanzwert . . . . . . . . . c) Ertragswert . . . . . . . . . . 2. Durchführung der Bewertung . a) Substanzwert . . . . . . . . . b) Ertragswert . . . . . . . . . . c) Spekulationssteuern . . . . . VI. 1. 2. 3. VII. 1. 2. 3. 4.

IX. Verfahrensrecht . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . 2. Darlegungs- und Beweislast . a) Anfangsvermögen . . . . . aa) Vermutungswirkung bb) Negatives Vermögen

XXXVI

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26.94 26.95 26.96 26.96 26.100 26.103 26.103 26.106 26.110 26.112 26.112 26.114 26.117 26.118 26.118 26.120

859 860 860 860 861 862 862 863 863 864 864 864 865 865 865 866

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27.1 27.1 27.4 27.5

869 869 870 871

II. Unternehmensbewertung im Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze der Nachlassbewertung und der Pflichtteilsberechnung a) Pflichtteilsanspruch als Geldsummenanspruch . . . . . . . . . . . b) Ziele der Ermittlung des Nachlasswertes im Pflichtteilsrecht . . c) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wertaufhellungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vom Erblasser getroffene Wertbestimmungen . . . . . . . . . . . . 2. Der Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unsichere Rechte und Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der zu ermittelnde Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirklicher Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Liquidationswert als Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelne Wertermittlungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitnah erzielter Verkaufserlös . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Latente Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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27.6 27.6 27.6 27.8 27.12 27.12 27.16 27.17 27.18 27.18 27.23 27.27 27.28 27.28 27.29 27.34 27.35 27.35 27.38 27.41

871 871 871 872 873 873 874 875 875 875 877 877 878 878 878 880 881 881 882 883

cc) Privilegiertes Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Substantiierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Endvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Illoyale Vermögensminderungen (§ 1375 Abs. 2 BGB) . . . 3. Vermögensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung des Vermögenswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbständiges Beweisverfahren (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) . c) Überprüfung des Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . . . . 4. Vorzeitiger Zugewinnausgleich (§§ 1385, 1386 BGB) . . . . . . . . . . a) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgleich nach § 1385 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleich nach § 1386 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 27 Unternehmensbewertung im Erbrecht (Lange) I. 1. 2. 3.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfordernis der Nachlassbewertung für erbrechtliche Zwecke Rückgriff auf Recht des Zugewinnausgleichs . . . . . . . . . . . IDW S 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXXVII

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4. Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Pflichtteilsberechnung . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Handelsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Freiberufliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) GmbH-Geschäftsanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Anteil an einer Personen- oder Partnerschaftsgesellschaft . (1) Nachfolge in Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . (2) Ausscheiden des Erben und Abfindungsklausel . . . . . ff) Bewertung eines Landguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertermittlungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgabe des Tatrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung eines landwirtschaftlichen Unternehmens . 1. Das Landguterbrecht des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung des Wertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ertragswertberechnung nach § 2049 BGB . . . . . (1) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . cc) Berechnung der Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff des Ertragswertes . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundlagen des Ertragswertes . . . . . . . . . . (3) Ermittlung des Ertragswertes . . . . . . . . . . . (a) Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . (b) Praxis der Ermittlung des Reinertrags . . dd) Ertragswert und Abfindung . . . . . . . . . . . . . . ee) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . c) Landgutbewertung im Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen für die Ertragswertberechnung . (1) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . (2) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . cc) Die Ertragswertberechnung . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten nach dem GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Landgutbewertung nach Höferecht . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriff des Hofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestimmung des Hoferbens . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abfindungsansprüche weichender Miterben . . . . . . . aa) Abfindungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachabfindungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . e) Wert des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hofeswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVIII

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27.45 27.45 27.48 27.48 27.49 27.52 27.54 27.56 27.56 27.59 27.63 27.64 27.64 27.66 27.71

884 884 885 885 886 887 888 888 888 889 890 891 891 891 894

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27.73 27.73 27.73 27.74 27.74 27.74 27.77 27.82 27.84 27.84 27.86 27.88 27.88 27.91 27.99 27.100 27.101 27.101 27.103 27.103 27.108 27.109 27.111 27.114 27.114 27.115 27.119 27.122 27.122 27.125 27.128 27.128

894 894 894 895 895 895 895 897 897 897 898 898 898 899 901 902 902 902 903 903 904 905 905 906 906 906 908 908 908 909 910 910

Inhaltsverzeichnis

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bb) Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.132 cc) Berechnung des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.133 f) Nachweis- und Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.134

912 912 912

IV. Unternehmens- und Anteilsbewertung bei Ausgleichsansprüchen unter Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsnatur der Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . a) Anordnungen des Erblassers zur Auseinandersetzung . . . . . . . . b) Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teilungsanordnung als Ausgangspunkt einer Unternehmensbzw. Anteilsberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grundsätze der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertungsstichtag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ausgleichung als Ausgangspunkt einer Unternehmensbewertung a) Bedeutung der Ausgleichungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Ausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art und Weise der Ausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wertbestimmung durch den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Qualifizierte Nachfolgeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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27.138 27.138 27.140 27.140 27.142

913 913 914 914 915

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27.143 27.144 27.144 27.147 27.149 27.149 27.150 27.152 27.156 27.158 27.161 27.161 27.164

916 917 917 918 919 919 919 920 921 922 923 923 923

I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28.1

926

II. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28.7

927

28.12 28.12 28.17 28.17 28.19 28.23 28.27 28.30 28.30 28.34 28.41 28.44 28.45

928 928 929 929 930 931 932 933 933 933 935 936 936

Sechster Teil Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht § 28 Unternehmensbewertung im Bilanzrecht (Leverkus)

III. Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach IFRS . . . . 1. Stellung der IFRS im deutschen Bilanzrecht . . . . . . . . . . . 2. Anlässe für Unternehmensbewertungen im IFRS-Bilanzrecht a) Bewertungsauslösende Standards . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugangsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgebewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Bewertungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wertkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzeption des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“) . c) Konzeption des Nutzungswerts (IAS 36) . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“) . . . . a) Eingangsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXXIX

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b) Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Marktorientierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . bb) Kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . cc) Kostenorientierte Bewertungsverfahren (cost approach) c) Lösungsansätze für ausgewählte Anwendungsfragen . . . . . . 5. Ermittlung des Nutzungswerts („Value in use“) . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schätzung der zukünftigen Zahlungsströme . . . . . . . . . . . . d) Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Äquivalenz zwischen Nutzungswert und Buchwert . . . . . . .

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28.57 28.60 28.61 28.67 28.69 28.74 28.74 28.77 28.81 28.88 28.94

939 939 939 941 941 942 942 943 944 945 947

IV. Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach HGB . . . . . . . 1. Bilanzierung von Unternehmensanteilen im HGB-Bilanzrecht . . 2. Anlässe für Unternehmensbewertungen im HGB-Bilanzrecht . . . a) Zugangsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgebewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wertkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung des beizulegenden Werts nach § 253 Abs. 3 HGB . . . a) Dauerhafte Beteiligungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Veräußerungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts nach § 255 Abs. 4 HGB . a) Marktpreis auf einem aktiven Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemein anerkannte Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . c) Fortgeführte Anschaffungs- oder Herstellungskosten . . . . . .

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28.99 28.99 28.103 28.103 28.106 28.110 28.116 28.119 28.123 28.125 28.127 28.131 28.134

950 950 951 951 952 953 955 956 956 957 957 958 959

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29.1

964

§ 29 Steuerliche Unternehmensbewertung (Kohl)

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29.8 29.8 29.17 29.26

966 966 968 970

Bewertungsmethoden zur Bestimmung des gemeinen Wertes Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verkäufe innerhalb eines Jahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung anhand der Ertragsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . Andere branchenübliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Preisfindung durch Multiplikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenorientiertes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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29.30 29.30 29.37 29.51 29.61 29.61 29.65

971 971 973 976 978 978 980

IV. Stichtagsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29.68

980

V. Mindestwert Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuerliches Substanzwertverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29.84 29.86

984 984

II. 1. 2. 3. III. 1. 2. 3. 4.

XL

Steuerliche Wertkonzepte . Gemeiner Wert . . . . . . . . Teilwert . . . . . . . . . . . . . Fremdvergleichspreis . . . . .

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2. Wertansätze einzelner Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.94 3. Sonderfrage mangelnde Rentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.103

986 988

VI. Ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 29.106

989

VII. Auswirkungen unterschiedlicher Anteilsquoten . . . . . . . . . . . . . . . 29.128

994

VIII. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Besonderheiten bei Bewertungen anhand von Ertragsaussichten Rückwirkende Bewertungsstichtage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenbezogene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tätigkeitsvergütungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingeschränkte Diversifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mangelnde Fungibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

29.141 29.141 29.149 29.158 29.163 29.168 29.172

996 996 998 1000 1001 1002 1003

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

29.180 29.180 29.200 29.202 29.210 29.215 29.221 29.225 29.233 29.244

1005 1005 1009 1010 1012 1012 1013 1014 1016 1018

X. Bewertung von Transferpakten im Sinne der Funktionsverlagerungsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung der Gewinnpotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalisierungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Steuerlicher Sonderwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

29.248 29.248 29.260 29.274 29.282 29.290

1019 1019 1021 1024 1026 1027

IX. Vereinfachtes Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertung von Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . b) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen . . . . . . . . c) Berücksichtigung junger Wirtschaftsgüter . . . . . d) Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung ausländischen Vermögens . . . . . . . . . . . 4. Behandlung offensichtlich unzutreffender Ergebnisse 5. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

Siebter Teil Sonderbereiche der Unternehmensbewertung § 30 Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) (Lauber) I. KMU in der gerichtlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.1 1033

II. Verbreitung und Bedeutung von KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.9 1035

III. Definitionen KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quantitative KMU-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualitative KMU-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.13 1036 30.14 1036 30.16 1037

IV. Anforderungen an die KMU-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Qualitative Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.24 1041 30.24 1041

XLI

Inhaltsverzeichnis

Rz.

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2. Quantitative Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abwägung quantitativer und qualitativer Anforderungen . . . . . . . . . .

30.26 1041 30.29 1042

V. Bewertungsziel der KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verkehrswert als rechtsübergreifendes Bewertungsziel . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung des Verkehrswerts gegen andere Werte/Preise . . . . . . . . a) Unterschied Wert und Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektive Werte und transaktionsbezogene Preise . . . . . . . . . . c) Verfahren zur Ermittlung von Werten und Preisen . . . . . . . . . . d) Verkehrswert vs. wahrer, wirklicher, innerer Wert . . . . . . . . . . . e) Verkehrswert vs. objektivierter Unternehmenswert (Ertragswert) . f) Verkehrswert und Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Verkehrswert und Vorerwerbspreise für KMU . . . . . . . . . . . . . h) Normfremde Einschränkungen des Bewertungsziels . . . . . . . . . 3. Verkehrswert von KMU und Wahl der Bewertungsmethode . . . . . . . 4. Abschläge oder Zuschläge auf KMU-Verkehrswerte . . . . . . . . . . . . a) Abschlag für KMU wegen geringer Größe (Größeneffekt) . . . . . . b) Abschlag für KMU wegen fehlender Diversifikation . . . . . . . . . . c) Abschlag für KMU wegen eingeschränkter Handelbarkeit . . . . . . 5. Verkehrswert der KMU und der Abzug latenter Ertragsteuern . . . . . a) Meinungsstand zum Abzug der latenten Ertragsteuer . . . . . . . . . b) Stellungnahme zum Abzug der latenten Ertragsteuer . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.30 30.31 30.33 30.35 30.36 30.38 30.41 30.43 30.54 30.56 30.58 30.59 30.66 30.71 30.74 30.77 30.85 30.88 30.94

1042 1043 1044 1044 1044 1045 1047 1047 1050 1051 1052 1052 1054 1056 1057 1058 1061 1061 1064

VI. Bewertungsstandards bzw. berufsständische Hinweise für KMU . . . 1. IDW-Standards für KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) IDW S 1 (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) IDW-Praxishinweise für KMU (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zuverlässigkeit der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung des Bewertungsobjekts von der Privatsphäre . . cc) Kalkulatorische Tätigkeitsvergütungen für Inhaber und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vergangenheitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Planungsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Fortführungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Übertragbare Ertragskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Finanzierung, persönliche Sicherheiten und Haftung . . . . . jj) Ertragsteuern der Unternehmenseigner . . . . . . . . . . . . . . kk) Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll) Gesamtwert und Anteilswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . mm) Vereinfachte Preisfindungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . c) IDW S 13 Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht . . aa) Geltung des IDW S 1 und modifizierte Ertragswertmethode bb) Übertragbare Ertragskraft und kalkulatorischer Unternehmerlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Überleitung vom objektivierten Unternehmenswert zum Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anteilsbewertung bei Bestehen von Verfügungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

30.103 30.107 30.108 30.113 30.114 30.116

1066 1067 1067 1068 1068 1069

. . . . . . . . . . . . .

30.120 30.124 30.126 30.129 30.131 30.135 30.141 30.144 30.145 30.153 30.155 30.157 30.160

1070 1070 1071 1072 1072 1073 1074 1075 1075 1077 1078 1078 1079

XLII

. 30.161 1079 . 30.168 1081 . 30.170 1081

Inhaltsverzeichnis

Rz.

Seite

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

30.172 30.172 30.173 30.184 30.192 30.199

1082 1082 1082 1084 1086 1087

Eignung der Bewertungsverfahren für das gerichtliche Verfahren Problematische Mischbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eignung des Ertragswertverfahrens gemäß IDW S 1 . . . . . . . . . . . Eignung des modifizierten Ertragswertverfahrens . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen und Merkmale der modifizierten Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme zur modifizierten Ertragswertmethode . . . . . . . 4. Eignung der Substanzwertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschließliche Bewertung nach Substanzwerten . . . . . . . . . . b) Kombinierte Bewertungen mit Substanzwerten . . . . . . . . . . . . c) Negative Substanzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme zu Substanzwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eignung von Preisfindungsverfahren für KMU . . . . . . . . . . . . . . a) Verbreitung von Preisfindungsverfahren beim Kauf von KMU . b) Bewertungstheorie und -praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschreibung der vereinfachten Preisfindungsverfahren . . . . . . e) Stellungnahme zu Preisfindungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eignung der Umsatzmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

30.208 30.210 30.212 30.220

1089 1090 1090 1093

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

30.224 30.226 30.233 30.238 30.241 30.243 30.246 30.248 30.250 30.252 30.254 30.256 30.258 30.264

1094 1095 1097 1099 1100 1101 1101 1102 1103 1103 1106 1106 1108 1109

2. Branchenspezifische Empfehlungen zur Bewertung von KMU a) Wirtschaftsprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerberater – Hinweise BStBK 2017 . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsanwälte – BRAK-Bewertungshinweise 2017 . . . . . . d) Ärzte – BÄK-Bewertungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Handwerker – Bewertungshinweise ZdH/AHW . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

VII. 1. 2. 3.

VIII. Vereinfachungen für die Bewertung von KMU . . . . . . . . . . . . . . . 30.271 1111 1. Vorschläge in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.273 1112 2. Vereinfachung durch Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.274 1112 IX. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.277 1113

§ 31 Bewertung in der Unternehmenskrise (Wieland-Blöse) I. Besonderheiten der Unternehmensbewertung in der Unternehmenskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arten von Unternehmenskrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geeignete Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei der Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten bei der Ableitung der Kapitalkosten . . . . . . . . . 5. Besonderheiten bei der Berücksichtigung des Fremdkapitals, der Gläubigerposition und der Besicherung . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

31.1 31.3 31.8 31.14 31.19

1116 1117 1118 1120 1123

....

31.25 1125

II. Bewertung im Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überschuldungstatbestand nach § 19 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31.29 1127 31.29 1127

XLIII

Inhaltsverzeichnis

2. Ansatz- und Bewertungsvorschriften für den Überschuldungsstatus a) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Verwertungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelbewertung vs. Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung zu Liquidationswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unternehmensbewertung im Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . III. Bewertung im Debt Equity Swap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskussionsstand: Bewertungsansätze für Fremdkapital . . . . . . a) Bewertung zum Nennwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung zum Schuldendeckungsgrad . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldendeckungsgrad bei Insolvenz . . . . . . . . . . . . bb) Bilanzieller Schuldendeckungsgrad . . . . . . . . . . . . . . cc) Schuldendeckungsgrad bei Unternehmensfortführung . c) Bewertung zum Marktwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Perspektive der Sachkapitalerhöhungsprüfung . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

Rz.

Seite

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31.30 31.31 31.32 31.35 31.38 31.39

1127 1128 1128 1129 1130 1131

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

31.44 31.44 31.48 31.49 31.57 31.58 31.60 31.63 31.64 31.66

1132 1132 1133 1133 1135 1135 1136 1137 1137 1138

§ 32 Unternehmensbewertung bei Non-Profit-Organisationen, gemeinnützigen Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen (Hüttemann) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32.1 1142

II. Begriffliche Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32.6 1144

III. 1. 2. 3.

Unternehmensbewertung bei nicht finanzieller Zielsetzung . . . Eignerbezogenheit der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . Sachzielorientierte „Zukunftserfolgswerte“ . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Eignung bestimmter Bewertungskalküle bei nicht finanzieller Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.... .... ....

32.10 1147 32.10 1147 32.11 1147

. . . . .

. . . . .

IV. Rechtsgebundene Unternehmensbewertung bei NPO und gemeinnützigen Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. NPO-Begriff und steuerliche Vorgaben der Gemeinnützigkeit . . . . . 2. Abfindungsansprüche der Mitglieder bei NPO . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinnützige Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nicht gemeinnützige NPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Angemessenheit von Kaufpreisen bei Betriebserwerben und Betriebsveräußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umtauschverhältnisse bei Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung von Anteilen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften im Erbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLIV

. . . . .

. . . . .

32.12 32.12 32.14 32.16 32.21

1148 1148 1148 1149 1152

. . . . . .

. . . . . .

32.22 32.22 32.24 32.24 32.25 32.30

1152 1152 1153 1153 1154 1155

.. ..

32.32 1157 32.34 1158

..

32.36 1159

Inhaltsverzeichnis

V. Rechtsgebundene Unternehmensbewertung bei öffentlichen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Primäre gemeinwirtschaftliche Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten bei der Bewertung öffentlicher Unternehmen . . . . . 3. Rechtsgebundene Bewertungsanlässe bei öffentlichen Unternehmen . a) Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Haushaltsrecht . . . . . . . . . . . . b) Beihilfenaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: Abfindung ausscheidender Gesellschafter . . . . . . . aa) Vorrang satzungsmäßiger Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Liquidationswert als Wertuntergrenze bei gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung mit dem Substanzwert? . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) „Nullausgleich“ und gemeinwirtschaftliche Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

Rz.

Seite

32.37 32.37 32.39 32.40 32.40 32.42 32.43 32.43

1160 1160 1161 1161 1161 1162 1163 1163

.. ..

32.45 1163 32.47 1164

..

32.48 1165

Achter Teil Verfahrensrechtliche Fragen der Unternehmensbewertung § 33 Spruchverfahren (Arnold/Rothenburg) I. Zweck und Bedeutung des Spruchverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . .

33.1 1168

II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33.6 1170

III. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 1 Nr. 1 SpruchG . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 1 Nr. 2 und Nr. 3 SpruchG . . . . . . . . . c) § 1 Nr. 4 SpruchG . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 1 Nr. 5 und 6 SpruchG . . . . . . . . . . . . 3. Antragsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeinsamer Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sachverständiger Prüfer und Sachverständiger

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. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

33.11 33.11 33.15 33.16 33.17 33.19 33.20 33.21 33.25 33.30

1172 1172 1174 1174 1174 1175 1175 1176 1176 1178

IV. 1. 2. 3.

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33.35 33.35 33.41 33.44

1180 1180 1181 1183

V. Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensbeendigung durch Vergleich . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prüfungsmaßstab der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine einzig richtige Bewertungsmethode . . . bb) Ertragswertmethode als anerkannte Methode .

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33.46 33.46 33.47 33.47 33.50 33.50 33.51

1183 1183 1184 1184 1185 1185 1186

Ablauf des Spruchverfahrens . . . . Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten der Verfahrensbeteiligten Mündliche Verhandlung . . . . . . .

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XLV

Inhaltsverzeichnis

Rz.

cc) Bewertung anhand des Börsenkurses . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Plausibilisierung anhand von Multiplikatoren . . . . . . . . . c) Methodische Einzelentscheidungen innerhalb einer Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nebenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Außergerichtliche Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kosten des gemeinsamen Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kosten eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite

... ... ...

33.54 1187 33.58 1189 33.62 1190

. . . . . . . . .

33.63 33.65 33.66 33.66 33.67 33.68 33.70 33.72 33.73

. . . . . . . . .

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VI. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anzuwendendes Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1191 1191 1192 1192 1192 1192 1193 1194 1194

33.74 1195 33.74 1195 33.76 1195

§ 34 Unternehmensbewertung in streitigen gerichtlichen Verfahren (Lauber) I. 1. 2. 3. 4.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertungsanlässe und thematische Eingrenzung . . . . . . Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung . Unternehmensbewertung als Heuristik . . . . . . . . . . . . . Unternehmensbewertung als Tat- oder Rechtsfrage . . . . .

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34.1 34.1 34.2 34.3 34.5

1201 1201 1201 1202 1204

II. 1. 2. 3. 4. 5.

Prozessuale Ausgangslage bei Unternehmensbewertungen . . . . . Schwierigkeit und Dauer gerichtlicher Unternehmensbewertung . . Unterscheidung streitiges Verfahren und Spruchverfahren . . . . . . . Erforderlichkeit einer Abfindungsbilanz (Durchsetzungssperre) . . . Kein Anspruch auf Unternehmensbewertung durch die Gesellschaft Prozessuale Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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34.8 34.8 34.9 34.10 34.11 34.12

1206 1206 1206 1207 1207 1208

Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterung des Unternehmenswerts . . . . . . . . . . . . . Unterscheidung Tatsachen, Rechtsfragen und Methodik Adäquater Vortrag zum Unternehmenswert . . . . . . . . Vortrag zu Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . .

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34.13 34.13 34.14 34.16 34.17 34.19

1209 1209 1209 1210 1211 1211

III. 1. 2. 3. 4. 5.

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IV. Gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverständige Beratung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfassung von Beweisbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. 1. 2. 3. XLVI

Gerichtliche Schätzung des Unternehmenswerts Unternehmensbewertung als Schätzung . . . . . . . Schätzung gem. § 287 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . Schätzung gem. § 738 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . .

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34.20 1212 34.20 1212 34.23 1213 34.25 34.25 34.27 34.32

1216 1216 1217 1218

Inhaltsverzeichnis

4. Vertretbarkeits- oder Richtigkeitsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abgrenzung Schätzungstatsachen von Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . 6. Wahl der geeigneten Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung berufsständischer Bewertungsgrundsätze . . . . . . . . . . . b) Prüfungsdichte hinsichtlich der Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . 7. Schätzung der Erträge nach der Planungsrechnung . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen zur Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beurteilung der Ertragsplanung im gerichtlichen Verfahren . . . . . . c) Korrektur der Planung durch stichtagsnachfolgende Entwicklungen . 8. Schätzung des Kapitalisierungszinses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung folgt IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alternativen in Betriebswirtschaftslehre und -praxis für KMU . . . . . c) Schätzungsspektrum der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verwendung stichtagsnaher Preise für das Unternehmen . . . . . . . . . . . 10. Güte der tatrichterlichen Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Ausweitung des Schätzungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Beachtung gesellschaftsvertraglicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Verwendung von Konsensschätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Verwendung von Vergangenheitsergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Verwendung mehrerer Gutachten und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Verwendung von Privatgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Verwendung eigener Sachkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Einsatz erfahrener Gutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Aufklärung von Anknüpfungstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Tatrichterermessen und Gutachterermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Auswahl der Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Unternehmensbewertung im selbstständigen Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit zur Feststellung des Unternehmenswerts . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliches Interesse gemäß § 485 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorteile und Nachteile des Beweisverfahrens bei Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorteile des selbstständigen Beweisverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kostengünstiges Verfahren ohne Anwaltszwang für Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vermeidung kostenträchtiger Privatgutachten . . . . . . . . . . . cc) Vermeidung eines streitigen Hauptsacheverfahrens . . . . . . . . dd) Verwertung im Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Herabsetzung der Substantiierungslast . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Aufklärung des Sachverhalts durch Vorlage von Urkunden . . . gg) Zugang zur streitigen Gerichtsbarkeit trotz Schiedsgutachtenabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Hemmung der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachteile des Beweisverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erhebliche Dauer des Beweisverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beschränkung der Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

Seite

34.34 34.36 34.42 34.44 34.45 34.48 34.48 34.51 34.56 34.61 34.62 34.63 34.65 34.66 34.68 34.70 34.71 34.72 34.75 34.76 34.78 34.79 34.84 34.85 34.86 34.90 34.91

1219 1220 1223 1224 1225 1227 1227 1228 1232 1234 1235 1236 1237 1238 1239 1239 1240 1240 1241 1242 1243 1244 1246 1247 1247 1248 1249

. 34.94 1251 . 34.98 1251 . 34.100 1252 . 34.101 1252 . 34.102 1252 . . . . . .

34.102 34.103 34.104 34.105 34.106 34.107

1252 1253 1253 1253 1253 1254

. . . . .

34.108 34.111 34.112 34.113 34.114

1254 1255 1256 1256 1256 XLVII

Inhaltsverzeichnis

Rz.

cc) Verwertbarkeit eines Unternehmenswertgutachtens ungewiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Keine Klärung rechtlicher Fragen zum Unternehmenswert . ee) Einstellung des Beweisverfahrens bei Einleitung des Hauptsacheverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite

. . . 34.117 1257 . . . 34.120 1257 . . . 34.121 1258 . . . 34.122 1258

§ 35 Unternehmensbewertung im Steuerverfahren (Krumm) I. Verfahrensrechtliche Verortung der Unternehmensbewertung für steuerliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertungen als unselbständiger Teil der Verwaltungsentscheidung . . . 2. Gesonderte und einheitliche Wertfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahrensrechtliche Fragen der Unternehmensbewertung . . . . . . . 1. Erstbewertungspflicht des Steuerpflichtigen und Rechtmäßigkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbindliche Auskunft und tatsächliche Verständigung . . . . . . . . . . . 3. Beständigkeit der Verwaltungsentscheidung unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere Verfahrenskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensbewertung für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmensbewertung bei umwandlungssteuerrechtlichen Einbringungsvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unternehmensbewertung bei umwandlungssteuerrechtlichen Vorgängen nach Maßgabe der §§ 3 ff., 11 ff. UmwStG . . . . . . . . . III. 1. 2. 3.

Steuerliche Unternehmensbewertung und Rechtsschutz . . . . . . . Einspruchs- und Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Kontrolle und Sachaufklärung durch das Finanzgericht Revisionsrechtliche Kontrolle durch den BFH . . . . . . . . . . . . . . .

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35.1 1260 35.1 1260 35.2 1261

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35.9 1264

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35.9 1264 35.12 1266

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35.14 1267 35.16 1268

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35.16 1268

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35.20 1270

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35.22 1271

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35.23 35.23 35.25 35.27

1271 1271 1272 1273

36.1 36.1 36.3 36.4 36.6 36.7 36.9

1275 1275 1276 1276 1277 1278 1278

§ 36 Privat- und Schiedsgutachten zu Unternehmensbewertungen (Lauber) I. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Privatgutachten zu Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . Bedeutung in gerichtlichen Verfahren zur Unternehmensbewertung Darlegungs- und Beweislast bei Privatgutachten . . . . . . . . . . . . . Erforderlichkeit von Privatgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuales Gewicht von Privatgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwertung von Privatgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch zwischen Gerichtsgutachten und Privatgutachten . . .

XLVIII

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Inhaltsverzeichnis

Rz.

7. Privatgutachten im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . 8. Kosten von Privatgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Vernehmung als Zeuge oder sachverständiger Zeuge . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Schiedsgutachten zu Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . . Eignung von Schiedsgutachten für die Unternehmensbewertung . . . . Vor- und Nachteile von Schiedsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung von Schiedsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Schiedsgutachtenklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsgutachten im engeren und weiteren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung Schiedsgutachten/Schiedsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . Einholung des Schiedsgutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren des Schiedsgutachters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unverbindlichkeit des Schiedsgutachtens nach § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB Beispiele unverbindlicher Schiedsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Prüfung der offensichtlichen Unrichtigkeit . . . . . . . . . . a) Darlegung der offensichtlichen Unbilligkeit oder Unrichtigkeit . . . b) Maßgebender Sachverhalt und Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . c) Offensichtliche Unrichtigkeit als Tat- oder Rechtsfrage . . . . . . . . . 12. Übergang der Leistungsbestimmung auf das Gericht . . . . . . . . . . . .

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Seite

36.10 1279 36.11 1279 36.14 1280 36.15 36.15 36.16 36.17 36.21 36.23 36.24 36.25 36.26 36.27 36.32 36.33 36.33 36.34 36.36 36.37

1281 1281 1281 1282 1283 1285 1286 1287 1287 1288 1292 1293 1293 1294 1295 1295

§ 37 Unternehmensbewertung im Schiedsverfahren (Fehrenbacher) I. Unternehmensbewertung im Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schiedsgerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schiedsgutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiedsgutachtervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ordentliches Gericht oder Schiedsgericht . . . . . . . . . . . 2. Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ad hoc und institutionalisierte Schiedsgerichtsbarkeit bb) Nationale und internationale Schiedsgerichtsbarkeit . b) Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt und Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Statut für die Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . cc) Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonderfall Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Wirkung und Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Benennung der Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schiedsrichtervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ablehnung eines Schiedsrichters . . . . . . . . . . . . . .

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37.1 1299 37.2 37.3 37.4 37.6 37.7 37.8 37.10 37.11 37.13 37.15 37.16 37.17 37.18 37.19 37.20 37.22 37.23 37.25 37.26 37.28 37.33

1299 1299 1300 1302 1303 1303 1304 1305 1306 1306 1307 1308 1308 1309 1309 1311 1312 1313 1314 1315 1317 XLIX

Inhaltsverzeichnis

d) Schiedsgerichtliche Verfahren . . . aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . bb) Zuständigkeit – Kompetenz . cc) Ort des Verfahrens . . . . . . . dd) Verfahrensablauf . . . . . . . . . ee) Sachverständige . . . . . . . . . e) Beendigung des Schiedsverfahrens aa) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . bb) Schiedsspruch . . . . . . . . . . cc) Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . 3. Internationale Schiedsverfahren . . . .

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III. Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung im Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Unternehmenswert als Schiedswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

Seite

37.35 37.36 37.37 37.38 37.39 37.41 37.44 37.45 37.46 37.49 37.51

1318 1318 1319 1320 1320 1321 1323 1323 1324 1326 1327

37.52 1327 37.53 1328 37.54 1328

Neunter Teil Internationale Bezüge der Unternehmensbewertung § 38 Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsvergleichung (Fleischer) I. Bewertungsrechtsvergleichung als Forschungsgegenstand des Internationalen Unternehmensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Stilprägende Merkmale der rechtlichen Bewertungslehre Verfassungsgebot der vollen Abfindung . . . . . . . . . . . . . Grundsätzliche Methodenoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Dominanz des IDW-Standards . . . . . . . . . . . . Börsenkurs als Bewertungsuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz der Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Überprüfung im Spruchverfahren . . . . . . . .

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38.1 1333 38.3 38.4 38.5 38.6 38.7 38.8 38.9

1334 1334 1335 1335 1336 1337 1338

III. Rechtspolitische Kritik an nationalen Besonderheiten . . . . . . . . . . .

38.10 1338

IV. Eine internationale Landkarte des Rechts der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinigte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Börsenkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis von Rechts- und Tatfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einbeziehung von Expertenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38.12 38.13 38.13 38.14 38.14 38.15 38.16 38.17 38.18 38.18

L

. . . . . . . . . .

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1339 1340 1340 1341 1341 1342 1343 1344 1344 1344

Inhaltsverzeichnis

b) Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht börsennotierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . bb) Börsennotierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begrenzte Satzungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einbeziehung von Expertenwissen und Rechtsschutz . . . . . . 3. Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht börsennotierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . bb) Börsennotierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis von Rechts- und Tatfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einbeziehung von Expertenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis von Rechts- und Tatfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbindlichkeit der Expertenbewertung für Gesellschafter und Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

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.....

V. Schlussfolgerungen für das aktienrechtliche Bewertungsregime in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechts- oder Tatfrage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindungsverfassungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kodifizierung bestimmter Bewertungsmethoden? . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedeutung des Börsenkurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einbeziehung von Expertenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Methodenmonismus oder Methodenvielfalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Satzungsautonomie für Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Mehrheitskonsensuale Schätzung und qualifizierter Mehrheitsvergleich 9. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

Rz.

Seite

38.19 38.20 38.21 38.22 38.23 38.24 38.24 38.25 38.26 38.27 38.28 38.29 38.30 38.30 38.31 38.32

1345 1345 1346 1346 1347 1347 1347 1348 1348 1348 1349 1349 1349 1349 1350 1351

38.33 1353 38.34 38.35 38.37 38.39 38.40 38.44 38.46 38.50 38.51 38.52

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1354 1354 1355 1356 1357 1360 1361 1363 1364 1364

1365

LI

Literaturverzeichnis* Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995 ff. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007 Angerer/Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, 3. Aufl. 2017 Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Hrsg.), WpÜG, 2. Aufl. 2013 Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019 Baetge/Kirsch/Thiele (Hrsg.), Bilanzrecht Kommentar, Loseblatt Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung – Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl. 2016 Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), BGB, 4. Aufl. 2019 Barthel (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensbewertung, Loseblatt Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018 Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017 Beck’scher Bilanz-Kommentar, hrsg. von Grottel/Schmidt/Schubert/Winkeljohann, 11. Aufl. 2018 Beck’sches Handbuch der AG, hrsg. von Drinhausen/Eckstein, 3. Aufl. 2018 Beck’sches Handbuch der Rechnungslegung, HGB und IFRS, hrsg. von Böcking/Castan/Heymann/Pfitzer/Scheffler, Loseblatt Bork/Schäfer (Hrsg.), GmbHG, 4. Aufl. 2019 Bürgers/Körber (Hrsg.), AktG, 4. Aufl. 2017 Damrau/Tanck (Hrsg.), Praxiskommentar Erbrecht, 3. Aufl. 2014 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2014 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016 Ebenroth, Erbrecht, 1992 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, hrsg. von Joost/Strohn, Band 1: 3. Aufl. 2014; Band 2: 3. Aufl. 2015 Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 10. Aufl. 2013 Erman, BGB, hrsg. von Grunewald/H. P. Westermann/Maier-Reimer, 15. Aufl. 2017 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, 6. Aufl. 2018 Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, 2. Aufl. 2016 Fuchs (Hrsg.), WpHG, 2. Aufl. 2016 Grigoleit (Hrsg.), AktG, 2013 Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 8. Aufl. 2016 Großkommentar zum AktG, hrsg. von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff., 5. Aufl. 2019 Großkommentar zum GmbHG, hrsg. von Ulmer/Habersack/Winter, 2005 ff.; hrsg. von Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013 ff.

* Ausführliches Schrifttum findet sich zu Beginn der einzelnen Paragraphen.

LIII

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LVI

Abkürzungsverzeichnis a.A. AAA a.a.O. ABGB abl. ABl. EG ABl. EU Abs. Abschn. AcP ADHGB ADS a.E. ähnl. AEUV a.F. AG AGB AgrarR AICPA AIFM AJP AktG AKU ALI allg.M. Alt. Am. J. Comp. L. AMF AngVO/AngebVO Anh. Anm. AntBVBewV AnwBl. AO APV AR Art. ARUG AStG Aufl. AWG AWV Az.

anderer Ansicht American Arbitration Association am angegebenen Ort Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Adler/Düring/Schmaltz am Ende ähnlich Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Agrarrecht (Zeitschrift) American Institute of Certified Public Accountants Alternative Investment Fund Manager Aktuelle Juristische Praxis (Zeitschrift, Schweiz) Aktiengesetz Arbeitskreis Unternehmensbewertung des IDW American Law Institute allgemeine Meinung Alternative American Journal of Comparative Law (Zeitschrift) Autorité des Marchés Financiers Angebotsverordnung Anhang Anmerkung Anteils- und Betriebsvermögensbewertungsverordnung Anwaltsblatt (Zeitschrift) Abgabenordnung Adjusted Present Value Aufsichtsrat; Der Aufsichtsrat (Zeitschrift) Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Außensteuergesetz Auflage Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen

LVII

Abkürzungsverzeichnis

BÄK BaFin BAG BAnz. BauGB BayObLG BB BBGB Bd. BDA BDI BDSG BDU BeckBilanzKomm. BeckHdb. BeckOK BeckRS Begr. Beil. Bespr. BewG BFH BFHE BFH/NV BfuP BG BGB BGBl. BGE BGH BGHZ BHO BilKoG BilMoG BilReG BKR BMF BMJ/BMJV BNotO BörsG BörsO BörsO FWB BörsZulV BR-Drucks. BSGE bspw. BStBK BStBl. LVIII

Bundesärztekammer Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Baugesetzbuch Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (Schweiz) Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesverband der Deutschen Industrie Bundesdatenschutzgesetz Bundesverband deutscher Unternehmensberater Beck’scher Bilanz-Kommentar Beck’sches Handbuch Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Begründung Beilage Besprechung Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (nicht veröffentlicht) Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bilanzrechtskontrollgesetz Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz (und für Verbraucherschutz) Bundesnotarordnung Börsengesetz Börsenordnung Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrats-Drucksache Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts beispielsweise Bundessteuerberaterkammer Bundessteuerblatt

Abkürzungsverzeichnis

BT-Drucks. Buchst. Bull. BVerfG BVerfGE BWNotZ bzgl.

Bundestags-Drucksache Buchstabe Bulletin Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg bezüglich

CAC CAPM c.c. C. civ. CDAX CEO CF CFB CFL CFO

Cotation Assistée en Continu Capital Asset Pricing Model Codice civile (Italien) Code civil (Frankreich) Composite DAX Chief Executive Officer Corporate Finance (Zeitschrift) Corporate Finance biz (Zeitschrift) Corporate Finance law (Zeitschrift) Chief Financial Officer

D&O DÄ DAI DAJV DAV DAX DB DBA DBM DBW DCF DCGK Del. Ch. DGAR DGCL d.h. DIS DiskE Diss. DJT DM DNotZ DPR DRiG DrittelbG DRS DRSC DSR DStR DSW

Directors & Officers Deutsches Ärzteblatt Deutsches Aktieninstitut Deutsch-Amerikanische Juristenvereinigung Deutscher Anwaltverein Deutscher Aktienindex Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Delaware Block Method Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Discounted Cash Flow Deutscher Corporate Governance Kodex Delaware Court of Chancery Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht Delaware General Corporation Law das heißt Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit Diskussionsentwurf Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung Deutsches Richtergesetz Drittelbeteiligungsgesetz Deutsche Rechnungslegungs Standards Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee Deutscher Standardisierungsrat Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz LIX

Abkürzungsverzeichnis

DVFA DZWIR/DZWir

Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

E EBIT EBITA EBITDA EBT ECFR Eds. EFG EFTA eG EG EGAktG EGBGB EGHGB Einl. EL EMRK ErbR ErbStB ErbStG ErbStR ErbStRF ErfKomm. Erg. ESt EStG ESUG

Entwurf Earnings Before Interest and Taxes Earnings Before Interest, Taxes and Amortization Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization Earnings Before Taxes European Company and Financial law Review Editors Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft(en) Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Einleitung Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Erbschaft-Steuerberater Erschaftsteuergesetz Erbschaftsteuer-Richtlinie Erbschaftsteuerreformgesetz Erfurter Kommentar Ergebnis Einkommensteuer Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen et cetera Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Europäische Zentralbank

etc. EU EuG EuGH EUV EWiR EWIV EWR EZB f., ff. FamFG FamFR FamGKG FamRB FamRZ FASB LX

folgende, fortfolgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familienrecht und Familienverfahrensrecht (Zeitschrift) Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen Familien-Rechtsberater (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Financial Accounting Standards Board

Abkürzungsverzeichnis

FAUB FAZ FB FF FG FGG FGG-RG FGO FGPrax FM/FinMin FMStBG FMStG FN Fn. FPR FR FrankfKomm. FS FTSE FuR FVerlV FWB GbR gem. GenG GES GesAusG GesKR GesR GesRZ GewSt GewStG GewStR GG ggf. G/H/E/K Giur. comm. GmbH GmbHG GmbHR GNotKG GO GoB GoP grds. GrdstVG

Fachausschuss Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanz Betrieb (Zeitschrift) Forum Familienrecht (Zeitschrift) Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit FGG-Reformgesetz Finanzgerichtsordnung Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zeitschrift) Finanzministerium Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fachnachrichten (des IDW) Fußnote Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Frankfurter Kommentar Festschrift Financial Times Stock Exchange Familie und Recht (Zeitschrift) Funktionsverlagerungsverordnung Frankfurter Wertpapierbörse Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Österreich) Gesellschafterausschlussgesetz (Österreich) Zeitschrift für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Gesellschaftsrecht Der Gesellschafter – Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht Gewerbesteuer Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuerrichtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff Giurisprudenza Commerciale (Zeitschrift) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gerichts- und Notarkostengesetz Gemeindeordnung Grundsätze ordnungmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensplanung grundsätzlich Grundstückverkehrsgesetz LXI

Abkürzungsverzeichnis

Großkomm. GrurPrax GS GuV GVBl. GVG GWB GWR

Großkommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gedenkschrift Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

Hdb. HdJ HFA HFR HGB h.L. h.M. HöfeO HöfeVfO Hrsg. HRV HV

Handbuch Handbuch des Jahresabschlusses Hauptfachausschuss (des IDW) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Höfeordnung Verfahrensordnung für Höfesachen Herausgeber Handelsregisterverordnung Hauptversammlung

IACVA IAS IASB IBR ICC i.d.F. i.d.R. IdU IDW IDW PH IDW PS IDW RH IDW RS IDW S i.E. i.e.S. IfB IFLR IfM IFRIC IFRS IHK i.H.v. insb./insbes. InsO IPO

International Association of Consultants, Valuators and Analysts International Accounting Standards International Accounting Standards Board Immobilien & Baurecht International Chamber of Commerce in der Fassung in der Regel Institut der Unternehmensberater Institut der Wirtschaftsprüfer IDW Prüfungshinweis IDW Prüfungsstandard IDW Rechnungslegungshinweis IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung IDW Standard im Ergebnis im engeren Sinne Institut für Freie Berufe International Financial Law Review (Zeitschrift) Institut für Mittelstandsforschung International Financial Interpretation Committee International Financial Reporting Standards Industrie- und Handelskammer in Höhe von insbesondere Insolvenzordnung Initial Public Offering

LXII

Abkürzungsverzeichnis

i.R.d. IRZ i.S. i.S.d. IStR i.S.v. i.V.m. IVS IVSC

im Rahmen des/der Zeitschrift für Internationale Rechnungslegung in Sachen im Sinne des Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) im Sinne von in Verbindung mit International Valuation Standards International Valuation Standards Council

JA JBFA JbFSt/JbFfSt jOGH JR JuS JVEG JW JZ

Juristische Ausbildung Journal of Business, Finance & Accounting Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Oberster Gerichtshof (Japan) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)

K&R KAGB Kap. KfW KG KGaA KGV KiSt KMU KölnKomm. Komm. KonTraG KoR KostO KostRMoG krit. KSt KStG KSzW KTS KV KWG

Kommunikation & Recht (Zeitschrift) Kapitalanlagegesetzbuch Kapitel Kreditanstalt für Wiederaufbau Kommanditgesellschaft, Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Kurs-Gewinn-Verhältnis Kirchensteuer kleine und mittlere/mittelgroße Unternehmen Kölner Kommentar Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung (Zeitschrift) Kostenordnung Kostenrechtsmodernisierungsgesetz kritisch Körperschaftsteuer Körperschaftsteuergesetz Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Insolvenzrecht Kostenverzeichnis Kreditwesengesetz

LAG LCIA LG lit. LPartG LS/Ls.

Landesarbeitsgericht London Court of International Arbitration Landgericht litera Lebenspartnerschaftsgesetz Leitsatz LXIII

Abkürzungsverzeichnis

LStDV LStR LVwVfG LwVfG

Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Lohnsteuerrichtlinien Landesverwaltungsverfahrensgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen

M&A MBCA MDR m.E. MiFID Mio. MitbestErgG MitbestG MittBayNot

Mergers and Acquisitions Model Business Corporation Act Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) meines Erachtens Markets in Financial Instruments Directive Million Mitbestimmungsergänzungsgesetz Mitbestimmungsgesetz Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern (Zeitschrift) Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer (Zeitschrift) Marktmissbrauchsverordnung Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Milliarde Marktrisikoprämie Mikro-Unternehmen Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4: Aktiengesellschaft Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 3: Gesellschaft mit beschränkter Haftung Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen

MittRhNotK MMVO MoMiG Mrd. MRP MU MünchHdb. AG MünchHdb. GesR MünchHdb. GmbH MünchKomm. m.w.N. NaStraG NAV n.F. NJOZ NJW NJW-RR NotBZ NPO Nr. n.v. NVwZ NW NYSE NZA NZFam NZG NZI LXIV

Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung Net Asset Value neue Fassung Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Non-Profit-Organisation Nummer nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen New York Stock Exchange Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung

Abkürzungsverzeichnis

o.Ä. OECD OFD o.g. OGAW OGH oHG/OHG OLG OR OS/Os. OVG OWiG

oder Ähnliches Organisation for Economic Cooperation and Development Oberfinanzdirektion oben genannt Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Oberster Gerichtshof (Österreich) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Obligationenrecht (Schweiz) Orientierungssatz Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

p.a. PartG PartGG PFB PiR

per annum Partnerschaftsgesellschaft Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Praxis Freiberufler-Beratung (Zeitschrift) Internationale Rechnungslegung (Zeitschrift)

R RabelsZ

Richtlinie Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht rund Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Finanzinstrumente (Zeitschrift) Recht der Landwirtschaft (Zeitschrift) Referentenentwurf Reformgesetz Regierungsentwurf Deutscher Rentenindex Reichsfinanzhof Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Rivista del Diritto Commerciale (Zeitschrift) Rivista delle Società (Zeitschrift) Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile (Zeitschrift) Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Rheinische Notar-Zeitschrift Return on Capital Employed Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtsprechung Reichssteuerblatt Rundfunkstaatsvertrag Revised Uniform Partnership Act Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Zeitschrift für Recht und Rechungswesen (Österreich) Randzahl

rd. RdA RdF RdL RefE RefG RegE REXP RFH RG RGBl. RGZ Riv. Dir. Comm. Riv. Soc. Riv. Trim. Dir. Proc. Civ. RIW RL/RiLi RNotZ ROCE Rpfl. Rspr. RStBl. RStV RUPA RVG RWZ Rz.

LXV

Abkürzungsverzeichnis

s. S. SCE SCEAG SchiedsVZ SchlHAGBGB SchO SchVG SE SEAG SEBG SEC SE-VO SGB SIC SJZ sog. SolZ SolZG Sp. SpruchG StAuskVO StBerG Stbg StbJb. StGB str. StuB StuW

siehe Seite Societas Cooperativa Europaea; Europäische Genossenschaft SCE-Ausführungsgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Land Schleswig-Holstein Schiedsgerichtsordnung Schuldverschreibungsgesetz Societas Europaea; Europäische Gesellschaft SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz Securities and Exchange Commission SE-Verordnung Sozialgesetzbuch Standing Interpretation Committee Schweizerische Juristen-Zeitung sogenannt Solidaritätszuschlag Solidaritätszuschlaggesetz Spalte Spruchverfahrensgesetz Steuer-Auskunftsverordnung Steuerberatungsgesetz Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberaterjahrbuch Strafgesetzbuch streitig Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)

TAB TCF TransPuG TUG Tz.

Tax Amortization Benefit Total Cash Flow Transparenz- und Publizitätsgesetz Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Textziffer

u.a. u.Ä. Ubg u.E. UGB UMAG

unter anderem/und andere und Ähnliches Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) unseres Erachtens Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz United Nations United Nations Commission on International Trade Law unstreitig

UmwG UmwStG UN UNCITRAL unstr. LXVI

Abkürzungsverzeichnis

UrhG US GAAP US GAAS USA UStG u.U.

Urheberrechtsgesetz U.S. Generally Accepted Accounting Principles U.S. Generally Accepted Auditing Standards United States of America Umsatzsteuergesetz unter Umständen

v.a. VAG Var. vBP VerschG VersR VG VGH vgl. VGR VO vs. VV VVaG VVG VwGO VwVfG VwVG

vor allem Versicherungsaufsichtsgesetz Variante vereidigter Buchprüfer Verschollenheitsgesetz Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Verordnung versus Vergütungsverzeichnis Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz

WACC WeimRV WGG WiB WiPrO WISU WM WP WPg WpHG WPK WPO WpPG WpÜG WpÜG-AngVO/ WpüG-AngebVO WuB

Weighted Average Cost of Value Weimarer Verfassung Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) Wirtschaftsprüferordnung Zeitschrift für Wirtschaftsstudenten Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaftsprüfer Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferkammer Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WpÜG-Angebotsverordnung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht

z.B. ZBB ZCG ZDH ZErb

zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Corporate Governance Zentralverband des Handwerks Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis LXVII

Abkürzungsverzeichnis

ZEV ZfB ZfbF ZfCM ZfgG ZfgK ZfhF ZGB ZGR ZHR Ziff. ZInsO ZIP zit. ZJapanR ZKM ZNotP ZögU ZPO z.T. zust. ZVglRWiss zzgl. ZZP

LXVIII

Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Controlling & Management Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Japanisches Recht Zeitschrift für Konfliktmanagement Zeitschrift für die Notarpraxis Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zivilprozessordnung zum Teil zustimmend Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess

Erster Teil Einführung §1 Unternehmensbewertung als Rechtsproblem I. Bewertung von Unternehmen als Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1

II. „Rechtsgebundene“ Unternehmensbewertung als juristische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.5

III. Rechtliche Bewertungsanlässe . . . . 1.9 1. Gesellschafts-, Umwandlungsund Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . 1.9 2. Familien- und Erbrecht . . . . . . . . . . 1.14 3. Bilanz- und Steuerrecht . . . . . . . . . . 1.17 4. Weitere Bewertungsanlässe . . . . . . . . 1.20 IV. Bewertungsziel als Rechtsfrage . . . . 1. „Normwert“ als Bewertungsvorgabe . 2. Abfindung ausscheidender Gesellschafter als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . a) § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . b) „Angemessene“ Barabfindung ausscheidender Aktionäre (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) . . . . . c) Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Abfindungsbemessung (Art. 14 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . 3. Überblick über rechtliche Bewertungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . a) Normorientierung . . . . . . . . . . . . b) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung des „Unternehmens als Einheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Liquidationswert als Wertuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Quotaler Unternehmenswert oder Anteilswert . . . . . . . . . . . . . f) Bewertung zum Börsenkurs . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . .

1.25 1.25 1.26 1.26 1.28 1.29 1.31 1.32 1.32 1.33 1.36 1.38 1.40 1.41 1.43

V. Wertermittlung als Tatsachenfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwierigkeiten der Wertermittlung . 2. Wertermittlung durch Schätzung . . . a) Zulässigkeit einer Schätzung . . . . b) Richterliches Schätzungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beauftragung von Sachverständigen . 4. Zur Eignung einzelner Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ertragswert- und DCFMethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Substanzwert und Mischverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Marktorientierte“ Bewertungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Börsenkurse und gezahlte Kaufpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auswahl der Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Methodenänderungen und „Rückwirkung“ . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . VI. Unternehmensbewertung und Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein einheitliches Verfahrensrecht . . 2. Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Streitiges Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 4. Schiedsgericht und Schiedsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Steuerverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom „theoretisch richtigen Wert“ zur Bandbreite „vertretbarer“ Werte . 2. Internationale Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reform der rechtlichen Bewertungsvorgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.44 1.44 1.45 1.45 1.46 1.50 1.52 1.52 1.57 1.59 1.62 1.65 1.66 1.67 1.68 1.68 1.69 1.71 1.72 1.74 1.75 1.75 1.77 1.78

Schrifttum: Ballwieser, Unternehmensbewertung durch Rückgriff auf Marktdaten, in Heintzen/Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, 2003, S. 13; Bertl, Basiszins und Marktrisikoprämie – Der österreichische Weg, WPg 2018, 805; Brähler, Der Wertmaßstab der Unternehmensbewertung nach § 738 BGB, WPg 2008, 209; Brösel/Karami, Der Börsenkurs in der Rechtsprechung: Zum Spannungs-

Hüttemann 1

§1

Erster Teil: Einführung

verhältnis zwischen Minderheitenschutz und Rechtssicherheit – Anmerkungen zum Stollwerck-Beschluss vom 19.07.2010, WPg 2011, 418; Bungert, Rückwirkende Anwendung von Methodenänderungen bei der Unternehmensbewertung, WPg 2008, 811; Bungert/Wettich, Vorgaben aus Karlsruhe zum Referenzzeitraum des Börsenwerts für die Abfindung bei Strukturmaßnahmen, BB 2010, 2230; Bungert/Wettich, Die zunehmende Bedeutung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen im Wandel der Rechtsprechung, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157; Decher, Wege zu einem praktikablen und rechtssicheren Spruchverfahren, FS Maier-Reimer, 2010, 57; Fleischer, Die Barabfindung außenstehender Aktionäre nach den §§ 305 und 320b AktG: Stand-alone-Prinzip oder Verbundberücksichtigungsprinzip?, ZGR 1997, 368; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften – Minderheitsabschlag, Fungibilitätsabschlag, Abschlag für Schlüsselpersonen, ZIP 2012, 1633; Fleischer, Zu Bewertungsabschlägen bei der Anteilsbewertung im deutschen GmbH-Recht und im US-amerikanischen Recht der close corporation, FS Hommelhoff, 2012, 223; Fleischer, Die Behandlung des Fungibilitätsrisikos bei der Abfindung außenstehender Aktionäre (§§ 305, 320b AktG), FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Fleischer, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage, AG 2016, 185; Fleischer/ Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Großfeld, Bewertung von Anteilen an Unternehmen, JZ 1981, 641 ff.; Großfeld, Europäische Unternehmensbewertung, NZG 2002, 353; Großfeld, Globale Unternehmen bewerten, in Heintzen/Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, 2003, S. 101; Großfeld, Interkulturelle Unternehmensbewertung, FS Yamauchi, 2006, S. 123; Hachmeister/Ruthardt/Eitel, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung – Aktuelle Entwicklungen 2010 – 2012, WPg 2013, 762; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung – Bewertungsverfahren, Ertragsprognose, Basiszinssatz und Wachstumsabschlag, WPg 2011, 519; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung – Berücksichtigung des Risikos, Risikozuschlags und persönlicher Steuern, WPg 2011, 829; Henselmann/Munkert/Winkler/Schrenker, 20 Jahre Spruchverfahren – Empirische Ergebnisse zur Abfindungserhöhung in Abhängigkeit vom Antragsteller und von den Bewertungssubjekten, WPg 2013, 1206; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; Hüttemann, Neuere Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, StbJb. 2000/2001, 2001, 385; Hüttemann, Börsenkurs und Unternehmensbewertung, ZGR 2001, 454; Hüttemann, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung, in Heintzen/Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, 2003, S. 151; Hüttemann, Rechtliche Vorgaben für ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; Hüttemann, Stichtagsprinzip und Wertaufhellung, FS Priester, 2007, S. 301; Hüttemann, Zur „Rückwirkung“ geänderter Bewertungsstandards im Spruchverfahren, WPg 2008, 822; Hüttemann, Vorbelastungshaftung, Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung, FS Huber, 2006, S. 757; Hüttemann, Überschuldung, Überschuldungsbilanz und Unternehmensbewertung, FS K. Schmidt, 2009, S. 761; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking 2013, S. 603; Hüttemann, Richterliche Unternehmensbewertung zwischen Rechts- und Tatfragen, FS Schilken, 2015, S. 319; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Kasperzak/Bastini, Unternehmensbewertung zum Liquidationswert – Gesellschaftsrechtliche Anlässe, Rechtsprechung und Bemessung, WPg 2015, 285; Knoll, Rechtsgeprägte Unternehmensbewertung: Richtigkeit, Vertretbarkeit und das IDW, BFuP 2017, 300; Krause, Die Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen, FS Hopt, 2010, S. 1005; Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017; Land/Hallermeyer, Grenzen der Bedeutung des Börsenkurses bei der Unternehmensbewertung im Rahmen von Strukturmaßnahmen, AG 2015, 659; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, 2014; Lorenz, Unternehmensbewertung im Erbschaftsteuerrecht, 2015; Luttermann, Zum Börsenkurs als gesellschaftsrechtliche Bewertungsgrundlage – Die Maßgeblichkeit des Marktpreises im Zivil- und Steuerrecht, ZIP 1999, 45; Luttermann, Zur Rechtspraxis internationaler Unternehmensbewertung bei der Publikums-Aktiengesellschaft, NZG 2007, 611; W. Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen und ausscheidungsberechtigten Minderheitskapitalgesellschafter, 1975; F. Meilicke, Die Behandlung von Er-

2

Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

§1

tragsteuern im Rahmen der Unternehmensbewertung als Rechtsfrage, 2013; Meinert, Neuere Entwicklungen in der Unternehmensbewertung (Teil I), DB 2011, 2397; Mertens, Zur Geltung des Stand-alonePrinzips für die Unternehmensbewertung bei der Zusammenführung von Unternehmen, AG 1992, 326; Meyer, Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung nachträglich erlangter Informationen bei der Bewertung von Unternehmen, AG 2015, 16; W. Müller, Der Wert der Unternehmung, JuS 1973, 603 ff.; W. Müller, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, FS Westermann, 2000, S. 705; W. Müller, Anteilswert oder anteiliger Unternehmenswert? Zur Frage der Barabfindung bei der kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaft, FS Röhricht, 2005, S. 1015; Olbrich/Rapp, Zur Berücksichtigung des Börsenkurses bei der Unternehmensbewertung zum Zweck der Abfindungsbemessung, DStR 2010, 2005; Olbrich/Rapp, Wider die Anwendung der DVFA-Empfehlungen in der gerichtlichen Bewertungspraxis, CFB 2012, 233; Olzen, Das Verhältnis von Richtern und Sachverständigen im Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung, ZZP 93 (1980), 66; Paulsen, Rezeption wissenschaftlicher Thesen durch die Gerichte, WPg 2007, 823; Piltz, Unternehmensbewertung und Börsenkurs im aktienrechtlichen Spruchstellenverfahren, ZGR 2001, 187; Popp/Ruthardt, Das entscheidungsorientierte Stichtagsprinzip bei der Unternehmensbewertung, AG 2015, 857; Riegger/Wasmann, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung, FS Goette, 2011, S. 433; Ruiz de Vargas/Theusinger/Zollner, Ansatz des Liquidationswertes in aktienrechtlichen Abfindungsfällen, AG 2014, 42; Ruiz de Vargas/Schenk, Anteilsbewertung im Squeeze-Out-Fall bei vorliegendem Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag: Barwert der Ausgleichszahlungen oder anteiliger Ertragswert? AG 2016, 354; Ruthardt/Hachmeister, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung, WPg 2012, 451; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensplanung und (optimales) Unternehmenskonzept in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, DB 2013, 2666; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung, WPg 2016, 687; Schmalenbach, Die Werte von Anlagen und Unternehmungen in der Schätzungstechnik, ZfhF 1918, 1; Schön, Der Aktionär im Verfassungsrecht, FS Ulmer, 2003, S. 1359; Schöne, Das rechtsgrundlos erlangte Unternehmen – Herausgabe oder Wertersatz, ZGR 2000, 86; Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, 2014; Schüler, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung – eine Bestandsaufnahme und Einordnung, DB 2015, 2277; Schüppen, Schiedsverfahren und Unternehmensbewertungsgutachten in FS Elsing, 2015, S. 509; Schüppen, Brot, Steine und Glatteis – Der „Solange-Beschluss“ des BGH zur Unternehmensbewertung unter rückwirkender Anwendung von IDW S 1 (2005), ZIP 2016, 393; Schwetzler, Der Verkehrswert als angemessene Abfindung beim aktienrechtlichen Squeeze Out – Anmerkungen aus ökonomischer Sicht, FS Großfeld, 2019, S. 399; Schwetzler/Aders/Adolff, Zur Anwendung der DVFA Best-Practice-Empfehlungen in der gerichtlichen Abfindungspraxis, CFB 2012, 237; Schulze-Osterloh, Unternehmenskauf und Unternehmensbewertung aus rechtswissenschaftlicher Sicht, in Heintzen/Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, 2003, S. 175; Seetzen, Unternehmensbewertung im Spruchstellenverfahren, WPg 1991, 166; Seetzen, Spruchverfahren und Unternehmensbewertung im Wandel, WM 1999, 565; Sieben, Der Entscheidungswert in der Funktionenlehre der Unternehmensbewertung, BFuP 28 (1976), 491; Steinhauer, Der Börsenpreis als Bewertungsgrundlage für den Abfindungsanspruch von Aktionären, AG 1999, 299; Stilz, Börsenkurs und Verkehrswert – Besprechung der Entscheidung BGH ZIP 2001, 734, ZGR 2001, 875; Stilz, Die Anwendung der Business Judgement Rule auf die Feststellung des Unternehmenswerts bei Verschmelzungen, FS Mailänder, 2006, S. 423; Stilz, Unternehmensbewertung und angemessene Barabfindung – Zur vorrangigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses, FS Goette, 2011, S. 529; Teterin, Unternehmensbewertung bei Nonprofit-Unternehmen, 2006; Tonner, Zur Maßgeblichkeit des Börsenkurses bei der Bewertung des Anteilseigentums – Konsequenzen aus der Rechtsprechung des BVerfG, FS K. Schmidt, 2009, S. 1581; Wagner, Der Liquidationswert als Untergrenze betriebswirtschaftlicher Unternehmensbewertung? WPg 2016, 862; Wagner, Der Liquidationswert bei rechtsgeprägten Anlässen der Unternehmensbewertung, WPg 2016, 1090; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008.

Hüttemann 3

§ 1 Rz. 1.1

Erster Teil: Einführung

I. Bewertung von Unternehmen als Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft 1.1 Wer den Erwerb eines Unternehmens erwägt, wird fragen, was er höchstens bezahlen darf, ohne einen Nachteil zu erleiden. Auch ein potentieller Verkäufer überlegt, wieviel er mindestens erhalten muss, um sich ohne Verlust von seinem Unternehmen zu trennen. Die gesuchten Entscheidungswerte1 können jeweils nur durch einen Vergleich des Unternehmens mit alternativen Investitionsobjekten ermittelt werden. Bewerten heißt also vergleichen.2 Auch außerhalb von Unternehmenstransaktionen sind vergleichende Bewertungen erforderlich, wenn etwa im Rahmen einer „wertorientierten Unternehmensführung“ nach Strategien gesucht wird, wie der Gesamtwert der Unternehmung langfristig gesteigert werden kann.3 Unternehmenswerte dienen also vor allem der Vorbereitung wirtschaftlicher Entscheidungen und bilden daher einen Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft. Es waren deshalb in erster Linie Ökonomen, die den theoretischen Diskurs über Wertbegriffe und Bewertungsmethoden dominiert haben und auch heute noch in der Praxis (insbesondere als Wirtschaftsprüfer und Finanzanalysten) mit der Durchführung von Unternehmensbewertungen befasst sind.

1.2 Die betriebswirtschaftlichen Wertkonzeptionen und Anschauungen darüber, wie Unternehmenswerte zu ermitteln sind, haben sich im Zeitablauf gewandelt (zur betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie eingehend Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.6 ff.).4 Während in den 1950er Jahren noch ein „objektives“ Wertverständnis vorherrschte, das Unternehmen (zumeist unter Betonung des Substanzwertes) einen allgemein gültigen „objektiven“ Wert beilegte, setzte sich in den 1960er Jahren die Auffassung durch, dass Unternehmenswerte stets subjektiver Natur sind, weil der Nutzwert von den konkreten Zielen abhängt, die die Unternehmenseigner verfolgen.5 Die Subjektivierung des Bewertungsproblems6 hatte nicht nur Rückwirkungen auf die Bewertungsmethode (Vordringen des Ertragswertverfahrens), sondern bereitete zugleich die Grundlage für den Siegeszug der funktionalen Bewertungslehre in den 1970er Jahren:7 Wenn Unternehmenswerte subjektbezogen sind, muss sich auch die Auswahl der Bewertungsmethode nach dem konkreten Bewertungszweck richten, weil ein rein käuferbezogener „Grenzpreis“ auf anderen Annahmen beruht als ein „Schiedswert“, der die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigt. Seit den 80er Jahren haben verstärkt kapitalmarktorientierte Bewertungsansätze Einzug in die Unternehmensbewertung gehal-

1 Zu Entscheidungswerten und zur Entscheidungsfunktion der Unternehmensbewertung s. nur Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 133 ff.; Moxter, Grundsätze, S. 9, 13. 2 So treffend Moxter, Grundsätze, S. 121. 3 Zur Unternehmensbewertung als Instrument einer „wertorientierten Unternehmensführung“ vgl. die Hinweise bei Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 61 ff.; ferner zur „wertorientierten Steuerung“ Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 387 ff. 4 Für einen Überblick über die Dogmengeschichte der Bewertungskonventionen s. Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, S. 56 ff.; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung S. 8 ff.; Matschke/ Brösel, Unternehmensbewertung, S. 14 ff.; Henselmann in Peemöller, Praxishandbuch, S. 95 ff. 5 Zur Eignerbezogenheit von Unternehmenswerten nur Moxter, Grundsätze, S. 23. 6 Wegweisend Schmalenbach, ZfhF 1918, 1: „Alle die eine Wirtschaftsanlage kaufen oder sich in irgend einer Form an ihr beteiligen wollen, und alle die eine Wirtschaftsanlage verkaufen wollen, werden, wenn sie wirtschaftlich denken, von dem Gedanken beherrscht: Was kann diese Anlage in Zukunft an Gewinn bringen.“ Für weitere Nachweise zur subjektiven Bewertungslehre vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 18 ff. 7 Grundlegend Sieben, BFuP 1976, 491 ff.; weitere Hinweise bei Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 22 ff.

4

Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.4 § 1

ten und zu einem weiteren Paradigmenwechsel geführt.1 Das Unternehmen wird nicht länger nur aus dem Blickwinkel einer bestimmten Person, sondern „extern“ aus der Perspektive des Kapitalmarktes bewertet. Eine Folge ist, dass vermehrt Aktienkurse und Multiplikatoren als Bewertungsparameter herangezogen werden.2 Darüber hinaus sind die ertragsabhängigen Bewertungsverfahren durch kapitalmarkttheoretische Überlegungen ergänzt worden. Ein Beispiel ist die Ableitung von Risikozuschlägen auf der Basis des CAPM (dazu näher Franken/ Schulte, Rz. 6.1 ff.).3 Paradigmenwechsel in der Bewertungstheorie wirken sich immer erst mit einer gewissen Zeitverzögerung auf die Bewertungspraxis aus (zur historischen Entwicklung der berufsständischen Bewertungspraxis näher Jonas, Rz. 3.7 ff.). Dies ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sich „neue“ theoretische Erkenntnisse zunächst im wissenschaftlichen Wettstreit durchsetzen müssen, bevor sie im Rahmen der Aus- und Weiterbildung an die Berufsträger weitergegeben werden. Eine große Rolle spielt auch das berufsständische Umfeld. In Deutschland wird die Praxis der Unternehmensbewertung weitgehend vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer dominiert, so dass dem (privatrechtlich organisierten) Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) eine herausgehobene Stellung bei der Fortentwicklung der Bewertungspraxis zufällt.4 Das IDW erarbeitet im Rahmen der Facharbeit Empfehlungen und Stellungnahmen, die sich als „fachliche Regeln“ an die Angehörigen des Berufsstandes richten.5 Im Bereich der Unternehmensbewertung ist dies der IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) i.d.F. 2008.6 Diese „Standardisierung“ der Bewertungspraxis hat zwar den Vorteil einer gewissen Filterung neuer fachwissenschaftlicher Erkenntnisse und kann zu einer sinnvollen Vereinheitlichung der Bewertungsmaßstäbe und -methoden beitragen.7 Der notwendige Abstimmungsprozess innerhalb der Gremien des IDW vergrößert aber auch den „time lag“ bis zur Umsetzung von Erkenntnisfortschritten in die Praxis und kann bei stichtagsbezogenen Änderungen der Bewertungsstandards (dazu auch Rz. 1.66) zu Akzeptanzproblemen führen.8

1.3

Fragt man angesichts des beständigen Wandels der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre und -praxis nach einer „Konstante“, so ist vor allem auf die Annahme hinzuweisen, dass bei der Lösung des Bewertungsproblems regelmäßig nur „finanzielle“ Ziele berücksichtigt werden.9 Diese Beschränkung ist zwar aus theoretischer Sicht nicht zwingend, weil gerade ein

1.4

1 Zum Einfluss „marktorientierter“ Bewertungsverfahren s. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 26 ff.; Ballwieser in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 13 ff. 2 Beispielhaft die „Best-Practice-Empfehlungen“ des DVFA-Arbeitskreises „Corporate Transactions and Valuation“, CFB 2012, 43; s. dazu auch die Kritik von Olbrich/Rapp, CFB 2012, 233 und die Erwiderung von Schwetzler/Aders/Adolff, CFB 2012, 237. 3 Vgl. dazu etwa Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 54 ff.; Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, S. 181 ff. 4 Eingehend dazu Schülke, IDW-Standards und Unternehmensbewertung, 2014, S. 49 ff. 5 Die Einhaltung der berufsständischen Standards hat nicht nur eine haftungsrechtliche Bedeutung, sondern ist auch durch § 43 WPO vorgegeben. 6 IDW S 1 (2008), WPg-Supplement 3/2008, S. 68. 7 Auf diesen Gesichtspunkt hinweisend OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841). 8 Vgl. zur Zulässigkeit einer „rückwirkenden“ Anwendung von „neuen“ IDW-Standards BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; dazu Fleischer, AG 2016, 185; Schüppen, ZIP 2016, 393; Hüttemann, CF 2016, 467. 9 Beispielhaft IDW S 1 (2008) Rz. 4: „Der Wert eines Unternehmens bestimmt sich unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem

Hüttemann 5

§ 1 Rz. 1.4

Erster Teil: Einführung

subjektiv verstandenes Ertragswertkalkül durchaus für nichtfinanzielle Nutzenbestandteile Raum lässt.1 Die Beschränkung auf finanzielle Vorteile ist aber ein wichtiger Beitrag zur Komplexitätsreduktion:2 Sie erlaubt nicht nur eine „eindimensionale“ Betrachtung, weil finanzielle und nichtfinanzielle Zielsetzungen nicht gegeneinander abgewogen werden müssen, sondern erspart zugleich die Überführung nichtfinanzieller Nutzenbestandteile in „monetäre“ Größen. Man mag diese Bewertungskonvention – ebenso wie die Annahme rational handelnder Bewertungssubjekte – auch in den Erfahrungssatz kleiden, dass potentielle Käufer und Verkäufer – so bereits Schmalenbach – „wirtschaftlich denken“.3 Dass so ermittelte „Werte“ von tatsächlich beobachteten „Preisen“, die auch von nichtfinanziellen Motiven und Irrationalitäten der handelnden Akteure beeinflusst sind, abweichen werden, liegt auf der Hand. Ferner ist zu beachten, dass es auch Marktteilnehmer gibt, die – wie z.B. Non-Profit-Organisationen und die öffentliche Hand – von vornherein keine finanziellen Ziele verfolgen. Hier bedarf einer „sachzielorientierten“ Unternehmensbewertung, um den Besonderheiten dieser Bewertungssubjekte hinreichend Rechnung zu tragen (dazu näher Hüttemann, Rz. 32.1 ff.).4

II. „Rechtsgebundene“ Unternehmensbewertung als juristische Aufgabe 1.5 Unternehmensbewertung ist nicht nur ein Instrument zur Vorbereitung wirtschaftlich sinnvoller Entscheidungen, sondern wird zum „Rechtsproblem“, wenn die Rechtsanwendung die Feststellung von Unternehmenswerten erfordert.5 Die Rechtsordnung kennt zahlreiche Anlässe, in denen Unternehmen von Rechts wegen bewertet werden müssen (vgl. Rz. 1.11 ff.). Man denke nur an die Ermittlung der gesetzlich geschuldeten Abfindung ausscheidender Gesellschafter oder die Bewertung eines im Nachlass befindlichen Unternehmens für Zwecke des Pflichtteils- oder des Erbschaftsteuerrechts. Anders als z.B. bei Unternehmenskäufen findet die Bewertung hier nicht im „rechtsfreien Raum“ betriebswirtschaftlicher Überzeugungen statt, sondern die Beteiligten sind an rechtliche Vorgaben gebunden. Können sich z.B. die Gesellschafter einer OHG nicht über die Höhe der Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters einigen, muss notfalls der Richter die gesetzlich geschuldete Abfindung unter Berücksichtigung des Unternehmenswerts verbindlich festlegen. Die „rechtsgebundene“ Unternehmensbewertung6 ist mithin eine juristische Aufgabe und somit „Teil der Jurisprudenz“.7

1 2 3 4 5

6 7

6

Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner (Nettoeinnahmen als Saldo von Ausschüttungen bzw. Entnahmen, Kapitalrückzahlungen und EInlagen“. Zutreffend Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 172. Ebenso Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 173 f. Schmalenbach, ZfhF 1918, 1. Aus dem Schrifttum nur Teterin, Unternehmensbewertung bei Nonprofit-Unternehmen, 2006. Zur Unternehmensbewertung als „Rechtsproblem“ s. aus dem neueren rechtswissenschaftlichen Schrifttum vor allem Adolff, Unternehmensbewertung, 2007; Fleischer, ZGR 1997, 368; Fleischer, ZIP 2012, 1633; Fleischer, AG 2014, 97; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1 ff.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563; Hüttemann, WPg 2007, 812; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, 2014; aus dem älteren Schrifttum s. etwa W. Müller, JuS 1973, 603 ff.; Großfeld, JZ 1981, 641 ff.; Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen und ausscheidungsberechtigten Minderheitskapitalgesellschafter, 1975; Meincke, Das Recht der Nachbewertung im BGB, 1973; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 1994. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 4 spricht von „rechtsgeleiteter“ Unternehmensbewertung; ähnlich Fleischer, ZGR 1997, 368, 375: „Normprägung“. So prägnant Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1.

Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.7 § 1

Die Feststellung von Unternehmenswerten im rechtlichen Kontext ist keine bloße Tatsachenfrage, die der Richter mangels eigener Sachkunde einfach dem Sachverständigen (z.B. einem Wirtschaftsprüfer) überlassen kann.1 Ein derartiges Vorgehen wäre nur zulässig, wenn Unternehmenswerte – im Sinne der überholten „objektiven“ Bewertungslehre – eine für jedermann gültige Größe darstellen würden, die dem „Unternehmen an sich“2 anhaften. Wie die subjektive Bewertungslehre gezeigt hat, gibt es aber nicht den „einen“ Unternehmenswert, sondern der Bewertungszweck bestimmt die Bewertungsmethodik (s. Rz. 1.2). Dieser Einsicht kann sich der Richter auch nicht dadurch entziehen, dass er für die rechtsgebundene Bewertung auf einen „wahren“ oder „wirklichen“ Unternehmenswert abstellt. Zwar ist die in der Rechtsprechung schon früh gebräuchliche Formel vom „wahren Wert“3 bzw. „wirklichen Wert des lebenden Unternehmens als Einheit“4 grundsätzlich geeignet, um bestimmte von vornherein unbrauchbare Werte – wie z.B. die auf historischen Anschaffungskosten beruhenden Buchwerte in der Handels- oder Steuerbilanz – aus der Betrachtung auszuscheiden.5 Sie erweist sich im Übrigen aber als Leerformel, weil sie die entscheidende Frage nicht adressiert: Aus welcher Perspektive soll das Unternehmen als Ganzes von Rechts wegen bewertet werden? Übertragen auf die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters ist also zu fragen:6 Soll es für die Höhe der gesetzlichen Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters darauf ankommen, was das Unternehmen ihm wert ist, oder kommt es entscheidend auf die Wertvorstellungen der verbleibenden Gesellschafter an? Ist eine Abfindung angemessen, die als fiktiver Einigungswert aus den subjektiven Wertvorstellungen beider Gesellschaftergruppen abgeleitet wird, oder hat der Richter das Unternehmen vom Standpunkt eines gedachten dritten Erwerbers – also am Maßstab eines fiktiven Veräußerungspreises – zu bewerten? Es liegt auf der Hand, dass sich je nach gewählter Perspektive andere Unternehmenswerte ergeben werden, so dass der Richter diese Frage nicht offen lassen darf (s. näher Rz. 1.30 ff.).

1.6

Welche Bewertungsperspektive von Rechts wegen einzunehmen ist, lässt sich nicht für alle Bewertungsanlässe einheitlich beantworten, sondern ist im jeweiligen Normkontext durch Auslegung der einschlägigen Regelung zu entscheiden. Die Verfasser des BGB hielten zwar eine gesetzliche Vorschrift zur Wertbestimmung für entbehrlich, weil – so heißt es in den Materialien zum Allgemeinen Teil7 – „der Begriff des Werthes […] an sich für das Privatrecht gegeben und im Allgemeinen auch nicht zweifelhaft sei.“ Sie dachten dabei offenbar an den „gemeinen Wert“ im Sinne des Verkehrswertes,8 der aber – wie die abweichenden Sonderregelungen in §§ 1376 Abs. 4, 1515 Abs. 4, 2049, 2312 BGB betreffend die Bewertung von Landgütern mit dem Ertragswert zeigen – nicht ausnahmslos zur Anwendung kommen sollte. Auch beim

1.7

1 Dazu nur Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1642); Hüttemann, WPg 2007, 812 (813). 2 Zur Wechselbeziehung von objektiver Wertlehre und der Lehre vom „Unternehmen an sich“ instruktiv Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, S. 58. 3 Siehe bereits RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138; RG v. 5.11.1918 – Rep. II 243/18, RGZ 94, 106 (108); RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136). 4 So BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506. 5 Vgl. nur RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138: „[…] nicht zu dem zu niedrigeren Buchwerte“; ähnlich auch BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506: „[…] entspricht nicht dem Ergebnis der Addition der Buchwerte“. 6 Dazu eingehend etwa Fleischer, ZGR 1997, 368 (378 ff.); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (573 ff.); Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (606 ff.). 7 Mugdan, Bd. III, S. 17. 8 Siehe nur Meincke, Das Recht der Nachbewertung im BGB, 1973, S. 187 ff.

Hüttemann 7

§ 1 Rz. 1.7

Erster Teil: Einführung

Schadensersatz für eine Sache sollte nach der – später als „entbehrlich“1 gestrichenen – Vorschrift des § 220 E I nicht der „gemeine Verkehrswert“ sondern ein „außerordentlicher Werth“ (also ein nach den besonderen Verhältnisse des Geschädigten zu ermittelnder Wert) maßgebend sein.2 Im steuerlichen Bewertungsrecht stellt der „gemeine Wert“ nach § 9 Abs. 2 BewG schon immer den Regelwert dar, wenn besondere Bewertungsvorgaben fehlen. Er wird „durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre.“ Diese gesetzliche Definition erinnert an den „objektiven“ Wert, den die betriebswirtschaftliche Bewertungslehre längst aufgegeben hat (vgl. Rz. 1.2). Der „gemeine Wert“ lässt sich aber auch vor dem Hintergrund der subjektiven Bewertungstheorie einordnen, wenn man das Unternehmen aus der Perspektive eines „typischen“ gedachten Erwerbers bewertet. Ein so verstandener gemeiner Wert ist kein „objektiver“, sondern ein „objektivierter“ Wert, der ausgehend von bestimmten Annahmen über die Ziele eines typisierten gedachten Erwerbers ermittelt wird.3 Ein solcher „Wert“ entspricht einem potentiellen „Preis“, zu dem eine Transaktion zustande kommen könnte.4 In diese Richtung zielt auch die Aussage des BFH, bei der Feststellung des „gemeinen Wertes“ müsse ein „möglicher Käufer unterstellt werden“.5 Gerade das Steuerrecht ist als Massenfallrecht6 schon aus Gründen der Gleichbehandlung und Verwaltungsvereinfachung auf derartige Typisierungen und Objektivierungen angewiesen. Ob dieses Wertverständnis auch für andere rechtliche Bewertungsanlässe passt, ist im jeweiligen Normzusammenhang zu entscheiden.

1.8 Wie ein Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung zeigt, ist das Bewusstsein für die rechtliche Dimension des Bewertungsproblems in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen. Viele Jahrzehnte haben sich die Gerichte in bewertungsrelevanten Rechtsstreitigkeiten auf die einfach klingende Formel vom „wirklichen“ Wert zurückgezogen und die Schätzung dieses Wertes mehr oder weniger allein in die Hände der Sachverständigen gelegt. So hat der BGH noch im Jahr 1978 im Kali & Salz-Urteil festgestellt, es unterliege „dem pflichtgemäßen Urteil der mit der Bewertung befassten Fachleute, unter den in der Betriebswirtschaftslehre und der betriebswirtschaftlichen Praxis vertretenen Verfahren das im Einzelfall geeignet erscheinende auszuwählen“.7 An diese Formulierung hat der BGH 2015 im Stinnes-Beschluss angeknüpft, aber zugleich festgestellt, es sei eine „Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht“.8 Insgesamt ist festzustellen, dass die gerichtliche Kontrolldichte in den letzten 30 Jahren erheblich zugenommen hat. Dies belegen nicht nur der Umfang aktueller Entscheidungen im Spruchverfahren,9 sondern auch die Intensität, mit der sich die Gerichte heute mit Einzel1 Vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse I, 1978, S. 98. 2 Zur Subjektbezogenheit des Schadensbegriffs vgl. nur Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 104. 3 Vgl. dazu Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (574 ff.); zum Unterschied zwischen objektiven und „objektivierten“ Unternehmenswerten s. auch Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 41 ff. 4 Zum Verhältnis von Wert und Preis vgl. Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 6 f. 5 BFH v. 29.4.1987 – X R 2/80, BStBl. II 1987, 769 (771). 6 Dazu nur Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1975, S. 52. 7 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, WM 1978, 401 (405). 8 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (118) = AG 2016, 135. 9 Siehe nur den 141 Randziffern langen Beschluss des OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 = NZG 2014, 140.

8

Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.10 § 1

fragen der Bewertungsmethodik (u.a. Ertragsprognose und Planungsrechnungen, Berücksichtigung persönlicher Steuern, Kapitalisierungszinssatz einschließlich Risikozuschläge nach CAPM, Plausibilisierung anhand von Börsenkursen) auseinandersetzen.1

III. Rechtliche Bewertungsanlässe 1. Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht Im Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht gibt es naturgemäß besonders viele 1.9 Anlässe, in denen Unternehmensbewertungen von Rechts wegen vorzunehmen sind. Die älteste Regelung dieser Art findet sich in § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, der die Abfindung ausscheidender Personengesellschafter bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts regelt und über §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB auch für Fälle des Ausscheidens aus einer OHG und KG gilt (zur Unternehmensbewertung bei Personengesellschaften eingehend Fleischer, Rz. 24.9 ff.).2 Danach ist dem ausscheidenden Gesellschafter „dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“. Die gesetzlich geschuldete Abfindung ist also auf der Basis einer hypothetischen Liquidation der Gesellschaft (nicht des Unternehmens) zu bestimmen (dazu näher Rz. 1.26). Diese gesetzliche Vorgabe3 gilt nach gefestigter Rechtsprechung4 entsprechend für GmbH-Gesellschafter, deren Anteil eingezogen wird oder die aus wichtigem Grund ausscheiden bzw. ausgeschlossen werden (zur Unternehmensbewertung im GmbH-Recht vgl. Fleischer, Rz. 24.10). Der gesetzliche Abfindungsanspruch wird zwar regelmäßig im Gesellschaftsvertrag durch Abfindungsklauseln abbedungen, um die Liquidität der Gesellschaft zu schonen und klare Berechnungsmaßstäbe festzulegen. Gleichwohl behält der gesetzliche Abfindungsanspruch auch in diesen Fällen seine Bedeutung, denn die Wirksamkeit solcher Abfindungsklauseln beurteilt sich u.a. nach dem Abstand zwischen vertraglicher und gesetzlicher Abfindung.5 Die Vorschrift des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB war gesetzgeberisches Vorbild6 für § 305 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AktG, der die Pflicht zur Gewährung einer angemessenen Barabfindung an ausscheidende Minderheitsaktionäre im Fall des Abschlusses eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrages mit einer Aktiengesellschaft regelt, sofern den Minderheitsaktionären nicht Aktien des anderen Vertragsteils anzubieten sind. Die angemessene Barabfindung muss nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG „die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen“ (zur Unternehmensbewertung im Ak1 Beispielhaft OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840; für einen Überblick über die neuere Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung vgl. Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 519; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 829; Hachmeister/Ruthardt/Eitel, WPg 2013, 762. 2 Entsprechendes gilt bei der sog. atypischen stillen Gesellschaft, vgl. BGH v. 13.4.1995 – II ZR 132/94, WM 1995, 1277. 3 Missverständlich daher WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A 23, wo § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB den „Bewertungen auf vertraglicher Grundlage“ zugeordnet wird. Zwar beruht das Gesellschaftsverhältnis – wie die Beteiligung des Aktionärs – auf einer vertraglichen Grundlage, § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB ist aber eine (nur in bestimmten Grenzen disponible) gesetzliche Bewertungsvorgabe. Gleiches gilt – entgegen WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A 23 – für Bewertungen im Ehegüter- und Pflichtteilsrecht. 4 Siehe nur BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370 f.) = GmbHR 1992, 257. 5 Zur Inhaltskontrolle von Abfindungsklauseln vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281. 6 Dazu näher Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 f.).

Hüttemann 9

1.10

§ 1 Rz. 1.10

Erster Teil: Einführung

tien- und Konzernrecht vgl. eingehend Adolff/Häller, Rz. 21.1 ff.). Eine Barabfindungspflicht ist darüber hinaus bei der Eingliederung (§ 320b Abs. 1 Satz 3 AktG) sowie beim Ausschluss von Minderheitsaktionären (Squeeze-out) nach Aktienrecht (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG), Übernahmerecht (§ 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG) und Umwandlungsrecht (§ 62 Abs. 5 UmwG) vorgesehen. Ein Barabfindungsanspruch besteht auch bei Gründung oder Verlegung einer SE (§§ 7, 12 SEAG) sowie im Umwandlungsrecht (dazu eingehend Bungert, Rz. 22.1 ff.), und zwar bei Umwandlungen mit einem Rechtsträger anderer Rechtsform im Fall der Verschmelzung durch Aufnahme (§ 29 Abs. 1 UmwG) oder Neugründung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 UmwG), bei der Auf- und Abspaltung (§ 125 Satz 1 UmwG) sowie bei der Umwandlung durch Übertragung des Vermögens (§ 174 UmwG). Barabfindungspflichten finden sich ferner im Übernahmerecht (hierzu Winner, Rz. 23.1 ff.) bei öffentlichen Übernahmeangeboten (§ 31 WpÜG). Schließlich hat die Rechtsprechung über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus noch bei weiteren Sachverhalten eine Barabfindungspflicht statuiert, so z.B. bei der übertragenden Auflösung nach § 179a AktG.1 Abweichend von einer früheren Rechtsprechung2 halten BVerfG3 und BGH4 eine Barabfindung beim Delisting nicht mehr für erforderlich (vgl. näher Adolff/Häller, Rz. 18.16).

1.11 Neben der Barabfindung kennt das Aktienrecht auch die Möglichkeit, dem Minderheitsaktionär bei Abschluss eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrages als Ersatz für den Verlust der wirtschaftlichen Eigenständigkeit seiner Gesellschaft einen festen Ausgleich zu gewähren (§ 304 Abs. 2 Satz 2 AktG). Diese wiederkehrende Geldzahlung ist nach der bisherigen Ertragslage und den Ertragsaussichten der Gesellschaft zu bemessen, wobei insbesondere die Wertäquivalenz von Barabfindung und festem Ausgleich5 nicht unumstritten ist (dazu näher Adolff/Häller, Rz. 21.20 ff.).

1.12 Während bei der Barabfindung und beim festen Ausgleich nur die wirtschaftlichen Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft betroffen sind und deshalb nur ein einziges Unternehmen zu bewerten ist, erfordert die Ermittlung der angemessenen Umtauschrelation insbesondere in Umwandlungsfällen eine Bewertung der Unternehmen beider beteiligten Rechtsträger (s. näher Bungert, Rz. 22.10). Ein solches Umtauschverhältnis ist vor allem bei der Verschmelzung (§ 5 Nr. 3 UmwG) und der Auf- und Abspaltung (§ 126 Nr. 3 UmwG) zu bestimmen. Aber auch außerhalb des Umwandlungsrechts bedarf es beim variablen Ausgleich bzw. bei der Abfindung in Aktien im Fall des Abschlusses eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrages, bei der Eingliederung (§ 320b AktG) sowie bei der Gründung einer SE (§§ 6, 11 SEAG) der Festlegung eines Umtauschverhältnisses. Da in diesen Fällen stets zwei Unternehmen vergleichend zu bewerten sind, stellen sich hier zusätzliche Fragen in Bezug auf die Vergleichbarkeit der Bewertungsmethoden (dazu Bungert, Rz. 22.24).

1.13 Unternehmensbewertungen sind im gesellschaftsrechtlichen Kontext ferner erforderlich, wenn Unternehmen im Rahmen der Gründung oder einer späteren Kapitalerhöhung als Sacheinlage in eine Kapitalgesellschaft eingebracht werden (§§ 5 Abs. 4, 9 und 56 GmbHG, 1 Dazu BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97, AG 2001, 42 = ZIP 2000, 1670. 2 Zur früheren Rechtsprechung vgl. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47 = AG 2003, 273. 3 BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BVerfGE 132, 99 = AG 2012, 557. 4 BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, AG 2013, 877. 5 Dazu nun BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359; dazu aus dem Schrifttum Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354; monographisch Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, S. 145 ff.

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Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.17 § 1

§§ 27, 36a, 183 und 255 Abs. 2 AktG). Entsprechendes gilt, wenn das Gesellschaftsvermögen im Rahmen der Auseinandersetzung einer Personen- oder Kapitalgesellschaft nicht versilbert wird, sondern ein Gesellschafter das Gesellschaftsunternehmen oder einen Unternehmensteil unter Anrechnung auf seine Liquidationsquote in Natur übernimmt („Realteilung“). Auch bei der Ermittlung einer Vorbelastungshaftung kann nach der Rechtsprechung des BGH eine Unternehmensbewertung erforderlich werden, wenn im Rahmen der Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit vor Eintragung bereits ein „Unternehmen“ geschaffen worden ist.1 2. Familien- und Erbrecht Im Familienrecht kommen Unternehmensbewertungen (dazu näher Born, Rz. 26.1 ff.) vor 1.14 allem im Bereich des ehegüterrechtlichen Zugewinnausgleichs vor, wenn zum Anfangsoder Endvermögen eines Ehegatten ein Unternehmen oder eine freiberufliche Praxis gehört (§§ 1374 ff. BGB)2 oder ein Unternehmen als anzurechnender Vorausempfang gewährt worden ist (§ 1380 Abs. 2 BGB). Eine Unternehmensbewertung kann auch bei der Auseinandersetzung der Gütergemeinschaft (§§ 1471 ff. BGB) erforderlich werden, wenn z.B. ein Ehegatte unter Ersatz des Wertes ein Unternehmen aus der Gütergemeinschaft übernimmt (§ 1477 Abs. 2 BGB).3 Das Erbrecht (dazu näher Lange, Rz. 27.1 ff.) kennt verschiedene Fälle, in denen eine Unternehmensbewertung erforderlich ist. Zu denken ist etwa an eine Teilungsanordnung, durch die der Erblasser ein zum Nachlass gehörendes Unternehmen einem Miterben zuwendet (§ 2048 BGB). Hier ist – wenn die Höhe der Ausgleichspflicht nicht testamentarisch bestimmt ist – eine Bewertung des Unternehmens erforderlich. Das Gleiche gilt im Pflichtteilsrecht, wenn ein Unternehmen zum Nachlass gehört und der Wert des gesetzlichen Erbteils berechnet werden muss (§ 2303 BGB).

1.15

Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber im Familien- und Erbrecht besondere Bewertungs- 1.16 vorschriften für land- und forstwirtschaftliche Betriebe („Landgut“) vorgesehen hat. Solche Betriebe sind nach §§ 1376 Abs. 4, 1515 Abs. 4, 2049, 2312 BGB mit dem „Ertragswert“ zu bewerten, der regelmäßig unter dem „gemeinen Wert“ (Verkehrswert der Grundstücke) liegen wird. Mit dieser – agrarpolitisch gerechtfertigten4 – Regelung soll verhindert werden, dass z.B. der den Betrieb fortführende Erbe mangels ausreichender Liquidität zum Verkauf gezwungen wird, um den Pflichtteilsberechtigten auszubezahlen. 3. Bilanz- und Steuerrecht Das Bilanzrecht ist ein weiteres Rechtsgebiet, in dem Unternehmensbewertungen von Rechts wegen erforderlich sind (vgl. näher Leverkus, Rz. 28.1 ff.). Zwar gilt im Handelsbilanzrecht der Grundsatz der Einzelbewertung, d.h. es findet gerade keine Gesamtbewertung des Unternehmens statt, so dass ein selbst geschaffener „originärer“ Geschäfts- und Firmenwert schon mangels Einzelbewertungsfähigkeit nicht aktiviert werden darf. Allerdings besteht für einen ent1 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = GmbHR 1999, 31 = AG 1999, 122; dazu Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757. 2 Zuletzt BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, NJW 2018, 61 = AG 2018, 439. 3 Vgl. BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776. 4 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit vgl. BVerfG v. 16.10.1984 – 1 BvL 17/80, BVerfGE 67, 348 (367).

Hüttemann 11

1.17

§ 1 Rz. 1.17

Erster Teil: Einführung

geltlich erworbenen „derivativen“ Geschäfts- oder Firmenwerte eine Aktivierungspflicht (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB) sowie – neben der Pflicht zur planmäßigen Abschreibung über höchstens zehn Jahre (§ 253 Abs. 3 Satz 1 und 4 HGB) – auch eine Pflicht zur außerplanmäßigen Abschreibung bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB). Weitere Fälle, in denen eine Unternehmensbewertung im Rahmen der Folgebewertung unverzichtbar ist, sind außerplanmäßige Abschreibungen auf Unternehmensbeteiligungen nach § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB. Auch die Internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS/ IFRS) machen bei bestimmten Bilanzierungssachverhalten eine Unternehmensbewertung erforderlich, z.B. für die jährliche Werthaltigkeitsprüfung („impairment-test“) bei einem entgeltlich erworbenen Goodwill (IAS 36).

1.18 Das Steuerrecht gehört zu den Rechtsgebieten mit der längsten Erfahrung mit rechtsgebundenen Unternehmensbewertungen, denn zahlreiche Steuertatbestände knüpfen an Unternehmenswerte an.1 In der steuerrechtlichen Gewinnermittlung für Zwecke der Einkommen-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer (dazu Kohl, Rz. 29.1 ff.) ist – ebenso wie im Handelsbilanzrecht – eine Unternehmensbewertung zunächst bei der Folgebewertung von entgeltlich erworbenen Geschäfts- und Firmenwerten sowie von Unternehmensbeteiligungen erforderlich (zur Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG). Ferner ordnet das Einkommensteuerrecht an verschiedenen Stellen ausdrücklich eine Bewertung von Vermögensgegenständen mit dem „gemeinen Wert“ an, z.B. bei Sachspenden (§ 10b Abs. 3 EStG) und einer Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG). Darüber hinaus macht der steuerrechtliche Fremdvergleich bei Geschäften zwischen Gesellschafter und Kapitalgesellschaft Unternehmensbewertungen erforderlich, z.B. bei der Ermittlung von verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen (§ 8 Abs. 3 KStG) oder bei der von der Rechtsprechung geforderten Angemessenheitsprüfung hinsichtlich der Gewinnverteilung in Familienpersonengesellschaften.2

1.19 Die meisten steuerlich veranlassten Unternehmensbewertungen finden allerdings im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer statt (dazu Kohl, Rz. 29.1 ff.), wenn Unternehmen oder Unternehmensteile von Todes wegen (§ 3 ErbStG) oder durch Schenkung unter Lebenden (§ 7 ErbStG) auf einen anderen Rechtsträger übergehen oder zum Vermögen einer Familienstiftung gehören (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Die praktische Bedeutung des Bewertungsproblems für das Steuerrecht wird daran deutlich, dass der Steuergesetzgeber bereits 19253 für alle bewertungsabhängigen Steuern (dazu gehören neben der Erbschaft- und Schenkungsteuer noch die Grund- und Grunderwerbsteuer sowie die seit 1997 in Deutschland nicht mehr erhobene Vermögensteuer) mit dem Bewertungsgesetz (BewG) ein steuerartenübergreifendes Bewertungsrecht geschaffen hat. Das BewG enthält nicht nur eine allgemeine Definition des „gemeinen Werts“ (§ 9 Abs. 2 BewG) und besondere Bewertungsvorschriften für die Bewertung von Unternehmensanteilen (§ 11 BewG) und Betriebsvermögen (§§ 95 ff. BewG), sondern seit 2009 auch ein vereinfachtes Bewertungsverfahren für die Bewertung nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften und von Betriebsvermögen (§§ 199 ff. BewG). Diese Vorschriften gelten über die Verweisung in § 12 ErbStG auch für die erbschaftsteuerrechtliche Bewertung von nachlasszugehörigen Unternehmen und Unternehmensanteilen.

1 Eingehend Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014. 2 Vgl. nur BFH v. 29.5.1972 – GrS 4/71, BStBl. II 1973, 5; BFH v. 19.2.2009 – IV R 83/06, BStBl. II 2009, 798 = GmbHR 2009, 672. 3 Gesetz v. 18.8.1925, RGBl. I 1925, 214.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.24 § 1

4. Weitere Bewertungsanlässe Bei Unternehmenskäufen kann – wenn das gesetzliche Gewährleistungsrecht nicht ohnehin abbedungen worden ist – eine Unternehmensbewertung im Zusammenhang mit einer Minderung (§§ 437 Nr. 2, 441 BGB) erforderlich werden.1 Ferner ist an die („subjektive“) Berechnung eines Vermögensschadens bei „betriebsbezogenen“ deliktischen Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB zu denken (dazu Wollny, Rz. 25.1 ff.). Auch im Bereicherungsrecht kann eine Unternehmensbewertung geboten sein, wenn ein rechtsgrundloser Unternehmenserwerb – z.B. infolge zwischenzeitlicher Umstrukturierungen durch den Bereicherungsschuldner – nicht mehr in Natur rückabgewickelt werden kann, so dass Wertersatz in Geld nach § 818 Abs. 2 BGB zu leisten ist.2

1.20

Im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 InsO (dazu näher Wieland/Blöse, Rz. 31.27 ff.) kann eine Unternehmensbewertung erforderlich werden, wenn zum Vermögen des Gemeinschuldners ein (noch) „lebensfähiges“ Unternehmen mit einem Geschäftswert gehört, da die rein vergangenheitsorientierten Handelsbilanzwerte grundsätzlich nicht für eine Überschuldungsprüfung geeignet sind.3 Unternehmensbewertungen können ferner bei einer Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO von Bedeutung sein, wenn es darum geht, ob eine (objektiv) unentgeltliche Leistung bewirkt worden ist.4

1.21

Nach Art. 14 Abs. 3 GG ist eine Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit entschädigungs- 1.22 pflichtig. Die Höhe der Enteignungsentschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.5 Dabei steht allerdings der Verlust des Grundbesitzes im Vordergrund, der bei gewerblich genutzten Grundstücken als „Folgeschäden“ (vgl. § 96 BauGB) auch Kosten der Betriebsverlegung umfassen kann.6 Ein „Unternehmenswert“ kann in diesem Zusammenhang jedoch als Obergrenze der Entschädigung von Bedeutung sein.7 Im Kosten- und Gebührenrecht kann eine Unternehmensbewertung notwendig werden, 1.23 wenn z.B. der Gegenstandswert eines Rechtsstreits über ein Unternehmen oder Unternehmensanteil ermittelt werden muss.8 Die vorstehende Aufzählung nennt nur die wichtigsten Anlässe für rechtsgebundene Unternehmensbewertungen und hat folglich keinen abschließenden Charakter.9

1 Dazu Schulze-Osterloh in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 175. 2 Beispielhaft BGH v. 5.7.2006 – VIII ZR 172/05, BGHZ 168, 220; aus dem Schrifttum Schöne, ZGR 2000, 86. 3 Vgl. etwa BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, WM 2012, 665; ferner Hüttemann in FS K. Schmidt, 2009, S. 761. 4 Siehe dazu BGH v. 15.9.2016 – IX ZR 250/15, WM 2016, 2312 = GmbHR 2017, 78. 5 Dazu BVerfG v. 26.10.1977 – 1 BvL 9/72, BVerfGE 46, 268 (285). 6 Siehe BGH v. 8.2.1971 – III ZR 65/70, BGHZ 55, 294. 7 Vgl. Aust/Jacobs/Pasternak, Die Enteignungsentschädigung, 6. Aufl. 2007, Rz. 758 ff. 8 Zum Geschäftswert eines Gesellschaftsanteils s. BGH v. 23.10.2013 – V ZB 190/12, juris; BGH v. 17.4.1975 – III ZR 171/72, NJW 1975, 1471. 9 Vgl. weitere Übersichten zu rechtlichen Bewertungsanlässen bei Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55 ff.; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 65 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 55 ff.

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1.24

§ 1 Rz. 1.25

Erster Teil: Einführung

IV. Bewertungsziel als Rechtsfrage 1. „Normwert“ als Bewertungsvorgabe

1.25 Die Frage nach dem „Normwert“, also die Ermittlung der gesetzlichen Bewertungsvorgabe, bildet den Ausgangspunkt für jede „Unternehmensbewertung im Rechtssinne“. Sofern ausdrückliche Bewertungsvorschriften fehlen, ist durch Auslegung zu entscheiden, aus welcher Perspektive und unter welchen Annahmen das Unternehmen zu bewerten ist. Dafür kommt neben Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte vor allem dem Zweck der Regelung eine wesentliche Bedeutung zu. Welche Gesichtspunkte insoweit zu beachten sind, soll im Weiteren beispielhaft für Abfindungsansprüche ausscheidender Gesellschafter aufgezeigt werden. 2. Abfindung ausscheidender Gesellschafter als Beispiel a) § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB als Ausgangspunkt

1.26 Nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB ist dem ausscheidenden Gesellschafter „dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“. Die Abfindung ist also nach dem Anteil des Ausscheidenden in einer fiktiven Liquidation der Gesellschaft – nicht des Unternehmens als Sachgesamtheit – zu bemessen. Dieser Bewertungsmaßstab lässt sich mit dem Gedanken rechtfertigen, dass das Ausscheiden eines Gesellschafters gegen Abfindung nur eine abgekürzte Form der „Auseinandersetzung“ der Gesellschaft darstellt, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird: Ein Ausscheiden gegen Abfindung erspart den verbleibenden Gesellschaftern eine „reale“ Liquidation der Gesellschaft mit anschließender Neugründung, gleichzeitig wird über den Abfindungsanspruch das vermögensrechtliche Interesse des Ausscheidenden gewahrt.1 Für die Unternehmensbewertung im Abfindungsfall folgt aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass das Unternehmen aus der Perspektive eines gedachten „markttypischen“ Unternehmenskäufers in der Liquidation zu bewerten ist (Liquidationshypothese).2 Die Abfindung ist also keine „Entschädigung“, die sich allein nach dem subjektiven Grenzpreis des Ausscheidenden richtet, und es geht auch nicht um einen „Schiedswert“, der aus den Grenzpreisen der Beteiligten abzuleiten ist.3 Entscheidend ist vielmehr die Wertung, dass in der Liquidation jeder Gesellschafter das Recht hat, „auf die vorteilhafteste Verwertung des Gesellschaftsvermögens zu drängen“.4 Ohnehin geht den Ausscheidenden die Fortführung der Gesellschaft durch die verbleibenden Gesellschafter nichts mehr an,5 so dass deren Grenzpreise nicht die Obergrenze der Abfindung darstellen können.6 1 Näher Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (608); Hüttemann, CF 2016, 467 (469 ff.). 2 Eingehend Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (576); ebenso Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 69, zustimmend Adolff, Unternehmensbewertung, S. 366; Brähler, WPg 2008, 209 (210); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 61; Schwetzler in FS Großfeld, 2019, S. 399. 3 Vgl. zuletzt Hüttemann, CF 2016, 467 (469); a.A. Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, 1990, S. 96. 4 So bereits RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138; RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. 5 Ebenso Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Teil, Die Personengesellschaft, 1977, S. 170. 6 A.A. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 421: Grenzpreis des Mehrheitsgesellschafters als „vertretbare Approximation“ des Marktpreises; dagegen Hüttemann, CF 2016, 467 (469) und Schwetzler in FS Großfeld, 2019, S. 399.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.28 § 1

Übersetzt man die Liquidationshypothese in die Sprache der Bewertungslehre, ist das Unternehmen also aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers zu bestimmen. Dies entspricht der Formel des BGH, maßgebend sei der „Preis, der bei einem Verkauf des Unternehmens als Einheit erzielt würde“.1 Aus der Bewertungsvorgabe des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB – Abfindung als fiktiver Liquidationsanteil – folgt darüber hinaus, dass stets ein „quotaler“ Unternehmenswert und nicht der Wert des Gesellschaftsanteils des Ausscheidenden zu ermitteln ist.2 Da unterschiedliche Herrschaftsrechte in der Liquidation bedeutungslos sind (vgl. §§ 145 ff. HGB), verbieten sich auch Zu- oder Abschläge für Mehrheits- bzw. Minderheitsbeteiligungen.3 Ferner ist von der wirtschaftlich vorteilhaftesten Verwertung des Gesellschaftsvermögens auszugehen,4 so dass ein Liquidations- oder Zerschlagungswert stets – und ganz unabhängig von der Fortführungsabsicht der verbleibenden Gesellschafter – die Wertuntergrenze bildet, weil sich dann eine Unternehmensfortführung „nicht lohnt“.5 Für andere Bewertungsaspekte – z.B. die künftige Unternehmensstrategie und die Abgrenzung des betriebsnotwendigen Vermögens – ist von „markttypischen“ Annahmen über die Person des gedachten Erwerbers auszugehen.6

1.27

b) „Angemessene“ Barabfindung ausscheidender Aktionäre (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) Während § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich auf eine fiktive Liquidation verweist, haben 1.28 ausscheidende Minderheitsaktionäre nach § 305 Abs. 1 und 3 Satz 2 AktG Anspruch auf eine „angemessene“ Barabfindung, die „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag“ berücksichtigt (dazu näher Adolff/Häller, § 21). In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die aktienrechtliche Barabfindung anderen Bewertungsvorgaben folgt als die Abfindung im Personengesellschaftsrecht.7 Während der BGH in seiner neueren Rechtsprechung im Einklang mit der wohl überwiegenden Ansicht im Schrifttum die Abfindung als „Entschädigung“ versteht und sich am subjektiven Grenzpreis des Minderheitsaktionärs orientieren will,8 stellt die Abfindung nach anderer Auffassung das Ergebnis einer fiktiven Verhandlungslösung dar („Einigungswert“), so dass der Minderheitsaktionär z.B. auch an möglichen Synergievorteilen des Mehrheitsaktionärs zu beteiligen wäre.9 Wie an anderer Stelle näher dargelegt worden ist, sprechen insbesondere Entstehungsgeschichte und Normzweck des § 305 AktG dafür, die aktien1 BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506. 2 Siehe nur Hüttemann, WPg 2007, 812 (815). 3 Hüttemann in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 151, 155; Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); im Ergebnis auch Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1641). 4 Vgl. RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138; RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (133); BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, GmbHR 1995, 662 = AG 1995, 509. 5 Siehe nur Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (585); im Ergebnis auch Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1743). 6 Dazu näher Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (582 ff.). 7 Eingehend Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 ff. m.w.N. 8 So vor allem BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Entschädigungsleistung, BGHZ 138, 136 (139) = AG 1998, 286; aus dem Schrifttum Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 23; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, 305 AktG Rz. 65; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 72; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 46. 9 Dafür Fleischer, ZGR 1997, 368 (393); Adolff, Unternehmensbewertung, S. 386 ff.; Großfeld/Egger/ Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 399 ff.

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§ 1 Rz. 1.28

Erster Teil: Einführung

rechtliche Barabfindung an den zu § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entwickelten Maßstäben auszurichten.1 Die Liquidationshypothese kann zudem begründen, weshalb die Abfindung als „quotaler“ Unternehmenswert und nicht als Anteilswert zu bemessen ist,2 und warum Zuund Abschläge für Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligungen unzulässig sind. Eines Rückgriffs auf den aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) bedarf es deshalb nicht.3 c) Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Abfindungsbemessung (Art. 14 Abs. 1 GG)

1.29 Das Beispiel der aktienrechtlichen Barabfindung gibt zugleich Gelegenheit, auf die Wechselwirkungen zwischen Gesellschafts- und Verfassungsrecht im Bereich der Unternehmensbewertung einzugehen. In seiner Rechtsprechung hat das BVerfG – beginnend mit dem Feldmühle-Urteil aus dem Jahr 19624 – aus Art. 14 Abs. 1 GG bestimmte verfassungsrechtliche Mindeststandards zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern vor Eingriffen des beherrschenden Gesellschafters in ihre Beteiligung abgeleitet.5 Dazu zählt die Forderung nach wirksamen Rechtsbehelfen zum Schutz vor missbräuchlichen Maßnahmen sowie ein Recht auf „volle Entschädigung“. In der Sache geht es bei der Abfindungspflicht – schon mangels staatlichen Eingriffs – nicht um eine Enteignungsentscheidung i.S.v. Art. 14 Abs. 3 GG, sondern um den Sonderfall einer entschädigungspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung.6 Die Grundsätze dieses „Abfindungsverfassungsrechts“7 binden die Zivilgerichte und strahlen über den Begriff der „Angemessenheit“ in § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG auf die Auslegung der aktienrechtlichen Abfindungsvorschrift aus.8

1.30 Die Rechtsprechung des BVerfG zur Unternehmensbewertung hat mit dem DAT/Altana-Beschluss aus dem Jahr 19999 noch weiter an Bedeutung gewonnen. Darin hat das BVerfG entschieden, dass es mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar ist, wenn bei der Ermittlung des Werts der Unternehmensbeteiligung im Rahmen von § 305 AktG der Kurswert der Aktie völlig außer Betracht bleibt. Vielmehr folge aus dem Grundsatz der „vollen“ Entschädigung, dass keine niedrigere Barabfindung als der Börsenkurs festgelegt werden dürfe. Damit will das BVerfG dem Umstand Rechnung tragen, dass die Aktie nicht nur mitgliedschaftliche Herrschafts- und 1 Vgl. näher Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 f.); Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (604 ff.). 2 Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); ebenso Adolff, Unternehmensbewertung, S. 359: „das normadäquate Bewertungsmodell“; kritisch W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015. 3 Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); a.A. etwa Hirte/Hasselbach in GroßKomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 212. 4 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263; vgl. auch den DAT/Altana-Beschluss des BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 5 Zum Aktieneigentum aus verfassungsrechtlicher Perspektive vgl. aus der großen Zahl der Beiträge nur Adolff, Unternehmensbewertung, S. 292 ff.; Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 77 ff.; Hüttemann, ZGR 2001, 454 ff.; Schön in FS Ulmer, 2003, S. 1359 ff.; ferner Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, 2005; Schoppe, Aktieneigentum, 2011. 6 Dazu nur Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 95 f.; Hüttemann, ZGR 2001, 454 (456 f.). 7 So treffend Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 77. 8 Zur mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten nur BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (203 ff.). 9 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.32 § 1

Vermögensrechte verkörpert, sondern auch eine „Sphäre individueller Freiheit in finanzieller Hinsicht“1 vermittelt. Mit der Entschädigung zum Börsenkurs soll der Aktionär für den Verlust seiner Möglichkeit zur „Deinvestition“ durch Veräußerung über die Börse entschädigt werden. Die Zivilgerichte haben die Vorgaben des DAT/Altana-Beschlusses dahingehend umgesetzt, dass regelmäßig eine Doppelbewertung stattfinden muss, um festzustellen, ob der „wahre“ Wert der Beteiligung über dem Börsenkurs liegt.2 Dieser Ansatz wäre entbehrlich, wenn man die Barabfindung ausschließlich nach dem Börsenkurs festlegen würde, den Börsenkurs also nicht nur als Wertuntergrenze, sondern als Schätzungsparameter für den „wahren“ Wert der Beteiligung i.S.d. quotalen Unternehmenswerts (dazu Rz. 1.62) anwenden würde.3 Eine andere Frage ist, welche Folgerungen aus der Börsenkurs-Rechtsprechung des BVerfG für andere Fallgestaltungen zu ziehen sind (z.B. für die Ermittlung des angemessenen Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen)4, und ob die Rechtsprechung – rechtsformübergreifend – u.U. auch bei anderen Gesellschaftsformen eine stärkere Berücksichtigung von Marktpreisen als „Wertuntergrenze“ gebietet. d) Zwischenergebnis Das Beispiel des gesellschaftsrechtlichen Abfindungsanspruchs erlaubt einige allgemeine Schlussfolgerungen für die „Unternehmensbewertung im Rechtssinne“. Im Mittelpunkt der rechtsgebundenen Bewertung steht die Ableitung gesetzlicher Bewertungsvorgaben. Dies ist eine juristische Aufgabe, die durch Auslegung derjenigen Vorschriften, die eine Unternehmensbewertung erforderlich machen, zu lösen ist. In diesem Rahmen müssen auch übergeordnete Wertungen des jeweiligen Teilrechtsgebiets berücksichtigt werden. So kommt für die Abfindung nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Recht jedes Gesellschafters auf bestmögliche Verwertung des Gesellschaftsvermögens in der Liquidation eine entscheidende Bedeutung zu. Schließlich zeigt der DAT/Altana-Beschluss des BVerfG, dass auch verfassungsrechtliche Vorgaben (Art. 14 Abs. 1 GG) in die Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschriften einfließen können.

1.31

3. Überblick über rechtliche Bewertungsvorgaben a) Normorientierung Rechtsgebundene Unternehmensbewertungen müssen „normorientiert“ erfolgen und daher lassen sich die maßgeblichen Bewertungsziele jeweils nur bezogen auf den konkreten Bewertungsanlass ermitteln. Für anlassspezifische Besonderheiten ist deshalb auf die vertieften Ausführungen zu den verschiedenen Rechtsgebieten im vierten bis siebten Teil zu verweisen (§§ 21–32). Allerdings gibt es einige Bewertungsvorgaben, die „allgemeinen“ Charakter ha1 So BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566. 2 Siehe BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417; BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629. 3 Dafür etwa Steinhauer, AG 1999, 299, 306; Hüttemann, ZGR 2001, 454 (467 ff.); Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (613 ff.); W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015 (1026); Stilz in FS Goette, 2012, S. 529 (537 ff.); Tonner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1581 (1586 f.); für die Zulässigkeit einer „marktorientierten“ Bewertung BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, AG 2011, 511; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 165 = AG 2016, 135; ferner auch OLG Stuttgart v. 5.5.2009 – 20 W 13/08, AG 2009, 707 (712); OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (752 f.); OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, NZG 2014, 464; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, SG 2017, 626 = AG 2017, 626. 4 Dazu nur BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, AG 2011, 511.

Hüttemann 17

1.32

§ 1 Rz. 1.32

Erster Teil: Einführung

ben, d.h. für die meisten rechtlichen Bewertungsanlässe im Gesellschafts-, Familien-, Erbund Steuerrecht gelten. Sie sollen an dieser Stelle überblicksartig dargestellt werden. b) Stichtagsprinzip

1.33 Unternehmenswerte sind keine feststehenden Größen, sondern hängen von den Zielen des Bewertungssubjekts, dem wirtschaftlichen Umfeld und den Erwartungen über die Zukunft ab. Daraus folgt, dass jede Unternehmensbewertung zwangsläufig „stichtagsbezogen“ ist.1 Die Festlegung des relevanten Stichtags gehört deshalb zu den fundamentalen Bewertungsvorgaben,2 die im Rahmen einer rechtsgebundenen Unternehmensbewertung durch Auslegung der einschlägigen Normen zu präzisieren ist (eingehend zum Stichtagsprinzip Hüttemann/ Meyer, Rz. 14.1 ff.). In den meisten Fällen ist der relevante Stichtag gesetzlich vorgegeben. So ist z.B. für die aktienrechtliche Barabfindung nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG auf den „Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag“ abzustellen. Im Recht des Zugewinnausgleichs ist das Anfangs- und Endvermögen „beim Eintritt“ bzw. „bei der Beendigung des Güterstands“ zu ermitteln (§ 1376 Abs. 1 und 2 BGB). Im Erbschaftsteuerrecht kommt es auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer an (§ 11 ErbStG).

1.34 Von der Rechtsfrage des maßgeblichen Stichtags ist die Frage zu unterscheiden, wie ein stichtagsbezogener Unternehmenswert in tatsächlicher Hinsicht zu ermitteln ist. Dies ist ein Problem der Tatsachenfeststellung (zur Wertfeststellung durch Schätzung s. Rz. 1.44 ff.). Hier besteht naturgemäß die Gefahr von Rückschaufehlern (hindsight-biases), weil der Richter im Regelfall erst viele Jahre nach dem Stichtag über den „richtigen“ Unternehmenswert urteilt. Es besteht im Grundsatz Einigkeit, dass die weitere tatsächliche Entwicklung nach dem Stichtag nicht relevant ist.3 Die Gerichte haben dazu die „Wurzeltheorie“ entwickelt, d.h. es werden nur die Entwicklungen nach dem Stichtag berücksichtigt, die am Stichtag bereits „in der Wurzel angelegt“ waren.4 Ob diese naturalistische Metapher die erforderliche Abgrenzung zwischen – bilanzrechtlich formuliert – wertaufhellenden und wertbegründenden Ereignissen5 leisten kann, darf bezweifelt werden (dazu näher Hüttemann/Meyer, Rz. 14.41 ff.).6

1.35 Besondere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Stichtagsprinzip ergeben sich beim Börsenkurs als verfassungsrechtlicher Wertuntergrenze (dazu näher Adolff/Häller, Rz. 18.71 ff.). Hier hat die Zivilrechtsprechung die Vorgaben des BVerfG im DAT/Altana-Beschluss7 dahingehend umgesetzt, dass es nicht auf einen Stichtagskurs ankommt, sondern auf einen nach Umsätzen gewichteten Durchschnittskurs während eines Referenzzeitraums von drei Monaten vor Bekanntmachung der Strukturmaßnahme abzustellen ist.8 Diese Abweichung vom Stichtagsprinzip ist der tatsächlichen Schwierigkeit geschuldet, einen von der Ankündigung der Strukturmaßnahme „unbeeinflussten“ Verkehrswert zu er1 Dazu nur Moxter, Grundsätze, S. 168 ff.; Meincke, Recht der Nachlassbewertung im BGB, 1973, S. 211 ff. 2 Statt vieler Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (392). 3 Vgl. nur OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843). 4 Siehe aus der Rechtsprechung etwa BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128; OLG Düsseldorf v. 19.10.1999 – 19 W 1/96 AktE, AG 2000, 323; OLG München v. 15.12.2004 – 7 U 5665/03, AG 2005, 486. 5 Zum Stichtagsprinzip im Bilanzrecht vgl. Hüttemann in FS Priester, 2007, S. 301. 6 Ablehnend Adolff, Unternehmensbewertung, S. 370; kritisch auch Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857. 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 8 Vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629.

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Rz. 1.36 § 1

mitteln, macht aber bei „längeren Zeiträumen“ zwischen der Bekanntgabe der Maßnahme und dem Tag der Hauptversammlung fragwürdige „Hochrechnungen“ des Börsenkurses erforderlich.1 Ferner bleibt ein gewisses Spannungsverhältnis zu der vom BVerfG betonten „freien Deinvestitionsentscheidung“, die sich der Sache nach nur auf Tageskurse beziehen kann, da an der Börse ein „Handel zu Durchschnittskursen“ nicht stattfindet.2 c) Bewertung des „Unternehmens als Einheit“ Die Rechtsprechung verlangt, dass grundsätzlich vom „Wert des Unternehmens als lebende wirtschaftliche Einheit“ auszugehen ist.3 Hinter dieser Bewertungsvorgabe verbirgt sich die schlichte Einsicht, dass ein (erfolgreiches) Unternehmen als Sachgesamtheit regelmäßig mehr wert ist als die Summe seiner Einzelteile. Dieser Zusammenhang drückt sich bei Unternehmenskäufen auf Erwerberseite bilanziell im Ansatz eines Geschäfts- und Firmenwertes aus, den § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB als „Unterschiedsbetrag“ definiert, „um den die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens abzgl. der Schulden im Zeitpunkt der Übernahme übersteigt“. Auch ein gedachter Erwerber wird sich bei der Bewertung des Zielunternehmens nicht an den (durch die historischen Anschaffungskosten nach oben beschränkten) Bilanzwerten orientieren, sondern am Barwert der erwarteten finanziellen Überschüsse, die das Unternehmen als Einheit abzuwerfen verspricht.4 Daraus folgt beispielsweise für die Abfindung nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass der ausscheidende Gesellschafter auch an den stillen Reserven und einem originären Geschäftswert zu beteiligen ist.5 Denn nach der Liquidationshypothese ist „der Wert zu ermitteln, der sich bei einer möglichst vorteilhaften Verwertung des Gesellschaftsvermögens im ganzen ergeben würde“.6 Das ist aber bei einem wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen in der Regel die Veräußerung im Ganzen. Die Bewertungsvorgabe „wirklicher Wert des lebenden Unternehmens als Einheit“ ist also vor allem als Absage an eine Einzelbewertung auf der Basis bilanzieller Buchwerte zu verstehen, die auch in ihrer Summe von vornherein nicht den Verkehrswert des Unternehmens widerspiegeln.7 Sie darf aber – wie die separate Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens und die Heranziehung eines höheren Liquidationswerts zeigt (dazu Rz. 1.37 ff.) – nicht dahin missverstanden werden, dass von Rechts wegen immer eine Gesamtveräußerung des Unternehmens unterstellt werden muss. Aus rechtlicher Sicht ist vielmehr entscheidend, ob alle wirtschaftlich sinnvollen Handlungsalternativen (z.B. auch eine Teilzerschlagung) bei der Bewertung zu berücksichtigten sind.

1 So BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 (240) = AG 2010, 629 im Anschluss an Weber, ZGR 2004, 280 (287); kritisch dazu etwa Bungert/Wettich, BB 2010, 2228; Olbrich/Rapp, DStR 2011, 2005; siehe aus der neueren Rechtsprechung OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, AG 2014, 866: keine Anpassung bei einem sechseinhalbmonatigen Zeitraum. 2 Vgl. Hüttemann, ZGR 2001, 454 (461 f.). 3 So beispielsweise BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506. 4 So bereits Schmalenbach, ZfhF 1918, 1. 5 Dafür bereits RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138. 6 So ausdrücklich BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. 7 Dazu schon RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138; ebenso BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464.

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1.36

§ 1 Rz. 1.37

Erster Teil: Einführung

1.37 Die Feststellung, dass zumindest in der Regel eine Veräußerung „des lebenden Unternehmens als Einheit“ zu unterstellen ist, führt zu der Frage, welches Unternehmenskonzept der Bewertung zugrunde zu legen und nach welchem Maßstab die relevante Bewertungseinheit abzugrenzen ist. Würde man das Unternehmen einfach so bewerten, wie es zum Bewertungsstichtag „steht und liegt“,1 bestünde die Gefahr, dass das Unternehmen nicht aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers, sondern nach den subjektiven Vorstellungen der Unternehmensleitung bzw. des Mehrheitsgesellschafters bewertet wird. Es ist aber aus rechtlicher Sicht nicht einzusehen, weshalb sich etwa ein ausscheidender Minderheitsgesellschafter das „vorhandene“ Unternehmenskonzept entgegenhalten lassen muss, obwohl der Mehrheitsgesellschafter selbst an diese Planungen rechtlich nicht gebunden ist.2 Nichts anderes gilt, wenn man – ausgehend von der Liquidationshypothese – das Unternehmen aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers bewertet. Lehnt man aber aus Rechtsgründen eine Bewertung nach dem „vorhandenen“ Unternehmenskonzept ab, hat dies auch Auswirkungen auf die Abgrenzung der relevanten Bewertungseinheit vom „nicht betriebsnotwendigen“ Vermögen. Es kommt dann weniger auf die am Stichtag vorhandene Unternehmensplanung, sondern auf die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer gesonderten Verwertung von Vermögensgegenständen (z.B. Grundbesitz oder Beteiligungen) an (dazu Hüttemann/Meinert, Rz. 8.24 ff.)3 Ferner dürfen auch alternative Fortführungskonzepte nicht ausgeblendet werden, wenn das vorhandene Unternehmenskonzept „suboptimal“ erscheint.4 Aus den gleichen Gründen scheidet auch eine Bewertung nach der „stand-alone-Methode“5 regelmäßig aus, weil dabei vernachlässigt wird, dass sich mögliche Verbundvorteile bzw. Synergieeffekte werterhöhend in einem gedachten Veräußerungspreis niederschlagen können (zu diesem Problemkreis näher Winner, Rz. 16.1 ff.). Natürlich hat eine derart erweiterte Bewertungsperspektive erhebliche Prognoseund Objektivierungsprobleme zur Folge. Folglich muss – in den Worten von Mertens – verhindert werden, dass derjenige die höchste Abfindung erhält, „der in Bezug auf die Zukunft die besten Geschichten erzählt“.6 Dies ist aber – wenn man aus Rechtsgründen eine Bindung an das gegenwärtig vorhandene Unternehmenskonzept ablehnt – ein Problem der tatsächlichen Wertfeststellung mittels Schätzung, das auf der Ebene des Beweisrechts zu lösen ist (dazu Rz. 1.44 ff.). d) Liquidationswert als Wertuntergrenze

1.38 Während in der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre wohl einhellig davon ausgegangen wird, dass der sog. Liquidationswert die Wertuntergrenze bildet,7 ist diese Frage für die 1 So die klassische Formulierung in den IDW-Grundsätzen HFA 2/83, WPg 1983, 468, 473. 2 Vgl. dazu Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372; ferner Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670 ff.). 3 Vgl. nur Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (592 f.); Meinert, DB 2011, 2397 (2402 f.); zurückhaltender OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11, AG 2012, 330 (334): Abkehr von Unternehmensplanung nur, wenn diese „zu offenkundig unwirtschaftlichen Ergebnissen führt“. 4 So bereits Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); zustimmend Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372. 5 Vgl. dazu aus dem umfangreichen Schrifttum nur einerseits Mertens, AG 1992, 321 (326); andererseits Fleischer, ZGR 1997, 368. 6 Mertens, AG 1992, 321 (326, Fn. 31). 7 Dazu nur WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A 156; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 103; zum Liquidationswert als „Variante des Zukunftserfolgswertes“ s. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 326 f.; zu Recht nach der Sicht von Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter differenzierend Wagner, WPg 2016, 862.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.39 § 1

„rechtsgebundene“ Unternehmensbewertung umstritten geblieben.1 Der Liquidationswert unterscheidet sich vom Gesamtwert des Unternehmens als „lebender Einheit“ dadurch, dass eine Zerschlagung des Unternehmens mit anschließender Einzelveräußerung der Bestandteile unterstellt wird, wobei von einer möglichst vorteilhaften Verwertung der Unternehmenssubstanz auszugehen ist, was eine Gesamtveräußerung bestimmter Unternehmensteile (z.B. Abteilungen oder Betriebsstätten) mit einschließen kann. Natürlich sind Liquidationswerte besonders unsichere Werte,2 weil auch die Abwicklungskosten (z.B. Sozialpläne etc.) „realitätsgerecht“ berücksichtigt werden müssen (zum Liquidationswert näher Fleischer, Rz. 9.1 ff.). Ob der Liquidationswert von Rechts wegen die Wertuntergrenze darstellt, hängt entscheidend davon ab, ob man – unabhängig von den konkreten Absichten des Unternehmensinhabers – alle denkbaren Handlungsalternativen vergleichend in die Bewertung einbezieht.3 Dies ist im Rahmen der Liquidationshypothese (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB) schon deshalb zwingend, weil jeder Gesellschafter auf die bestmögliche Verwertung des Gesellschaftsvermögens drängen kann (dazu Rz. 1.26), so dass es auf die Fortführungsabsicht der verbleibenden Gesellschafter nicht ankommen kann.4 Aber auch bei anderen Bewertungsanlässen – z.B. im Familien- und Erbrecht – gilt nichts anderes, wenn man einen „objektivierten“ Wert i.S. eines gedachten Veräußerungspreises zugrunde legt und auf der Tatsachenebene im Rahmen der Wertschätzung einen „rational“ handelnden Erwerber unterstellt, der lediglich finanzielle Ziele verfolgt. Darüber hinaus lässt sich der Liquidationswert als Mindestwert auch mit Gründen der „Missbrauchsprävention“ rechtfertigen, weil ein Abstellen auf die – rechtlich unverbindliche – Fortführungsabsicht des Unternehmensinhabers am Stichtag zu willkürlichen Ergebnissen führen kann.5 Es gibt allerdings Bewertungsanlässe, in denen von Rechts wegen eine Bewertung mit dem Liquidationswert ausgeschlossen ist. Dazu zählen die Sachverhalte, in denen das Gesetz für landwirtschaftliche Betriebe im Familien- und Erbrecht eine Bewertung mit dem niedrigeren „Ertragswert“ ausdrücklich vorsieht, um eine Betriebsfortführung zu erleichtern (vgl. §§ 1376 Abs. 4, 1515 Abs. 4, 2049, 2312 BGB). Ob Liquidationswerte darüber hinaus auch dann auszublenden sind, wenn – wie z.B. bei Unternehmen der Daseinsvorsorge – nach der Satzung eine „gemeinwirtschaftliche“ Zielsetzung verfolgt wird (dazu näher Hüttemann, Rz. 32.43 ff.) oder die Schließung eines Unternehmens im Einzelfall aus faktischen Gründen (z.B. wegen Reputationsverlusten bei einem Arbeitsplatzabbau) ausscheidet,6 erscheint zweifelhaft. Zumindest „faktische“ Zwänge zur Unternehmensfortführung sollten vorrangig schon bei der Berechnung eines Liquidationswertes durch den Ansatz höherer Abwicklungskosten berücksichtigt werden.

1 Für einen aktuellen Überblick über den Stand von Rechtsprechung und Lehre s. Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736; Ruiz de Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 42; Kasperzak/Bastini, WPg 2015, 285; für eine ökonomische Analyse der Rechtsprechung s. Wagner, WPg 2016, 1090. 2 Siehe etwa BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, AG 1995, 509 (510): „fiktiver“ Wert. 3 Dafür Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1741 ff.); Adolff, Unternehmensbewertung, S. 373; Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 190. 4 Ebenso z.B. Schüler, DB 2015, 2277, 2280; a.A. Ruiz de Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 42; dem folgend Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1304: Aktionäre müssten fehlende Liquidationsabsicht der Geschäftsleitung hinnehmen. 5 Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1742); a.A. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 für das Pflichtteilsrecht. 6 Dafür vor allem OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – I-26 W 7/07 (AktE), AG 2009, 667 (668); OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (909 f.); zurückhaltend Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1742 f.).

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1.39

§ 1 Rz. 1.40

Erster Teil: Einführung

e) Quotaler Unternehmenswert oder Anteilswert

1.40 Die Frage nach dem normgerechten Bewertungsobjekt gehört wohl unstreitig zu den Rechtsfragen einer „Unternehmensbewertung im Rechtssinne“. Ob der Wert einer Unternehmensbeteiligung (Gesellschaftsanteil, Aktie) indirekt als „quotaler“ Unternehmenswert oder direkt als Anteilswert zu ermitteln ist, hängt richtigerweise vom konkreten Bewertungsanlass ab (ebenso Fleischer, Rz. 20.2). So gehen Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht im Schrifttum zutreffend davon aus, dass gesellschaftsrechtliche Abfindungsansprüche – als vermögensrechtliche Teilhaberechte – nach der indirekten Methode als „quotaler Unternehmenswert“ zu ermitteln sind, was der Liquidationshypothese entspricht.1 Eine Folge der indirekten Bewertung ist, dass Zu- oder Abschläge für Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligungen von Rechts wegen unzulässig sind.2 Diese Grundsätze lassen sich aber nicht auf das Familienund Erbrecht übertragen, wo Unternehmensbeteiligungen nicht aus der Binnenperspektive des Gesellschafters als (wirtschaftlichen) „Teilhabers“ am Gesellschaftsvermögens, sondern – gleichsam aus einer Außenperspektive – als Bestandteil des Vermögens eines Ehegattens oder des Erblassers mit dem Anteilswert anzusetzen sind.3 Auch das Steuerrecht verlangt wegen des auf den Steuerpflichtigen als Anteilseigner bezogenen Grundsatzes der steuerlichen Leistungsfähigkeit eine direkte Anteilsbewertung, weshalb z.B. Paketzuschläge sogar ausdrücklich vorgesehen sind (§ 11 Abs. 3 BewG). f) Bewertung zum Börsenkurs

1.41 Bei börsennotierten Aktiengesellschaften erscheint es naheliegend, für Zwecke der Bewertung auf den Börsenkurs zum Stichtag abzustellen, weil dieser – bezogen auf die einzelne Aktie – den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt.4 Nähert man sich der Frage aus rechtlicher Sicht, ist zu unterscheiden: Eine Bewertung zum Börsenkurs ist nur dann rechtlich zwingend, wenn der Börsenkurs im konkreten Normkontext als gesetzlicher Bewertungsmaßstab vorgeschrieben ist. Hinzuweisen ist etwa auf § 11 Abs. 1 BewG, der für steuerliche Zwecke eine Bewertung börsennotierter Aktien mit dem Stichtagskurs vorschreibt. Entsprechendes gilt nach § 253 Abs. 4 Satz 1 HGB für die Bewertung von Aktien im Umlaufvermögen. Im Bereich des Kapitalmarktrechts bestimmt § 31 Abs. 1 WpÜG, dass die den Aktionären der Zielgesellschaft anzubietende „angemessene“ Gegenleistung den „durchschnittlichen Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft“ zu berücksichtigen hat. Schließlich ist an die Rechtsprechung des BVerfG zum Börsenkurs als Untergrenze der angemessenen Barabfindung zu erinnern.5

1.42 Fehlt eine gesetzliche Vorgabe zur Bewertung zum Börsenkurs, bleibt noch auf der Ebene der tatrichterlichen Unternehmenswertschätzung zu überlegen, ob der Richter stichtagsbezogene Börsenkurse als „Schätzungsparameter“ oder als Kontrollwerte zur Plausibilisierung eines „rein fundamentalanalytisch“ ermittelten Unternehmenswertes berücksichtigen darf (dazu näher Rz. 1.62 ff.).6 Insoweit geht es nicht um Rechtsanwendung, sondern um die beweis-

1 Für einen aktuellen Überblick vgl. nur Fleischer, ZIP 2012, 1633; Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223. 2 Dazu nur Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); ebenso Adolff, Unternehmensbewertung, S. 379 ff. 3 So auch Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 237. 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566. 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 6 Für die Zulässigkeit einer „marktorientierten“ Bewertung etwa BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, AG 2011, 511; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 165; ferner auch OLG Stuttgart v. 5.5.2009 – 20 W 13/08, AG 2009, 707 (712); OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.44 § 1

rechtliche Frage, auf welche Weise der Tatrichter den Gesamtunternehmenswert des Unternehmens oder eines Anteils zulässigerweise schätzen darf (§ 287 Abs. 2 ZPO).1 4. Zusammenfassung Festzuhalten ist, dass die Festlegung des Bewertungsziels bei rechtlichen Bewertungsanlässen eine juristische Aufgabe darstellt (zur Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen näher Hüttemann, Rz. 13.1 ff.). Dies bedeutet zugleich, dass der Richter dem Sachverständigen das Bewertungsziel vorzugeben hat. Ferner sind Fehler bei der Ermittlung der gesetzlichen Bewertungsvorgabe als Rechtsverletzung revisibel. Zudem hat sich gezeigt, dass es keine allgemeine Bewertungsvorgabe gibt, sondern der Richter das jeweilige gesetzliche Bewertungsziel durch Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen zu bestimmen hat. Schließlich finden sich in einigen Rechtsgebieten (z.B. Familien- und Erbrecht, Steuerrecht) Sonderregelungen zur Unternehmens- und Anteilsbewertung, mit denen der Gesetzgeber auf spezifische Regelungsbedürfnisse reagiert hat (z.B. §§ 1376 Abs. 4, 1515 Abs. 2, 2049, 2312 BGB betreffend landwirtschaftliche Güter).

1.43

V. Wertermittlung als Tatsachenfeststellung 1. Schwierigkeiten der Wertermittlung Die Hauptschwierigkeit bei der Bewertung von Unternehmen ist darin zu sehen, dass der Unternehmenswert keine objektive Eigenschaft ist, die sich direkt beobachten lässt. Es gibt auch – wie es der BGH im Jahr 1973 ausgedrückt hat2 – „für Handelsunternehmen wegen ihrer individuellen Verschiedenheit keinen Markt, auf dem sich ein Preis bilden könnte“. Von einem „Marktpreis“ kann allenfalls bei börsennotierten Aktien die Rede sein, wenn der Preisbildungsprozess gewissen ökonomischen Mindestanforderungen entspricht.3 Allerdings bezieht sich dieser Verkehrswert auf den einzelnen Anteil und nicht auf das Unternehmen als Ganzes. Gleichwohl fordert das Gesetz die Ermittlung von Unternehmenswerten, damit z.B. ein ausscheidender Gesellschafter angemessen abgefunden wird oder Ehegatten und Pflichtteilsberechtigten ihren Anteil an einem unternehmerisch gebundenen Vermögen erhalten. Auch der Steuergesetzgeber darf – schon aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) – Betriebsvermögen und Gesellschaftsanteile nicht wegen möglicher Bewertungsproblemen von der Bemessungsgrundlage der Erbschaft- und Schenkungsteuer ausnehmen.4 Der Gesetzgeber kann die praktischen Schwierigkeiten bei der Wertermittlung aber nicht einfach ignorieren, sondern muss der Komplexität des Bewertungsproblems auf der Ebene des Verfahrensrechts durch entsprechende Erleichterungen angemessen Rechnung

1 2 3 4

2010, 751 (752 f.); OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, NZG 2014, 464; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626. Dazu bereits Hüttemann, ZGR 2001, 454 (463 ff.). BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509. Für einen Überblick über die Theorie der Preisbildung am Kapitalmarkt vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 11 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bewertung vgl. BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671 = GmbHR 1995, 679; BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 = GmbHR 2007, 320.

Hüttemann 23

1.44

§ 1 Rz. 1.44

Erster Teil: Einführung

tragen, damit Gerichte und Behörden die ihnen gestellte Bewertungsaufgabe „methodensauber, aber mit verfahrensökonomisch vertretbarem Aufwand“1 lösen können. 2. Wertermittlung durch Schätzung a) Zulässigkeit einer Schätzung

1.45 Die Verfasser des BGB haben die tatsächliche Dimension des Bewertungsproblems nicht übersehen, wie etwa die Regelungen in §§ 738 Abs. 2, 2311 Abs. 2 BGB zeigen. Danach ist der Wert des Gesellschaftsvermögens bzw. des Nachlasses für Zwecke der Berechnung der Abfindung bzw. des Pflichtteils „soweit erforderlich“ durch Schätzung zu ermitteln. Darüber hinaus sieht § 287 Abs. 2 ZPO für Entscheidungen über streitige vermögensrechtliche Ansprüche ganz allgemein die Möglichkeit einer richterlichen Schätzung vor, wenn die „vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen“.2 Im Steuerrecht kann die Finanzbehörde nach § 162 AO Besteuerungsgrundlagen, die sie nicht ermitteln oder berechnen kann, schätzen. Zu diesen Besteuerungsgrundlagen gehört z.B. auch der gemeine Wert von Unternehmensanteilen.3 Die rechtliche Zulässigkeit einer schätzweisen Ermittlung von Vermögenswerten beruht auf der Einsicht des Gesetzgebers, dass es „den“ einen normgerechten Wert nicht gibt und gerade Unternehmenswerte nicht zur „vollen richterlichen Überzeugung“ (§ 286 Abs. 1 ZPO) ermittelt werden können.4 Deshalb reicht im Rahmen der Schätzung ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Angemessenheit des Wertes aus. Diese Herabsetzung des erforderlichen Beweismaßes5 macht gerichtliche oder behördliche Entscheidungen über unternehmenswertabhängige Ansprüche oder Steuerfolgen in der Praxis überhaupt erst möglich. b) Richterliches Schätzungsermessen

1.46 Nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet der Richter im Rahmen einer Schätzung „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“. Für die richterliche Überzeugungsbildung reicht also ein reduziertes Beweismaß im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit

1 So OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841) unter Berufung auf Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (540). 2 Zu Unternehmensbewertungen als richterliche Schätzungen nach § 287 Abs. 2 ZPO vgl. nur BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (126) = AG 2016, 135; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). 3 Vgl. zur Ermittlung des gemeinen Wertes nach § 11 Abs. 2 BewG als Schätzung nur Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand 1997, § 162 AO Rz. 10; Meincke/Hannes/Holtz, 17. Aufl. 2018, § 12 ErbStG Rz. 20 a.E. 4 Für die Zulässigkeit einer Schätzung des Unternehmenswertes nach § 287 Abs. 2 ZPO vgl. nur BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116 f.) = AG 2001, 417; OLG Düsseldorf v. 8.8.2013 – I-26 W 15/12 (AktE), ZIP 2013, 1816 (1817); OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841); aus dem Schrifttum s. Hüttemann, ZGR 2001, 454 (474); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (540 ff.). 5 Siehe nur OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841); allgemein zum Beweismaß bei richterlichen Schätzungen Ahrens in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2013, § 287 ZPO Rz. 1, 51; Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 ZPO Rz. 17; zur Schätzung im Steuerrecht s. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand 1997, § 162 AO Rz. 24.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.47 § 1

aus.1 Allerdings muss der Richter seine Feststellungen noch auf „greifbare Anhaltspunkte“ stützen können, d.h. die Schätzung muss einen „ausreichenden Realitätsbezug“ haben.2 Die Forderung nach entsprechenden „Anhaltspunkten“ markiert aber lediglich die Untergrenze einer zulässigen Schätzung. In diesem Sinne ist auch die Feststellung des OLG Stuttgart, dass die Wertermittlung „mit zahlreichen prognostischen Schätzungen und methodischen Prämissen verbunden ist, die (häufig) keinem Richtigkeits-, sondern nur einem Vertretbarkeitsurteil zugänglich sind,“3 durchaus zutreffend. Der Hinweis auf die erheblichen praktischen Bewertungsschwierigkeiten ändert aber nichts daran, dass sich die Gerichte grundsätzlich um eine „dem wahren Wert möglichst nahekommende Schätzung“4 bemühen müssen (dazu näher Hüttemann, Rz. 13.18 ff.). Damit eine Wertschätzung diesen Anforderungen genügt, muss die angewandte Schätzungs- 1.47 methode nach der Überzeugung des Richters zur Ermittlung des gesuchten Wertes prinzipiell „geeignet“ und hinreichend „realitätsgerecht“ sein (zum Folgenden näher Hüttemann, Rz. 13.13 ff.). Damit eine bestimmte Bewertungsmethode diesen Anforderungen genügt, muss sie vor allem dem gesetzlichen Bewertungsziel entsprechen, d.h. „normadäquat“ sein. Hat der Richter z.B. einen Verkehrswert zu schätzen, ist eine ausschließliche Orientierung an den bilanziellen Buchwerten grundsätzlich ungeeignet, weil dieser Bewertungsansatz die stillen Reserven und den originären Geschäftswert eines Unternehmens ausblendet und deshalb den normgerechten Wert von vornherein verfehlt.5 Der erforderliche „Realitätsbezug“ setzt zunächst eine ausreichende Tatsachengrundlage6 voraus. Die Schätzung muss also – ausgehend von einer geeigneten Bewertungsmethode – bei den bewertungsrelevanten tatsächlichen Verhältnissen des Bewertungsobjekts (Ertragskraft, Vermögensbestand etc.) und seines wirtschaftlichen Umfeldes (Zinsentwicklung, Marktrisiken etc.) ansetzen. Ferner fordert die neuere Rechtsprechung, dass die angewandte Methode „in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist“.7 Damit verweist die Rechtsprechung insbesondere auf den vom IDW herausgegebenen Bewertungsstandard IDW S 1,8 dem in der Praxis eine führende Rolle zukommt (zu Kritik am IDW S 1 vgl. Hüttemann, Rz. 13.30 ff.).9 1 Siehe nur Ahrens in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2013, § 287 ZPO Rz. 1; Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 ZPO Rz. 17. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841): „Eine Schätzung, die mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde, ist allerdings unzulässig“; ebenso OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203); s. auch Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 ZPO Rz. 14. 3 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49; OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08, AG 2011, 795. 4 So BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. 5 Vgl. nur RG v. 13.11.1908 – VII 590/07, Warn. 1909 Nr. 138; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506: Wirklicher Wert „[…] entspricht nicht dem Ergebnis der Addition der Buchwerte“. 6 Dazu Stilz in FS Mailänder, 2006, S. 423 (434). 7 So zuletzt BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (127) = AG 2016, 135; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). Vgl. dazu aus richterlicher Perspektive Paulsen, WPg 2007, 823; Stilz in FS Mailänder, 2006, S. 423 (435 f.). 8 Vgl. nur OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 (292): „anerkannte Expertenauffassung“. 9 Kritisch zur Dominanz der IDW-Standards Fleischer, AG 2014, 97 (100); Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 319 (325 ff.); Knoll, BFuP 2017, 300 (301 ff.); Lauber in Fleischer/Hüttemann, Rz. 34.46: „unkritische Übernahme“.

Hüttemann 25

§ 1 Rz. 1.48

Erster Teil: Einführung

1.48 Die Frage, welche Bewertungsmethoden – gemessen am gesetzlichen Bewertungsziel – geeignete und realitätsgerechte Schätzungsgrundlagen darstellen, ist keine Rechtsfrage, sondern beurteilt sich nach dem Stand der einschlägigen Fachdisziplin, vorliegend also der wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungstheorie und Bewertungspraxis (dazu näher Hüttemann, Rz. 13.13 ff.).1 Verfügt der Richter nicht über die erforderliche Sachkunde, kann also – weil es um Tatsachenfeststellung geht – ein Sachverständiger hinzugezogen werden, der den Richter bei der Auswahl der Bewertungsmethode unterstützt und die erforderlichen Berechnungen durchführt (dazu Rz. 1.50 ff.). Da es nach gegenwärtigem Erkenntnisstand der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre und Bewertungspraxis nicht nur eine einzige „anerkannte“ Methode zur Ermittlung von Unternehmenswerten gibt (zur Bewertungstheorie Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.36 ff.), kann es auch bei der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung kein „Methodenmonopol“ geben. Zutreffend stellt daher das OLG Stuttgart fest: „Als Grundlage für die Schätzung stehen dem Gericht fundamentalanalytische Verfahren ebenso zur Verfügung wie marktorientierte Methoden, etwa eine Orientierung an Börsenkursen.“2 Hält der Richter mehrere Verfahren für grundsätzlich geeignet, hat er eine ermessensgerechte Methodenauswahl zu treffen (dazu Rz. 1.65).

1.49 Auch wenn die Gerichte über ein recht „weites Schätzungsermessen“3 verfügen, unterliegt die tatrichterliche Wertfindung doch einer begrenzten rechtlichen Überprüfung im Rechtsmittelverfahren (vgl. für den Zivilprozess die §§ 513, 529, 546 ZPO). Insoweit können, was den Begriff der „Rechtsverletzung“ angeht, die Grundsätze herangezogen werden, die auch sonst für die Revisibilität tatsächlicher Feststellungen gelten, d.h. die Revisionsinstanz hat zu prüfen, ob die Feststellungen zur Wertermittlung in sich widersprüchlich sind, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechen oder Teile des Beweisergebnisses ungewürdigt lassen.4 Nach diesem Maßstab wäre beispielsweise eine Bewertung als „rechtsfehlerhaft“ anzusehen, wenn der Richter ein Verfahren auswählt, das dem gesetzlichen Bewertungsziel widerspricht5 oder dessen Eignung – trotz bekannter fachwissenschaftlicher Einwände – unzureichend begründet wird. Auch offensichtliche Fehler und Widersprüche bei der Anwendung einer – grundsätzlich geeigneten – Bewertungsmethode stellen eine Rechtsverletzung dar.6 Dazu wird man neben schlichten „Rechenfehlern“ z.B. auch den Fall rechnen müssen, dass im Rahmen der Ertragswertmethode eine gesonderte Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögen unterbleibt, obwohl das Unternehmen nach den tatsächlichen Feststellungen über erheblichen Grundbesitz verfügt, der nicht mehr für unternehmerische Zwecke genutzt wird. Allein der Umstand, dass der Tatrichter eine fachwissenschaftlich umstrittene Frage gegen den „betriebswirtschaftlichen Mainstream“ entscheidet, dürfte zumindest dann keine Rechtsverletzung darstellen, wenn der Richter seine abweichende Position in sachli1 Zur Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen bei der richterlichen Unternehmensbewertung aus dem neueren Schrifttum vgl. Fleischer, AG 2016, 185; Schüppen, ZIP 2016, 393; Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 319 ff. 2 OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724; OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841). Ähnlich – Ertragswertmethode oder marktorientierte Methode – auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (126) = AG 2016, 135. 3 So prägnant LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, AG 2009, 835 (838). 4 Vgl. für die Schätzung eines Unternehmenswertes nur BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776; allgemein zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab bei Schätzungen BGH v. 6.12.2012 – VII ZR 84/10, NJW 2013, 525 (527); BGH v. 18.12.2012 – VI ZR 316/11, NJW 2013, 1539 f.; zum Steuerrecht s. BFH v. 19.7.2011 – X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032. 5 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (118) = AG 2016, 135. 6 Zur Herausrechnung eines kalkulatorischen Unternehmerlohns bei der Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich vgl. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, NJW 2018, 61 = AG 2018, 439.

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Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.51 § 1

cher Auseinandersetzung mit abweichenden Auffassungen in der Fachwissenschaft inhaltlich plausibel begründet.1 3. Beauftragung von Sachverständigen Da es sich bei der Wertermittlung – anders als bei der Festlegung der Bewertungsaufgabe – um eine Tatfrage handelt, die mit den Mitteln des Beweisrechts zu lösen ist, kann der Richter einen Sachverständigen mit der Unternehmenswertschätzung beauftragen (zur Tatsachenfeststellung Hüttemann, Rz. 13.13 ff.). Nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, „ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen ist“. In der Praxis stellt die Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen (insbesondere eines Wirtschaftsprüfers oder Hochschullehrers der Betriebswirtschaft) den Regelfall dar, weil die wenigsten Richter über die erforderliche eigene Sachkunde verfügen.2 Der Sachverständige hat den Richter nicht nur bei der Methodenauswahl, sondern vor allem bei der eigentlichen Wertermittlung zu unterstützen. Darüber hinaus trifft den Sachverständigen eine Erklärungs- und Beratungspflicht. Schließlich hat der Sachverständige sein Gutachten „unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten“. Allerdings begründet die bloße Mitgliedschaft im IDW noch keine Besorgnis der Befangenheit.3

1.50

Sachverständigengutachten unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts (näher Hüttemann, Rz. 13.16 f.). Der Richter darf die Feststellungen des Gutachters also nicht einfach übernehmen, sondern muss sich nach Kräften und in den Grenzen seiner eigenen Sachkunde mit den fachlichen Ausführungen auseinandersetzen und sich so eine eigene Meinung bilden.4 Anders ausgedrückt: Die Schätzung „ist und bleibt Sache des Gerichts“.5 Natürlich dürfen die Erwartungen an die richterliche Überzeugungsbildung auch nicht überspannt werden: So wird man für eine CAPM-gestützte Schätzung von Risikozuschlägen (dazu näher Franken/Schulte, Rz. 6.43 ff.) nicht erwarten können, dass sich der Richter mit sämtlichen kapitalmarkttheoretischen Grundlagen des CAPM (Capital-Asset-Pricing-Model) vertraut gemacht hat.6 Seine Beweiswürdigung muss aber zumindest erkennen lassen, dass ihm die wesentlichen Prämissen dieses Bewertungsansatzes bekannt sind und er sich mit den Vorund Nachteilen dieses Verfahrens im Vergleich zu „gegriffenen“ Risikozuschlägen auseinandergesetzt hat. Fachliche Verständnisprobleme müssen im Gespräch mit dem Sachverständigen ausgeräumt werden. Will der Richter in einzelnen Punkten von den Einschätzungen des Sachverständigen abweichen, so muss er dies sorgfältig begründen und, wenn kein weiterer Sachverständiger herangezogen wird, seine eigene Sachkunde und die Grundlage seiner Kenntnisse (z.B. durch Angaben zu Fachschrifttum) belegen.7 Hingegen gehört die rechtliche

1.51

1 Zur Rezeption wissenschaftlicher Thesen durch die Gerichte vgl. Paulsen, WPg 2007, 823 f. 2 Dazu Paulsen, WPg 2007, 823 f.; zur Rolle des Sachverständigen in der Unternehmensbewertung vgl. Hörtnagl in Petersen/Zwirner, Handbuch der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017, S. 589 ff. 3 OLG Karlsruhe v. 31.1.2018 – 12 W 45/17, AG 2018, 405. 4 Zur Beweiswürdigung von Sachverständigengutachten s. näher Greger in Zöller, Vor § 402 ZPO Rz. 14 f.; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl. 2014, § 412 Rz. 1 ff.; Olzen, ZZP 93 (1980), S. 66 ff.; K. Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 1973, S. 2350 ff.; E. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, S. 316 ff. 5 So treffend OLG Koblenz v. 14.12.2007 – 10 U 1153/02, juris. 6 Für einen Überblick s. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 25 ff.; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, S. 280 ff. 7 Siehe Paulsen, WPg 2007, 823 f.

Hüttemann 27

§ 1 Rz. 1.51

Erster Teil: Einführung

Überprüfung des Sachverständigengutachtens in Hinsicht auf die Einhaltung der Bewertungsvorgaben zu den originären Aufgaben des Richters. 4. Zur Eignung einzelner Bewertungsverfahren a) Ertragswert- und DCF-Methoden

1.52 Das Ertragswertverfahren (dazu näher Böcking/Nowak, Rz. 4.30 ff.) ist nach allgemeiner Ansicht ein geeignetes Verfahren zur Schätzung von Unternehmenswerten.1 Diese Bewertungsmethode beruht auf der (durch Erfahrungssatz gestützten) Annahme, dass sich der Wert eines Unternehmens im Geschäftsverkehr nach den erwarteten finanziellen Überschüssen richtet.2 Das Ertragswertkalkül gehört heute zu den Grundfesten der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre (zu den bewertungstheoretischen Grundlagen Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.44 ff.) und bildet auch die konzeptionelle Grundlage des IDW S 1.3 In diesem Sinne ist auch die Aussage des BGH zu verstehen, der Ertragswert bilde „theoretisch den richtigen Wert eines Unternehmens“.4 Sie darf jedoch nicht dahin missverstanden werden, dass die Ertragswertmethode das einzige „geeignete“ Bewertungsverfahren darstellt. So beruht auch die DCF-Methode (dazu näher Jonas/Wieland-Blöse, Rz. 10.1 ff.) auf dem Konzept des Zukunftserfolgswertes und stellt deshalb ebenfalls ein „geeignetes“ Bewertungsverfahren dar,5 auch wenn es bei gerichtlichen Bewertungen bisher noch keine große Rolle spielt.6 Darüber hinaus ist zumindest in der neueren Rechtsprechung der OLG7 anerkannt, dass dem Richter neben dem Ertragswertverfahren noch andere, „marktorientierte Verfahren“ zur Verfügung stehen (dazu Rz. 1.59 ff.). Ungeachtet dieser Bekenntnisse zu mehr „Methodenpluralität“ beherrscht das Ertragswertverfahren in der standardisierten Form des IDW S 1 die gerichtliche Praxis.8

1.53 Zu den wesentlichen Elementen der Ertragswertmethode gehört zunächst die Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse, die sich nicht nur an Vergangenheitswerten, sondern in erster Linie an (zukunftsgerichteten) Planungsrechnungen zu orientieren hat (zur Berechnung näher Franken/Schulte, Rz. 5.1 ff.). Geht man davon aus, dass das Unternehmen bei der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung aus der Sicht eines „markttypischen“ Erwerbers

1 Siehe nur OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841 f.): Die Ertragswertmethode „ist als eine geeignete Methode der Unternehmensbewertung anerkannt“; BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, AG 2003, 627; BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566 bezeichnet die Ertragswertmethode als „verfassungsrechtlich unbedenklichen Ansatz“; aus dem Schrifttum nur Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 300 ff.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (584 f.). 2 Prägnant Schmalenbach, ZfhF 1918, 1: „Was kann diese Anlage in Zukunft an Gewinn bringen?“ 3 Vgl. nur IDW S 1 (2008) Rz. 7: „Der Unternehmenswert wird grundsätzlich als Zukunftserfolgswert ermittelt. In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich als gängige und anerkannte Verfahren das Ertragswertverfahren […] und die Discounted Cash Flow-Verfahren […] herausgebildet.“ 4 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = GmbHR 1999, 31 = AG 1999, 122. 5 Siehe nur Hüttemann, WPg 2007, 812 (819). 6 Ablehnend noch OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 49 (keine Abweichung von Ertragswertmethode); anders jetzt OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765. 7 OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724; OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841). 8 Vgl. dazu – auch im Rechtsvergleich – Fleischer, AG 2014, 97 (99 f.); Schüler, DB 2015, 2277 (2279); kritisch Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 319 (327 ff.).

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Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.55 § 1

zu bewerten ist, darf allerdings – abweichend von IDW S 11 – nicht nur das vorhandene Unternehmenskonzept zugrunde gelegt werden, sondern es sind – gerade bei suboptimaler Unternehmensführung – auch naheliegende alternative Konzepte einschließlich wertrelevanter Verbundvorteile in die Schätzung einzubeziehen, um der rechtlichen Bewertungsvorgabe gerecht zu werden (zur Maßgeblichkeit der vorhandenen Unternehmensplanung für die Prognose künftiger Erträge vgl. näher Meyer, Rz. 7.1 ff.).2 Die finanziellen Überschüsse sind in einem zweiten Schritt – zur Ermittlung eines Barwertes – mit einem Kapitalisierungszins auf den Stichtag abzuzinsen (dazu näher Franken/Schulte, Rz. 6.1 ff.). Der Zinssatz setzt sich aus dem Basiszinssatz für eine sichere Alternativanlage, einer Risikoprämie (Risikozuschlag) und einem Wachstumsabschlag zusammen. Da die Abzinsung „laufzeitadäquat“ erfolgen muss, ist die zukünftige Zinsentwicklung – unter Rückgriff auf Zinsstrukturkurven – aus der Perspektive des Stichtags zu schätzen.3 Ob der zur Herstellung einer Vergleichbarkeit mit risikolosen Alternativanlagen (Risikoäquivalenz) erforderliche Risikozuschlag – wie früher üblich4 – unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls „gegriffen“ oder – entsprechend den heutigen Empfehlungen des IDW5 – unter Anwendung kapitalmarkttheoretischer Modelle6 aus beobachteten Marktrisikoprämien und Beta-Faktoren „abgeleitet“ wird (dazu eingehend Franken/Schulte, Rz. 6.1 ff.), hat der sachverständig beratene Richter im Rahmen seines Schätzungsspielraums und in Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen beider Ansätze zu entscheiden.7 Der Wachstumsabschlag zur Inflationsberücksichtigung im Rahmen der ewigen Rente (dazu Franken/Schulte, Rz. 5.135) ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls festzulegen.8 Seit Anfang der 2000er Jahre empfiehlt das IDW zudem eine Nachsteuerbetrachtung, bei der im Barwertkalkül eine unterschiedliche steuerliche Belastung der Nettozuflüsse aus dem Unternehmen (Zähler) und der im Kapitalisierungszinssatz ausgedrückten Alternativinvestition (Nenner) berücksichtigt wird (vgl. dazu näher Jonas/Wieland-Blöse, Rz. 17.1 ff.).9

1.54

Das Ertragswertverfahren bezieht sich als Gesamtbewertungsverfahren immer nur auf das betriebsnotwendige Vermögen. Folglich bedarf es einer Abgrenzung der Bewertungseinheit, weil das nicht betriebsnotwendige Vermögen mit dem Einzelveräußerungswert gesondert

1.55

1 In IDW S 1 (2008) Rz. 32 heißt es dazu: „Die Bewertung eines Unternehmens basiert auf der am Bewertungsstichtag vorhandenen Ertragskraft“; aus dem juristischen Schrifttum vor allem Mertens, AG 1992, 321. 2 Eingehend Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); zustimmend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 372 f.; Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670 ff.). 3 Siehe etwa OLG Stuttgart v. 11.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49 (51). 4 Nachweise zur älteren Praxis bei Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 361 ff. 5 WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A. 345 ff. 6 Für einen Überblick Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, S. 181 ff. 7 Ebenso Stilz in FS Goette, 2012, S. 529 (533 f.); kritisch zur Anwendung des CAPM im Rahmen rechtsgebundener Bewertungen Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, S. 280 ff.; für einen Überblick über die neuere Rechtsprechung Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 687 ff. 8 So OLG Stuttgart v. 11.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49 (52). 9 Zur Berücksichtigung von Steuern monographisch Meilicke, Die Behandlung von Ertragsteuern im Rahmen der Unternehmensbewertung als Rechtsfrage, 2013; im Ausland werden persönliche Steuern überwiegend aus Vereinfachungsgründen ausgeblendet, vgl. etwa zur Situation in Österreich Bertl, WPg 2018, 805.

Hüttemann 29

§ 1 Rz. 1.55

Erster Teil: Einführung

zu bewerten und dem Ertragswert hinzuzurechnen ist (dazu näher Hüttemann/Meinert, Rz. 8.1 ff.). Insoweit stellen sich ähnliche Fragen wie beim Unternehmenskonzept: Wenn man von Rechts wegen eine Bewertung des Unternehmens aus der Perspektive eines „markttypischen“ Erwerbers fordert, können weder die tatsächliche Nutzung der fraglichen Vermögensgegenstände noch die Planungen der Unternehmenseigner am Stichtag allein ausschlaggebend sein.1

1.56 Um die Unternehmensbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu erleichtern und zu vereinheitlichen, hat der Gesetzgeber im Rahmen der letzten Erbschaftsteuerreform ein sog. „vereinfachtes Ertragswertverfahren“ (§§ 199 ff. BewG) eingeführt, das im Feststellungsverfahren angewandt werden „kann“, wenn es nicht zu „offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt“ (so § 199 Abs. 1 BewG). Dieses Verfahren (dazu näher Kohl, Rz. 29.167 ff.) enthält verschiedene Bewertungsvereinfachungen (z.B. die Anknüpfung an den durchschnittlichen Jahresertrag der letzten drei Jahre und einen gesetzlich normierten Risikozuschlag) und ist als kostengünstige Alternative zu den im Geschäftsverkehr üblichen Bewertungsverfahren (z.B. IDW S 1) gedacht. Es spielt außerhalb der steuerlichen Bewertung bisher keine Rolle. Dies schließt nicht aus, dass der Tatrichter einzelne Vereinfachungen und Annahmen (z.B. die Höhe des Risikozuschlags) auch bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsstreitigkeiten heranzieht, sofern er sie für sachlich vertretbar hält und dies auch begründet.2 b) Substanzwert und Mischverfahren

1.57 Der Substanzwert zielt nicht auf eine ertragsabhängige Gesamtbewertung des Unternehmens, sondern ist ein auf den „Rekonstruktionswert“ bezogenes Einzelbewertungsverfahren (dazu Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.40 ff.). Diese Bewertungskonzeption orientiert sich an den Wiederbeschaffungskosten, die erforderlich wären, um das Unternehmen in seinem vorhandenen Zustand nachzubauen.3 Der Substanzwert ist nach heutiger Auffassung zumindest bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen kein geeigneter Schätzungsmaßstab,4 denn – so Münstermann – „für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts“.5 Anders ausgedrückt: Der Substanzwert ist für einen Erwerber, der ausschließlich finanzielle Ziele verfolgt, regelmäßig kein brauchbarer Anhaltspunkt für den gesuchten „wirklichen“ Unternehmenswert.6 Dies kann anders sein, wenn es um „Non-Profit-Unternehmen“ geht, deren Verkehrswert – aus der Sicht eines nicht gewinnorientierten Erwerbers – in den ersparten Aufwendungen für einen „Nachbau“ bestehen kann (dazu näher Hüttemann, Rz. 32.10 ff.).7 Vom Liquidationswert unterscheidet sich der Substanzwert aufgrund der abweichenden Bewertungsperspektive. Wäh1 Vgl. Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (592 f.); Meinert, DB 2011, 2397 (2402 f.); zurückhaltender OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11, AG 2012, 330 (334): Abkehr von Unternehmensplanung nur, wenn diese „zu offenkundig unwirtschaftlichen Ergebnissen führt“. 2 So etwa OLG München v. 18.2.2014 – 31 Wx 211/13, BB 2014, 625. 3 Vgl. näher WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A 162 ff. 4 Siehe nur WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A 167; näher Moxter, Grundsätze, S. 41 ff.; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 315 ff. 5 Münstermann, Wert und Bewertung, 1966, S. 21. 6 Aus der Rechtsprechung nur BayObLG v. 11.12.1995 – 3Z BR 36/91, NJW-RR 1996, 1125 (1126) = AG 1996, 176: „Der früher stark betonte Substanzwert spielt heute bei den Bewertungen keine entscheidende Rolle mehr“. 7 Vgl. dazu WPH, Bewertung und Transaktionsberatung, Rz. A 481 f.; aus der Rechtsprechung vgl. OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 131/13, juris; monographisch Teterin, Unternehmensbewertung bei Nonprofit-Unternehmen, 2006.

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Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.59 § 1

rend sich der Substanzwert auf den Beschaffungsmarkt bezieht, ist der Liquidationswert auf den Veräußerungsmarkt ausgerichtet.1 Für das Erbschaftsteuerrecht bestimmt § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG, dass ein (allerdings besonderer steuerlicher) „Substanzwert“ den Mindestwert darstellt (vgl. näher Kohl, Rz. 29.76 ff.). Aus der Nichteignung des Substanzwertes als Schätzungsparameter für erwerbswirtschaftliche 1.58 Unternehmen folgt auch, dass sog. Mischverfahren (auch: Praktikerverfahren genannt), die den Unternehmenswert als Mittel aus Substanz- und Ertragswert bzw. durch eine Übergewinnkapitalisierung berechnen, für Zwecke der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung heute2 in der Regel nicht mehr zulässig sind, weil sie wegen der Berücksichtigung der Substanz ebenfalls zu einer systematischen Wertverzerrung führen. Zu den Mischverfahren (dazu auch Franken/Schulte, Rz. 11.80 ff.) ist auch das sog. Stuttgarter Verfahren zu rechnen, das vor Inkrafttreten der Erbschaftsteuerreform zum 1.1.2009 vom BFH in ständiger Rechtsprechung3 als geeignetes Schätzungsverfahren zur Bewertung nicht notierter Anteile von Kapitalgesellschaften akzeptiert worden ist und den Unternehmenswert als Kombination aus Substanz- und Ertragswertkomponenten ermittelte.4 Ihm ist durch die Streichung der Worte „des Vermögens“ in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG die gesetzliche Grundlage entzogen worden.5 Es ist in der Praxis aber weiterhin von Bedeutung, weil viele ältere Gesellschaftsverträge für Zwecke der Abfindungsbemessung noch auf die früheren steuerlichen Werte nach dem Stuttgarter Verfahren verweisen, was im Fall eines Ausscheidens eine Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 7 ErbStG auslösen kann.6 c) „Marktorientierte“ Bewertungsansätze Die Öffnung der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre für „kapitalmarktbezogene“ Be- 1.59 wertungselemente seit den 1980er und 1990er Jahren7 ist nicht ohne Rückwirkungen auf die rechtsgebundene Unternehmensbewertung geblieben. Unter „marktorientierten“ Bewertungsverfahren wird zum einen die Verfeinerung der Ertragswertverfahren unter Einbeziehung von kapitalmarkttheoretischen Ansätzen (z.B. eine Bemessung von Risikozuschlägen auf der Basis des Capital-Asset-Pricing-Model) verstanden (dazu Franken/Schulte, Rz. 5.1 ff.).8 Ferner geht es um die Heranziehung von beobachteten „Marktdaten“ (z.B. Börsenkursen und Multiplikatoren) als Schätzungsparameter für Unternehmenswerte (dazu Franken/Schulte, Rz. 11.1 ff.).9 „Marktbezogene“ Bewertungsverfahren bedeuten eine gewisse Abkehr vom strengen subjektbezogenen Bewertungsmodell zugunsten einer Bewertung des Unternehmens aus der Sicht des Kapitalmarktes (zur Berücksichtigung von Börsenkursen siehe Adolff/Häl-

1 Statt vieler Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 30. 2 Anders noch BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, WM 1978, 401 (405), wo eine „Verbindung von Substanz- und Ertragswert“ nicht beanstandet worden ist. 3 Vgl. nur BFH v. 6.3.1991 – II R 18/88, BStBl. II 1991, 558 (559). 4 Abschn. 95 ff. ErbStR a.F. 5 Siehe nur Horn in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, 5. Aufl. 2014, § 12 ErbStG Rz. 292. 6 Dazu nur Meincke/Hannes/Holtz, 17. Aufl. 2018, § 7 ErbStG Rz. 163. 7 Zum Einfluss „marktorientierter“ Bewertungsverfahren s. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 26 ff.; Ballwieser in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 13 ff. 8 Für einen Überblick Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 99 ff. 9 Dazu – kritisch – etwa Ballwieser in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 13 ff.; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, S. 371 ff.

Hüttemann 31

§ 1 Rz. 1.59

Erster Teil: Einführung

ler, Rz. 18.1 ff.). Eine stärkere Einbeziehung der „Marktsicht“ entspricht schließlich auch der international üblichen Bewertungspraxis (Überblick bei Fleischer, Rz. 38.1 ff.).1

1.60 Während die Gerichte bis Ende der 1990er Jahre einer „marktbezogenen“ Wertermittlung (z.B. auf der Grundlage von Börsenkursen) noch ablehnend gegenüber gestanden haben,2 hat – spätestens seit dem DAT/Altana-Beschluss des BVerfG3 – ein Umdenkungsprozess eingesetzt. So hat z.B. das OLG Stuttgart im Jahr 2011 zur Ermittlung der angemessen Abfindung nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG festgestellt: „Als Grundlage für die Feststellung dieses Wertes stehen dem Gericht fundamentalanalytische Methoden wie das Ertragswertverfahren ebenso zur Verfügung wie marktorientierte Verfahren, etwa eine Orientierung an Börsenkursen“.4 Dasselbe Gericht hatte auch keine Bedenken gegen eine Ermittlung von Risikozuschlägen anhand des CAPM, da dieses Verfahren „methodisch vorzugswürdig sei“.5 Andere Gerichte waren zunächst zurückhaltender und bezweifelten, ob Risikoprämien nach CAPM einem von Sachverständigen „plausibel gegriffenen“ Risikozuschlag tatsächlich überlegen sind.6 Spätestens seit dem Stinnes-Beschluss des BGH dürfte die prinzipielle Zulässigkeit marktorientierter Bewertungsverfahren aber außer Streit stehen.7

1.61 Aus der Sicht der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung wirft die Einbeziehung „marktorientierter“ Bewertungsverfahren vor allem zwei Fragen auf:8 Zunächst ist zu fragen, ob eine Schätzung „aus der Perspektive des Kapitalmarktes“ der gesetzlichen Bewertungsvorgabe noch entspricht. Wenn man ausgehend von der gesellschaftsrechtlichen „Liquidationshypothese“ (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder dem steuerlichen „gemeinen Wert“ (§ 9 Abs. 2 BewG) eine Bewertung aus der Sicht eines gedachten Erwerbers fordert, begegnet eine „marktbezogene“ – d.h. von den subjektiven Verhältnissen der konkreten Beteiligten losgelöste – Bewertung keinen grundsätzlichen Bedenken. Die zweite Frage betrifft die Eignung einzelner Bewertungsparameter als „Schätzungsgrundlage“: Insoweit hat sich der Tatrichter – im Dialog mit dem Sachverständigen – eine eigene Überzeugung zu bilden, ob aus modelltheoretischen Annahmen (CAPM) und am Markt beobachteten Risikoprämien abgeleitete Risikozuschläge „realitätsgerechter“ erscheinen als ein vom Sachverständigen nach den Verhältnissen des konkreten Unternehmens „gegriffener“ Wert. Stellt man den durch § 287 Abs. 2 ZPO eröffneten Schätzungsspielraum in den Vordergrund, dürften letztlich beide Bewertungsansätze trotz ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile „vertretbar“ sein, weil beide den erforderlichen Realitätsbezug aufweisen und fachwissenschaftlich nicht eindeutig widerlegt sind.9 1 Vgl. zu diesem Aspekt die „Best-Practice-Empfehlungen“ des DVFA-Arbeitskreises „Corporate Transactions and Valuation“, CFB 2012; ferner Fleischer, AG 2014, 97. 2 Eine Bewertung zum Börsenkurs strikt ablehnend noch BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. 3 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 4 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49. 5 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49 (51); ebenso OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07, WM 2009, 2220. 6 So LG München I v. 3.12.1998 – 5HK O 14889/92, AG 1999, 476 = DB 1999, 684 f.; gegen einen Vorrang des CAPM auch BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, AG 2006, 41 (43). 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (126) = AG 2016, 135; ebenso auch OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). 8 Vgl. Hüttemann, WPg 2007, 812 (819 ff.). 9 Gegen eine Ableitung von Risikozuschlägen nach CAPM/Tax-CAPM mit eingehender Begründung Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a ff. AktG, S. 280 ff.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.63 § 1

d) Börsenkurse und gezahlte Kaufpreise Auch bei der Frage nach der Bewertungsrelevanz von Börsenkursen oder tatsächlich gezahlten 1.62 Kaufpreisen gilt es – aus rechtlicher Sicht – zwei Ebenen zu unterscheiden:1 Eine Bewertung „zum Börsenkurs“ oder auf der Grundlage von tatsächlich gezahlten Preisen für Unternehmensanteile ist von Rechts wegen immer dann zwingend, wenn das Gesetz den Börsenkurs oder tatsächlich gezahlte Preise zum alleinigen Bewertungsmaßstab erhebt (vgl. etwa § 31 Abs. 1 WpÜG, § 11 Abs. 1 und 2 BewG) oder der Börsenkurs nach den Grundsätzen des DAT/Altana-Beschlusses2 von Verfassungs wegen den Mindestwert bildet. Davon macht die Rechtsprechung allerdings eine Ausnahme, wenn der Börsenkurs – z.B. auf Grund einer Marktenge – den Verkehrswert der Aktie nicht widerspiegelt.3 Eine Abweichung von diesen Vorgaben wäre als Rechtsverletzung revisionsrechtlich stets angreifbar. Im vorliegenden Zusammenhang geht es indes um die davon zu trennende Tatfrage, ob Börsenkurse oder tatsächlich gezahlte Preise geeignete Schätzungsparameter für den „wahren“ Wert darstellen können.4 Dabei handelt es sich um ein Problem der tatrichterlichen Wertermittlung und insoweit hat sich der Richter im Rahmen seines Schätzungsermessens unter Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse eine begründete eigene Ansicht zu bilden, die in der Revision nur eingeschränkt überprüft werden kann (zu Börsenkursen näher Adolff/Häller, Rz. 18.1 ff.). Für seine Überzeugungsbildung wird der Richter auch berücksichtigen dürfen, dass der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen (wie dem Übernahme- und Steuerrecht) Börsenkursen und Vorerwerbspreisen sogar von Rechts wegen eine „Bewertungsrelevanz“ zuerkannt hat.5 Er ist aber an diese Vorgaben (§ 31 Abs. 1 WpÜG, § 11 Abs. 1 und 2 BewG) nicht zwingend gebunden. Jede „Unternehmensbewertung durch Rückgriff auf Marktdaten“6 steht allerdings vor einem konzeptionellen Problem, mit dem sich auch der Tatrichter auseinanderzusetzen hat: Während bei § 11 Abs. 1 und 2 BewG nach „Anteilswerten“ gesucht wird, hat der Richter für Zwecke der Abfindungsbemessung (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) den „quotalen“ Unternehmenswert zu bestimmen. Aus Marktpreisen für einzelne Anteilsrechte (Börsenkurs oder gezahlte Kaufpreise) muss also ein Gesamtunternehmenswert des Unternehmens „abgeleitet“ werden, was regelmäßig mehr erfordert als eine schlichte „Hochrechnung“ in Form einer Börsenkurskapitalisierung. Ähnlich Fragen stellen sich, wenn man nicht nur tatsächlich gezahlte Kaufpreise für Anteile des zu bewertenden Unternehmens als Schätzungsparameter heranziehen möchte, sondern auch Marktpreise berücksichtigen will, die bei zeitnahen Transaktionen für „vergleichbare“ Unternehmen gezahlt worden sind (zu 1 Siehe bereits Hüttemann, ZGR 2001, 454; für eine aktuelle Übersicht über die Börsenkursrechtsprechung vgl. Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157. 2 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 3 Für einen Rechtsprechungsüberblick s. Land/Hallermeyer, AG 2015, 659. 4 Grundsätzlich bejahend: OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841); OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (752); OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, NZG 2014, 464; OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (909); vgl. auch BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, AG 2011, 511; aus dem Schrifttum s. Steinhauer, AG 1999, 299; Luttermann, ZIP 1999, 45; Piltz, ZGR 2001, 187; Stilz, ZGR 2001, 875 (883); Stilz in FS Goette, 2012, S. 529 (537 ff.); Hüttemann, ZGR 2001, 454 (467 ff.); Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (613 ff.). 5 So auch Stilz in FS Goette, 2012, S. 529 (540 f.); noch weitergehend LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, AG 2009, 835 (838), das § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG als „allgemeingültigen“ Rechtsgedanken versteht. 6 Zum Folgenden nur Ballwieser in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 13 ff.

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1.63

§ 1 Rz. 1.63

Erster Teil: Einführung

Vorerwerbspreisen vgl. Leverkus, § 19), weil hier – ebenso wie bei der Verwendung von marktgestützten Multiplikatoren-Verfahren (dazu Franken/Schulte, Rz. 11.7 ff.) – zusätzlich das Problem der Vergleichbarkeit der betrachteten Unternehmen zu lösen ist.

1.64 Ungeachtet der vorstehend aufgezeigten Probleme und weiterhin bestehender Meinungsverschiedenheiten innerhalb der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre ist in den letzten Jahren eine wachsende Offenheit der Gerichte für marktbezogene Unternehmensbewertungen zu beobachten. Zwar haben Zivilgerichte schon in den 1980er Jahren tatsächlich gezahlte Kaufpreise vereinzelt als Bewertungsmaßstab akzeptiert.1 Die in neuerer Zeit zu beobachtende „Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung“2 und eine stärkere Heranziehung von Börsenkursen als Schätzungsmaßstab oder Hilfsmittel zur Plausibilisierung von fundamentalanalytisch ermittelten Werten ist nicht nur auf den DAT/Altana-Beschluss des BVerfG3 zurückzuführen, sondern spiegelt einen grundsätzlichen Mentalitätswechsel wider. Dieser beruht auf der zutreffenden Einsicht, dass es „den“ einen richtigen Unternehmenswert nicht gibt, weil – so das OLG Stuttgart – „die Wertermittlung nach den einzelnen Verfahren mit zahlreichen prognostischen Schätzungen und methodischen Prämissen verbunden ist, die (häufig) keinem Richtigkeits-, sondern nur einem Vertretbarkeitsurteil zugänglich sind“.4 Die Hinwendung zum Börsenkurs ist also auch Ausdruck einer gewissen Ernüchterung der Spruchgerichte über die Leistungsgrenzen der (schein)genauen „fundamentalanalytischen“ Bewertungsverfahren.5 e) Auswahl der Bewertungsmethode

1.65 Da es nicht nur „ein“ geeignetes Verfahren zur Unternehmenswertschätzung gibt, hat der Richter im Rahmen von § 287 Abs. 2 ZPO ein gewisses Ermessen bei der Auswahl zwischen mehreren prinzipiell geeigneten Bewertungsverfahren. In diesem Zusammenhang darf er auch verfahrensökonomisch berücksichtigen, ob ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn in einem angemessenen Verhältnis zum zusätzlichen Aufwand des betreffenden Verfahrens steht. Denn der Zweck des § 287 Abs. 2 ZPO – Erleichterung der Rechtsdurchsetzung durch Vermeidung unverhältnismäßig hoher Prozesskosten – passt nicht nur für die Zulässigkeit einer Schätzung, sondern auch für das Ob und Wie der Sachverhaltsaufklärung.6 Abzuwägen sind insoweit die objektiven Schwierigkeiten der Sachaufklärung, Mühe, Kosten, Zeitaufwand, voraussichtlicher Ertrag und Streitwert.7 Eine solche Abwägung hat in Einzelfällen bereits dazu geführt, dass Gerichte auf eine umfangreiche neue Ertragsbewertung verzichtet und einer Börsenkursschätzung den Vorrang eingeräumt haben.8 In diesem Zusammenhang ist auch in der neueren Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob die Gerichte von Rechts wegen verpflichtet sind, diejenige Methode anzuwenden, die das Bewertungsziel „am besten er1 BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, FamRZ 1982, 571: Schätzung des Wertes von Beteiligungen im Pflichtteilsrecht anhand eines ein Jahr vor dem Erbfall gezahlten Kaufpreises. 2 So plakativ Krause in FS Hopt, 2010, S. 1005. 3 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 4 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49; kritisch dazu Knoll, BFuP 2017, 300. 5 Deutlich OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (755 f.); aus dem Schrifttum eindringlich Stilz in FS Goette, 2012, S. 529. 6 Hüttemann, ZGR 2001, 454 (476). 7 Vgl. Hüttemann, ZGR 2001, 454 (476); beispielhafte Überlegungen zur Auswahl zwischen Ertragswertmethode und Börsenkursschätzung bei OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (755 f.). 8 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751.

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Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.67 § 1

reicht“.1 Für ein solches „bewertungsrechtliches Optimierungsgebot“2 spricht vor allem, dass nur so das Bewertungsziel einer „vollen“ Entschädigung erreicht werden kann (dazu näher Hüttemann, Rz. 13.18 ff.).3 Ferner gebietet der Normzweck der gesetzlichen Abfindungsrechte eine Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse über die Bewertung von Unternehmen. Auf diese Weise wird zugleich gewährleistet, dass methodische Verbesserungen zeitnah in das Spruchverfahren einfließen (vgl. dazu näher Fleischer, Rz. 15.19). Richtigerweise besteht somit eine richterliche Pflicht, jede „nachvollziehbare methodische Verbesserung sofort anzuwenden“.4 f) Methodenänderungen und „Rückwirkung“ Weil das IDW den in der Praxis „quasi-verbindlichen“5 Bewertungsstandard IDW S 1 seit 1.66 2000 mehrfach geändert hat, sehen sich die Gerichte zunehmend mit der Frage konfrontiert, ob „neue“ Bewertungsstandards auch „rückwirkend“ angewendet werden dürfen.6 Da rechtliche Aussagen des IDW für den Richter ohnehin unverbindlich sind, stellt sich die Frage der „intertemporalen“ Anwendung lediglich in Hinsicht auf geänderte fachliche Regeln, also Änderungen in der Bewertungsmethodik (z.B. den Übergang auf eine Nachsteuerbetrachtung oder die Berücksichtigung von Steuerrechtsänderungen). Insoweit ist – wie inzwischen der BGH im Stinnes-Beschluss bestätigt hat7 – eine differenzierte Betrachtung angezeigt:8 Erkenntnisfortschritte in der Bewertungstheorie wie z.B. Methodenverfeinerungen können (uns sollten) die Gerichte immer berücksichtigen, weil es keinen „Vertrauensschutz“ in Hinsicht auf veraltete Bewertungsmethoden gibt. Hingegen dürfen Methodenanpassungen, mit denen das IDW auf geänderte rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. Steuerrechtsänderungen) reagiert hat, nicht einfach auf Zeitpunkte vor der gesetzlichen Änderung bezogen werden. Insoweit gilt vielmehr das Stichtagsprinzip (vgl. näher Fleischer, Rz. 15.1 ff.). 5. Zusammenfassung Während der Richter die gesetzliche Bewertungsvorgabe durch Auslegung des Gesetzes allein zu bestimmen hat, handelt es sich bei der Feststellung des Unternehmenswertes um eine Tatfrage, die mit den Mitteln des Beweisrechts zu lösen ist. Insoweit bedarf es keiner vollen richterlichen Überzeugung, sondern das erforderliche Beweismaß ist durch die Möglichkeit einer Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO, § 162 AO) entsprechend herabgesetzt. Ferner kommt es regelmäßig zur Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen, der als „Berater des Tat1 So etwa noch OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420. 2 Siehe Fleischer, AG 2016, 185 (195 f.); Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354 (357); zustimmend Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 24. 3 Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354 (357). 4 So bereits OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (867). 5 So Fleischer, AG 2014, 97 (100). 6 Dazu nur Bungert, WPg 2008, 811; Hüttemann, WPg 2008, 822; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 215 ff. 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; dazu Fleischer, AG 2016, 185; Schüppen, ZIP 2016, 393; Hüttemann, CF 2017, 467. 8 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; ebenso bereits OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 (426); OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765; anders OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 59/06, AG 2007, 411 und OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen; aus dem Schrifttum nur Meyer, AG 2015, 15.

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1.67

§ 1 Rz. 1.67

Erster Teil: Einführung

richters“ tätig wird.1 Die Umsetzung der normativen Vorgaben auf der Ebene der tatsächlichen Wertfeststellung bildet daher in der Praxis die „Domäne der betriebswirtschaftlich-mathematischen Disziplinen“.2 Dies erklärt auch, weshalb die berufsständischen Bewertungsstandards in der gerichtlichen Praxis – trotz des weiten Schätzungsspielraums der Gerichte nach § 287 Abs. 2 ZPO – nach wie vor eine dominierende Rolle spielen.

VI. Unternehmensbewertung und Verfahrensrecht 1. Kein einheitliches Verfahrensrecht

1.68 Es gibt kein besonderes Verfahren für Unternehmensbewertungen, sondern die „rechtsgebundene“ Unternehmensbewertung findet jeweils in dem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren statt, in dem auch über den unternehmenswertabhängigen Anspruch entschieden wird. Das „Verfahrensrecht der Unternehmensbewertung“ bestimmt sich also nach den Vorschriften, die die Zuständigkeit der Behörde und Gerichte regeln. Dies erklärt, warum es z.B. für gesellschaftsrechtliche Abfindungsansprüche kein einheitliches Verfahren gibt. Zwar sind bei Abfindungsstreitigkeiten im Gesellschaftsrecht stets die ordentlichen Gerichte zuständig. Für Rechtsstreitigkeiten betreffend den aktienrechtlichen Barabfindungsanspruch ist aber nach § 1 Nr. 1 SpruchG das Spruchverfahren als eigenständige Verfahrensart eröffnet, während Rechtsstreitigkeiten zwischen Gesellschaftern betreffend die Abfindung beim Ausscheiden aus einer Personengesellschaft oder GmbH nach den allgemeinen Vorschriften der ZPO über streitige Verfahren verhandelt werden. Steuerrechtliche Unternehmensbewertungen werden hingegen im steuerlichen Veranlagungs- oder Feststellungsverfahren nach den Vorschriften der AO vorgenommen und vor den Finanzgerichten nach Maßgabe der FGO überprüft. 2. Spruchverfahren

1.69 Das Spruchverfahren (dazu näher Arnold/Rothenburg, Rz. 33.1 ff.) ist heute3 im Spruchverfahrensgesetz geregelt. Es stellt ein besonderes Verfahren vor den ordentlichen Gerichten dar, in dem über die in § 1 Nr. 1–6 SpruchG aufgezählten vermögensrechtlichen Ansprüche von Aktionären und Anteilsinhabern – insbesondere die Angemessenheit der Abfindung ausscheidender Minderheitsaktionäre bei aktien- und umwandlungsrechtlichen Umstrukturierungsvorgängen – entschieden wird. Das Spruchverfahren beruht auf den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das BVerfG aus Art. 14 Abs. 1 GG für den Schutz von Minderheitsaktionären abgeleitet hat.4 Zu diesen verfassungsrechtlichen Mindeststandards gehören nicht nur „wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Missbrauch der wirtschaftlichen Macht“, sondern auch eine „volle Entschädigung“.5 Das Spruchverfahren soll aber nicht nur einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten, sondern es verhindert durch die ausschließliche Zuweisung einer Abfindungsklage, dass opponierende Minderheitsaktionäre die betreffenden Umstrukturierungsmaßnahmen durch Anfechtungsklagen etc. blockieren können.6 1 So BGH v. 3.3.1998 – X R 106/96, NJW 1998, 3355 (3356). 2 Hasselbach/Hirte in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 64. 3 Zur Rechtsentwicklung vgl. nur Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Einl. SpruchG Rz. 4 ff.; s. auch Seetzen, WPg 1991, 166; Seetzen, WM 1999, 565. 4 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263; vgl. auch den DAT/Altana-Beschluss des BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 5 Grundlegend BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263. 6 Siehe dazu die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/371, 11.

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Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.73 § 1

Mit der Reform von 2003 sind die für das Spruchverfahren geltenden Regelungen im Spruchverfahrensgesetz zusammengefasst worden. Auf das Spruchverfahren finden, sofern nichts anderes bestimmt ist, nach § 17 Abs. 1 SpruchG die Vorschriften des FamFG Anwendung, d.h. das Spruchverfahren gehört zu den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Somit gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG), der jedoch durch die speziellen Erklärungspflichten (§ 7 SpruchG) und Verfahrensförderungspflichten (§§ 9, 10 SpruchG) modifiziert wird. Ungeachtet dieser und weiterer Besonderheiten (dazu eingehend Arnold/Rothenburg, Rz. 33.39 ff.) ist es bis heute nicht gelungen, die lange Verfahrensdauer der Spruchverfahren spürbar zu verringern.1

1.70

3. Streitiges Verfahren Außerhalb des Spruchverfahrens gelten für Unternehmensbewertungen im Zivilprozess vor den ordentlichen Gerichten die allgemeinen Vorschriften der ZPO für das streitige Verfahren (dazu näher Lauber, Rz. 34.1 ff.). Es bleibt also – anders als im Spruchverfahren – beim Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. Danach ist es Sache jeder Partei, die für sie günstigen Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen. Daraus folgt, dass ein ausscheidender Gesellschafter, der eine höhere als die von den Mitgesellschaftern angebotene Abfindung begehrt, entsprechende Tatsachen beibringen muss, aus denen sich ein höherer Unternehmenswert ergibt. Das Gleiche gilt für einen Pflichtteilsberechtigten, der einen größeren Pflichtteil geltend macht. Streitigkeiten zwischen Ehegatten über den Zugewinnausgleich sind zwar Familiensachen (§ 111 Nr. 9 FamFG), gehören aber nach §§ 112 Nr. 2, 261 Abs. 1 FamFG zu den „streitigen“ Familiensachen, für die nach § 113 Abs. 1 FamFG die Verfahrensgrundsätze der ZPO gelten.

1.71

4. Schiedsgericht und Schiedsgutachten Angesichts der Komplexität von Unternehmensbewertungen liegt es gerade im gesellschaftsrechtlichen Kontext nahe, dass die Gesellschafter die Entscheidung von Abfindungsstreitigkeiten durch eine Schiedsklausel im Gesellschaftsvertrag einem privaten Schiedsgericht übertragen (dazu Fehrenbacher, Rz. 37.1 ff.). Auf diese Weise kann nicht nur verhindert werden, dass die Öffentlichkeit von gesellschaftsinternen Streitigkeiten erfährt und sensible Unternehmensdaten bekannt werden. Durch die Auswahl der Schiedsrichter kann auch eine besondere Sachkunde des Schiedsgerichts sichergestellt werden. Für das schiedsrichterliche Verfahren gelten die §§ 1025 ff. ZPO.2

1.72

Vom schiedsrichterlichen Verfahren ist die Bestimmung einer Leistung durch einen Dritten durch Schiedsgutachten (dazu Lauber, Rz. 36.1 ff.) zu unterscheiden (§§ 317 ff. BGB). So können die Gesellschafter bereits im Gesellschaftsvertrag vereinbaren, dass die Höhe der nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB geschuldeten Abfindung durch einen Schiedsgutachter bestimmt werden soll. Für diesen Fall bestimmt § 317 Abs. 1 BGB, dass der Schiedsgutachter die Leistungsbestimmung im Zweifel „nach billigem Ermessen“ zu treffen hat.

1.73

1 Rechtstatsächliche Hinweise bei Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Einl. SpruchG Rz. 63; Henselmann/Mundert/Winkler/Schrenker, WPg 2013, 1206; zur Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz durch ein überlanges Spruchverfahren s. den Beschluss des BVerfG v. 17.11.2011 – 1 BvR 3155/09, AG 2012, 86. 2 Dazu näher Schüppen in FS Elsing, 2015, S. 509.

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§ 1 Rz. 1.74

Erster Teil: Einführung

5. Steuerverfahren

1.74 Die Bewertung von Unternehmen oder Unternehmensanteilen für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung und der Erbschaftsteuer (dazu Kohl, Rz. 29.1 ff.) findet im Rahmen des steuerlichen Veranlagungs- bzw. eines gesonderten Feststellungverfahrens statt. Es gelten also die allgemeinen Vorschriften der Abgabenordnung (dazu näher Krumm, Rz. 35.1 ff.). Das Finanzamt hat nach § 89 AO den steuerlichen Sachverhalt (und damit auch die Höhe des Unternehmens- bzw. Anteilswertes) von Amts wegen zu ermitteln, allerdings treffen den Steuerpflichtigen und andere Beteiligte nach § 90 Abs. 1 AO gewisse Mitwirkungspflichten (z.B. die Pflicht zur Abgabe von Steuer- bzw. Feststellungserklärungen). Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO können Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden, „soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann“. Eine solche Schätzung stellt bei der Ermittlung des gemeinen Wertes von Gesellschaftsanteilen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach § 11 Abs. 2 BewG den Regelfall dar, sofern der gemeine Wert nicht aus Börsenkursen oder tatsächlich gezahlten Verkaufspreisen abgeleitet werden kann.1 Für die Erbschaftsteuer sind die steuerlichen Werte des Betriebsvermögens und von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 151 Abs. 1 BewG gesondert festzustellen. Für die Wertfeststellung bedarf es – in den durch § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BewG gezogenen Anwendungsgrenzen – auch der Wahl einer bestimmten „anerkannten und üblichen“ Bewertungsmethode.2 Das sog. vereinfachte Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG) kann nur angewendet werden, wenn es nicht zu „offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen“ führt (zu diesem Problemkreis vgl. näher Kohl, Rz. 29.218 ff.). Die Wertfeststellung ist Grundlagenbescheid für die Festsetzung der Erbschaftsteuer und selbständig angreifbar (§ 155 BewG). Gegen Steuerverwaltungsakte der Finanzverwaltung ist nach § 33 FGO der Rechtsweg zu den FG eröffnet. Im finanzgerichtlichen Verfahren gilt wiederum der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 FGO).

VII. Ausblick 1. Vom „theoretisch richtigen Wert“ zur Bandbreite „vertretbarer“ Werte

1.75 Angesichts der Komplexität der Bewertungsaufgabe können Juristen und Ökonomen das „Rechtsproblem“ Unternehmensbewertung nur gemeinsam bewältigen. Dazu bedarf es neben einem wissenschaftlichen Diskurs über die Fächergrenzen hinweg vor allem einer vertrauensvollen Zusammenarbeit von Richtern und Sachverständigen. Ausgangspunkt muss die Einsicht sein, dass Entscheidungen über unternehmenswertabhängige Rechtsfolgen „in erster Linie Rechtsanwendung“ sind.3 Für die „Rollenverteilung“ vor Gericht heißt das, dass es die Aufgabe des Richters ist, das „normgerechte“ Bewertungsziel festzulegen, während die Auswahl einer geeigneten Schätzungsmethode und die eigentliche Wertermittlung als Element der Sachverhaltsermittlung nur unter Mitwirkung der betriebswirtschaftlichen Sachverständigen erfolgen kann. Allerdings muss der Richter auch im Bereich der Tatsachenfeststellung „das letzte Wort“ behalten, denn er hat die Sachverständigengutachten einer eigenständigen inhaltlichen Würdigung zu unterziehen und dabei insbesondere zu prüfen, ob die Bewertung 1 Siehe nur BFH v. 22.1.2009 – II R 43/07, BStBl. II 2009, 444 (445) = GmbHR 2009, 670; Meincke/ Hannes/Holtz, 17. Aufl. 2018, § 12 ErbStG Rz. 20. 2 Für einen Überblick Wollny, Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer, 2012, Rz. 987 ff.; Lorenz, Unternehmensbewertung im Erbschaftsteuerrecht, 2015, S. 108 ff. 3 Siehe OLG Düsseldorf v. 8.8.2013 – I-26 W 15/12, NZG 2014, 1393: „Die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung sowie des angemessenen Ausgleichs und die ihr zugrunde liegende Unternehmensbewertung sind in erster Linie Rechtsanwendung.“

38

Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.77 § 1

eine ausreichende tatsächliche Grundlage für eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO darstellt. Den Gerichten kommt – wie der BGH im Stinnes-Beschluss bekräftigt hat1 – also auch auf der Tatsachenebene eine wichtige „Filterfunktion“ bei der Methodenauswahl zu. Unternehmensbewertungen sind zwar – so die griffige Formel des OLG Stuttgart – häufig 1.76 nicht mehr als „Anhaltspunkte“ für eine Schätzung,2 „weil die Wertermittlung nach den einzelnen Methoden mit zahlreichen prognostischen Schätzungen und methodischen Einzelentscheidungen verbunden ist, die jeweils nicht einem Richtigkeits-, sondern nur einem Vertretbarkeitsurteil zugänglich sind.“ Ungeachtet dieser Unsicherheiten darf der Richter das „Vertretbarkeitsurteil“ aber nicht dem Sachverständigen oder den Fachgremien des IDW überlassen, sondern muss sich selbst ein Bild von den fachwissenschaftlichen und methodischen Grundlagen einer Schätzung und vom hinreichenden „Realitätsbezug“ der angewandten Bewertungsmethode machen. Die zunehmende Einsicht in die „Scheinrationalität“3 von Ertragswerten könnte auch bei der „normgeprägten“ Bewertung einen Paradigmenwechsel vom „theoretisch richtigen“4 Wert hin zu einer „Bandbreite vertretbarer Werte“ auslösen.5 Allerdings darf die Betonung der „Vertretbarkeit“ von Unternehmenswerten nicht dazu führen, dass das bewertungsrechtliche „Optimierungsgebot“ aus dem Blick gerät (dazu Hüttemann, Rz. 13.18 ff.). Insbesondere entbindet das durch § 287 Abs. 1 ZPO eingeräumte Schätzungsermessen die Gerichte nicht von ihrer Aufgabe, im Dialog mit dem Sachverständigen eine Methode auszuwählen, die eine dem „wahren“ Wert möglichst nahekommende Schätzung erlaubt. Dazu ist ein ergebnisoffener Diskurs über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Bewertungsansätze erforderlich, um die gerichtliche Praxis von der einseitigen Orientierung am IDW-Standard6 zu lösen und – im Sinne von mehr Methodenpluralität und einer stärkeren Betonung des Verkehrswertgedankens – stärker für marktanalytische Methoden zu öffnen.7 2. Internationale Unternehmensbewertung Der zunehmende internationale Wirtschaftsverkehr stellt auch das Recht der Unternehmensbewertung vor neue Herausforderungen. Man denke nur an grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse, bei denen – wenn es um die Abfindung ausscheidender Aktionäre geht – zwei Rechtsordnungen berührt sind, oder an die Folgebewertung von Unternehmensbeteiligungen nach Internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS/IFRS). Diese Entwicklungen und das gewachsene rechtsvergleichende Interesse an ausländischen Bewertungsvor1 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; dazu Fleischer, AG 2016, 185; Schüppen, ZIP 2016, 393; Hüttemann, CF 2016, 467. 2 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49. 3 So Luttermann, NZG 2007, 611 (614). 4 Zum Ertragswert als „theoretisch richtigem Wert“ BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = GmbHR 1999, 31 = AG 1999, 122. 5 Vgl. zur „normativen Akzeptanz von Wertbandbreiten“ eingehend Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, S. 234 ff. 6 Dazu OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841): „Als anerkannt und gebräuchlich in diesem Sinne ist derzeit nicht nur, aber jedenfalls auch das anzusehen, was von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in dem Standard IDW S 1 sowie in sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vertreten wird“; kritisch zur Dominanz des IDW-Standards etwa Fleischer, AG 2014, 97 (99); Hüttemann, WPg 2008, 822 (824 f.); Stilz in FS Goette, 2012, S. 529 (534 ff.). 7 In diese Richtung zielen auch die „Best-Practice-Empfehlungen“ des DVFA-Arbeitskreises „Corporate Transactions and Valuation“, CFB 2012, 43.

Hüttemann 39

1.77

§ 1 Rz. 1.77

Erster Teil: Einführung

schriften lassen sich schlagwortartig unter dem Stichwort „Internationale Unternehmensbewertung“1 zusammenfassen, betreffen jedoch unterschiedliche Bereiche: Zum einen kann eine verstärkte Rechtsvergleichung – z.B. im Bereich der gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüche2 – das Problembewusstsein vertiefen und wertvolle Anregungen für die Weiterentwicklung des deutschen und europäischen Gesellschaftsrecht geben (vgl. näher Fleischer, Rz. 38.1 ff.). Zum anderen ist im Bereich des Internationalen Privatrechts zu klären, nach welcher Rechtsordnung der Richter z.B. bei grenzüberschreitenden Unternehmensumstrukturierungen über die Abfindung von Minderheitsaktionären zu entscheiden hat. Im Bereich des internationalen Rechnungslegungsrechts geht es hingegen vor allem um die richtige Auslegung der einschlägigen Rechnungslegungsstandards, die über die IAS-Verordnung3 auch Teil des von deutschen börsennotierten Konzernmutterunternehmen verpflichtend anzuwendenden europäischen Bilanzrechts geworden sind (dazu Leverkus, Rz. 28.1 ff.). 3. Reform der rechtlichen Bewertungsvorgaben?

1.78 Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit Vorschriften zur Unternehmensbewertung bisher eher zurückgehalten. Die gesetzgeberischen Aktivitäten der letzten Jahre beschränkten sich auf die Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben in besonders relevanten Bereichen (Spruchverfahrensgesetz,4 Reform der erbschaftsteuerliche Bewertungsvorschriften)5. Dagegen hat sich der Rechtszustand im Gesellschafts-, Familien- und Erbrecht, was das Bewertungsrecht angeht, seit 1900 kaum geändert. Angesichts der gewachsenen Bedeutung der „rechtsgebundenen“ Unternehmensbewertung (für einen Überblick über Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung Popp/Ruthardt, Rz. 12.1 ff.) liegt es nahe, über denkbare Ansatzpunkte für eine Reform der rechtlichen Bewertungsvorgaben nachzudenken.

1.79 Eine gesetzliche Regelung des Bewertungsziels dürfte bei § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entbehrlich sein, weil mit der Liquidationshypothese die Bewertungsperspektive vorgezeichnet ist. Auch im Familien- und Erbrecht dürfte eine Verankerung des Verkehrswertes vor dem Hintergrund der Ausnahmeregelungen in §§ 1376 Abs. 4, 1515 Abs. 4, 2049, 2312 BGB unnötig sein. Allenfalls bei § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG könnte eine Bezugnahme auf § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB hilfreich sein, um den gemeinsamen Grundgedanken der gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüche zu verdeutlichen. Im Bereich der Tatsachenfeststellung ist zunächst an eine Präzisierung des § 287 ZPO zu denken, um die Möglichkeiten und Grenzen richterlicher Schätzung gesetzlich besser zu verankern.6 Fraglich ist allerdings, ob der Gesetzgeber für Zwecke der Unternehmensbewertung eine bestimmte Bewertungsmethode gesetzlich festschreiben sollte, um den Gerichten eine eigene Methodenauswahl zu ersparen und die gerichtliche Bewertungspraxis zu vereinheitlichen. Überlegenswert erscheint ein solcher Ansatz nur bei börsennotierten Aktiengesellschaften, wo man – nach dem Vorbild von § 31 Abs. 1 WpÜG und § 11 Abs. 1 1 Vgl. dazu zuerst Großfeld, NZG 2002, 353; Großfeld in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 101; Großfeld in FS Yamauchi, 2006, S. 123; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1443 ff. 2 Dazu eingehend Fleischer, AG 2014, 97 ff. 3 VO Nr. 1606/2002 v. 19.7.2002, ABl. EG v. 11.9.2002, L 243/1. 4 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263; BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 5 Zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bewertung vgl. BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671 = GmbHR 1995, 679; BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 = GmbHR 2007, 320. 6 Dafür dezidiert Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 ZPO Rz. 37.

40

Hüttemann

Unternehmensbewertung als Rechtsproblem

Rz. 1.79 § 1

BewG – den Börsenkurs als Regelwert der Barabfindung vorgeben könnte.1 Verfassungsrechtliche Bedenken erscheinen insoweit unbegründet,2 allerdings müsste der Gesetzgeber dann wohl auch die Ausnahmefälle normieren, in denen – z.B. wegen Marktenge oder Manipulation – der Börsenkurs ausnahmsweise nicht maßgebend sein kann. Ob sich außerhalb dieses Bereichs eine Normierung bestimmter Bewertungsmethoden empfiehlt, erscheint eher zweifelhaft, weil man auf diese Weise die rechtsgebundene Unternehmensbewertung vom Erkenntnisfortschritt der Bewertungslehre „abkoppeln“ würde.3 Vielmehr stellt sich umgekehrt die Frage, ob der Gesetzgeber das Prinzip der Methodenvielfalt gesetzlich verankern sollte, um die praktische Dominanz der IDW-Standards ganz bewusst zurückzudrängen. Insoweit wäre an eine Regelung nach dem Vorbild des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG zu denken, die Bewertungen nach jeder „anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr […] üblichen Methode“ zulässt. Ob sich ein vereinfachtes Ertragswertverfahren nach dem Vorbild der §§ 199 ff. BewG für zivilrechtliche Bewertungsanlässe empfiehlt, bedarf weiterer Überlegungen.4 Der Vereinfachungseffekt dürfte bei einem freiwillig anzuwendenden Bewertungsstandard eher gering sein, weil sich jeder Beteiligte eines Rechtsstreits fragen wird, ob die Bewertung nach einer anderen „anerkannten“ Methode für ihn günstiger ist. Gegen eine verbindliche Einführung eines vereinfachten Verfahrens sprechen aber die systematischen Verzerrungen, die mit starren Bewertungsvorgaben (z.B. festen Risikozuschlägen) zwangsläufig verbunden sind. Sinnvoller erscheint es, dass die gerichtliche Praxis selbst im Rahmen des ihr eingeräumten Schätzungsermessens und im fachlichen Austausch mit Wissenschaft und Praxis nach sachgerechten Bewertungsvereinfachungen sucht, die – im Sinne des oben vorgeschlagenen „Bandbreitenansatzes“ (vgl. Rz. 1.75 f.) – den Möglichkeiten, aber auch den Grenzen richterlicher Wertschätzungen Rechnung trägt.

1 Vgl. auch den Beschluss des 68. DJT 2008, Bd. II/1, N 104: „Für Abfindungen und entsprechende Bewertungen ist bei börsennotierten Gesellschaften im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen grundsätzlich auf einen durchschnittlichen Börsenkurs abzustellen.“ Aus dem Schrifttum etwa Tonner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1581 (1589 f.); Decher in FS Maier-Reimer, 2010, S. 57 (69 ff.); Stilz in FS Goette, 2012, S. 529 (543). 2 Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG schreibt die Verfassung keine bestimmte Bewertungsmethode vor, vgl. nur BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, AG 2011, 511; ebenso bereits Hüttemann, ZGR 2001, 454 (467 ff.). 3 Zutreffend Fleischer, AG 2014, 97 (110). 4 Dazu näher Lorenz, Unternehmensbewertung im Erbschaftsteuerrecht, 2015, S. 183 ff.

Hüttemann 41

§2 Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1

II. Erläuterung verwendeter Begriffe . .

2.4

III. Entwicklungshistorie der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . 2.6 1. Objektive Werttheorie . . . . . . . . . . . 2.7 2. Subjektive Werttheorie . . . . . . . . . . . 2.11 3. Funktionale Werttheorie . . . . . . . . . . 2.15 IV. Anlässe für Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16 V. Funktionale Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertungsfunktionen . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung der Funktionen . . . . b) Beratungsfunktion . . . . . . . . . . . . c) Vermittlungsfunktion . . . . . . . . . d) Argumentationsfunktion . . . . . . . e) Nebenfunktionen . . . . . . . . . . . . f) Funktionen gemäß IDW S 1 . . . .

2.19 2.20 2.20 2.21 2.23 2.25 2.27 2.28

2. Gesamtbewertung und Zukunftsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.30 3. Einzubeziehende Erfolgsgrößen und Zuflussprinzip . . . . . . . . . . . . . . 2.32 4. Sonstige Bewertungsgrundsätze gemäß IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.34 VI. Ausgewählte Bewertungsverfahren . 1. Einzelbewertungsverfahren . . . . . . . . a) Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . b) Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamtbewertungsverfahren . . . . . . . a) Ertragswertverfahren gemäß IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Discounted-Cashflow-Verfahren . c) Multiplikatorverfahren . . . . . . . . 3. Mischverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.37 2.38 2.38 2.40 2.44 2.44 2.48 2.51 2.53

VII. Ausblick: Unternehmensbewertung und Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . 2.55

Schrifttum: Althoff/Wirth, Nichtfinanzielle Berichterstattung und Prüfung im DAX 30 – Eine Analyse der Erstanwendung des CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetzes, WPg 2018, 1138; Ballwieser, Methoden der Unternehmensbewertung, in Gebhardt/Gerke/Steiner (Hrsg.), Handbuch des Finanzmanagements, 1993, S. 151; Ballwieser, Aktuelle Aspekte der Unternehmensbewertung, WPg 1995, 119; Ballwieser, Unternehmensbewertung mit Discounted Cash Flow-Verfahren, WPg 1998, 81; Ballwieser, Verbindungen von Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Verfahren, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 509; Ballwieser, Zur „Kunst“ der Verwendung von Bewertungszuschlägen und -abschlägen, CF 2018, 61; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung – Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl. 2016; Böcking, Goodwill Impairments im Spannungsfeld von Unternehmensbewertung und Rechnungslegung – Verbesserung der Entscheidungsnützlichkeit durch Corporate Governance Strukturen?, FS Ballwieser, 2014, S. 23; Böcking, Das Verbundberücksichtigungsprinzip als Grundsatz ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, FS Moxter, 1994, S. 1407; Böcking/Althoff, Konzernlagebericht: Änderungen von DRS 20 – Kein grundsätzlicher Anpassungsbedarf der Konzernlageberichterstattung durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz?, WPg 2017, 2; Böcking/Althoff, Paradigmenwechsel in der (Konzern-)Lageberichterstattung über nicht-monetäre Erfolgsfaktoren – Pre-Financial Performance Indicators als Vorstufe, nicht als Gegensatz von Financial Performance Indicators –, Der Konzern 2017, 246; Busse von Colbe, Gesamtwert der Unternehmung, in Kosiol (Hrsg.), Handwörterbuch des Rechnungswesens, 1970, Sp. 570; Busse von Colbe, Der Zukunftserfolg. Die Ermittlung des künftigen Unternehmungserfolges und seine Bedeutung für die Bewertung von Industrieunternehmen, 1957; Coenenberg/Schultze, Unternehmensbewertung: Konzeptionen und Perspektiven, DBW 2002, 597; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, 6. Aufl. 2018; Fleischer/Scheider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Franken/Schulte/ Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren für die Unternehmensbewertung: Unternehmens- und Branchenanalysen 2018/2019, 2018; Gerling, Unternehmensbewertung in den USA, 1985; Hering, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2006; Herzog, Der Substanzwert im Rahmen der Unternehmensbewertung. Ein Diskussionsbeitrag, DB 1962, 1615; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei

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Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.1 § 2

der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 1998, 563; Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), IDW FN 2008, 271; Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), 2018; Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW Positionspapier zu den Auswirkungen der digitalen Transformation auf Finanzberichterstattung und Unternehmensbewertung (Stand: 17.10.2017), 2017; Kolbe, Ermittlung von Gesamtwert und Geschäftswert der Unternehmung, 1959; Liebermann, Der Ertragswert der Unternehmung, 1923; Mackenstedt/Menze/Werner, Auswirkungen der Digitalisierung auf die Unternehmensbewertung, WPg 2018, 826; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997; Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 51; Matschke, Der Arbitrium- oder Schiedsspruchwert der Unternehmung – Zur Vermittlerfunktion eines unparteiischen Gutachters bei der Unternehmungsbewertung, BFuP 1971, 508; Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Band II: Der Arbitriumwert der Unternehmung, 1979; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung – Funktionen, Methoden, Grundsätze, 4. Aufl. 2013; Mellerowicz, Der Wert der Unternehmung als Ganzes, 1952; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966; Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 3. Aufl. 1970; Peemöller, Wert und Werttheorien, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1; Peemöller, Anlässe der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 17; Peemöller, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 31; Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung zur Abfindungsbemessung, ZfbF 2018, 47; Rauschenberg, Transparente Goodwill-Berichterstattung als Instrument der Corporate Governance, 2018; Schildbach, Kölner vs. phasenorientierte Funktionslehre der Unternehmensbewertung, BFuP 1993, 25; Schmalenbach, Die Werte von Anlagen und Unternehmungen in der Schätzungstechnik, ZfhF 1917/18, 1; Seppelfricke, Handbuch Aktienund Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2012; Sieben, Der Substanzwert der Unternehmung, 1963; Sieben, Funktionen der Bewertung ganzer Unternehmen und von Unternehmensteilen, WISU 1983, 539; Sieben/Löcherbach/Matschke, Bewertungstheorie, in Grochla/Wittmann (Hrsg.), Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 4. Aufl. 1974, Sp. 839; Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 759; Walb, Betrachtungen über Wertarten und stille Reserven im Zusammenhang mit der Frage der Bewertung von Unternehmungen und Unternehmungsanteilen sowie der Gesellschafterabfindung, ZfhF 1940, 1; Welfonder/Bensch, Status Quo der Unternehmensbewertungsverfahren in der Praxis, CF 2017, 175.

I. Einleitung Aus ökonomischer Perspektive besteht der Sinn und Zweck einer Unternehmensbewertung in der Ermittlung des Nutzens, den eine zu bewertende Einheit dem jeweiligen wirtschaftlichen Eigentümer zu stiften im Stande ist. Dieser Nutzen bemisst sich überwiegend an den monetären Mitteln, die aus dem Unternehmen „herausholbar“1 sind. Da das Herausholbare in erster Linie in den zukünftig erwirtschafteten Überschüssen besteht,2 werden regelmäßig zukunftsorientierte Bewertungsverfahren verwendet. Eine wesentliche Anforderung an eine ordnungsgemäße Bewertung besteht deshalb darin, die wirtschaftlichen Chancen und Risiken bezüglich der Erfolgspotentiale des Unternehmens möglichst vollständig in die Wertermittlung einzubeziehen. Dieser Anforderung muss der Bewertende durch geeignete Prognosever-

1 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 49. 2 Vgl. Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 29.

Böcking/Rauschenberg 43

2.1

§ 2 Rz. 2.1

Erster Teil: Einführung

fahren gerecht werden,1 obgleich zu betonen ist, dass durch die Zukunftsorientierung gewisse Ermessensentscheidungen der Beteiligten nicht zu vermeiden sind.

2.2 Gegenwärtig besteht in der betriebswirtschaftlichen Forschung weitgehend Konsens darüber, dass das Resultat einer Unternehmensbewertung abhängig vom jeweiligen Bewertungszweck ist. Besteht bspw. die Aufgabe in einer privaten Einschätzung eines subjektiven Unternehmenswertes, so kann sich das Resultat dieser Bewertung wesentlich von dem bei der Ermittlung eines objektivierten Wertes oder eines Vermittlungswertes zwischen zwei Verhandlungspartnern unterscheiden. Demnach gibt es keinen „schlechthin richtigen Unternehmenswert“,2 da der „richtige Unternehmenswert jeweils der zweckadäquate“3 ist. Diese Festlegung ist vor allem deshalb von Bedeutung, da ohne eine Identifikation des Bewertungszweckes keine sinnvollen und nachvollziehbaren Bewertungsannahmen verwendet werden können. Zudem beeinflusst die Festlegung auf einen spezifischen Bewertungszweck schon früh die in die Berechnung eingehenden Bewertungsparameter.

2.3 Nachdem im vorangegangenen § 1 dieses Handbuches eine überwiegend juristische Perspektive eingenommen wurde, verdeutlicht dieses Kapitel wesentliche Aspekte der Unternehmensbewertung aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Dafür werden zunächst grundlegende Begriffe erläutert und anschließend ein Überblick darüber verschafft, wie sich die verschiedenen Bewertungskonzeptionen im Laufe der Zeit entwickelten. Im Rahmen dessen wird sowohl auf die objektive als auch auf die subjektive und schließlich auf die funktionale Bewertungskonzeption eingegangen. Aufgrund der breiten Akzeptanz der Funktionsabhängigkeit der Unternehmensbewertung bauen die weiteren Ausführungen auf dieser Konzeption auf. Die abschließende Zusammenfassung ausgewählter Verfahren dient in erster Linie der Erläuterung ihrer betriebswirtschaftlichen Bewertungsfunktion. Der Einfluss der Digitalisierung auf die Unternehmensbewertung wird im Ausblick behandelt, da letztlich alle Bereiche direkt oder indirekt davon betroffen sind.

II. Erläuterung verwendeter Begriffe 2.4 Grundsätzlich wird unter einem Bewertungsvorgang die Zuordnung eines regelmäßig monetären Wertes zu einem Bewertungsobjekt aus der Sicht eines Bewertungssubjektes verstanden.4 Das Bewertungssubjekt ist demnach diejenige natürliche oder juristische Person, aus deren Perspektive die Bewertung vorgenommen wird. Sofern der Bewertungsanlass in einem angestrebten Unternehmenserwerb besteht, stellen die potentiellen Käufer und Verkäufer die Bewertungssubjekte dar.5 Als Bewertungsobjekt gilt dasjenige Unternehmen oder derjenige abgrenzbare Unternehmensteil, der einer Bewertung unterzogen wird. Die Abgrenzung des Bewertungsobjektes erfolgt stets aus wirtschaftlicher Perspektive, weshalb es nicht zwingend erforderlich ist, dass es sich bei diesem um eine rechtliche Einheit handelt.6 So können bspw. einzelne Unternehmenssegmente oder Betriebsstätten einer Bewertung unterzogen werden. Bei der die Bewertung vornehmenden Person kann es sich sowohl um das Bewertungssubjekt selbst als auch um eine außenstehende Person handeln. Vom nach betriebswirtschaftlichen 1 2 3 4 5

Vgl. Peemöller, Wert und Werttheorien, S. 3. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 6. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 6. Vgl. Sieben/Löcherbach/Matschke, Bewertungstheorie, Sp. 840. Für kapitalmarktorientierte Unternehmen stellen Unternehmenserwerbe den häufigsten Anlass für Unternehmensbewertungen dar. Vgl. Welfonder/Bensch, CF 2017, 175 (179). 6 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 6.

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Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.8 § 2

Grundsätzen ermittelten Unternehmenswert ist der Transaktionspreis abzugrenzen. Während sich der Wert eines Unternehmens aus dessen nicht für Dritte erkennbarer Nutzenstiftung ergibt, stellt der realisierte Preis das beobachtbare Ergebnis einer Transaktion zwischen Marktteilnehmern dar.1 Eine grundsätzliche Unterscheidung der Bewertungsverfahren besteht zwischen den verschiedenen Formen der Gesamtbewertung und der Einzelbewertung. Die Gegenstände der Einzelbewertungsverfahren sind die einzelnen dem Unternehmen zurechenbaren Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten. Im Gegensatz dazu wird im Rahmen der Gesamtbewertungsverfahren auf den Wert eines Unternehmens als Gesamtheit abgestellt. Die Gesamtbewertung erfolgt regelmäßig anhand der zukünftig durch die Unternehmenseinheit generierten Zahlungsmittelüberschüsse, während im Rahmen der Einzelbewertung historische oder gegenwärtige Marktpreise herangezogen werden.

2.5

III. Entwicklungshistorie der Unternehmensbewertung Die Unternehmensbewertung unterliegt in Theorie und Praxis seit jeher einem stetigen Wandel. Während zunächst überwiegend die objektive Unternehmensbewertungstheorie die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion dominierte, verlagerte sich die herrschende Meinung zunehmend dahingehend, dass auch der subjektive Charakter des Unternehmenswertes herausgestellt wurde. Beide Konzepte wurden in die sog. Funktionslehre der Unternehmensbewertung integriert, gemäß der das Resultat einer Unternehmensbewertung maßgeblich vom Bewertungszweck abhängig ist. Nachfolgend sollen die prägenden Bewertungsverfahren sowie die zugrunde gelegten Annahmen und die Entwicklungsschritte der verschiedenen Konzeptionen dargelegt werden.

2.6

1. Objektive Werttheorie Die objektive Unternehmensbewertungstheorie dominierte die im betriebswirtschaftlichen 2.7 Schrifttum vertretene Meinung bis zu Beginn der 1960er Jahre.2 Im Kern besteht die Zielsetzung in der Ermittlung desjenigen (Markt-) Wertes eines Unternehmens, der unabhängig von den an der Bewertung beteiligten Akteuren den „objektiven Nutzen des Betriebes“3 abbildet. So wurde der Konzeption die (heute widerlegte) Auffassung zugrunde gelegt, der Unternehmenswert sei eine intersubjektiv feststellbare Eigenschaft.4 Folglich messe jeder informierte und rational agierende Marktteilnehmer dem Bewertungsobjekt denselben monetären Wert bei.5 Im Rahmen der objektiven Unternehmensbewertungskonzeption werden möglichst intersubjektiv feststellbare Wertkomponenten herangezogen. Demzufolge bietet sich die Bestimmung des Unternehmenswertes anhand der Summe der einzeln bewertbaren Vermögensgegenstände 1 Vgl. Ballwieser, CF 2018, 61. 2 Für eine Zusammenfassung der zu diesem Zeitpunkt vertretenen Positionen s. Gerling, Unternehmensbewertung in den USA, S. 6-9. Zu den Vertretern dieser Auffassung s. die Nennungen in Münstermann, Wert und Bewertung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 20-28 sowie Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 14. 3 Mellerowicz, Der Wert der Unternehmung als Ganzes, S. 12 f. 4 Vgl. Peemöller, Wert und Werttheorien, S. 4. 5 Zur Begründung dieser Auffassung s. bspw. Herzog, DB 1962, 1615 und Kolbe, Ermittlung von Gesamtwert und Geschäftswert der Unternehmung, S. 26.

Böcking/Rauschenberg 45

2.8

§ 2 Rz. 2.8

Erster Teil: Einführung

abzgl. der Schulden an. Da sich die Einzelbewertungsverfahren historischer oder gegenwärtiger Preise bedienen, ergeben sich zwar objektiv nachvollziehbare Werte, jedoch resultiert daraus ein deutlicher Vergangenheitsbezug dieser Bewertungskonzeption. Werden im Rahmen der Ermittlung eines objektiven Wertes auch die Zukunftserfolge als Wertkomponente einbezogen, wird die gegenwärtige Ertragskraft überwiegend als Differenz zwischen Ertrag und Aufwand der Folgeperioden definiert, wobei von der unveränderten Weiterführung des gegenwärtigen Geschäftsmodells und marktüblichen Diskontierungssätzen auszugehen ist.1

2.9 Mithilfe der objektiven Bewertungskonzeption kann nicht überzeugend begründet werden, weshalb verschiedene Marktteilnehmer auch bei gleichen Bewertungsverfahren zu unterschiedlichen Wertvorstellungen gelangen. Von den Vertretern der objektiven Bewertungstheorie wurde lediglich argumentiert, die Bewertenden seien entweder aufgrund unterschiedlicher Methoden oder mangelnder Beobachtbarkeit der Unternehmenseigenschaften zu differierenden Ergebnissen gelangt bzw. hätten zwar identische Ergebnisse erlangt, würden diese jedoch aus strategischen oder persönlichen Gründen nicht in selbiger Form kommunizieren.2 Als zentrales Problem einer objektiven Bewertung erweist sich zudem, dass die Herangehensweise keine entscheidungsnützlichen Informationen liefern kann, da kein Subjektbezug besteht. Aus diesem Grund ist ein objektiver Unternehmenswert auch nicht in der Lage, zwischen Käufer und Verkäufer zu vermitteln, da für beide Seiten die jeweiligen subjektiven Wertvorstellungen entscheidend sind.3

2.10 Aufgrund der grundlegenden Defizite der objektiven Bewertungstheorie spielt diese in Schrifttum, Rechtsprechung und Bewertungspraxis keine Rolle mehr. Vom objektiven Unternehmenswert ist jedoch der objektivierte Unternehmenswert i.S.d. berufsständischen Bewertungsstandards IDW S 1 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland zu unterscheiden, der von herausragender Bedeutung für Rechtsprechung und Praxis ist. Der objektivierte Unternehmenswert stellt in diesem Sinne einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert dar, den ein typisierter Eigentümer bzw. Erwerber durch das Bewertungsobjekt generieren kann. 2. Subjektive Werttheorie

2.11 Zwar wurde die Subjektivität von Unternehmenswerten schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts4 verbreitet anerkannt, doch gewann die Konzeption der subjektiven Unternehmensbewertung erst in den 1960er Jahren zunehmend an Bedeutung.5 Ausgangspunkt waren die „völlig unrealistischen Annahmen“6 der objektiven Bewertungstheorie sowie die zuvor vorherrschende Auffassung, man könne die Subjektivität bei der Bewertung vernachlässigen. Die Vertreter der subjektiven Bewertungstheorie stellten hingegen darauf ab, dass ein Unternehmenswert stets von den Absichten und Planungen des Bewertungssubjektes sowie dessen individuellen Ressourcen und Restriktionen determiniert wird. Entsprechend ergibt sich 1 2 3 4

Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 14. Vgl. Peemöller, Wert und Werttheorien, S. 4 f. Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 16. Vgl. Liebermann, Der Ertragswert der Unternehmung, S. 36; Schmalenbach, Werte von Unternehmungen, ZfhF 1917/18, 1 (4). 5 Wesentlichen Anteil daran hatten u.a. die folgenden Veröffentlichungen: Busse von Colbe, Der Zukunftserfolg, 1957; Sieben, Der Substanzwert der Unternehmung, 1963; Münstermann, Wert und Bewertung, 1966. 6 Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung,1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 23.

46

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.15 § 2

aus der Perspektive eines jeden Bewertungssubjektes ein individueller Unternehmenswert. Bei sich anbahnenden Unternehmenserwerben werden die maximale Zahlungsbereitschaft des potentiellen Käufers und die vom Verkäufer mindestens geforderte Entschädigung als Grenzpreise bezeichnet. Der Grenzpreis des potentiellen Käufers entspricht dem Nutzen, den das Bewertungsobjekt zukünftig mindestens erbringen muss, ohne dass sich dieser durch die Transaktion schlechter stellt. Liegt der Grenzpreis des Käufers über dem des Verkäufers, so ergibt sich ein Verhandlungsraum, innerhalb dessen ein Transaktionspreis gefunden werden kann, der einen ökonomischen Mehrwert erzeugt. Die subjektive Unternehmensbewertung basiert u.a. auf den Prinzipien der Gesamtbewertung und des Zukunftsbezugs.1 Die Bewertung eines Unternehmens als Ganzes, im Gegensatz zur Einzelbewertung aller Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, ist erforderlich, weil in der Praxis unterschiedliche ökonomische Vorteile und spezifische Eigenschaften eines Unternehmens wie Geschäftsmodell, Innovationskraft, Markenimage oder Know-how die Werthaltigkeit wesentlich mitbestimmen, jedoch nicht unmittelbar einer eigenständigen Bewertung unterzogen werden können. Dies erscheint insbesondere aufgrund der stetig steigenden Bedeutung immaterieller Werttreiber zwingend erforderlich, um realistische Unternehmenswerte zu ermitteln.

2.12

Münstermann begründete die bei Unternehmensbewertungen notwendige Einbeziehung von 2.13 Zukunftserfolgsgrößen folgendermaßen: „Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts.“2 Durch die darin zum Ausdruck kommende Fokussierung auf die voraussichtlich in Folgeperioden erwirtschafteten Zahlungsmittelüberschüsse finden also auch solche Faktoren Einzug in die Bewertung des Unternehmens als Gesamtheit, die nicht Gegenstand einer Einzelbewertung sein können. Speziell die Einbeziehung der zukünftigen Synergien zwischen dem potentiellen Erwerber und dem Bewertungsobjekt stellt ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal zu der objektiven Bewertungskonzeption dar.3 Eine Einzelbewertung kann daher lediglich als Korrekturgröße oder zur Plausibilitätsbeurteilung der Bewertungsergebnisse dienen. Mithilfe der subjektiven Bewertungskonzeption konnte eine überzeugende Erklärung dafür geliefert werden, dass verschiedene Bewertungssubjekte auch bei gleichen Annahmen bezüglich des Status Quo und denselben Bewertungsverfahren unterschiedliche Ergebnisse für den Unternehmenswert erlangen. Rein subjektive Bewertungskonzepte gelangen jedoch dann an ihre Grenzen, wenn der Bewertungszweck eine objektivierte Vorgehensweise erfordert.4

2.14

3. Funktionale Werttheorie Die Funktionslehre basiert auf den Prinzipien der Subjektivität, der Gesamtbewertung, des Zukunftsbezuges und der Zweckabhängigkeit.5 Folglich ist es möglich, dass unterschiedliche Bewertungszwecke verschiedene Unternehmenswerte begründen. Prägend für die Entwicklung dieses Ansatzes war u.a. Moxter, der die Zweckabhängigkeit von Bewertungen schon früh

1 2 3 4

Vgl. Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 18. Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 21. Zur Einbeziehung von Synergien s. Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407-1434. Vgl. u.a. Gerling, Unternehmensbewertung in den USA, S. 11; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 21. 5 Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 23 f.

Böcking/Rauschenberg 47

2.15

§ 2 Rz. 2.15

Erster Teil: Einführung

herausstellte.1 Der funktionalen Unternehmensbewertung liegt außerdem die Erkenntnis zugrunde, dass sowohl subjektive als auch objektivierte Werte zweckadäquat sein können.2 So sind immer dann rein subjektive Unternehmenswerte maßgeblich, wenn der jeweilige Bewertungsanlass den Rückgriff auf die individuellen Verhältnisse der Bewertungssubjekte erfordert. Besteht hingegen nicht die Möglichkeit, solche subjektiven Werte zu bestimmen oder ist dies in einem bestimmten Sachverhalt untersagt, tritt an die Stelle des Subjektivitätsprinzips das Prinzip der Typisierung, wodurch mithilfe von anderweitig beobachtbaren Werten individuelle Verhältnisse fingiert werden.3

IV. Anlässe für Unternehmensbewertungen 2.16 Für die vielfältigen Bewertungsanlässe werden im Schrifttum unterschiedliche Kategorisierungen vorgeschlagen.4 Ein gebräuchliches Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass die Bewertung entweder aufgrund rechtlicher Vorgaben zwingend durchzuführen ist, eine (bevorstehende) privatrechtliche Vereinbarung dies erfordert oder ein sonstiger Grund diese veranlasst (zu den Bewertungsanlässen Hüttemann, Rz. 1.9 ff.).5 Die häufigsten Anlässe für die Bewertung von Unternehmen in der Praxis sind Unternehmenserwerbe, eigene Aktienbewertungen, steuerliche Anforderungen und Verschmelzungen.6

2.17 Von Rechts wegen vorzunehmende Bewertungen finden überwiegend aufgrund zu leistender Abfindungszahlungen an ausscheidende Gesellschafter (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB) bzw. Anteilseigner statt (dazu Fleischer, § 24).7 Eine aktienrechtliche Regelung ist bspw. das sog. Squeeze-out-Verfahren nach §§ 327a–327f AktG, gemäß dem Minderheitsaktionären bei erzwungenem Ausscheiden eine angemessene Abfindung zusteht. In ähnlicher Form sieht das Aktienrecht vor, dass bei Abschluss von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen nach § 305 AktG den nicht dominierenden Aktionären eine Abfindung in Aktien des erwerbenden Unternehmens oder in Form einer Barabfindung anzubieten ist (zur Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht Adolff/Häller, § 21).8

2.18 Bewertungen, die aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen erforderlich werden, erfolgen in der Regel im Rahmen von Unternehmenserwerben oder bei freiwilligem Eintritt oder Austritt von Gesellschaftern. Anlässe, die weder gesetzlich vorgeschrieben noch auf Änderungen der Eigentumsstruktur des Unternehmens bezogen sind, können u.a. bei der Beurteilung der 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 26. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 42. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 26. Für eine Darstellung möglicher Kategorisierungen s. Peemöller, Anlässe der Unternehmensbewertung, S. 19. Vgl. Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 4. Untersucht wurden kapitalmarktorientierte Unternehmen. Vgl. Welfonder/Bensch, CF 2017, 175 (179). Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 3-8; Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 476 f. Weitere Anwendungsfälle sind bspw. die Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss (§ 320b Abs. 1 Satz 3 AktG), Übernahmeangebote (§ 31 Abs. 2 und 3, § 39a WpÜG; zur Unternehmensbewertung im Übernahmerecht Winner, § 23) sowie die Gründung einer SE (§ 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 Satz 1 SEAG). Darüber hinaus schreibt das Umwandlungsrecht in diversen Fällen (Verschmelzung [§§ 29 und 36 UmwG], Aufspaltung [§ 125 UmwG], Vermögensübertragung [§ 174 UmwG]) Bewertungen vor (zur Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht Bungert, § 22).

48

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.20 § 2

Kreditwürdigkeit durch Banken oder Rating-Agenturen vorliegen. Darüber hinaus nutzen Unternehmen verschiedene Formen von Bewertungsverfahren zur wertorientierten Steuerung.1

V. Funktionale Unternehmensbewertung Die primäre Quelle der Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung ist die Betriebswirtschaftslehre. Dieser Abschnitt erläutert die wesentlichen Bewertungsfunktionen unter Berücksichtigung der wegweisenden Veröffentlichungen u.a. Moxters und Matschkes sowie des gegenwärtigen Forschungsstandes. Ergänzend werden wesentliche Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung und die berufsständischen Grundsätze des IDW vorgestellt.

2.19

1. Bewertungsfunktionen a) Abgrenzung der Funktionen In Abhängigkeit vom Bewertungsanlass entscheidet die jeweilige Bewertungsfunktion über 2.20 die zu verwendenden Verfahren und die einzubeziehenden Inputfaktoren.2 Die Funktionen der Unternehmensbewertung werden dabei regelmäßig in Haupt- und Nebenfunktionen gegliedert.3 Besteht der Bewertungsanlass in einer bevorstehenden oder bereits abgeschlossenen Veränderung der Eigentümerstruktur eines Unternehmens, wird gemeinhin von einer Hauptfunktion, andernfalls von einer Nebenfunktion, ausgegangen.4 Die Hauptfunktionen bestehen in der Beratungs-, Vermittlungs- und Argumentationsfunktion. Während die Abgrenzung zwischen diesen Funktionen in der betriebswirtschaftlichen Forschung weitgehend anerkannt ist, existiert eine Vielzahl unterschiedlich definierter Nebenfunktionen. Mitunter werden auch sonstige Abgrenzungen der Bewertungsfunktionen vorgenommen. An dieser Stelle sei lediglich auf die Kategorisierung von Coenenberg/Schultze verwiesen, die als Hauptfunktionen zunächst die gutachterliche und die beratungsorientierte Bewertung unterscheiden und als sekundäre Funktionen die relative Bewertung am Kapitalmarkt, die Bewertung für wertorientiertes Controlling und die Ermittlung von beizulegenden Zeitwerten zu Berichtszwecken ergänzen.5 1 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 3-8; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 1; Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 8-11; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 4. 2 Vgl. u.a. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 22. 3 Diese Differenzierung wurde auch durch Sieben geprägt. Vgl. Sieben, WISU 1983, 539. Zwar unterscheidet Moxter nicht zwischen diesen Haupt- und Nebenfunktionen, jedoch kann dessen Abgrenzung zwischen Grenz- und Schiedspreisen auf die Funktionen der Entscheidungsvorbereitung bzw. Beratung und der Vermittlung übertragen werden. Die Argumentationsfunktion spielt bei Moxter eine untergeordnete Rolle. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 9-22. 4 Vgl. u.a. Sieben, WISU 1983, 539. Eine Veränderung der Eigentumsstrukturen erfolgt u.a. bei Kauf oder Verkauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen, Entschädigung von Anteilseignern, Aktienemission, Kapitalerhöhung oder Gesellschaftereinlage. 5 Die Funktion der gutachterlichen Bewertung umfasst die Vermittlungsfunktion sowie die vom IDW ausgeführte Funktion des neutralen Gutachters. Die beratungsorientierte Bewertung umfasst sowohl die Beratungs- als auch die Argumentationsfunktion. Vgl. Coenenberg/Schultze, DBW 2002, 597 (599 f.).

Böcking/Rauschenberg 49

§ 2 Rz. 2.21

Erster Teil: Einführung

b) Beratungsfunktion

2.21 In der Bewertungspraxis nimmt die Beratungsfunktion die zentrale Stellung ein.1 Das Ziel besteht in der Ermittlung subjektiver Grenzpreise im Rahmen der Entscheidungsvorbereitung.2 Die Grenzpreise spiegeln die maximale Zahlungsbereitschaft eines potentiellen Erwerbers bzw. den mindestens zu erzielenden Transaktionspreis aus Sicht des Verkäufers wider. Es handelt sich folglich um geheim zu haltende Bewertungsergebnisse, die sowohl die individuellen Planungen und Eigenschaften als auch die Ressourcen und Restriktionen der Bewertungssubjekte berücksichtigen.3 Als wesentliche Voraussetzung für das Zustandekommen einer Transaktion gilt grundsätzlich, dass der Grenzpreis des Käufers nicht unter dem des Verkäufers liegen darf. Liegt der Käufergrenzpreis über dem Verkäufergrenzpreis, besteht ein Verhandlungsraum in Höhe des Differenzbetrages. Die Parteien sind entsprechend bemüht, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen, das nah am Grenzpreis der Gegenseite und entsprechend weit entfernt vom eigenen Grenzpreis liegt.

2.22 In der Bewertungstheorie wird zur Komplexitätsreduktion grundsätzlich ausschließlich auf den monetären Nutzen in Form der Zahlungsmittelüberschüsse eines Bewertungsobjekts abgestellt. In der Bewertungspraxis spielen jedoch auch weitere Faktoren wie bspw. die Form der Gegenleistung eine wesentliche Rolle, also die Frage, ob der Kaufpreis in eigenen (ggf. im Rahmen einer Kapitalerhöhung generierten) Aktien oder (ggf. kreditfinanziert) bar entrichtet wird. Zusätzliche Komponenten wie dem Käufer gewährte Kreditlinien, Kooperationsvereinbarungen, Beschäftigungsgarantien oder dem Verkäufer auferlegte Konkurrenzverbote werden häufig bei der Ermittlung der Grenzpreise nicht explizit einbezogen, weil deren Einfluss auf den Zukunftserfolg des Bewertungsobjektes weniger genau zu bestimmen ist. Schließlich beeinflussen regelmäßig auch persönliche Motive der Entscheidungsträger die Grenzpreise der Parteien. c) Vermittlungsfunktion

2.23 Als zweite Hauptfunktion der Unternehmensbewertung gilt die Vermittlungsfunktion. Im Rahmen dieser hat der Bewertende die Aufgabe, einen „fairen“ Vermittlungswert (auch Schiedsspruchwert oder Arbitriumwert) für eine Transaktion zu bestimmen, indem er zwischen den Verhandlungspartnern moderiert.4 Dies ist dann notwendig, wenn ohne eine solche Vermittlung durch einen Außenstehenden keine Einigung zu erzielen wäre. Grundsätzlich ergibt sich aus diesem Prozess kein bindender Transaktionspreis, jedoch besteht die Möglichkeit, dass die Verhandlungspartner bereits im Vorfeld vereinbaren, sich dem Schiedsspruch zu beugen. Zur Bestimmung des Vermittlungswertes ist es erforderlich, dass der Vermittler die Grenzpreise der Beteiligten (zumindest näherungsweise) kennt, um den Verhandlungsbereich abstecken zu können. Der Vermittlungswert ist kein objektiver oder objektivierter Wert, der auch für andere Bewertungssubjekte angemessen wäre, da er ausschließlich auf die Interessen der Beteiligten gerichtet ist.5 Für die Findung eines Vermittlungswertes ist es not1 Vgl. Hering, Unternehmensbewertung, S. 5. 2 Entsprechend werden die Begriffe Beratungsfunktion, Entscheidungsfunktion und Entscheidungsvorbereitungsfunktion weitgehend synonym verwendet. 3 Zu einer frühen Definition des Grenzpreises im Zusammenhang mit der Bewertung von Unternehmen s. Busse von Colbe, Gesamtwert der Unternehmung, Sp. 571. 4 Zu einer frühen Definition des Schiedsspruchwertes im Rahmen der Unternehmensbewertung s. Matschke, BFuP 1971, 508. Für eine ausführliche Darstellung des Anwendungsbereichs von Schiedsspruchwerten s. Matschke, Der Arbitriumwert der Unternehmung, S. 18 f. 5 Vgl. Matschke, Der Arbitriumwert der Unternehmung, S. 20 ff.

50

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.26 § 2

wendig, dass der Grenzpreis des potentiellen Käufers über dem des Verkäufers liegt, da andernfalls die Transaktion insgesamt nicht vorteilhaft sein kann. Gemäß dem bereits von Moxter vertretenen betriebswirtschaftlichen Prinzip der Abfindung zum „fairen Einigungspreis“ soll bei Ausscheiden eines Gesellschafters ein Vermittlungswert bestimmt werden, der auch die Grenzpreise der weiteren Gesellschafter bei Unternehmensfortführung berücksichtigt, sodass alle subjektiven Nutzenpotentiale des Bewertungsobjektes ausgewogen in die Wertermittlung einbezogen werden.1 Bei einer Vielzahl vorhandener Minderheitsgesellschafter muss jedoch in Abkehr vom strengen Subjektivitätsprinzip aus Praktikabilitätserwägungen eine Typisierung erfolgen.2 Bei der Abfindung von Personengesellschaftern steht diesem Prinzip zunächst der Wortlaut des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entgegen, der verlangt, dass bei Ausscheiden eines Gesellschafters der Abfindungsbetrag daran zu bemessen ist, was der Gesellschafter im Fall einer Liquidation zum Zeitpunkt des Ausscheidens erhalten hätte (zur Liquidationshypothese Hüttemann, Rz. 1.26). Entgegen dieses Wortlautes wurde in der Rechtsprechung stets die Ermittlung des „wirklichen Wertes“ des „lebenden Unternehmens“ verlangt, welche jedoch unabhängig von den subjektiven Grenzpreisen der einzelnen Gesellschafter zu erfolgen hat und nicht auf einen fairen Vermittlungswert im Sinne Moxters, sondern auf einen objektivierten Wert abzielt.3 Ob das aktienrechtliche Gebot der Abfindung in angemessener Höhe eine von Personengesellschaften abweichende Wertermittlung rechtfertigt, ist umstritten.4 So kann insbesondere aus dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzesbegründung nicht geschlossen werden, dass subjektive Grenzpreise und Verbundeffekte nicht in die Wertermittlung einbezogen werden sollen.5 Während aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Einbeziehung der Subjektivität geboten erscheint, ist unter Juristen weiter umstritten, ob und ggf. inwieweit subjektive Grenzpreise in eine fiktive Verhandlungslösung einzubeziehen sind (dazu Hüttemann, Rz. 1.28 m.w.N.).

2.24

d) Argumentationsfunktion Im Rahmen der Argumentationsfunktion besteht die Zielsetzung in der Ermittlung eines 2.25 Unternehmenswertes, der einer bestimmten Verhandlungsseite bei Kaufpreisverhandlungen dient. Solche Argumentationswerte liegen möglichst nah am Grenzpreis der Gegenpartei und sollen die eigene Verhandlungsposition stärken.6 So werden subjektive Unternehmenswerte ermittelt, die zwar glaubhaft, aber auch so flexibel sind, dass sie die Möglichkeit zu Zugeständnissen während den Verhandlungen einräumen.7 Hierfür kann es außerdem sinnvoll sein, sowohl das Bewertungsverfahren als auch die verwendeten Inputparameter offenzulegen. Die Beeinflussung des Bewertungsergebnisses kann bspw. durch die Wahl eines geeigneten Bewertungsmodells unterstützt werden. Falls sich hingegen bereits auf ein Verfahren geeinigt wurde, bietet sich im Rahmen der Argumentationsfunktion lediglich die Möglichkeit, die

1 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 34 f. 2 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, ZfbF 2018, 47 (60). 3 Vgl. Hüttemann, CF 2016, 467-470; Hüttemann, ZHR 1998, 563 (576 f.); Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 69. 4 Vgl. Hüttemann, ZHR 1998, 563 (578-580). 5 Vgl. Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1417 (1420). 6 Vgl. Gerling, Unternehmensbewertung in den USA, S. 21. 7 Vgl. Sieben, WISU 1983, 539 (542).

Böcking/Rauschenberg 51

2.26

§ 2 Rz. 2.26

Erster Teil: Einführung

Unsicherheit bezüglich der verwendeten Bewertungsparameter argumentativ im eigenen Sinne auszulegen, u.a. bei der Prognose der Umsatzentwicklung und des verwendeten Diskontierungssatzes. Ermessensbehaftete Beurteilungen erfolgen zudem bezüglich potentieller Synergieeffekte, der konjunkturellen Entwicklung oder des Vorhandenseins von Investitionserfordernissen und außerbilanziellen Verpflichtungen.1 Hingegen ist die Verwendung offenkundig falscher Annahmen oder die Nichtberücksichtigung von Risiken unzulässig, da dies einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung darstellen würde. e) Nebenfunktionen

2.27 Die Nebenfunktionen der Unternehmensbewertung sind vielfältig und lassen sich nicht abschließend auflisten, wobei regelmäßig die Bewertungszwecke der Steuerbemessung und der externen Rechnungslegung herausgestellt werden. In beiden Fällen besteht die Zielsetzung in der Ermittlung eines objektivierten Wertes, der auf einer stark typisierten Bemessungsgrundlage beruht. So verlangt bspw. § 12 ErbStG die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften und inländischem Betriebsvermögen gemäß § 151 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG zum gemeinen Wert. Dieser kann in Ermangelung beobachtbarer Preise durch ein anerkanntes Bewertungsverfahren (etwa IDW S 1) oder durch das vereinfachte Ertragswertverfahren gemäß §§ 199-203 BewG ermittelt werden. Der so berechnete Wert entspricht dem mit 13,75 multiplizierten bereinigten Durchschnittsertrag der letzten drei Jahre. Auch im Rahmen der externen Rechnungslegung verlangen bspw. Anteilsbewertungen im Handelsrecht oder der mindestens jährlich vorzunehmende Werthaltigkeitstest des Geschäfts- oder Firmenwertes gemäß International Accounting Standard (IAS) 362 die Bewertung von Unternehmen oder Unternehmensteilen (s. zur Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht ausführlich Leverkus, § 28 und Kohl, § 29). Die Bedeutung der Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung für das Bilanzrecht zeigt sich zudem in der anhaltenden Diskussion um eine Neufassung des IAS 36 bzw. IFRS 3.3 Weitere in der Literatur herausgestellte Nebenfunktionen der Unternehmensbewertung sind u.a. die Vertragsgestaltungsfunktion und die wertorientierte Unternehmenssteuerung.4 f) Funktionen gemäß IDW S 1

2.28 Bei der Würdigung des IDW S 1 ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich um einen berufsständischen Standard handelt. Begründet mit der Sonderstellung des Wirtschaftsprüfers umreißt der Standard die Funktionen der Unternehmensbewertung abweichend von der herrschenden Meinung.5 Während die Argumentationsfunktion aufgrund der angeblichen Unvereinbarkeit mit den berufsständischen Grundsätzen nicht angeführt wird, nimmt die Funktion des neutralen Gutachters, der die Beratungs- und Vermittlungsfunktion untergeordnet sind, die zentrale Stellung ein. Dementsprechend besteht die Aufgabe des Wirtschaftsprüfers zunächst darin, einen von den Parteien unabhängigen objektivierten Unternehmenswert zu

1 Vgl. Peemöller, Wert und Werttheorien, S. 10. 2 Vgl. hierzu ausführlich Rauschenberg, Transparente Goodwill-Berichterstattung, 2018, und Böcking, in FS Ballwieser, 2014, S. 23. 3 Vgl. u.a. Rauschenberg, Transparente Goodwill-Berichterstattung, 2018. 4 Vgl. Coenenberg/Schultze, DBW 2002, 597 (599 f.); Peemöller, Wert und Werttheorien, S. 13. 5 Vgl. Coenenberg/Schultze, DBW 2002, 597 (599).

52

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.30 § 2

ermitteln.1 Erst in einem zweiten Schritt kann der Wirtschaftsprüfer dem Mandanten zur Findung eines subjektiven Entscheidungswertes als Berater dienen, indem er die bei der Ermittlung des objektivierten Wertes erforderlichen Typisierungen durch die individuellen Eigenschaften des Auftraggebers und entsprechende Bewertungsannahmen ersetzt.2 Der objektivierte Unternehmenswert ist gemäß IDW S 1 ein intersubjektiv nachprüfbarer Zukunftserfolgswert aus Sicht der Anteilseigner. Dieser ergebe sich bei Fortführung der Einheit auf Basis des gegenwärtigen Geschäftsmodells und Zustands („wie es steht und liegt“) sowie unter Einbeziehung sämtlicher Chancen und Risiken.3 In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird die Konzeption des neutralen Gutachters gemäß IDW S 1 überwiegend abgelehnt. So wird bestritten, dass die Ermittlung eines Gutachterwertes eine separate Bewertungsfunktion darstelle. Vielmehr wird vertreten, dass die Findung eines fairen Wertes das Kernelement der Vermittlungsfunktion sei, bei der der Bewertende ebenfalls eine neutrale Stellung einzunehmen habe.4 Auch ist nicht ersichtlich, weshalb gemäß IDW S 1 zunächst stets ein objektivierter Wert ermittelt werden soll, selbst wenn die Bestimmung eines subjektiven Grenzpreises gefordert ist, da dem objektivierten Wert auch als Vergleichswert keine Entscheidungsnützlichkeit zukommt. Die Nichtberücksichtigung subjektiver Grenzpreise – bspw. zur Bestimmung angemessener Abfindungen von Gesellschaftern – verhindert zudem die notwendige Einbeziehung von Synergien, sodass tendenziell geringere Unternehmenswerte ermittelt werden.5 Eine Orientierung am objektivierten Wert verstößt demnach aufgrund der Missachtung des Verbundberücksichtigungsprinzips gegen die betriebswirtschaftlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung. Objektivierte Werte sollten deshalb aus ökonomischer Sicht nur dann herangezogen werden, wenn subjektive Grenzpreise nicht (mit angemessenem Aufwand) zu bestimmen sind.

2.29

2. Gesamtbewertung und Zukunftsbezug Sofern die Funktion der Unternehmensbewertung eine Ermittlung von Grenzpreisen erfor- 2.30 dert, erfolgt eine solche Bewertung auf Basis des subjektiven Nutzens, den das zu bewertende Objekt für das Bewertungssubjekt stiften kann. Dieser Nutzen ergibt sich im Regelfall aus den Zukunftserfolgen der Einheit. Daher hat die Bewertung zukunftsbezogen zu erfolgen und die mit Chancen und Risiken behafteten Cashflows der Folgeperioden einzubeziehen (zum Zukunftsbezogenheitsprinzip Böcking/Nowak, Rz. 4.7). 1 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 12; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 56; Peemöller, Wert und Werttheorien, S. 5 f.; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 8. 2 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 48. Die im WP-Handbuch genannten Beratungstätigkeiten sind das Bereitstellen von Know-how, das Sicherstellen eines nachvollziehbaren Bewertungskalküls sowie die Prüfung der Realisierbarkeit der subjektiven Wertvorstellungen. Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 23 f. 3 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 29. 4 Moxter sieht zudem eine schwerwiegende Verletzung des Neutralitätsprinzips aufgrund der Wahl der Perspektive der Anteilseigner; vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 28; Schildbach bemängelt konzeptionelle Unklarheiten und fehlende Neutralität; vgl. Schildbach, BFuP 1993, 25 (30-33). Ballwieser kritisiert ebenfalls die fehlende Neutralität und die Inkonsistenz von Methode und Funktion der Bewertung; vgl. Ballwieser, WPg 1995, 119 (126). Für eine Zusammenfassung der Kritik an der Konzeption s. auch Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 3-5 und Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 25-27. 5 Vgl. Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1417 (1419).

Böcking/Rauschenberg 53

§ 2 Rz. 2.31

Erster Teil: Einführung

2.31 Ebenso erfordert die ordnungsgemäße Bewertung eine Betrachtung des Unternehmens als Gesamtheit.1 Dies beinhaltet, dass alle Faktoren, die das Unternehmen befähigen, einen Nutzen im Sinne zukünftiger Überschüsse zu erzielen, Berücksichtigung in der Bewertung finden, und zwar unabhängig davon, ob sie einzeln verwertbar sind. Insofern gelingt es, durch eine Orientierung an Zukunftserträgen den Wert der Unternehmenseinheit zu ermitteln und auch kaum einzeln bewertbare immaterielle Vermögensgegenstände in den Unternehmenswert einzubeziehen. Da die Gesamtbewertungsverfahren jedoch auf der Prognose zukünftiger Zahlungsmittelüberschüsse basieren, werden die Resultate von subjektiven Einschätzungen und dem Ermessen der Beteiligten beeinflusst (zum Gesamtbewertungsprinzip Böcking/Nowak, Rz. 4.11).2 3. Einzubeziehende Erfolgsgrößen und Zuflussprinzip

2.32 Aufgrund der methodischen Fokussierung auf die zukünftige Nutzenstiftung eines Bewertungsobjektes drängt sich unmittelbar die Frage auf, wie ein solcher Nutzen zu bemessen ist. Zur Komplexitätsreduktion wird unterstellt, dieser entspreche dem Gegenwartswert der zu erwartenden monetären Überschüsse (zur Ermittlung des Zukunftsertrags Franken/Schulte, § 5 und zu Planung und Prognose Meyer, § 7). Jedoch fließen in der Bewertungspraxis auch nicht-monetäre Nutzenkomponenten wie eine emotionale Bindung an das Bewertungsobjekt, die soziale Verantwortung gegenüber den Beschäftigten3 und die Möglichkeit der Entscheidungsträger, auf die Geschäftsentwicklung Einfluss zu nehmen, in die subjektive Bewertung ein, was jedoch eine Herausforderung bei der Überführung in einen quantitativen Grenzpreis darstellt. Als Konsequenz bleiben nicht-monetäre Faktoren bei der Ermittlung von Grenzpreisen zunächst unberücksichtigt. Erst in einem zweiten Schritt kann der vorläufige Grenzpreis dahingehend angepasst werden, dass auch sonstige Faktoren Berücksichtigung finden.4

2.33 Der notwendige Zukunftsbezug einer ordnungsmäßigen Unternehmensbewertung erfordert die Festlegung darauf, welche monetären Erfolgsgrößen in die Bewertung einzubeziehen sind, da potentiell verschiedene Größen infrage kommen.5 So könnte bspw. der (bereinigte) Jahresüberschuss gemäß externem oder internem Rechnungswesen, der Steuerbilanzgewinn oder eine Cashflowgröße des Unternehmens herangezogen werden. Es hat sich jedoch als allgemein anerkannter Grundsatz der Unternehmensbewertung etabliert, als Erfolgsgröße diejenigen Cashflows einzubeziehen, die aus dem Unternehmen heraus in den Verfügungsbereich des Eigentümers fließen (Zuflussprinzip).6 Dies deckt sich mit der Auffassung Moxters, der ebenfalls das Herausholbare als wertdeterminierende Größe hervorhob.7

1 2 3 4 5

Vgl. Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 18. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 91-96. Vgl. zu nicht-monetären Erfolgsfaktoren Böcking/Althoff, Der Konzern, 246 ff. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 119 f. Für die zur Messung der Zukunftserträge grundsätzlich infrage kommenden Ertragsbegriffe s. Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 58-62. 6 Vgl. u.a. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 60 ff. 7 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 69.

54

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.36 § 2

4. Sonstige Bewertungsgrundsätze gemäß IDW S 1 Der IDW S 1 legt ausführlich die für Wirtschaftsprüfer geltenden Grundsätze der Unternehmensbewertung dar. So wird auch die Zweckabhängigkeit der Bewertung herausgestellt, die zunächst eine Festlegung der Rolle des Wirtschaftsprüfers erfordert.1 Sofern dieser lediglich als neutraler Gutachter auftritt, ist die Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes notwendig. Besteht die Aufgabe hingegen in der Beratung einer Verhandlungsseite, so muss ein subjektiver Grenzpreis abgeleitet vom objektivierten Wert bestimmt werden. Weiterhin fordert der IDW S 1 eine Gesamtbewertung ohne Beachtung der rechtlichen Abgrenzung. So wird die wirtschaftliche Betrachtungsweise ausdrücklich hervorgehoben.2 Darüber hinaus ist das Stichtagsprinzip zu berücksichtigen, das insbesondere dann von wesentlicher Bedeutung ist, wenn Bewertungen erst geraume Zeit nach dem Bewertungsstichtag erfolgen (zum Stichtagsprinzip Hüttemann/Meyer, § 14). So verlangt der IDW S 1 eine Bewertung ausschließlich auf Basis des zum Stichtag vorliegenden Kenntnisstandes sowie der zu diesem Zeitpunkt „in der Wurzel“ angelegten Entwicklungen (Wurzeltheorie des BGH).3

2.34

Auch die Trennung von betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen wird von IDW S 1 verlangt (zur Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens Hüttemann/Meinert, § 8). Die Bewertungsgrundsätze beziehen sich auf das betriebsnotwendige Vermögen. Gemäß der ökonomischen Begriffsdefinition des nicht betriebsnotwendigen Vermögens kann dieses veräußert werden, ohne dass die Wertschöpfung auf Basis des gegenwärtigen Geschäftsmodells beeinflusst würde. Folglich wäre das nicht betriebsnotwendige Vermögen zum Liquidationswert anzusetzen. Wird hingegen wie auch in IDW S 1 eine funktionale Definition verwendet, können auch aus dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zukünftig Cashflows generiert werden.4 Übersteigt der Liquidationswert den Barwert der Cashflows bei dessen Verbleib im Unternehmen, stellt eine Liquidation die vorteilhafteste Verwertung dar. In diesem Fall ist bei der Ermittlung des gesamten Unternehmenswertes der Liquidationswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zum Ertragswert des Unternehmens zu addieren. Weitere allgemeine Grundsätze der Unternehmensbewertung gemäß IDW S 1 bestehen in der Unbeachtlichkeit des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips und der Nachvollziehbarkeit der Bewertungsannahmen.5

2.35

Von der Rechtsprechung wird der berufsständische Standard IDW S 1 zwar nicht als einziges 2.36 anerkanntes Verfahren zur Bestimmung von Unternehmenswerten herangezogen, gleichwohl kommt dem dort dargelegten Ertragswertverfahren weiterhin eine herausgehobene Stellung zu, obwohl das Vorgehen aus bewertungstheoretischer Sicht diverse konzeptionelle Mängel aufweist. Insbesondere die Vorgehensweise zur Ermittlung subjektiver Unternehmenswerte, die angebliche Sonderrolle des Wirtschaftsprüfers sowie die Perspektive aus der die Bewertung vorgenommen wird, werden seit geraumer Zeit von Wirtschaftswissenschaftlern kritisiert. Zudem stellt die Nichtberücksichtigung von Verbundeffekten bei der Ermittlung eines objekti1 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 17. 2 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 18 f. 3 Siehe BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, DB 1973, 563; Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 54. Zur Kritik an der sog. „Wurzeltheorie“ vgl. Hüttemann, CF 2016, 472 f. 4 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 59. Folglich ist eine Abzinsung der Zahlungsmittelüberschüsse vorzunehmen, sodass es sich um einen Erfolgswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens handelt. Vgl. Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, S. 780. 5 Zu den Details dieser Prinzipien s. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 140 ff. und 145 ff.

Böcking/Rauschenberg 55

§ 2 Rz. 2.36

Erster Teil: Einführung

vierten Wertes einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung dar.1

VI. Ausgewählte Bewertungsverfahren 2.37 Wie bereits dargelegt, entscheidet die jeweilige Funktion der Bewertung anlassabhängig über das zu verwendende Bewertungsverfahren sowie die dabei einzubeziehenden Parameter und Annahmen. Nachfolgend werden die in der betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie bedeutsamen Bewertungsansätze überblickartig vorgestellt. Grundlegend hierfür ist die Unterscheidung zwischen Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren. Methodisch werden im Rahmen der Einzelbewertung insbesondere der Liquidationswert und der Substanzwert unterschieden. Die verschiedenen Verfahren der Gesamtbewertung stellen hingegen auf eine Bewertung der vom Unternehmen als Einheit zukünftig erwirtschafteten Zahlungsmittelüberschüsse ab und haben sich international in der Bewertungspraxis durchgesetzt. Insbesondere die Discounted-Cashflow-Verfahren (nachfolgend DCF-Verfahren) nehmen eine herausragende Stellung ein. Die DCF-Verfahren gliedern sich in drei Entity-Ansätze und ein EquityVerfahren. Neben den DCF-Verfahren werden in der Praxis auch weitere Methoden zur Abschätzung eines Unternehmenswertes verwendet. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Multiplikatorverfahren. Neben Gesamt- und Einzelbewertungsverfahren existieren Mischformen, die beide kombinieren. 1. Einzelbewertungsverfahren a) Liquidationswert

2.38 Intuitiv erscheint die Berechnung des Liquidationswertes nur dann notwendig, wenn tatsächlich von einer anstehenden Liquidation des Unternehmens oder von Unternehmensteilen auszugehen ist. Jedoch bestehen auch über den tatsächlichen Liquidationssachverhalt hinaus Anlässe zur Ermittlung eines hypothetischen Liquidationswertes. So ist dieser bei der Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens und ertragsschwacher Unternehmen von besonderer Bedeutung (zum Liquidationswert Fleischer, § 9 und zur Bewertung in der Unternehmenskrise Wieland-Blöse, § 31).2 Der Liquidationswert ergibt sich als Barwert3 der Zahlungsmittelüberschüsse, die den Anteilseignern bei einer Liquidation des Unternehmens zufließen würden.4 Bei Betrachtung einer sofortigen Liquidation ergeben sich die Mittelzuflüsse aus der Summe der Preise am Absatzmarkt der einzelveräußerbaren Vermögensgegenstände abzgl. der zu tilgenden Schulden. Diese sind zu dem Betrag anzusetzen, der für die sofortige Ablösung aufgebracht werden müsste. Als Basis der Berechnung dienen nicht nur die zu Buchwerten geführten Vermögensgegenstände, sondern auch solche, die aufgrund bilanzrechtlicher Vorgaben nicht (mehr) aktiviert sind.5 Von den Einzahlungen sind zudem sonstige Auszahlungen und weitere Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit der Liquidation zu subtrahieren. Bei der Ermittlung des Liquidationswertes ist es in der Regel erfor1 Vgl. Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1433 f. 2 Vgl. Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, S. 781. 3 Eine Abzinsung der Zahlungsmittelüberschüsse ist deshalb vorzunehmen, weil sich der Liquidationsprozess ggf. über mehrere Perioden erstreckt. Bei andauernden Liquidationsprozessen weist der Liquidationswert demnach Eigenschaften eines Erfolgswertes auf. Vgl. Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, S. 780. 4 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 141. 5 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 203.

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Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.39 § 2

derlich, auf Schätzungen zurückzugreifen, da die tatsächlich erzielbaren Zahlungsmittelüberschüsse erst ex post zu bestimmen sind. Bei solchen Schätzungen ist ebenfalls zu berücksichtigen, in welcher Art und Weise der Liquidationsvorgang ablaufen würde. Hierbei sind insbesondere die Intensität und die Geschwindigkeit der Zerschlagung von Bedeutung.1 Seit geraumer Zeit besteht in der betriebswirtschaftlichen Forschung Konsens dahingehend, dass der Liquidationswert die Wertuntergrenze eines Unternehmens darstellt, sofern eine Liquidation nicht rechtlich oder faktisch ausgeschlossen ist.2 Diesem Grundsatz liegt die Annahme zugrunde, dass ein ökonomisch rational handelnder Eigentümer ein Unternehmen liquidieren würde, sofern auf diese Weise ein höherer Ertrag als bei Weiterführung der Bewertungseinheit zu erzielen wäre. Die Festlegung auf den Liquidationswert als Untergrenze potentieller Unternehmenswerte ist gerade dann von wesentlicher Bedeutung, wenn ertragsschwache Unternehmen betrachtet werden, deren Fortführungswert bzw. Zukunftserfolgswert unter dem Liquidationswert liegt. Die Auffassung, dass der Liquidationswert grundsätzlich als Untergrenze des Unternehmenswertes anzusehen ist, wurde noch in den 1990er Jahren, auch in der Rechtsprechung, nahezu ausnahmslos vertreten.3 In jüngerer Vergangenheit wird hingegen einem im Vordringen befindlichen differenzierteren Ansatz gefolgt, nach dem der Liquidationswert nur bei einer tatsächlich absehbaren Liquidation als Wertuntergrenze anzusehen sei.4 Dass diese Auffassung jedoch aus betriebswirtschaftlicher Sicht verfehlt ist, wird anhand des Squeeze-out-Verfahrens nach §§ 327a–327f AktG besonders deutlich. Wird dieses bei einem ertragsschwachen Unternehmen angewendet, dessen Liquidationswert über dem Ertragswert liegt und erhält der ausscheidende Minderheitsaktionär lediglich eine Abfindung auf Basis des geringeren Ertragswertes, ist diese keinesfalls als angemessen zu beurteilen, da der Betroffene gezwungenermaßen unter der ökonomischen Fehlentscheidung des Mehrheitsaktionärs leidet, das Unternehmen nicht zu liquidieren. Da der Minderheitsaktionär diese Entscheidung nicht beeinflussen kann, widerspricht eine Abfindung unterhalb des Liquidationswertes in diesem Fall dem verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf volle Entschädigung (zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben Hüttemann, Rz. 1.29 sowie zum Liquidationswert als Wertuntergrenze Fleischer, Rz. 9.15 ff.).5

1 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 196 ff.; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 50. 2 Vgl. u.a. Ballwieser, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 151; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 203; Gerling, Unternehmensbewertung in den USA, S. 12; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 51; Münstermann, Wert und Bewertung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 102; Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, S. 781. Diese Auffassung vertritt auch das IDW. Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 140; Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 195. 3 Vgl. BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, AG 1995, 509-512; OLG Düsseldorf v. 22.1.1999 – 19 W 5/96 AktE, AG 1999, 321-325. Auch entschied der BGH im Jahr 2006, dass eine deutliche Unterschreitung des Liquidationswertes bei der Bewertung nicht infrage komme. Ob der Liquidationswert grundsätzlich die Wertuntergrenze darstellt, wurde hingegen offengelassen. Vgl. BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425 m.w.N. 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (992). Für eine ausführliche Darstellung des Meinungsstands in Rechtsprechung und Rechtslehre s. Fleischer, Rz. 9.15 ff. sowie Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 ff. 5 Vgl. hierzu BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, DB 2016, 883 = AG 2016, 359 sowie Hüttemann, CF 2016, 468-470.

Böcking/Rauschenberg 57

2.39

§ 2 Rz. 2.40

Erster Teil: Einführung

b) Substanzwert

2.40 Im Schrifttum werden verschiedene Definitionen des Substanzwertes1 verwendet.2 Grundlage dieser Wertgröße ist die Annahme, dass ein hypothetischer Erwerber das Bewertungsobjekt in identischer Art und Weise nachbildet. Dies beinhaltet, dass der Wert dieses Unternehmens anhand der Preise der einzelnen Vermögensgegenstände am Beschaffungsmarkt bei identischer Finanzierung bestimmt wird.3 Ließe sich ein Unternehmen tatsächlich in dieser Weise nachbilden, so würde der Substanzwert die rationale Obergrenze des Transaktionspreises darstellen, da ein ökonomisch rationaler Erwerber einem Unternehmen maximal denjenigen Wert beimessen würde, den er für die Rekonstruktion einer identischen Einheit „auf der grünen Wiese“ aufbringen müsste.4 Die Vermögensgegenstände werden zur Ermittlung des Substanzwertes zu Wiederbeschaffungsaltwerten entsprechend ihres Zustandes zum Stichtag bewertet.5

2.41 Grundsätzlich ist der Substanzwert als Vollreproduktionswert aufzufassen, der alle materiellen und immateriellen Vermögensgegenstände und Schulden der Bewertungseinheit beinhaltet. Die Vermögensgegenstände sind dabei unabhängig von ihrer bilanziellen Erfassung bzw. deren aktuellem Wertansatz zu verwenden. Als problematisch bei der Bestimmung des Vollreproduktionswertes erweist sich die Tatsache, dass gerade solche immateriellen Werte wie Know-how, Organisationsstruktur, Innovationsfähigkeit, Kundenbeziehungen, Standortvorteile oder ähnliche Werttreiber keinen Marktpreis haben und daher nahezu unmöglich zu bewerten sind. Daher ist eine Ermittlung des Vollreproduktionswertes mithilfe einer Einzelbewertung kaum möglich.

2.42 Der Vollreproduktionswert kann jedoch dahingehend umgedeutet werden, dass er sich nicht der Rekonstruktion der einzelnen Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten bedient, sondern des hypothetischen Nachbaus einer Unternehmenseinheit, die lediglich einen identischen Zahlungsstrom generiert.6 Dadurch ändert sich die Betrachtungsweise von der Einzelbewertung unter Verwendung historischer und aktueller Marktpreise hin zu einer Gesamtbewertung einschließlich der dafür erforderlichen Ermessensentscheidungen.

2.43 Da der Vollreproduktionswert mithilfe der Einzelbewertung kaum zu ermitteln ist, verbleibt lediglich der Rückgriff auf den Substanzwert im Sinne eines Teilreproduktionswertes.7 Dieser Unternehmenswert ergibt sich ausschließlich aus der Summe der selbstständig bewertbaren Vermögensgegenstände abzgl. der Verbindlichkeiten. Die Wertermittlung von Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht anhand des Teilreproduktionswertes kann jedoch als 1 Nachfolgend sollen die Begriffe Substanzwert, Reproduktionswert und Rekonstruktionswert synonym verwendet werden. 2 Für eine Übersicht s. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 444. 3 Das nicht betriebsnotwendige Vermögen ist weiterhin zum Liquidationswert zu bewerten. Eine Überhöhung dieses Wertes durch das Heranziehen von Beschaffungspreisen ist unsachgemäß. Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 204; Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 85. 4 Beispielhafte Anwendungsfälle des Substanzwertes sind vertragliche Vereinbarungen auf dessen Basis (speziell bei Gesellschafterabfindungen) oder handels- und steuerrechtlich begründete Bewertungen. Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 204 f. 5 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 204. 6 Vgl. Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 87. 7 Diese Ermittlungsform des Substanzwertes wird auch in IDW S 1 dargelegt. Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 170.

58

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.45 § 2

lange überholt angesehen werden.1 Wie bereits dargelegt, ist ein solcher Wert nicht im Stande entscheidungsnützliche Informationen zu liefern, da wesentliche (immaterielle) Wertkomponenten keine Berücksichtigung finden.2 Der Vollreproduktionswert ist hingegen nur als Zukunftserfolgswert verlässlich zu ermitteln. Zudem erscheint das Szenario einer Beschaffung aller einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden am Markt unrealistisch. Weiterhin ist die Ermittlung des Teilreproduktionswertes zwar konzeptionell relativ unkompliziert, jedoch bestehen auch hierbei diverse Bewertungsschwierigkeiten, bspw. bei der Bestimmung des Wertverzehrs des Sachanlagevermögens oder von nicht börsengehandelten Beteiligungen, die ihrerseits erneut einer Bewertung bedürfen.3 Insofern kann der Substanzwert lediglich als Kontrollgröße bei der tatsächlichen Wertermittlung bzw. in einer Hilfsfunktion dienen und scheidet aufgrund der Vernachlässigung nicht einzeln verwertbarer Wertbestandteile und des mangelnden Zukunftsbezuges auch als Preisobergrenze einer Transaktion aus.4 2. Gesamtbewertungsverfahren a) Ertragswertverfahren gemäß IDW S 1 Das Ertragswertverfahren gemäß IDW S 1 ähnelt in seiner Grundkonzeption dem NettoDCF-Verfahren und führt bei gleichen Annahmen zu einem identischen Bewertungsergebnis (zum Ertragswertverfahren Böcking/Nowak, § 4).5 Die Unterschiede bestehen im Wesentlichen in der Auswahl der einzubeziehenden Inputfaktoren. Die Prognose zukünftiger Erträge erfolgt gemäß IDW S 1 abgeleitet von den (handelsrechtlichen) Jahresüberschüssen (zur Erstellung von Planung und Prognose Meyer, § 7).6 Hierbei ist zu beachten, dass eine Bereinigung der Erträge der Vergangenheit hinsichtlich verschiedener Sondereinflüsse und Bilanzierungswahlrechte sowie des Anteils des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zu erfolgen hat.7

2.44

Bei Verwendung des Ertragswertverfahrens gemäß IDW S 1 ergibt sich der Wert des Eigenka- 2.45 pitals eines Unternehmens als Summe der abgezinsten Zukunftserträge aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zzgl. des Wertes des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zum Bewertungsstichtag. Die in die Berechnung einbezogenen operativen Überschüsse werden dabei um Fremdkapitalzinsen reduziert. Sowohl das Prognoseverfahren bezüglich der Zukunftserfolge als auch der in die Berechnung einzubeziehende Diskontierungssatz sind abhängig vom Bewertungszweck. Grundsätzlich sind die Ermittlungsverfahren des objektivierten und des subjektiven Wertes zu unterscheiden. Zur Feststellung des objektivierten Ertragswertes werden diejenigen finanziellen Überschüsse einbezogen, die unter Beachtung des Unternehmenskonzeptes und rechtlicher Restriktionen für eine Ausschüttung tatsächlich zur Verfügung

1 So bereits Walb, ZfhF 1940, 6. Diese Auffassung wird ebenfalls in der Rechtsprechung seit geraumer Zeit vertreten. Als richtungweisend ist die Entscheidung des OLG Celle aus dem Jahr 1979 anzusehen. Siehe OLG Celle v. 4.4.1979 – 9 Wx 2/77, DB 1979, 1031. 2 Zur Irrelevanz des Teilreproduktionswertes bei der Unternehmensbewertung s. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 63 ff. 3 Vgl. Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 87. 4 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 447 f. 5 Zu den Unterschieden der Verfahren s. Ballwieser, Verbindungen von Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Verfahren, 2012, S. 499. 6 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 102. 7 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 103.

Böcking/Rauschenberg 59

§ 2 Rz. 2.45

Erster Teil: Einführung

stehen.1 Dies beinhaltet auch, dass lediglich geplante, aber noch nicht eingeleitete Maßnahmen unberücksichtigt bleiben müssen.2 Bezüglich der Synergieeffekte erfolgt im Rahmen der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswertes eine Differenzierung zwischen echten und unechten Synergien. Unechte Synergien, die auch ohne die Durchführung der die Bewertung veranlassenden Maßnahme entstanden wären, sind demnach zu berücksichtigen, echte Synergien hingegen nicht.3 Soll ein subjektiver Unternehmenswert in Form eines Grenzpreises ermittelt werden, so ersetzt der Wirtschaftsprüfer die Typisierungen bei der Ermittlung des objektivierten Wertes durch subjektbezogene Annahmen.4 Dies beinhaltet insbesondere die Einbeziehung geplanter Maßnahmen und echter Synergieeffekte sowie subjektiver Finanzierungsannahmen in die Wertermittlung.5

2.46 Die Unterscheidung zwischen objektivierten und subjektiven Unternehmenswerten bewirkt auch eine entsprechende Bestimmung des verwendeten Diskontierungssatzes zur Abzinsung der zukünftigen finanziellen Überschüsse. Bei der Ermittlung des objektivierten Wertes ist ein Zinssatz zu verwenden, der äquivalent zur Kapitalmarktrendite einer Anlage mit entsprechender Fristigkeit sowie vergleichbar in Risiko und Besteuerung ist (Äquivalenzprinzip).6 Hingegen ist bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte ein Diskontierungssatz zu wählen, der die individuellen Verhältnisse des Bewertungssubjekts widerspiegelt (zur Bestimmung des Diskontierungssatzes beim Ertragswertverfahren Böcking/Nowak, Rz. 4.41).7 Die Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Geschäftsentwicklung kann entweder als Risikozuschlag beim Diskontierungssatz (Risikozuschlagsmethode) oder als Abschlag beim Erwartungswert der Cashflows (Sicherheitsäquivalenzmethode) berücksichtigt werden, wobei national und international die Verwendung von Zinszuschlägen von deutlich höherer praktischer Relevanz ist (zur Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes Franken/Schulte, § 6).8

2.47 Grundsätzlich ist bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens nach IDW S 1 von einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens auszugehen. Wird hingegen aus begründetem Anlass von einer Liquidation des Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgegangen, so ist zu den bis dahin prognostizierten abgezinsten Überschüssen der erwartete Liquidationswert zu diesem Zeitpunkt zu addieren und ebenfalls einer Diskontierung zu unterziehen.9 b) Discounted-Cashflow-Verfahren

2.48 Die DCF-Verfahren gliedern sich in drei Entity- und ein Equity-Verfahren. Nachfolgend werden die in IDW S 1 explizit erwähnten Bruttoverfahren, der WACC-Ansatz (Weighted

1 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 35. Bspw. sind rechtliche Restriktionen wie der maximal auszuschüttende Bilanzgewinn zu beachten. 2 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 32. 3 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 34. Vgl. hierzu auch Böcking in FS Moxter, S. 1422-1430. 4 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 48. 5 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 49 ff. 6 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition), Kap. A, Tz. 307. 7 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 123. 8 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 89 f. 9 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 85 ff.

60

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.51 § 2

Average Cost of Capital) und der APV-Ansatz (Adjusted Present Value) in aller Kürze dargestellt (zu den Besonderheiten der DCF-Verfahren Jonas/Wieland-Blöse, § 10).1 Gemäß WACC-Ansatz werden sämtliche den Kapitalgebern zufließenden Cashflows mit den gewichteten Kapitalkosten abgezinst. Die hier verwendete Überschussdefinition ist die des Free Cashflows.2 Dieser ergibt sich retrograd aus dem Jahresergebnis zzgl. der Fremdkapitalzinsen, abzgl. des zugehörigen Tax Shields, zzgl. des zahlungsunwirksamen Aufwands, abzgl. des zahlungsunwirksamen Ertrags, zzgl. der Verminderung des Nettoumlaufvermögens.3 Der ermittelte Free Cashflow wird mit den gewichteten Kapitalkosten abgezinst, wobei das Tax Shield bei der Einbeziehung der Fremdkapitalkosten berücksichtigt wird. Zu den abgezinsten Free Cashflows wird zudem der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens addiert. Vom resultierenden Gesamtunternehmenswert ist schließlich der Marktwert des Fremdkapitals abzuziehen, um den Wert des Eigenkapitals zu bestimmen.

2.49

Nach dem APV-Ansatz, also dem Konzept des angepassten Barwertes, wird der Unternehmenswert komponentenweise ermittelt. Demnach werden die prognostizierten operativen Cashflows so behandelt, als würden sie in einem unverschuldeten Unternehmen generiert. Die Diskontierung der Cashflows erfolgt somit auf Basis der Opportunitätskosten eines unverschuldeten Unternehmens. Wird der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens addiert, ergibt sich der hypothetische Wert eines unverschuldeten Unternehmens. In einem zweiten Schritt wird das Tax Shield addiert, sodass daraus das Gesamtkapital des verschuldeten Unternehmens resultiert. Schließlich erfolgt die Subtraktion des Fremdkapitals zum Marktwert. Das APV-Verfahren eignet sich insbesondere zur Bewertung von Unternehmen, deren Kapitalstrukturen im Zeitablauf starken Schwankungen unterliegen. Die Vorteile des APV-Verfahrens bestehen in der geringen Fehleranfälligkeit sowie der Möglichkeit nicht nur den Wert des Unternehmens als Ganzes zu ermitteln, sondern auch die den Wert begründenden Faktoren.4 Als regelmäßig problematisch erweist sich jedoch die praktische Bestimmung der risikoäquivalenten Diskontierungssätze eines hypothetisch rein eigenfinanzierten Unternehmens.5

2.50

c) Multiplikatorverfahren Mithilfe von Multiplikatorverfahren werden Marktpreise von Unternehmen durch den Ver- 2.51 gleich mit möglichst ähnlichen Gesellschaften geschätzt.6 Die Methode fußt auf der grundlegenden These Moxters „bewerten heißt vergleichen“,7 wonach ein Unternehmenswert immer relativ zu alternativen Anlageformen zu ermitteln ist. Die Multiplikatorverfahren werden aufgrund der geringen Komplexität in der Praxis insbesondere von kleinen und mittelgroßen Unternehmen verwendet.8 Hierfür werden auch von Wirtschaftsprüfern regelmäßig Spann-

1 Das dritte Entity-Verfahren ist das Total-Cashflow-Verfahren. Siehe dazu ausführlich Ballwieser/ Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 189-192. 2 Zum Free-Cashflow-Verfahren s. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 166 ff. 3 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 127. 4 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 139. 5 Vgl. Ballwieser, WPg 1998, 91. 6 Vgl. Ballwieser, CF 2018, 61. 7 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 123. 8 Vgl. Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 11.

Böcking/Rauschenberg 61

§ 2 Rz. 2.51

Erster Teil: Einführung

breiten realistischer Multiplikatoren als Orientierungshilfe veröffentlicht.1 Um eine gewisse Zuverlässigkeit des geschätzten Marktpreises zu erlangen, ist grundsätzlich die Verwendung einer breiten Datenbasis vergleichbarer Unternehmen notwendig. Da in angelsächsischen Ländern regelmäßig bessere Kapitalmarktinformationen als Vergleichswerte zur Verfügung stehen, eignen sich die dort ansässigen Unternehmen besser für die Anwendung dieser Verfahren.2

2.52 Der Zweck von Multiplikatoren ist nicht die Ermittlung subjektiver Grenzpreise, sondern eine Schätzung des Marktpreises.3 Bezugsgrößen für Multiplikatoren sind bspw. der um Sondereinflüsse bereinigte Jahresüberschuss gemäß externer Rechnungslegung, das EBITDA oder EBIT sowie die Umsatzerlöse eines Unternehmens. Der gemeinhin bekannteste Multiplikator ist das von vergleichbaren kapitalmarktorientierten Unternehmen abgeleitete KursGewinn-Verhältnis (KGV), das beschreibt, um welchen Faktor der Marktpreis eines Unternehmens den Jahresüberschuss übersteigt. Durch die Ermittlung eines branchenüblichen KGV lässt sich anschließend der Marktpreis eines vergleichbaren Unternehmens abschätzen. Liegt der durchschnittliche Jahresüberschuss eines Unternehmens bspw. bei 1 Mio. Euro und das entsprechende Branchen-KGV bei 10, ist davon auszugehen, dass Marktteilnehmer etwa 10 Mio. Euro für die Einheit zahlen würden. Aufgrund der Ungenauigkeit und der fehlenden Subjektivität von Multiplikatorverfahren sollten diese lediglich zur Beurteilung der Plausibilität anderer Bewertungsverfahren herangezogen werden.4 3. Mischverfahren

2.53 In der Bewertungspraxis werden auch diverse Mischverfahren, die Elemente der Einzel- und Gesamtbewertung beinhalten, angewendet.5 Diese Verfahren stammen aus der Übergangszeit von der Einzelbewertung hin zur Gesamtbewertung und stellen einen Kompromiss zwischen den Verfahren dar. Sie basieren auf der Erkenntnis, dass nicht allein der Substanzwert, sondern insbesondere die zukünftigen wirtschaftlichen Erfolge den Unternehmenswert determinieren.6 Die beiden am häufigsten verwendeten Mischverfahren sind das Mittelwertverfahren und das Übergewinnverfahren. Aus bewertungstheoretischer Sicht sollten diese Verfahren insbesondere aufgrund der bereits ausführlich dargelegten Defizite der Einzelbewertung jedoch nicht angewendet werden.7

2.54 Bei Verwendung des Mittelwertverfahrens wird der Unternehmenswert der Bezeichnung entsprechend als Mittelwert aus Substanzwert und Ertragswert bestimmt. Als Substanzwert wird hierbei grundsätzlich der Teilreproduktionswert verwendet. Das Übergewinnverfahren fußt auf der Annahme, dass Unternehmen durchschnittlich eine Normalverzinsung erwirtschaften. Diese kann bspw. aus der Rendite inländischer Schuldverschreibungen abgeleitet werden. Erwirtschaftet ein Unternehmen mehr als diese Normalverzinsung bezogen auf das 1 Siehe bspw. die regelmäßig im IDW-Verlag erscheinende Unternehmens- und Branchenanalyse (zuletzt für die Jahre 2018/2019), Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren. 2 Vgl. Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 80. 3 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 419. 4 Zu den Defiziten des Multiplikatorverfahrens s. ausführlich Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 220 f.; Coenenberg/Schultze, DBW 2002, 603. 5 Siehe dazu Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 80. 6 Vgl. Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 5. 7 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 115.

62

Böcking/Rauschenberg

Betriebswirtschaftliche Bewertungstheorie

Rz. 2.57 § 2

eingesetzte Kapital, wird dieser Übergewinn dem Goodwill des Unternehmens zugeschrieben.1 Der Unternehmenswert ergibt sich dann als Summe von Substanzwert und Goodwill.2

VII. Ausblick: Unternehmensbewertung und Digitalisierung Münstermanns Zitat „Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts“3 muss vor dem Hintergrund der aktuellen ökonomischen Entwicklungen auch weiterhin eine zentrale Bedeutung für die Unternehmensbewertung beigemessen werden, denn die Dynamik der Digitalisierung berührt nicht nur die Bewertungsobjekte durch disruptive Veränderungen der Geschäftsmodelle, sondern hat auch einen wesentlichen Einfluss auf die Unternehmensbewertung in der Praxis. Die Folgen sind u.a. eine zunehmende Subjektivität des Unternehmenswertes, größere Prognoseunsicherheiten, insbesondere hinsichtlich der Einschätzung von Chancen und Risiken, sowie ein weiterer Bedeutungsverlust des Substanzwerts.

2.55

Für die Wertschöpfung der Unternehmen verringert sich der Stellenwert des Sachanlagevermögens weiterhin. Vielmehr entscheiden zunehmend immaterielle Werte, deren mittel- und langfristige Entwicklung jedoch ungleich schwerer abzuschätzen ist, über den Unternehmenserfolg. Einen großen Einfluss hat in diesem Zusammenhang auch die wesentliche Verkürzung von Produktlebenszyklen und die steigende Gefahr, von innovativen Wettbewerbern aus dem Markt verdrängt zu werden, insbesondere in den von der Digitalisierung am stärksten betroffenen Branchen wie dem Handel oder den Medien.4 Folglich sind etablierte Marken oder starke Kundenbindung nicht mehr in gleicher Weise verlässliche Werttreiber, sodass die Vergangenheitsanalyse als Instrument der Unternehmensbewertung zunehmend an Bedeutung verlieren wird.5 Zunehmend bewertungsrelevant werden Unternehmenseigenschaften wie ein innovatives Umfeld und kreative Mitarbeiter, die Kontrolle über Kundendaten sowie nichtfinanzielle Leistungsindikatoren, sog. Pre-Financial Performance Indicators.6 Die Neigung von Unternehmen, den Status quo beizubehalten wird sich hingegen regelmäßig deutlich wertmindernd auswirken.7

2.56

Die zunehmenden Schwierigkeiten und Ermessensspielräume bei der Bewertung können zu größeren Differenzen zwischen den Bewertungsergebnissen führen. In Folge der geringeren Prognostizierbarkeit der Zukunftserfolge werden sich zudem tendenziell die Risikoabschläge auf den Unternehmenswert erhöhen. Inwiefern weiterhin der Grundsatz der unendlichen Lebensdauer und der langfristig konstanten Wachstumsrate überhaupt noch undifferenziert

2.57

1 Rauschenberg, Transparente Goodwill-Berichterstattung als Instrument der Corporate Governance, S. 15. 2 Vgl. Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 6. Zu weiterführenden Aspekten des Goodwills vgl. Böcking in FS Ballwieser, 2014, S. 23 ff.; Rauschenberg, Transparente Goodwill-Berichterstattung als Instrument der Corporate Governance, 2018. 3 Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966 sowie 3. Aufl. 1970, S. 21. 4 Vgl. Mackenstedt/Menze/Werner, WPg 2018, 826. 5 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW Positionspapier, 2017, S. 18. 6 Vgl. Althoff/Wirth, WPg 2018, 1149; Böcking/Althoff, WPg 2017, 10. Die CSR-Berichterstattung führt zu einer „inhaltlichen Ausweitung des Risikoberichts (inkl. des Prognoseberichts) und damit der Chancen- und Risikenbeurteilung […] d.h., der Soll-Ist-Vergleich der Unternehmensstrategie rückt in den Vordergrund“. Böcking/Althoff, Der Konzern, 255. 7 Vgl. Mackenstedt/Menze/Werner, WPg 2018, 826 (828). Zum Status Quo der Offenlegung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren infolge der Erstanwendung des CSR-RUG s. Althoff/Wirth, WPg 2018.

Böcking/Rauschenberg 63

§ 2 Rz. 2.57

Erster Teil: Einführung

auf Bewertungsobjekte angewendet werden kann, insbesondere weil die langfristige Profitabilität ohne weitere Innovationen kaum sichergestellt werden kann, ist fraglich. Das IDW schlägt in diesem Zusammenhang vor, an die Detailplanungsphase noch eine Übergangsphase anzuschließen, bis ein Unternehmenszustand erreicht ist, der repräsentativ für die weitere Wertschöpfung sein wird.1

2.58 Eine weitere Herausforderung für die Bewertungspraxis besteht in der Einbeziehung von Werttreibern, die am Bewertungsstichtag selbst noch nicht zu erkennen waren. So muss stellvertretend die Fähigkeit bewertet werden, zukünftig auf eigene und fremde Innovationen zu reagieren und diese in finanziellen Erfolg umzumünzen. Die Verarbeitung großer Datenmengen mithilfe von Big Data Analytics (automatisierten Bewertungsverfahren) dient der Prognostizierbarkeit der „neuen“ Werttreiber, bspw. durch Auswertung des Bestellverhaltens oder sonstiger Informationen von Kunden. Deutlich wird, dass die Auswirkung der Digitalisierung auch einen stärkeren Einsatz von Fachexperten bei der Unternehmensbewertung verlangt, da Betriebswirte in der Regel nicht über ausreichende IT-Expertise verfügen werden.

2.59 Die Bewertung von Unternehmen wird weiterhin disziplinübergreifend sowohl für Juristen als auch für Wirtschaftswissenschaftler und zukünftig für IT-Experten ein interessantes und vielseitiges Betätigungsfeld bleiben. So wird das Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit zur Objektivierung und der zunehmenden Subjektivität von Unternehmenswerten weiterhin Gegenstand kontroverser Diskussionen sein. Die Aufgabe der Rechtsprechung und der die Bewertung vornehmenden Spezialisten besteht darin, mithilfe der von Wirtschaftswissenschaftlern entwickelten und in der Praxis gebräuchlichen zweckadäquaten Bewertungsmethoden für die Bewertungssubjekte angemessene Unternehmenswerte zu bestimmen.

2.60 Die zunehmende Subjektivität und stark divergierende Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Nutzenpotentiale stellen auch ein Problem für das Heranziehen des Börsenkurses für die Unternehmensbewertung dar. Der Relevanz des Börsenkurses für die Unternehmensbewertung liegt die Annahme zugrunde, dass beim Vorhandensein eines funktionsfähigen und effizienten Kapitalmarktes der tatsächliche Wert des Unternehmens permanent durch die Kapitalmarktteilnehmer approximiert wird. Zwar sind Börsenkurse grundsätzlich dazu geeignet, einen Unternehmenswert abzuschätzen; die Bestimmung eines Grenzpreises unter Einbeziehung der teilweise höchst subjektiven Nutzenpotentiale eines Erwerbers gelingt jedoch grundsätzlich nicht. Zudem muss beachtet werden, dass der Börsenkurs eines Unternehmens wesentlich von Faktoren abhängig ist, die nicht mit dem Ertragswert im Sinne eines Unternehmensgesamtwertes in Verbindung stehen und dass der Marktpreis einer einzelnen Aktie weder Paketzuschläge noch -abschläge beinhaltet. Der Börsenkurs sollte daher weiterhin nur als eine Orientierungsgröße oder als Wertuntergrenze für den Verkäufer bei der Ermittlung von Unternehmenswerten verwendet werden.

1 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW Positionspapier, 2017, S. 19.

64

Böcking/Rauschenberg

§3 Berufsständische Bewertungspraxis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1

II. Historische Entwicklung der Bewertungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 1. Bewertungspraxis vor 1983: Mischverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10 2. Bewertungspraxis seit 1983: Dominanz der Barwertmethoden . . . . 3.14 3. Bewertungspraxis ab 2000: Kapitalmarktorientierung und Vereinbarkeit von Ertragswert und DCF . . . . . . 3.17 III. Allgemeine Grundsätze der Unternehmensbewertung nach IDW S 1 . . 1. Bedeutung und formaler Rahmen von IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlegendes Konzept . . . . . . . . . . . a) Bewerten heißt vergleichen . . . . . . b) Rationale Erwartungen . . . . . . . . . c) Sonderwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodische Vorgehensweise . . . . . . . a) Ertragswert und DCF . . . . . . . . . . b) Objektivierter und subjektiver Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Typisierung der Steuerbelastung . . d) Typisierung der Risikoprämie . . . . 4. Plausibilisierung des Unternehmenswerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.22 3.22 3.25 3.25 3.29 3.32 3.33 3.33 3.38 3.41 3.43 3.46 3.53

IV. Unternehmensbewertungskonzepte in speziellen Kontexten . . . . . . . . . . . 3.54

1. Bewertungsstandards anderer Berufsorganisationen . . . . . . . . . . . . . a) Östereichischer Bewertungsstandard KFS/BW 1 . . . . . . . . . . . . b) Fachmitteilung der Schweizer Treuhandkammer . . . . . . . . . . . . . c) Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung der DVFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) International Valuation Standards des IVSC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Empfehlungen einzelner Berufsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertungskonzepte im Steuerrecht und in der Rechnungslegung . . . . . . . a) Bewertungsgesetz und vereinfachter Ertragswert . . . . . . . . . . . . b) Fair Value nach IFRS 13 und Nutzungswert nach IAS 36 . . . . . . 3. Besondere Bewertungsstandards und Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) IDW RS HFA 10, IDW RS HFA 16 und IDW S 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW S 8) . . . . . c) Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.55 3.55 3.56 3.57 3.60 3.61 3.63 3.63 3.65 3.67 3.68 3.69 3.71

V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.74

Schrifttum: Black/Scholes, The Pricing of Options and Corporate Liabilities, Journal of Political Economy, Vol. 81, No. 3, 1973; Brealey/Myers, Principles of Corporate Finance, 11. Aufl. 2014; Henselmann, Geschichte der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 95 ff.; IDW (Hrsg.), WP-Handbuch 2014 – Wirtschaftsprüfung, Rechnungslegung, Beratung, Band II, 14. Aufl. 2014; IDW, Praxishinweis: Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg-Supplement 2/2014; IDW, IDW-Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F.2008); Jonas, Unternehmensbewertung: Zur Anwendung der Discounted-Cash-Flow-Methode in Deutschland, BFuP 1995, 83; Jonas, Unternehmensbewertung: Methodenkonsistenz bei unvollkommenen Märkten und unvollkommenen Rechtssystemen, WPg 2007, 835; Kaden/Wagner, Kritische Überlegungen zur Discounted Cash Flow-Methode – Methodenharmonisierung von Ertragswert und Discounted Cash Flow, ZfB 1997, 499; Leemans, The Old-Babylonian Merchant. His Business and His Social Position, Studia et Documenta ad Iura Orientis Antiqui Pertinentia, vol. III, 1950; Markowitz, Portfolio Selection, Journal of Finance 1952, 77; Modigliani/Miller, The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment, The American Economic Review, Vol. 48, No. 3, 1958, 261; Pohl, Deutsche Börsengeschichte, 1992; Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4: Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft, 2001;

Jonas 65

§ 3 Rz. 3.1

Erster Teil: Einführung

Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, 2014; Schweder, Gründliche Nachricht von gerichtlicher und außergerichtlicher Anschlagung der Güter, nach dem jährlichen Abnutz, 1716; UEC, Die Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen, 1961; von Oeynhausen, Über die Bestimmung des Kapitalwerthes von Steinkohlezechen, Archiv für Bergbau und Hüttenwesen 1822, 306; Yee, Judicial valuation and the rise of DCF, Public Fund Digest 2002, 76.

I. Einleitung 3.1 Der Wert eines Gutes ist eine subjektive Eigenschaft. Objektiv beobachtbar sind Werte dann, wenn sich zwei Vertragspartner in einer Transaktion auf einen konkreten Preis für ein Gut geeinigt haben. Der konsensual vereinbarte Wert wird als Preis bezeichnet. Besteht kein Konsens, beispielsweise weil Gesellschafter sich über Anteilswerte streiten oder ein vereinbarter Preis als nicht angemessen beanstandet wird, ist kein beiderseits akzeptierter Preis und damit auch kein objektiver Wert beobachtbar. Wird in einem solchen Dissensfall ein Experte mit der Bestimmung des richtigen oder wahren Werts beauftragt, steht dieser Experte damit eigentlich vor einer unlösbaren Aufgabe. Denn den einen, objektiv richtigen Wert eines Unternehmens kann es nicht geben.

3.2 Im Zentrum rechtlich veranlasster Unternehmensbewertungen steht daher nicht der objektive, sondern der objektivierte Wert. Ist ein Unternehmensbewerter als Sachverständiger in der Funktion eines neutralen Gutachters tätig, ermittelt er mit einer nachvollziehbaren Methodik einen von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert des Unternehmens – den objektivierten Unternehmenswert.1 Begrifflich wird damit konzediert, dass ein subjektiver Wert gesucht wird, der allerdings intersubjektiv nachprüfbar, eben objektiviert ist. Inhaltlich bringt das Konzept des objektivierten Werts die Bandbreite ökonomischer Werttheorien und rechtlicher Wertkategorien miteinander in Übereinstimmung.

3.3 Aus ökonomischer Sicht liegt das Konzept des objektivierten Werts zwischen nutzentheoretisch (subjektiver Wert) und kapitalmarkttheoretisch (Preis) begründeten Bewertungsmodellen.2 Der objektivierte Wert wird einerseits mit einem investitionstheoretischen (und damit nutzentheoretischen) Kalkül als Barwert erwarteter Zahlungen berechnet. Andererseits werden die wertbestimmenden Parameter, also die erwarteten Zahlungen und die Kapitalisierungszinssätze, soweit möglich objektiv abgeleitet. Insbesondere die Kapitalisierungszinssätze werden in der Regel auf der Grundlage eines Kapitalmarktpreisbildungsmodells (Capital Asset Pricing Model, CAPM; oder Tax-CAPM) abgeleitet.3

3.4 Aus rechtlicher Sicht ist der objektivierte Wert eine typisierende Schätzung, die zu einer bestmöglichen Annäherung an einen idealisierten Verkehrswert oder gemeinen Wert führt. Er ist wiederum abzugrenzen vom rein individuellen Liebhaberwert und vom ggf. zu beobachtenden tatsächlichen Preis. Im Gegensatz zum subjektiven Wert, der auch das sog. positive Interesse umfasst, gleicht der objektivierte Wert schadensrechtlich nur das negative Interesse aus.4

1 2 3 4

IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 12. Vgl. Jonas, WPg 2007, 835 (840 f.). IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 92. Jonas, WPg 2007, 835 (840 f.).

66

Jonas

Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.8 § 3

In Deutschland ist der objektivierte Wert durch den Standard IDW S 1 definiert. Die Dominanz dieses Bewertungsstandards der Wirtschaftsprüfer bei rechtlich motivierten Unternehmensbewertungen beruht auf der Verankerung des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer als vereidigte Sachverständige im Gesetz (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 WPO) und den gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen bestimmter Bewertungsfälle.1 Die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 stehen daher im Zentrum dieses Beitrags.

3.5

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Bewertungspraxis vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Kapitalmärkte und der Rechnungslegung, der gewachsenen Bedeutung des gleichzeitig volatiler gewordenen M&A-Transaktionsmarktes, nicht zuletzt auch getrieben von den technischen Möglichkeiten zur Erlangung und Verarbeitung von Unternehmens- und Marktdaten dynamisch weiterentwickelt. Zum Teil ergänzend, zum Teil neben, zum Teil aber auch alternativ zum objektivierten Unternehmenswert nach IDW S 1 sind weitere Bewertungskonzepte entwickelt, diskutiert oder etabliert worden (vgl. Abschnitt IV., Rz. 3.54 ff.). Ebenso wie das kontroverse Ringen um die richtige Bewertungsmethode im historischen Rückblick korrespondiert auch die heutige Vielfalt an Bewertungskonzepten mit der Eingangsfeststellung. Wenn es den einen, objektiv richtigen Wert nicht gibt, dann gibt es auch nicht die eine, richtige Bewertungsmethode. Das führt jedoch nicht zu einer Methodenbeliebigkeit. Denn so wie es einerseits willkürliche oder subjektive, andererseits aber auch intersubjektiv nachvollziehbare Werteinschätzungen gibt, gibt es auch für den konkreten Bewertungszweck sinnvolle und nicht sinnvolle Bewertungsmethoden. Der Zweck der Bewertung determiniert, welche Bewertungsmethode zweckmäßig ist.

3.6

II. Historische Entwicklung der Bewertungspraxis 3.7

Praktisch relevant wird Unternehmensbewertung, wenn 1. Unternehmen existieren, 2. Personen über Rechte an diesen Unternehmen verfügen können und 3. an den Wert des Unternehmens oder der Verfügungsrechte darüber Rechtsfolgen geknüpft sind (wie z.B. Steuern, Auseinandersetzungsguthaben, Kaufpreisansprüche). Unternehmen existieren schon seit dem Altertum2, Aktiengesellschaften und Börsen schon seit der frühen Neuzeit.3 Auf welchen Grundlagen damals Unternehmen bewertet worden sind, ist soweit ersichtlich nicht erforscht. Offenbar bestand bei Unternehmen der Urproduktion (Landwirtschaft und Bergbau) schon früh das Verständnis, dass ihr Wert als Kapitalwert der künftigen Reinerträge abzuleiten sei.4 Aufgrund der Bedeutung des Fortschritts der doppelten Buchführung für die Ausweitung des Handels in der Renaissance kann davon ausgegangen werden, dass für Auseinandersetzungszwecke von Handels- und Produktionsunternehmen die Bilanz mit dem Buchwert des Eigenkapitals als Grundlage diente. Verstärkt wurde die 1 Vgl. WP-Handbuch 2014, Band II, Kap. A Rz. 470 ff., Kap. F., G., H. 2 Vgl. zur Stellung des Kaufmanns §§ 68–27 Codex Hammurapi, Beschreibung in Leemans, S. 49 ff. 3 Vgl. Pohl, Deutsche Börsengeschichte, Abschnitt 1. 4 Schweder, Gründliche Nachricht von gerichtlicher und außergerichtlicher Anschlagung der Güter, nach dem jährlichen Abnutz, S. 187; von Oeynhausen, Archiv für Bergbau und Hüttenwesen, S. 306; vgl. auch Henselmann in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 105 f. mit weiteren Quellen.

Jonas 67

3.8

§ 3 Rz. 3.8

Erster Teil: Einführung

Bedeutung des Buchwerts als scheinbar objektive Größe durch die zunehmende rechtliche Kodifizierung der Rechnungslegung und -prüfung seit der Einführung eines einheitlichen Handelsgesetzbuches 1861 und der Pflichtprüfung 1931.

3.9 Diese Orientierung am Buchwert begegnet uns als lebendes Fossil modifiziert als Substanzwert, net asset value oder als konservative Abfindungsregel in Gesellschaftsverträgen bis in die heutige Zeit. 1. Bewertungspraxis vor 1983: Mischverfahren

3.10 In der Theorie ist die Feststellung, dass der Unternehmenswert als Kapitalwert künftiger Zahlungsüberschüsse zu ermitteln ist, schon lange Allgemeingut.1 Die mathematischen Kenntnisse für solche Kapitalwertberechnungen waren schon seit dem 17. Jahrhundert allgemein vorhanden.2 Gleichwohl gibt bereits die einschränkende Verwendung von Kapitalwertkalkülen auf Unternehmen der Urproduktion im 18. und 19. Jahrhundert den Hinweis darauf, warum sich die Kapitalwertmethode als allein richtige Methode in der Praxis auch im 20. Jahrhundert zunächst nicht durchsetzen konnte.

3.11 Eine Kapitalwertberechnung erfordert eine Prognose der zu erwartenden künftigen Zahlungsüberschüsse. Eine solche Prognose wurde offenbar bei solchen Unternehmen als tragfähig angesehen, bei denen die künftige „Ausbeute“ greifbar war: Bei Bergwerken, Agrarunternehmen oder Immobilien. Viele Jahrzehnte überwog die in der Praxis vorherrschende Skepsis hinsichtlich der Validität und Prüfbarkeit von Prognosen die theoretischen Überzeugungen. Ausgesprochen wurde diese Skepsis beispielsweise in einer UEC Veröffentlichung 1961: „Der Substanzwert lässt sich mit einem hohen Maß an Genauigkeit ermitteln, wodurch der Schätzung eine sichere Basis geschaffen wird. Dagegen spielen beim Ertragswert subjektive Einflüsse, spekulative Momente und unsichere Schätzungsgrundlagen eine so große Rolle, dass man i.d.R. die Ergebnisse dieser Rechnung ohne eine zuverlässige Kontrolle nicht verwerten kann.“3

3.12 Diese Skepsis führte zu einem Auseinanderfallen von gutachtlicher Bewertungspraxis und moderner Bewertungstheorie bzw. Kapitalmarktpraxis. In der Kapitalmarkttheorie wurden in den 1950er4, 1960er5 und 1970er6 Jahren entscheidende Erklärungsmodelle zur Bewertung von Unternehmen entwickelt. In der Anlagepolitik professioneller Investoren wurden diese theoretischen Ansätze schnell und breit aufgenommen.

3.13 In der gutachtlichen Bewertungspraxis hingegen blieb die Skepsis dominant. Da diese Bewertungsanlässe von Interessenkonflikten geprägt sind, in denen wechselseitig die Validität der Prognosen in Frage gestellt werden könnte, entwickelte die Bewertungspraxis als Kompromiss Mischverfahren, die Substanzwerte und ertragsorientierte Werte kombinieren. Teilweise wurden Substanzwert und Ertragswert einfach gemittelt.7 Teilweise folgte man dem Ziel einer Mi1 2 3 4

Vgl. etwas Brealey/Myers, Principles of Corporate Finance, Einführung Kapitel 2. Schneider, Betriebswirtschaftslehre, S. 782 mit Verweis auf Leibni, Barwertberechnung von 1682. UEC, Die Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen, S. 20. Portfoliotheorie von Markowitz, Journal of Finance 1952, 77 und Modigliani-Miller, The American Economic Review, Vol. 48, No. 3, 1958, 261. 5 Zum CAPM aus 1964 vgl. Darstellung in Brealey/Myers, Principles of Corporate Finance, Abschnitt 9. 6 Optionspreistheorie von Black und Scholes, Journal of Political Economy, Vol. 81, No. 3, 1973. 7 In der Mittelwertmethode 1/2 zu 1/2. In dem sog. Schweizer Verfahren 1/3 zu 2/3.

68

Jonas

Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.18 § 3

schung aus Substanz plus Verrentung von Übergewinnen. So war für steuerliche Zwecke jahrzehntelang das sog. Stuttgarter Verfahren dominierend.1 In gesellschaftsrechtlichen Fällen war die sog. UEC-Methode prägend.2 Korrespondierend dazu beherrschte in den USA das vom Delaware Supreme Court entwickelte Mischverfahren (der sog. Delaware Block) die gutachtliche Bewertungspraxis in Amerika mit Ausstrahlungswirkung auf den gesamten englischsprachigen Raum.3 2. Bewertungspraxis seit 1983: Dominanz der Barwertmethoden 1983 brachen zwei die gutachtliche Bewertungspraxis prägende Institutionen mit den bis dahin üblichen Mischverfahren. In der Entscheidung Weinberger v. UOP, Inc., Del. Supr., 457 A.2d 701 (1983) distanzierte sich der Delaware Supreme Court von den bisherigen Mischverfahren und entschied, dass die in der financial community allgemein akzeptierten Ansätze zu verwenden seien. In der Folge wurde im englischsprachigen Raum die Discounted Cash Flow (DCF)-Methode zur prägenden und meistverwendeten Bewertungsmethode.

3.14

In Deutschland distanzierte sich das IDW 1977 von der bisherigen UEC-Methode. Mit der Stellungnahme HFA 2/1983 bekannte sich auch der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer zur alleinigen Relevanz zukunftsorientierter Barwertmethoden – allerdings in Form der Ertragswertmethode statt der DCF-Methode.

3.15

Entscheidend für die damit eingeleitete Entstehung einer von der anglo-amerikanschen Pra- 3.16 xis separaten deutschen Bewertungspraxis dürfte letztlich die Ausrichtung am Nominalkapitalerhaltungsprinzip im deutschen Gesellschaftsrecht gewesen sein. Indem bei der Gründung von Aktiengesellschaften, bei Sachkapitalerhöhungen und später auch anderen Umstrukturierungen, insbesondere Verschmelzungen und Unternehmensverträgen, zur Kapitalerhaltung und zur Wahrung von Gesellschafterrechten gesetzliche Prüfungen vorgeschrieben wurden, wurde die deutsche Unternehmensbewertungspraxis vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer geprägt. Die Orientierung an Rechnungslegungsgrößen statt an Zahlungsströmen führte dazu, dass trotz identischer Zielsetzung (Zukunftserfolgswert) in Deutschland anders als im englischen Sprachraum die Kapitalisierung von erwarteten Ertragsüberschüssen statt von erwarteten Zahlungsüberschüssen zum Standard wurde. 3. Bewertungspraxis ab 2000: Kapitalmarktorientierung und Vereinbarkeit von Ertragswert und DCF Die Internationalisierung der Kapitalmärkte, wie sie etwa im Börsengang der Daimler-Benz AG an der NYSE 1993 greifbar wurde, stellte in den 1990er Jahren die deutschen Bilanzierungs- und Bewertungspraktiken zunehmend in Frage. Die in den USA übliche Discounted Cash Flow (DCF)-Methode wurde in Deutschland rezipiert. Gleichzeitig ermöglichten Computerisierung und Internet den Zugang zu und die Verarbeitung von Kapitalmarktdaten.

3.17

Indem gezeigt werden konnte, dass nicht nur theoretisch, sondern auch in der praktischen Anwendung Ertragswert- und DCF-Methode ineinander überleitbar sind und zu iden-

3.18

1 Vgl. R96 ff. der Erbschaftsteuer-Richtlinien (ErbStR 2003). Als Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, GmbHR 2007, 320 abgeschafft mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz zum 1.1.2009. 2 UEC, Die Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen, S. 20 ff. 3 Vgl. Yee, Public Fund Digest 2002, 76.

Jonas 69

§ 3 Rz. 3.18

Erster Teil: Einführung

tischen Werten führen,1 und sich die deutsche Bewertungspraxis schrittweise für die Verwendung von Kapitalmarktmodellen und Kapitalmarktdaten bei der Bestimmung der Kapitalkosten öffnete, konnte eine Vereinbarkeit der deutschen mit der anglo-amerikanischen Bewertungspraxis erreicht werden.

3.19 So integrierte das IDW im Jahr 2000 die DCF-Methode und die moderne Kapitalmarktheorie mit dem Bewertungsstandard IDW S 1 in die deutsche Bewertungspraxis. Damit öffnete es auch formal die Möglichkeit, Bewertungen zu erstellen, die grundsätzlich sowohl deutschen als auch internationalen Bewertungsstandards entsprechen.

3.20 Gleichwohl existieren nationale Unterschiede, wie z.B. unterschiedliche Steuersysteme, die notwendigerweise zu unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen führen. Mit den Überarbeitungen des Bewertungsstandards IDW S 1 2004 und 2008 wurde die Kompatibilität von Bewertungen ohne Berücksichtigung von persönlichen Steuern (internationale Praxis) mit Bewertungen unter Einschluss auch persönlicher Steuern (nationale Praxis) erreicht.

3.21 So existiert heute mit dem Standard IDW S 1 i.d.F. 2008 ein nationaler Bewertungsstandard, der einerseits nationale Besonderheiten berücksichtigt, aber gleichzeitig auch international kompatibel ist.

III. Allgemeine Grundsätze der Unternehmensbewertung nach IDW S 1 1. Bedeutung und formaler Rahmen von IDW S 1

3.22 Der Standard IDW S 1 ist eine Verlautbarung des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. Das IDW ist ein privatrechtlich organisierter Verein, in dem die deutliche Mehrheit des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer organisiert ist. IDW-Standards habe daher keine rechtliche Geltung und erfüllen nicht die Anforderung einer Rechtsquelle.2 Die Bedeutung des IDW S 1 als die deutsche Bewertungspraxis prägender Standard beruht weder auf gesetzlichen Regeln noch auf Vorgaben der öffentlichen Verwaltung, sondern auf seiner Akzeptanz auch über den Berufskreis der Wirtschaftsprüfer hinweg.

3.23 Erarbeitet, aktualisiert und mit Hinweisen und Stellungnahmen erläutert wird der IDW S 1 im Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW. Dieser bespricht in mehrmals jährlich stattfinden Sitzungen aktuelle Entwicklungen der Bewertungspraxis und -Theorie und ergänzt oder überarbeitet bestehende Bewertungsstandards. Anlässlich solcher Überarbeitungen finden regelmäßig öffentliche Expertengespräche statt, Entwürfe neuer Fassungen werden zur Kommentierung in der Fachzeitschrift des IDW sowie im Internet veröffentlicht. Nach Abschluss des Anhörungsprozesses wird ein neuer Standard durch den Hauptfachausschuss des IDW verabschiedet.

3.24 Durch diesen Prozess und dem hohen Organisationsgrad der Wirtschaftsprüfer im IDW ist davon auszugehen, dass die IDW-Standards die aktuelle Auffassung des Berufsstands zu den entsprechenden Fachfragen darstellen. Wirtschaftsprüfer, die diese Standards nicht beachten, ohne dass dafür beachtliche Gründe vorliegen, müssen damit rechnen, dass eine solche Abweichung von der Berufsauffassung ggfs. in Regressfällen, in einem Verfahren der Berufsaufsicht oder in einem Strafverfahren zum Nachteil des Wirtschaftsprüfers ausgelegt werden 1 Vgl. Jonas, BFuP 1995, 83 ff.; Kaden/Wagner, ZfB 1997, 499 ff. 2 Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, 2014, S. 334.

70

Jonas

Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.28 § 3

kann.1 Da einerseits Bewertungsfragen häufig Anlass für Rechtsstreitigkeiten sind, und andererseits unser Rechtssystem (bis auf das steuerliche BewG mit dem vereinfachten Ertragswert) kaum konkretisierende Vorgaben zur Bewertung macht, nimmt der IDW S 1 eine hervorgehobene und praktisch bedeutende Stellung für die rechtlich orientierte Bewertungspraxis ein.2 2. Grundlegendes Konzept a) Bewerten heißt vergleichen In den rechtlichen Normen, die den Hintergrund für Bewertungen darstellen, finden sich in der Regel keine Ausführungen zu der anzuwendenden Bewertungsmethode.3 Frühere Gesetzesformulierungen, die den Ansatz zur Festlegung eines Kalküls erkenn ließen, hat der Gesetzgeber durch den Allgemeinplatz, dass die Bewertung die Verhältnisse der Gesellschaft im relevanten Bewertungszeitpunkt zu berücksichtigen habe, ersetzt.

3.25

Da der Wert eines Unternehmens eine subjektive Kategorie ist, kann der Wert niemals objektiv ermittelt, sondern nur geschätzt werden. Im rechtlichen Sinne bedeutet Bewertung also stets Schätzung.4 Eine zeitlose Definition, was schätzen konkret bedeutet, findet sich in einer der ältesten neuzeitlichen Zivilrechtskodifikationen, dem österreichischen ABGB von 1811:

3.26

§ 303 ABGB: Schätzbare und unschätzbare Sachen „Schätzbare Sachen sind diejenigen, deren Wert durch Vergleichung mit andern zum Verkehre bestimmt werden kann; darunter gehören auch Dienstleistungen, Hand- und Kopfarbeiten. Sachen hingegen, deren Wert durch keine Vergleichung mit andern im Verkehre befindlichen Sachen bestimmt werden kann, heißen unschätzbare.“

Damit formuliert das ABGB einen entscheidenden Grundgedanken: Schätzung bedeutet Wertfindung durch Vergleichung mit Verkehrswerten. Dies entspricht dem Grundsatz der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre: Bewerten heißt vergleichen.5 Es ist eine der Grunderkenntnisse der modernen Werttheorie, dass Werte nur relativ, im Vergleich zum Wert anderer Güter definiert werden können.

3.27

Dieser Vergleich kann aus zwei unterschiedlichen Perspektiven vorgenommen werden.

3.28

1. Man kann die Perspektive eines Investors einnehmen, der sich fragt, wo er sein Vermögen anlegt. Ein rein erwerbswirtschaftlich kalkulierender Investor wird es dort anlegen, wo es unter Berücksichtigung von Risiko und Steuern die beste Rendite verspricht. IDW S 1, Tz. 4: „Der Wert eines Unternehmens bestimmt sich unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner (Nettoeinnahmen als Saldo von Ausschüttungen bzw. Entnahmen, Kapitalrückzahlungen und Einlagen). Zur Ermittlung dieses Barwerts wird ein Kapitalisierungszinssatz verwendet, der die Rendite aus einer zur Investition in das zu bewertende Unternehmen adäquaten Alternativanlage repräsentiert. Demnach wird der Wert des Unternehmens allein aus seiner Ertragskraft, d.h. seiner Eigenschaft, finanzielle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften, abgeleitet.“ 1 WP-Handbuch 2012, Band I, Anhang 3, Rz. 8. 2 Vgl. Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, 2014, S. 337. 3 Zwar existiert ein steuerliches Bewertungsgesetz, das aber lediglich ein steuerliches Mantelgesetz darstellt und offen ist für allgemein übliche Methoden. Vgl. Abschnitt IV.2., Rz. 3.63 ff. 4 Vgl. z.B. § 287 ZPO, § 738 Abs. 2 BGB oder § 260 Abs. 2 Satz 3 AktG. 5 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 123.

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§ 3 Rz. 3.28

Erster Teil: Einführung

2. Man kann aber auch die Perspektive eines Unternehmenseigners einnehmen, der das Unternehmen mit dem Ziel betreibt, möglichst gut eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Dies trifft beispielsweise auf Unternehmen der Daseinsvorsorge oder karitative Unternehmen zu. Ein solcher Unternehmenseigner wird vergleichen, wie er möglichst preiswert seine Aufgabe erfüllen kann. IDW S 1, Tz. 152: „Stehen bei einem Unternehmen … nicht finanzielle Zielsetzungen, sondern Gesichtspunkte der Leistungserstellung im Vordergrund (z.B. Non-Profit-Unternehmen), so ist als Wert des Unternehmens aus der Sicht des Leistungserstellers nicht der Zukunftserfolgswert, sondern ein Rekonstruktionswert maßgeblich.“

Im Umkehrschluss gilt, dass dem Substanzwert bei der Bewertung erwerbswirtschaftlicher Unternehmen keine eigenständige Bedeutung zukommt (IDW S 1, Tz. 6).1 b) Rationale Erwartungen

3.29 Nimmt man – was in unserer Wirtschaftsordnung der Normalfall ist – die Perspektive eines erwerbswirtschaftlich kalkulierenden Investors ein, bilden die erwarteten künftigen Nettozuflüsse an den Unternehmenseigner die Grundlage für die Wertfindung. Ausgangspunkt einer Unternehmensbewertung ist damit stets eine Auseinandersetzung mit der Unternehmensplanung.

3.30 An diese Planung ist derselbe Sorgfaltsmaßstab anzulegen, wie an die Geschäftsführung selbst. Sie muss berücksichtigen, dass unternehmerische Entscheidungen nachvollziehbar im besten Sinne des Unternehmens getroffen werden. Daraus folgt für den Fall, dass der Barwert der finanziellen Überschüsse, die sich bei Liquidation des gesamten Unternehmens ergeben (Liquidationswert), den Fortführungswert übersteigt, der Liquidationswert Relevanz erlangt, weil dies die beste Handlungsalternative darstellt.

3.31 Diese Planung muss die Erwartungen zum Bewertungsstichtag abbilden (Stichtagsprinzip, IDW S 1, Abschnitt 4.3.). Sie darf nicht einseitig Risiken übergewichten (Unbeachtlichkeit des [bilanziellen] Vorsichtsprinzips, IDW S 1, Abschnitt 4.6.) c) Sonderwerte

3.32 Aus den Anforderungen an eine rationale Planung folgt auch der Grundsatz, dass Vermögensgegenstände, deren Wert in der Planung der laufenden Zahlungsüberschüsse nur unvollständig abgebildet wird und die ohne Beeinträchtigung der Ertragskraft veräußert werden können (z.B. nicht genutzte Grundstücke, nicht benötigte Liquidität), separat mit ihrem Veräußerungserlös anzusetzen sind. Traditionell wird dies als nicht betriebsnotwendiges Vermögen bezeichnet (IDW S 1, Abschnitt 4.5.). In der Bewertungspraxis wird der Begriff Sonderwerte breiter verwendet und umfasst z.B. auch nicht in der Konzernplanung berücksichtigte Aktivitäten wie z.B. nicht konsolidierte Beteiligungen.

1 Eher verwirrend ist es daher, wenn das BewG die Summe der gemeinen Werte in § 11 BewG als Substanzwert bezeichnet. Tatsächlich führt die Summe der gemeinen Werte nicht zum Substanzwert, sondern zum Liquidationswert.

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Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.40 § 3

3. Methodische Vorgehensweise a) Ertragswert und DCF Der Wert eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens wird grundsätzlich durch Kapitalisierung der erwarteten künftigen Überschüsse ermittelt. In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich als gängige Verfahren das Ertragswertverfahren (vgl. IDW S 1, Abschnitt 7.2.) und die Discounted Cash Flow (DCF)-Verfahren (vgl. IDW S 1, Abschnitt 7.3.) herausgebildet.

3.33

Die Ertragswertmethode ist eine Nettomethode. Sie ermittelt direkt den Wert des Eigenkapitals, indem die erwarteten Nettozuflüsse der Gesellschafter mit der Renditeerwartung der Eigenkapitalgeber kapitalisiert werden. Dabei werden die Nettozuflüsse regelmäßig aus einer Ertragsplanung abgeleitet.

3.34

Die DCF-Methode ist in ihrer üblichen Ausprägung eine Bruttomethode. Sie ermittelt zunächst den Wert des Gesamtkapitals, in dem die an alle Kapitalgeber fließenden Zahlungen (free cash flow) mit den durchschnittlichen Kapitalkosten aller Kapitalgeber (WACC = weighted averaged cost of capital) kapitalisiert werden. Vom Wert des Gesamtkapitals zieht man das Fremdkapital ab und gelangt so zum Wert des Eigenkapitals.

3.35

Bei richtiger Anwendung kommen beide Verfahren zu identischen Ergebnissen:

3.36

IDW S 1, Tz. 101: „Ertragswert- und Discounted Cash Flow-Verfahren beruhen auf der gleichen konzeptionellen Grundlage (Kapitalwertkalkül); in beiden Fällen wird der Barwert zukünftiger finanzieller Überschüsse ermittelt. Konzeptionell können sowohl objektivierte Unternehmenswerte als auch subjektive Entscheidungswerte mit beiden Bewertungsverfahren ermittelt werden. Bei gleichen Bewertungsannahmen bzw. -vereinfachungen, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung, führen beide Verfahren zu gleichen Unternehmenswerten. Beobachtet man in der Praxis unterschiedliche Unternehmenswerte aufgrund der beiden Verfahren, so ist dies regelmäßig auf unterschiedliche Annahmen – insbesondere hinsichtlich Zielkapitalstruktur, Risikozuschlag und sonstiger Plandaten – zurückzuführen.“

In der Praxis werden DCF-Bewertungen bei internationalen Anlässen oder bei verschuldungsgetriebenen Bewertungen präferiert, weil sie eine Trennung der Bewertung des operativen Geschäfts und der Betrachtung der Finanzierung ermöglichen. Wenn die Finanzierung selbst mit zum operativen Geschäft gehört (z.B. bei Banken), ist eine Brutto-DCF-Bewertung nicht sinnvoll und die Ertragswertmethode üblich.

3.37

b) Objektivierter und subjektiver Wert Ein Unternehmen wird immer aus der Sicht eines Bewertungssubjekts bewertet. Die Frage ist, wie man dieses Subjekt definiert.

3.38

In manchen Fällen ist das Bewertungssubjekt bekannt und seine Sicht entscheidungsrelevant (z.B. bei freien Kaufentscheidungen, bei bilanziellen Bewertungen oder bei Sacheinlagen). Dann können sowohl in den Zahlungserwartungen also auch in den Renditeanforderungen die Erwartungen des Bewertungssubjekts einfließen. So können z.B. spezifische Synergien eines Käufers in seine subjektive Bewertung mit einfließen.

3.39

In vielen rechtlich veranlassten Bewertungen ist das Bewertungssubjekt nicht individuell bestimmbar (z.B. bei Publikumsaktiengesellschaften) oder eine individuelle Betrachtung nicht gewollt, weil solche individuellen subjektiven Elemente im Streitfall kaum nachprüfbar sind. In diesen Fällen werden individuelle Einschätzungen durch nachvollziehbare Typisierun-

3.40

Jonas 73

§ 3 Rz. 3.40

Erster Teil: Einführung

gen ersetzt. Man gelangt so zu einem intersubjektiv nachvollziehbaren und damit objektivierten subjektiven Wert. Diese Typisierungen betreffen insbesondere die Risikoaversion und die steuerliche Belastung des Bewertungssubjekts. c) Typisierung der Steuerbelastung

3.41 Steuern, insbesondere Ertragsteuern, beeinflussen die Ertrags- und Renditeerwartungen von Unternehmenseigentümern. Dies trifft sowohl für die Unternehmenssteuern als auch für die persönlichen Ertragsteuern zu. Daher sind grundsätzlich Unternehmen unter Berücksichtigung auch der persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigentümer zu bewerten (vgl. § 17).

3.42 Wenn die persönlichen steuerlichen Verhältnisse nicht bekannt sind oder eine objektivierte Bewertung erfolgen soll, müssen die steuerlichen Verhältnisse typisiert werden. Dabei unterscheidet der IDW S 1 zwischen einer unmittelbaren Typisierung, bei der die persönlichen Ertragssteuern der Unternehmenseigentümer ausdrücklich berücksichtigt werden,1 und einer mittelbaren Typisierung, bei der zwar persönliche Ertragsteuern außen vor bleiben,2 die Kapitalmarktparameter, insbesondere die Marktrisikoprämie, jedoch aus einem Modell abgeleitet werden, das überleitbar zu dem Nach-Steuer-Model ist. d) Typisierung der Risikoprämie

3.43 Menschen sind risikoavers. Bei der Wahl zwischen einer künftigen sicheren Zahlung und einer gleich hohen unsicheren Zahlungserwartung bevorzugen sie die sichere Zahlung. Fraglich ist, wie ausgeprägt diese Risikoaversion ist. In subjektiven Bewertungen und nach dem früheren nutzentheoretischen Verständnis des objektivierten Werts ist diese Risikoversion gutachterlich zu schätzen. Die dann verwendete Risikoprämie auf den risikofreien Kapitalisierungszinssatz ist intersubjektiv kaum nachprüfbar.

3.44 Ein entscheidender Schritt zur Bestimmung nachvollziehbarer Risikoprämien gelang in den 1960er Jahren mit der Entwicklung der modernen Kapitalmarkttheorie.3 Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) beruht auf der Feststellung, dass unter der Annahme effizienter Kapitalmärkte am Markt ein allgemein gültiger Preis für die Übernahme von Risiko entsteht. Dieser Preis für Risikoübernahme reflektiert die aggregierten Präferenzen aller Marktteilnehmer. Für jeden einzelnen Marktteilnehmer ist er ein gegebenes, objektives Datum. Der durchschnittliche Preis für unternehmerisches Risiko ist die Differenz zwischen der durchschnittlichen Aktienrendite und der risikofreien Rendite, die sog. Marktrisikoprämie. Systematische Abweichungen des Risikoprofils des konkret zu bewertenden Unternehmens von diesem Durchschnitt kommen im sog. Betafaktor zum Ausdruck.

3.45 Mit den durch EDV und Internet geschaffenen Möglichkeiten, die zur praktischen Umsetzung des CAPM notwendigen Kapitalmarktdaten schnell und preiswert zu erheben, hielt das CAPM seit den 1990er Jahren auch Einzug in die Bewertungspraxis. Trotz vielfältiger Kritik an den methodischen Prämissen und der empirischen Belastbarkeit ist es unverändert das Referenzmodell zur Erklärung von Kapitalmarktpreisen. Entscheidend für seine Verbreitung bei 1 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 31. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 30. 3 Zum CAPM aus 1964 vgl. Darstellung in Brealey/Myers, Principles of Corporate Finance, Abschnitt 9.

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Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.52 § 3

objektivierten Bewertungen ist die so geschaffene Möglichkeit, die bei der Unternehmensbewertung verwendete Risikoprämie auf der Basis objektiv nachvollziehbarer Annahmen und Kapitalmarktdaten zu bestimmen bzw. zu hinterfragen. 4. Plausibilisierung des Unternehmenswerts Auch wenn Unternehmensplanungen mit Markt- und Branchenerwartungen abgeglichen 3.46 werden und der Kapitalisierungszins aus Kapitalmarktdaten abgeleitet wird, verbleibt die Unsicherheit, ob ein solchermaßen gutachtlich ermittelter Ertragswert oder DCF-Wert auch mit der Markteinschätzung des Unternehmenswerts übereinstimmt. Diese Sorge mag insbesondere darin begründet sein, dass Unternehmensplanungen häufig zu mehreren Zwecken aufgestellt werden. Regelmäßig dienen sie auch zur Motivierung und Incentivierung von leitenden Mitarbeitern, manchmal auch zur Kommunikation mit potentiellen Investoren. In solchen Fällen ist es nicht ungewöhnlich, dass die Unternehmensplanung auf einer eher optimistischen Grundeinschätzung beruht. Aufgrund dieser berechtigten Sorge wurde eine alleinige Wertbestimmung mit dem Zukunftserfolgswert bis 1983 überwiegend abgelehnt. Stattdessen wurden Ertragswerte auf der Grundlage historischer, nicht geplanter Erträge berechnet oder mit Substanzwerten gemischt.

3.47

Heute ermöglicht die zunehmende Transparenz und Berichterstattung über Unternehmenstransaktionen den direkten Vergleich mit anderen gezahlten Unternehmenskaufpreisen. Diese Preise werden in Relation zu aktuellen Unternehmenskennzahlen wie EBIT, EBITDA, Umsatz oder Buchwert gesetzt. Die sich so ergebenden Multiplikatoren haben den Vorteil, einfach sowie scheinbar manipulationsfrei und marktnah zu sein. Trotz aller Kritik aus bewertungstheoretischer Sicht haben diese vergleichsorientierten Multiplikatorenverfahren in der M&APraxis weite Verbreitung gefunden.

3.48

Für die einfache Preisfindung in einer freien Markttransaktion ist dies auch nachvollziehbar. Wenn das Bewertungsobjekt mit dem Vergleichsunternehmen gut vergleichbar ist und die künftige Entwicklung des Bewertungsobjekts mit der Entwicklung der Vergleichsunternehmen übereinstimmt, und wenn sich die Preise der Vergleichsunternehmen in einem vergleichbaren Transaktionsumfeld gebildet haben, dann ermöglicht die Übertragung eines solchen Multiplikators auf die Kennzahl des Bewertungsobjekts eine marktnahe und manipulationsfreie Bewertung.

3.49

Im Umkehrschluss sind Multiplikatoren dann nicht sinnvoll anwendbar, wenn sich das Bewertungsobjekt in einer Umbruchsituation befindet oder sich die Transaktion von der Vergleichstransaktion in der Zielsetzung unterscheidet.

3.50

Eben dies ist bei rechtlich veranlassten Bewertungen häufig der Fall. Solche Bewertungen wer- 3.51 ten typischerweise in Situationen vorgenommen, in denen das Unternehmen sich verändert, bei Gesellschafterwechsel, Umstrukturierung und Neuausrichtung. In solchen Situationen oder in einem gesamtwirtschaftlichen sich verändernden Umfeld stellen Multiplikatoren keine verlässliche Vergleichsgröße dar. Nach IDW S 1 dienen vereinfachte Preisfindungen wie Multiplikatorenverfahren lediglich der Plausibilitätskontrolle der Ergebnisse der Bewertung nach dem Ertragswertverfahren bzw. nach den DCF-Verfahren (IDW S 1, Tz. 143). Als eine solche Plausibilitätskontrolle sind sie

Jonas 75

3.52

§ 3 Rz. 3.52

Erster Teil: Einführung

in der heutigen Bewertungspraxis ein selbstverständlicher Bestandteil eines Bewertungsgutachtens. 5. Börsenkurs

3.53 Bei börsennotierten Unternehmen kommt dem Börsenkurs aufgrund seiner von der Rechtsprechung entwickelten Funktion als Wertuntergrenze in der Bewertungspraxis eine erhebliche Bedeutung zu (vgl. § 18). Dem Vorbehalt, dass der Börsenkurs lediglich den Preis darstellt, zu dem das Angebot und die Nachfrage nach einzelnen Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Ausgleich kommen, und dass dieser Preis regelmäßig vom Gesamtwert des Eigenkapitals abweichen wird, kommt die Rechtsprechung dadurch entgegen, dass der Börsenkurs lediglich in Form einer Durchschnittsgröße bei unmanipulierten Handel als Wertuntergrenze für ausscheidende Minderheitsaktionäre zum Tragen kommt.

IV. Unternehmensbewertungskonzepte in speziellen Kontexten 3.54 Der Standard IDW S 1 prägt als ältester und bekanntester deutscher Bewertungsstandard maßgeblich die deutsche Bewertungspraxis. Gleichwohl hat er als interner Standard der Berufsorganisation der deutschen Wirtschaftsprüfer keinerlei unmittelbar rechtlich bindende Wirkung. Daher existiert neben dem IDW S 1 eine ganze Reihe von Richtlinien und Empfehlungen, die z.T. Besonderheiten in speziellen Situationen behandeln, zum Teil aber auch im unmittelbaren Wettbewerb zum IDW S 1 als maßgeblicher Standard der Praxis stehen. 1. Bewertungsstandards anderer Berufsorganisationen a) Östereichischer Bewertungsstandard KFS/BW 1

3.55 In Österreich wird die Bewertungspraxis geprägt von dem Fachgutachten KFS/BW 1 der österreichischen Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Dieses Fachgutachten gilt aktuell in der Fassung des Gutachtens vom 26.3.2014. Es stimmt wie das vorangegangene Fachgutachten von 2006 methodisch und sprachlich in vielen Aspekten mit IDW S 1 überein. Wesentliche Unterschiede betreffen die persönlichen Ertragssteuern, die nach KFS/BW 1 grundsätzlich außer Betracht bleiben sollen, und die Bedeutung von Kapitalmarktdaten für die Bestimmung der Kapitalkosten, wo nach KFS/BW 1 die Freiheitsgrade des Bewerters größer sind, die explizite Berücksichtigung einer Konvergenzannahme in der Rentenphase sowie die Berücksichtigung von Insolvenzrisiken. b) Fachmitteilung der Schweizer Treuhandkammer

3.56 In der Schweiz ist die Bewertungspraxis heterogener und deutlich weniger detailliert von Standards geprägt. Die Fachmitteilung „Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)“ der EXPERTsuisse, einem Expertenverband für Wirtschaftsprüfung, Steuern und Treuhand (der ehemaligen Schweizerischen Treuhandkammer) vom 6.9.2018 befasst sich zwar ausdrücklich mit der Bewertung von KMU, kann aber auch für die Bewertung größerer Unternehmen herangezogen werden.1 Empfohlen werden zukunftsorientierte Bewertungsmethoden wie das Ertragswertverfahren oder DCF-Verfahren. In Struktur und Aufbau greift die Fachmitteilung viele Punkte des IDW S 1 auf. Mit Blick auf die besonderen 1 Vgl. Hüttche, Expert Focus 2018, S. 771.

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Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.61 § 3

Herausforderungen bei der Bewertung von KMU finden sich vertiefende Ausführungen zur übertragbaren Ertragskraft bei personenbezogenen Unternehmen und zum Einfluss des Verschuldungsgrads. Das früher mit der Schweizer Bewertungspraxis verbundene Mittelwertverfahren (Mischung aus Ertrags- und Substanzwert) wird erwähnt, aber als theoretisch nicht begründbar abgelehnt. c) Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung der DVFA Im Dezember 2012 hat die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V. Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung veröffentlicht. Das angesprochene Anwendungsgebiet dieser Empfehlungen ist eingeschränkt auf die Abfindung von Minderheitsaktionären:

3.57

„A.1. Anwendungsbereich der Empfehlungen: angemessene Abfindung: Gegenstand der folgenden Empfehlungen ist die (ex post richterlich angeordnete oder ex ante mit Blick auf die Möglichkeit einer späteren gerichtlichen Überprüfung vorgenommene) Unternehmensbewertung als Grundlage einer angemessenen Abfindung, die an Minderheitsgesellschafter von Aktiengesellschaften für den Verlust ihrer Aktien geleistet wird.“

Methodisch propagiert diese Empfehlung im bewussten Gegensatz zu IDW S 1 eine Methodenvielfalt:

3.58

„Typisch für diese Methodenvielfalt ist die Kombination der drei Elemente – Diskontierungsverfahren (international klar dominierend: Discounted Cash Flow-Methode), – Multiplikator-basierte Verfahren (auf der Basis von Börsenkursen vergleichbarer Unternehmen und Kaufpreisen vergleichbarer Transaktionen), sowie – bei börsennotierten Unternehmen der Börsenkursanalyse.“

Die Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung der DVFA versteht sich und bezeichnet sich als direkten Gegenentwurf zu IDW S 1. Inwieweit sie die deutsche Bewertungspraxis beeinflussen wird, wird der Wettbewerb der Standards in der tatsächlichen Anwendung zeigen.

3.59

d) International Valuation Standards des IVSC Der International Valuation Standards Council (IVSC) mit Sitz in London ist eine 1981 von 3.60 nationalen Bewertungsprofessionals gegründete Non-Profit-Organisation. Ursprünglich war die Organisation auf die Bewertung von Immobilen ausgerichtet, was sich auch heute noch am Kreis ihrer Mitglieder erkennen lässt. Im Jahr 2007 hat sich die Organisation grundsätzlich neu und breiter aufgestellt. Ob und inwieweit die von ihr herausgegeben Standards die Bewertungspraxis beeinflussen werden, wird die Zukunft zeigen. Derzeit haben die sog. International Valuation Standards (IVS) in Deutschland keine nennenswerte praktische Bedeutung. e) Empfehlungen einzelner Berufsgruppen Um ihren Mitgliedern die Preisfindung bei der Übertragung von Praxen oder Betrieben zu erleichtern, haben einige Berufskammern und Berufsorganisationen Hinweise zur Bewertung herausgegeben:1

1 Überblick bei Bayerisches Landesamt für Steuern, ErbSt-Kartei, Az. S 3224.1.1 – 1/7 St 34.

Jonas 77

3.61

§ 3 Rz. 3.61

Erster Teil: Einführung

– Bundessteuerberaterkammer 3/2017: Hinweise zur Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis – Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK-Mitteilung) 1/2018: Zur Bewertung von Anwaltskanzleien – Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 2008, S. 2778-2780: Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen vom 9.9.2008 – Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk (AWH): AWHStandard

3.62 Diesen Empfehlungen ist gemein, dass sie von der grundsätzlichen Richtigkeit der Ertragswertmethode ausgehen aber für ihre Mitglieder mehr oder weniger starke Vereinfachungen bis hin zur Kombination von Substanzwert plus mittels einfacher Multiplikatoren ermittelten Mehr-(Praxis-)Wert empfehlen. 2. Bewertungskonzepte im Steuerrecht und in der Rechnungslegung a) Bewertungsgesetz und vereinfachter Ertragswert

3.63 In Folge der Entscheidung des BVerfG vom 7.11.20061, hat der Gesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz zum 1.1.2009 das Erbschaftsteuerrecht, vor allem jedoch auch das Bewertungsgesetz überarbeitet. Danach ist ein Unternehmen oder Unternehmensanteil mit dem gemeinen Wert nach § 11 Abs. 2 BewGzu bewerten: „Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde.“

3.64 Indem der Gesetzgeber ausdrücklich die Ertragsaussichten nennt und im Folgenden in den §§ 199 bis 203 BewG die vereinfachte Ertragswertmethode als mögliche Bewertungsmethode anbietet, ist erkennbar, dass auch der Steuergesetzgeber von der allgemeinen Angemessenheit der Ertragswertmethode ausgeht. In der Bewertungspraxis hat dies dazu geführt, dass für steuerliche Zwecke vereinfachte Unternehmensbewertungen regelmäßig alleine durch vollumfängliche Ertragsbewertungen nach IDW S 1 widerlegt werden können. b) Fair Value nach IFRS 13 und Nutzungswert nach IAS 36

3.65 Sowohl die nationale Rechnungslegung nach HGB als auch die internationale Rechnungslegung der IFRS verwendete schon früh Wertbegriffe wie „beizulegender Wert“, „fair value“ oder „Nutzungswert“. Nachdem der Firmenwert nach IFRS seit 2004 nicht mehr planmäßig, sondern nur noch auf den niedrigeren beizulegenden Wert abgeschrieben wird, und die Bewertung zum fair value immer mehr Verbreitung findet, wurden diese Begriffe in den IFRS Standards detaillierter definiert. Insbesondere seit der Finanzkrise 2007 hat die genaue Interpretation und Umsetzung dieser Wertbegriffe für die Praxis erheblich an Bedeutung gewonnen.

1 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, GmbHR 2007, 320.

78

Jonas

Berufsständische Bewertungspraxis

Rz. 3.71 § 3

Der Nutzungswert wird dabei regelmäßig, der fair value nur in Ermangelung belastbarer 3.66 Marktbewertungen, als DCF-Wert ermittelt. Auch wenn die einzelnen Prämissen dabei unterschiedlich sein können (z.B. Nutzungswert ohne Berücksichtigung von Unternehmenssteuern, aber mit Synergien; fair value umgekehrt), so ist doch wesentlich, dass die dabei verwendete Rechentechnik eines Brutto-DCF grundsätzlich mit der Rechentechnik einer IDW S 1-DCF-Bewertung kompatibel gestaltet werden kann. 3. Besondere Bewertungsstandards und Hinweise Die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen sind in IDW S 1 so allgemein formuliert, dass sie unabhängig vom Bewertungsanlass verwendbar sind. Der die praktische Anwendung von IDW S 1 prägende Bewertungsanlass ist eine gesellschaftsrechtliche motivierte Bewertung. Bei einigen Bewertungsanlässen sind die spezifischen, relevanten Bewertungsfragen demgegenüber jedoch deutlich anders gelagert. Aus diesem Grund hat das IDW neben IDW S 1 noch einige konkretisierende weitere Standards und Hinweise verabschiedet.

3.67

a) IDW RS HFA 10, IDW RS HFA 16 und IDW S 5 Im Mittelpunkt dieser Standards stehen konkretisierende Empfehlungen bei bilanziell veranlassten Bewertungen, insbesondere bei Werthaltigkeitstests und Kaufpreisallokationen. Da solche Bewertungen regelmäßig vorgenommen werden und die Überprüfung ihrer richtigen Durchführung seit Jahren auf der Prioritätenliste der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung DPR e.V. an erster Stelle steht, haben bilanzielle Bewertungen für die Bewertungspraxis eine prägende Bedeutung. Anders als im gesellschaftsrechtlichen Umfeld stellen hier BruttoDCF vor persönlichen Ertragsteuern, häufig auch modular oder sum-of the-parts aufgebaut, den Standard dar. Wesentlich ist aber auch hier, dass die Kompatibilität mit IDW S 1 Bewertungen grundsätzlich gegeben ist.

3.68

b) Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW S 8) Gutachtliche Unternehmensbewertungen beinhalten stets eine gutachtliche, d.h. kritische und ausreichend tiefgehende Auseinandersetzung mit den verwendeten Unternehmensinformationen. Die Abläufe vieler Unternehmenstransaktionen, die durch Zeitdruck und Informationsprobleme gekennzeichnet sind, erlauben keine Unternehmensbewertungen, die dem Prädikat „gutachtlich“ genügen würden. Gleichwohl können Unternehmen oder ihre Organe daran interessiert sein, die Angemessenheit der vereinbarten Kaufpreise durch externe Experten bestätigen zu lassen.

3.69

Der Standard IDW S 8 legt dar, nach welchen Grundsätzen solche Fairness Opinions durch Wirtschaftsprüfer zu erstellen sind. Die wesentliche Abweichung zu IDW S 1 liegt darin, dass nach IDW S 8 vereinfachende Multiplikatorenbewertungen mehr als nur Plausibilitätsüberlegungen darstellen und als tragende Beurteilungsgrundlage verwendet werden können.

3.70

c) Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen Ein großer Teil der Literatur, der Rechtsprechung und der öffentlich bekannten Bewertungsgutachten betrachtet die Bewertung von großen, börsennotierten Unternehmen. So wird die tatsächliche Anwendungspraxis der Unternehmensbewertung dominiert von Themen wie Jonas 79

3.71

§ 3 Rz. 3.71

Erster Teil: Einführung

Betafaktor, steuerliche Systemwechsel oder Wechselkursrisiken, die für die Mehrzahl von mittelständischen Unternehmen wenig relevant sind. Eine auf kapitalmarktheoretisch fundierten Typisierungen beruhende Ertrags- oder DCF-Bewertung wird daher häufig als für mittelständische Unternehmen zu überfrachtet und realitätsfern empfunden. Gleichzeitig ist aber zu konstatieren, dass die Grundsätze und die Methodik der Ertragswert- und DCF-Methode auch für mittelständische Unternehmen anwendbar und sinnvoll sind.

3.72 Um gleichwohl die Besonderheiten eine Bewertung von mittelständischen Unternehmen im Rahmen einer IDW S 1 Bewertung aufzuzeigen und Lösungen darzulegen, haben das IDW und die BStBK am 8.4.2014 Hinweise zu den „Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen“ veröffentlicht.1

3.73 Tragende Überlegung dieser Hinweise ist die besondere Personenbezogenheit vieler kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Diese Abhängigkeit vom bisherigen Eigentümer oder Geschäftsführer führt in vielen Fällen zu dem Befund, dass die bisherige Ertragskraft des Unternehmens nur unvollständig auf einen neuen Eigentümer übertragen werden kann. Dies ist dann wertmindernd in der Planung des Unternehmens zu berücksichtigen.

V. Ausblick 3.74 Die Bewertungspraxis hat mit der Abkehr von scheinbar sicheren Substanzwerten und der Hinwendung zu zukunftsbezogenen, kapitalmarkttheoretisch fundierten Bewertungsmodellen einen breit akzeptierten Konsens gefunden. Ausgehend von dieser Lagebeschreibung lassen sich derzeit drei Entwicklungslinien erkennen: – In den großen, strittigen Bewertungsfällen ist ein Wettrüsten in der Argumentationstiefe zu erkennen. Die verwendeten Modelle und Ableitungen einzelner Parameter werden immer weiter verfeinert. Die empirische Unterlegung einzelner Parameter oder Planungsannahmen erfolgt auf der Grundlage von immer mehr und immer schneller verarbeiteten Informationen. – Als Gegenbewegung ist eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen, nach Kochbuchrezepten zu erkennen. So treffen einzelne Vorstöße für pauschale Lösungen z.B. bei Multiplikatoren, Steuern oder Betafaktoren schnell auf eine gewisse Zustimmung. Wie der Wettbewerb zwischen abschreckend anspruchsvollen und einladend vereinfachenden Modellansätzen ausgehen wird, ist nicht von vornherein eindeutig. – Spektakuläre Fehlkäufe von Unternehmen, die zum Teil auch gerichtlich aufgearbeitet werden, haben die Schwachstelle moderner Bewertungsmethoden deutlich aufgezeigt. Eine zukunftsorientierte Unternehmensbewertung ist nur so tragfähig, wie die dabei verwendete Unternehmensplanung. Wie weit eine Unternehmensplanung auf Glaubwürdigkeit geprüft werden kann, wie die durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz gestiegene Unsicherheit zu berücksichtigen ist und ob marktorientierte Wertmaßstäbe dabei unterstützen können, sind derzeit die für die weitere Entwicklung der Bewertungspraxis entscheidenden Fragen.

1 IDW, WPg-Supplement 2/2014.

80

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Zweiter Teil Bewertungsmethoden §4 Überblick über das Ertragswertverfahren I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätze ordnungsgemäßer Ertragswertberechnung . . . . . . . . . . . 1. Komplexitätsreduktion . . . . . . . . . . . . 2. Zweckadäquanzprinzip . . . . . . . . . . . . 3. Zukunftsbezogenheitsprinzip . . . . . . . 4. Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gesamtbewertungsprinzip und Kapitalwertprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 6. Subjektivitäts-, Typisierungs- und Objektivierungsprinzip . . . . . . . . . . . . 7. Äquivalenzprinzipien . . . . . . . . . . . . . 8. Verbundberücksichtigungsprinzip . . .

4.1 4.4 4.4 4.6 4.7 4.10 4.11 4.17 4.20 4.26

9. Liquidationstest und Marktwertvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.27 10. Dokumentationsprinzip . . . . . . . . . . . 4.29 III. 1. 2. 3. 4.

Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . . . Bewertungskonzeption . . . . . . . . . . . . Festlegung des Planungshorizontes . . . Ertragsschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung des Diskontierungszinses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Berechnung des Restwerts . . . . . . . . . .

4.30 4.30 4.36 4.37 4.41 4.44

IV. Rechtsprechung zur Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.46 V. Thesenförmige Zusammenfassung . . 4.47

Schrifttum: Angermayer-Michler/Oser, Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1363; Bachl, Einführung in die Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2015; Bachl, Unternehmensbewertung in der gesellschaftsrechtlichen Judikatur, 2006; Ballwieser, Zur „Kunst“ der Verwendung von Bewertungszuschlägen und -abschlägen, CF 2018, 61; Ballwieser, Verbindungen von Ertragswertund Discounted-Cashflow-Verfahren, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 509; Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion, 3. Aufl. 1990; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung – Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl. 2016; Ballwieser/Leuthier, Betriebswirtschaftliche Steuerberatung: Grundprinzipien, Verfahren und Probleme der Unternehmensbewertung, DStR 1986, 545 und 604; Ballwieser/Löffler, Themenheft: Aktuelle Probleme der Unternehmensbewertung, ZfbF 2018, 1; Bassemir/Gebhardt/Ruffing, Zur Diskussion um die (Nicht-) Berücksichtigung der Finanz- und Schuldenkrisen bei der Ermittlung der Kapitalkosten, WPg 2012, 882; Böcking, Goodwill Impairments im Spannungsfeld von Unternehmensbewertung und Rechnungslegung – Verbesserung der Entscheidungsnützlichkeit durch Corporate Governance Strukturen?, FS Ballwieser, 2014, S. 23; Böcking, Das Verbundberücksichtigungsprinzip als Grundsatz ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, FS Moxter, 1994, S. 1407; Böcking/Gros/Koch/Wallek, Der neue Konzernlagebericht nach DRS 20, Der Konzern 2013, 30; Böcking/Nowak, Konkretisierung marktorientierter Unternehmensbewertung durch das Bundesverfassungsgericht, in Arnold/Englert/Eube (Hrsg.), Werte schaffen – Werte messen, 2000, S. 130; Behringer/Gleißner, Die Unternehmensplanung als Grundlage für die Unternehmensbewertung, WPg 2018, 312; Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, Die Marktrisikoprämie im Niedrigzinsumfeld – Hintergrund und Erläuterung der Empfehlung des FAUB, WPg 2018, 806; Christensen/Hinz/Vollmer/Weimann, Ungenauigkeit in der Unternehmensbewertung bei Verwendung des Basiszinssatzes gemäß FAUB, CF 2018, 73; Coenenberg/Schultze, Unternehmensbewertung: Konzeptionen und Perspektiven, Die Betriebswirtschaft 2002, 597; Ernst, Modulgesteuerte Businessplanung als Instrument der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 221; Fleischer, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage – Der Stinnes-Beschluss des BGH zur Anwendung neuer Bewertungsstandards auf vergangene Bewertungsstichtage, AG 2016, 185;

Böcking/Nowak 81

§ 4 Rz. 4.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Fleischer, Zur Behandlung des Fungibilitätsrisikos bei der Abfindung außenstehender Aktionäre (§§ 305, 320b AktG), FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen in Deutschland und Italien, RIW 2013, 24; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften – Minderheitsabschlag, Fungibilitätsabschlag, Abschlag für Schlüsselpersonen, ZIP 2012, 1633; Fleischer, Zu Bewertungsabschlägen bei der Anteilsbewertung im deutschen GmbH-Recht und im US-amerikanischen Recht der close corporation, FS Hommelhoff, 2012, S. 223; Fleischer/Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Gebhardt/Ruffing, Zukunftsorientierte Bestimmung von Beta-Faktoren für die Unternehmensbewertung, FS Ballwieser, 2014, S. 201; Hachmeister, Rezeption der Funktionenlehre in der Rechtsprechung: Darstellung und Würdigung, FS Ballwieser, 2014, S. 219; Hachmeister/Ruthardt, Nicht betriebsnotwendiges Vermögen in der Unternehmensbewertung, BB 2014, 875; Hannes, Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1383; Helbling, Due Diligence Review, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 245; Henselmann/Munkert/Winkler/Schrenker, 20 Jahre Spruchverfahren – Empirische Ergebnisse zur Abfindungserhöhung in Abhängigkeit vom Antragsteller und von den Bewertungssubjekten, WPg 2013, 1206; Hofmann/Küpper, Komplexitätsreduktion als Problem der Betriebswirtschaftslehre, FS Ballwieser, 2014, S. 323; IDW S 1 2008, Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008); Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Knauer/Dudek, Nachhaltige Wachstumsraten bei der Folgebewertung des Goodwills, WPg 2018, 352; Kruschwitz, Das Problem der Anschlussverzinsung, ZfbF 2018, 9; Kuhner, Kapitalbindung in der Unternehmensbewertung und das Problem der unbegrenzten Laufzeit der Alternativanlage, FS Ballwieser, 2014, S. 471; Meitner, Der Terminal Value in der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 647; Meitner/Streitferdt, Die Bestimmung des Betafaktors, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 521; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 3. Aufl. 1970; Nowak, Marktorientierte Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2003; Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 277; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994; Popp, Vergangenheits- und Lageanalyse, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 173; Rausch, Unternehmensbewertung mit zukunftsorientierten Eigenkapitalkostensätzen, 2008; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung zur Abfindungsbemessung, Normzweckadäquate Typisierungen für das Ertragswertverfahren unter Beachtung der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre, ZfbF 2018, 47; Schwetzler, Steady State und Wachstum in der Terminal Value Ermittlung, CF 2018, 80; Volkart, Unternehmensbewertung und Akquisitionen, 3. Aufl. 2010; Wagner/Mackenstedt/Schieszl/Lenckner/ Willershausen, Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in der Unternehmensbewertung, WPg 2013, 948; Welfonder/Bensch, Status Quo der Unternehmensbewertungsverfahren in der Praxis, CF 2017, 175; Wieland-Blöse/Pfender, Beurteilung der Unternehmensplanung im Transaktionskontext, CF 2018, 93; Wüstemann, BB-Rechtsprechungsreport Unternehmensbewertung 2011/12, BB 2012, 1719; Zwirner, Unternehmensbewertung, Bewertungsmethoden und -ansätze, 2012.

I. Einleitung 4.1 Die Berechnung eines Unternehmenswertes kann aus unterschiedlichen Anlässen erforderlich oder gewünscht sein. Das Spektrum reicht von der Berechnung einer angemessenen Abfindung zwangsweise ausscheidender Aktionäre bis hin zu einer freiwilligen Unternehmenstransaktion wie z.B. den Kauf oder Verkauf eines Unternehmens (vgl. zu den Bewer82

Böcking/Nowak

Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.5 § 4

tungsanlässen Rz. 2.16–2.18). Der Bewertungszweck entscheidet über die Frage, ob ein Unternehmen objektiviert oder subjektiv zu bewerten ist (Zweckadäquanzprinzip)1. Seit den sechziger Jahren hat sich in der Wissenschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich 4.2 der Unternehmenswert aus materiellen und immateriellen Wertkomponenten zusammensetzt. Die bis dahin in der Bewertungspraxis vorherrschenden Einzelbewertungsverfahren waren und sind nicht in der Lage, alle immateriellen Werte zu erfassen.2 Hierzu bedarf es einer Gesamtbewertung, die nur mit Hilfe eines Kapitalwertverfahrens möglich ist (vgl. auch Rz. 2.44–2.50). Investitionstheoretisch gehört die Ertragswertmethode zu den dynamischen Investitionsverfahren; sie stellt eine Ausprägung des Bruttobarwertverfahrens dar. Neben dem Zweckadäquanz- und dem Gesamtbewertungsprinzip sind diverse andere Grundsätze ordnungsgemäßer Ertragswertberechnung beachtlich, die in Abschnitt II., Rz. 4.4–4.29, dargestellt werden. Mit der Bewertungskonzeption der Ertragswertmethode beschäftigt sich Abschnitt III., Rz. 4.30–4.35. Dieser stellt zudem die einzelnen Parameter zur Berechnung des Ertragswertes dar und erläutert deren Berechnung. Außerdem werden Hinweise zur praktischen Ausgestaltung gegeben. Da die Ertragswertmethode einen Zahlungsstrom mit den Renditeerwartungen der Eigenkapitalgeber diskontiert, der nur diesen zufließt, kann sie systematisch mit dem Discounted Cashflow-Verfahren in Ausprägung des Equity-Ansatzes verglichen werden.3

4.3

II. Grundsätze ordnungsgemäßer Ertragswertberechnung 1. Komplexitätsreduktion Bei der Bewertung von Unternehmen sind vielfältige Einflussgrößen einer komplexen Um- 4.4 welt zu berücksichtigen. Grundsätzlich kann diese Komplexität reduziert werden durch: „(1) Verzicht auf einzelne Beschreibungsdimensionen, (2) Zerlegung in Teileinheiten, (3) Verringerung des Präzisionsgrads der Beschreibung und (4) Reduktion des Unsicherheitsgrads der Beschreibung.“4 Dabei ist die Art und Weise der Komplexitätsreduktion von der konkreten Entscheidungssituation, also vom Zweck abhängig.5 Eine in der Betriebswirtschaftslehre häufig verwendete Methode zur Komplexitätsreduktion ist die Modellbildung; so stellt auch die Ertragswertmethode ein Modell zur Reduzierung der Komplexität mit dem Zweck einer Unternehmensbewertung dar.6 Unternehmen haben – sofern sie ihren Wert erhalten können – grundsätzlich eine unendliche Lebensdauer. Bei der Ertragswertmethode wird dementsprechend zunächst die zeitli1 Vgl. grundlegend zum Zweckadäquanzprinzip Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 5-8. 2 Vgl. Welfonder/Bensch, CF 2017, 175-179. 3 Vgl. zu den Discounted Cashflow-Verfahren auch Rz. 2.48–2.50 und ausführlich § 10. Vgl. auch Nowak, Marktorientierte Unternehmensbewertung, S. 9-134. 4 Hofmann/Küpper in FS Ballwieser, 2014, S. 323 (330). 5 Vgl. Hofmann/Küpper in FS Ballwieser, 2014, S. 323 (332). Die gegenwärtig verfolgte Entwicklung international bedeutsamer Bewertungsstandards des International Valuation Standards Council (IVSC) stoßt national auf Kritik hinsichtlich der Kollision „mit der in der deutschsprachigen akademischen Welt vorherrschenden deduktiven Ableitung zweckgerechter Bewertungskalküle“ Ballwieser/Löffler, Themenheft: Aktuelle Probleme der Unternehmensbewertung, ZfbF 2018, 1-2. 6 Vgl. ausführlich Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion, 3. Aufl. 1990. Zu weiterführenden Aspekten vgl. Böcking in FS Ballwieser, 2014, S. 23 ff.

Böcking/Nowak 83

4.5

§ 4 Rz. 4.5

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

che Dimension, die Zukunft, in eine planbare Phase, den Planungshorizont, und in eine Phase nach dem Planungshorizont, den Restwert, zerlegt. Des Weiteren wird der zukünftige Nutzen, der den Unternehmenseignern aus dem Unternehmen zufließt, auf eine Erfolgsgröße reduziert. Bei der Ertragswertmethode wird angenommen, dass der zukünftige Nutzen durch die zukünftigen Unternehmenserträge abgebildet werden kann.1 Schließlich sind die alternativen Handlungsmöglichkeiten des Bewertungssubjekts (z.B. Käufer oder Verkäufer) im Modell zu berücksichtigen. 2. Zweckadäquanzprinzip

4.6 Als Bewertungszwecke kommen insbesondere die Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte oder subjektiver Entscheidungswerte in Betracht. Je nach Bewertungszweck sind bei der Durchführung der Bewertung unterschiedliche Prämissen zu beachten. „Der Bewertungszweck bestimmt auch die Wahl der Verfahrenstechnik; denn der Bewertungszweck entscheidet darüber, welches Gewicht Vereinfachungen und Objektivierungen haben.“2 Bei einer objektivierten Bewertung werden insbesondere der Zukunftsertrag und der Diskontierungszins typisiert; die verwendeten Parameter haben intersubjektiv nachprüfbar zu sein.3 Bei subjektiver Unternehmensbewertung werden als Bewertungsparameter die konkreten Verhältnisse des Bewertungssubjekts berücksichtigt.4 Der Diskontierungszins stellt hierbei die beste verdrängte alternative Mittelanlage des Bewertungssubjekts dar. 3. Zukunftsbezogenheitsprinzip

4.7 Der Wert eines Unternehmens ergibt sich aus dem Nutzen, den der Unternehmenseigner aus dem Unternehmen ziehen kann.5 Die zukünftigen Erträge des zu bewertenden Unternehmens stellen bei der Ertragswertmethode den zukünftigen Nutzen dar. Daten, insbesondere Unternehmenserträge, der Vergangenheit fließen somit nicht direkt in das Bewertungskalkül ein. Die Zukunftsbezogenheit der Unternehmensbewertung hat Münstermann kurz und gut wie folgt formuliert: „Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts.“6

4.8 Um den zukünftigen Ertrag eines Unternehmens schätzen und seine Determinanten identifizieren zu können, ist eine Vergangenheits- und Gegenwartsanalyse erforderlich. Dabei sind zunächst das Marktumfeld und die Branche des zu bewertenden Unternehmens zu analysieren. Wesentliche Wettbewerber sind zu identifizieren. Die Entwicklung des Unternehmens wird im Zeitvergleich dargestellt und in Relation zur Branchenentwicklung bzw. zu den Wettbewerbern gesetzt. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Marktvolumens und der relativen Marktanteile des zu bewertenden Unternehmens und der Wett1 Bei den Discounted Cashflow-Methoden wird der zukünftige Nutzen durch – je nach Methode – einen bestimmten Cashflow dargestellt. Vgl. zu Verbindungen der Ertragswertmethode mit den Discounted Cashflow-Methoden Ballwieser, Verbindungen von Ertragswert- und DiscountedCashflow-Verfahren, S. 509-520. 2 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 8. 3 Vgl. zum objektivierten Unternehmenswert nach IDW S 1 Ruthard/Hachmeister, ZfbF 2018, 53-56. 4 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 17. Vgl. zum Bewertungszweck auch Coenenberg/Schultze, Die Betriebswirtschaft 2002, 597 (599-600). 5 Vgl. zum Zukunftsbezogenheitsprinzip Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 116-118. 6 Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, S. 21.

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Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.11 § 4

bewerber gelegt. Alleinstellungsmerkmale des zu bewertenden Unternehmens werden neben einer Stärken- und Schwächenanalyse herausgearbeitet.1 In der Bewertungspraxis ist eine erste Vergangenheits- und Gegenwartsanalyse i.d.R. anhand bekannter Marktdaten möglich. So liefern die Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen einen validen Überblick über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens (im bilanziellen Sinne) der letzten Jahre und stellen somit wesentliche Inputgrößen bei der Vergangenheitsanalyse dar. Aus dem Lagebericht – insbesondere dem Prognosebericht – können erste Einschätzungen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens abgeleitet werden.2 Zur genaueren Aufbereitung der bewertungsrelevanten Daten werden potentielle Käufer zu einer „Due Diligence“ eingeladen. Hier werden unternehmensinterne Daten (Vergangenheits- und auch Plandaten) den potentiellen Käufern in sog. Datenräumen zugänglich gemacht. Aus diesen Daten versuchen die potentiellen Käufer dann die bewertungsrelevanten Parameter, insbesondere den zukünftigen Ertrag, abzuleiten. Da zukünftige Erträge unsicher sind, ist eine mehrdimensionale Darstellung der Zukunft erforderlich.3 Eine Möglichkeit die Unsicherheit zu berücksichtigen, ist die Szenariotechnik. Dabei werden i.d.R. drei Entwicklungsvarianten des Zukunftsertrags erfasst: best case, base case und worst case. Grundsätzlich handelt es sich bei Unternehmensbewertungen damit um Investitions- bzw. Desinvestitionsentscheidungen unter Unsicherheit. In diesem Kalkül sind somit entweder sicherheitsäquivalente Erträge mit einem risikolosen Zins abzuzinsen, oder die Erträge sind mit einem risikolosen Zins plus Risikozuschlag zu diskontieren (Sicherheitsäquivalenzprinzip).

4.9

4. Stichtagsprinzip Das Stichtagsprinzip konkretisiert das Zukunftsbezogenheitsprinzip; der Bewertungsstichtag legt fest, wann die Zukunft beginnt.4 Außerdem ist nach dem Stichtagsprinzip auf die Verhältnisse des Bewertungsstichtags abzustellen. Liegt der Bewertungsstichtag (weit) in der Vergangenheit, dürfen nur die Daten verwendet werden, die auch schon zum Bewertungsstichtag bekannt gewesen sind.5

4.10

5. Gesamtbewertungsprinzip und Kapitalwertprinzip In den sechziger Jahren hat sich in der Bewertungstheorie die Erkenntnis durchgesetzt, dass 4.11 ein objektiver Unternehmenswert zu keinem sachgerechten Bewertungsergebnis führt (vgl. hierzu auch Rz. 2.7–2.10). Jeder Investor schätzt zum einen den zukünftigen Nutzen des Unternehmens – also die aus ihm zufließenden Erträge – anders, zum anderen wird jeder Investor über andere beste verdrängte alternative Mittelanlagen (Opportunitäten) verfügen. Hinzu kommt, dass die Einzelbewertungsverfahren lediglich die materiellen Wertkomponenten erfassten, die – oft sehr werthaltigen immateriellen Wertbestandteile – blieben unberücksichtigt. 1 Vgl. zur Vergangenheitsanalyse Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 17. 2 Vgl. zum Lagebericht exemplarisch Böcking/Gros/Koch/Wallek, Der Konzern 2013, 30-43. 3 Vgl. zur Berücksichtigung unsicherer Erwartungen bei der Bestimmung des finanziellen Unternehmensertrages Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 137-148. 4 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 171. 5 Vgl. zum Stichtagsprinzip Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 168-175. Vgl. auch Fleischer, RIW 2013, 24 (30); Hüttemann, CF 2016, 472. Vgl. zur sog. „Wurzeltheorie“ BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70 – Rz. 19, MDR 1973, 391: „Dagegen müssen spätere Entwicklungen, deren Wurzeln in der Zeit nach dem Bewertungsstichtag liegen, außer Betracht bleiben.“ Zur Kritik an der sog. „Wurzeltheorie“ vgl. Hüttemann, CF 2016, 472-473.

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§ 4 Rz. 4.11

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Es fand ein Paradigmenwechsel von der objektiven zur subjektiven bzw. objektivierten Bewertungslehre statt (vgl. Rz. 2.11–2.14).

4.12 Das Gesamtbewertungsprinzip besagt, dass der Wert des Unternehmens als Ganzes zu erfassen ist. Materielle und immaterielle Vermögenskomponenten sind bei der Bewertung zu berücksichtigen. Von der Verwendung von Bewertungszuschlägen oder -abschlägen ist bei Gesamtbewertungsverfahren abzusehen. Diese „sind – neben (versteckter) Interessenwahrnehmung – allein unmaßgebliche ‚Intuition‘.“1

4.13 Das Kapitalwertprinzip berücksichtigt, dass sich der Wert des Unternehmens aus seinem zukünftigen Nutzen ergibt. Nach dem Kapitalwertprinzip stellt der Unternehmenswert einen Bruttobarwert (present value) dar, der sich aus der Diskontierung der zukünftigen Erträge mit einem risikolosen Zins plus Risikozuschlag ergibt. Die Diskontierung nimmt eine finanzmathematische und eine ökonomische Funktion wahr.

4.14 Ökonomisch bildet der Diskontierungszins die beste verdrängte alternative Mittelanlage ab, stellt also die Opportunitätskosten des Käufers/Verkäufers dar. Dabei sollten die Diskontierungszinsen2 zukunftsorientiert ermittelt werden.3

4.15 Finanzmathematisch ermöglicht die Diskontierung einen Vergleich von unterschiedlichen Zahlungsströmen, d.h. von zukünftigen Erträgen oder Cashflows, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten beliebige Ausprägungen annehmen können, also unterschiedlich groß sein können. Dabei kommt dem „Zeitwert des Geldes“ eine erhebliche Bedeutung zu. So ist ein be-

1 Ballwieser, CF 2018, 72. 2 Der im Beispiel verwendete Diskontierungszins in Höhe von 10 % setzt sich aus dem risikolosen Basiszins und einem Risikozuschlag zusammen. Bei dem zu diskontierenden Ertrag handelt es sich um einen Erwartungswert und nicht um einen sicherheitsäquivalenten Ertrag. 3 Vgl. zur zukunftsorientierten Schätzung von risikolosen Zinssätzen Rausch, Unternehmensbewertung mit zukunftsorientierten Eigenkapitalkostensätzen, S. 54-103.

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Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.16 § 4

stimmter Geldbetrag heute mehr wert als in der Zukunft. Beispielsweise ist ein Euro in fünf Jahren bei einem anzuwendenden Diskontierungszins von 10 % heute 0,6209 t wert. Dieser Wert errechnet sich durch die Diskontierung von einem Euro dividiert durch (1 + Zins)5:

oder allgemein:

Der Barwert eines Ertrags in einem bestimmten Zweitpunkt t ergibt sich durch die Diskontierung mit (1 + Diskontierungszins) potenziert mit dem jeweiligen Zeitpunkt t. Die Abbildung zeigt, dass die Barwerte eines Euros umso kleiner werden, je weiter der Euro in der Zukunft gezahlt wird. Umgekehrt könnte ein Betrag von 0,6209 t heute für 5 Jahre zu 10 % angelegt werden. Nach 5 Jahren wären die 0,6209 t inklusive Zins und Zinseszins einen Euro wert:

oder allgemein:

Das Kapital im Zeitpunkt T errechnet sich aus dem Anfangskapital (K0) multipliziert mit (1 + Zins) potenziert mit dem Zeitpunkt t. Die finanzmathematische Funktion der Diskontierung soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Gegeben sind zwei unterschiedliche Zahlungsreihen über drei Jahre. Der Diskontierungszins beträgt 10 %. t1

t2

t3

100

140

120

110

130

110

Die „wertvollere“ Zahlungsreihe soll gewählt werden. Dazu werden beide Zahlungsreihen diskontiert:

Der Barwert der ersten Zahlungsreihe ist mit 296,77 um 6,69 größer als der Barwert der zweiten Zahlungsreihe i.H.v. 290,08. Die erste Zahlungsreihe ist „wertvoller“. Ein rationaler Investor würde sich für die erste Zahlungsreihe entscheiden.

Böcking/Nowak 87

4.16

§ 4 Rz. 4.17

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6. Subjektivitäts-, Typisierungs- und Objektivierungsprinzip

4.17 Unternehmenswerte sind subjektive Werte, d.h. sie sind von den Erwartungen und Alternativen des Bewertungssubjekts abhängig. Die subjektiven Erwartungen führen zu unterschiedlichen Schätzungen der zukünftigen Erträge. Dabei beeinflussen strategische Aspekte und die Möglichkeit, Verbundeffekte zu realisieren, den Zukunftsertrag. Bei der Wahl des Diskontierungszinses ist bei voller Subjektivität auf die beste verdrängte alternative Mittelanlage des Bewertungssubjekts abzustellen.1 Diese Alternativen können bei unterschiedlichen Bewertungssubjekten weit voneinander abweichen. Exemplarisch seien die Anlage in festverzinsliche Wertpapiere, die Anlage in Aktien oder die Kredittilgung als Opportunitäten genannt. Letztlich sind unterschiedliche Erwartungen und unterschiedliche Alternativen überhaupt dafür verantwortlich, dass eine Unternehmenstransaktion zustande kommt. Nur wenn der Käufergrenzpreis größer ist als der Verkäufergrenzpreis, existiert zwischen beiden Preisen ein Verhandlungsraum.2 Dabei stellt jeder Punkt in dieser Preisspanne eine rationale Käufer- und Verkäuferentscheidung dar. Die konkrete Fixierung des Preises im Rahmen der Preisverhandlungen ist abhängig vom Verhandlungsgeschick der Vertragspartner.

4.18 Bei objektivierter Bewertung ist gerade bei der Festlegung des Diskontierungszinses eine Typisierung erforderlich, da die unterschiedlichen Opportunitäten der Bewertungssubjekte nicht bekannt sind. „Mit der Typisierung werden individuelle verkäufer- oder käuferspezifische Vorstellungen und Möglichkeiten der Unternehmensentwicklung ausgeschlossen, indem die Eigenschaften des bestimmten Bewertungssubjektes […] über eine Referenzgruppe ersetzt werden.“3 So kann bspw. der Risikozuschlag typisiert mit Hilfe eines Kapitalmarktmodells ermittelt werden. In diesem Fall tritt an die Stelle der subjektiven Opportunitätskosten des Bewertungssubjektes die Renditeerwartung rational handelnder Investoren am Kapitalmarkt.

4.19 Die Objektivierung schränkt das Ermessen des Bewertenden ein. Hierbei steht die gewählte Methodik im Vordergrund. Beispiele hierfür sind „die Vorgabe einer Marktrisikoprämie“ oder „der Verweis auf die Bundesbankdaten zur Ermittlung risikofreier Basiszinssätze.“4 7. Äquivalenzprinzipien

4.20 Die Ertragswertmethode stellt eine Form der dynamischen Investitionsrechnung dar. Um den Unternehmenswert zu berechnen, wird der Ertrag (Zählergröße) mit einem Diskontierungszins (Nennergröße) abgezinst. Dabei ist sicherzustellen, dass die Zähler- und Nennergrößen über die gleiche Dimension verfügen. Es sind z.B. die Kapitaläquivalenz, die Sicherheitsäquivalenz, die Inflationsäquivalenz, die Steueräquivalenz und die Laufzeitenäquivalenz zu beachten.5

1 Vgl. zum Subjektivitätsprinzip Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 23-24. Vgl. zum Problem des „endlosen Bewertungsregresses“ und seiner Auflösung durch den Rückgriff auf den landesüblichen Zins, Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion, S. 167. 2 Vgl. zum Grenzpreisprinzip Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 9-11. 3 Hachmeister in FS Ballwieser, 2014, S. 219 (222). 4 Hachmeister in FS Ballwieser, 2014, S. 219 (222) (beide Zitate). 5 Vgl. zu den Äquivalenzprinzipien Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 155-202. Vgl. hierzu auch Ballwieser/Leuthier, DStR 1986, 604-610.

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Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.26 § 4

Hinsichtlich der Kapitaläquivalenz können bei der Zählergröße Gesamtkapitalgrößen, wie 4.21 bspw. der Freie Cashflow, oder Eigenkapitalgrößen, wie bspw. der Ertrag, diskontiert werden. Der Diskontierungszins hat sich der gewählten Dimensionierung anzupassen. Ein Freier Cashflow ist ein Zahlungsstrom, der sowohl Eigen- als auch Fremdkapitalgebern zufließt. Er ist mit gewogenen Kapitalkosten zu diskontieren, die ebenfalls die Renditeforderungen der Eigenund Fremdkapitalgeber beinhalten. Da ein Ertrag nur den Eigenkapitalgebern zufließt, ist dieser mit den Eigenkapitalkosten zu diskontieren. Das Prinzip der Sicherheitsäquivalenz fordert die gleiche Unsicherheitsdimension bei den Erträgen (Zählergröße) und dem Diskontierungszins (Nennergröße). Entweder sind unsichere zukünftige Unternehmenserträge mit einem Diskontierungszins plus Risikozuschlag zu diskontieren (Risikozuschlagsmethode), oder Sicherheitsäquivalente mit einem Diskontierungszins ohne Risikozuschlag (Sicherheitsäquivalenzmethode).1 In der Bewertungspraxis wird die Risikozuschlagsmethode angewendet.2

4.22

Um Inflationsäquivalenz zu gewährleisten, sollten Zähler- und Nennergrößen die gleiche Inflationsdimension haben. Dies bedeutet, dass entweder nominale Erträge mit nominalen Diskontierungszinsen oder reale Erträge mit realen Diskontierungszinsen abzuzinsen sind. Würde bspw. ein nominaler Ertrag mit einem realen Zins diskontiert, wäre der Unternehmenswert zu hoch berechnet. In der Bewertungspraxis wird häufig mit Nominalwerten gerechnet.

4.23

Bei der Steueräquivalenz sind entweder Vorsteuer-Zählergrößen mit Vorsteuer-Diskontierungszinsen oder Nachsteuer-Zählergrößen mit Nachsteuer-Diskontierungszinsen abzuzinsen.

4.24

Die Laufzeitäquivalenz besagt, dass Zähler- und Nennergrößen sich in ihren Restlaufzeiten 4.25 entsprechen sollten. Da die Lebenszeit eines Unternehmens grundsätzlich unbegrenzt ist (going-concern), sollte der Diskontierungszins so gewählt werden, dass der zugrunde liegende risikolose Zins ebenfalls über eine möglichst lange Laufzeit verfügt. Bei der Diskontierung von Unternehmenserträgen ist folglich ein Basiszins zu wählen, der auf den Renditen 30-jähriger Anleihen basiert. Alternativ kann eine entsprechend lange Laufzeit zur Basiszinsbestimmung auf Basis der Zinsstrukturkurve verwendet werden. Sollte die Lebenszeit des Bewertungssubjekts bspw. auf 20 Jahre begrenzt sein, ist analog eine Rendite bei der Diskontierung zugrunde zu legen, die ebenfalls auf einer 20-jährigen Restlaufzeit basiert.3 8. Verbundberücksichtigungsprinzip Verbund- oder Synergieeffekte beschreiben eine Veränderung des zukünftigen Ertrags (oder 4.26 Cashflows), die durch einen Zusammenschluss von mindestens zwei Unternehmen entstehen und größer sind als die Summe der zukünftigen Erträge (oder Cashflows) der Unternehmen auf stand alone Basis. Das Verbundberücksichtigungsprinzip stellt ebenfalls einen Grundsatz ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung dar; eine Nichtberücksichtigung von Verbundeffekten wäre als Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmens1 Vgl. zur Diskussion Sicherheitsäquivalente contra risikoangepasste Zinsfüße, insbesondere mit der Herleitung des maximal zulässigen Risikozuschlags Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion, S. 171-173. 2 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 90. 3 Vgl. kritisch zu diesem Ansatz Kuhner, der zu dem Ergebnis gelangt, dass Laufzeiteffekte im Betafaktor berücksichtigt seien. Vgl. Kuhner in FS Ballwieser, 2014, S. 471-487.

Böcking/Nowak 89

§ 4 Rz. 4.26

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

bewertung zu werten.1 Der IDW S 1 2008 unterscheidet zwischen echten und unechten Synergieeffekten. Hiernach sind unechte Synergieeffekte „dadurch gekennzeichnet, dass sie sich ohne Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme realisieren lassen.“2 9. Liquidationstest und Marktwertvergleich

4.27 Bei jeder Unternehmensbewertung ist neben der Berechnung des Ertragswerts ein Liquidationstest durchzuführen. Dabei werden die im zu bewertenden Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände mit ihren Veräußerungspreisen (Liquidationswerten) angesetzt. Die Summe aller mit Veräußerungspreisen bewerteten Vermögensgegenstände abzgl. der Verbindlichkeiten ergibt den Liquidationswert des Unternehmens. Dieser stellt nach herrschender betriebswirtschaftlicher Meinung die Wertuntergrenze des Unternehmens dar. Sollte der Ertragswert kleiner sein als der Liquidationswert, stellt dieser den relevanten Wert dar. Bei dieser Konstellation wird eine Zerschlagung des Unternehmens empfohlen; eine Fortführung ist – zumindest unter gegebenen Bedingungen – ökonomisch nicht sinnvoll.3 Vgl. zur Ermittlung des Liquidationswertes § 9.

4.28 Unternehmenswerte von börsennotierten Unternehmen unterliegen unter bestimmten Bedingungen z.B. bei Abfindungsberechnungen einem Marktwertvergleich. Dadurch soll verhindert werden, dass berechnete Unternehmenswerte unter dem Marktwert liegen. Bei der Bestimmung des Marktwertes ist auf einen durchschnittlichen Börsenpreis abzustellen, der ggf. hochzurechnen ist.4 10. Dokumentationsprinzip

4.29 Die Ertragswertmethode basiert auf vielen Annahmen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens. So haben bspw. Annahmen über die Ertragsentwicklung, Annahmen bei der Festlegung des Diskontierungszinses und Annahmen bei der Schätzung der Wachstumsrate einen erheblichen Einfluss auf den Unternehmenswert. Die verwendeten Prämissen sind außerdem abhängig vom Bewertungszweck. Der Wertermittler hat diese Annahmen und Prämissen in seinem Bewertungsgutachten zu dokumentieren. Es muss einem „sachkundigen Dritten“ möglich sein, „das Bewertungsergebnis nachzuvollziehen und die Auswirkungen der getroffenen Annahmen auf den Unternehmenswert abschätzen“5 zu können. Insbesondere ist die Funktion darzulegen, in der der Bewerter tätig wurde.6 Ein Bewertungsgutachten hat folgende Mindestinformationen zu enthalten:

1 Vgl. hierzu grundlegend Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407-1434. Vgl. hierzu auch AngermayerMichler/Oser, Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Unternehmensbewertung, S. 13631382. 2 IDW S 1 2008, Rz. 34. 3 Vgl. mit einer kritischen Abwägung der Argumente für und gegen den Liquidationswert als Wertuntergrenze, Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736-1743. Zur Kritik am Liquidationswert bei Abfindungsansprüchen sowie dessen Auswirkungen für die Unternehmenswertschätzung vgl. Hüttemann, CF 2016, 468-470. 4 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 14-16; Vgl. zur Rechtsprechung des BVerfG Böcking/Nowak, Konkretisierung marktorientierter Unternehmensbewertung durch das BVerfG, S. 132-138. 5 IDW S 1 2008, Rz. 174. 6 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 176.

90

Böcking/Nowak

Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.31 § 4

1. Bewertungsaufgabe/Bewertungszweck, 2. verwendete Methodik, 3. Beschreibung des Bewertungsobjekts, 4. verwendete Daten und Informationen (Annahmen und Prämissen), 5. Bewertung des betriebsnotwendigen Vermögens, 6. Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, 7. Ausweis des Unternehmenswertes, ggf. in Sensitivitäten, 8. nicht quantifizierbare qualitative Aspekte.1

III. Ertragswertmethode 1. Bewertungskonzeption Um den Unternehmenswert mit Hilfe der Ertragswertmethode zu ermitteln, ist zunächst das Vermögen des Unternehmens in betriebsnotwendiges und nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu unterteilen. Hierbei ist entweder eine funktionale oder eine ökonomische Vermögensdefinition zu verwenden. Bei der funktionalen Vermögensdefinition ist das Vermögen nicht betriebsnotwendig, das „frei veräußert werden (kann), ohne dass davon die eigentliche Unternehmensaufgabe berührt wird“.2 Bei ökonomischer Abgrenzung ist das Vermögen nicht betriebsnotwendig, dass dem Unternehmen entnommen werden kann, ohne dass sich der zukünftige Cashflow bzw. der zukünftige Ertrag des Unternehmens ändert.3

4.30

Das nicht betriebsnotwendige Vermögen (vgl. hierzu ausführlich in § 8) ist bei ökonomischer Definition gesondert mit seinem Liquidationswert zu bewerten.4 Der Liquidationswert unterstellt die Veräußerung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, also entspricht der Liquidationswert dem Veräußerungspreis. Können dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen oder nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen Schulden zugeordnet werden, sind diese vom Veräußerungserlös in Abzug zu bringen.5 Bei funktionaler Definition könnte das nicht betriebsnotwendige Vermögen Erträge produzieren. Ist der diskontierte Wert dieser Erträge größer als der Liquidationswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, ist dieses mit dem Ertragswert anzusetzen.6 In jedem Fall ist eine optimale Verwertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zu unterstellen, „was Rückwirkungen auf die Verwendungsintensität und -dauer hat.“7

4.31

1 Vgl. zum Inhalt eines Bewertungsgutachtens auch IDW S 1 2008, Rz. 179. 2 IDW S 1 2008, Rz. 59. 3 Vgl. zu den Abgrenzungskonzeptionen auch Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875. Hier wird die ökonomische Abgrenzung als wertbezogene Abgrenzung bezeichnet. 4 Vgl. zur Bewertung des nichtbetriebsnotwendigen Vermögens Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 304-305. 5 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 62. 6 Vgl. auch Zwirner, Unternehmensbewertung, S. 37-38. 7 Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (879). Vgl. zur Bedeutung der Zerschlagungsintensität und der Zerschlagungsgeschwindigkeit auf die Höhe des Liquidationswertes Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 50-51.

Böcking/Nowak 91

§ 4 Rz. 4.32

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

4.32 Der Unternehmenswert ergibt sich also aus zwei Komponenten: Dem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens und dem Liquidationswert (bzw. dem Ertragswert) des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Bei starker Abhängigkeit von bestimmten wertbestimmenden Faktoren, die sich durch die Transaktion verändern, ist über Bewertungsabschläge nachzudenken. Ein Beispiel stellt die starke Personenbezogenheit bei Familiengesellschaften dar.1 Unternehmenswerte sind „nur“ potentielle Werte, die erst in einer realen Transaktion ihre Bestätigung finden.

4.33 Bei der Berechnung des Ertragswerts des betriebsnotwendigen/nicht betriebsnotwendigen Vermögens ist zunächst der Bewertungszweck zu definieren (Zweckadäquanzprinzip). Hier ist insbesondere zwischen der Ermittlung von subjektiven und objektivierten Entscheidungswerten zu differenzieren.2 Während bei der Berechnung eines subjektiven Entscheidungswertes auf die individuellen Verhältnisse (z.B. Diskontierungszins als beste verdrängte alternative Mittelanlage; hilfsweise auch unter Verwendung des Capital Asset Pricing Model [CAPM]) des Investors abzustellen ist, ist bei einer objektivierten Bewertung der Diskontierungszins typisiert (z.B. über das CAPM) zu ermitteln.

4.34 Konzeptionell stellt der Ertragswert einen Barwert (present value) dar, der sich aus der Diskontierung der zukünftigen Erträge mit einem Diskontierungszins ergibt. Da ein Unternehmen i.d.R. eine unendliche Lebensdauer besitzt, wird die Zukunft in einen konkret planbaren Horizont (Planungshorizont) und eine Zeit nach dem Planungshorizont unterteilt. Für die Perioden im Planungshorizont wird der periodenspezifische Ertrag ermittelt. Auf Basis des Ertrags des letzten Jahres im Planungshorizont wird dann der Restwert als „Ewige Rente“ berechnet. Die Summe der diskontierten Erträge innerhalb des Planungshorizonts plus der auf den Bewertungsstichtag diskontierte Restwert ergeben den Ertragswert des Unternehmens. Wird zum Ertragswert der Liquidationswert (Ertragswert) des nicht betriebsnotwendigen Vermögens addiert, ergibt sich der Unternehmenswert. Die folgende Abbildung veranschaulicht die Bewertungskonzeption zur Berechnung des Ertragswerts:

1 Vgl. zu Abschlägen von Schlüsselpersonen, Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1639-1641), Vgl. zu Minderheits- und Fungibilitätsabschlägen im deutschen GmbH-Recht Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (232-241). Vgl. zum Fungibilitätsabschlag auch Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331-345. 2 Vgl. zur objektivierten und subjektiven Unternehmensbewertung Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 294-304.

92

Böcking/Nowak

Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.35 § 4

4.35

Der Ertragswert ergibt sich formal als:

Der Unternehmenswert ergibt sich durch Addition des Werts des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zum Ertragswert: Dabei wird das nicht betriebsnotwendige Vermögen nach rein ökonomischer Definition zum Liquidationswert bewertet. Wird das nicht betriebsnotwendige Vermögen funktional definiert und ist der Ertragswert größer als der Liquidationswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, dann kann der Unternehmenswert als Ertragswert wie folgt berechnet werden:

Der Diskontierungszins d ergibt sich bei einer subjektiven Wertermittlung als: Dabei stellt z den individuellen Risikozuschlag eines Bewertungssubjektes dar. Bei einer objektivierten Wertermittlung wird der Risikozuschlag typisiert aus dem CAPM abgeleitet. Der Diskontierungszins d berechnet sich dann wie folgt:

Der Risikozuschlag z bei subjektiver Wertermittlung erfüllt genau wie der aus dem CAPM abgeleitete Risikozuschlag bei objektivierter Bewertung das Prinzip der Risikoäquivalenz:

mit:

Böcking/Nowak 93

§ 4 Rz. 4.36

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

2. Festlegung des Planungshorizontes

4.36 Die Länge des Planungshorizontes und die Höhe des Restwertes sind zwei miteinander korrespondierende Größen: Je kürzer der Planungshorizont, desto größer der Restwert und umgekehrt. Grundsätzlich sollte der Planungshorizont so gewählt werden, dass das Wachstum des Unternehmens im Wesentlichen im Planungshorizont stattfindet. Eine allgemein gültige Länge für den Planungshorizont kann es nicht geben. Bei Infrastrukturunternehmen, die Kraftwerke, Stromnetze oder Flughäfen betreiben, wird der Planungshorizont eher sehr lang sein (20 Jahre),1 bei hoch innovativen Firmen dagegen tendenziell eher kurz (2–3 Jahre).2 3. Ertragsschätzung

4.37 Um die zukünftigen Erträge3 besser abschätzen zu können, sind eine Vergangenheits- und eine Lageanalyse des zu bewertenden Unternehmens unerlässlich.4 Mit Hilfe der Vergangenheitsanalyse werden die finanziellen Ergebnisse der letzten Jahre kritisch betrachtet. Im Vordergrund stehen dabei eine Umsatz- und Kostenanalyse, eine Betrachtung der Investitionsentwicklung und ggf. eine Erklärung der außerordentlichen Abschreibungen. Ziel der Vergangenheitsanalyse ist es, die Entwicklung eines um außerordentliche Einflüsse bereinigten Ergebnisses der letzten Geschäftsjahre zu erhalten. Außerdem sollen die wesentlichen Einflussfaktoren für das Ergebnis identifiziert werden. Bei der Vergangenheitsanalyse werden im Wesentlichen die GuV und die Kapitalflussrechnung betrachtet. Neben der Analyse der finanziellen Ergebnisse werden auch andere Wertdeterminanten, wie z.B. Unternehmensverträge und Eventualverbindlichkeiten, analysiert. Im Idealfall leistet eine Vergangenheitsanalyse folgendes: 1. sie liefert ein bereinigtes Ergebnis als Grundlage für die Schätzung der zukünftigen Erträge, 2. sie identifiziert die wesentlichen Werttreiber (Einflussgrößen) für die zukünftige Ertragsentwicklung und 3. sie deckt Faktoren auf, die den zukünftigen Unternehmenserfolg nachhaltig beeinflussen können.5

4.38 Die Lageanalyse umfasst eine kritische Darstellung der gegenwärtigen Wettbewerbsposition des Unternehmens. Dazu wird eine Analyse der Produkte des Unternehmens durchgeführt. Für diese wird ihr aktueller Marktanteil ermittelt, die Entwicklung des Marktes wird beschrieben und die erwartete Entwicklung des Marktanteils des Produkts wird geschätzt.6 Mit Einführung des DRS 20 besteht nun auch eine Berichterstattungspflicht über Ziele und Strategien des Unternehmens. Da gemäß DRS 20.44 auch „Änderungen der Ziele und Strategien des Konzerns im Vergleich zum Vorjahr dargelegt und erläutert werden, […] kann somit auch die Prognosequalität des Vorstands beurteilt werden.“7 1 Politische Risiken, die bei Infrastrukturinvestitionen häufig gegeben sind, sollten im Risikozuschlag berücksichtigt werden. 2 Vgl. zum Planungs- und Prognosezeitraum Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 312-313. 3 Vgl. zu den Ertragsgrößen eines Unternehmens Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 289. 4 Vgl. hierzu ausführlich Popp, Vergangenheits- und Lageanalyse, S. 173-220. Vgl. auch Peemöller/ Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 305-312. 5 Vgl. zur Vergangenheitsanalyse ausführlich Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 17-44. 6 Vgl. zur Lageanalyse Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 44-48. 7 Böcking/Gros/Koch/Wallek, Der Konzern 2013, 30 (38).

94

Böcking/Nowak

Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.40 § 4

Bei größeren Unternehmenstransaktionen wird potentiellen Käufern im Rahmen einer Due Diligence die Gelegenheit gegeben, unternehmenswertrelevante interne Unterlagen des zu erwerbenden Unternehmens einzusehen. Dabei verpflichten sich die Kaufinteressenten zur absoluten Vertraulichkeit im Umgang mit den bereitgestellten Daten. Due Diligence finden i.d.R. in abgeschlossenen Räumen (Data-Rooms) statt, so dass sichergestellt ist, dass keine vertraulichen Unternehmensinterna nach außen gelangen. Ziel einer Due Diligence ist es, den Kaufinteressenten eine möglichst genaue Prognose des zukünftigen Unternehmensertrags zu ermöglichen.1

4.39

Die Prognose des zukünftigen Ertrags (vgl. hierzu ausführlich in § 5) kann unterteilt werden in eine Umsatzprognose und eine Kostenprognose. Bei letzterer sind insbesondere die Investitionskosten, die Personalkosten, die Materialkosten und die Fremdkapitalkosten zu prognostizieren. Bei der Umsatz- und Kostenprognose kann – soweit zugänglich – auch auf eine vorhandene Unternehmensplanung zurückgegriffen werden.2 In diesem Fall wären die der Planung zugrunde liegenden Annahmen zu untersuchen und ggf. wären die Planzahlen auf Basis eigener Vorstellungen zu modifizieren. Für eine objektivierte Unternehmenswertermittlung muss der geschätzte Zukunftsertrag intersubjektiv nachprüfbar sein. Deswegen ist dieser auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzeptes zu ermitteln.3 Bei subjektiver Wertermittlung wird der Zukunftsertrag basierend auf dem Fortführungskonzept des Bewertungssubjektes ermittelt.4 Folgende Abbildung zeigt die Komplexität der Ertragsprognose; sie verdeutlicht, dass die zukünftigen Erträge insbesondere auch von der Investitions- und Finanzierungsplanung des zu bewertenden Unternehmens abhängen.

4.40

1 Vgl. hierzu Volkart, Unternehmensbewertung und Akquisitionen, S. 29-31; Helbling, Due Diligence Review, S. 244-254. 2 Vgl. hierzu Ernst, Modulgesteuerte Businessplanung als Instrument der Unternehmensbewertung, S. 221-243. Vgl. auch Wieland-Blöse/Pfender, CF 2018, 93-98; Behringer/Gleißner, WPg 2018, 312-319. 3 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 29. 4 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 48.

Böcking/Nowak 95

§ 4 Rz. 4.41

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

4. Bestimmung des Diskontierungszinses

4.41 Wird der Ertragswert mit Hilfe des Risikozuschlagsverfahrens ermittelt, setzt sich der Diskontierungszins aus einem risikolosen Basiszinssatz und einem Risikozuschlag (Prinzip der Sicherheitsäquivalenz) zusammen. Der risikolose Basiszins hat in seiner Dimensionierung den verwendeten Ertragsgrößen zu entsprechen. Soll ein Nominalertrag eines Unternehmens mit unbegrenzter Lebensdauer diskontiert werden, wird ein quasi risikoloser nominaler Basiszins (Inflationsäquivalenz) mit möglichst langer Laufzeit (Laufzeitäquivalenz) verwendet. Ein quasi risikoloser nominaler Basiszins kann mit Hilfe von Anleihen erstklassiger Emittenten (z.B. Bund) ermittelt oder aus der Zinsstrukturkurve der Deutschen Bundesbank abgeleitet werden. Letztere Vorgehensweise bietet den Vorteil, dass die Laufzeitäquivalenz gerade bei endlichen Betrachtungen restlaufzeitgenau eingehalten werden kann.1 Bei bestehenden Zinstrends führt die Empfehlung des FAUB, auf einen dreimonatigen Durchschnittszins abzustellen, zu systematischen Über- oder Unterschätzungen. Zur Sicherung des Stichtagsprinzips wird bei bestehenden Zinstrends die Verwendung kürzerer Durchschnittszeiträume empfohlen.2

4.42 Bei der Ermittlung des Risikozuschlags ist der Bewertungszweck zu beachten. Soll eine objektivierte Wertermittlung durchgeführt werden, ist der Risikozuschlag typisiert zu ermittelt. Hier empfiehlt sich der Rückgriff auf das CAPM.3 Nach diesem Kapitalmarktmodell berechnet sich der Risikozuschlag aus der Multiplikation des Betafaktors mit der Marktrisikoprämie. Der Betafaktor ist ein Korrelationskoeffizient, der das unternehmensspezifische Risiko misst.4 Die Marktrisikoprämie gibt an, welchen Zinsaufschlag ein rational handelnder Investor für die Übernahme des Risikos eines markteffizienten Portfolios zu zahlen bereit ist.5

4.43 Bei einer subjektiven Wertermittlung stellt der Risikozuschlag auf die individuellen Verhältnisse des Investors ab, so dass als Diskontierungszins insgesamt die Rendite seiner besten verdrängten Mittelanlage abgebildet wird. 5. Berechnung des Restwerts

4.44 Der Restwert stellt den Wertanteil des Unternehmens am Ertragswert dar, der sich nach dem Planungshorizont ergibt. Zur Berechnung des Restwertes wird davon ausgegangen, dass der Ertrag eine mit einer konstanten Wachstumsrate wachsende, unendliche Größe ist. Die Wachstumsrate berücksichtigt dabei die Inflation und ggf. auch noch ein unternehmerisches Wachstum, das allerdings eher klein sein sollte. Eine Analyse von Bewertungsgutachten, die 1 Vgl. zur Ermittlung des Basiszinses Bachl, Einführung in die Unternehmensbewertung, S. 35-38; Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 320-324 sowie ausführlich in § 6 in diesem Handbuch. 2 Vgl. Christensen/Hinz/Vollmer/Weimann, Ungenauigkeit in der Unternehmensbewertung bei Verwendung des Basiszinssatzes gemäß FAUB, CF 2018, 78. Zur Diskussion s. auch Castedello/Jonas/ Schieszl/Lenckner, Die Marktrisikoprämie im Niedrigzinsumfeld – Hintergrund und Erläuterung der Empfehlung des FAUB, WPg 2018, 806-825. 3 Vgl. hierzu Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 327-331. 4 Vgl. ausführlich Meitner/Streitferdt, Die Bestimmung des Betafaktors, S. 521-587. 5 Vgl. zur Eigenkapitalkostenschätzung mit Hilfe des CAPM Gebhardt/Ruffing in FS Ballwieser, 2014 S. 201 (204) und zur zukunftsorientierten Schätzung von Beta-Faktoren ebenda, S. 208-214. Vgl. auch Bachl, Einführung in die Unternehmensbewertung, S. 38-45. Vgl. zur Entwicklung der Marktrisikoprämie Wagner/Mackenstedt/Schieszl/Lenckner/Willershausen, WPg 2013, 948 (949-953). Vgl. hierzu auch Bassemir/Gebhardt/Ruffing, WPg 2012, 882-892.

96

Böcking/Nowak

Überblick über das Ertragswertverfahren

Rz. 4.48 § 4

zwischen 2010 und 2015 erstellt wurden, zeigt, dass durchschnittlich ein Wachstumsabschlag von 1,1 % verwendet wurde.1 Wird ein größeres Unternehmenswachstum im Bereich der ewigen Rente angenommen, sollte über die Festlegung der Länge des Planungshorizontes nachgedacht werden. Grundsätzlich sollte das wesentliche Unternehmenswachstum im Planungshorizont stattfinden.2 Da der Restwert einen großen Anteil des Ertragswerts ausmacht, sollten die Annahmen zur Berechnung des Restwerts kritisch hinterfragt werden.3 So sind bspw. stark zunehmende Erträge in den letzten Jahren des Planungshorizonts genauso kritisch zu hinterfragen, wie ein sprunghafter Anstieg des Ertrags vom vorletzten zum letzten Jahr des Planungshorizonts. Der Ertrag des letzten Jahres des Planungshorizonts stellt die Ausgangsgröße für die Berechnung der ewigen Rente nach dem Planungshorizont dar. Die unterstellte Wachstumsrate hat einen erheblichen Einfluss auf den Restwert und damit auch einen erheblichen Einfluss auf den Ertragswert. Grundsätzlich sollte die Wachstumsrate daher nicht größer als 2 % sein. Größere Wachstumsraten bedürfen einer expliziten Begründung.4

4.45

IV. Rechtsprechung zur Ertragswertmethode Zu der Behandlung der Unternehmensbewertung, auch der Ertragswertmethode, in der Rechtsprechung wird auf § 12 verwiesen. Neben den dort aufgeführten Urteilen existiert eine Vielzahl von Literaturquellen, die sich mit Rechtsfragen zur Ertragswertmethode bzw. zu einzelnen Aspekten dieser Methode beschäftigen.5 Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Rechtsprechung die Ertragswertmethode als rechtsrichtig und als verfassungsrechtlich unbedenklich beurteilt.

4.46

V. Thesenförmige Zusammenfassung Die Ertragswertmethode ist eine betriebswirtschaftlich und berufsständisch anerkannte Me- 4.47 thode zur Berechnung des Unternehmenswerts. Die Rechtsprechung beurteilt diese Methode als rechtsrichtig und als verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Unternehmenswert ergibt sich aus dem Liquidationswert bzw. Ertragswert des nichtbetriebsnotwendigen Vermögens zzgl. des Ertragswerts des betriebsnotwendigen Vermögens.

1 Vgl. mit einer empirischen Analyse der Wachstumsraten von HDAX, DAX, MDAX und TecDAX Unternehmen Knauer/Dudek, WPg 2018, 355. 2 Vgl. Meitner, Der Terminal Value in der Unternehmensbewertung, S. 647-697. 3 Bei einer Wachstumsrate von 2 % und einem Zinssatz von 4 % erklären die ersten zehn Jahre ca. 18 % des Unternehmenswerts. Vgl. Kruschwitz, ZfbF 2018, 11. 4 Vgl. zur Berücksichtigung des Wachstums bei der Restwertermittlung auch Schwetzler, CF 2018, 80-86. 5 Vgl. bspw. Bachl, Unternehmensbewertung in der gesellschaftsrechtlichen Judikatur, S. 28-49, und derselbe mit einer Rechtsprechungsübersicht, S. 59-61; Fleischer, AG 2016, 185-199; Fleischer, AG 2014, 97-114; Hannes, Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, S. 1126, 1128-1129, 1131-1136; Henselmann/Munkert/Winkler/Schrenker, WPg 2013, 1206-1212; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 136-202; Wüstemann, BB 2012, 1719-1724.

Böcking/Nowak 97

4.48

§ 4 Rz. 4.49

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

4.49 Zur Ertragswertberechnung wird die Zukunft in einen Planungshorizont und in eine Phase nach dem Planungshorizont zerlegt. Innerhalb des Planungshorizonts werden die Erträge periodengenau geschätzt und diskontiert; nach dem Planungshorizont wird ein Restwert ermittelt. Dazu wird auf das Modell der ewigen Rente zurückgegriffen. Bei der Berechnung der ewigen Rente sollte ein Wachstumsabschlag berücksichtigt werden.

4.50 Je nach Bewertungszweck sind subjektive oder objektivierte Unternehmenswerte zu ermitteln. Während bei der subjektiven Bewertung auf die konkreten Verhältnisse des Bewertungssubjekts abgestellt wird, sind die Bewertungsparameter bei objektivierter Bewertung intersubjektiv nachprüfbar, also typisiert festzulegen.

98

Böcking/Nowak

§5 Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1

II. Konzeption der Ermittlung des Zukunftsertrags . . . . . . . . . . . . . . . .

5.5

III. Anforderungen an eine Planungserstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Integrierte Unternehmensplanung und Planungsprozess . . . . . . . . . . . . 2. Detailplanungsphase (Phase I) . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . b) Planung der Erfolgsgrößen . . . . . c) Planung der Bilanzgrößen . . . . . . d) Finanzplanung . . . . . . . . . . . . . . . e) Planung der Ertragsteuern . . . . . . f) Planung der Thesaurierung . . . . . 3. Planung der Übergangsphase (Phase II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Planung des nachhaltigen Ertragsüberschusses (Phase III) . . . . . . . . . . IV. Planungsplausibilisierung . . . . . . . . 1. Allgemeine Maßstäbe für die Durchführung der Planungsbeurteilung . . . 2. Gewinnung eines Verständnisses vom Planungsprozess . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . b) Analyse der Planungstreue . . . . . . 3. Plausibilitätsmaßstäbe . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . b) Analyse der rechnerischen und formellen Plausibilität . . . . . . . . . c) Analyse der materiellen, internen Plausibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unternehmens- und Vergangenheitsanalyse . . . . . (1) Unternehmensanalyse . . . . .

5.11 5.11 5.20 5.20 5.24 5.32 5.39 5.43 5.49 5.50 5.53 5.58 5.58 5.61 5.61 5.63 5.67 5.67 5.68 5.71 5.71 5.72 5.72

(2) Vergangenheitsanalyse . . . . . (a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse . . . . . . . . . . . (c) Ergebnis der Analysen . . . . . cc) Analyse der Erläuterungen des Managements . . . . . . . . . d) Analyse der materiellen, externen Plausibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Marktanalyse . . . . . . . . . . . . cc) Analyse der Branche . . . . . . . dd) Analyse der Wettbewerber . . ee) Analyse der Marktstellung des zu bewertenden Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassende Darstellung der Beurteilungsmaßstäbe für Planungsbeurteilungen/Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . 4. Einzelanalyse in der Detailplanungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . b) Plausibilisierung der Detailplanungsphase . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten der Plausibilisierung der Übergangsphase und der ewigen Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Überlegungen . . . . b) Plausibilisierung der Übergangsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Plausibilisierung der ewigen Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.79 5.79 5.80 5.83 5.84 5.85 5.85 5.89 5.98 5.107 5.108

5.115 5.117 5.117 5.129 5.138 5.138 5.139 5.141

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 5.147

Schrifttum Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzanalyse, 2. Aufl. 2004; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016; Büsch, Praxishandbuch Strategischer Einkauf, 3. Aufl. 2007; Earys/Ernst/ Prexl, Corporate Finance Training, 2. Aufl. 2011; IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, 3. Aufl. 2009; IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; IDW (Hrsg.), Praxishinweis: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Due Diligence und Fairness Opinion (IDW Praxishinweis 2/2017); Knoll, Ewige Rente und Wachstum – the Final Cut?, RWZ 2014, 271; Meffert/Burmann/Kirchgeorg, Marketing, 13. Aufl. 2019 Michel/Hammerle, Integrierte Zwölf-Monats-Finanz- und Ertragsplanung, 2003; Peemüller/Kunowski in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Popp in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Popp/Kunowski in Peemöller (Hrsg.), Praxis-

Franken/Schulte

99

§ 5 Rz. 5.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

handbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Porter, Competitive Strategy: Techniques for Analyzing Industries and Competitors, 4. Aufl. 2008; Staehle/Conrad/Sydow, Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, 8. Aufl. 1999.

Dieser Abschnitt wurde unter Mitarbeit von Dr. Alexander Brunner erstellt.

I. Einführung 5.1 In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich das Ertragswertverfahren und die Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) als gängige Verfahren für die Ermittlung des Unternehmenswerts herausgebildet. Diese Verfahren basieren auf dem Kapitalwertkalkül. Demnach wird der Unternehmenswert durch Diskontierung der zukünftigen finanziellen Überschüsse (Cashflows) des Unternehmens ermittelt. Die Bewertung erfolgt dabei losgelöst von den jeweiligen einzelnen Vermögenswerten und Schulden des zu bewertenden Unternehmens (Gesamtbewertungsverfahren) (vgl. hierzu ausführlich Rz. 4.11 ff.).

5.2 Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens wird der Unternehmenswert durch Diskontierung der finanziellen Überschüsse bzw. Erträge ermittelt, die den Unternehmenseignern künftig zufließen. Dabei sind die in der Zukunft liegenden Erträge nicht ex ante bekannt und müssen folglich prognostiziert werden, weshalb sie mit Unsicherheit behaftet sind. Dieser Unsicherheit muss bei der Unternehmensbewertung Rechnung getragen werden, was in der Praxis zumeist in Form der Risikozuschlagsmethode geschieht (vgl. Rz. 6.8). Hierzu wird im Ertragswertverfahren der Erwartungswert der unsicheren zukünftigen Erträge mit einem Kapitalisierungszinssatz diskontiert, der die Unsicherheit der Erträge als Risikozuschlag zum sicheren Zinssatz berücksichtigt. Insofern ist es gerade keine Voraussetzung der Unternehmensbewertung, dass die in einer Planung dargestellten Erträge sicher sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die geplanten Erträge erwartungswertneutral sind, d.h. dass die Erträge weder systematisch überschätzt („zu optimistische Planung“) noch unterschätzt („zu pessimistische Planung“) werden. Insofern muss die Planung so angelegt sein, dass diese keine systematischen Verzerrungen aufweist. Nur dann kann eine Planung der Wertermittlung nach dem Ertragswertverfahren oder den DCF-Verfahren zugrunde gelegt werden.

5.3 Im Folgenden soll der Leser ein Grundverständnis über die Herausforderungen bei der Erstellung einer integrierten Planungsrechnung und der Beurteilung deren Sachgerechtigkeit erhalten. Dabei wird anhand praxisnaher Analysemethoden aufgezeigt, wie die Plausibilität einer Planung systematisch beurteilt werden kann.

5.4 Nachfolgend werden zunächst grundlegende konzeptionelle Vorüberlegungen für die Ermittlung des Zukunftsertrags angestellt (sogleich Rz. 5.5 ff.). Im Anschluss daran werden die Anforderungen an eine Planung und darauf aufbauend die Grundlagen einer sachgerechten Planungserstellung erläutert (Rz. 5.11 ff.). Schließlich wird als Schwerpunkt des Beitrags ausführlich die Plausibilisierung einer Planung diskutiert (Rz. 5.58 ff.). Dabei werden die erforderlichen Analysen des Unternehmens(umfelds) sowie der Planungsrechnung erläutert, bevor schließlich auf dieser Grundlage die eigentliche Plausibilisierung der Planung erörtert wird.

II. Konzeption der Ermittlung des Zukunftsertrags 5.5 Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens wird der Unternehmenswert durch Diskontierung der finanziellen Überschüsse ermittelt, die den Unternehmenseignern künftig zuflie100

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.8 § 5

ßen. Das Ertragswertverfahren ist ein Netto-Kapitalisierungsverfahren, d.h. der Marktwert des Eigenkapitals wird direkt durch Diskontierung derjenigen finanziellen Überschüsse ermittelt, die ausschließlich den Eigenkapitalgebern zufließen (vgl. zur Konzeption des Ertragswertverfahrens im Detail Rz. 4.30 ff.). Diese finanziellen Überschüsse sind dabei mit einem Eigenkapitalkostensatz zu diskontieren (vgl. zur Ableitung der Eigenkapitalkosten bei Anwendung des Ertragswertverfahrens Rz. 6.7 f.). Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die Ableitung der zu kapitalisierenden Ergebnisse auf Basis einer Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) nach dem Gesamtkostenverfahren (§ 275 Abs. 2 HGB):

5.6

Umsatzerlöse +/- Bestandsveränderungen/akt. Eigenleistungen = Gesamtleistung - Materialaufwand = Rohertrag - Personalaufwand - Sonstige Aufwendungen + Sonstige Erträge = EBITDA - Abschreibungen = Ergebnis vor Zinsen und Ertragsteuern (EBIT) +/- Zinsergebnis = Ergebnis vor Ertragsteuern (EBT) - Steueraufwand = Ergebnis nach Unternehmensteuern (EAT) +/- Thesaurierung/Auflösung von Rücklagen = Zu kapitalisierendes Ergebnis Abb. 1: Ableitung des zu kapitalisierenden Ergebnisses

Die zu kapitalisierenden finanziellen Überschüsse (Ertragsüberschüsse) werden beim Ertragswertverfahren demnach aus den künftigen Jahresergebnissen der Unternehmensplanung abgeleitet, die sich aus der Plan-GuV ergeben. Dies könnte zunächst den Eindruck erwecken, eine aus konsistenten GuV-, Bilanz- und Finanzbedarfsrechnungen bestehende integrierte Planungsrechnung sei nicht notwendig, da ja schließlich „nur“ die entsprechenden GuV-Linien zur Ermittlung der zu kapitalisierenden Ergebnisse benötigt werden.

5.7

Diese vereinfachte Sichtweise verkennt, dass eine konsistente Ableitung des zu kapitalisierenden Ergebnisses nur dann erfolgen kann, wenn neben der GuV auch die Bilanzen und der Finanzbedarf geplant werden. Bei der Ableitung des zu kapitalisierenden Ergebnisses ergeben sich die Positionen Zinsergebnis, Steueraufwand und Thesaurierungen erst auf Basis der anderen Planungsrechnungen.

5.8

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§ 5 Rz. 5.9

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5.9 Dabei muss die Entwicklung der Positionen der Planbilanzen konsistent zur Entwicklung des geplanten operativen Ergebnis (EBIT) bzw. dessen Komponenten verlaufen. Eine deutliche Umsatzsteigerung wird etwa regelmäßig nur mit einer Ausweitung der Produktionskapazitäten (Anlagevermögen) und des Working Capital (Umlaufvermögen) zu bewerkstelligen sein. Durch die beschriebenen Investitionen entsteht wiederum Finanzbedarf, der durch Fremdkapital oder Eigenkapital (Thesaurierung) gedeckt werden muss. Dieser wird in der integrierten Finanzbedarfsrechnung abgebildet, die sicherstellt, dass die geplanten Zahlungen an Eigenkapitalgeber (Ausschüttung) unter Berücksichtigung der Cashflows aus operativer Tätigkeit, Finanzierung und Investitionen tatsächlich durch finanzielle Mittel gedeckt sind. Die Plan-Finanzbedarfsrechnung wirkt dabei als Bindeglied zwischen Bilanz und GuV, da über den Finanzbedarf sowohl das in starkem Maße vom Fremdkapitalbestand abhängige Zinsergebnis als auch die Thesaurierung beeinflusst wird, die in die Ermittlung der zu kapitalisierenden Ergebnisse einfließen. Auch die Steuern können bspw. aufgrund der Zinsschranke nicht völlig autonom und unabhängig von den anderen Planungsrechnungen ermittelt werden.

5.10 Die Planungsrechnung kann nach handelsrechtlichen oder nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen (z.B. IFRS, US-GAAP) aufgestellt sein. Folglich sind bei der Ableitung der Ausschüttungen an die Eigenkapitalgeber neben dem entsprechenden Finanzbedarf die zugrundeliegenden Rechnungslegungsnormen, vor allem aber die im Gesellschaftsrecht vorgesehenen Restriktionen zu beachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ableitung der finanziellen Überschüsse auf Basis einer konsolidierten Planungsrechnung erfolgt, die Ausschüttungen aber gesellschaftsrechtlich am Einzelabschluss anknüpfen.

III. Anforderungen an eine Planungserstellung 1. Integrierte Unternehmensplanung und Planungsprozess

5.11 Um Inkonsistenzen in der Ableitung der zu kapitalisierenden Ertragsüberschüsse zu vermeiden, ist eine integrierte Unternehmensplanung zwingende Voraussetzung einer Unternehmensbewertung.1

5.12 Die Integration der Unternehmensplanung bedeutet, dass die Planungen der Gewinn- und Verlustrechnungen, der Bilanzen sowie der Finanzbedarfsrechnungen ein in sich geschlossenes System bilden.2 Werden bspw. Umsatzsteigerungen geplant, die auf einer Ausweitung der Absatzmenge beruhen, muss der ggf. erhöhte Kapazitätsbedarf auch in der Investitions- und Finanzplanung berücksichtigt werden und entsprechenden Niederschlag in der Plan-Bilanz finden. Die Finanzierung dieser Investition hat dabei unmittelbaren Einfluss auf die Kapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens, welche sich auf die Höhe des Kapitalisierungszinssatzes auswirkt (vgl. hierzu ausführlich Rz. 6.156 ff.).

5.13 Jeder Planungsrechnung liegt ein Planungsprozess zugrunde, dessen Ausgestaltung in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße und -komplexität variiert. Der Planungsprozess sollte grundsätzlich formalisiert sein, so dass dessen Dokumentation im Rahmen der Bewertung zunächst herangezogen und analysiert werden kann. Ein funktionierender Planungsprozess mindert das Risiko einer inkonsistenten und fehlerhaften Planungsrechnung. Entsprechend 1 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 2, 51; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 59 f. 2 Vgl. exemplarisch IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, S. 19.

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.17 § 5

müssen sich sowohl der Ersteller einer Planung als auch deren Adressaten davon vergewissern, dass der Planungsprozess sachgerecht ausgestaltet ist.1 Bei der Analyse des Planungsprozesses ist dabei zunächst zu hinterfragen, inwiefern die einzelnen Teilplanungen aufeinander abgestimmt sind bzw. werden (integrierte Planung). Gegebenenfalls ist in diesem Zusammenhang zunächst zu überprüfen, ob überhaupt eine integrierte Planung vorliegt oder ob die Ableitung des zu kapitalisierenden Ergebnisses aus dem operativen Ergebnis eher überschlägig erfolgte. Auch wenn eine integrierte Planungsrechnung erstellt wird, kann diese auf stark vereinfachten Annahmen beruhen, so dass die Ermittlung des zu kapitalisierenden Ergebnisses dadurch einen überschlägigen Charakter erhält. Diese vergleichsweise technische Anforderung an eine Planung wird zwingend benötigt, um eine konsistente Planungsrechnung sicherzustellen.2

5.14

Die Ausgestaltung des Planungsprozesses ist weiter in inhaltlicher Sicht zu analysieren. In diesem Analyseschritt ist herauszuarbeiten, zu welchem Zweck die Planung erstellt wird. Im Planungsprozess könnte etwa verankert sein, tendenziell ambitionierte Planvorgaben zum Zwecke der Mitarbeitermotivation abzubilden. Der entsprechende Planungszweck und die damit verbundenen Anreize für den Planersteller haben Implikationen bzw. Auswirkungen auf die Eignung der Planung, diese einer Unternehmensbewertung zugrunde zu legen.3

5.15

Vor diesem Hintergrund ist auch die Ausgestaltung des Planungsverfahrens zu untersuchen. Unterschieden werden kann insbesondere zwischen dem Top-Down-Ansatz und dem Bottom-Up-Ansatz. Der Top-Down-Ansatz sieht die Vorgabe von Unternehmenszielen durch die höchste Managementebene vor. Diese aggregierten Planzahlen werden dann auf operative Geschäftsebenen heruntergebrochen und stellen Zielvorgaben für die einzelnen Geschäftsbereiche dar. Die Planung über den Bottom-Up-Ansatz läuft in die Gegenrichtung, d.h. ausgehend von den unteren Hierarchieebenen, welche für ihren Verantwortungsbereich Planzahlen festlegen, werden die Planzahlen bis auf Ebene des Gesamtunternehmens verdichtet.4 Üblicherweise werden Planungen in der Praxis in einem Gegenstromverfahren erstellt, das Aspekte beider Ansätze in sich vereint. Hierbei werden zunächst Vorgaben über das Management gegeben und dann durch die hierarchisch unteren Ebenen „dagegen“ geplant, um entsprechende Widersprüche aufzudecken und auszuräumen.

5.16

Der Planungsprozess ist auch hinsichtlich der zeitlichen Entstehung bzw. Aktualität der Planung zu analysieren. Hierbei können eine zeitlich starre und eine zeitlich rollierende Planung unterschieden werden. Eine zeitlich starre Planung wird zu einem gegebenen Zeitpunkt für einen bestimmten Zeitraum (z.B. Geschäftsjahr) erstellt und zwischenzeitlich nicht angepasst. Bei einer zeitlich rollierenden Planung wird der Planungshorizont nach Ablauf eines Planungsabschnittes in die Zukunft erweitert und somit permanent aktualisiert.5 Für Bewertungszwecke gewährleistet die rollierende Planung eine vergleichsweise bessere Informationslage, da Änderungen von Rahmenbedingungen stets einen zeitnahen Niederschlag in der Planungsrechnung finden.6

5.17

1 2 3 4

Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 11–13. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 2, 13, 51. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 53. Vgl. Staehle/Conrad/Sydow, Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, S. 543; IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 12. 5 Vgl. Michel/Hammerle, Integrierte Zwölf-Monats-Finanz- und Ertragsplanung, S. 116 ff. 6 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 9, 11.

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§ 5 Rz. 5.18

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5.18 Schließlich ist auch der Grad der Verbindlichkeit einer Planung zu beurteilen. Diese wird maßgeblich durch die organisatorischen Prozesse bei der Planerstellung bzw. die hierarchischen Ebenen, die eine Planung durchlaufen muss, beeinflusst. Eine im Unternehmen vorgesehene Kenntnisnahme oder Verabschiedung der Planung sowohl durch das Management als auch durch die Aufsichtsorgane ist vor dem Hintergrund der Beurteilung der Verbindlichkeit der Planungsrechnung grundsätzlich als positiv zu erachten.1

5.19 Letztlich wird auch der jeweilige Planungshorizont im Planungsprozess vorgegeben. Der Zeithorizont ist dabei meist auch vom Planungszweck abhängig. Eine Planung, die im Wesentlichen zur Steuerung der Produktion eingesetzt wird, weist einen tendenziell kürzeren Zeithorizont auf als eine Planung, die zur Umsetzung einer langfristigen Unternehmensstrategie erstellt wird. Im normalen (operativen) Planungsprozess des Unternehmens wird dabei i.d.R. eine Planung für einen endlichen Zeitraum, meist drei bis fünf Jahre, erstellt. Bei einer Unternehmensbewertung wird jedoch regelmäßig von einer unbegrenzten Lebensdauer des Unternehmens ausgegangen,2 weswegen für diese Zwecke grundsätzlich auch eine Planung mit unendlichem Zeithorizont benötigt wird. Aus diesem Grund sind ergänzende Überlegungen anzustellen, wie die im Rahmen des ordentlichen Planungsprozess erstellte (endliche) Planung für Bewertungszwecke fortgeschrieben bzw. fortentwickelt werden kann.3 2. Detailplanungsphase (Phase I) a) Vorbemerkungen

5.20 Bei der Unternehmensbewertung wird aufgrund des i.d.R. angenommenen unendlichen Zeithorizonts die Planung grundsätzlich in mehrere Phasen unterteilt. In der Praxis werden zu diesem Zweck häufig zwei Phasen unterschieden. Dabei lassen sich für einen gewissen Zeitraum, der i.d.R. drei bis fünf Jahre umfasst (Detailplanungsphase oder Phase I), die künftigen finanziellen Ertragsströme besser prognostizieren bzw. plausibler beurteilen als für den darüber hinausgehenden Zeitraum.4 Kennzeichnend für diese Planphase ist dabei die detaillierte Planung einzelner GuV und Bilanzpositionen auf Basis konkreter Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung von Mengen und Preisen.

5.21 Am Ende der detaillierten Planungsphase sollte sich das Unternehmen zumindest bei einer Planung, die für Bewertungszwecke erstellt wird, in einem eingeschwungenen Zustand befinden (s. Rz. 5.53 ff.). In einigen Fällen ist dieser Zustand jedoch noch nicht zum Ende der Detailplanungsphase erreicht, so dass dann auch eine Unterteilung der Zukunftsplanung in drei Phasen sinnvoll sein kann.5 Dabei stellt die zweite Phase eine Übergangsphase6 hin zum eingeschwungenen Zustand dar, die bspw. aufgrund von noch überdurchschnittlichen Rendite- oder Wachstumsaussichten, langen Produktlebenszyklen, langen Investitionslebenszyklen oder Verlustvorträgen modelliert wird. Sowohl im Zwei-Phasen-Modell als auch im DreiPhasen-Modell werden in der jeweils letzten Phase („ewige Rente, Terminal Value“) auf Basis

1 2 3 4 5

Vgl. IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, S. 9. Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 248. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 18, 51 ff. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 76. Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 250 ff.; IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 51 ff. 6 Auch Konvergenz-, Übergangs- oder Grobplanungsphase genannt.

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.26 § 5

stark vereinfachender Annahmen die Überschüsse des Unternehmens für das Jahr nach Ende des Detailplanungszeitraums bzw. der Übergangsphase ausgehend vom eingeschwungenen Zustand bis in die Unendlichkeit weiterentwickelt. Die sachgerechte Länge der Detailplanungsphase lässt sich nicht allgemeingültig festlegen. Faktoren wie bspw. Größe, Struktur und Branche des Unternehmens beeinflussen sowohl die Planbarkeit (Vorhersehbarkeit) als auch die Notwendigkeit einer längeren Planung (lange Zyklen). Vor diesem Hintergrund ist die sachgerechte Länge der Detailplanungsphase vom jeweiligen Einzelfall abhängig.1 Ebenso muss im Einzelfall entschieden werden, inwiefern es für Bewertungszwecke sachgerecht ist, den Übergang in die ewige Rente durch eine Grobplanungsphase (Übergangsphase) auszumodellieren.

5.22

In der Detailplanungsphase werden die einzelnen Komponenten der finanziellen Ertragsüberschüsse in jedem Jahr detailliert geplant. Dabei müssen die teils umfangreichen Einzelpläne (Produktions-, Absatz-, Investitions-, Finanzierungspläne) in eine konsistente, integrierte Unternehmensplanung, bestehend aus Plan-Gewinn und -Verlustrechnung, Plan-Bilanz und Finanzplanung (vgl. Rz. 5.12 f.) überführt werden.2

5.23

b) Planung der Erfolgsgrößen Die Entwicklung eines Unternehmens steht im Spannungsfeld der Rahmenbedingungen des Unternehmens (momentanes sowie zukünftiges Unternehmensumfeld und momentane Unternehmensverfassung) auf der einen Seite und den zukunftsbezogenen Managemententscheidungen auf der anderen Seite. Der Ersteller einer Planung muss daher grundsätzlich dieselben Analysen des Unternehmens(umfelds) anstellen wie eine dritte Person, die eine ihr vorgelegte Planung plausibilisiert (vgl. Rz. 5.58 ff.).

5.24

Die Prognose der künftigen finanziellen Ertragsüberschüsse sollte entsprechend auf den Ergebnissen einer Vergangenheitsanalyse des Unternehmens und einer Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds aufbauen3 und die strategischen Ziele bzw. Vorgaben des Managements berücksichtigen.4 Die zukünftigen finanziellen Überschüsse werden von der Investitionstätigkeit, der Entwicklung des Umsatzes und der entsprechenden Ergebnismarge getrieben. Im Hinblick auf die künftig erzielbare Ergebnismarge sind daher insbesondere die vergangenen Kosten-Erlös-Relationen dahingehend zu analysieren, ob diese auch für die künftige Entwicklung weiterhin angenommen werden können, d.h. ob etwa von künftig gleichlaufenden Preisänderungen auf dem Absatz- und Beschaffungsmarkt ausgegangen werden kann.5

5.25

Ausgangspunkt bei der Ermittlung der zukünftigen Überschüsse sind sowohl im Gesamtkos- 5.26 ten- als auch im Umsatzkostenverfahren die zu schätzenden Umsatzerlöse als Ausdruck des künftigen Ertragspotentials.6 Entsprechend muss die Planung dieses Ertragspotentials vor dem Hintergrund der Entwicklung des Unternehmens(umfelds) herausgearbeitet werden.

1 2 3 4 5 6

Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 76. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 2, 13. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 75. Vgl. IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, S. 20. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 108. Den nachfolgenden Überlegungen liegt die Struktur des in Deutschland stärker als im Ausland gebräuchlichen Gesamtkostenverfahrens zugrunde.

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§ 5 Rz. 5.26

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Umsatzerlöse setzen sich dabei aus dem Produkt von geplanter Absatzmenge und geplantem Absatzpreis zusammen. Die Quantifizierung der Mengen und Preise ist plausibel vor dem Hintergrund der spezifischen Marktgegebenheiten unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit gewonnenen Erfahrungen abzuleiten. Dabei sollte das Mengen- und Wertgerüst idealerweise nach Kunden, Produkten, Regionen, Sparten oder Ähnlichem differenziert werden.1 Insbesondere bei künftig geplanten, wesentlichen Änderungen der Zusammensetzung des Umsatzniveaus – bspw. durch andere Produktmixes oder erhöhte Absatzmengen – muss gewährleistet sein, dass die Planungen weiterhin mit Vertriebskonzepten (Preispolitik, Werbung, Qualitätspolitik), Absatz- und Lieferverträgen, Abnehmerkreisen und weiteren Strukturen in Einklang stehen.2

5.27 Für die Prognose des Materialaufwands ist in erster Linie auf das geplante Mengengerüst, d.h. auf die künftigen Produktionsmengen abzustellen. Darüber hinaus ist die Entwicklung der entsprechenden Beschaffungspreise für die Materialeinsatzfaktoren zu schätzen, wobei ebenfalls vor dem Hintergrund der Analyseergebnisse des Branchenumfelds insbesondere die im Einzelfall gegebenen Beziehungen zu Lieferanten zu berücksichtigen sind. Analog zu der Prognose der Umsatzerlöse ist z.B. eine produkt-, kunden- und/oder regionalspezifische Materialaufwandsanalyse empfehlenswert, um spezifische Ergebnisbeiträge ermitteln zu können.3

5.28 Die Prognose des Personalaufwands kann zunächst auf Basis des aktuellen Personalbestands erfolgen. Die Aufwandshöhe in der Vergangenheit gibt hierfür einen vergleichsweise validen Orientierungsmaßstab vor. Ausgehend von dem historischen Stand sind zum einen geplante künftige Veränderungen im Personalbestand und zum anderen auch künftige Lohn- und Gehaltssteigerungen zu berücksichtigen. Dabei ist für die Planung des Personalbestands grundsätzlich die Ausweitung der Produktionsmenge in die entsprechenden Überlegungen einzubeziehen. Bei der Planung der Lohn- und Gehaltsentwicklung ist neben den Lohn- und Gehaltssteigerungen der jeweiligen Gruppen der Arbeitnehmer gegebenenfalls auch eine Veränderung der Personalstruktur und mithin einer Verschiebung der Gruppenanteile zu berücksichtigen. Auch die Prognose des künftigen Pensionsaufwands kann sich im Einzelfall als sehr komplex weisen, da viele Prämissen (Laufzeit des Versorgungswerks, Rentensteigerungen, Zinssatz) sachgerecht gesetzt werden müssen.4

5.29 Die Höhe der künftigen Abschreibungen lässt sich unter Berücksichtigung von bilanziellen Nutzungsdauern auf Basis des Buchwerts des bestehenden Anlagevermögens und der geplanten künftigen Investitionsausgaben ermitteln.

5.30 Die Planung der sonstigen betrieblichen Erträge und Aufwendungen ist in hohem Maße einzelfallbezogen zu analysieren, insbesondere weil sich deren Bedeutung und Zusammensetzung nicht nur zwischen Branchen, sondern auch zwischen einzelnen Unternehmen unterscheidet. Unter die sonstigen betrieblichen Erträge sind bspw. Erträge aus Anlagenverkäufen, aus der Auflösung von Rückstellungen oder aus staatlichen Zuschüsse bzw. Zulagen zu subsumieren. Die sonstigen betrieblichen Aufwendungen umfassen insbesondere Zuführungen

1 2 3 4

Vgl. IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, S. 20. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 42 ff. Vgl. IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, S. 21. Vgl. zu näheren Ausführungen IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 325 ff.

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.34 § 5

zu Rückstellungen sowie Betriebs-, Vertriebs- und Verwaltungskosten, soweit sie nicht bereits in den oben genannten Aufwandsarten gesondert ausgewiesen wurden.1 Da es sich bei den sonstigen betrieblichen Erträgen und Aufwendungen um Erfolgsgrößen handelt, die i.d.R. in einem Sammelposten ausgewiesen werden, ist bei einer wesentlichen Größenordnung eine höchstmögliche Transparenz hinsichtlich der Planung dieser Posten nahezulegen. Hierzu sollten die einzelnen Bestandteile gesondert geplant und nicht als Aggregat fortgeschrieben werden, da eine Anknüpfung bspw. an einen einzelnen Posten wie etwa die Umsatzerlöse oftmals nicht für alle Bestandteile sachgerecht ist. Entsprechend sind für die sonstigen betrieblichen Erträge und Aufwendungen auch eigenständige Überlegungen anzustellen, wie diese in die Phase der ewigen Rente übergeleitet werden können. Während die sonstigen Steuern, wie z.B. die Kraftfahrzeugsteuer oder die Grundsteuer, für Bewertungszwecke i.d.R. bereits von den oben genannten Posten, in erster Linie von den sonstigen betrieblichen Aufwendungen erfasst werden, sind die Ertragsteuern (Einkommen-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer, entsprechende ausländische Steuern) im Ertragswertverfahren gesondert auszuweisen. Bemessungsgrundlage für die Ertragsteuern ist das (steuerrechtliche) Ergebnis nach Zinsen. Aus diesem Grund wird die Ertragsteuerplanung im Anschluss an die in Abschnitt c) und d) beschriebenen Bilanz- und Finanzplanung erläutert, auf deren Basis noch vor der Berechnung der Steuer zunächst das Zinsergebnis abzuleiten ist.

5.31

c) Planung der Bilanzgrößen Die Planung der Bilanzgrößen ist eng mit der Planung der Erfolgsgrößen verknüpft, da in der 5.32 Bilanz die Vermögenswerte hinterlegt sind, die zur Leistungserstellung notwendig sind bzw. Ausfluss der Leistungserstellung sind. So hängt etwa die Höhe der Umsatzerlöse mit dem Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen logisch zusammen und mindern Abschreibungen das Anlage- und ggf. auch das Umlaufvermögen. Folglich ist eine in sich geschlossene Planungsrechnung zwingend erforderlich, um eine Konsistenz der Teilplanungen sicherzustellen. Ausgangspunkt der Bilanzplanung stellt die Bilanz zum (technischen) Bewertungsstichtag dar. Dabei wird oftmals auf die geprüfte Schlussbilanz des vorangehenden Geschäftsjahres abgestellt. Für originäre Planungszwecke wird i.d.R. auf der zum Beginn der Planungszeitraum hochgerechneten Bilanz aufgesetzt. Auf Grundlage dieser Bilanz werden in Abhängigkeit der geplanten Ergebnisgrößen die Plan-Bilanzen im Detailplanungszeitraum entwickelt. Nachfolgend werden daher beispielhaft Möglichkeiten erörtert, wie Bilanzposten der Aktiv- und der Passivseite auf Grundlage der GuVentwickelt werden können.

5.33

Bei der Entwicklung des Anlagevermögens stehen meist die Sachanlagen im Vordergrund. Die Entwicklung des Sachanlagevermögens orientiert sich dabei i.d.R. an der Prognose der Umsatzentwicklung. Die Änderung der Umsatzerlöse hängt dabei von der Änderung der Mengen und Preise ab. Bei einer geplanten Erhöhung des Mengenvolumens ist folglich sicherzustellen, dass ein ausreichender Kapazitätszuwachs durch Neuinvestitionen bilanziell abgebildet wird. Das Sachanlagevermögen wächst dabei regelmäßig nicht linear mit der Umsatzmenge, da regelmäßig keine lineare Kapazitätsausweitung erfolgen kann. Inwiefern dann auf Basis der Entwicklung der Umsatzmenge (bzw. deren Komponenten) ein ausgefeilter Investitions- und Abschreibungsplanung benötigt wird oder ob eine vereinfachend lineare Fort-

5.34

1 Vgl. IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung, S. 21 f.

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§ 5 Rz. 5.34

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

schreibung mit der Umsatzmenge oder gar den Umsatzerlösen noch sachgerecht ist, muss im Einzelfall beurteilt werden. Beim immateriellen Anlagevermögen können grundsätzlich dieselben Überlegungen wie beim Sachanlagevermögen angestellt werden, jedoch ist regelmäßig kein eindeutiger Zusammenhang mit den Umsatzerlösen zu konstatieren. So kann mit einem einmal erworbenen Patent ggf. eine beliebige Produktionsmenge ausgebracht werden. Hier ist eine entsprechende vereinfachte lineare Fortschreibung mit Umsatzmenge oder Umsatzerlösen nur im Einzelfall sinnvoll. Die Finanzanlagen, soweit sie Wertpapiere und Minderheitsbeteiligungen umfassen, können grundsätzlich im Zeitverlauf als konstant angesehen werden, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte für eine Änderung vorliegen.

5.35 Bei der Entwicklung des unverzinslichen Umlaufvermögens als „arbeitendes Kapital“ ist oftmals eine enge Anknüpfung an Umsatzgrößen oder die Entwicklung bestimmter Aufwandspositionen gegeben. Die Entwicklung der Vorräte kann bspw. mit der Höhe des Materialaufwands (insbesondere Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie bezogene Waren) weiterentwickelt werden. Zu diesem Zweck wird die Reichweite der Vorräte in Tagen als Quotient aus Vorräten und Materialaufwand multipliziert mit der Anzahl der Tage eines Jahres herangezogen. Die Fortschreibung der Vorräte erfolgt dann auf Basis einer geschätzten Reichweite der Vorräte, bspw. auf Basis von Vergangenheitsdaten, und des geplanten Materialaufwands. Bei der Prognose der Reichweite und deren Änderung im Planungszeitraum können dabei auch Überlegungen hinsichtlich einer effizienteren Lagerhaltung etc. (Net Working Capital Management) einfließen. Die Planung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen kann anhand eines ähnlichen Grundansatzes vorgenommen werden. Dabei wird zunächst die Debitorenlaufzeit als Verhältnis des Bestands an Forderungen und der Umsatzerlöse multipliziert mit der Anzahl der Tage eines Jahres errechnet. Anhand einer Prognose der Debitorenlaufzeiten und der geplanten Umsatzerlöse entwickeln sich dann die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Planungszeitraum. Anhaltspunkte für die Prognose der Laufzeiten können Erfahrungswerte der Vergangenheit sowie die Entwicklung des Marktes und des Unternehmens darstellen. Kann bspw. aufgrund eines Wegfalls von Wettbewerbern davon ausgegangen werden, dass das zu bewertende Unternehmen eine vorherrschende Stellung am Markt erhält, könnte es gegebenenfalls kürzere Zahlungsziele bei ihren Kunden durchsetzen. Bei den (betriebsnotwendigen) liquiden Mitteln kann bspw. auch auf Basis einer Umsatzquote geplant werden. Dabei können Überlegungen darüber angestellt werden, inwiefern etwa der Finanzmittelfonds im Verhältnis zu den Umsatzerlösen im Zeitablauf konstant bleibt oder etwa über ein besseres Cash Management gesenkt wird. Auch hier ließe sich alternativ durch entsprechende Multiplikation des Quotienten aus liquiden Mitteln und Umsatzerlösen mit der Anzahl der Tage eines Jahres die Reichweite der liquiden Mittel errechnen. Verzinsliches Umlaufvermögen bzw. nicht betriebsnotwendige liquide Mittel werden oftmals mit den verzinslichen Schulden verrechnet (Nettofinanzverbindlichkeit, Net Debt).

5.36 Bei den nicht zinstragenden Schulden, die meist saldiert mit dem Umlaufvermögen ins Net Working Capital einfließen, kann ebenfalls eine Anknüpfung an die Umsatzerlöse sachgerecht sein. So werden bspw. Rückstellungen aus Gewährleistungsansprüchen bei einem erhöhten Umsatzniveau i.d.R. ebenfalls zunehmen. Entsprechend orientiert sich die Entwicklung der sonstigen Rückstellungen üblicherweise auch am geplanten Niveau der Umsatzerlöse.

5.37 Die Planung der zinstragenden Schulden ist eng verbunden mit der Finanzbedarfsrechnung bzw. Finanzplanung. In dieser Planung auf Basis des operativen Cash Flows, der Investitionen in das Anlagevermögen und das Net Working Capital sowie der geplanten Thesaurierungen wird herausgearbeitet, welcher Kreditbedarf oder aber auch Liquiditätsüberschuss je Plan-

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.44 § 5

periode besteht; insofern werden die Schulden als Restgröße geplant. In der Planung der zinstragenden Schulden sind dabei gegebenenfalls externe Rahmenbedingungen wie z.B. Fremdkapitalkonditionen oder Covenants-Regelungen sowie vertraglich vereinbarte Tilgungspläne bestehender Darlehen sowie ggf. erforderliche Anschlussfinanzierungen zu berücksichtigen; insofern müssen dann im Einzelfall Komponenten der Schulden autonom geplant werden; insoweit berechnen sie sich dann nicht als Restgröße aus der Finanzbedarfsrechnung. Die Entwicklung des Eigenkapital-Postens ist mit der Planung der Gewinn- und Verlustrechnung und der Ausschüttungsplanung abzustimmen. Die Ausschüttungsplanung richtet sich im Detailplanungszeitraum nach dem zum Bewertungsstichtag dokumentierten Unternehmenskonzept unter Berücksichtigung rechtlicher Restriktionen (z.B. Höhe des Bilanzgewinns, Höhe des ausschüttbaren handelsrechtlichen Jahresüberschusses) und den faktischen finanziellen Restriktionen der Finanzbedarfsrechnung.1

5.38

d) Finanzplanung Die Finanzplanung ist rechnerisches Bindeglied der Planung der Erfolgs- und Bilanzgrößen, es besteht mithin eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen diesen Teilplanungen.

5.39

In der Finanzplanung werden sämtliche Bilanzveränderungen ausgehend von der letzten verfügbaren Ist-Bilanz periodenspezifisch abgebildet. Eine Erhöhung des Sachanlagevermögens im Vergleich zum Vorjahr stellt dabei die Nettoinvestitionen als Differenz aus Bruttoinvestitionen und Abschreibungen und einen entsprechenden Finanzbedarf dar. Selbiges gilt für einen Anstieg des Net Working Capitals, der ebenfalls finanziert werden muss.

5.40

Der Saldo aller Bilanzveränderungen zeigt letztlich den periodenbezogenen Finanzierungs- 5.41 bedarf bzw. -überschuss an. Diese Nettogröße wirkt unmittelbar wieder auf die Bilanzplanung zurück, da bspw. ein Finanzmittelüberschuss im Bewertungsmodell entweder zur Tilgung bestehender Kredite oder zu einer Finanzanlage auf der Aktivseite genutzt wird. Entsprechend führt ein Finanzbedarf zu einer Aufnahme weiterer Kreditmittel.2 Die geplante Tilgung bzw. die Neuaufnahme von Krediten im Rahmen der Finanzplanung beeinflusst wiederum die Planung der Erfolgsgrößen in Form der Zinsergebnisprognose. So wirken sich entsprechende Finanzanlagen bzw. Kreditaufnahmen direkt auf die zu planenden Zinserträge und -aufwendungen aus.3

5.42

e) Planung der Ertragsteuern Der Unternehmenswert bestimmt sich durch Diskontierung der den Unternehmenseignern zufließenden (Netto-)Zahlungsüberschüsse. Mithin sind Ertragsteuern des Unternehmens sowie grundsätzlich auch Ertragsteuern auf Ebene der Unternehmenseigner wertmindernd zu berücksichtigen.4

5.43

Die geplanten Ergebnisse vor (Ertrag-)Steuern sind daher zunächst immer um in- und ausländische Ertragsteuern des Unternehmens zu kürzen. Unabhängig von der Rechtsform sind

5.44

1 2 3 4

Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 35-37. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 110. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 110. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 28.

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§ 5 Rz. 5.44

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

dabei für alle Gewerbebetriebe Gewerbesteuern in Abzug zu bringen. Bei Kapitalgesellschaften ist des Weiteren die Belastung des Vorsteuerergebnisses mit der Körperschaftsteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) zu berücksichtigen, während bei Personengesellschaften als partielle Steuersubjekte keine weiteren Unternehmenssteuern erhoben werden. Gewerbesteuern und Körperschaftsteuern fallen hierbei im aktuellen Unternehmenssteuerregime unabhängig davon an, ob die Ergebnisse des Unternehmens ausgeschüttet oder thesauriert werden. Für weitere bewertungsrelevante Besonderheiten der Besteuerung auf Ebene des Unternehmens wird an dieser Stelle auf die einschlägige Literatur verwiesen.1

5.45 Persönliche Steuern, also Ertragsteuern auf Ebene der Unternehmenseigner, sind grundsätzlich wertrelevant, da sie die Zuflüsse an die Anteilseigner vermindern. Der IDW S 1 i.d.F. 2008 lässt jedoch bei bestimmten Bewertungsanlässen eine sog. mittelbare Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner zu, bei der die Ertragsteuern der Unternehmenseigner nicht explizit in der Bewertung zu berücksichtigen sind.2 Da in diesem Fall auch der Kapitalisierungszinssatz vor persönlichen Steuern bestimmt wird, wird vereinfachend unterstellt, dass sich die Belastung mit persönlichen Steuern bei der Bildung des Ertragswerts im Zähler und Nenner aufheben. Eine mittelbare Typisierung ist bei Unternehmensbewertungen im Zusammenhang mit Unternehmensveräußerungen und andere unternehmerischen Initiativen und für Zwecke der externen Rechnungslegung (z.B. Impairment-Tests) vorgesehen.3

5.46 Im Gegensatz dazu erfordern Unternehmensbewertungen, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften (z.B. im Rahmen eines Squeeze-out-Verfahrens) oder auf vertraglicher Grundlage (z.B. Erbauseinandersetzungen) durchzuführen sind, eine explizite Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern. In diesen Fällen spricht man von einer sog. unmittelbaren Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner.4 Auch bei Personengesellschaften, bei denen die dem Anteilseigner zufließenden Erträge unter (teilweiser) Anrechnung der Gewerbesteuer im vollen Umfang der persönlichen Einkommensteuer unterliegen, die insoweit an Stelle der Unternehmensteuer tritt, ist eine mittelbare Typisierung nicht möglich.5

5.47 Liegt ein Bewertungsanlass mit unmittelbarer Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Unternehmenseigner vor, sind die Netto-Zuflüsse auf Ebene der Anteilseigner mit dem effektiven persönlichen Steuersatz zu vermindern. Bei der Bewertung einer Kapitalgesellschaft ist zudem eine differenzierte Besteuerung von Dividenden und künftigen Veräußerungsgewinnen vorzunehmen. Während die ausgeschütteten Gewinne einer Sofortbesteuerung unterliegen, sind bei der Besteuerung künftiger Veräußerungsgewinne Steuerstundungseffekte zu berücksichtigen, die den effektiven Steuersatz vermindern. Somit erhält die angenommene Ausschüttungsquote, die sich auf die Höhe des anzusetzenden effektiven persönlichen Steuersatzes auswirkt, unmittelbare Wertrelevanz.6 Auch hier sei auf § 17 sowie die einschlägige Literatur verwiesen.7

1 2 3 4 5 6

Vgl. Popp/Kunowski in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1319 ff. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 28. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 30 und Tz. 45. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 31 und Tz. 46. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 47. Je höher die angenommene Ausschüttungsquote ist, desto höher ist der Umfang der Sofortbesteuerung und somit auch die persönliche Steuerlast. Der werterhöhende Effekt, der aus der (fiktiven) Thesaurierung von Unternehmensgewinnen resultiert, wird in der Praxis als Wertbeitrag aus Thesaurierung bezeichnet. 7 Vgl. z.B. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 288-296.

110

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.52 § 5

Im Rahmen der Anwendung des Ertragswertverfahrens ist streng darauf zu achten, dass bei 5.48 Zähler- und Nennergröße konsistente Annahmen hinsichtlich der Berücksichtigung persönlicher Steuer gesetzt werden. Bei einer mittelbaren Typisierung (kein Abzug persönlicher Steuern im Zähler) ist auch im Nenner auf einen entsprechenden Vor-Steuer-Kalkül (CAPM) abzustellen, d.h. hier sind auf Renditen der Alternativanlage am Kapitalmarkt vor persönlichen Steuern anzusetzen. Hingegen muss bei der unmittelbaren Typisierung (Abzug persönlicher Steuern im Zähler) auf einen Nach-Steuer-Kalkül (Tax-CAPM) im Nenner abgestellt werden, in dem die Renditen der Alternativanlage nach persönlichen Steuern berücksichtigt werden. f) Planung der Thesaurierung Bei der Planung der Thesaurierung im Detailplanungszeitraum sind grundsätzlich die im Unternehmenskonzept hinterlegten Annahmen zur Ausschüttungspolitik unter Berücksichtigung gesellschaftsrechtlicher Vorgaben und der Finanzierbarkeit maßgeblich.1 Sofern für die thesaurierten Mittel keine Verwendung in der Unternehmensplanung hinterlegt ist, ist diesbezüglich eine sachgerechte Annahme zu treffen. Falls sich durch die Thesaurierung nicht betriebsnotwendige Liquidität aufbaut, ist der entsprechende Thesaurierungsplan zu hinterfragen. In einem solchen Fall kann ggfs. für Bewertungszwecke eine Ausschüttung angenommen werden, was im Ergebnis einer kapitalwertneutralen Wiederanlage der liquiden Mittel entspricht.

5.49

3. Planung der Übergangsphase (Phase II) Zum Zeitpunkt des Übergangs in die ewige Rente muss sich ein Unternehmen in einem eingeschwungenen Zustand befinden. In den Fällen, in denen sich das zu bewertende Unternehmen im letzten Planjahr der Detailplanungsphase noch nicht in einem eingeschwungenen Zustand befindet, muss für Bewertungszwecke eine Anpassung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vorgenommen werden, um den erforderlichen Gleichgewichtszustand zu schaffen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn das letzte Planjahr in der Detailplanungsphase keinen durchschnittlichen Konjunkturzyklus repräsentiert. Bewertungstechnisch kann der Übergang in den eingeschwungenen Zustand und somit in die ewige Rente durch ein Anpassungsjahr bzw. eine Anpassungsphase (Übergangsphase, Grobplanungsphase) erfolgen.

5.50

Für die Anpassungsphase kann sich die spezifische Modellierung auf die wesentlichen Werttreiber beschränken, die sich noch nicht in einem eingeschwungenen Zustand befinden bzw. für die noch ein entsprechender Anpassungsbedarf identifiziert wird. Die übrigen Ergebnislinien bzw. Bilanzposten können in der Regel pauschal fortgeschrieben werden.

5.51

Ein Beispiel für eine erforderliche Anpassung ist etwa ein noch nicht eingeschwungenes Net Working Capital, also die unverzinslichen kurzfristigen Aktiv- und Passivposten der Bilanz, zum Ende der Detailplanungsphase. Ein Anpassungsbedarf ergibt sich etwa, wenn ein gegenüber dem letzten Planjahr geringeres nachhaltiges Umsatzniveau anzunehmen ist. Als Konsequenz ist von einem nachhaltig geringeren Bestand an z.B. betriebsnotwendigen liquiden Mitteln, Vorräten, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Rückstellungen auszugehen. Ein Abbau des Net Working Capitals in einem Anpassungsjahr (abgebildet in der Plan-Bilanz) führt zu einem Mittelzufluss (abgebildet im Finanzplan) bei den Anteilseignern und hat somit isoliert betrachtet einen werterhöhenden Effekt. Anhand dieses Werteffekts

5.52

1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 24 und Tz. 35 ff.

Franken/Schulte

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§ 5 Rz. 5.52

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

wird deutlich, dass sich die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des zu bewertenden Unternehmens zu Beginn der ewigen Rente grundsätzlich in einem Gleichgewichtszustand befinden muss. 4. Planung des nachhaltigen Ertragsüberschusses (Phase III)

5.53 Der als nachhaltig erzielbar angenommene Ertragsüberschuss der ewigen Rente ist auf Basis der Erkenntnisse der Vergangenheit und der geplanten Entwicklung in der Detailplanungsphase unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten des Markt- und Wettbewerbsumfelds abzuleiten. Unterliegt das Markt- und Wettbewerbsumfeld des zu bewertenden Unternehmens im Zeitablauf nur geringen Veränderungen und ist dies auch für die Zukunft zu erwarten, kann bspw. ein über einen gesamten Konjunkturzyklus gebildeter durchschnittlicher Ertragsüberschuss als Orientierungsmaßstab für den nachhaltigen Ertragsüberschuss herangezogen werden; wesentliche Veränderungen z.B. in Form von langfristigen Wachstumstrends sind dabei jedoch zu berücksichtigen.

5.54 Bei der Ermittlung des repräsentativen, nachhaltigen Ertragsüberschusses ist weitergehend zu analysieren, ob die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des zu bewertenden Unternehmens im letzten Planjahr der Detailplanungsphase bereits einen sog. eingeschwungenen Zustand (Gleichgewichts- oder Beharrungszustand) darstellt.1 In diesen Fällen kann ausgehend vom letzten Planjahr unmittelbar in die ewige Rente übergegangen werden und ein nachhaltiger Ertragsüberschuss angesetzt werden. Für den Fall, dass bspw. das nachhaltige Ergebnis bspw. über eine Durchschnittsbildung (vgl. Rz. 5.53) angepasst wird, befindet sich das System der Planungsrechnungen dabei regelmäßig nicht mehr in einem eingeschwungenen Zustand. Hier wäre eine entsprechende Übergangsphase bzw. ein Übergangsjahr zu modellieren, in dem sich das Modell einschwingt.

5.55 Repräsentieren die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des zu bewertenden Unternehmens einen eingeschwungenen Zustand, wird in der Praxis das künftige Wachstum der finanziellen Ertragsüberschüsse durch eine konstante jährliche Wachstumsrate, den sogenannten Wachstumsabschlag, abgebildet. Dieses künftige Wachstum beinhaltet üblicherweise in erster Linie ein nominales Wachstum, d.h. das Wachstum ist nicht auf leistungswirtschaftliche, sondern auf rein inflationsbedingte Ergebniserhöhungen zurückzuführen. Neben dem inflationsbedingten Wachstum der nachhaltigen Ertragsüberschüsse ist auch die inflationsbedingte Fortentwicklung der Aktiv- und Passivposten der Plan-Bilanz zu berücksichtigen. Da auch das regelmäßig reinvestierende Kapital inflationsbedingten Preiseinflüssen unterliegt, ist sicherzustellen, dass die hieraus resultierenden Finanzierungsnotwendigkeiten bei der Ableitung der nachhaltigen Ertragsüberschüsse, bspw. in Form einer wachstumsbedingten Thesaurierung und in Form einer weiteren Fremdkapitalaufnahme mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Finanzplanung, berücksichtigt werden.2

5.56 Während sich die anzunehmende Ausschüttungsquote bzw. Thesaurierungsquote im Detailplanungszeitraum nach der Annahme im dokumentierten Unternehmenskonzept richtet, sieht der IDW S 1 i.d.F. 2008 für die Phase der ewigen Rente grundsätzlich die typisierende Annahme vor, dass das Ausschüttungsverhalten des Bewertungsobjekts dem Ausschüttungs-

1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 78. 2 Vgl. hierzu weiterführend IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 442–451.

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.58 § 5

verhalten der Alternativanlage entspricht. Für die außerhalb der konstanten wachstumsbedingten Thesaurierung thesaurierten Beträge ist dabei die Annahme zu treffen, dass diese kapitalwertneutral wiederangelegt werden.1 Sofern man den eingeschwungenen Zustand zu Beginn der ewigen Rente mathematisch als „Steady State“ interpretiert, müsste die Eigenkapitalrendite des Unternehmens der Grenzrendite der äquivalenten Anlage am Kapitalmarkt und mithin den Kapitalkosten entsprechen.2 Dies hätte weitreichende Implikationen: Die durch das Wachstum der Überschüsse bedingte Thesaurierung bzw. die damit verbundene Investition würde vor diesem Hintergrund gerade die Kapitalkosten erwirtschaften und wäre somit ebenfalls kapitalwertneutral. Mithin hätte die Wachstumsrate der Überschüsse keinen Einfluss auf den Unternehmenswert. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass bei einer Wertänderung durch Wachstum kein eingeschwungener Zustand i.S. eines Steady State gegeben ist. Eine Wertsteigerung ist in diesem Fall gleichbedeutend mit der Annahme, dass das Unternehmen zum Zeitpunkt des Eintritts in die ewige Rente und somit bis in alle Ewigkeit noch eine Eigenkapitalrendite oberhalb (oder unterhalb) der Kapitalkosten verdient.3 Die Annahme, ein Unternehmen befände sich bereits nach der drei bis fünf Jahren dauernden Detailplanungsphase in einem Gleichgewichtszustand, in dem keine Überrenditen mehr erzielt werden, ist jedoch als mindestens ebenso problematisch anzusehen. Entsprechend sind im Einzelfall Überlegungen anzustellen, inwiefern es sachgerecht bzw. sogar zwingend ist, die Überrendite in einer Grobplanungsphase darzustellen.4

5.57

IV. Planungsplausibilisierung 1. Allgemeine Maßstäbe für die Durchführung der Planungsbeurteilung Eine Unternehmensplanung kann üblicherweise nicht unkritisch übernommen und der Wertermittlung zugrunde gelegt werden.5 Vielmehr ist es die Aufgabe des Bewerters, sich anhand von Plausibilitätsüberlegungen davon zu überzeugen, dass die Planung für Bewertungszwecke sachgerecht ist. Im Rahmen der Plausibilisierung der Planung beurteilt der Wirtschaftsprüfer die Planung anhand unterschiedlicher Analysehandlungen sowie unter Anwendung unterschiedlicher Plausibilitätsmaßstäbe.6 Eine strukturierte Vorgehensweise bei der Planungsplausibilisierung kann anhand der nachfolgend dargestellten Abbildung veranschaulicht werden:

1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 37. 2 Vgl. Knoll, RWZ 2014, 274. 3 Dabei wird die Annahme gesetzt, dass die Eigenkapitalrendite bis in alle Ewigkeit über den Kapitalkosten liegt. Dies kann jedoch auch grundsätzlich so interpretiert werden, dass das Unternehmen zunächst noch eine – dann höhere – Eigenkapitalrendite verdient, bevor diese mit den Kapitalkosten zusammenfällt. Insofern stellte die mathematische Darstellung dann eine finanzmathematische Vereinfachung dar. 4 Vgl. zu dieser Problematik auch als österreichisches Pendant zum IDW S 1 i.d.F. 2008 das Fachgutachten des Fachsenats für Betriebswirtschaft und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zur Unternehmensbewertung (KFS/BW 1) vom 26.3.2014, Rz. 61 ff. 5 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 78 sowie Tz. 107 f. 6 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 14.

Franken/Schulte

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5.58

§ 5 Rz. 5.58

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Rechnerische und formelle Plausibilität Rechnerische Konsistenz

AnnahmenKonsistenz

Fehlerfreiheit Würdigung der Berechder Konsisnungen tenz der Aninnerhalb nahmen der Teilpläne innerhalb und zwischen einzelner den TeilTeilpläne soplänen wie zwischen den Teilplänen

Materielle, interne Plausibilität

Materielle, externe Plausibilität

Erläuterung Unternehmensdes Manageanalyse ments (einschließlich Vergangenheitsanalyse)

Marktanalyse

Nachvollziehbarkeit und Konsistenz der Planung mit den Erläuterungen

Nachvollzieh- Nachvollziehbarkeit und barkeit und Konsistenz Konsistenz der Planung der Planung z.B. mit z.B. mit IstvolkswirtZahlen und schaftlichen AnalystenPrognosen, schätzungen Absatzmarktanalysen ect.

Nachvollziehbarkeit und Konsistenz der Planung mit den Ist-Entwicklungen in der Vergangenheit und den Unternehmenspotenzialen zum Stichtag

Analyse der Wettbewerber

Tab. 1: Systematisierung des Vorgehens bei der Planungsplausibilisierung gemäß IDW Praxishinweis 2/2017

5.59 Die Analyse der rechnerischen und formellen Plausibilität stellt im Regelfall den ersten Schritt der Planungsanalyse dar.1 Die materiellen Analysehandlungen lassen sich unterteilen in die Analyse der internen und externen Plausibilität.2 Im Rahmen der Untersuchung der internen Plausibilität wird analysiert, ob die Annahmen der Planung konsistent zu Erläuterungen des Managements und den Erkenntnissen aus der Unternehmensanalyse sind. Im Rahmen der Untersuchung der externen Plausibilität wird insbesondere analysiert, ob die Annahmen der Planung konsistent zu den Ergebnissen der Markt- und Wettbewerbsanalyse auf Grundlage der zum Planungszeitpunkt vorherrschenden Rahmenbedingungen sind.3 Diese verschiedenen Plausibilitätsmaßstäbe weisen wechselseitige Beziehungen auf und dürfen daher nicht isoliert betrachtet werden.

5.60 Letztlich muss die Planungsrechnung anhand der Ergebnisse der unternehmensinternen sowie -externen Vergangenheitsanalyse sowie der Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds plausibilisiert werden. Der Bewerter muss sich hierzu anhand der von ihm durchgeführten Untersuchungen abschließend davon überzeugen, inwiefern die Planung plausibel ist und als Grundlage der Wertermittlung dienen kann.

1 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 19. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 16. 3 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 17.

114

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.65 § 5

2. Gewinnung eines Verständnisses vom Planungsprozess a) Grundlegende Überlegungen Die vergangenheits- und zukunftsbezogene Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds sowie die Vergangenheitsanalyse des Unternehmens stellen die zentralen Bausteine für eine aussagekräftige Plausibilisierung der Planungsrechnung dar. Auch bei der Erstellung einer Planung ist es oftmals notwendig, sich ein umfassendes Bild vom Unternehmensumfeld sowie von der historischen Entwicklung des Unternehmens zu machen. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend auf die hierfür notwendigen Analyseschritte näher eingegangen. Die vorgestellten Untersuchungen des Unternehmens bzw. Unternehmensumfelds (einschließlich der notwendigen Strategiefestlegungen) bilden dabei regelmäßig auch das Fundament, auf dem die Planung im Rahmen des Planungsprozesses aufgesetzt wird.

5.61

Die Beurteilung einer Unternehmensplanung schließt auch die Gewinnung eines Verständnis- 5.62 ses vom Erstellungsprozess ein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein bestimmter Erstellungsprozess bzw. die Einhaltung von vorgegebenen Prozessschritten allein nicht gewährleistet, dass die Unternehmensplanung als zweckadäquat und plausibel zu beurteilen ist. Vielmehr dient die Aufnahme des Erstellungsprozesses der Gewinnung des Verständnisses, welche Zwecke mit der Planerstellung verfolgt werden, welche Informationen und wessen Einschätzungen in der Unternehmensplanung Berücksichtigung gefunden haben. Dies kann auch bereits eine Einschätzung zur Aktualität der Planannahmen und zur Vollständigkeit der Planung beinhalten.1 b) Analyse der Planungstreue Bereits im Rahmen der Analyse des Planungsprozesses können Erkenntnisse über die Belastbarkeit der Planungsrechnung und deren Eignung für den vorliegenden Bewertungszweck gewonnen werden (vgl. Rz. 5.12 ff.). Eine belastbare Planung ist dabei umso eher gegeben, je höher deren Grad an Verbindlichkeit ist. Entsprechend sollte ein Bewerter zunächst in Erfahrung bringen, welche Gremien Kenntnis über die Planungsrechnung haben und inwiefern die Gremien diese Planungsrechnung als realistische Prognose der Unternehmensentwicklung ansehen.

5.63

Weiterhin ist auch der Zweck in Erfahrung zu bringen, für den die Planung erstellt wurde. Eine Planung, welche primär der Steuerung des Unternehmens dient, ist nicht unbedingt eine sachgerechte Grundlage für objektivierte Unternehmensbewertungen im Sinne des IDW S 1 i.d.F. 2008. Im Rahmen des Tagesgeschäfts ist eine leicht überambitionierte Planung als geeignetes Motivationsinstrument möglicherweise zweckdienlich, als Grundlage einer objektivierten Unternehmensbewertung ist hingegen stets eine erwartungswertneutrale Planung erforderlich. Vor diesem Hintergrund kommt der Untersuchung der Planungstreue eine gesonderte Rolle im Rahmen der Planungsplausibilisierung im Sinne einer Vorabanalyse zu.2 In diesem Rahmen kann sich der Bewerter ein Bild darüber verschaffen, ob die Planungen in der Vergangenheit ggf. einseitig verzerrt und damit zu optimistisch oder pessimistisch waren.

5.64

Bei der Analyse der Planungstreue werden historische Planungsrechnungen mit den tatsächlichen Ist-Ergebnissen verglichen. Anschließend werden die Ursachen etwaiger Plan-Ist-Abweichungen analysiert. Dabei bedeuten beobachtbare Plan-Ist-Abweichungen nicht zugleich

5.65

1 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 11. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 26.,

Franken/Schulte

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§ 5 Rz. 5.65

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

eine systematische Verzerrung der Planung, da z.B. nicht geplante Sondereffekte innerhalb eines Geschäftsjahres wie bspw. die Bildung oder Auflösung einer Drohverlustrückstellung zum Teil große Plan-Ist-Abweichungen hervorrufen können, obwohl die Planungsrechnung aus Sicht der damaligen Erkenntnisse erwartungswertneutral war. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere auch eine mehrjährige Analyse der Planungstreue zu empfehlen. Häufig gibt erst diese einen Aufschluss über eine mögliche einseitige d.h. systematische Verzerrung der Planung. Zudem sollte auch eine entsprechende Untersuchung der Planungstreue anhand von bereinigten Ist-Zahlen erfolgen, die den entsprechenden Planzahlen gegenübergestellt werden. Dabei ist jeweils sorgfältig abzuwägen, inwiefern tatsächlich „Sondereffekte“ vorliegen oder inwiefern der Begriff „Sondereffekt“ als Euphemismus für „nicht dem Optimum entsprechendes Ereignis“ und mithin als Ausrede gewählt wird. So wären entsprechend in einer Planung Forderungsausfälle pauschal zu berücksichtigen und können nicht grundsätzlich als Sondereffekte bereinigt werden. Ein einmaliger, sehr großer Forderungsausfall bspw. in Folge einer Unternehmensinsolvenz während der Finanz- und Wirtschaftskrise wäre hingegen gegebenenfalls als Sondereffekt zu bereinigen.

5.66 Als Ergebnis der Analyse der Planungstreue sollte der Bewerter beurteilen können, ob die Planung des Unternehmens eine eher optimistische oder eine eher pessimistische oder aber eine eher realistische i.S.v. erwartungswertneutrale Tendenz aufweist. Sofern der Bewerter zum Ergebnis gelangt, dass die Planung realistisch ist, die tatsächlichen Erwartungen der Gesellschaft widerspiegelt und festgestellte Plan-Ist-Abweichungen auf Ursachen wie ein volatiles Marktumfeld und nicht planbare Sondersachverhalte zurückzuführen sind, ist die Planungsrechnung mit Blick auf die Planungstreue insoweit als grundsätzlich geeignet für die Wertermittlung einzuschätzen. 3. Plausibilitätsmaßstäbe a) Grundlegende Überlegungen

5.67 Im Rahmen einer Unternehmensbewertung werden auf Basis der Planungsrechnung die zu kapitalisierenden Ergebnisse abgeleitet, die der Wertermittlung zugrunde liegen. Insofern kommt der Planungsrechnung die zentrale, wesentliche Bedeutung zu. Bei der Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren unter Anwendung der Risikozuschlagsmethode müssen dabei die zu kapitalisierenden Überschüsse im Ergebnis Erwartungswerte widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund sollte ein Bewerter in einem ersten Schritt einen Eindruck über die Planung an sich gewinnen und diese dann umfänglich analysieren. Neben einer Überprüfung der Planungstreue und der rechnerischen Richtigkeit muss im Kern eine Analyse der Planung selbst erfolgen. Durch letztgenannte Untersuchung sollte der Bewerter nachvollziehen, welche Entwicklung des Unternehmens in der Planung überhaupt gezeichnet wird. So kann der Bewerter eine erste, grundsätzliche Vorstellung über die Entwicklung des Unternehmens gewinnen. Erst dann kann die eigentliche Plausibilisierung der Planung erfolgen, in deren Rahmen die Erwartungen über die geplante künftige Entwicklung des Unternehmens mit Daten außerhalb der Planungssphäre verglichen werden. b) Analyse der rechnerischen und formellen Plausibilität

5.68 Die Zukunftsbezogenheit von Planungsrechnungen lässt i.d.R. kein eindeutiges Urteil darüber zu, ob eine Planung als Ganzes oder aber einzelne Planprämissen als „richtig“ oder „falsch“

116

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.71 § 5

zu erachten sind. Eindeutiger kann hingegen die Frage nach der rechnerischen Richtigkeit der Planungsrechnung und der Konsistenz der (Teil-)Planungen beantwortet werden.1 Der Wirtschaftsprüfer hat die rechnerische Richtigkeit der Planung zu würdigen. Art und 5.69 Umfang der erforderlichen Analysehandlungen hängen dabei insb. von der Komplexität, Formalisierung und technischen Ausgestaltung des Planungssystems ab. Da Planungen computergestützt erstellt werden, ist dabei nicht vornehmlich das Ergebnis einer Rechnung zu überprüfen, sondern vielmehr sicherzustellen, dass die korrekten Rechenoperationen und Verknüpfungen durchgeführt werden. Entsprechend sollte im Ergebnis der Analyse beurteilt werden können, ob die ökonomischen Zusammenhänge zutreffend in einem Programm modelliert wurden. Insbesondere bei komplexen Planungssystemen ist es vertretbar, die Würdigung der rechnerischen Richtigkeit auf konsolidierte Ergebnisse der Planung (Bilanz, GuV- und Cashflow-Planung) zu beschränken.2 Eine konsistente Planungsrechnung baut auf einer geeigneten Datengrundlage, üblicherweise auf Daten des Rechnungswesens und des Controllings auf. Die Herkunft der Daten sollte somit stets nachprüfbar und die (Dis-)Aggregation nachvollziehbar sein. Insbesondere gilt es die Schlussbilanzwerte zu Beginn des ersten Planjahres mit dem i.d.R. geprüften Jahresabschluss abzustimmen. Des Weiteren ist bei der Überprüfung der Konsistenz darauf zu achten, dass einzelne Teilplanungen sachgerecht miteinander verknüpft sind. Änderungen bzw. Anpassungen in einer Teilplanung sollten entsprechend möglichst automatisch zu entsprechenden Anpassungen in den anderen Teilplanungen führen und nicht im Widerspruch zueinander stehen.

5.70

c) Analyse der materiellen, internen Plausibilität aa) Grundlegende Überlegungen Im Rahmen der materiellen Plausibilitätsanalyse wird gewürdigt, ob die der Planung zugrunde gelegten Annahmen sowie die aus den Annahmen und dem Planungsmodell resultierenden Ergebnisse insgesamt unter angemessener Berücksichtigung von Chancen und Risiken abgeleitet wurden. Die Plausibilität ist gegeben, wenn die Annahmen und die Planansätze für den jeweiligen Anlass nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen, d.h. in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen aus der Vergangenheits-, Markt-, Wettbewerbs- und Unternehmensanalyse sind. Bestehen Abweichungen zu den Erkenntnissen aus den vorgenannten Analysen, sollten diese intersubjektiv nachvollziehbar sein. Ein sachkundiger Dritter sollte bei entsprechender Informationslage zu vergleichbaren Einschätzungen kommen. Die Analyse der internen Plausibilität umfasst zum einen den Abgleich der Planung mit den entsprechenden Erläuterungen des Managements. Hierbei ist durch geeignete Analysehandlungen zu würdigen, ob die in der Planung verarbeiteten Annahmen mit den strategischen Vorstellungen und beabsichtigten operativen Maßnahmen des Managements in Übereinstimmung stehen.3 Zum anderen ist im Rahmen der Analyse der materiellen internen Plausibilität ein Abgleich mit den Ergebnissen der Vergangenheits- und Lageanalyse des Unternehmens erforderlich. Bei der Vergangenheitsanalyse werden die in der Vergangenheit eingetretenen Ist-Werte für ausgewählte Planungsparameter sowie für GuV- und Bilanzgrößen mit den entsprechenden Planzahlen verglichen. Hierbei sollte in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls ein 1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 81. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 20. 3 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 22.

Franken/Schulte

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5.71

§ 5 Rz. 5.71

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

aussagefähiger Referenzzeitraum gewählt werden. Dieser kann z.B. zwei bis drei Jahre umfassen.1 bb) Unternehmens- und Vergangenheitsanalyse (1) Unternehmensanalyse

5.72 Zunächst sind die Ist-Daten des zu bewertenden Unternehmens zu analysieren, um ein Verständnis über die Entwicklungen des Unternehmens in den vergangenen Geschäftsjahren zu gewinnen. Dabei sollten auch die wesentlichen Werttreiber identifiziert werden. Diese Untersuchungen geben dem Bewerter einerseits einen Eindruck über das (bisherige) Geschäftsmodell des Unternehmens und dienen andererseits der Plausibilisierung der Planungsrechnung. Zur Analyse und Beurteilung der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Entwicklungen des zu bewertenden Unternehmens dienen in erster Linie Gewinn- und Verlustrechnungen, Bilanzen, Kapitalflussrechnungen sowie interne Ergebnisrechnungen.2 Ebenfalls wichtige Informationen liefern die dazugehörigen Anhänge, Eigenkapitalspiegel, Segment- und Lageberichte. Die Analyse sollte sich dabei schwerpunktmäßig auf die Entwicklungen des Umsatz-, Kosten- und Ergebnisniveaus im Zeitablauf vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit getätigten Investitionen konzentrieren.3

5.73 Im Rahmen der Umsatzanalyse sind zunächst die wichtigsten Produkt- und Kundengruppen sowie Absatzmärkte zu identifizieren und zu kategorisieren, um auf dieser Basis die Umsatzerlöse segmentieren zu können. Im nächsten Schritt können dann die Entwicklungen dieser segmentierten Erlöse herausgearbeitet und die wesentlichen Umsatz- und ggf. auch Werttreiber dargestellt werden. Ein weiterer essentieller Analyseschritt ist der Aufriss der Umsatzerlöse nach Preis und Menge der abgesetzten Produkte. Die Entwicklung des Preis-Mengen-Gerüsts ist insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung des Markt- und Wettbewerbsumfelds zu analysieren und zu interpretieren.

5.74 Über die Kostenanalyse kann der Bewerter ein Verständnis der Kostenstruktur des Unternehmens gewinnen. Im Rahmen der Kostenanalyse werden zu diesem Zweck regelmäßig Kennzahlen über die Aufwandsstruktur des Unternehmens wie bspw. Personal-, Material- und Abschreibungsintensitäten ermittelt. Dabei geben erkennbare Entwicklungen im Zeitablauf in aller Regel einen ersten Aufschluss über Ergebnispotentiale in der Zukunft.

5.75 Auf Grundlage der Umsatz- und Kostenanalyse können schließlich Ergebnisanalysen vorgenommen werden, die Informationen über die wesentlichen in der Vergangenheit erzielten Erfolgsbeiträge abbilden. Die Erfolgsbeiträge sollten ebenfalls nach ihrer Entstehung (also nach Kunden, Absatzmärkten und Produkten) segmentiert werden. Unter Ergebnisanalysen sind Analysen verschiedener Erfolgsgrößen zu subsumieren, bspw. die Analyse der Entwicklung absoluter oder relativer Deckungsbeiträge oder die Entwicklung von EBIT(DA)-Margen im Zeitablauf.

5.76 Mittels einer horizontalen und vertikalen Bilanzanalyse können vertiefte Kenntnisse über die Vermögens- und Kapitalstruktur und somit auch über die finanzielle Lage des zu bewertenden

1 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 23. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 73. 3 Vgl. zu den nachfolgenden Punkten auch Peemöller/Kunowski in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 306 sowie Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 19.

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Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.80 § 5

Unternehmens gewonnen werden.1 Dabei sind die Entwicklungen von Bilanzkennzahlen im Zeitablauf zu analysieren, da die isolierte Betrachtung von stichtagsbezogenen Kennzahlen in der Regel weniger aussagekräftig ist. Veränderungen der Kennzahlen im Zeitablauf können sowohl ökonomische Ursachen haben als auch Anhaltspunkte über mögliche bilanzpolitische Maßnahmen des Unternehmens darstellen, die dann ggf. auszuräumen wären. Kapitalflussrechnungen geben durch die Zerlegung der Zahlungsmittelflüsse in einen operativen, Investitions- und Finanzierungsteil Aufschluss darüber, wie stark ein Unternehmen (de)investiert hat, ob Fremdkapitalbestände auf- bzw. abgebaut wurden und in welchem Ausmaß eine Finanzierung aus der operativen Geschäftstätigkeit möglich war. Auch hier gibt insbesondere die Entwicklung im Zeitablauf ersten Aufschluss über die finanzielle Lage des zu bewertenden Unternehmens bzw. deren Änderung.

5.77

Erst die Kombination der oben beschriebenen Analysemaßnahmen gibt dem Bewerter die erforderlichen Einblicke in die bisherige leistungs- und finanzwirtschaftliche Entwicklung und in die aktuelle Lage des Unternehmens zum Bewertungsstichtag. Im Gegensatz zu einer isolierten Betrachtung besteht bei einer kombinierten Untersuchung auch die Möglichkeit, leistungs- und finanzwirtschaftliche Zusammenhänge zu identifizieren, die für die vorzunehmende Planungsplausibilisierung relevant sein können.

5.78

(2) Vergangenheitsanalyse (a) Grundlegende Überlegungen Die Vergangenheitsanalyse des zu bewertenden Unternehmens soll die Grundlage für die Schätzung künftiger Entwicklungen und für die Durchführung von Plausibilitätsüberlegungen schaffen.2 Im Rahmen der Untersuchung sollte deshalb ein grundsätzliches Verständnis für das Geschäftsmodell sowie die zentralen Werttreiber des Unternehmens gewonnen werden. Zudem sollen mithilfe der Vergangenheitsanalyse betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und Trends transparent gemacht werden, um auf dieser Basis das künftige Geschäftsmodell und das Entwicklungspotential des Unternehmens fundiert einschätzen zu können. Die Ergebnisse der Vergangenheitsanalyse dienen somit als Plausibilisierungsgrundlage für die der Bewertung zugrunde liegende Planung. Vor diesem Hintergrund sind die Vergangenheitsergebnisse zu analysieren und zu bereinigen.

5.79

(b) Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse Um die in der Vergangenheit wirksamen Erfolgsfaktoren transparent herausarbeiten zu können, sind im Rahmen der Vergangenheitsanalyse die Erträge und Aufwendungen der Vergangenheit ggf. um Sondereffekte zu bereinigen. Dadurch soll ein dem normalen Geschäftsverlauf entsprechendes Ergebnis abgeleitet werden, das als Grundlage für die Planungserstellung bzw. die Planungsplausibilisierung herangezogen werden kann.3

1 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzanalyse, S. 225 ff. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 70. 3 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 73 sowie IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 22–27.

Franken/Schulte

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5.80

§ 5 Rz. 5.81

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5.81 Die Vergangenheitsbereinigung umfasst schwerpunktmäßig folgende Schritte:1 – Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse um aperiodische und außerordentliche Ergebniseinflüsse. – Eliminierung von Ergebniseinflüssen, die auf Änderungen bei der Ausübung von Ansatzund Bewertungswahlrechten zurückzuführen sind.

5.82 Neben dem oben beschriebenen Vorgehen bei der Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse können im jeweiligen Einzelfall weitere, bewertungsobjektspezifische oder bewertungsanlassspezifische Bereinigungen erforderlich sein. Dazu zählen in der Regel die – Eliminierung von Aufwendungen und Erträgen, die das gesondert zu bewertende nicht betriebsnotwendige Vermögen betreffen sowie die – Bereinigung der Ergebnisse um personenbezogene und andere spezifische Ergebniseinflüsse, die z.B. eine Berücksichtigung eines angemessenen Unternehmerlohns, eine sachgerechte Abgrenzung der privaten von der betrieblichen Sphäre oder eine Nicht-Berücksichtigung spezifischer Synergien im Konzernverbund sicherstellen. (c) Ergebnis der Analysen

5.83 Die Vergangenheitsanalyse des Unternehmens sollte dabei immer an den Untersuchungen des Markt- und Wettbewerbsumfelds gespiegelt werden. Unstimmigkeiten bzw. kontraintuitive Entwicklungen von Unternehmensumfeld und Unternehmen sollten durch weitergehende Untersuchungen und Überlegungen ausgeräumt werden. Insbesondere der Betriebsvergleich kann hierbei auch als Bindeglied zwischen einer widerstreitenden Entwicklung des Gesamtmarkts und des Unternehmens dienen, da bei der Marktanalyse tendenziell der Gesamttrend im Mittelpunkt steht, während die Analyse von Wettbewerbern die Pluralität und die Variabilität in einem Markt stärker zum Ausdruck bringt und somit anscheinend widersprüchliche Tendenz in Einklang bringen kann. cc) Analyse der Erläuterungen des Managements

5.84 Die Analyse der internen Plausibilität umfasst auch den Abgleich der Planung mit den entsprechenden Erläuterungen des Managements. Für die Analyse sind neben den Informationen aus unmittelbar für den Bewertungsanlass generierten Unterlagen oder geführten Gesprächen auch sonstige Verlautbarungen des Managements (z.B. Geschäftsberichte, Lageberichte, Aufsichtsrats-Präsentationen) heranzuziehen.2 d) Analyse der materiellen, externen Plausibilität aa) Grundlegende Überlegungen

5.85 Im Rahmen der Analyse der externen Plausibilität werden Informationen über die vergangene und erwartete Entwicklung der für das betrachtete Unternehmen bedeutsamen Absatz- und Beschaffungsmärkte betrachtet. Die Auswertung von Markt- und Branchenanalysen dient der 1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 103 sowie hierzu weiterführend Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 247sowie IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 24 f. 2 „Hierbei ist durch geeingete Analysehandlungen zu würdigen, ob die in der Planung verarbeiteten Annahmen mit den strategischen Vorstellungen und beabsichtigtten operativen Maßnahmen des Managements in Übereinstimmung stehen.“ Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 22.

120

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.90 § 5

Erarbeitung eines Vergleichsmaßstabs für die Beurteilung der Planungsannahmen.1 Die Analysen der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Unternehmens unterstützt die Beurteilung, ob die in der Planung abgebildete Strategie des Unternehmens tatsächlich realisierbar erscheint.2 Auf Basis der Analysen des Unternehmens(umfelds) sollte der Bewerter im Ergebnis ein Verständnis über das Geschäftsmodell des Unternehmens besitzen und insbesondere nachvollziehen können, wie sich das Unternehmen entwickelt hat, was die Ursachen dafür waren und welche Sachverhalte die Werttreiber des Unternehmens darstellten. In einem ersten Schritt sollte das Markt- und Wettbewerbsumfeld des Unternehmens in der Vergangenheit untersucht werden. Im Ergebnis sollte der Bewerter eine klare Vorstellung davon haben, welchen Umweltbedingungen das Bewertungsobjekt in der Vergangenheit ausgesetzt war. Im Idealfall kann für die Unternehmung ein Stärken-Schwächen-Profil vor dem Hintergrund der durch das Markt- und Wettbewerbsumfeld aufgespannten Chancen und Risiken im Sinne einer SWOT-Analyse identifiziert werden. Weiterhin sollte dem Bewerter bekannt sein, welche Geschäftsbereiche und Produkte historisch das größte Wachstum, den höchsten Ertrag und die höchste Liquidität erwirtschaftet haben und was die wesentlichen Kostentreiber darstellten.

5.86

Die Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds lässt sich in folgende (Teil-)Analysen gliedern:3

5.87

– Analyse übergeordneter externer Rahmenbedingungen (Marktanalyse), insbesondere gesamtwirtschaftlicher sowie politischer, gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen, – Analyse der Branche, – Analyse der Wettbewerber, – Analyse der Marktstellung des zu bewertenden Unternehmens im Vergleich zu seinen Wettbewerbern. Eine zentrale Herausforderung für den Bewerter besteht darin, die Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds nicht losgelöst vom Bewertungsobjekt durchzuführen, sondern stets einen Bezug auf die (vergangene und erwartete) Entwicklung des Bewertungsobjekts herzustellen und somit die relevanten von den irrelevanten Fakten zu trennen.

5.88

bb) Marktanalyse Die in der Vergangenheit realisierte leistungs- und finanzwirtschaftliche Entwicklung des zu bewertenden Unternehmens ist Resultat der Geschäftstätigkeit in bestimmten Märkten. Daher muss die historische Unternehmensentwicklung vor dem Hintergrund der entsprechenden Entwicklung des Markt- und Wettbewerbsumfelds beleuchtet werden.4 Die vergangenheitsbezogene Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds kann Anhaltspunkte für die Ursachen der beobachtbaren Entwicklung des Unternehmens liefern.

5.89

Neben einer vergangenheitsbezogenen Analyse der Entwicklung des Markt- und Wettbewerbsumfelds muss eine entsprechende Analyse für die künftig erwartete Entwicklung des

5.90

1 2 3 4

Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 28. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 35. Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 28–35. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 74.

Franken/Schulte

121

§ 5 Rz. 5.90

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Umfelds vorgenommen werden. Durch eine zukunftsbezogene Analyse der Markt- und Wettbewerbsbedingungen kann eingeschätzt werden, wie sich die in der Vergangenheit erzielten Ergebnisse des Bewertungsobjekts in Zukunft weiterentwickeln können. Da sich die Systematik des Vorgehens der vergangenheits- und zukunftsbezogenen Analyse ähnelt, wird im Folgenden nicht weiter zwischen den beiden Zeiträumen differenziert.

5.91 Um die künftigen Entwicklungen des Markt- und Wettbewerbsumfelds abschätzen zu können, bedient sich der Bewerter häufig öffentlich verfügbarer Markt- und Branchenstudien. Eigenständige Prognosen des Unternehmensumfelds stellt er hierzu regelmäßig nicht an. Dessen unbenommen sind die herangezogenen Studien hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Bewertungsobjekt auszuwerten. Hierzu sollten grundsätzlich auch auf die Erkenntnisse der Vergangenheitsanalyse bezüglich des Einflusses der Marktentwicklung auf das Unternehmen zurückgegriffen werden. Durch das gewonnene Verständnis der Marktentwicklung und dessen Implikationen können dann bspw. geplante Veränderungen des Absatzvolumens oder der zukünftigen Marge des zu bewertenden Unternehmens besser eingeschätzt werden.

5.92 Unter übergeordneten externen Rahmenbedingungen können insbesondere gesamtwirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen gefasst werden. Diese Rahmenbedingungen haben direkten Einfluss auf die erzielbaren Ergebnisse des Unternehmens. Zur Analyse dieser externen Entwicklungen kann bspw. die sog. PEST-Analyse herangezogen werden.1

5.93 Die PEST-Analyse ist ein weit verbreitetes Instrument, um für ein Unternehmen relevante Umweltfaktoren herauszufiltern. Die Änderung der Umwelt des zu untersuchenden Unternehmens und folglich der Einflussfaktoren für den Unternehmenserfolg werden hierfür in die Bereiche politische (political), ökonomische (economical), sozio-kulturelle (sociological) und technologische (technological) Entwicklungen gegliedert. Innerhalb dieser Bereiche werden lang- und kurzfristige Veränderungen identifiziert und analysiert.

5.94 Im Rahmen der PEST-Analyse wird zunächst ein besonderes Augenmerk auf die am Standort des Bewertungsobjekts gegebenen politischen Rahmenbedingungen gelegt. Darunter ist insbesondere das von Seiten des Staates festgelegte institutionelle Arrangement zu verstehen, dem das jeweilige Unternehmen ausgesetzt ist. Dazu gehören z.B. länderspezifische Richtlinien, Gesetze und Verordnungen. Hierbei kommt den jeweiligen (nationalen) gesetzlichen Vorschriften bezüglich des Steuer-, Umwelt- und Arbeitsrechts regelmäßig eine besondere Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu. Ein Beispiel für die Änderung des politischen Umfelds stellt etwa die Reaktorkatastrophe von Fukushima dar, in deren Folge die Reaktorlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke verkürzt wurden, was einen wesentlichen Einfluss auf die erwarteten Erträge der großen Energieversorger hatte.

5.95 Die ökonomische Entwicklung der Gesamtwirtschaft hat i.d.R. ebenfalls einen maßgeblichen Einfluss auf das zu bewertende Unternehmen. Zu den Einflussfaktoren zählen dabei die Entwicklungen von Konjunkturzyklen, Inflations- und Arbeitslosenraten sowie die Einkommensentwicklung des potentiellen Kundenkreises. Neben der Veränderung der ökonomischen Rahmenbedingungen der gesamten Volkswirtschaft sind auch Trends in der unternehmensspezifischen Branche zu beachten, welche im nachfolgenden Abschnitt im Rahmen der Analyse der Branche und Wettbewerber thematisiert werden. Als Beispiel für eine Änderung der ökonomischen Rahmenbedingungen lässt sich etwa die Finanzkrise anführen, in deren Ver1 Vgl. hierzu exemplarisch Earys/Ernst/Prexl, Corporate Finance Training, S. 6 ff.

122

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.98 § 5

lauf insbesondere die gesamte Finanzbranche deutliche Verluste erlitt und die einen nachhaltigen Effekt auf das Ergebnisniveau der einzelnen Branchen hinterließ. Sozio-kulturelle Einflussfaktoren umfassen insbesondere demographische, kulturelle und 5.96 soziale Entwicklungen in der Gesellschaft, in der das Bewertungsobjekt unternehmerisch tätig wird und agiert. Dabei hat die Einstellung der Menschen gegenüber den Produkten des Unternehmens, dessen Dienstleistungen und Arbeitsmentalität einen bedeutenden Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Diese Einstellung der Gesellschaft zu einem Unternehmen kann von diesem bspw. durch die Änderung der gesundheitlichen Folgewirkungen seiner Produkte, durch eine umweltschonendere Produktion und sparsamere Rohstoffverwendung beeinflusst werden. Andere Wirkungskanäle der gesellschaftlichen Entwicklung, die regelmäßig außerhalb der Einflusssphäre des Unternehmens liegen, stellten bspw. die Bevölkerungszunahme bzw. -abnahme, das Bildungsniveau sowie die Alterszusammensetzung der Bevölkerung dar. Durch die Analyse dieser Einflussfaktoren kann eine Einschätzung darüber getroffen werden, in welchem Ausmaß das zu bewertende Unternehmen die Kundenbedürfnisse erfüllt bzw. künftig erfüllen wird und inwiefern dies durch Maßnahmen der Unternehmensleitung beeinflusst werden kann. Als Beispiel einer relevanten gesellschaftlichen Entwicklung lässt sich etwa das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Bürger in den Industrieländern anführen, in Folge dessen das Rauchen gesellschaftlich zunehmend verpönt war, was das Absatzpotential der Tabakindustrie merklich schmälerte. Abschließend wird im Rahmen der PEST-Analyse die technologische Entwicklung des Un- 5.97 ternehmensumfelds analysiert. Hauptgegenstand dieser Untersuchung ist der Wandel des technischen Niveaus auf den relevanten Märkten und der technologische Entwicklungsstand des Unternehmens, auf dem sich dieses befand bzw. künftig voraussichtlich befinden wird. Für ein zu bewertendes Unternehmen sind häufig der Stand der Produktions- und Kommunikationstechnik relevant, da diese Technologien bei der Produktherstellung (bspw. Robotik sowie Automatisierung) und beim Produktabsatz (bspw. Vertrieb über Internet und SmartPhone-Apps) unmittelbar eingesetzt werden. Durch technische Innovationen kann sich das Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen, indem es einen Leistungsvorsprung gegenüber der Konkurrenz schafft bzw. aufrecht erhält, der durch den Kunden auch als solcher wahrgenommen wird und in seinen Augen bedeutend ist. Als Beispiel dieses teils kurzfristigen technologischen Vorsprungs können etwa die Unternehmen Nokia und Apple genannt werden, die sich mit ihren Mobiltelefonen jeweils zeitweise eine Technologieführerschaft auf dem sich rasant entwickelnden Markt der mobilen Kommunikation erarbeiteten konnten. cc) Analyse der Branche Die Entwicklung des zu bewertenden Unternehmens wird in hohem Maße von den Märkten beeinflusst, auf denen es tätig ist. Dieser Zusammenhang zwischen Markt und Unternehmen muss möglichst detailliert herausgearbeitet werden, um eine sachgerechte Planung zu gewährleisten. Für die Analyse der Branche wird häufig die Branchenstrukturanalyse von Porter eingesetzt.1

1 Vgl. hierzu Porter, Competitive Strategy: Techniques for Analyzing Industries and Competitors, S. 3 ff.

Franken/Schulte

123

5.98

§ 5 Rz. 5.99

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5.99 Danach wird die Struktur eines Marktes bzw. einer Branche insbesondere durch die Ausprägung der nachfolgend genannten fünf Wettbewerbskräfte beschrieben: – Wettbewerbsintensität in der Branche, – Bedrohung durch neue Wettbewerber, – Verhandlungsmacht der Lieferanten, – Verhandlungsmacht der Kunden, – Bedrohung durch Ersatzprodukte.

5.100 Zu den zentralen Bestimmungsfaktoren, die zu einer hohen Wettbewerbsintensität in der Branche führen, sind insbesondere ein geringer Differenzierungsgrad auf Produktebene, die Existenz vieler Unternehmen der gleichen Größe mit jeweils ähnlicher Strategie, ein langsames Wachstum der Branche insgesamt sowie hohe Marktaustrittsbarrieren zu zählen. Ist ein Unternehmen einem hohen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, führt dies i.d.R. zu einem hohen Druck auf die Gewinnmarge und senkt die Profitabilität des zu bewertenden Unternehmens.

5.101 Die Bedrohung durch neue Wettbewerber hängt wesentlich von der Ausprägung der bestehenden Markteintrittsbarrieren ab. Dabei ist der Wettbewerbsdruck auf die bereits im Markt vorhandenen Unternehmen umso größer, je leichter es für andere Unternehmen ist, in diesem Markt tätig zu werden. Branchentypische Markteintrittsbarrieren sind die erforderlichen Anfangsinvestitionen, die in der Branche bestehenden Skaleneffekte sowie die durch Erfahrungskurveneffekte bestehenden Kostenvorteile der bereits vorhandenen Unternehmen, die Markentreue der Kunden und der Zugang zu Vertriebskanälen. Geringe Markteintrittsbarrieren und somit eine tendenziell hohe Bedrohung durch neue Wettbewerber führen auch hier zu einem hohen Druck auf Gewinnmarge und Profitabilität der Branchenunternehmen.

5.102 Von einer hohen Verhandlungsmacht der Lieferanten ist insbesondere dann auszugehen, wenn die Branche von nur wenigen großen Lieferanten bedient wird, geringe Substitutionsmöglichkeiten für die Inputfaktoren bestehen und der Abnehmer keinen wichtigen Kunden für die Lieferanten darstellt. Eine hohe Verhandlungsmacht der Lieferanten stellt für die Branche insofern eine Gefahr dar, als dass es wenige Möglichkeiten wirksamer Gegenmaßnahmen für die abnehmenden Unternehmen gibt, auf etwaige Preiserhöhungen der Lieferanten zu reagieren. Die Branchenunternehmen sind in einem solchen Fall einem permanenten Margendruck ausgesetzt.

5.103 In ähnlicher Weise wirkt sich eine hohe Verhandlungsmacht der Kunden aus, da diese ebenfalls Druck auf Margen und Abnahmemengen erzeugt. Eine hohe Verhandlungsmacht der Kunden liegt z.B. vor, wenn hohe Fixkosten auf Seiten der produzierenden Unternehmen bestehen, die nachgefragten Produkte substituierbar sind, die Kunden sich selbst in wenig profitablen Geschäftsbereichen bewegen oder große Abnahmemengen beziehen.

5.104 Die fünfte Wettbewerbskraft stellt die Bedrohung durch Ersatzprodukte dar, wonach günstigere oder leistungsfähigere Alternativprodukte das eigene Absatzvolumen reduzieren. Die Bedrohung ist insbesondere bei einer gering ausgeprägten Markentreue der Kunden und einer damit verbundenen schwachen Kundenbindung immanent.

5.105 Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Je stärker die Bedrohung durch die oben dargestellten fünf Wettbewerbskräfte ist, desto unattraktiver ist die betrachtete Branche und desto schwieriger ist es, sich nachhaltig erfolgreich im Wettbewerb zu etablieren. Die Be124

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.108 § 5

schaffenheit der Wettbewerbskräfte gilt es daher im Rahmen der Bewertung eingehend zu untersuchen. Eine Branchenanalyse, wie beispielhaft anhand des von Porter entwickelten Konzepts der fünf Wettbewerbskräfte dargestellt, schafft eine zentrale Beurteilungsgrundlage sowohl für die Vergangenheitsanalyse als auch für die Zukunftsprognose. So können einerseits die Entwicklungen des Unternehmens in der Vergangenheit fundierter gewürdigt und andererseits die künftige Entwicklung des Unternehmens besser eingeschätzt werden. Je stärker die Bedrohung durch diese fünf Wettbewerbskräfte ist, desto unattraktiver ist die betrachtete Branche und desto schwieriger ist es für ein Unternehmen, sich nachhaltig erfolgreich im Wettbewerb zu etablieren.

5.106

dd) Analyse der Wettbewerber Im Rahmen der Wettbewerbsanalyse wird die Ist- und die erwartete Zukunftsentwicklung der im Wettbewerb zum Planungsobjekt stehenden Unternehmen ausgewertet.1 Dabei sind zunächst alle wesentlichen Wettbewerber zu identifizieren. Aus dieser Gruppe sind insb. die Unternehmen zu identifizieren die hinsichtlich ihres Geschäftsmodells möglichst vergleichbar mit dem zu analysierenden Unternehmen sind. Anschließend kann insb. die in der Unternehmensplanung unterstellte Umsatz- und Margenentwicklung anhand der historischen und prognostizierten Entwicklung von vergleichbaren Unternehmen verprobt werden. Bei der Beurteilung der Umsatzentwicklung können auch Analysen von Unternehmen aus voroder nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (Vorlieferanten, Kunden) ergänzende Erkenntnisse liefern.2 Auch aus der Analyse der Wettbewerbsunternehmen, die nicht unmittelbar mit dem Analyseobjekt vergleichbar sind, können Erkenntnisse für die Beurteilung der Planung gewonnen werden. Abweichungen in der historischen Umsatz- und Margenentwicklung zwischen dem zu analysierenden Unternehmen und den herangezogenen Vergleichsunternehmen können hingegen ein Indikator für bestehende strukturelle Unterschiede sein. Es ist zu untersuchen, ob diese voraussichtlich künftig weiter bestehen.3

5.107

ee) Analyse der Marktstellung des zu bewertenden Unternehmens Die bisherigen geschilderten Analysen der übergeordneten externen Rahmenbedingungen sowie der Branche und Wettbewerber stellen tendenziell auf Umweltbedingungen ab, denen das zu bewertende Unternehmen ausgesetzt ist und die es nicht beeinflussen kann. Sie stellen den exogen gegebenen Hintergrund dar, vor dem sich das Unternehmen bewegt hat bzw. bewegen wird. Die Analysen sind somit der Ausgangspunkt für die weitergehenden Untersuchungen der Frage, wie sich das Unternehmen im Vergleich zur Konkurrenz entwickelt hat, welche Marktstellung es zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags einnimmt und wie es sich voraussichtlich künftig im Wettbewerb behaupten kann. Auch auf dieser Basis können Überlegungen angestellt werden, warum das Unternehmen die beobachtbare Entwicklung durchgemacht hat und mithin Thesen über Ursache-Wirkungszusammenhänge aufgestellt werden.

1 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 32. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 33. 3 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 34.

Franken/Schulte

125

5.108

§ 5 Rz. 5.109

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5.109 Die Untersuchungen hinsichtlich der Marktstellung konzentrieren sich insbesondere auf die Frage nach dem sog. „strategischen Wettbewerbsvorteil“ des Unternehmens, also dessen Fähigkeit, langfristig und zukunftsorientiert besser zu sein als die Wettbewerber. Hierzu muss die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens untersucht werden, mit der es diese Wettbewerbsvorteile erreicht hat bzw. erreichen möchte, und an den Strategien der Wettbewerber gespiegelt werden. Dies wird in der Regel durch Benchmarking, d.h. durch den Vergleich mit einem Referenzunternehmen oder einer Gruppe solcher Unternehmen erfolgen.1

5.110 Wettbewerbsvorteile für ein Unternehmen liegen vor, wenn es bspw. dessen Produkte in einem für den Kunden wichtigen Leistungsmerkmal als den Wettbewerbern überlegen wahrgenommen wird. Neben dem Vorliegen eines Wettbewerbsvorteils ist im Rahmen einer Unternehmensbewertung die zukunftsbezogene Frage zu beurteilen, ob dieser auch nachhaltig und somit dauerhaft gegenüber den Wettbewerbern durchsetzbar ist. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird dabei anhand der Wettbewerbsvorteile im Vergleich zur Konkurrenz und mithin relativ beurteilt.2

5.111 Die Wettbewerbsfähigkeit des zu bewertenden Unternehmens kann dabei anhand der sog. SWOT-Analyse erfolgen. Die SWOT-Analyse (engl. Akronym für Strengths [Stärken], Weaknesses [Schwächen], Opportunities [Chancen] und Threats [Risiken]) beantwortet die Frage, inwieweit die gegenwärtige Strategie des Unternehmens geeignet ist, sich am Markt zu behaupten und auf Veränderungen in der Unternehmensumwelt zu reagieren. Dabei werden Chancen, Risiken, Stärken und Schwächen des Unternehmens kombiniert analysiert.3

5.112 Aus Sicht des Unternehmens sind Chancen bzw. Risiken exogen gegeben, d.h. sie stellen unbeeinflussbare Veränderungen im Markt, in der technologischen, sozialen oder ökologischen Umwelt dar. Das Unternehmen beobachtet oder antizipiert diese Veränderungen und reagiert darauf mit Strategieanpassung.

5.113 Die Stärken bzw. Schwächen eines Unternehmens liegen hingegen in der unmittelbaren Einflusssphäre des Unternehmens, d.h. sind insofern steuer- und veränderbar. Sie sind somit Eigenschaften des Unternehmens und repräsentieren folglich Ergebnisse der organisatorischen Prozesse im Unternehmen.

5.114 Nachdem Chancen bzw. Risiken sowie Stärken bzw. Schwächen identifiziert wurden, gilt es zu analysieren, auf welche Weise der Nutzen aus Chancen und Stärken maximiert sowie die Verluste aus Risiken und Schwächen minimiert werden können. Aus diesen Überlegungen können sinnvolle Wettbewerbsstrategien für das zu bewertende Unternehmen entwickelt und letztlich auch plausibilisiert werden. e) Zusammenfassende Darstellung der Beurteilungsmaßstäbe für Planungsbeurteilungen/Unternehmensbewertungen

5.115 Der Praxishinweis 2/2017 beschränkt sich darauf, einen Rahmen für die Beurteilung von Unternehmensplanungen darzustellen. Zu diesem Zweck definiert er den Begriff der Plausibilität: „nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen.“4 Ferner konkretisiert er 1 2 3 4

Vgl. Büsch, Praxishandbuch Strategischer Einkauf, S. 77 ff. Vgl. Büsch, Praxishandbuch Strategischer Einkauf, S. 77 ff. Vgl. ausführlich zur SWOT-Analyse Meffert/Burmann/Kirchgeorg, Marketing, S. 273 f. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 5.

126

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.116 § 5

die drei Dimensionen der rechnerischen und formellen, der materiellen internen und der materiellen externen Plausibilität. Für die Beurteilung einer gesamten Unternehmensbewertung reicht der Begriff „plausibel“ als einziger Beurteilungsmaßstab nicht aus.

Ebene

Beurteilungsmaßstab

Methodik

(insoweit noch) sachgerecht / nicht sachgerecht

Annahmen

(insoweit noch) plausibel / nicht plausibel

Datenbasis*

vollständig / nicht vollständig

Einzelergebnis – technisch – inhaltlich

richtig / falsch (insoweit noch) plausibel / nicht plausibel

Gesamtergebnis – technisch – inhaltlich

richtig / falsch (insoweit noch) plausibel / nicht plausibel

* Datenbasis ist unter Wesentlichkeits- und Kosten- / Nutzenaspekten zu beurteilen.

Tab. 2: Beurteilungsmaßstäbe I

Demnach ist auf Ebene – der Methodik der Beurteilungsmaßstab der Sachgerechtigkeit, – der Datenbasis der Beurteilungsmaßstab der Vollständigkeit, – von Ergebnissen in technischer Hinsicht der Beurteilungsmaßstab der Richtigkeit und – von Annahmen und Ergebnissen in inhaltlicher Hinsicht der Beurteilungsmaßstab der Plausibilität heranzuziehen.1 Für Annahmen, aber auch Ergebnisse lassen sich regelmäßig nicht nur eindeutige Werte, sondern auch Bandbreiten, ableiten. In diesen Fällen muss man sich bei der Beurteilung dazu äußern, von welchem Ansatz naheliegend (= plausibel) und von welchem Ansatz mindestens bzw. höchstens (= insoweit noch plausibel) auszugehen ist:

1 Vgl. dazu auch im Einzelnen IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 14 ff. „Richtigkeit hinsichtlich der Planung wird in Tz. 14 als rechnerische Konsistenz bezeichnet.

Franken/Schulte

127

5.116

§ 5 Rz. 5.116

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

außerhalb

innerhalb festgelegter Bandbreite

A1

B1 mindestens

nicht plausibel

außerhalb

B2 naheliegend

A2 höchstens

insoweit plausibel insoweit noch plausibel noch plausibel

nicht plausibel

Abb. 2: Beurteilungsmaßstäbe II

Bei Prüfungen von Unternehmensbewertungen können dort gewählte Ansätze dabei grundsätzlich innerhalb (Punkte B1 und B2) oder außerhalb (Punkte A1 und A2) der durch die Grenzen „mindestens“ und „höchstens“ aufgespannten Bandbreite liegen: – Liegt der gewählte Ansatz außerhalb der Bandbreite, ist zu klären, ob auf den Ansatz am (näher liegenden) Ende der Bandbreite (mindestens bzw. höchstens) oder aber auf den naheliegenden Ansatz innerhalb der Bandbreite hin anzupassen ist. – Liegt der gewählte Ansatz innerhalb der Bandbreite, ist zu klären, ob auf den naheliegenden Ansatz anzupassen ist. Insbesondere ist zu beachten, dass bei mehreren Annahmen bzw. Methodenfestsetzungen die jeweiligen Einzelentscheidungen noch plausibel sein können, das Gesamtbild aber als nicht mehr plausibel zu verwerfen ist. 4. Einzelanalyse in der Detailplanungsphase a) Grundlegende Überlegungen

5.117 Eine Unternehmensplanung stellt meist ein kompliziertes Rechenwerk dar, in dem viele Teilplanungen, die wiederum auf Detailannahmen und -rechnungen fußen, aggregiert werden. Die Komplexität macht es dabei oftmals notwendig, die eigentliche Planung nicht nur auf Basis der einzelnen Prämissen zu beurteilen, sondern vielmehr auch das Gesamtbild zu untersuchen. Zur Plausibilitätsbeurteilung ist es letztlich entscheidend, dass die Planung ein „insgesamt plausibles“ Bild auf der gewählten Aggregationsebene liefert; eine Planung kann auf aggregiertem Niveau („Output“) als insgesamt nicht plausibel erachtet werden, selbst wenn sämtliche einzelnen Detailannahmen („Input“) begründbar scheinen. Vor diesem Grund ist eine Analyse der aggregierten Planung notwendig, um eine klare Vorstellung davon zu erhalten, welche Entwicklung des Unternehmens in der Planung gezeichnet wird.

5.118 In einem ersten Schritt können durch eine Strukturanalyse die Informationen über die Entwicklung einzelner Bestandteile des ordentlichen Betriebserfolgs sowie Gründe hierfür identifiziert werden.1 Zu diesem Zweck sollte die GuV technisch in eine Struktur-GuV überführt 1 Vgl. zur Strukturanalyse Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzanalyse, S. 391 ff.

128

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.122 § 5

werden. Dabei werden sämtliche GuV-Positionen ins Verhältnis zum Umsatz (Umsatzkostenverfahren) oder zur Gesamtleistung (Gesamtkostenverfahren) gesetzt. Die so gebildeten Aufwandsquoten oder Intensitätskennzahlen erlauben es, die relative Bedeutung einzelner Aufwandsposten und deren Entwicklung im Zeitablauf zu beurteilen. Bei einer nach dem Gesamtkostenverfahren aufgestellten GuV kann ein Eindruck über die Faktoreinsatzverhältnisse und die entsprechende Anfälligkeit des Unternehmens in Hinblick auf Mengen- und Preisschwankungen dieser Produktionsfaktoren eruiert werden. Eine nach dem Umsatzkostenverfahren aufgestellte GuV ermöglicht die Analyse der funktionalen Aufwandsstruktur. So lässt sich bspw. untersuchen, ob die Forschungsintensität in den letzten Jahren zurückgegangen ist, was in Zukunft zu einem niedrigeren Absatzpotential führen könnte. Im Ergebnis können somit die wesentlichen Treiber von Margenänderungen ausgemacht werden. Die GuV kann neben der strukturellen Form auch in Form von Wachstumsraten (relative Änderungen) dargestellt werden. Anhand dieser Darstellungsweise können dann wesentliche Trends einzelner Aufwands- und Erlöspositionen identifiziert werden. Ergebnisverbesserungen entstehen durch ein überproportionales Wachstum der Erlöse im Vergleich zu den Kosten, so dass entsprechend die Wachstumsdifferenzen untersucht und hinterfragt werden können. Wächst bspw. der Personalaufwand im Planungszeitraum unterproportional zum Umsatz, sind die entsprechenden Prämissen zu identifizieren, die eine solche Effizienzsteigerung rechtfertigen.

5.119

Zusätzlich zu den GuV-basierten Kennzahlen können auch Kennzahlen unter Einbezug der Bilanz und der Kapitalflussrechnung erstellt werden. Hierzu wird in der einschlägigen Literatur eine Reihe von Kennzahlen empfohlen.1 Als Beispiel sind etwa Liquiditätskennzahlen zu nennen, bei denen Teile des Umlaufvermögens ins Verhältnis zu kurz-/mittelfristigen Fremdkapitalien gesetzt werden. Auch hier sind in einem ersten Schritt Änderungen dieser Kennzahlen im Zeitverlauf auszumachen und die impliziten Prämissen offenzulegen.

5.120

Eine Planung ist insgesamt als plausibel anzusehen, wenn sie sowohl rechnerisch richtig und auf Grundlage eines geeigneten Planungsprozesses erstellt ist als auch schlüssig an die IstLage des Bewertungsobjekts anknüpft, bestehende Abweichungen zur vergangenen Entwicklung schlüssig erklärbar sind und die erwartete Entwicklung des Bewertungsobjekts reflektiert. Entsprechend knüpft die eigentliche Plausibilitätsbeurteilung an die Analyse der Planung an. Während im Rahmen der Analyse der Planung zunächst die Entwicklungen und deren impliziten Prämissen aufgezeigt und offengelegt werden, wird im Rahmen der Plausibilitätsbeurteilung die ungleich schwerere Frage beantwortet, ob die zugrunde gelegten Prämissen der Planung („Input“) und insbesondere auch die Ergebnisse der Planung und damit das Gesamtbild („Output“) sachgerecht sind.

5.121

Bei Unternehmensbewertungen, die nach den Grundsätzen des IDW S 1 i.d.F. 2008 durchgeführt werden, muss sich der Bewerter davon überzeugen, dass die vorgelegte Planung eine geeignete Grundlage zur Ableitung der künftigen Ertragsüberschüsse darstellt.2 Als normative Beurteilungsgrundlage können z.B. die einschlägigen Empfehlungen des Instituts der Unternehmensberater (IdU) im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) e.V. he-

5.122

1 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzanalyse, S. 225 ff. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 75 ff.

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129

§ 5 Rz. 5.122

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

rangezogen werden, die in Form der sog. Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensplanung (GoP) darlegen, was eine sachgerechte Planung auszeichnet.1

5.123 Die materielle Plausibilisierung der Planung und der zugrunde liegenden Prämissen wird dadurch vorgenommen, dass die expliziten und impliziten Annahmen der Planung sowie das in der Planung gezeichnete Bild vom Bewerter mit seinen Erkenntnissen aus der von ihm durchzuführenden Markt- und Wettbewerbsanalyse und der Untersuchung der Unternehmensvergangenheit abgeglichen werden. Der Bewerter sollte sich dabei eine eigene Vorstellung für die Entwicklung des Unternehmens erarbeiten, indem er für sich zunächst die folgenden Fragen beantwortet: „Was (Ziel) wollte das Unternehmen in der Vergangenheit wie (Strategie) erreichen und wie gut (Entwicklung in der Vergangenheit) hat sich das Unternehmen unter welchen Rahmenbedingungen (Markt- und Wettbewerbsanalyse) tatsächlich entwickelt?“ Eine Prognose ist letztlich eine Antwort auf die Frage, wie gut sich das Unternehmen in Zukunft entwickeln wird, was wiederum durch das Ziel und die Strategie des Unternehmens vor dem Hintergrund der erwarteten Markt- und Wettbewerbsbedingungen bestimmt wird.

5.124 Entsprechend gestaltet sich die Plausibilisierung einer Planung i.d.R. umso schwieriger, je größer der materielle Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft ist. Wenn ein Unternehmen sein komplettes Geschäftsmodell überdenkt, in Folge dessen Ziele, Strategie sowie Umsetzung in Zukunft völlig neu gestaltet und sich die zukünftigen Umweltbedingungen des Unternehmens wesentlich ändern werden, sind die Ergebnisse der Vergangenheitsanalyse in vergleichsweise geringem Maße brauchbar. Im Regelfall wird das Ausmaß der Änderungen jedoch nicht so extrem ausfallen. Der Bewerter sollte daher im ersten Schritt der Plausibilisierung eine klare Vorstellung darüber gewinnen, was sich im Vergleich von Zukunft und Vergangenheit ändern wird. Dabei sind zunächst Änderungen im Unternehmen von Änderungen des Unternehmensumfelds zu unterscheiden. Bei letzteren werden zusätzliche Informationen darüber benötigt, mit welchen Maßnahmen das Unternehmen auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren will und inwiefern solche Reaktionen bereits in der Vergangenheit erfolgreich umgesetzt wurden.

5.125 Auf Basis der angestellten Überlegungen zur Vergleichbarkeit von Vergangenheit und Zukunft sollte der Bewerter sein Verständnis der Entwicklung des Unternehmens mit der tatsächlichen Planung abgleichen. Falls hier die Prognosen des Planerstellers den Vorstellungen des Bewerters wesentlich zuwiderlaufen, sollte in einem ersten Schritt anhand der Planungsdokumentation die Erläuterung für diese Entwicklung analysiert werden. Die Erläuterungen und die zugrunde liegenden Prämissen sollten dann anhand der Einschätzung des Markt- und Wettbewerbsumfelds auf deren Plausibilität überprüft werden. Ergänzend können Analystenprognosen für diejenigen Unternehmen, die im Rahmen des Betriebsvergleichs im Rahmen der Vergangenheitsanalyse des Unternehmens genutzt wurden, einen weiteren Hinweis auf die Plausibilität der Prognosen für das Bewertungsobjekt liefern. So ist ein Margenanstieg in der Planung auf ein Niveau, das in der Vergangenheit nicht erreicht wurde, plausibler, wenn eine entsprechende Margenverbesserung ebenfalls für die Vergleichsunternehmen sowie die Branche insgesamt erwartet wird. Jedenfalls sollten diese Punkte mit dem Planersteller diskutiert werden.

5.126 Letztlich muss der Bewerter auf Basis seiner Analyse der Vergangenheit, den Markterwartungen und den Erläuterungen durch den Planersteller in der Lage sein, ein abschließendes 1 Vgl. IdU (Hrsg.), Grundsätze ordnungsgemäßer Planung sowie die Darstellung wesentlichen Anforderungen an eine Planung in Abschnitt III, Rz. 13 ff.

130

Franken/Schulte

Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.131 § 5

Urteil darüber zu fällen, ob die Planung als Grundlage für die Ableitung der zu kapitalisierenden Ertragsüberschüsse und somit für die Bewertung dienen kann.1 Das konkrete Vorgehen bei der Planungsplausibilisierung ist für jede Unternehmensbewertung einzelfallbezogen entsprechend der jeweiligen Gegebenheiten durchzuführen. Hinsichtlich des Plausibilitätsurteils sind unterschiedliche Beurteilungsgrade denkbar. So kann eine negativ („es sind uns keine Sachverhalte bekannt geworden, die gegen die Plausibilität der Planungsrechnung sprechen“) wie auch eine positiv formulierte Aussage („die Planungsrechnung ist plausibel“) zur Plausibilität der Planungsrechnung getroffen werden. Dabei impliziert die zweite Aussage einen höheren Grad an Gewissheit hinsichtlich des abgegebenen Plausibilitätsurteils. Die positive Aussage vermag dabei so zu deuten sein, dass sich der Bewerter selbständig und umfänglich auf Informationssuche begeben hat, um die Sachgerechtigkeit der Planung aktiv zu hinterfragen. Die negative Aussage impliziert hingegen, dass sich der Bewerter bei seinem Urteil auf einen gegebenen Umfang an Informationen beschränkt und somit im Extremfall lediglich die „Planungsstory“ nachvollzogen hat.

5.127

Auch wenn eine Planung (einschließlich des für Bewertungszwecke ergänzten nachhaltigen Ergebnisses) nur insgesamt als plausibel oder nicht plausibel angesehen werden kann, werden nachfolgend die Plausibilitätsuntersuchungen hinsichtlich Detailplanungsphase, Grobplanungsphase und ewige Rente aufgeteilt. Dabei sollen einerseits den unterschiedlichen Schwerpunkten der Plausibilitätsanalyse und andererseits den spezifischen Herausforderungen Rechnung getragen werden.

5.128

b) Plausibilisierung der Detailplanungsphase Die Plausibilitätsbeurteilung selbst gründet meist auf den durchgeführten Analysen zum Unternehmen und dessen Umfeld, indem die Planzahlen den entsprechenden Zahlen der Vergangenheit des Unternehmens selbst, den, soweit vorhanden, entsprechenden Zahlen der Vergleichsunternehmen und den Branchenindikatoren gegenübergestellt werden. Die kritische Grundhaltung und mithin auch der Umfang der Plausibilitätsüberprüfungen wird dabei regelmäßig auch vom Bewertungsanlass geprägt; eine Unternehmensplanung, die explizit für einen Verkaufsprozess erstellt wurde, bietet normalerweise hinsichtlich ihrer Plausibilität mehr Anlass zur Sorge als eine Planung, die in einem jährlichen Planungsprozess auf Basis jahrelanger Übung erstellt wurde.

5.129

Im Rahmen der Plausibilisierung der Ertragsplanung ist vor diesem Hintergrund zu prüfen, ob die Entwicklung der einzelnen Erfolgsgrößen nachvollziehbar und begründbar ist. Dabei sollte insbesondere auch das Verhältnis der einzelnen Erfolgsgrößen zueinander betrachtet werden (z.B. die Entwicklung des Materialaufwands im Verhältnis zu der Entwicklung der Umsatzerlöse unter Berücksichtigung des geplanten jeweiligen Preis- und Mengengerüsts).2

5.130

Um die Plausibilität des geplanten Umsatzwachstums zu beurteilen, kann zunächst über- 5.131 prüft werden, ob das Unternehmen in der Vergangenheit bereits ähnliche Wachstumsraten gezeigt hat. Dem sind dann die Ergebnisse der Marktanalysen gegenüberzustellen, anhand derer auszumachen ist, ob bzw. wie stark der Markt insgesamt wächst. Auch Analystenschätzungen über das Wachstum der Vergleichsunternehmen können für Vergleichszwecke erhoben werden. Bereits auf Basis dieser einfachen Vergleiche kann zumeist ein Eindruck darüber gewon1 Vgl. Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 183 f. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 81.

Franken/Schulte

131

§ 5 Rz. 5.131

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

nen werden, inwiefern die geplante Entwicklung des Unternehmens vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit, seiner Wettbewerber und seines Marktes „außergewöhnlich“ ist. Je außergewöhnlicher und unerwarteter diese Entwicklung ist, desto kritischer sollte die Planung gesehen werden. Vor diesem Hintergrund sollten dann anhand der Erläuterungen zur Planung im Planungsbuch oder durch das Management nachvollzogen werden, welche „Story“ hinter den veränderten Wachstumsaussichten steht. Auch zunächst unplausibel anmutende Planungen können durchaus sachgerecht sein, sofern sich glaubwürdige Erklärungen für die geplante Entwicklung finden lassen. Vorstellbar wäre etwa ein Pharmaunternehmen, das nach mehreren Jahren der Stagnation in einem relativen ruhigen Teilmarkt einen Durchbruch erzielt und für ein neues Medikament eine Zulassung erhält.

5.132 Bei der Entwicklung der Aufwandsplanungen kann ebenfalls ein Vergleich mit der Vergangenheit und den Wettbewerbern sinnvoll sein. Eine Ausweiterung des Personalbestands in der Vergangenheit, um ausreichend Personal für den geplanten Wachstumspfad zur Verfügung zu haben, wäre etwa eine plausible Erklärung für eine im Zeitverlauf sinkende Personalaufwandsquote. Falls die Quote jedoch deutlich unter die entsprechenden Quoten der Wettbewerber sinkt oder für die Personen mit den einschlägigen Qualifikationen eine steigende Nachfrage und damit höhere Löhne erwartet werden, wäre dies wiederum Anlass für weitere Nachforschungen.

5.133 Die Plausibilisierung der Bilanzplanung ist inhaltlich eng verbunden mit der Plausibilisierung der Ertragsplanung. Bei der Planung des Umlaufvermögens ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine starke Anknüpfung an die Entwicklung des Umsatzes oder einzelner Aufwandspositionen gegeben ist. Entsprechend kann die geplante Entwicklung der Posten des Working Capitals nur unter Berücksichtigung der Planung der Posten der GuV plausibilisiert werden. Bei der Plausibilisierung der Entwicklung des Anlagevermögens sind insbesondere die Erkenntnisse aus der Analyse der Investitions- und Abschreibungsplanung zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Umsatz und Anlagevermögen ist es dabei teilweise notwendig, zumindest ein grundlegendes technisches Verständnis über die Produktionstechnologie zu gewinnen.

5.134 Auf der Passivseite der Bilanz ist letztlich die Finanzierungsseite des Unternehmens abgebildet, diese muss somit im Einklang mit der Finanzplanung stehen. Die Plausibilisierung der geplanten Entwicklung des Eigenkapitals bedarf dabei neben der Planung der Erfolgsgrößen einer Analyse der geplanten Ausschüttungspolitik. Die Planung der Verbindlichkeiten ist nicht nur mit der geplanten Entwicklung der Gewinn- und Verlustrechnung, sondern auch mit der nachfolgend beschriebenen Finanzplanung eng verknüpft.

5.135 Im Rahmen der Plausibilisierung der Finanzplanung ist daher zunächst zu prüfen, ob die getroffenen Finanzierungsannahmen, auch unter Berücksichtigung der geplanten Ausschüttungen, zutreffend umgesetzt sind.1 Zunächst muss sichergestellt sein, dass vor dem Hintergrund der Entwicklung des operativen Cashflows sowie der Investitionstätigkeit der geplante Finanzbedarf entweder durch Thesaurierungen oder weitere Kreditaufnahmen gedeckt ist. Dabei ist zu prüfen, ob die geplanten Finanzierungsprämissen auch tatsächlich umsetzbar und konsistent sind. So sollten z.B. geplante Kreditausweitungen zum einen mit bestehenden Kreditvereinbarungen kompatibel sein und zum anderen sollten etwaige Folgewirkungen, wie

1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 81.

132

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.137 § 5

bspw. eine Erhöhung des Fremdkapitalzinssatzes bei zunehmendem Verschuldungsgrad, bei der Bewertung berücksichtigt sein.1 Abschließend ist zu prüfen, ob sich das Zinsergebnis rechnerisch aus den jeweiligen Beständen der Aktiva und Passiva der Bilanzplanung ableiten lässt. In diesem Rahmen sind auch die zugrunde liegenden Prämissen der Ermittlung des Zinsergebnisses nachzuvollziehen (z.B. ob eine Verzinsung auf den Bestand zu Periodenbeginn oder auf einen Durchschnittsbestand erfolgt) und zu beurteilen. Auch die Höhe der Zinssätze ist vor dem Hintergrund der marktüblichen Verzinsung des Fremdkapitals vergleichbarer Unternehmen grundsätzlich zu plausibilisieren.

5.136

Auch in der Rechtsprechung werden entsprechende Anforderungen an die Planung ge- 5.137 setzt. So betonen etwa sowohl das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 5.3.2012 als auch das OLG Stuttgart in seiner Entscheidung vom 14.9.2011 die Bedeutung realistischer Annahmen in einer Planung.2 Das OLG Stuttgart stellt in einer späteren Entscheidung vom 15.10.2013 weiter heraus, dass die Planung realistisch sein müsse und zudem nicht in sich widersprüchlich sein dürfe.3 Dasselbe OLG betont in einer Entscheidung vom 24.7.2013, dass Plananpassungen zumindest dann erforderlich seien, wenn die Planung nicht auf zutreffenden Informationen und daraus abgeleiteten realistischen Annahmen beruht, die widerspruchsfrei sind.4 Das OLG München konstatiert in seiner Entscheidung vom 18.2.2014, eine Planung müsse plausibel und widerspruchsfrei sein und zudem auf zutreffenden Informationen fußen.5 Insofern ist ein realistisches Szenario und kein Bestwerte-Szenario der Bewertung zugrunde zu legen. Dem steht nicht unmittelbar entgegen, dass in der Literatur teils gefordert wird, im Rahmen der Plausibilisierung werterhöhende Alternativszenarien zu berücksichtigen (vgl. Rz. 1.37). Nach Auffassung des OLG Frankfurt beschränkt sich der gerichtliche Überprüfungsmaßstab auf die Widersprüchlichleit und Plausibilität der Planung.6 Korrekturen der Ertragsprognose seien lediglich gerechtfertigt, soweit die Planung nicht plausibel sei.7 Bei ersichtlich unzutreffenden Annahmen, bspw. bei einer nicht nachvollziehbaren oder fehlenden Unternehmensplanung, erachtet das OLG Düsseldorf die Übernahme der Ertragsprognose des Unternehmens nicht für geboten, sondern habe der Sachverständige in diesen Fällen Anpassungen vorzunhemen.8 Dies sieht auch das OLG Karlsruhe so, welches sich, im Falle einer auf Basis von Ist-Daten ermittelten unplausiblen Planung, Anpassungen vorbehält.9 Auch wenn die Gerichte insgesamt Planungsanpassungen für zulässig erachten, unterscheiden sich die Urteile hinsichtlich des Ausmaßes der Korrekturen.

1 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 310. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 bzw. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.10.2013 – 20 W 3/13, AG 2014, 208. 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840. 5 Vgl. OLG München v. 18.2.2014 – 31 Wx 211/13, AG 2014, 453. 6 Vgl. OLG Frankfurt v. 5.2.2016 – 21 W 69/14, AG 2016, 588; OLG Frankfurt v. 12.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790. 7 Vgl. OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241. 8 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12, AG 2014, 817. 9 Vgl. OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672.

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§ 5 Rz. 5.138

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5. Besonderheiten der Plausibilisierung der Übergangsphase und der ewigen Rente a) Grundlegende Überlegungen

5.138 Der Detailplanungsphase folgt i.d.R. die Phase der ewigen Rente, die regelmäßig nicht Gegenstand der Unternehmensplanung ist. Zugleich hat diese Phase besondere Bedeutung, da sie häufig einen erheblichen Anteil am Unternehmenswert determiniert. Die ewige Rente spiegelt einen Gleichgewichts- oder Beharrungs-zustand wider. Sie basiert somit auf einer langfristigen Fortschreibung von Trendentwicklungen. Dabei ist zyklischen Entwicklungen der Unternehmensergebnisse Rechnung zu tragen (z.B. Produktlebenszyklen und die Entwicklung des Markt- und Wettbewerbsumfeldes). Die ewige Rente ist unter Berücksichtigung gesonderter Analysen selbstständig herzuleiten. lnsofern darf das letzte Planjahr nicht unreflektiert für die Phase der ewigen Rente übernommen werden.1 Sollte am Ende des Detailplanungszeitraums noch kein Gleichgewichtszustand erreicht sein, kann es erforderlich sein, eine Übergangsphase zu planen. Abweichungen vom Beharrungszustand können sich z.B. aus folgenden Aspekten ergeben: Pensionsrückstellungen, Reinvestitionen, Eigenkapitalausstattung bzw. junge Unternehmen in der Wachstumsphase und Unternehmen in einer Phase der Restrukturierung. Dies kann auch durch eine in einer Nebenrechnung ermittelten Annuität in der ewigen Rente abgebildet werden.2 b) Plausibilisierung der Übergangsphase

5.139 Die Plausibilisierung der Grobplanungsphase folgt grundsätzlich denselben Schritten wie die Plausibilisierung der Detailplanungsphase. Ein Unterschied besteht insofern, dass zumeist die einzelnen Ergebnislinien nicht mehr ausgeplant werden, sondern tendenziell eher über langfristige Wachstums- und Margenerwartungen weiterentwickelt werden. Anhand dieser Grobplanungsphase wird meistens ein Auslaufen der unternehmensspezifischen Entwicklung hin zu einer durchschnittlich am Markt zu erwartenden Entwicklung unterstellt; dies ist jedoch im konkreten Einzelfall festzulegen.

5.140 Die Plausibilisierung der Entwicklung in der Übergangsphase erstreckt sich meist darauf, inwiefern die pauschalierte Fortschreibung sich mit den langfristigen Einschätzungen zur Entwicklung des Marktes deckt. Wenn die Wettbewerbsvorteile des Unternehmens mittel- bis langfristig aufrechterhalten werden können, kann in dieser Phase eine überdurchschnittliche Entwicklung sachgerecht sein. Neben der Berücksichtigung von Verlustvorträgen im Modell ist eine noch nicht abgeschlossene, überdurchschnittliche Entwicklung des Unternehmens oftmals ein wesentlicher Grund, weshalb überhaupt eine Übergangsphase modelliert wird bzw. modelliert werden muss. c) Plausibilisierung der ewigen Rente

5.141 Im Rahmen der Ertragswertermittlung beträgt der Anteil der ewigen Rente am Unternehmenswert regelmäßig deutlich über 50 %. Insofern ist es von herausragender Bedeutung, dass eine sorgfältige Ableitung des nachhaltigen Ergebnisses erfolgt. Grundsätzlich stellt das nachhaltige Ergebnis der ewigen Rente ein Ergebnisniveau dar, das unter Berücksichtigung des nachhaltig angesetzten Investitionsniveaus im Durchschnitt über den (künftigen) Konjunkturzyklus erwirtschaftet werden kann. Dabei wird vielfach von einem Ausschwingen des Wachstums und eine Annäherung an die Wachstumsrate des Marktes insgesamt ausgegangen. 1 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 54. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), Praxishinweis 2/2017, Tz. 55.

134

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.145 § 5

Dieses Wachstum wird als Abschlag vom Kapitalisierungszinssatz dargestellt; ein überdurchschnittliches Wachstumspotential wird dabei meist als Aufschlag auf das langfristig erzielbare Wachstum dargestellt. Dabei kann ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Marge und Wachstum konstatiert werden, der auf den nachfolgenden beiden Effekten beruht. Wesentlicher Treiber des nachhaltigen Ergebnisses ist diejenige Marge, die realistischerweise auch langfristig erzielbar ist. Aus dieser Überlegung ist ersichtlich, dass das Margenniveau nicht unbedingt auf oder über dem Niveau des letzten Planjahres liegen muss. So kann etwa in der Planungsrechnung hinterlegt sein, dass auf Basis der aktuellen Innovationen, der angebotenen Produkte und Effizienzsteigerungsmaßnahmen zum Ende der Detailplanungsphase eine Spitzenmarge erzielt wird, die aber nicht dauerhaft gehalten werden kann. Nachhaltig kann ein Wachstum des Umsatzes nur bewerkstelligt werden, wenn zusätzliche Aufwendungen für inkrementelle Produktverbesserungen getätigt werden, die die Marge auf ein langfristiges Durchschnittsniveau drücken. Entsprechend könnte ein höheres Wachstum nur durch deutlich höhere Aufwendungen für Produktinnovation erreicht werden.

5.142

Gleichzeitig ist bei der Ableitung der langfristigen Marge zu berücksichtigen, dass regelmäßig 5.143 nicht mehr ein ähnliches hohes Wachstum wie in der Detailplanungsphase hinterlegt ist. Entsprechend könnte in der Detailplanungsphase ein aggressiver Wachstumspfad geplant sein, in dem auch auf Kosten der Marge Marktanteile gewonnen werden sollen. Insofern wären die in der Planung hinterlegten Margen ein schlechter Anhaltspunkt für die langfristigen erzielbaren Margen. Im eingeschwungenen Zustand wird die Steigerung des Ergebnisses nicht mehr durch Wachstum erzielt, sondern durch eine höhere Effizienz, die durch eine beständige Integration der einzelnen Unternehmensteile und eine Verbesserung der Leistungserstellung erreicht wird. Daher könnte die Marge dann im eingeschwungenen Zustand über den Margen der Detailplanungsphase liegen, da das Wachstum wesentlich zurückgeht. Anhaltspunkte für die Plausibilität der nachhaltig erzielbaren Marge können dabei die Margen von Wettbewerbern oder anderen Unternehmen der Branche sein. Dabei sollte eine Orientierung nicht an jungen Wachstumsunternehmen erfolgen, sondern für die Analyse auf reife Unternehmen abgestellt werden, die sich über eine inkrementelle Weiterentwicklung der Produkte auszeichnen und deren Wachstum wesentlich durch die Wachstumsaussichten des Marktes insgesamt geprägt ist.

5.144

Im Rahmen der Plausibilisierung der ewigen Rente ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass über das Wachstum nur dann ein Effekt auf den Unternehmenswert zu erwarten ist, sofern die Rendite oberhalb der Kapitalkosten liegt.1 Da die ewige Rente grundsätzlich einen eingeschwungenen Zustand i.S.e. Steady State repräsentieren soll, ist eine solche Annahme problematisch (vgl. Rz. 5.57). Andererseits ist die Annahme, ein Unternehmen befände sich bereits nach 3 bis 5 Jahren in einem Gleichgewichtszustand, in dem keine Überrenditen mehr erzielt werden können, ökonomisch nur in Einzelfällen zu rechtfertigen. Entscheidend für die Ableitung der ewigen Rente ist somit die Beantwortung der Frage, ab wann das zu bewertende Unternehmen bei gegebenem Investitionsniveau welches nachhaltige Umsatzniveau (welchen Marktanteil) und welche nachhaltige Ergebnismarge erzielen kann und wie der Übergangspfad zum nachhaltigen Niveau modelliert werden kann bzw. muss (Übergangsphase).

5.145

1 Vgl. Knoll, RWZ 2014, 271 (275).

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135

§ 5 Rz. 5.146

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

5.146 In der Rechtsprechung wird insbesondere der besonderen Rolle des Wachstumsabschlags (vgl. Rz. 5.55) in der ewigen Rente Rechnung getragen. Dieser repräsentiert das Wachstum der nachhaltigen Zahlungsüberschüsse und wird rechentechnisch im sog. Gordon-Wachstumsmodell (vgl. Rz. 11.58) als Abschlag vom Kapitalisierungszinssatz berücksichtigt (vgl. Rz. 6.8). Dabei stellt das OLG Stuttgart in seiner Entscheidung vom 14.9.2011 heraus, dass eine pauschale Festsetzung des Wachstumsabschlags nicht sachgerecht ist, sondern vielmehr der jeweiligen Einzelfall bzw. die konkreten Verhältnisse des Bewertungsobjekts zu würdigen sind.1 Das OLG Frankfurt betont in seiner Entscheidung vom 5.3.2012 weiterhin, dass der Wachstumsabschlag insbesondere eine inflationsbedingte Komponente und daneben ggf. Bestandteile aufgrund Mengen- und Strukturänderungen beinhalte.2 Dabei sieht das Gericht ebenfalls eine Anknüpfung der Wachstumsrate an das Bewertungsobjekt bzw. dessen Fähigkeit, Preissteigerungen auf seine Kunden zu überwälzen. Die Höhe der Wachstumsrate muss dabei wie die Prognosen der Detailplanungsphase auf realistischen Annahmen gründen (vgl. Rz. 5.137). Das OLG Düsseldorf stellt in einer Entscheidung vom 4.7.2012 klar, dass es hinsichtlich der Inflationskomponente nicht auf die allgemeine Inflationsrate ankomme, sondern auf die Fähigkeit des Unternehmens, Preissteigerungen an seine Abnehmer weiterzuleiten.3 Das OLG Frankfurt teilt in einer Entscheidung vom 30.8.2012 diese Auffassung, ergänzt jedoch als Wachstumstreiber die Inflation und Mengenstrukturänderungen um die Thesaurierung.4 Das OLG Stuttgart führt in einer Entscheidung vom 15.10.2013 aus, dass neben einer Mengenund Strukturkomponente im Wachstumsabschlag insbesondere das inflationsgetriebene Wachstum abgebildet wird.5 Dieses hängt von der Fähigkeit des Unternehmens ab, Preissteigerungen von der Beschaffungsseite an die Kunden weiterzugeben. Auch das OLG Karlsruhe sowie das OLG Zweibrücken sehen im Wachstumsabschlag keinen reinen Inflationsausgleich, sondern fordern eine umfassende Analyse der konkreten Wachstumspotentiale des Bewertungsobjekts ein.6 Die Annahme eines unterhalb der Inflationsrate liegenden Wachstumsabschlags ist nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. mit einer positiven Inflationsrate vereinbar und somit nicht unplausibel.7 Zu beachten sind zudem die Auswirkungen der Annahme einer Konvergenzphase auf die nachhaltige Wachstumsrate. So dürfen nach Auffassung des OLG Karlsruhe die jeweiligen Annahmen, bspw. Wachstumsraten, nicht in Widerspruch stehen.8 Im Ergebnis betonen die Oberlandesgerichte somit, dass bei der Festsetzung der Wachstumsrate den konkreten Verhältnissen des Bewertungsobjekts Rechnung getragen werden muss, was insbesondere auch für das inflationsgetriebene Wachstum als eine wesentliche Komponente des Wachstumsabschlags gilt.

1 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10, AG 2012, 221. So auch: OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – I-26 W 10/15 (AktE), AG 2017, 754. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797; OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584; OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584; OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864. So auch OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508. 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, NZG 2012, 1382. 5 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.10.2013 – 20 W 3/13, AG 2014, 208. 6 Vgl. OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17; OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200. 7 Vgl. OLG Frankfurt v. 15.10.2014 – 21 W 64/13, AG 2015, 205. 8 Vgl. OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672.

136

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Ermittlung und Plausibilisierung des Zukunftsertrags

Rz. 5.151 § 5

V. Zusammenfassung Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens nach der Risikozuschlagsmethode wird der Unter- 5.147 nehmenswert durch Diskontierung der erwarteten, den Unternehmenseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse ermittelt. Da die Prognose von Erträgen durchweg mit Unsicherheiten verbunden ist und eine erwartungswertneutrale Prognose benötigt wird, stellt die Identifikation einer sachgerechten Planung für den Bewerter eine zentrale Herausforderung bei der Ermittlung des Unternehmenswerts dar. Daher müssen insbesondere Bewerter die Anforderungen an eine Planung kennen und diese auf Basis umfangreicher Analysen auf Sachgerechtigkeit überprüfen. Im Rahmen der Planungserstellung ist sicherzustellen, dass dieser ein ordnungsmäßiger Erstellungsprozess zugrunde liegt. Eine Planung stellt dabei ein integriertes System von Teilrechnungen dar, in der die geplante Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens aufeinander abgestimmt sind. Hierzu ist auf einen konsistenten Aufbau der Planung zu achten, in dem ökonomische Zusammenhänge zutreffend hergestellt werden. Insbesondere in der Detailplanungsphase sind dabei für die Entwicklung der Posten der GuV, der Bilanz und der Finanzbedarfsrechnung jeweils sachgerechte Annahmen zu setzen.

5.148

Der Planungsplausibilisierung liegt neben einer Analyse des Unternehmens und dessen Umfelds insbesondere auch eine sorgfältige Würdigung der Planung selbst zugrunde. Aufbauend auf einer detaillierten Untersuchung der historischen Entwicklung des Markt- und Wettbewerbsumfelds und dessen zukünftiger Entwicklung ist dabei auch die Entwicklung des Unternehmens in der Vergangenheit ausführlich zu würdigen. Über die Untersuchung des Markt- und Wettbewerbsumfelds erhält der Bewerter ein Verständnis über den Rahmen, in dem sich das Unternehmen in der Vergangenheit bewegt hat und wie sich dieser ändern könnte. Nach Analyse des Unternehmens selbst sollte der Bewerter dann ein Verständnis über das Geschäftsmodell des Unternehmens und dessen zentrale Werttreiber besitzen. Die Erkenntnisse der Vergangenheitsanalyse des Unternehmens sollten dabei beständig mit den Untersuchungen des Markt- und Wettbewerbsumfelds abgeglichen werden, um Ursache-Wirkungsbeziehungen zu identifizieren.

5.149

Im Rahmen der Analyse der Planungsrechnung hat der Bewerter zunächst über eine Untersuchung der Planungstreue sicherzustellen, dass diese grundsätzlich erwartungswertneutral und somit für Bewertungszwecke geeignet ist. Des Weiteren muss sich der Bewerter versichern, dass die Planungsrechnung konsistent ist und sämtliche Teilplanungen ein integriertes System bilden. Abschließend ist die Planung selbst ausführlich zu würdigen, um eine klare Vorstellung über die Entwicklung des Unternehmens zu gewinnen.

5.150

Auf Grundlage der im Rahmen der Analyse des Unternehmens(umfelds) gewonnenen Kenntnisse sollte der Bewerter die aus seiner Sicht zu erwartende Entwicklung des Unternehmens mit der in der Planung hinterlegten Entwicklung abgleichen. Die zugrundeliegenden Prämissen sollten anhand der Einschätzung des Markt- und Wettbewerbsumfelds auf deren Plausibilität überprüft werden. Letztlich muss der Bewerter dann auf Basis der Analyse der Vergangenheit, den Markterwartungen und der zu der Planung gegebenen Erläuterungen ein abschließendes Urteil darüber fällen, ob die Planung als Grundlage für die Ableitung der zu kapitalisierenden, erwartungswertneutralen Ertragsüberschüsse und somit für die Bewertung dienen kann. Die Plausibilität der Planung kann dabei unterschiedlich beurteilt werden (negative oder positive Plausibilitätsaussage).

5.151

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§6 Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1

II. Bedeutung des Kapitalisierungszinssatzes und Grundlage der Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.7

III. Ableitung des Basiszinssatzes . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ableitung einer aktuellen Zinsstrukturkurve auf Basis der Svensson-Methode . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung eines barwertäquivalenten einheitlichen Basiszinssatzes . . . . 4. Der Basiszinssatz in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.13 6.13

IV. Ableitung der Marktrisikoprämie . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zukunftsorientierte Ableitung der Marktrisikoprämie . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergangenheitsorientierte Ableitung der Marktrisikoprämie . . . . . . . . . . . 4. Die Marktrisikoprämie in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . .

6.43 6.43

6.19 6.29 6.35

6.45 6.53 6.69

V. Ableitung des Betafaktors . . . . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alternative Methoden zur Ableitung eines Betafaktors . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ableitung von Betafaktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betafaktor des Bewertungsobjekts oder einer Peer Group . . . . . . . . . c) Ermittlung historischer Raw Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . d) Belastbarkeit historischer Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prognoseeignung historischer Betafaktoren als künftig zu erwartende Betafaktoren . . . . . . . f) Ermittlung von Un-/Relevered Betafaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Betafaktor in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.80 6.80 6.81 6.88 6.88 6.90 6.103 6.120 6.139 6.156 6.168

VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 6.178

Schrifttum: Aders/Wagner, Kapitalkosten in der Bewertungspraxis, FB 2004, 30; AKU (Hrsg.), Eckdaten zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes bei der Unternehmensbewertung – Basiszinssatz, FN-IDW 2005, 555; Albrecht, Asset Allocation und Zeithorizont, 1999; Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber, Multivariate Analysemethoden: Eine Anwendungsorientierte Einführung, 11. Aufl. 2006; Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber, Multivariate Analysemethoden: Eine Anwendungsorientierte Einführung, 14. Aufl. 2016; Backhaus/Erichson/Weiber, Fortgeschrittene Multivariate Analysemethoden, 3. Aufl. 2015; Baetge/Kirsch/Koelen/Schulz, On the Myth of Size Premiums in Corporate Valuation: Some empirical evidence from the German Stock Market, Journal of Applied Research in Accounting and Finance 1/2010, 2; Baetge/Krause, Die Berücksichtigung des Risikos bei der Unternehmensbewertung, BFuP 1994, 433; Ballwieser, Die Erfassung von Illiquidität bei der Unternehmensbewertung, in Schäfer/Burghof/Johanning/Wagner/Rodt (Hrsg.), Risikomanagement und kapitalmarktorientierte Finanzierung, 2009, S. 283; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016; Bassemir/ Gebhardt/Ruffing, Zur Diskussion um die (Nicht-)Berücksichtigung der Finanz- und Schuldenkrise bei der Ermittlung der Kapitalkosten, WPg 2012, 882; Berg/Heigermoser/Kaserer/Kittlauss/Willershausen, Schätzung erwarteter Marktrisikoprämien mittels impliziter Kapitalkosten – Ein praxisorientierter Ansatz, CF 2017, 158; Bertram/Castadello/Tschöpel, Überlegungen zur Marktrendite und Marktrisikoprämie, CF 2015, 468; Beumer, Implizite Marktrisikoprämien – Konsistente Ermittlung und Anwendung, CF 2015, 330; Blume, On the Assessment of Risk, The Journal of Finance 1971, 1; Blume, Betas and Their Regression Tendencies, The Journal of Finance 1975, 785; Blume, Betas and Their Regression Tendencies: Some Further Evidence, The Journal of Finance 1979, 265; Bortz/Schuster, Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler, 2010; Brigham/Houston, Fundamentals of Financial Management, 13. Aufl. 2013; Büchelhofer/Swoboda-Brachvogel, Implizite Eigenkapitalkosten in der DACH-Region: Führen gesunkene implizite Eigenkapitalkosten zu höheren Bewertungsniveaus?, M&A Review Nr. 3/2018, 90; Campell/Cochrane, By Force of Habit: A Consumption-Based Explanation of Aggregate Stock Market Behavior, Journal of Political Economy 1999, 205; Cohen/Hawawini/

138

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

§6

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Dieser Abschnitt wurde unter Mitarbeit von Dr. Alexander Brunner erstellt. Franken/Schulte

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§ 6 Rz. 6.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

I. Einführung 6.1 Die Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszinssatzes gehört weiterhin zu den äußerst kontrovers und intensiv diskutierten Themen im Bereich der Unternehmensbewertung. Bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens auf Basis der Risikozuschlagsmethode ist es unerlässlich, dass ein Kapitalisierungszinssatz herangezogen wird, der die beste Alternativanlage im Vergleich zum Bewertungsobjekt repräsentiert. Auf Basis des CAPM oder Tax-CAPM setzt sich der Kapitalisierungszinssatz dabei aus den Komponenten Basiszinssatz, Betafaktor und Marktrisikoprämie zusammen.

6.2 Der vorliegende Beitrag bereitet den Diskussionsstand zur kapitalmarktgestützten Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in der Unternehmensbewertung in strukturierter und nachvollziehbarer Form so auf, dass der Leser eine konkrete Unterstützung bei der sachgerechten Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes bzw. deren Beurteilung erhält. Im Einzelnen werden die Ableitung des Basiszinssatzes (Rz. 6.13 ff.), der Marktrisikoprämie (Rz. 6.43 ff.) und des Betafaktors (Rz. 6.80 ff.) dargestellt und diskutiert. Dabei wird ergänzend zur Darstellung der Aspekte der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis auch jeweils gesondert auf die einschlägige Rechtsprechung eingegangen.

6.3 Im Rahmen der Ableitung des Basiszinssatzes werden schwerpunktmäßig die Grundsätze des IDW S 1 i.d.F. 2008 zur Herleitung des Basiszinssatzes vorgestellt. Der Basiszinssatz wird dabei auf Grundlage einer anhand der Methode von Svensson geschätzten Zinsstrukturkurve ermittelt. Die zur Berechnung des Zinssatzes notwendigen geschätzten Parameter des Svensson-Modells werden von der Deutschen Bundesbank zur Verfügung gestellt.

6.4 Für die Herleitung der Marktrisikoprämie werden schwerpunktmäßig die zukunfts- und die vergangenheitsorientierte Ableitung gegenübergestellt. Dabei wird die vergangenheitsorientierte Ableitung in der Bewertungspraxis bevorzugt herangezogen, obgleich die Ergebnisse empirischer Studien in Abhängigkeit der untersuchten Region und des untersuchten Zeitraums eine erhebliche Bandbreite aufweisen.

6.5 Im Rahmen der Ableitung des Betafaktors werden zunächst die wesentlichen Ermessenspielräume bei der Ermittlung des Betafaktors auf Basis historischer Kapitalmarktdaten aufgezeigt. Dabei werden die zu setzenden Prämissen eingehend diskutiert und sachgerechte Lösungsvorschläge unterbreitet. In diesem Rahmen wird auch die Ableitung des Betafaktors bei einer fehlenden Börsennotierung des Bewertungsobjekts behandelt.

6.6 Flankierend wird bei der Ermittlung der Komponenten des Kapitalisierungszinssatzes auf die Rechtsprechung eingegangen. Die Analyse der aktuellen Entwicklung in der Rechtsprechung soll dem Leser eine Vorstellung darüber liefern, inwieweit theoretische Ermessenspielräume in der gelebten Praxis akzeptiert werden.

II. Bedeutung des Kapitalisierungszinssatzes und Grundlage der Ermittlung 6.7 Ertragswertverfahren und Discounted Cash Flow-Verfahren beruhen auf den konzeptionellen Grundlagen des Kapitalwertkalküls.1 Demnach bemisst sich die Vorteilhaftigkeit einer Investition über die der Investition entgegen laufenden Zahlungsströme aus einem Investiti1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 101 ff.; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 110 ff.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.11 § 6

onsobjekt an den Investor. Der zeitlichen Verteilung der Zahlungsströme wird über eine Abzinsung dieser Zahlungen Rechnung getragen. Entsprechend wird im Ertragswertverfahren über den Barwert der Ausschüttungen, die dem Investor zufließen, der Wert des Unternehmens ermittelt. Der Wert repräsentiert folglich diejenige Zahlung bzw. denjenigen Kaufpreis, dem der Investor denselben Nutzen zuordnet wie den zukünftigen Zahlungsströmen aus dem Unternehmen. Grundvoraussetzung für die Ermittlung des Unternehmenswerts ist dabei, einen geeigneten bzw. sachgerechten Zinssatz für die Diskontierung der Zahlungsüberschüsse aus dem Unternehmen zu ermitteln. Da die Zahlungsüberschüsse, die ein Unternehmen generiert, grundsätzlich unsicher sind, 6.8 muss dieser Unsicherheit bei einer Wertermittlung Rechnung getragen werden.1 Hierzu wird in der Praxis vornehmlich die Risikozuschlagsmethode angewandt: Dabei werden zunächst die Erwartungswerte der Überschüsse ermittelt, die in einem zweiten Schritt diskontiert werden müssen. Für die Abzinsung muss ein geeigneter Zinssatz bestimmt werden, der eine Investition in eine äquivalente Alternativanlage repräsentiert. Hierbei muss der Unsicherheit der Zahlungsströme Rechnung getragen werden. Zu diesem Zweck wird zur Diskontierung der Zahlungsströme der sichere Zinssatz, der eine fristenkongruente Investition in eine sichere Anlage repräsentiert, um einen Risikozuschlag erhöht. Der Risikozuschlag repräsentiert die Entschädigung, die ein risikoscheuer Investor dafür verlangt, die Unsicherheit der Zahlungsströme in Kauf zu nehmen. In der ewigen Rente (vgl. Rz. 5.21) wird der Kapitalisierungszinssatz um den sogenannten Wachstumsabschlag (vgl. Rz. 5.55) gekürzt, der das Wachstum der Zahlungsüberschüsse repräsentiert (sog. Gordon-Wachstumsmodell, vgl. Rz. 11.58). Zur Quantifizierung des Risikozuschlags kann und wird in der praktischen Anwendung i.d.R. auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM) bzw. Tax-CAPM zurückgegriffen.2 Die Grundlogik dieser Modellierung besagt, dass der Investor nicht für das gesamte Risiko einer Anlage entschädigt wird, sondern nur für denjenigen Teil, der nicht diversifiziert werden kann (systematisches Risiko). Methoden, die das Risiko unmittelbar aus der Verteilung der Zahlungsüberschüsse bestimmen, haben sich in der Bewertungspraxis (und in der Rechtsprechung) bislang nicht durchgesetzt.

6.9

Das systematische Risiko wird dabei als Produkt von Marktrisikoprämie und Betafaktor ermittelt.3 Die Marktrisikoprämie ist die Vergütung, die der Investor über den sicheren Zins hinausgehend erhält, wenn er in das Marktportfolio investiert. Theoretisch enthält dieses Marktportfolio sämtliche riskante Anlagen weltweit. In der Praxis werden Marktportfolio und mithin auch Risikoprämie über einen breiten (internationalen) Aktienindex approximiert.

6.10

Das Produkt aus Betafaktor und Marktrisikoprämie gibt das systematische Risiko eines Unternehmens und mithin die über die sichere Verzinsung hinausgehende Vergütung an, die ein Investor dafür erhält, dass er als Rückzahlung für seine Investition die unsicheren, erwarteten Zahlungen aus dem Unternehmen akzeptiert. Technisch wird der Betafaktor als Kovarianz der Renditen des Marktportfolios und der Aktienrenditen des entsprechenden Unternehmens

6.11

1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 88 ff.; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 215 ff. 2 Vgl. für eine Darstellung der Grundlagen des CAPM bspw. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 348 ff., IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 92. 3 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 348 ff.

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§ 6 Rz. 6.11

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

im Verhältnis zur Varianz der Renditen des Marktportfolios bestimmt. Er ist somit ein Maß dafür, wie synchron die Renditen des Marktportfolios und des Aktienkurses schwanken.

6.12 Im vorliegenden Beitrag wird entsprechend dargelegt, wie für das Ertragswertverfahren ein sachgerechter Kapitalisierungszinssatz auf Basis der Risikozuschlagsmethode ermittelt werden kann, wenn für die Bestimmung des Risikozuschlags das (Tax-)CAPM zugrunde gelegt wird. Zu diesem Zweck wird die Ableitung der Komponenten sicherer Zinssatz sowie Risikozuschlag – bestehend aus Betafaktor und Marktrisikoprämie – jeweils in einem eigenen Kapitel gewürdigt. Hierzu werden jeweils zunächst die betriebswirtschaftlichen Grundlagen erläutert, bevor im Anschluss daran die Rechtsprechung insbesondere im Hinblick auf die Ausübung von Ermessensspielräumen vorgestellt wird.

III. Ableitung des Basiszinssatzes 1. Vorbemerkungen

6.13 Der Basiszinssatz repräsentiert eine risikolose und zum Zahlungsstrom aus dem zu bewertenden Unternehmen laufzeitäquivalente Kapitalmarktanlage.1 Die Risikolosigkeit der zugrunde liegenden Kapitalmarktanlage bezieht sich insbesondere auf das Währungs-, Termin- sowie Ausfallrisiko.2 Entsprechend verbleiben zumindest ein Zinsänderungs- und ein Kaufkraftrisiko bei der sicheren Anlage.

6.14 Entscheidend für eine sachgerechte Ableitung des Basiszinssatzes zum Bewertungsstichtag (Stichtagsprinzip)3 ist zunächst die Laufzeit der zu erwartenden Zahlungsströme des Bewertungsobjekts. Dem Prinzip der Laufzeitäquivalenz folgend müssen die Fristigkeiten der Zahlungsströme von Bewertungs- und Vergleichsobjekt zeitlich übereinstimmen. Folglich wird die Laufzeitäquivalenz bei zeitlich begrenzten Zahlungsströmen des Bewertungsobjekts dadurch gewährleistet, dass eine Kapitalmarktanlage mit entsprechender Laufzeit gewählt wird. Bei einer angenommenen zeitlich unbegrenzten Laufzeit, in der das Bewertungsobjekt finanzielle Überschüsse erwirtschaftet, ist eine Vergleichsalternative zu wählen, aus der ebenfalls ein zeitlich unbegrenzter Zahlungsstrom zu erwarten ist.4

6.15 Der (Basis-)Zinssatz wird in aller Regel als jährlicher „Preis“ für die Überlassung von risikolosem (s. Rz. 6.13) Kapital in Abhängigkeit von der Laufzeit interpretiert.5 Für die Zwecke der Unternehmensbewertung wird in diesem Zusammenhang auf die Verzinsung von (hypothetischen) Nullkuponanleihen zurückgegriffen. Dies sind Anleihen ohne laufende Verzinsung, d.h. die Zinszahlung erfolgt einmalig am Ende der Laufzeit. Die Rendite einer solchen Nullkuponanleihe wird als Kassazinssatz oder Spot Rate bezeichnet.

1 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 238 ff. 2 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 90. 3 Im Zusammenhang mit der Ableitung von risikolosen Basiszinssätzen ist maßgeblich, welche Alternativanlagen zum Bewertungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Somit müssen die zum Bewertungsstichtag verfügbaren risikolosen Renditen beachtet werden (Stichtagsprinzip). Vgl. u.a. Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, S. 238; s. auch IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 117, IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 375 ff. 4 Vgl. u.a. Obermaier, Unternehmensbewertung, Basiszinssatz und Zinsstruktur, Regensburger Diskussionsbeiträge zur Wirtschaftswissenschaft 2005, S. 2 ff. sowie IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 376. 5 Vgl. Brigham/Houston, Fundamentals of Financial Management, S. 189.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.19 § 6

Grundsätzlich können verschiedene Verfahren zur Ableitung des Basiszinssatzes herangezogen werden. In der Vergangenheit wurde insbesondere zwischen einer vergangenheitsorientierten und einer kapitalmarktorientierten Ableitung des Basiszinssatzes differenziert.

6.16

Bis zur Überarbeitung des IDW S 1 im Oktober 2005 wurde der Basiszinssatz regelmäßig 6.17 vergangenheitsorientiert abgeleitet: Es wurde „vereinfachend“1 auf die beobachtbaren Umlaufrenditen öffentlicher Anleihen mit einer festen (Rest-)Laufzeit von zehn oder mehr Jahren zurückgegriffen.2 Anleihen der öffentlichen Hand erfüllen aufgrund ihres quasi-sicheren Charakters das Kriterium der Risikolosigkeit (s. Rz. 6.13) weitestgehend (vgl. zur Bestimmung des Diskontierungszinses im Detail Rz. 6.19 ff.). Sobald allerdings ein Unternehmen mit einer zeitlich unbegrenzten Lebensdauer bewertet wird, ist zur Herstellung der Fristenkongruenz für den daran anschließenden Zeitraum eine Wiederanlageprämisse zu treffen. Da Umlaufrenditen lediglich für öffentliche Anleihen mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren verfügbar sind, wurde „zur Orientierung die Zinsentwicklung der Vergangenheit herangezogen.“3 Die Verwendung langfristiger Durchschnitte der historischen Zinssätze sollten dabei eine Glättung von Schwankungen der historischen Zinssätze sicherstellen. Diese zumindest teilweise vergangenheitsorientierte Ableitung des Basiszinssatzes wird heute überwiegend abgelehnt: Einerseits entspricht die Verwendung eines einheitlichen Zinssatzes für die ersten zehn oder mehr Jahre nicht dem Prinzip der Laufzeitäquivalenz, da implizit eine flache Zinsstrukturkurve unterstellt wird, die in der Praxis äußerst selten zu beobachten ist. Andererseits ist der auf Basis von Vergangenheitsdaten abgeleitete Wiederanlagezinssatz nicht mit dem Stichtagsprinzip vereinbar, da verfügbare aktuelle Kapitalmarktdaten nicht genutzt werden.4 In der heutigen (deutschen) Unternehmensbewertungspraxis hat sich die kapitalmarktorientierte Ableitung des Basiszinssatzes nach der sog. Svensson-Methode durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend ausschließlich die Ableitung von Zinsstrukturkurven auf Basis der Svensson-Methode dargestellt werden.5 Eine Anwendung dieser Methode wird für objektivierte Unternehmensbewertungen auch in der WPH Edition empfohlen.6

6.18

2. Ableitung einer aktuellen Zinsstrukturkurve auf Basis der Svensson-Methode Zur Ableitung einer aktuellen Zinsstrukturkurve kann als Datenbasis insbesondere auf Informationen der Deutschen Bundesbank sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) zurückgegriffen werden. Sowohl die Daten der Deutschen Bundesbank als auch die der Europäischen Zentralbank basieren auf Renditen kapitalmarktnotierter Staatsanleihen, die aufgrund ihres quasi-sicheren Charakters das Kriterium der Risikolosigkeit (s. Rz. 6.13) weitgehend erfüllen. Abhängig davon, welcher Staat Emittent dieser Anleihen ist, sind indes – trotz identischer Ausstattungsmerkmale – Unterschiede in der Höhe der Renditen der Anleihen festzustellen, was den quasi-sicheren Charakter der Anleihen in Frage stellt. Im Folgenden wird die Ermittlung der Zinsstrukturkurve exemplarisch auf Grundlage der Datenbasis der Deutschen Bundesbank dargestellt. 1 2 3 4 5

IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2000, WPg 2000, Tz. 121. Vgl. IDW (Hrsg.), WP Handbuch 2002, Bd. II, 12. Aufl. 2002, Abschnitt. A, Rz. 292. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2000, WPg 2000, Tz. 121. Vgl. Gebhardt/Daske, WPg 2005, 649 (655). Vgl. zu alternativen Verfahren zur Ableitung des Basiszinssatzes Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 55-57. 6 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 375 ff.

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6.19

§ 6 Rz. 6.20

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.20 Die Deutsche Bundesbank stellt die für die Herleitung einer Zinsstrukturkurve für den deutschen Kapitalmarkt benötigten Informationen auf ihrer Homepage zur Verfügung. Hierzu wird auf beobachtbare Renditen deutscher börsennotierter Bundeswertpapiere1 zurückgegriffen.

6.21 Auf der Grundlage der Angaben über Bundeswertpapiere schätzt die Deutsche Bundesbank für Zeiträume ab dem 1.8.1997 die Parameter der Zinsstrukturkurve nach der Svensson-Methode. Die herangezogenen Wertpapiere weisen einen hohen Homogenitätsgrad auf und haben insbesondere eine hohe Besetzungsdichte für das Laufzeitspektrum bis zu zehn Jahren.2 Für (Rest-)Laufzeiten von mehr als zehn Jahren liegen Daten nicht mehr für jedes Jahr, sondern lediglich in unregelmäßigen Abständen von einem bis drei Jahr(en) vor, da diese langlaufenden Anleihen in unregelmäßigen Abständen begeben werden und in Folge dessen das Laufzeitspektrum nicht durchgängig abgedeckt wird. Das Angebot, der Handel sowie die Liquidität von Anleihen mit einer Laufzeit von mehr als zehn Jahren sind im Regelfall deutlich geringer als bei kürzeren Laufzeiten. Dennoch wird für längere Laufzeiten bis zu 30 Jahren vom Bestehen eines aktiven Marktes ausgegangen, aus dem hypothetische Spot Rates für Unternehmensbewertungszwecke verlässlich abgeleitet werden können.3

6.22 Die Zinsstrukturkurve nach Svensson ist grundsätzlich zeitstetig definiert. Im Rahmen der Unternehmensbewertung werden hingegen diskrete Renditen ins Kalkül einbezogen. Dies würde grundsätzlich eine Umrechnung der stetigen Renditen in diskrete Renditen erfordern. Beim Rückgriff auf Parameter der Deutschen Bundesbank ist die Umrechnung in diskrete Renditen indes nicht notwendig, da die Parameter bereits für die Schätzung von diskreten Renditen spezifiziert wurden. Somit werden beim Einsetzen der Bundesbank-Parameter in die Svensson-Gleichung direkt die benötigten diskreten Spot Rates erzeugt.4

6.23 Die für die Schätzfunktion nach der Svensson-Methode erforderlichen Parameter b0, b1, b2,

b3, t1 und t2 können börsentäglich auf der Homepage der Deutschen Bundesbank frei zugänglich abgerufen werden. Diese Parameter können dann in die Schätzgleichung nach Svensson eingesetzt werden, anschließend können etwa mit einem Tabellenkalkulationsprogramm die geschätzten Spot Rates für (Rest-)Laufzeiten zwischen einem Jahr und 30 Jahren und somit auch die von der Bundesbank geschätzte Zinsstrukturkurve berechnet werden.

6.24 Unternehmenswerte sind zeitpunktbezogen auf den Bewertungsstichtag zu ermitteln. Die Erwartungen der an der Bewertung interessierten Parteien bzgl. der künftigen finanziellen Überschüsse sowohl des Bewertungsobjekts als auch der bestmöglichen Alternativinvestition hängen vom Umfang der im Zeitablauf zufließenden Informationen ab. Bei einem Auseinanderfallen des Bewertungsstichtags und des (späteren) Zeitpunkts der Durchführung der Bewertung ist daher nur der Informationsstand zu berücksichtigen, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.5 Diese Anforderung wird grundsätzlich durch eine stichtagsgenaue Betrachtung (ohne Durchschnittsbildung) konzeptionell am besten erfüllt.6 Dies würde gegen die in der Praxis übliche Glättung der Zinsstrukturkurve (Durchschnittsbildung) sprechen. 1 2 3 4 5

Darunter fallen u.a. Bundesanleihen, Bundesobligationen und Bundesschatzanweisungen. Vgl. Deutsche Bundesbank, Kapitalmarktstatistik Mai 2018, S. 79. Vgl. Gebhardt/Daske, WPg 2005, 649 (653). Vgl. Wiese/Gampenrieder, BB 2008, 1722 (1725) sowie Obermaier, FB 2006, 472 (474). Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 21 f.; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 73 ff. 6 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 94.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.28 § 6

Dennoch wird zumeist empfohlen, nicht ausschließlich die zum Bewertungsstichtag geschätzten laufzeitspezifischen Zerobondrenditen zu verwenden. Vielmehr sollen diese Berechnungen für einen Zeitraum vor dem Bewertungsstichtag durchgeführt und aus den laufzeitspezifischen Zerobondrenditen jeweils eine durchschnittliche laufzeitspezifische Zerobondrendite ermittelt werden.1 Hierdurch soll eine Glättung kurzfristiger Marktschwankungen und möglicher Schätzfehler erreicht werden.

6.25

Während der IDW S 1 i.d.F. 2008 hinsichtlich der Ableitung des Basiszinssatzes lediglich auf die grundsätzliche Verwendung aktueller Zinsstrukturkurven und zeitlich darüber hinausgehender Prognosen verweist, haben der ehemalige Arbeitskreis Unternehmensbewertung des IDW (AKU) bzw. der gegenwärtige Fachausschuss Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW (FAUB) diesbezüglich konkretere Festlegungen und Umsetzungshilfen gegeben. Nach Auffassung des AKU könnte es sachgerecht sein, zur Glättung kurzfristiger Marktschwankungen sowie möglicher Schätzfehler, insbesondere bei den für Unternehmensbewertungen typischerweise relevanten langfristigen Renditen, nicht allein auf die zum Bewertungsstichtag geschätzten Zerobondrenditen abzustellen. Aus diesem Grund könnten (periodenspezifische) Durchschnittsrenditen aus den dem Bewertungsstichtag vorangegangenen drei vollen Monaten verwendet werden. Der FAUB empfiehlt diese Vorgehensweise ebenfalls.2 Diese Annahme wird in der Literatur – v.a. vor dem Hintergrund des Stichtagsprinzips – durchaus kritisch gesehen.3

6.26

Bei Unternehmensbewertungen wird i.d.R. von einer unbegrenzten Laufzeit der zu erwar- 6.27 tenden finanziellen Überschüsse ausgegangen. Dies wirft bei mangelnder Verfügbarkeit von Anleihen mit unendlicher Laufzeit die Frage auf, wie die Einhaltung des Laufzeitäquivalenzprinzips sichergestellt werden kann, d.h. welche Annahmen der Fortschreibung der Zinsstrukturkurve für Laufzeiten von mehr als 30 Jahren zugrunde gelegt werden sollten. Es stellt sich also die Frage, wie Spot Rates für Laufzeiten ab 30 Jahren berechnet werden sollen. In der Literatur werden verschiedene Verfahren für die Berechnung der Anschlussverzinsung diskutiert. Dazu zählen u.a. Expertenprognosen, historische Durchschnittswerte, einheitliche Zinssätze, Regressionsmodelle und das Zinsstrukturmodell. Der AKU hatte sich in der Vergangenheit nicht explizit dazu geäußert, wie die Zinsstruktur- 6.28 kurve für Laufzeiten größer 30 Jahre zu bestimmen ist. Das im Mitgliederbereich der IDW Homepage abrufbare Beispiel auf Basis der Hinweise des AKU sah vor, die Zinsstrukturkurve für Laufzeiten von mehr als 30 Jahren mit Hilfe der Schätzfunktion nach der Svensson-Methode fortzuschreiben. Nach zwischenzeitlich geänderter Auffassung des FAUB lässt sich jedoch aus der Entwicklung der Parameter der Schätzfunktion nach Svensson deren begrenzte Verwendbarkeit zur Extrapolation für weiter in der Zukunft liegende Zinsprognosen erkennen. Vor dem Hintergrund der in die von der Deutschen Bundesbank entwickelte Exponentialfunktion einbezogenen Restlaufzeiten sowie aufgrund allgemeiner Prognoseunsicherheiten, kann für die über 30 Jahre hinausgehende Schätzung der Zerobondzinssätze im Regelfall der 1 Vgl. AKU (Hrsg.), Eckdaten zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes bei der Unternehmensbewertung – Basiszinssatz, FN-IDW 2005, 555 (556); FAUB (Hrsg.), Ergänzende Hinweise des FAUB zur Bestimmung des Basiszinssatzes, FN-IDW 2008, 490 (491); IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 375 ff. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), Fragen und Antworten: Zur praktischen Anwendung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2012, 293 (294). 3 Vgl. m.w.N. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 487.

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§ 6 Rz. 6.28

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

ermittelte Zerobondzinssatz mit einer Restlaufzeit von 30 Jahren als nachhaltige Prognose angesetzt werden. Dies unterstellt eine flache Zinsstrukturkurve ab dem 30. Jahr. Diese Fortschreibung der letzten auf Basis von Marktdaten ableitbaren (hypothetischen) Spot Rate stellt einen pragmatischen und sachgerechten Lösungsansatz dar und wird weiterhin auch vom FAUB des IDW empfohlen. 3. Ermittlung eines barwertäquivalenten einheitlichen Basiszinssatzes

6.29 Grundsätzlich müssen die jährlich geplanten finanziellen Überschüsse mit dem jeweiligen laufzeitspezifischen risikolosen Zinssatz (Spot Rate), der aus den Daten der Zinsstrukturkurve herzuleiten ist, diskontiert werden.1 Fallen die Zahlungsströme aus dem Unternehmen über einen begrenzten Zeitraum an, können diese jährlich geplanten Zahlungsüberschüsse direkt mit diesen Zinssätzen kapitalisiert werden.

6.30 Der Regelfall in der Unternehmensbewertungspraxis stellt indes eine Bewertung unter der Annahme einer unbegrenzten Laufzeit des Unternehmens dar. Da die Planung der Zahlungsüberschüsse jedoch nur für einen endlichen Zeitraum vorgenommen wird, ist für die Periode nach dem letzten Planjahr bis zur Unendlichkeit keine direkte Diskontierung mit laufzeitspezifischen Zinssätzen möglich. Die Zinssätze aus der Zinsstrukturkurve werden dann finanzmathematisch in einen einheitlichen Zinssatz umgerechnet. In Literatur und Praxis ist in diesen Fällen statt der Verwendung von laufzeitäquivalenten Diskontierungszinssätzen (Spot Rates)2 in der Detailplanungsphase und einer entsprechenden einheitlichen Anschlussverzinsung als „theoretisch“ richtige Lösung3 regelmäßig die Verwendung eines einheitlichen Basiszinssatzes für den gesamten Zeitraum (einschließlich Detailplanungsphase) zu beobachten. Dieses Vorgehen soll zum einen die praktische Ermittlung erleichtern und für eine bessere Vergleichbarkeit der erhobenen Basiszinssätze sorgen und zum anderen die Konsistenz zu einer zeitkonstanten Ermittlung der Marktrisikoprämie wahren.

6.31 Zur Ermittlung eines einheitlichen Basiszinssatzes aus den Daten der Zinsstrukturkurve können verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen. Vorherrschend erscheint derzeit für konstante oder (stetig) wachsende Zahlungsströme die finanzmathematische Ableitung eines einheitlichen Basiszinssatzes, die zum gleichen Bewertungsergebnis führen soll wie die Verwendung laufzeitspezifischer Spot Rates. Allerdings ist die barwertäquivalente Ermittlung des Basiszinssatzes nur als nachgelagerter Berechnungsschritt möglich, wenn zuvor laufzeitspezifische Zinssätze (Spot Rates) ermittelt wurden.

6.32 Um eine methodische Konsistenz sicherzustellen, sind bei der Ermittlung des barwertäquivalenten einheitlichen Basiszinssatzes verschiedene Aspekte zu beachten, auf die an dieser Stelle lediglich verwiesen sei.4 1 Die Laufzeitäquivalenz lässt sich durch eine Replikation des zu bewertenden künftigen Zahlungsstroms mit einem Bündel von Nullkuponanleihen entsprechender (Rest-)Laufzeit herstellen. Vgl. Obermaier, Unternehmensbewertung, Basiszinssatz und Zinsstruktur, Regensburger Diskussionsbeiträge zur Wirtschaftswissenschaft 2005, S. 2 ff. 2 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 238; Obermaier, Unternehmensbewertung, Basiszinssatz und Zinsstruktur, Regensburger Diskussionsbeiträge zur Wirtschaftswissenschaft 2005, S. 25 ff. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 377. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 90; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 238; Jonas/Wieland-Blöse/Schiffarth, FB 2005, 647. 4 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 74-85.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.35 § 6

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung des Basiszinssatzes, auf Basis der Durchschnittsrenditen der vorangegangenen drei Monate, seit dem 1.1.2000:

6.33

Entwicklung des Basiszinssatzes auf Grundlage der IDW Empfehlung Datum

Ungerundeter Basiszinssatz

Gerundeter Basiszinssatz

1.1.2000

6,03 %

6,00 %

1.1.2001

5,70 %

5,75 %

1.1.2002

5,38 %

5,50 %

1.1.2003

5,26 %

5,25 %

1.1.2004

5,20 %

5,25 %

1.1.2005

4,63 %

4,75 %

1.1.2006

3,90 %

4,00 %

1.1.2007

3,97 %

4,00 %

1.1.2008

4,66 %

4,75 %

1.1.2009

4,19 %

4,25 %

1.1.2010

4,18 %

4,25 %

1.1.2011

3,20 %

3,25 %

1.1.2012

2,76 %

2,75 %

1.1.2013

2,37 %

2,25 %

1.1.2014

2,76 %

2,75 %

1.1.2015

1,86 %

1,75 %

1.1.2016

1,42 %

1,50 %

1.1.2017

0,95 %

1,00 %

1.1.2018

1,29 %

1,25 %

1.1.2019

1,09 %

1,00 %

Dabei wird nach den Empfehlungen des FAUB vom 13.7.2016 bei Zinssätzen größer als 1,00 % eine Rundung auf 1/4-Prozentpunkte, bei Zinssätzen unterhalb von 1,00 % eine Rundung auf 1/10-Prozentpunkte vorgenommen.

6.34

4. Der Basiszinssatz in der Rechtsprechung Die Ableitung des Basiszinssatzes als risikofreier Bestandteil des Kapitalisierungszinssatzes 6.35 unterlag sowohl in Theorie und Praxis als auch in der Rechtsprechung einem grundlegenden Wandel. Während der risikofreie Zinssatz in der Vergangenheit vorwiegend auf Grundlage durchschnittlicher in der Vergangenheit erzielter Renditen öffentlicher Anleihen bzw. Emittenten bester Bonität abgeleitet wurde, sah IDW S 1 i.d.F. 2005 erstmals für die Ermittlung des Basiszinssatzes eine Orientierung an der aktuellen Zinsstrukturkurve vor. Im IDW S 1 i.d.F. 2008 wird die Ableitung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve Franken/Schulte

147

§ 6 Rz. 6.35

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

nunmehr explizit empfohlen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte folgte dieser Entwicklung, so dass der Basiszinssatz inzwischen durchgängig auf Basis der Zinsstrukturkurve anhand von Daten der Deutschen Bundesbank abgleitet wird. Dabei wird oftmals eine Glättung über einen Zeitraum von drei Monaten vor dem Bewertungsstichtag vorgenommen; eine Glättung über einen kürzeren Zeitraum oder die unmittelbare Verwendung ausschließlich der Stichtagsdaten hat sich bislang nicht durgesetzt.

6.36 Das OLG Frankfurt wies in seiner Entscheidung vom 17.6.2010 darauf hin, dass die Ableitung des Basiszinssatzes auf Grundlage der Zinsstrukturkurve zum Bewertungsstichtag, die auf Basis der Daten der Deutschen Bundesbank ermittelt werden kann, methodisch richtig sei.1 In einer Entscheidung vom 30.8.2012 stellte das OLG Frankfurt weiter heraus,2 dass eine Durchschnittsbildung über drei Monate angewendet werden könne, um kurzfristige Schwankungen zu glätten. Das OLG Frankfurt betont in einer weiteren Entscheidung vom 5.12.2013, dass bei der Ableitung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve die Bildung eines Dreimonatsdurchschnitts grundsätzlich zulässig und in der Praxis üblich ist. Die Glättung diene dazu, am Bewertungsstichtag auftretende, zufällige Zinsschwankungen auszugleichen. Abweichende Zeiträume lehnt das OLG grundsätzlich ab, da diese in der Praxis unüblich sind und eine fallweise Entscheidung nicht sachgerecht sei.3

6.37 Das OLG Stuttgart billigte in seiner Entscheidung vom 4.5.2011 ebenfalls explizit, den Basiszinssatz auf Grundlage der Zinsstrukturkurve mittels Daten der Deutschen Bundesbank abzuleiten.4 In einer weiteren Entscheidung vom 14.9.2011 führte das OLG Stuttgart des Weiteren aus,5 dass die Ableitung des Basiszinssatzes aus der Zinsstrukturkurve unstrittig und eine Glättung der Zinsstrukturkurve über drei Monate vertretbar ist. Das OLG erachtet es zudem für zutreffend, auch für Bewertungsstichtage vor Geltung des IDW S 1 i.d.F. 2005 den Basiszinssatz aus der Zinsstrukturkurve abzuleiten.6

6.38 Die Praxis der Ableitung des Basiszinssatzes auf Grundlage der Zinsstrukturkurve unter Berücksichtigung einer Glättung über einen Zeitraum von drei Monaten wird in der Rechtsprechung grundsätzlich bestätigt.7 So urteilte bspw. das OLG Frankfurt konsistent zu früheren Beschlüssen, dass die Ermittlung des Basiszinssatzes auf Basis der Zinsstrukturkurve zum Bewertungsstichtag bzw. 90-Tage davor dem Stichtagsprinzip angemessen Rechnung trage und gleichfalls der Glättung vorhandener Marktschwankungen diene.8 Diese Vorgehensweise sei

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. OLG Frankfurt v. 17.6.2010 – 5 W 39/09, AG 2011, 720. Vgl. OLG Frankfurt v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, NZG 2012, 1382. Vgl. OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, NZG 2014, 464. Vgl. OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560. Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10, AG 2012, 221. Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135. Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – I-26 W 8/15, AG 2018, 399; OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – I-26 W 10/15, AG 2017, 754; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790; OLG Düsseldorf v. 15.11.2016 – I-26 W 2/16 (AktE), AG2017, 672; OLG Frankfurt a.M. v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832; OLG Düsseldorf v. 6.6.2016 – I-26 W 4/12 (AktE), AG 2017, 487; OLG Frankfurt a.M. v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551; OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504; OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241; OLG Frankfurt a.M. v. 21.5.2014 – 21 W 63/13, AG 2015, 547. 8 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504; OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241.

148

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.41 § 6

„weder in methodischer Hinsicht noch in der praktischen Umsetzung“ zu beanstanden.1 Das OLG Zweibrücken urteilte, dass „sich die Methode der Ableitung des Basiszinssatzes unter Berücksichtigung der Zinsstrukturkurve mittlerweile in Betriebswirtschaftslehre, Bewertungspraxis und Rechtsprechung weitgehend durchgesetzt“ habe. Einschränkend verweist das Gericht jedoch darauf, dass daraus nicht geschlossen werden könne, dass die Methodik der „vergangenheitsorientierten“ Basiszinssatzermittlung „generell ungeeignet oder ‚falsch‘“ sei.2 Minderheitenpositionen vertreten das OLG Stuttgart, welches die Ermittlung des Basiszinses für eine „in der Betriebswirtschaftslehre im Kern ungeklärte Frage“ erachtet, und das OLG Karlsruhe, laut dem von einem „nach einheitlichen Grundsätzen abzuleitenden Basiszinssatz nicht die Rede sein“ könne.3 Das OLG Düsseldorf äußerte sich in seiner Entscheidung vom 21.12.2011 bezüglich einer 6.39 rückwirkenden Anwendung des IDW S 1 i.d.F. 2005 dahingehend,4 dass das Heranziehen von Zinsstrukturkurven grundsätzlich eine Methodenverbesserung und keine Methodenanpassung darstelle. Eine Methodenverbesserung könne zwar gegebenenfalls berücksichtigt werden, eine zwingende rückwirkende Anpassung sei aber nicht erforderlich. In einer Entscheidung vom 4.7.2012 führte das OLG zudem aus, dass es grundsätzlich anerkannt ist, einen (einheitlichen) Basiszinssatz aus der Zinsstrukturkurve abzuleiten.5 Dabei sei es sachgerecht, den Zinssatz durch eine Glättung über einen Zeitraum zu ermitteln, um kurzfristige Schwankungen zu bereinigen. Insgesamt betrachtet ist festzuhalten, dass in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte die Ableitung des Basiszinssatzes auf Grundlage der aktuellen Zinsstrukturkurve, wie nach IDW S 1 i.d.F. 2008 vorgegeben, durchgängig gefordert wird. Eine rückwirkende Anwendung des IDW S 1 i.d.F. 2008 und eine Glättung des Basiszinssatzes über drei Monate wird ebenfalls nicht grundsätzlich abgelehnt.

6.40

Der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW empfiehlt bei der Anwendung des Basiszinssatzes eine Rundung auf den nächsten 1/4-Prozentpunkt bzw. 1/10-Prozentpunkt.6 Diese Rundungsregel wurde mehrfach in Gerichtsverfahren thematisiert, ohne das sich hierzu eine einheitliche Rechtsauffassung herausbildete. Das OLG Karlsruhe billigte in seiner Entscheidung vom 1.4.2015 die Rundungsregelung. Nach Auffassung des Gerichts sei es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, „für sachgerecht gehaltene Rundungen stets zugunsten der Antragsteller […] vorzunehmen.“7 Dementgegen führt das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 29.1.2016 aus, dass eine Rundung, insbesondere zulasten von Minderheitsaktionären, „nicht geboten sei“ und einer „zwingenden Rechtfertigung“ entbehre. Zudem vermag eine nicht weiter begründete „sinnvolle Vereinfachung“ die dadurch begründete Abweichung vom „ermittelten exakten Wert nicht zu begründen.“8

6.41

1 OLG Frankfurt a.M. v. 21.5.2014 – 21 W 63/13, AG 2015, 547. 2 Vgl. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, AG 2015, 580; OLG Stuttgart v. 1.4.2014 – 20 W 4/13; OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – I-26 W 3/11, AG 2012, 459. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797. 6 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 380. 7 Vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549. 8 Vgl. OLG Frankfurt v. 5.2.2016 – 21 W 69/14, AG 2016, 588; OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551.

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149

§ 6 Rz. 6.42

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.42 Inwieweit der Basiszinssatz eine quasi-risikofreie Anlage abbildet, ist ebenfalls Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Die Anpassung des Basiszinssatzes um eventuelle (Risiko-)Abschläge wird in der Rechtsprechung überwiegend abgelehnt. Das OLG Frankfurt verwarf in einem Beschluss vom 26.1.2015 eine Reduktion des Basiszinssatzes um einen Risikozuschlag. So besteht auch bei den bei der Ermittlung des Basiszinssatzes herangezogenen Bundesanleihen ein theoretisches Restausfallrisiko. Nach Auffassung des Gerichts kommt es darauf bei der Unternehmensbewertung, aufgrund der zu vernachlässigenden Größenordnung, jedoch regelmäßig nicht an. Insofern kommen bundesdeutsche Staatsanleihen einer sicheren Anlage weitgehend nahe. Ferner seien „völlig risikofreie Anlagen nicht verfügbar“ und könnten daher nicht als Alternativanlage herangezogen werden.1 Ähnlich argumentiert das LG München I und lehnt in einem Fall einen Abschlag auf den Basiszinssatz, aufgrund der Existenz von Credit Default Swaps, ab.2 Das OLG Saarbrücken setzt den Basiszinssatz mit dem „landesüblichen Zinssatz für quasi risikofreie Anlage[n] wie sie beispielsweise Deutschland-Anleihen der öffentlichen Hand darstellen“ gleich.3

IV. Ableitung der Marktrisikoprämie 1. Vorbemerkungen

6.43 Die Marktrisikoprämie ist neben dem Betafaktor einer von zwei Bestandteilen zur Berücksichtigung des Risikos im Rahmen der Herleitung des Kapitalisierungszinssatzes auf Basis des CAPM.

6.44 Nachfolgend werden zunächst die Möglichkeiten einer unmittelbar zukunftsorientierten Ermittlung der Marktrisikoprämie erörtert. Anschließend wird die Ableitung der Marktrisikoprämie aus historischen Kapitalmarktdaten dargestellt. Dabei werden verschiedene Möglichkeiten der Ableitung vergangenheitsorientierter Marktrisikoprämien aufgezeigt und diskutiert. Abschließend wird auf die Empfehlungen des FAUB des IDW zur Festlegung der Höhe der Marktrisikoprämie im Rahmen objektivierter Unternehmensbewertungen, auf die sich die Bewertungspraxis üblicherweise stützt, eingegangen. 2. Zukunftsorientierte Ableitung der Marktrisikoprämie

6.45 Die Ermittlung der Marktrisikoprämie durch historische Kapitalmarktanalysen steht derzeit im Zentrum der Diskussion in Theorie und Bewertungspraxis. In diesem Ansatz werden historische Daten verwendet, womit die Zukunftsbezogenheit der so bestimmten Marktrisikoprämie in Frage gestellt werden kann. Daher wird zunehmend auf die Schätzung zukünftiger Risikoprämien verwiesen. Dazu gehören die Befragung von Experten und die analytische Ermittlung impliziter Eigenkapitalkosten.4

6.46 Bei der Befragung von Experten werden Kapitalmarktteilnehmer unmittelbar zu ihren Renditeforderungen befragt. Die hieraus ermittelten Marktrisikoprämien liegen i.d.R. etwas unterhalb derer, die auf Basis von historischen Daten ermittelt wurden.5 Aus verschiedenen Gründen ist dieses Vorgehen im Rahmen der Unternehmensbewertung als ungeeignet zu be1 2 3 4 5

Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 12 W 26/13, AG 2015, 504. Vgl. LG München I v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15, juris. Vgl. OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, AG 2014, 866. Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 388 ff. Vgl. Stehle, WPg 2004, 906 (918).

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Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.49 § 6

trachten. Zum einen sind derartige Befragungen vergleichsweise aufwendig und können nur punktuell und nicht hinreichend systematisch durchgeführt werden. Zum anderen ist die Güte der Aussagen nicht hinreichend dokumentiert. In den entsprechenden Studien bleibt z.B. weitgehend unklar, welche Personen befragt worden sind. Hinzu kommt weiterhin, dass für die Befragten keine Anreize für eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Fragen bestehen. Die Modelle zur Schätzung impliziter Eigenkapitalkosten (Dividendendiskontierungsmodelle, Gewinnkapitalisierungsmodelle und Residualgewinnmodelle1) stimmen methodisch darin überein, dass sie sich auf die Gewinnschätzungen von Finanzanalysten sowie auf aktuelle Börsenkurse stützen. Im Ergebnis wird hier die Bewertungsgleichung: Unternehmenswert = Cashflow/Kapitalkosten nach den Kapitalkosten umgestellt. Dementsprechend erfolgt die Ermittlung der Marktrisikoprämie ausgehend von einem über die Marktkapitalisierung gemessenen Unternehmenswert. Dieser wird z.B. beim Dividendendiskontierungsmodell als Barwert der von den Analysten erwarteten Dividendenausschüttungen interpretiert. Die Ermittlung der Marktrisikoprämie nach diesen Modellen stellt quasi eine „umgekehrte“ Unternehmensbewertung dar. Bei Anwendung dieser Verfahren werden die Eigenkapitalkosten anhand zukunftsorientierter Parameter zum Bewertungsstichtag ermittelt. Zur Schätzung der Marktrisikoprämie auf analytischer Grundlage dienen langfristige Kapitalmarktuntersuchungen. Die Studien unterscheiden sich u.a. in den betrachteten Zeiträumen, in der Art der Renditeberechnung und in der Berücksichtigung von Steuern. Die Ermittlung der Marktrisikoprämie erfolgt unter Bezugnahme historischer Renditen des Marktportfolios abzüglich des risikolosen Zinses. Die Ableitung der Bandbreite für die Marktrisikoprämie sollte auf einen langen Zeitraum zurückgreifen, damit unterschiedliche Konjunkturzyklen bei der Ermittlung bereits berücksichtigt sind. Als Datengrundlage dienen hierfür regelmäßig Daten von Stehle (Deutschland) oder Daten von Dimson/Marsh/Staunton (DMS) für verschiedene Länder.

6.47

Gegen die Verwendung zukunftsorientierter Modelle bestehen generelle Einwendungen: So liegt den Modellen zumeist die Annahme einer konstanten Wachstumsrate der Dividenden, Gewinne oder Residualgewinne zugrunde. Ebenfalls kritisch zu betrachten, ist die Abhängigkeit der Modelle von der Qualität der Schätzungen der Finanzanalysten. Insbesondere für Deutschland liegen kaum Erfahrungen in diesem Zusammenhang vor.2 Diese Problematik schlägt sich dann in regelmäßig stark vereinfachenden Prämissen nieder. Finanzanalysten orientieren sich bei ihren Schätzungen eher an kurzfristigen Ereignissen und Erwartungen und schätzen die Entwicklungen der weiteren Zukunft eher vereinfachend.3

6.48

Diese Vorgehensweise könnte eine Verzerrung impliziter Marktrisikoprämien verursachen.4 Zu optimistische Analystenprognosen für künftige Unternehmensgewinne resultieren bei der Überleitung auf den Börsenwert in einem höheren Diskontierungszinssatz und folglich einer entsprechend höheren Marktrisikoprämie. Vor diesem Hintergrund könnte die Marktrisikoprämie durch implizite Marktrisikoprämien tendenziell überschätzt werden. Der Überschätzung könnte durch den Ansatz einer moderaten nachhaltigen Wachstumsrate prinzipiell entgegen gewirkt werden. Im Ergebnis können bei einer sorgfältigen Auswahl der Modellpara-

6.49

1 Vgl. Metz, Der Kapitalisierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung, S. 223 f. 2 Vgl. Stehle, WPg 2004, 906 (917). 3 Dies unterscheidet sich grundsätzlich von der objektivierten Unternehmensbewertung. Der Bewerter verschafft sich einen umfassenden Einblick in das zu bewertende Unternehmen und erlangt so vertiefte Kenntnisse über die Ergebnisprognose und das damit verbundene Chancen- und Risikoprofil. Vgl. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1017). 4 Vgl. etwa Dausend/Schmitt, CFB 2011, 466 ff.

Franken/Schulte

151

§ 6 Rz. 6.49

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

meter plausible Ergebnisse bei Anwendung der Methode der impliziten Marktrisikoprämie sichergestellt werden.

6.50 Die Modelle unterstellen zudem eine nicht immer vorauszusetzende Identität von Marktkapitalisierung und Unternehmenswert (bzw. Indexwert). Weiterhin reagieren die derartig abgeleiteten Schätzungen der Marktrisikoprämie sehr sensibel auf Änderungen des Prognosemodells.1

6.51 Die zukunftsorientierten Modelle zur Schätzung der Marktrisikoprämie bzw. der Eigenkapitalkosten haben sich in der Praxis bislang noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Sie besitzen den konzeptionellen Vorteil, auf erwarteten Zahlungen und aktuellen Preisen zu basieren; es ist bislang noch nicht der Nachweis gelungen, dass diese Modelle zu besseren Ergebnissen führen, als die Ableitung von Marktrisikoprämien aus empirisch beobachtbaren Kapitalmarktdaten.2

6.52 Empirische Studien weisen eine große Bandbreite der impliziten Marktrisikoprämie auf. Bassemir/Gebhardt/Ruffing schätzen die implizite Marktrisikoprämie im Zeitraum Januar 2006 bis Februar 2011 zwischen 4,0 % und 8,5 %. Ähnliche Bandbreiten ermittelten Wagner et. al (2005–2012: 3,8 %–8,5 %) und Beumer (2008–2015: 4,4 %–9,0 %). Jäckel/Kaserer/Mülhäuser ermittelten für die Zeitspanne von 1994 bis 2011 eine Bandbreite zwischen 0,6 % und 8,0 %. Dabei ist jedoch eine deutliche Veränderung der Marktrisikoprämie im Zeitablauf festzustellen. Lag diese in der Zeit 1994 bis 2000 noch bei 1,2 %, stieg diese zwischen 2001 und 2011 auf 5,7 % an. Eigene Analysen zu impliziten Risikoprämien auf dem nationalen und dem internationalen Kapitalmarkt liefern insgesamt plausible Ergebnisse für eine Marktrisikoprämie (vor persönlichen Steuern) in einer Bandbreite von 5,1 % bis 8,5 %.3 Ursächlich für die Streuung der geschätzten Bandbreiten ist nicht zuletzt die Vielzahl von zu treffenden Annahmen bezüglich der einzelnen verwendeten Modellparameter. Diese Problematik tritt jedoch auch bei der historischen Ableitung der Marktrisikoprämie auf. 3. Vergangenheitsorientierte Ableitung der Marktrisikoprämie

6.53 In der nationalen und internationalen Bewertungspraxis wird die künftige Marktrisikoprämie noch überwiegend anhand kapitalmarkttheoretischer Modelle und historischer empirischer Daten geschätzt. Dabei dienen am Markt beobachtete bzw. empirisch gemessene Risikoprämien (Aktienrenditen abzgl. Renditen risikofreier Anleihen) für den Gesamtaktienmarkt als Ausgangspunkt der Betrachtung.4

6.54 Die Ableitung der Marktrisikoprämie aus empirisch beobachteten („historischen“) Renditen erfordert eine Reihe von Arbeitsschritten und die „Lösung“ der damit jeweils verbundenen Problemstellungen. Im Kern erfolgt die kapitalmarktgestützte Ermittlung der (erwarteten) Marktrisikoprämie, indem zunächst für das (gewählte) Marktportfolio der historische Durchschnitt der Überrendite des Marktportfolios über die risikolose Anleihe über den Beobachtungszeitraum ermittelt wird. Die dazu notwendigen Arbeitsschritte, auf die nachfolgend näher eingegangen werden soll, erfordern insbesondere Festlegungen 1 Vgl. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1017). 2 Vgl. Reese, Schätzung von Eigenkapitalkosten für die Unternehmensbewertung, S. 132 f. 3 Vgl. Bassemir/Gebhardt/Ruffing, WPg 2012, 882 (888 f.); Jäckel/Kaserer/Mülhäuser, WpG 2013, 365 (382); Wagner et. al, WpG 2013, 948 (957); sowie Beumer, CF 2015, 330 (339). 4 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 385 ff.

152

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.58 § 6

– des Marktportfolios und der risikolosen Anleihe, – der Länge des Beobachtungs-/Ermittlungszeitraums sowie der Behandlung von „Ausreißern“ und – der Art der Bildung der Durchschnittsrendite (arithmetisches vs. geometrisches Mittel) sowie Festlegung der Periodizität (Haltedauer) innerhalb des Beobachtungszeitraums. In der Bewertungspraxis wird bislang die Marktrisikoprämie in aller Regel nicht spezifisch für 6.55 jeden Bewertungsfall ermittelt. Üblich ist es vielmehr, auf Ergebnisse vorliegender Studien und auf Empfehlungen zurückzugreifen und diese – in Ausnahmefällen – durch Zu- oder Abschläge einzelfallspezifisch zu modifizieren. Der Rückgriff auf Ergebnisse vorliegender Studien und auf Empfehlungen entbindet den Bewerter jedoch nicht davon, die Angemessenheit der Empfehlung und ihre Verwendbarkeit eigenverantwortlich zu beurteilen. So fordert IDW S 1 i.d.F. 2008 ausdrücklich, dass für die Vergangenheit beobachtete Risikoprämien angepasst werden, wenn für die Zukunft andere Einflüsse erwartet werden.1 Insofern sollen die folgenden Ausführungen zur Festlegung des Marktportfolios und der risikolosen Anleihe, zur Festlegung der Länge des Ermittlungszeitraums und insbesondere zur Ermittlung der Durchschnittsrendite dazu beitragen, das Verständnis für die in den relevanten Studien gewählten Berechnungsmethoden zu fördern und dem Bewerter somit die Bildung einer eigenen Einschätzung zu erleichtern.

6.56

Unter den engen Prämissen des CAPM sind sämtliche nicht risikofreie Anlageformen Bestand- 6.57 teil des Marktportfolios.2 Dieses umfasst somit neben Kapitalmarkttiteln weitere Vermögenswerte wie z.B. Grundstücke, Gebäude, Kunstgegenstände und Humankapital. Dementsprechend wäre zur Ableitung der Marktrisikoprämie bzw. der Marktrendite ein Marktportfolio bestehend aus sämtlichen risikobehafteten Anlageklassen, jeweils gewichtet mit dem zugehörigen Anteil am Marktportfolio, zu verwenden. Da die Rendite dieses theoretisch richtigen Marktportfolios in der Praxis nicht gemessen werden kann, wird im Rahmen der empirischen Umsetzung des CAPM auf die Rendite eines Aktienindex zurückgegriffen.3 Welcher Aktienindex jeweils sachgerecht ist, hängt primär vom Anlageverhalten des Investors (Bewertungssubjekt) ab.4 IDW S 1 i.d.F. 2008 sieht vor, dass der objektivierte Unternehmenswert bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewertungsanlässen aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner ermittelt wird.5 Für die Verwendung lokaler Aktienindizes (CDAX oder DAX) könnte insbesondere die als „Home Bias“ bezeichnete Neigung vor allem privater Anleger sprechen, vorwiegend in nationale

1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 91 ff.; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 387. 2 Vgl. Rebien, Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung, S. 86. 3 Vgl. Metz, Der Kapitalisierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung, S. 212 f. Sowohl theoretisch als auch empirisch wird Aktienindizes die höchste Korrelation zu dem theoretisch richtigen Konstrukt des Marktportfolios zugeschrieben. Vgl. Rebien, Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung, S. 86. 4 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 31; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 404. 5 So IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 31; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 396.

Franken/Schulte

153

6.58

§ 6 Rz. 6.58

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Wertpapiere zu investieren.1 In diesem Zusammenhang böte es sich für die Bewertung von inländischen Unternehmen an, auf einen breiten lokalen deutschen Aktienindex wie z.B. den CDAX abzustellen, der aktuell ein Portfolio von rund 600 Unternehmen umfasst. Auch der DAX könnte eine sachgerechte Näherung des Marktportfolios in Deutschland darstellen, da dessen Entwicklung maßgeblichen Einfluss auf das Anlegerverhalten hat und mögliche relevante Kursbeeinflussungen, wie sie z.B. bei Marktenge nicht auszuschließen sind, nicht in Betracht kommen.2 Bei fortschreitender Globalisierung und stärkerer Vernetzung der internationalen Finanzbeziehungen kann das in der Vergangenheit beobachtbare Verhalten der Anleger („Home Bias“) aber nicht unreflektiert dauerhaft unterstellt werden. Folglich sollte anstelle eines nationalen Aktienindex (z.B. CDAX) auf einen breiter gefassten (zumindest europäischen) Aktienindex abgestellt werden.

6.59 Somit wäre regelmäßig die Verwendung weltweiter oder international breit gefasster Aktienindizes sachgerecht.3 Diese stellen im Vergleich zu den nationalen oder regionalen Indizes eine bessere Näherung an das aus Anlegersicht relevante Marktportfolio dar, wie es dem CAPM zugrunde liegt. Zumindest für Plausibilitätsüberlegungen sollten im konkreten Bewertungsfall neben lokalen, deutschen Aktienindizes auch breiter gefasste Indizes zur Berechnung der Marktrisikoprämie herangezogen werden.

6.60 Neben der Marktrendite stellt die Rendite einer risikolosen Anleihe die zweite Komponente für die Ableitung der Marktrisikoprämie dar. Die Ermittlung der Rendite einer risikolosen Anleihe kann aber nicht losgelöst von der Ermittlung der Marktrendite erfolgen. So sollten sich Marktrendite und Rendite der risikolosen Anleihe bspw. hinsichtlich des Anlagehorizonts entsprechen.4 Bei der konkreten Festlegung der risikolosen Anleihe kann z.B. direkt auf einzelne Staatsanleihen, auf Rentenindizes (z.B. den Rex Performance-Index in Deutschland) oder auf Basiszinsberechnungen der Zentralbanken zurückgegriffen werden.5

6.61 Hinsichtlich der Festlegung der Länge des Ermittlungszeitraums sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen: – Für einen eher kurzen Ermittlungszeitraum spricht die Überlegung, dass damit aktuelle Markteinschätzungen in die Bestimmung einfließen und diese aktuellen Einschätzungen möglicherweise besonders prognosegeeignet sind. – Für einen eher langen Ermittlungszeitraum spricht, dass eine Mindestmenge an beobachteten Marktrenditen berücksichtigt werden sollte, um einen repräsentativen Durchschnitt ableiten zu können. Der Einfluss einzelner Werte wird durch eine größere Anzahl an Beobachtungen tendenziell begrenzt. Die Ausweitung des Erhebungszeitraums führt allerdings (auch) dazu, dass weiter zurückliegende und folglich nicht mehr für die Zukunft repräsentative Größen einfließen.

1 Vgl. Albrecht, Asset Allocation und Zeithorizont, S. 10. 2 Vgl. Rebien, Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung, S. 87. 3 Streng genommen dürften bei Verwendung einer aus nationalen Kapitalmarktdaten abgeleiteten Marktrisikoprämie im Rahmen der Ableitung von Betafaktoren auch nur nationale Unternehmen in eine Peer Group aufgenommen werden. 4 Vgl. hierzu exemplarisch Pratt/Grabowski, Cost of Capital, S. 114–115 f. 5 Vgl. bezüglich der Festlegung der risikolosen Anleihe auch Knoll/Wenger, BewertungsPraktiker Nr. 3/2011, 18.

154

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.64 § 6

Der Einfluss von „Ausreißern“ im Sinne von für die Zukunft nicht repräsentativen Ereignissen ist differenziert zu betrachten. Es sind zumindest drei Fälle zu unterscheiden: – Ausreißer, die innerhalb des Ermittlungszeitraums liegen und bei denen im Ermittlungszeitraum eine entsprechende Gegenbewegung erfolgt, sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Marktrendite zu analysieren. Dabei ist die zeitliche Verteilung (Dauer bzw. Synchronität) der Auf- und Abbewegungen zu berücksichtigen; ggf. sind Anpassungen des Beobachtungszeitraums vorzunehmen. – Ausreißer, die im Start- oder Endpunkt des Beobachtungszeitraums liegen, sind zu eliminieren. – Ausreißer (Struktureffekte), die zu einer Niveauverschiebung der Marktrendite führen, ohne dass voraussichtlich eine entsprechende Gegenbewegung erfolgt; in diesem Fall ist zu analysieren, ob der Beobachtungszeitraum auf die Zeit nach Eintritt der Strukturverschiebung begrenzt wird. Es gibt daher jeweils Argumente, die für einen kürzeren bzw. einen längeren Zeitraum zur Ab- 6.62 leitung der Marktrisikoprämie sprechen. Da die Länge des Ermittlungszeitraums die Höhe der Marktrisikoprämie in hohem Maße beeinflusst, hat diese Diskussion auch praktische Relevanz. Die zahlreichen empirischen Studien zur Bestimmung von historischen Marktrisikoprämien unterscheiden sich deutlich hinsichtlich der Länge des gewählten Ermittlungszeitraums, was ein Grund für Unterschiede in der gemessenen Marktrisikoprämie darstellt. Spezifisch für die Ableitung der historischen Marktrisikoprämie ist weiterhin die Notwendigkeit, die für die einzelnen Abschnitte (Haltedauern) des Beobachtungszeitraums ermittelten Renditen zu einer „Durchschnittsrendite“ zusammenzufassen. Technisch erfolgt dabei ein Rückgriff auf das arithmetische oder auf das geometrische Mittel1 der über die einzelnen Abschnitte des Beobachtungszeitraums ermittelten Renditen.2 Inhaltlich hat die Bildung der Durchschnittsrendite so zu erfolgen, dass der ermittelte Durchschnittswert einen guten „Schätzer“ der zukünftig erwarteten Rendite des Marktportfolios bildet.

6.63

Die Diskussion der Frage, auf welche Weise die durchschnittlichen Renditen zu bestimmen sind, ist aktuell als noch nicht abgeschlossen zu betrachten. Nach derzeitigem Stand erfährt die Verwendung des arithmetischen Mittels eine tendenziell größere Unterstützung.3 In diesem Zusammenhang hat die Annahme über den Anlagehorizont des Investors eine hohe Relevanz. Als Anlagezeitraum ist dabei die Periodenlänge zu verstehen, für die die Markrisikoprämie berechnet wird. Dabei wird häufig die Marktrisikoprämie auf jährlicher Basis ermittelt. Bei Verwendung längerer Anlagehorizonte als von einem Jahr nähert sich das arithmetische dem (geringeren) geometrischen Mittel an. Somit besteht auch hinsichtlich des anzunehmenden Anlagehorizonts weiterer Forschungsbedarf.

6.64

1 Das arithmetische Mittel („durchschnittliches Alter einer Schulklasse“), auch Durchschnitt genannt, erhält man, indem man eine Summe durch die Anzahl der Ausprägungen teilt. Bei einem geometrischen Mittel („Durchschnittliche Rendite der letzten Jahre auf Basis einer Zinseszinsrechnung“) wird die n-te Wurzel eines Produkts berechnet, wobei n die Anzahl der Ausprägungen darstellt. 2 Vgl. Reese, Schätzung von Eigenkapitalkosten für die Unternehmensbewertung, S. 34; Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1018) sowie Rebien, Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung, S. 89 ff. 3 Vgl. Pratt/Grabowski, Cost of Capital, S. 144 m.w.N.; Stehle, WPg 2004, 906 (910) sowie Metz, Der Kapitalisierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung, S. 217.

Franken/Schulte

155

§ 6 Rz. 6.65

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.65 Die Bewertungspraxis orientiert sich bei objektivierten Unternehmensbewertungen in erster Linie an den Verlautbarungen des FAUB des IDW. In den letzten Jahren hat sich der FAUB des IDW mehrfach zur Festlegung der Marktrisikoprämie geäußert. Nachfolgend wird hierüber ein kurzer chronologischer Überblick gegeben: – Für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2009 empfiehlt der FAUB, die Marktrisikoprämie vor persönlichen Steuern in einer Bandbreite von 4,50 % bis 5,50 % und die Marktrisikoprämie nach persönlichen Steuern in einer Bandbreite von 4 % bis 5 % zu schätzen. – Vor dem Hintergrund veränderter Kapitalmarktgegebenheiten hat sich der FAUB in Bezug auf die Marktrisikoprämie am 10.1.2012 zunächst wie folgt geäußert: „Im Zusammenhang mit der derzeit beobachtbaren erhöhten Unsicherheit am Kapitalmarkt und der damit zum Ausdruck kommenden gestiegenen Risikoaversion empfiehlt der FAUB, bei Unternehmensbewertungen zu prüfen, ob dieser Situation mit dem Ansatz der Marktrisikoprämie am oberen Rand der empfohlenen Bandbreiten […] von 4,5 % bis 5,5 % (vor persönlicher Ertragsteuer) bzw. von 4,0 % bis 5,0 % (nach persönlicher Ertragsteuer) Rechnung zu tragen ist. Dies gilt grundsätzlich für alle Bewertungsanlässe, jedoch können abhängig von der Situation des einzelnen Bewertungsfalls im Rahmen der eigenverantwortlichen Beurteilung durch den Bewerter weitergehende Überlegungen angezeigt sein.“ – Am 19.9.2012 kam der FAUB nach weiteren Analysen zu nachfolgendem Ergebnis: „Der FAUB hält es für sachgerecht, sich derzeit bei der Bemessung der Marktrisikoprämien an einer Bandbreite von 5,5 % bis 7 % (vor persönlichen Steuern) bzw. 5 % bis 6 % (nach persönlichen Steuern) zu orientieren.“1 In diesem Zusammenhang weist der FAUB zudem darauf hin, dass er „die Einflussfaktoren zur Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes weiterhin regelmäßig in seinen Sitzungen analysieren und bei Veränderungen die Empfehlungen entsprechend aktualisieren“2 werde.

6.66 Der Empfehlung des FAUB zur Anpassung der Marktrisikoprämie im derzeitigen Niedrigzinsumfeld liegt die Annahme zugrunde, wonach der Basiszinssatz und die Marktrisikoprämie eine negative Korrelation aufweisen. Unter der These – auch in Krisenzeiten – im Zeitverlauf konstanter (Real-)Renditeforderungen von Investoren resultiert bei einem rückläufigen Basiszinssatz c.p. eine höhere Marktrisikoprämie und vice versa. Empirisch lässt sich die gegenläufige Entwicklung von Basiszinssatz und Marktrisikoprämie im Zeitablauf beobachten, ebenso wie ein Anstieg der (impliziten) Marktrisikoprämie während der Finanzkrise in Deutschland.3 1 FAUB (Hrsg.), Hinweise des FAUB zur Berücksichtigung der Finanzmarktkrise bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in der Unternehmensbewertung, S. 1. 2 FAUB (Hrsg.), Hinweise des FAUB zur Berücksichtigung der Finanzmarktkrise bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in der Unternehmensbewertung, S. 1. 3 Vgl. zu dieser Thematik u.a. Zeidler/Tschöpel/Betram, BewertungsPraktiker Nr. 1/2012, 2 (9); Bassemir et. al beobachten einen Anstieg der impliziten Marktrisikoprämie ab Januar 2008 und somit schon vor dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise im September 2008. Bassemir/Gebhart/Ruffing, WPg 2012, 882 (889); Gemäß Jäckel et. al lag die Marktrisikoprämie in Deutschland in der Zeit von 1994 bis 2000 bei 1,2 %. Für den Zeitraum von 2001 bis 2011 wurde eine Marktrisikoprämie von 5,7 % ermittelt. Ein ähnlicher Effekt wurde in allen anderen europäischen Ländern beobachtet. Vgl. Jäckel/Kaserer/Mülhäuser, WpG 2013, 365 (382). Vgl. Wagner et. al, WPg 2013, 948 (957); Vgl. Bertram/Castedello/Tschöpel, CF 2015, 468 (472 f.). Auch die Deutsche Bundesbank ermittelt implizite Marktrisikoprämien. Auf Basis der Daten der Deutschen Bundesbank ergibt sich ein Anstieg der impliziten Marktrisikoprämie nach der Finanzkrise von 2007. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2016, S. 15-30. Für neuere Analysen (ohne direkten Bezug zur Finanzkrise) s. u.a. Berg/Heigermoser/Kaserer/Kittlauss/Willershausen, CF 2017, 158. Ein Absinken

156

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.69 § 6

Neben der Risikoprämie an und für sich ist auch die Risikopräferenz/-aversion der Marktteilnehmer Veränderungsprozessen unterlegen. Insofern variiert auch die Bepreisung des Risikos zeitlich, was auf verhaltenswissenschaftliche Muster zurückzuführen ist.1 Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion und dem entsprechenden Methodenstreit ist ein besonderes Augenmerk auf die Methodik zur Ermittlung der Marktrisikoprämie zu legen. Wie Marktrenditen im Einzelnen zu ermitteln sind und welche Zeiträume zugrunde gelegt werden sollten, ist noch nicht abschließend erörtert. In Folge dessen ist zu prüfen, inwiefern eine Konvergenz in diesem Methodenstreit zu erwarten ist.

6.67

Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung der Bandbreiten der Marktrisikoprämie (Ober- und Untergrenze, vor persönlichen Steuern) sowie des gerundeten Basiszinssatzes seit dem 1.1.2002.

6.68

Entwicklung des Basiszinssatzes / der Marktrisikoprämie

Ø 90 Tage (gerundet)

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17

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16

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01

01

1.

02

7,50 % 7,00 % 6,50 % 6,00 % 5,50 % 5,00 % 4,50 % 4,00 % 3,50 % 3,00 % 2,50 % 2,00 % 1,50 % 1,00 % 0,50 % 0,00 %

MRP v.St. (Obergrenze)

4. Die Marktrisikoprämie in der Rechtsprechung Die auch vom IDW S 1 i.d.F. 2008 vorgesehene Verwendung des CAPM bzw. Tax-CAPM zur Bestimmung des Risikozuschlags wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte durchgängig akzeptiert. Diskrepanzen in der Auffassung bestehen hingegeben insbesondere hinsichtlich der Höhe der Marktrisikoprämie bzw. deren Ermittlung.

der impliziten Gesamtmarktrenditen in der D-A-CH-Region konstatieren im Zeitraum 2012 bis 2017 Büchelhofer und Swoboda-Brachvogel, vgl. Büchelhofer/Swoboda-Brachvogel, M&A Review Nr. 3/2018, 90 (96). 1 Vgl. Campell/Cochrane, Journal of Political Economy 1999, 205-251.

Franken/Schulte

157

6.69

§ 6 Rz. 6.70

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.70 Die Anerkennung der Ermittlung des Risikozuschlags auf Grundlage des (Tax-)CAPM ist mittlerweile eine gängige Praxis der Rechtsprechung.1 Das OLG Stuttgart betont in einer Entscheidung vom 4.5.2011, dass das CAPM methodisch für die Bemessung des Risikozuschlags geeignet sei.2 Das OLG Frankfurt weist in diesem Zusammenhang in einem Beschluss vom 29.3.2011 ausdrücklich darauf hin, dass das (Tax-)CAPM in der Rechtsprechung durchgängig anerkannt ist, um den Risikozuschlag zu bestimmen.3 Auch das OLG München sieht im (Tax-)CAPM ein in Rechtsprechung und Praxis anerkanntes Verfahren.4 Einschränkend verweist das LG München I in einem Beschluss vom 8.2.2017, dass es eine alleinige Maßgeblichkeit des (Tax-)CAPM zur Ermittlung des Risikozuschlags nicht erkennen kann. Aufgrund der Vielzahl zu treffender Annahmen, erreiche das CAPM nur eine „scheinbare Genauigkeit“ und biete demnach keine „exakte Bemessung des für die Investition in das konkrete Unternehmen angemessenen Risikozuschlags.“ Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, inwieweit das CAPM anderen Methoden zur Ermittlung des Risikozuschlags „eindeutig überlegen wäre.“ Allerdings können „unter Anwendung des CAPM gewonnene Daten als eines der Elemente für die Schätzung des Risikozuschlags herangezogen werden.“5

6.71 Im Rahmen der Ableitung der Marktrisikoprämie wurde sich mehrfach zur Länge des empirischen Erhebungszeitraums gerichtlich geäußert, wobei von den Gerichten tendenziell längere Erhebungszeiträume präferiert werden. So äußert das OLG Frankfurt, dass bei der Ermittlung der historischen Marktrisikoprämie der Erhebungszeitraum „möglichst umfangreich“ gewählt werden sollte, da „von einer weitgehenden Konstanz der Prämie im Zeitablauf ausgegangen wird“, und erachtet den im zu entscheidenden Fall gewählten Zeitraum von 50 Jahren für zu kurz.6 Das OLG Düsseldorf vertritt hingegen die Auffassung, dass „die am Markt beobachteten Marktrisikoprämien in den letzten Jahrzehnten gesunken sind.“ Insofern könnten Studien, „die bis in die 50-iger Jahre des letzten und sogar in die 70-iger Jahre des vorletzten Jahrhunderts zurückreichen, für die Einschätzung der Marktrisikoprämie allenfalls von untergeordneter Bedeutung sein.“7

6.72 Hinsichtlich der Höhe der Marktrisikoprämie hält das OLG Stuttgart in einem Beschluss vom 4.5.2011 fest, dass eine empirisch genaue Festlegung der Marktrisikoprämie nicht möglich sei und entsprechende Studien insofern lediglich als Schätzgrundlage i.S.v. § 287 Abs. 2 ZPO dienen.8 Das OLG Düsseldorf weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die Empfehlungen des IDW nicht die Qualität einer Rechtsnorm haben, sondern anerkannte, aber

1 Vgl. u.a. OLG Stuttgart v. 1.4.2017 – 20 W 4/13, juris; OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2017 – 21 W 34/12, AG 2015, 241; OLG Frankfurt a.M. v. 15.10.2014 – 21 W 64/13, AG 2015, 205; OLG Frankfurt a.M. v. 5.2.2016 – 21 W 69/14, juris; OLG Frankfurt a.M. v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832; OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, DB 2017, 713; OLG Düsseldorf v. 28.8.2017 – I-26 W 9/12 (AktE), juris; OLG Düsseldorf – I-26 W 9/14 (AktE), M&A Review 2017, 452; OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, juris; OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, BB 2017, 1583; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, DB 2017, 2405. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560. 3 Vgl. OLG Frankfurt v. 29.3.2011 – 21 W 12/11, AG 2011, 629. 4 Vgl. OLG München v. 18.2.2014 – 31 Wx 211/13, AG 2014, 453. 5 Vgl. LG München v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15, BB 2018, 1579; LG München v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501. 6 Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504. 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817. 8 Vgl. OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560.

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Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.74 § 6

nicht unumstrittene Expertenauffassung seien. Entsprechend sei die Marktrisikoprämie letztlich im Wege der richterlichen Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO festzusetzen.1 Das Fehlen einheitlicher Grundsätze zur Ermittlung der Marktrisikoprämie setzt sich in der Rechtsprechung tendenziell fort und führt zu uneinheitlichen Festlegungen der Höhe der Marktrisikoprämie. So konstatiert das OLG Stuttgart weiterhin, dass die wissenschaftliche Diskussion zur Marktrisikoprämie nicht abgeschlossen sei. Die Heranziehung einer Marktrisikoprämie innerhalb gängiger Bandbreiten sei im Ergebnis sachgerecht.2 Das OLG Frankfurt führt aus, dass es sich bei der „Marktrisikoprämie zwingend um einen geschätzten Wert handelt, der einer exakten wissenschaftlichen Überprüfung nicht zugänglich ist.“ Aus diesem Grund sieht das Gericht keine Veranlassung, von einem vom IDW empfohlenen Wert der Marktrisikoprämie abzuweichen.3 Auch das OLG Düsseldorf hält die Höhe der Marktrisikoprämie in der Wirtschaftswissenschaft weiterhin für sehr umstritten und stellt fest: „eine allgemein anerkannte Höhe hat sich bislang nicht herausgebildet; eine empirisch genaue Festlegung der Marktrisikoprämie ist nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht möglich.“4 Ähnlich äußert sich das OLG Karlsruhe. Demnach könne von einer „nach einheitlichen Grundsätzen abzuleitenden Marktrisikoprämie nicht die Rede sein […]. Dies ist unvermeidliche Folge des Umstands, dass einerseits der Gesetzgeber auf nähere Vorgaben […] verzichtet hat und andererseits in der Wirtschaftswissenschaft ein allgemeiner Konsens über die Ermittlung einer Marktrisikoprämie bisher nicht zustande gekommen ist.“5 Auch das OLG Frankfurt erachtet die Marktrisikoprämie für eine „mit Unsicherheit behaftete Größe, die keiner endgültigen Klärung zugeführt werden kann.“6 Kritischer äußert sich das LG Düsseldorf: „Aufgrund dieser damit „fast als Willkür“ zu bezeichnenden Festlegung einer Marktrisikoprämie für die Vergangenheit will die Wirtschaftswissenschaft sodann – prüfbar und nachvollziehbar – mit hoher Wahrscheinlichkeit – und in mit hoher Wahrscheinlichkeit sicheren Kenntnis hinsichtlich der künftige Entwicklung über mehr als 30 Jahre – die zu erwartende Überrendite von Aktien festlegen. Mit dieser aber nur scheinbaren wissenschaftlichen Grundlage aus der Analyse der Vergangenheit könnte man für die auf reinen Schätzungen beruhenden Festlegung der Überrendite für die Zukunft fast auch Lose ziehen oder würfeln, der Grad von Wahrscheinlichkeit einen auch nur annährend richtigen Wert zu finden dürfte in der gleichen Größenordnung liegen wie bei der Berücksichtigung der Vergangenheitsanalyse.“7

6.73

Jedenfalls ist bei der Ermittlung der Marktrisikoprämie in der Rechtsprechung eine gewisse 6.74 Methodenoffenheit zu erkennen. So hält es das OLG Frankfurt in einer Entscheidung vom 29.3.2011 für nicht abschließend geklärt, ob die Marktrisikoprämie auf Basis des arithmetischen oder des geometrischen Mittelwerts zu berechnen sei.8 Das OLG Stuttgart vertritt in einer Entscheidung vom 4.5.2011 grundsätzlich dieselbe Auffassung.9 Dabei sei dies zumindest insofern unproblematisch, als dass das OLG auf Basis der als relevant erachteten Band-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797. Vgl. OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, AG 2015, 580. Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504. Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584. Vgl. OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672. Vgl. OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832. Vgl. LG Düsseldorf v. 14.10.2016 – 33 O 72/10, JurionRS 2016, 33335. Vgl. OLG Frankfurt v. 29.3.2011 – 21 W 12/11, AG 2011, 629. Vgl. OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560.

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§ 6 Rz. 6.74

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

breiten die Marktrisikoprämie im Wege der richterlichen Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO als sachgerecht erachte. Auch das KG Berlin hielt in einer Entscheidung vom 19.5.2011 fest, dass kein Konsens darüber herrsche, ob der arithmetische oder der geometrische Mittelwert zu verwenden sei.1 Das OLG Frankfurt kommt in seiner Entscheidung vom 5.3.2012 zum selben Schluss und erachtet es vor diesem Hintergrund als sachgerecht, beide Verfahren der Mittelwertbildung zu berücksichtigen.2 Letztere Auffassung wird auch vom OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 4.7.2012 vertreten.3 Das OLG Düsseldorf beanstandet die, in der Rechtsprechung weitestgehend akzeptierte, Ermittlung der Marktrisikoprämie auf Grundlage eines Mittelwertes aus arithmetischem und geometrischem Mittel auch weiterhin nicht, „solange die Frage noch nicht abschließend betriebswirtschaftlich geklärt“ sei.4 Das OLG Karlsruhe spricht sich jedoch unter mehreren zulässigen Schätzmethoden für die Anwendung der arithmetischen Mittelung aus; so wird das geometrische Mittel „wegen statistischer Anfälligkeit“ für weniger geeignet gehalten.5 Auch weil in der Wissenschaft bislang ein „allgemeiner Konsens über die Ermittlung einer Marktrisikoprämie“ nicht zustande gekommen ist, lehnte das OLG Karlsruhe in einem Fall die Einholung eines weiteren Gutachtens ab. „Ein weiterer Sachverständiger wäre daher nicht in der Lage, diejenigen Fragen abschließend und zweifelsfrei zu klären, die seit Jahren Gegenstand einer bislang nicht abgeschlossenen intensiven Auseinandersetzung innerhalb der Wirtschaftswissenschaft sind.“6 Diese Methodenoffenheit ist insofern auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt worden. So äußerte der BGH, dass die Heranziehung des arithmetischen und geometrischen Mittelwerts aller zu berücksichtigenden Einzelwerte und die Bildung des (arithmetischen) Mittelwerts aus diesen beiden Werten rechtsfehlerfrei sei. Auch wenn eine Methode mehrheitlich zur Anwendung komme, ist nach Auffassung des BGH die alleinige Anwendung dieser Methode weder geboten noch sachgerecht. Insofern könne auch ein Mittelwert der am „besten geeignet[e]“ Wert sein.7

6.75 Methodische Kritik an der vergangenheitsorientierten Ermittlung der Marktrisikoprämie übt das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 4.7.2012.8 Das OLG Düsseldorf macht hierzu allgemeine konzeptionelle Bedenken gegen empirische Studien geltend, die die Ableitung von Marktrisikoprämien auf Basis historischer Daten zum Gegenstand haben. Entsprechende konzeptionelle Bedenken hatte bereits das OLG Frankfurt in einer Entscheidung vom 20.12.2011 geäußert.9

6.76 Im Ergebnis werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Marktrisikoprämien akzeptiert. Das OLG Stuttgart sieht in einer Entscheidung vom 4.5.2011 die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden empirischen Studien nicht als Anlass an, eine Marktrisikoprämie im Tax-CAPM i.H.v. 5,5 % zu revidieren.10 Auch das OLG Frankfurt erachtete trotz des Vorliegens von Studien, die eine niedrigere Risikoprämie ausweisen, eine Marktrisikoprämie im Tax-CAPM i.H.v. 5,5 % für sachgerecht.11 Andererseits wies das KG Berlin in einer Entschei1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. KG Berlin v. 19.5.2011 – 2 W 154/08, AG 2011, 627. Vgl. OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417. Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797. Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817. Vgl. OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220. Vgl. OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220. Vgl. BGH Kartellsenat v. 27.1.2015 – EnVR 42/13, juris. Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797. Vgl. OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11, AG 2012, 330. Vgl. OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560. Vgl. OLG Frankfurt v. 29.3.2011 – 21 W 12/11, AG 2011, 629.

160

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.77 § 6

dung vom 19.5.2011 eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des LG Berlins zurück,1 in der eine Marktrisikoprämie i.H.v. 3,0 % angesetzt wurde. Das OLG München weist in einer Entscheidung vom 18.2.2014 in Bezug auf die Sachgerechtigkeit einer Marktrisikoprämie nach Steuern i.H.v. 4,5 % auf § 203 Abs. 1 BewG hin,2 in dem der Risikozuschlag für das vereinfachte Ertragswertverfahren kodifiziert ist. Dem dort verwendeten Risikozuschlag i.H.v. 4,5 % komme insofern eine argumentative Stützfunktion zu, als dass dieser eine gewisse Wertung des Gesetzgebers für einen im Regelfall angemessenen Zuschlag zum Ausdruck bringe. In der Praxis wird bei der Schätzung der Marktrisikoprämie regelmäßig Rückgriff auf Expertenverlautbarungen genommen. Das OLG Frankfurt äußert in diesem Kontext, wonach eine Risikoprämie die sich „an den Vorgaben des IDW für den maßgeblichen Zeitraum orientiert, regelmäßig eine geeignete Grundlage für die Schätzung des Unternehmenswertes darstellt und als solche keiner Korrektur seitens des erkennenden Gerichts zuzuführen ist.“3 Da sich eine „allgemein anerkannte Höhe der Marktrisikoprämie bislang nicht herausgebildet hat und aufgrund der uneinheitlichen wissenschaftlichen Vorgehensweise die Prämie nur im Wege der Schätzung […] zu ermitteln ist […], ist es im Regelfall angemessen, einer Empfehlung des Fachausschusses für Unternehmensbewertung zu folgen und die Marktrisikoprämie innerhalb des dort vorgeschlagenen Bereichs festzusetzen.“4 In einem späteren Beschluss führt das Gericht aus, dass es nicht ersichtlich sei, inwiefern „eine Nichtbeachtung der Empfehlung des FAUB zu ‚richtigeren‘ Unternehmenswerten führen würde.“ Die Berücksichtigung der Empfehlung des FAUB als sachverständiges Gremium sei, auch vor dem Hintergrund der Anpassung der Marktrisikoprämie im Zuge der Finanzkrise, angemessen.5 Zurückhaltender äußert sich das OLG Zweibrücken. Demnach handelt es sich bei der Marktrisikoprämie um eine „nicht zweifelsfrei ermittelbare[n] Größe“, „wenn […] der Verband der Wirtschaftsprüfer und damit der maßgeblichen Experten auf dem fraglichen Gebiet einen Bandbreitenwert bekannt gibt, der möglicherweise diskussionswürdig, aber zumindest nicht abwegig erscheint“, könne die Ermittlung als fachlich vertretbar anzusehen sein.6 Eine am unteren Ende der IDW-Bandbreite festgelegte Marktrisikoprämie nach Steuern i.H.v. 5 % wurde vom OLG Düsseldorf nicht beanstandet. Die festgelegte Marktrisikoprämie bewegte sich vielmehr „im Rahmen einer Schätzung zwischen einer Vielzahl unterschiedlicher Werte.“ Allgemeiner gelangt das Gericht zu dem Schluss, dass „die konkrete Höhe der Marktrisikoprämie innerhalb der Wirtschaftswissenschaften sehr umstritten“ und eine „empirisch genaue Festlegung“ nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft „nicht möglich“ sei. Im Ergebnis könne die Bestimmung der Marktrisikoprämie „stets nur eine mit Zweifeln behaftete Schätzung sein.“7 Dementgegen vertrat das LG Düsseldorf die Auffassung, wonach den Empfehlungen des FAUB zumindest nicht ohne Sachprüfung gefolgt werden könne. Begründet wird dieser Schritt damit, dass diese weder Rechtnormen darstellen noch auf wissenschaftlich gesicherten Fundamentaldaten beruhen.8

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. KG Berlin v. 19.5.2011 – 2 W 154/08, AG 2011, 627. Vgl. OLG München v. 18.2.2014 – 31 Wx 211/13, AG 2014, 453. Vgl. OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626. Vgl. OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551. Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790. Vgl. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, juris. Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – I-26 W 10/15, AG 2017, 754. Vgl. LG Düsseldorf v. 14.10.2016 – 33 O 72/10, JurionRS 2016, 33335.

Franken/Schulte

161

6.77

§ 6 Rz. 6.78

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.78 In der Rechtsprechung wurde zudem die Empfehlung des FAUB zur Anpassung der Marktrisikoprämie aufgrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise diskutiert, ohne dass sich hier eine einheitliche Rechtsprechung herausgebildet hat. So erachtet das OLG Karlsruhe die Empfehlung des FAUB zur Erhöhung der Marktrisikoprämien-Bandbreite um 1 %-Punkt für unproblematisch.1 Auch das OLG Frankfurt sieht die Befolgung der Empfehlung des FAUB „im Regelfall als angemessen“ an und hält die Festlegung der Marktrisikoprämie innerhalb des vom FAUB festgelegten Bereichs für eine „gängige Annahme der Bewertungspraxis.“2 Differenzierter äußerte sich das LG Hamburg. Die Empfehlung des FAUB zur Erhöhung der Marktrisikoprämie sei „selbstverständlich nicht rechtssetzend“ und die „Stichhaltigkeit der dafür angeführten Gründe“ seien „nicht unumstritten“ andererseits stelle die Empfehlung des FAUB „eine Expertenmeinung von mit der Unternehmensbewertung befassten Fachleuten dar, der einiges Gewicht zukommt.“3 In einem anderen Beschluss äußerte sich das Gericht skeptischer: aus Sicht der Kammer sei es „nicht recht nachvollziehbar“, dass „mit den niedrigeren Zinssätzen für sichere Anlagen eine höhere Marktrisikoprämie einhergehen müsse.“ Im Ergebnis fordert das Gericht, dass bei der „Reduzierung der Marktrisikoprämie aufgrund der Zinsentwicklung Zurückhaltung geboten sei.“4 Kritisch sieht die Anpassung dagegen das LG Dortmund. Nach Auffassung des Gerichts wäre „die Marktrisikoprämie i.H.v. 4,5 % nach persönlichen Steuern […] nur dann zu hinterfragen, wenn es sich um eine schwere und lange Wirtschaftskrise handeln sollte.“ Unter dem Verweis darauf, dass sich nicht ergäbe, inwieweit sich „die Finanzmarktkrise derartig nachhaltig und dauernd auf die bisherige Marktrisikoprämie, die das Ergebnis von Untersuchungen über einen langdauernden Zeitraum ist“ auswirke, erachtet das Gericht eine Anpassung der Marktrisikoprämie daher für nicht geboten.5 Unter Bezug auf § 203 I BewG lehnt das LG München I einen Ansatz der Marktrisikoprämie entsprechend der FAUB-Verlautbarung ebenfalls ab. Das Gericht konstatiert, dass eine Marktrisikoprämie i.H.v. 4,5 % der Wertung des Gesetzgebers entspreche, wobei dem Ansatz ein durchschnittliches Marktrisiko zugrunde liege. Insofern werde bei „einer Erhöhung der Marktrisikoprämie um einen Prozentpunkt“ die Wertung des Gesetzgebers „zu stark in den Hintergrund gedrängt.“ Das Gericht gab weiterhin zu bedenken, dass es der Empfehlung des FAUB an einer „verlässlichen empirischen Grundlage“ fehle.6

6.79 Insgesamt kann konstatiert werden, dass in der Rechtsprechung wie auch in der Bewertungspraxis kein endgültiger Konsens über die Höhe der Marktrisikoprämie auszumachen ist. Zudem ist ein Konvergenzprozess zu einer finalen Erkenntnisbildung nicht zu erkennen. So lässt etwa die geübte Kritik an der vergangenheitsorientierten Ableitung durch das OLG Düsseldorf vermuten,7 dass diesbezüglich in Zukunft noch eine Entwicklung stattfindet und weitere, neue Diskussionspunkte entstehen. Für den Praktiker können vor diesem Hintergrund entsprechende Empfehlungen als Anhaltspunkt dienen, gleichwohl sollten sie im konkreten Einzelfall einer eigenverantwortlichen, kritischen Würdigung unterzogen werden.

1 Vgl. OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220; OLG Karlsruhe 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789. Die Stützung des Sachverständigen auf die Empfehlungen des FAUB wird in beiden Beschlüssen nicht für problematisch erachtet. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551. 3 Vgl. LG Hamburg v. 15.10.2015 – 403 HKO 42/14, juris. 4 Vgl. LG Hamburg v. 29.6.2015 – 412 HKO 178/12, WPg 2016, 689. 5 Vgl. LG Dortmund v. 4.11.2015 – 18 O 52/13, juris. 6 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13, juris. 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797.

162

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.82 § 6

V. Ableitung des Betafaktors 1. Vorbemerkungen Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird zunächst ein kurzer Überblick über verschiedene Ansätze zur Ableitung des unternehmensspezifischen Betafaktors gegeben. Darauf folgt eine detaillierte Betrachtung von auf Basis historischer Kapitalmarktdaten abgeleiteten Betafaktoren. Schwerpunktmäßig wird dabei auf mögliche Freiheitsgrade bzw. Ermessensspielräume bei der Festlegung der Inputfaktoren hingewiesen, mit denen sich der Bewerter im jeweiligen Bewertungsfall auseinandersetzen muss.

6.80

2. Alternative Methoden zur Ableitung eines Betafaktors Die Ableitung von Betafaktoren anhand historischer Kapitalmarktdaten lässt sich auf die Arbeiten von Sharpe und Fama zurückführen.1 Ausgehend von den Grundgedanken der Portfoliotheorie und des CAPM erfolgt die Ermittlung des Betafaktors durch eine Regressionsanalyse, in der Zeitreihen über die in der Vergangenheit realisierten Renditen für ein bestimmtes risikobehaftetes Wertpapier gegen einen für das Marktportfolio als repräsentativ angesehenen Aktienindex regressiert werden. Der Regressionskoeffizient bildet den wertpapierspezifischen Betafaktor ab.2 Dieser kann als Einschätzung des historischen (systematischen) Risikos durch den Kapitalmarkt interpretiert werden. Das als ex-ante-Modell konzipierte CAPM wird hierbei in einer ex-post-Perspektive angewendet.

6.81

Eine alternative Vorgehensweise besteht in einer zukunftsorientierten Ableitung des Beta- 6.82 faktors. Die zukunftsorientierte Bestimmung von Betafaktoren greift unmittelbar auf das CAPM als ex-ante-Modell zurück. Spezifisch für den zukunftsorientierten Ansatz ist, dass die zur Bestimmung des Betafaktors notwendigen Eingangsparameter aus aktuellen Preisen für Optionen abgeleitet werden. Ein (ersatzweiser) Rückgriff auf historische Kursverläufe ist hier nicht notwendig. Unter Berücksichtigung der Optionspreistheorie3 kann ein theoretischer „Zusammenhang zwischen dem Marktpreis einer Option und der Höhe der Volatilität bzw. der Korrelation“4 hergestellt werden. Unter der Annahme der Gültigkeit eines bestimmten Optionspreismodells können die von den Marktteilnehmern implizit erwarteten zukünftigen Volatilitäten und zukünftigen Korrelationen ermittelt werden.5 Als Optionspreismodell wird in der Literatur vorwiegend auf das Black-Scholes-Modell verwiesen. Für die Ableitung der impliziten Volatilitäten eines einzelnen Wertpapiers ist es ausreichend, den Kapitalmarktpreis einer darauf gerichteten Option zu kennen. Die Ermittlung der impliziten Korrelation zwischen einem Wertpapier und einem Marktindex bzw. zwischen zwei Wertpapieren setzt voraus, dass der Marktpreis einer entsprechend „kombinierten“ Option bekannt ist, welche zugleich auf das Wertpapier und den Index bzw. auf beide Wertpapiere gerichtet ist. Entsprechende Optionen sind beispielsweise als Austauschoptionen und/oder Optionen auf das Minimum/Maximum von Wertpapier und Index gerichtet.6

1 2 3 4 5

Vgl. Sharpe, Portfolio Theory and Capital Markets sowie Fama, Foundations of Finance. Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 47. Vgl. ausführlich zur Optionstheorie z.B. Hull, Options, Futures, and Other Derivatives. Rausch, Unternehmensbewertung mit zukunftsorientierten Eigenkapitalkosten, S. 105. Vgl. Rausch, Unternehmensbewertung mit zukunftsorientierten Eigenkapitalkosten, S. 106 m.w.N.; vgl. ausführlich zum Black-Scholes-Modell z.B. Hull, Options, Futures, and Other Derivatives, Kapitel 14. 6 Vgl. Rausch, Unternehmensbewertung mit zukunftsorientierten Eigenkapitalkosten, S. 105.

Franken/Schulte

163

§ 6 Rz. 6.83

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.83 Die Schätzung historischer Betafaktoren anhand fundamentaler Unternehmenskennzahlen stellt insoweit eine Besonderheit dar, als das dieser Ansatz kapitalmarktorientiert ist, inhaltlich aber nicht dem Erklärungszusammenhang des CAPM folgt: Die Ableitung von Betafaktoren anhand fundamentaler Daten basiert auf der Grundidee, dass zwischen jahresabschlussbasierten Unternehmenskennzahlen und dem Risiko des entsprechenden Unternehmens – repräsentiert im Betafaktor – ein kausaler Zusammenhang besteht. Dies setzt voraus, dass „die Fundamentaldaten eines Unternehmens durch dieselben Ereignisse beeinflusst werden, die auch für die Kursbildung am Aktienmarkt bestimmend sind, und damit auch wesentliche Informationen über das Aktienkursrisiko enthalten.“1 Um diesen Zusammenhang zwischen Kennzahlen und Betafaktor zu modellieren, sind unterschiedliche Ansätze denkbar, auf die an dieser Stelle lediglich verwiesen sei.2

6.84 Gegen jeden der drei Ansätze zur Bestimmung von Betafaktoren werden somit grundlegende Einwendungen und Vorbehalte vorgetragen. Gegen die Ableitung von Betafaktoren auf Basis fundamentaler Unternehmenskennzahlen wird in der Literatur insbesondere eingewendet, dass der Zusammenhang zwischen Fundamentaldaten eines Unternehmens und dem systematischen Aktienkursrisiko für den deutschen Kapitalmarkt bisher nicht eindeutig nachgewiesen ist.3 Zudem steht eine vergangenheitsorientierte Ableitung – grundsätzlich unabhängig davon, ob sie anhand von Unternehmenskennzahlen oder anhand von Renditeverläufen erfolgt – konzeptionell der Zukunftsbezogenheit der Unternehmensbewertung entgegen.4 Bei einer vergangenheitsorientierten Vorgehensweise ist gesondert darzulegen, inwieweit eine Prognoseeignung gegeben ist bzw. inwiefern sie gefördert werden kann.

6.85 Die zukunftsorientierte Ableitung von Betafaktoren wird dem Grundsatz der Zukunftsorientierung gerecht. Ausdrücklich verweist IDW S 1 i.d.F. 2008 darauf, dass von Finanzdienstleistern auch Prognosen für Betafaktoren angeboten werden.5 Jedoch begegnet die zukunftsorientierte Ableitung praktischen Hindernissen. Insbesondere liegen Marktpreise für die zur Ableitung des Betafaktors benötigten Optionen regelmäßig nicht bzw. nur für einen kleinen Teil der börsennotierten Unternehmen vor.

6.86 Gegen die Verwendung historischer Kapitalmarktdaten (Renditeverläufe) wird entsprechend das Argument der Vergangenheitsorientierung vorgebracht. Die Übertragung historischer Betafaktoren auf zukünftige Perioden (sog. naive Prognose) unterstellt eine ausreichende Stabilität des Betafaktors.6 Ebenfalls wird kritisch angeführt, dass die Herleitung historischer Betafaktoren die Festlegung der Länge der Schätzperiode, der Länge des Renditeintervalls und des

1 Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 83. 2 Vgl. hierzu m.w.N. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 130 f. 3 Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 33. 4 Vgl. Metz, Der Kapitalisierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung, S. 205 f. Zur Betafaktorenermittlung auf der Grundlage fundamentaler Unternehmenskennzahlen liegen widersprüchliche Ergebnisse empirischer Studien zum Einfluss der Daten auf die Höhe des Betafaktors vor. Einige Studien legen einen Zusammenhang zwischen Betafaktor und Kennzahlen nahe, andere kommen zum gegenteiligen Ergebnis. 5 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 122; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 416. 6 Vgl. Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 209.

164

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.88 § 6

Vergleichsindex erfordert und empirische Studien einen signifikanten Einfluss dieser Parameter auf die Höhe des Betafaktors nahelegen.1 Unter Gesamtabwägung der hier skizzierten Vor- und Nachteile wird die Herleitung des Be- 6.87 tafaktors anhand historischer Kapitalmarktdaten als sachgerecht angesehen. Diese Vorgehensweise wird insbesondere der Anforderung des IDW S 1 i.d.F. 2008 gerecht, der eine marktgestützte Ermittlung des Risikozuschlags fordert.2 Voraussetzung für die Verwendung von in der Vergangenheit beobachteten Betafaktoren ist jedoch, dass diese ggf. angepasst werden, wenn für die Zukunft Veränderungen erwartet werden, die das systematische Risiko des zu bewertenden Unternehmens beeinflussen. Die Ableitung von Betafaktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten stellt bislang auch die in der Bewertungspraxis übliche Vorgehensweise dar, so dass sie nachfolgend detailliert dargestellt und erörtert werden soll. 3. Ableitung von Betafaktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten a) Überblick Die grundsätzliche Vorgehensweise zur Ermittlung von Betafaktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten ist in folgendem Schema zusammengefasst dargestellt: Betafaktoren – Ermittlung auf Basis historischer Kapitalmarktdaten (1) Betafaktor des Bewertungsobjekts oder einer Peer Group (2) Ermittlung historischer Raw Betafaktoren a) Referenzindex b) Beobachtungszeitraum (1) Länge Gesamtzeitraum (2) Unterteilung c) Renditeintervall (3) Belastbarkeit historischer Betafaktoren a) Liquidität der Aktie b) Statistische Filterkriterien (1) Bestimmtheitsmaß (R2) (2) t-Test (3) Standardfehler des Raw Betafaktors

1 Theoretisch sollten diese „Einstellungsparameter“ keine Auswirkung auf die Höhe des Betafaktors haben, vgl. Cohen/Hawawini/Maier/Schwartz/Whitcomb, Management Science 1983, 135 (135). Zu den Konsequenzen unterschiedlicher Festlegungen der Parameter vgl. Dörschell/Franken/Schulte/Brütting, WPg 2008, 1152 (1155 ff.). 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 92; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 393 ff.

Franken/Schulte

165

6.88

§ 6 Rz. 6.88

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

(4) Prognose künftiger Betafaktoren a) Fortschreibung historischer Raw Betafaktoren b) Adjustierung historischer Raw Betafaktoren (1) Blume/Bloomberg (2) (freie) gutachterliche Anpassung (5) Ermittlung von Un-/Relevered Betafaktoren a) Risiko der Tax Shields b) Berücksichtigung von Debt Beta

6.89 Nachfolgend werden – der oben dargestellten Struktur folgend – die durchzuführenden Schritte bei der Ableitung von Betafaktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten im Detail erläutert. b) Betafaktor des Bewertungsobjekts oder einer Peer Group

6.90 Ziel der Ermittlung von Betafaktoren im Rahmen des CAPM bzw. des Marktmodells ist es, das künftige systematische Risiko des Bewertungsobjekts – bzw. genauer, das künftige, den finanziellen Überschüssen des Bewertungsobjekts inhärente systematische Risiko – zu ermitteln. In der Praxis der Unternehmensbewertung und in der Literatur erfolgt die Ermittlung des künftigen Betafaktors i.d.R. auf Basis des historischen Betafaktors des Bewertungsobjekts oder, falls der eigene Betafaktor nicht existent oder verwendbar ist, auf Basis des (durchschnittlichen) historischen Betafaktors einer Peer Group (Gruppe von Vergleichsunternehmen).

6.91 Weder der künftige Betafaktor des Bewertungsobjekts noch der künftige (durchschnittliche) Betafaktor der Peer Group sind bekannt oder direkt berechenbar. Berechenbar sind hingegen die entsprechenden historischen Betafaktoren. Aus Regressionsanalysen ermittelte historische Betafaktoren des Bewertungsobjekts und (durchschnittliche) Betafaktoren einer Peer Group stellen Schätzwerte für das zukünftige systematische Risiko des Bewertungsobjekts bzw. für das systematische Risiko, das mit den künftigen finanziellen Überschüssen des Bewertungsobjekts verbunden ist, dar.

6.92 Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu beantworten, ob der historische Betafaktor des Bewertungsobjekts oder der (durchschnittliche) historische Betafaktor der Peer Group den künftigen Betafaktor des Bewertungsobjekts besser abbildet.1 1 Von dieser Frage zu trennen ist die Frage, ob für die Bewertung grundsätzlich der künftige (durchschnittliche) Betafaktor der Peer Group statt des künftigen Betafaktors des Bewertungsobjekts verwendet werden sollte. Teilweise wird in der Bewertungspraxis die Meinung vertreten, dass allein die Verwendung des zukünftigen Betafaktors der Peer Group dem Grundsatz „Bewerten heißt vergleichen“ gerecht wird. Die Alternativanlage muss indes so gewählt werden, dass sie das künftige Risiko des Bewertungsobjekts bestmöglich repräsentiert (Einhaltung der Äquivalenzprinzipien). Konzeptionell nicht sachgerecht ist es daher, den Kapitalisierungszinssatz grundsätzlich so zu bestimmen, dass er das (durchschnittliche) künftige Risiko der Peer Group-Unternehmen erfasst. Im Folgenden wird deshalb allein die Frage untersucht, ob der historische Betafaktor des Bewertungsobjekts oder der (durchschnittliche) historische Betafaktor der Peer Group den künftigen Betafaktor des Bewertungsobjekts besser abbildet.

166

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.96 § 6

Das folgende Schema zeigt die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Prüfung, ob der eigene Betafaktor oder ob ein Peer Group-Betafaktor herangezogen werden kann:

6.93

Die Ableitung des künftigen systematischen Risikos des Bewertungsobjekts auf Basis des eigenen historischen Betafaktors des Bewertungsobjekts selbst ist immer dann vorzunehmen, wenn der historische Betafaktor des Bewertungsobjekts verlässlich ermittelt und seine zeitliche Stabilität erwartet werden kann (Vergleichbarkeitsniveau I).

6.94

Auf die Ableitung des künftigen systematischen Risikos des Bewertungsobjekts auf Basis des (durchschnittlichen) historischen Betafaktors einer Peer Group sollte nur dann zurückgegriffen werden,

6.95

– wenn der historische Betafaktor des Bewertungsobjekts nicht verlässlich ermittelt werden kann oder – wenn erwartet wird, dass der künftige Betafaktor des Bewertungsobjekts dem künftigen durchschnittlichen Betafaktor einer Peer Group entspricht und dieser über die durchschnittlichen historischen Betafaktoren der Peer Group – mit oder ohne Adjustierung – verlässlich ermittelt werden kann. Für den Fall, dass der „eigene“ Betafaktor des Bewertungsobjekts nicht verlässlich ermittelt 6.96 werden kann, stellt sich die Frage, ob belastbare Betafaktoren für unmittelbar vergleichbare Unternehmen existieren. Dies sind Unternehmen, die hinsichtlich des Geschäftsmodells, der spezifischen Produktsegmente bzw. des Diversifikationsgrads und der Produktart, hinsichtlich der regionalen Abdeckung und ggf. auch hinsichtlich der Größe (Umsatz/Gewinn/Mitarbeiter) mit dem zu bewertenden Unternehmen vergleichbar sind (Vergleichbarkeitsniveau II). Theoretisch lässt sich ein Größen- oder Size-Effekt, d.h. eine Abhängigkeit systematischer Risiken von der Unternehmensgröße, nicht begründen. Die Empirie zeigt hier kein einheitliches

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§ 6 Rz. 6.96

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Bild.1 Besteht eine Peer Group ausschließlich aus (mehreren) unmittelbar vergleichbaren Unternehmen (Vergleichbarkeitsniveau II), bietet es sich allerdings an, die Größe dieser Unternehmen als ergänzendes Kriterium heranzuziehen und zu analysieren, ob sich die beobachteten Betafaktoren bzw. die daraus abgeleiteten Unlevered Betafaktoren wesentlich unterscheiden. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Unternehmen ist vielmehr entscheidend, ob sich die einzelnen Unternehmen etwa hinsichtlich der Absatzmärkte unterscheiden und ob diese Unterschiede auch abweichende systematische Risiken nach sich ziehen.2

6.97 Sofern keine Unternehmen auf Basis des Vergleichbarkeitsniveaus II herangezogen werden können, ist auf eine abgeschwächte Form der Vergleichbarkeit abzustellen. In diesem Fall sollten die betreffenden Unternehmen zumindest im Hinblick auf die Branche bzw. die Produktart und die Beschaffungsmärkte vergleichbar sein (Vergleichbarkeitsniveau III).

6.98 Sofern auch dieses Vergleichbarkeitsniveau nicht erreicht werden kann, sind Unternehmen heranzuziehen, die neben einem vergleichbaren Beschaffungsmarkt zumindest einer ähnlichen konjunkturellen Abhängigkeit ausgesetzt sind (vergleichbare Risikotreiber; Vergleichbarkeitsniveau IV). Durchschnittliche Betafaktoren einer (Sub-)Branche (Vergleichbarkeitsniveau III) sind nur dann Betafaktoren von Unternehmen mit vergleichbaren Risikotreibern (Vergleichbarkeitsniveau IV) vorzuziehen, wenn die Risikotreiber dieser Branchenunternehmen den Risikotreibern des Bewertungsobjekts näher kommen als die Risikotreiber von Unternehmen außerhalb der Branche (Vergleichbarkeitsniveau IV). Dabei sind Unternehmen heranzuziehen, die neben einem vergleichbaren Beschaffungsmarkt zumindest einer ähnlichen konjunkturellen Abhängigkeit ausgesetzt sind.

6.99 Sind auch auf dieser Basis keine vergleichbaren Unternehmen zu identifizieren, verbleibt allein die Möglichkeit, auf den (unverschuldeten) Betafaktor des Marktes zurückzugreifen (Vergleichbarkeitsniveau V).

6.100 Folgendes Beispiel soll die dargestellte Vorgehensweise verdeutlichen: Bewertungsobjekt soll ein nicht börsennotierter Hersteller von Wasserhähnen sein, so dass aufgrund der fehlenden Börsennotierung dieses Unternehmens der eigene Betafaktor (Vergleichbarkeitsniveau I) nicht herangezogen werden kann. Unmittelbar vergleichbare börsennotierte Unternehmen (Vergleichbarkeitsniveau II), die Wasserhähne herstellen, werden annahmegemäß nicht gefunden. Daher ist in einem nächsten Schritt zu hinterfragen, ob börsennotierte Vergleichsunternehmen der gleichen Branche (Hersteller von Badarmaturen/Sanitätsprodukten) vorhanden sind (Vergleichbarkeitsniveau III). Wurden diesbezüglich für den Wasserhahnhersteller keine geeigneten Unternehmens derselben Branche identifiziert, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob zumindest Unternehmen mit vergleichbaren Risikotreibern vorhanden sind (Vergleichbarkeitsniveau IV). In diesem Fall könnte man exemplarisch davon ausgehen, dass der Absatz von Wasserhähnen durch den Bau neuer Häuser bzw. Bäder (Neubeschaffung) sowie 1 So erkennen bspw. Essler und Dodel einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und der Höhe der Kapitalkosten. Im Ergebnis gehen sie von zunehmenden Anpassungen der Risikoprämie aufgrund von Größeneffekten in der Praxis aus. Essler/Dodel, BewertungsPraktiker Nr. 3/2008, 2 (8). Im Gegensatz dazu erachten Baetge et. al den Größeneffekt für relativ gering. Ihrer Ansicht nach führt eine Anpassung der Risikoprämie zu unverhältnismäßig niedrigeren Unternehmenswerten und damit zu einer geringeren Validität und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse. Baetge/Kirsch/Koelen/Schulz, Journal of Applied Research 2010, 2 (10). 2 Eine ausführlichere Darstellung möglicher Auswahlkriterien für Peer-Group Unternehmen findet sich in Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, S. 254 ff.; Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 91 f.

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Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.103 § 6

aufgrund von Renovierungsarbeiten (Ersatzbeschaffung) getrieben wird. Daher kommen in dieser Konstellation für den Risikotreiber „Neubeschaffung“ bei der Ableitung von Betafaktoren für diesen Bereich börsennotierte Unternehmen der Baubranche in Frage. Wird weiter davon ausgegangen, dass die Häufigkeit von Renovierungen von Bädern mit der Häufigkeit sonstiger Renovierungen stark korreliert, könnte man für den Risikotreiber „Ersatzbeschaffung“ bei der Ableitung von Betafaktoren für diesen Bereich auf börsennotierte Möbelhersteller zurückgreifen. Ein gewichteter Betafaktor dieser Peer Group könnte dann als Anhaltspunkt für einen Betafaktor eines Wasserhahnherstellers herangezogen werden. In der Praxis werden i.d.R. nur selten Vergleichsunternehmen auf dem Vergleichbarkeitsniveau II zu finden sein; vielmehr werden die verwendeten Peer Group-Unternehmen etwa den Vergleichbarkeitsniveaus III oder IV entsprechen. Sind die Vergleichsunternehmen den Vergleichbarkeitsniveaus III bis V zuzuordnen, ist im Einzelfall zu prüfen, ob Adjustierungen der Betafaktoren sachgerecht sind, um ein abweichendes systematisches Risiko des Bewertungsobjekts zu berücksichtigen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Auswahl der Peer Group-Unternehmen im Gutachten transparent darzustellen.1

6.101

Die Bestimmung der Peer Group dient der Bestimmung des Betafaktors des zu bewertenden Unternehmens. Dabei ist weniger entscheidend, wie viele Unternehmen in der Peer Group enthalten sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die in der Peer Group enthaltenen Unternehmen die systematischen Risiken des Bewertungsobjekts möglichst gut widerspiegeln. Im Extremfall kann die Peer Group auch aus nur einem Unternehmen, etwa des Vergleichbarkeitsniveaus II („Pure Play“), bestehen. Jedenfalls ist die Größe einer Peer Group (die Anzahl der Peer Group-Unternehmen) kein Gütekriterium an sich. Wird davon ausgegangen, dass inländische Investoren grundsätzlich weltweit investieren, können Unternehmen mit Sitz bzw. Börsennotierung im Ausland in die Peer Group aufgenommen werden. Die Zugehörigkeit zu demselben oder aber zu einem vergleichbaren (lokalen oder globalen) (Branchen-)Index könnte ein Indiz für die Vergleichbarkeit dieser Unternehmen hinsichtlich des systematischen operativen Risikos sein. Relevant ist vor allem die Zugehörigkeit von Unternehmen

6.102

– zu denselben globalen, nach (Sub-)Branchen differenzierten Indizes bzw. – zu vergleichbaren lokalen, nach (Sub-)Branchen differenzierten Indizes. Umgekehrt kann aus der Nichtzugehörigkeit eines Unternehmens zu einem Index nicht auf eine fehlende Vergleichbarkeit geschlossen werden, u.a. da Indexanbieter in der Regel für eine Indexmitgliedschaft Mindestgrenzen für die Marktkapitalisierung vorsehen. c) Ermittlung historischer Raw Betafaktoren Bei der Ableitung historischer Raw Betafaktoren sind sowohl bei Verwendung einer Peer Group als auch bei Verwendung eines eigenen Betafaktors insbesondere die folgenden Parameter festzulegen: – Referenzindex – Beobachtungszeitraum – Renditeintervall.

1 Eine detailliertere Analyse zu den in der Praxis bei der Zusammenstellung der Peer-Group angewendeten Kriterien findet sich in Muschallik/Rowoldt, CF 2016, 363 (364 ff.).

Franken/Schulte

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6.103

§ 6 Rz. 6.104

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.104 Eine erste maßgebliche Einflussgröße bei der Schätzung des Betafaktors anhand von Kapitalmarktdaten ist der Referenzindex. In der CAPM-Welt sollte der Referenzindex sämtliche risikobehaftete, mit ihren Marktwerten gewichtete Vermögenswerte enthalten. Da ein solch umfassendes, perfektes Marktportfolio in der Realität nicht existiert bzw. nicht konstruierbar ist, werden für Schätzungen von Betafaktoren Annäherungen verwendet, die dem Idealkonstrukt möglichst nahe kommen sollen.1 In der Praxis fungieren nationale oder internationale Aktienindizes als „Proxy“ des idealen Marktportfolios. Nachfolgend wird diskutiert, welche Referenzindizes das perfekte Marktportfolio adäquat approximieren können.

6.105 Referenzindizes können zunächst nach der Art der im Index berücksichtigten Vermögenswerte oder nach dem geographischen Standort der im Index enthaltenen Vermögenswerte kategorisiert werden. Beispiele für nationale Aktienindizes sind etwa der DAX (Deutschland), der FTSE (Großbritannien) oder der CAC (Frankreich). Beispiele für überregionale bzw. weltweite Indizes sind der EURO STOXX 50 oder der MSCI World Index. Darüber hinaus kann die Breite eines Referenzindex als Differenzierungskriterium gewählt werden (z.B. DAX oder CDAX). Weitere Differenzierungskriterien sind z.B. die (Nicht-)Berücksichtigung von Dividenden (Performance- oder Kursindex),2 die Gewichtung der Assets (z.B. kurs-, kapital- oder gleichgewichtete Indizes)3 sowie die Segmentierung nach Branchen oder nach einer engeren sachlichen Fokussierung.4

6.106 Maßgeblich für die Festlegung des geeigneten Aktienindex als Referenzindex ist insbesondere das Kriterium der Investorenperspektive.5 Für das Bewertungsobjekt und die hierfür zu ermittelnden Betafaktoren sind die regional und sachlich wahrgenommenen Anlagemöglichkeiten der relevanten Investoren ausschlaggebend. Diese Opportunitätssicht bestimmt den auszuwählenden Referenzindex.6

6.107 Privatanleger tendieren trotz der empirisch nachgewiesenen Vorteile internationaler Diversifikation7 häufig dazu, vorwiegend in nationale Wertpapiere zu investieren (sog. „Home Bias“). Dieses Anlageverhalten kann bspw. durch nicht investitionsneutral wirkende Steuersysteme objektiv begründet sein. Es können aber auch subjektive, nicht direkt monetäre Erwägungen wie z.B. größere Vertrautheit mit dem relevanten Markt eine Rolle spielen.8 Wertpapierdepots deutscher Privatanleger bestehen jüngsten Auswertungen zufolge zum überwiegenden Teil aus inländischen Wertpapieren. Institutionelle Anleger, z.B. Versicherungsgesellschaften und Fonds, haben oftmals rechtliche, satzungsmäßige oder vertragliche Anlagevorschriften zu beachten. Auch dies fördert eine Konzentration auf Anlagealternativen im jeweiligen Sitz-

1 Vgl. u.a. Thiele/Cremers/Robé, Beta als Risikomaß, S. 7 f.; Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 91 f. 2 Ein Performance-Index kann wiederum ohne oder mit Berücksichtigung von Steuereffekten berechnet werden, mit der Konsequenz einer maximalen (ohne Berücksichtigung von Steuereffekten) bzw. minimalen (mit Berücksichtigung von Steuereffekten) Reinvestition der Dividenden. 3 Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 39. 4 Vgl. Thiele/Cremers/Robé, Beta als Risikomaß, S. 2. 5 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte/Brütting, WPg 2008, 1152 (1157 f.) sowie Spremann, Portfoliomanagement, S. 246. 6 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte/Brütting, WPg 2008, 1152 (1157). 7 Vgl. hierzu u.a. Solnik/McLeavey, Global Investments, S. 117 ff. und S. 385 ff. 8 Letztere Aspekte werden insbesondere im Rahmen des Forschungsprogramms der „Behavioral Finance“ näher analysiert, vgl. Lewis, Journal of Economic Literature 1999, 571 (571 ff.).

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Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.112 § 6

land.1 Die Verwendung weltweiter oder international breit gefasster Indizes würde unter diesen Aspekten dem tatsächlichen Verhalten von (inländischen) Aktionären nicht hinreichend Rechnung tragen. Entsprechende Überlegungen müssten für die ausländischen Anteilseigner entsprechend angestellt werden. Gemäß IDW S 1 i.d.F. 2008 Tz. 31 wird der objektivierte Unternehmenswert bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewertungsanlässen aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner ermittelt.2 Vor diesem Hintergrund könnte die Verwendung eines breiten lokalen deutschen Aktienindex, z.B. des CDAX, geboten sein.

6.108

Für die Verwendung eines weltweiten Index spricht die theoretische Anforderung des CAPM, den breitestmöglichen Index zu nutzen. Auch bei Verwendung einer internationalen und nicht auf Europa beschränkten Peer Group kann die Verwendung eines weltweiten Index geboten sein, da die regionale Abdeckung von Peer Group und Index übereinstimmen sollte. Es wäre zumindest schwierig zu begründen, weshalb hinsichtlich des systematischen Risikos vergleichbare ausländische Unternehmen der Peer Group zur Ermittlung des Betafaktors herangezogen werden, während andererseits bei der Wahl des relevanten Marktportfolios eine Inlandsorientierung des Investors unterstellt wird.

6.109

Auch wenn entsprechend der Grundüberlegungen des CAPM ein breitestmöglicher Index heranzuziehen wäre, kann keine generell verbindliche Aussage über die Wahl des geeigneten Referenzindex bei der Schätzung des Betafaktors getroffen werden. Die grundsätzliche Empfehlung, auf einen breitestmöglichen internationalen Index abzustellen, ist immer im konkreten Einzelfall auf Sachgerechtigkeit zu beurteilen. Individuelle Aspekte des Bewertungssubjekts, des Bewertungsobjekts und des Bewertungsanlasses sind mit Sorgfalt zu prüfen. Im Vordergrund stehen dabei die relevanten Anlageperspektiven des jeweiligen (typisierten) Investors sowie ggf. die regionale Verteilung der Peer Group-Unternehmen. In jedem Fall sollten die Kriterien für die Entscheidung transparent im Bewertungsgutachten dargestellt werden.

6.110

Die zweite maßgebliche Einflussgröße bei der Schätzung des Betafaktors anhand von Kapitalmarktdaten ist der Beobachtungszeitraum. Die Festlegung der Länge des Beobachtungszeitraums hat häufig einen wesentlichen Einfluss auf die Höhe des Betafaktors.

6.111

Grundsätzlich ist aus statistisch-methodischer Sicht ein erhöhter Stichprobenumfang zu befürworten, um allgemein eine „höhere“ Gewähr für „genauere“ Ergebnisse erzielen zu können.3 Insofern wären längere Schätzperioden und kürzere Intervalle zu bevorzugen.4 In der ökonometrischen Fachliteratur werden zumeist Empfehlungen zu Mindeststichprobenumfängen von 50 bzw. 100 Datenpunkten ausgesprochen, um die Verwendbarkeit der Ergebnisse der entsprechenden Regressionsanalyse für weitere Analysen zu sichern.5

6.112

1 Vgl. m.w.N. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2014, S. 25; Spremann, Portfoliomanagement, S. 237. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 31; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 393 ff. 3 Vgl. zur Fragestellung optimaler Stichprobenumfänge einführend Bortz/Schuster, Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler, S. 126 ff. 4 Vgl. Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 341. 5 Vgl. dazu u.a. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber, Multivariate Analysemethoden, 2006, S. 370 m.w.N. sowie Backhaus/Erichson/Weiber, Fortgeschrittene Multivariate Analysemethoden, S. 109 f.

Franken/Schulte

171

§ 6 Rz. 6.113

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.113 In der Praxis wurden in der Vergangenheit die Parameter Beobachtungszeitraum und Intervalle der Renditen regelmäßig wie folgt gewählt: – 5 Jahre Beobachtungszeitraum, monatliche Renditeintervalle (ca. 60 Datenpunkte) – 2 Jahre Beobachtungszeitraum, wöchentliche Renditeintervalle (ca. 104 Datenpunkte) – 1 Jahr Beobachtungszeitraum, tägliche Renditeintervalle (ca. 260 Datenpunkte). Diese Parameterkonstellationen sind dabei nicht abschließend begründbar oder „richtig“, sondern sollen lediglich einen Eindruck über die gelebte Praxis bieten. Zwischenzeitlich haben sich insbesondere bei Heranziehung wöchentlicher Renditeintervalle auch weitere Beobachtungszeiträume (z.B. Jahresscheiben) herauskristallisiert; vermehrt wird auch diskutiert andere Wochentage als den Freitag zur Bestimmung der Wochenrenditen heranzuziehen.

6.114 Insgesamt kann für den Beobachtungszeitraum der Renditeberechnung keine allgemeingültige Empfehlung gegeben werden. Es bietet sich zunächst an, den Betafaktor auf Basis der über den gesamten – als prognosegeeignet identifizierten – Untersuchungszeitraum beobachteten Renditen zu ermitteln. Anschließend sollte dieser Untersuchungszeitraum schrittweise vermindert werden, um die Stabilität des Betafaktors im Zeitablauf zu analysieren. Darüber hinaus sollten innerhalb des gesamten Untersuchungszeitraums Betafaktoren über eine Periode von jeweils einem Jahr ermittelt werden. Dieses „jährliche Zeitfenster“ kann dann ggf. über weitere nacheinander folgende Jahre in die Vergangenheit verschoben werden. Eventuelle Unstimmigkeiten oder Unregelmäßigkeiten bei der zeitlichen Entwicklung der Aktienrenditen sind bei dieser Vorgehensweise leichter zu erkennen. Zeigt die Analyse eine stabile zeitliche Entwicklung der Betafaktoren, kann ausgehend vom Bewertungsstichtag der gesamte als prognosegeeignet herausgearbeitete Zeitraum der Ermittlung des Betafaktors zugrunde gelegt werden. Dessen Länge hängt von den individuellen Gegebenheiten des betrachteten Unternehmens ab. Lassen sich demgegenüber Störereignisse identifizieren und bestehen somit Zeiträume innerhalb des Betrachtungszeitraums, die nicht als prognosegeeignet identifiziert worden sind, so sollten die „gestörten“ Zeitfenster nicht zur Schätzung des erwarteten Betafaktors herangezogen werden.

6.115 Die dritte maßgebliche Einflussgröße bei der Schätzung des Betafaktors anhand von Kapitalmarktdaten ist die Intervallbildung der Renditepaare (Periodizität). Üblicherweise werden Renditeintervalle durch tägliche, wöchentliche oder monatliche Zeiträume ermittelt. Größere Intervalle, z.B. vierteljährliche oder jährliche Perioden, werden in der Praxis in aller Regel nicht verwendet.1 Empirische Untersuchungen belegen, dass die Änderung des Renditeintervalls eine erhebliche Auswirkung auf die Höhe des Betafaktors entfalten kann.

6.116 Bei der Festlegung der Periodizität ist das Auftreten des sog. Intervalling-Effekts zu vermeiden, der vor allem bei in geringem Umfang gehandelten Aktien zu beobachten ist: Wenn eine Aktie selten oder gar nicht gehandelt wird, kann der Börsenkurs des Unternehmens nicht rechtzeitig auf Marktentwicklungen reagieren. Die Reaktion erfolgt allenfalls verspätet und diese Diskrepanz schlägt sich in den Kursreihen und somit in den entsprechenden Renditen als Ausgangsdaten für die Ermittlung des Betafaktors nieder. Je kürzer die Intervalle für die Renditebildung sind, desto eher sind Verwerfungen zwischen den Renditen der Aktie und den Renditen des Marktportfolios zu erwarten. Die Regressionsanalyse ist damit nicht mehr Zur Anwendung bei der Schätzung von Betafaktoren vgl. Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 98. 1 Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 40.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.121 § 6

aussagekräftig, weil der Betafaktor nicht den eigentlichen Gleichlauf der Renditen misst, sondern wesentlich durch die Umsetzungsgeschwindigkeit der Informationen getrieben ist. Die Literatur diskutiert diverse Korrekturverfahren für die Beseitigung des Intervalling-Effekts, ohne dass bisher eine eindeutige Eliminierung des Effekts unter Vermeidung unerwünschter Begleiteffekte des jeweiligen Korrekturverfahrens erreicht worden ist. Um die verzerrenden Einflüsse (zu) häufiger Messungen zu reduzieren und eventuelle Handlungen, die keinen Informationsnutzen haben (sog. Noise), zu minimieren, erscheint isoliert vor diesem Hintergrund eine zumindest wöchentliche Periodizität der Renditemessungen sinnvoll. Empirische Untersuchungen belegen jedoch, dass insbesondere auf Monatsbasis ermittelte Werte der Betafaktoren deutlich von wöchentlichen und täglichen Werten der Betafaktoren abweichen. Die Ursache dürfte hier jedoch neben dem „klassischen“ Intervalling-Effekt auch in der für einen gegebenen Zeitraum geringen Anzahl von Beobachtungspunkten bei monatlichen Renditen liegen, die regelmäßig zu instabilen Regressionsergebnissen führen kann.

6.117

Bei Verwendung monatlicher Renditeintervalle werden viele Informationen über den Zu- 6.118 sammenhang von Indexrenditen und Aktienrenditen nicht genutzt. Außerdem werden die Sondereinflüsse des Monatsendstichtags eingeschlossen.1 Demgegenüber ist auch die Verwendung sehr kurzer Renditeintervalle, z.B. täglicher oder noch feinerer Intervalle, insbesondere bei weniger liquiden Aktientiteln aufgrund des beschriebenen Intervalling-Effekts nicht unproblematisch. Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis wird im Zusammenhang mit der Ableitung von Betafaktoren kontrovers diskutiert, ob Autokorrelation und Heteroskedastizität täglicher Renditen die Schätzung der Betafaktoren beeinträchtigen und wie mit solchen Problemen umgegangen werden sollte.2 Vor diesem Hintergrund ist vor allem bei weniger liquiden Aktien der Einsatz von täglichen Renditen bei der Bestimmung von Betafaktoren zum Teil skeptisch zu beurteilen. Die Auswahl zwischen wöchentlichen und täglichen Renditen hängt u.E. davon ab, ob für die Aktienrenditen oder die Indexrenditen Verzerrungen aus dem klassischen IntervallingEffekt zu befürchten sind. Ist dies der Fall, sollten wöchentliche Renditen verwendet werden.

6.119

d) Belastbarkeit historischer Betafaktoren Zur Beurteilung der Belastbarkeit historischer Betafaktoren werden in Literatur und Praxis der Unternehmensbewertung insbesondere die nachfolgend genannten Beurteilungsmaßstäbe herangezogen:

6.120

– Liquidität der Aktie, – statistische Filterkriterien (insbesondere Bestimmtheitsmaß, t-Test und Standardfehler des Raw Betafaktors). Der Betafaktor gibt den Zusammenhang zwischen den Renditen der Aktie und den Renditen 6.121 des Marktes an. Voraussetzung eines aussagekräftigen Betafaktors ist, dass sich die Aktienrenditen sachlich und zeitlich unverzerrt an die Änderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen. Erfolgt dieser Anpassungsprozess gegenüber den Veränderungen des Mark1 Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 41. 2 Vgl. Winkelmann, Quantitative Methoden der Unternehmensplanung, S. 67 ff.; Ulschmid, Eine empirische Validierung von Kapitalmarktmodellen, S. 290 ff.; Baetge/Krause, BFuP 1994, 433 (434 ff.).

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§ 6 Rz. 6.121

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

tes dagegen verzögert, besteht die Gefahr, dass der Betafaktor den Zusammenhang zwischen den Schwankungen der Aktie und denen des Marktes nicht zutreffend widerspiegelt. Wesentliche Bedingungen für einen unverzerrten Anpassungsprozess sind institutionelle Voraussetzungen für einen liquiden Handel der Aktien sowie ein hinreichendes tatsächliches Handelsvolumen: – Institutionelle Voraussetzungen sollen eine schnelle und freie Preisbildung durch Käufe und Verkäufe bei geringen Transaktionskosten ermöglichen. – Ein hinreichendes tatsächliches Handelsvolumen bestätigt, dass auch tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird und dadurch neue Informationen umgehend in die Kurse eingehen.

6.122 Damit kommt dem Begriff der Liquidität eine entscheidende Bedeutung für die weiteren Überlegungen zu. Der Liquiditätsbegriff ist mehrdimensional und basiert grundsätzlich auf der Fähigkeit, Aktien schnell, zu geringen Transaktionskosten, in kleinen und großen Mengen, jederzeit und ohne nennenswerten Aufschlag sowie zu marktgerechten Kursen kaufen und verkaufen zu können.

6.123 In der Literatur ist eine hohe Korrelation zwischen den Liquiditätsmaßen Handelsvolumen als Anzahl von gehandelten Aktien, Handelsumsatz als Wertvolumen und Geld-Brief-Spanne festgestellt worden.1 Allerdings existiert kein eindeutiges Messkonzept für die Liquiditätsbeurteilung. Da zudem eine trennscharfe Einteilung der Aktie in „liquide“ oder „illiquide“ schon deshalb nicht sinnvoll ist, weil grundsätzlich jedes Gut zumindest abstrakt veräußerbar ist, erscheint es sachgerecht, eher auf den Grad der Liquidität abzustellen.2

6.124 Vor diesem Hintergrund ist die trennscharfe Abgrenzung eines für die Ermittlung des Betafaktors ausreichenden Liquiditätsgrads auf Basis isoliert betrachteter Kennzahlen nicht möglich. Ist eine Aktie jedoch bei der Berechnung verschiedener Kennzahlen regelmäßig in der Gruppe der Wertpapiere enthalten, die einen hohen Liquiditätsgrad aufweisen, stellt dies zumindest ein Indiz für eine insgesamt hohe Liquidität des Wertpapiers und damit für eine Belastbarkeit des entsprechenden Betafaktors dar.3

6.125 Für die Beurteilung, ob eine Aktie über den zugrunde gelegten Beobachtungszeitraum liquide gehandelt wurde, sollten über den Beobachtungszeitraum verschiedene Liquiditätsmaße ermittelt werden. Dabei bietet es sich an, auf Durchschnittswerte abzustellen (z.B. arithmetisches Mittel oder Median). Zu den Fragen, welchen Wert die einzelnen Liquiditätsmaße annehmen müssen, wie maßgeblich das jeweilige Liquiditätsmaß im Vergleich erscheint und welche Zeiträume zu untersuchen sind, um zu einer eindeutigen Aussage im Hinblick auf die Liquidität der Aktie und damit zu einer Einschätzung über die Aussagefähigkeit des Betafaktors zu gelangen, gibt es zur Zeit in der Literatur noch keinen breiten Konsens. Konsens besteht aber dahingehend, dass die Aktienliquidität das relevante Kriterium zur Analyse des Betafaktors ist.4

6.126 Als Maß für die Beurteilung der Belastbarkeit historischer Betafaktoren werden in der Praxis aber auch immer noch unterschiedliche statistische Filterkriterien bzw. Tests herangezo1 2 3 4

Vgl. Loderer/Jörg/Pichler/Roth/Zgraggen, Handbuch der Bewertung, S. 1004 ff. Vgl. Ballwieser, in Risikomanagement und kapitalmarktorientierte Finanzierung, S. 283 (287). Vgl. Franken/Schulte, WPg 2010, 1106 (1115 f.). Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 404.

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Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.131 § 6

gen.1 Eines dieser in der Unternehmensbewertungspraxis noch verwendeten statistischen Maße ist das Bestimmtheitsmaß R2. Das Bestimmtheitsmaß beschreibt, wie „gut“ das Modell im statistischen Sinne die verfüg- 6.127 baren empirischen Daten erklärt. Das Bestimmtheitsmaß basiert auf den Abweichungen zwischen den Beobachtungswerten und den geschätzten Werten auf der Regressionsgeraden. Der Restbetrag der Gesamtabweichung gilt als durch das Modell „nicht erklärt“ und verbleibt in einer Residualgröße (sog. „Störterm“). In diesem Zusammenhang zeigt das Bestimmtheitsmaß den Anteil der erklärten Streuung in den Regressionsresiduen bezogen auf die Gesamtstreuung. Die Spannweite der möglichen Werte für R2 ist auf den Bereich 0 # R2 # 1 beschränkt. Ein hoher Wert des R2 bedeutet, dass mit dem geschätzten Modell ein großer Anteil der beobachtbaren Variabilität der abhängigen Variable erklärt werden kann. Niedrige R2-Werte signalisieren dagegen einen schwachen Zusammenhang der unabhängigen und der abhängigen Variablen. Bei der Schätzung von Betafaktoren bedeutet ein Bestimmtheitsmaß von 1, dass die Entwicklung der Rendite des Aktienindex (unabhängige Variable) zu 100 % die Entwicklung der Aktienrendite (abhängige Variable) erklärt.2

6.128

Niedrige R2 Werte dürfen jedoch nicht ohne weiteres dazu führen, die Regressionsanalyse zu verwerfen und die ermittelten Betafaktoren für nicht belastbar zu erklären. Sie können zunächst lediglich das Vorliegen weiterer, im Modell nicht erfasster Einflüsse auf die abhängige Variable signalisieren. Die Entwicklung der Rendite des betrachteten Unternehmens kann auf weitere Ereignisse neben der im Regressionsmodell dargestellten Entwicklung der Rendite des Referenzindex zurückzuführen sein.

6.129

Als weiteres in der Praxis noch verwendetes Filterkriterium ist der t-Test zu nennen. Der t-Test gibt Auskunft darüber, inwieweit die unabhängige Variable (Marktrendite) bei der Regression Einfluss auf die abhängige Variable (Aktienrendite) hat.3 Ein t-Wert für den jeweiligen Regressor (Rendite des Aktienindex) wird empirisch aus dem Regressionskoeffizienten b und seinem Standardfehler berechnet.4

6.130

Während das Bestimmtheitsmaß die statistische Güte der Regressionsfunktion misst, d.h. wie gut die Regression den Zusammenhang zwischen der unabhängigen Variablen (Marktrendite) und der abhängigen Variablen (Aktienrendite) erklärt, prüft der t-Test die statistische Signifikanz der Regressionskoeffizienten, d.h. ob der Betafaktor statistisch signifikant von Null verschieden ist und somit ein Zusammenhang zwischen der Marktrendite (unabhängige Variable) und der Aktienrendite (abhängige Variable) besteht. Technisch ist der t-Test als Quotient des Betafaktors und des Standardfehlers (s. Rz. 6.136 f.) definiert. Fraglich ist, ob und inwieweit diese beiden statistischen Verfahren überhaupt für die Analyse der Belastbarkeit des Betafaktors im Sinne einer quantitativen Filteruntersuchung geeignet sind.

6.131

1 Einen Überblick über die möglichen Verfahren geben auch Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber, Multivariate Analysemethoden, 2016, S. 82 ff. 2 Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 34. 3 Für eine ausführliche Darstellung der statistischen Grundlagen vgl. u.a. Backhaus/Erichson/Plinke/ Weiber, Multivariate Analysemethoden, 2016, S. 91 ff. 4 Bei einer Einfachregression wir ein linearer Zusammenhang („Gerade“) geschätzt, der Regressionskoeffizient stellt die geschätzte Steigung der Gerade dar. Die Schätzung des Regressionskoeffizienten ist dabei mit Unsicherheit verbunden. Der Standardfehler ist ein Maß dafür, wie unsicher die Steigung geschätzt wurde.

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§ 6 Rz. 6.132

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.132 Da t-Wert und Bestimmtheitsmaß R2 bei Einfachregressionen (d.h. es wird neben der Konstante nur eine unabhängige Variable in die Schätzung aufgenommen) rechnerisch ineinander überführbar sind, stehen somit beide Werte für konkret untersuchte Stichproben in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Eine unabhängige Optimierung beider Kriterien ist somit schon aus statistisch-mathematischer Sicht nicht sachgerecht. Ebenso ist es nicht sinnvoll, zwei unabhängige Mindestwerte zu definieren, da ja letztlich beide Kriterien denselben Sachverhalt abbilden.

6.133 R2 und t-Wert werden in Literatur und Praxis der Unternehmensbewertung immer noch für die Eliminierung von „statistisch“ nicht signifikanten Betafaktoren eingesetzt. Geprüft wird dabei, ob der Betafaktor von Null verschieden ist. Eine solche Aussage besitzt keinen eigenen wirtschaftlichen Erklärungsgehalt, da Betafaktoren von Null mit dem CAPM in Einklang stehen und keineswegs bedeuten, dass das betrachtete Unternehmen risikolos ist; das Unternehmen hat ggf. lediglich ein systematisches Risiko von Null.

6.134 Nach Damodaran gibt R2 eine Auskunft über den Anteil des systematischen Risikos am Gesamtrisiko. Die Residualgröße (1-R2) kann dem Anteil des firmenspezifischen Risikos (unsystematisches Risiko) zugeordnet werden. Demnach repräsentiert ein hohes R2 einen geringen Anteil unsystematischen Risikos der Aktie, ein geringes R2 einen hohen Anteil unsystematischen Risikos der Aktie.1 Ein R2 i.H.v. bspw. 40 % ist demnach wie folgt zu deuten: Ein Anteil von 40 % der Variation der Aktie wird durch den Markt verursacht. Der restliche Anteil i.H.v. 60 % wird durch firmenspezifische unsystematische Ereignisse hervorgerufen. Dieser Anteil kann unabhängig von seiner Höhe diversifiziert werden und wird daher nicht vom Markt vergütet.

6.135 Die oben dargestellten statistischen Messverfahren geben somit allenfalls mittelbare Hinweise, ob ein durch eine Regression ermittelter Betafaktor das „wahre“ systematische Risiko des Unternehmens widerspiegelt. Betafaktoren illiquider Aktien bestehen den t-Test häufiger nicht als die Betafaktoren liquider Aktien. Das Nicht-Bestehen des t-Tests kann insoweit der Startpunkt für andere Analysen sein. Als alleiniges Filterkriterium ist er jedoch ungeeignet; gleiches gilt für R2.

6.136 Der in der Literatur als weiteres Beurteilungskriterium für die Güte der Schätzung vorgeschlagene „Standardfehler des Betafaktors“ ist ein Maß für die Unsicherheit, mit der ein Betafaktor geschätzt wird. Der „wahre“ Betafaktor als wahrer, aber unbeobachtbarer Zusammenhang zwischen Wertpapierrendite und Marktrendite ist unter der Annahme, dass erhobene Renditepaare eine Stichprobe der nicht bekannten Grundgesamtheit darstellen, unbekannt. Der per Regression geschätzte Betafaktor kann sich zwischen verschiedenen Stichproben derselben Grundgesamtheit unterscheiden und ist selbst bei Erfüllung der notwendigen Annahmen „lediglich“ ein unverzerrter Schätzer des wahren Betafaktors. Der Standardfehler des Betafaktors gibt nun Hinweise darauf, in welchem „Bereich“ um den Betafaktor andere Schätzungen des Betafaktors bei (fiktiven) weiteren Stichproben liegen würden.

6.137 Je geringer der Standardfehler ist, desto „präziser“ ist die Schätzung. Der Standardfehler verringert sich dabei mit zunehmendem Stichprobenumfang bzw. mit zunehmender Standardabweichung der Marktrendite. Eine hohe Standardabweichung der Residuen hingegen erhöht den Standardfehler des Regressionskoeffizienten. In Folge dessen kann durch einen höheren Stichprobenumfang der Standardfehler und damit die Unsicherheit der Schätzung 1 Vgl. Damodaran, Investment Valuation, S. 183 ff.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.141 § 6

gesenkt werden. Der Stichprobenumfang sollte daher bei der Schätzung des Betafaktors im CAPM mindestens 20 bis 30 Beobachtungswerte (Perioden) betragen. Empfohlen werden zumeist mindestens 60 Beobachtungen. Mit dem Standardfehler des Betafaktors sowie der Breite des entsprechenden Konfidenzinter- 6.138 valls wird auf die Präzision der Schätzung des Betafaktors abgestellt. CAPM und Marktmodell stehen der Anwendung dieser statistischen Kriterien nicht entgegen. Allerdings kann auf Basis dieser Tests keine Aussage darüber getroffen werden, ob ein „Betafaktor verwendet werden kann“. Standardfehler bzw. das Konfidenzintervall des Betafaktors können jedoch etwa als Indiz für die Auswahl eines Datensets bzw. der Umfang der Stichprobe dienen. e) Prognoseeignung historischer Betafaktoren als künftig zu erwartende Betafaktoren Auf die nach IDW S 1 i.d.F. 2008 gebotene Beurteilung der Prognoseeignung historischer Betafaktoren wird im Folgenden unter den Gesichtspunkten der

6.139

– Fortschreibung historischer Betafaktoren und der – Adjustierung historischer Raw Betafaktoren eingegangen. Die Schätzung des historischen Betafaktors auf Basis des Marktmodells unterstellt die zeitliche Stabilität des Betafaktors innerhalb des Schätzzeitraumes (Betrachtungszeitraumes). Wenn der Betafaktor im Prognosezeitraum gegenüber dem Schätzzeitraum unverändert bleibt, könnte der ermittelte Betafaktor direkt als Prognosewert für die Zukunft verwendet und somit fortgeschrieben werden. Ob eine Fortschreibung historisch abgeleiteter Betafaktoren vorgenommen werden kann, d.h. ob das in der Vergangenheit bestehende systematische Risiko auch für die Zukunft weiterhin repräsentativ ist, ist insbesondere vor dem Hintergrund folgender Untersuchungen zu würdigen:

6.140

– Der betrachtete Zeitraum (Beobachtungszeitraum) ist daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit Strukturbrüche vorliegen. – Der Kursverlauf ist auf besondere Ereignisse, extreme Kursschwankungen oder etwaige Kursmanipulationen, z.B. aufgrund spekulativer Interessen, sowie auf Einmalereignisse hin zu untersuchen. In der Realität werden regelmäßig über unterschiedliche Schätzzeiträume divergierende Betafaktoren ermittelt. Die Gründe für die beobachtbare Instabilität sind vielfältig: – Die Ermittlung des Betafaktors über das Marktmodell stellt eine statistische Schätzung (im Sinne einer Stichprobe) dar, die zwangsläufig einem Messfehler unterliegt. Dieser Messfehler führt auch unter der idealen Annahme, der Betafaktor der Grundgesamtheit sei stabil, zu divergierenden beobachtbaren Werten des Betafaktors. – Bei Verwendung von Indizes wie z.B. dem DAX oder dem CDAX, die nicht gleichgewichtet, sondern z.B. kapitalgewichtet erhoben werden, wird eine Instabilität der Betafaktoren allein aufgrund der unterschiedlichen Gewichte der spezifischen Aktie innerhalb des Marktportfolios hervorgerufen. – Zudem führen politische Ereignisse, Änderungen des risikolosen Zinssatzes, Änderungen der Inflationsrate, Änderungen des realen Wachstums, Veränderungen der KapitalstrukFranken/Schulte

177

6.141

§ 6 Rz. 6.141

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

tur, veränderte Zusammensetzung der Assets oder weitere Investitionen zu einer Veränderung des „wahren“ Betafaktors. Bei der Untersuchung, ob Strukturbrüche im Beobachtungszeitraum vorliegen, ist die bisherige Geschäftsentwicklung des betreffenden Unternehmens auf Veränderungen des Geschäftsmodells oder weitere wesentliche risikoverändernde Aspekte (bspw. der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, die Ankündigung eines Squeeze-Outs etc.) hin zu untersuchen. Als Ausgangspunkt kann für diesen Zweck auch der Kursverlauf der Aktie, ggf. in Verbindung mit dem Verlauf des Referenzindex, herangezogen werden. Der Kursverlauf ist schon allein vor dem Hintergrund, dass die aus den Kursen resultierenden Renditen die Grundlage für die Ermittlung von Betafaktoren sind, zu untersuchen. Extreme Kursschwankungen oder Kursverzerrungen aufgrund spekulativer Interessen oder wesentlicher Einmalereignisse können die Schätzung von Betafaktoren wesentlich beeinflussen. Die Plausibilisierung des Kursverlaufs für die betrachteten Unternehmen ist somit ein wesentlicher Schritt der Datenanalyse. So können makroökonomische Einflüsse wie jüngst die weltweite Finanzmarktkrise oder aber auch individuell für das Bewertungsobjekt relevante Ereignisse wie z.B. Gerichtsverfahren, Übernahmegerüchte oder die (gescheiterte) Markteinführung neuer Produkte die Entwicklung des Börsenkurses prägen und die Ermittlung eines prognosetauglichen Betafaktors unter Umständen erschweren. Eine Analyse auf Ausreißer bei der Kursentwicklung hin erscheint daher zwingend erforderlich.1

6.142 Grundsätzlich werden Ausreißer definiert als Extremwerte in der Stichprobe. Ausreißer können graphisch anhand der Punktewolke um die Regressionsgerade identifiziert werden. Dabei haben Renditepaare, die deutlich „außerhalb“ der Punktewolke liegen, häufig einen großen Einfluss auf die Ermittlung des Regressionskoeffizienten, also des Betafaktors.

6.143 Ausreißer in den Renditepaaren können grundsätzlich in den unabhängigen Variablen (Indexrendite) oder in den abhängigen Variablen (Aktienrendite) begründet sein. Da der Index einen (breiten) Durchschnitt mehrerer Aktien abbildet, treten Ausreißer jedoch vorwiegend in der Aktienrendite auf. Ausreißer können auch durch mangelnde Liquidität einer Aktie verursacht sein, wenn z.B. aufgrund geringer Handelsaktivität der Aktie Null-Renditen erzeugt werden. Ausreißer in der Indexrendite sind bspw. in allgemeinen „Crash-Situationen“ zu beobachten. Extremwerte können dann gleichzeitig bei allen oder zumindest bei mehreren Aktientiteln auftreten. Die Regressionsgerade und damit auch der Betafaktor müssen sich dabei nicht zwingend verändern.2

6.144 Das Ausreißerproblem ist auch von der Auswahl der betrachteten Renditepaare und des Renditeintervalls abhängig. Je größer der Stichprobenumfang, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Regressionsausreißer auftritt. Zudem wird in der Literatur festgestellt, dass bei einem täglichen Renditeintervall grundsätzlich mehr Extremwerte vorliegen als bei monatlicher Betrachtung. Ausreißer sind aber bei allen Renditeintervallen festzustellen.

1 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 409. 2 Vgl. Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 159; Rudolph/Zimmermann, in Handbuch Portfoliomanagement, S. 444; Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 43. Zur Identifizierung von Regressionsausreißern können auch bestimmte Regressionsdiagnostiken basierend auf dem OLS-Regressionsverfahren angewendet werden. Beispiele für solche statistischen Analyseobjekte sind Leverage-Kennzahlen, standardisierte OLS-Residuen oder DFBETAKennzahlen. Vgl. hierzu ausführlicher Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 165 ff.

178

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.149 § 6

In der Praxis sollten zunächst die Ursachen der Ausreißer analysiert werden. „Unechte“ Aus- 6.145 reißer, die auf reine Messfehler zurückzuführen sind, sollten unmittelbar eliminiert werden. Handelt es sich nicht um reine Messfehler, sondern um „echte“ Ausreißer, kann auf diese entweder durch Weglassen oder mit Ersetzung durch Durchschnittswerte reagiert werden. Allerdings sollte insbesondere dann, wenn die Ursachen für einzelne Ausreißer firmenspezifisch begründet sind, möglichst auf die Eliminierung dieser Ausreißer verzichtet werden, soweit der Betafaktor durch den Ausreißer nicht wesentlich verzerrt wird. Alternativ empfiehlt es sich häufig, den Beobachtungszeitraum entsprechend sorgfältig auszuwählen und ggf. von Ausreißern beeinflusste Zeiträume nicht zu berücksichtigen.1 Selbst wenn weder besondere Ereignisse im Kursverlauf noch Strukturbrüche erkennbar sind, müssen weitergehende Überlegungen zur Prognoseeignung des Betafaktors angestellt werden. So ist insbesondere abzuschätzen, inwiefern sich das inhärente Risiko des Bewertungsobjekts im Vergleich zu Vergangenheit ggf. ändert. Erwartete künftige Veränderungen der Risikostruktur führen, soweit sie Einfluss auf die systematische Risikoposition haben, zu einem veränderten erwarteten Betafaktor, der dann nicht zwingend mit dem „historischen“ Betafaktor übereinstimmen muss. In diesen Fällen sind in Literatur und Praxis Adjustierungen der historischen Betafaktoren zu beobachten.

6.146

Adjustierungen des historischen Betafaktors sind in der Praxis der Unternehmensbewertung grundsätzlich in zwei Ausprägungen zu finden:

6.147

– pauschalierte Anpassungen und – freie gutachtliche Anpassungen. Pauschalierte Anpassungen beruhen zumeist auf empirischen oder statistischen Untersuchun- 6.148 gen bezüglich der Stabilität von Betafaktoren. Empirische Untersuchungen zur Stabilität von Betafaktoren haben folgende grundsätzliche Beobachtungen ergeben: – Je kürzer das zur Schätzung der Betafaktoren verwendete Renditeintervall ist, desto stabiler sind die Betafaktoren. – Die optimale Schätzperiode liegt zwischen vier und sieben Jahren. – Die Betafaktoren von Portfolios sind stabiler als die Betafaktoren einzelner Aktien. Die Stabilität wächst mit der Anzahl der im Portfolio enthaltenen Aktien. Allerdings können diese Untersuchungen nicht ohne weiteres auf den konkreten Einzelfall 6.149 übertragen werden. Neben diesen grundsätzlichen Beobachtungen wurde eine autoregressive Tendenz des Betafaktors eines Unternehmens im Zeitablauf festgestellt, die über zeitlich aufeinanderfolgende – nicht überlappende – Zeiträume untersucht wurden. Eine autoregressive Tendenz bewirkt, dass der Betafaktor einer Aktie in der Folgeperiode näher an einem Mittelwert liegt als in der vorangegangenen Periode. Diese Feststellung führte zur Empfehlung verschiedener Autoren, die historischen Betafaktoren zu modifizieren, um die Prognosegüte der

1 Vgl. Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 170. Technisch kann diesem Problem durch die Wahl einer (Ausreißer-)robusten Schätzmethode wie dem Least Absolute Deviations-Ansatz oder der Verwendung des Maßes DFBeta (Difference in beta values) begegnet werden. Vgl. Woolridge, Introductory Econometrics, S. 330 f.; Hamilton, Regression with graphics: A Second Course in Applied Statistics, S. 125 ff.

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§ 6 Rz. 6.149

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

historischen Betafaktoren zu verbessern.1 Bei einem Vergleich der technischen Anpassungsverfahren untereinander zeigt sich allerdings keines der Verfahren eindeutig überlegen.2

6.150 Sofern die (deutsche) Unternehmensbewertungspraxis eine Anpassung des historischen Betafaktors zu Prognosezwecken auf Basis eines technischen Prognoseverfahrens vornimmt, wird häufig auf eine Anpassung zurückgegriffen, die auf den grundlegenden Arbeiten von Blume beruht.3 Auch können z.B. über Bloomberg sog. „Adjusted Betas“ abgerufen werden, die im Ergebnis den Überlegungen von Blume folgen.

6.151 Blume untersuchte zur Prüfung der Vorhersagen von Betafaktoren die Betafaktoren USamerikanischer Aktien über einen Zeitraum von 1926 bis 1968. Dabei unterteilte er diesen Zeitraum in fünf 7-Jahres-Zeiträume.4 Für die jeweiligen Zeiträume wurden die US-amerikanischen Aktien zu Portfolios von jeweils 100 Aktien zusammengestellt. Anschließend wurde die Entwicklung der Portfolio-Betafaktoren in der darauffolgenden Periode (jeweils 7 Jahre) untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Portfolio-Betafaktoren in der folgenden Periode eine Tendenz hin zum Mittelwert aller Betafaktoren („Grand Mean“) i.H.v. 1 zeigten. Die Analyse von Blume führt dabei zu einem durchschnittlichen Faktor a i.H.v. 0,371 und zu einem durchschnittlichen Faktor b i.H.v. 0,635. Bloomberg verwendet vereinfachend folgenden Ansatz, der in der Praxis für die Ermittlung von Adjusted Betas regelmäßig verwendet wird:

6.152 Diese Adjustierung der historischen Betafaktoren in Richtung eines Werts i.H.v. 1 führt dazu, dass der prognostizierte Betafaktor umso deutlicher vom historischen Betafaktor abweicht (bzw. adjustiert wird), je deutlicher der historische Betafaktor (nach oben oder unten) von 1 abweicht. So ergibt sich bei einem Raw Betafaktor i.H.v. 0,40 ein Adjusted Beta i.H.v. 0,60 (= 1/3 + 2/3 × 0,40). Bei einem Raw Betafaktor i.H.v. 0,80 ergibt sich ein Adjusted Beta i.H.v. 0,87 (= 1/3 + 2/3 × 0,80).

6.153 Für die Existenz der autoregressiven Tendenz ist bislang keine überzeugende ökonomische Begründung gefunden worden.5 Die möglichen ökonomischen Begründungen von Blume6 für die Regressionstendenz werfen eher neue Fragen auf. Derzeit kann vermutet werden, dass die autoregressive Tendenz der Betafaktoren lediglich ein statistisches, nicht aber ein ökonomisch begründbares Phänomen ist.7 Die Untersuchungen von Blume sowie weitere empirische Untersuchungen zur Stabilität von Betafaktoren basieren jeweils auf einem ganz bestimmten Stichprobenumfang, einem ganz bestimmten Untersuchungszeitraum und einem ganz be1 Vgl. z.B. Blume, The Journal of Finance 1975, 785 (794 f.); Vasicek, The Journal of Finance 1973, 1233 (1239); Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 58. 2 Vgl. Jähnchen, Kapitalkosten von Versicherungsunternehmen, S. 61 und die dort genannten Quellen. 3 Vgl. Blume, The Journal of Finance 1971, 1 ff.; Blume, The Journal of Finance 1975, 785 (795); Blume, The Journal of Finance 1979, 265 (267). 4 Vgl. Blume, The Journal of Finance 1971, 1 (7 f.). 5 Vgl. Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 242. 6 Vgl. Blume, The Journal of Finance 1975, 785 (795). 7 Vgl. auch Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 243.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.158 § 6

stimmten Renditeintervall, die sich nicht ohne weiteres auf andere, nicht in der Stichprobe enthaltene Einzelfälle übertragen lassen. Einer pauschalierten Anpassung historischer Raw Betafaktoren auf Basis der von Blume/ Bloomberg verwendeten Formel sollte vor diesem Hintergrund nur in begründeten Ausnahmefällen gefolgt werden.

6.154

Vor dem Hintergrund der kritischen Auseinandersetzung mit pauschalierten Anpassungsverfahren sind für die Zulässigkeit freier gutachtlicher Anpassungen (noch) strengere Kriterien heranzuziehen. Eine (freie) gutachtliche Adjustierung des Betafaktors darf nur die Einflüsse systematischer Risiken auf das Bewertungsobjekt berücksichtigen und sollte zwingend auf einer für Dritte nachvollziehbaren Begründung basieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass einer etwaigen Vorteilhaftigkeit der gewünschten Erhöhung der Prognosegenauigkeit des künftigen Betafaktors signifikante Nachteile in Folge von willkürlichen, nicht nachvollziehbaren Eingriffen gegenüberstehen.1

6.155

f) Ermittlung von Un-/Relevered Betafaktoren Die historischen Raw Betafaktoren berücksichtigen neben dem systematischen, operativen Ri- 6.156 siko auch das systematische, aus der Verschuldung resultierende Finanzierungsrisiko. Letzteres ändert sich regelmäßig im Zeitablauf, so dass das künftig erwartete Finanzierungsrisiko nicht mit dem historischen Finanzierungsrisiko übereinstimmt. Zur Berücksichtigung dieses Effekts wird der historische Betafaktor um die Einflüsse der historischen Fremdfinanzierung „bereinigt“ (Unlevern) und anschließend um die Einflüsse der erwarteten künftigen Verschuldung erhöht (Relevern).

6.157

Die Höhe von Unlevered Betas hängt von – der Zusammensetzung der Peer Group, – den Parametern zur Bestimmung der Raw Betas und – den Parametern zur Bestimmung von Unlevered Betas ab. Zur Ermittlung der Unlevered (unverschuldeten) Betafaktoren wird im Folgenden zunächst auf die grundlegenden Zusammenhänge zwischen unverschuldeten („Betafaktor des fiktiv unverschuldeten Unternehmens“, ßu) und verschuldeten („Betafaktor eines mit einem gegebenen Verschuldungsgrad verschuldeten Unternehmens“, ßv) Betafaktoren eingegangen. Vor diesem Hintergrund werden anschließend die nachfolgend genannten Aspekte näher erläutert: – die Finanzierungspolitik des Bewertungsobjekts und das damit verbundene Risiko der Tax Shields, – die Net Debt-Abgrenzung und die damit verbundene Definition betriebsnotwendiger Liquidität sowie – das Ausfallrisiko des Fremdkapitals (Berücksichtigung von Debt Beta). 1 Vgl. zu weiteren Hinweisen, in welchen Fällen ein freie gutachtliche Anpassung des historisch ermittelten Betafaktors vorgenommen werden kann, Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 191 f.

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6.158

§ 6 Rz. 6.159

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.159 Der grundlegende Zusammenhang zwischen unverschuldeten und verschuldeten Betafaktoren wird durch nachfolgende Formel beschrieben:

6.160 Die konkrete Ausprägung der Formeln zum Un-/Relevern hängt somit nicht nur von dem Verschuldungsgrad des Unternehmens als Verhältnis aus Marktwert des Fremdkapitals (FKM) und Marktwert des Eigenkapitals (EKM), sondern auch von den Annahmen zur Finanzierungspolitik, zur Höhe der Risikoübernahme der Fremdkapitalgeber (ßFK) sowie zur Berechnung des Wertbeitrags der Steuervorteile (WBTSM) ab.

6.161 Bei der Gestaltung der Aufnahme von Fremdkapital durch die Unternehmensleitung wird im Regelfall zwischen einer autonomen und einer atmenden bzw. wertorientierten Finanzierungspolitik unterschieden:1 – Die autonome Finanzierungspolitik geht von einem fixen Tilgungsplan aus, durch den ein Fremdkapitalbestand losgelöst von der realisierten Geschäftslage ab- oder aufgebaut wird.2 Die Fixierung des Fremdkapitalbestands für eine bestimmte Periode führt dazu, dass für die Folgeperiode eine sichere Zinszahlung und eine sichere Steuerersparnis angenommen werden kann (sichere Tax Shields). – Die atmende3 bzw. wertorientierte Finanzierungspolitik bezeichnet die Planung der Fremdkapitalquote (Zielverschuldungsgrad) anstelle fixer Fremdkapitalbestände. Die Höhe des Fremdkapitalbestandes wird somit am jeweils aktuellen Unternehmenswert ausgerichtet.4 Es wird davon ausgegangen, dass der Tilgungsplan aufgrund evtl. anfallender Sondertilgungen oder erneuter Fremdkapitalaufnahme bedingt durch bestimmte Geschäftsentwicklungen nicht exakt festzulegen ist.5 Im Rahmen dieser Finanzierungspolitik sind künftige Fremdkapitalbestände und folglich künftige Zinsaufwendungen sowie daraus resultierende Steuerersparnisse unsicher (unsichere Tax Shields).

6.162 Abhängig von der Annahme einer autonomen oder einer atmenden Finanzierungspolitik ergeben sich unter der zusätzlichen Annahme des fehlenden Ausfallrisikos des Fremdkapitals (Debt Beta = 0) nachfolgend dargestellte Formeln für das Un- und Relevern. Für eine Herleitung der Formeln sei an dieser Stelle auf die Literatur verwiesen.6

1 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 226 ff. 2 Vgl. Kruschwitz/Löffler, Sichere und unsichere Steuervorteile bei der Unternehmensbewertung I, S. 8 ff. 3 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 226 f. 4 Vgl. Dinstuhl, Konzernbezogene Unternehmensbewertung, S. 33. 5 Vgl. Kruschwitz/Löffler, Sichere und unsichere Steuervorteile bei der Unternehmensbewertung I, S. 10. 6 Vgl. hierzu im Detail Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 198-205. Den Formeln liegt die Annahme zugrunde, dass kein Wachstum (g = 0) besteht. Diese Annahme wird in der Praxis üblicherweise vereinfachungsbedingt getroffen. Vgl. hierzu ebenso Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 204.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.164 § 6

Der Einfluss der Finanzierungspolitik auf den Betafaktor (Un- und Relevern) ändert sich, wenn berücksichtigt werden soll, dass die Fremdkapitalgeber einem Ausfallrisiko ihrer Forderungen ausgesetzt sind (Debt Beta . 0).

6.163

Soweit die Renditeforderungen der Fremdkapitalgeber keinem Ausfallrisiko unterliegen, entsprechen sie annahmegemäß dem risikolosen Zinssatz. Empirisch ist zumindest eine partielle Risikoübernahme seitens der Fremdkapitalgeber beobachtbar.1 Für die weitere Analyse wird nunmehr unterstellt, dass die Fremdkapitalgeber einen Teil des operativen Risikos, etwa als Folge von Forderungsausfällen aufgrund ungünstiger zukünftiger Umweltlagen, übernehmen und ihre Renditeforderung entsprechend um eine Risikoprämie (Credit Spread) erhöhen. Die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber entspricht somit nicht dem risikolosen Zinssatz, sondern übersteigt diesen. Der Credit Spread setzt sich somit aus der Differenz von Fremdkapitalkosten und risikolosem Zinssatz zusammen. Eine kapitalmarktgestützte Bestimmung der Fremdkapitalkosten ist erforderlich, sofern keine internen Informationen über ein zu bewertendes Unternehmen vorliegen. Die Fremdkapitalkosten können in diesen Fällen direkt oder indirekt bestimmt werden. Sofern das Bewertungsobjekt Anleihen emittiert hat und diese liquide gehandelt werden, kann bei der Ermittlung der Fremdkapitalkosten vereinfachend direkt auf die am Markt beobachtbare Effektivverzinsung des unternehmenseigenen Fremdkapitals abgestellt werden (Anleihen-Methode). Darüber hinaus können die Fremdkapitalkosten indirekt auf Grundlage der Durchschnittszinsmethode (Effektivzinsmethode) oder der Rating-Methode geschätzt werden. Die am Markt beobachtbare Effektivverzinsung kann auf Basis von Buchwerten ermittelt werden, indem die im Abschluss ausgewiesenen Zinsaufwendungen einer Periode durch den buchmäßigen Fremdkapitalbestand geteilt werden (Effektivzinsmethode). Für diese Methode liegen regelmäßig die erforderli-

6.164

1 Vgl. hierzu und im Folgenden Aders/Wagner, FB 2004, 30 (33 ff.). Siehe z.B. auch die ermittelten Credit Spreads bei Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren für die Unternehmensbewertung, S. 36 ff., 442 ff.

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§ 6 Rz. 6.164

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

chen Informationen aus den jeweiligen Abschlüssen vor, allerdings bilden die ermittelten Werte Vergangenheitsdaten ab und können von der aktuellen Kapitalmarkteinschätzung abweichen. In der Praxis wird zunehmend die Rating-Methode angewendet. Dabei wird alternativ auf die am Markt beobachtbaren Effektivverzinsungen von Unternehmen vergleichbarer Bonität abgestellt. Diese Methode ist vor allem dann anzuwenden, wenn unternehmenseigene Fremdkapitaltitel nicht (liquide) gehandelt werden. In diesem Fall ist zu beachten, dass bei der Einbeziehung ausländischer Emittenten regelmäßig Informationen zu den risikolosen Zinssätzen des jeweiligen Landes benötigt werden.1

6.165 Insgesamt übernehmen die Fremdkapitalgeber regelmäßig einen Teil des operativen2 Risikos, daraus ergeben sich abhängig von der Finanzierungspolitik veränderte Formeln für das Un-/Relevern. Die Zusammenhänge beim Un-/Relevern unter Berücksichtigung eines Debt Beta von größer 0 lassen sich allgemein wie folgt zusammenfassen. Für eine Herleitung der Formeln sei auch an dieser Stelle auf die Literatur verwiesen.3

6.166 Im Ergebnis scheint bei Fremdfinanzierung des Bewertungsobjekts i.d.R. eine Anpassung der empirisch ermittelten Betafaktoren im Hinblick auf Debt Beta erforderlich. Der Anpassungsbedarf besteht immer dann, wenn die zukünftige Kapitalstruktur des Unternehmens von der Kapitalstruktur im Zeitraum der empirischen Ermittlung des Betafaktors abweicht. Für den 1 Vgl. hierzu m.W.n. Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren für die Unternehmensbewertung, S. 456–462. 2 Das operative Risiko ist dabei auf seinen systematischen Anteil begrenzt. Entsprechend wird von diversifizierten Fremdkapitalgebern ausgegangen. 3 Vgl. hierzu im Detail Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 207–209. Den Formeln liegt die Annahme zugrunde, dass kein Wachstum (g = 0) besteht. Diese Annahme wird in der Praxis üblicherweise vereinfachungsbedingt getroffen. Vgl. hierzu ebenso Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 208.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.169 § 6

Fall, dass sich die Kapitalstruktur in der Zukunft voraussichtlich ändern wird, verlangt auch der IDW S 1 i.d.F. 2008, dass die Kapitalkosten entsprechend anzupassen sind.1 Diese Überlegungen gelten auch in den Fällen, in denen in die empirische Kapitalkostenermittlung Peer Group-Unternehmen einbezogen werden. Jüngst hat sich auch das IDW in seinem Praxishinweis Verschuldung zumindest in Grundzügen zum Thema Debt Beta geäußert. Vielfach weisen Peer Group-Unternehmen liquide Mittel bzw. schnell liquidierbares Finanzvermögen („Excess Cash“) auf. Beim Unlevering erfolgt die Abbildung des Excess Cash implizit durch Verminderung des Marktwerts des Fremdkapitals um die Bestände nicht betriebsnotwendiger Liquidität (Net Debt). Das Net Debt kann in diesem Zusammenhang auch negativ werden. Die Annahme, 0 % der liquiden Mittel (0 % Excess Cash) mit den Finanzverbindlichkeiten zu verrechnen, führt zu einem höheren Verschuldungsgrad und damit, ausgehend von zuvor bestimmten Raw Betas, zu niedrigeren Unlevered Betas als die Annahme, 100 % der liquiden Mittel (100 % Excess Cash) mit den Finanzverbindlichkeiten zu verrechnen. Bei Verwendung eines WACC-Verfahrens wirkt sich die Verschuldung insbesondere über den Abzug des Net Debt vom Enterprise Value aus. Bei Verwendung des Ertragswertverfahrens führt die Verschuldung

6.167

– einerseits zu (höheren) Zinsaufwendungen und damit zu geringeren zu kapitalisierenden Ergebnissen und – andererseits zu (höheren) verschuldeten Betafaktoren und damit zu höheren Eigenkapitalkosten, Jedenfalls hat die Abgrenzung des Net Debt einen ganz erheblichen Einfluss auf die Höhe des Unlevered Betas. 4. Der Betafaktor in der Rechtsprechung Die sachgerechte Ermittlung des Betafaktors stand in den letzten Jahren oftmals im Fokus 6.168 der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte. Gegenstand waren dabei auch methodische Spezifika, die in den berufsständischen Verlautbarungen des IDW S 1 i.d.F. 2008 nicht behandelt werden. Insofern wurde eine Vielzahl von (Teil-)Aspekten hinsichtlich der Ermittlung des Betafaktors beleuchtet. Im Kern der Diskussion über eine sachgerechte Methodik stand dabei insbesondere auch die Frage, ob die Verwendung einer Peer Group zur Ableitung eines Betafaktors überhaupt zulässig ist. Das OLG Stuttgart betont in seinen Entscheidungen vom 14.9.2011 und 17.10.2011, dass bei fehlender Börsennotierung des Bewertungsobjekts die Ableitung des Betafaktors anhand einer Peer Group sachgerecht ist.2 Auch das OLG Düsseldorf sieht in seiner Entscheidung vom 4.7.2012 die Anwendung des Peer Group-Verfahrens bei fehlender Börsennotierung angezeigt.3 Das OLG Stuttgart hält in seiner Entscheidung vom 15.10.2013 fest, dass auch bei einer Börsennotierung, die deutlich vor dem Bewertungsstichtag lag (im vorliegenden Fall 13 Jahre), ebenfalls auf eine Peer Group abzustellen sei.4 1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, WPg Supplement 3/2008, Tz. 100. Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, Teil A, Rz. 411. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10, AG 2012, 221 sowie OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797, OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – I-26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329. 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.10.2013 – 20 W 3/13, AG 2014, 208.

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6.169

§ 6 Rz. 6.170

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.170 Für den Fall, dass das Bewertungsobjekt börsennotiert ist, wird die Sachgerechtigkeit des Peer Group-Verfahrens von den Oberlandesgerichten teils unterschiedlich beleuchtet; in der Tendenz ist aber zumindest herauszulesen, dass es für die Ablehnung des eigenen Betafaktors einer Begründung bedarf. So macht das OLG Stuttgart die Anwendbarkeit des Peer Group-Verfahrens in einer Entscheidung vom 17.10.2011 daran fest, dass der Betafaktor des Bewertungsobjekts statistisch nicht signifikant ist.1 Auch das OLG Frankfurt lehnt in einer Entscheidung vom 5.3.2012 die Verwendung des eigenen Betafaktors aufgrund dessen mangelnder statistischer Signifikanz ab.2 Das OLG Karlsruhe führt in einer Entscheidung vom 15.11.2012 aus, dass das Peer Group-Verfahren dann anzuwenden sei, wenn der Kurs der Aktie des Bewertungsobjekts nicht aussagekräftig sei, was sich mit fehlender statistischer Signifikanz belegen lasse.3 Das OLG Karlsruhe betont in einer Entscheidung vom 13.5.2013, dass die Verwendung einer Peer Group nur dann Sinn ergebe, wenn der Betafaktor des betreffenden Unternehmens nicht sachgerecht ermittelt werden könne.4 Diese Rechtsprechung hat sich zunehmend verfestigt. So favorisiert das OLG Frankfurt die Ableitung des Betafaktors anhand des historischen Verlaufs der Börsenkurse der Aktie des zu bewertenden Unternehmens. Eine Ableitung mittels Vergleichsunternehmen oder allgemeinen Überlegungen zum individuellen Unternehmensrisiko sei ersatzweise, bspw. im Falle fehlender statistischer Signifikanz des unternehmenseigenen Betafaktors und einer unzureichenden Liquidität der Aktie, möglich.5 Das OLG Karlsruhe erachtet die Ableitung des Betafaktors auf Basis einer Peer Group ebenfalls für sachgerecht, sofern der aus historischen Daten errechnete Betafaktor der Unternehmung für die Schätzung des zukünftigen individuellen Risikos nicht geeignet sei. Dies sei bspw. gegeben, wenn die Handelsaktivität nicht ein erforderliches Mindestmaß erreiche. Auch beanstandete das Gericht einen unter Berücksichtigung des unternehmenseigenen Betafaktors und aus einer Peer Group-Überlegung abgeleiteten Betafaktor nicht.6 Das OLG Stuttgart verweist darauf, dass auch im Falle einer, aufgrund einer zu niedrigen Handelsaktivität, nicht vorhandenen Belastbarkeit des unternehmenseigenen Betafaktors, nicht unreflektiert auf eine Peer Group zurückgegriffen werden könne. Die aus einer Peer Group abgeleiteten Daten bilden demnach die unternehmensspezifische Risikosituation nur „hilfsweise und ungenau“ ab, weshalb die ermittelten Werte lediglich eine Orientierungsgröße böten, welche einer kritischen Gesamtwürdigung bedürfen.7 Der Grundsatz, wonach bei börsennotierten Gesellschaften zunächst auf den eigenen Betafaktor des Unternehmens abzustellen ist, ist inzwischen anerkannte Praxis. Mit seiner Auffassung, wonach nicht unumstritten sei, ob der unternehmenseigene Betafaktor für börsennotierte Unternehmen oder die Verwendung einer Peer Group von vorneherein geeigneter ist, vertritt das OLG Zweibrücken etwa eine Minderheitenmeinung.8

1 2 3 4 5

Vgl. OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris. Vgl. OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417. Vgl. OLG Karlsruhe v. 15.11.2012 – 12 W 66/06, AG 2012, 353. Vgl. OLG Karlsruhe v. 13.5.2013 – 12 W 77/08 (13), AG 2013, 880. Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504. Auch: OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832; OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626; OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790. 6 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, DB 2017, 2405; OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672; OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220. 7 Vgl. OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, AG 2015, 580. 8 Vgl. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200.

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.173 § 6

Die Verwendung des eigenen Betafaktors wird vom OLG Frankfurt in einer Entscheidung 6.171 vom 7.6.2011 mit der Begründung abgelehnt, dass die Kurse der Gesellschaft aufgrund geringen Handels nicht aussagekräftig seien und zudem seit Jahrzehnten ein Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag bestand.1 Das OLG Stuttgart hat in zwei Entscheidungen vom 3.4.2012 ebenfalls betont, dass bei Vorliegen eines Gewinnabführungsvertrags der Aktionär nur noch begrenzt am Risiko der Gesellschaft beteiligt ist und dieses sich auch nicht mehr in den Kursen widerspiegelt; entsprechend ist die Aussagefähigkeit historischer Kurse insofern eingeschränkt.2 Einheitliche Kriterien zur Beurteilung, ob der eigene Betafaktor einer Gesellschaft für die Bewertung herangezogen werden kann, haben sich in der Rechtsprechung bisher noch nicht etabliert.

6.172

Obwohl das Heranziehen der statistischen Filterkriterien Bestimmtheitsmaß und t-Test kritisch zu beurteilen ist (vgl. Rz. 6.126 ff.), wird die statistische Signifikanz des Betafaktors regelmäßig in Gerichtsbeschlüssen gewürdigt.3 Für Liquiditätskriterien haben sich noch keine einheitlichen Schwellenwerte herausgebildet, vielmehr wird an dieser Stelle einzelfallbezogen auf Ausschlusskriterien Bezug genommen. Auch allgemein erachtet das OLG Karlsruhe den unternehmenseigenen Betafaktor für aussagefähig, wenn keine „Anhaltspunkte für fehlenden Handel, Marktenge oder Börsenkursmanipulation“ vorliegen.4 Zum Beispiel erachtete das OLG Frankfurt in einem Fall einen unternehmenseigenen Betafaktor bei einem Bid-AskSpread von 2,37 %, einem durchschnittlichen Handelsvolumen von 6.283 Aktien und einem durchschnittlichen Handelsumsatz von 113.244 Euro nicht für aussagekräftig.5 Hinsichtlich der technischen Ermittlung des Betafaktors für ein gegebenes Unternehmen 6.173 bzw. dessen Datengrundlage steht die Rechtsprechung unterschiedlichen methodischen Annahmen offen gegenüber. So führt etwa das OLG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 13.5.2013 aus, dass sowohl tägliche, wöchentliche und monatliche Renditeintervalle existieren und keine der drei Möglichkeiten der anderen für die Ermittlung des Betafaktors grundsätzlich überlegen ist.6 Im vorliegenden Sachverhalt hielt das OLG die Ermittlung des Betafaktors auf Jahresbasis und auf Grundlage täglicher Renditen als sachgerecht, da die Berechnung auf einer ausreichenden Anzahl von Datenpunkten beruhe sowie nachvollziehbar und plausibel sei. Die Referenzperiode zur Ermittlung des Betafaktors müsse dabei nicht erst am Tag der Hauptversammlung enden, die über die Maßnahme beschließt. Vielmehr habe die Referenzperiode spätestens am Tag vor Bekanntgabe der entsprechenden Maßnahme zu enden. Mittlerweile ist hinsichtlich der Renditeintervalle eine vorsichtige Tendenz der Gerichte zu wöchentlichen Renditen bei einem zweijährigen Betrachtungszeitraum erkennbar. So erachtete das OLG Düsseldorf die Herleitung des Betafaktors von einem Sachverständigen anhand wöchentlicher Kursdaten über eine Periode von zwei Jahren als „überzeugend und nachvoll-

1 Vgl. OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 7/09, juris; OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 6/09, AG 2012, 839. 3 Vgl. u.a. OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 14/13 (AktE), AG 2017, 712; OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626. 4 Vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549. 5 Vgl. OLG Frankfurt v. 29.1.2016 –21 W 70/15, AG 2016, 551. 6 Vgl. OLG Karlsruhe v. 13.5.2013 – 12 W 77/08 (13), AG 2013, 880.

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§ 6 Rz. 6.173

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

ziehbar“.1 Das OLG Frankfurt bestätigte in einem Beschluss vom 20.7.2016 eine solche Vorgehensweise ebenfalls, allerdings akzeptierte dieses Gericht später auch eine Erhebung des Betafaktors auf Grundlage monatlicher Renditen über einen Zeitraum von fünf Jahren.2 Als Referenzindex wird von Gerichten regelmäßig der CDAX anerkannt.3 Für amerikanische Vergleichsunternehmen wird der Russell-3000 Index herangezogen.4 Ebenfalls akzeptiert wird der MSCI World-Index.5

6.174 Eine vor Gericht diskutierte Frage ist die des Rückgriffs auf einen originär ermittelten Betafaktor (raw Beta) oder des Ansatzes eines angepassten Betafaktors (adjusted Beta). In einem Beschluss vom 18.12.2014 spricht sich das OLG Frankfurt für die Anwendung des raw Betas aus. So lehnt das Gericht die Anwendung des adjusted Betas mit einem Hinweis auf eine fehlende ökonomische Begründung ab.6 Differenzierter äußert sich das OLG Saarbrücken. Nach Auffassung des Gerichts sei es bisher „in der Theorie der Unternehmensbewertung ungeklärt, ob das sog. raw-Beta oder das adjusted-Beta vorzugswürdig ist.“ Vor dem Hintergrund das eine gerichtliche Festlegung auf einen der beiden Betawerte nach Ansicht des Gerichts zu einer zwangsläufigen Benachteiligung eines Verfahrensbeteiligten führe, wurde eine vermittelnde Lösung – durch Heranziehung des arithmetischen Mittelwerts – gebilligt.7

6.175 Die Berücksichtigung der Kapitalstruktur bei der Ableitung des Betafaktors (Un-/ bzw. Relevern) wird grundsätzlich befürwortet. So erachten etwa das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 4.7.2012 als auch das OLG Frankfurt in einer Entscheidung vom 30.8.2012 die Berücksichtigung der Kapitalstruktur als sachgerecht.8

6.176 Im Kontext der Ableitung des Betafaktors ist in der jüngeren Vergangenheit die Ableitung der Peer Group ein vor Gericht kontrovers diskutiertes Thema. Konsens unter den Gerichten ist, dass eine vollständige Identität und damit eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit von Unternehmen in der Realität nicht gegeben ist und folglich nicht erforderlich sei. So erachtet es das OLG Karlsruhe als unmittelbar einleuchtend, wenn im Rahmen der Plausibilisierung des angesetzten Betafaktors keine Unternehmen für eine Peer Group gefunden werden, deren „Geschäftsfelder und Marktausrichtung vollständig mit den Daten des zu bewertenden Unternehmens übereinstimmen.“9 Das OLG Frankfurt konstatiert, dass die „Beurteilung der Vergleichbarkeit von Unternehmen nie mit wissenschaftlicher Eindeutigkeit vorgenommen werden und daher stets Anlass zu Diskussionen und unterschiedlichen Einschätzungen bieten kann.“ Keine Bedenken äußert das Gericht hinsichtlich der diskutierten Frage nach der Einbeziehung ausländischer Unternehmen bei einem international tätigen

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 14/13 (AktE), AG 2017, 712. Hierzu auch OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 14/13 (AktE), AG 2017, 712; OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832. 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832. 5 Vgl. OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626. 6 Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504; OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241. 7 Vgl. OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, AG 2014, 866. 8 Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797 bzw. OLG Frankfurt v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, NZG 2012, 1382. 9 Vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549.

188

Franken/Schulte

Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.180 § 6

Unternehmen.1 Diese Auffassung vertritt auch das OLG Düsseldorf und beanstandete eine auf westeuropäische und nordamerikanische Unternehmen beschränkte Vergleichsgruppe nicht, welche anhand der Kriterien Größe, Tätigkeitsfeld und regionaler Ausrichtung vom Bewertungsgutachter zusammengestellt wurde.2 Unter Verweis darauf, dass das Bewertungsobjekt geringeren Risiken als die Vergleichsunternehmen unterliege, nahm das OLG Frankfurt einen Abschlag im Rahmen der Ableitung des Betafaktors vor, obwohl das Gericht feststellte, dass sich die Höhe des konkreten Abschlags einer „objektivierbaren Quantifizierung“ entziehe.3 In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bildete sich in den letzten Jahren somit insgesamt die Auffassung heraus, dass die Verwendung einer Peer Group zur Ableitung eines Betafaktors grundsätzlich zulässig sei. Die Verwendung einer Peer Group wurde durch die Gerichte im jeweiligen Einzelfall gerechtfertigt. Aus dieser Rechtfertigung lässt sich insoweit grundsätzlich ein Vorrang des unternehmenseigenen Betafaktors ableiten. Die Gerichte begründen das sachgerechte Abstellen auf eine Peer Group insbesondere dadurch, dass der unternehmenseigene Betafaktor gar nicht (fehlende Börsennotierung) oder nicht insofern zuverlässig (bspw. Vorliegen eines Gewinnabführungsvertrags) ermittelt werden kann, dass er das systematische Risiko des Bewertungsobjekts widerspiegelt.

6.177

VI. Zusammenfassung Im Ertragswertverfahren werden bei Anwendung der Risikozuschlagsmethode die erwarteten Überschüsse aus einem Unternehmen mit einem geeigneten Kapitalisierungszinssatz diskontiert. Der Kapitalisierungszinssatz entspricht dabei der Investition in eine zum Bewertungsobjekt äquivalente Alternativanlage, bei der insbesondere die Unsicherheit der Überschüsse äquivalent sein muss. Dabei wird der Kapitalisierungszinssatz in die Komponenten sicherer Zinssatz (Basiszinssatz) und Risikozuschlag aufgespalten. Bei Anwendung des Capital Asset Pricing Models wird der Risikozuschlag dann als Produkt aus unternehmensunspezifischer Marktrisikoprämie und unternehmensspezifischem Betafaktor ermittelt.

6.178

Die Verwendung der Risikozuschlagsmethode und die Bemessung des Risikozuschlags auf Basis des CAPM/Tax-CAPM ist in der Praxis weit verbreitet und wird auch in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Hingegen sind bei der sachgerechten Bestimmung der einzelnen Komponenten des Kapitalisierungszinssatzes, je nach Komponente, der Konsens unter Wissenschaftlern und Praktikern sowie die Einheitlichkeit der Rechtsprechung unterschiedlich weit vorangeschritten.

6.179

Der Basiszinssatz wird nach herrschender Ausfassung zukunftsorientiert aus Kapitalmarktdaten abgeleitet. Die Deutsche Bundesbank schätzt mittels des Svensson-Modells auf Basis hypothetischer Nullkuponanleihen an jedem Börsentag Zinsstrukturkurven. Die geschätzten Parameter des Svensson-Modells werden in einer online verfügbaren Datenbank der Deutschen Bundesbank veröffentlicht. Durch Einsetzen der Parameter in die Schätzgleichung nach Svensson kann die Zinsstrukturkurve abgebildet und daraus wiederum der Basiszins abgeleitet werden. In der Praxis wird aus den laufzeitabhängigen Zinssätzen der Zinsstrukturkurve zumeist ein laufzeitunabhängiger Einheitszinssatz berechnet.

6.180

1 Vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – I-26 W 2/15, AG 2017, 584. 3 Vgl. OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626.

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§ 6 Rz. 6.181

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

6.181 Die Marktrisikoprämie ist die Differenz der Rendite des riskanten Marktportfolios und der Rendite der sicheren Anlage. Es handelt sich somit um die erwarteten Renditeunterschiede aus der Anlage in das Marktportfolio der unsicheren Wertpapiere und zum sicheren Zinssatz. Empirisch kann die Marktrisikoprämie vergangenheitsorientiert und zukunftsorientiert abgeleitet werden. Um die Marktrisikoprämie zukunftsorientiert zu bestimmen, werden Expertenmeinungen oder Markterwartungen über die jeweiligen Renditen zugrunde gelegt. Beim vergangenheitsorientierten Ansatz werden hingegen historische Renditeunterschiede der beiden Anlagetypen berechnet und als Prognose der zukünftigen Entwicklung angesetzt. In der Praxis werden die Erwartungen über die Marktrisikoprämie meist anhand von Studien abgeleitet, die auf dem vergangenheitsorientierten Ansatz basieren. Für die zukunftsorientierte Ableitung hat sich bisher kein Modell durchgesetzt; die Schätzungen reagieren dabei sehr sensitiv auf die verwendeten Prognosen und Annahmen, weswegen dieser Ansatz bisher aufgrund mangelnder „Praxisreife“ als nicht sachgerecht verworfen wird. In der aktuellen Rechtsprechung wird dabei neuerdings die zukunftsbezogene Ermittlung der Marktrisikoprämie angeregt, so dass zukünftig eine entsprechende Umorientierung in diese Richtung nicht ausgeschlossen werden kann.

6.182 Durch Multiplikation der unternehmensunspezifischen Marktrisikoprämie mit dem unternehmensspezifischen Betafaktor wird im CAPM das systematische Risiko eines Unternehmens bemessen. Dieses Produkt geht als Risikozuschlag in den Kapitalisierungszinssatz ein; dabei umfasst das systematische Risiko das operative Risiko und das finanzwirtschaftliche Risiko. Empirisch beobachtbare Betafaktoren berücksichtigen grundsätzlich beide Risikoarten und werden als verschuldeten Betafaktoren bezeichnet. Wird der verschuldete Betafaktor um das finanzwirtschaftliche Risiko bereinigt, erhält man den Betafaktor eines fiktiv unverschuldeten Unternehmens, der nur das operative Risiko misst. Dieser Betafaktor wird auch als unverschuldeter Betafaktor bezeichnet.

6.183 In der praktischen Anwendung wird zunächst der verschuldete Betafaktor eines Unternehmens durch Regression der Aktienrendite auf die Rendite des Marktportfolios berechnet. Falls der eigene Betafaktor nicht belastbar oder aufgrund fehlender Börsennotierung des Bewertungsobjekts nicht beobachtbar ist, kann der Betafaktor des Bewertungsobjekts auf Grundlage der verschuldeten Betafaktoren einer Gruppe von Vergleichsunternehmen (Peer Group) bestimmt werden. Die Rechtsprechung hält dabei unter gewissen Voraussetzungen die Verwendung einer Peer Group für zumindest grundsätzlich möglich. Eine Vielzahl von Parametern wie Beobachtungszeitraum, Renditeintervall und Referenzindex haben eine Auswirkung auf den geschätzten (verschuldeten) Betafaktor. Bei der entsprechenden Parameterwahl ist zumindest in Teilen keine einheitliche Auffassung in der Praxis auszumachen und auch in der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Vor diesem Hintergrund ist die Sachgerechtigkeit des Betafaktors im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.

6.184 Empirisch beobachtbare Betafaktoren erfassen neben dem operativen Risiko auch das Kapitalstrukturrisiko eines Unternehmens. Entsprechend ist der empirische, verschuldete Betafaktor des Bewertungsobjekts oder der Peer Group Unternehmen um das Kapitalstrukturrisiko zu bereinigen (unlevern). Der unverschuldete Betafaktor ist im Rahmen der Bewertung wieder unter Berücksichtigung der geplanten Verschuldung des Bewertungsobjekts in einen verschuldeten Betafaktor umzurechnen (relevern). Auf Basis dieses verschuldeten Betafaktors wird schließlich der Risikozuschlag ermittelt, der in den Kapitalisierungszinssatz eingeht. Die Berücksichtigung des Kapitalstrukturrisikos wird in der Praxis durchgängig als sachgerecht angesehen. In der Rechtsprechung ist die grundsätzliche Berücksichtigung des Kapitalstrukturrisikos ebenfalls anerkannt. Unterschiede bestehen in der praktischen Anwendung dahin190

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Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes

Rz. 6.185 § 6

gehend, wie das finanzwirtschaftliche Risiko berücksichtigt wird. Dies korrespondiert mit unterschiedlichen Prämissensetzungen bezüglich des Ausfallrisikos des Fremdkapitals und der Finanzierungspolitik des Unternehmens (atmend oder autonom). Insgesamt ist zu konstatieren, dass zwar die Grundsätze der Bewertung auf einen breiten Konsens stoßen, bei der praktischen Ermittlung einzelner Komponenten des Kapitalisierungszinssatzes jedoch durchaus unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. In jüngerer Vergangenheit ist dabei bspw. eine Konsensbildung bei der zukunftsbezogenen Ermittlung des Basiszinssatzes auf Grundlage der Zinsstrukturkurve nach Svensson zu beobachten, während bei der Prämissensetzung zur Ableitung des Betafaktors ein breit gefächertes Meinungsbild verbleibt. Insgesamt ist daher die Bestimmung der Kapitalkosten ein dynamisches Gebiet, bei dem die Konsensbildung insbesondere in Teilbereichen noch aussteht. Die Auffassung darüber, was sachgerecht ist, befindet sich in der praktischen Anwendung und entsprechend auch in der Rechtsprechung zumindest in diesen Teilbereichen in einem beständigen Wandel.

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191

6.185

§7 Planung und Prognose I. Planung und Prognose als rechtlich determinierte Kategorien . . . . . . . . . 1. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnisbestimmung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufgabenstellung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Analyse des Meinungsstands . . . . . . . 1. Berufsständische Praxis . . . . . . . . . . . a) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgaben des DAT/AltanaBeschlusses des BVerfG . . . . . . . . . b) Neuere Rechtsprechung des BGH . c) Jüngere Rechtsprechung der Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . .

7.1 7.1 7.4 7.7 7.8 7.8 7.8 7.12 7.15 7.15 7.20 7.28 7.28

bb) Aktuelle Rechtsprechungsgrundsätze am Beispiel des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . cc) Sichtweisen anderer Gerichte . dd) Rechtsprechung zu Einzelpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichlauf mit der herrschenden Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenmodell: Grundsatz der bestmöglichen Verwertung . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestmögliche Verwertung und Verkehrswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestmögliche Verwertung als Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verkehrswert und Erwerberkalkül . 2. Praktische Konsequenzen . . . . . . . . . .

7.29 7.35 7.39 7.41 7.41 7.44 7.45 7.45 7.45 7.49 7.50 7.54

Schrifttum: Aha, Aktuelle Aspekte der Unternehmensbewertung im Spruchstellenverfahren. Zugleich Anmerkungen zu der Paulaner-Entscheidung des BayObLG, AG 1997, 26; Busse von Colbe, Die Resonanz betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse zur Unternehmensbewertung in der zivilrechtlichen und steuerlichen Rechtsprechung, StbJb 1981/82, 257; Busse von Colbe, Berücksichtigung von Synergien versus Stand-alone-Prinzip bei der Unternehmensbewertung, ZGR 1994, 595; Busse von Colbe, Der Vernunft eine Gasse: Abfindung von Minderheitsaktionären nicht unter dem Börsenkurs ihrer Aktien, FS Lutter, 2000, S. 1053; Feldhoff, Der neue IDW-Standard zur Unternehmensbewertung: Ein Fortschritt?, DB 2000, 1237; Fleischer, Die Barabfindung außenstehender Aktionäre nach den §§ 305 und 320b AktG: Stand-alone-Prinzip oder Verbundberücksichtigungsprinzip?, ZGR 1997, 368; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen, AG 2014, 97; Fleischer, Der Stinnes-Beschluss des BGH zur Anwendung neuer Bewertungsstandards auf vergangene Bewertungsstichtage, AG 2016, 185; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band/Erster Teil. Die Personengesellschaft, 1977; Forster, Zur angemessenen Barabfindung (§ 305 AktG), FS Claussen, 1997, S. 91; Gießelmann/Meinert, Nichtberücksichtigung eines Ereignisses mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit bei der Unternehmensbewertung, GWR 2016, 143; Hommel/Braun/Schmotz, Neue Wege in der Unternehmensbewertung? – Kritische Würdigung des neuen IDW-Standards (IDW S 1) zur Unternehmensbewertung –, DB 2001, 341; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; Hüttemann, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung, in Heintzen/Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, 2003, S. 151; Hüttemann, Börsenkurs und Unternehmensbewertung, ZGR 2001, 454; Hüttemann, Rechtliche Vorgaben für ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603; Hüttemann, Richterliche Unternehmensbewertung zwischen Rechts- und Tatfragen, FS Schilken, 2015, S. 317; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Knoll, Planungsrechnung zwischen Risikoberücksichtigung und Zweckadäquanz, DStR 2010, 615; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a AktG, 2014; F. Meilicke, Erzielbarer Veräußerungserlös vs. objektivierten Unternehmenswert bei der Abfindung von Gesellschaftern, ZIP 2014, 605; W. Meilicke, Die Barabfindung für den aus-

192

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.1 § 7

geschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter. Rechtsgrundsätze zur Unternehmensbewertung, 1975; Meinert, Neuere Entwicklungen in der Unternehmensbewertung (Teil I), DB 2011, 2397; Mertens, Zur Geltung des Stand-alone-Prinzips für die Unternehmensbewertung bei der Zusammenführung von Unternehmen, AG 1992, 321; Meyer, Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung nachträglich erlangter Informationen bei der Bewertung von Unternehmen, AG 2015, 16; Meyer, Anmerkung zu BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14 („Stinnes“), WuB 2016, 336; W. Müller, Unternehmenswert und börsennotierte Aktie, FS G.H. Roth, 2011, S. 517; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung bei freiwilligem Ausscheiden aus der Personengesellschaft, 1990; Peemöller, Grundsätze der Unternehmensbewertung – Anmerkungen zum Standard IDW S 1, DStR 2001, 1401; Popp, Fester Ausgleich bei Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen, WPg 2008, 23; Popp/Ruthardt, Das entscheidungsorientierte Stichtagsprinzip bei der Unternehmensbewertung, AG 2015, 857; Riegger/Wasmann, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung, FS Goette, 2011, S. 433; Ruiz de Vargas/Schenk, Anteilsbewertung im Squeeze-out-Fall bei vorliegendem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag: Barwert der Ausgleichszahlungen oder anteiliger Ertragswert?, AG 2016, 354; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out, 2014; Ruthardt/Hachmeister, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung – Grundlegende Anmerkungen und Würdigung der jüngeren Rechtsprechung in Spruchverfahren, WPg 2012, 451; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensplanung und (optimales) Unternehmenskonzept in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, DB 2013, 2666; Ruthardt/Hachmeister, Verkehrswert des Anteils und Verkehrswert des Unternehmens, WPg 2016, 411; Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2018, AG 2019, 196; Schildbach, Kölner versus phasenorientierte Funktionenlehre der Unternehmensbewertung, BFuP 1993, 25; Schüppen, Brot, Steine und Glatteis – Der „Solange-Beschluss“ des BGH zur Unternehmensbewertung unter rückwirkender Anwendung von IDW S 1 (2005), ZIP 2016, 393; Schwetzler, Die „volle“ Entschädigung von außenstehenden und ausscheidenden Minderheitsaktionären – eine Anmerkung aus ökonomischer Sicht, WPg 2008, 890; Spindler, Prognosen im Gesellschaftsrecht, AG 2006, 677; Stilz, Börsenkurs und Verkehrswert. Besprechung der Entscheidung BGH ZIP 2001, 734 – DAT/Altana, ZGR 2001, 875; Stilz, Die Anwendung der Business Judgement Rule auf die Feststellung des Unternehmenswerts bei Verschmelzungen, FS Mailänder, 2006, S. 423; Stilz, Unternehmensbewertung und angemessene Abfindung – Zur vorrangigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses –, FS Goette, 2011, S. 529; Weiss, Die Berücksichtigung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens bei der Bestimmung von Abfindung und Ausgleich im aktienrechtlichen Spruchstellenverfahren, FS Semler, 1993, S. 631; Wieland-Blöse, Unternehmensplanung bei Bewertungen, Restrukturierungen und sonstigen Transaktionen, WPg 2017, 841; Wieland-Blöse/Pfender, Beurteilung der Unternehmensplanung im Transaktionskontext, CF 2018, 93; Wollny, Der Bewertungsstichtag für Unternehmenswerte bei aktienrechtlichen Abfindungen, M&A-Transaktionen und Schadensersatz, DStR 2017, 949.

I. Planung und Prognose als rechtlich determinierte Kategorien 1. Problemaufriss Die Praxis der Unternehmensbewertung wird vom Ertragswertverfahren (§ 4) dominiert. Es ist, ebenso wie das auf gleichen konzeptionellen Grundlagen basierende DCF-Verfahren1 (zu ihm und seinen Spielarten § 10), von Elementen der Unsicherheit geprägt, da sein Kernpfeiler in der Antizipation zukünftiger Zustände und Entwicklungen besteht (Konzept des Zukunftserfolgswerts).2 Diese Zukunftsbezogenheit macht prognostische Betrachtungen erfor-

1 Siehe nur IDW S 1, Rz. 101 sowie Rz. 3.18, 3.36. 2 S. etwa BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439 (440); BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167 a.E.); IDW S 1, Rz. 5; IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 3 f.; Busse von Colbe, StbJb. 1981/82, 257 (266); Moxter, Grundsätze, S. 11; Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 33 ff.;

Meyer 193

7.1

§ 7 Rz. 7.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

derlich, die das „Kernproblem einer jeden Unternehmensbewertung“ bilden.1 Die heutige Bewertungspraxis unterscheidet zwischen einer regelmäßig drei- bis fünfjährigen Detailplanungsphase und einer nachgelagerten Phase der ewigen Rente.2 Die zugehörigen Vorgehensweisen werden an anderer Stelle dieses Handbuchs näher dargestellt, so dass auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann (Rz. 5.11 ff.).3 In diesem Kapitel geht es hingegen vorrangig darum, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Planung und Prognose herauszuarbeiten. Es handelt sich um eine vorgelagerte Frage, da insoweit die gesetzlichen Bewertungsziele betroffen sind, die nicht zur Disposition der betriebswirtschaftlichen Methodenanwendung stehen, sondern – umgekehrt – den Ausgangspunkt für ebendiese Methodenanwendung bilden (vgl. Rz. 34.37 ff.; zur Verhältnisbestimmung Rz. 1.5 ff. sowie § 13).4

7.2 Von entscheidender Bedeutung ist, welche Informationen bei rechtsgeleiteten Bewertungen5 in die Prognose einfließen können bzw. müssen, d.h. es geht um die Grundlagen der Prognosebildung. Entsprechende normative Vorgaben folgen zunächst aus der Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips, die in Rz. 14.10 ff., 14.40 ff. näher erörtert wird. Insoweit geht es um die Frage, aus welchem Erkenntnishorizont heraus zu bestimmen ist, ob tatsächliche bzw. rechtliche Zustände und Entwicklungen in die Prognosebildung einfließen. Nach hier vertretener Auffassung ist auf die Perspektive eines gedachten Unternehmenserwerbers abzustellen, der seinen Kenntnisstand am Stichtag auf Basis einer Due Diligence-Prüfung erlangt hat (Rz. 14.60 f.; dazu auch Rz. 7.17, 7.50 ff.). Die in diesem Zusammenhang häufig bemühte Wurzelmetaphorik hat demgegenüber keinerlei Abgrenzungskraft und ist bereits in ihrem theoretischen Ausgangspunkt unrichtig (Rz. 14.62).6 Zu betonen ist ferner, dass die Unternehmensbewertung „[d]urch eine abweichende tatsächliche Entwicklung der zugrunde gelegten Erträge […] nicht nachträglich als falsch entlarvt und unrichtig [wird].“7

7.3 Darüber hinaus ist zu fragen, welche und wessen Planungen für die Prognose der künftigen Erträge und Überschüsse maßgebend sind. Insbesondere gilt es zu erörtern, ob die Bewertung und ihre gerichtliche Nachprüfung an das vorzufindende Unternehmenskonzept und die be-

1 2 3

4

5 6 7

Wieland-Blöse in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. K 86 ff.; dazu Rz. 4.7 ff. So IDW S 1, Rz. 68; s. auch Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 239; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24. IDW S 1, Rz. 75 ff.; IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 51 ff.; Wieland-Blöse in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. K 87 f.; Rz. 5.20 ff. Dazu auch IDW S 1, Rz. 68 ff.; IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 1 ff.; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 239 ff.; Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 115 ff.; Wieland-Blöse in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. K 1 ff. K 86 ff.; aus dem weiteren neueren Schrifttum Wieland-Blöse, WPg 2017, 841 (841 ff.); s. auch Rz. 34.48 ff. Vgl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (375); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (535); Weiss in FS Semler, 1993, S. 631 (638); s. aus der Rechtsprechung insbesondere BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (119 f.) = AG 2016, 135; dazu Fleischer, AG 2016, 185 (188 ff.); Meyer, WuB 2016, 336 (338); Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354 (355 f.); Schüppen, ZIP 2016, 393 (395); deutlich bereits BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90 – Paulaner, AG 1996, 127 (128). Zur Differenzierung zwischen rechtsgeleiteten (normgeprägten) und nicht rechtsgeleiteten Bewertungsanlässen s. nur Fleischer, AG 2014, 97 (98); zu nicht rechtsgeleiteten Bewertungen s. Rz. 7.6. Ausführlich und mit umfänglichen Nachweisen Meyer, AG 2015, 16 (16 ff.). Zutreffend BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167 a.E.); näher Rz. 14.56 ff.; zur gleichgerichteten Sichtweise innerhalb der neueren OLG-Rechtsprechung s. Rz. 7.39 a.E.

194

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.4 § 7

stehende Unternehmensplanung anzubinden sind oder alternative Szenarien berücksichtigt werden dürfen. Betroffen sind auch insoweit die Grundlagen der Prognosebildung, so dass es sich um einen Ausschnitt aus der in Rz. 7.2 angesprochenen, allgemeineren Thematik handelt. Jedoch hat sich zu diesem Fragenkreis ein spezieller Meinungsstand gebildet, der mit Sonderwertungen „aufgeladen“ ist. Insbesondere besteht eine weitgehend eingespielte obergerichtliche Rechtsprechung, nach der maßgeblich auf die Planungen der Geschäftsleitung des zu bewertenden Unternehmens und damit auf das bestehende Unternehmenskonzept abzustellen ist (vielfältige Nachweise in Rz. 7.28 ff.). Diese Sichtweise deckt sich im Kern mit der berufsständischen Praxis der Wirtschaftsprüfer (näher Rz. 7.8 ff.), während die in der Rechtsprechung des BGH vorzufindenden Vorgaben bei näherem Hinsehen uneinheitlich sind und Inkonsistenzen aufweisen (Detailanalyse in Rz. 7.20 ff.; zu den vorgelagerten verfassungsrechtlichen Implikationen Rz. 7.15 ff.). Die in der Bewertungs- und Rechtsanwendungspraxis vorzufindende grundsätzliche Bindung an bestehende Konzepte und Planungen der Unternehmensleitung wird in Teilen des Schrifttums kritisiert, da aus Rechtsgründen keine suboptimale Planung zugrunde gelegt werden dürfe, sondern die Erträge bzw. Überschüsse auf Basis bestmöglicher unternehmerischer Dispositionen zu kalkulieren seien (Nachweise in Rz. 7.44 ff.). Diese Kritik betont zu Recht, dass es auch in dieser Hinsicht entscheidend auf die gesetzlichen Bewertungsvorgaben ankommt.1 Sie gilt es offenzulegen, um bestimmen zu können, in welcher Intensität die Gerichte gehalten sind, die vorgefundenen Unternehmensplanungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren bzw. zu ersetzen. 2. Verhältnisbestimmung und Abgrenzung Die (Rechts-)Frage, auf welcher planerischen Grundlage die Prognosenbildung zu erfolgen hat, stellt sich auch noch in anderen Schattierungen.2 Wenn man nämlich mit der in Rz. 7.3 in Bezug genommenen, die Praxis beherrschenden Sichtweise der Meinung ist, dass zuvörderst auf die konkreten Planungen der Geschäftsleitung des zu bewertenden Unternehmens abgestellt werden muss, wäre es zumindest begründungsbedürftig, das nicht betriebsnotwendige Vermögen mit Liquidationswerten anzusetzen,3 sofern, wie regelmäßig, keine Veräußerung der entsprechenden Wirtschaftsgüter beabsichtigt ist.4 Generell wäre es zweifelhaft, den Liquidationswert des Unternehmens als dessen Wertuntergrenze anzusetzen.5 Auch eine Berücksichtigung von Verbundeffekten wäre regelmäßig inkonsequent, zumal eine trennscharfe Abgrenzung zwischen unechten Synergien6 und der Bindung an bestehende Planungen und Konzepte kaum möglich ist.7 Zu allen diesen Problembereichen haben sich spezielle 1 Hüttemann, CF 2016, 467 (471); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586). 2 Vgl. bereits Hüttemann, WPg 2007, 812 (815 f.); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (582 ff.); s. zu den engen Zusammenhängen, die zwischen den im Folgenden angeführten Gesichtspunkten bestehen, auch Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372 ff.; Meinert, DB 2011, 2397 (2340 ff.). 3 Siehe etwa IDW S 1, Rz. 5, 60 f. 4 Konsequent Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 80; weitere Nachweise in Rz. 8.9. Anhand der Paulaner-Entscheidung des BayObLG wird zudem deutlich, dass die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit von Konzeptänderungen auf das Engste mit der Bestimmung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zusammenhängt (BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90, AG 1996, 127 [128]; dazu Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 [568, 592]). 5 Vgl. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510). 6 Zum Begriff Rz. 16.3. 7 Vgl. Busse von Colbe, StbJb. 1981/82, 257 (271); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 413 („oder“); Komp, Zweifelsfragen, S. 132; Peemöller, DStR 2001 1401 (1404); Popp, WPg 2008, 23 (30); zu diesem Fragenkreis auch Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372 f., der allerdings, m.E. wenig überzeugend, „scharf“ zwischen diesen Problemlagen trennen will.

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7.4

§ 7 Rz. 7.4

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Meinungsstände gebildet, die in diesem Handbuch gesondert behandelt werden (zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen § 8, zur Frage des Liquidationswerts als Wertuntergrenze Rz. 9.15 ff., zu Synergien § 16). Aufgrund der engen Verwandtschaft dieser Themenkreise mit der hier in erster Linie erörterten Frage, ob und inwieweit die Bewertung an das bestehende Unternehmenskonzept und die vorzufindenden Planungen gebunden ist, können die dort auszumachenden Argumentationslinien in Teilen fruchtbar gemacht werden, was im Folgenden unter Kenntlichmachung des jeweiligen Kontextes geschehen wird.

7.5 Die vorstehend angesprochenen Problembereiche haben gemein, dass sich jeweils eine Sonderdogmatik herausgebildet hat, die die in Rz. 7.2 angesprochene Ausgangsfrage nach Aussagegehalt und Reichweite des Stichtagsprinzips partiell überlagert, weil verbreitet mit verengenden Zurechnungskriterien gearbeitet wird, deren rechtliche Validität zu hinterfragen ist. Im Hinblick auf die vorliegend zu beantwortende Frage nach der Bindung an bestehende Unternehmenskonzepte und -planungen ist dieser Zusammenhang in Rz. 14.17 ff. offengelegt worden: Die Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips (Rz. 14.10 ff., 14.40 ff.) trägt lediglich den Ausschluss solcher Alternativkonzepte, die nach den Verhältnissen am Bewertungsstichtag nicht erkennbar sind bzw. unrealistisch erscheinen, gebietet jedoch keine Bindung an die konkreten Planungen der Geschäftsleitung bei der Prognoseerstellung.1 Ob eine derartige Bindung von Rechts wegen erforderlich ist, muss vielmehr normativ-wertend ermittelt werden.2 Mit anderen Worten: Das Stichtagsprinzip kann nicht als Begründung dafür herhalten, naheliegende Entwicklungsmöglichkeiten auszuschließen.3 Das gilt, entgegen teilweise vertretener Meinung, erst recht für die sog. „Wurzeltheorie“,4 die ohnehin verfehlt ist (Rz. 14.62).

7.6 Ob sich Restriktionen, die über die nach allgemeinen Grundsätzen gebotene Informationsabgrenzung (Rz. 7.5 mit Rz. 14.40 ff.) hinausgehen, begründen lassen, ist bei rechtsgeleiteten Bewertungen eine Rechtsfrage, da die gesetzlichen Bewertungsziele betroffen sind.5 Ihr ist im Folgenden nachzugehen (zur Vorgehensweise Rz. 7.7). Bei sonstigen Bewertungsanlässen betrifft die Frage, ob eine Bindung an Planungen der Unternehmensleitung Platz greift, hingegen in erster Linie die bewertungsanlassabhängige Zweckmäßigkeit (Bewertungszweckadäquanz).6 Der IDW S 1 (zu ihm Rz. 7.8) verweist in diesem Zusammenhang auf den Bewertungsauftrag, der „Besonderheiten des Prognoseverfahrens“ vorgeben kann.7 Insbesondere sind bei der Ermittlung eines subjektiven Entscheidungswerts für einen Erwerbsinteressen1 Gleichsinnig Adolff, Unternehmensbewertung, S. 223, S. 372; Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670 f.); zur vergleichbaren Problemlage bei den Verbundeffekten Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435). 2 Treffend Hüttemann, WPg 2007, 812 (815): „normative Vorgabe“; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (453): „normative Frage“, „(zusätzliche) normative Eingrenzung“. 3 Vgl. Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.). 4 Zutreffend bereits Busse von Colbe, StbJb. 1981/82, 257 (263); unrichtig etwa BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 266; Riegger/Gayk in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 10. 5 Zur Abgrenzung von Rechts- und Tatsachenfragen BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (119 f.) = AG 2016, 135; näher § 13; zum Dispositionsrahmen der an der Bewertung beteiligten Parteien vgl. Rz. 14.15, 14.25. 6 Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 20; Hommel/ Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (341); Peemöller, DStR 2001 1401 (1402); Wieland-Blöse/Pfender, CF 2018, 93 (94); grundlegend Moxter, Grundsätze, S. 5 f. 7 IDW S 1, Rz. 2 sowie auch Rz. 17.

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Planung und Prognose

Rz. 7.8 § 7

ten „auch solche strukturverändernden Vorgaben sowie bereits erkannte und realisierbare Möglichkeiten zu berücksichtigen, die (noch) nicht Bestandteil des zum Bewertungsstichtag dokumentierten Unternehmenskonzepts sind.“1 Dahinter steht die Überlegung, dass der Erwerber in der Lage ist, ein eigenes Fortführungskonzept zu implementieren, das die für ihn rentabelste Nutzung widerspiegelt.2 Diese – zutreffende – Sichtweise steht, wie im Rahmen dieses Kapitels herausgearbeitet wird, in einem Spannungsverhältnis zum sog. objektivierten Unternehmenswert, der nach Meinung des IDW bei rechtsgeleiteten Bewertungen einschlägig sein soll (Rz. 7.8). 3. Aufgabenstellung und Vorgehensweise Im Folgenden wird im Schwerpunkt der Frage nachgegangen, ob und inwieweit bei rechtsgeleiteten Bewertungen eine Bindung an die bestehenden Unternehmenskonzepte und -planungen zu erfolgen hat. Zudem werden weitere rechtliche Vorgaben aufgezeigt, die bei der Prognosebildung zu beachten sind und nicht bereits in dem Kapitel über das Stichtagsprinzip (§ 14) oder in spezielleren Abschnitten dieses Handbuchs (vgl. Rz. 7.1, 7.4) thematisiert werden. Den Bezugspunkt dieses Kapitels bilden Unternehmen mit vorrangig finanziellen Zielsetzungen. Auf Besonderheiten bei nicht profitorientierten Unternehmen wird in § 32 eingegangen.3 Die Darstellung setzt bei der für die Bewertungspraxis zentralen berufsständischen Praxis an (Rz. 7.8 ff.) und unternimmt sodann eine kritische Detailanalyse der vorzufindenden Rechtsprechung und Literatur (Rz. 7.15 ff.). Auf dieser Basis wird eine Stellungnahme herausgearbeitet, die sich vertieft mit den gesetzlichen Bewertungsvorgaben auseinandersetzt und ihre Konsequenzen für die Praxis beleuchtet (Rz. 7.45 ff.).

7.7

II. Analyse des Meinungsstands 1. Berufsständische Praxis a) Darstellung Die Bewertungspraxis wird geprägt durch den IDW S 1 (Grundsätze zur Durchführung von 7.8 Unternehmensbewertungen).4 Dieser Standard verweist den mit Bewertungsaufgaben betrauten Wirtschaftsprüfer in erster Linie auf einen objektivierten Unternehmenswert5 (zu diesem Konzept Rz. 3.2 ff.) und geht, wenn auch eher am Rande,6 davon aus, dass dieser Wert insbesondere für rechtsgeleitete Bewertungsanlässen maßgebend ist.7 Er wird umschrieben 1 2 3 4 5

IDW S 1, Rz. 49. Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 300 ff. Dazu auch Hüttemann, CF 2016, 467 (474 f.). Näher zu diesem Standard § 3 sowie Rz. 2.28 ff. Vgl. IDW S 1, Rz. 12; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 17, A 32 f., A 260 ff., auch zu den davon zu trennenden subjektiven Entscheidungswerten, die relevant werden, wenn der Wirtschaftsprüfer als Berater oder Schiedsgutachter tätig wird (vgl. auch oben Rz. 7.6). 6 Vgl. IDW S 1, Rz. 31 mit Rz. 8 ff.; deutlicher IDW S 13, Rz. 8 f., 15 ff., 28; s. auch Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 17; Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 16 ff. 7 So auch das allgemeine Verständnis; vgl. Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 49; Fleischer, AG 2014, 97 (99 f.); Mertens, AG 1992, 321 (324); zu nicht rechtsgeleiteten Bewertungen, bei denen der Wirtschaftsprüfer häufig eine Beraterrolle innehat (s. erneut IDW S 1, Rz. 12), s. oben Rz. 7.6.

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§ 7 Rz. 7.8

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

als ein „von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängige[r] Wert des Unternehmens“.1 Damit korrespondiert die Rolle des Wirtschaftsprüfers als „neutraler Gutachter“ bzw. „Sachverständiger“.2 Ein Kerncharakteristikum des objektivierten Unternehmenswerts als „intersubjektiv nachprüfbare[r] Zukunftserfolgswert“ bildet die Prämisse der „Fortführung des Unternehmens auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts“.3 Dahinter steht die Überlegung, dass zur bewertbaren Ertragskraft nur solche Erfolgschancen zählen, „die sich zum Bewertungsstichtag aus bereits eingeleiteten Maßnahmen oder aus hinreichend konkretisierten Maßnahmen im Rahmen des bisherigen Unternehmenskonzepts und der Marktgegebenheiten ergeben.“4 Mögliche, aber noch nicht hinreichend konkretisierte Maßnahmen (z.B. Erweiterungsinvestitionen oder Desinvestitionen) werden daher als unbeachtlich angesehen.5

7.9 In der Konsequenz dieses Ansatzes liegt es, dass unechte Synergieeffekte (zum Begriff Rz. 16.3) nur insoweit Berücksichtigung finden, als die dafür erforderlichen Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.6 Wenig folgerichtig erscheint es demgegenüber, dass die Veräußerung nicht betriebsnotwendigen Vermögens (zu diesem Rechtsproblem § 8) auch dann zugrunde gelegt wird, wenn es an darauf gerichteten Planungen fehlt (vgl. bereits Rz. 7.4).7 In eine ähnliche Richtung weist es, wenn der Liquidationswert grundsätzlich als Wertuntergrenze angesehen wird (dazu Rz. 9.15 ff.).8

7.10 Demgegenüber entspricht es der in Rz. 7.8 herausgestellten Prämisse, dass im Rahmen der Detailplanungsphase (dazu ausführlich Rz. 5.20 ff.) auf das individuelle Unternehmenskonzept abgestellt wird.9 Die Planungen müssen aufeinander abgestimmt sein und sind vom Wirtschaftsprüfer kritisch im Hinblick auf ihre Plausibilität und Realisierbarkeit zu würdigen.10 Die zugrunde gelegten Annahmen müssen nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen sein, wobei mit Blick auf die Unsicherheit künftiger Entwicklungen ein Einschätzungsspielraum des Planerstellers besteht (ausführlich zur Plausibilisierung von Planungen

1 IDW S 1, Rz. 12. 2 IDW S 1, Rz. 12; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 31 ff. 3 IDW S 1, Rz. 29 (Hervorhebung nur hier); zu Besonderheiten bei überhöht verschuldeten Unternehmen IDW Praxishinweis 2/2018, Rz. 51 ff.; Rz. 31.14 ff. 4 IDW S 1, Rz. 32 (Hervorhebung nur hier) sowie zu ertragsschwachen Unternehmen Rz. 151; ebenso IDW S 13, Rz. 20; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 266. 5 S. wiederum IDW S 1, Rz. 32; undeutlich insoweit Rz. 158. 6 IDW S 1, Rz. 34; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 271; anders wiederum bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte (IDW S 1, Rz. 50 f.). Die im Haupttext abgeleitete Folgerung findet sich auch bei W. Müller in FS G.H. Roth, 2011, S. 517 (530). 7 IDW S 1, Rz. 5, 60 f. 8 IDW S 1, Rz. 140; zu ertragsschwachen Unternehmen Rz. 150 sowie IDW Praxishinweis 2/2018, Rz. 50. 9 Vgl. IDW S 1, Rz. 35, 97. Als entscheidend werden die Erwartungen des Managements angesehen (IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 53); dazu auch im Folgenden. 10 IDW S 1, Rz. 81, 107, 151, 156; näher IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 5 ff., 14 ff.; zu hoch verschuldeten Unternehmen IDW Praxishinweis 2/2018, Rz. 43 sowie Rz. 56 (überhöht verschuldete Unternehmen); ausführlich zur Planung in der Unternehmenskrise Rz. 31.14 ff.

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Planung und Prognose

Rz. 7.12 § 7

Rz. 5.58 ff.).1 Die Planung muss aktuell sein und alle relevanten Sachverhalte, die dem Planungsverantwortlichen bekannt gewesen sind oder bekannt sein mussten, einbeziehen.2 Als planungsverantwortlich wird die Unternehmensleitung angesehen, so dass der Wirtschaftsprüfer zu würdigen hat, ob bzw. inwieweit sie sich die vorhandene Planung zu Eigen gemacht und für maßgebend erklärt hat.3 Fehlt es bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen an einer Unternehmensplanung oder 7.11 ist diese nicht dokumentiert, so hat der Wirtschaftsprüfer die Unternehmensleitung aufzufordern, eine Planungsrechnung für einen Zeitraum von ein bis fünf Jahren vorzulegen, die im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit kritisch zu würdigen ist.4 Erforderlichenfalls muss der Wirtschaftsprüfer die Ertragsprognose selbst erstellen, und zwar aufgrund einer Vergangenheitsanalyse und den hierbei von ihm festgestellten Entwicklungslinien.5 Ein gleiches Vorgehen ist angezeigt, wenn der Wirtschaftsprüfer von der Unternehmensleitung keine vom Bewertungsanlass unbeeinflusste Planungsrechnung erhält, was insbesondere bei der Bestimmung familien- und erbrechtlicher Ansprüche praktisch werden kann, wenn der Fall streitig ist.6 b) Kritische Würdigung Das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts ist im ökonomischen Schrifttum umstritten (Rz. 2.29).7 Auch wenn man es mit dem IDW für gangbar erachtet, ein Wertkonzept zugrunde zu legen, das von individuellen Merkmalen und Gestaltungsmöglichkeiten abstrahiert ist (dazu für rechtsgeleitete Bewertungen Rz. 7.53), kann damit nicht die Konsequenz verbunden sein, solche Entwicklungsmöglichkeiten auszuschließen, die jedem beliebigen Unternehmensinhaber offenstehen.8 Die Behauptung, zur bewertbaren (objektivierten) Ertragskraft zählten nur bereits eingeleitete bzw. konkretisierte Maßnahmen,9 ist offensichtlich unrichtig. In Bezug auf subjektive Entscheidungswerte potentieller Unternehmenskäufer heißt es im IDW S 1 zu Recht, dass auch solche strukturverändernden Vorhaben sowie bereits erkannte und realisierbare Möglichkeiten zu berücksichtigen sind, die nicht zum Bestandteil des Unter-

1 IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 4 f.; zur Plausibilisierung auch Wieland-Blöse in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. K 8 ff., K 35 ff.; Wieland-Blöse/Pfender, CF 2018, 93 (94 ff.). 2 IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 7, 22. 3 IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 9; Wieland-Blöse in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. K 15. 4 IDW S 1, Rz. 162. 5 IDW S 1, Rz. 163; näher zum Problem der häufig eingeschränkten Information Ihlau in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. B 23 ff. 6 IDW S 13, Rz. 25; dazu näher Jonas in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. D 27 ff. 7 Ablehnend Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (599 ff.); Feldhoff, DB 2000, 1237 (1238 ff.); Moxter, Grundsätze, S. 27 ff.; Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 262 ff.; Schildbach, BFuP 1990, 25 (29 ff.); zu den Hintergründen Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (341 f.); Rz. 2.11 ff.; zusammenfassend Lauber, Verhältnis, S. 234 ff., der auch aus juristischer Warte Kritik anbringt (S. 345 ff.). 8 Vgl. auch Busse von Colbe, StbJb. 1981/82, 257 (263); Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (342); Schildbach, BFuP 1990, 25 (32 f., 37); nicht überzeugend deshalb Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 262, A 267. 9 S. erneut IDW S 1, Rz. 32.

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7.12

§ 7 Rz. 7.12

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

nehmenskonzepts zählen (vgl. bereits Rz. 7.6).1 Wenn es sich hierbei um Maßnahmen handelt, die jedem Unternehmenserwerber bzw. -inhaber offenstehen, ist nicht einzusehen, warum sie bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts ausgeklammert werden sollten.2 Die Behauptung, das IDW-Konzept führe zu dem „subjektive[n] Entscheidungswert eines Jedermann“,3 trifft daher nicht zu. Im ökonomischen Schrifttum wird zu Recht kritisiert, dass der objektivierte Unternehmenswert aufgrund der vorstehenden Prämissenbildung sogar unterhalb des Grenzpreises des Verkäufers/bisherigen Unternehmensinhabers liegen kann.4 Falsch ist es auch, die Bindung an das vorhandene Unternehmenskonzept auf das Stichtagsprinzip bzw. wurzeltheoretische Überlegungen zu stützen (dazu bereits Rz. 7.5).5

7.13 Erst recht geht es nicht an, das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts kurzerhand auf rechtsgeleitete Bewertungsanlässe zu übertragen.6 Es weist jedenfalls in diesem Bereich ein fundamentales Begründungsdefizit auf, denn es ist nicht einmal der Versuch erkennbar, dieses Konzept an die vorzufindenden normativen Vorgaben rückzukoppeln.7 Die Behauptung, das bisherige Unternehmenskonzept sei zugrunde zu legen, ist ebenso wenig rechtlich abgesichert wie die Vorgehensweise, allein oder jedenfalls in erster Linie auf die Planungen der Unternehmensleitung abzustellen. In diesem Kapitel wird aufgezeigt werden, dass dieser Ansatz zu weiten Teilen unrichtig ist (näher im Folgenden sowie in Rz. 7.45 ff., s. auch Rz. 13.30 ff.).

7.14 Ebenso wenig einzusehen ist, dass der Gesichtspunkt der bestmöglichen Verwertung des Unternehmens nur eine untergeordnete Rolle spielen soll. Er kommt lediglich im Zusammenhang mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen überhaupt zur Sprache,8 ohne dass allerdings mitgeteilt wird, warum dieser Gesichtspunkt nur hier und nicht allgemein zur Geltung gebracht wird. Auf die damit verbundene Inkonsistenz des vom IDW verfolgten Bewertungskonzepts ist bereits aus anderer Perspektive in Rz. 7.9 hingewiesen worden. Geradezu widersprüchlich erscheint es, wenn im IDW S 13 für familien- und erbrechtliche Bewertungsanlässe einerseits auf den objektivierten Unternehmenswert nach IDW S 1 Bezug genommen wird9 und andererseits, eher am Rande, ein Hinweis auf die Rechtsprechung des XII. Zivilsenats des BGH zum Zugewinnausgleich erfolgt, nach der sich die Bewertung daran

1 IDW S 1, Rz. 49. 2 Vgl. BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90 – Paulaner, AG 1996, 127 (128); Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (600 f.); Komp, Zweifelsfragen, S. 134; Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 264 f.; treffend W. Meilicke, Barabfindung, S. 74 f.: „Auch ein Verkäufer wird jedoch sein Unternehmen nicht für weniger abgeben, als er selbst durch Umgestaltung erwirtschaften könnte“. 3 So Mertens, AG 1992, 321 (325). 4 Feldhoff, DB 2000, 1237 (1239); Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (341 f.); Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 263 f.; Schildbach, BFuP 1990, 25 (32 f., 37). 5 So aber IDW S 1, Rz. 32; noch deutlicher IDW S 13, Rz. 20. 6 Vgl. auch Adolff, Unternehmensbewertung, S. 183; Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (324 ff.). 7 S. auch Rz. 34.46 f. Offen zutage tritt die in Betracht kommende Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Bewertungszielen und dem Konzept des objektivierten Unternehmenswerts bei Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 65 und A 67. 8 IDW S 1, Rz. 60; der Sache nach auch Rz. 140, 150 (Liquidationswert als Untergrenze). 9 S. etwa IDW S 13, Rz. 15.

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Planung und Prognose

Rz. 7.15 § 7

auszurichten hat, was bei einer Veräußerung des Unternehmens am Markt erzielbar wäre.1 Dass sich ein derartiger fiktiver Marktpreis nicht mit dem objektivierten Unternehmenswert decken muss, weil ein potentieller Erwerber nahe liegende Entwicklungsmöglichkeiten in sein Kalkül einbeziehen würde, liegt auf die Hand.2 Die daraus zu ziehende Folgerung, dass das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts den gesetzlichen Bewertungszielen nicht gerecht wird und daher auf rechtsgeleitete Bewertungsanlässe nicht ohne Modifikationen Anwendung finden kann, bleibt jedoch unterbelichtet.3 Stattdessen ist im berufsstandsnahen Schrifttum die – m.E. unzutreffende (s. auch Rz. 7.18) – Behauptung vorzufinden, der objektivierte Unternehmenswert decke sich mit einem hypothetisch gleichgewichtigen Marktpreis.4 2. Rechtsprechung a) Vorgaben des DAT/Altana-Beschlusses des BVerfG Hält man nach unmittelbar einschlägigen Aussagen zu den rechtlichen Grundlagen der Prognosebildung Ausschau, so ist die Rechtsprechung des BVerfG, soweit ersichtlich, unergiebig. Das kann auch nicht verwundern, da es in erster Linie die Aufgabe der Fachgerichte ist, die gesetzlichen Bewertungsvorgaben herauszuarbeiten.5 In seinem grundlegenden Beschluss in der Rechtssache DAT/Altana betont das Gericht mit Blick auf gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen immerhin, dass einem ausscheidenden Aktionär als Entschädigung für den Verlust seiner Rechtsposition von Verfassungs wegen (Art. 14 Abs. 1 GG) eine „volle Abfindung“ zusteht, die über eine Enteignungsentschädigung hinausreichen kann.6 Im Anwendungsbereich der §§ 304, 305, 320b AktG sei der „volle Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust“ geschuldet.7 Der Aktionär müsse erhalten, „was seine gesellschaftliche Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert“ sei,8 da die grundrechtlich relevante Einbuße vollständig kompensiert werden müsse.9 Eine „volle Entschädigung“ in

1 IDW S 13, Rz. 37: Bezugnahme auf BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 (264 ff.) = NJW 2011, 2572 und BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, BGHZ 188, 282 (293) = NJW 2011, 999; zu dieser Rechtsprechung Rz. 7.20. 2 Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.). Auch ein gedachter Verkäufer würde in dieser Weise kalkulieren (vgl. Rz. 7.12). 3 Zu konzedieren ist, dass der XII. Senat diese Konsequenz ebenfalls nicht nachvollzieht; vgl. BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297): „mit unverändertem Konzept“; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, BGHZ 188, 282 (291) = NJW 2011, 999: „Vielmehr ist auch insoweit nur der am Stichtag nachhaltig vorhandene Wert der Praxis oder des Praxisanteils zu erfassen, der sich in der bis dahin aufgebauten und zum maßgeblichen Zeitpunkt vorhandenen Nutzungsmöglichkeit niederschlägt“. 4 So Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 17 a.E., A 46 (Verkehrswertäquivalent); in die gleiche Richtung auch Rz. 3.4; a.A. hingegen Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 23 f., die das Verkehrswertkonzept aber, anders als hier (Rz. 7.16 ff., 7.50 ff.), im Ganzen ablehnen. 5 Vgl. BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (675 a.E.). 6 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (303) = AG 1999, 566; dazu Hüttemann, ZGR 2001, 454 (456 f.). 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566; Hervorhebung nur hier. 8 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (303) = AG 1999, 566. 9 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566.

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7.15

§ 7 Rz. 7.15

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

diesem Sinne liege nur dann vor, wenn sie den „wirklichen“ bzw. „wahren Wert“ der Beteiligung unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts widerspiegele.1

7.16 Für die Frage nach den Modalitäten der Unternehmensbewertung ist hiermit zunächst wenig gewonnen,2 und man kann auch kritisieren, dass es „den“ wahren Wert eines Unternehmens nicht gibt (zu diesem Problemkreis Rz. 7.50 ff.).3 Allerdings findet sich an zentraler Stelle des DAT/Altana-Beschlusses die Aussage, dass die „‚volle‘ Entschädigung […] jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen“ dürfe.4 Der Verkehrswert bilde mithin die Untergrenze der wirtschaftlich vollen Entschädigung.5 Nun sind diese Ausführungen ersichtlich mit Blick auf die besondere Situation bei börsengehandelten Aktien erfolgt,6 wo ein besonderer Markt für die Anteile als solche besteht.7 Nach hier vertretener Lesart stellt es jedoch keine Überinterpretation der Ausführungen des Gerichts dar, wenn man sie so versteht, dass dem Verkehrswert ein über diese besondere Konstellation hinausreichender Stellenwert zukommt.8 Insbesondere hat das Gericht seine Bedeutung nicht auf börsennotierte Unternehmen beschränkt. Wörtlich heißt es: „Die von Art. 14 Abs. 1 GG geforderte ‚volle‘ Entschädigung darf jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen. Dieser kann bei börsennotierten Unternehmen [sic!] nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden.“9 Das Gericht betrachtet Verkehrswert und Desinvestitionswert daher offenbar nicht notwendig als deckungsgleich.10 Hierfür spricht auch, dass es im Rahmen seiner anschließenden Ausführungen den „wirklichen“ bzw. „wahren“ Wert als „Gegenwert“ der Gesellschaftsbeteiligung charakterisiert,11 so dass die Richter das Verkehrswertkonzept offenkundig auch auf die Ertragswertermittlung beziehen. Hierfür spricht ferner, dass das BVerfG an dieser Stelle auf eine Entschei-

1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566; Hervorhebung nur hier. 2 Vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566: Methodenoffenheit, Zulässigkeit der Ertragswertmethode. 3 So eine ganz wesentliche Einsicht, die in der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre seit langem anerkannt ist; statt vieler Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 (1055 f.); Moxter, Grundsätze, S. 6; s. auch etwa BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (676); BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167 a.E.); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (574); Weiss in FS Semler, 1993, S. 631 (638); pointiert Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (534 a.E.): „Man kann nicht finden, was es nicht gibt.“ 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566; Hervorhebung nur hier. 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (308) = AG 1999, 566. 6 Zum Stellenwert des Börsenkurses als Wertuntergrenze BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305 ff.) = AG 1999, 566; Rz. 18.77 ff. 7 Am deutlichsten BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (308) = AG 1999, 566, wonach Verkehrswert und Börsenkurs „regelmäßig identisch“ seien. 8 Gleichsinnig OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 2/13 Rz. 60, AG 2019, 262; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (725 f.), wo die Ermittlung des Verkehrswerts im Anschluss an das BVerfG methodenübergreifend als Bewertungsziel angesehen wird; vgl. auch die Nachweise aus der Rechtsprechung des BGH in Rz. 7.23, 7.27 sowie Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 3; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 38; Fleischer, AG 2014, 97 (99); Stilz, ZGR 2001, 875 (882 ff.); anders wohl Hüttemann, ZGR 2001, 454 (459, aber 467). 9 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566. 10 A.A. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 300 f. 11 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566; Hervorhebung nur hier.

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Planung und Prognose

Rz. 7.18 § 7

dung des BGH Bezug nimmt, die im Hinblick auf die Ertragswertermittlung auf „den Preis“ verweist, den ein Interessent im Allgemeinen „zu zahlen bereit“ sei.1 Dieses verfassungsrechtlich gebotene Verkehrswertkalkül kann nicht ohne Rückwirkungen 7.17 auf die Anwendung des Ertragswert- bzw. DCF-Verfahrens bleiben. Es würde nämlich bei nicht börsengehandelten Beteiligungen leerlaufen, wenn man keine entsprechende Konkretisierung der Bewertungsmodalitäten vornimmt. Daher zählt es jedenfalls im Rahmen von Bewertungsanlässen, die durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen ausgelöst werden, zu den gesetzlichen Bewertungsvorgaben, einen Preis zu ermitteln, der im Falle einer gedachten Veräußerung am Markt zu erzielen wäre.2 Den Bezugspunkt bildet in dieser Hinsicht das zu bewertende Unternehmen als Einheit.3 Gegen dieses Konzept, das auch bereits in der älteren BGH-Rechtsprechung zum Ausdruck gekommen ist,4 lässt sich zwar vorbringen, dass es häufig an belastbaren Marktpreisen für Unternehmen fehlt (dazu Rz. 19.128, 19.134 ff.) – was einen wesentlichen Grund für die Dominanz fundamentalanalytischer Bewertungsverfahren darstellt.5 Davon zu trennen sind jedoch Folgerungen, die (auf Anwendungsebene) die in die Ertragswertermittlung einzustellenden Prämissen betreffen: Wie bereits in Rz. 7.14 dargelegt, ist bei einer Verkehrswertbetrachtung im Rahmen der Prognosenbildung entscheidend, welche Planungsüberlegungen ein typischer Unternehmenserwerber anstellen würde. Die vom IDW favorisierte Bindung an das bestehende Unternehmenskonzept und die konkreten Planungen der vorhandenen Unternehmensleitung (Rz. 7.8 ff.) steht hiermit nicht in Übereinstimmung. Gegen die hier eingenommen Sichtweise lässt sich auch nicht einwenden, dass das BVerfG im DAT/Altana-Beschluss auf die berufsständische Praxis Bezug genommen hat,6 denn die Richter haben sich nicht zu den Einzelheiten der Ertragswertermittlung geäußert, sondern lediglich herausgestellt, dass gegen dieses Verfahren „im Prinzip“ keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.7 Nach hier vertretener Sichtweise ist das Verkehrswertkonzept mithin in die Ertragswertmethode zu integrieren. Das hat zur Folge, dass der so ermittelte Verkehrswert, anders als derjenige, der sich bei Vorhandensein von Aktienkursen ergibt, nicht die Untergrenze der Bewertung bildet, sondern diese unmittelbar prägt. Der Fall, dass ein so ermittelter Wert un1 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 (1319), insoweit nicht in BGHZ 71, 40 abgedruckt. Das BVerfG nimmt freilich auf einen anderen Passus dieses Urteils Bezug. 2 Vgl. Meinert, DB 2011, 2397 (2400 ff.); weitere Nachweise in Rz. 7.44 f.; a.A. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 4a, der trotz Anknüpfung an ein Verkehrswertkonzept (Rz. 3) einer „Entschädigungsthese“ (Maßgeblichkeit des Verkäufergrenzpreises) folgen will; s. ferner OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 (791); wie hier Rz. 13.35, 13.37. 3 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 368; Hüttemann, ZGR 2001, 454 (466 f.); vgl. demgegenüber BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 (273 f.) = AG 2016, 359: grundsätzliche Gleichsetzung von anteiligem Unternehmenswert und Börsenkurs; zweifelhaft, vgl. Ruiz de Vargas in Bürgers/ Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 5; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 41b; Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 30 f.; Rz. 19.128. 4 S. Hüttemann, WPg 2007, 812 (814); zur neueren Rechtsprechung ausführlich in Rz. 7.20 ff. 5 Dieser Zusammenhang wird auch von Anhängern einer möglichst marktbezogenen Bewertung eingeräumt (vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 51; W. Müller in FS G.H. Roth, 2011, S. 517 [518 f., 524 a.E.]: „Nothilfe“, „Hilfsfunktion“; s. auch Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 [535 f., 541]: „Hilfslösung“). 6 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566. 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566; dazu auch Lauber, Verhältnis, S. 342 f.

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7.18

§ 7 Rz. 7.18

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

terhalb des objektivierten Unternehmenswerts (Rz. 7.8 ff.) liegt, wird nicht auftreten, da die konservative Prämissenbildung des IDW im Hinblick auf Planung und Prognose dazu führt, dass der objektivierte Unternehmenswert nicht über den Verkäufergrenzpreis hinausgeht und diesen sogar unterschreiten kann (Rz. 7.12). Im Rahmen einer Verkehrswertbetrachtung ist hingegen das – in aller Regel höhere – Bewertungskalkül der Käuferseite von wesentlicher Bedeutung.1

7.19 Man könnte meinen, dass die vorstehende Sichtweise mittlerweile überholt ist, weil das BVerfG in einem Beschluss in der Rechtssache DaimlerChrysler herausgestellt hat, dass es nicht möglich sei, einen exakten, einzig richtigen Werts des Unternehmens zu bestimmen,2 woraus die Richter folgern, dass kein an die Fachgerichte gerichtetes verfassungsrechtliches Gebot besteht, eine auf zutreffender Tatsachengrundlage bestehende, vertretbare Prognose durch eine andere, ebenfalls nur vertretbare Prognose zu ersetzen.3 Dieser Eindruck täuscht. Die entsprechenden Ausführungen nehmen nämlich offenbar lediglich die Frage der fachlich richtigen Durchführung der Bewertung in den Blick, gehen jedoch nicht auf die gesetzlichen Bewertungsziele ein, in Bezug auf welche richtigerweise kein Vertretbarkeitsspielraum anzuerkennen ist:4 Die Gerichte sind an die rechtlichen Vorgaben gebunden und haben diese umzusetzen. Sachverständige sind entsprechend zu instruieren. Rechtsfehler sind intolerabel. Hinzu tritt, dass der in Rede stehende Beschluss des BVerfG von vornherein nicht in der Lage ist, die Bedeutung der DAT/Altana-Entscheidung zu relativieren. Denn es handelt sich lediglich um einen (mit Gründen versehenen) Nichtannahmebeschluss einer Kammer i.S.v. § 93b Satz 1 Alt. 1 BVerfGG, nicht aber um eine Sachentscheidung mit Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG. Aus diesen Gründen kann einstweilen noch offenbleiben, ob die in der angegriffenen Entscheidung des OLG Stuttgart zum Ausdruck gebrachte Sichtweise zutrifft, dass in Bezug auf Planung und Prognose „in erster Linie“ auf die „jeweiligen unternehmerischen Entscheidung[en] der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen“ abzustellen ist.5 Diese unter den OLG verbreitete Sichtweise wird in Rz. 7.29 ff. dargestellt und analysiert. b) Neuere Rechtsprechung des BGH

7.20 In Rz. 7.14 wurde bereits darauf hingewiesen, dass der XII. Zivilsenat bei Unternehmensbewertungen im Kontext des Zugewinnausgleiches ein Verkehrswertkonzept zugrunde legt, so dass sich seine Sichtweise mit den Ausführungen des BVerfG im DAT/Altana-Beschluss zum Gesellschaftsrecht (Rz. 7.16) deckt. Wörtlich heißt es: „Ziel der Bewertung ist es […], einen Wert der freiberuflichen Praxis zu ermitteln, der im Fall einer Veräußerung auf dem Markt erzielt werden könnte.“6 Hiermit wäre eine Bindung an Konzepte und Planungen des bisherigen Unternehmensinhabers nicht zu vereinbaren (Rz. 7.14, 7.17). Diese Konsequenz bleibt in

1 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132) = AG 2016, 135; dazu Rz. 7.26. 2 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (676); insoweit auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (128) = AG 2016, 135; BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167 a.E.). 3 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (676). 4 Undeutlich insoweit OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (202 f.); dazu Rz. 13.22. 5 So OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06, AG 2011, 49 (53); Hervorhebung nur hier. 6 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 (265) = NJW 2011, 2572; gleichsinnig BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, BGHZ 188, 282 (293) = NJW 2011, 999 sowie auch BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439 (439 a.E.).

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Planung und Prognose

Rz. 7.22 § 7

der Senatsrechtsprechung jedoch bisweilen unterbelichtet. So nehmen die Richter, wenn auch eher beiläufig, auf „das Unternehmen mit unverändertem Konzept“ Bezug.1 In noch stärkerem Maße uneinheitlich und in sich widersprüchlich fällt die neuere Recht- 7.21 sprechung des II. Zivilsenats zu Bewertungsfragen im Kontext des Gesellschaftsrechts aus.2 In einem Beschluss aus dem Jahr 1998, d.h. vor Ergehen der DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG, hat der Senat die Sichtweise eines Beschwerdegerichts verworfen, das Ausgleich und Abfindung i.S.v. §§ 304, 305 AktG Gegenleistungscharakter zumessen hatte.3 Stattdessen gehe es lediglich um Entschädigung in Gestalt von Verlustkompensation.4 In der Konsequenz dieser Sichtweise liegt es, das Bewertungsmodell des IDW (Rz. 7.8 ff.) zugrunde zu legen, denn zu bestimmen wäre der Grenzpreis eines typischen Aktionärs (Verkäuferposition) bei unverändertem Unternehmenskonzept.5 Wie in Rz. 7.16 ff. dargelegt, dürfte sich diese Sichtweise jedoch nicht mit den Vorgaben des (späteren) DAT/Altana-Beschlusses des BVerfG decken und erscheint daher überholt.6 Eine weitere Entscheidung des II. Senats aus dem Jahr 1998 betraf einen Fall, in dem im Stadium einer Vor-GmbH unternehmerisch gewirtschaftet wird. Die Gesellschaft fiel sodann in Insolvenz. Die Bewertung war erforderlich, um die Höhe der Unterbilanzhaftung zu ermitteln.7 Der Sachverständige und das Berufungsgericht hatten nicht die konkreten, defizitären Organisationsverhältnisse zugrunde gelegt, sondern die Bewertung an der hypothetischen Situation eines sachkundigen Managements und eines sachgemäßen Einsatzes von Personal ausgerichtet. Dem ist der BGH unter Hinweis auf die damals gültige Stellungnahme des IDW zur Durchführung von Unternehmensbewertungen8 entgegengetreten: Als Ausgangspunkt der Ertragswertermittlung kämen nur die Organisationsverhältnisse und Strukturen am Stichtag in Betracht.9 Zukünftige Erfolgschancen seien lediglich dann zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen für ihre Nutzung bereits im Ansatz geschaffen seien.10 Diese Entscheidung spricht mithin für die Maßgeblichkeit des objektivierten Unternehmenswerts nach dem heutigen IDW S 1. Gegen ihre Verallgemeinerungsfähigkeit bestehen jedoch erhebliche Bedenken, da sie auf die besondere Situation der Unterbilanzhaftung in prekärer wirtschaftlicher Lage zugeschnitten ist. Wörtlich heißt es: „Im Rahmen der Unterbilanzhaftung [sic!] wird jedoch nur die Sicht eines real einzuschätzenden, auf der Grundlage personenbezogener Erfolgsfaktoren ermittelten Ertrags- und Geschäftswertes den Belangen des Gläubigerschutzes [sic!] gerecht.“11 Der BGH hat hierdurch die gesetzlichen Bewertungsziele im Kontext der Unterbilanzhaftung abgesteckt. Sie decken sich ganz offensichtlich nicht mit denjenigen in anderen gesetzesgeprägten Bewertungssituationen, wie bereits anhand des wenige Monate später 1 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297); vgl. auch die Ausführungen des Gerichts, auf die am Ende von Rz. 7.14 Bezug genommen wurde. 2 Vgl. auch bereits Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (327). 3 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (138 ff.) = AG 1998, 286. 4 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (139) = AG 1998, 286. 5 Vgl. BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286. 6 Ablehnend auch Meinert, DB 2011, 2397 (2401); zur Ungeeignetheit des Grenzpreises des ausscheidenden Aktionärs Lauber, Verhältnis, S. 42 f. 7 Zu den Hintergründen BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (36 f.) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31; Rz. 24.56; zur weiteren Rechtsprechungsentwicklung und zum Meinungsstand Rz. 24.57 ff. 8 IDW HFA 2/1983, WPg 1983, 468. 9 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31. 10 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31. 11 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (39) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31.

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7.22

§ 7 Rz. 7.22

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

ergangenen DAT/Altana-Beschlusses des BVerfG deutlich wird, in dem der Aspekt des Minderheitenschutzes ganz in den Vordergrund gerückt ist (vgl. Rz. 7.15 f.).1

7.23 Der Fall DAT/Altana hat auch den Anlass für eine Entscheidung des II. BGH-Senats gebildet, die im März 2001 ergangen ist. Im Anschluss an das BVerfG stellen die Richter heraus, dass die volle Entschädigung zu gewähren sei und der Verkehrswert der Aktie, der in der Regel mit dem Börsenkurs identisch sei, die Untergrenze bilde.2 Liege der Ausnahmefall vor, dass der Börsenwert den Verkehrswert nicht widerspiegele, müsse der Verkehrswert „im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO, § 738 Abs. 2 BGB) nach einer der anerkannten betriebswirtschaftlichen Methoden ermittelt werden.“3 Der II. Senat geht daher ebenfalls (vgl. Rz. 7.16 ff.) davon aus, dass es auch bei Anwendung von fundamentalanalytischen Verfahren zu den gesetzlichen Bewertungszielen gehört, „den Verkehrswert des Gesellschaftsunternehmens“4 zu ermitteln. Auf die daraus zu ziehenden Folgerungen für Planung und Prognose geht das Gericht mangels Notwendigkeit nicht gesondert ein. Wie vorstehend dargelegt (Rz. 7.17 f.), nötigt dieses Konzept zu grundsätzlich anderen Sichtweisen, als sie in den in Rz. 7.21 f. analysierten Entscheidungen angelegt worden sind. Dass nunmehr auch der II. Senat bereit ist, die Dinge abweichend zu beurteilen, lässt sich an seinen Ausführungen zur Berücksichtigungsfähigkeit von Synergieeffekten ablesen. Es heißt in seinem DAT/Altana-Beschluss zum einen, dass unechte Verbundeffekte „nach allgemeiner Meinung [sic!]“ in den Ertragswert der abhängigen Gesellschaft einfließen. Das Gericht geht damit recht deutlich über die Sichtweise des IDW hinaus, das bekanntlich verlangt, dass die dafür erforderlichen Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind (Rz. 7.9). Hieraus kann abgeleitet werden, dass der II. Senat seine Sichtweise zur Unterbilanzhaftung (Rz. 7.22) – richtigerweise – nicht auf die Rechtslage bei Umstrukturierungen übertragen will. Seine Ausführungen zu echten Synergieeffekten belegen zudem, dass die Richter ein alleiniges Abstellen auf den Verkäufergrenzpreis (vgl. Rz. 7.21) zumindest als nicht (mehr) zwingend ansehen.5

7.24 In einem bemerkenswerten Gegensatz dazu stehen die Ausführungen desselben Senats in der Ytong-Entscheidung aus dem Juli 2003, die sich bereits in ihrem Kerngehalt schwerlich halten lässt, da gegen die Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips verstoßen wird (näher Rz. 14.65 ff.). Es heißt hier, dass der Ausgleich nach § 304 AktG „aus dem objektiven Wert des Unternehmens“ abzuleiten sei, „‚wie es am Stichtag steht und liegt‘“, so dass „nur die Organisationsverhältnisse und die wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen des Unternehmens maßgeblich sind, die am Bewertungsstichtag vorhanden waren.“6 Das Gericht übernimmt hier folglich die Sichtweise des IDW (Rz. 7.8 ff.), wobei die Formulierung „so, wie es steht und liegt“ noch aus einer früheren Stellungnahme stammt,7 ohne dass sich in dieser Hinsicht jedoch inhaltliche Unterschiede zum heutigen IDW S 1 ergeben.8 Mit den abweichenden 1 2 3 4 5

Gleichgerichtete Analyse bei Komp, Zweifelsfragen, S. 139 f. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (115 f.) = AG 2001, 417. So BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417. S. erneut BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417. Vgl. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (119 f.) = AG 2001, 417; dazu Adolff, Unternehmensbewertung, S. 394 f. 6 BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362; Hervorhebungen nur hier. 7 IDW HFA 2/1983, WPg 1983, 468 (473). 8 Vgl. IDW HFA 2/1983, WPg 1983, 468 (474); Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (342). Allerderdings stellt der objektivierte Unternehmenswert nach IDW S 1 (Rz. 7.8) – anders als zuvor – nicht mehr nur den Ausgangspunkt der Wertermittlung dar, sondern bildet ihr Ziel (Lauber, Verhältnis, S. 346).

206

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.26 § 7

rechtlichen Vorgaben, die aus der DAT/Altana-Rechtsprechung folgen, setzen sich die Richter hingegen nicht auseinander. Diese Ausführungen weisen mithin keine Überzeugungskraft auf. In dem für rechtsgeleitete Unternehmensbewertungen wegweisenden Stinnes-Beschluss aus dem September 2015 stellt der BGH zunächst, noch ohne nähere Konkretisierung, heraus, dass es das „Bewertungsziel“ sei, „den ‚vollen, wirklichen‘“ bzw. „‚wahren‘ Wert“ zu ermitteln.1 Aufgrund der anzustellenden Prognosen und Schätzungen sei es nicht möglich, „auf der Grundlage der Ertragswertmethode stichtagsbezogen einen exakten, einzig richtigen Wert des Unternehmens zu bestimmen“.2 Die Regeln zur Ermittlung der Ertragsprognose müssten den Bewertungszielen entsprechen, in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und praktisch gebräuchlich sein.3 Hierzu ist kritisch anzumerken, dass die gesetzlichen Bewertungsvorgaben unabhängig davon umzusetzen sind, ob sie in der Ökonomie Widerhall finden oder nicht. Berufsständische Bewertungsregeln, die dem Gesetz widersprechen, sind bei rechtsgeleiteten Bewertungen irrelevant. Bewertungen, die auf ihnen beruhen, sind rechtswidrig und damit falsch.4

7.25

Die im vorliegenden Kontext zentrale Frage, auf welcher Planungsgrundlage die Prognose erfolgt, beantwortet der II. Senat in den weiteren Beschlussgründen in inkonsistenter Weise. Zum einen nehmen die Richter auf die Ytong-Entscheidung (Rz. 7.24) Bezug und halten mithin daran fest, dass das Unternehmen so zu bewerten sei, „‚wie es am Stichtag steht und liegt‘.“5 An späterer Stelle heißt es demgegenüber, dass es das Bewertungsziel der Ertragswertmethode sei, „den Grenzpreis zu ermitteln, zu dem das Unternehmen am Stichtag an einen Dritten verkauft werden könnte.“6 Mithin soll „ein Marktpreis theoretisch geschätzt werden“.7 In dieser Hinsicht ergibt sich zum einen ein bemerkenswerter Unterschied zu der in Rz. 7.21 dargestellten Senatsentscheidung aus dem Jahr 1998: Als entscheidend wird nicht mehr der Grenzpreis des Aktionärs angesehen, sondern es kommt auf den Preis an, der am Markt erzielbar wäre.8 Zum anderen ist festzuhalten, dass die beiden im Stinnes-Beschluss zum Ausdruck gebrachten Sichtweisen (einerseits Anknüpfung an die Ytong-Entscheidung, d.h. an den objektivierten Unternehmenswert, andererseits Bezugnahme auf einen hypothetischen Marktpreis) einander widersprechen. Stellt man nämlich auf die Bildung eines Marktpreises ab, würde sowohl ein hypothetischer Erwerber als auch ein gedachter Unternehmensveräußerer naheliegende Entwicklungsmöglichkeiten in das Preiskalkül einbeziehen. Da nur diese Sichtweise mit dem Verkehrswertkonzept des BVerfG in Übereinstimmung steht, ist allein sie maßgebend, und zwar von Verfassungs wegen.

7.26

1 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (118, 127) = AG 2016, 135. 2 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (128) = AG 2016, 135 unter Hinweis auf den in Rz. 7.19 analysierten Nichtannahmebeschluss des BVerfG in der Rechtssache DaimlerChrysler. 3 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (128) = AG 2016, 135. 4 S. auch Rz. 13.12, 13.22, 13.31 ff. Das Desiderat der „Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Unternehmensbewertung“ (vgl. OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 [292]) legitimiert keine Fehlerwiederholung; gleichsinnig Fleischer, AG 2016, 185 (189 f.); Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (328 f.); Rz. 13.32. 5 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (130) = AG 2016, 135. 6 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132) = AG 2016, 135; Hervorhebung nur hier. 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132) = AG 2016, 135; Hervorhebung nur hier. 8 Vgl. auch Hüttemann, CF 2016, 467 (468).

Meyer 207

§ 7 Rz. 7.27

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

7.27 Ein Verkehrswertkonzept liegt auch einer weiteren Senatsentscheidung aus dem Januar 2016 zugrunde,1 in der die Rechtsprechung des BVerfG – im Kern zutreffend (Rz. 7.16 ff.) – so verstanden wird, dass sich der Aspekt der Wertuntergrenze nicht auf Börsenpreise beschränkt.2 Aus dieser Entscheidung ergibt sich ferner, dass ein bestehender Gewinnabführungsvertrag zwar zu den maßgebenden Verhältnissen am Stichtag zählt,3 jedoch selbst dann nicht dazu führt, dass der Wert des Anteils eines außenstehenden Aktionärs vom Unternehmenswert abgekoppelt ist, wenn ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Vertrag vorliegt.4 Mit dem konkurrierenden Konzept einer Bewertung des Unternehmens, „wie es am Stichtag steht und liegt“ (Rz. 7.24, 7.26), dürfte sich diese Sichtweise kaum vereinbaren lassen.5 c) Jüngere Rechtsprechung der Instanzgerichte aa) Ausgangspunkt

7.28 Während in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wie vorstehend dargelegt, nur selten konkret-ergebnisrelevante Folgerungen für Planung und Prognose gezogen werden, befasst sich die Rechtsprechung der Instanzgerichte sehr häufig mit entsprechenden Aspekten der Bewertung.6 Die dazu vorzufindende Rechtsprechung kann als weithin homogen charakterisiert werden und steht im Kern mit der Sichtweise des IDW (Rz. 7.8 ff.) in Übereinstimmung. Sie führt dazu, dass es im Rahmen der gerichtlichen Nachschau kaum zu Korrekturen der Unternehmensplanung kommt.7 Die aktuell bestehenden Rechtsprechungslinien werden im Folgenden dargestellt. bb) Aktuelle Rechtsprechungsgrundsätze am Beispiel des OLG Düsseldorf

7.29 Die in der Rechtsanwendungspraxis vorzufindenden Anschauungen lassen sich recht gut an einer Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem November 2015 ablesen, in der die bestehenden Grundsätze referiert und in Teilen konkretisiert werden.8 Auf die Entscheidungspraxis anderer Gerichte wird im Anschluss eingegangen (Rz. 7.35 ff.). Das OLG Düsseldorf betont im Ausgangspunkt, dass als Planungsgrundlage prinzipiell „die im Unternehmen verfügbare Unternehmensplanung zu verwenden“ sei, was als „Vorrang der unternehmensinternen Planung“ bezeichnet wird.9 Aufgabe des sachverständigen Bewertenden sei es, darauf basierend 1 Vgl. BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 (274) = AG 2016, 359; dazu auch Hüttemann, CF 2016, 467 (469); näher zu dieser Entscheidung Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354. 2 Vgl. BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 (277 a.E.) = AG 2016, 359 mit Blick auf die streitige Frage, ob der Barwert von Ausgleichszahlungen, die auf Basis eines Gewinnabführungsvertrags geschuldet sind, die Untergrenze der Abfindung im Falle eines späteren Squeeze-out bilden; zum Begriff „Untergrenze“ in derartigen Kontexten kritisch Rz. 7.18. 3 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 (271 f.) = AG 2016, 359. 4 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 (274 ff.) = AG 2016, 359; vgl. zu diesem Fragenkreis auch OLG Frankfurt v. 5.2.2016 – 21 W 69/14, AG 2016, 588 (591). 5 Abweichend offenbar Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354 (357 f.). 6 Überblick über die Rechtsprechung bis 2013 bei Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2671). Im Folgenden wird vorrangig auf jüngere Entscheidungen Bezug genommen; zur Rechtsprechung aus dem Jahr 2018 s. auch Ruthardt/Popp, AG 2019, 196. 7 Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2668). 8 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (329 f.) mit entsprechenden Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum; s. zur Rechtsprechung u.a. des OLG Düsseldorf auch Rz. 12.8 ff. 9 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (329 a.E.); Hervorhebung nur hier.

208

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Planung und Prognose

Rz. 7.31 § 7

einen „sachgerechte[n]“ Ertragswert zu ermitteln. Deshalb dürfe er die Planungen des Unternehmens nicht kritiklos übernehmen, sondern habe sie auf Plausibilität zu überprüfen.1 Allerdings bildeten Planungen und Prognosen „in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen“, weswegen die Rechtsprechung „von einer eingeschränkten Überprüfbarkeit der Planung und der darin enthaltenen Prognosen“ ausgehe.2 Die Überprüfung beschränke sich darauf, „ob die in der Planung enthaltenen Entscheidungen auf zutreffenden Informationen (Tatsachengrundlagen) und daran orientierten, realistischen Annahmen aufbauen; diese dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein“.3 Weiter heißt es in diesem Beschluss: Selbst wenn nach Maßgabe der vorstehend referierten 7.30 Grundsätze eine unplausible Planung vorliege, sei der Bewertende grundsätzlich gehalten, diese durch den Vorstand korrigieren zu lassen, bevor er sie der Bewertung zugrunde legt.4 Er sei nämlich grundsätzlich nicht befugt, die Geschäftspolitik an sich zu ziehen.5 Gutachterliche Plananpassungen dürften daher nur zugrunde gelegt werden, wenn „die mit der Unternehmensführung befassten Organe ihre Unternehmensplanung tatsächlich nachhaltig geändert bzw. eine nachhaltige Planänderung beschlossen“ hätten.6 Das sei insbesondere bei solchen Anpassungen zweifelhaft, die der Bewertende speziell für Bewertungszwecke an einer unabhängig erstellten Mehrjahresplanung des Unternehmens vornimmt, die auf Grundlage eines formalen Planungsverfahrens entstanden ist.7 „Sonderplanungen“, die ausschließlich zu Bewertungszwecken außerhalb des Planungsprozesses erstellt würden, seien regelmäßig kritisch zu beurteilen.8 Diese Grundsätze sind lückenhaft. Denn die sich aufdrängende Frage, welche Rechtslage eingreift, wenn sich die Unternehmensplanung als unplausibel erweist (oder unzureichend ist) und die Geschäftsleitung sich weigert, ihre Planungen anzupassen, bleibt unbeantwortet.9 Das IDW gibt der Prüfungspraxis in dieser Hinsicht immerhin für bestimmte Bewertungssituationen Lösungen vor (Rz. 7.11). Das OLG Stuttgart, das die Dinge im Ausgangspunkt ähnlich einordnet wie das OLG Düsseldorf,10 lässt zumindest im gerichtlichen Verfahren Abweichungen von einer unplausiblen Unternehmensplanung zu (dazu Rz. 7.36).11 Das entspricht offenbar auch der Sichtweise des OLG Düsseldorf, wenn es in einem anderen Beschluss heißt: „Ein gerichtlich bestellter Gutachter und mit ihm das Gericht hat die unternehmerischen Planungen zwar in der Regel nur eingeschränkt zu überprüfen […]. Dies bedeutet jedoch nicht, 1 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (329 f.). 2 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330) m.w.N.; Hervorhebungen nur hier. 3 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330); Hervorhebungen nur hier. 4 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330). 5 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330). 6 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330); weitaus weniger bestimmt OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 (586 f.): „vorzugswürdig“. 7 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330). 8 OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330). 9 Gleichsinnig Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (198). 10 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (842 f.); OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (727). Das OLG Düsseldorf nimmt auf diese Ausführungen Bezug (OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 [330]). 11 OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (842); s. auch den zweiten Leitsatz dieser Entscheidung.

Meyer 209

7.31

§ 7 Rz. 7.31

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

dass ersichtlich unzutreffende Annahmen übernommen werden müssten. Sind die Planungsrechnungen nicht nachvollziehbar oder fehlen solche, hat der Sachverständige Anpassungen vorzunehmen“.1 In einer weiteren Entscheidung führt das OLG Düsseldorf aus: „Es kann hier dahinstehen, ob ein Gutachter seine eigene Planung an die Stelle einer Unternehmensplanung setzen kann oder ob er Ertragsplanungen von Unternehmensseite zu übernehmen hat. Hier fehlten jedenfalls belastbare Daten zur Unternehmensentwicklung, so dass der Gutachter notwendigerweise eine eigene Planung zu erstellen hatte.“2 In jüngerer Zeit heißt es: „Sind jedoch – wie hier – Planungsrechnungen nicht oder nicht im erforderlichen Ausmaß vorhanden, muss der Bewerter zum Zweck der Wertermittlung sachgerechte Prognosen treffen.“3

7.32 Ein viel zentralerer Kritikpunkt besteht darin, dass das OLG Düsseldorf seine Rechtsansicht nicht (erkennbar) an die gesetzlichen Bewertungsziele rückkoppelt. Der bloße Hinweis auf die „Sachgerechtigkeit“ des zu ermittelnden Ertragswerts (vgl. Rz. 7.29) ist offensichtlich insuffizient, und die an anderer Stelle vorzufindende Bezugnahme auf das Stichtagsprinzip4 ist falsch (Rz. 7.5; s. auch Rz. 7.34).

7.33 Das OLG Düsseldorf hält auch in jüngeren Entscheidungen an den in Rz. 7.29 mitgeteilten Grundsätzen fest, und zwar über weite Strecken wortgleich.5 Darüber hinaus sind präzisierende Ausführungen zur Notwendigkeit von Planungsanpassungen vorzufinden, ohne dass das Gericht allerdings auf die Frage eingeht, an wen sich das entsprechende Gebot richtet (vgl. Rz. 7.31). Es sei differenziert vorzugehen: Während die Frage nach der rechnerischen Richtigkeit der Planungsrechnung und Konsistenz der (Teil-)Planungen einem Richtigkeitsurteil zugänglich sei, ließen die in der Planung enthaltenen Prognosen über die künftige Entwicklung in der Regel kein eindeutiges Urteil darüber zu, ob die Planung als Ganzes oder einzelne Planprämissen als „richtig“ oder „falsch“ zu erachten seien.6 Unter Hinweis auf den Nichtannahmebeschluss des BVerfG in Sachen DaimlerChrysler (Rz. 7.19) stellt das OLG Düsseldorf zudem heraus, dass nur zu prüfen sei, ob die Prämissen auf zutreffender Tatsachengrundlage beruhten und vertretbar seien.7 Eine unvertretbare und damit unplausible Planung könne etwa dann vorliegen, wenn sie einseitige, systematische Verzerrungen aufweise oder bei entsprechender Marktkontinuität ein bisher auch in den besten bzw. schlechtesten Zeiten nie erreichtes Niveau ohne nachvollziehbare Begründung geplant werde.8

7.34 Mit dem vorstehend dargestellten Primat der Planungen der Geschäftsleitung geht es konform, wenn das OLG Düsseldorf der Ytong-Entscheidung und dem Stinnes-Beschluss des BGH (Rz. 7.24, 7.26) darin folgt, dass das Unternehmen in dem Zustand zu betrachten sei,

1 OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – 26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 (821); Hervorhebung nur hier; s. auch OLG Düsseldorf v. 13.3.2008 – 26 W 8/07 (AktE), AG 2008, 498 (500). 2 OLG Düsseldorf v. 30.9.2015 – 26 W 10/12 (AktE), AG 2016, 861 (863); Hervorhebung nur hier; zur gleichgerichteten Entscheidungspraxis anderer OLG s. Rz. 7.35 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14 (AktE), Rz. 60 juris. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – 26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 (866). 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 (401); OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – 26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 (865 f.); OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 (586 f.); OLG Düsseldorf v. 17.12.2015 – 26 W 22/14 (AktE), AG 2016, 504 (506): Bezugnahme auf BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (Rz. 7.19). 6 OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 (401 a.E.). 7 OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 (401 f.). 8 OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 (402).

210

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.35 § 7

„wie es am Stichtag steht und liegt“.1 Diese angebliche Bindung an „die am Stichtag vorhandenen Verhältnisse und Strukturen“ stützt das OLG Düsseldorf maßgeblich auf das Stichtagsprinzip und wurzeltheoretische Betrachtungen, was jedoch keinerlei Überzeugungskraft aufweist (Rz. 7.5). Soweit das Gericht seine Sichtweise als mit dem „Bewertungsziel, den ‚vollen, wirklichen‘ Wert der Unternehmensbeteiligung zu ermitteln“, in Einklang stehend ansieht,2 ist das aus den in Rz. 7.16 ff. genannten Gründen nicht richtig. In der Konsequenz dieser Sichtweise liegt es, dass das Gericht in jüngerer Zeit den Stellenwert des objektivierten Unternehmenswerts hervorhebt, die Figur des markttypischen Erwerbers ablehnt und unter Hinweis u.a. auf die Entscheidung BGHZ 136, 138 (Rz. 7.21) den Verkäufergrenzpreis als maßgebend ansieht.3 Mit seinem selbst gesetzten Ziel, den Verkehrswert zu ermitteln,4 sind diese Ausführungen freilich nicht zu vereinbaren. cc) Sichtweisen anderer Gerichte Das OLG Karlsruhe ordnet die Dinge im Ausgangspunkt ebenso ein wie das OLG Düsseldorf. Zu differenzieren sei zwischen den tatsächlichen Grundlagen der Bewertung, die richtig und nicht nur plausibel sein müssten und daher einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung unterlägen, und den in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und den darauf aufbauenden Prognosen, die nur eingeschränkt daraufhin zu überprüfen seien, ob sie auf zutreffenden Informationen und realistischen Annahmen beruhten und nicht in sich widersprüchlich seien.5 Das OLG Karlsruhe geht – deutlicher als das OLG Düsseldorf (vgl. Rz. 7.30 f.) – von der Möglichkeit des gerichtlichen Sachverständigen aus, unplausible Planungen zu korrigieren.6 Unter Hinweis auf frühere Fassungen des IDW S 1 heißt es: „Doch hat der Gutachter dann die Aufgabe, diese Zahlen zu plausibilisieren. […] Planungsrechnungen des Unternehmens sind deshalb dann zu korrigieren, wenn sie andere Werte widerspiegeln.“7 Dieses Vorgehen komme namentlich bei Sonderplanungen in Betracht.8 Fehlten Planungsrechnungen, so habe der Sachverständige sachgerechte Prognosen zu treffen.9 Der Umstand, dass eine Plananpassung kurz vor dem Bewertungsstichtag vorgenommen worden sei, stelle für sich genommen jedoch keinen Grund dar, die Planungen des Unternehmens grundsätzlich infrage zu stellen.10 Obwohl das OLG Karlsruhe davon ausgeht, dass der Unternehmenswert aus Sicht eines Unternehmenskäufers zu ermitteln ist,11 meint es unter Hinweis auf die „Wurzeltheorie“, dass bei der Prognose nur solche Entwicklungen berücksichtigt

1 OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – 26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 (866); Hervorhebung nur hier. 2 So offenbar OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – 26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 (866). 3 OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 (94); OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14 (AktE), Rz. 48 ff. juris. 4 So OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 (94); OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14 (AktE), Rz. 48 juris. 5 OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 (673); gleichsinnig OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203 f.). 6 OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 (674); OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603. 7 OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15 Rz. 34, AG 2016, 672. 8 OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 (674). 9 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603. 10 OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 (550). 11 OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126, anders aber 123).

Meyer 211

7.35

§ 7 Rz. 7.35

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

werden dürfen, die zumindest in ihrem Kern bereits angelegt und absehbar sind.1 Das überzeugt aus den in Rz. 7.5, 7.16 ff. genannten Gründen nicht.

7.36 Das OLG Stuttgart leitet aus dem DAT/Altana-Beschluss des BVerfG zutreffend (Rz. 7.16) ab, dass sich die nach den §§ 305, 327a AktG geschuldete „volle Entschädigung“ nach dem Verkehrswert bemisst.2 Dessen ungeachtet ist jedoch auch das OLG Stuttgart der Meinung, dass Planungen und Prognosen „in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen“ sei.3 Ähnlich wie das OLG Düsseldorf (Rz. 7.30) stellt das OLG Stuttgart heraus, dass der Bewertungsgutachter im Falle fehlender Plausibilität der Unternehmensplanung auf eine Anpassung der Planung durch die Geschäftsleitung hinwirken solle, die sodann zugrunde gelegt werden könne.4 Nicht hingegen sei er befugt, die Planung eigenmächtig zu ändern.5 Demgegenüber könne das Gericht im Falle fehlender Plausibilität von den Planungen des Vorstands abweichen, und zwar auch zuungunsten der Antragsteller, sofern sich die Abfindungshöhe nicht verringere.6 Vernachlässigbare Planinkonsistenzen führten zu keiner Korrektur.7 Demgegenüber dürfe eine Planung, die auf strategischen Zielvorgaben beruht, welche oberhalb mittlerer Werte (Rz. 7.39) liegen, nicht übernommen werden.8

7.37 Auch das OLG Frankfurt geht von einem Vorrang der Unternehmensplanung aus und hebt diesbezüglich die „eingeschränkte Kontrolldichte der Gerichte“ hervor.9 Soweit sich die Unternehmensplanung als vertretbar10 bzw. plausibel11 erweise, seien daher keine Korrekturen vorzunehmen. Auch die geplante Ausschüttungspolitik und die Höhe der als betriebsnotwendig angesehenen Liquidität seien grundsätzlich hinzunehmen.12 Hinter dieser Rechtsprechung steht die Überlegung, dass ein Minderheitsaktionär faktisch keinen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen besitzt, so dass sie von ihm hingenommen werden müssten.13 Eine vollständige Neubewertung sei nur in dem „äußerst seltenen Fall der kompletten Unbrauchbarkeit der von der Gesellschaft vorgelegten Planung“ angezeigt.14 Fehle es hingegen an einem regelmäßigen Planungsprozess, so habe der Sachverständige die anlassbezogenen Prognosen des Vorstands auf ihre Plausibilität zu überprüfen.15 Das OLG Frankfurt setzt den Grenzpreis, 1 OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126). 2 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13, AG 2019, 255 (256); OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 2/13 Rz. 60, AG 2019, 262; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (725 f.). 3 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13, AG 2019, 255 (257); OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 2/13 Rz. 68, AG 2019, 262; OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (842). 4 OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (842 f.); OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (727). 5 OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843). 6 OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (842); s. auch den zweiten Leitsatz dieser Entscheidung. 7 OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12 Rz. 99, AG 2014, 291. 8 OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09 Rz. 126, AG 2011, 205. 9 OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832 (835); gleichsinnig OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 (793). 10 So OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832 (835); s. auch OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). 11 So OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 (793). 12 OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11 Rz. 48 ff., 100, AG 2012, 417; s. aber OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (629). 13 So OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 (419). 14 OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832 (835). 15 OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (552 a.E.).

212

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.39 § 7

zu dem ein außenstehender Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann, mit dem Verkehrswert seiner Beteiligung gleich.1 Das überzeugt aus den in Rz. 7.17 f. genannten Gründen nicht. Ferner leiten die Richter aus dem Stichtagsprinzip ab, dass sich der Wert des Unternehmens daran ausrichte, „wie es am Stichtag steht und liegt“ (dazu Rz. 7.34).2 Das OLG München meint ebenfalls (unter Hinweis auf die „Wurzeltheorie“), dass nur solche Organisationsverhältnisse und Strukturen berücksichtigungsfähig seien, die bereits am Stichtag vorhanden bzw. hinreichend konkretisiert waren.3 Die Voraussetzungen für die Nutzung von Erfolgschancen müssten bereits am Stichtag im Ansatz geschaffen sein.4 Nach Auffassung der Richter habe sich die Wertermittlung am Grenzpreis des ausscheidenden Aktionärs auszurichten.5 Eine von der Geschäftsleitung aufgestellte, realistische Planung sei selbst dann zugrunde zu legen, wenn eine andere Planung aus sachverständiger Sicht plausibler erscheine.6

7.38

dd) Rechtsprechung zu Einzelpunkten In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist wiederholt herausgestellt worden, dass die Phasenmethode (Rz. 7.1) rechtlich unbedenklich ist.7 Die im Rahmen der Phase der ewigen Rente unterstellte nachhaltige Ertragskraft müsse nachvollziehbar aus der im Detailplanungszeitraum erwarteten Ertragskraft ableitbar sein, wobei grundsätzlich auf Werte, die einer mittleren Erwartung entsprechen, abzustellen sei.8 Das bilanzrechtliche Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) finde hingegen keine Anwendung.9 In der Automobilzuliefererindustrie sei die Annahme sechsjähriger Produktzyklen nicht zu beanstanden.10 Die An-

1 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 (791); OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627); s. auch Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 3, 4a. 2 OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14 Rz. 33, AG 2017, 832; Hervorhebung nur hier. 3 OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 (511): Bei einer in Aussicht genommenen Ausgliederung von Risiken auf eine „Bad Bank“ sei es erforderlich, dass die notwendigen Beschlüsse und Genehmigungen vorliegen; gegen die hier vorgenommene Überdehnung des Stichtagsprinzips zu Recht Hüttemann, CF 2016, 467 (473). 4 OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 (511); vgl. demgegenüber noch BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90 – Paulaner, AG 1996, 127 (128). 5 OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 (510). 6 OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, AG 2018, 753 (754). 7 Vgl. etwa OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (629); OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 (586): forschendes Pharmaunternehmen; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (727). 8 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13, AG 2019, 255 (258); zum Erfordernis mittlerer Erwartungen allgemein Rz. 5.2 sowie Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 26 m.w.N.; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 347 ff.; s. auch sogleich in Rz. 7.40; zum Übergang zur Phase der ewigen Rente Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (198 ff.) m.w.N. aus der Rechtsprechung; Rz. 12.42 ff. 9 OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11 Rz. 189 juris. Dessen ungeachtet können Passivpositionen Berücksichtigung finden (vgl. OLG Frankfurt v. 17.12.2012 – 21 W 39/11, AG 2013, 566 [568]; OLG München v. 7.12.2012 – 31 Wx 163/12, BeckRS 2013, 18346). 10 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13, AG 2019, 255 (257 a.E.); zu weiteren Gesichtspunkten Meinert, DB 2011, 2397 (2399 f.).

Meyer 213

7.39

§ 7 Rz. 7.39

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

nahme ewigen Wachstums ohne Marktsättigung ist als unplausibel angesehen worden.1 Die Fortschreibung einer staatlichen Förderung könne hingegen plausibel sein.2 Die Erfüllung bestehender Verträge sei auch dann zugrunde zu legen, wenn sie für das Unternehmen nachteilig sind.3 Rechtmäßiges Verhalten müsse auch sonst unterstellt werden,4 so dass ein etwaiger aktienrechtlicher Ausgleichsanspruch, der an eine faktische Beherrschung anknüpft, in die Planungen einzustellen sei.5 Ferner ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Plausibilität der Planung nicht durch die Entwicklung der tatsächlichen Ergebnisse infrage gestellt werden kann (Ausfluss der Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips, näher Rz. 14.56 ff., auch Rz. 7.2).6

7.40 In den letzten Jahren hatten sich die Gerichte mehrfach mit der Frage zu befassen, ob und inwieweit Ergebnisbeiträge, die aus Stichtagssicht nicht sicher sind, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten, berücksichtigt werden dürfen. Auszugehen ist von mittleren Erwartungen (Rz. 7.39), während die aus dem unternehmerischen Engagement resultierende Unsicherheit regelmäßig über den Risikozuschlag abgebildet wird (Rz. 6.8).7 Im Hinblick auf die Bildung der Erwartungswerte sieht es das OLG Stuttgart als zulässig und im Einklang mit der Prüfungspraxis stehend an, „Abstufungen abhängig von der Realisierungswahrscheinlichkeit der Umsätze“ zu machen.8 Umsatzerlöse aus festen vertraglichen Bindungen seien zu 100 % anzusetzen, während Erlöse, die „mit weniger großer Sicherheit erzielt“ werden, mit 50 % bewertet werden könnten.9 Demgegenüber seien Erlöse aus Produkten, die noch nicht existieren und für die es lediglich Entwicklungsüberlegungen gibt, mit null zu bewerten. Das Gericht stützt sich dafür maßgeblich auf den IDW S 110 und führt aus: „Ideen allein sind nicht bewertbar“.11 Zum gleichen Ergebnis ist das OLG Frankfurt für einen Sachverhalt gelangt, in dem das zu bewertende Unternehmen nach dem Stichtag einen Großauftrag erhalten hatte, dessen Erteilungswahrscheinlichkeit am Stichtag als „ausgesprochen gering“ einzuschätzen war.12 Die „Nichtberücksichtigung von Ereignissen mit sehr kleiner

1 OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13 Rz. 27, AG 2015, 504; Rechtsprechung zum Wachstumsabschlag in Rz. 5.146, 12.119 ff. 2 OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12 Rz. 55, AG 2015, 241. 3 OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843). 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 17.12.2012 – 21 W 39/11, AG 2013, 566 (568). 5 OLG Stuttgart v. 15.10.2013 – 20 W 3/13, AG 2014, 208 (210 f.). 6 OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126); OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – 26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 827 (830); OLG Düsseldorf v. 30.9.2015 – 26 W 10/12 (AktE), AG 2016, 861 (863); OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832 (834 f.); OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843). 7 OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 (419); IDW S 1, Rz. 88 ff.; Knoll, DStR 2010, 615 (615 ff.). 8 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13, AG 2019, 255 (257); Hervorhebung nur hier; s. auch Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 26; Adolff, Unternehmensbewertung, S. 371; Gießelmann/Meinert, GWR 2016, 143. 9 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13 Rz. 73, AG 2019, 255; in Bezug auf im Entwicklungsstadium befindliche Medikamente und Wirkstoffe forschender Pharmaunternehmen zu Recht stärker differenzierend OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE) Rz. 54, AG 2017, 584. 10 IDW S 1, Rz. 32; dazu oben Rz. 7.8. 11 OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13, AG 2019, 255 (257). Dem ist nicht zu folgen (Rz. 7.59). 12 OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553); dazu Gießelmann/Meinert, GWR 2016, 143.

214

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.42 § 7

Eintrittswahrscheinlichkeit“ sieht das Gericht als „zwingend erforderlich“ an.1 Die Richter stützen sich für ihre Lösung maßgeblich auf wurzeltheoretische Erwägungen, was jedoch schon deshalb nicht überzeugt, weil die zugehörigen, äußerst gewundenen Ableitungen2 nichts zur Lösung des vorgefundenen Sachproblems beitragen, da das Stichtagsprinzip die Ausklammerung von Szenarien, die am Bewertungsstichtag erkennbar sind, nicht aus sich heraus trägt (Rz. 14.60 ff.; vgl. zu parallelen Problemstellungen Rz. 14.18 f.).3 Dessen ungeachtet kann dieser Entscheidung im Ergebnis gefolgt werden (Rz. 7.59). 3. Schrifttum a) Gleichlauf mit der herrschenden Praxis Wie vorstehend dargelegt, entspricht es sowohl den berufsständischen Vorgaben als auch der Rechtsprechung der OLG, dass von einem Vorrang der unternehmensinternen Planung auszugehen ist und an das bestehende Unternehmenskonzept angeknüpft werden muss. Diese Sichtweise wird von weiten Teilen des Schrifttums geteilt.4 Die Kernfrage, ob sie mit den gesetzlichen Bewertungszielen in Übereinstimmung steht (vgl. Rz. 7.1 a.E.), bleibt hierbei jedoch häufig unterbelichtet, weil insoweit lediglich auf die Begründungsmuster der Bewertungsund Rechtsanwendungspraxis Bezug genommen wird, ohne dass darüberhinausgehende Überlegungen formuliert werden. Teilweise wird auf die Maßgeblichkeit des Verkäufergrenzpreises (Entschädigungsthese) verwiesen,5 was jedoch nicht überzeugt (Rz. 7.17 f.).

7.41

Betont wird, dass unternehmerische Entscheidungen, soweit sie nicht durch sachfremde Erwägungen geleitet sind, hingenommen werden müssten und nicht durch vermeintlich werterhöhende Alternativen ersetzt werden könnten, weil es regelmäßig an einer genügenden Konkretisierung fehle und das mit der Alternative verbundene höhere Risiko oft unzulässigerweise ausgeblendet werde.6 Prognosen, die auf einem geänderten Planungskonzept beruhen, seien in hohem Maße spekulativ, so dass sich ein neutraler Bewertender nicht auf sie einlassen könne.7 Ideen allein seien nicht bewertbar.8 Das Gericht habe unternehmenspolitische Entscheidungen zu respektieren und sei nicht in der Lage, die Rolle eines Unternehmensberaters einzunehmen.9 Bei Berücksichtigung von Alternativkonzepten werde nicht das Unternehmen, sondern „ein Phantom, ein künstliches Gebilde“ bewertet, welches von der Wirklichkeit „weit

7.42

1 2 3 4

5 6 7 8 9

OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553). Vgl. OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553). Vgl. auch Hüttemann, CF 2016, 467 (472 f.). Vgl. (teils bezogen auf Einzelelemente) Riegger/Gayk in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 9 ff.; Paulsen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 84 f., 96; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 49 ff.; Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 75 ff.; Aha, AG 1997, 29 (35 f.); Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (95 f.); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 344 ff.; Mertens, AG 1992, 321 (323 ff.); Peemöller, DStR 2001 1401 (1402 ff.); Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (180 ff.); Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (863 ff.); Wollny, DStR 2017, 949 (950); detaillierte Aufarbeitung der vorzufindenden Grundsätze bei Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24 ff. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 4a; vgl. auch Wollny, DStR 2017, 949 (950). Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24c, 26b. Mertens, AG 1992, 321 (325). Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 267; vgl. demgegenüber Rz. A 300 ff. Aha, AG 1997, 26 (35 f.); gleichsinnig Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (95 f.).

Meyer 215

§ 7 Rz. 7.42

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

abgehoben“ sei.1 Auch wenn Unternehmensplanungen häufig keinen genügenden Komplexitäts- und Perfektionsgrad erreichten, um hinreichend exakte und seriöse Prognosen zu ermöglichen, knüpften sie doch an frühere Planungen an, deren Verlässlichkeit an der Realität messbar sei.2 Das Herausgreifen bestimmter, aus Sicht des Sachverständigen relativ sicher einzuschätzender Faktoren erweise sich als willkürlich und letztlich inkonsistent.3 Die Gerichte werden lediglich dann als befugt angesehen, die Planung selbst erstellen zu lassen, wenn keine Unternehmensplanung vorliegt oder die vorhandenen Planungen untauglich sind.4

7.43 In engem Zusammenhang mit der vorstehenden Argumentation steht es, wenn auf die Entscheidungsautonomie der Geschäftsleitung Bezug genommen wird, der abweichende Planungen nicht vorgeschrieben werden könnten.5 Unter Hinweis auf die Business Judgment Rule (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) wird hervorgehoben, dass eine Unternehmensplanung nicht korrigiert werden dürfe, wenn die Geschäftsleitung auf Grundlage angemessener Informationen vorgegangen sei und vernünftigerweise annehmen konnte, die Planung sei realistisch und diene dem Wohl der Gesellschaft.6 Mit Blick auf die Rechtslage in Personengesellschaften wird betont, dass Meinungsverschiedenheiten über die zukünftige Konzeption der Unternehmenspolitik in der Gesellschafterversammlung und nicht mit Hilfe des Abfindungsgutachters auszutragen seien.7 b) Gegenmodell: Grundsatz der bestmöglichen Verwertung

7.44 Die Gegenauffassung verneint bei rechtsgeleiteten Bewertungen im Normalfall eine Bindung an das bestehende Unternehmenskonzept.8 Aus der in § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB angelegten Liquidationshypothese folge das gesetzliche Bewertungsziel einer bestmöglichen Verwertung, und dieser Gedanke sei auch für Bewertungen aus Anlass gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen maßgebend.9 Er beanspruche regelmäßig auch bei erb- und familienrechtlichen Bewertungsanlässen Geltung.10 Es sei nicht einzusehen, warum der Abfindungsberechtigte an ein suboptimales Unternehmenskonzept gebunden sein soll und damit von den vorhandenen Geschäftschancen ausgeschlossen werde.11 Daher müssten alternative Konzepte in den Blick

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (96). Mertens, AG 1992, 321 (326). Mertens, AG 1992, 321 (327). Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 27c; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 374 a.E.; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (864); s. auch Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 53 a.E. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24, 26b, 28; vgl. auch Wieland-Blöse/Pfender, CF 2018, 93 (93). Stilz in FS Mailänder, 2006, S. 423 (436). Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 96. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); Meinert, DB 2011, 2397 (2400); weitere Nachweise im Folgenden. Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 357 ff.; DVFA, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung, 2012, S. 8; Hüttemann, CF 2016, 467 (468 ff.); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 ff.); Meinert, DB 2011, 2397 (2400); Rz. 1.26 ff., 34.53. Vgl. Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (575, 580 f.); Piltz, Unternehmensbewertung, S. 189 ff.; Rz. 13.7. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (577); Komp, Zweifelsfragen, S. 138; Rz. 1.37.

216

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.45 § 7

genommen werden.1 Diese Sichtweise hat zur Folge, dass alternative Planungs- und Prognoseszenarien berücksichtigt werden können (näher Rz. 7.58), und führt zu einem Abrücken von wesentlichen Prämissen, die dem objektivierten Unternehmenswert nach IDW zugrunde liegen (vgl. bereits Rz. 7.12).2 In Teilen des juristischen Schrifttums wird stattdessen an die Sichtweise eines hypothetischen, markttypischen Unternehmenserwerbers angeknüpft und gefragt, welche Planungen er bei rationalem Verhalten zugrunde legen würde.3 Vorrangig im ökonomischen Schrifttum herrscht demgegenüber die Sichtweise vor, dass regelmäßig an einen Einigungspreis bzw. -wert angeknüpft werden müsse, der regelmäßig zwischen den Grenzpreisen der Beteiligten anzusiedeln sei;4 zu den Unterschieden zwischen beiden Sichtweisen s. Rz. 7.50 ff. sowie Rz. 1.26.5

III. Stellungnahme 1. Bestmögliche Verwertung und Verkehrswert a) Bestmögliche Verwertung als Bewertungsziel Der zuletzt dargestellte Ansatz (Rz. 7.44) hebt zutreffend hervor, dass der Liquidationshypothese des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB,6 deren Anwendungsbereich weit über das Recht der BGBGesellschaft hinausreicht (dazu Rz. 24.9 ff.),7 die Prämisse der bestmöglichen Verwertung des Gesellschaftsvermögens zugrunde liegt. Dieser Zusammenhang ist im Schrifttum ausführlich und überzeugend dargelegt worden.8 Diese Prämisse ist grundsätzlich auch für andere ge1 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); Komp, Zweifelsfragen, S. 130 ff., S. 226 ff.; Meinert, DB 2011, 2397 (2400); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670 f.); Rz. 1.53, 13.35; in diese Richtung auch BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90 – Paulaner, AG 1996, 127 (128); DVFA, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung, 2012, S. 11; vgl. aus dem ökonomischen Schrifttum, wenn auch auf anderer theoretischer Grundlage (dazu im Folgenden) Busse von Colbe, StbJb. 1981/82, 257 (263); Feldhoff, DB 2000, 1237 (1239); Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (342); Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 99 ff., S. 153; Schildbach, BFuP 1990, 25 (32 f., 37). 2 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 367 ff., S. 372; Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (325 f.). 3 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 365 ff.; Hüttemann, CF 2016, 467 (468 ff.); Hüttemann, WPg 2007, 812 (814 f.); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (573 ff., 582 ff.); Meinert, DB 2011, 2397 (2400); s. auch Rz. 1.7, 1.26 f., 1.37, 1.53, 13.35; DVFA, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung, 2012, S. 8 ff.; F. Meilicke, ZIP 2014, 605 (611); Meyer, AG 2015, 16 (21 ff.); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2671), näher Rz. 7.50 ff. 4 Vgl. Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (597 ff.); Feldhoff, DB 2000, 1237 (1237 ff.); Hommel/Braun/ Schmotz, DB 2001, 341 (341 f.); Matschke, BFuP 1981, 115 (115 ff.); Moxter, Grundsätze, S. 9 ff., S. 16 ff., S. 27 ff.; Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 159 ff.; Schildbach, BFuP 1990, 25 (29 ff.); vgl. aus dem juristischen Schrifttum Fleischer, ZGR 1997, 368 (385, 390 f.). 5 Dazu auch Adolff, Unternehmensbewertung, S. 364 ff.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (575 ff.); Lauber, Verhältnis, S. 43 ff.; s. ferner Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (607 ff.) zu Verbundeffekten. 6 Zu ihr Flume, Personengesellschaft, S. 170 f. Sie darf nicht mit dem Liquidationswert verwechselt werden (vgl. Rz. 24.12 f., 24.22), der auf eine Einzelbewertung der Vermögensgegenstände und Schulden des Unternehmens bezogen ist (Rz. 9.2). 7 S. auch Hüttemann, CF 2016, 467 (467 f.). 8 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 307 ff., S. 357 ff.; Hüttemann in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 151, 153 ff.; Lauber, Verhältnis, S. 48 ff.

Meyer 217

7.45

§ 7 Rz. 7.45

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

sellschaftsrechtliche Bewertungsanlässe maßgebend1 (zu Ausnahmen Rz. 7.49). Insbesondere bildet § 738 BGB das gesetzgeberische Vorbild für die Regelung des § 305 AktG,2 d.h. den „Standardfall“3 des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs (dazu näher Rz. 21.23 ff.). Die Verpflichtung, „die Verhältnisse der Gesellschaft“ am Stichtag (Rz. 14.30 ff.) zu „berücksichtigen“ (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG), führt daher nicht zu einer Bindung der Bewertung an das bestehende Unternehmenskonzept und an die konkreten Planungen der Geschäftsleitung.4 Eine derartige Bindung lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Leitungsverantwortung beim Vorstand liegt (§ 76 Abs. 1 AktG)5 und ein Minderheitsaktionär keine Möglichkeit hat, seine eigenen konzeptionellen Vorstellungen durchzusetzen.6 Denn vorliegend geht es nicht um einen Eingriff in die Unternehmenspolitik, sondern um die Bewertung des Unternehmens, die unter Beachtung der gesetzlich vorgegebenen Prämisse der hypothetisch7 bestmöglichen Verwertung zu erfolgen hat.8 Dafür ist die Reichweite der internen Bindungen des Managements ebenso wenig relevant wie die Frage, ob es im Rahmen seiner Geschäftspolitik pflichtwidrig gehandelt hat.

7.46 Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass das Ausscheiden eines Gesellschafters wertungsmäßig einer Teilauseinandersetzung entspricht, so dass seine Stellung prinzipiell derjenigen in der Abwicklung entsprechen muss (Rz. 9.32).9 Die vorhandenen Planungen sind in dieser Phase hinfällig, und jeder Gesellschafter kann die vorteilhafteste Verwertung des Gesellschaftsvermögens beanspruchen.10 Die Geschäftschancen stehen allen Gesellschaftern gleichermaßen zu.11 Die freie Entscheidung der Mehrheit, ein unrentables Unternehmen (aus welchen Gründen auch immer) fortzuführen, bindet den Ausgeschiedenen nicht und darf daher nicht zu vermögensmäßigen Nachteilen für ihn führen (gleichsinnig Rz. 1.26 f., 1.37, 9.32, 9.34; zu Einschränkungen Rz. 7.49).12

1 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 ff.). 2 Näher Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (604 f.); zu den engen Verbindungslinien zwischen beiden Normen eingehend Lauber, Verhältnis, S. 40 ff., S. 52 ff. 3 Fleischer, AG 2014, 97 (98). 4 S. auch (mit anderer Begründung) Fleischer, ZGR 1997, 368 (383 f.); zur Entstehungsgeschichte Adolff, Unternehmensbewertung, S. 406 ff.; vgl. demgegenüber Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (95 a.E.). 5 Seine zukunftsgerichteten unternehmerischen Entscheidungen sind keiner strikten Kontrolle unterworfen (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG); zu prognostischen Entscheidungen Spindler, AG 2006, 677 (680 ff.). 6 Vgl. demgegenüber die Argumentation bei OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 (419); Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24, 26b; zu Personengesellschaften Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 96. 7 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132) = AG 2016, 135: Es geht darum, einen Marktpreis theoretisch zu schätzen. 8 Treffend BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90 – Paulaner, AG 1996, 127 (128); gleichsinnig Lauber, Verhältnis, S. 54; Meinert, DB 2011, 2397 (2400); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2671 f.); Rz. 9.34, 34.53; a.A. Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (95 f.); zu der von dieser grundsätzlichen Frage zu trennenden Ebene der praktischen Umsetzung s. Rz. 7.54 ff. 9 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 357 ff. m.w.N. 10 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (576 f.). 11 Hüttemann, CF 2016, 467 (469). 12 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 372; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (577); Piltz, Unternehmensbewertung, S. 190; insoweit auch Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 92, jedoch nur bezogen auf den Fragenkreis des Liquidationswerts als Untergrenze.

218

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.49 § 7

Soweit im Schrifttum auf praktische Schwierigkeiten hingewiesen wird (vgl. Rz. 7.42), kann dies zu keiner grundsätzlichen Bindung an das bestehende Unternehmenskonzept und die vorhandenen Planungen führen, da die gesetzlichen Vorgaben entgegenstehen (gleichsinnig Rz. 13.38; zur praktischen Umsetzung Rz. 7.54 ff.). Treffend heißt es im Schrifttum: „Objektivierungsprobleme rechtfertigen […] keine pauschale Verengung der gesetzlichen Bewertungsvorgaben, sondern sind auf der Ebene der Tatsachenfeststellung zu lösen.“1 Zudem ist zu bedenken, dass jede Prognose, die im Rahmen der Unternehmensbewertung gebildet wird, mit Unsicherheiten behaftet ist (Rz. 7.1).2 Unrealistische und unplausible Alternativkonzepte bleiben ohnehin unberücksichtigt (Rz. 7.58 a.E.).

7.47

Gleiche Überlegungen sind grundsätzlich auch bei erb- und familienrechtlichen Bewertungsanlässen zielführend (vgl. Rz. 13.7 sowie auch Rz. 26.22, 27.29; zu Ausnahmen Rz. 7.49).3 Insbesondere kann die Höhe der vermögensrechtlichen Teilhabe eines Gläubigers auch hier nicht davon abhängen, ob sich der Schuldner ökonomisch sinnvoll verhält.4 Allerdings hat der BGH dies mit Blick auf die parallele Fragestellung (vgl. Rz. 7.4), ob der Liquidationswert die Wertuntergrenze bildet, in einer älteren Entscheidung zum Pflichtteilsrecht (vgl. § 2311 BGB) anders gesehen: Es obliege der unternehmerischen Entscheidung, ob das Unternehmen fortgeführt oder der Liquidationswert realisiert werde, so dass der Pflichtteilsberechtigte den Liquidationswert bei Weiterführung des Unternehmens grundsätzlich nicht beanspruchen könne.5 Das überzeugt nicht, wenn die Unternehmensfortführung, wie im Regelfall, auf einer freien Entscheidung des Erben beruht, zumal er auf diese Weise den Pflichtteilsanspruch aushöhlen könnte.6 Dass der Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch auf die Liquidation hat,7 ist irrelevant, da bei der Bewertung der hypothetische Fall der bestmöglichen Verwertung in den Blick zu nehmen ist (vgl. Rz. 7.45). Das OLG München hebt zu Recht hervor, dass es nicht angehe, den Pflichtteilsberechtigten „einer unter Umständen willkürlichen Verwertungsentscheidung des Erben auszuliefern.“8 Diese Sichtweise deckt sich mit der Rechtsprechung des XII. Zivilsenat des BGH zum Familienrecht, soweit dort ein Verkehrswertkonzept zugrunde gelegt wird (dazu Rz. 7.20, auch zu Einschränkungen).

7.48

b) Ausnahmen Ausnahmen von der Leitvorgabe der bestmöglichen Verwertung sind dort anzuerkennen, wo sich abweichende gesetzliche Bewertungsvorgaben nachweisen lassen, was nach Auffassung des BGH insbesondere bei der Unterbilanzhaftung wegen des dort leitenden Gläubigerschutzgedankens der Fall ist (Rz. 7.22). Auch im Kontext des festen Ausgleichs nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG sind nach der Rechtsprechung Besonderheiten zu beachten.9 Dem1 Hüttemann, WPg 2007, 812 (815). 2 Gleichsinnig für den strukturell ähnlichen Fragenkreis der Verbundeffekte Adolff, Unternehmensbewertung, S. 402 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (378 ff.); Rz. 16.26 f. 3 Vgl. Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (575, 580 f.); Piltz, Unternehmensbewertung, S. 189 ff. 4 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (581); Piltz, Unternehmensbewertung, S. 190. 5 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); zur weiteren Entwicklung der Rechtsprechung s. Rz. 9.20 ff. 6 Piltz, Unternehmensbewertung, S. 190; Rz. 13.10, 27.34. 7 So das weitere Argument in BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510). 8 OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, FamRZ 2013, 329 (329 f.) unter Hinweis auf Verfassungsrecht. 9 Für Zulässigkeit eines „Nullausgleichs“ trotz positivem Liquidationswert BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 (197 ff.) = AG 2006, 331 m.w.N.; Rz. 21.20; a.A. Hüttemann, WPg 2007, 812 (816 f.).

Meyer 219

7.49

§ 7 Rz. 7.49

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

gegenüber besteht bei einem „Merger among Equals“ kein genügender Anlass, das zwischen den Gesellschaften gefundene Verhandlungsergebnis weitgehend ungeprüft zu übernehmen, da die zu schützende Aktionärsminderheit keine Möglichkeit hat, auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen.1 Im Bereich des Erb- und Familienrechts können sich ebenfalls bei bestimmten Bewertungsanlässen Ausnahmen ergeben. Hinzuweisen ist zunächst auf spezielle gesetzliche Bewertungsvorschriften (dazu Rz. 1.16, 1.39, 9.44, 27.73 ff.). Ferner gelten Besonderheiten, wenn der familien- oder erbrechtliche Ausgleichsschuldner nicht Unternehmensinhaber ist, sondern lediglich Gesellschaftsanteile innehat und aus diesem Grund rechtlich nicht in der Lage ist, ein abweichendes Unternehmenskonzept durchzusetzen (vgl. Rz. 1.40). In solchen Situationen muss die Bewertung anteilsbezogen (direkt) erfolgen (Rz. 13.9). Eine Bindung an das bestehende Unternehmenskonzept kann sich im Einzelfall zudem aus zwingendem Recht, etwa öffentlich-rechtlichen Vorgaben, oder privatrechtlichen Verpflichtungen ergeben.2 Schließlich wird man einem Abfindungsgläubiger, der aus einer personalistisch strukturierten Gesellschaft ausscheidet, unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) regelmäßig keine Berufung auf ein hypothetisch-geändertes Unternehmenskonzept für Zwecke der Bewertung gestatten können, wenn er das vorhandene Konzept stets mitgetragen hatte.3 Gleiches gilt m.E. auch in Fällen, in denen der ausscheidende Gesellschafter die Konzeptänderung während seiner Mitgliedschaft selbst verhindert oder hintertrieben hat.4 c) Verkehrswert und Erwerberkalkül

7.50 Die soeben abgeleitete, grundsätzliche Offenheit der Unternehmensbewertung für alternative Konzepte deckt sich, wie bereits in Rz. 7.17 nachgewiesen wurde, mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Verkehrswertkonzept, das zu der Frage hinführt, welcher Preis bei einer Veräußerung des Unternehmens am Markt erzielbar wäre (s. auch Rz. 7.14, 7.20, 7.26). Die namentlich von Hüttemann geprägte Figur des hypothetisch-markttypischen Unternehmenserwerbers (Rz. 7.44), die hier zugrunde gelegt wird (s. Rz. 7.17 sowie im Folgenden), will diesen Zusammenhang operational machen. Dieser Sichtweise ist aus ökonomischer Sicht entgegengetreten worden.5 Sie laufe auf die Vorstellung hinaus, man könne einen allgemeingültigen, objektiven Wert des Unternehmens bestimmen, was jedoch anerkanntermaßen6 nicht der Fall sei.7 Einen markttypischen Erwerber für Unternehmen gebe es regelmäßig nicht.8 Zudem handele es sich bei dem Verkehrswert, verbunden mit der Figur des markttypi1 Vgl. BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (675); a.A. OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06, AG 2011, 49 (50 ff.); Stilz in FS Mailänder, 2006, S. 423 (427 f.). 2 Piltz, Unternehmensbewertung, S. 191 f., der beispielhaft auf eine testamentarische Auflage hinweist. Ferner lässt er öffentlichen Druck zur Erhaltung von Arbeitsplätzen genügen; dagegen Rz. 1.39. 3 Vgl. Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 94 sowie in ähnlichem Zusammenhang auch Hüttemann, CF 2016, 467 (475); weitergehend, jedoch auf anderer konzeptioneller Grundlage Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (95 a.E.). 4 A.A. Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 94, S. 111 f. 5 Siehe insbesondere Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 241 ff.; Ruthardt/ Hachmeister, WPg 2016, 411 (415 ff.); anders noch Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2671). 6 Vgl. die entsprechenden Nachweise in Rz. 7.16, 7.51. 7 Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (863); Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 245 f.; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (421 f.). 8 Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 244 f.; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (419).

220

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.52 § 7

schen Erwerbers, um kein eindeutiges Konzept, so dass sich Unsicherheiten und Ermessensspielräume ergäben.1 Der Sache nach wird dem hier vertretenen Verkehrswertkonzept zudem eine gewisse Zirkularität attestiert, wenn argumentiert wird, dass das Ertragswertverfahren ohnehin auf die Ermittlung eines Marktpreises und damit eines Verkehrswerts hinauslaufe.2 Die vorstehende Kritik fußt im Kern auf einer individualnutzenorientierten Sichtweise, wo- 7.51 nach Unternehmenswerte nur subjektbezogen im Hinblick auf die beteiligten Parteien ermittelt werden können.3 Die grundsätzliche Richtigkeit dieses Modells ist evident und dürfte heute allgemein anerkannt sein.4 Es lässt sich jedoch nicht ohne Modifikationen auf gesetzliche Bewertungsanlässe der hier in Rede stehenden Art übertragen: Sind an der zugrunde liegenden Maßnahme verschiedene Personen in rechtlich gleicher Lage beteiligt, so kann es von vornherein nicht auf das Nutzenkalkül des Einzelnen ankommen.5 So sind individuelle Grenzpreise schon aus Gleichbehandlungsgründen unmaßgebend, wenn mehrere Minderheitsaktionäre anlässlich einer Konzernbildung ausscheiden.6 Auch im ökonomischen Schrifttum ist durchaus anerkannt, dass es Typisierungen bedarf.7 Ferner kommt es von Rechts wegen ohnehin nicht auf das (individuelle) Wertkalkül in Bezug auf einzelne Anteile an, sondern bewertungsleitend ist die bestmögliche Verwertung des Unternehmens als Einheit (Rz. 7.17).8 Der zuletzt angeführte Gesichtspunkt leitet zum Kernproblem des Grenzpreiskonzepts bei 7.52 rechtsgeleiteten Bewertungen über, das auch dann auftreten kann, wenn nur wenige Personen beteiligt sind; dazu folgendes Beispiel:9 A ist Gesellschafter der aus A, B und C bestehenden X-OHG, die eine Großbrauerei innehat und aus Traditionsgründen mehrere, wenig profitable Brauereigaststätten auf eigenen Grundstücken in bester Münchener Innenstadtlage betreibt. A hat sich mit seinem Ansinnen, einen Großteil der Grundstücke zu versilbern, nie gegen B und C durchsetzen können und scheidet nunmehr aus der Gesellschaft aus. Die Grenzpreise aller Beteiligten müssten in diesem Fall unter der Prämisse ermittelt werden, dass die Grundstücke nicht veräußert werden.10 Für A liegt die Veräußerungsalternative nämlich außerhalb des Realisierbaren, so dass sie sein Nutzenkalkül nicht beeinflussen kann. Aus Sicht von B und C 1 Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 241 ff.; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (417 ff.). 2 Komp, Zweifelsfragen, S. 325. 3 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (419 f.). 4 Vgl. Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 (1056); Feldhoff, DB 2000, 1237 (1237 ff.); Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (341); Matschke, BFuP 1981, 115 (115 ff.); Moxter, Grundsätze, S. 9 ff., S. 23 ff.; Schildbach, BFuP 1993, 25 (25 ff.); aus juristischer Perspektive Adolff, Unternehmensbewertung, S. 168 ff.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (573 f.). 5 Vgl. F. Meilicke, ZIP 2014, 605 (609 f.); Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 86 f., S. 91; insoweit auch Mertens, AG 1992, 321 (325 f.). 6 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 360 ff.; Komp, Zweifelsfragen, S. 46 ff.; Lauber, Verhältnis, S. 58 ff. 7 Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (598); Moxter, Grundsätze, S. 25 ff.; Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 38 f., S. 119 ff.; s. auch Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 22; Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (342). Diese Notwendigkeit erkennen auch die Kritiker des hier vertretenen Ansatzes an (Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 [863]); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 [419]). 8 Lauber, Verhältnis, S. 45, S. 59 ff., S. 353. 9 Nach BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 17/90 – Paulaner, AG 1996, 127, jedoch modifiziert und zugespitzt. 10 Vgl. zu Konstellationen dieser bzw. ähnlicher Art Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 65; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (576); Lauber, Verhältnis, S. 45; vgl. auch, jedoch mit anderer Stoßrichtung Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (420).

Meyer 221

§ 7 Rz. 7.52

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

(Käuferperspektive) ist die Veräußerung der Grundstücke hingegen unerwünscht und daher prognostisch unbeachtlich. Die Grenzpreise, die unter dieser Prämisse zustande kommen, sind jedoch aus Rechtsgründen unmaßgebend, da A für Zwecke der Bewertung so zu stellen ist, als komme es zu einer bestmöglichen Verwertung des Gesellschaftsvermögens.1

7.53 Um das gesetzliche Bewertungsziel zu erreichen, bedarf es daher der Modellierung eines Bewertungssubjekts, das von den jeweiligen Beteiligten abstrahiert ist.2 Eine derartige Modellierung nimmt auch das IDW vor, denn sein objektivierter Unternehmenswert ist bei Licht betrachtet der subjektive Entscheidungswert einer gedachten Person, für deren Nutzenkalkül im IDW S 1 bestimmte Prämissen dargestellt sind.3 Diese Prämissen decken sich im Hinblick auf den hier beleuchteten Kontext jedoch nicht mit den gesetzlichen Vorgaben (s. bereits Rz. 7.12 ff.; gleichsinnig Rz. 13.35).4 Da von Rechts wegen auf die bestmögliche Verwertung abzustellen ist, muss stattdessen gefragt werden, welche Handlungsalternativen ein hypothetischer Erwerber des gesamten Unternehmens, der rational vorgeht und seinen Kenntnisstand am Stichtag auf Basis einer Due Diligence-Prüfung erlangt hat, erkennen und nutzen würde.5 Dabei ist im Wege normativer Konkretisierung zu unterstellen, dass die Unternehmensleitung keine relevanten Informationen zurückhält.6 Eine derartige Person würde Alternativkonzepte in ihr Kalkül einbeziehen, im vorstehenden Beispiel also eine Veräußerung der Brauereigrundstücke erwägen – und durchführen, wenn sich dieses Vorgehen prognostisch als vorteilhaft erweist. Dass der Erwerber eines Unternehmens in der Lage ist, seine Vorstellungen durchzusetzen, ist zu unterstellen, sofern sich das alternative Konzept im rechtlich zulässigen Rahmen bewegt (vgl. Rz. 7.49). Die hier vorgenommene Typisierung ist aus Rechtsgründen unumgänglich und stellt m.E. auch keinen Verstoß gegen ökonomische Grundzusammenhänge dar, da die vorstehende Modellierung einen genügenden Eignerbezug aufweist,7 denn sie bildet subjektivierte Interessen ab und ist von der Zielsetzung geleitet, einen potentiellen Marktpreis zu ermitteln.8 2. Praktische Konsequenzen

7.54 Die vorstehenden Ausführungen haben ergeben, dass im Rahmen rechtsgeleiteter Bewertungen regelmäßig keine Bindung an das bestehende Unternehmenskonzept anzuerkennen ist. Die in der Bewertungs- und Rechtsanwendungspraxis verbreitet vorzufindende Anknüpfung an das Unternehmen, „wie es steht und liegt“, ist daher in der Regel nicht mit dem Gesetz zu vereinbaren. Daraus folgt mit Notwendigkeit, dass von Rechts wegen keine Bindung an die Unternehmensplanung besteht (zu Ausnahmen Rz. 7.49). Gleichwohl stellt sich die Frage, ob an der Rechtsprechung der OLG betreffend den „Vorrang der Unternehmensplanung“ und 1 Vgl. Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (576, 580). 2 Gleichsinnig Adolff, Unternehmensbewertung, S. 349 ff., S. 362 ff.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (582 ff.); Rz. 13.7; so auch noch Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2671); a.A. nunmehr Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (420): „Über-Typisierung“. 3 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 166 f., S. 180 ff.; Lauber, Verhältnis, S. 353 f.; Mertens, AG 1992, 321 (326); Moxter, Grundsätze, S. 27 ff. 4 Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (325 f.). 5 Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (612). 6 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 371 f.; Hüttemann, CF 2016, 467 (473); Rz. 14.60. 7 S. auch Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (583 a.E.); a.A. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (420). 8 Vgl. das von Moxter, Grundsätze, S. 25 formulierte Kriterium; insoweit offenbar auch Komp, Zweifelsfragen, S. 326.

222

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.56 § 7

die eingeschränkte Kontrolldichte bei Prognoseentscheidungen (Rz. 7.29 ff.) zumindest partiell festgehalten werden kann. Denn diese Grundsätze sind nicht zuletzt rechtspraktischen Bedürfnissen geschuldet.1 Betroffen ist insoweit eine andere Ebene, nämlich die Frage der Operationalität im Rahmen von Bewertung und gerichtlicher Nachprüfung. Besteht eine genügend aussagekräftige Unternehmensplanung, so kann und sollte sie der Bewertungsaufgabe unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität zugrunde gelegt werden.2 Den rechtlichen Anknüpfungspunkt hierfür bildet das Schätzungsermessen des Gerichts (vgl. § 287 Abs. 2 ZPO, § 738 Abs. 2 BGB).3 Der Rechtsprechung der OLG kann im Ausgangspunkt auch darin gefolgt werden, dass die Tatsachengrundlage auf Richtigkeit und die Prognosebildung auf Plausibilität zu untersuchen ist (vgl. Rz. 7.33, 7.35). Dieses Vorgehen ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.4 Die damit einhergehende Begrenzung der Nachschau durch den Bewertenden lässt sich bei solchen Gesellschaftsformen normativ untermauern, bei denen die Unternehmensleitung aus Rechtsgründen verpflichtet ist, bestmöglich im Sinne der Anteilseigner zu agieren.5 Einwendungen von Verfahrensbeteiligten, die die Richtigkeit der Tatsachengrundlage bzw. die Plausibilität der Prognose nicht erschüttern, bleiben erfolglos, soweit die gesetzlichen Bewertungsziele nicht verletzt sind (dazu sogleich).

7.55

Ein „Freibrief“ für Unternehmensleitung und Mehrheit ist damit allerdings schon deshalb nicht verbunden, weil es nicht begründbar wäre, ausschließlich auf die Zukunftseinschätzungen einer Streitpartei abzustellen.6 Die innerhalb der Rechtsprechung der OLG (Rz. 7.28 ff.) vorzufindende geringe Kontrolldichte wird zu Recht kritisiert.7 Aus den in Rz. 7.45 ff. genannten Gründen muss stattdessen kritisch hinterfragt werden, ob die vorhandenen Planungen „hinreichend optimiert“ sind.8 Auch sonst ist zu prüfen, ob ein Verstoß gegen die gesetzlichen Bewertungsziele vorliegt. Insoweit ist kein Vertretbarkeitsspielraum anzuerkennen (Rz. 7.19, 7.25). Insbesondere dürfen naheliegende Alternativkonzepte nicht unberücksichtigt bleiben (dazu Rz. 7.58; s. auch Rz. 34.55). Fehlerhafte Annahmen sind ebenso zu korrigieren wie unplausible und zu konservativ gehaltene Prognosen (dazu auch Rz. 7.57). Dies mag aus Zweckmäßigkeitsgründen in einem ersten Schritt im Zusammenwirken mit der Geschäftsleitung versucht werden, jedoch ist der Bewertungsgutachter – entgegen teilweiser OLG-Rechtsprechung (vgl. Rz. 7.30, 7.36) – nicht auf die Mitwirkung des Managements angewiesen. Denn eine Bindung an die Unternehmensplanung besteht, wie dargelegt, von Rechts wegen nicht, sondern die Übernahme vorhandener Plandaten erfolgt allein aus Praktikabilitätsgründen. Bei nicht ausreichender oder nicht vorhandener Unternehmensplanung hat der Bewertende

7.56

1 Vgl. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 27. 2 Vgl. Aha, AG 1997, 26 (31); Hüttemann, CF 2016, 467 (470): „besonderer Realitätsbezug“; Meinert, DB 2011, 2397 (2398); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2666): „aus wirtschaftlichen Erwägungen“. 3 Vgl. Hüttemann, CF 2016, 467 (470, 474); Rz. 34.27; allgemein zur Reichweite von Schätzungen bei der Unternehmenswertermittlung Rz. 13.13 ff. 4 So jedenfalls die Begründung des Nichtannahmebeschlusses BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, AG 2012, 674 (676); dazu Rz. 7.19. 5 Für die Aktiengesellschaft Komp, Zweifelsfragen, S. 74 f. m.w.N.; vgl. auch Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 66. 6 Hüttemann, CF 2016, 467 (474); Knoll, DStR 2010, 615 (616); Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 100 f. 7 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670). 8 Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (327 f.).

Meyer 223

§ 7 Rz. 7.56

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

die Planungsrechnung selbst zu erstellen,1 und zwar auch über die vom IDW ausdrücklich in Bezug genommenen Bereiche (Rz. 7.11) hinaus.

7.57 Planungen, die (für den Bewertenden erkennbar) auf sachfremden Erwägungen beruhen, sind unbeachtet zu lassen und durch zutreffende bzw. plausible Annahmen zu ersetzen.2 Die Planung ist daher kritisch daraufhin zu untersuchen, ob versucht wird, eine zu leistende Abfindung durch konservative Schätzung niedrig zu halten.3 Eine zu konservative Planung kann auch im Eigeninteresse des Managements liegen, wenn Entlohnungsbestandteile an eine Zielüberschreitung gekoppelt sind oder hieraus Reputationsgewinne resultieren.4 Umgekehrt sind Abschläge zu berücksichtigen, wenn die Pläne aus Gründen betrieblicher Motivation oder zwecks Außendarstellung zu optimistisch ausfallen.5 Sonderplanungen, die aus Anlass der Bewertungsaufgabe aufgestellt werden, sind kritisch zu würdigen, und zwar besonders dann, wenn sie inhaltlich von der sonstigen Planung abweichen (vgl. Rz. 7.30, 7.35).6 Allerdings sind Plankorrekturen, die der Aktualisierung oder der Eliminierung bewertungsfremder Überlegungen dienen, zulässig und geboten.7 Auf die Plausibilisierung von Planungen wird ausführlich in Rz. 5.58 ff. eingegangen.8

7.58 Vom Bewertenden erkannte, nahe liegende Alternativkonzepte sind einzubeziehen.9 Das Gericht hat auf eine entsprechende Vorgehensweise hinzuwirken, um die gesetzlichen Bewertungsziele nicht zu verfehlen.10 Dass ein derartiges Vorgehen die Prüfungspraxis nicht überfordert, wird bereits daran deutlich, dass das IDW die Wirtschaftsprüfer bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte potentieller Unternehmenskäufer mit ebendieser Aufgabe betraut (s. bereits Rz. 7.6, 7.12): „[Es] sind auch solche strukturverändernden Vorhaben sowie bereits erkannte und realisierbare Möglichkeiten zu berücksichtigen, die (noch) nicht Bestandteil des zum Bewertungsstichtag dokumentierten Unternehmenskonzepts sind.“11 Im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum ist zu Recht herausgestellt worden, dass eine solche Vorgehensweise generell und gerade auch bei gesetzlichen Bewertungsanlässen12 angezeigt ist.13 Da sie zudem im Einklang mit den gesetzlichen Bewertungsvorgaben steht, ist ihr bei 1 Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 81; insoweit auch Ruiz de Vargas in Bürgers/ Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 27c. 2 Vgl. die entsprechende Einschränkung bei Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24c; s. auch Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2676); Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (198). 3 Vgl. Schwetzler, WPg 2008, 890 (894 f.); s. auch Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (327); Komp, Zweifelsfragen, S. 138; Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 100 f.; Rz. 13.38; dieses Risiko mit nicht überzeugender Argumentation marginalisierend OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 (419). 4 Knoll, DStR 2010, 615 (617). 5 Vgl. Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 80; Aha, AG 1997, 26 (30); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (539 Fn. 75); Rz. 12.12. 6 Vgl. Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 80. 7 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 53; Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (198). 8 Vgl. auch Rz. 7.10 mit Nachweisen aus der Bewertungspraxis und zu Sonderkonstellationen. 9 Gleichsinnig Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (327); vgl. auch die weiteren Nachweise in Rz. 7.44. 10 Hüttemann, CF 2016, 467 (470). 11 IDW S 1, Rz. 49; dazu Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 300 ff.; wie hier Adolff, Unternehmensbewertung, S. 403 f. (zu Verbundeffekten). 12 Busse von Colbe, StbJb. 1981/82, 257 (263). 13 Vgl. Moxter, Grundsätze, S. 30; Schildbach, BFuP 1993, 25 (32 f., 37); zu Synergien Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (604 f.); s. auch Feldhoff, DB 2000, 1237 (1239); Hommel/Braun/Schmotz, DB 2001, 341 (342, 344).

224

Meyer

Planung und Prognose

Rz. 7.59 § 7

rechtsgeleiteten Unternehmensbewertungen grundsätzlich zu folgen. Das gilt auch dann, wenn plausible, realistisch umsetzbare Alternativkonzepte von Verfahrensbeteiligten aufgezeigt werden.1 Insoweit geht es nämlich nicht um Einwendungen gegen die Vertretbarkeit der vorhandenen Unternehmensplanung (vgl. Rz. 7.55 a.E.), sondern um Gesichtspunkte, die bei dieser ausgespart geblieben sind, jedoch auf Grundlage des gesetzlichen Bewertungsziels der bestmöglichen Verwertung berücksichtigt werden müssen (gleichsinnig Rz. 13.35). Unplausible Konzepte bleiben freilich ebenso unberücksichtigt wie eine Alternativenbildung „ins Blaue hinein“;2 zu verfahrensrechtlichen Implikationen s. Rz. 13.39 f.3 Die Frage, inwieweit bei der Bildung von Erwartungswerten wahrscheinlichkeitsbezogene 7.59 Abschläge4 zu berücksichtigen sind (Rz. 7.40), ist aus der Perspektive eines gedachten Unternehmenserwerbers zu bestimmen.5 Dabei ist darauf zu achten, dass die bestehende Unsicherheit keine doppelte Berücksichtigung (bei den Erwartungswerten und im Kapitalisierungszinssatz) findet.6 Verdeckte Sicherungsäquivalente sind zu identifizieren und erforderlichenfalls zu eliminieren (Rz. 34.53). Ganz unwahrscheinliche Szenarien wirken sich regelmäßig nicht auf die Preisbildung aus, so dass der zugehörigen Rechtsprechung des OLG Frankfurt7 im Ergebnis, nicht aber in der Begründung gefolgt werden kann. Demgegenüber erscheint es nicht gerechtfertigt, die Berücksichtigungsfähigkeit zukünftiger Produkte, für die es bereits Entwicklungsüberlegungen gibt, generell auszuschließen.8 Entscheidend ist vielmehr, ob angesichts des Unternehmenszuschnitts und der vorhandenen Innovationskraft mit Neuentwicklungen zu rechnen ist. Ein rational handelnder Erwerber würde einen derartigen Sachverhalt nämlich in sein Preiskalkül einbeziehen.

1 Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (328). 2 Vgl. Ruthardt, Normzweckbezogene Unternehmensbewertung, S. 103; s. auch Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (613). 3 S. auch Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (329 f.). 4 Vgl. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 26. 5 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 371; Gießelmann/Meinert, GWR 2016, 143. 6 OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 (419); Knoll, DStR 2010, 615 (615 ff.). 7 OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553); näher Rz. 7.40. 8 So aber OLG Stuttgart v. 21.8.2018 – 20 W 1/13 Rz. 73, AG 2019, 255; s. auch insoweit Rz. 7.40.

Meyer 225

§8 Nicht betriebsnotwendiges Vermögen I. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen im Kontext der Ertragswertmethode . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung von betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzungsmethoden . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertbezogene Abgrenzung . . . . . . c) Funktionale Abgrenzung . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . bb) Perspektiven der funktionalen Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelheiten zum Meinungsstand . . . . a) Wertbezogene und funktionale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgebliche Perspektive im Rahmen der funktionalen Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines und Neutralität des IDW . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) 1. Perspektive: Erfordernis einer Veräußerungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) 2. Perspektive: Tatsächliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . dd) 3. Perspektive: Objektiver Betrachter . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertbezogene und funktionale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Perspektive der funktionalen Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.26 8.1

8.4 8.4 8.4 8.5 8.6 8.6 8.8 8.12 8.12 8.14 8.14 8.15 8.18 8.20 8.24

III. Grundsätze der Bewertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens . . . 1. Bestmögliche Verwertung . . . . . . . . . . 2. Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abzug fiktiver Liquidationskosten . c) Abzinsung des Verkehrswertes . . . . d) Besteuerung der fiktiven Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abzug latenter Steuern auf Unternehmens- und Eigentümerebene . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang des Steuerabzugs . . . . cc) Abzinsung der Steuerbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abzug von Schulden . . . . . . . . . . . 3. Korrektur des Gesamtwerts . . . . . . . . . IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Einzelfragen und Fallgruppen . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Negatives Vermögen/Schulden . . . . . . Immaterielles Vermögen . . . . . . . . . . . Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunstwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liquide Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.31 8.31 8.32 8.32 8.33 8.35 8.38 8.38 8.40 8.42 8.44 8.45 8.46 8.46 8.47 8.49 8.51 8.52 8.53 8.57 8.58 8.60

8.24

Schrifttum: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016; Buck, Nicht betriebsnotwendiges negatives Vermögen in der Unternehmensbewertung (von KMU), DStR 2016, 1178; Emmerich/Habersack (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, 6. Aufl. 2018; Forster, Zur angemessenen Barabfindung (§ 305 AktG), FS Claussen, 1997, S. 91; Goette/Habersack, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2015; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 8. Aufl. 2016; Hachmeister/Ruthardt, Nicht betriebsnotwendiges Vermögen in der Unternehmensbewertung, BB 2014, 875; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung – Berücksichtigung des Risikos, Risikozuschlags und persönlicher Steuern, WPg 2011, 829; Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 13. Aufl. 2018; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; Hüttemann, Neuere Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, StbJb. 2000/01, 385; Hüttemann, Rechtliche Vorgaben für ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2013; Meilicke, Die Behandlung von Ertragsteuern im Rahmen der Unternehmensbewertung als Rechtsfrage, 2013; Meinert, Neuere Entwicklungen in der Unternehmensbewertung (Teil I), DB

226

Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.2 § 8

2011, 2397; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Müller/ Rödder (Hrsg.), Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009; Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Petersen/Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994; Riegger/ Wasmann (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Band 9, 3. Aufl. 2013; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensplanung und (optimales) Unternehmenskonzept in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, DB 2013, 2666; Schacht/Fackler (Hrsg.), Praxishandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2009; Schröder/Habbe, Die Berücksichtigung von Schadenersatzansprüchen bei der Überprüfung der Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, NZG 2011, 845; Schröter, Rechtliche Grundlagen und normzweckadäquate Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, 2016; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2012; Weiss, Unternehmen und Unternehmensfortführung im Recht, FS Semmler, 1993, S. 631; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018.

I. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen im Kontext der Ertragswertmethode Der Ertragswert eines Unternehmens wird wesentlich durch die Abgrenzung und Bewertung des betriebsnotwendigen Vermögens beeinflusst. Dies folgt aus der konzeptionellen Gestaltung der Ertragswertmethode, die den Unternehmenswert – anders als die Substanzwertmethode – nicht durch eine Einzelbetrachtung der im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände und Schulden, sondern auf Grundlage der mit dem Kapitalisierungszinssatz abgezinsten, für die Zukunft erwarteten finanziellen Überschüsse (Zukunftserfolgswert1) ermittelt. Das Ertragswertverfahren basiert also auf der Annahme, dass die im Unternehmen vorhandenen Vermögensteile als Einheit zusammenwirken, um den Ertrag zu erzielen und deshalb auch – auf Basis der Ertragserwartung – in ihrer Gesamtheit bewertet werden können und müssen (zur „Gesamtbewertung“ vgl. Rz. 2.44 ff.2). Sofern ihr Liquidationswert nicht ausnahmsweise höher ist (zum Liquidationswert als Wertuntergrenze vgl. Rz. 9.15 ff.),3 ist der individuelle Wert der einzelnen Vermögensobjekte grundsätzlich durch den Gesamtwert abgegolten. Allerdings greift diese Annahme nur in Bezug auf das betriebsnotwendige Vermögen.

8.1

Abweichend zu beurteilen ist mitunter das nicht betriebsnotwendige (bzw. neutrale4) Ver- 8.2 mögen. Im Unterschied zum betriebsnotwendigen Vermögen trägt dieses nichts zur Erwirtschaftung des Ertrages im Rahmen des „normalen“, operativen Geschäfts bei und findet deshalb weder in den erwarteten Zukunftserträgen noch in dem für Diskontierungszwecke festgelegten Kapitalisierungszinssatz eine hinreichende Entsprechung, welcher das operative Geschäftsrisiko des Unternehmens widerspiegelt.5 Würde das nicht betriebsnotwendige Vermögen nicht gesondert bewertet, erhielte der Erwerber des Unternehmens einen unentgeltlichen Zusatzwert, den er durch Veräußerung realisieren könnte, ohne den Ertrag und damit

1 Vgl. IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, A Rz. 84. 2 Vgl. auch IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 18 f. 3 Obgleich der Substanz- und der Liquidationswert darin übereinstimmen, dass die einzelnen Vermögensobjekte und Schulden isoliert bewertet werden, führen sie nicht zwingend zu identischen Wertansätzen. Anders als der Substanzwert ist der Liquidationswert nicht der Wiederbeschaffungspreis, sondern der Veräußerungspreis im Falle einer Zerschlagung, vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 41. 4 Teilweise wird das nicht betriebsnotwendige Vermögen auch als „neutrales Vermögen“ oder „Restreinvermögen“ bezeichnet, vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 181 m.w.N. 5 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 2. Aufl. 2010, S. 152.

Hüttemann/Meinert

227

§ 8 Rz. 8.2

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

zugleich den Unternehmenswert zu beeinflussen.1 Deutlich wird die damit verbundene Problematik anhand der von Hannes2 beispielhaft formulierten Frage: „Warum soll ein Grundbesitz im Verkehrswert von 100 Mio. EUR im Ertragswert ‚verschwinden‘, wenn man dasselbe Unternehmen auch auf einem Grundbesitz im Wert von 60 Mio. EUR betreiben könnte oder wenn dasselbe Unternehmen auf einem gemieteten Grundstück betrieben werden könnte?“.

8.3 Vor dem Hintergrund dieser Methodenkonzeption besteht bei den meisten Bewertungsanlässen – wenngleich nicht bei allen3 – grundsätzliche Einigkeit darüber, dass das nicht betriebsnotwendige Vermögen auch im Rahmen der Ertragswertmethode gesondert zu bewerten und dieser Wert anschließend dem Gesamtwert zuzuschlagen ist.4 Divergierende Ansichten bestehen indes bei der Behandlung im Detail.5 Dies überrascht kaum, wenn man bedenkt, dass die Zuordnung zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen einen unmittelbaren und häufig zugleich erheblichen Einfluss auf den Ertragswert des Unternehmens hat: Je mehr Vermögensteile als nicht betriebsnotwendig qualifiziert werden, desto größer ist das zusätzliche Bewertungspotential und damit zugleich der Unternehmenswert. Vor diesem Hintergrund haben abzufindende Aktionäre regelmäßig ein Interesse an einer möglichst umfangreichen Zuordnung von Vermögenswerten (insbesondere Grund- und Beteiligungsbesitz) zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen, während die verbleibenden Mehrheitsaktionäre ein gegenläufiges Interesse verfolgen.

1 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30. 2 Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1402. 3 Umstritten ist die gesonderte Berücksichtigung nichtbetriebsnotwendigen Vermögens etwa bei der Berechnung eines angemessenen Ausgleichs i.S.v. § 304 AktG. Ein gesonderter Ansatz wird hier mitunter abgelehnt, weil das nicht betriebsnotwendige Vermögen keinen Einfluss auf die zu erwartenden laufenden Erträge habe, nach welchen sich der Ausgleichsanspruch bemesse, vgl. BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01 – juris Rz. 14, AG 2003, 627; Hüffer/Koch, § 304 AktG Rz. 10, 11a m.w.N. Etwas anderes gelte dort, wo das nicht betriebsnotwendige Vermögen tatsächlich Erträge abwerfe (so etwa OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 2016 ff., AG 2012, 49), was auch bei einer geplanten Veräußerung der Fall sei (vgl. OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12 – juris Rz. 126, AG 2015, 241). Diese Sicht wird zunehmend kritisiert und auf die prinzipielle Gleichwertigkeit von Ausgleich und Abfindung – bei welcher die gesonderte Berücksichtigung allgemein anerkannt ist – verwiesen (vgl. etwa Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 42; Paulsen in MünchKomm. AktG, § 304 AktG Rz. 89 jeweils m.w.N.). 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510; OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11 – juris Rz. 20, AG 2012, 417; OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 48, AG 2012, 330; OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – juris Rz. 92; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17 – juris Rz. 47, ZIP 2018, 122; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 383 f., 1181; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (875); Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1402 m.w.N.; IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 59; Meilicke, Ertragsteuern im Rahmen der Unternehmensbewertung, S. 22; Meinert, DB 2011, 2397 (2402 m.w.N.); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30, 135, 181; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 8 m.w.N.; Schröter, Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, S. 97. 5 Vgl. auch Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 25, S. 327 ff.

228

Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.7 § 8

II. Abgrenzung von betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen 1. Abgrenzungsmethoden a) Allgemeines Uneinigkeit besteht vor allem über die Art und Weise der Abgrenzung von betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen. Diskutiert werden im Wesentlichen zwei Abgrenzungsmethoden: Die wertbezogene und die funktionale Abgrenzung.

8.4

b) Wertbezogene Abgrenzung Nach der wertbezogenen Abgrenzung gehören zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen alle Vermögensgegenstände, deren Vorhandensein den Ertragswert nicht oder nicht wesentlich beeinflussen, deren Vermögenswert jedoch bedeutsam ist.1 Negativ formuliert handelt es sich um Vermögen, bei dessen Veräußerung sich die zukünftigen finanziellen Überschüsse aus dem Unternehmen gar nicht oder nur in einem geringen Ausmaß ändern würden.2 Anders als die funktionale Abgrenzung knüpft die wertbezogene Abgrenzung damit nicht an konkrete betriebliche Abläufe an, sondern unternimmt eine rein ertragsbezogene Betrachtung.

8.5

c) Funktionale Abgrenzung aa) Allgemeines Nach der funktionalen Abgrenzung gehören zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen alle Vermögensgegenstände, die zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags (vgl. dazu § 14) frei veräußert werden könnten, ohne dass dadurch die eigentliche Aufgabe des Unternehmens berührt würde.3 Der Betrieb des Unternehmens, d.h. der zur Erreichung des Unternehmensziels erforderliche operative Ablauf, müsste trotz Wegfall des fraglichen Vermögensgegenstandes unverändert und ohne Einschränkung fortgeführt werden können.4 Dabei ist neben dem eigentlichen operativen Geschäft auch eine mögliche Unterstützungsfunktion von Vermögensteilen zu berücksichtigen,5 wie etwa deren strategische Bedeutung oder Synergiepotenziale.6

8.6

Bei genauer Betrachtung hängt die Einordnung als (nicht) betriebsnotwendig damit maßgeblich vom Geschäftsmodell, den konkreten Zielen und der Art der beabsichtigten Unternehmensfortführung des zu bewertenden Unternehmens ab.7 Es liegt auf der Hand, dass für ein standortgebundenes Bergbauunternehmen andere Vermögensgegenstände betriebs-

8.7

1 OLG Düsseldorf v. 16.10.1990 – 19 W 9/88 – juris Rz. 53, AG 1991, 106; BayObLG v. 19.10.1995 – BReg 3 Z BR 17/90 – Paulaner AG – juris Rz. 53, AG 1996, 127; OLG Düsseldorf v. 22.1.1999 – 19 W 5/96 AktE – juris Rz. 115, AG 1999, 321; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 165; Weiss in FS Semmler, 1993, S. 631 (641 f.) sieht in derselben Formulierung hingegen eine Definition der funktionalen Abgrenzung. 2 Vgl. hierzu IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, A Rz. 85; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1402. 3 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 59. 4 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13 – juris Rz. 192, AG 2016, 51 m.w.N.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 437. 5 Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 26, S. 328. 6 LG München I. v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13 – juris Rz. 192, AG 2016, 51. 7 Vgl. dazu auch Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 41.

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§ 8 Rz. 8.7

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

notwendig sind als für einen Softwareentwickler. Aber auch die konkrete Ausgestaltung des operativen Geschäfts oder bestimmte Unternehmensziele können Einfluss auf die Klassifizierung haben. Je weiter das Geschäftsfeld eines Unternehmens ist und je dynamischer es sich entwickelt, desto schwieriger wird zu beurteilen sein, ob ein Vermögensgegenstand dem Unternehmensziel dient bzw. zu dessen Erreichung erforderlich ist.1 bb) Perspektiven der funktionalen Abgrenzung

8.8 Entscheidende Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund der Frage zu, welche Perspektive der Bewerter – im Rahmen der rechtsgebundenen Bewertung also der Richter – bei der Bestimmung des „funktionalen Zusammenhangs“ einzunehmen hat. Muss die Bewertung nur auf dem bisherigen, von der Unternehmensleitung vorgegebenen Unternehmenskonzept aufsetzen oder darf der Bewerter ein hypothetisches Konzept zugrundelegen, wenn sich dadurch ein höherer Unternehmenswert ergäbe? Kann er also im Rahmen der Unternehmensbewertung unternehmerische Entscheidungen überprüfen und falls ja, in welchem Umfang? Entsprechende Fragen stellen sich bei der Beurteilung der Ertragserwartungen des Unternehmens (vgl. dazu näher § 6). Die Abgrenzung nach der Betriebsnotwendigkeit kann sich im Einzelfall schwierig gestalten. Die Übergänge zwischen den denkbaren Perspektiven sind fließend, weshalb es nicht überrascht, dass in Rechtsprechung und Literatur uneinheitliche Kriterien definiert werden. Regelmäßig werden dabei zwei Sichtweisen gegenübergestellt: Gemäß der „subjektiven“ Perspektive bestimme sich die Betriebsnotwendigkeit nach der tatsächlichen Funktion eines Vermögensgegenstandes im Rahmen der aktuellen Unternehmenspolitik der Geschäftsführung. Demgegenüber komme es nach der „objektiven“ Sichtweise auf die Perspektive eines wirtschaftlich denkenden Betrachters an, der auch das hypothetische Unternehmenskonzept eines potentiellen Erwerbers der Bewertung zugrundelegen dürfe.2 Diese Zweiteilung greift indes zu kurz. Bei genauer Betrachtung lassen sich innerhalb der subjektiven Perspektive abermals divergierende Sichtweisen identifizieren, die dem Bewerter verschieden weite Entscheidungsspielräume zugestehen. Um dem Rechnung zu tragen, wird nachfolgend zwischen insgesamt drei Perspektiven unterschieden:

8.9 Die engste Perspektive, die dem Gericht den geringsten Handlungsspielraum gewährt, ist die streng subjektive Perspektive der Unternehmensleitung. Hiernach fehlt es nur dann an einer Betriebsnotwendigkeit, wenn das Unternehmenskonzept bereits eine baldige Veräußerung vorsieht.3 Die Abgrenzung ist in solchen Fällen weitestgehend unproblematisch, denn die Unternehmensleitung muss bereits in objektiv nachvollziehbarer Art und Weise erklärt haben, dass sie den Vermögensgegenstand für funktional nicht erforderlich hält.

8.10 Eine zweite Sichtweise verneint die Betriebsnotwendigkeit – über den Fall der bereits geplanten Veräußerung hinaus – auch dann, wenn der fragliche Vermögensgegenstand nach den der1 Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 189 geht sogar davon aus, dass sich für die Abgrenzung des Begriffs der betriebsnotwendigen Aktivitäten weder eine abstrakte Definition noch eine abschließende Aufzählung von objektiven Kriterien vornehmen ließen. 2 Vgl. beispielhaft OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 69, AG 2003, 688; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 182 f.; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53 m.w.N. 3 OLG Hamburg v. 3.8.2000 – 11 W 36/95 – juris Rz. 71, AG 2001, 479; OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 78 f., AG 2012, 330; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 314 Fn. 356. Vgl. auch Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 8, welche die Definition der fehlenden Betriebsnotwendigkeit jedoch noch um solche Vermögensgegenstände erweitern, denen „der funktionale Zusammenhang mit dem Betriebsgeschehen tatsächlich fehlt“.

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Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.12 § 8

zeitigen Unternehmensverhältnissen in keinem funktionalen Zusammenhang mit dem Betriebsgeschehen steht.1 Zwar soll der Bewerter bzw. das Gericht auch hiernach an die von der Geschäftsführung vorgegebenen Unternehmensrealitäten gebunden sein. Insgesamt ist ihm jedoch ein größerer Beurteilungsspielraum eröffnet, da die Zuordnungsentscheidung nicht von einer bereits konkretisierten Veräußerungsabsicht abhängig gemacht wird. Der dritte Ansatz geht schließlich von der Sicht eines objektiven, wirtschaftlich denkenden Betrachters aus. Sie gewährt dem Bewerter den weitesten Entscheidungsspielraum, denn die Bewertung kann hiernach auch auf Grundlage eines hypothetischen Unternehmenskonzepts eines potentiellen Erwerbers vorgenommen werden, wenn dieses – aus Sicht des Bewerters – zu einem höheren Unternehmenswert führen würde. Zwar ist der Bewerter selbst nach dieser Ansicht an die von der Geschäftsführung vorgegebenen Unternehmensziele gebunden.2 Die Bindung umfasst aber nur die Unternehmensziele, nicht auch deren konkrete Umsetzung. Der Bewerter bzw. das Gericht haben daher die Möglichkeit, konkrete Einzelentscheidungen der Geschäftsführung zu korrigieren und Gegenstände auch dann als nicht betriebsnotwendig zu qualifizieren, wenn diese zwar am Stichtag in das Betriebsgeschehen einbezogen sind, aber eine alternative Ausgestaltung des operativen Geschäfts für die Zukunft wirtschaftlich vernünftiger erscheint.

8.11

2. Einzelheiten zum Meinungsstand a) Wertbezogene und funktionale Abgrenzung Eine wertbezogene Abgrenzung wurde insbesondere durch das BayObLG in seinen Braue- 8.12 rei-Beschlüssen vom 19.10.19953 und 11.12.19954 vertreten, mit welchen es den Brauereigaststätten die Betriebsnotwendigkeit aufgrund ihres geringen Anteils am Gesamtertrag absprach. In der Begründung heißt es dazu: „Zum neutralen Vermögen eines Unternehmens zählen alle Gegenstände, deren Vorhandensein den Ertragswert nicht oder nicht wesentlich beeinflusst, deren Vermögenswert jedoch bedeutsam ist. Der Begriff, der nicht eng gefasst werden darf, beinhaltet alle Gegenstände, die sich ohne Schaden für den Ertrag aus dem Unternehmen herauslösen lassen, wenn sich so ein höherer Wert als im Rahmen des Ertragswertes ergibt.“ Eine ähnliche Formulierung findet sich bereits im Beschluss des OLG Düsseldorf vom 16.10.19905, in dem die Abgrenzung allerdings nicht relevant wurde. Sowohl das OLG Düsseldorf6 als auch das OLG Köln7 haben die Formulierung des BayObLG in späteren Beschlüssen vereinzelt aufgegriffen, wobei die Entscheidung des OLG Köln allerdings zugleich Elemente der funktionalen Abgrenzung enthält.8 Letztlich dürfte aber auch das BayObLG seine Abgrenzung nicht rein wertbezogen verstanden haben, wie der Nachsatz zur vorstehenden Formulierung zu erkennen gibt. Hier führte es aus: „Die nicht betriebsnotwendige Substanz ist Überschuss- oder Ergänzungssubstanz; sie steht außerhalb des funktionalen Zusammenhangs der

1 2 3 4 5 6 7 8

Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 8 m.w.N. Vgl. dazu Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 41. BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90 – juris Rz. 53, AG 1996, 127. BayObLG v. 11.12.1995 – 3Z BR 36/91 – juris Rz. 45, AG 1996, 176. OLG Düsseldorf v. 16.10.1990 – 19 W 9/88 – juris Rz. 53, AG 1991, 106. OLG Düsseldorf v. 22.1.1999 – 19 W 5/96 AktE – juris Rz. 1, AG 1999, 321 15. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96 – juris Rz. 83, GmbHR 1999, 712 = NZG 1999, 1222. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96 – juris Rz. 83, GmbHR 1999, 712 = NZG 1999, 1222: „umfaßt alle Vermögensgegenstände, die frei veräußert werden könnten, ohne daß dadurch die eigentliche Unternehmensaufgabe berührt würde“.

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§ 8 Rz. 8.12

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Werte im Betriebsgeschehen“ und bezog damit zugleich die betriebliche Funktion der streitigen Gaststättengrundstücke in seine Betrachtung mit ein.

8.13 Eine rein wertbezogene Abgrenzung wird heute kaum noch vertreten.1 Zwar findet sie weiterhin Erwähnung in Rechtsprechung2 und Literatur.3 Beide gehen aber nahezu übereinstimmend von einer primär funktionalen Abgrenzung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens aus. Entsprechendes gilt für den Standard IDW S 1 i.d.F. 2008 (Stand 4.7.2016).4 Vereinzelt wird indes eine Kombination funktionaler und wertbezogener Abgrenzungskriterien vorgenommen. So hat etwa das OLG Stuttgart solche Gegenstände als nicht betriebsnotwendig angesehen, „die sich veräußern lassen, ohne die Ziele des Unternehmens und den Überschusswert wesentlich zu ändern“.5 Ähnliche Aussagen finden sich im Schrifttum.6 Nach dem IDW sollen wertbezogene Kriterien nur hilfsweise, z.B. bei Grundbesitz oder unternehmenszweckfremden Beteiligungen ausschlaggebend sein, wenn zweifelhaft ist, ob Vermögensteile tatsächlich im Rahmen der betrieblichen Leistungserstellung erforderlich sind.7 b) Maßgebliche Perspektive im Rahmen der funktionalen Abgrenzung aa) Allgemeines und Neutralität des IDW

8.14 Das Meinungsspektrum zur funktionalen Abgrenzung fällt – wie bereits angedeutet (vgl. Rz. 8.8 ff.) – deutlich differenzierter aus. Umstritten ist insbesondere, welche Perspektive der Bewerter im Rahmen der funktionalen Abgrenzung einzunehmen hat. Während sich das IDW jeglicher Stellungnahme hierzu enthält – was angesichts der besonderen Relevanz der Fragestellung durchaus überrascht – finden sich sowohl im Fachschrifttum als auch in der Rechtsprechung Nachweise für die angesprochenen drei Perspektiven, die jedoch nicht immer trennscharf voneinander abgegrenzt werden.

1 Ein rein wertbezogener Ansatz findet sich allerdings noch bei Kohl in Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 24 Rz. 77: „Zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen gehören grundsätzlich auch Vermögenswerte, die aus dem Unternehmen herausgelöst werden können, wenn sich bei unmittelbarer Bewertung für sie ein höherer Wert als bei mittelbarer Berücksichtigung im Rahmen des Unternehmensertragswertes ergibt.“ 2 Vgl. nur OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 69, AG 2003, 688; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 96, AG 2012, 49 und OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 83 f., AG 2012, 330, das auch die wertbezogene Abgrenzung als teilweise vertretene Ansicht erwähnt. 3 Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 26, S. 328; Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Meinert, DB 2011, 2397 (2402); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53; Weiss in FS Semmler, 1993, S. 631 (644); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 437. 4 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 59; IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, A Rz. 86. 5 OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 240, AG 2013, 724; OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12 – juris Rz. 121, AG 2014, 291. 6 Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 72; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30, der das nicht betriebsnotwendige Vermögen als „das Vermögen, das nicht dem eigentlichen Unternehmenszweck dient, und durch dessen Wegfall sich der Ertragswert nicht verändern würde“ definiert; Schröter, Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, S. 97, die einerseits auf die fehlende Beeinflussung des Ertrags durch eine Veräußerung des Vermögensgegenstandes, andererseits aber auch auf dessen tatsächliche Funktion abstellt. 7 IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, A Rz. 86.

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Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.17 § 8

bb) 1. Perspektive: Erfordernis einer Veräußerungsentscheidung Vor allem in jüngeren Entscheidungen ist vermehrt zu beobachten, dass sich die Gerichte an die Vorgaben der Unternehmensleitung und deren Zuordnungsentscheidungen gebunden sehen. Dies gilt etwa für die Aussage, dass es sich bei der Einordnung als betriebs- oder nicht betriebsnotwendiges Vermögen grundsätzlich um eine unternehmerische Entscheidung handele, die nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung unterliege.1 Entscheidend komme es auf eine bestehende Verkaufsabsicht an, denn letztlich könne nur die Unternehmensführung bestimmen, wie und insbesondere mit welchen Mitteln sie die zukünftigen Erträge zu erwirtschaften gedenke.2 „Erste Gedanken zur Veräußerung“ sollen dabei noch nicht ausreichen, um ein Betriebsgrundstück als nicht betriebsnotwendig anzusehen; vielmehr seien konkrete Planungen erforderlich.3 Wird eine am Bewertungsstichtag bestehende Verkaufsabsicht später wieder aufgegeben, soll dies allerdings für die vorgenommene Einordnung unschädlich sein.4

8.15

Eine ähnliche, wenn auch stärker differenzierende Betrachtung findet sich im Beschluss 8.16 des OLG Stuttgart vom 14.10.2010.5 Zwar stellte das Gericht auch hier auf die Veräußerungsabsicht ab und führte aus, dass ihm eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung des Unternehmerhandelns grundsätzlich nicht gestattet sei. Etwas anderes müsse aber ausnahmsweise dann gelten, wenn der Liquidationswert den Ertragswert deutlich übersteige und die fehlende Verkaufsentscheidung nicht zu rechtfertigen sei, etwa weil der Verkauf der Anteile finanziell notwendig war oder sogar eine Verpflichtung zur Veräußerung bestand. Eine ähnliche Einschränkung findet sich im Beschluss des OLG Frankfurt vom 17.12.20126, welches unternehmerische Entscheidungen hinnehmen will, solange sie sich nicht als ökonomisch nicht mehr nachvollziehbar erwiesen. Letzteres sei der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sie offenkundig unwirtschaftlich oder sogar vorgeschoben seien. Das OLG Düsseldorf hingegen zieht das Bestehen einer „in der Wurzel“ angelegten Veräußerungsabsicht in seinem Vorlagebeschluss vom 28.8.20147 nur als eines von mehreren Abgrenzungskriterien heran. Im Schrifttum findet die streng subjektive Betrachtungsweise, die auf eine bereits bestehende 8.17 Veräußerungsabsicht abstellt, vergleichsweise wenig Unterstützung. Obgleich das (subjektive) Konzept der Unternehmensführung auch hier durchaus Unterstützung erfährt,8 wird nur selten vertreten, dass eine Veräußerung bereits beabsichtigt sein müsse.9 Die meisten Autoren erachten es als ausreichend, dass dem fraglichen Vermögensgegenstand im Rahmen der der-

1 OLG Frankfurt v. 29.4.2011 – 21 W 13/11 – juris Rz. 96, AG 2011, 832. 2 OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 84 m.w.N., AG 2012, 330; LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11 – juris Rz. 166, AG 2017, 501. 3 OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08 – juris Rz. 210, AG 2010, 510. 4 OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 79, AG 2012, 330. 5 OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – juris Rz. 374 m.w.N., AG 2011, 49. 6 OLG Frankfurt v. 17.12.2012 – 21 W 39/11 – juris Rz. 55 f., AG 2013, 566. Offen gelassen im Beschluss des OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 84, AG 2012, 330. 7 OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE) – juris Rz. 126, AG 2014, 817. 8 Vgl. nur Forster in FS Claussen, 1997, S. 91; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1163, a.A. in Rz. 1159; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1183 f.; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1402; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 786 f. 9 Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 314 Fn. 356.

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§ 8 Rz. 8.17

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

zeitigen Unternehmenspraxis eine bestimmte Funktion im Betriebsvermögen fehlt,1 was der sogleich zu behandelnden 2. Perspektive entspricht. cc) 2. Perspektive: Tatsächliche Verhältnisse

8.18 Die zweite Perspektive, die auf die tatsächlichen Verhältnisse abstellt, ohne eine konkrete Veräußerungsabsicht zu verlangen, lässt sich in Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen nachweisen. Zu verweisen ist hierzu etwa auf den Beschluss des OLG Stuttgart vom 8.7.20112, in welchem das OLG bei der Klassifizierung von unbebauten Grundstücken eines Energieversorgungsunternehmens nicht auf eine Veräußerungsabsicht, sondern auf die Größe der Grundstücke abstellte. Dem betriebsnotwendigen Vermögen rechnete es nur solche unbebauten Grundstücke zu, die eine Grundfläche von weniger als 100 qm hatten. Anders als größere Grundstücke eigneten solche sich nur für eine Bebauung mit Umspannwerken oder Trafohäuschen, nicht aber für eine Nutzung zu Wohnzwecken oder gewerblichen Zwecken außerhalb des eigentlichen Unternehmensgegenstandes. Einen vorhandenen Parkplatz qualifizierte es als betriebsnotwendig, da dieser ausschließlich durch Mitarbeiter genutzt werde. Eine vergleichbare Betrachtungsweise findet sich in zwei Beschlüssen des LG München I, welches die Betriebsnotwendigkeit einer Marke bejahte, weil diese „unmittelbar dem Erzielen der Erlöse“ diene.3 Das OLG Düsseldorf (vgl. auch Rz. 8.47) hat in seinem Vorlagebeschluss vom 28.8.20144 ebenfalls auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt, dabei aber zugleich wertbezogene Aspekte in seine Überlegungen einbezogen. So argumentierte es zum einen funktional dahingehend, dass die fraglichen Geschäftsbereiche zum Bewertungsstichtag sowie einige Zeit danach zwei „Säulen“ des Unternehmens dargestellt hätten. Die Vermögensmassen beider Sparten seien auch zwingend erforderlich gewesen, um die Strukturmaßnahme – die Anlass für die Bewertung war – überhaupt umsetzen zu können, denn mit dem Veräußerungserlös seien aufgrund der zwingenden Vorgaben die Schulden zu tilgen gewesen. Zum anderen äußerte das OLG Zweifel, ob von nicht betriebsnotwendigem Vermögen gesprochen werden könne, wenn – wie im dortigen Fall – rund 40 % des Unternehmenswertes auf die beiden Geschäftsbereiche entfielen, die zudem 50 % des Konzernumsatzes erzielten, und berücksichtigte damit zugleich wertbezogene Aspekte. Das OLG Stuttgart schließlich zog die tatsächlichen Verhältnisse in seinem Beschluss vom 17.3.20105 nur als Hilfserwägung heran. Dabei führte es zunächst aus, dass das Grundstück bereits deshalb nicht als nicht betriebsnotwendig habe eingestuft werden können, weil die Veräußerungspläne im Bewertungsstichtag noch nicht hinreichend konkretisiert gewesen seien. Für die Betriebsnotwendigkeit spreche aber auch, dass ein Teil der veräußerten Flächen später zurückgemietet worden sei.

8.19 Verschiedene Stimmen im Schrifttum folgen ebenfalls der zweiten Perspektive und wollen gleichermaßen nach der tatsächlichen Funktion der Vermögensgegenstände im Rahmen der derzeitigen, von der Unternehmensführung vorgegebenen betrieblichen Organisation des zu bewertenden Unternehmens abgrenzen.6 Hierbei sei maßgeblich auf die Art des Betriebs und 1 Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53. 2 OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08 – juris Rz. 305, AG 2011, 795. 3 LG München v. 21.6.2013 – 5HK O 19183/09 – juris Rz. 314, AG 2014, 168; LG München I v. 21.6.2013 – 5 HK O 19183/09 – juris Rz. 314, AG 2014, 168. 4 OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE) – juris Rz. 124 f., AG 2014, 817, welches in Rz. 122 jedoch zunächst alle funktionalen Abgrenzungsperspektiven nebeneinander anerkannt hatte. Näher zu dieser Entscheidung in Rz. 15.4 ff. 5 OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08 – juris Rz. 210, AG 2010, 510. 6 Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 439.

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Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.22 § 8

auf den geplanten Unternehmensgegenstand abzustellen, wobei die Abgrenzung jedoch in weiten Teilen dem gutachterlichen Ermessen unterliege.1 Sofern der Vermögensgegenstand tatsächlich in das Betriebsvermögen einbezogen sei, sei er auch dann betriebsnotwendig, wenn dies aus der Sicht eines objektiven Beobachters eigentlich nicht erforderlich wäre.2 dd) 3. Perspektive: Objektiver Betrachter Die dritte Perspektive, die eines objektiven Betrachters, hat in der Rechtsprechung nur vereinzelt Beachtung gefunden. Als Beispiel lässt sich der Brauerei-Beschluss des BayObLG vom 19.10.19953 anführen, der bereits im Kontext der wertbezogenen Abgrenzung Erwähnung gefunden hatte (vgl. Rz. 8.12). Seine Bedeutung beschränkt sich jedoch keinesfalls auf die wertbezogene Perspektive, da das BayObLG seine (wertbezogenen) Erwägungen letztlich zum Anlass genommen hat, der Bewertung zugleich eine hypothetische Unternehmensstrategie zugrunde zu legen. So führte es aus, dass die Unternehmenspolitik zwar ersichtlich nicht darauf ausgerichtet gewesen sei, die brauereieigenen Gaststättengrundstücke zu veräußern. Da sich der Bierabsatz in den brauereieigenen Gaststätten aber auf ca. 5 % des Gesamtumsatzes reduziert habe, liege es auf der Hand, dass dieser Umsatzanteil unschwer auch über reine Pachtgaststätten gehalten werden könne, wodurch die weitgehende Ertragslosigkeit erheblicher Vermögenswerte vermieden würde.4 Zudem entspreche es der Tendenz, dass Großbrauereien sich immer mehr von sog. Eigengaststätten trennten, weshalb die brauereieigenen Gaststätten als nicht betriebsnotwendig einzustufen seien.

8.20

Der noch weitergehenden Möglichkeit, bei der Bewertung auch sog. sale-and-lease-back Optionen zu berücksichtigen, haben demgegenüber sowohl das OLG Frankfurt5 als auch das OLG Düsseldorf6 eine Absage erteilt. Allein die Möglichkeit, eine bestimmte Leistung von außen zu beziehen, mache den entsprechenden Betriebsteil noch nicht zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen.7 Eine derartige Ausgliederung sei bei allen Produktionsmitteln möglich, enthalte aber keine Aussagekraft darüber, ob das jeweilige Produktionsmittel zur Produktion benötigt werde, denn die rechtliche Gestaltung der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln sage nichts über den funktionalen Zusammenhang zum Ertragswert aus.8

8.21

In der Literatur findet die Perspektive eines objektiven Betrachters heute großen Zuspruch.9 Sie verdiene trotz der damit verbundenen Bewertungsunsicherheiten Zustimmung, da die Höhe der Abfindung zum Schutz der ausscheidenden Aktionäre nicht von den Absichten des

8.22

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 186 f. Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53. BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90 – juris Rz. 53, AG 1996, 127. So im Ergebnis auch LG Dortmund v. 20.3.2017 – 18 O 158/05 AktE – juris Rz. 116 ff. OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 38/09 – juris Rz. 40. OLG Düsseldorf v. 20.11.2001 – 19 W 2/00 AktE – juris Rz. 48, AG 2002, 398. OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 38/09 – juris Rz. 40. OLG Düsseldorf v. 20.11.2001 – 19 W 2/00 AktE – juris Rz. 48, AG 2002, 398. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 72a; Ernst/ Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144 zum DCF-Verfahren; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1159, a.A. in Rz. 1163 sowie in Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1184; Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Hüttemann, StbJb. 2000/01, 385 (396); Meinert, DB 2011, 2397 (2402); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670).

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§ 8 Rz. 8.22

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Mehrheitsaktionärs oder der verbleibenden Gesellschafter bestimmt werden dürfe.1 Werde die vorgelegte Unternehmensplanung nicht ausreichend überprüft, könne dies falsche Anreize zur Verfolgung einer den Mehrheitsgesellschafter begünstigenden Geschäftspolitik setzen. Dies sei jedoch nicht mit der Prämisse der Unternehmensbewertung vereinbar, dass die Geschäftsführung dem Interesse aller Aktionäre verpflichtet sei.2 Von daher müsse stets geprüft werden, ob eine alternative Mittelverwendung „wertoptimaler“ wäre.3 Hierbei könne auch vom hypothetischen Unternehmenskonzept eines potentiellen Erwerbers ausgegangen werden;4 auf die tatsächliche Veräußerungsabsicht der Geschäftsleitung komme es nicht an.5 Anerkannt wird zugleich, dass sich die Abgrenzung im Einzelfall schwierig gestalten kann. In Anlehnung an die wertbezogene Abgrenzung wird deshalb vereinzelt vorgeschlagen, auf den tatsächlichen Beitrag der einzelnen Vermögensgegenstände zum Ertragswert abzustellen, was letztlich eine Anknüpfung an die wertbezogene Betrachtungsweise bedeutet. Sei dieser im Vergleich zum Verkehrswert des fraglichen Gegenstandes gering, sei der Gegenstand (als nicht betriebsnotwendig) gesondert zu bewerten.6 Darüber hinaus wird vertreten, dass selbst bei funktional wesentlichen Vermögensgegenständen stets zu prüfen sei, ob sich diese nicht durch günstigere funktionsgleiche Vermögensgegenstände ersetzen ließen. Sofern (bei Anwendung des DCF-Verfahrens) eine Ersetzung ohne Beeinträchtigung des Cashflows möglich sei, sei die Wertdifferenz zwischen dem zu ersetzenden und dem „neuen“ Vermögensbestandteil ebenfalls als nicht betriebsnotwendiges Vermögen einzustufen.7

8.23 Die hiergegen erhobene Kritik beruft sich vor allem darauf, dass der Richter nicht der bessere Unternehmer sei, zumal die Bewertung in der Regel erst viele Jahre nach dem Stichtag erfolge.8 Der Blick auf die Geschäftspolitik von Vergleichsunternehmen – den das BayObLG vorgenommen hatte – überzeuge ebenfalls nicht, da diese nicht besser sein müsse, als die des zu bewertenden Unternehmens. Die Ersetzung der operativen unternehmerischen Entscheidung durch eine fiktive richterliche Unternehmenspolitik komme allenfalls in Fällen offenbarer Unvernunft in Betracht.9 Ähnlich äußert sich auch Forster10, der zum Vorgehen des BayObLG feststellte, dass dieses das Unternehmen „als ein Phantom, ein künstliches Gebilde, das von der Wirklichkeit, der tatsächlichen Unternehmensstruktur weit abgehoben“ sei, bewertet habe. Einen gänzlich anderen Weg vertritt Piltz11 unter Verweis auf den, dem Gaststätten-Beschluss des BayObLG vorangegangenen, Beschluss des LG München I vom 25.1.1990.12 Zwar hat auch er Bedenken, die Betriebsnotwendigkeit der Gaststättengrundstücke zu „leugnen“. Gleichwohl will er für die Bewertung „derartiger Vermögensgegenstände“ von den „reinen“ Ertragswertregeln abweichen und zum Ertragswert der Grundstücke einen Zuschlag bis zur Grenze ihres Verkehrswertes machen.

1 Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Hüttemann, StbJb. 2000/01, 385 (396); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 72a. 2 Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670). 3 Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670) unter Verweis auf Hüttemann, WPg 2007, 812 (819) zur Prognose der künftigen Erträge. 4 Serf in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 182. 5 Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1160. 6 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 72. 7 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144. 8 Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1136. 9 Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1136. 10 Forster in FS Claussen, 1997, S. 91. 11 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 186. 12 LG München v. 25.1.1990 – 17 HKO 17002/82, AG 1990, 404.

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Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.27 § 8

3. Stellungnahme a) Wertbezogene und funktionale Abgrenzung Im Einklang mit der heute herrschenden Meinung hat die Abgrenzung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen maßgeblich funktional zu erfolgen. Dies folgt daraus, dass der Ertragswert auf den Ertragserwartungen und mithin auf der Existenz eines funktionsfähigen Unternehmens basiert. Bereits vor diesem Hintergrund erscheint es grundsätzlich nicht möglich, Gegenstände, die für das Unternehmen funktional wesentlich sind, aus diesem gedanklich herauszulösen und gesondert zu bewerten. Denn die wirtschaftliche Ertragskraft des Unternehmens ist das Produkt des Zusammenwirkens aller funktional wesentlichen Vermögensgegenstände.1 Denkt man einen dieser Vermögensgegenstände weg, ergeben sich Auswirkungen auf den Gesamtwert, die nur schwerlich bestimmbar sind.2

8.24

Diese Erwägungen stehen der Berücksichtigung wertbezogener Betrachtungselemente jedoch nicht grundsätzlich entgegen. Vielmehr kann die wertbezogene Betrachtung durchaus als Hilfskriterium bei der Beurteilung der funktionalen Wesentlichkeit dienen. Auf der „Ob“Ebene gilt dies zum einen deshalb, weil ertraglose Vermögensgegenstände häufig auch funktional nicht „wesentlich“ sein werden. Zum anderen erlangt der Wert eines Vermögensgegenstandes auch dann Relevanz, wenn man aus der Perspektive eines objektiven Betrachters nach der „wertoptimalen“ Verwendung fragt (vgl. dazu Rz. 8.22). Auf der „Wie“-Ebene bestimmt die Ertragsstärke des einzelnen Vermögensgegenstandes zudem, ob das (funktional) als nicht betriebsnotwendig qualifizierte Vermögen mit seinem (isolierten) Ertrags- oder Liquidationswert zu bewerten ist (vgl. dazu Rz. 8.31).

8.25

b) Perspektive der funktionalen Abgrenzung Innerhalb der funktionalen Abgrenzung bestehen erhebliche Bedenken gegen die in der jüngeren Rechtsprechung vermehrt anzutreffende erste Perspektive, die für die Qualifizierung als nicht betriebsnotwendiges Vermögen eine bereits manifestierte Veräußerungsabsicht verlangt. Zwar hat diese Perspektive das Praktikabilitätsargument für sich, was wohl ihre Popularität in der Rechtsprechung erklärt. Man muss aber bezweifeln, dass sie dem Ziel, dem ausscheidenden Aktionär zu der verfassungsrechtlich gebotenen „vollen“ wirtschaftlichen Entschädigung (zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Abfindung ausscheidender Aktionäre vgl. nur Rz. 1.29)3 zu verhelfen, hinreichend gerecht wird. Denn sie ermöglicht es dem Mehrheitsaktionär, den Unternehmenswert durch bloßes Verschweigen von Veräußerungsabsichten in seinem Sinne zu reduzieren.4 Diese Problematik entschärft sich auch nicht hinreichend dadurch, dass in „Extremfällen“ eine Missbrauchskontrolle stattfinden soll.

8.26

Eine Entscheidung zwischen der zweiten und der dritten Perspektive fällt demgegenüber deutlich schwerer, was nicht zuletzt daran liegt, dass die praktischen Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen überschaubar bleiben. Zum einen wird nämlich eine rein objektive

8.27

1 So auch Weiss in FS Semmler, 1993, S. 631 (643 f.); IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, A Rz. 86. 2 Vgl. dazu auch Weiss in FS Semmler, 1993, S. 631 (644) und WP Handbuch 2014, Band II, A Rz. 138. 3 Vgl. auch Beschluss des BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, WM 1962, 877 ff.; BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 ff.; BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03, AG 2007, 119 ff.; BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07, AG 2011, 128 ff. 4 Vgl. auch Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (876); Hüttemann, WPg 2007, 812 (816).

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§ 8 Rz. 8.27

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Unternehmensbewertung, wie sie der dritte Ansatz anstrebt, nicht selten an faktische Grenzen stoßen.1 Zum anderen hat sich jede Beurteilung des funktionalen Zusammenhangs – soll sie auch noch so objektiv sein – im Ausgangspunkt an dem vorgefundenen Unternehmensgegenstand und damit zugleich an den von der Geschäftsführung vorgegebenen Unternehmenszielen zu orientieren.2 Dies gilt selbst dann, wenn man mit der dritten Perspektive auch (alternative) hypothetische Unternehmenskonzepte eines potentiellen Erwerbers mit in die Betrachtung einbezieht. Die Konstellationen, in denen beide Perspektiven zu divergierenden Ergebnissen führen, dürften sich mithin auf wenige Fallkonstellationen beschränken. Dessen ungeachtet besteht ein praktisch relevantes Bedürfnis für die Festlegung auf einen der beiden Ansätze.

8.28 Als Beispiel, in welchem dies zum Tragen kommt, lässt sich an den (vereinfachten) Fall denken, dass ein nicht standortgebundenes Unternehmen seinen Betrieb auf einem Grundstück in bester Innenstadtlage unterhält. Während das Grundstück nach der zweiten Perspektive eindeutig betriebsnotwendig ist, ließe sich nach der dritten Perspektive über eine Verlagerung des Betriebes und eine Veräußerung des Grundstücks nachdenken, sofern diese ohne Funktionseinbußen stattfinden könnte. In dieser Konstellation gebührt der Perspektive des objektiven Betrachters, der die Möglichkeit hat, von der vorgefundenen Situation und dem bestehenden Unternehmenskonzept abzuweichen, der Vorzug. Zwar wird hiergegen – dem Grunde nach zutreffend – vorgebracht, dass der Richter nicht der bessere Unternehmer sei. Dieses Argument erscheint in der beschriebenen Situation aber zu pauschal. Es kann nur dort überzeugen, wo die ökonomische Vorteilhaftigkeit alternativer unternehmerischer Konzepte auf Grund der prognostischen Unsicherheiten noch unklar oder unwesentlich ist. In solchen Fällen wird man nicht einfach unterstellen können, dass sich die vom Richter präferierte Variante als „wirtschaftlich besser“ bestätigen wird. Im beschriebenen Beispielsfall hingegen liegt die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Betriebsverlagerung auf der Hand. Die Wertsteigerung durch eine alternative Mittelverwendung ist hinreichend objektiviert und plausibel. Selbstverständlich gilt dies nur dann, wenn – wie im Beispielsfall vorgegeben – durch die fiktive Standortverlagerung keine Funktionseinbußen zu erwarten sind. Hierzu zählen neben der Beeinträchtigung des operativen Geschäfts auch Imageverluste, die verkehrstechnische Anbindung oder Probleme bei der künftigen Personalgewinnung. So kann etwa nicht verlangt werden, dass eine Großbank ihre Unternehmenszentrale aus Frankfurt in eine ländliche Region verlagert, um das dadurch freiwerdende Filetgrundstück wertoptimierend zu veräußern. Kein potenzieller Erwerber würde dies ernsthaft in Betracht ziehen. Für z.B. Lagerflächen, Call-Center oder überwiegend automatisiert arbeitende Unternehmensteile dürfte aber jedenfalls eine Verlagerung in preisgünstigere Lagen zu prüfen sein. Eine solche Prüfung unter Hinweis auf den Entscheidungsspielraum der Geschäftsführung abzulehnen, greift genauso zu kurz wie ein Verweis auf den BGH-Beschluss vom 29.9.2015.3 Soweit der BGH dort – im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG – ausgeführt hat, dass der Abfindungsberechtigte keinen Anspruch auf eine möglichst hohe Abfindung habe und der „volle“, „wirkliche“ Unternehmenswert zu ermitteln sei,4 lassen sich dem keine Erkenntnisse entnehmen, die der hier vertretenen Ansicht entgegen stehen würden. Insbesondere lässt sich 1 Ähnlich auch Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 314 Fn. 356. 2 Diese können sich bspw. aus der Satzung ergeben, vgl. OLG Stuttgart v. 16.2.2007 – 20 W 25/05 – juris Rz. 35, AG 2007, 596. 3 So das LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11 – juris Rz. 166, AG 2017, 501 zu einem Verwaltungsgebäude, wobei die Bejahung der Betriebsnotwendigkeit allerdings im Ergebnis zutreffend gewesen sein dürfte. 4 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14 – juris Rz. 12, 33, 34, 38, AG 2016, 135 m.w.N.

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Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.30 § 8

der BGH-Entscheidung nicht entnehmen, dass es die Perspektive der aktuellen Unternehmensführung ist, die darüber entscheidet, welcher Unternehmenswert der „wirkliche“ ist. Ganz im Gegenteil deuten die gewählten Formulierungen vielmehr auf eine objektivierende Betrachtung aus der Sicht eines potenziellen Erwerbers hin. Ein solcher würde aber auch für bislang nicht gehobene Wertsteigerungspotenziale einen Zuschlag zum Gesamtwert bezahlen. Der Schutz der Minderheitsgesellschafter gebietet es daher, eine „wertoptimale“ Verwendung zu fordern und bei der Abgrenzung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen auch Alternativplanungen zu prüfen.1 Der Vorrang eines „optimierten“ Unternehmenskonzeptes folgt materiell aus der Überlegung, 8.29 dass jeder Gesellschafter auch im Rahmen der Bewertung Anspruch auf die „bestmögliche“ Verwertung des Gesellschaftsvermögens hat (zu dieser Konsequenz der Liquidationshypothese vgl. näher Rz. 1.26). Der Verweis auf das „optimale Unternehmenskonzept“ ist kein Fremdkörper im System der Unternehmensbewertung. Er liegt gleichermaßen der These vom Liquidationswert als Wertuntergrenze zugrunde (vgl. dazu Rz. 9.42 ff.), der ebenfalls eine – vom Unternehmenskonzept abweichende – Totalveräußerung des gesamten Unternehmensvermögens fingiert. Auch dieser Ansatz führt letztlich zu einer gemischt funktional-wertbezogenen Betrachtung, denn die Frage nach einer „wertoptimalen“ Verwendung beinhaltet zugleich die Frage nach dem Wert des fraglichen Vermögensgegenstandes. Legt man die vorzugswürdige Sicht eines objektiven Betrachters zugrunde, so fehlt hiernach sowohl solchen Vermögensgegenständen die Betriebsnotwendigkeit, die – wie z.B. fremdvermietete oder ungenutzte Grundstücke – bereits nach den bestehenden Verhältnissen nicht in den operativen Geschäftsablauf einbezogen sind als auch solchen, die zwar derzeit dem Betrieb dienen, aber ohne Funktionseinbuße durch eine wertgünstigere Alternative ersetzt werden können. Auch bei Anwendung der Perspektive eines objektiven Betrachters ist indes zu fordern, dass 8.30 die Einordnung als nicht betriebsnotwendiges Vermögen stets mit Augenmaß erfolgt. Sie darf insbesondere nicht dazu führen, dass letztlich ein rein fiktives Objekt bewertet wird und sich die Risikostruktur des operativen (Rest-)Geschäftsbetriebs völlig verändert.2 Vor diesem Hintergrund erscheint ein Branchenvergleich durchaus geeignet, eine erste Orientierung zu geben, welche Umstrukturierungen praktisch machbar sind. Aus dem Hinweis auf die Unternehmenspolitik anderer Unternehmen folgt selbstverständlich nicht, dass die Betriebsnotwendigkeit von Vermögen dann allein nach dem „Üblichen“ bestimmt wird.3 Vielmehr sind auch naheliegende Hilfsfunktionen des fraglichen Vermögens, wie bspw. das Dienen als Kreditsicherheit, ebenfalls in diese Überlegung einzubeziehen.4 Zudem ist zu beachten, dass der Ermessenspielraum des Gerichts richtigerweise nicht so groß ist, dass auch sale-and-lease-back Gestaltungen berücksichtigt werden könnten, welche heute für nahezu jeden Vermögensgegenstand denkbar erscheinen. Das Erfordernis, für sämtliche Vermögensgegenstände fortlaufende Vergleichsrechnungen vornehmen zu müssen, würde dem Effektivitätsgebot zuwiderlaufen und erscheint kaum praktisch umsetzbar.5 Eine Einschränkung folgt schließlich daraus, dass eine gesonderte Bewertung nur bei solchen Vermögensgegen-

1 Hüttemann, WPg 2007, 812 (818); Meinert, DB 2011, 2397 (2403); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670). 2 Vgl. Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 186. 3 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (592); Meinert, DB 2011, 2397 (2403). 4 Vgl. dazu Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 385. 5 Vgl. bereits Meinert, DB 2011, 2397 (2403).

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§ 8 Rz. 8.30

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

ständen in Betracht kommt, die selbständig verkehrsfähig sind.1 Ihr Wert darf nur dann dem Ertragswert zugeschlagen werden, wenn er auch realisiert werden kann.2 Die Annahme, dass „im Zweifel vom Vorliegen nicht betriebsnotwendigen Vermögens auszugehen und der Gegenstand gesondert zu bewerten“ sei,3 kann vor diesem Hintergrund nicht uneingeschränkt geteilt werden.

III. Grundsätze der Bewertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens 1. Bestmögliche Verwertung

8.31 Bei der Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens ist grundsätzlich von einer „bestmöglichen Verwertung“ auszugehen.4 Nach IDW S 15 stellt eine Liquidation die vorteilhaftere Verwertung dar, sofern der Liquidationswert der fraglichen Vermögensgegenstände unter Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen einer (fiktiven) Veräußerung den Barwert ihrer finanziellen Überschüsse beim Verbleib im Unternehmen (Fortführungswert) übersteigt. Diese Einschätzung wird allgemein geteilt;6 umstritten ist lediglich, ob der Grundsatz der bestmöglichen Verwertung auch eine steueroptimierte Veräußerung erfordert, worauf an späterer Stelle näher einzugehen sein wird (vgl. dazu Rz. 8.40 f.).7 Festhalten lässt sich, dass dem Grunde nach zwei verschiedene Wertansätze für nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte denkbar erscheinen: Der unter Anwendung des Diskontierungszinssatzes abgezinste Ertragswert, der sich (z.B. bei fremdvermieteten Grundstücken) beim Verbleib im Unternehmen erzielen ließe, und der Liquidationswert, der sich bei einer unterstellten Veräußerung ergeben würde.8 Da eine optimale Verwertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zu unterstellen ist, gelangt der jeweils höhere Wert zur Anwendung.9

1 2 3 4

5 6

7 8 9

Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 186. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30. Schröter, Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, S. 97. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 96, AG 2012, 49; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 241, AG 2013, 724; Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 24, 72, S. 326 f., 343; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877); Riegger/ Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 54. Auf anderen Ebenen der Unternehmensbewertung wird die Maxime einer „bestmöglichen Verwertung“ hingegen nicht anerkannt: vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – juris Rz. 76 zur Ausschüttungsstrategie und OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09 – juris Rz. 17 ff., ZIP 2010, 729 zur Thesaurierung. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 59. Vgl. nur BayObLG v. 29.9.1998 – 3Z BR 159/94 – juris Rz. 22, AG 1999, 43; OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 50, AG 2003, 688 ff.; OLG München v. 14.7.2009 – 31 Wx 121/06 – juris Rz. 9, WM 2009, 1848; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 96, AG 2012, 49; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 241, AG 2013, 724; IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 60; Blaschke in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 100; Ernst/ Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1168; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 419, 436 f. Vgl. auch OLG Frankfurt v. 5.11.2009 – 5 W 48/09 – juris Rz. 30 ff. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE) – juris Rz. 123, AG 2014, 817; IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 60; IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, A Rz. 94 f.; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 383 f. Vgl. auch Rz. 4.31.

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Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.33 § 8

2. Liquidationswert a) Allgemeines Der Liquidationswert ist grundsätzlich als Einzelveräußerungspreis zu verstehen.1 Sollten jedoch mehrere Vermögensgegenstände als Ganzes einen höheren Preis erzielen, wäre nach dem Grundsatz der bestmöglichen Verwertung dieser anzusetzen.2 Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn alle fraglichen Vermögensgegenstände zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen gehören, da bei anderen Vermögensgegenständen keine Veräußerung fingiert werden kann. Ausgangspunkt der Liquidationswertermittlung ist der Wert, der als Markt-,3 Verkehrs-4 oder Zeitwert5 bezeichnet wird und jeweils dem fiktiven Veräußerungspreis entsprechen dürfte.6 Wiederbeschaffungswerte spielen hingegen keine Rolle, da sie nicht verlässlich die Werte wiedergeben, die sich durch eine Veräußerung realisieren ließen.7 Der nach diesen Grundsätzen bestimmte Ausgangswert ist entsprechend den nachfolgenden Aspekten zu modifizieren.

8.32

b) Abzug fiktiver Liquidationskosten Von dem festgestellten Ausgangswert sind nach IDW S 1 zunächst die (fiktiven) Veräußerungskosten in Abzug zu bringen.8 Im Schrifttum wird diese Ansicht allgemein geteilt.9 In der Rechtsprechung – die zur Frage eines Kostenabzugs bei der Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens überhaupt nur selten Stellung nimmt10 – finden sich hingegen divergierende Aussagen. Während sich das OLG Stuttgart bereits mehrfach dem IDW angeschlossen hat,11 lehnte das BayObLG den Ansatz von geschätzten Veräußerungskosten i.H.v. 1 % der

1 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 31. 2 Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1187; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877). 3 OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08 – juris Rz. 297, AG 2011, 795; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 89. 4 BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90 – juris Rz. 53, AG 1996, 127; OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 85, AG 2012, 330; LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14 – juris Rz. 71; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1168. 5 BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90 – juris Rz. 53, AG 1996, 127; Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (97). 6 Zum Substanzwert verschiedener Vermögensgegenstände und Schulden vgl. Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 180 ff. 7 Zur Abgrenzung vgl. auch OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – juris Rz. 231, AG 2011, 560. 8 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 61. 9 Blaschke in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 100; Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 73, S. 343; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 73; Ernst/Schneider/ Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1188; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877); Meinert, DB 2011, 2397 (2403); Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 44; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 54; Schröter, Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, S. 98. 10 Zum Abzug vom Liquidationswert bei der Ermittlung des Liquidationswertes für das gesamte Unternehmen vgl. Rz. 9.6. 11 OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08 – juris Rz. 218, AG 2010, 510; OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08 – juris Rz. 296, AG 2011, 795; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 241, AG 2013, 724.

Hüttemann/Meinert

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8.33

§ 8 Rz. 8.33

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Grundstückswerte in seinem Beschluss vom 19.10.1995 ab, weil es dem Schätzwert an einer nachprüfbaren Grundlage fehle und der Kostenabzug eine Scheingenauigkeit suggeriere.1

8.34 Die Argumentation des BayObLG überzeugt nicht. Sie lässt außer Betracht, dass der Liquidationswert eine Veräußerung unterstellt, die in einer Vielzahl von Fällen – z.B. bei der Veräußerung von Grundstücken – mit zwangsläufigen, zum Teil erheblichen Kosten verbunden ist. Dass die Veräußerungskosten nur geschätzt werden können, ist denklogisch, da es sich um eine fiktive Veräußerung handelt. Dies ist jedoch kein Argument gegen ihre Berücksichtigung, da letztlich die gesamte Unternehmensbewertung auf Schätzungen basiert.2 c) Abzinsung des Verkehrswertes

8.35 Fraglich ist, ob der – um die (fiktiven) Veräußerungskosten reduzierte – Verkehrswert abzuzinsen ist. Dafür spricht, dass sich eine (fiktive) Veräußerung im Zweifel nicht sofort realisieren ließe und der Kaufpreis u.U. erst Jahre nach dem Bewertungsstichtag vereinnahmt werden könnte.3 Mitunter ist ein längerer Liquidationszeitraum auch deshalb geboten, weil die gleichzeitige Veräußerung einer Vielzahl gleichwertiger Vermögensgegenstände zu einer Überschwemmung des Marktes und damit zu einer Erosion der Verkehrswerte führen würde.4 Der IDW S 1-Standard5 und die überwiegende Ansicht in der Literatur6 plädieren daher für eine Abzinsung auf den Bewertungsstichtag unter Zugrundelegung eines angemessenen Liquidationszeitraums. Die Rechtsprechung hingegen schweigt hierzu überwiegend7 und setzt den ermittelten Wert i.d.R. ungekürzt an.8 Dies läuft auf die Annahme einer sofortigen Realisation hinaus, die auch im Schrifttum vereinzelt Unterstützung findet.9 Eine unmittelbare Begründung hierzu findet sich nicht. Ein mittelbarer Erklärungsansatz lässt sich jedoch dem Beschluss des OLG Frankfurt vom 2.5.2011 entnehmen,10 der eine Abzinsung der fiktiv entstehenden Steuern mit dem Argument abgelehnt hatte, dass dieser Ansatz nicht praktikabel sei und bei konsequenter Umsetzung auch nicht der jetzige Verkehrswert, sondern der zum Zeit-

1 BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90 – juris Rz. 87, AG 1996, 127. 2 Kritisch auch Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (97 f.). 3 In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob ein möglicher Veräußerungserlös unmittelbar entnahmefähig wäre. Dies kann bspw. dann problematisch sein, wenn das zu bewertende Unternehmen über handelsrechtliche Verlustvorträge verfügt, vgl. Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/ Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 74, S. 344. 4 OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 79, AG 2003, 688. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 61. 6 Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10; Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 73 f., S. 343 f.; Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (97); Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 44. 7 Anders verhält es sich bei der Frage, ob der für das gesamte Unternehmen zu ermittelnde Liquidationswert abzuzinsen ist, vgl. dazu Rz. 9.6. 8 Vgl. nur BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z BR 17/90 – juris Rz. 85 ff., AG 1996, 127; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 241 ff., AG 2013, 724. A.A. z.B. OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 79, AG 2003, 688, das eine Abzinsung für zutreffend erachtet, wenn die sofortige Veräußerung aller Vermögensgegenstände zu einer Überschwemmung des Marktes und damit zu einer Erosion der Verkehrswerte führen würde. 9 So die Grundannahme von Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 485 und 1187, die allerdings in Ausnahmefällen eine abweichende Beurteilung zulassen wollen. 10 OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828.

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Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.38 § 8

punkt des fiktiven, späteren Verkaufszeitpunktes bestehende Verkehrswert angesetzt werden müsse. Entgegen dieser Ansicht ist eine Abzinsung auf den Stichtag dem Grunde nach zu befürworten. Die (fiktive) Liquidation von nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen wird i.d.R. eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, so dass die Einnahmen erst mit einer gewissen Verzögerung zufließen werden. Entgegen der o.g. Ansicht des OLG Frankfurt kann dem auch nicht das Argument intertemporaler Verkehrswertänderungen entgegengehalten werden, da die Erwartung späterer Wertveränderungen bereits in dem auf den Bewertungsstichtag ermittelten Verkehrswert eingepreist ist. Hinzu kommt, dass die Abzinsung sich ebenfalls mit einem Verzug beim Zufluss des Veräußerungserlöses begründen ließe, welcher jedoch erst nach der Veräußerung entsteht und damit vom Verkehrswert unabhängig ist. Nur bei besonders marktgängigen Vermögensgegenständen, die sich mit geringem Transaktionsaufwand übertragen lassen, erscheint eine andere Beurteilung gerechtfertigt. Geht man hiernach vom Regelfall einer zeitverzögerten Veräußerung aus, sind allerdings auch die bis zum (fiktiven) Veräußerungszeitpunkt erwartbaren Nutzungsentgelte (z.B. Mieten) in die gesonderte Berechnung einzubeziehen.1

8.36

Als problematisch erweist sich die Bestimmung eines „angemessenen“ Liquidationszeitraums. In der Praxis wird häufig ein Veräußerungszeitraum von einem Jahr unterstellt.2 Bysikiewicz/Zwirner wenden hiergegen jedoch zutreffend ein, dass dies nicht pauschal unterstellt werden könne. Während liquides Vermögen i.d.R. unmittelbar am Bewertungsstichtag entnommen werden kann, wird die Veräußerung anderer Vermögensgegenstände u.U. mehrere Jahre in Anspruch nehmen.3 Richtigerweise ist der Abzinsungszeitraum daher grundsätzlich für jeden Vermögensgegenstand bzw. für bestimmte Gruppen von Vermögensgegenständen individuell festzulegen. Für die praktisch besonders relevante Gruppe der Grundstücke erscheint der Jahreszeitraum indes durchaus realistisch.

8.37

d) Besteuerung der fiktiven Liquidation aa) Abzug latenter Steuern auf Unternehmens- und Eigentümerebene Darüber hinaus wird diskutiert, ob der so ermittelte Wert um Steuern zu reduzieren ist, die im Falle der Veräußerung durch die Aufdeckung stiller Reserven ausgelöst würden. Das BayObLG hat dies in seinem Beschluss vom 19.10.19954 abgelehnt, weil keine tatsächliche Veräußerung stattfinde. In der jüngeren Rechtsprechung werden latente Ertragsteuern hingegen regelmäßig berücksichtigt.5 Nur ein solches Vorgehen stelle eine konsequente Umsetzung 1 Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 485. 2 Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 73, S. 343. 3 Vgl. Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 74, S. 344. 4 BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90 – juris Rz. 86, AG 1996, 127. 5 OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 79, AG 2003, 688; OLG Düsseldorf v. 27.2.2004 – 19 W 3/00 AktE – juris Rz. 86, AG 2004, 1032; OLG München v. 19.10.2006 – 31 Wx 092/05 – juris Rz. 37, AG 2007, 287; OLG München v. 26.10.2006 – 31 Wx 12/06 – juris Rz. 39, ZIP 2007, 375; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06 – juris Rz. 37, AG 2008, 28; KG v. 14.1.2009 – 2 W 68/07 – juris Rz. 55, AG 2009, 199; OLG Stuttgart v. 18.12.2009 – 20 W 2/08 – juris Rz. 298, AG 2010, 513; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828; OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11 – juris Rz. 457; LG München I. v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13 – juris Rz. 334, AG 2016, 51.

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8.38

§ 8 Rz. 8.38

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

der – letztlich zum Schutz der Minderheitsaktionäre getroffenen – Annahme dar, dass das nicht betriebsnotwendige Vermögen veräußert werde.1 Der Abzug der fiktiven Steuerbelastung wird auch vom IDW2 und vom Schrifttum3 gefordert und kann daher heute jedenfalls hinsichtlich der Unternehmenssteuern (Körperschaft- und Gewerbesteuer) als allgemein anerkannt bezeichnet werden.4

8.39 Divergierende Ansichten bestehen hingegen bei der Frage, ob auch persönliche Ertragsteuern wertmindernd zu berücksichtigen sind. Während Teile der Rechtsprechung5 und Literatur6 nur den Abzug der betrieblichen Steuern im Blick haben, wird von anderer Seite – je nach beabsichtigter Verwendung der fiktiv erzielten Erlöse (Thesaurierung oder Ausschüttung) – auch die Berücksichtigung der fiktiv auf Eigentümerebene entstehenden Steuern gefordert. Dies gilt nicht nur für das IDW7 und einen Teil des Schrifttums8, die sich im Fall einer erwarteten Ausschüttung für den Abzug der persönlichen Einkommensteuer aussprechen, sondern auch für Teile der Rechtsprechung.9 Letztere Ansicht verfängt allerdings nicht. Zwar ist es zu1 KG v. 14.1.2009 – 2 W 68/07 – juris Rz. 55, AG 2009, 199; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 61; anders noch unter dem Standard HFA 2/83, gültig bis 28.6.2000, WPg 1983, 468 ff. 3 Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 73, S. 343 f.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 73; Ernst/ Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144 f.; Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (98); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1189; Meinert, DB 2011, 2397 (2403); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 31, 186; Schröter, Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, S. 98; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 440. 4 So auch Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877). 5 So z.B. KG v. 14.1.2009 – 2 W 68/07 – juris Rz. 55 m.w.N., AG 2009, 199; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828; OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – juris Rz. 230, AG 2011, 560; und OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11 – juris Rz. 163 f., AG 2012, 513. Offen gelassen bei OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06 – juris Rz. 111, AG 2008, 783. Ähnlich auch Forster in FS Claussen, 1997, S. 91 (98). 6 Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 54; eingehend Meilicke, Die Behandlung von Ertragsteuern im Rahmen der Unternehmensbewertung als Rechtsfrage, 2013, S. 230 f. 7 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 61. 8 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 145 zum DCF-Verfahren; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1189 wollen persönliche Steuern nur abziehen, wenn der Erlös ausgeschüttet werden soll, nicht hingegen bei einer geplanten Thesaurierung; Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 44; Popp/Ruthardt, Rz. 12.146; Serf in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 181; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 440. Zur Bedeutung der persönlichen Ertragsteuern bei der Ermittlung des Gesamtwertes vgl. Rz. 17.8 ff. sowie Hachmeister/Ruthardt/ Lampenius, WPg 2011, 829. 9 Vgl. OLG München v. 2.4.2008 – 31 Wx 85/06 – juris Rz. 47; OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08 – juris Rz. 310, AG 2011, 795; OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 78, 89, 94, AG 2012, 330; OLG Karlsruhe v. 15.12.2012 – 12 W 66/06 – juris Rz. 197, AG 2013, 353; OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12 – juris Rz. 116 f., NZG 2014, 464 entgegen der Ansicht des gerichtlich bestellten Sachverständigen; OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15 – juris Rz. 85, 95, AG 2016, 551; OLG Düsseldorf v. 15.12.2016 – I-26 W 25/12 (AktE) – juris Rz. 95 f., AG 2017, 709, welches allerdings nur persönliche Steuern auf eine Ausschüttungsquote von 50 % berücksichtigte; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12 – juris Rz. 138 ff., AG 2017, 626, welches die Annahme der Sachverständigen allerdings in Rz. 141 als „diskussionswürdig“ bezeichnete. Beachtlich ist fer-

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Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.41 § 8

treffend, dass persönliche Ertragsteuern grundsätzlich die Investitionsentscheidung, d.h. auch den Gesamtwert des Unternehmens, beeinflussen (vgl. Rz. 17.9) und deshalb – um eine unterschiedliche steuerliche Belastung von Unternehmenserträgen und Alternativrenditen zu berücksichtigen – in der Regel eliminiert werden müssen. Bei der gesonderten Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens für Zwecke der Abfindungsbemessung ist diese Überlegung aber nicht tragend. Geht man nämlich von einer Bewertung mit dem Liquidationswert und sofortiger Ausschüttung dieses Sonderwertes (vgl. Rz. 8.37) aus, so steht dem Abfindungsempfänger derjenige Anteil am (fiktiven) Liquidationserlös zu, der ihm auch im Falle einer tatsächlichen Liquidation des nicht betriebsnotwendigen Vermögens (nach Abzug von Liquidationskosten, Unternehmenssteuern und einer ggf. vorzunehmenden Abzinsung) zufließen würde. Hierauf hat er seine persönlichen Ertragsteuern zu entrichten. Den (noch zu versteuernden) Abfindungsbetrag um „fiktive“ persönliche Einkommensteuern zu mindern, würde bedeuten, dass der abzufindende Aktionär im Ergebnis „doppelt“ (steuerlich) belastet würde, denn auch auf einen reduzierten Abfindungsbetrag wären weiterhin persönliche Ertragsteuern zu entrichten. Eine Rechtfertigung für eine solche doppelte Kürzung ist nicht ersichtlich.1 Bei transparent besteuerten Personengesellschaften kann es (vorbehaltlich § 34a EStG) überdies nicht auf die Ausschüttung des fiktiven Erlöses ankommen. Vor diesem Hintergrund erscheint es richtig, Kapital- und Personengesellschaften in diesem Punkt gleich zu behandeln und in beiden Fällen auf eine Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern zu verzichten. bb) Umfang des Steuerabzugs Zweifel ergeben sich ferner bei der Frage, ob der Grundsatz der bestmöglichen Verwertung auch eine steueroptimierte Veräußerung erfordert. So hatte sich das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 5.11.20092 mit dem Einwand der Antragsteller auseinanderzusetzen, nach dem der Bruttoliquidationswert nicht um die Ertragsteuern habe gemindert werden dürfen, weil zu deren Vermeidung die Möglichkeit bestanden habe, die Immobilien in eine Gesellschaft einzubringen und anschließend diese Gesellschaft (share deal) statt die Grundstücke (asset deal) selbst zu verkaufen. Bei diesem Vorgehen hätten die in Abzug gebrachte Körperschaft- und Gewerbesteuer gem. § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG vermieden werden können. Das OLG wies den Einwand zurück, weil er diverse Wechselwirkungen und Nachteile des Share Deals nicht berücksichtige.

8.40

Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Ein Zwang zur Berücksichtigung sämtlicher denkbarer steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten würde nicht nur zu einer unverhältnismäßigen Verkomplizierung des Bewertungsverfahrens führen, sondern auch eine unangemessene Benachteiligung des Mehrheitsaktionärs mit sich bringen, wenn an anderer Stelle eintretende Wechselwirkungen nicht ebenfalls Berücksichtigung fänden. Dem vollumfänglich Rechnung zu tragen, wird aber nicht immer möglich sein. Es erscheint daher sachgerecht, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der ohnehin nur schätzweisen Wertermittlung des Liquidations-

8.41

ner, dass etwa das OLG Frankfurt für Zwecke des Ausgleichs nach § 304 AktG die zunächst abgezogenen persönlichen Steuern später wieder hinzurechnet, vgl. OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13 – juris Rz. 75, AG 2015, 504; OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15 – juris Rz. 95, AG 2016, 551. 1 So auch Meilicke, Ertragsteuern im Rahmen der Unternehmensbewertung, S. 231 f. 2 OLG Frankfurt v. 5.11.2009 – 5 W 48/09, juris Rz. 30 ff. Das OLG hatte sich mit dieser Frage im Rahmen der Bemessung des Liquidationswerts als Wertuntergrenze für den Wert des Unternehmens zu beschäftigen (vgl. dazu Rz. 9.15 ff.). Die Problematik stellt sich jedoch bei der Liquidationswertbestimmung für das nicht betriebsnotwendige Vermögen entsprechend.

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§ 8 Rz. 8.41

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

wertes im Regelfall unberücksichtigt zu lassen. Dies gilt entsprechend für Instrumente der Realisierungsvermeidung, wie z.B. die Möglichkeit, stille Reserven nach § 6b EStG auf andere, im Betrieb verbleibende Wirtschaftsgüter zu übertragen.1 Etwas anders kann allenfalls dann gelten, wenn entsprechende Dispositionen am Bewertungsstichtag bereits eingeleitet sind und die Anwendung von § 6b EStG sicher erscheint.2 Abweichend zu beurteilen sind hingegen im Unternehmen vorhandene steuerliche Verlustvorträge. Haben diese nicht bereits im Rahmen der Gesamtwertermittlung Berücksichtigung gefunden, beinhalten sie einen Vorteil, der bei Berechnung der Steuerbelastung oder als eigenständige nicht betriebsnotwendige Forderung zu berücksichtigen ist (vgl. Rz. 8.51).3 cc) Abzinsung der Steuerbelastung

8.42 In Rechtsprechung und Literatur nur wenig Beachtung hat bislang die Frage gefunden, ob auch die fiktive Steuerbelastung auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen ist. Das OLG Frankfurt4 hat eine Abzinsung im Beschluss vom 2.5.2011 abgelehnt. Zur Begründung führte es aus, dass eine solche nicht konsequent sei, „weil in diesem Fall – abgesehen von der fehlenden Praktikabilität dieses Ansatzes – auch nicht der jetzige Verkehrswert, sondern der zum Zeitpunkt des fiktiven, späteren Verkaufszeitpunktes sich ergebende Verkehrswert angesetzt werden müsste“. Diese Erwägung vermag – wie bereits ausgeführt (vgl. dazu Rz. 8.36) – nicht zu überzeugen, da der aktuelle Verkehrswert auch für die Zukunft erwartete Entwicklungen mit einpreist. Dies zugrundegelegt ist die fiktive Steuerbelastung ebenfalls einer Abzinsung zugänglich.

8.43 Offen bleibt damit die Frage, wie das Maß der Abzinsung zu bestimmen ist. Dem Grunde nach können hier zwei Aspekte eine Rolle spielen: Der Umfang der Abzinsung des Liquidationserlöses5 und – wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht (vgl. Rz. 8.39) auch den Abzug persönlicher Ertragsteuern bejaht – der Zeitpunkt der erwarteten Erlösausschüttung an die Anteilseigner,6 denn sowohl eine Liquidationsverzögerung als auch eine anschließende Thesaurierung des Veräußerungserlöses vermögen eine Abzinsung der fiktiven Steuerbelastung zu begründen. Dass der erste Aspekt zu berücksichtigen ist, steht außer Frage, denn bei einer zeitlich verzögerten Liquidation entsteht die hieraus resultierende steuerliche Belastung ebenfalls mit entsprechender Verzögerung. Problematisch ist hingegen die Thesaurierungsannahme. Zwar erscheint sie – anders als bei der Liquidation des gesamten Unternehmens (vgl. dazu Rz. 9.4 f.) – grundsätzlich möglich, da das Unternehmen trotz des Verkaufs des nicht betriebsnotwendigen Vermögens i.d.R. bestehen bleibt.7 Der Bewertung dieses Vermögens mit dem Liquidationswert liegt jedoch der Gedanke einer baldigen Veräußerung und der anschließenden Ausschüttung des anteiligen Veräußerungserlöses an den ausscheidenden Gesellschafter zugrunde. Vor diesem Hintergrund ist kein Raum für eine Thesaurie-

1 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 187; a.A. Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877). 2 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 187. 3 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 136; Schröter, Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften, S. 98. 4 OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 74, AG 2011, 828. 5 Vgl. OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11 – juris Rz. 457. 6 Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (878). 7 So im Ergebnis Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (878), die für die Bemessung des Thesaurierungszeitraumes typisierend auf die Ausschüttungsannahme in der Fortführungsphase abstellen wollen.

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Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.46 § 8

rung, weshalb sich die Abzinsung der fiktiven Steuerbelastung ausschließlich an der Abzinsung des Liquidationswerts zu orientieren hat. e) Abzug von Schulden Der so ermittelte Liquidationswert ist schließlich um diejenigen Schulden zu kürzen, die ggf. dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zuzuordnen sind.1 Hierbei sind alle Ausgaben zu berücksichtigen, die bei der fiktiven Ablösung der Schulden anfallen, d.h. neben dem eigentlichen Rückzahlungsbetrag auch die Kosten der Ablösung.2 In diesem Zusammenhang ist gleichfalls von einer bestmöglichen Verwertung auszugehen. Richtigerweise sind die Schulden zudem entsprechend dem Veräußerungserlös abzuzinsen, da sie erst nach dessen Zufluss beglichen werden können.

8.44

3. Korrektur des Gesamtwerts Im Anschluss an die Wertermittlung für das nicht betriebsnotwendige Vermögen ist der Gesamtwert des operativen Geschäfts um mögliche Einflüsse aus dem gesondert bewerteten Bereich zu bereinigen, denn der gesonderten Bewertung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Vermögensgegenstand dem Betrieb nicht länger zur Verfügung steht. Hierbei sind zunächst diejenigen Erträge und Aufwendungen, die mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögensteil in unmittelbarem Zusammenhang stehen, aus den Ertragserwartungen des Gesamtunternehmens herauszurechnen.3 Entsprechendes gilt für Zinsaufwendungen auf Schulden, soweit diese mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen in Zusammenhang stehen.4 Daneben ist bei der Aussonderung von kreditsicherndem Vermögen zu beachten, dass eine Entnahme zur Veränderung der Finanzierungssituation – z.B. zu steigenden Finanzierungskosten wegen geringerer Sicherheiten – des Unternehmens führen kann.5

8.45

IV. Einzelfragen und Fallgruppen 1. Allgemeines Im Nachfolgenden sollen diejenigen Fallgruppen von Vermögenswerten eine gesonderte Betrachtung erfahren, die in der Vergangenheit besonders häufig Gegenstand der Abgrenzung von betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen waren.6

1 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 62; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 241, AG 2013, 724; Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 44; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 54; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 438. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 62; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1169. 3 LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14 – juris Rz. 46. 4 Serf in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 182. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 63; Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 26, S. 328; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 144; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 385, 1188; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877); Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 44; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30. 6 Vgl. auch Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (878).

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8.46

§ 8 Rz. 8.47

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

2. Beteiligungen

8.47 Zu den nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenständen können insbesondere Beteiligungen zählen. Hierbei kommt es – auch bei Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften – stets auf die konkrete Funktion der Beteiligung an:1 Beteiligungen an Vermarktungsgesellschaften sind i.d.R. genauso betriebsnotwendig wie die Beteiligung an einem Rechenzentrum,2 denn bei beiden handelt es sich um outgesourcte Funktionen des eigentlichen operativen Geschäfts.3 Bei Versicherungsgesellschaften wird angenommen, dass sämtliche Unternehmensbeteiligungen betriebsnotwendiges Vermögen darstellen, da sie „als Teil des Gesamtvermögensstocks zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen anzusehen“ seien.4 Beteiligungen, die nur einen unbedeutenden Geschäftsumfang einnehmen, auf anderen Geschäftsfeldern tätig sind oder gar keine geschäftliche Aktivität mehr entfalten, sollen hingegen regelmäßig nicht betriebsnotwendig sein.5 Entsprechendes gilt für Beteiligungen an Gesellschaften, die nicht betriebsnotwendiges Vermögen verwalten.6 Dieser Einschätzung ist grundsätzlich zu folgen, auch wenn der Geschäftsumfang als Abgrenzungskriterium ungeeignet erscheint. Zuzustimmen ist gleichermaßen der Entscheidung des OLG Düsseldorf (vgl. bereits Rz. 8.18), zwei Geschäftsbereiche, die nach der Unternehmensübernahme zwar veräußert werden sollten, im Übernahmezeitpunkt aber noch zu den „Säulen“ des Unternehmens zählten und zur Finanzierung der geplanten Umstrukturierung unentbehrlich waren, zum betriebsnotwendigen Vermögen zu zählen.7 Das LG hatte die Geschäftsbereiche für nicht betriebsnotwendig erklärt und mit dem tatsächlichen Verkaufspreis von 1,4 Mrd. EUR bewertet, welcher unter dem Ertragswert von 2,1 Mrd. EUR lag. Damit hatte es das auf den Bewertungsstichtag zu beurteilende Bewertungsobjekt übermäßig verändert und überdies nicht dem Erfordernis einer „wertoptimalen Verwendung“ Rechnung getragen.

8.48 Zweifel bestehen bei der Bewertung der nicht betriebsnotwendigen Beteiligungen. Teilweise wird eine Bewertung zum Buchwert vorgenommen.8 Dies überzeugt nicht, denn auch beim nicht betriebsnotwendigen Beteiligungsvermögen ist eine fiktive Veräußerung zu unterstellen. Die Bewertung hat folglich auch hier mit dem Verkehrswert zu erfolgen,9 welcher sich

1 OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09 – juris Rz. 247, AG 2011, 205. 2 OLG Düsseldorf v. 22.1.1999 – 19 W 5/96 AktE – juris Rz. 110, AG 1999, 321; nach juris Rz. 111 ff. soll Entsprechendes für Genossenschaftsanteile an „Hausbanken“ gelten. 3 Vgl. dazu auch OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 107, AG 2012, 49; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 184. 4 OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06 – juris Rz. 38, AG 2007, 411. So auch OLG Düsseldorf v. 6.4.2011 – I-26 W 2/06 AktE – juris Rz. 65. Ähnlich für die Wertpapiere einer Bausparkasse: OLG Stuttgart v. 22.9.2009 – 20 W 20/06 – juris Rz. 107, AG 2010, 42. 5 BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00 – juris Rz. 41, AG 2006, 41. Vgl. auch LG München I v. 21.6.2013 – 5 HK O 19183/09 – juris Rz. 285 ff., AG 2014, 168; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 184. 6 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 144, AG 2012, 49. Auch Piltz fordert, die Untergesellschaft auf nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu untersuchen, vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 152. Dies dürfte jedoch häufig mit erheblichen praktischen Problemen verbunden sein. 7 OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE) – juris Rz. 124, AG 2014, 817. 8 LG München v. 21.6.2013 – 5HK O 19183/09 – juris Rz. 288, AG 2014, 168; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 188, AG 2012, 49 für Beteiligungen an Unternehmen, die Verluste erwirtschaften; OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11 – juris Rz. 78, NZG 2011, 990 für Beteiligungsgesellschaften ohne operatives Geschäft; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (878). 9 OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 85, AG 2012, 330.

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Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.49 § 8

in einem ggf. vorhandenen Börsenkurs1 oder dem Liquidationswert der Gesellschaft, an welcher die Beteiligung besteht, widerspiegeln kann. 3. Forderungen Zu den nicht betriebsnotwendigen Forderungen gehören vor allem Schadensersatzansprü- 8.49 che2 oder Steuerguthaben,3 wobei letztere durch den Wegfall des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens an Relevanz verloren haben dürften. Der Ansatz von Schadensersatzansprüchen – etwa gegen Organmitglieder4 oder Dritte – ist umstritten, weil ihre Durchsetzbarkeit häufig zweifelhaft und mit Risiken behaftet ist.5 Teilweise wird die Geltendmachung daher als unternehmerische Entscheidung eingestuft, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliege.6 Andere wollen zumindest solche Schadenersatzansprüche berücksichtigen, die vom Schuldner unbestritten sind oder durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt wurden.7 Darüber hinaus finden sich Urteile, die eine inzidente Überprüfung der Erfolgsaussichten behaupteten Schadensersatzansprüche und deren Durchsetzbarkeit im Spruchverfahren vornehmen8 oder letzteres bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Schadensersatzansprüche aussetzen.9 Im Ausgangspunkt ist es richtig, auch Schadensersatzansprüche in die gesonderte Bewertung einzubeziehen, denn auch hierbei handelt es sich um Werte, die dem ausscheidenden Aktionär grundsätzlich nicht vorenthalten werden dürfen. Entscheidend für die gesonderte Berücksichtigung ist aber, dass aus der Stichtagsperspektive mit hinreichender Sicherheit von einem späteren Zufluss ausgegangen werden kann, was die Werthaltigkeit und Durchsetzbarkeit der Forderung voraussetzt.10 Jedenfalls bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Ansprüchen dürfte dies regelmäßig zu bejahen sein.11 Im Übrigen bestehen auch gegen eine inzidente Überprüfung der Erfolgsaussichten keine Bedenken. In der Praxis scheitert

1 Vgl. dazu OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris Rz. 188, AG 2012, 49; OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11 – juris Rz. 87, AG 2012, 330. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 16.10.1990 – 19 W 9/88 – juris Rz. 63 ff., AG 1991, 106; Großfeld/Egger/ Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1198 f. 3 LG Hamburg v. 29.6.2015 – 412 HKO 178/12 – juris Rz. 123; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30; Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 186. 4 Zu Schadensersatzansprüchen gegen die Unternehmensführung, die von Minderheitsaktionären werterhöhend gelten gemacht werden, vgl. etwa OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/16, AG 2015, 508; LG München I v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15 – juris Rz. 161. 5 Zum Streitstand vgl. OLG Stuttgart v. 4.2.2000 – 4 W 15/98 – juris Rz. 35, AG 2000, 428; OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09 – juris Rz. 88 f., AG 2010, 798; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 73; Schröder/Habbe, NZG 2011, 845 ff. 6 Schröder/Habbe, NZG 2011, 845 (845 ff.). 7 OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06 – juris Rz. 17, AG 2007, 865; LG Frankfurt/M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 57/06 – juris Rz. 30, AG 2009, 749; offengelassen bei OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/16, AG 2015, 508. 8 OLG Düsseldorf v. 16.10.1990 – 19 W 9/88 – juris Rz. 63 ff., AG 1991, 106; OLG Stuttgart v. 4.2.2000 – 4 W 15/98 – juris Rz. 37, AG 2000, 428; LG München I v. 21.6.2013 – 5 HK O 19183/09 – juris Rz. 297 ff., AG 2014, 168; OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/16 – juris Rz. 89 ff., AG 2015, 508; LG München I v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15 – juris Rz. 161. 9 OLG München v. 14.3.2007 – 31 Wx 7/07 – juris Rz. 4, AG 2007, 452. Kritisch zu beiden Aspekten Schröder/Habbe, NZG 2011, 845 (846 f.). 10 So auch OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09 – juris Rz. 89, AG 2010, 798. 11 So auch Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53 m.w.N.

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249

§ 8 Rz. 8.49

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

der Ansatz von Schadensersatzansprüchen allerdings häufig bereits an einem unsubstantiierten Sachvortrag.1

8.50 Als forderungsähnliche Werte können auch steuerliche Verlustvorträge (bzw. die daraus zu generierenden Steuerentlastungen) nicht betriebsnotwendiges Vermögen darstellen. Voraussetzung ist jedoch, dass sie bislang weder – aufgrund einer Nutzungsmöglichkeit durch das zu bewertende Unternehmen selbst2 – im Gesamtwert Berücksichtigung gefunden haben3 noch mit Erträgen aus der fiktiven Veräußerung nicht betriebsnotwendigen Vermögens verrechnet wurden (vgl. dazu Rz. 8.41). Zudem stellen sie nur dann einen berücksichtigungsfähigen vermögenswerten Vorteil dar, wenn sie durch einen potentiellen Erwerber nutzbar sind.4 Soweit dies – trotz der steuerlichen Einschränkungen nach §§ 8c, 8d KStG5 – der Fall ist, sind die Verlustvorträge mit dem Barwert der erwarteten Steuerersparnis (ohne Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern der Unternehmenseigner6) anzusetzen.7 4. Negatives Vermögen/Schulden

8.51 Das gesondert zu bewertende nicht betriebsnotwendige Vermögen kann auch negative Bestandteile enthalten. So können etwa Schulden in Form von Gesellschafterdarlehen8 oder Pensionsrückstellungen9 vorliegen. Beide sind mit ihrem Ablösepreis gesondert zu bewerten.10 5. Immaterielles Vermögen

8.52 Gleichfalls kann es immateriellen Vermögenswerten, wie z.B. Erfindungen, Know-how, Lizenzen, Marken- und Schutzrechten, Patenten oder langfristigen Verträgen an einer Betriebsnotwendigkeit fehlen.11 Tragen die immateriellen Werte aber – weil bspw. Produkte unter einer Marke am Markt angeboten werden oder durch die Schutzrechte andere Unternehmen von der Herstellung konkurrierender Waren abgehalten werden – zur Generierung des Umsat-

1 Vgl. z.B. OLG Frankfurt v. 21.12.2010 – 5 W 15/10 – juris Rz. 83; OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12 – juris Rz. 113, NZG 2014, 464. 2 Ausgeschlossen ist dies etwa bei Non-Profit-Unternehmen oder wenn aus sonstigen Gründen nicht mit künftigen ausgleichsfähigen Gewinnen innerhalb des Prognosezeitraums zu rechnen ist, vgl. hierzu etwa OLG München v. 17.7.2014 – 31 Wx 407/13 – juris Rz. 19, AG 2014, 714. 3 So etwa der Fall bei LG München I v. 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16 – juris Rz. 177. 4 OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86 – juris Rz. 59, AG 1988, 275; OLG München v. 14.7.2009 – 31 Wx 121/06 – juris Rz. 32 ff., WM 2009, 1848. 5 Vgl. dazu etwa OLG München v. 17.7.2014 – 31 Wx 407/13 – juris Rz. 19, AG 2014, 714. 6 Vgl. dazu Rz. 8.39. A.A. wohl OLG München v. 31.3.2008 – 31 Wx 88/06 – juris Rz. 49, OLGR München 2008, 450; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1200. 7 OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06 – juris Rz. 35, AG 2008, 28; OLG München v. 31.3.2008 – 31 Wx 88/06 – juris Rz. 49, OLGR München 2008, 450; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1200 ff. m.w.N. 8 Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10. 9 Vgl. dazu eingehend Buck, DStR 2016, 1178 (1179 ff.). Vgl. auch LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14 – juris Rz. 68 f.; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 1167 m.w.N. 10 Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10. 11 Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 146 ff.

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Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.54 § 8

zes bei, scheidet eine gesonderte Bewertung jedoch in der Regel aus.1 Auch ein Geschäfts- oder Firmenwert ist regelmäßig als betriebsnotwendig zu qualifizieren.2 Eine abweichende Beurteilung ist jedoch z.B. bei solchen Patenten und Erfindungen geboten, die durch das zu bewertende Unternehmen noch nicht benutzt werden.3 6. Immobilien Meistgenanntes Beispiel für nicht betriebsnotwendiges Vermögen sind Reservegrundstücke.4 Werden solche erwartungsgemäß nicht mehr für den Betrieb beansprucht, fehlt es eindeutig an der Betriebsnotwendigkeit.5 Aber auch Grundstücke, die für eine geplante Betriebserweiterung vorgehalten werden, können nicht betriebsnotwendiges Vermögen darstellen, da sie für das Unternehmen im aktuellen Zustand nicht funktional wesentlich sind. Künftige Entwicklungen sind bei dieser Beurteilung nicht zu berücksichtigen, sofern sie nicht für Zwecke der Gesamtwertermittlung bereits in den Ertragserwartungen Niederschlag gefunden haben.6

8.53

Darüber hinaus werden Grundstücke ohne (künftigen) Bezug zum Betriebszweck als nicht betriebsnotwendig eingeordnet.7 Dies soll bei Kaufhäusern einer Kaufhausgesellschaft zwar nicht der Fall sein,8 wohl aber bei Werkswohnungen,9 da solche dem Unternehmenszweck nicht unmittelbar dienen. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, obgleich Werkswohnungen im Einzelfall ebenfalls betriebsnotwendig sein können (z.B. wenn kein bezahlbarer Wohnraum für die Beschäftigten im Umfeld vorhanden ist). Zudem sind bei der Gesamtwertermittlung steigende Lohnkosten und wegfallende Mieteinnahmen einzuplanen, wenn der Wegfall einer vergünstigen Wohnraumüberlassung in der Zukunft durch höhere Gehälter ausgeglichen werden muss. Dies allein steht einer Qualifikation als nicht betriebsnotwendig indes noch nicht zwingend entgegen.10 Das OLG Zweibrücken hat ferner selbst gemischt genutzte Grundstücke, die nicht ausschließlich dem Unternehmensbetrieb dienen, als nicht betriebsnotwendig eingestuft. Zur Begründung führte es aus, dass dem ausscheidenden Aktionär sein Anteil am Verkehrswert – der im Regelfall höher als der Ertragswert sei – verloren gehe, wenn jedes

8.54

1 Vgl. OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09 – juris Rz. 250, AG 2011, 205; LG Stuttgart v. 29.6.2011 – 31 O 179/08 KfH AktG – juris Rz. 124; LG Stuttgart v. 5.11.2012 – 31 O 55/08 KfH AktG – juris Rz. 144, NZG 2013, 342; LG München I v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15 – juris Rz. 159. 2 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 150. 3 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 147 f. 4 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08 – juris Rz. 139, AG 2012, 135; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 73a; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1190; Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 186. 5 So auch Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53. 6 A.A. wohl Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 53. Vgl. auch Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 183 Fn. 350 m.w.N. 7 OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – juris Rz. 242, AG 2013, 724; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 73a. 8 OLG Düsseldorf v. 20.11.2001 – 19 W 2/00 AktE – juris Rz. 46 ff., AG 2002, 398. 9 OLG Düsseldorf v. 27.2.2004 – 19 W 3/00 AktE – juris Rz. 93, AG 2004, 324; OLG v. 18.5.2016 – 12a W 2/15 – juris Rz. 39, AG 2016, 672; a.A. LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11 – juris Rz. 167 f., AG 2017, 501 mit zum Teil fragwürdiger Begründung. 10 In diesem Sinne aber LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11 – juris Rz. 167 f., AG 2017, 501.

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251

§ 8 Rz. 8.54

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Grundstück unabhängig von der sonstigen Bebauung als betriebsnotwendig eingestuft werde.1 In dieser Pauschalität kann der Aussage nicht gefolgt werden. Vielmehr ist der Umfang der betrieblichen Nutzung im Einzelfall zu bestimmen und zu überprüfen, ob die nicht betrieblich genutzten Grundstücksteile nicht einer isolierten Verwertung zugänglich sind.

8.55 Das BayObLG hat zudem Grundstücke, auf denen brauereieigene Gaststätten betrieben werden, für nicht betriebsnotwendig gehalten, weil der daraus resultierende Umsatzanteil lediglich 5 % des Gesamtumsatzes betrage und dieser auch über reine Pachtgaststätten erzielt werden könne.2 Dieser Einordung des BayObLG liegt zwar primär eine wertbezogene Betrachtungsweise zugrunde, die grundsätzlich abzulehnen ist (vgl. dazu Rz. 8.24 f.). Allerdings kann man auch im Rahmen einer funktionalen Abgrenzung zu identischen Ergebnissen gelangen, wenn man die Perspektive eines objektiven Betrachters einnimmt und eine alternative Verwendung des Vermögensgegenstandes unter Beibehaltung des operativen Geschäfts hinreichend objektiviert und plausibel zu „wertoptimalen“ Ergebnissen führt (vgl. dazu bereits Rz. 8.28). Der geringe Umsatzanteil kann dabei durchaus als ein Kriterium zur Beurteilung der funktionalen Bedeutung der brauereieigenen Gaststätten herangezogen werden (vgl. Rz. 8.25).

8.56 Die Wertermittlung des unbebauten Immobilienvermögens kann auf der Grundlage von Bodenrichtwerten erfolgen.3 Bei bebauten Objekten wird häufig ein gesondertes Wertgutachten erforderlich sein,4 welches sich bei vermieteten Gebäuden am Miet-Ertragswert orientieren kann.5 Auch können gezahlte Kaufpreise für vergleichbare Objekte6 oder die Anschaffungskosten als Wertmaßstab dienen, wenn zwischen Anschaffung und Bewertungsstichtag kein zu großer Zeitraum vergangen ist.7 Zu deren Ermittlung können Markterhebungen vorgenommen und örtliche Makler befragt werden.8 Feuerversicherungswerte bieten hingegen keinen zulässigen Wertmaßstab, da sie nicht den aktuellen Verkehrswert, sondern den Wiederbeschaffungswert abbilden und zudem Kosten für die Lösch- und Abraumbeseitigung enthalten, welche für die Wertableitung irrelevant sind.9 Da eine Veräußerung unterstellt wird, ist der Ertragswert um die künftigen Grundsteuerbelastungen zu bereinigen.10

1 OLG Zweibrücken v. 5.3.1999 – 3 W 263/98 – juris Rz. 22. 2 BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90 – Paulaner AG – juris Rz. 53, AG 1996, 127; ähnlich auch LG Dortmund v. 20.3.2017 – 18 O 158/05 AktE – juris Rz. 116 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – juris Rz. 77, AG 2003, 688; OLG Karlsruhe v. 15.11.2012 – 12 W 66/06 – juris Rz. 197, AG 2013, 353; kritisch Seppelfricke, Handbuch Aktienund Unternehmensbewertung, S. 180. 4 Vgl. dazu Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (878). Zu den relevanten Kriterien der Grundstücksbewertung vgl. Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 180 ff. 5 Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1193. 6 OLG München v. 19.10.2006 – 31 Wx 092/05 – juris Rz. 36, AG 2007, 287; LG München I v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15 – juris Rz. 155. 7 OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09 – juris Rz. 245, AG 2011, 205. 8 Vgl. LG Stuttgart v. 5.11.2012 – 31 O 55/08 KfH AktG – juris Rz. 143, NZG 2013, 342. 9 OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – juris Rz. 231, AG 2011, 560; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1193 messen ihnen hingegen eine Bedeutung als grobe Wertindikatoren bei. 10 LG München I v. 02.12.2016 – 5 HK 5781/15 – juris Rz. 90.

252

Hüttemann/Meinert

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Rz. 8.58 § 8

7. Kunstwerke Kunstwerke sind in der Regel nicht betriebsnotwendig, da sie nicht dem operativen Geschäft dienen.1 In Ausnahmefällen – bspw. im Kunsthandel oder bei Museen – mag eine abweichende Beurteilung geboten sein. Die gesonderte Bewertung ist hier gleichfalls zum Verkehrswert vorzunehmen. Handelt es sich um unbedeutende Werke, bestehen jedoch keine Bedenken, die Kunstgegenstände mit ihren Anschaffungskosten zu bewerten.2 Alternativ kann auch auf Versicherungswerte zurückgegriffen werden.3 Liegt der Wert der Kunstwerke deutlich unter einem Promille des Unternehmenswertes, kann nach § 287 Abs. 2 ZPO u.U. auf eine gesonderte Ermittlung insgesamt verzichtet werden.4

8.57

8. Liquide Mittel Diskutiert wird ferner, ob eine sog. „Über“-Liquidität als nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu qualifizieren ist.5 Hierunter versteht man die in Form von Bankguthaben oder Kassenbeständen vorhandenen Mittel, die für das operative Geschäft nicht benötigt werden.6 Die Rechtsprechung steht dieser Sichtweise eher skeptisch gegenüber: Sie sieht in der Höhe der betriebsnotwendigen Liquidität entweder eine gerichtlich nicht überprüfbare unternehmerische Entscheidung7 oder unterstellt im Sinne einer Vermutung, dass vorhandene Finanzmittel bis zum Beweis des Gegenteils stets betriebsnotwendig seien.8 Mitunter wurde die Betriebsnotwendigkeit auch deshalb bejaht, weil die Liquidität benötigt werde, um für die Detailplanungsphase erwartete operative Verluste abzudecken.9 Anderen Entscheidungen10 und große Teile der Literatur11 qualifizieren eine überschüssige Liquidität hingegen als nicht betriebsnotwendig. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, denn der schlichte Verweis auf die unternehmerische Entscheidungsfreiheit setzt gerade im Bereich liquider Mittel falsche Anreize für die Mehrheitsaktionäre.12

1 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08 – juris Rz. 141, AG 2012, 135. Vgl. auch Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30. 2 OLG Frankfurt v. 26.8.2009 – 5 W 35/09 – juris Rz. 54; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08 – juris Rz. 220, AG 2012, 135. 3 Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (878). 4 OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08 – juris Rz. 220, AG 2012, 135. 5 Die Einordnung als betriebsnotwendige Liquidität schließt eine Saldierungsmöglichkeit mit Verbindlichkeiten nicht aus, vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – juris Rz. 154. 6 Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 43; Bysikiewicz/Zwirner in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, C.6. Rz. 25, S. 327 f. 7 OLG Stuttgart v. 18.12.2009 – 20 W 2/08 – juris Rz. 300, AG 2010, 513; OLG Frankfurt v. 29.4.2011 – 21 W 13/11 – juris Rz. 96, AG 2011, 832; OLG Frankfurt v. 5.3.2012 – 21 W 11/11 – juris Rz. 100, AG 2012, 417; OLG Frankfurt v. 17.12.2012 – 21 W 39/11 – juris Rz. 85, AG 2013, 566. 8 BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00 – juris Rz. 42, AG 2006, 41; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06 – juris Rz. 51, AG 2008, 28. 9 LG München I v. 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16 – juris Rz. 176. 10 Vgl. z.B. OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09 – juris Rz. 243, AG 2011, 205; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – juris Rz. 71, AG 2011, 828; OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11 – juris Rz. 79, NZG 2011, 990; LG Stuttgart v. 5.11.2012 – 31 O 55/08 KfH AktG – juris Rz. 139, NZG 2013, 342; OLG Frankfurt v. 17.12.2012 – 21 W 39/11 – juris Rz. 85, AG 2013, 566. 11 Vgl. nur Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 30; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 441. 12 Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877).

Hüttemann/Meinert

253

8.58

§ 8 Rz. 8.59

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

8.59 Fraglich ist allerdings, wie der Umfang der nicht betriebsnotwendigen Liquidität zu bestimmen ist. Teilweise wird eine exakte Quantifizierung anhand einer Finanzbedarfsberechnung1 bzw. der Berechnung des Cash-to-Cash-Zyklus2 gefordert, während andere eine pauschale Ermittlung befürworten und – aus Erfahrungswerten abgeleitet – alle liquiden Mittel, die 0,5-3 % des Umsatzes überschreiten, als nicht betriebsnotwendig einordnen.3 Aus Vereinfachungsgründen wird der Kassenbestand in der Praxis sogar häufig vollständig dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zugerechnet.4 Letzteres Vorgehen wird i.d.R. zu einem überhöhten Unternehmenswert führen; es kann daher nur Anwendung finden, wenn überschaubare Beträge in Frage stehen. Im Übrigen bestehen gegen eine pauschale Bemessung – angesichts der damit verbundenen Vereinfachung – grundsätzlich keine Bedenken, sofern im Einzelfall unternehmensspezifische Besonderheiten Berücksichtigung finden.5 Die danach bestimmte nicht betriebsnotwendige Liquidität ist mit ihrem Verkehrswert zu bewerten, welcher dem Buchwert und damit dem Nominalwert entspricht.6 Durch die liquiden Mittel erzielte Zinserträge sind im Gegenzug aus dem Gesamtwert herauszurechnen, um eine Doppelerfassung zu vermeiden.7 9. Sonstiges

8.60 Die vorstehende Aufzählung ist nicht abschließend. Stillgelegte Anlagen, Wertpapiere8 oder Flugzeuge9 kommen gleichfalls als nicht betriebsnotwendige Vermögensgegenstände in Betracht. Entsprechendes gilt für überschüssige Vorräte, bei denen für die Frage der Betriebsnotwendigkeit nach der Normal- und Stichtagssubstanz unterschieden werden kann.10

1 So z.B. LG Stuttgart v. 5.11.2012 – 31 O 55/08 KfH AktG – juris Rz. 139, NZG 2013, 342; vgl. auch Kohl in Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 24 Rz. 78. 2 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 441 m.w.N. Beim Cash-to-Cash Zyklus handelt es sich um die Zeit, die benötigt wird, um Zahlungen an Lieferanten in Zahlungen von Kunden umzuwandeln – er gibt damit die Bindungszeit des working-capital wieder. 3 Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 43 m.w.N.; vgl. auch Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 33, 89, 144 m.w.N.: 0,5–2 %; Kohl in Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 24 Rz. 78. 4 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 33. 5 So im Ergebnis auch Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 33, 89, 144. 6 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 89. 7 Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877). 8 Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 89; vgl. etwa LG München I v. 25.4.2016 – 5 HK 9122/14 – juris Rz. 172 ff. (Aktien, Aktienoptionen). 9 OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15 – juris Rz. 86 ff., JA 2016, 220. 10 Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 44.

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Hüttemann/Meinert

§9 Liquidationswert I. Begriff und Verhältnis zu anderen Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zum Substanzwert . . . . . . . 3. Verhältnis zum Zukunftserfolgsoder Fortführungswert . . . . . . . . . . . . II. Ermittlung des Liquidationswerts . . 1. Liquidationserlöse . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schulden und Liquidationskosten . . .

9.1 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6

III. Rechtliche Relevanz des Liquidationswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 1. Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens . . . . . . . . . . 9.8 2. Bewertung von Unternehmen mit begrenzter Lebensdauer . . . . . . . . . . . 9.9 3. Bewertung personenbezogener Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.10 4. Bewertung ertragsschwacher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.14 IV. Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftslehre und Bewertungspraxis . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bundesgerichtshof . . . . . . . . .

9.15 9.16 9.16 9.17 9.18

bb) Oberlandesgerichte . . . . . . . . . c) Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Argumente gegen den Liquidationswert als Untergrenze . . . . . . . aa) Ungerechtfertigter Vorteil des Abfindungsberechtigten . . . . . bb) Freiheit der unternehmerischen Entscheidung . . . . . . . . cc) Liquiditätsbelastung . . . . . . . . b) Argumente für den Liquidationswert als Wertuntergrenze . . . . . . . . aa) Grundsatz der vollen Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektivierter Unternehmenswert . . . . . . . . . . . . . cc) Missbrauchsprävention . . . . . dd) Ordnungspolitische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsvergleichende Absicherung . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.23 9.25 9.26 9.29 9.30 9.31 9.33 9.35 9.36 9.37 9.38 9.39 9.40 9.41 9.42

V. Grenzen der Maßgeblichkeit des Liquidationswertes . . . . . . . . . . . . . . 9.43

Schrifttum: Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht, 2014; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung. Prozess, Methoden und Probleme, 4. Aufl. 2013; Behringer, Unternehmensbewertung der Klein- und Mittelbetriebe, 4. Aufl. 2009; Breidenbach, Unternehmensbewertung: Der Liquidationswert als Wertuntergrenze, DB 1974, 104; Fleischer/Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 8. Aufl. 2016; Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1987; Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 9. Aufl. 1998; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; IDW (Hrsg.), WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Kasperzak/Bastini, Unternehmensbewertung zum Liquidationswert – Gesellschaftsrechtliche Anlässe, Rechtsprechung und Bemessung, WPg 2015, 285; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2013; Meinert, Neuere Entwicklungen in der Unternehmensbewertung (Teil II), DB 2011, 2455; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1. Aufl. 1976, 2. Aufl. 1983; Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Petersen/Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994; Richter/ Timmreck (Hrsg.), Unternehmensbewertung, 2004; Ruiz de Vargas/Theusinger/Zollner, Ansatz des Liquidationswerts in aktienrechtlichen Abfindungsfällen, AG 2014, 428; Ruthardt/Hachmeister, Börsenkurs, Ertragswert, Liquidationswert und fester Ausgleich – Zur methodenbezogenen Meist-

Fleischer 255

§ 9 Rz. 9.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

begünstigung bei der Ermittlung der angemessenen Barabfindung im Gesellschaftsrecht, WM 2014, 725; E. Schön, Unternehmensbewertung im Gesellschafts- und Vertragsrecht, 2000; Schweizerischer Bundesrat, Unternehmensbewertung im Erbrecht, Bericht vom 1.4.2009; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2012; Walther, Liquidationswert und persönliche Steuern, BewertungsPraktiker 1/2010, S. 14; Wagner, Der Liquidationswert bei rechtsgeprägten Anlässen der Unternehmensbewertung, WPg 2016, 1090; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 2. Aufl. 2010; WP-Handbuch 2014, Band II.

I. Begriff und Verhältnis zu anderen Bewertungsverfahren 1. Begriff

9.1 Unter dem Liquidationswert versteht man nach einer gängigen Definition den Barwert der Nettoerlöse, die sich aus der Veräußerung der Vermögensgegenstände abzgl. Schulden und Liquidationskosten ergeben.1 Er wird gelegentlich auch als Zerschlagungswert2 oder Break-upValue3 bezeichnet. Je nach dem, ob das gesamte Unternehmen oder nur Unternehmensteile zerschlagen werden, kann man zwischen einem Gesamt-Liquidationswert und einem Teil-Liquidationswert unterscheiden.4 Auf die tatsächliche Zerschlagung kommt es nicht an; der Liquidationswert ist kein realer, sondern ein fiktiver Wert5, das Ergebnis einer hypothetischen Überlegung6. Konzeptionell ist er sowohl vom Substanz- als auch vom Zukunftserfolgs- oder Fortführungswert zu unterscheiden.

1 So IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 141; Kasperzak/Bastini, WPg 2015, 285 (286); WPHandbuch 2014, Band II, Rz. A 196; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 158; OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (991); OLG Frankfurt v. 5.11.2009 – 5 W 48/09 – juris-Rz. 19; OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783 = BeckRS 2008, 04445; OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08 – juris-Rz. 66; in einem speziellen gesellschaftsrechtlichen Kontext auch BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (385) (LPG): „Er [= der Liquidationswert] ist im allgemeinen durch den Barwert der Einnahmeüberschüsse aus der – fiktiven – Liquidation, d.h. durch die – fiktiven – Nettoerlöse abzüglich der angenommenen Liquidationskosten, bestimmt.“ 2 Vgl. Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1737); Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 89; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 315. 3 Vgl. Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 216; Mandl/Rabl, Unternehmensbewertung, S. 49; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 179. 4 Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 325; ferner WP-Handbuch 2014, Band II, A Rz. 193: „Neben Teilen des Unternehmens kann auch ein kompletter Geschäftsbereich eines Unternehmens mit seinem Liquidationswert anzusetzen sein, wenn dieser Geschäftsbereich nicht mehr fortgeführt werden soll.“; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 154. 5 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783 = BeckRS 2008, 04445; sehr klar auch BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (385 f.) (LPG): „fiktive Liquidation“; „hypothetischer Verkaufswert“; „gedachte Einzelveräußerung“; ferner Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1297: „Wir fingieren eine Abwicklung.“ 6 Vgl. Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 218; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 62.

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Liquidationswert

Rz. 9.4 § 9

2. Verhältnis zum Substanzwert Substanz- und Liquidationswert gehören beide zu den Einzelbewertungsverfahren1, ermitteln den Unternehmenswert also durch eine isolierte Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden.2 Sie ziehen dafür jedoch unterschiedliche Wertmaßstäbe heran. Der Substanzwert bildet ab, was erforderlich wäre, um das Unternehmen „nachzubauen“, ist also ein Rekonstruktions- oder Reproduktionswert, für dessen Ermittlung es auf Wiederbeschaffungs(alt)werte ankommt.3 Demgegenüber orientiert sich die Ermittlung des Liquidationswertes nicht auf den Preisen auf dem Beschaffungs-, sondern auf dem Absatzmarkt.4 Zudem geht der Substanzwert von der Unternehmensfortführung aus, während der Liquidationswert auf die Zerschlagung des Unternehmens abstellt.5

9.2

3. Verhältnis zum Zukunftserfolgs- oder Fortführungswert Der Zukunftserfolgs- oder Fortführungswert stellt ein Gesamtbewertungsverfahren dar, beruht also auf einer zukunftsorientierten Gesamtbewertung des Unternehmens.6 Demgegenüber geht man bei der Ermittlung des Liquidationswertes von einer Auflösung oder Zerschlagung des Unternehmens aus.7 Allerdings kann der Liquidationswert insoweit als spezieller Zukunftserfolgswert verstanden werden, als er angibt, welche Erträge aus der Einzelveräußerung der Vermögensgegenstände zu erwarten sind.8

9.3

II. Ermittlung des Liquidationswerts Wie einleitend bereits erwähnt, bestimmt man den Liquidationswert, indem man den Barwert der Netto-Erlöse der einzelveräußerbaren Güter ermittelt und von ihm Schulden und Li-

1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 10; Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 88; Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 1. 2 Für den Liquidationswert Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1296: „Das Zusammenwirken der Gegenstände wird nicht beachtet: Der Liquidationswert ist die Summe der Einzelveräußerungspreise.“ 3 Vgl. Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 86; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 175; Sieben/Maltry in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 762 ff.; WP-Handbuch 2014, Band II, A Rz. 444. 4 Vgl. Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1737); Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 17; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 175; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 197. 5 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 11: „Der Substanzwert wird gelegentlich auch als Liquidationswert verstanden. Das ist unzweckmäßig, weil dem Substanzwert die Prämisse der Unternehmensfortführung zugrunde liegt, die von der Annahme der Liquidation zu trennen ist.“ 6 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 8; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 5 und Rz. A 193. 7 Vgl. Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 179. 8 Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 327, wonach die „Zerschlagung eines akquirierten Unternehmens lediglich eine spezielle Form der zukünftigen Verwendung durch das Bewertungssubjekt darstellt“.

Fleischer 257

9.4

§ 9 Rz. 9.4

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

quidationskosten abzieht.1 Als Basis für das Mengengerüst ist nicht nur die Bilanz, sondern auch das Inventar heranzuziehen, weil werthaltige einzelzerschlagungsfähige Vermögensgegenstände oder einzelne abzulösende Schulden womöglich nicht (mehr) in der Bilanz ausgewiesen sind.2 1. Liquidationserlöse

9.5 Für die Ermittlung des Liquidationswertes kommt es daher zunächst auf die (fiktiven) Verwertungserlöse für die einzelnen Vermögensgegenstände an. Diese werden maßgeblich durch die Zerschlagungsintensität und Zerschlagungsgeschwindigkeit beeinflusst.3 Die Zerschlagungsintensität drückt aus, inwieweit Vermögensgegenstände als Einheiten verkauft werden können. Da von Rechts wegen das bestmögliche Verwertungskonzept zugrunde zu legen ist (vgl. Rz. 1.26)4, sind bei einer Liquidation vorrangig Möglichkeiten zur gebündelten Veräußerung von Unternehmensteilen zu prüfen.5 Die Zerschlagungsgeschwindigkeit bezieht sich auf den Zeitraum, innerhalb dessen die Veräußerung beendet sein muss.6 Vergröbernd unterscheidet man zwischen einer Unternehmensauflösung unter Zeitdruck (Zerschlagung) und einer Auflösung „unter Normalbedingungen“ (Liquidation).7 Je nach unterstellten Verwertungsaussichten ist daher eine Bandbreite möglicher Liquidationswerte denkbar.8 Nicht zu Unrecht hat man den Liquidationswert daher als „(bewertungs-)konzeptionelles Chamäleon“ bezeichnet, das zwischen Einzel- und Gesamtwertermittlung changiert.9

1 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 141; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 196; OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (991); OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783 = BeckRS 2008, 04445; in einem speziellen gesellschaftsrechtlichen Kontext auch BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371, 385 (LPG): „Er [= der Liquidationswert] ist im allgemeinen durch den Barwert der Einnahmeüberschüsse aus der – fiktiven – Liquidation, d.h. durch die – fiktiven – Nettoerlöse abzüglich der angenommenen Liquidationskosten, bestimmt.“ 2 Näher dazu Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 206; Zwirner/Zimny in Petersen/ Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 24. 3 Grundlegend Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 50; dem folgend etwa OLG Stuttgart v. 19.3.2008 – 20 W 3/06, AG 2008, 510 (516); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1297; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 158; Kasperzak/Bastini, WPg 2015, 285 (291); Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 25; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 196. 4 Vgl. BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (133, 136); BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, NJW-RR 1997, 34 (36) = AG 1995, 509; zuletzt OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783 = BeckRS 2008, 04445: „bestmögliche Einzelveräußerung der Vermögensgegenstände“; ferner WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 196; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 158. 5 Vgl. Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 216; Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 25; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 196; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 158. 6 So Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 51; vgl. auch Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 218; Kasperzak/Bastini, WPg 2015, 285 (291). 7 Vgl. Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 179; WP-Handbuch, Band II, Rz. A 196. 8 Dazu Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 49. 9 So Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 26; ferner Kasperzak/Bastini, WPg 2015, 285 (286).

258

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Liquidationswert

Rz. 9.6 § 9

2. Schulden und Liquidationskosten Von dem so ermittelten Liquidationserlös sind die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sämtliche Kosten der Liquidation sowie die fiktive Steuerlast1 abzusetzen.2 Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich liquidiert wird oder eine Liquidationsabsicht besteht, weil der Liquidationswert ein fiktiver Wert ist (dazu bereits Rz. 9.1).3 Zu den Kosten der Liquidation zählen etwa die Kosten des Abwicklungsvorgangs selbst (z.B. Makler, Wirtschaftsprüfer), Vorfälligkeitsentschädigungen, Abbruch- und Sanierungskosten sowie Sozialplanverpflichtungen.4 Steuerlich sind insbesondere Ertragsteuern auf einen möglichen Liquidationserlös zu berücksichtigen.5 Nicht anzusetzen sind allerdings solche Verpflichtungen, die mit der Liquidation entfallen, z.B. Aufwands- oder Kulanzrückstellungen.6 Außerdem müssen aktive und passive Rechnungsabgrenzungsposten erfolgswirksam aufgelöst bzw. mit Null angesetzt werden.7 Gleiches gilt für aktive und passive Steuerlatenzen in der Handelsbilanz.8 Schließlich gilt es, die Liquidationsüberschüsse auf den Bewertungsstichtag zu diskontieren, wenn die Liquidation voraussichtlich längere Zeit dauern würde.9

1 Vgl. hierzu BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, NJW-RR 1986, 1066 (1068); BGH v. 27.9.1989 – IVb ZR 75/88, NJW-RR 1990, 68 (69); BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, NJW-RR 2005, 153 (155). 2 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 141; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 198; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 160. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783 = BeckRS 2008, 04445; sehr klar auch BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (385 f.) (LPG). 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135 = BeckRS 2011, 23678; ferner BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (386) (LPG): „Die Anrechnung fiktiver Liquidationskosten, zu denen u.a. die Geschäftsführungs-, die Veräußerungs-, Herauslösungs-, Ausbau-, Rückbau-, Rekultivierungs-, Dekontaminierungs- und Abbruchkosten einschließlich Steuern gerechnet werden […].“; vgl. auch LG München I v. 30.12.2009 – 5 HK O 15746/02 – juris-Rz. 30 f., Der Konzern 2010, 188 (191 f.); für ein Beispiel eines „negativen Liquidationswerts“ aufgrund der Liquidationskosten s. LG Dortmund v. 6.8.1993 – 18 AktE 1/87, AG 1994, 85; aus der betriebswirtschaftlichen Literatur Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 206 („liquidationsspezifische Lasten“); Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 19 („liquidationsspezifische Kosten“). 5 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 141; OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07, WM 2009, 2220; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06, AG 2008, 28 (31 und LS 2); OLG München v. 19.10.2006 – 31 Wx 92/05, AG 2007, 287; OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11 – juris-Rz. 457, NZG 2011, 1346 (nur LS); OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08 – juris-Rz. 66; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1306; Zwirner/Zimny in Petersen/ Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 18; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 199; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 161; eingehend Walther, BewertungsPraktiker 1/2010, S. 14 mit Darstellung eines praktischen Bewertungsfalles. 6 Vgl. Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 20; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 198. 7 Vgl. Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. 7.F, Rz. 21. 8 Vgl. Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 22. 9 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 206 (bei Liquidation von über einem Jahr); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 196; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 196; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 158.

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9.6

§ 9 Rz. 9.7

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

III. Rechtliche Relevanz des Liquidationswertes 9.7 Im Rahmen der rechtsgeprägten Unternehmensbewertung steht der Liquidationswert zumeist im Schatten des Ertragswertes oder des Discounted Cash Flow.1 Gleichwohl kann er bei verschiedenen Gelegenheiten zum Einsatz kommen.2 1. Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens

9.8 Zunächst kann der Liquidationswert bei der Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens eine Rolle spielen (eingehend dazu Rz. 8.31 ff.).3 Bei der Ermittlung des Unternehmenswertes mit Hilfe des Ertragswertverfahrens ist bekanntlich zwischen betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen zu trennen.4 Ersteres stellt den eigentlichen Unternehmenswert dar und wird einer Ertragswertermittlung zugeführt. Letzteres ist unter Berücksichtigung seiner bestmöglichen Verwertung gesondert zu bewerten5 und dann dem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens hinzuzuschlagen.6 Sofern der Liquidationswert der nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände den Barwert ihrer finanziellen Überschüsse beim Verbleib im Unternehmen übersteigt, stellt die Liquidation die vorteilhafteste Verwendung dar.7 Unter dieser Voraussetzung ist das nicht betriebsnotwendige Vermögen mit dem Liquidationswert anzusetzen (Rz. 8.32 ff.).8 Hierfür gilt das oben dargestellte Berechnungsverfahren (Rz. 9.4 ff.).9 2. Bewertung von Unternehmen mit begrenzter Lebensdauer

9.9 Sodann kommt der Liquidationswert bei der Bewertung von Unternehmen mit endlicher Lebensdauer (z.B. Steinbruch, Kiesgrube) ins Spiel.10 Bei ihnen bestimmt sich der Restwert des

1 Dazu auch die Bemerkung von Walther, BewertungsPraktiker Nr. 1/2010, S. 14: „Zu den Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Ermittlung des Liquidationswertes stellen, ist in der aktuellen Literatur vergleichsweise wenig zu finden. Dies überrascht vor dem Hintergrund der enormen Bedeutung, die der Liquidationswert gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise erlangen kann.“ 2 Für einen Überblick über mögliche Einsatzbereiche des Liquidationswertes Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 220 f.; knapper auch Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 176. 3 Vgl. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 57; Seppelfricke, Handbuch Aktienund Unternehmensbewertung, S. 176; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 221. 4 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 76, Rz. 59. 5 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 76, Rz. 60. 6 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 383. 7 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 76, Rz. 60. 8 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 76, Rz. 60; BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, NZG 2006, 156 (157) = AG 2006, 41; KG v. 14.1.2009 – 2 W 68/07, Der Konzern 2009, 422 (426) = AG 2009, 199; OLG Düsseldorf v. 6.4.2011 – I-26 W 2/06 (AktE) – juris-LS 2 u. Rz. 22; OLG Karlsruhe v. 15.11.2012 – 12 W 66/06 – juris-Rz. 47, AG 2013, 353; OLG München v. 2.4.2008 – 31 Wx 85/06 – juris-Rz. 12. 9 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 76, Rz. 61 ff. 10 Vgl. Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 176; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 220; für ein Beispiel rechtlicher Unmöglichkeit der Unternehmensfortführung s. BFH v. 13.3.1991 – X R 81/89 – juris-Rz. 10: „Ein Unternehmen, das die Konzession und damit die Chance, auf dem kontingentierten Markt des Güterfernverkehrs Gewinne erzielen zu können, verloren hat, hatte nur noch einen Liquidationswert.“

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Liquidationswert

Rz. 9.15 § 9

Unternehmens am planmäßigen Ende seiner Lebensdauer nach Zerschlagungswerten.1 An die Stelle des Barwerts der ewigen Rente bei unendlicher Lebensdauer tritt dann der Liquidationswert als letztes Ausschüttungspotential im Rahmen der Unternehmensplanung.2 3. Bewertung personenbezogener Unternehmen Ein dritter Anwendungsfall des Liquidationswertes betrifft personenbezogene Unternehmen.3 Stehen die bisherigen Leitungspersonen in Zukunft nicht mehr zur Verfügung und ist eine Unternehmensfortführung ohne die bisherige Unternehmensleitung nicht möglich, so entspricht der Unternehmenswert in aller Regel dem Liquidationswert.4 Dies gilt auch dann, wenn der Ertragswert aufgrund eines angemessenen Unternehmerlohns den Liquidationswert unterschreitet.5

9.10

9.11–9.13

Einstweilen frei. 4. Bewertung ertragsschwacher Unternehmen

Schließlich kommt dem Liquidationswert bei der Bewertung ertragsschwacher Unternehmen Bedeutung zu.6 Bei diesen kann der als Zerschlagungswert verstandene Liquidationswert den durch die Ertragswertmethode ermittelten Zukunftserfolgs- oder Fortführungswert des Unternehmens übersteigen. Dann stellt sich die Frage, ob der Liquidationswert stets die Untergrenze der Unternehmensbewertung darstellt. Sie gehört zu den derzeit umstrittensten Bewertungsfragen überhaupt und ist sogleich ausführlicher zu beleuchten (Rz. 9.15 ff.).

9.14

IV. Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung Ob der Liquidationswert bei chronisch7 ertragsschwachen Unternehmen immer die Unter- 9.15 grenze der Unternehmensbewertung bildet, spielt zunächst für gesellschaftsrechtliche Abfindungsansprüche eine Rolle, und zwar sowohl für die Abfindungsbemessung ausscheidender Personen- oder GmbH-Gesellschafter (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB) wie für die angemessene Abfindung außenstehender Aktionäre (§§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1, 327a Abs. 1 AktG). Darüber hinaus bereitet die Frage auch im Familien- und Erbrecht bei der Berechnung von Zugewinnausgleich und Pflichtteilsansprüchen Kopfzerbrechen. Im Folgenden wird zunächst der Meinungsstand entfaltet (Rz. 9.16 ff.), bevor die vorgebrachten Einzelargumente gewürdigt werden (Rz. 9.29 ff.).

1 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 79, Rz. 87; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 220. 2 Vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 220. 3 Vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 221. 4 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 74, Rz. 42; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 221. 5 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 74, Rz. 42. 6 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 86, Rz. 150; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 57; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 176; WPHandbuch 2014, Band II Rz. A 194 („bei anhaltender Ertragsschwäche besonders relevant“). 7 Zur Unterscheidung zwischen temporär und chronisch ertragsschwachen Unternehmen Nadvornik/Sylle in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. G.5 Rz. 64.

Fleischer 261

§ 9 Rz. 9.16

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

1. Meinungsstand a) Betriebswirtschaftslehre und Bewertungspraxis

9.16 In der Betriebswirtschaftslehre ist nahezu einhellig anerkannt, dass der Liquidationswert die Untergrenze des Unternehmenswerts bildet.1 Dem liegt die doppelte Annahme zugrunde, dass die Fortführung des Unternehmens möglich ist und der Unternehmer rational handelt. Fällt der Liquidationswert des Unternehmens höher aus als dessen Zukunftserfolgswert, bevorzugt er nach dem Gewinnmaximierungsprinzip die Liquidation. In einem Handbuch zur Unternehmensbewertung wird dieses Kalkül an folgendem Beispiel aus der Landwirtschaft veranschaulicht: Ein Bauer wird eine Kuh immer dann schlachten, wenn der Verkaufswert ihres Fleisches (= Liquidationswert) den Barwert der von ihr zukünftig zu erwartenden Milch (= Ertragswert) übertrifft.2 In Übereinstimmung damit bildet der Liquidationswert auch nach den IDW-Grundsätzen S 1 2008 die Wertuntergrenze; nur bei einem rechtlichen oder tatsächlichen Zwang zur Unternehmensfortführung soll gleichwohl auf den Fortführungswert des Unternehmens abgestellt werden.3 b) Rechtsprechung

9.17 Die BGH-Rechtsprechung hat sich vor allem an Fällen aus dem Familien- und Erbrecht entwickelt. Demgegenüber betrifft die Spruchpraxis der Oberlandesgerichte hauptsächlich gesellschaftsrechtliche Sachverhalte. aa) Bundesgerichtshof

9.18 Vom BGH haben im Zeitablauf nicht weniger als vier verschiedene Zivilsenate Stellung bezogen:

9.19 – Im Jahre 1973 urteilte der IV. Zivilsenat für die erbrechtliche Pflichtteilsberechnung nach § 2311 BGB, dass es bei einer Unternehmensfortführung nicht gerechtfertigt sei, den Liquidationswert zugrunde zu legen, wenn der Unternehmer dem Pflichtteilsberechtigten gegenüber nicht zur Liquidation verpflichtet ist. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn ein unrentables, liquidationsreifes Unternehmen aus wirtschaftlich nicht vertretbaren Gründen fortgeführt werde.4 1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 206; Kasperzak/Bastini, WPg 2015, 285; Moser in Richter/Timmreck, Unternehmensbewertung, S. 52; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 51 f.; Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 27; Nadvornik/Sylle in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. G.5, Rz. 60 ff.; Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725 (730); Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 176; Sieben/Maltry in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 761; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 221; abw. früher Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 3. Aufl. 1970, S. 102. 2 So Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7., Rz. 30 mit folgender Erläuterung: „Denn dann stellt die weitere Nutzung der Kuh als Milchvieh gegenüber sofortiger Schlachtung und anschließendem Verkauf des Rindfleisches für den Bauern einen finanziellen Nachteil dar.“ 3 So ausdrücklich IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, 68, 85, Rz. 140; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 156. 4 Vgl. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); Übertragung der aufgestellten Grundsätze auf die Berechnung des Zugewinnausgleichs in BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441 (2441); kritisch dazu LG Hamburg v. 21.3.2014 – 417 HKO 205/12, BeckRS 2015, 10054.

262

Fleischer

Liquidationswert

Rz. 9.23 § 9

– In Abgrenzung davon entschied der IVa. Zivilsenat knapp zehn Jahre später bei der Ermittlung eines Pflichtteilsergänzungsanspruches gem. § 2325 BGB, dass man auf den Liquidationswert abstellen dürfe, wenn das Unternehmen trotz Ertraglosigkeit fortgeführt und drei Jahre später ohne Erlös liquidiert worden sei.1

9.20

– Demgegenüber knüpfte der IVb. Zivilsenat im Jahre 1986 wieder an die Ausgangsentscheidung von 1973 an. Bei der Auseinandersetzung einer Gütergemeinschaft war für die Ermittlung des Wertersatzes zum Gesamtgut nach § 1477 Abs. 2 BGB ein landwirtschaftliches Anwesen zu bewerten, dessen Ertragswert zwar positiv war, aber hinter dem Substanzund Liquidationswert zurückblieb. Unter Berufung darauf, dass die Betriebsfortführung im konkreten Fall nicht wirtschaftlich unvertretbar gewesen sei und auch kein Zwang zur Liquidation bestanden habe, zog der Senat den niedrigeren Ertragswert als Berechnungsgrundlage heran.2

9.21

– Im Jahre 2006 befand der II. Zivilsenat über die Abfindung eines Gesellschafters beim Ausscheiden aus einer GbR, die ein wenig rentables Feriendorf betrieb. Der Gesellschaftsvertrag sah eine Abfindung zum Ertragswert vor. Der Liquidationswert des Feriendorfs belief sich – bei Parzellierung des Grundstücks und Verkauf der einzelnen Ferienhausparzellen – auf das Dreieinhalbfache des Ertragswertes. Aufgrund dieser Diskrepanz war die Abfindungsklausel nach Auffassung des Senats gem. § 723 Abs. 3 BGB unwirksam. Daher sei es jedenfalls rechtsfehlerhaft gewesen, bei der Berechnung der Abfindung allein auf den Ertragswert abzustellen, zumal die Parzellierung des Feriendorfs dem verbleibenden Gesellschafter zumutbar gewesen sei. Vor diesem Hintergrund ließ der II. Zivilsenat offen, ob der Liquidationswert stets oder jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen die Untergrenze des für die Abfindung maßgeblichen Unternehmenswerts bilde.3

9.22

bb) Oberlandesgerichte In der obergerichtlichen Spruchpraxis ist das OLG Düsseldorf durch eine Vielzahl von Entscheidungen zu aktien- und umwandlungsrechtlichen Ausgleichs- bzw. Abfindungstatbeständen hervorgetreten. Unter Berufung auf die BGH-Urteile von 1973 und 1986 hat es wiederholt ausgesprochen, dass der Liquidationswert eines unrentablen Unternehmens nicht die Untergrenze des maßgeblichen Wertes bilde, wenn das Unternehmen fortgeführt werden soll.4 Außerdem soll eine Unternehmensbewertung anhand des Liquidationswertes ausscheiden, wenn ein rechtlicher oder tatsächlicher Zwang zur Unternehmensfortführung besteht.5 Andere Entscheidungen desselben Spruchkörpers haben gleichwohl auf den Liquidationswert abgestellt, ohne diese Inkonsistenz näher zu begründen: Bei zwei früheren Beschlüssen scheint es sich 1 Vgl. BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498). 2 Vgl. BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, NJW-RR 1986, 1066 (1068) mit dem erläuternden Zusatz: „Daß der Ertragswert sowohl unter dem Substanzwert wie auch unter dem Liquidationswert liegt, kommt in der Landwirtschaft wegen des unverhältnismäßig hohen Anteils des Anlagevermögens am Betriebsvermögen häufig vor, ohne daß einem solchen Betrieb deswegen bereits die Erhaltungswürdigkeit abgesprochen werden kann.“ 3 Vgl. BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04 – Rz. 13, NZG 2006, 425 f. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86, AG 1988, 275 (§§ 320, 306 AktG); OLG Düsseldorf v. 11.1.1990 – 19 W 6/86, AG 1990, 397, 399 (§§ 304, 305 AktG); OLG Düsseldorf v. 27.2.2004 – 19 W 3/00 AktE, AG 2004, 324 (327) (§ 196 UmwG); OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (909 f.) (Vermögensverwaltungsgesellschaft, §§ 304, 305 AktG); so auch bei wirtschaftlicher Vertretbarkeit der Fortführung LG München I v. 23.4.2009 – 5HK O 542/09, AG 2009, 632. 5 So OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – I 26 W 7/07, AG 2009, 667.

Fleischer 263

9.23

§ 9 Rz. 9.23

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

um echte „Ausreißer“ zu handeln1; der jüngste Fall lag insofern besonders, als die Gesellschaft nicht mehr operativ tätig war, sondern nur noch Zinserträge erwirtschaftete.2 Das OLG Stuttgart hat im Jahre 2010 entschieden, dass ein über dem Ertragswert liegender Liquidationswert nur dann zu berücksichtigen sei, wenn zum Bewertungsstichtag entweder die Absicht bestanden habe, die Anteile zu verkaufen, oder die fehlende Entscheidung, einen Verkauf vorzunehmen, als unvertretbar eingestuft werden müsse.3 In weiteren Beschlüssen hat es die Frage ausdrücklich dahinstehen lassen.4 Das OLG Frankfurt hat sich jüngst der „im Vordringen befindlichen“ Auffassung angeschlossen, nach der die Berücksichtigung des Liquidationswertes unterbleiben soll, soweit die Ertragsaussichten des Unternehmens nicht auf Dauer negativ sind und dessen Liquidation nicht abzusehen ist.5

9.24 Mit anderer Akzentuierung hatte das BayObLG schon 1995 ausgesprochen, dass der Liquidationswert regelmäßig die Bewertungsuntergrenze bilde, wenn die Ertragsaussichten der Gesellschaft auf Dauer negativ seien.6 Ähnlich entschied das OLG Celle 1998: Die Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung würden den Ansatz des Liquidationswertes verlangen, wenn dieser den Ertragswert übersteige und die Liquidation möglich sei.7 Das OLG München hat im Jahr 2012 für die Pflichtteilsberechnung ausgeführt, dass die konkrete Verwendungsabsicht des Erben nicht maßgebend sein könne und daher ein höherer Liquidationswert anzusetzen sei.8 Schließlich finden sich noch verschiedene Urteile und Beschlüsse, die den Liquidationswert ohne weitere Diskussion als Untergrenze des Unternehmenswertes ansehen.9

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.4.1998 – 19 W 3/93, DB 1998, 1454 f. (§§ 304, 305 AktG); hieran festhaltend OLG Düsseldorf v. 22.1.1999 – 19 W 5/96 AktE, AG 1999, 321 (§§ 30 ff. UmwG); vgl. auch OLG Düsseldorf v. 27.1.2004 – I-19 W 2/01 AktE – juris-Rz. 100. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 13.3.2008 – I-26 W 8/07 AktE, AG 2008, 498, 500 (§ 327a AktG); vgl. auch OLG Düsseldorf v. 29.7.2009 – I-26 W 1/08 (AktE) – juris-Rz. 35; OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, NZG 2007, 36 (37) = AG 2007, 325; LG Düsseldorf v. 9.9.2005 – 40 O 295/03 AktE, AG 2005, 929 (930); so auch bei reinen Beteiligungsgesellschaften OLG Frankfurt v. 5.11.2009 – 5 W 48/09 – juris-Rz. 17. 3 So OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Daimler/Chrysler – juris-Rz. 370 ff., AG 2011, 49. 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08 – juris-Rz. 199, AG 2012, 49; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10 – juris-Rz. 205, AG 2012, 221; OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08 – juris-Rz. 319, AG 2011, 795; OLG Stuttgart v. 18.12.2009 – 20 W 2/08 – juris-Rz. 302, AG 2010, 513. 5 Vgl. OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (991) (§ 327a AktG); zuvor schon in diese Richtung OLG Frankfurt v. 30.3.2010 – 5 W 32/09, NZG 2010, 664 (665); so auch LG Berlin v. 3.5.2007 – 93 O 187/06, BeckRS 2007, 11131; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – jurisRz. 34, 145, NZG 2013, 897 (898) = AG 2013, 724. 6 Vgl. BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, AG 1995, 509 = NJW-RR 1997, 34, Leitsatz 1 (§ 305 AktG); vgl. auch OLG Düsseldorf v. 27.2.2004 – 19 W 3/00 AktE, AG 2004, 324 (327); dem folgend LG Frankfurt/M. v. 2.5.2006 – 3/5 O 160/04, Der Konzern 2006, 553 (556); LG Frankfurt/M. v. 17.1.2006 – 3-5 O 74/03 – juris-Rz. 34. 7 Vgl. OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, NZG 1998, 987 (989) = AG 1999, 128 (§ 305 AktG); vgl. hierzu auch OLG Köln v. 26.8.2004 – 18 U 48/04 – juris-Rz. 133. 8 Vgl. OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, BeckRS 2012, 08586. 9 Vgl. OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08 – juris-Rz. 53; OLG Karlsruhe v. 21.1.2011 – 12 W 77/08 – juris-Rz. 64, 89; LG Dortmund v. 29.11.2007 – 18 O 59/04 AktG – juris-Rz. 15, Der Konzern 2008, 238 (239); LG Dortmund v. 14.4.2003 – 20 AktGE 7/94, Der Konzern 2003, 560 (561); LG Dortmund v. 6.8.1993 – 18 AktE 1/87, AG 1994, 85; LG Frankfurt v. 19.12.1995 – 3/3 O 162/88, AG 1996, 187 (188).

264

Fleischer

Liquidationswert

Rz. 9.26 § 9

c) Rechtslehre Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sieht eine hergebrachte und wohl noch immer herrschende Auffassung den Liquidationswert als Untergrenze bei Bewertungsfragen im Personengesellschafts-, GmbH- und Aktienrecht an.1 In neuerer Zeit sind aber zunehmend kritische Stimmen laut geworden, die für differenzierende Lösungen werben.2

9.25

d) Rechtsvergleichung Schließlich lohnt ein rechtsvergleichender Seitenblick auf die intensiv geführte Paralleldiskussion in der Schweiz. Den Ausgangspunkt bildet dort ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahre 1994 zu Art. 685b Abs. 4 OR, wonach der Erbe nicht börsenkotierter, vinkulierter Namensaktien, dem die Eintragung ins Aktienbuch verweigert wird, einen Anspruch auf Übernahme der Aktien zum „wirklichen Wert“ hat. Nach Ansicht des Schweizerischen Bundesgerichts hat der Erbe damit Anspruch auf eine volle Entschädigung.3 Er solle vermögensmäßig so gestellt werden, wie wenn seinem Eintragungsgesuch stattgegeben worden wäre und dürfe im Verhältnis zu den Aktionären weder einen Vorteil erhalten noch einen Nachteil erleiden. Der Bewertung müssten die subjektiv gewollten und nicht die aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht objektiv angezeigten unternehmerischen Entscheidungen zugrunde gelegt werden. Daher sei der Liquidationswert für die Bewertung grundsätzlich nur heranzuziehen, wenn die Gesellschaft in naher Zukunft liquidiert worden wäre.4 Ausnahmen von diesem Grundsatz gälten dort, wo eine Liquidation der Gesellschaft wegen sich anhäufender Verluste voraussichtlich unvermeidlich ist oder wo die Rentabilität einer Gesellschaft absichtlich tief gehalten wird, um so die Bewertung der Aktien zu beeinflussen, sowie allgemein in Missbrauchsfällen.5

1 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 373; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 14 GmbHG Rz. 6; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 74; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1404; Hopt in Baumbach/Hopt, Einl. vor § 1 HGB Rz. 36 f.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (585); Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002, S. 241 ff.; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 88; Meinert, DB 2011, 2455 (2457); Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, 1990, S. 92; Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 140; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Band 1, 4. Aufl. 2014, § 75 Rz. 26; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 191 f.; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 131 HGB Rz. 148; Schulze-Osterloh, ZGR 1986, 545 (554); Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77; Wiedemann, WM 1992, Sonderbeilage 7, S. 3, 39. 2 Vgl. allgemein Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, S. 90 f.; für die GmbH Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 214; für die AG Deilmann in Hölters, § 305 AktG Rz. 67; Paschos in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 305 AktG Rz. 22; Ruiz de Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 428 (432 ff.); Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 80; wohl auch Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 76. 3 Vgl. Bundesgericht v. 26.7.1994, BGE 120 II 259 (261): unrentabler Kinobetrieb. 4 Vgl. Bundesgericht v. 26.7.1994, BGE 120 II 259 (264); s. auch Bundesgericht v. 3.4.2001 – 4C.363/2000 (nicht in amtlicher Sammlung): unrentabler Garagenbetrieb; dazu Eitel in FS Hausheer, 2001, S. 493 (500 f.). 5 Vgl. Bundesgericht v. 26.7.1994, BGE 120 II 259 (264).

Fleischer 265

9.26

§ 9 Rz. 9.26

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Diese Entscheidung ist im Schrifttum teils zustimmend1, teils kritisch2 aufgenommen worden. Zuvor hatte eine prominente Literaturstimme für das Familien- und Erbrecht gefordert, bei der Bewertung das Interesse des Übernehmers, also z.B. des Erben, entscheidend zu berücksichtigen, um diesen vor der faktischen Notwendigkeit zur Versilberung des Nachlasses zu schützen3. Dies war indes nicht unwidersprochen geblieben.4

9.27 Im Jahre 2009 brachte ein Gutachten des Schweizer Bundesrats neuen Wind in die Diskussion. Es prüfte, ob vermehrt auf den Ertragswert – und nicht auf einen höheren Liquidationswert – abgestellt werden solle, um die ungeteilte erbrechtliche Übertragung von Unternehmen zu erleichtern, sprach sich im Ergebnis aber gegen den vorerwähnten Entscheid des Bundesgerichts aus: „Falls der Liquidationswert den Fortführungswert übersteigt, ist die Fortführung des Unternehmens keine ökonomisch rationale Alternative; es ist vernünftig, das Unternehmen zu liquidieren. Der Liquidationswert ist somit Mindestertragswert, d.h. Wertuntergrenze des Verkehrswerts, und zwar unabhängig davon, ob das Unternehmen tatsächlich liquidiert oder fortgeführt wird.“5 Zur Begründung heißt es, dass für die Ermittlung des Verkehrswerts des Nachlasses auf einen gedachten markttypischen Erwerber abzustellen sei, der allein wirtschaftlich-rationalen Erwägungen folge.6 Gleichwohl sah der Bundesrat keinen Anlass für ein Tätigwerden, da das Gesetz die Maßgeblichkeit des Verkehrswertes bereits festschreibe.7

9.28 Im Jahr 2010 hat das Bundesgericht in einer Entscheidung zum Ehegüterrecht den Liquidationswert – unabhängig von der Fortführungsabsicht – als Mindestwert angesehen, sofern keine Fortführungspflicht besteht. Die abweichende Praxis im Gesellschaftsrecht lasse sich auf die güterrechtliche Auseinandersetzung nicht übertragen. Sonst könne der unternehmerisch tätige Ehegatte durch seine Geschäftspolitik die Höhe des Vorschlagsanteils bestimmen.8 2. Stellungnahme

9.29 Gesellschaftsrechtlicher Leitstern für eine Würdigung der Einzelargumente ist der Grundsatz zweckadäquater Bewertung.9 Danach kommt es im Rahmen einer rechtsgeprägten Unternehmensbewertung entscheidend darauf an, welches Bewertungsziel die betreffende Vor-

1 Vgl. Bär, ZBJV 132 (1996), 447 (450 ff.); Eitel in FS Hausheer, 2001, S. 493 (501); Kläy, Die Vinkulierung, 1997, S. 189 f. mit Fn. 286; unkritisch referierend Flückiger, Schweizer Treuhänder 2003, 63 (64); du Pasquier/Wolf/Oertle in Basler Kommentar OR II, 5. Aufl. 2016, Art. 685b Rz. 12; Sanwald, Austritt und Ausschluss aus AG und GmbH, 2009, S. 92 f. 2 Vgl. Künzli, Die Veräusserung von Aktienmehrheiten, 1982, S. 48 f.; Meier-Hayoz/Forstmoser/Sethe, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2018, § 13 Rz. 99; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, § 44 Rz. 164 mit Fn. 57; kritisch auch Watter, AJP 1995, 106 (108 f.); ferner Schön, Unternehmensbewertung im Gesellschafts- und Vertragsrecht, S. 32 ff. 3 Vgl. Druey in FS Hegnauer, 1986, S. 15 (31 und passim); zuvor in Ansätzen Druey, SJZ 1978, 337 (341). 4 Vgl. Hausheer/Reusser/Geiser in Berner Kommentar, Bd. II, 1992, Art. 211 Rz. 19. 5 Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 2. 6 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8 f., 21. 7 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 2, 23. 8 Vgl. Bundesgericht v. 10.2.2010 – 5A_733/2009, BGE 136 III 209 (217). 9 Grundlegend Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 6: „Es gibt nicht den schlechthin richtigen Unternehmenswert: Da Unternehmenswertermittlungen sehr unterschiedlichen Zwecken dienen können, ist der richtige Unternehmenswert jeweils der zweckadäquate.“

266

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Liquidationswert

Rz. 9.32 § 9

schrift verfolgt.1 Bei einseitig dominierten Bewertungsanlässen im Gesellschaftsrecht, auf die sich die folgenden Überlegungen beschränken, stellen Rechtsprechung und Rechtslehre einhellig auf den Verkehrswert der Beteiligung ab.2 Dies gilt sowohl für die Abfindungsbemessung ausscheidender Personen- oder GmbH-Gesellschafter gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog3)4 als auch für die angemessene Abfindung außenstehender Aktionäre nach Maßgabe der §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1, 327a Abs. 1 AktG5. a) Argumente gegen den Liquidationswert als Untergrenze Die in Rechtsprechung und Literatur gegen den Liquidationswert als Wertuntergrenze vorgebrachten Argumente sind von unterschiedlicher Überzeugungskraft6:

9.30

aa) Ungerechtfertigter Vorteil des Abfindungsberechtigten Der wohl stärkste Einwand geht dahin, dass ein ausscheidender (Minderheits-)Gesellschafter die von Geschäftsleitung und Gesellschaftermehrheit befürwortete Unternehmensfortführung hinnehmen müsse.7 Wenn er eine Liquidation für vorteilhaft hielte, hätte er sie während seiner Verbandszugehörigkeit durchsetzen müssen. Sei ihm das nicht möglich gewesen, könne er sein Ausscheiden nicht zum Anlass nehmen, den anderen Gesellschaftern die Liquidation als Grundlage für die Berechnung seiner Abfindung aufzuzwingen.8 Anderenfalls stünde er aufgrund seines Ausscheidens besser, als er stehen würde, wenn er in der Gesellschaft geblieben wäre.9

9.31

Dieses Argument klingt zunächst bestechend. Es verliert aber manches von seiner vermeintlichen Stringenz, wenn man den Regelfall einer Abfindung zum Verkehrswert als Vergleich

9.32

1 Vgl. Fleischer/Maugeri, RIW 2013, 24 (26); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV 1 d, S. 1477; Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (535 mit Fn. 43): „Unternehmensbewertung ist funktional, dient also einem Bewertungszweck, der deshalb vorrangig zu klären ist.“; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 c aa, S. 243: „Die Bewertung hat sich an der ratio legis, die Schätzung am Sinn und Zweck der Abfindung zu orientieren.“ 2 Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 22; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; beide m.w.N. 3 Zur analogen Anwendung des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB im GmbH-Recht Fleischer, GmbHR 2008, 673 (676 m.w.N.). 4 Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257 – Leitsatz c: „voller wirtschaftlicher Wert (Verkehrswert) des Geschäftsanteils“. 5 Vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566: „Da der Verkehrswert aber die Untergrenze der ‚wirtschaftlich vollen Entschädigung‘ bildet, die Art. 14 Abs. 1 GG für die Entwertung oder Aufgabe der Anteilsrechte fordert […].“ 6 Zu Folgendem bereits Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1740 f.). 7 Vgl. Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, S. 91; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 214; im Ergebnis auch OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (992) (§ 327a AktG). 8 Eindringlich Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, S. 91; im Ergebnis auch OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (992); ähnlich LG München I v. 21.6.2013 – 5 HK O 19183/09 – juris-Rz. 318. 9 So Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 214; aus schweizerischer Sicht auch Kläy, Die Vinkulierung, 1997, S. 190 mit Fn. 286: „Steht nach den Umständen fest, dass der bisherige Gesellschaftszweck tatsächlich auf Dauer weitergeführt wird, ließe es sich nicht rechtfertigen, den ausscheidenden Aktionär vermögensmäßig besser zu stellen, als wenn er Aktionär geblieben wäre.“

Fleischer 267

§ 9 Rz. 9.32

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

heranzieht: Dort wird nicht danach gefragt, ob der ausscheidende (Minderheits-)Gesellschafter den Verkauf des gesamten Unternehmens im Alleingang hätte beschließen können. Darauf kann es auch nicht ankommen, weil die ganz h.M. Bewertungsabschläge für fehlende Stimmrechtsmacht bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen mit Recht ablehnt (näher Rz. 20.11 ff., 20.16).1 Eine gesetzliche Stütze dafür bietet der Verteilungsschlüssel in § 734 BGB und § 72 Satz 1 GmbHG, nach dem alle Gesellschafter im Auseinandersetzungsfall ungeachtet ihrer größeren oder geringeren Einflussmöglichkeit anteilig am Liquidationserlös zu beteiligen sind.2 Versteht man das Ausscheiden eines Gesellschafters als eine Art Teilauseinandersetzung, so kann man vorliegend kaum anders entscheiden.3 Vielmehr gilt zugunsten des Ausscheidenden ein „Schlechterstellungsverbot“4: Seine Stellung muss soweit wie möglich derjenigen bei tatsächlich erfolgter Abwicklung angenähert werden; aus dem Fortbestand der Gesellschaft ohne seine Beteiligung dürfen ihm keine vermeidbaren Nachteile erwachsen.5 bb) Freiheit der unternehmerischen Entscheidung

9.33 Ein zweites Argument gegen den Liquidationswert als Wertuntergrenze lautet, der Abfindungsberechtigte habe keinen Anspruch darauf, dass sich die Entscheidungsträger im Unternehmen ausschließlich ökonomisch rational verhielten.6 Vorbehaltlich einer abweichenden Satzungsbestimmung seien die Gesellschafter untereinander nicht allein wegen einer schlechten Ertragslage zur Liquidation des Unternehmens verpflichtet.7 Ihnen komme vielmehr ein Entscheidungsspielraum zu, der allenfalls dann überschritten werde, wenn die Unternehmensfortführung wirtschaftlich unvertretbar sei.8 Daran seien auch die Gerichte gebunden, denen hier – wie auch sonst – eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung des Unternehmerhandelns grundsätzlich nicht gestattet sei.9 Zudem könne man im Wirtschaftsleben beobachten, dass

1 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1227) = GmbHR 1999, 712: „Für die Abfindung ausscheidender Gesellschafter von Kapital- und Personengesellschaften ist die h.M., der sich der Senat anschließt, allerdings der Ansicht, dass unterschiedliche Herrschaftsrechte den Anteilswert nicht beeinflussen.“; aus dem Schrifttum Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (232 ff.) mit umfangreichen, auch rechtsvergleichenden Nachweisen. 2 Zu diesem wertenden Vergleich mit dem Liquidationsfall bereits Kropff, DB 1962, 155 (158); eingehend Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (234 ff.). 3 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (234); ferner Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, 1990, S. 88: „Im Ergebnis sind verschiedene Herrschaftsrechte sowie Mehrheitsoder Minderheitsbeteiligungen nicht zu berücksichtigen, da sie bei der Auseinandersetzung einer Gesellschaft keine Rolle mehr spielen.“; speziell mit Blick auf die hier in Rede stehende Frage Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 90: „Es wäre deshalb mit § 53a wohl unvereinbar, eine Abfindung, die unter dem anteiligen Liquidationswert liegt, als angemessen i.S.v. Abs. 3 zu akzeptieren.“ 4 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 358. 5 So ausdrücklich Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 358. 6 So Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 539 ff., 541. 7 Vgl. Kläy, Die Vinkulierung, 1997, S. 190 mit Fn. 286; Sosnitza in Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 34 GmbHG Rz. 49. 8 Vgl. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); Haas in Staudinger, Neubearbeitung 2006, § 2311 BGB Rz. 81; jeweils zur erbrechtlichen Parallelproblematik; dagegen etwa Lange in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2013, § 2311 BGB Rz. 40; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 20.9.2001 – 19 W 2/00 AktE, AG 2002, 398 (402 f.). 9 So OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Daimler/Chrysler – juris-Rz. 374, AG 2011, 49.

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Fleischer

Liquidationswert

Rz. 9.34 § 9

auch unrentable Unternehmen fortgeführt würden. Die denkbaren Gründe hierfür1 seien legitim und müssten nicht hinter ökonomische Erwägungen zurücktreten.2 Eine Literaturstimme erblickt in der Anerkennung außerökonomischer Erwägungen sogar „ein Stück zeitgeschichtlichen Wandels gesellschaftspolitischer Wertvorstellungen“3. Diese Überlegungen beruhen im Ausgangspunkt auf einem Missverständnis: Die Gegenmeinung postuliert nirgends eine Pflicht zur Liquidation des Unternehmens; sie ermittelt den Abfindungsbetrag lediglich auf Grundlage einer fiktiven Liquidation.4 Geschäftsleitung und Gesellschaftermehrheit steht es daher offen, ein unrentables Unternehmen fortzuführen.5 Hiervon zu unterscheiden ist allerdings die weitere Frage, welcher Wert für die Abfindungsbemessung zu veranschlagen ist. Sie kann nicht einseitig unter Hinweis auf die Fortführungsentscheidung der Gesellschaftermehrheit beantwortet werden, sondern muss auch die schutzwürdigen Belange der ausscheidenden (Minderheits-)Gesellschafter berücksichtigen, zumal das Abfindungsrecht – insbesondere im Aktienrecht – als ein Instrument des Minderheitenschutzes konzipiert ist. Die richterliche Zurückhaltung gegenüber einer Zweckmäßigkeitsprüfung unternehmerischer Entscheidungen rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zwar trifft es zu, dass auch im Rahmen der Unternehmensbewertung, namentlich bei der Unternehmensplanung, Ermessensspielräume der Geschäftsleitung bestehen.6 Sie stoßen jedoch dort an eine Grenze, wo das gesetzlich vorgegebene Gebot einer vollen Entschädigung verletzt zu werden droht. Schließlich sollte nicht aus dem Blick geraten, dass die vielbeschworenen außerökonomischen Erwägungen keineswegs in allen Fällen von hehren Motiven getragen werden: Nicht selten werden ertragsschwache Unternehmen nur deshalb fortgeführt, um sich selbst oder Familienangehörigen auf Kosten der Sachsubstanz Gehälter, Ruhegehälter oder pensionsversicherungsvereinsfeste Anwartschaften zu sichern.7

1 Dazu etwa Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7, Rz. 31: „Insbesondere Familienunternehmen unterliegen teilweise auch (gefühlten) ethisch-moralischen Verpflichtungen gegenüber ihren Stakeholdern (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Öffentlichkeit, …), die eine Unternehmensfortführung trotz mangelnder Rentabilität erforderlich machen. Neben diesen quasi-öffentlichen ‚Zwängen‘ ist zudem die persönliche Überzeugung des Unternehmers zu würdigen, der an traditionelle oder paternalistische/soziale Werte glaubt.“ 2 Vgl. zur erbrechtlichen Parallelproblematik Haas in Staudinger, Neubearbeitung 2006, § 2311 BGB Rz. 81: „Ein Unternehmen berührt die unterschiedlichsten Interessen (Arbeitnehmer, Eigentümer, Allgemeinheit etc). Fällt es in den Nachlass, ist zunächst nicht ersichtlich warum dem Interesse des Pflichtteilsberechtigten an einer für ihn ökonomisch günstigen Entscheidung (nämlich der Zerschlagung des Unternehmens) Vorrang vor den ebenso schützenswerten anderen durch das Unternehmen berührten Interessen einzuräumen ist.“; dagegen aber Riedel, Die Bewertung von Gesellschaftsanteilen im Pflichtteilsrecht, 2006, S. 105 ff. 3 Breidenbach, DB 1974, 104 (105). 4 Einzelnachweise in Rz. 9.1; ferner Wagner, WPg 2016, 1090 (1093). 5 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 13 f.; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002, S. 220. 6 Vgl. OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 6/09, AG 2012, 839 (842) dazu, dass sich die Rechtsprechung bei der Schätzung der künftigen Erträge in der Regel an den Planungen der Unternehmensleitung orientiert; rechtsvergleichend Fleischer/Schneider/Thaten, Der Konzern 2013, 61 (66 f.). 7 Treffend für die vergleichbare Problematik bei der Pflichtteilsberechnung im Erbrecht Dieckmann in Soergel, 12. Aufl. 2002, § 2311 BGB Rz. 21.

Fleischer 269

9.34

§ 9 Rz. 9.35

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

cc) Liquiditätsbelastung

9.35 Schließlich wird vorgebracht, dass höhere Liquidationswerte zu Liquiditätsschwierigkeiten führen und sogar zur Aufgabe oder Veräußerung des Unternehmens zwingen könnten.1 Dies kann im Einzelfall durchaus zutreffen, vermag aber keine gesellschaftsrechtliche Sonderbehandlung ertragsschwacher Unternehmen zu rechtfertigen: Zum einen können sich Liquiditätsschwierigkeiten auch bei einer nach dem Zukunftserfolgswert zu bemessenden Abfindung ergeben; zum anderen steht das Abfindungsrecht sonst ebenfalls nicht unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit, sofern Kapitalerhaltungsvorschriften (etwa § 30 GmbHG) dies nicht ausnahmsweise gebieten. Abhilfe kann gegebenenfalls ein Zahlungsaufschub schaffen, der sich bei fehlender gesellschaftsvertraglicher Vorsorge2 unter Umständen aus der nachwirkenden Treuepflicht des ausscheidenden Gesellschafters herleiten lässt.3 b) Argumente für den Liquidationswert als Wertuntergrenze

9.36 Für eine Berücksichtigung des Liquidationswerts als Wertuntergrenze lassen sich eine Reihe von Haupt- und Hilfsargumenten ins Feld führen.4 aa) Grundsatz der vollen Abfindung

9.37 Das größte Gewicht ist dem Grundsatz der vollen Abfindung beizumessen, den das BVerfG für außenstehende Aktionäre sogar in Art. 14 Abs. 1 GG verankert sieht.5 Diese grundrechtliche Überwölbung der einfachgesetzlichen Abfindungsvorschriften („Abfindungsverfassungsrecht“6) dürfte sich auch auf die Bewertung von GmbH-Geschäftsanteilen und Anteilen an Personengesellschaften übertragen lassen.7 Im Lichte dieser Bewertungsvorgabe spricht vieles dafür, dass man einem ausscheidenden Gesellschafter den höheren Liquidationswert nicht vorenthalten darf8, zumal die Möglichkeit zur sofortigen Liquidation ein wirtschaftli-

1 Vgl. etwa Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 227: „Der Hinweis, es gehe ja nur um die Ermittlung eines Abfindungsbetrages auf der Grundlage einer fiktiven Liquidation, nicht um die Liquidation selbst, akzeptiert, dass bei fehlenden Möglichkeiten einer anderweitigen Finanzierung der Abfindung die Liquidation die tatsächliche Folge ist.“ 2 Zu statutarischen Fälligkeitsklauseln Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 264. 3 Vgl. in allgemeinerem Zusammenhang Merkt in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 13 GmbHG Rz. 183. 4 Zu Folgendem bereits Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1741 f.); kritisch dazu, aber im Ergebnis nicht überzeugend Ruiz de Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 428 (436 ff.); wie hier Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725 (730). 5 Grundlegend BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (284); vertiefend BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566. 6 Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 77 im Anschluss an Fleischer, DNotZ 2000, 876 (879) („Aktienverfassungsrecht“). 7 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, Einl. Rz. 130; Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1639 mit Fn. 107); ferner Kallrath in Hauschild/Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2011, § 13 Rz. 344. 8 Ebenso Hüttemann, WPg 2007, 812 (816): „Man wird bezweifeln können, ob eine Rechtsprechung, die dem Ausscheidenden den objektiven Wert seiner Beteiligung unter Hinweis auf subjektive Absichten des Mehrheitsgesellschafters vorenthält, mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der vollen Entschädigung vereinbar ist.“; im Ergebnis auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 373; Meinert, DB 2011, 2455 (2457).

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Fleischer

Liquidationswert

Rz. 9.39 § 9

ches Potential darstellt.1 Entschiede man anders, so erhielten die außenstehenden Aktionäre ertragsschwacher Unternehmen weder einen Ausgleich (§ 304 AktG)2 noch eine Abfindung (§ 305 AktG), obwohl ihre Gesellschaft möglicherweise einen hohen Liquidationswert hat, der dann allein dem herrschenden Unternehmen zufiele.3 Dies würde den Außenseiterschutz im Vertragskonzern aushöhlen und ließe sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, dass für die Abfindungsberechtigten im Zeitpunkt ihrer Beitrittentscheidung die Ertragskomponente und nicht die Anhäufung von Anlagevermögen im Vordergrund gestanden habe4: Nach allgemeiner Ansicht sind subjektive Vorstellungen der Gesellschafter für die Ermittlung der vollen Abfindung unerheblich. Grenzen mögen sich in besonders gelagerten Fällen aus der mitgliedschaftlichen Treuepflicht oder dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens ergeben.5 bb) Objektivierter Unternehmenswert Ein zweites Argument baut auf der weithin anerkannten Prämisse auf, dass es für die Abfindungsbemessung im Gesellschaftsrecht auf den Verkehrswert ankommt.6 Dahinter steht die Grundidee, dass die Bewertung gerade nicht vom Standpunkt einer bestimmten Partei des jeweiligen Rechtsverhältnisses (pretium singulare), sondern objektiv – auf der Grundlage einer fiktiven Veräußerung – vorzunehmen ist.7 Für die Ermittlung dieses sog. objektivierten Unternehmenswertes (pretium commune) sind Typisierungen erforderlich.8 Zu ihnen gehört die Annahme, dass ein durchschnittlicher Unternehmenserwerber ausschließlich finanzielle Zielsetzungen verfolgt; nichtfinanzielle Zielsetzungen, z.B. Selbstverwirklichung, Prestige, Unabhängigkeit oder Familientradition, bleiben daher außer Betracht.9 Folgt man diesem Bewertungskalkül, so führt an der Maßgeblichkeit eines höheren Liquidationswerts kein Weg vorbei.

9.38

cc) Missbrauchsprävention Weiterhin vermeidet ein Abstellen auf den Liquidationswert als Wertuntergrenze manipulationsanfällige, willkürliche oder zufallsabhängige Ergebnisse. Wollte man demgegenüber an die bloße Fortführungsabsicht anknüpfen, so könnte der Mehrheitsgesellschafter einen höhe1 Vgl. Meinert, DB 2011, 2455 (2457): „Selbst wenn der Minderheitsgesellschafter […] beim Verbleib in der Gesellschaft ebenfalls keinen Anspruch auf Liquidation gehabt hätte, liegt in der Möglichkeit zur sofortigen Liquidation jedoch ein wirtschaftliches Potenzial, an dem der Ausscheidende im Rahmen der vollen Entschädigung zu beteiligen ist.“; im Ergebnis ebenso Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725 (730). 2 Zur Statthaftigkeit eines sog. „Null-Ausgleichs“ für außenstehende Aktionäre in einem Ergebnisabführungsvertrag mit einer chronisch defizitären AG BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 = AG 2006, 331. 3 So ausdrücklich Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 74a; s. auch BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03 – Rz. 12, BGHZ 166, 195, 201 = AG 2006, 331: „Es ist in der Eigenart eines dauerhaft defizitären Unternehmens begründet, dass die Abfindung (§ 305 AktG) deutlich attraktiver sein kann als der Ausgleich (§ 304 AktG).“ Diese und weitere Urteilspassagen deuten darauf hin, dass der BGH den Liquidationswert bei der Abfindungsbemessung berücksichtigt wissen will. 4 So aber OLG Düsseldorf v. 11.1.1990 – 19 W 6/86, AG 1990, 397 (399). 5 Vgl. Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1741). 6 Nachweise in Rz. 9.29. 7 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8, 21. 8 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (582); WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 195. 9 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (585 f.).

Fleischer 271

9.39

§ 9 Rz. 9.39

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

ren Liquidationswert für sich vereinnahmen, indem er das Unternehmen nach Abschluss eines Spruchverfahrens verkauft. An seine vor Gericht verlautbarte gegenteilige Absicht wäre er rechtlich nicht gebunden.1 Der gelegentlich unterbreitete Vorschlag, den ausgeschiedenen Gesellschafter für diesen Fall mit der Hoffnung auf einen „Nachschlag“ zu vertrösten2, erscheint wenig praktikabel und kaum geeignet, den Einwand einer Aushöhlung des Verkehrswertkonzepts zu entkräften. dd) Ordnungspolitische Gesichtspunkte

9.40 Darüber hinaus lassen sich gegen die Maßgeblichkeit eines niedrigeren Ertragswerts ordnungspolitische Gesichtspunkte anführen: Eine rechtsgeleitete Unternehmensbewertung, welche die Bestandserhaltung unrentabler Unternehmen unterstützt oder in Kauf nimmt, beeinträchtigt die Allokations- und Selektionsfunktion des Marktmechanismus. Sie ist, wie der Schweizerische Bundesrat in seinem Bericht zur Unternehmensbewertung im Erbrecht vom April 2009 nüchtern festhält, „außerstande nachhaltig Arbeitsplätze zu schaffen oder die vermeintliche Gesundheit bestehender Betriebe zu erhalten“3. Demgegenüber kann das Abstellen auf einen den Ertragswert übersteigenden Liquidationswert zu einer verbesserten Ressourcenallokation beitragen, indem es den Druck auf die verbleibenden Unternehmenseigner zur Überprüfung ihrer bisherigen Geschäftsstrategie erhöht.4 ee) Rechtsvergleichende Absicherung

9.41 Schließlich sprechen auch rechtsvergleichende Argumente für den Liquidationswert als Wertuntergrenze. So hat etwa der österreichische OGH kürzlich das Abstellen auf den höheren Liquidationswert gebilligt.5 Dies, so führte er aus, entspreche sowohl der herrschenden Lehre in Österreich6 als auch dem berufsständischen Fachgutachten zur Unternehmensbewertung von 2006.7 Rechtliche oder tatsächliche Zwänge zur Unternehmensfortführung, bei denen anderes gelten könne, seien im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Das neue Fachgutachten KFS/BW 1

1 So bereits Hüttemann, WPg 2007, 812 (816). 2 So Kläy, Die Vinkulierung, 1997, S. 190 mit Fn. 286: „Liegt der Liquidationswert aber erheblich über dem Ertragswert, dürfte es zulässig sein, bei der Festlegung des wirklichen Wertes eine Nachzahlung vorzubehalten für den Fall, dass die Gesellschaft innert einer zu bestimmenden Frist (bspw. innert 25 Jahren) liquidiert oder der Gesellschaftszweck geändert wird.“ 3 Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 22; s. auch Wagner, WPg 2016, 1090 (1094), wonach die Gegenansicht ineffiziente Investitionen begünstigt. 4 Dazu auch Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. F.7. Rz. 29: „Die Ermittlung eines eventuell den Ertragswert übersteigenden Liquidationswerts stellt insofern einen bedeutenden Beitrag zur optimalen Ressourcenallokation dar, als knappes Kapital nicht in einer – gegenüber einer alternativen Verwendung – unvorteilhaften Güterkombination gebunden sein sollte, sondern stattdessen den Eigentümern mittels Zerschlagung zur (Wieder-)Anlage in einem höher rentierlichen Investitionsobjekt zur Verfügung zu stellen ist.“ 5 Vgl. OGH v. 27.2.2013 – 6 Ob 25/12p, GES 2013, 131. 6 Vgl. Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 2009, S. 192; Aschauer/ Purtscher, Einführung in die Unternehmensbewertung, 2011, S. 110; Bachl, Unternehmensbewertung in der gesellschaftsrechtlichen Judikatur, 2006, S. 20 ff.; Bachl, GesRZ 2000, 21; Diwald, Unternehmensbewertung nach dem neuen Fachgutachten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder und dessen Bedeutung insbesondere für die Bewertung bei Einbringungen, 2008, S. 48; Elsner, ecolex 1996, 920; Widera, Squeeze-out und Unternehmensbewertung, 2011, S. 44 ff. 7 Vgl. KFS BW I, Stand: 1.5.2006.

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Liquidationswert

Rz. 9.42 § 9

vom März 2014 hält an dieser Auffassung ausdrücklich fest.1 Ganz ähnlich entscheidet in den Vereinigten Staaten der Revised Uniform Partnership Act (RUPA) von 1997: Nach RUPA § 701(b) steht einem ausscheidenden Gesellschafter der im Einzelfall höhere Wert von Liquidations- und Gesamtveräußerungswert zu.2 3. Ergebnis Insgesamt sprechen daher die besseren Argumente für die Heranziehung des Liquidationswerts als Untergrenze der Unternehmensbewertung. Sie allein verwirklicht den gesetzlich vorgegebenen Grundsatz der vollen Abfindung im Gesellschaftsrecht. Demgegenüber vermag die Gegenansicht nicht zu begründen, warum Geschäftsleitung und Gesellschaftermehrheit wirtschaftlich unvernünftige Entscheidungen auf Kosten der ausscheidenden (Minderheits-)Gesellschafter sollen treffen können.3 Das leuchtet umso weniger ein, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass deren Ausscheiden in den meisten Fällen nicht selbst-, sondern fremdinduziert ist. Im Übrigen lässt sich die Grundregel, dass sich freiwilliges unwirtschaftliches Verhalten nicht zu Lasten der Abfindungsberechtigten auswirken soll, auch in umgekehrter Richtung fruchtbar machen.4

1 Vgl. Fachgutachten KFS/BW 1 in der Fassung vom 26.3.2014, Rz. 132; dazu Hirschler in Artmann/ Rüffler/Torggler (Hrsg.), Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht, 2014, S. 13, 18 f.; Mandl in Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht, 2014, S. 27, 34 f. 2 Wörtlich heißt es dort: „The buyout price of a dissociated partner’s interest is the amount that would have been distributable to the dissociating partner under Section 807(b) if, on the date of dissociation, the assets of the partnership were sold at a price equal to the greater of the liquidation value or the value based on a sale of the entire business as going concern without the dissociated partner and the partnership were wound up as of that date.“; erläuternd dazu Hillman/Vestal/ Weidner, The Revised Uniform Partnership Act, 2012, § 701, S. 430 f.: „For example, it [= the Drafting Committee] assumed going concern value would normally be higher than liquidation value, but it also recognized this is not always the case. This is the reason that R.U.P.A. calls for the higher of liquidation and going concern values.“ 3 Vgl. Hopt in Baumbach/Hopt, Einl vor § 1 HGB Rz. 37: „Grund: keine irrationale Unternehmerentscheidung zu Lasten anderer.“; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 190; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1405; zugespitzt Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (581): „Wer ein ererbtes Unternehmen in ein Industriemuseum umwandeln will und damit den Ertragswert auf Null reduziert, mag dies auf eigene Rechnung tun. Diese Entscheidung geht den Pflichtteilsberechtigten aber nichts an.“; ferner Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 372, wonach es mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der vollen Kompensation unvereinbar ist, „dass die aus der Gesellschaft gedrängten Aktionäre für eine suboptimale Investitions- und Finanzierungspolitik der aktuellen Unternehmensleitung durch eine geringere Abfindungssumme bestraft werden“. 4 Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 192 f. zu einem unveröffentlichten Urteil des LG Osnabrück: „Der Verbleibende gab die Praxis zum Bewertungsstichtag auf und ließ sich andernorts als Steuerberater nieder. Das LG bewertete gleichwohl mit dem Fortführungswert mit der Begründung, daß der Abfindungsverpflichtete sich seiner Verpflichtung nicht dadurch entziehen könne, daß er Vermögenswerte einfach aufgebe. Er sei vielmehr gehalten, den Ausscheidenden den Vermögenswert seiner Steuerberaterpraxis zu erhalten. Auch wenn die auf ihn zukommende Abfindungsforderung ihn ‚überfordert‘ habe, könne er deren Erfüllung entweder dadurch sichern, daß er die Steuerberaterpraxis an einen Dritten veräußere oder dadurch, daß er die Praxis an die Ausscheidenden […] übertragen hätte. Das LG verwirklicht hier den o.a. Gedanken, daß freiwilliges unökonomisches Verhalten des Anspruchsverpflichteten (hier durch Aufgabe

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§ 9 Rz. 9.43

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

V. Grenzen der Maßgeblichkeit des Liquidationswertes 9.43 Wie mehrfach angedeutet, gilt die Maßgeblichkeit des Liquidationswerts als Wertuntergrenze nicht uneingeschränkt. Sie hängt vielmehr davon ab, dass das betreffende Unternehmen auch zerschlagen werden kann. Besteht dagegen ein rechtlicher oder tatsächlicher Zwang zur Unternehmensfortführung, so bleibt der Liquidationswert nach ganz h.M. außer Betracht.1 Ein rechtlicher Zwang kann bspw. bei einem Unternehmen der Daseinsvorsorge2 oder einer testamentarischen Auflage3 gegeben sein. Was unter einem tatsächlichen Zwang zu verstehen ist, bleibt häufig im Dunkeln. Vereinzelt wird öffentlicher Druck zur Erhaltung von Arbeitsplätzen genannt4, insbesondere bei Großunternehmen5. Dem wird man allenfalls in besonderen Ausnahmefällen zustimmen können6, weil sonst die Gefahr besteht, dass Geschäftsleitung und Gesellschaftermehrheit unter dem Vorwand der Unzumutbarkeit ihren persönlichen (Fortführungs-)Präferenzen Vorrang gegenüber den Abfindungsinteressen der ausscheidenden Gesellschafter gewähren.7

9.44 Weitere Einschränkungen derart, dass der höhere Liquidationswert nur bei dauerhaft verlustbringenden, nicht aber bei bloß ertragsschwachen Unternehmen maßgeblich ist8, verdie-

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3 4 5 6

7 8

des Unternehmens) nicht (über die Bewertung zum Liquidationswert) zu Lasten der Anspruchsberechtigten gehen darf.“ Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – I-26 W 7/07 (AktE), AG 2009, 667; OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (909 f.); OLG Düsseldorf v. 29.7.2009 – I-26 W 1/08 (AktE) – juris-Rz. 37; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1304; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002, S. 219; Meinert, DB 2011, 2455 (2457); Nadvornik/Sylle in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. G.5, Rz. 67; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 195; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 156. Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – I-26 W 7/07 (AktE), AG 2009, 667 (668) (Personennahverkehr); LG Dortmund v. 16.7.2007 – 18 AktE 23/03, Der Konzern 2008, 242 (Personennahverkehr); allgemeiner Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 214: „Betriebe, die aus gesetzlichen, vertraglichen oder sozialen Gründen fortgeführt werden müssen“; Nadvornik/Sylle in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. G.5, Rz. 67: „chronisch ertragsschwache bedarfswirtschaftliche Unternehmen“; WP-Handbuch 2014, Band II, Rz. A 195: „öffentlich-rechtliche Bindungen“. Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 191. So Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 191: „wohl auch noch öffentlicher Druck zur Erhaltung von Arbeitsplätzen“; WP-Handbuch 2014 Band II, Rz. A 195: „öffentlicher Druck“; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 156. Dazu Behringer, Unternehmensbewertung der Klein- und Mittelbetriebe, S. 187. Kritisch auch Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (585) mit Fn. 116, wonach tatsächliche Liquidationshindernisse durch den Ansatz angemessener Aufwendungen zu ihrer Überwindung bei der Feststellung des Liquidationswerts zu berücksichtigen sind; ferner Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002, S. 220: „Ein tatsächlicher Zwang, wie z.B. öffentlicher Druck zur Erhaltung von Arbeitsplätzen, genügt für den Ausschluss der Liquidation nur, wenn er diese tatsächlich unmöglich macht. In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die ausschließliche Bindung des Vorstands an die Aktionärsinteressen im Rahmen der Rechtsordnung hinzuweisen.“ Dazu bereits Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1743). Vgl. OLG Düsseldorf v. 27.2.2004 – 19 W 3/00 AktE, NZG 2005, 280 (284); OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – I-26 W 7/07 (AktE), AG 2009, 667 (668); OLG Frankfurt v. 7.6.2011 – 21 W 2/11, NZG 2011, 990 (992); Deilmann in Hölters, § 305 AktG Rz. 67; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1302; Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 140.

274

Fleischer

Liquidationswert

Rz. 9.44 § 9

nen keine Zustimmung. Sie laufen dem Grundsatz der vollen Abfindung zuwider, ohne hierfür überzeugende Gegenargumente vorzubringen. Diskussionswürdig ist allenfalls eine Privilegierung für ertragsschwache landwirtschaftliche Betriebe. Für sie enthält § 2049 Abs. 1 BGB – ähnlich wie das schweizerische Recht1 – eine eigene Bewertungsregel, nach der bei Vererbung eines Landguts im Zweifel der niedrigere Ertragswert maßgeblich ist.2 Diese Auslegungsregel soll das öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger bäuerlicher Höfe schützen.3 Ob sie allerdings über den Erb- und Scheidungsfall (§ 1376 Abs. 4 BGB) hinaus verallgemeinerungsfähig ist, erscheint zweifelhaft. Für eine gesetzgeberische Wertentscheidung dahin, dass die Bestandserhaltung bäuerlicher Höfe Vorrang vor dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der vollen Abfindung hat, fehlt es an aussagekräftigen Belegen.4

1 Vgl. Art. 619 ZGB i.V.m. Artt. 17, 10 BBGB (Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht). 2 Monographisch dazu Kronthaler, Landgut, Ertragswert und Bewertung im bürgerlichen Recht, 1991; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe bei Erbfall, Schenkung und Scheidung, 1999. 3 Vgl. BVerfG v. 16.10.1984 – 1 BvR 513/78, BVerfGE 67, 348 (367) (zu § 1376 Abs. 4 BGB). 4 Dazu bereits Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1743).

Fleischer 275

§ 10 Besonderheiten des DCF-Verfahrens I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1

II. Relevanz von DCF-Verfahren in der Rechtsprechung und der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.4

III. Funktionsweise von DCFVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 1. Entity-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.17 a) WACC-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . 10.23

aa) Free Cash Flow-Ansatz . . . . . bb) TCF-Ansatz . . . . . . . . . . . . . b) APV-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Equity-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.24 10.34 10.40 10.47

IV. Abgrenzung zum Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.52 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 10.58

Schrifttum: Harris/Pringle, Risk-adjusted Discount Rates – Extensions from the Average Risk Case, Journal of Financial Research, 3/1985, 237; Hüttemann, Rechtliche Vorgaben für ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; IDW, IDW-Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2000); IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, Corporate Finance, 12/2016, 467; IDW, IDW-Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008); Jonas, Unternehmensbewertung: Zur Anwendung der Discounted-Cash-flow-Methode in Deutschland, BFuP 1/1995, 83; Kruschwitz/Löffler, Discounted Cash Flow – A Theory of the Valuation of Firms, 2006; Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis – Fragen und Antworten, 2009; Kruschwitz/Löffler/Scholze, Zahlungsverpflichtungen, bilanzielle Schulden und DCF-Theorie, WPg 2010, 474; Miles/Ezzell, The Weighted Average Cost of Capital, Perfect Capital Markets, and Project Life. A Clarification, Journal of Financial and Quantitative Analysis, 3/1982, 719; Modigliani/Miller, The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment, American Economic Review 3/1958, 261; Modigliani/Miller, Corporate Income Taxes and the Cost of Capital: A Correction, American Economic Review 3/1963, 433; Schultze, Methoden der Unternehmensbewertung – Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Perspektiven, 2. Aufl. 2003; Wüstemann, BB-Rechtsprechungsreport Unternehmensbewertung 2014/15, BB 2015, 1643.

Dieser Abschnitt wurde unter Mitarbeit von Dr. Christian Deyerler erstellt.

I. Einleitung 10.1 Der gesamte zweite Abschnitt dieses Rechtshandbuchs beschäftigt sich mit verschiedenen Methoden, die zur Bewertung von Unternehmen verwendet werden können. In Rz. 2.44 ff. werden die in der betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie bedeutsamen Bewertungsansätze für Unternehmen als Einheit bereits überblickartig vorgestellt: das Ertragswertverfahren, die Discounted Cash Flow-Verfahren (DCF-Verfahren) sowie Multiplikatorenverfahren. Das Ertragswertverfahren wird in § 3 und alternative Bewertungsmethoden, wie die Multiplikatorenverfahren, werden in § 11 näher beleuchtet.

10.2 Zielsetzung dieses Beitrags ist es, die Besonderheiten der DCF-Verfahren in ihren verschiedenen Varianten darzustellen. Dazu zählen das Verfahren des angepassten Barwerts (Adjusted Present Value, APV) und das Verfahren der gewichteten Kapitalkosten (Weighted Average Cost of Capital, WACC), das sich wiederum in einen Free Cash Flow-Ansatz und eine Total Cash Flow-Ansatz unterscheiden lässt. Diese Verfahren lassen sich unter dem Begriff der Enti-

276

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Rz. 10.5 § 10

ty- oder Bruttoverfahren subsumieren. Zudem wird auf den Equity-Ansatz eingegangen, der in seiner Konzeption dem Ertragswertverfahren sehr ähnlich ist. Die verschiedenen DCF-Verfahren sind in der nachfolgenden Grafik zusammenfassend dargestellt.

Bevor auf die Funktionsweise der einzelnen DCF-Verfahren eingegangen wird, soll zunächst die Relevanz von DCF-Verfahren in der Rechtsprechung und für die Praxis der Unternehmensbewertung dargestellt werden.

10.3

II. Relevanz von DCF-Verfahren in der Rechtsprechung und der Praxis In der Regel finden sich in rechtlichen Normen, vor deren Hintergrund Unternehmensbewertungen erfolgen, keine konkreten Ausführungen zu den anzuwendenden Bewertungsverfahren. So trifft das Aktiengesetz für Zwecke der Abfindungsbemessung nach § 305 Abs. 1 AktG bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags oder nach § 327b AktG bei Ausschluss von Minderheitsaktionären keine klare Regelung, wie die gebotene „angemessene Barabfindung“ zu ermitteln ist. Auch im BGB fordert § 738 BGB bei Ausscheiden eines Gesellschafters den Wert des Gesellschaftsvermögens im Wege der Schätzung zu ermitteln, ohne jedoch eine spezifische Methode dafür festzulegen.1

10.4

Für gesellschaftsrechtliche Abfindungsfälle hat das BVerfG entschieden, dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG eine volle Entschädigung der zum Ausscheiden gezwungenen Aktionäre gebiete, doch in der Entscheidung offen gelassen, welche Bewertungsverfahren für die Ermittlung der vollen Entschädigung anzuwenden sind.2 Dabei ist zu beachten, dass das BVerfG ohnehin nur verfassungsrechtlich gebotene Mindestanforderungen festlegt, aber kein bestimmtes Bewertungskonzept vorgeben kann.3 In der Rechtsprechung deutscher Gerichte hat sich das Ertragswertverfahren (zum Ertragswertverfahren vgl. § 4) als anzuwendendes Bewer-

10.5

1 Vgl. Hüttemann, CF 12/2016, 467 (467). 2 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana – Rz. 37, AG 1999, 566. 3 Vgl. Hüttemann, WPg 2007, 812 (814).

Jonas/Wieland-Blöse 277

§ 10 Rz. 10.5

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

tungsverfahren etabliert.1 Das Ertragswertverfahren ist verfassungsrechtlich unbedenklich, ohne dass seine Anwendung von der Verfassung geboten wäre.2

10.6 Für die Wahl der Bewertungsmethode ist es für den BGH entscheidend, dass die gewählte Bewertungsmethode in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist. In diesem Zusammenhang wird vom BGH auch das DCFVerfahren genannt (vgl. dazu Rz. 13.18).3 Die beginnende Akzeptanz der DCF-Verfahren in der Rechtsprechung trägt der weiten Verbreitung der DCF-Verfahren in der (internationalen) Bewertungspraxis sowie deren Anerkennung in den berufsständischen Verlautbarungen Rechnung. Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat die DCF-Verfahren bereits im Jahr 2000 mit der Neufassung des IDW S 1 als gleichwertige Bewertungsverfahren neben dem Ertragswertverfahren anerkannt (vgl. dazu Rz. 3.33 ff.).4

10.7 Die Verbreitung der DCF-Verfahren in der Bewertungspraxis hat mehrere Gründe. Zum einen haben die DCF-Verfahren in der Transaktionspraxis den Vorteil einer höheren Transparenz der Wertbestandteile; dies wird bei den Entity-Ansätzen durch eine gesonderte Erfassung des Marktwerts der Schulden des zu bewertenden Unternehmens gewährleistet. Bei der Verwendung des APV-Ansatzes erhöht sich die Transparenz noch um den Aspekt, dass der Wertbeitrag der Steuervorteile aus der Fremdfinanzierung separat ermittelt wird. Zum anderen sind DCF-Verfahren international üblicher als das Ertragswertverfahren und finden insofern bei grenzüberschreitenden Transaktionen Berücksichtigung. Dem folgen auch die International Financial Reporting Standards (IFRS), so dass den DCF-Verfahren bei der Bestimmung von Fair Values nach IFRS 135 herausgehobene Bedeutung zu kommt.6

10.8 Vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung der DCF-Verfahren in der Bewertungspraxis und ihrer beginnenden Akzeptanz in der deutschen Rechtsprechung ist es Ziel dieses Beitrags, die grundsätzliche Funktionsweise der DCF-Verfahren darzustellen.

III. Funktionsweise von DCF-Verfahren 10.9 Wie der Name der Verfahren bereits aussagt, bestimmen die DCF-Verfahren den Unternehmenswert durch die Diskontierung (Discounting) von Cash Flows. Durch die Diskontierung wird die zeitliche Verteilung der Cash Flows berücksichtigt. Die DCF-Verfahren haben, wie das Ertragswertverfahren, ihre Wurzeln in der Investitionstheorie: Sie gehen davon aus, dass der Barwert der zukünftigen finanziellen Überschüsse (Cash Flows) den theoretisch richtigen Wert eines Unternehmens darstellt.

10.10 Die verschiedenen DCF-Verfahren unterscheiden sich dadurch, wie die bewertungsrelevanten Cash Flows abgegrenzt und die dazu korrespondierenden Kapitalisierungszinssätze abgeleitet werden. Es ist möglich die einzelnen DCF-Verfahren durch analytische Umformungen in1 Vgl. Wüstemann, BB 2015, 1643 (1644); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 301. 2 BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06 und 1 BvR 1280/06 – Rz. 26, AG 2007, 697; BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23, AG 2011, 511. 3 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14 – Rz. 33, AG 2016, 135. 4 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2000, Rz. 106. 5 IFRS 13, Bemessung des beizulegenden Zeitwerts, v. 12.5.2011; Änderungsverordnung (EU) Nr. 1255/2012 v. 11.12.2012, ABl. EU Nr. L 360 v. 29.12.2012, S. 78. 6 Vgl. IFRS 13, Rz. 61-62 i.V.m. Rz. B 12.

278

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Rz. 10.15 § 10

einander zu überführen. Ungeachtet der verschiedenen Herangehensweisen führen die einzelnen DCF-Verfahren also bei gleichen Bewertungsannahmen und modellkonsistenter Vorgehensweise zu identischen Ergebnissen.1 Für das APV-Verfahren und den WACC-Ansatz2 stellen die bewertungsrelevanten Cash Flows 10.11 die erwarteten Zahlungen an Eigen- und Fremdkapitalgeber dar, weshalb durch die Kapitalisierung dieser Cash Flows ein Gesamtvermögenswert (Entity-Wert, Bruttowert) ermittelt wird. Weil im Entity-Wert sowohl der Marktwert des Eigenkapitals als auch der des Fremdkapitals enthalten ist, werden diese Verfahren auch als Bruttoverfahren bezeichnet. Im Rahmen des Nettoverfahrens (Equity-Ansatz) wird der Wert des Eigenkapitals direkt ermittelt. Bewertungsrelevante Cash Flows sind dabei dann nur die Zahlungen an die Eigenkapitalgeber. Grundsätzlich entspricht der Equity-Ansatz der in Deutschland üblichen Ertragswertmethode.

10.12

Unabhängig davon, ob ein Unternehmen mit Hilfe eines Entity- oder Equity-Verfahrens bewertet wird, müssen Sachverhalte, die in den bewertungsrelevanten Cash Flows nicht oder nicht vollständig abgebildet sind, gesondert bewertet werden. Insbesondere kann es sich dabei um nicht betriebsnotwendiges Vermögen handeln.3 Die Bewertung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen ist jedoch kein spezifisches Problem eines DCF-Verfahrens und wird daher im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter thematisiert. Darauf wird in § 8 vertiefend eingegangen.

10.13

Die bewertungsrelevanten Cash Flows aus dem Unternehmen sind mit einem dazu korres- 10.14 pondierenden Kapitalisierungszinssatz zu einem Barwert zu diskontieren. Ein korrespondierender Kapitalisierungszinssatz ist ein Zinssatz, der die Rendite einer Alternativinvestition widerspiegelt, deren Zahlungsstrom im Hinblick auf die zeitliche Struktur, das Risiko und die Besteuerung als vergleichbar mit dem bewertungsrelevanten Cash Flow einzuschätzen ist, den die Anteile des zu bewertenden Unternehmens vermitteln.4 Je nachdem welcher Cash Flow diskontiert wird ist also ein dazu passender Kapitalisierungszinssatz zu verwenden. Das im Kapitalisierungszinssatz abgebildete Risiko der Eigenkapitalgeber enthält ein operati- 10.15 ves und ein Finanzierungsrisiko.5 Das operative Risiko wird durch die Unsicherheit der an die Eigenkapitalgeber fließenden erwarteten Cash Flows bestimmt, die durch die operative Tätigkeit der Gesellschaft auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten beeinflusst wird. Das Finanzierungsrisiko umfasst hingegen die Risiken, die entstehen, weil Fremdkapitalgeber (vertraglich) bevorzugten Zugriff auf die Cash Flows des Unternehmens besitzen und deshalb die Schwankungsbreite der an die Eigenkapitalgeber fließenden Cash Flows bei Verschuldung zunimmt. Das Finanzierungsrisiko wird durch den Verschuldungsgrad, also das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital, gemessen.6 Die DCF-Verfahren nehmen dabei Bezug auf die theoretischen Überlegungen von Modigliani/Miller zum Einfluss der Verschuldung auf den 1 2 3 4

Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 199. Zu den WACC-Ansätzen zählen der Free Cash Flow und der Total Cash Flow-Ansatz. Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 60. Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 114. In der Literatur werden noch weitere Kriterien genannt, die zur Wahrung der Konsistenz von Zähler und Nenner des Bewertungskalküls beachtet werden sollten, vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 89, oder auch Rz. 4.20 ff. 5 Vgl. Kruschwitz/Löffler, Discounted Cash Flow, S. 31. 6 Vgl. Schultze, Methoden der Unternehmensbewertung, S. 289. Fremdkapital und Eigenkapital sind dabei in Marktwerten definiert.

Jonas/Wieland-Blöse 279

§ 10 Rz. 10.15

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Unternehmenswert. Demnach erhöht sich das Risiko der Eigenkapitalgeber und somit deren Renditeforderung mit steigendem Verschuldungsgrad.

10.16 Die Berücksichtigung von Ertragsteuern auf Ebene der Anteilseigner, wie sie der IDW S 1 i.d.F. 2008 vorsieht, ist in der internationalen Bewertungspraxis eher unüblich. Gleichwohl ist es auch möglich, persönliche Ertragsteuern der Anteilseigner bei der Anwendung eines DCFVerfahrens zu berücksichtigen. Bei der folgenden Darstellung der Entity- und Equity-Verfahren wird auf die Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern verzichtet. Eine ausführliche Betrachtung der Berücksichtigung von Steuern in der Unternehmensbewertung findet sich in § 17. 1. Entity-Ansatz

10.17 Bei der Bewertung eines Unternehmens mit Hilfe eines Entity-Ansatzes wird in einem ersten Schritt mittels eines Barwertkalküls der Bruttowert des Unternehmens ermittelt. In einem zweiten Schritt wird von diesem Bruttowert der Marktwert des Fremdkapitals in Abzug gebracht, um zum Marktwert des Eigenkapitals zu gelangen: Marktwert des Eigenkapitals = Entity-Wert – Marktwert des Fremdkapitals

10.18 Der Entity-Wert des Unternehmens zeigt den Barwert der operativen Cash Flows an und ermöglicht so eine Einschätzung, ob mit dem operativen Geschäft – unabhängig von den Finanzierungsentscheidungen des Unternehmens – der Fremdkapitaldienst gedeckt werden kann.

10.19 Das Fremdkapital umfasst grundsätzlich alle verzinslichen Schulden des zu bewertenden Unternehmens, wie bspw. Bankschulden, Anleihen oder Pensionsrückstellungen. Um die Schulden des zu bewertenden Unternehmens zu ermitteln wird in der Bewertungspraxis regelmäßig auf die Nettoschulden abgestellt. Die Nettoschulden berücksichtigen neben den Schulden auch nicht betriebsnotwendige flüssige Mittel und Finanzanlagen des Bewertungsobjekts.1 Übersteigen die nicht betriebsnotwendigen flüssigen Mittel und Finanzanlagen die Schulden führt dies zu einer „positiven“ Nettoschuldenposition (= Nettofinanzposition).

10.20 In der Theorie der Unternehmensbewertung wird postuliert, den Wert des Fremdkapitals in Marktwerten zu definieren.2 Die Bewertung des Fremdkapitals zu Marktwerten setzt jedoch voraus, dass das Fremdkapital an Kapitalmärkten gehandelt wird oder geeignete Bewertungsmodelle vorhanden sind, um den Marktwert abzuleiten. Vor dem Hintergrund der mangelnden Verfügbarkeit von Marktwerten wird in der Bewertungspraxis häufig auf den Buchwert des Fremdkapitals zurückgegriffen, der jedoch vom Marktwert des Fremdkapitals abweichen kann. 1 Die nicht betriebsnotwendigen flüssigen Mittel und Finanzanlagen dürfen nur dann bei der Berechnung der Nettoschulden berücksichtigt werden, wenn sie im Rahmen der Bewertung nicht als Sonderwert behandelt werden (vgl. Rz. 10.13). Ansonsten würde eine Doppelzählung erfolgen. 2 Vgl. Kruschwitz/Löffler/Scholze, WPg 2010, 474 (477).

280

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Rz. 10.24 § 10

Mit Fremdkapital finanzierte Unternehmen haben gegenüber eigenfinanzierten Unternehmen den Vorteil, dass sie weniger Unternehmensteuern entrichten müssen, wenn Fremdkapitalzinsen – wie es im deutschen Steuerrecht der Fall ist – von der steuerlichen Bemessungsgrundlage ganz oder teilweise abgezogen werden können. Der Wertunterschied gegenüber einem eigenfinanzierten Unternehmen, der sich aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen ergibt, wird als Tax Shield bezeichnet. WACC-Ansatz und APV-Ansatz unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Art der Erfassung des Tax Shields im Bewertungskalkül.1 Der Wertbeitrag des Tax Shields wird beim WACC-Ansatz entweder durch die Berücksichtigung im Kapitalisierungszinssatz (Free Cash Flow-Ansatz) oder durch die Berücksichtigung im bewertungsrelevanten Cash Flow abgebildet (Total Cash Flow-Ansatz). Beim APV-Ansatz wird der Wert des Tax Shields als separate Wertkomponente zum Unternehmenswert addiert.

10.21

Die höhere Transparenz von Entity-Verfahren liegt also darin, dass zuerst ein Bruttowert berechnet wird, der den operativen Wert des Unternehmens abbildet. Durch die Gegenüberstellung des Entity-Werts mit dem Marktwert des Fremdkapitals wird dann unmittelbar deutlich, inwiefern der Wert des operativen Geschäfts des zu bewertenden Unternehmens den Marktwert des Fremdkapitals abdeckt. Dieser Befund ist bspw. für Unternehmen in der Krise (vgl. dazu Rz. 31.9) oder bei Transaktionen nützlich, bei denen die Höhe des Fremdkapitals gestaltbar ist und bis zum Transaktionsstichtag noch Veränderungen unterliegt.

10.22

a) WACC-Ansatz Durch seine weite Verbreitung in der Bewertungspraxis ist der WACC-Ansatz zum Synonym für die DCF-Verfahren geworden. Wie unter Rz. 10.17 erläutert, ergibt sich der Wert des Eigenkapitals bei den Entity-Verfahren als Differenz zwischen dem Entity-Wert und dem Marktwert des Fremdkapitals. Der WACC-Ansatz differenziert zwischen dem Free Cash Flow-Ansatz und dem Total Cash Flow-Ansatz,2 wobei letztgenannter in der Bewertungspraxis wenig verbreitet ist.3

10.23

aa) Free Cash Flow-Ansatz Bewertungsrelevanter Cash Flow zur Ermittlung des Entity-Werts ist der Free Cash Flow. Der 10.24 Free Cash Flow ist unabhängig von der Finanzierung des Unternehmens, weil Zahlungsbeziehungen mit den Fremdkapitalgebern (bspw. Fremdkapitalzinsen sowie Kreditaufnahmen und -tilgungen) und das Tax Shield bei seiner Berechnung unberücksichtigt bleiben. Ausgangspunkt für die Ableitung der Free Cash Flows ist das operative Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT). Vom EBIT sind die (fiktiven) Unternehmensteuern in Abzug zu bringen, die anfallen würden, wenn vom Unternehmen keine gewinnmindernden Fremdkapitalzinsen zu zahlen wären. Zu dem so ermittelten operativen Ergebnis nach (fiktiven) Steuern werden die Abschreibungen und andere zahlungsunwirksame Aufwendungen hinzuaddiert und zahlungsunwirksame Erträge subtrahiert. Zudem werden die Gesamtinvestitionen abgezogen bzw. Desinvestitionen addiert, um zum Free Cash Flow zu gelangen, wobei sich die Gesamtinvestitionen bzw. Desinvestitionen auf das Anlagevermögen und das betriebsnotwendige Kapital 1 Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A. Tz. 152. 2 Der Total Cash Flow-Ansatz wird auch als Capital Cash Flow-Ansatz bezeichnet, vgl. Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, S. 102. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 192; WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 124.

Jonas/Wieland-Blöse 281

§ 10 Rz. 10.24

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

(Working Capital) beziehen.1 Bei dieser indirekten2 Vorgehensweise ergeben sich die Free Cash Flows aus der Plan-Gewinn-und-Verlustrechnung wie folgt:3 – + – +/– +/–

EBIT (fiktive) Unternehmensteuern zahlungsunwirksame Aufwendungen zahlungsunwirksame Erträge Desinvestitionen/Investitionsauszahlungen Erhöhung/Verminderungen des Working Capitals

=

Free Cash Flow

10.25 Die Berechnung des Free Cash Flows kann anhand eines einfachen Beispiels verdeutlicht werden. Das Unternehmen erwirtschaftet ein EBIT von 100. Die nicht zahlungswirksamen Aufwendungen (wie bspw. die Abschreibungen) betragen 25, die nicht zahlungswirksamen Erträge 3. Das Unternehmen plant 17 in das Anlagevermögen zu investieren und es wird ein Investitionsbedarf für das Working Capital von 5 erwartet. Es wird ein Unternehmensteuersatz von 30 % unterstellt: Berechnung Free Cash Flow EBIT – (fiktive) Unternehmensteuern + zahlungsunwirksame Aufwendungen – zahlungsunwirksame Erträge – Investitionsauszahlungen – Erhöhung des Working Capitals = Free Cash Flow

100,0 30,0 25,0 3,0 17,0 5,0 70,0

10.26 Um den Wertbeitrag des Tax Shields zu erfassen, wird der Kapitalisierungszinssatz, der zur Diskontierung der Free Cash Flows verwendet wird, an die Kapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens angepasst. Beim Free Cash Flow-Ansatz wird also der rein operative Free Cash Flow des fiktiv unverschuldeten Unternehmens im Zähler von den durch die Kapitalstruktur des Unternehmens bedingten steuerlichen Effekten im Nenner des Bewertungskalküls getrennt.4

10.27 Die Berücksichtigung der durch die Kapitalstruktur bedingten Effekte erfolgt durch die Gewichtung der verschuldeten Eigenkapitalkosten (rvEK) und der Fremdkapitalkosten (rFK) mit dem Anteil des Eigenkapitals (EKQ) bzw. des Fremdkapitals (FKQ) am Entity-Wert. Die Eigenkapital- und die Fremdkapitalquote sind dabei wie folgt definiert: 1 Vgl. Jonas, BFuP 1995, 83 (86-87). 2 Indirekt ist die Berechnung des Free Cash Flows, weil nicht zahlungswirksame Aufwendungen und Erträge aus dem EBIT herausgerechnet werden. Alternativ könnte eine direkte Ermittlung erfolgen, bei der nur die zahlungswirksamen Erträge und Aufwendungen, d.h. die Einzahlungen und Auszahlungen des Unternehmens betrachtet werden. Vgl. zu einer direkten Ermittlung der Free Cash Flows bspw. Ballwieser/Hachmeister, S. 141. 3 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 127. 4 Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 143.

282

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Rz. 10.32 § 10

Der Term (1-s) repräsentiert dabei das Tax Shield, indem er die Fremdkapitalkosten auf ein Niveau nach Unternehmensteuern (s) vermindert. Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten (WACC) lassen sich für den Free Cash Flow-Ansatz wie folgt bestimmen:

Zur Ableitung der Eigenkapitalkosten eignen sich Kapitalmarktmodelle wie das Capital Asset Pricing Model (CAPM), weil eine marktgestützte Ermittlung vorgenommen werden kann. Die sich auf dem Kapitalmarkt bildenden Preise sind Resultate der Handlungen der Anleger. Wertpapierpreise reflektieren insoweit die Risikopräferenzen der Anleger, da sich diese bewusst und frei für den Kauf oder Verkauf bestimmter Wertpapiere entscheiden. Diese Marktbewertung der Risiken von Aktien durch rationale und risikoscheue Anleger wird durch das CAPM modelltheoretisch abgebildet und liefert somit zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten einen nachvollziehbaren, objektivierenden Erklärungskontext (vgl. zum CAPM Rz. 6.1).

10.28

Werden die Eigenkapitalkosten kapitalmarktorientiert abgeleitet, sollte auch das Finanzierungsrisiko mittels eines marktorientierten Modells erfasst werden.1 Ausgehend von den Eigenkapitalkosten eines unverschuldeten Unternehmens (ruEK) können die Eigenkapitalkosten eines verschuldeten Unternehmens (rvEK) für den Fall der ewigen Rente, unter Berücksichtigung des Verschuldungsgrades (VG), wie folgt berechnet werden. Der Verschuldungsgrad ist dabei als Verhältnis des Marktwerts des Fremdkapitals zum Marktwert des Eigenkapitals definiert.

10.29

Die Anpassung der Eigenkapitalkosten eines unverschuldeten Unternehmens um das Finanzierungsrisiko kann anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Dabei wird angenommen, dass die Eigenkapitalkosten eines unverschuldeten Unternehmens 7,30 % und die Fremdkapitalkosten 3,50 % betragen. Der Verschuldungsgrad belaufe sich auf 75,58 % (bei einem Fremdkapitalwert von 440 und Eigenkapitalwert von 582,2):

10.30

Die Fremdkapitalkosten errechnen sich als gewogener durchschnittlicher Fremdkapitalkostensatz der einzelnen Fremdkapitalformen. Bei nicht explizit verzinslichen Fremdkapitalformen ist ein Marktzins für fristenadäquate Kredite heranzuziehen.2 Eine feinere Untergliederung des Fremdkapitals und die Berücksichtigung der diesen innewohnenden unterschiedlichen Finanzierungskonditionen ist also problemlos möglich.3

10.31

Anhand eines konkreten Zahlenbeispiels lässt sich die Berechnung des WACC für den Free Cash Flow-Ansatz wie folgt darstellen. Dabei werden die in Rz. 10.30 abgeleiteten verschuldeten Eigenkapitalkosten von 10,17 %, Fremdkapitalkosten von 3,50 %, eine Eigenkapitalquote von 56,96 % (Eigenkapitalwert 582,2, Gesamtkapitalwert 1.022,2) und eine Fremdkapitalquote von 43,04 % (Fremdkapitalwert 440, Gesamtkapitalwert 1.022,2) angenommen. Der Unternehmenssteuersatz beträgt 30 %.

10.32

1 Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 343. 2 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 134. 3 Vgl. Jonas, BFuP 1995, 83 (88).

Jonas/Wieland-Blöse 283

§ 10 Rz. 10.32

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Dabei ist anzumerken, dass bei der Berechnung der Eigen- und Fremdkapitalquote ein Zirkularitätsproblem besteht: Die Berechnung der beiden Quoten setzt die Kenntnis des EntityWerts voraus, zu dessen Ermittlung wiederum die Kenntnis der Eigen- und Fremdkapitalquote notwendig ist. Das Problem kann jedoch in der praktischen Anwendung durch eine iterative Berechnung gelöst werden.1

10.33 Unter der Annahme eines unendlichen Rentenmodells kann der Entity-Wert unter Berücksichtigung des Free Cash Flows aus Rz. 10.25 und dem WACCFCF aus Rz. 10.32 wie folgt berechnet werden.

Wird von diesem Wert der Marktwert des Fremdkapitals i.H.v. 440 in Abzug gebracht, ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von 582,2. bb) TCF-Ansatz

10.34 Bewertungsrelevanter Cash Flow zur Ermittlung des Entity-Werts ist bei diesem Ansatz der Total Cash Flow (TCF). Dieser lässt sich ausgehend vom Free Cash Flow, wie er in Rz. 10.24 definiert ist, wie folgt ableiten: Free Cash Flow + Tax Shield = Total Cash Flow

10.35 Aus dem Berechnungsschema wird unmittelbar deutlich, dass der steuerliche Vorteil der Fremdfinanzierung, also das Tax Shield, bei der Berechnung des Total Cash Flows berücksichtigt wird. Der TCF-Ansatz vermengt mithin die Cash Flows eines eigenfinanzierten Unternehmens mit den steuerlichen Vorteilen eines fremdfinanzierten Unternehmens und trennt daher nicht konsequent zwischen dem operativen und dem finanziellen Bereich eines Unternehmens.2

10.36 Die Berechnung des Total Cash Flows kann ebenfalls anhand eines einfachen Beispiels verdeutlicht werden. Ausgangspunkt ist der Free Cash Flow, wie er in Rz. 10.25 berechnet wurde. Das Tax Shield ist die Differenz zwischen der Unternehmensteuerbelastung des verschuldeten Unternehmens und der des eigenfinanzierten Unternehmens. Es wird berechnet indem die Zinsbelastung des verschuldeten Unternehmens i.H.v. 15,40 mit dem Unternehmensteuersatz i.H.v. 30 % multipliziert wird. Die Zinsbelastung des verschuldeten Unternehmens i.H.v. 15,40 ergibt sich wiederum durch die Multiplikation des Fremdkapitalbestands i.H.v. 440 mit den Fremdkapitalkosten i.H.v. von 3,5 %.

1 Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 119. Das Problem der Zirkularität besteht im Übrigen bereits bei der Anpassung der unverschuldeten Eigenkapitalkosten um das Finanzierungsrisiko, da in der Formel in Rz. 10.30 der Verschuldungsgrad vom Bewertungsergebnis abhängig ist. 2 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 191.

284

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Berechnung Total Cash Flow Free Cash Flow + Tax Shield

70,0 4,6

= Total Cash Flow

74,6

Rz. 10.40 § 10

Da das Tax Shield bereits bei der Berechnung des Total Cash Flows berücksichtigt wird, darf keine erneute Berücksichtigung im Kapitalisierungszinssatz, also dem Nenner des Bewertungskalküls, erfolgen. Der Kapitalisierungszinssatz WACCTCF wird deshalb analog zum Free Cash Flow-Ansatz durch die Gewichtung der verschuldeten Eigenkapitalkosten (rvEK) und der Fremdkapitalkosten (rFK) mit dem Anteil des Eigenkapitals (EKQ) bzw. des Fremdkapitals (FKQ) am Entity-Wert bestimmt, jedoch unterbleibt die Kürzung der Fremdkapitalkosten um die Unternehmensteuern (1-s), wie sie in der WACC-Formel in Rz. 10.27 enthalten ist.

10.37

Anhand eines konkreten Zahlenbeispiels lässt sich die Berechnung des WACC für den Total Cash Flow-Ansatz wie folgt darstellen. Dabei werden die gleichen Annahmen getroffen wie bei der Ableitung des WACC im Free Cash Flow-Ansatz in Rz. 10.32.

10.38

Auch hier ist anzumerken, dass die in der WACC-Formel verwendeten Eigenkapitalkosten neben einer Prämie für das operative Risiko zusätzlich eine Prämie für das Finanzierungsrisiko des Unternehmens enthalten. Der WACCTCF entspricht den unverschuldeten Eigenkapitalkosten i.H.v. 7,30 %, da beide ausschließlich das operative Risiko des Cash Flows widerspiegeln.1 Auch im TCF-Ansatz besteht bei der Berechnung der Eigen- und Fremdkapitalquote ein Zirkularitätsproblem, das jedoch analog zum FCF-Ansatz durch eine iterative Berechnung gelöst werden kann. Unter der Annahme eines unendlichen Rentenmodells kann der Entity-Wert unter Berücksichtigung des Total Cash Flows aus Rz. 10.36 und dem WACCTCF aus Rz. 10.38 wie folgt berechnet werden:

10.39

Wird von diesem Wert der Marktwert des Fremdkapitals i.H.v. 440 in Abzug gebracht ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von 582,2. Sowohl der Entity-Wert als auch der Wert des Eigenkapitals entsprechen den Werten, wie sie mit dem Free Cash Flow-Ansatz ermittelt wurden. b) APV-Ansatz Durch den APV-Ansatz erfolgt im Vergleich zum DCF-Ansatz eine weitere Zerlegung des Un- 10.40 ternehmenswerts. Die erste Zerlegung betrifft – analog zum DCF-Ansatz – die getrennte Ermittlung des Entity-Werts und des Fremdkapitals. Innerhalb der Ableitung des Entity-Werts wird im APV-Ansatz die Transparenz noch dadurch erhöht, dass dieser im ersten Schritt bei fiktiver ausschließlicher Eigenfinanzierung des zu bewertenden Unternehmens ermittelt wird und im weiteren Schritt der Wert des Tax Shields separat berechnet und berücksichtigt wird. 1 Vgl. Modigliani/Miller, American Economic Review 3/1958, 261 (268).

Jonas/Wieland-Blöse 285

§ 10 Rz. 10.40

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Entity-Wert = Operativer Wert des fiktiv unverschuldeten Unternehmens + Wert des Tax Shields

10.41 Bewertungsrelevanter Cash Flow zur Ermittlung des operativen Werts des fiktiv unverschuldeten Unternehmens ist der Free Cash Flow, wie er in Rz. 10.24 definiert ist. Die Kapitalisierung der erwarteten Free Cash Flows erfolgt jedoch nicht wie beim WACC-Ansatz mit den gewichteten Kapitalkosten des Unternehmens, sondern mit den Eigenkapitalkosten des fiktiv unverschuldeten Unternehmens (ruEK). Das bedeutet, dass bei der Bemessung der Risikoprämie der Eigenkapitalgeber das Finanzierungsrisiko des zu bewertenden Unternehmens außer Acht bleibt.

10.42 Der Wert des Tax Shields wird durch die Kapitalisierung des Tax Shields berechnet. Diskutiert wird jedoch mit welchem Risiko das Tax Shield zu bewerten ist. Sind die künftigen Steuerersparnisse sicher, sind die zukünftigen Tax Shields ohne Risikozuschlag auf den Kapitalisierungszinssatz zu bewerten.1 Realistischer dürfte die Annahme sein, dass auch die künftigen finanzierungsbedingten Steuervorteile unsicher sind und damit das Tax Shield mit einem Risikozuschlag auf den Kapitalisierungszinssatz zu bewerten ist.2

10.43 Die Funktionsweise des APV-Ansatzes soll ebenfalls anhand eines kurzen Beispiels verdeutlich werden, das an die obigen Beispiele anknüpft. Der Free Cash Flow des zu bewertenden Unternehmens beträgt 70 (vgl. Rz. 10.25). Die Eigenkapitalkosten des fiktiv unverschuldeten Unternehmens betragen 7,30 %. Daraus ergibt sich der Wert des fiktiv unverschuldeten Unternehmens wie folgt:

10.44 Das jährliche erwartete Tax Shield betrage in einer unendlichen Betrachtung 4,6 (vgl. Rz. 10.36) und sei ebenso unsicher wie der Free Cash Flow. Daraus ergibt sich der Wertbeitrag des Tax Shields wie folgt:

1 Diese Annahme treffen Modigliani/Miller, American Economic Review 1963, 433 (436). Von sicheren Tax Shields kann eigentlich nur ausgegangen werden, wenn neben dem Fremdkapitalbestand auch der Steuersatz und der Fremdkapitalzinssatz über den gesamten Planungszeitraum als sicher bekannt anzusehen sind, vgl. Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis, S. 46. 2 Miles/Ezzell, Journal of Financial and Quantitative Analysis 1982, 719 (722), nehmen an, dass sich der Fremdkapitalbestand im Zeitablauf ändert und daher die Tax Shields dann nur noch in der jeweils folgenden Periode sicher und in allen folgenden Perioden unsicher sind. Harris/Pringle, Journal of Financial Research, 1985, 237 (240), treffen die vereinfachende Annahme, dass die Tax Shields in allen Perioden unsicher sind, weil eine einmalige Diskontierung ohne Risikozuschlag den Wert des Tax Shields nur leicht verändert.

286

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Rz. 10.49 § 10

Der Entity-Wert des Unternehmens ergibt sich, wie in Rz. 10.40 definiert, aus der Addition der beiden Größen:

10.45

Wird von diesem Wert der Marktwert des Fremdkapitals i.H.v. 440 in Abzug gebracht, ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von 582,2. Sowohl der Entity-Wert als auch der Wert des Eigenkapitals entsprechen den Werten, wie sie mit den beiden Free Cash Flow-Ansätzen ermittelt wurden. Wie aus dem Beispiel deutlich wird, liegt der Vorteil des APV-Ansatzes in der konsequenten Trennung des Werts des operativen Geschäfts von dem Wert, der durch die Finanzierungsentscheidungen des Unternehmens generiert wird. Dies gelingt dadurch, dass sowohl Zähler als auch Nenner des Bewertungskalküls von den Einflüssen der Fremdfinanzierung freigehalten werden und die Tax Shields als separater Wertbeitrag in das Kalkül einfließen. Durch diese getrennte Bewertung entsteht ein hohes Maß von Transparenz.1

10.46

2. Equity-Ansatz Bei der Anwendung des Equity-Ansatzes wird der Wert des Eigenkapitals unmittelbar durch die Diskontierung der an die Eigenkapitalgeber fließenden Cash Flows (Cash Flow to Equity) bestimmt. Der Equity-Ansatz entspricht daher konzeptionell dem Ertragswertverfahren.2

10.47

Bei der Berechnung des Cash Flows to Equity werden bereits die Zahlungsbeziehungen mit den Fremdkapitalgebern berücksichtigt (bspw. Fremdkapitalzinsen sowie Kreditaufnahmen und -tilgungen). Ausgehend vom Free Cash Flow, wie er in Rz. 10.24 formuliert ist, kann der Cash Flow to Equity wie folgt abgeleitet werden:3

10.48

+ – + –

Free Cash Flow Tax Shield Zinsen Kreditaufnahme Kredittilgung

= Cash Flow to Equity Die Berechnung des Cash Flows to Equity kann anhand eines einfachen Beispiels verdeutlicht werden. Ausgangspunkt ist der Free Cash Flow, wie er in Rz. 10.25 berechnet wurde. Das Tax Shield beträgt in einer unendlichen Betrachtung 4,6 (vgl. Rz. 10.36). Die Zinsbelastung für das Fremdkapital des Unternehmens beträgt 15,4, wobei keine Kredittilgungen und -aufnahmen angenommen werden. Berechnung Cash Flow to Equity Free Cash Flow + Tax Shield – Zinsen +/– Kreditaufnahme/Kredittilgung

70,0 4,6 15,4 0,0

=

59,2

Cash Flow to Equity

1 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 171. 2 Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 138. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 138.

Jonas/Wieland-Blöse 287

10.49

§ 10 Rz. 10.50

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

10.50 Die erwarteten Cash Flows to Equity sind mit adäquaten Kapitalisierungszinssätzen, die das Investitions- und das Finanzierungsrisiko widerspiegeln, zu diskontieren.1

10.51 Unter der Annahme eines unendlichen Rentenmodells kann der Wert des Eigenkapitals unter Berücksichtigung des Cash Flows to Equity aus Rz. 10.49 und den Eigenkapitalkosten aus Rz. 10.30 wie folgt berechnet werden:

IV. Abgrenzung zum Ertragswertverfahren 10.52 Die zunehmende Verbreitung der DCF-Verfahren in Deutschland hat zu einer breit angelegten Diskussion in der Literatur zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Ertragswertverfahrens mit den DCF-Verfahren geführt. Unterschiede wurden zunächst insbesondere darin gesehen, dass – die Ertragswertmethode auf Erfolgsgrößen der Gewinn- und Verlustrechnung aufbaut, während die DCF-Verfahren auf Cash Flows abstellen, – die Anwendung der Ertragswertmethode einer Ausschüttungsannahme bedarf, die DCFVerfahren jedoch nicht, – die DCF-Verfahren im Gegensatz zu dem Ertragswertverfahren auf dem CAPM aufbauen, – die DCF-Verfahren keine persönlichen Ertragsteuern berücksichtigen, das Ertragswertverfahren hingegen schon und – die DCF-Verfahren angeblich nur zufällig zu den gleichen Ergebnissen gelangen wie das Ertragswertverfahren.2 Diese Argumente sind heute wiederlegt und die Ertragswertmethode wird als deutsche Variante des Equity Ansatzes betrachtet.3

10.53 Es ist richtig, dass die Ertragswertmethode auf der Gewinn- und Verlustrechnung des zu bewertenden Unternehmens aufbaut. Die aus der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleiteten Jahresüberschüsse werden jedoch durch eine integrierte Finanzbedarf- und Steuerrechnung begleitet. Dadurch ist sichergestellt, dass die so bemessenen Zahlungen an die Eigenkapitalgeber unter Berücksichtigung der operativen Cash Flows, der anfallenden Unternehmensteuern und weiterer Finanzierungsmaßnahmen gedeckt sind.4

10.54 Die DCF-Verfahren sind nicht frei von Ausschüttungsannahmen. Soweit die Ausschüttungen von den erwarteten Cash Flows abweichen, treffen die DCF-Verfahren die Annahme, dass der nicht ausgeschüttete Teil des erwarteten Cash Flows kapitalwertneutral im Unternehmen angelegt wird. Vor diesem Hintergrund tritt die Forderung nach einer strengen Überprüfung der tatsächlichen Ausschüttbarkeit der finanziellen Überschüsse zunehmend in den Hinter-

1 2 3 4

Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 221. Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 200-201. Vgl. dazu auch Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 230-231. Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 131.

288

Jonas/Wieland-Blöse

Besonderheiten des DCF-Verfahrens

Rz. 10.58 § 10

grund, wobei es die DCF-Verfahren auch grundsätzlich zulassen, die tatsächlich entziehbaren Cash Flows unter der Berücksichtigung von Ausschüttungsannahmen zu definieren.1 Es ist richtig, dass die DCF-Verfahren bei der Ermittlung der Kapitalkosten regelmäßig auf dem CAPM aufbauen. Das bedeutet aber nicht, dass das CAPM der Ertragswertmethode fremd ist. Diese Wahrnehmung stammt noch aus den 1990er-Jahren als der Risikozuschlag nicht auf Basis von marktgestützten Modellen wie dem CAPM abgeleitet wurde, sondern durch eine der vielen Literatur- und Rechtsprechungsmeinungen begründet wurde, wobei sich die Höhe der Kapitalkosten häufig weniger nach der Qualität der Herleitungsmethode, sondern vielmehr nach dem Bewertungsergebnis gerichtet haben dürfte.2 Inzwischen hat sich bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen die Ableitung der Kapitalkosten auf Basis des CAPM oder des Tax CAPM etabliert (vgl. dazu Rz. 17.54 ff.).

10.55

Bei der Berechnung des Free Cash Flows, wie er in Rz. 10.24 dargestellt ist, wurden lediglich Unternehmensteuern berücksichtigt. Der Wert eines Unternehmens wird jedoch durch die Höhe der Nettozuflüsse an den Eigenkapitalgeber bestimmt, die er zu seiner freien Verfügung hat. Diese Nettozuflüsse sind unter der Berücksichtigung der inländischen und ausländischen Ertragsteuern des Unternehmens und grundsätzlich der aufgrund des Eigentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern zu ermitteln.3 Der Verzicht auf die Berücksichtigung von persönlichen Ertragssteuern hat an dieser Stelle rein pragmatische Gründe, da deren Berücksichtigung für die Darstellung der grundsätzlichen Funktionsweise der DCF-Verfahren keine Bedeutung hat. Persönliche Ertragsteuern können aber problemlos in die Berechnung einbezogen werden (vgl. Rz. 17.46 ff.).

10.56

Da die oben genannten Unterschiede tatsächlich nicht bestehen und DCF-Verfahren und Ertragswertverfahren auf den gleichen konzeptionellen Grundlagen beruhen, kommen die Verfahren auch bei gleichen Bewertungsannahmen bzw. -vereinfachungen, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung, zu identischen Unternehmenswerten.4 Beobachtet man in der Praxis unterschiedliche Unternehmenswerte aufgrund der beiden Verfahren, so ist dies regelmäßig auf unterschiedliche Annahmen – insbesondere hinsichtlich Zielkapitalstruktur, Risikozuschlag und sonstiger Plandaten – zurückzuführen.

10.57

V. Zusammenfassung DCF-Verfahren sind in der internationalen Bewertungspraxis üblich und haben auch in Deutschland weite Verbreitung und Anerkennung gefunden. In der jüngeren Rechtsprechung werden sie als zulässige Bewertungsverfahren akzeptiert.

1 2 3 4

Vgl. WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A Tz. 322. Vgl. Jonas, BFuP 1995, 83 (95-96). Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 28. Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 101. In Teilen der Literatur wird angemerkt, dass die Verfahren gar nicht zu gleichen Ergebnissen führen können, weil ihnen unterschiedliche Annahmen hinsichtlich der Finanzierungspolitik zugrunde liegen, vgl. dazu Kruschwitz/Löffler, Discounted Cash Flow, S. 97-98. Eine Überführung der Ergebnisse kann in der Praxis dennoch sinnvoll sein, selbst wenn das Bewertungsergebnis einer Methode nur durch eine andere Methode rekonstruiert wird, vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 202.

Jonas/Wieland-Blöse 289

10.58

§ 10 Rz. 10.59

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

10.59 Die Anwendung eines DCF-Verfahrens ist sinnvoll, wenn die Verschuldung des zu bewertenden Unternehmens von besonderer Relevanz ist. Das ist insbesondere in Übernahmesituationen und bei Unternehmen in Krisen der Fall.

10.60 Die DCF-Verfahren unterscheiden sich grundsätzlich dadurch, ob ein Gesamtvermögenswert (Entity-Value) oder der Wert des Eigenkapitals (Equity-Wert) ermittelt wird. Zudem wird der Wert des Tax Shields in den Bewertungskalkülen in unterschiedlicher Form abgebildet. Während das Tax Shield beim TCF-Ansatz und beim Equity-Ansatz im bewertungsrelevanten Cash Flow berücksichtigt wird, erfolgt die Abbildung des Steuervorteils beim Free Cash Flow-Verfahren im Kapitalisierungszinssatz und beim APV-Verfahren als separate Wertkomponente.

290

Jonas/Wieland-Blöse

§ 11 Alternative Bewertungsverfahren I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.1

II. Multiplikatorverfahren . . . . . . . . . . 1. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . a) Definition des Multiplikatorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematisierung der Multiplikatorverfahren . . . . . . . . . . . . . c) Differenzierung von Wert und Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleichbarkeit als grundlegende Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung einer Multiplikatorbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwendung von Eigen- oder Gesamtkapitalmultiplikatoren . . .

11.7 11.7 11.7

b) Abgrenzung des Marktpreises des Eigen- und des Gesamtkapitals . . 11.32 c) Festlegung einer geeigneten Bezugsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.44 d) Auswahl der Vergleichsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.54

11.13

III. Vereinfachtes Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.66

11.18

IV. Sonstige alternative Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Substanzwertverfahren . . . . . . . . . . . 2. Mittelwertverfahren . . . . . . . . . . . . . 3. Übergewinnverfahren . . . . . . . . . . . . 4. Stuttgarter Verfahren . . . . . . . . . . . .

11.22 11.27 11.27

11.75 11.75 11.80 11.84 11.89

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 11.93

Schrifttum: Adrian in Krolle/Schmitt/Schwetzler (Hrsg.), Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, 2005; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 463; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016; Bausch, Die Multiplikator-Methode, FB 2000, 448; Benninga/Sarig, Corporate Finance, 1997; Böcking/Nowak, Marktorientierte Unternehmensbewertung, FB 1999, 169; Buffet, Berkshire Hathaway Shareholder Letter 2008, abrufbar unter: http://www.berkshirehathaway.com/letters/ 2008ltr.pdf, Stand: 1.4.2019; Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 2.1.2014 – IV D 4 - S 3102/07/0001: Basiszins für das vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 203 Abs. 2 BewG; Coenenberg/Schultze, Das Multiplikator-Verfahren in der Unternehmensbewertung, FB 2002, 697; Creutzmann, Unternehmensbewertung im Steuerrecht – Neuregelungen des Bewertungsgesetzes ab 1.1.2009, DB 2008, 2784; Damodaran, The Dark Side of Valuation, 3. Aufl. 2018; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016; Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen – Ein Praxisleitfaden, 6. Aufl. 2017; Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014; Franken/Schulte/Brunner in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Hannes in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Hasler, Aktien richtig bewerten, 2011; Henselmann in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271; IDW (Hrsg.), IDW S 8, FN-IDW 2011, 151; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Löhnert/Böckmann in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Lorenz, Unternehmensbewertung im Erbschaftssteuerrecht, 2015; Krolle in Krolle/Schmitt/ Schwetzler, Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, 2005; Mandl/Rabel in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Modigliani/Miller, The Cost of Capital, Coporation Finance and the Theory of Investment, AER 1958, 261; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Oberste Finanzbehörden der Länder, Erlass vom 17.05.2011, BStBl 2011 I S. 606, abrufbar unter: https://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/ 413437/, Stand: 1.4.2019; Peemöller/Meister/Beckmann, Der Multiplikatoransatz als eigenständiges Verfahren in der Unternehmensbewertung, FB 2002, 197; Schacht/Fackler in Schacht/Fackler (Hrsg.), Praxishandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2009; Schreiner, Equity Valuation Using Multiples, 2007; Stephan in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG; Wagner in Barthel (Hrsg.),

Franken/Schulte

291

§ 11 Rz. 11.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Handbuch der Unternehmensbewertung, 2000; Wagner in Krolle/Schmitt/Schwetzler (Hrsg.), Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, 2005.

Dieser Abschnitt wurde unter Mitarbeit von Dr. Alexander Brunner erstellt.

I. Einführung 11.1 Die im Rahmen dieses Beitrags behandelten alternativen Bewertungsverfahren umfassen in der Praxis gängige Bewertungsverfahren, die nicht den Zukunftserfolgsverfahren (Ertragswert- und DCF-Verfahren) zuzuordnen sind (vgl. zu einer Diskussion des Ertragswertverfahrens § 4). Die mögliche Eignung des Börsenkurses sowie der Vorerwerbspreise als Indikation für den Unternehmenswert des Bewertungsobjekts wird nicht thematisiert, da der Börsenkurs (vgl. § 18) bzw. Vorerwerbspreise (vgl. § 19) als Wertmaßstab jeweils in einem eigenen Beitrag dieses Rechtshandbuchs thematisiert werden. Entsprechend stehen die nachfolgend aufgeführten alternativen Bewertungsverfahren im Mittelpunkt dieses Beitrags: – Multiplikatorverfahren (Rz. 11.7 ff.), – vereinfachtes Ertragswertverfahren (Rz. 11.66 ff.), – sonstige alternative Bewertungsverfahren (Substanzwertverfahren, Mittelwertverfahren, Übergewinnverfahren, Stuttgarter Verfahren) (Rz. 11.75 ff.).

11.2 Dabei ist es Ziel des Beitrags, die diversen alternativen Bewertungsverfahren überblicksartig darzustellen und dem Bewerter die Bandbreite der Alternativen zum klassischen Ertragswertbzw. DCF-Verfahren aufzuzeigen. Insbesondere wird auch jeweils die Relevanz bzw. der Stellenwert der betrachteten Verfahren in der derzeitigen Unternehmensbewertungspraxis diskutiert. Für tiefergehende Analysen der einzelnen Verfahren finden sich entsprechende einschlägige Literaturverweise.

11.3 Die Multiplikatorverfahren (Rz. 11.7 ff.) nehmen im Rahmen einer Unternehmensbewertung nach IDW S 1 i.d.F. 2008 eine nachrangige Stellung ein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der über die Multiplikatormethode ermittelte „Wert“ weder einen subjektiven Grenzpreis und somit keinen subjektiven Entscheidungswert repräsentiert noch einen aus Sicht eines typisierten Investors objektivierten Unternehmenswert im Sinne des IDW S 1 i.d.F. 2008 darstellt. Gleichwohl können „[v]ereinfachte Preisfindungen (z.B. Ergebnismultiplikatoren, umsatz- oder produktmengenorientierte Multiplikatoren) […] im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Plausibilitätskontrolle der Ergebnisse der Bewertung nach dem Ertragswertverfahren bzw. nach den DCF-Verfahren bieten“1. Im Rahmen der Erstellung einer Fairness Opinion nach IDW S 8, bei der keine Unternehmensbewertung, sondern die Beurteilung der Angemessenheit eines Transaktionspreises im Fokus steht, wird den Multiplikatorverfahren hingegen ein höherer Stellenwert beigemessen. Sie werden gegenüber den kapitalwertorientierten Verfahren als grundsätzlich gleichrangig angesehen.2

11.4 Das vereinfachte Ertragswertverfahren (Rz. 11.66 ff.) wurde im Zuge des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 eingeführt. Seitdem besitzt diese Methode v.a. bei der steuerlichen Wertermittlung von nicht öffentlich gehandelten Gesellschaftsanteilen in Erbschaftsteuer- und Schenkungsfällen eine hohe Praxisrelevanz. 1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, Tz. 143. 2 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 8, FN-IDW 2011, Tz. 6.

292

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.8 § 11

Die Anwendungsgebiete der sonstigen alternativen Bewertungsverfahren (Rz. 11.75 ff.) sind weniger stark ausgeprägt. So wird auf das Substanzwertverfahren (Rz. 11.75 ff.) bspw. bei der Ermittlung des Werts von „Non-Profit-Unternehmen“, insbesondere auch Unternehmen der Daseinsvorsorge zurückgegriffen, soweit eine Bewertung aus Sicht der öffentlichen Hand oder eines gemeinnützigen Trägers erfolgt.1 Während das Mittelwertverfahren (Rz. 11.80 ff.) nur noch selten Anwendung findet, wird das Übergewinnverfahren (Rz. 11.84 ff.) noch bei der Bewertung einzelner freiberuflicher Wirtschaftsbetriebe bestimmter Berufsgruppen wie bspw. Arztpraxen angewendet. Auch die Anwendungsmöglichkeiten des Stuttgarter Verfahrens (Rz. 11.89 ff.), welches früher im Rahmen von steuerlichen Bewertungsanlässen eine breite Anwendung fand, sind durch das Erbschaftsteuerreformgesetz und die damit verbundene Einführung des vereinfachten Ertragswertverfahrens (Rz. 11.4) stark eingeschränkt worden.

11.5

Einstweilen frei.

11.6

II. Multiplikatorverfahren 1. Theoretische Grundlagen a) Definition des Multiplikatorverfahrens Bei den kapitalwertorientierten Verfahren (DCF- sowie Ertragswertverfahren) wird der Wert eines Unternehmens anhand seiner erwarteten Cash Flows, seiner Risikostruktur und seiner Wachstumsaussichten bestimmt.2 Bei marktpreisorientierten Verfahren, worunter die Multiplikatorverfahren zu fassen sind, wird der Wert eines Unternehmens über Preise ermittelt, die für ähnliche Unternehmen am Markt bezahlt werden. Somit soll das aggregierte Wissen der Marktteilnehmer, das sich in den Marktpreisen widerspiegelt, auf ein Bewertungsobjekt übertragen werden.3

11.7

Die Multiplikatorbewertung selbst setzt sich aus drei wesentlichen Schritten zusammen:4 Es müssen zunächst ähnliche Unternehmen identifiziert werden, aus denen die Vergleichspreise abgeleitet werden (Schritt 1). Ferner müssen die ermittelten Preise über eine Bezugsgröße standardisiert werden, anhand derer die Preise auf das Bewertungsobjekt übertragen werden können (Schritt 2). Schließlich müssen die standardisierten Preise der identifizierten Vergleichsunternehmen zu einem einzelnen Multiplikator oder einer Bandbreite von Multiplikatoren aggregiert werden; anhand dieser Aggregate kann dann der Wert des oder eine Wertspanne für das Bewertungsobjekt bestimmt werden (Schritt 3). Die Bewertung erfolgt schließlich durch Multiplikation der Bezugsgröße des Bewertungsobjekts mit dem Multiplikator:

11.8

1 Vgl. für eine Darstellung der Besonderheiten bei der Bewertung öffentlicher Unternehmen Franken/ Schulte/Brunner in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1029 ff. 2 Vgl. für eine ausführlichere Darstellung der Multiplikatorverfahren bspw. Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, S. 156–296. 3 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 419. 4 Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 251.

Franken/Schulte

293

§ 11 Rz. 11.9

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

11.9 Die Identifikation geeigneter Vergleichsunternehmen stellt eine große Herausforderung für den Bewerter dar. Das Zitat von Moxter „[b]ewerten heißt vergleichen“1 spielt auch bei der Multiplikatorbewertung eine entscheidende Rolle: Aufgrund der zumeist verwendeten eindimensionalen Multiplikatoren müssen alle wertrelevanten Eigenschaften des Bewertungsobjekts, die nicht explizit über die Bezugsgröße im Multiplikator und somit in der Standardisierung erfasst werden, bei Bewertungsobjekt und Vergleichsunternehmen übereinstimmen. Anderenfalls würden systematisch Bewertungsfehler in Kauf genommen.

11.10 Bei der Standardisierung der Marktpreise der Vergleichsunternehmen muss eine geeignete Bezugsgröße gewählt werden. Diese Größe ist grundsätzlich das einzige wertrelevante Element, in dem sich Vergleichsunternehmen und Bewertungsobjekt unterscheiden dürfen. Dabei wird ein linearer Zusammenhang zwischen Wert und Bezugsgröße unterstellt.2 Über die Standardisierung soll eine sinnvolle Basis ermittelt werden, anhand derer eine Übertragung des Wertes bzw. Preises auf ein anderes Unternehmen vorgenommen werden kann.3

11.11 Die Multiplikatoren der Vergleichsunternehmen werden als standardisierte Marktpreise ermittelt. Im Anschluss daran kann die Vielzahl der einzelnen Multiplikatorwerte bspw. über eine Durchschnittsbildung zu einem einzigen Wert verdichtet werden. Durch Multiplikation dieses verdichteten Multiplikators mit der entsprechenden Bezugsgröße des Bewertungsobjekts ergibt sich schließlich der hypothetische Wert des Bewertungsobjekts.

11.12 Auch wenn dieses Vorgehen zunächst einfach und intuitiv erscheint, besteht die wesentliche Herausforderung bei der Anwendung des Multiplikatorverfahrens darin, die einzelnen Schritte im Rahmen der Wertermittlung sinnvoll zu gestalten und miteinander zu verknüpfen. Nur dann kommt dem ermittelten Wert eine belastbare Aussagekraft zu. b) Systematisierung der Multiplikatorverfahren

11.13 In der praktischen Anwendung existiert eine Vielzahl von Multiplikatoren, die für Bewertungszwecke herangezogen werden. Grundsätzlich lassen sich sämtliche Multiplikatoren anhand einer einfachen Systematik kategorisieren, die sich anhand der Multiplikatordefinition illustrieren lässt:

11.14 Im Zähler des Multiplikators ist der jeweilige Marktpreis des Vergleichsunternehmens, im Nenner ist der Wert der Bezugsgröße für das jeweilige Vergleichsunternehmen dargestellt. Folglich lassen sich die Multiplikatoren anhand der „Art“ der Zähler- und Nennergröße systematisieren.

11.15 Der Zähler eines Multiplikators wird danach unterschieden, ob der Marktpreis aus Sicht der Eigenkapitalgeber (Marktpreis des Eigenkapitals) oder aus Sicht von Eigenkapitalgebern und Fremdkapitalgebern (Marktpreis des Gesamtkapitals) erhoben wird. Dabei entspricht der Marktpreis des Gesamtkapitals der Summe aus Marktpreis des Eigenkapitals und Marktpreis des Fremdkapitals.4 1 2 3 4

Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1983, S. 123. Vgl. Bausch, FB 2000, 448 (451). Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 253. Vgl. hierzu IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt G, Rz. 13 ff.

294

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.20 § 11

Die Marktpreise bzw. die einzelnen Bestandteile müssen entsprechend der Zählerdefinition 11.16 ermittelt werden. Der Preis des Fremdkapitals wird in der Praxis regelmäßig vereinfachend direkt aus den entsprechenden Größen des Rechnungswesens („Buchwert des Fremdkapitals“) übernommen. Der Preis des Eigenkapitals kann grundsätzlich auf drei unterschiedliche Arten erhoben werden:1 Bei der Similar Public Company Method wird auf die an der Börse gezahlten Marktpreise für Anteile an vergleichbaren börsennotierten Unternehmen (trading comparables) abgestellt, während bei der Recent Acquisition Method der Kaufpreis für erfolgte Übernahmen von Anteilen an vergleichbaren Unternehmen (transaction comparables) herangezogen wird. Bei der Initial Public Offering Method werden hingegen die Platzierungspreise von Neuemissionen verwendet. Im Nenner des Multiplikators ist die Bezugsgröße abgebildet, anhand derer die Standardisierung der jeweiligen Preise erfolgt. Diese kann finanzieller oder nicht finanzieller Natur sein. Mithin kann es sich sowohl um Größen aus dem Rechnungswesen als auch um physische Größen handeln. Physische Größen wie die Anzahl der Kunden oder der Mitarbeiter stehen meist in Verbindung mit den Zahlungsströmen, die allen Kapitalgebern zustehen. Bei finanziellen Bezugsgrößen ist hingegen genau darauf zu achten, dass die Bezugsgröße konsistent zu den im Zähler gewählten Kapitalien des Unternehmens gewählt wird: Steht im Zähler der Preis des Gesamtunternehmens, ist auch als Bezugsgröße eine Größe zu wählen, die einen Zusammenhang zu den Ansprüchen von Eigen- und Fremdkapitalgebern hat. Wenn der Wert des Gesamtunternehmens bestimmt wird, sollte folglich auf ein Ergebnis vor Zinsen (und Steuern) abgestellt werden. Falls der Wert des Unternehmens ausschließlich aus Sicht der Eigenkapitalgeber ermittelt werden soll, ist hingegen ein Ergebnis nach Abzug von Zinsen zugrunde zu legen.

11.17

c) Differenzierung von Wert und Preis Auch wenn Multiplikatorverfahren oft als Bewertungsverfahren bezeichnet werden, stellen diese konzeptionell eher Preisfindungsverfahren dar. Die Multiplikatorbewertung zielt nicht auf die Ermittlung subjektiver Grenzpreise ab. Vielmehr soll die Einschätzung des Marktes über für vergleichbare Unternehmen erzielbare Preise dazu genutzt werden, eine Abschätzung über den für das Bewertungsobjekt am Markt erzielbaren Preis – den Marktpreis – zu gewinnen. Ein Grenzpreis stellt hingegen aus Sicht des Käufers bzw. Verkäufers eines Unternehmens jeweils den Preis dar, den beide Parteien gerade noch bezahlen können bzw. mindestens verlangen müssen, um durch die Transaktion keine Verschlechterung ihrer Vermögenssituation zu erfahren.2

11.18

Der Grenzpreis bildet die Grundlage für die Entscheidung über den Kauf oder Verkauf eines Unternehmens und wird folglich auch als Entscheidungswert bezeichnet. Dabei ist der Grenzpreis stets subjektiv geprägt, da der Entscheidungswert eines Käufers oder Verkäufers von dessen persönlichen Eigenschaften (Risikoneigung, Diversifikationsmöglichkeiten, Steuerbelastung, Finanzierungsmöglichkeiten, Managementqualität, Synergiepotential mit anderen Vermögenspositionen, …) abhängt.

11.19

Marktwerte bzw. Marktpreise stimmen in der Regel nicht mit den subjektiven Grenzpreisen überein, da diese den individuellen Charakteristiken der Akteure keine Rechnung tra-

11.20

1 Vgl. Wagner in Krolle/Schmitt/Schwetzler, Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, S. 6 f. 2 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 8.

Franken/Schulte

295

§ 11 Rz. 11.20

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

gen.1 Sie werden am Markt über Angebot und Nachfrage und somit als Aggregat individueller Grenzpreise bestimmt. Ein am Markt zustande gekommener Preis liegt dabei jeweils über bzw. auf dem Grenzpreis des Verkäufers und unter bzw. auf dem Grenzpreis des Käufers des jeweiligen Transaktionsobjekts.

11.21 Multiplikatoren werden anhand von tatsächlichen Einigungen am Markt abgeleitet und zeigen eine Bandbreite von erzielten, anhand einer Bezugsgröße standardisierten, (Markt-)Preisen auf. Sie lassen nur bedingt Rückschluss auf die entsprechenden Grenzpreise zu. Das Warren Buffet zugeschriebene Zitat „Price is what you pay; value is what you get.“2 veranschaulicht die Differenzierung von Wert und Preis. d) Vergleichbarkeit als grundlegende Voraussetzung

11.22 Die intuitive Anwendung und die leichte Kommunizierbarkeit einer Multiplikatorbewertung sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sorgsames Arbeiten notwendig ist, um mittels einer Multiplikatorbewertung belastbare Ergebnisse zu generieren.

11.23 Anhand der vorgestellten Systematisierung (s. Rz. 11.13 ff.) der unterschiedlichen Multiplikatoren auf Basis von Zähler- und Nennergrößen ist zu erkennen, dass potentiell eine sehr große Anzahl an Varianten von Multiplikatoren existiert. Technisch ist ein Multiplikator eine Verhältniszahl, die beliebig definiert werden kann. Der Preis des Eigenkapitals oder des Gesamtunternehmens kann in Relation zu allen erdenklichen Größen gesetzt werden. So kann der Unternehmenswert eines Eisenbahnunternehmens in Relation zur Anzahl der Passagiere, zur Länge des Schienennetzes, zur Anzahl der Züge, der Schaffner oder der angefahrenen Bahnhöfe gesetzt werden. All diese Beispiele können als grundsätzlich sinnvolle ökonomische Relationen aufgefasst werden, da für sie zumindest auf Basis einer Vielzahl von impliziten Annahmen ein Einfluss auf die wertrelevanten Cash Flows konstruiert werden kann. Darüber hinaus ließe sich auch eine Vielzahl an nicht sachgerechten Verhältniszahlen bilden, was die Anzahl der Möglichkeiten weiter erhöhen würde. Die Herausforderung besteht nicht nur darin, ökonomisch grundsätzlich nicht sinnvolle Multiplikatoren auszuschließen, sondern unter den grundsätzlich sachgerechten Multiplikatoren den im konkreten Fall besten Multiplikator auszuwählen.

11.24 Da die Bewertungsergebnisse je nach Wahl von Zähler- und Nennergröße aufgrund abweichender impliziter Prämissen deutlich voneinander abweichen können, wird hier einer der wesentlichen Kritikpunkte an Multiplikatorverfahren festgemacht. Allein durch die Wahl bzw. Definition eines Multiplikators kann eine bereits vorgefertigte Überzeugung oder Argumentationslinie gestützt werden.3

11.25 Die dem ersten Anschein nach komplizierteren kapitalwertorientierten Verfahren „zwingen“ den Anwender, seine Annahmen explizit darzulegen. In Folge dessen können fragliche Prämissensetzungen sowohl durch den Bewerter als auch durch einen Dritten anhand der Rechnung und der expliziten Darstellung der Parameter leichter identifiziert werden. Bei der Multiplikatorbewertung werden hingegen viele der Annahmen implizit getroffen. Die 1 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1983, S. 132 sowie Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 87. 2 Vgl. Buffet, Berkshire Hathaway Shareholder Letter 2013, abrufbar unter: http://www.berkshire hathaway.com/letters/2013ltr.pdf, Stand: 25.4.2019, S. 21. 3 Vgl. Hasler, Aktien richtig bewerten, S. 286.

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Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.29 § 11

für eine Beurteilung, ob ein Multiplikator sachgerecht ist, notwendigen Informationen können dem „Rechenweg“ nicht entnommen werden. Eine Plausibilisierung ist daher nur schwierig anzustellen. Entsprechend sollte eine Multiplikatorbewertung gut dokumentiert werden: Die der tatsächlichen Multiplikatorbewertung vorgelagerten Entscheidungen sind transparent darzulegen und zu begründen. Um eine tatsächliche Vergleichbarkeit von Vergleichsunternehmen und Bewertungsobjekt durch Auswahl der entsprechenden Unternehmen und die Standardisierung im Rahmen der Multiplikatorbildung zu erreichen und somit eine konsistente Wertermittlung vornehmen zu können, müssen die impliziten Annahmen zunächst identifiziert und kritisch hinterfragt werden. Nur dann können die Multiplikatoren richtig interpretiert werden. Wenn ein Unternehmen etwa einen relativ niedrigen Multiplikator aufweist, muss dies nicht unbedingt bedeuten, dass es unterbewertet ist. Vielmehr kann der vergleichsweise niedrige Multiplikator auch ein Anzeichen dafür sein, dass Unterschiede zu anderen Vergleichsunternehmen auf Differenzen hinsichtlich der erwarteten Cash Flows, des Wachstums der Cash Flows oder der Kapitalkosten entsprechend des (systematischen) Risikos der Cash Flows beruhen. Mithin kann eine ungenügende Vergleichbarkeit des betrachteten Unternehmens gegeben sein.1

11.26

2. Durchführung einer Multiplikatorbewertung a) Verwendung von Eigen- oder Gesamtkapitalmultiplikatoren Die Multiplikatoren der Vergleichsunternehmen können auf Basis des Eigenkapitalpreises oder auf Basis des Gesamtkapitalpreises (Summe von Eigen- und Fremdkapitalpreis) erhoben werden (s. Rz. 11.15 f.). Man spricht entsprechend von Eigen- bzw. von Gesamtkapitalmultiplikatoren.

11.27

Als wesentlicher Kritikpunkt an der Verwendung von Eigenkapitalmultiplikatoren (Equity Multiples) wird in der Literatur vorgebracht, dass diese abhängig von der Finanzierungsstruktur des jeweiligen Unternehmens sind.2 So ist bspw. der Gewinnmultiplikator – auch Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) genannt –, der sich als Quotient aus dem Marktwert des Eigenkapitals und dem Jahresüberschuss errechnet, theoretisch eine Funktion des Verschuldungsgrads. Daher haben die jeweiligen Verschuldungsgrade der Vergleichsunternehmen Einfluss auf deren Gewinnmultiplikatoren. In einem solchen Fall wäre das durchschnittliche KGV der Vergleichsunternehmen etwa nur belastbar, wenn das zu bewertende Unternehmen eine Kapitalstruktur aufweist, die dem durchschnittlichen KGV der Vergleichsunternehmen zugrunde liegt.

11.28

Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur überwiegend empfohlen, auf Gesamtkapital- 11.29 multiplikatoren (Entity Multiples) abzustellen, da der Unternehmenswert als Summe von Eigenkapital und Fremdkapital unter gewissen Annahmen nach dem ersten Irrelevanz-Theorem von Modigliani/Miller3 nicht von der Finanzierungsstruktur abhängig ist. Da in der Realität durchgängig diskriminierende Steuersysteme vorzufinden sind, in denen aus der Fremdfinanzierung ein Steuervorteil erwächst (tax shield), ist die entsprechende Irrelevanz indes faktisch nicht gegeben. Die Verwendung eines Gesamtkapitalmultiplikators ist dennoch der Verwendung eines Eigenkapitalmultiplikators vorzuziehen, da der Einfluss der Verschul1 Vgl. Wagner in Barthel, Handbuch der Unternehmensbewertung, S. 5. 2 Vgl. Coenenberg/Schultze, FB 2002, 697 (700-702). 3 Vgl. Modigliani/Miller, The Cost of Capital, Coporation Finance and the Theory of Investment, 261 ff.

Franken/Schulte

297

§ 11 Rz. 11.29

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

dungsstruktur bei letzteren tendenziell größer ausfällt. Wenn der Bewerter trotzdem Eigenkapitalmultiplikatoren verwendet, sollte er stets den Verschuldungsgrad1 der Vergleichsunternehmen dem des Bewertungsobjekts vergleichend gegenüberstellen.

11.30 Gegen die Verwendung von Eigenkapitalmultiplikatoren wird in der Literatur des Weiteren vorgebracht, dass diese, insbesondere auch das KGV, auf buchhalterischen Größen fußen. Gerade in diesen können auch nicht-betriebliche Erträge und Aufwendungen berücksichtigt sein, die sich regelmäßig zwischen Unternehmen unterscheiden und somit die Vergleichbarkeit mindern. Der Gewinn ist zudem stark von Rechnungslegungsvorschriften und der Ausübung von Wahlrechten geprägt, was die Vergleichbarkeit weiter einschränkt.2 Je weiter sich die Bezugsgröße vom Umsatz Richtung Gewinn „entfernt“, desto größer ist auch der Einfluss der Rechnungslegungsstandards. Da Eigenkapitalmultiplikatoren bei einer konsistenten Definition relativ „gewinnnah“ definiert sind, ist dort der Einfluss der Rechnungslegung tendenziell größer als bei Gesamtkapitalmultiplikatoren, die i.d.R. relativ „gewinnferne“ Bezugsgrößen aufweisen.

11.31 Bei den Gesamtkapitalmultiplikatoren werden weniger grundsätzliche Einwände vorgebracht. Entsprechend verlagern sich die Probleme bei diesen Multiplikatoren auf die konkrete Wahl der Bezugsgröße. So ist bspw. das EBIT als Bezugsgröße nicht angebracht, wenn die Vergleichsunternehmen unterschiedliche Abschreibungsmethoden anwenden und sich in unterschiedlichen Investitionsphasen befinden.3 In einem solchen Fall könnte auf das Ergebnis vor Abschreibungen abgestellt werden. Aber auch das EBITDA entspricht nicht den Zahlungsmittelüberschüssen (Free Cash Flow), die bei den entsprechenden Zukunftserfolgswertverfahren diskontiert werden. So finden im EBITDA insbesondere der fiktive Ertragssteueraufwand, die Investitionsausgaben sowie die Bewegungen im Net Working Capital keine Berücksichtigung. Dies ist im Rahmen einer Multiplikatorbewertung insbesondere dann problematisch, wenn Unternehmen mit unterschiedlichen Kapitalintensitäten berücksichtigt werden, da der Kapitalbedarf nicht explizit in das Kalkül eingeht, sondern annahmegemäß gleich ist. b) Abgrenzung des Marktpreises des Eigen- und des Gesamtkapitals

11.32 Bei der Ermittlung von Multiplikatoren stellt die Abgrenzung des Marktpreises des Eigenkapitals einen wichtigen Analyseschritt dar. Hierbei kann auf drei Methodenansätze zurückgegriffen werden (s. Rz. 11.15 f.): Während die Similar Public Company Method auf die Ermittlung der Marktpreise von vergleichbaren börsennotierten Unternehmen (sog. Trading Multiples) abstellt, wird bei der Recent Acquisition Method der Kaufpreis für erfolgte Übernahmen von vergleichbaren Unternehmen (sog. Transaction Multiples) zur Rate gezogen. Die Bestimmung des Eigenkapital-Marktpreises unter Zuhilfenahme der Platzierungspreise von Neuemissionen steht bei der Initial Public Offering Method im Fokus. Nachfolgend werden die in der Praxis überwiegend verwendeten Trading Multiples und die Transaction Multiples näher erläutert.

1 In diesem Zusammenhang wird der Verschuldungsgrad aus Marktwerten und nicht aus der Relation von buchhalterischen Werten abgeleitet. 2 Vgl. Benninga/Sarig, Corporate Finance, S. 315 und Adrian in Krolle/Schmitt/Schwetzler, Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, S. 72 ff. 3 Vgl. Krolle in Krolle/Schmitt/Schwetzler, Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, S. 47.

298

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.38 § 11

Bei einer Verwendung von Trading Multiples wird die Preisermittlung des Eigenkapitals auf Basis der Marktkapitalisierung der festzulegenden Vergleichsunternehmen vorgenommen. Dieser Ansatz geht von der grundlegenden Annahme aus, dass sich die Kurse der börsennotierten Vergleichsunternehmen stets zeitnah den aktuellen ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen und somit Informationen effizient verarbeitet werden.1

11.33

Die Marktkapitalisierung der Vergleichsunternehmen ist bei Trading Multiples der Ausgangspunkt für die Ermittlung des Eigenkapitals, wobei diese als Summe der Marktkapitalisierung der einzelnen Aktiengattungen berechnet wird. Bei der Berechnung sind sämtliche außenstehende Aktien zu berücksichtigen, eigene Aktien werden folglich nicht einbezogen. Probleme können bei der Ableitung der Marktkapitalisierung dann auftreten, wenn eine Aktiengattung nicht börsennotiert oder nicht hinreichend liquide ist. Für einen solchen Fall können keine generellen Empfehlungen zur Adjustierung gegeben werden.

11.34

Ferner muss eine Entscheidung über die Abgrenzung der Bestandteile des Eigenkapitals getroffen werden. Die Marktkapitalisierung an der Börse umfasst neben dem operativen Vermögen auch Beteiligungen sowie nicht-betriebsnotwendiges Vermögen, während Minderheitenanteile und Anteile von Optionsinhabern als mögliche künftige Anteilseigner nicht erfasst sind. Im Rahmen der Multiplikatorbewertung können bei der Abgrenzung des Eigenkapitals diese Elemente explizit berücksichtigt werden oder auch unberücksichtigt bleiben. Der letztgenannte Fall korrespondiert mit der impliziten Annahme, dass bspw. über eine Verdichtung der Multiplikatoren zum Durchschnitt das Bewertungsobjekt als durchschnittliches Unternehmen richtig bepreist wird. In beiden Fällen ist die Bezugsgröße entsprechend der Wahl der Zählergröße konsistent abzugrenzen und die Definition konsequent für alle Vergleichsunternehmen anzuwenden.

11.35

Bei der Bewertung anhand von Transaction Multiples sind bei der Berechnung des Eigenkapitals grundsätzlich dieselben Überlegungen anzustellen wie bei den Trading Multiples.2 Ein Unterschied der beiden Herangehensweisen besteht darin, dass die anhand von Transaktionen ermittelten Preise die individuellen Gegebenheiten des Käufers und des Verkäufers beinhalten und somit einen engeren Bezug zu Entscheidungswerten der beteiligten Parteien aufweisen.3 Dies soll nachfolgend anhand zentraler Aspekte der Preisfindung der Vertragsparteien verdeutlicht werden.

11.36

Im Rahmen von Kauf- bzw. Verkaufstransaktionen werden häufig umfassende vertragliche (Zusatz-)Vereinbarungen wie Gewährleistungs- und Garantieübernahmen getroffen, die über die Rechte und Pflichten beim Erwerb einer Aktie über die Börse weit hinausgehen können.4 Somit können auch etwaige vereinbarte Nebenabreden Einfluss auf den vereinbarten Transaktionspreis nehmen.

11.37

Ein weiterer Unterschied zwischen Trading und Transaction Multiples besteht bei der Berücksichtigung von Paketeffekten. Grundsätzlich ist bei der Abgrenzung der Marktpreise zu beachten, dass sowohl Paketzuschläge (Kontrollprämien) als auch Paketabschläge (Portfolioabschläge) denkbar sind. Während Paketabschläge und -zuschläge bei Trading Multiples – also im Börsenkurs – nicht widergespiegelt werden, sind diese bei Transaction Multiples grund-

11.38

1 2 3 4

Vgl. Schacht/Fackler in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 259. Vgl. Böcking/Nowak, FB 1999, 169 (174). Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (199-201). Vgl. Löhnert/Böckmann in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 797 f.

Franken/Schulte

299

§ 11 Rz. 11.38

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

sätzlich verarbeitet.1 Trading Multiples liegen Preise für den Erwerb von Minderheitenanteilen zugrunde, Transaction Multiples hingegen regelmäßig Preise für den Erwerb von Mehrheitsanteilen.2 Letztere berücksichtigen damit neben den subjektiven Einschätzungen des Erwerbers über das Bewertungsobjekt auch Synergieeffekte, die sich der Erwerber aus der Akquisition erhofft.3 Diese Differenzierung gilt es bei der Abgrenzung des Marktpreises und insbesondere auch bei der Analyse der Ergebnisse der Multiplikatorbewertung zu beachten.

11.39 Weitere Freiheitsgrade hinsichtlich der Ermittlung des Marktpreises des Eigenkapitals bei der Verwendung von Transaction Multiples bestehen bei der Verarbeitung von Transaktionen, in denen lediglich ein Teil der Aktien erworben wurde. In diesem Fall kann der Preis des erworbenen Anteils auf den Gesamtwert hochskaliert werden. Alternativ kann für den restlichen Anteil, der nicht Bestandteil der Transaktion war, die Marktkapitalisierung angesetzt werden. Wenn nur eine Aktiengattung Bestandteil der Transaktion war, kann der Transaktionspreis – ggf. mit Zu- oder Abschlägen – auch für die jeweils andere Aktiengattung genutzt oder stattdessen auf deren Marktkapitalisierung abgestellt werden.

11.40 Der für Gesamtkapitalmultiplikatoren erforderliche Marktpreis des Gesamtkapitals wird durch Addition der Marktpreise des Eigenkapitals und des Fremdkapitals ermittelt (s. Rz. 11.15). Bei der Berechnung des Marktpreises des Fremdkapitals wird zum Teil vereinfachend auf die entsprechenden Buchwerte des Fremdkapitals zurückgegriffen.

11.41 Bei der Ableitung des Marktpreises des Fremdkapitals werden grundsätzlich zwei Vorgehensweisen unterschieden. Bei der sog. Bruttomethode wird der volle Bestand an verzinslichen Schulden zum Eigenkapital addiert, während bei der Nettomethode zunächst die Schulden mit Aktivposten der Bilanz, welche für Finanzierungszwecke genutzt werden können, verrechnet werden und somit eine Nettoverschuldung (Net Debt) zum Marktpreis des Eigenkapitals addiert wird.4 Die letztgenannte Methode ist in Europa tendenziell weiter verbreitet als in den USA.

11.42 Die Nettomethode beruht auf der Überlegung, dass nicht betriebsnotwendige Liquidität fiktiv zur Tilgung von Schulden verwendet wird. Dies stellt die beste Verwendung der nicht betriebsnotwendigen Liquidität dar, da diese oftmals niedriger verzinst wird als die entsprechenden Schulden. Durch diese Saldierung wird ein Nettoschuldenstand (Net Debt) berechnet, der langfristig zur Finanzierung benötigt wird. Dieses Vorgehen unterstellt somit bewertungstheoretisch, dass das nicht-betriebsnotwendige Finanzvermögen nicht mit Eigen- und Fremdkapital gemäß der Finanzierungsstruktur des Unternehmens, sondern ausschließlich mit Fremdkapital finanziert wird.

11.43 Neben der theoretischen Überlegung, wie mit nicht betriebsnotwendiger Liquidität zu verfahren ist, tritt die praktische Herausforderung, die „relevanten“ Schulden und Aktivposten abzugrenzen, die in die Berechnung des Net Debt einbezogen werden. Die zur Berechnung des Net Debt relevanten Posten sind zunächst anhand deren Verzinslichkeit abzugrenzen. Im Anschluss wird die Differenz aus verzinslichen Schulden und den Zahlungsmittelbeständen gebildet. Dabei sollten nicht die gesamten Zahlungsmittelbestände, sondern lediglich die nicht 1 Vgl. Böcking/Nowak, FB 1999, 169 (174). 2 Vgl. Schacht/Fackler in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 259 f. 3 Vgl. Coenenberg/Schultze, FB 2002, 697 (698, Fn. 11) sowie Wagner in Krolle/Schmitt/Schwetzler, Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, S. 7. 4 Vgl. Krolle in Krolle/Schmitt/Schwetzler, Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, S. 22 ff.

300

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.48 § 11

betriebsnotwendige Liquidität in Abzug gebracht werden. Hierzu muss die nicht betriebsnotwendige von der betriebsnotwendigen Liquidität, die zur Aufrechterhaltung der operativen Geschäftstätigkeit benötigt wird, abgegrenzt werden.1 c) Festlegung einer geeigneten Bezugsgröße Eine weitere wesentliche Herausforderung der Multiplikatorbewertung stellt die Auswahl einer geeigneten Bezugsgröße zum Marktpreis des Eigen- bzw. des Gesamtkapitals dar. Anhand der Bezugsgröße wird der Preis eines Vergleichsunternehmens standardisiert und schließlich auf das Bewertungsobjekt übertragen.2 Dieses Vorgehen lässt sich am Beispiel des Wohnungsmarkts verdeutlichen: Hier wird oftmals die Miete pro Quadratmeter angegeben, um dem Interessenten eine überschlägige Abschätzung zu ermöglichen, wie günstig eine Wohnung im Vergleich zu einer anderen Wohnung ist. Ein solcher Multiplikator (t pro m2) stellt jedoch nur eine einfache Näherung dar: Der relativ niedrige Quadratmeterpreis einer Wohnung kann allein dadurch begründet sein, dass diese über eine schlechtere Ausstattung verfügt, in einem weniger begehrten Stadtteil gelegen ist oder länger nicht mehr renoviert wurde. Ein Vergleich des Preises in t pro m2 ist also nur dann sinnvoll, wenn sämtliche andere Charakteristiken der Wohnung gleich sind.3 Deshalb kommt auch der Wahl der Bezugsgröße im Multiplikatorverfahren eine tragende Rolle zu, da hierdurch ein sinnvoller Vergleichsmaßstab geschaffen werden muss.

11.44

Grundsätzlich werden in der Literatur die nachfolgend genannten vier Arten von Bezugsgrößen für eine Multiplikatorbewertung unterschieden, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile aufweisen:4

11.45

Bei den Ergebnis-/Ertragsmultiplikatoren wird der Marktpreis des Eigen- oder des Gesamtkapitals ins Verhältnis zu den Erträgen gesetzt, die das entsprechende Kapital generiert. Bei den Equity-Multiplikatoren ist das Kursgewinnverhältnis (KGV) das wohl bekannteste Beispiel, bei den Entity-Multiplikatoren wird das EBITDA oder das EBIT häufig als Bezugsgröße gewählt.

11.46

Bei den Umsatzmultiplikatoren wird der Marktpreis des Eigen- oder des Gesamtkapitals des 11.47 Vergleichsunternehmens ins Verhältnis zu dessen Umsatzerlösen gesetzt. Diese Multiplikatoren sind im Vergleich zu den Ergebnis-/Ertragsmultiplikatoren und den nachfolgend beschriebenen Buchwertmultiplikatoren weniger von den unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards und den entsprechenden Wahlrechten abhängig (s. Rz. 11.30), werden aber stark von Margenunterschieden beeinflusst. Bei den Buchwert-/Rekonstruktionswertmultiplikatoren wird der Marktpreis in Bezug zum Buchwert des Kapitals oder zu den Wiederbeschaffungskosten gesetzt. Buchwert-/Rekonstruktionswert-Multiplikatoren können grundsätzlich sowohl in Bezug auf den Wert des Eigenkapitals als auch in Bezug auf den Wert des Gesamtunternehmens definiert werden. Bei Verwendung des Buchwerts ergibt sich als Multiplikator der Wert, den man in Relation zum investierten Kapital bezahlen muss. Der Buchwert des Eigenkapitals ergibt sich als Differenz der Buchwerte der Vermögensgegenstände und Schulden. Entsprechend stark sind diese Werte 1 2 3 4

Vgl. Schacht/Fackler in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 262. Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 253. Vgl. Hasler, Aktien richtig bewerten, S. 284. Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 253 ff.

Franken/Schulte

301

11.48

§ 11 Rz. 11.48

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

von Rechnungslegungsstandards und der Ausübung von Wahlrechten geprägt. Dies schränkt die Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen, insbesondere aus unterschiedlichen Rechnungslegungsregimen, merklich ein. Zudem ist zu berücksichtigen, zu welchem Zeitpunkt das Unternehmen gegründet und das Gründungskapital bereitgestellt wurde. Zieht man den (Teil-)Rekonstruktionswert als Bezugsgröße (Tobin’s Q) heran, ergibt sich als Multiplikator der Faktor, den man über den physischen Wert der Anlagegüter hinaus für ein Unternehmen bezahlen muss. Auch der Ansatz des Substanzwerts im Sinne eines (Teil-)Rekonstruktionswerts als Bezugsgröße ist tendenziell kritisch zu beurteilen und nur in Ausnahmefällen als aussagekräftig anzusehen. Dies gilt insbesondere aufgrund des mangelnden Bezugs zur Fähigkeit des Unternehmens, in Zukunft Cash Flows zu generieren (s. hierzu auch Rz. 11.75 ff.).

11.49 Bei den sonstigen Multiplikatoren finden insbesondere branchenspezifische, nicht-finanzielle Bezugsgrößen Berücksichtigung. Diese Multiplikatoren kommen regelmäßig dann zur Anwendung, wenn (noch) kein Gewinn erwirtschaftet wird, also insbesondere bei jungen Unternehmen und Branchen. Die nicht finanziellen Multiplikatoren erfahren in der Fachliteratur vielfache Kritik, da insbesondere aufgrund des fehlenden Zusammenhangs zur Ermittlung des zukünftigen Cash Flow-Potentials häufig die Aussagekraft eines nicht-finanziellen Multiplikators eingeschränkt ist. Eine Korrelation der mengenmäßigen Größen mit dem Unternehmenswert kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Vor diesem Hintergrund sollten branchenspezifische/nicht-finanzielle Multiplikatoren vorwiegend dann zum Einsatz kommen, wenn aufgrund geringer Umsätze und negativer Erträge Umsatz- und Ertragsmultiplikatoren nicht angewandt werden können.

11.50 Im Ergebnis sollten in erster Linie die auf finanziellen Bezugsgrößen basierenden Umsatzmultiplikatoren sowie Ergebnis-/Ertragsmultiplikatoren Verwendung finden.1 Die konkrete finanzielle Bezugsgröße muss der Bewerter jedoch einzelfallabhängig auswählen; eine allgemeingültige Empfehlung von bestimmten Multiplikatoren ohne Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände wäre nicht sachgerecht.

11.51 Neben der Auswahl der Art der Bezugsgröße ist auch der Zeitbezug der Bezugsgröße sachgerecht festzulegen. So können etwa Umsatzmultiplikatoren sowohl auf Basis von Vergangenheitswerten, bspw. auf Basis des Umsatzes im letzten Geschäftsjahr, als auch auf Basis von prognostizierten Werten, bspw. auf Basis von Analystenprognosen des Umsatzes für das nächste Geschäftsjahr, berechnet werden.2

11.52 Aus theoretischen Überlegungen heraus ist die Verwendung von Prognosedaten der Verwendung von Ist- bzw. Vergangenheitsdaten überlegen. Letzteren kommt eine geringere Aussagekraft zu, da sie nur bedingt Rückschlüsse auf die Fähigkeit des Unternehmens zulassen, zukünftig finanzielle Überschüsse zu erzielen. Eben diese erwarteten finanziellen Überschüsse fließen aber in die Preisbildung (Marktpreis des Eigen- oder Gesamtkapitals) ein. Diese Argumentation gilt sowohl für das Bewertungsobjekt als auch für die Vergleichsunternehmen. Der Marktpreis der Vergleichsunternehmen hängt von den Erwartungen für die Zukunft ab, die auch in den kapitalwertorientierten Verfahren ihren Niederschlag finden. Entsprechend sollte aus theoretischer Sicht auf Prognosen der Bezugsgrößen abgestellt werden, soweit diese verfügbar sind.3 Auch empirische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Multiplikatorberech1 Vgl. IDW (Hrsg.), IDW S 8, FN-IDW 2011, Tz. 34 f. 2 Vgl. Schacht/Fackler in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 260. 3 Vgl. Benninga/Sarig, Corporate Finance, S. 312; Schreiner, Equity Valuation Using Multiples, S. 47 sowie Schacht/Fackler in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 261 f.

302

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.56 § 11

nungen auf Basis von prognostischen Werten zu belastbareren Ergebnissen führen als bei einer Verwendung von Vergangenheitswerten.1 Um aus der Wahl des Basisjahres der Prognosen möglicherweise resultierende Ergebnisverzerrungen zu vermindern, bietet es sich insbesondere bei der Analyse von Trading Multiples an, auf mehrere Planperioden abzustellen.2 Prognosewerte für die Bezugsgrößen können bei den Vergleichsunternehmen aus Analystenschätzungen entnommen werden, wobei grundsätzlich eine größere Zahl von Schätzungen zu bevorzugen ist. Auf diese Weise werden Über- und Unterschätzungen zumindest teilweise herausgemittelt und durch einen Vergleich der Schätzungen untereinander können Ausreißer erkannt werden.3 Für das Bewertungsobjekt sollte – soweit verfügbar – auf Plandaten des zu bewertenden Unternehmens abgestellt werden. Analystenmeinungen über das Bewertungsobjekt können ergänzend zur Plausibilisierung herangezogen werden.

11.53

d) Auswahl der Vergleichsunternehmen Da die (standardisierten) Preise der Vergleichsunternehmen das Fundament für die Ableitung des Unternehmenswerts des Bewertungsobjekts bilden, kommt der Auswahl der Vergleichsunternehmen eine sehr hohe Bedeutung zu. Um diese vornehmen zu können, sind zunächst die wertrelevanten Charakteristika des Bewertungsobjekts sorgfältig herauszuarbeiten. Hierzu sollte dieses insbesondere hinsichtlich der Kriterien Branche, Absatz, Wettbewerbssituation, Wachstumsaussichten und Kapitalstruktur analysiert werden. Auf Grundlage dieser Analyse sind dann vergleichbare Unternehmen zu suchen.4

11.54

In der Literatur wird oft empfohlen, auf Unternehmen der gleichen Branche abzustellen und diese dann weitergehend zu analysieren. Die gemeinsame Branchenzugehörigkeit von Unternehmen, die bspw. an der entsprechenden Einstufung in die Branchenklassifizierung eines Finanzinformationsdienstleisters festgemacht werden kann, wird dabei häufig als wesentliches operatives Kriterium gesehen.5 Die eigentlichen Vergleichbarkeitskriterien (erwartete Cash Flows, Wachstum der Cash Flows und Kapitalkosten für das entsprechende systematische Risiko der Cash Flows) setzten jedoch nicht zwingend eine gemeinsame Branchenzugehörigkeit voraus.6 Eine gemeinsame Branchenzugehörigkeit ist mithin keine Garantie für eine sachgerecht abgeleitete Gruppe von Vergleichsunternehmen und auch keine Voraussetzung für den Einbezug in eine Gruppe von Vergleichsunternehmen. Das Abstellen auf Unternehmen derselben Branche ist lediglich ein guter Ansatzpunkt, um Unternehmen zu identifizieren, die sich hinsichtlich der oben genannten Kriterien mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit ähneln.

11.55

Dem Kriterium der gemeinsamen Branche von Bewertungsobjekt und Vergleichsunternehmen liegt die Annahme zugrunde, dass die Unternehmen einer Branche ein ähnliches operatives Risiko aufweisen, was technisch einen identischen unverschuldeten Betafaktor impliziert. Darüber hinaus sind in einer Branche regelmäßig auch die Wachstumsaussichten der einzelnen Unternehmen ähnlich.7

11.56

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Schreiner, Equity Valuation Using Multiples, S. 16 f. mit weiteren Literaturquellen. Vgl. IDW (Hrsg.), IDW, IDW S 8, FN-IDW 2011, Tz. 36. Vgl. Schacht/Fackler in Schacht/Fackler, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 261. Vgl. auch IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A, Rz. 235 f. Vgl. bspw. Hasler, Aktien richtig bewerten, S. 292. Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 266. Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (204).

Franken/Schulte

303

§ 11 Rz. 11.57

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

11.57 Auch wenn Unternehmen in derselben Branche tätig sind und somit grundsätzlich dieselben Güter herstellen, muss auch die Art der Technologie untersucht werden.1 Speditionen, Fluggesellschaften, Reedereien und Eisenbahngesellschaften sind im Transportgewerbe tätig, verfügen aber über unterschiedliche Produktionstechnologien, mit denen sie die Transportleistungen erbringen. Diese Unterschiede in den Produktionstechnologien haben Auswirkungen auf Wachstum, Marge und Risiko und damit auch auf die Multiplikatoren.

11.58 Die Analyse der Branche kann Hinweise auf die Zyklik von Marge und Wachstum der Unternehmen liefern. Da ein Multiplikator letztlich einem Gordon-Wachstumsmodell entspricht, wird von einem eingeschwungenen Zustand der Vergleichsunternehmen und des Bewertungsobjekts ausgegangen.2 Bei Unternehmen, deren Geschäft einer starken zyklischen Entwicklung unterliegt, hängen die Wachstums- und Margenaussichten für die nächsten Jahre wesentlich von dessen momentanen Stand im Zyklus ab. Wenn diese kurzfristigen Erwartungen für die nächsten Jahre im Multiplikator bis in alle Ewigkeit fortgeschrieben werden („Gordon-Wachstumsmodell“3), wird die zyklische Bewegung nicht berücksichtigt, was zu einer starken (absoluten) Über- oder Unterbewertung im Vergleich zum fundamentalen Wert führen kann. Dieses Problem besteht insbesondere dann, wenn die entsprechende Zyklizität vom Markt nicht richtig eingepreist wird. Ferner besteht neben dem Problem der absoluten Fehlbewertung das Problem einer möglichen relativen Fehlbewertung. Diese kann dann auftreten, wenn Zyklen innerhalb einer Branche bzw. innerhalb der Gruppe der Vergleichsunternehmen verschoben sind. So könnte etwa der Multiplikator eines Unternehmens, das sich in einer Boom-Phase befindet, fälschlicherweise auf ein rezessives Unternehmen übertragen werden, was entsprechend zu einer falschen Bewertung führen würde.

11.59 Die Wettbewerbsintensität einer Branche wirkt sich unmittelbar auf die Ergebnismargen der Unternehmen aus. Daher ist insbesondere bei Vergleichsunternehmen aus unterschiedlichen Branchen das jeweilige Wettbewerbsumfeld zu analysieren. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die zukünftige Entwicklung des Wettbewerbs zu achten, da diese in den Margen und gegebenenfalls auch im Wachstum Niederschlag finden kann.4

11.60 Auch die Kundenstruktur kann ein bedeutender Aspekt bei einer Analyse der Vergleichsunternehmen sein.5 Die jeweilige Kundenstruktur eines Unternehmens kann einerseits auf einer strategischen Entscheidung fußen, andererseits können örtliche Gegebenheiten, wie vorhandene Infrastruktur oder die Verfügbarkeit von Ressourcen, den Kundenkreis prädeterminieren. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf Margen oder Wachstumsaussichten haben.

11.61 Neben der Analyse der Branche sollte auch eine Analyse der Wettbewerber des Bewertungsobjekts erfolgen.6 Dabei müssen Wettbewerber und andere Unternehmen einer Branche nicht deckungsgleich sein: Insbesondere große Mischkonzerne treten teilweise (auch über Konzerntöchter) in den Wettbewerb mit einem mittelständischen „Pure Player“. Aufgrund einer vergleichbaren Kundenstruktur sowie ähnlicher Waren und Dienstleistungen weisen 1 Vgl. Benninga/Sarig, Corporate Finance, S. 310. 2 Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (204). 3 Das Gordon-Wachstumsmodell ist eine mathematische Umformung einer unendlich lang laufenden Zahlungsreihe, die in jedem Jahr mit einer konstanten Wachstumsrate g wächst und die mit einem konstanten Jahreszinssatz k abgezinst wird. Die erste Zahlung fällt dabei am Ende des ersten Jahres in Höhe von X an. Mathematisch ergibt sich der Barwert BW dann als BW = X / (k-g). 4 Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (205). 5 Vgl. Benninga/Sarig, Corporate Finance, S. 310. 6 Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (204 f.).

304

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.65 § 11

diese Unternehmen in der Regel – zumindest in Teilbereichen – ein ähnliches Risikoprofil, vergleichbare Margen und vergleichbare Wachstumsaussichten auf. Diese Überlegung ist immer daran zu spiegeln, dass Unternehmen teilweise nur in einigen Produktgruppen im Wettbewerb stehen und somit in der Gesamtbetrachtung keine Vergleichbarkeit aufweisen. Im Ergebnis ist es daher möglich, dass keine vergleichbaren Wettbewerber existieren, da die Unternehmen – obgleich sie in Teilbereichen miteinander konkurrieren – in der Gesamtbetrachtung zu unterschiedlich sind. Bei jungen Wachstumsunternehmen mit innovativen Produkten können zudem oftmals keine direkten Wettbewerber identifiziert werden, da für diese Produkte noch keine Substitute auf dem Markt verfügbar sind. Die Phase im Lebenszyklus eines Unternehmens und somit die Reifephase sollten ebenfalls für die gesamte Gruppe potentieller Vergleichsunternehmen untersucht werden.1 Unternehmen in einer frühen Reifephase (Start Ups) verfügen etwa über ein hohes Wachstum, das mit einem hohen operativen Risiko einhergeht.

11.62

Schließlich kann auch die Firmengröße als Stellvertretervariable für ähnliches Wachstum 11.63 oder Profitabilität dienen.2 Kleinere Firmen wachsen etwa häufig bedeutend schneller als große Unternehmen. Zudem kann die Firmengröße in einer Branche ein Indiz für Skaleneffekte und folglich auch für die Profitabilität darstellen. Unternehmen, die sich deutlich in der Größe unterscheiden, sind bei hohen Skaleneffekten kaum miteinander zu vergleichen. Zudem wird über die Firmengröße auch für den zum Teil beobachtbaren negativen Zusammenhang von Eigenkapitalrenditen und Firmengröße („Small Firm Effect“) kontrolliert.3 Auch bei einer sorgsamen qualitativen Untersuchung von potentiellen Vergleichsunterneh- 11.64 men anhand der vorstehend beschriebenen Kriterien kann eine vollständige Vergleichbarkeit mit dem Bewertungsobjekt regelmäßig nicht hergestellt werden. Für eine ausreichend große Gruppe von Vergleichsunternehmen werden zumeist Unterschiede verbleiben, die einen Einfluss auf den Wert haben können. Zur Bereinigung dieser Unterschiede sind subjektive Anpassungen, eine Modifikation der Multiplikatoren sowie Regressionen auf Ebene von Sektoren oder des Gesamtmarkts möglich, auf die an dieser Stelle lediglich hingewiesen sei.4 Abschließend sollte der Bewerter bei der Festlegung einer geeigneten Bezugsgröße und bei der Auswahl von Vergleichsunternehmen die Interdependenz dieser beiden Analyseschritte beachten. Möglicherweise wird im Rahmen der Auswahl der Vergleichsunternehmen die ursprüngliche Wahl der Bezugsgröße zu überdenken sein. Ist bspw. die Wahl zunächst auf einen EBITDA-Multiplikator gefallen und im Rahmen der Analyse der potentiellen Vergleichsunternehmen zu erkennen, dass die ansonsten gut geeigneten Vergleichsunternehmen unterschiedliche Kapitalintensitäten aufweisen, ist gegebenenfalls die Wahl des Multiplikators zu verwerfen. Soll stattdessen etwa auf den EBIT-Multiplikator abgestellt werden, muss für diesen wiederum eine Analyse der Vergleichsunternehmen erfolgen. Insgesamt kann somit die Wahl einer geeigneten Bezugsgröße und der passenden Vergleichsunternehmen als iteratives Verfahren aufgefasst werden.

1 2 3 4

Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (204). Vgl. Benninga/Sarig, Corporate Finance, S. 310. Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (204). Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 267. Vgl. für eine weiterführende Darstellung bspw. auch Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, S. 156–296.

Franken/Schulte

305

11.65

§ 11 Rz. 11.66

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

III. Vereinfachtes Ertragswertverfahren 11.66 Zu den weiteren alternativen Bewertungsverfahren ist auch das vereinfachte Ertragswertverfahren zu zählen, welches insbesondere bei erbschaftsteuerrechtlichen Fragen Verwendung findet. Diese Methode ist aufgrund einer Neufassung des Bewertungsgesetzes erstmalig seit dem 1.1.2009 anzuwenden.

11.67 Die Methodenauswahl zur steuerlichen Bewertung von nicht börsennotierten Gesellschaften im Zuge von Schenkungs- und Erbschaftsfällen wurde gem. der Neugestaltung des § 11 Abs. 2 BewG um das vereinfachte Ertragswertverfahren erweitert. Hierbei steht die Ermittlung des gemeinen Werts im Vordergrund, welcher den Veräußerungspreis im gewöhnlichen Geschäftsverkehr – ohne persönliche Einflüsse – widerspiegelt (§ 9 Abs. 2 BewG). Bei den o.g. steuerlichen Bewertungsanlässen wurde bisher i.d.R. das Stuttgarter Verfahren (s. Rz. 11.89 ff.) verwendet.1 In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird der § 11 Abs. 2 BewG nach herrschender Meinung dahingehend interpretiert, dass weiterhin die Möglichkeit offensteht, auf „traditionelle“ Gesamtbewertungsverfahren (bspw. DCF-Methode) und Multiplikatorverfahren zurückzugreifen.2

11.68 Das vereinfachte Ertragswertverfahren zur Ermittlung des gemeinen Werts eines Unternehmens darf indes nur in dem Fall nicht angewendet werden, wenn es zu offensichtlich falschen Ergebnissen führt (§ 199 BewG). Eine genauere Definition, ab wann ein Unternehmenswert offensichtlich falsch ist, geht aus dem Gesetzeswortlaut nicht hervor. Dementsprechend wird die vom Fiskus ursprünglich angedachte Vereinfachungsidee durch diese fehlende Definition womöglich konterkariert.3

11.69 Im Gegensatz zum klassischen Ertragswertverfahren folgt das vereinfachte Ertragswertverfahren einem vom Gesetzgeber konkretisierten Berechnungsschema, welches in den §§ 200–203 BewG präzisiert wird. Hiernach berechnet sich der Ertragswert des zu bewertenden Unternehmens aus dem Produkt von nachhaltigem Jahresertrag und Kapitalisierungsfaktor. Somit wird aus investitionstheoretischer Sicht technisch ein ewiges Rentenmodell unterstellt.

11.70 Zur Ermittlung des nachhaltigen Jahresertrags ist auf Ist-Daten des Bewertungsobjekts zurückzugreifen. Gemäß § 201 BewG ist der nachhaltige Ertrag aus dem arithmetischen Mittel der in den letzten drei Jahren erwirtschafteten Betriebsergebnisse zu berechnen. Die Länge des Beobachtungszeitraum kann nur in begründeten Fällen – dazu gehören bspw. Neugründungen oder nachhaltige Veränderungen der Unternehmensverhältnisse – verkürzt werden. In Einzelfällen, in denen frühere Betriebsergebnisse (älter als drei Jahre) z.B. aufgrund von zwischenzeitlichen Umstrukturierungen die nachhaltige Ertragskraft besser widerspiegeln, kann der bewertungsrelevante Zeitraum indes weiter in die Vergangenheit verschoben werden (§ 201 Abs. 3 BewG).

11.71 Als Ausgangsgröße zur Berechnung des nachhaltigen Jahresertrags wird der steuerliche Gewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG verwendet. Im Folgenden wird dieser Gewinn um mehrere Posten bereinigt, um den nachhaltigen Jahresertrag zu erhalten (§ 202 BewG):

1 Vgl. Creutzmann, DB 2008, 2784. 2 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 225–227. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 225.

306

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.73 § 11

Ausgangsgröße: Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG +

Investitionsabzugsbeträge, Sonderabschreibungen oder erhöhte Absetzungen, Bewertungszuschläge, Zuführungen zu steuerfreien Rücklagen sowie Teilwertabschreibungen. Es sind nur die normalen Absetzungen für Abnutzung zu berücksichtigen. Diese sind nach den AHK bei gleichmäßiger Verteilung über die gesamte betriebliche Nutzungsdauer zu bemessen. Die normalen Absetzungen für Abnutzung sind auch dann anzusetzen, wenn für die Absetzungen in der Steuerbilanz vom Restwert auszugehen ist, der nach Inanspruchnahme der Sonderabschreibungen oder erhöhten Absetzungen verblieben ist.

+

Absetzungen auf den Geschäfts- oder Firmenwert oder firmenwertähnliche Wirtschaftsgüter.

+

Einmalige Veräußerungsverluste sowie außerordentliche Aufwendungen.

+

Im Gewinn nicht enthaltene Investitionszulagen, soweit in Zukunft mit weiteren zulagebegünstigten Investitionen in gleichem Umfang gerechnet werden kann.

+

Ertragsteueraufwand (KSt, Zuschlagsteuern, GewSt).

+

Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Vermögen i.S.d. § 200 Abs. 2, 4 BewG stehen und übernommene Verluste aus Beteiligungen i.S.d. § 200 Abs. 2–4 BewG.

-

Gewinnerhöhende Auflösungsbeträge steuerfreier Rücklagen sowie Gewinne aus der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 und Nr. 2 Satz 3 EStG.

-

Einmalige Veräußerungsgewinne sowie außerordentliche Erträge.

-

Im Gewinn enthaltene Investitionszulagen, soweit in Zukunft nicht mit weiteren zulagebegünstigten Investitionen in gleichem Umfang gerechnet werden kann.

-

Ein angemessener Unternehmerlohn, soweit in der bisherigen Ergebnisrechnung kein solcher berücksichtigt worden ist. Die Höhe des Unternehmerlohns wird nach der Vergütung bestimmt, die eine nicht beteiligte Geschäftsführung erhalten würde. Neben dem Unternehmerlohn kann auch ein fiktiver Lohnaufwand für bislang unentgeltlich tätige Familienangehörige des Eigentümers berücksichtigt werden.

-

Erträge aus der Erstattung von Ertragsteuern (KSt, Zuschlagsteuern, GewSt).

-

Erträge, die im Zusammenhang mit Vermögen i.S.d. § 200 Abs. 2–4 BewG stehen.

+/-

Hinzuzurechnen oder abzuziehen sind auch sonstige wirtschaftlich nicht begründete Vermögensminderungen oder -erhöhungen mit Einfluss auf den zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrag und mit gesellschaftsrechtlichem Bezug, soweit sie nicht bereits bei vorstehend genannten Posten berücksichtigt wurden.

(-)

Ein ggf. positives Betriebsergebnis ist nach § 202 Abs. 1 und 2 BesG zur Abgeltung des Ertragsteueraufwands um 30 % zu mindern.

=

Nachhaltiger Jahresertrag

Die Verwendung von historischen Betriebsergebnissen für die Herleitung des nachhaltigen Er- 11.72 gebnisses steht und fällt mit der Repräsentativität des vergangenen Zeitraums für die Zukunft. Ist eine solche nicht gegeben, sind einer Anwendung des Verfahrens Grenzen gesetzt (s. Rz. 11.68). Der Kapitalisierungsfaktor hat sich früher als Summe des Basiszinssatzes und einem fixen pauschalen Risikozuschlag i.H.v. 4,5 % berechnet. Hierbei wurde der Basiszinssatz aus der langfristigen Rendite öffentlicher Anleihen abgleitet, welche von der Deutschen Bundesbank Franken/Schulte

307

11.73

§ 11 Rz. 11.73

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

am ersten Börsentag des Jahres veröffentlicht wird. In der derzeit geltenden Fassung wird der Kapitalisierungsfaktor unmittelbar mit 13,75 vorgegeben (§ 203 Abs. 1 BewG).

11.73a Faktisch wird dabei auf Renditen für Bundeswertpapiere mit jährlicher Kuponzahlung und einer Restlaufzeit von 15 Jahren abgestellt. Ungeachtet des tatsächlichen Bewertungsstichtages gilt dieser Zinssatz für das gesamte Kalenderjahr, was insofern eine Verletzung des Stichtagsprinzips darstellt. Kritisch kann weiterhin angemerkt werden, dass bei einer üblicherweise anzunehmenden unendlichen Lebensdauer eines Unternehmens und einem auf Grundlage einer Laufzeit von 15 Jahren abgeleiteten Basiszinssatz gegen die Laufzeitäquivalenz verstoßen wird.1

11.74 Das IDW sieht in einem Praxishinweis für die Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen2 den Anwendungskreis für das vereinfachte Ertragswertverfahren stark eingeschränkt und präferiert die Anwendung der klassischen Zukunftserfolgsverfahren (DCF- und Ertragswertverfahren). Insbesondere bei Unternehmen mit höheren operativen Risiken und Kapitalstrukturrisiken ist der im Kapitalisierungsfaktor implizit enthaltene Zinssatz tendenziell als zu gering einzustufen. Folglich würde das vereinfachte Ertragswertverfahren aufgrund der Diskrepanz von typisiertem und unternehmensspezifischem Zinssatz zu nicht plausiblen Unternehmenswerten führen. Auf dieser Grundlage muss der Bewerter letztlich prüfen, ob die Anwendungseinschränkung gem. § 199 BewG für das vereinfachte Ertragswertverfahren greift (s. Rz. 11.68).

IV. Sonstige alternative Bewertungsverfahren 1. Substanzwertverfahren

11.75 Das Substanzwertverfahren ist in die Kategorie der Einzelbewertungsverfahren einzuordnen. Im Gegensatz zu den Gesamtbewertungsverfahren, bei denen auf die durch das Zusammenwirken der Vermögenswerte erzielten Ertrags- bzw. Cash Flow-Größen abgestellt wird, werden alle vorhandenen Vermögenswerte und bestehenden Schulden einzeln bewertet. Bei dem Substanzwertverfahren wird ferner keine Prognose-/Zukunftsperspektive eingenommen, sondern auf die aktuelle „Substanz“ des Unternehmens abgestellt. Der Substanzwert entspricht demnach der Summe, die zum Bewertungsstichtag aufgebracht werden müsste, um das Unternehmen in seiner jetzigen Form „auf der grünen Wiese“ nachzubilden.3

11.76 Die Kosten einer fiktiven Neuerrichtung des Bewertungsobjekts können entweder zum Teilrekonstruktionswert oder zum Gesamtrekonstruktionswert bemessen werden. Bei letzterem müssten auch sämtliche immateriellen Werte einschließlich aller nicht bilanzierungsfähigen Werte wie beispielweise Managementqualität oder Unternehmensorganisation (und damit der Firmenwert) berücksichtigt werden. Entsprechend handelt es sich beim Gesamtrekonstruktionswert um ein theoretisches Konstrukt, sodass in der praktischen Anwendung der Substanzwert in der Regel als Teilrekonstruktionswert ermittelt wird.4

1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 226. 2 Vgl. Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 463. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 204. 4 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A, Rz. 163 ff.

308

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.82 § 11

Der Substanzwert wird als Summe der betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte vermindert um Schulden errechnet. Dabei erfolgt die Bewertung der Vermögenswerte und Schulden unter der „going-concern“-Annahme und es sind sowohl materielle als auch immaterielle Vermögenswerte einzubeziehen. Beim betriebsnotwendigen Vermögen werden Reproduktionswerte als Zeitwerte ermittelt, die den wirtschaftlichen und technischen Vermögenszustand widerspiegeln. Im Gegensatz dazu wird das nicht betriebsnotwendige Vermögen mit dem Liquidationswert angesetzt, da es nicht im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit verwendet wird und somit veräußerbar ist.1

11.77

In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird die Konzeption der Substanzwertmethode insgesamt kritisch beurteilt. Das einfache Aufsummieren von Vermögenswerten vernachlässigt Verbundeffekte zwischen diesen. Somit werden die oftmals zentralen Werttreiber außer Acht gelassen. Die vorhandenen Vermögenswerte selbst sind lediglich Mittel zum Zweck, Zahlungsmittelüberschüsse zu erwirtschaften. Folglich kann die Unternehmenssubstanz für den Wert eines Unternehmens grundsätzlich nicht maßgeblich sein.2

11.78

Angesichts der oben in Auszügen dargestellten theoretischen Schwächen ist es nachvollziehbar, dass der Anwendungsbereich des Substanzwertverfahrens stark eingeschränkt ist. Als Anwendungsgebiet kann z.B. die Bewertung von „Non-Profit-Unternehmen“, insbesondere auch Unternehmen der Daseinsvorsorge genannt werden, soweit eine Bewertung aus Sicht der öffentlichen Hand oder eines gemeinnützigen Trägers erfolgt.3 Zudem könnte eine Bewertung mit dem Substanzwertverfahren im Rahmen von Gesellschafterabfindungen explizit im entsprechenden Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 BewG die Untergrenze des für steuerliche Zwecke zu ermittelnden gemeinen Werts darstellt.

11.79

2. Mittelwertverfahren Das Mittelwertverfahren folgt keiner eigenständigen Konzeption. Da in diesem Verfahren zwei voneinander unabhängige Methoden kombiniert werden, wird dieses der Kategorie der sog. Mischverfahren zugeordnet. Bei dieser Methode fließen sowohl das Ertragswertverfahren (Gesamtbewertung) als auch das Substanzwertverfahren (Einzelbewertung) in die Wertermittlung ein.

11.80

In der Standardform leitet sich der Unternehmenswert durch ein einfaches arithmetisches Mittel aus Substanzwert und Ertragswert ab. Auch Gewichtungen wie bspw. ein doppelt so starker Einfluss des Ertragswerts angesichts einer ggf. theoretisch überlegeneren Fundierung sind durchaus verbreitet. Die Festlegung der Anteile – ob Gleichgewichtung oder unterschiedliche Ansätze der Gewichtung – erfolgt nach Ermessen des Bewerters, da keine allgemeingültigen, plausiblen Begründungen für eine bestimmte Gewichtung existieren.4

11.81

Analog zum Substanzwertverfahren erfährt auch das Mittelwertverfahren vielfache Kritik, da auch dieses der „modernen“ Investorensicht widerspricht, wonach einzig künftige finanzielle

11.82

1 Vgl. Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 85 f. 2 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 204. 3 Vgl. IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. 162. Vgl. für eine Darstellung der Besonderheiten bei der Bewertung öffentlicher Unternehmen Franken/Schulte/Brunner in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2014, S. 1029 ff. 4 Vgl. Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 89 f.

Franken/Schulte

309

§ 11 Rz. 11.82

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Überschüsse relevant sind. In Folge dessen weist bereits der Ertragswert den „richtigen“ Unternehmenswert aus und es bedarf keiner weiteren Anpassungen.1

11.83 Das in der Vergangenheit häufig noch als Praktikermethode titulierte Mittelwertverfahren wurde mit der Zeit zunehmend von DCF-, Ertragswertverfahren oder auch Multiplikatorverfahren abgelöst. Entsprechend spielt das Mittelwertverfahren in der aktuellen Bewertungspraxis fast keine Rolle mehr. 3. Übergewinnverfahren

11.84 Das Übergewinnverfahren lässt sich ebenfalls den Kombinationsverfahren zuordnen. Ähnlich wie beim Mittelwertverfahren (s. Rz. 11.80 ff.) wird auf Substanzwerte und Ertragswerte zurückgegriffen.

11.85 Der Unternehmenswert wird in diesem Verfahren als Summe des Substanzwerts und der auf den Bewertungsstichtag diskontierten Übergewinne berechnet. Als Substanzwert wird dabei i.d.R. der Teilrekonstruktionswert des Unternehmens herangezogen (s. Rz. 11.75 ff.). Hinzu kommt der sog. Übergewinn, welchen das Unternehmen über den „Normalertrag“ hinaus in einem gegebenen, endlichen Zeitraum erwirtschaften kann. Der „Normalertrag“ wird hierbei als Betrag definiert, zu dem sich der Substanzwert verzinst. Als Zinssatz wird üblicherweise der unternehmensspezifische Kalkulationszinsfuß verwendet.

11.86 Annahmegemäß können Übergewinne nur in einem begrenzten, vorher festgelegten Zeitraum erwirtschaftet werden. Im Anschluss an diese Zeitperiode kann das Unternehmen lediglich die „Normalverzinsung“ vereinnahmen, die Übergewinne betragen dann Null. Als Gründe für eine zeitliche Begrenzung der Übergewinne wird angeführt, dass beispielweise ausgezeichnete Konjunkturlagen oder weit überdurchschnittliche Unternehmensperformances nicht nachhaltig erzielbar sind. Die Unternehmensumwelt bzw. die Konkurrenzunternehmen sorgen in einem Prozess schöpferischer Zerstörung stetig für neue interne und externe Rahmenbedingungen, die eine solche Performance nicht nachhaltig ermöglichen.

11.87 Die Unternehmenserträge (Et) sind als zukünftige finanzielle Überschüsse in der Zeitperiode (t) definiert. Die Erträge liegen dabei über der Normalverzinsung des Substanzwerts, die als Produkt des unternehmensspezifischen Kalkulationszinsfußes (i) und des Substanzwerts (SW) ermittelt wird. Diese Differenzen werden als Übergewinne bezeichnet und können nur bis zum Ende des Übergewinnzeitraums (m) erwirtschaftet werden. Somit errechnet sich der Unternehmenswert (UW) als Summe des Substanzwerts und der diskontierten Übergewinne:2

11.88 Da das Übergewinnverfahren auf dem Substanzwertverfahren fußt, gelten zwar für das Übergewinnverfahren grundsätzlich vergleichbare Kritikpunkte wie für das Substanzwertverfahren selbst (s. Rz. 11.75 ff.). Das Übergewinnverfahren spielt daher in der Bewertungspraxis ebenfalls eine geringe Rolle. Jedoch erlaubt das Übergewinnverfahren durch die Differenzierung in Rendite der Substanz und „Übergewinne“ sinnvolle Rückschlüsse auf die 1 Vgl. Henselmann in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 109 f. 2 Vgl. Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 90.

310

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.93 § 11

Gewinnquellen und ermöglicht so eine fundiertere Diskussion über die nachhaltig übertragbare Ertragskraft des Unternehmens. So hat das Übergewinnverfahren bei speziellen Bewertungsanlässen wie z.B. der Bewertung von Arztpraxen noch durchaus Relevanz.1 4. Stuttgarter Verfahren Das Stuttgarter Verfahren ist eine Variante des Übergewinnverfahrens. Es fand in der Vergangenheit im Rahmen von schenkungs- und erbschaftsteuerlichen Bewertungsanlässen zur Ermittlung des gemeinen Werts von nicht börsennotierten Gesellschaften breite Verwendung. Infolge des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 wurde es jedoch u.a. durch das vereinfachte Ertragswertverfahren (s. Rz. 11.66 ff.) abgelöst.2

11.89

Gemäß dem Stuttgarter Verfahren setzt sich der zu ermittelnde gemeine Wert (GW)3 aus dem vorhandenen Vermögen und dem Ertragswert zusammen. Der Vermögenswert (V) wird aus dem Verhältnis des steuerlichen Einheitswerts des Betriebsvermögens inklusive gewissen Hinzurechnungen bzw. Abzügen und dem Nominalkapital abgeleitet. Unter dem Nominalkapital wird hierbei das Grund- oder Stammkapital des Bewertungsobjekts verstanden. Zur Ermittlung des Ertragswerts (E) werden die vergangenen drei Betriebsergebnisse herangezogen, gewichtet4 und erneut ins Verhältnis mit dem Nominalkapital gesetzt. Annahmegemäß wird der soeben berechnete Ertragswert in den nächsten fünf Geschäftsjahren mit jeweils 9 % verzinst. Es ergibt sich somit folgender Zusammenhang:

11.90

Mathematisch äquivalent dazu lässt sich der gemeine Wert gemäß dem Stuttgarter Verfahren auch wie folgt ermitteln5:

11.91

Eine Anwendung des Stuttgarter Verfahrens ist auf Grundlage der aktuellen Steuergesetze nicht mehr vorgesehen (s. Rz. 11.89). Da steuerrechtliche Fragen i.d.R. die wesentlichen Anwendungsgebiete dieser Methode waren, sollte die Bedeutung des Stuttgarter Verfahrens in Zukunft stark abnehmen. Da einige Gesellschaftsverträge bspw. beim Ausscheiden eines Gesellschafters die Bewertung der Anteile mittels des Stuttgarter Verfahrens explizit vorsehen, wird diese Methode aber auch weiterhin Anwendung finden.6

11.92

V. Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurden unterschiedliche alternative Bewertungsverfahren vorgestellt, die nicht der Kategorie der Zukunftserfolgsverfahren (Ertragswert- und DCF-Verfahren) zuzuordnen sind. Die Eignung des Börsenkurses sowie der Vorerwerbspreise als Indikation für den Unternehmenswert wurde nicht thematisiert, da diese Gegenstand anderer Kapitel des vorliegenden Werkes sind (s. § 18 bzw. § 19). Schwerpunkt der Darstellung war das im 1 2 3 4

Vgl. exemplarisch http://www.arztpraxiswert.de/Methoden/uebergewinn.html. Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 207. Zur weiteren definitorischen Abgrenzung s. Abschnitt III., Rz. 11.66 ff. bzw. § 9 BewG. Die Betriebsergebnisse werden entsprechend ihrer Aktualität mit den Faktoren 3 für das abgelaufene Geschäftsjahr, 2 für das vorletzte Geschäftsjahr und 1 für das älteste Geschäftsjahr gewichtet. 5 Vgl. Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 7 f. 6 Vgl. Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1391.

Franken/Schulte

311

11.93

§ 11 Rz. 11.93

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Rahmen von Bewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008 zu Plausibilisierungszwecken herangezogene Multiplikatorverfahren (s. Rz. 11.7 ff.). Des Weiteren wurden das insbesondere in der Erbschaftsteuer relevante vereinfachte Ertragswertverfahren (s. Rz. 11.66 ff.) sowie sonstige alternative Bewertungsverfahren (s. Rz. 11.75) vorgestellt.

11.94 Bei der Unternehmensbewertung auf Basis eines Multiplikatorverfahrens wird der Wert eines Unternehmens über Preise bestimmt, die für ähnliche Unternehmen am Markt bezahlt werden (s. Rz. 11.7). Das aggregierte Wissen der Marktteilnehmer, das sich in den Marktpreisen anderer, vergleichbarer Unternehmen widerspiegelt, soll anhand eines Maßstabs auf das zu bewertende Unternehmen übertragen werden.

11.95 Hierzu müssen zunächst vergleichbare Unternehmen identifiziert werden, für die dann die der Bewertung zugrunde liegenden Marktpreise bestimmt werden (s. Rz. 11.9). Anschließend muss eine geeignete Bezugsgröße ermittelt werden, anhand derer der Markpreis standardisiert und mittels des so bestimmten Multiplikators auf das Bewertungsobjekt übertragen wird (s. Rz. 11.10). Da alle wertrelevanten Eigenschaften, die nicht in der Bezugsgröße erfasst werden, bei Bewertungsobjekt und Vergleichsunternehmen übereinstimmen müssen (s. Rz. 11.22 ff.), kommt diesen beiden Schritten eine sehr hohe Bedeutung zu. Je weniger vergleichbar die ausgewählten Unternehmen sind, desto unschärfer ist die Bewertung anhand der Multiplikatormethode.

11.96 Im Rahmen der praktischen Durchführung von Multiplikatorbewertungen eröffnen sich dem Bewerter Ermessensspielräume. Diese bestehen jeweils bei der Abgrenzung der Zählers und des Nenners des Multiplikators. Beim Zähler ist etwa festzulegen, ob das Eigen- oder das Gesamtkapital verwendet wird und wie dieses jeweils abgegrenzt wird (s. Rz. 11.14 ff.). Bei der Auswahl der Bezugsgröße im Nenner kann zumindest prinzipiell auf eine Vielzahl finanzieller sowie nicht-finanzieller Größen zurückgegriffen werden (s. Rz. 11.17 ff.). Vor diesem Hintergrund sollte der Bewerter Auswahl und Definition der verwendeten Multiplikatoren nachvollziehbar begründen und erläutern.

11.97 Das im Zuge des Erbschaftsteuerreformgesetzes eingeführte vereinfachte Ertragswertverfahren, dessen Methodik im Bewertungsgesetz kodifiziert ist, wurde als weiteres alternatives Bewertungsverfahren vorgestellt (s. Rz. 11.66 ff.). Im Gegensatz zum Ertragswertverfahren wird beim vereinfachten Ertragswertverfahren technisch unmittelbar von einer ewigen Rente ausgegangen. Die Ableitung der Zähler- und Nennergröße in diesem Kalkül folgt zudem einem vom Gesetzgeber vorgegebenen Berechnungsschema. Demnach wird der nachhaltige Jahresertrag als Durchschnitt der Betriebsergebnisse der letzten drei Jahre ermittelt. Der Kapitalisierungsfaktor ist einheitlich für alle Bewertungsstichtage und Bewertungsobjekte typisierend mit 13,75 festgelegt.

11.98 Das vereinfachte Ertragswertverfahren darf gemäß § 199 BewG dann nicht angewendet werden, wenn es zu offensichtlich falschen Ergebnissen führt (s. Rz. 11.68 ff.). Eine konkrete Definition des Beurteilungsmaßstabs der offensichtlichen Unrichtigkeit nennt der Gesetzgeber dabei nicht. Die Ergebnisse könnten zumindest dann zu offensichtlich falschen Ergebnissen führen, wenn die geschilderten Typsierungen des vereinfachten Ertragswertverfahrens im konkreten Fall nicht mehr hinreichend sachgerecht sind. Die typisierte Ableitung des nachhaltigen Jahresertrags auf Basis von historischen Betriebsergebnissen ist dabei umso weniger sachgerecht, je deutlicher sich die erwarteten zukünftigen Erträge von den historischen Erträgen unterscheiden (s. Rz. 11.72). Die typisierte Bestimmung der Kapitalkosten zu einem vorgegeben Zeitpunkt ist umso weniger sachgerecht, je deutlicher sich die Verhältnisse zwi312

Franken/Schulte

Alternative Bewertungsverfahren

Rz. 11.99 § 11

schen dem vorgegebenen Zeitpunkt und einem Bewertungsstichtag unterscheiden und je deutlicher das systematische Risiko eines Bewertungsobjekt von dem typisierten systematischen Risiko abweicht (s. Rz. 11.74). Als sonstige alternative Bewertungsverfahren wurden das Substanzwertverfahren, das Mittelwertverfahren, das Übergewinnverfahren sowie das Stuttgarter Verfahren knapp erläutert und deren Bedeutung in der Praxis jeweils dargelegt (s. Rz. 11.75 ff.). Diese Verfahren zeichnen sich konzeptionell dadurch aus, dass sie Elemente von Einzelbewertungsverfahren aufweisen. Vor diesem Hintergrund sind die Anwendungsgebiete dieser Verfahren in der aktuellen Bewertungspraxis auf spezifische Bewertungsanlässe beschränkt.

Franken/Schulte

313

11.99

§ 12 Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung I. Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung . . . .

12.1

II. Ertragswertverfahren . . . . . . . . . 12.7 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 2. Ermittlung der künftigen finanziellen Überschüsse . . . . . . . . . . . 12.8 a) Unternehmensplanung . . . . . . 12.8 b) (Faktischer) Konzern und Unternehmensplanung . . . . . . 12.24 c) Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . 12.25 d) Währungsumrechnung . . . . . 12.33 e) Phasenmethode und nachhaltige finanzielle Überschüsse . . 12.42 aa) Einschub einer Übergangsphase . . . . . . . . . . . 12.46 bb) Ansatz eines Durchschnittswertes . . . . . . . . . 12.52 f) Ableitung der NettoAusschüttungen . . . . . . . . . . . 12.54 3. Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . 12.61 4. Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.66 a) Alternativanlage in ein Aktienportfolio und CAPM als Standardmodell . . . . . . . . . 12.66 b) Basiszinssatz . . . . . . . . . . . . . . 12.67 c) Marktrisikoprämie . . . . . . . . . 12.82 d) Betafaktor . . . . . . . . . . . . . . . . 12.94 aa) Originärer Betafaktor . . . 12.96 bb) Liquidität der Aktie . . . . . 12.101 cc) Peer Group Betafaktor . . 12.107

dd) Raw oder adjusted Beta . . ee) Debt Beta . . . . . . . . . . . . . e) Länderrisikoprämie . . . . . . . . f) Wachstumsabschlag . . . . . . . . 5. Persönliche Steuern . . . . . . . . . . . 6. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.115 12.121 12.124 12.126 12.139 12.154

III. Liquidationswert . . . . . . . . . . . . 12.157 IV. Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . 12.162 V. Unterschiedlich ausgestaltete Anteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.163 VI. Net Asset Value . . . . . . . . . . . . . . 12.171 VII. Vorerwerbspreise . . . . . . . . . . . . 12.175 VIII. 1. 2. 3.

Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . Desinvestitionswert . . . . . . . . . . . Maßgeblicher Stichtag . . . . . . . . . Längerer Zeitraum und Hochrechnung . . . . . . . . . . . . . . . a) Längerer Zeitraum . . . . . . . . . b) Hochrechnungsmethodik . . . . 4. Irrelevanz des Börsenkurses als Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . 5. Freiverkehrskurse . . . . . . . . . . . . .

12.178 12.178 12.180 12.183 12.183 12.188 12.195 12.199

IX. Fester oder variabler Ausgleich . 12.200 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.200 2. Verrentungszinssatz . . . . . . . . . . . 12.208 X. Relevanz der kapitalisierten Ausgleichszahlung . . . . . . . . . . . 12.219

Schrifttum: Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007; Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung: Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl. 2016; Blume, On the Assessment of Risk, JoF 1971, 1; Blume, Betas and Their Regression Tendencies, JoF 1975, 785; Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, Die Marktrisikoprämie im Niedrigzinsumfeld – Hintergrund und Erläuterung der Empfehlung des FAUB, WPg 2018, 806; Cornell, Guideline Public Company Valuation and Control Premiums: An Economic Analysis, Working Paper, January 29, 2013; Deutsche Börse AG, Designated Sponsor Guide, Version 10.1; Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2014; Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, Cambridge, Mass., 1991; Fleischer/Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Franke, Synergien in Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009; Gampenrieder, Squeeze-out: Rechtsvergleich, empirischer Befund und ökonomische Analyse, 2004; Großfeld/Egger/ Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 8. Aufl. 2016; Hachmeister/Ruthardt, Spruchverfahren: Rückwirkende Anwendung neuer Berechnungsweisen, DB 2017, 957; Hachmeister/Ruthardt, Nicht betriebsnotwendiges Vermögen in der Unternehmensbewertung, BB 2014, 875; Hachmeister/Ruthardt, Vom Unternehmenswert zum Anteilswert: Vorzugs- und Stammaktien im Ertragswertkalkül, BB 2014,

314

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

§ 12

427; Hachmeister/Ruthardt, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung – Entwicklungen in den Jahren 2012 und 2013, WPg 2014, 894; Hachmeister/Ruthardt/Autenrieth, Marktrisikoprämien am deutschen Kapitalmarkt – Ermittlung und Vergleich angebotsseitiger und historischer Marktrisikoprämien, DBW 2015, 145; Hachmeister/Ruthardt/Eitel, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung, Aktuelle Entwicklungen 2010 – 2012, WPg 2013, 762; Hachmeister/Ruthardt/Gebhardt, Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Unternehmensbewertung – Theorie, Praxis und Rechtsprechung in Spruchverfahren, Der Konzern 2011, 600; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung: Bewertungsverfahren, Ertragsprognose, Basiszinssatz und Wachstumsabschlag, WPg 2011, 519; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, Unternehmensbewertung im Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung: Berücksichtigung des Risikos, Risikozuschlags und persönlicher Steuern, WPg 2011, 829; Hachmeister/Ruthardt/Mager, Die Ermittlung des Risikozuschlags bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen – Eine Auswertung von Bewertungsgutachten, ZfbF 2015, 206; Hachmeister/Ruthardt/Mager, Unendlichkeit als Problem der Unternehmensbewertung – eine empirische Analyse von Bewertungsgutachten, DB 2014, 1209; Hachmeister/Ruthardt/Mager, Die Ermittlung des Basiszinssatzes bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen – Eine empirische Analyse von Bewertungsgutachten, CF 2014, 102; Hachmeister/Ungemach/Ruthardt, Bestimmung der Kapitalkosten beim Impairment-Test – Kritische Bemerkungen zum Ansatz von Prämien für Länderrisiken und geringe Unternehmensgröße, IRZ 2012, 233; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim Squeeze Out, 2014; Klönne, Objektivierte Bewertung und Verteilung von Synergieeffekten bei gesellschaftsrechtlich bedingten Unternehmensbewertungen, 2013; Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis, 2009; Lampenius/Schüler, Wachstumsannahmen in der Bewertungspraxis: eine empirische Untersuchung ihrer Implikationen, BFuP 2007, 232; Lampenius/Schüler, Bewertungspraxis auf dem Prüfstand: Wachstumsannahmen, BewertungsPraktiker 2007, Heft 3/2007, 2; Maul, Zur Verrechnung von Ausgleichszahlungen und Zinsen auf Abfindungen bei Spruchstellenverfahren, DB 2002, 1423; Mennicke, Squeeze-out: Bestimmung der Barabfindung bei einem gekündigten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, DB 2016, 2047; Popp, Zur Besteuerung der inflationsbedingten Unternehmenswertsteigerung bei der Unternehmensbewertung, Der Konzern 2019, 149; Popp, Zum Verhältnis zwischen Reinvestitionsrate und Wachstumsthesaurierung bei der Unternehmensbewertung – Zugleich eine Anmerkung zur Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 06.04.2017 – 26 W 10/15, Der Konzern 2019, 105; Popp, Zur Berechnung der kapitalisierten Ausgleichszahlung, WPg 2018, 224; Popp, Zur Relevanz der kapitalisierten Ausgleichszahlung – Zugleich Anm. zur BGH-Entscheidung vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, Der Konzern 2017, 224; Popp, Zum Anwendungszeitraum von Bewertungsstandards – Zugleich eine Anmerkung zur BGH-Entscheidung vom 29.09.2015 – II ZB 23/14, WPg 2017, 465; Popp, Zur Rundung des Basiszinssatzes bei der Unternehmensbewertung, WPg 2016, 926; Popp, Zum Anwendungszeitraum von Bewertungsstandards – Zugleich eine Anmerkung zum Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 28.08.2014 – 26 W 9/12, Der Konzern 2015, 193; Popp, Fester Ausgleich bei Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen, WPg 2008, 23; Popp/Ruthardt, Abfindung zum Börsenkurs: Hochrechnungsmethodik, WPg 2017, 1222; Popp/Ruthardt, Das entscheidungsorientierte Stichtagsprinzip bei der Unternehmensbewertung, AG 2015, 857; Rathausky, Squeeze-out in Deutschland, 2008; Raths, Restwertermittlung in der Unternehmensbewertung, 2019; Ruthardt, Squeeze-Out: Zur Bestimmung der angemessenen Barabfindung unter Berücksichtigung des Börsenkurses, DB 2017, 2405; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out, 2014; Ruthardt, Angemessene Barabfindung und Gleichbehandlung von Minderheits- und Mehrheitsaktionären – Zur grundsätzlichen Unzulässigkeit eines Governance Abschlages, NZG 2014, 972; Ruthardt, Barabfindung beim Squeeze Out bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, Der Konzern 2013, 615; Ruthardt, Barabfindung und abfindungsinduzierte Besteuerung, CFB 2013, 462; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung zur Abfindungsbemessung – Normzweckadäquate Typisierungen für das Ertragswertverfahren unter Beachtung der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre, ZfbF 218, 47; Ruthardt/Hachmeister, Verkehrswert des Anteils und Verkehrswert des Unternehmens, Desinvestitionsoption und grundsätzlich ungeeignete Wertkategorie, WPg 2016, 411; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung im

Popp/Ruthardt

315

§ 12 Rz. 12.1

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Spiegel der neueren gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung – Entwicklungen in den Jahren 2014 und 2015, WPg 2016, 687; Ruthardt/Hachmeister, Unendlichkeit als Problem der Unternehmensbewertung aus theoretischer, praktischer und rechtlicher Sicht, DB 2014, 193; Ruthardt/Hachmeister, Börsenkurs, Ertragswert, Liquidationswert und fester Ausgleich – Zur methodenbezogenen Meistbegünstigung bei der Ermittlung der angemessenen Barabfindung im Gesellschaftsrecht, WM 2014, 725; Ruthardt/ Hachmeister, Ermittlung der Barabfindung beim Squeeze Out – Zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer fundamentalen (Ertrags-)Wertermittlung, NZG 2014, 41; Ruthardt/Hachmeister, 15 Jahre DAT/ Altana – Ein (weiterer) Aufsatz zum Börsenkurs: Ermittlung des Desinvestitionswertes statt Indikation für „wahre Werte“, CF 2014, 174; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensplanung und (optimales) Unternehmenskonzept in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, DB 2013, 2666; Ruthardt/Hachmeister, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung – Grundlegende Anmerkungen und Würdigung der jüngeren Rechtsprechung in Spruchverfahren, WPg 2012, 451; Ruthardt/ Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2018, AG 2019, 196; Schnorbus, Der variable Ausgleich nach § 304 Abs. 2 S. 2 AktG – Der Versuch einer Wiederbelebung, ZHR 2017, 902; Schüppen, Barabfindung gem. § 327b AktG beim Squeeze out im Vertragskonzern – Klärendes, erhellendes und Verwirrendes, ZIP 2016, 1413; Singhoff, BGH: Squeeze-out – Angemessenheit der Barabfindung bei Bestehen eines Unternehmensvertrags, DB 2016, 1185; Tschöpel/Wiese/Willershausen, Unternehmensbewertung und Wachstum bei Inflation, persönlicher Besteuerung und Verschuldung (Teil 1), WPg 2010, 349; Wagner, Der Liquidationswert bei rechtsgeprägten Anlässen der Unternehmensbewertung – Eine ökonomische Analyse der Rechtsprechung, WPg 2016, 1090; Wasmann, Endlich Neuigkeiten zum Börsenkurs – Besprechung der Stollwerck-Entscheidung des BGH, ZGR 2011, 83; Wasmann, Zur (Un-)Maßgeblichkeit der Ausgleichszahlungen gem. § 304 AktG für die Barabfindung beim Squeeze-out, DB 2017, 1433; Weber, Börsenkursbestimmung aus ökonomischer Perspektive, ZGR 2004, 280; Werner, Die Behandlung von Verbundeffekten bei Abfindungen nach den §§ 305 und 320 AktG, in: Baur/Hopt/Mailänder (Hrsg.), FS Steindorff, 1990; WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018.

I. Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung 12.1 Eine ausführliche gerichtliche Diskussion von Bewertungsmethoden findet in Deutschland primär im Rahmen der Überprüfung der angemessenen Kompensation außenstehender Aktionäre als Folge gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen statt. Vor diesem Hintergrund fokussiert die folgende Darstellung der Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung auf Entscheidungen aus Spruchverfahren.1

12.2 Wenn man sich mit der Rechtsprechung befasst, wird schnell deutlich, dass eine bloße Analyse der Entscheidungstexte regelmäßig zu kurz greift. Vielmehr bietet sich der Einbezug der jeweils zu Grunde liegenden Bewertungsgutachten, Prüfungsberichte und ggf. Stellungnahmen gerichtlicher Sachverständiger an, um die oftmals komplexen fallspezifischen Zusammenhänge besser würdigen zu können. Wer wie die beiden Verfasser regelmäßig selbst Bewertungsgutachten erstellt oder Prüfungen durchführt, kann eigene Erfahrungen, die Kenntnis vom Aufbau der Bewertungsmodelle und bevorzugte Vorgehensweisen von (anderen) Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Argumentationslinien von Antragstellern und Antragsgegnern im Spruchverfahren und der mündlichen Verhandlung mit einbringen. 1 Als Fundstelle für die Entscheidungen wird neben dem genauen Verweis auf die entsprechende Randziffer (BeckRS/juris) bzw. Seitenzahl (Beschlusstext) teilweise zusätzlich auf die (ggf. gekürzte) Veröffentlichung der Entscheidungen in der AG verwiesen. Vgl. zur Diskussion der Rechtsprechung in Spruchverfahren u.a. bereits Ruthardt/Popp, AG 2019, 196; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 687; Hachmeister/Ruthardt, WPg 2014, 894; Hachmeister/Ruthardt/Eitel, WPg 2013, 762; Hachmeister/ Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 519; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 829; Ballwieser/ Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 233-269.

316

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.3 § 12

Die Rechtsprechung in Spruchverfahren verweist regelmäßig auf die Aussage des BGH, nach 12.3 der in Bezug auf die maßgebliche Bewertungsmethode entscheidend sein soll, „dass die jeweilige Methode in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist.“1 Soweit in der Literatur teilweise ein (echter) Methodenpluralismus aus Multiplikatoren, Börsenkurs/Marktkapitalisierung und Ertragswert gefordert wird, ist hierzu aus der Sicht der Wirtschaftswissenschaft und der Bewertungspraxis folgendes voranzustellen:2 Zunächst können Multiplikatorverfahren als vereinfachte Wertfindungen maximal zur Plausibilisierung der Wertansätze herangezogen werden und nicht als gleichwertige Bewertungsmethode.3 Darüber hinaus ist in der Wirtschaftswissenschaft und in der Bewertungspraxis anerkannt, dass eine fundamentale Unternehmensbewertung notwendig ist, um eine angemessene Kompensation zu ermitteln.4 Entsprechend wird in der Rechtsprechung zur Abfindungsbemessung als führendes Bewertungsverfahren regelmäßig die bewertungstheoretisch fundierte und verfassungsrechtlich unbedenkliche5 Ertragswertmethode herangezogen.6 Die fundamentale Wertermittlung anhand der Ertragswertmethode entspricht der nahezu durchgängigen Praxis der Gerichte;7 alternativ können DCF-Verfahren herangezogen werden,8 die unter konsistenten Bewertungsannahmen zum selben Ergebnis führen.9 Der nach dem Ertragswertverfahren ermittelte objektivierte Unternehmenswert nach IDW S 1 wird dabei weiterhin „als anerkannte Expertenauffassung und gebräuchliche Erkenntnisquelle für das methodisch zutreffende Vorgehen bei der fundamentalanalytischen Ermittlung des Unternehmenswertes“ angesehen.10 Eine Wertindikation aus der fiktiven Perspektive eines markttypischen Erwerbers des gesamten Unternehmens, die auch den Best-Practice-Empfehlungen der DVFA zugrunde liegt, führt dagegen – jedenfalls unter Beachtung der allgemein anerkannten Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre – nicht zu einer normzweckadäquaten Bewertung.11 Inso-

1 Vgl. bspw. OLG Stuttgart v. 20.8.2018 – 20 W 2/13, BeckRS Rz. 61; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, AG 2016, 135 = juris Rz. 33, 42; BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 = juris Rz. 21. 2 Vgl. hierzu bereits Ruthardt/Popp, AG 2019, 196. 3 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 143 f.; für Österreich KFS/BW 1 i.d.F. 2014, Rz. 17; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, § 305 AktG Rz. 14a; zu Kritikpunkten an Multiplikatorbewertungen: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 221; Ballwieser, Unsicherheitsbewältigung durch Bewertungsmethoden – oder Bewertungstechnikvielfalt?, in FS Großfeld, 2019, S. 7 ff. 4 Vgl. ausführlich m.w.N. Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41 (41-48); WPH-Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. C, Tz. 32; Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim Squeeze Out, 2014, S. 142; auch nach IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 14 f. sind Börsenkurse nur zur Plausibilitätsbeurteilung des nach dem Ertragswert- oder DCF-Verfahren ermittelten Unternehmenswertes heranzuziehen. Ebenso sind nach KFS/BW 1, dem für die österreichischen Wirtschaftstreuhänder maßgeblichen Bewertungsstandard, Börsenkurse lediglich zur Plausibilisierung eines Diskontierungsverfahrens heranzuziehen, vgl. KFS/BW 1 i.d.F. 2014, Rz. 17. 5 Vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, NZG 1999, 931 (932). 6 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, S. 69; vgl. für einen Überblick über das Ertragswertverfahren ausführlich § 4. 7 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 42. 8 Die Bewertungspraxis in Österreich orientiert sich hingegen vorrangig an dem WACC-Ansatz der DCF-Verfahren. Vgl. zu Besonderheiten des DCF-Verfahrens auch § 10. 9 Vgl. OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 (766). 10 Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14, Beschlusstext, S. 28; OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – 26 W 4/17, BeckRS Rz. 34. 11 Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. C, Tz. 24; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411; ausführlich zur normzweckadäquaten Umsetzung des Ertragswertverfahrens Ruthardt/Hachmeister, ZfbF 2018, 47 (47-71); auf die Perspektive eines markttypischen Erwerbers des Unternehmens verweist dagegen Hüttemann, Rz. 1.27; Hüttemann, CF 2016, 467 (468).

Popp/Ruthardt

317

§ 12 Rz. 12.3

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

fern sieht die Rechtsprechung grundsätzlich nicht die Notwendigkeit einer Plausibilisierung der Wertansätze anhand der Best-Practice-Empfehlungen der DVFA.1

12.4 Gerade bei (faktisch oder vertraglich) beherrschten Gesellschaften, d.h. den typischen Kandidaten für einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bzw. einen Squeeze Out, liegt regelmäßig nur eine (sehr) eingeschränkte Informationseffizienz des Kapitalmarktes vor. Demnach kann der Börsenkurs oder die Marktkapitalisierung nicht unmittelbar als Proxy für den Unternehmenswert bzw. den fundamentalen Wert des Anteilseigentums und somit die angemessene Kompensation herangezogen werden. Inwieweit die Marktkapitalisierung im konkreten Fall den fundamentalen Wert und damit die angemessene Kompensation abbildet, lässt sich tatsächlich nur verifizieren, indem auch eine fundamentale Bewertung nach dem Ertragswert-/DCF-Verfahren vorgenommen wird. Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage, inwiefern der Börsenkurs als Wertuntergrenze der angemessenen Kompensation zu berücksichtigen ist. Für einen kurzfristig orientierten Anteilseigner bemisst sich der Wert der Aktie nach dem Preis, den er unter Abstraktion von der jeweiligen Strukturmaßnahme bei einem freiwilligen Verkauf des Anteils hätte erzielen können. Er entspricht bei börsennotierten Anteilen grundsätzlich dem Börsenkurs, mithin dem Desinvestitionswert im Sinne des BVerfG.2 Der Börsenkurs ist demnach grundsätzlich als Untergrenze für die angemessene Kompensation zu berücksichtigen. Bei der Betrachtung des Börsenkurses als Desinvestitionswert kommt es nicht auf die Informationseffizienz des Kapitalmarktes an, sondern darauf, ob der einzelne Aktionär zu diesem Kurs hätte desinvestieren können.3

12.5 Bei Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen ist gem. § 304 Abs. 1 AktG den außenstehenden Aktionären ein angemessener Ausgleich anzubieten. Wir verweisen diesbezüglich auf Rz. 12.200 ff.

12.6 Neben der umfassenden Rechtsprechung zu den einzelnen Komponenten des Ertragswertverfahrens, der Ermittlung des Börsenkurses als Desinvestitionswert sowie der Ableitung der Ausgleichszahlung werden die Rolle des Liquidationswertes, die Bedeutung von Vorerwerbspreisen, des Net Asset Value sowie der kapitalisierten Ausgleichszahlung dargestellt.

II. Ertragswertverfahren 1. Grundlagen

12.7 Der Wert eines Unternehmens bestimmt sich nach dem Ertragswertverfahren – unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele – als Barwert der zukünftigen Zahlungsüberschüsse, die den Anteilseignern aus dem Unternehmen zufließen. Hinzu kommt ggf. noch der Liquidationswert nicht betriebsnotwendiger Vermögensteile. Zur Diskontierung der Zah1 Vgl. LG München I v. 29.8.2018 – 5 HK 16585/15, Beschlusstext, S. 39 f.; m.w.N. Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (204). 2 Vgl. Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (205); WPH-Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. C, Tz. 33; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (413 f.); Adolff in Fleischer/Hüttemann, 2015, § 16 Rz. 37 f.; zustimmend Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, S. 71; Schüppen, ZIP 2016, 1413 (1417). 3 Vgl. zur Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den BGH und die juristische Literatur ausführlich Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out, 2014, S. 54 ff.; Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41 (43 f.); zur Ermittlung des Börsenkurses als Desinvestitionswert Ruthardt/Hachmeister, CF 2014, 174 (174-186).

318

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.11 § 12

lungsströme wird ein Kapitalisierungszinssatz verwendet, der die Rendite einer zur Investition in das zu bewertende Unternehmen adäquaten Alternativanlage repräsentiert. 2. Ermittlung der künftigen finanziellen Überschüsse a) Unternehmensplanung Ausgangspunkt für die Prognose der zukünftigen Zahlungsüberschüsse aus dem Unternehmen ist regelmäßig eine von der Gesellschaft erstellte Unternehmensplanung. Die Prognose der Zahlungsüberschüsse wird von den Spruchgerichten insoweit einhellig als Tatfrage und unternehmerische Entscheidung gesehen, als von dem Unternehmen selbst Planungen und Prognosen erstellt wurden. Demnach wird – anders als bei der Ableitung des nachhaltigen Ergebnisses für die ewige Rente – von einer gerichtlich nur eingeschränkten Überprüfbarkeit der Unternehmensplanung sowie der Planungsgrundlagen ausgegangen. Als Prüfungsmaßstab wird angelegt, ob die Unternehmensplanung bzw. die unternehmerischen Entscheidungen auf „zutreffenden Informationen“ und daran orientierten „realistischen Annahmen“ beruhen und „nicht in sich widersprüchlich“ sind.1

12.8

„Planungen und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen 12.9 Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen.“2 Sofern die Geschäftsführung davon ausgehen könne, „ihre Planung sei realistisch“, „darf diese unternehmerische Entscheidung nicht durch andere – ebenfalls nur vertretbare – Annahmen des Gerichts oder eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ersetzt werden.“3 Abweichende bzw. ergänzende Annahmen seien demnach „grundsätzlich nur statthaft, wenn und soweit diese eine Korrektur von aus der Perspektive des Bewertungsstichtags unrealistischen Annahmen beinhalten.“4 Nach der Auffassung des OLG München solle dies selbst dann gelten, wenn nach der Einschätzung eines sachverständigen Bewerters, bspw. eines vom Gericht bestellten (Dritt-)Gutachters, eine Ertragsplanung plausibler als die in der ursprünglichen Bewertung herangezogene erscheine, jedenfalls solange die herangezogene Planung auch plausibel sei.5 Darüber hinaus seien, nach der Einschätzung des OLG München, Planaktualisierungen im Hinblick auf die Erstellung der Unternehmensbewertung zum Bewertungsstichtag „in der Praxis üblich und grundsätzlich unbedenklich“.6

12.10

Nach der Auffassung des OLG Zweibrücken sei die Anpassung der Planung an neue Erkenntnisse im Vorfeld einer Unternehmensbewertung nicht per se unzulässig, sondern vielmehr vielfach geboten. Die Planung solle die zum Bewertungsstichtag aus der Sicht des Vorstandes zutreffende künftige Entwicklung darstellen, dies mache den Einbezug aktueller Erkenntnisse notwendig.7

12.11

1 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2666 f.). 2 Vgl. stellvertretend OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 38; mit umfassenden Nachweisen auch Hachmeister/Ruthardt/Eitel, WPg 2013, 762 (763 f.). 3 OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 19; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 48. 4 OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 27. 5 Vgl. OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, BeckRS Rz. 27; OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 136/16, Beschlusstext, S. 7; OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 122/161, Beschlusstext, S. 16. 6 OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 136/16, Beschlusstext, S. 7. 7 Vgl. OLG Zweibrücken v. 14.8.2018 – 9 W 4/14, Beschlusstext, S. 21.

Popp/Ruthardt

319

§ 12 Rz. 12.12

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

12.12 Nach der Auffassung des OLG Düsseldorf sei der Bewerter bei Vorliegen einer nicht plausiblen Planung „grundsätzlich gehalten, diese durch den Vorstand korrigieren zu lassen, bevor er sie seiner Bewertung zugrunde legt.“ Nur wenn die mit der Unternehmensführung befassten Organe ihre Unternehmensplanung tatsächlich nachhaltig geändert bzw. eine nachhaltige Plananpassung beschlossen haben, könne diese als sachgerechter Ausgangspunkt herangezogen werden.1 Ob eine tatsächliche nachhaltige Planungsänderung vorliegt, sei „insbesondere dann zweifelhaft, wenn bereits eine unabhängige Mehrjahresplanung […] vorliegt, die auf der Grundlage eines formalen Planungsprozesses entstanden ist, und der Bewerter speziell im Hinblick auf eine von ihm zu erstellende Bewertung Anpassungen vornimmt.“2 Die Besonderheit dieses Beschlusses liegt darin begründet, dass tatsächlich seitens des Bewertungsgutachters keine Planungsanpassung erfolgte und auch seitens des Vertragsprüfers nur verschiedene Szenariorechnungen erstellt wurden, die aber ihrerseits nicht entscheidungsrelevant wurden.3

12.13 Auch sei der Bewerter nach der Auffassung des OLG Düsseldorf „grundsätzlich nicht befugt, die Geschäftspolitik an sich zu ziehen.“ Entscheidet sich hingegen der Vorstand, seine Planung zu ändern, sei „fortan diese neue Planung im Zuge der weiteren Unternehmensbewertung und sodann auch im gerichtlichen Spruchverfahren zugrunde zu legen.“ Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die beschlussfassenden Unternehmensorgane ihre Unternehmensplanung „tatsächlich nachhaltig geändert bzw. eine nachhaltige Planänderung beschlossen haben“.4

12.14 Inhaltlich übereinstimmend betont das OLG Zweibrücken, der Bewerter sei zur „Erstellung einer eigenen Planung“ grundsätzlich nicht befugt. Sollte der sachverständige Prüfer bzw. das Gericht im Spruchverfahren hierbei feststellen, die unternehmenseigene Planung sei – im Rahmen der nur eingeschränkten Prüfbarkeit – unplausibel, sei der Vorstand zu veranlassen diese zu korrigieren.5

12.15 Als grundsätzlich nicht entscheidend wird gesehen, wer die Planungsrechnung angefertigt hat. Maßgeblich sei alleine, dass sich die Entscheidungsorgane (vornehmlich der Vorstand) der Gesellschaft die Zahlen zu eigen machen und sie als Ausdruck der wirtschaftlichen Aktivität in der Zukunft ansehen.6 Eine Adaption einer überarbeiteten, aktualisierten Planung kann auch durch einen konkludent gefassten Vorstandsbeschluss, wie er sich aus der Abstimmung zwischen dem Bewertungsgutachter und dem planungsverantwortlichen Vorstand ergibt, erfolgen.7

12.16 Das LG München I verweist darauf, dass sich der Vorstand eine vom Bewertungsgutachter vorgenommene Eliminierung nicht hinreichend konkretisierter Projekte aus der Unternehmensplanung jedenfalls bereits dadurch zu Eigen gemacht habe, indem er die vom Bewertungsgutachter „ermittelten Werte dem Beschlussvorschlag für die Hauptversammlung zugrunde legte.“8

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 32. OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 32. Vgl. OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 35. Vgl. für die wörtlichen Zitate OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – 26 W 6/16, Beschlusstext, S. 16 f. Vgl. OLG Zweibrücken v. 14.8.2018 – 9 W 9/14, Beschlusstext, S. 20. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2011 – 21 W 13/11, AG 2011, 832 (834). Vgl. LG Stuttgart v. 22.8.2016 – 31 O 1/13, Beschlusstext, S. 17; LG München I v. 28.5.2014 – 5 HK O 22657/12, BeckRS Rz. 36. 8 LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501 = BeckRS Rz. 10.

320

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.22 § 12

Das OLG Düsseldorf differenziert in Bezug auf den Prüfungsmaßstab zwischen der Prüfung der rechnerischen Richtigkeit einer Unternehmensplanung, der zugrundeliegenden Prämissen bzw. des sachlichen Inhaltes der Unternehmensplanung:1

12.17

– Die Frage der rechnerischen Richtigkeit der Planungsrechnung und die Konsistenz der Planungsrechnungen zueinander ist einem „Richtigkeitsurteil“ zugänglich. – Bezüglich der in der Planung enthaltenen Prognosen über die künftige Entwicklung lässt sich in der Regel kein eindeutiges Urteil darüber treffen, ob die Planung als Ganzes oder einzelne Planungsprämissen als falsch oder richtig zu erachten sind. Letztere seien demnach nur „daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruhen und vertretbar sind“.2

12.18

Unplausibel und unvertretbar könne eine Planung bspw. sein, wenn sie einseitige, systematische Verzerrungen (bspw. eine optimistische strategische (Anreiz-)Planung) aufweist3 oder wenn bei entsprechender Marktkontinuität ein bisher auch in den besten bzw. schlechtesten Zeiten nie erreichtes Niveau ohne nachvollziehbare Begründung geplant wird.4

12.19

Soweit im Einzelfall eigene vom Unternehmen erstellte Planungsrechnungen nicht bzw. nicht in dem für die Bewertung erforderlichen Ausmaß vorliegen (bspw. sofern eine [nachhaltige] Investitionsplanung fehlt), müssen vom Bewerter Annahmen getroffen werden. In diesen Fällen wird von der Rechtsprechung kein eingeschränkter Prüfungsmaßstab gesehen; „vielmehr sind speziell für den Bewertungsanlass erstellte Prognosen einer intensiven Analyse zu unterziehen.“5

12.20

Der verminderte Prüfungsmaßstab der Rechtsprechung bei Vorliegen einer Unternehmensplanung ist u.E. nur gerechtfertigt, wenn i.R.d. sachverständigen Erstellung und Prüfung der Unternehmensbewertung eine sorgfältige Plausibilisierung, Diskussion und ggf. Anpassung der Unternehmensplanung erfolgt.6 Der Bewertungsgutachter hat die Unternehmensplanung auf Plausibilität zu prüfen und ggf. Korrekturen vorzunehmen.7 Dies gilt im Übrigen auch für außerhalb des regulären Planungsprozesses zu Bewertungszwecken erstellte „Sonderplanungen“, die von einzelnen Spruchgerichten sehr kritisch gesehen werden.8

12.21

Bewertungsmethodisch müssen die Planzahlen den Erwartungswert abbilden.9 Da bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes regelmäßig auf das CAPM zurückgegriffen wird, ist anderenfalls die Risikoäquivalenz als Grundsatz der Unternehmensbewertung nicht sicher-

12.22

1 2 3 4 5 6 7

OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 39. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 38. Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 38. Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 38. Vgl. mit diversen Nachweisen OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14, Beschlusstext, S. 38. Vgl. zum Prüfungsmaßstab der Planungsrechnung auch Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (197 f.). Vgl. OLG Stuttgart v. 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, AG 2015, 163 = juris Rz. 91; OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 = BeckRS Rz. 34. 8 Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 38; OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 43 m.w.N.; OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 = BeckRS Rz. 35. 9 Bspw. IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 53.

Popp/Ruthardt

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§ 12 Rz. 12.22

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

gestellt.1 Ein Spannungsfeld aus Bewertungstheorie und Rechtsprechung könnte sich dann ergeben, wenn die Geschäftsleitung, bspw. aufgrund interner Steuerungs- oder externer Kommunikationsinteressen, im regulären Planungsprozess eine (über-)optimistische strategische Anreizplanung oder eine (über-)vorsichtige Planungsrechnung erstellt. Kommt der Bewerter im Rahmen seiner Plausibilitätsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Planzahlen nicht den Erwartungswert abbilden, muss er der Bewertung korrigierte Ansätze zugrunde legen.2 Dabei sind die Anforderungen der Bewertungsmethode grundsätzlich von den mit der (ursprünglich vorgelegten) Planungsrechnung verfolgten Zielen des Managements zu unterscheiden. Durch die Unternehmensbewertung, unter Rückgriff auf den Erwartungswert abbildende Planzahlen, zieht der Bewerter auch nicht die Geschäftspolitik an sich. Der Bewerter kann dem Management nicht allein aufgrund des Bewertungsanlasses vorschreiben, eine den Erwartungswert abbildende Planungsrechnung zu erstellen und nach dieser tatsächlich die unternehmerischen Entscheidungen zu steuern.3 In diesem Zusammenhang soll angemerkt werden, dass sich die Rechtsprechung bislang nicht zu der Frage geäußert hat, was passiert, wenn sich der Vorstand des zu bewertenden Unternehmens weigert, eine unplausible oder zeitlich überholte Planung zu ändern. In diesem Fall kann die Planungsrechnung dennoch nicht unkorrigiert zu Grunde gelegt werden.

12.23 Die Eignung einer Unternehmensplanung für die Unternehmensbewertung hängt grundsätzlich nicht davon ab, ob diese im Rahmen eines regulären Planungsprozesses oder im Hinblick auf die Durchführung einer Unternehmensbewertung erstellt, ergänzt, fortgeschrieben oder aktualisiert wurde.4 Der Planungs- bzw. Erstellungsprozess kann allerdings einen Indikator dafür liefern, ob die Planzahlen einen Erwartungswert darstellen. Da sich der reguläre Planungsprozess regelmäßig nicht auf den Bewertungsstichtag bezieht, ist es zu begrüßen, wenn die Rechtsprechung unter Verweis auf das Stichtagsprinzip betont, aktuelle Entwicklungen seien bei einem ggf. bereits einige Monate alten Planungsstand zu berücksichtigen bzw. die Planungsrechnung sei auf den Bewertungsstichtag fortzuschreiben.5 b) (Faktischer) Konzern und Unternehmensplanung

12.24 Durch den Rückgriff auf eine bestehende Unternehmensplanung erfolgt eine Bewertung des Unternehmens unter Berücksichtigung einer ggf. bestehenden (faktischen) Konzerneinbindung. Die Verhältnisse der Gesellschaft am Bewertungsstichtag werden berücksichtigt.6 Es erfolgt demnach keine Anpassung der Planzahlen um ein (fiktiv) unabhängiges Unternehmen oder einen Kaufpreis aus der Sicht eines (markttypischen) Unternehmenserwerbers zu simulieren. Relevant ist nicht die fiktive Planung eines unbeherrschten Unternehmens, sondern 1 Vgl. auch Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (860); zur notwendigen Unterscheidung von Risikoabbildung und Risikobewertung: Hachmeister/Ruthardt, BewP 2014, 2 (2-4). 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, juris Rz. 91; OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, BeckRS Rz. 34. 3 Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Wagner in Bezug auf die Bedeutung des Liquidationswertes als Wertuntergrenze, der in diesem Zusammenhang von der „Unhaltbarkeit der Argumentation des Einflusses der Bewertungsmethode auf die Geschäftspolitik“ spricht. Vgl. Wagner, WPg 2016, 1090 (1093). 4 Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. C, Tz. 118. 5 Vgl. ausführlich zum (entscheidungsorientierten) Stichtagsprinzip bei der Unternehmensbewertung, Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (857 ff.). 6 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2668 f.); Hachmeister/Ruthardt/Eitel, WPg 2013, 762 (764).

322

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.26 § 12

die tatsächliche Unternehmensplanung.1 Gerade bei langfristig (vertraglich) beherrschten Unternehmen kann praktisch willkürfrei keine vollständig isolierte Planung erstellt werden. Das Unternehmen ist nur so zu bewerten, wie es unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme stünde, die Anlass der Bewertung ist.2 Eine fiktive Planung unter Abstraktion von der Beherrschungssituation sei jedenfalls rechtlich nicht geboten.3 Nach der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. unterliegen vereinbarte Verrechnungspreise im Konzern keiner Überprüfung im Spruchverfahren. Es handele „sich um ein hinzunehmendes Datum der Unternehmensbewertung.4 Eine Ausrichtung an den Interessen der Muttergesellschaft sei nicht zu beanstanden, solange keine zum Schadensersatz verpflichtenden Nachteile nach § 311 AktG entstehen.5 c) Synergieeffekte In der deutschen Literatur, IDW S 1 und der Rechtsprechung werden echte und unechte Synergieeffekte unterschieden.6

12.25

Echte Synergieeffekte, als die Synergieeffekte im eigentlichen Sinn, lassen sich ausschließ- 12.26 lich durch die Verbindung zwischen bestimmten Unternehmen aufgrund spezifischer Eigenschaften und Gegebenheiten realisieren. Es handelt sich um wertsteigernde Effekte,7 die „[…] sich erst mit Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme […]“8 ergeben. Anders gewendet lassen sich echte Synergieeffekte ohne die Durchführung der Strukturmaßnahme – mithin den Bewertungsanlass – nicht realisieren. Als Gründe für echte Synergieeffekte lassen sich bspw. Effizienzsteigerungen aufgrund von Economies of Scale oder Economies of Scope, verbesserte Absatzchancen aufgrund eines verringerten Konkurrenzdrucks oder mögliche Kosteneinsparungen durch Forschungs- und Entwicklungskooperationen anführen.9 Bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen können als Resultat der engeren Verbindung der beteiligten Unternehmen echte Synergieeffekte nicht nur im Fall der Verschmelzung sondern auch bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, einer Eingliederung, sowie dem Squeeze Out erwartet werden.10 Bei letzterem wird insbesondere begründet durch wegfallende Publizitäts- und Verwaltungsaufwendungen noch der

1 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, S. 104; inhaltlich u.a. OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2011 – 21 W 13/11, AG 2011, 832 = juris Rz. 30; OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 = www.lrbw.juris.de Rz. 99. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 = juris Rz. 137. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 = www.lrbw.juris.de Rz. 97. 4 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 82. 5 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2011 – 21 W 13/11, AG 2011, 832 = juris Rz. 30. 6 Vgl. IDW S1 i.d.F. 2008, Tz. 33, 50; zur Unterscheidung echter und unechter Synergieeffekte auch Hachmeister/Ruthardt/Gebhardt, Der Konzern 2011, 600 (601) bzw. zur Abgrenzung zwischen vertraglichen und vorvertraglichen Synergieeffekten: Popp, WPg 2008, 23 (29 f.); ursprünglich Werner in Baur/Hopt/Mailänder, FS Steindorff, 1990, S. 314. 7 Theoretisch sind auch negative Verbundeffekte möglich. 8 IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 50. 9 Vgl. Cornell, Guideline Public Company Valuation and Control Premiums: An Economic Analysis, Working Paper, January 29, 2013, S. 11; Hachmeister/Ruthardt/Gebhardt, Der Konzern 2011, 600 (601); ausführlich auch Klönne, Objektivierte Bewertung und Verteilung von Synergieeffekten bei gesellschaftsrechtlich bedingten Unternehmensbewertungen, 2013, S. 49-58. 10 Vgl. Hachmeister/Ruthardt/Gebhardt, Der Konzern 2011, 600 (602).

Popp/Ruthardt

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§ 12 Rz. 12.26

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

sog. Trennungseffekt als Spezialfall eines echten Synergieeffektes diskutiert, der originär auf das Ausscheiden der außenstehenden Aktionäre zurückzuführen ist.1

12.27 Unechte Synergieeffekte lassen sich dagegen „[…] ohne Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme realisieren.“2 Nach dieser Definition können unechte Synergievorteile u.a. sein: Rationalisierungs-, Restrukturierungs- und Reorganisationspotentiale, die bereits vor einem möglichen Zusammenschluss in einem der beteiligten Unternehmen vorhanden sind. Darüber hinaus gehören aber auch Synergien, die das Unternehmen im bestehenden Unternehmensverbund unabhängig von der betreffenden Strukturmaßnahme bereits mit anderen Unternehmen realisiert, zu den unechten Synergieeffekten.3

12.28 Im Rahmen von Unternehmensverträgen bietet es sich an, zwischen vorvertraglichen und vertraglichen Synergien zu unterscheiden.4 Vorvertragliche Synergien sind solche, die schon im faktischen Konzernverhältnis (§ 311 ff. AktG) auch ohne Unternehmensvertrag erreicht werden können (d.h. unechte Synergieeffekte). Demgegenüber setzen die vertraglichen Synergien weitere Eingriffsmaßnahmen voraus, die nur aufgrund eines Beherrschungs- und/oder Ergebnisabführungsvertrages dargestellt werden können.

12.29 Betriebswirtschaftlich ist zu beachten, dass echte Synergieeffekte nur den (Käufer-)Grenzpreis – bei gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen mithin den (subjektiven) Grenzpreis des Mehrheitsaktionärs – beeinflussen. Im (Verkäufer-)Grenzpreis der außenstehenden (Minderheits-)Aktionäre sind echte Synergieeffekte aus der Strukturmaßnahme dagegen nicht enthalten. Vor diesem Hintergrund wird in der juristischen Literatur teilweise, insbesondere begründet über das Schiedswertkonzept der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre, das einen (fingierten) Einigungswert zwischen dem (typisierten) Käufer- und Verkäufergrenzpreis vorsieht, eine Beteiligung ausscheidender Aktionäre an echten Synergieeffekten aus der die Abfindung auslösenden Strukturmaßnahme vertreten.5

12.30 Die Rechtsprechung in Spruchverfahren folgt regelmäßig einem Entschädigungsgedanken. Der anhand betriebswirtschaftlicher Methoden zu ermittelnde „Wert ist der Grenzwert, zu dem [der ausscheidende Aktionär] ohne wirtschaftlichen Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann.“6 Daher gehen die Spruchgerichte einheitlich davon aus, dass bei der Ermittlung der vollen Kompensation von echten Synergieeffekten bzw. von den Effekten aus der konkreten Strukturmaßnahme zu abstrahieren ist.7 Kosteneinsparungen aus dem Wegfall der Hauptversammlung bzw. allgemeiner Kosteneinsparungen als direkte Folge des Squeeze Out seien demnach nicht berücksichtigungsfähig.8 Gleiches gilt bei der Ermittlung der angemesse1 Vgl. Rathausky, Squeeze-out in Deutschland, 2008, S. 113; Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, Cambridge, Mass. 1991, S. 113; ausführlich zum Trennungseffekt Gampenrieder, Squeeze-out: Rechtsvergleich, empirischer Befund und ökonomische Analyse, 2004, S. 482 f. 2 IDW S1 i.d.F. 2008, Tz. 34. 3 Vgl. Franke, Synergien in Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, S. 38. 4 Vgl. Popp, WPg 2008, 23 (29 ff.). 5 Vgl. für eine ausführliche Diskussion Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out, 2014, S. 104-110. 6 OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14, Beschlusstext, S. 28; OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – 26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 = BeckRS Rz. 33. 7 Vgl. stellvertretend OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 61; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 70a m.w.N. 8 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 = juris Rz. 141, 145.

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Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.34 § 12

nen Kompensation bei Abschluss eines Unternehmensvertrages; hier dürften „Synergien, die sich aus dem Abschluss des Beherrschungsvertrages ergeben“ nicht berücksichtigt werden.1 Das OLG Düsseldorf betont zudem die Irrelevanz eines Grenzpreises, „den ein potenzieller Erwerber (in einem Bieterverfahren) bereit (gewesen) wäre, für das Unternehmen als Ganzes zu zahlen“. Insofern käme es in dem konkret entschiedenen Fall auch nicht auf die hypothetische Frage an, ob sich in einem solchen Bieterprozess „regelmäßig ein (fiktiver) ‚markttypischer Erwerber‘ durchsetzen würde, der [mit dem Bewertungsobjekt] eine ertragsteuerliche Organschaft bilden und sich dadurch für die abzufindenden Aktionäre rechnerisch ein höherer Abfindungswert ergeben würde.“2

12.31

Unechte Synergieeffekte sind dagegen nach der einhelligen Auffassung der Spruchgerichte bei der Abfindungs- und Ausgleichsermittlung zu berücksichtigen; allerdings – in Übereinstimmung mit der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswertes nach IDW S 1 – nur soweit die Synergie stiftenden Maßnahmen zum Bewertungsstichtag bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.3

12.32

d) Währungsumrechnung Bei international tätigen Unternehmen stellt sich die Frage der bewertungsmethodischen 12.33 Berücksichtigung einer originär in Fremdwährung geplanten (Teil-)Unternehmensplanung. Entsprechend dem Grundsatz der Währungsäquivalenz müssen die zukünftigen Zahlungsströme und die durch den Kapitalisierungszinssatz abgebildete Alternativanlage in derselben Währung ausgedrückt werden.4 Zur Umsetzung der Währungsäquivalenz können zum einen entsprechend der direkten Methode die in Fremdwährung geplanten Zahlungsüberschüsse mit einem korrespondierenden Kapitalisierungszinssatz aus dem Fremdwährungsraum diskontiert werden. Der daraus ermittelte Unternehmenswert in Fremdwährung wird mit dem aktuellen Wechselkurs in Euro umgerechnet. Zum anderen können entsprechend der indirekten Methode zunächst die in Fremdwährung geplanten Zahlungsströme mit den zukünftig erwarteten periodenspezifischen Wechselkursen umgerechnet werden. Der Unternehmenswert in Euro ergibt sich anschließend durch Diskontierung der Euro-Zahlungsströme mit dem Kapitalisierungszinssatz aus dem Euro-Raum. Vorab ist festzuhalten, dass es für die Bestimmung von künftigen Wechselkursen aus betriebswirtschaftlicher Sicht bislang keinen überlegenen Ansatz gibt. Vom Unternehmen in der Planung angesetzte Wechselkurse sind gleichwohl anhand von Marktdaten und -analysen zu plausibilisieren und ggf. vom Bewerter anzupassen. In der Spruchverfahrenspraxis finden sich bislang nur vereinzelte Entscheidungen, in denen die Frage der Umrechnung einer Fremdwährungsplanung diskutiert wird. Das LG München I führt als Begründung für die Vorzugswürdigkeit der indirekten Methode an, dass die Kapitalkosten in entwickelten Kapitalmärkten bekannt sind; „vielfach wird es aber in Schwellenländern und Wachstumsmärkten problematisch sein, die entsprechenden Kapitalkosten 1 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 169. 2 OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14, Beschlusstext, S. 28; analog OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – 26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 = BeckRS Rz. 33. 3 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 34; aus der jüngeren Rechtsprechung stellvertretend OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 14/13 (AktE), AG 2017, 712 = justiz.nrw.de Rz. 54; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 60. 4 Vgl. LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501 (503).

Popp/Ruthardt

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12.34

§ 12 Rz. 12.34

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

sachgerecht zu ermitteln, weil nur etwa die Hälfte dieser Emerging Markets über Staatsanleihen mit fixen Zinssätzen und langen Laufzeiten verfügt und Staatsanleihen in vielen dieser Länder auch nicht als risikolos einzustufen sind.“1

12.35 Eine Zwitterstellung nimmt eine Entscheidung des OLG Hamburg ein. In diesem Fall wurde die Planung in Landeswährung (Renminbi) erstellt und der sich ergebende Ertragswert (in Renminbi) mit dem Stichtagskurs seitens des Bewertungsgutachters in Euro umgerechnet. Weder die Entscheidung des LG Hamburg noch die des OLG Hamburg gehen hierauf explizit ein.2 Insoweit erfolgt die Währungsumrechnung nach der direkten Methode. Der Bewertungsgutachter hat ferner in jedem Jahr der Detailplanung wie auch in der ewigen Rente die Kapitalkosten um einen Inflationszuschlag erhöht, der aus der geschätzten Inflationsdifferenz zwischen China und Deutschland abgeleitet wurde. Dieser Inflationszuschlag wurde vom OLG Hamburg als sachgerecht eingestuft (a.A. LG Hamburg als Vorinstanz). Ohne hier auf weitere Details einzugehen ist festzuhalten, dass die Verwendung von Inflationsdifferenzen indes nichts anderes wäre, als eine Wechselkursplanung nach der relativen Kaufkraftparitätentheorie.

12.36 Im Rahmen eines Beschlusses des OLG Frankfurt a.M. aus dem Jahr 2017 wurde die Unternehmensplanung mit „langfristigen Durchschnittskursen“ umgerechnet, wobei der Durchschnitt über einen Zeitraum von mehreren Jahren ermittelt wurde. Im entschiedenen Fall bedurfte die Entscheidung, „ob bei der Planung von Wechselkursen auf einen langfristigen Durchschnitt oder einen zum Bewertungsstichtag aktuellen Kurs abzustellen ist“ nach der Ansicht des OLG Frankfurt a.M. keiner abschließenden Bewertung. Denn jedenfalls sei „das Abstellen auf langfristige Durchschnittskurse nicht unplausibel und daher auch nicht im Rahmen eines Spruchverfahrens zu korrigieren.“3 Damit übertragt das OLG Frankfurt a.M. den eingeschränkten Prüfungsmaßstab bei der Unternehmensplanung auch auf die angesetzten Wechselkurse. Das LG Frankfurt a.M. hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 mit der Prognose von Wechselkursen ausschließlich im Hinblick auf die Plausibilität der im entschiedenen Fall angesetzten Rentenphase auseinandergesetzt. Dort wurde gegenüber dem letzten Detailplanungsjahr ein deutlicher Umsatz- und Ergebnisrückgang unterstellt, der – neben anderen Gründen – auch mit dem Ansatz eines nachhaltigen Terminwechselkurses (des rumänischen Leu) begründet wurde. Das LG Frankfurt a.M. rügt in dem entschiedenen Fall insbesondere die fehlende sachliche Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der vorgenommenen Währungsumrechnung auf der Basis von Terminkursen, da die Grundlagen für die Währungsumrechnung nicht offengelegt worden seien.4 Unabhängig davon sei es nicht unplausibel, dass bei einer in der Berücksichtigung von Terminkursen unterstellten Abwertung der Fremdwährung auch ein inflationsgetriebenes Umsatzwachstum in diesem Land zu beobachten sein müsste.5

12.37 Das LG München I spricht sich tendenziell für die Verwendung von Terminkursen bzw. Forward Rates aus.

1 LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501 (503). 2 Vgl. LG Hamburg v. 21.3.2014 – 417 HKO 205/12, BeckRS; OLG Hamburg v. 18.9.2015 – 13 W 44/14. 3 OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 60. 4 Vgl. LG Frankfurt a.M. v. 25.11.2014 – 3-05 O 43/13, juris Rz. 69. 5 Vgl. LG Frankfurt a.M. v. 25.11.2014 – 3-05 O 43/13, juris Rz. 69.

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Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.42 § 12

In einer Entscheidung im Jahr 2014 hat das LG München I festgestellt, dass „die Wechselkurse im Prognosewege zu ermitteln“ seien. Unabhängig von bestehenden Einwendungen bestehe in der betriebswirtschaftlichen Literatur die Tendenz, „eindeutig nachprüfbare Marktdaten und gegenwärtige Terminkurse als erwartungstreue Schätzer für zukünftige Kassakurse zu verwenden. Der zum Bewertungsstichtag beobachtete Forward-Kurs für einen künftigen Zeitpunkt entspräche dem aus heutiger Sicht erwarteten Kassakurs an diesem künftigen Zeitpunkt.“1 Sofern diese Relation halte, gäbe es aus einer ex ante Perspektive keine Gewinne oder Verluste aus Währungsspekulationen (Arbitragefreiheit). Demnach sei der Forward-Kurs „folglich ein besserer Schätzer für den künftigen Wechselkurs als der aktuelle, weil er zusätzlich Inflationserwartungen einpreist“.2

12.38

In einer Entscheidung des LG München I aus dem Jahr 2017 hatte der Bewertungsgutachter die vom Vorstand erstellte Planung im Hinblick auf die Wechselkurserwartungen angepasst, indem er konstante Wechselkurse durch aktuelle Forward Rates ersetzt hat. Das LG München I hat die gutachterliche Anpassung nicht beanstandet und die Verwendung von Forward Rates im vorliegenden Fall als vorzugswürdig beurteilt, während die konstanten Wechselkurse „als nicht mehr plausibel und sachgerecht“ bezeichnet werden.3

12.39

In einer zeitlich etwas früheren Entscheidung sah das LG München I keine Notwendigkeit, die für die Planung getroffenen Wechselkursannahmen mit einem fixen Wechselkurs durch Forward Rates zu ersetzen, da sich die unter den beiden alternativen ermittelten Unternehmenswerte im vorliegenden Fall nur marginal unterscheiden würden. In diesem Fall könne „nicht von der Ungeeignetheit des Ansatzes [ausgegangen] werden, selbst wenn Forward Rates die Zukunftsorientierung der Planung besser abbilden.“4

12.40

Bezüglich der Anpassung eines konstanten Wechselkurses in der Detailplanungsphase durch Forward Rates seitens des Gutachters gelangte das LG Berlin zu dem Ergebnis, dass ein konstanter Wechselkurs – losgelöst sowohl von Analystenschätzungen als auch von Terminkursen – solange nicht zu beanstanden sei, wie dieser in einer plausiblen Bandbreite liegt.5 Keine Bedenken hatte das LG Berlin aber gegen die vom Bewertungsgutachter angesetzten Forward Rates für die an die Detailplanungsphase schließenden Planjahre, für die keine vom Management vorgegebene Wechselkursprognose vorlag.6

12.41

e) Phasenmethode und nachhaltige finanzielle Überschüsse Die finanziellen Überschüsse lassen sich naturgemäß für einen näheren Zeitraum plausibler beurteilen und sicherer prognostizieren als für die fernere Zukunft. Zudem liegt regelmäßig (nur) für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren eine detaillierte Unternehmensplanung vor (Detailplanungsphase). Nach diesem Zeitraum müssen (zwangsläufig vereinfachende)

1 LG München I v. 28.5.2014 – 5 HK O 22657/12, BeckRS S. 16. 2 LG München I v. 28.5.2014 – 5 HK O 22657/12, BeckRS S. 16; in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 erfolgte keine Korrektur der Unternehmensplanung, bei der eine Umrechnung mit Spot Rates zum Zeitpunkt der jeweiligen Planungserstellung vorgenommen wurde. Im konkreten Fall hatten die angesetzten Wechselkurse allerdings keinen wertmindernden Effekt. Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13, juris Rz. 207. 3 Vgl. LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501 (503). 4 LG München I v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15, juris Rz. 82. 5 Vgl. LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/16, Beschlusstext, S. 33. 6 Vgl. LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/16, Beschlusstext, S. 66 f.

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12.42

§ 12 Rz. 12.42

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Annahmen über die nachhaltig bzw. in der Unendlichkeit aus dem Unternehmen zu erwartenden Überschüsse getroffen werden.

12.43 Hierbei sind bewertungstechnisch zwei unterschiedliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Festlegung des Ertragsniveaus des ersten Jahres der ewigen Rente (abgebildet in der Ableitung der finanziellen Überschüsse) sowie die Festlegung des Wachstums der finanziellen Überschüsse ab dem zweiten Jahr der Rentenphase (abgebildet in der Wachstumsrate im Rahmen der Ableitung der Kapitalkosten, vgl. hierzu Rz. 12.126 ff.). In aller Regel wird für diesen Zeitraum ein Gordon-Wachstumsmodell mit einer konstanten Wachstumsrate unterstellt. Das festzulegende Ertragsniveau des ersten Jahres der ewigen Rente kann entweder zum Ende des Detailplanungszeitraums erreicht sein oder höher (niedriger) liegen. Mit dieser Festlegung verbunden ist die Annahme eines „idealen“ im Hinblick auf die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage eingeschwungenen Gleichgewichtszustandes.1

12.44 Ein zwingendes Abstimmen der Ansätze des Bewertungsgutachters mit dem Vorstand kann für die ewige Rente nach der Auffassung des LG München I nicht verlangt werden, weil es hier keine Planannahmen der Gesellschaft mehr gibt.2 Gerade deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn die Prämissen für die ewige Rente vom Bewertungsgutachter aus der Detailplanungsphase abgeleitet werden.3 Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass der Bewertungsgutachter hierbei die langfristigen Erwartungen des planungsverantwortlichen Managements reflektiert. Faktisch werden diese Annahmen nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. „aber – wie mit der Vorlage des Übertragungsberichts dokumentiert […] – von dem Unternehmen bestätigt“.4

12.45 Die nachstehende Analyse der Rechtsprechung wird in zwei Unterpunkte gegliedert: den Einschub einer Übergangsphase sowie die Bildung einer durchschnittlichen Ergebnisgröße. aa) Einschub einer Übergangsphase

12.46 Sofern zum Ende des Detailplanungszeitraums noch nicht das theoretische Ideal eines eingeschwungenen Gleichgewichtszustandes erreicht sein sollte, kann entweder der Planungszeitraum durch Einschub einer Übergangsphase (Grobplanungs-/Konvergenzphase) verlängert werden oder es sind entsprechende Anpassungen des letzten Detailplanungsjahres vorzunehmen.5 Indes muss die Übergangsphase nicht explizit ausgewiesen werden. Vielmehr können die Planzahlen der Übergangsphase und der ewigen Rente zu Darstellungszwecken „in eine Einmalzahl umgerechnet werden“, die damit auch das volle Ertragspotenzial der zwischengeschalteten Übergangsphase enthält.6 Die Prognose jenseits der Detailplanungsphase kann jedenfalls nicht schematisch sondern nur unter Beachtung der konkreten Situation und den Eigenheiten des Unternehmens erfolgen.7 Hinsichtlich des planerischen Einschubs einer Übergangsphase ist generell festzuhalten, dass damit naturgemäß nur ein Teil der Ertragskraft aus der ewigen Rente herausgelöst wird, ohne dass – bei sachgerechter Unternehmensbewertung – die Anzahl der Phasen die Höhe des Ertragswertes in Summe verändert. 1 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2014, 193 (193); Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 243. 2 LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501 = BeckRS, S. 13. 3 Vgl. LG München I v. 30.6.2017 – 5 HK 13182/15, Beschlusstext, S. 89. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 43. 5 Vgl. Hachmeister/Ruthardt/Mager, DB 2014, 1209 (1210); Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (198). 6 Vgl. LG München I v. 6.3.2015 – 5 HK O 662/13, Beschlusstext, S. 34. 7 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 244.

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Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.50 § 12

Bei der rechtlichen Würdigung ist zu unterscheiden, ob der Bewertungsgutachter – in Ab- 12.47 stimmung mit dem Management – bei der Ausgangsbewertung den Einschub einer Übergangsphase modelliert hat oder ob dies seitens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen im Rahmen des Spruchverfahrens erfolgt. Für diesen Fall hat das LG Düsseldorf klargestellt, dass es die „vom Sachverständigen vorgenommene Erweiterung des Planungszeitraums und das Hinausschieben der Phase der sogenannten ‚ewigen Rente‘ … aus Rechtsgründen nicht für zulässig“ hält. Das OLG Düsseldorf als Berufungsinstanz hat diese Beurteilung abgeschwächt, jedoch auf den eher ungewöhnlichen Charakter der Einfügung einer Übergangsphase durch den gerichtlichen Sachverständigen hingewiesen.1 U.E. sollte sich die Darstellung des gerichtlichen Sachverständigen an der Phasenaufteilung des Gutachtens orientieren. Hierdurch wird in besonderem Maße dem Grundsatz der Nachvollziehbarkeit2 Rechnung getragen. Auf diese Weise ist es allen am Spruchverfahren beteiligten Parteien sowie dem Gericht möglich, die Werteffekte von eventuellen Anpassungen des gerichtlichen Sachverständigen im Detail nachzuvollziehen und zu würdigen. Abweichende Phasenaufteilungen erschweren dieses berechtigte Interesse ohne Notwendigkeit. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit finden sich folgende Beweggründe für den Einschub einer Übergangsphase:

12.48

Im Fall des OLG Stuttgart war die nach der Unternehmensstrategie im Bestand des Hypothekengeschäfts angestrebte Zielstruktur zum Ende des Detailplanungszeitraums noch nicht erreicht.3 Speziell bei sehr langfristigen Investitionszyklen (z.B. in der Energiewirtschaft)4 oder langfristigen Entwicklungsprojekten (z.B. in der Pharmaforschung)5 kann es sein, dass die Länge der regelmäßigen Planung für Zwecke der Unternehmensbewertung nicht ausreichend ist. Im Fall des OLG Düsseldorf wurde hierbei die Produktpipeline mittels einer Übergangsphase abgebildet. Nach Auffassung des LG München I wird das Erfordernis der Einschaltung einer Übergangsphase regelmäßig bei Unternehmen angenommen, die in innovationsgetriebenen Wachstumsmärkten tätig sind. Dies sei nicht der Fall, wenn in etablierten Geschäftsfeldern ausgereifte Produkte angeboten werden.6

12.49

Da sich nach Auffassung des Bewertungsgutachters zum Ende der dreijährigen Detailplanung noch kein eingeschwungener Zustand eingestellt hatte, wurden die künftigen Belastungen bei einem Unternehmen der IT-Branche in der Konvergenzphase durch sinkende Margen berücksichtigt. Das LG Hamburg sieht darin keine Substitution der Unternehmensplanung durch eine eigene, vielmehr sei eine Konvergenzphase ein methodisch anerkanntes Mittel mit welchem die Planung der Geschäftsführung keineswegs übergangen, sondern basierend auf den strategischen Entscheidungen der Geschäftsführung fortgeschrieben wird.7 Nach Ansicht des LG Stuttgart wird die seitens des Gutachters zur transparenten Abbildung

12.50

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – 26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 = juris Rz. 119. 2 Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A, Tz. 103; IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 66. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135 = juris Rz. 107. 4 Vgl. OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, BeckRS Rz. 79; LG München I v. 6.3.2015 – 5 HK O 662/13, Beschlusstext, S. 22. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 12.12.2016 – 26 W 4/14, Beschlusstext, S. 6; OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 39 f. 6 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5 HK O 16373/13, juris Rz. 230. 7 Vgl. LG Hamburg v. 3.2.2014 – 412 HKO 111/12, Beschlusstext, S. 13.

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§ 12 Rz. 12.50

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

von bedeutsamen Investitionsprojekten eingefügte Übergangsphase durch Gespräche mit dem Vorstand zu einem integralen Bestandteil der Vorstandsplanung.1

12.51 Negativ abzugrenzen zu dem – primär technischen – Erfordernis des Einschubs einer Übergangsphase, ist u.E. die bloße Einschätzung des Managements und/oder des Bewertungsgutachters auf mittel- und langfristig bestehende Wachstumschancen. Eine solche Einschätzung steht der Annahme eines eingeschwungenen Zustands nicht entgegen.2 Dies gilt auch für die Fälle, bei denen die Wachstumsrate über dem sehr häufig zu beobachtenden Wert von 1,0 % liegt.3 bb) Ansatz eines Durchschnittswertes

12.52 Zur Plausibilisierung des nachhaltigen Ergebnisses bzw. der nachhaltig erwarteten Rentabilität werden regelmäßig Ergebnismargen (Umsatzrendite, EBIT/EBITDA-Marge) herangezogen. Insbesondere bei konjunkturabhängigen, auf Wettbewerbsmärkten tätigen Unternehmen oder grundsätzlich bei Unternehmen, die geschäftsmodell- und/oder rechnungslegungsbedingt schwankende Ergebnisse aufweisen, können margenseitige Durchschnittsbetrachtungen sachgerecht sein. Die Rechtsprechung folgt demnach der in der Betriebswirtschaftslehre anerkannten Auffassung, nach der das nachhaltige Ergebnis ein in der Unendlichkeit im Durchschnitt zu erwartendes Ergebnis abbilden sollte.4

12.53 In diesem Zusammenhang hat das OLG München im Rahmen der Bewertung eines Herstellers von Wälzlagern betont, dass das nachhaltige Ergebnis dem Ergebnis eines durchschnittlichen Jahres entsprechen müsse. Ansonsten bestehe bei konjunkturabhängigen Unternehmen die Gefahr, Boom- oder Rezessionsphasen ewig fortzuschreiben.5 Für einen Hersteller von Elektronikkomponenten kann nach Auffassung des LG München I nicht unterstellt werden, dass erzielte Preisprämien in die Ewigkeit fortzuschreiben seien.6 Bei dem zu bewertenden Unternehmen folgten die positiven Wachstumsansätze in der Detailplanung einer Verlustphase, worin sich auch die Zyklizität der Geschäftstätigkeit widerspiegelt. Gemäß dem OLG München7 kann daher nicht von einer fortlaufend positiven Entwicklung ab dem Höchstniveau ausgegangen werden, sondern es bedarf einer die Zyklizität der Ergebnisse beachtenden Durchschnittsbetrachtung. Wenn die Planung über zehn Jahre hinweg ein stetiges Wachstum der Umsatzerlöse und vor allem eine sich nahezu konstant verbessernde EBIT-Marge zeigt, so kann im Terminal Value ein Ansatz einer hohen EBIT-Marge nicht als sachgerecht bezeichnet werden. Daher ist für ein Unternehmen der Chemiebranche nicht auf das Höchstniveau, sondern eine die Zyklizität der Ergebnisse widerspiegelnde Durchschnittsbetrachtung abzustellen.8 Das OLG Düsseldorf hat für einen Armaturenhersteller den Mittelwert der letzten beiden Planjahre als nachhaltiges Ergebnis angesetzt, da in der Detailplanungsphase zunächst eine günstige Kostenstruktur erreicht werden sollte, die aber nicht als dauerhaft

1 Vgl. LG Stuttgart v. 12.5.2017 – 31 O 61/13, Beschlusstext, S. 22. 2 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5 HK O 16373/13, juris Rz. 238. 3 Vgl. exemplarisch: OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 62; OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 5/11, juris Rz. 176; OLG München v. 7.2.2013 – 31 Wx 122/12, Beschlusstext, 12. 4 Vgl. bspw. IDW Praxishinweis 2/2017, Rz. 58. 5 Vgl. OLG München v 31.3.2008 – 31 Wx 88/06, juris Rz. 144. 6 Vgl. LG München I v. 28.3.2014 – 5 HK O 18925/08, Beschlusstext, S. 28. 7 Vgl. OLG München v. 9.6.2015 – 31 Wx 246/14, Beschlusstext, S. 6. 8 Vgl. LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, AG 2017, 501 = BeckRS S. 14.

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Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.56 § 12

unterstellt werden kann.1 Inhaltlich zum selben Ergebnis kommt das OLG Frankfurt a.M., indem es – aufgrund der Zyklizität der Maschinenbaubranche – ein durchschnittliches Ergebnis der Detailplanungsphase als nachhaltiges Ergebnis akzeptiert.2 In eine ähnliche Richtung geht eine Entscheidung des OLG Stuttgart, in der darauf hingewiesen wird, dass es (nur dann) nicht zu beanstanden sei, wenn das nachhaltige Ergebnis auf der Plangröße aufsetzt, in der sich das Unternehmen noch nicht in einem Gleichgewichtszustand befindet, sofern eine Anpassung der nicht nachhaltigen Einflussgrößen erfolgt.3 Die Entscheidung erging zu einem Unternehmen aus der Telekommunikationstechnik. Für einen Pistenraupenhersteller ist nach Auffassung des OLG Stuttgart eine Reduzierung des EBIT im nachhaltigen Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn aufgrund von Wettbewerb eine Reduzierung der Margen zu erwarten sei.4 Für einen Parkhausbetreiber gelang das OLG Stuttgart zu dem Ergebnis, dass die Bildung eines durchschnittlichen EBIT aus der Detailplanungsphase nicht zu beanstanden sei.5 Für ein Unternehmen aus der Werbe- und IT-Branche hat das LG Berlin ausgeführt, dass ein unterhalb des Ergebnisses des letzten Detailplanungsjahres liegendes nachhaltiges Ergebnis „durchaus plausibel sein kann“.6 Nach Auffassung der Kammer sei es nicht plausibel, einen (Spitzen-)Wert des letzten Detailplanungsjahrs fortzuschreiben: Im Wert der ewigen Rente seien Phasen hoher Profitabilität ebenso abzubilden wie wirtschaftlich schlechte Perioden. Dies sei in der Planung berücksichtigt worden, indem ein hinsichtlich der Konjunkturzyklen geglätteter nachhaltiger Wachstumstrend angenommen wurde. Um diesen abzubilden wurde ein Durchschnittswert gebildet, der den eingeschwungenen Zustand repräsentiere und daher mit einem Wachstumsfaktor fortgeschrieben werden könne. f) Ableitung der Netto-Ausschüttungen Eine integrierte Unternehmensplanung umfasst die geplante Investitions-, Ausschüttungs-, Thesaurierungs- und Finanzierungspolitik.

12.54

Ergibt sich aus dem integrierten Planungsmodell temporär nach Ausnutzung der geplanten Fremdfinanzierung ein Kapitalbedarf, kann dieser durch die Nichtausschüttung von Gewinnen finanziert werden. Diese Form der Innenfinanzierung in der Detailplanungsphase (sog. Ist-Thesaurierung), sei es zur Tilgung von Verbindlichkeiten oder zur Verwendung für operativ notwendige Investitionen, wirkt auf zwei Ebenen auf den Unternehmenswert. Einmal durch ein verbessertes Zinsergebnis und zum zweiten durch eine Reduzierung des Verschuldungsgrades (bei der Anpassung des Betafaktors).7 Soweit die Mittelverwendung vom Unternehmen geplant wird, handelt es sich hierbei letztlich um eine vom Gericht nur „eingeschränkt überprüfbare unternehmerische Entscheidung“.8

12.55

In der Rentenphase wird regelmäßig von einem inflationsbedingten Wachstum des Unternehmens ausgegangen (vgl. Rz. 12.126). Auch bei einer nachhaltigen Vollauskehrung (teilweise auch als fiktive Vollausschüttung bezeichnet) der (handelsrechtlichen) Gewinne, un-

12.56

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 26 W 5/07, juris Rz. 141. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 53. Vgl. OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 = juris Rz. 144. Vgl. OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris Rz. 251. Vgl. OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 6/09, AG 2012, 839 = juris Rz. 141. Vgl. LG Berlin v. 2.12.2014 – 102 O 241/12, Beschlusstext, S. 35. Vgl. LG Stuttgart v. 12.5.2017 – 31 O 61/13, Beschlusstext, S. 28. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2011 – 21 W 13/11, AG 2011, 832 = juris Rz. 57-60; inhaltlich auch OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 50.

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§ 12 Rz. 12.56

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

terliegt das im Unternehmen gebundene Kapital inflationsbedingten Wachstumseinflüssen, wodurch sich die in der Plan-Bilanz zum Ende des letzten Jahres der Detailplanungsphase ausgewiesenen Aktiva und Passiva in der Phase der ewigen Rente inflationsbedingt fortentwickeln.1 Zur Finanzierung des bilanziellen Wachstums in der ewigen Rente müssen Teile des nachhaltigen Ergebnisses definitiv einbehalten werden, da anderenfalls kein eingeschwungener Verschuldungsgrad realisiert werden kann – sog. Wachstumsthesaurierung. Dies folgt bereits daraus, dass einkaufs- und absatzgetriebene Positionen (z.B. Working Capital) der Preissteigerung folgen werden und auch der Ersatz von Anlagegütern einer Inflation unterliegt. Mit anderen Worten wachsen grundsätzlich alle Gewinn- und Verlustpositionen sowie die Posten der Bilanz jährlich in Höhe der nachhaltigen Wachstumsrate. Eine Ausnahme stellen solche Bilanzposten dar, deren Veränderung entweder nicht zahlungswirksam ist, wie z.B. aktive oder passive latente Steuern oder für die in der ewigen Rente kein Wachstum unterstellt wird, wie z.B. für den historisch erworbenen bilanziellen Goodwill. Daher ist das bilanzielle Eigenkapital um den Buchwert des Goodwills zu bereinigen.2 Gleiches gilt i.d.R. auch für das Finanzanlagevermögen, da auch hier in der ewigen Rente von keiner investitionsbedingten Erhöhung auszugehen ist. Der Betrag der Wachstumsthesaurierung ergibt sich – bei bilanzieller Betrachtung – aus dem Produkt der Wachstumsrate und dem wirtschaftlichen Eigenkapital zum Ende der Detailplanungsphase.3 Das Erfordernis einer Wachstumsthesaurierung ist in der Rechtsprechung anerkannt.4

12.57 Die geplanten Ausschüttungen werden im sog. Wertbeitrag aus Ausschüttungen abgebildet. Die den Wertbeitrag aus Ausschüttungen bildende Dividendensumme ist um die Abgeltungsteuer von 25,0 % zuzüglich 5,5 % Solidaritätszuschlag zu vermindern. Die Höhe der nachhaltigen Ausschüttungsquote orientiert sich zumeist an beobachtbaren Ausschüttungsquoten anderer Unternehmen. Dabei wird häufig auf „markttypische“ Ausschüttungsquoten zwischen 40 % und 60 % verwiesen oder, im Sinne einer „engeren Orientierung“, auf die Ausschüttungsquoten der Peer Group Unternehmen rekurriert. Teilweise wird auch auf branchenübliche Ausschüttungsquoten, den Durchschnitt der Detailplanungsjahre oder auf eine grundsätzliche unternehmerische Entscheidung verwiesen.5

12.58 Die Abkehr von der Vollausschüttungshypothese stellt nach Ansicht des OLG Düsseldorf eine methodische Verbesserung dar, da eine Vollausschüttung in der Wirklichkeit nicht zu beobachten ist.6 Wenn und soweit die originäre Planungsrechnung keine Ausschüttungsplanung enthalte, sind mit der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. „vereinfachende, intersubjektiv nachprüfbare Annahmen zu treffen, welche dem in der Planung unterstellten Unternehmensumfang und dem damit verbundenen Investitionsprogramm sowie der angegebenen Kapitalstruktur Rechnung tragen.“7 In Betracht kommt hier eine Orientierung an dem Ausschüt1 2 3 4

Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Tz. 455. Vgl. LG Berlin v. 22.11.2011 – 102 O 228/07, Beschlusstext, S. 27. Vgl. Popp, Der Konzern 2019, 105 (108 f.). Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 91 f.; OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 61; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 181; OLG Karlsruhe v. 15.11.2012 – 12 W 66/06, AG 2013, 353 = juris Rz. 128; OLG Karlsruhe v. 12.4.2012 – 12 W 57/10, Beschlusstext, S. 49; OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 51; OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560 = juris Rz. 152; a.A. OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – 26 W 10/15 (AktE), AG 2017, 754. 5 Vgl. für eine umfassende Auswertung der Rechtsprechung Ruthardt/Hachmeister, DB 2014, 193 (196 f.). 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 20/14, Beschlusstext, S. 37. 7 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 85.

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Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.60 § 12

tungsverhalten der Gesellschaft in der Vergangenheit bzw. eine Orientierung am Ausschüttungsverhalten der Alternativanlage.1 Soweit sich die Verhältnisse und hierbei insbesondere die Anforderungen des bisherigen und des neuen Hauptaktionärs an das Ausschüttungsvolumen ändern, kann auch eine Abkehr von der bisherigen Ausschüttungspolitik sachgerecht sein.2 Die Ergänzung bzw. Korrektur der Planungsrechnung um eine Ausschüttungsplanung stellt eine rein bewertungstechnische Anpassung seitens des Gutachters dar. Sofern vom Jahresergebnis (anteilig) Beträge einbehalten werden, für diese allerdings keine 12.59 konkrete Verwendung geplant ist, wird im Rahmen des Ertragswertverfahrens für diese üblicherweise die ökonomisch sinnvolle Annahme einer kapitalwertneutralen Wiederanlage getroffen. Die (fiktive) Investition der Beträge auf Unternehmensebene führt in den Jahren nach der Thesaurierung zu zusätzlichen Erträgen. Unter der Annahme der kapitalwertneutralen Reinvestition,3 können diese formal nicht ausgeschütteten Mittel wertgleich durch eine fiktive unmittelbare Zurechnung der thesaurierten Beträge an die Anteilseigner abgebildet werden. Sie bilden dann den sog. Wertbeitrag aus Thesaurierungen. Die Wertbeiträge aus Thesaurierungen werden in der Bewertungspraxis typisierend mit der effektiven Veräußerungsgewinnbesteuerung i.H.v. 12,5 % zzgl. Solidaritätszuschlag (insgesamt 13,1875 %) belegt. Für ausschüttungsfähige Beträge, für die keine explizite Verwendungsannahme im Pla- 12.60 nungsmodell vorliegt, ist denkbar, entweder (i) eine fiktive Ausschüttung mit der Folge einer Einkommensbelastung auf Dividenden zu unterstellen oder (ii) eine fiktive unmittelbare Zurechnung vorzunehmen und damit in steuerlicher Hinsicht Veräußerungsgewinne zu unterstellen. Für die modelltechnische Abbildung im integrierten Planungsmodell ergeben sich für beide Varianten auf Unternehmensebene keine Unterschiede: die ausgeschütteten oder unmittelbar zugerechneten Mittel mindern im Diskontierungszeitpunkt den Bestand der flüssigen Mittel sowie den Bestand des bilanziellen Eigenkapitals und stehen nicht mehr für (Real- oder Finanz-) Investitionen auf Unternehmensebene zur Verfügung. Der Unterschied beruht allein auf der einkommensteuerlichen Behandlung der Einnahmen. Wenn und soweit allerdings die lebensferne Vollausschüttungshypothese ausgeblendet wird, müssen die fiktiv unmittelbar zugerechneten Beträge mit einem hierzu aus steuerlicher Sicht äquivalenten und eine entsprechende Rendite nach Einkommensteuer reflektierenden Kapitalisierungszinssatz kapitalisiert werden.4 Insofern muss dann auch bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes nach persönlichen Steuern die unterschiedliche Besteuerung von Dividenden (sofort) und Veräußerungsgewinnen (später in Abhängigkeit von der typisierten Haltedauer) mittels Tax-CAPM berücksichtigt werden.5 Das OLG Düsseldorf sieht hier die Verbindungslinie zwischen der Abkehr von der Vollausschüttungshypothese und der Rendite aus der Alternativanlage in Aktien.6 Während das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung folgerichtig das Tax-CAPM damit auch für einen Stichtag im Jahr 1998 befürwortet,7 hat es in einer zweiten

1 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 87. 2 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 36; OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 48. 3 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 37. 4 Vgl. Popp, WPg 2017, 465 (468 f.). 5 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DB 2017, 957 (958). 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 35, 47, 52; OLG Düsseldorf v. 6.7.2017 – 26 W 8/16, Beschlusstext, S. 15 i.V.m. LG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 39 O 129/06, BeckRS Rz. 51. 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – 26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 872 = BeckRS Rz. 48.

Popp/Ruthardt

333

§ 12 Rz. 12.60

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Entscheidung das Tax-CAPM abgelehnt,1 obwohl zum dortigen Bewertungsstichtag im Jahr 1999 die identischen steuerlichen Rahmenbedingungen galten. 3. Stichtagsprinzip

12.61 Unternehmenswerte sind unter Beachtung des Stichtagsprinzips zeitpunktbezogen auf den Bewertungsstichtag zu ermitteln. Im Rahmen der informatorischen Abgrenzungsfunktion legt das Stichtagsprinzip fest, welche Informationen bei der Erstbewertung aber auch bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung oder Neuermittlung einer Bewertung zugrunde zu legen sind.2 Gemäß der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre und IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 23 gilt grundsätzlich folgendes: Fallen der Bewertungsstichtag und der Zeitpunkt der Durchführung der Bewertung zeitlich auseinander, ist nur der Informationsstand zu berücksichtigen, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.

12.62 In der Rechtsprechung wird die Abgrenzung nicht mehr berücksichtigungsfähiger Informationen regelmäßig unter dem Begriff „Wurzeltheorie“ diskutiert. Demnach dürften nur solche Maßnahmen und Entwicklungen berücksichtigt werden, die zum Bewertungsstichtag „in der Wurzel“ bereits angelegt sind. Dazu finden sich in der Rechtsprechung auch in der jüngeren Vergangenheit divergierende Beschreibungen des Stichtagsprinzips bzw. der Wurzeltheorie.3 Spätere Entwicklungen oder Tatsachen dürften grundsätzlich nur berücksichtigt werden, wenn – sie „im Kern“4 oder „in ihren Ursprüngen“5 angelegt waren; – „ihre Wurzel bereits zum Stichtag gelegt war“;6 – sie „zu diesem Zeitpunkt bereits angelegt waren“;7 – sie bei angemessener Sorgfalt „erkennbar“8 oder „absehbar“9 waren; – sie „bekannt oder deren Eintreten (oder Wegfall) vorhersehbar waren“.10

12.63 Während die ersten drei Formulierungen eng an die Formulierung des BGH zur Wurzeltheorie angelehnt sind, wird bei den anderen zwei Formulierungen zusätzlich auf die Erkennbarkeit bzw. Absehbarkeit/Vorhersehbarkeit am Bewertungsstichtag verwiesen.

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 7.7.2018 – 26 W 6/16, Beschlusstext, S. 24. 2 Vgl. zum Stichtagsprinzip ausführlich Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (857–866); Hüttemann/Meyer, § 14. 3 Vgl. in der Folge Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (860 f.). 4 OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris Rz. 180; OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560 = juris Rz. 146; OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – 26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 = BeckRS Rz. 43. 5 OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00, AG 2003, 329 (332). 6 OLG Hamburg v. 3.8.2000 – 11 W 36/95, AG 2001, 479 (480). 7 OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, AG 2007, 128 (131); OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 = juris Rz. 130. 8 OLG Frankfurt a.M. v. 9.2.2010 – 5 W 38/09, juris Rz. 17; OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07(AktE), WM 2009, 2220 (2224). 9 OLG Stuttgart v. 19.3.2008 – 20 W 3/06, AG 2008, 510 (514). 10 LG Bremen v. 18.2.2002 – 13 O 458/96, AG 2003, 214 (214).

334

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.66 § 12

In der Umsetzung des Stichtagsprinzips auf konkrete Einzelfälle finden sich teilweise Formulierungen der Rechtsprechung, die auf eine Verletzung des strengen Stichtagsprinzips hindeuten könnten, da hierdurch die zum Bewertungsstichtag bestehende Unsicherheit der ursprünglichen Wertindikation ausgeblendet wird.1 Darunter fallen die Beschlüsse, in denen spätere Entwicklungen „zur Plausibilitätsprüfung herangezogen werden.“2 Prognosezahlen können unter Beachtung des Stichtagsprinzips durch die Ist-Zahlen „weder verifiziert noch falsifiziert und entsprechend nicht ersetzt werden.“3

12.64

Eine umfängliche Auswertung der Rechtsprechung zeigt allerdings, dass sich die Gerichte mit der Korrektur der ursprünglichen Planzahlen aufgrund von späteren Entwicklungen prinzipiell zurückhalten.4 Die Berücksichtigung späterer Entwicklungen wird in Spruchverfahren sehr restriktiv gehandhabt. Dies könnte nicht zuletzt auf die inhärente Unschärfe des Konzeptes der Wurzeltheorie zurückzuführen sein. Betriebswirtschaftlich mangelt es der Wurzeltheorie an einer theoretischen Fundierung, ihre inhärente Unbestimmtheit steht einer praktikablen Umsetzung entgegen. Eine nachvollziehbare und praktikable Abgrenzung der bewertungsrelevanten Informationen lässt sich durch eine entscheidungsorientierte Interpretation des Stichtagsprinzips vornehmen. Nach dem entscheidungsorientierten Stichtagsprinzip sind alle Informationen relevant, die bei angemessener Sorgfalt für die Entscheidungsträger am Bewertungsstichtag erkennbar waren und deren Kenntnis die Höhe des Unternehmenswertes beeinflusst hätte.5 Das Stichtagsprinzip gilt auch für die rechtlichen Rahmenbedingungen der Bewertung. Bezüglich der anzusetzenden Ertragsteuerbelastung der finanziellen Überschüsse ist das am Bewertungsstichtag geltende bzw. das mit Wirkung für die Zukunft bereits erkennbar beschlossene Steuerrecht maßgeblich.6

12.65

4. Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes a) Alternativanlage in ein Aktienportfolio und CAPM als Standardmodell Der Kapitalisierungszinssatz dient rechentechnisch zur Diskontierung der Zahlungsüberschüsse auf den Bewertungsstichtag. Ökonomisch verkörpert er – als Opportunitätskostenmaß – die Rendite des Alternativinvestments zur Investition in das Bewertungsobjekt. Als Ausgangspunkt wird für die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes regelmäßig auf die Rendite einer Anlage in Unternehmensanteile sowie den modelltheoretischen Zusammenhang des (Tax-)CAPM abgestellt. Die Verwendung des (Tax-)CAPM ist inzwischen anerkannt und entspricht der gefestigten oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung. Sie wird von der ganz überwiegenden Mehrzahl der Gerichte und Literaturstimmen als sachgemäß erachtet.7 Der Kapitalisierungszinssatz setzt sich demnach aus dem risikolosen Basiszinssatz und dem Risi1 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (455). 2 Vgl. u.a. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 100; OLG München v. 15.12.2004 – 7 U 5665/03, AG 2005, 468 (488); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (455). 3 OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 30. 4 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (455-457). 5 Vgl. ausführlich Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (857-866). 6 Vgl. stellvertretend aus der Rechtsprechung OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), BeckRS Rz. 54 f.; m.w.N Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (859). 7 Vgl. stellvertretend OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 105; OLG Düsseldorf v. 15.12.2016 – 26 W 25/12 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 71; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 26 m.w.N.; Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2012, S. 27 f.

Popp/Ruthardt

335

12.66

§ 12 Rz. 12.66

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

kozuschlag als Produkt aus der Marktrisikoprämie und dem unternehmensspezifischen Betafaktor zusammen. Durch den Risikozuschlag wird methodisch die Risikoaversion der Marktteilnehmer berücksichtigt, weswegen die Marktteilnehmer für die Übernahme unternehmerischer Risiken eine über den Basiszinssatz hinausgehende Rendite erwarten.1 Um eine Doppelerfassung der unternehmerischen Risiken zu vermeiden, müssen die Zahlungsüberschüsse aus dem Unternehmen dem Erwartungswert – d.h. den mit der Eintrittswahrscheinlichkeit gewichteten zukünftig erwarteten Szenarien – entsprechen. b) Basiszinssatz

12.67 In der Rechtsprechung ist die theoretisch fundierte marktorientierte Ableitung des Basiszinssatzes anhand der aus deutschen Kupon-Bundesanleihen mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren erzeugten Zinsstrukturkurve für Spot Rates allgemein anerkannt. Hierfür werden von der Deutschen Bundesbank tagesaktuelle Parameterschätzer zur Verfügung gestellt.2

12.68 Die Heranziehung von Bundesanleihen, als einer sicheren Anlage weitestgehend nahekommende Wertanlagen, unterliegt keinen methodischen Vorbehalten. Auch wenn selbst bei diesen Anlagen ein theoretisches Restausfallrisiko besteht, kann dieses bei der Unternehmensbewertung vernachlässigt werden. „Denn auf das theoretische Restausfallrisiko kommt es nicht entscheidend an, weil völlig risikofreie Anlagen nicht verfügbar sind.“3 Eine Reduktion der Zinssätze aus der Zinsstrukturkurve um den per annum Wert für Credit Default Swaps ist daher nicht erforderlich.4

12.69 Die Bewertungspraxis folgt bei gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen durchgehend den Empfehlungen des FAUB des IDW.5 Demnach soll ein aus den letzten drei Monaten vor dem Bewertungsstichtag erzeugter barwertäquivalenter und bei Zinssätzen von größer/gleich 1,0 % auf den nächsten Viertelprozentpunkt gerundeter Durchschnittszinssatz herangezogen werden. Bei Zinssätzen von weniger als 1,0 % spricht sich der FAUB seit dem 4.7.2016 dafür aus, eine Rundung auf 1/10 %-Punkte vorzunehmen.6

12.70 Die Durchschnittsbildung über drei Monate vor dem Bewertungsstichtag wird in der Rechtsprechung als sinnvoll eingeschätzt. Auf diese Weise könnten Ausreißer bei der Schätzung ausgeglichen werden.7 Als maßgebliches Ende für den Referenzzeitraum wird dabei auf den Tag vor der jeweiligen Hauptversammlung abgestellt.8

1 Vgl. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 35; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 65. 2 Vgl. stellvertretend mit Nachweisen zur Rechtsprechung Hachmeister/Ruthardt, WPg 2014, 894 (898). 3 OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 110. 4 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 110. 5 Vgl. für eine empirische Auswertung zur Ermittlung des Basiszinssatzes bei Strukturmaßnahmen ausführlich Hachmeister/Ruthardt/Mager, CF 2014, 102 (102-107). 6 Vgl. zum Hintergrund der Rundungsempfehlung des IDW Popp, WPg 2016, 926 (926-929). 7 Vgl. LG München I v. 2.12.2016 – 5 HK 5781/15, juris Rz. 118; LG München I v. 25.4.2016 – 5 HK 9122/14, juris Rz. 127; für die Durchschnittsbildung u.a. auch OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, BeckRS Rz. 40. 8 Vgl LG München I v. 28.4.2017 – 5 HK O 26513/11, BeckRS Rz. 18; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, juris Rz. 42.

336

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.75 § 12

Nach der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. sei jedenfalls eine „fallweise Entscheidung über die Länge des zur Durchschnittsbildung herangezogenen Intervalls unabhängig von der damit verbundenen Bewertungsunsicherheit nicht sachgerecht.“1 Bei der Durchschnittsbildung handele es sich um den Versuch einer Glättung von Marktschwankungen, „der zwar nicht zwingend, im Ergebnis jedoch nicht zu beanstanden“2 sei. Insgesamt sei die Durchschnittsbildung über 90 Tage zwar nicht zwingend. Sie entspräche allerdings den vom IDW empfohlenen allgemeinen Konventionen und stimme mit der Durchschnittsbildung bei der Ermittlung des relevanten Börsenkurses überein.3

12.71

Auch die Umrechnung der Spot Rates in einen barwertäquivalenten Einheitszins wird von 12.72 der Rechtsprechung als angemessen eingeschätzt. Dieser typisierte laufzeitkonstante Einheitszins soll die Komplexität bei der Basiszinsableitung verringern und das Vorgehen vergleichbar machen.4 Die Verwendung des Einheitszinses anstelle von laufzeitspezifischen Zinsen (Spot Rates) sei aus Praktikabilitätsgründen im Rahmen einer Schätzung nicht zu beanstanden.5 Ferner wird auf Gründe der Darstellbarkeit verwiesen, da bei entsprechender Annahmesetzung die Abzinsung mit einem einheitlichen Basiszins einen gegenüber der jeweils fristenkongruenten Abzinsung identischen Barwert liefere.6 Das OLG Frankfurt a.M. hat in einem Beschluss darauf hingewiesen, dass bei der Einheitszinsermittlung zwar methodisch korrekterweise das konkrete Wachstum in der Detailplanungsphase zu berücksichtigen sei. Dies sei allerdings für eine ausreichend genaue Schätzung des Basiszinssatzes nicht zwingend erforderlich.7

12.73

Nicht völlig einheitlich gehandhabt wird aktuell von den Spruchsenaten die Frage der Rundung des Basiszinssatzes.

12.74

Das OLG Frankfurt a.M. vertritt eine Rundung auf zwei Nachkommastellen. In ständiger Rechtsprechung abgelehnt wird jedenfalls eine weitergehende Rundung zulasten der Minderheitsaktionäre auf den nächsten Viertelprozentpunkt.8 Zwar sei es nach der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. nicht von der Hand zu weisen, dass die Rundung verfahrensorganisatorische Erleichterungen bringen kann, wenn auf geringfügige Änderungen zwischen dem Ende der Bewertungsarbeiten und der Hauptversammlung nicht zu reagieren wäre. Sofern diese Erleichterung in Anspruch genommen würde, sei „es aber nicht einzusehen, wieso dies zulasten der Minderheitsaktionäre vermittels einer Aufrundung statt zugunsten der Minderheitsaktionäre vermittels einer ‚Abrundung‘ erfolgen sollte.“ Durch eine Rundung könnten jedenfalls Schätzfehler nicht korrigiert werden, „sondern nur kaschiert werden“.9 Im Ergebnis käme eine Rundung „jedenfalls dann nicht in Betracht [wenn der Basiszins] erst nachträglich im Rahmen des Spruchverfahrens ermittelt wird“.10

12.75

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, juris Rz. 73. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241 = juris Rz. 70. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, juris Rz. 75. Vgl. LG Köln vom 14.1.2016 – 91 O 64/12, Beschlusstext, S. 32. Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 50. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241 = juris Rz. 72. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, juris Rz. 69. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 = juris Rz. 59 m.w.N. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 104. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 104.

Popp/Ruthardt

337

§ 12 Rz. 12.76

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

12.76 Das OLG Karlsruhe hat im Jahr 2015 in zwei Entscheidungen die vorgenommene Rundung auf den nächsten Viertelprozentpunkt nicht beanstandet1 bzw. ausgeführt, dass es „auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten“ sei, „etwa für sachgerecht gehaltene Rundungen stets zugunsten“ der Minderheitsaktionäre vorzunehmen.2

12.77 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 sieht das OLG Karlsruhe nun allerdings für eine Rundung auf den nächsten Viertelprozentpunkt keinen Anlass.3

12.78 Das OLG Düsseldorf hat sich nach unseren Erkenntnissen nicht eindeutig gegen die Rundung auf einen Viertelprozentpunkt ausgesprochen. In einer Entscheidung im Jahr 2016 wurde jedenfalls die vom Landgericht vorgenommene (geringfügige) Aufrundung nicht beanstandet.4 Jedenfalls hat das OLG Düsseldorf zuletzt klargestellt, dass es eine Rundung auf einen Viertelprozentpunkt jedenfalls nicht zwingend für erforderlich hält, „weil sie nicht vereinfacht und nicht zu einem höheren Erkenntnisgewinn führt“.5 Grundsätzlich sei eine Rundung des Basiszinssatzes auf zwei Nachkommastellen nicht zu beanstanden. Eine weitere Abrundung auf Viertelprozentpunkte sei „keineswegs zwingend“.6

12.79 Das OLG Dresden konnte in einer Entscheidung im Jahr 2017 mangels Entscheidungsrelevanz die Frage der Rundung offen lassen.7

12.80 Das OLG Stuttgart hat nach unseren Erkenntnissen in seinen bisherigen Entscheidungen die Empfehlungen des FAUB „regelmäßig als Schätzgrundlage anerkannt“.8

12.81 Das OLG München ist nach unseren Erkenntnissen in seinen bisherigen Entscheidungen den Empfehlungen des FAUB gefolgt.9 c) Marktrisikoprämie

12.82 Für die Ermittlung der Marktrisikoprämie finden sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur die verschiedensten Ansätze,10 wobei sich ein eindeutig überlegener Ansatz bzw. eine durchgehende Meinung (jedenfalls bislang) nicht durchgesetzt hat. Mangels eindeutiger wissenschaftlicher Vorgaben kann die Marktrisikoprämie (MRP) nach Auffassung der Rechtsprechung nur im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ermittelt werden.11 Eine „empirisch 1 Vgl. OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 12a W 4/15, AG 2016, 220 = juris Rz. 43. 2 Zwar wurde hier bezogen auf den Zeitpunkt der Bewertungsarbeiten eine Aufrundung auf 4,0 % vor Steuern vorgenommen; zum Tag der Hauptversammlung lag der ungerundete Basiszinssatz dann allerdings mit 4,28 % über dem angesetzten Basiszinssatz, vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 = juris Rz. 78. 3 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 62. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.11.2016 – 26 W 2/16 (AktE), AG 2017, 672 = BeckRS Rz. 43. 5 OLG Düsseldorf v. 15.12.2016 – 26 W 25/12 (AktE), AG 2017, 709 = BeckRS Rz. 67; OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – 26 W 10/15 (AktE), AG 2017, 754 = juris Rz. 39. 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 12.12.2016 – 26 W 4/14, Beschlusstext, S. 17 f. 7 Vgl. OLG Dresden v. 16.8.2016 – 8 W 244/17, Beschlusstext, S. 21. 8 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.10.2013 – 20 W 3/13, AG 2014, 208 = juris Rz. 124; in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 hat das OLG Stuttgart keine Bedenken gegen den gerundeten Basiszinssatz von 2,50 % vor Steuern, vgl. OLG Stuttgart v. 28.9.2017 – 20 W 5/16. 9 Vgl. OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 = juris Rz. 77 f.; zuletzt auch OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 122/16, Beschlusstext, S. 20. 10 Vgl. für einen Überblick Hachmeister/Ruthardt/Authenrieth, DBW 2015, 145 (146-148). 11 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 73.

338

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.86 § 12

genaue Festlegung ist nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht möglich.“1 Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung in der Vergangenheit im Rahmen der Schätzung regelmäßig den Bandbreitenempfehlungen des FAUB gefolgt.2 Seit der Verlautbarung im Oktober 20123 hält es der FAUB für sachgerecht, sich an einer, gegenüber früheren Empfehlungen (4 % bis 5 % nach persönlichen Steuern), erhöhten Bandbreite von 5 % bis 6 % nach persönlichen Steuern (Abgeltungsteuer) zu orientieren. Die Erhöhung der Bandbreite wurde zunächst von einzelnen Landgerichten kritisch gesehen bzw. abgelehnt.4 In den uns bekannten aktuellen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, die zu Stichtagen nach der erhöhten Bandbreitenempfehlung ergangen sind, wurde die Erhöhung des FAUB allerdings überwiegend mitgetragen. Ferner wurde die Erhöhung der Bandbreite inzwischen in einem Beitrag ausführlich begründet.5

12.83

Eine ausführlich begründete kritische Einstellung gegenüber der erhöhten Bandbreite findet 12.84 sich am Gerichtsstandort München. In einem für den Bewertungsstichtag 6.6.2013 ergangenen Beschluss lehnt das LG München I den Ansatz einer MRP nach Steuern i.H.v. 5,5 %, die von den Bewertungsgutachtern unter Verweis auf die Verlautbarung des FAUB vom 19.9.2012 und implizit ermittelte MRP angesetzt und von den Vertragsprüfern nicht beanstandet wurde, zugunsten eines niedrigeren Werts i.H.v. 5,0 % ab. Zunächst wird vom LG München I der Ansatz einer implizit aus Prognosen von Finanzanalysten und Ratingagenturen ermittelten sog. impliziten MRP als nicht geeignet bewertet. Insbesondere wird auf die Subjektivität der Einschätzungen von Finanzanalysten und Ratingagenturen hingewiesen. Auch spreche gegen diesen Ansatz, dass die Marktkapitalisierung als Inputparameter in die Ermittlung der impliziten MRP eingehe. In diesem Fall sei „die Ermittlung der impliziten Eigenkapitalkosten nicht erforderlich, weil die Verwendung eines so ermittelten Eigenkapitalkostensatzes exakt zum Börsenkurs führen [würde] und dann unmittelbar auf diesen abgestellt werden könnte.“6

12.85

Darüber hinaus wird gegen das Argument einer Erhöhung der Marktrisikoprämie aufgrund der Auswirkungen der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise vom LG München I angeführt, dass die Vergangenheitszahlen, die zu der ursprünglichen Empfehlung der (historischen) MRP nach Steuern zwischen 4,0 % und 5,0 % geführt haben, bereits mehrere konjunkturelle Zyklen mit Auf- und Abschwungphasen umfassten. Soweit auf Fortschreibungen von StehleDaten bis zum Jahr 2013 Bezug genommen wird7, steht zu vermuten, dass der Effekt aus dem Rückgang der Basiszinssätze durch Kursgewinne auf bestehende Staatsanleihen, die noch über

12.86

1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 52. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 73. Vgl. FN-IDW 2012, 568 f. Vgl. für Entscheidungen der Landgerichte aus den Jahren 2014 und 2015 Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 687 (687 ff.). Zustimmend aus den Jahren 2016 ff.: LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14, BeckRS, Beschlusstext, S. 11; LG Köln v. 22.3.2016 – 91 O 30/14; LG Stuttgart v. 22.8.2016 – 31 O 1/12; LG Hamburg v. 11.1.2017 – 415 HKO 27/15; LG Hannover v. 24.1.2017 – 26 O 106/15; LG Stuttgart v. 12.5.2017 – 31 O 61/13; LG Koblenz v. 7.8.2017 – 4 HK O 97/14; LG Düsseldorf v. 1.6.2018 – 35 O 11/15; LG Stuttgart v. 17.9.2018 – 31 O 1/15; LG Bremen v. 7.2.2019 – 11 O 231/15. 5 Vgl. Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, WPg 2018, 806. 6 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5HK O 16371/13, AG 2016, 51 = Beschlusstext, S. 150. 7 Vgl. LG München I v. 29.8.2018 – 5 HK 16585/15, Beschlusstext, S. 103 f.

Popp/Ruthardt

339

§ 12 Rz. 12.86

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

eine relativ hohe fixe Vergütung verfügen1, kompensiert wird und insofern die Fortschreibungen unter Einbezug des REXP keine repräsentative Basis für Prognosezwecke darstellt.

12.87 Auch sei die These einer konstant realen Aktienrendite (die unter Berücksichtigung des aktuell im historischen Vergleich niedrigen Basiszinssatzes für eine höhere Marktrisikoprämie als Differenz aus Aktienrendite und risikoloser Rendite sprechen könnte) empirisch nur schwer zu bestätigen. Ebenso würde vertreten, die Kapitalmarktteilnehmer würden als Reaktion auf das anhaltende niedrige Renditeniveau quasi-risikoloser Bundesanleihen ihre Renditeerwartungen für risikobehaftete Investitionen reduzieren.2

12.88 Im Ergebnis fasst das LG München I wie folgt zusammen: „Bei dieser Ausgangslage mit dem Fehlen eindeutiger empirischer Studien, die konstant reale Renditeforderungen bestätigen oder ausschließen, ist ein Ansatz einer Marktrisikoprämie, die sich im Schnittbereich der ursprünglichen Empfehlung [des FAUB] mit den angepassten neueren Empfehlungen ansiedelt, [d.h. i.H. von 5,0 %] sachgerecht.“3

12.89 Das OLG München hat die Auffassung des LG München I bzw. den Ansatz einer Marktrisikoprämie von 5,0 % nach persönlichen Steuern für den Stichtag im Juni 20134 sowie weitere Stichtage im August und November 2013 sowie Februar 2014 bestätigt.5

12.90 Das LG Berlin hält es für nicht ausreichend, sich allein auf die veränderte Empfehlung des FAUB vom 19.9.2012 zu berufen. Bezüglich der Ermittlung impliziter Kapitalkosten, die die Annahme einer infolge der Krise gestiegenen Risikoaversion der Anleger stützen (sollen), wird als grundsätzlicher methodischer Nachteil gesehen, dass sie „ganz wesentlich auf Analystenschätzungen künftiger Renditen beruht und es daher an objektiven Maßstäben“ fehle. Dennoch hält es das LG Berlin prinzipiell für möglich, dass nachhaltige Änderungen des Marktzinsniveaus beträchtliche Zweifel an der Verwendung ausschließlich historischer MRP und deren Übertragbarkeit auf die Zukunft begründen können. Allerdings fehle es bislang an nachvollziehbaren Untersuchungen dahingehend, ob Marktteilnehmer bei einer krisenbedingt sinkenden Verzinsung „tatsächlich erwarten, dass sich bei einer Anlage in Aktien identische Renditen wie in Vorkrisenzeiträumen erzielen lassen.“ Im Ergebnis vertritt das LG Berlin die Auffassung, der Korridor der vertretbaren MRP habe sich „eher moderat erweitert“. Für den Bewertungsstichtag 9.11.2012 hält das LG Berlin eine MRP i.H.v. 5,0 % „ungeachtet der Negativergebnisse aus Zeiträumen der jüngsten Vergangenheit für noch plausibel und vertretbar.“6

12.91 Das OLG Frankfurt a.M. hat in einem Beschluss zum Bewertungsstichtag 23.8.2013 zuletzt keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Erhöhung der Bandbreite und den Ansatz einer Marktrisikoprämie von 5,5 % geäußert und betont, es sei „im Regelfall angemessen, einer Empfehlung des Fachausschusses für Unternehmensbewertung zu folgen und die Marktrisikoprämie innerhalb des dort vorgeschlagenen Bereichs festzusetzen.“7 Es sei insbesondere 1 In der Literatur wird dieser Effekt als „Golden Age of Bonds“ bezeichnet: vgl. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – VI-3 Kart 466/16 (V), BeckRS Rz. 76, 99, 127. 2 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5HK O 16371/13, AG 2016, 51 = Beschlusstext, S. 149. 3 LG München I v. 31.7.2015 – 5HK O 16371/13, AG 2016, 51 = Beschlusstext, S. 152. 4 Vgl. OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15 Leitsatz 1, AG 2018, 753. 5 Vgl. OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 136/16, Beschlusstext, S. 9 (Stichtag: 28.8.2013); OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 122/161, Beschlusstext, S. 21 (Stichtag 28.11.2013); OLG München v. 16.10.2018 – 31 Wx 415/16, BeckRS Rz. 41 (Stichtag 21.2.2014). 6 Vgl. LG Berlin v. 2.12.2014 – 102 O 241-12, Beschlusstext, S. 545 f. 7 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 73.

340

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.95 § 12

nicht ersichtlich, „dass eine Nichtbeachtung der Empfehlung des FAUB zu „richtigeren“ Unternehmenswerten führen würde“. Gerade weil die Frage der Höhe der Marktrisikoprämie umstritten sei, erscheine die Berücksichtigung der Empfehlung des FAUB, als sachverständigem Gremium des IDW, weiterhin angemessen. Es könne dabei nicht der Gesellschaft oder dem Gericht obliegen, eigene umfassende Studien zur Höhe der Marktrisikoprämie durchzuführen, „wenn der Verband der Wirtschaftsprüfer […] eine Bandbreite bekannt gibt, die zwar hinsichtlich der aktuellen Empfehlung durchaus diskussionswürdig, aber zumindest nicht abwegig erscheint.“1 Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 30.4.2018 klargestellt, dass die Annahme einer Marktrisikoprämie von 5,5 % für einen Bewertungsstichtag im Mai 2013 sei nicht zu beanstanden.2 Insoweit revidiert das OLG Düsseldorf die Entscheidung der Vorinstanz, in der vom LG Düsseldorf eine Marktrisikoprämie von 4,5 % angesetzt wurde, da es „im Regelfall angemessen [sei], im Einklang mit gängigen Annahmen der Bewertungspraxis einer Empfehlung des Fachausschuss Unternehmensbewertung zu folgen und die Marktrisikoprämie innerhalb des dort vorgeschlagenen Bereichs festzusetzen.“3

12.92

Auch das OLG Hamburg, das OLG Celle sowie das OLG Dresden haben den Ansatz einer Marktrisikoprämie von 5,5 % nach Abgeltungsteuer nicht beanstandet.4

12.93

d) Betafaktor Der Betafaktor misst im Denkkonstrukt des CAPM das systematische, nicht durch Portfoliobildung diversifizierbare Risiko der Aktie und wird als Maß für die Höhe des unternehmensindividuellen Risikos gesehen.5 Er ist kein empirisch feststellbarer Vergangenheitswert, sondern ein durch Schätzung zu ermittelnder Zukunftswert.6 Als Indikatoren für die Schätzung des Betafaktors werden in der Rechtsprechung grundsätzlich die folgenden Möglichkeiten gesehen:7

12.94

(1) historischer Verlauf der Börsenkurse der zu bewertenden Aktie selbst (originärer Betafaktor), (2) historischer Verlauf der Börsenkurse einer Peer-Group (Peer Group Betafaktor), (3) allgemeine Überlegungen zum individuellen Unternehmensrisiko im Vergleich zum Risiko des Marktportfolios. Bei den Alternativen (1) und (2) werden die Betafaktoren anhand einer linearen Regression der unternehmensspezifischen Aktienkursrendite (als zu erklärende, abhängige Variable) auf die Rendite eines breiten Aktienindex (als erklärende, unabhängige Variable) ermittelt.

1 2 3 4

OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 71. Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2018 – 26 W 4/16 (AktE), AG 2018, 679. OLG Düsseldorf v. 30.4.2018 – 26 W 4/16 (AktE), AG 2018, 679 = BeckRS Rz. 43. Vgl. OLG Hamburg v. 30.6.2016 – 13 W 75/14; OLG Celle v. 17.6.2016 – 9 W 42/16; OLG Dresden v. 16.8.2017 – 8 W 244/17. 5 Vgl. nur OLG Frankfurt a.M. v. 17.6.2010 – 5 W 39/98, juris, 7. Orientierungssatz, Rz. 46. 6 Vgl. nur OLG Stuttgart v. 17.3.2011 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 = www.lrbw.juris.de Rz. 163; OLG Frankfurt a.M. v. 2.5.2011 – 21 W 3/11, AG 2011, 828 = juris Rz. 59. 7 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 79; OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560 = juris Rz. 200.

Popp/Ruthardt

341

12.95

§ 12 Rz. 12.96

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

aa) Originärer Betafaktor

12.96 Bei börsennotierten Gesellschaften kann grundsätzlich ein unternehmenseigener Betafaktor ermittelt werden. Dieser originäre Betafaktor wird von den OLG Frankfurt a.M. und Karlsruhe als Ausgangspunkt für den anzusetzenden Betafaktor gesehen.1

12.97 Nach Auffassung des OLG Zweibrücken sei allerdings die Frage, ob der Betafaktor eines an der Börse gehandelten Unternehmens vorrangig aus den eigenen historischen Renditen zu ermitteln, oder ob generell die Verwendung einer Peer Group geeigneter sei, nicht unumstritten.2

12.98 Ein unternehmenseigener Betafaktor ist korrespondierend zur zeitlichen Abgrenzung des Börsenkurses auf Basis historisch beobachteter Kurse im Zeitraum nach der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme grundsätzlich ungeeignet.3 Die Messperiode für die Ermittlung des unternehmenseigenen Betafaktors muss am Tag der Bekanntmachung der Maßnahme enden.4

12.99 Die Eignung des (originären) Betafaktors wird regelmäßig anhand statistischer Kriterien überprüft. Dazu wird auf das Bestimmtheitsmaß und den t-Test verwiesen. Allerdings ist in der jüngeren Rechtsprechung zu beobachten, dass zunehmend zumindest auch eine Würdigung der Betafaktoren „anhand der Liquidität der Aktie“5 erfolgt, auch wenn es sich hierbei im Gegensatz zu statistischen Größen um einen erst näher zu bestimmenden Begriff handelt. Nur wenn ein hinreichend liquider Handel der Aktie gegeben sei, würden sich Aktienkurse sachlich und zeitlich unverzerrt an Änderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen.6

12.100 Daneben wird von den Spruchgerichten die Aussagefähigkeit des Börsenkurses bzw. originärer Betafaktoren im Fall von vorhergehenden möglichen Verzerrungen aufgrund von bspw. bekannt gewordenen Übernahmeplänen oder durchgeführten Übernahmeangeboten kritisch beurteilt.7 Ferner setzt die Ableitung des künftigen systematischen Risikos anhand des originären Betafaktors voraus, dass dieser verlässlich ermittelt und seine zeitliche Stabilität erwartet werden kann.8 Nach Auffassung des OLG Düsseldorf sei bei der Bewertung konzernierter Unternehmen regelmäßig nicht der eigene Betafaktor zu verwenden.9 bb) Liquidität der Aktie

12.101 Das LG Hamburg hält es für naheliegend, dass „eine Liquiditätsanalyse entscheidenden Aufschluss über die Güte und Verwendbarkeit eines ermittelten Beta-Faktors geben kann“.10 1 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241 = juris Rz. 83; inhaltlich auch OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 76 f. 2 Vgl. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 37. 3 Vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 (629 ff.). 4 Vgl. OLG Karlsruhe v. 13.5.2013 – 12 W 77/07, juris Rz. 36; OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 80. 5 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 54; mit Verweis auf einen kleinen Free Float OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 76. 6 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 54. 7 Vgl. bspw. OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – 26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 872 = BeckRS Rz. 49; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 35. 8 Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 20/14, Beschlusstext, S. 62. 9 Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 20/14, Beschlusstext, S. 63. 10 LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14, Justiz-Portal Hamburg Rz. 57.

342

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.106 § 12

Ohne dass es hierfür ein eindeutiges Messkonzept gäbe, werden als „Gradmesser“ für die Liquidität der Aktien vom OLG Frankfurt a.M. die folgenden Indikatoren genannt:

12.102

– das tatsächliche Handelsvolumen, – der Free Float, – die Zahl der Handelstage, sowie – der Bid-Ask-Spread bzw. die Geld-Brief-Spanne.1 Das tägliche Handelsvolumen gibt einen Einblick, in welcher Stückzahl bzw. mit welchen Umsätzen eine Aktie gehandelt wird. Dies ist vor dem Hintergrund der Fragestellung von Bedeutung, ob ein Aktionär seine Anteile schnell und in ausreichender Größenordnung veräußern könnte. Ohne ein hinreichendes Marktvolumen ist nicht sichergestellt, dass der Börsenkurs auf neue Informationen zeitnah reagieren kann. Das tägliche Handelsvolumen wird auch von der Rechtsprechung in den Fokus gerückt.2

12.103

Auch der Free Float-Anteil legt den Fokus auf die Handelbarkeit der Anteile. Zum Streubesitz (Free Float) zählen nur jene Aktien, die potenziell für den Aktienhandel zur Verfügung stehen und somit nicht „dauerhaft“ im Besitz von z.B. Großaktionären sind. Je höher der Streubesitzanteil, desto höher ist grundsätzlich die Handelbarkeit und daher der Liquiditätsgrad einer Aktie.3 In der Rechtsprechung wird ein geringer Free Float von i.d.R. weniger als 5 % als Hemmnis für die Aussagekraft des Börsenkurses gesehen.4

12.104

Darüber hinaus kann auch der Anteil der Tage mit Börsenhandel als Indikator für die Reaktionsgeschwindigkeit der Börsenkursentwicklung interpretiert werden. Auf Tage mit Börsenhandel wird auch in § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebV abgestellt, auf den die Rechtsprechung zur Aussagekraft von Börsenkursen zurückgreift.5 Demnach könnte einem Börsenkurs zumindest dann keine Relevanz mehr zugebilligt werden, wenn nur an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abweichen. Das OLG Frankfurt a.M. führt jedoch explizit aus, dass die Erfüllung der Marktenge-Kriterien des § 5 WpÜG-AngebV alleine noch nicht ausreicht, um von einer hinreichenden Liquidität des Aktienhandels auszugehen.6

12.105

Als Maßstab für eine gegebene unverzerrte Anpassungsfähigkeit des Börsenkurses an neue Informationen, wird ferner die Geld-Brief-Spanne diskutiert. In der Literatur gibt es bislang keinen Konsens darüber, ab welcher absoluten Höhe der Geld-Brief-Spanne eine ausreichende

12.106

1 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 54; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 32. 2 Vgl. etwa OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 35; OLG Hamburg v. 7.1.2013 – 13 W 2/12, juris Rz. 25. 3 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2012, S. 168. 4 Vgl. etwa OLG München v. 21.5.2014 – 31 Wx 517/13, Beschlusstext, S. 5; OLG Düsseldorf v. 30.12.2004 – 19 W 3/04 (AktE), AG 2005, 252 = Beschlusstext, Rz. 7. 5 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 34 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 35; OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 = BeckRS Rz. 36; OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822 = juris Rz. 220; OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783 = juris Rz. 5. 6 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 36.

Popp/Ruthardt

343

§ 12 Rz. 12.106

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Liquidität des Marktes nicht mehr gegeben ist.1 Die Liquiditätsklasse 1 für Designated Sponsors im Xetra-Handel liegt bei maximal 2,5 %.2 Nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. bestehen bei einer deutlich über 2 % liegenden Geld-Briefspanne erhebliche Bedenken hinsichtlich der Liquidität der Aktie.3 Nicht als ausreichend angesehen wurden 2,37 %4 oder gar 4,26 %.5 Das LG München I sieht die Obergrenze für den Bid-Ask-Spread bei 1,0 % bis maximal 1,25 %.6 Bei darüber liegenden Werten soll der Kurs zu träge auf Kapitalmarktinformationen reagieren, da die Transaktionskosten durch hohe Bid-Ask-Spreads zu hoch seien.7 cc) Peer Group Betafaktor

12.107 In Praxi wird der originäre Betafaktor regelmäßig mangels statistischer Signifikanz bzw. Liquidität verworfen und auf die Betafaktoren vergleichbarer Unternehmen (Peer Group) verwiesen.8

12.108 Der Rückgriff auf eine Peer-Group wird grundsätzlich auch als mit den Erfordernissen des § 327b AktG und des darin geforderten Abstellens auf die „Verhältnisse der Gesellschaft“ vereinbar gesehen. Denn bei fehlender Aussagekraft der eigenen Börsenkurse entspräche der eigene Beta-Faktor eben nicht dem „Grundsatz der Maßgeblichkeit der Verhältnisse der Gesellschaft“, weil „diese Kurse mangels Signifikanz diese Verhältnisse nicht zutreffend widerspiegeln“ würden.9 Zudem stellten die Regelungen des § 327b Abs. 1 Satz 1 oder § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG in erster Linie klar, dass sich die Abfindung „nicht allein“ am Börsenkurs der Aktie orientieren dürfe. Methodische Vorgaben zur Abbildung der stichtagsbezogenen Verhältnisse der Gesellschaft enthalten die Vorschriften nicht, erst Recht nicht auf welchen Betafaktor im Rahmen des CAPM abzustellen sei.10

12.109 Die Anzahl der Peer Group Unternehmen bzw. die Größe der Peer Group wird nicht als entscheidend gesehen.11

12.110 Der Einbezug ausländischer Vergleichsunternehmen ist in der Rechtsprechung „grundsätzlich anerkannt“.12 Dagegen werden insbesondere dann keine Bedenken vorgebracht, wenn das Unternehmen auch auf den betreffenden ausländischen Märkten aktiv ist.13

1 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2012, S. 175. 2 Vgl. Deutsche Börse AG, Designated Sponsor Guide, Version 10.1., Punkt 4.2. 3 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 34. 4 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 19.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 = BeckRS Rz. 69. 5 Vgl. LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14, Justiz-Portal Hamburg Rz. 58. 6 Vgl. LG München I v. 2.12.2016 – 5 HK 4781/15, juris Rz. 147. 7 Vgl. LG München I v. 30.6.2017 – 5 HK 13182/15, Beschlusstext, S. 120. 8 Vgl. Hachmeister/Ruthardt/Mager, ZfbF 2015, 206 (216); Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 265. 9 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 66. 10 Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 20/14, Beschlusstext, S. 67 f. 11 Vgl. LG Hamburg v. 29.6.2015 – 412 HKO 178/12, juris Rz. 114. 12 Vgl. bspw. OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 7/09, juris Rz. 131; inhaltlich bspw. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 66. 13 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 145; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 81.

344

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.114 § 12

Zur Auswahl der Vergleichsunternehmen wurden in der Rechtsprechung u.a. die folgenden Kriterien angesprochen:

12.111

– Vergleichbares Geschäftsmodell,1 – Unternehmensgegenstand,2 – Tätigkeitsfeld,3 – regionale Ausrichtung,4 – Unternehmensgröße (gemessen bspw. über Umsatz oder Mitarbeiterzahl),5 – Wettbewerbsstellung.6 Diskutiert wird in der Rechtsprechung zudem die Frage, ob die Aktionärsstruktur der Vergleichsunternehmen mit derjenigen des zu bewertenden Unternehmens vergleichbar sein muss. Hierzu hat das OLG Frankfurt a.M. die Auffassung geäußert, dass sich die These, die „Aktionärsstruktur könne (selbst bei hinreichend funktionierendem Kapitalmarkt) einen Einfluss auf das Gewinnrisiko des Unternehmens und damit auf das Risiko der Aktie selbst“ ausüben, nicht völlig von der Hand weisen lasse. Dies stelle gleichwohl aber nur einen „von vielen Einflussfaktoren“ dar, weshalb sich daraus „keine fehlende Vergleichbarkeit der herangezogenen Unternehmen“ ableiten lasse. Eine Beschränkung des Vergleichs auf ebenfalls in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen sei jedenfalls nicht geboten.7

12.112

Nach der Auffassung des OLG Karlsruhe sei ein Abschlag auf den Peer Group Betafaktor 12.113 nicht aufgrund der Tatsache vorzunehmen, „dass das zu bewertende Unternehmen einem Konzern angehört“. Es sei nicht ersichtlich, warum ein beherrschtes Unternehmen „generell einen niedrigeren Betafaktor aufweisen sollte als ein Unternehmen, bei dem dies nicht der Fall ist.“8 Dagegen hat das OLG Frankfurt a.M. in einer jüngeren Entscheidung für den besonderen Fall eines Squeeze Out bei Vorliegen eines isolierten Beherrschungsvertrages einen Abschlag von 10 % auf den aus einer Peer Group abgeleiteten unverschuldeten Betafaktor akzeptiert, der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen vorgenommen wurde, auch wenn „die konkrete Höhe des Abschlags sich einer objektivierbaren Quantifizierung entzieht“.9 Als Begründung wird angeführt, dass die Peer Group Unternehmen im Gegensatz zur betreffenden Gesellschaft eigenständig am Markt agieren und demnach das volle Produktions- und Absatzrisiko tragen. Dagegen würden diese Risiken im Wesentlichen nicht durch die Gesellschaft, sondern die beherrschende Muttergesellschaft (isolierter Beherrschungsvertrag) getragen, da

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 7/09, juris Rz. 131. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 146. Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 66. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 146; OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 66. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 146; OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 73; OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 66. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 73. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 77. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 = www.lrbw.juris.de Rz. 103. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 114.

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345

12.114

§ 12 Rz. 12.114

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

zum Bewertungsstichtag Produktions- und Vertriebsverträge und darin festgelegte Verrechnungspreise bestehen.1 dd) Raw oder adjusted Beta

12.115 Das direkt aus den (Kurs-)Renditen mittels Regression abgeleitete Beta wird auch als „raw Beta, verschuldet“ bezeichnet. Die Idee eines adjusted Beta wird auf Blume zurückgeführt, der in einer Untersuchung von Betafaktoren über den Zeitraum zwischen 1926 und 1968 (vereinfacht gesprochen) zu dem Ergebnis gelangte, dass die Betafaktoren sich tendenziell in Richtung des Mittelwerts der Betafaktoren (d.h. eins) bewegen würden.2 Nach der sog. BlumeAnpassung wird das raw Beta, verschuldet mit 0,667 (= 2/3) multipliziert und 0,333 (= 1/3) hinzuaddiert. Ein anderes Verfahren stellt die Anpassung nach Vasicek dar.3 Bei der Adjustierung nach Vasicek werden verschuldete raw Betas verstärkt in Richtung eines bekannten Referenzwertes (z.B. des Marktdurchschnittes) gewichtet, je größer der Standardfehler der Betaschätzung ist.

12.116 Das OLG Saarbrücken stellt fest, dass in der Theorie der Unternehmensbewertung die Frage der Vorzugswürdigkeit des raw oder adjusted Beta bislang ungeklärt sei. Da die Entscheidung für einen der beiden Ansätze einen der beiden Verfahrensbeteiligten benachteiligen würde, sei der Mittelwert aus raw und adjusted Beta herangezogen worden.4

12.117 Das OLG München hat zuletzt den pauschalen Einwand, nach dem die Adjustierung des Betafaktors prinzipiell abzulehnen sei, zurückgewiesen.5

12.118 Das OLG Düsseldorf hielt in einem Beschluss die Argumentation des Gerichtsgutachters für das raw Beta für überzeugend, während der Bewertungsgutachter eine Adjustierung des Betas hin zu einem Branchendurchschnitt vorgenommen hatte. Als Begründung wird angeführt, dass das Immobilienvermögen im konkreten Fall ausschließlich aus Kaufhäusern bestand und insofern von einem als branchendurchschnittlich zu unterstellenden Immobilienbestand abweiche.6

12.119 Das OLG Karlsruhe schließt sich der Auffassung des gerichtlich bestellten Sachverständigen an, nach der es vorzugswürdig sei, vom „raw beta“ auszugehen. Grundsätzlich sei „auch losgelöst vom konkreten Fall eine zwingende ökonomische Begründung für eine bessere Tauglichkeit des adjusted beta nicht ersichtlich“7

12.120 Das OLG Frankfurt a.M. positioniert sich zugunsten von raw Betas. Demnach wurde „zu Recht [der] originär ermittelte Betafaktor („raw beta“) und nicht [ein] dem Marktdurchschnitt angepasste[r] Wert („adjusted beta“) herangezogen.8 „Eine plausible ökonomische Begründung [für das adjusted Beta sei] nicht ersichtlich.“9 Grundsätzlich soll demnach das raw 1 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 114. 2 Vgl. Blume, JoF 1971, 1 ff.; Blume, JoF 1975, 785 ff. 3 Für Zwecke der Netzregulierung hat sich der BGH v. 27.1.2015 – EnVR 37/13, juris.bundesgerichtshof.de Rz. 10, für die Adjustierung nach Vasicek ausgesprochen. 4 Vgl. OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, AG 2014, 866 (869). 5 Vgl. OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 122/16, Beschlusstext, S. 23. 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – 26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 = BeckRS Rz. 58. 7 Vgl. OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 = BeckRS Rz. 34. 8 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 51. 9 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 51.

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Rz. 12.124 § 12

Beta so lange relevant sein, wie „keine zwingende ökonomische Begründung für eine nivellierende Mittelwertbildung ersichtlich“ sei.1 ee) Debt Beta Das Debt Beta ist ein Maß für das Risiko der Fremdkapitalgeber eines Unternehmens. Das Debt Beta berücksichtigt, dass auch das Fremdkapital grundsätzlich ausfallgefährdet ist und damit auch die Gläubiger einen Teil des unternehmerischen Risikos tragen. Für die Übernahme des Ausfallrisikos verlangen die Fremdkapitalgeber i.d.R. eine Risikoprämie, mithin eine Verzinsung über dem risikolosen Zinssatz. Dieser Umstand kann beim Unlevern und Relevern des Betafaktors des Eigenkapitals (bEK) durch die Berücksichtigung eines Betafaktors des Fremdkapitals (bFK) berücksichtigt werden.2 In der Rechtsprechung wird die Anwendung des Debt Beta bislang nur vereinzelt diskutiert.

12.121

Das OLG Frankfurt a.M. konstatiert, dass die Berücksichtigung eines Ausfallrisikos für Fremdkapital beim unlevern und relevern der Betafaktoren „vermutlich sachgerechter ist“.3 Zum einen, weil sog. Credit Spreads (also Risikoaufschläge auf den Basiszins) empirisch beobachtbar seien. Zum anderen sei es sachgerecht, da in der neueren wissenschaftlichen Literatur darauf hingewiesen wird, dass ohne ein Debt Beta mögliche Bewertungsfehler begangen werden. Allerdings standen der Anwendung im konkreten Fall verfahrensökonomische Aspekte entgegen, denn ohne weiteren rechtlichen und zeitlichen Aufwand sei der genaue Werteffekt des Debt Betas nicht ersichtlich.4

12.122

Das OLG München hat zur Berücksichtigung des Debt Beta bei zwei Immobiliengesellschaf- 12.123 ten ausge-führt, die negative Korrelation zwischen Eigenkapitalrisiko und Fremdkapitalrisiko sei „Bestandteil der anerkannten Standardformeln“. Hintergrund dieses Zusammenhangs sei, „dass die Fremdkapitalgeber mit bestimmten Renditeforderungen auch ein operatives Risiko (mit-) übernehmen.“ In entsprechendem Umfang reduziere sich (ceteris paribus) das von den Eigenkapitalgebern zu tragende Risiko und somit im Ergebnis auch der (verschuldete) Betafaktor.5 e) Länderrisikoprämie Der Unternehmenswert international tätiger Unternehmen wird durch länderspezifische Risikofaktoren beeinflusst. Genannt werden können bspw. politische Risiken wie Enteignung oder mögliche Kapitalflusskontrollen, nicht liquide Kapitalmärkte oder makroökonomische Risiken.6 Bewertungstheoretisch sind mögliche Länderrisiken in der Unternehmensplanung bzw. in den Zahlungsüberschüssen aus dem Unternehmen zu berücksichtigen, da sie deren Erwartungswert beeinflussen. Aus Praktikabilitätsgründen wird in der Praxis außerhalb aktienrechtlicher Bewertungsanlässe allerdings häufig auf eine Anpassung der Planungsrechnung verzichtet und (alternativ) ein unternehmenswertsenkender Zuschlag für Länderrisiken im Kapitalisierungszinssatz angesetzt. Für die Bedeutung von Länderrisiken können Risikoprämien von Staatsanleihen, d.h. Renditeaufschläge im Vergleich zu quasi-sicheren Anlagen in 1 2 3 4 5 6

Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 51. Vgl. zu den Effekten beim un-/und relevern Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (203). Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 118. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 119. Vgl. OLG München v. 13.11.2018 – 31 Wx 372/15, BeckRS Rz. 72. Vgl. ausführlich bspw. Hachmeister/Ungemach/Ruthardt, IRZ 2012, 233 (234).

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12.124

§ 12 Rz. 12.124

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

den jeweiligen Ländern Anhaltspunkte geben.1 In der Praxis findet sich ferner unter Bezugnahme auf Prof. Damodaran eine Quantifizierung von Länderrisiken anhand dessen Veröffentlichungen, die aber bei weitem nicht unumstritten ist.

12.125 In der Rechtsprechung wurde der Ansatz einer Länderrisikoprämie bislang kaum thematisiert. Das LG Hamburg hält in einem Beschluss aus dem Jahr 2014 bei der Bewertung einer vorwiegend in China tätigen Gesellschaft „im Grundsatz die Erhöhung der allgemeinen Marktrisikoprämie um einen länderbezogenen Risikozuschlag für gerechtfertigt.“2 Bei dem vom Bewertungsgutachter vorgenommenen Rückgriff auf Angaben auf der Homepage von Prof. Damodaran, handele es sich zwar weitestgehend um „bloße Schätzungen ohne tiefe empirische wissenschaftliche Grundlage.“ Mangels besserer Erkenntnismöglichkeiten werden allerdings vom LG Hamburg die angegebenen Werte für die Schätzung nach § 287 ZPO übernommen.3 Das OLG Hamburg hat für diesen sicherlich außergewöhnlichen Sachverhalt den Ansatz der Länderrisikoprämie als sachgerecht bestätigt.4 Das LG Stuttgart verweist in Bezug auf dieses Konzept auf die Diskussionen im FAUB5 und kritische Gegenstimmen. Letztlich sei diese Methode aber „zumindest als vertretbar“ anzusehen.6 f) Wachstumsabschlag

12.126 Durch den Wachstumsabschlag wird rechentechnisch das zukünftige Wachstum der erwarteten Zahlungsströme aus dem Unternehmen in der ewigen Rente abgebildet. Als Ursachen für das Wachstum der finanziellen Überschüsse werden grundsätzlich Kapazitätsoptimierungen, Kapazitätserweiterungen sowie inflationsbedingte Effekte angeführt.7 Im eingeschwungenen Zustand (als theoretisches Ideal) der ewigen Rente erfolgen keine Kapazitätsoptimierungen mehr. Effekte aus Kapazitätserweiterungen als Resultat von Thesaurierungen bzw. das thesaurierungsbedingte Wachstum werden im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Bewertungen regelmäßig durch eine direkte Zurechnung als Wertbeitrag aus Thesaurierung erfasst. Der in der Rechtsprechung diskutierte „Wachstumsabschlag“ bildet demnach nur das inflationsbzw. preisbedingte Wachstum der finanziellen Überschüsse in der ewigen Rente ab; maßgeblich ist die unternehmensspezifische Inflationsrate.8

12.127 Für die Ermittlung des Wachstumsabschlages sind die Verhältnisse des jeweiligen Unternehmens maßgeblich. Dementsprechend wird der Wachstumsabschlag in der Rechtsprechung als unternehmensindividuell festzulegende, zukunftsbezogene Größe gesehen.9 Die erwartete allgemeine Geldentwertungsrate am Bewertungsstichtag liefert nur einen ersten Anhaltspunkt für die Schätzung des Wachstums der finanziellen Überschüsse.10 Maßgeblich soll sein, „inwieweit das Unternehmen nachhaltig in der Lage ist, die in seinem Fall erwarteten, nicht not1 Vgl. bspw. IDW, Fragen und Antworten: Zur praktischen Anwendung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008, Stand: 6.4.2016, 3 f. 2 Vgl. LG Hamburg v. 21.3.2014 – 417 HKO 205/12, Beschlusstext, S. 28. 3 Vgl. LG Hamburg v. 21.3.2014 – 417 HKO 205/12, Beschlusstext, S. 28. 4 Vgl. OLG Hamburg v. 18.9.2015 – 13 W 44/14, Beschlusstext, S. 11. 5 Vgl. IDW, Fragen und Antworten: Zur praktischen Anwendung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008, Stand: 4.7.2016, Pkt. 3.1. 6 LG Stuttgart v. 12.5.2017 – 31 O 61/13, Beschlusstext, S. 31. 7 Vgl. WPH-Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A, Tz. 451. 8 Vgl. ausführlich WPH-Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A, Tz. 445 ff. 9 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2014, 193 (200). 10 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 70; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 224 unter Verweis auf IDW S 1 i.d.F.

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Rz. 12.130 § 12

wendig mit der Inflationsrate identischen Preissteigerungen auf der Beschaffungsseite (z.B. Materialkosten, Personalkosten) durch entsprechende Preissteigerungen an seine Kunden weiterzugeben oder durch Effizienzsteigerungen zu kompensieren.“1 In der Rechtsprechung werden als Einflussfaktoren auf die Höhe der unternehmensspezifischen Wachstumsrate neben der gesamtwirtschaftlich bedeutsamen Inflationsrate exemplarisch genannt:

12.128

– das (forschungsintensive) Geschäftsmodell,2 – die langfristige Markt- und Branchenentwicklung,3 – die zu erwartende Veränderung der Wettbewerbssituation,4 – mögliche regulatorische Änderungen,5 – die vorliegende und zu erwartende Kundenstruktur.6 Eine obere Grenze für den unternehmensindividuellen Wachstumsabschlag bildet nach der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. das erwartete Wachstum des Bruttosozialproduktes der Volkswirtschaft. Für den unternehmensindividuellen Wachstumsabschlag kommt es nicht auf Preiserhöhungen eines durchschnittlichen Warenkorbes an. Abzustellen sei vielmehr auf die Preiserhöhungen auf den jeweils relevanten Faktormärkten des Unternehmens.7 Nicht maßgeblich sei der Konsumgüterindex sowie eine daraus abgeleitete Inflationsrate, sondern nur die erwartete Steigerung der Inputpreise des Unternehmens. Diese entspricht nicht „zielgenau“ der Inflationsrate.8

12.129

Betragsmäßig werden in der Bewertungspraxis regelmäßig Wachstumsabschläge unter der allgemeinen Inflationserwartung angesetzt und von der Rechtsprechung anerkannt.9 In der Rechtsprechung werden Werte zwischen 0,5 % und 2 % als übliche bzw. gängige Praxis angesehen.10 Empirische Auswertungen der Höhe der Wachstumsabschläge in Spruchverfahren

12.130

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

2008, Tz. 95 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 102; OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 81f. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 = juris Rz. 113. Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 70. Vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 = juris Rz. 113; das OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 70 verweist auf einen intensiven Wettbewerb auf den Absatzmärkten. Vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 = juris Rz. 113; vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 70; OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 = BeckRS Rz. 83. Vgl. OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549 = juris Rz. 113. Das OLG Frankfurt a.M. verweist in einem Beschluss zu einem Energieversorger neben der Wettbewerbskonzentration auch auf die Kundenstruktur, vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241 = juris Rz. 107. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 102; inhaltlich auch OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – 26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797 = juris Rz. 66. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 114. Vgl. ausführlich mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung Ruthardt/Hachmeister, DB 2014, 193 (197-202) sowie der Bewertungspraxis Hachmeister/Ruthardt/Mager, DB 2014, 1209 (1209-1214). Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 56; OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 41.

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Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

zeigen unterschiedliche Höhen in Abhängigkeit von der Branche. Häufig werden Wachstumsabschläge zwischen 0,5 % und 1,0 % angesetzt; im Mittel liegen die angesetzten Wachstumsabschläge bei etwa 1 %.1

12.131 Wachstumsabschläge unterhalb der erwarteten Inflationsrate wären nach der Auffassung des OLG Stuttgart nicht per se „denkgesetzlich absurd“. Dies impliziere nicht, dass das Unternehmen in der unendlichen Rente schrumpfen würde.2 Dies treffe bereits deshalb nicht zu, weil der Ansatz eines Wachstumsabschlages nachhaltig steigende und nicht etwa sinkende Erträge repräsentiere.3 Auch das OLG Frankfurt a.M. nimmt Stellung zu der Frage, ob ein unterhalb der Inflationsrate liegender Wachstumsabschlag unrealistisch ist, obwohl verschiedene Literaturbeiträge in diese Richtung argumentieren würden.4 Jedenfalls würde das Bewertungsobjekt nicht real schrumpfen. Schrumpfen würden im Zeitablauf nur die auf ein bestimmtes Preisniveau normierten Gewinne, was konsistent zu der „gängigen Annahme in der Volkswirtschaftslehre“ sei, nach der Unternehmensgewinne langfristig gegen Null streben.5

12.132 Entsprechend bezweckt der Wachstumsabschlag auch nach der Auffassung des OLG Zweibrücken keinen Inflationsausgleich an sich6 bzw. ist nach dem OLG Karlsruhe nicht zwingend in Höhe der zu erwartenden Inflationsrate anzusetzen.7

12.133 Zumindest als eine mögliche Orientierung für die Größenordnung des Wachstumsabschlages wird in der Rechtsprechung auch auf allgemeine empirische Untersuchungen zur Höhe der durchschnittlichen beobachtbaren Wachstumsraten in der Vergangenheit sowie auf regelmäßig in der Rechtsprechung anerkannte Wachstumsabschläge verwiesen.8

12.134 In diesem Zusammenhang hat sich die Rechtsprechung auch mit aktuelleren empirischen Studien auseinandergesetzt, die gegenüber den üblicherweise angesetzten Größenordnungen für höhere Wachstumsabschläge sprechen könnten.

12.135 Dazu soll aus betriebswirtschaftlicher Sicht folgendes angeführt werden: In empirischen Studien zum historischen Gewinnwachstum werden jeweils Durchschnittswerte über begrenzte Zeiträume in der Vergangenheit über verschiedene Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen gebildet. Neben einer teilweise nur mangelnden Vergleichbarkeit der dort enthaltenen Unternehmen mit dem jeweiligen Bewertungsobjekt ist insbesondere zu beachten, dass die angegebenen Wachstumsraten regelmäßig nicht nur das Resultat rein inflationsbedingter Gewinnerhöhungen sondern zu einem wesentlichen Teil auch das Ergebnis von Kapazitäts1 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2014, 193 (199); Hachmeister/Ruthardt/Mager, DB 2014, 1209 (1213). 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 231; OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 6/09, AG 2012, 839 = juris Rz. 193-195; OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris Rz. 445; auch OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – 26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797 = juris Rz. 68; OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 70. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 231; OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris Rz. 445. 4 Vgl. Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis, 2009, S. 103; Lampenius/ Schüler, BFuP 2007, 232; Lampenius/Schüler, BewertungsPraktiker 2007, Heft 3/2007, 2. 5 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 110; OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 87. 6 Vgl. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 = BeckRS Rz. 39. 7 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 83. 8 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 228.

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Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.139 § 12

optimierungen und Kapazitätserweiterungen darstellen. Letztere werden rechentechnisch regelmäßig nicht im Wachstumsabschlag sondern über den Wertbeitrag aus Thesaurierung abgebildet. Das OLG Stuttgart hat festgestellt, dass einzelne empirische Untersuchungen zum historischen Gewinnwachstum deutscher Unternehmen zwar ein über der Inflationsrate liegendes Gewinnwachstum implizieren würden. Solange es sich hierbei jedoch nicht um eine in den Wirtschaftswissenschaften gefestigte Auffassung handeln würde, die Ergebnisse nicht als entscheidend angesehen.1

12.136

Eine im Ergebnis analoge Sichtweise vertritt das OLG Frankfurt a.M., nach der neuere em- 12.137 pirische Erkenntnisse zum durchschnittlichen Gewinnwachstum in der Vergangenheit nicht zwingend zu einer geänderten Sichtweise bezüglich der anzusetzenden Wachstumsabschläge führen. Diese sprächen jedenfalls nicht „derart zwingend“ gegen die Plausibilität von Wachstumsabschlägen unterhalb der allgemeinen Inflationsrate.2 Da empirische Studien nur eine Aussage zum Durchschnitt über alle betrachteten Unternehmen erlauben, könnten diese nicht mehr als einen Anhaltspunkt liefern. Auch handelt es sich bei den empirisch beobachteten Wachstumsraten nicht um eine „Gesamtwachstumsrate“,3 weshalb die Annahme einer wachsenden Volkswirtschaft selbst damit zu vereinbaren sei, wenn für alle börsennotierten Gesellschaften Wachstumsraten unterhalb der Inflationsrate angenommen würden.4 Wird die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes betrachtet, ist zu beachten, dass im Zeitablauf teilweise alte Unternehmen durch neue ersetzt werden, deshalb würde das Wachstum eines einzelnen repräsentativen Unternehmens niedriger ausfallen als das der gesamten Volkswirtschaft.5 Zudem ginge in das Gewinnwachstum der Summe aller Unternehmen auch ein Teil externes Wachstum durch Unternehmenszusammenschlüsse oder –übernahmen ein. Dieses dürfe bei der Bemessung des Wachstumsabschlages nicht berücksichtig werden.6 Eine vergleichsweise hohe Wachstumsrate i.H.v. 2,0 % wurde vom OLG Karlsruhe bei der Bewertung eines Stromerzeugers (Wasserkraft) und -versorgers als plausibel erachtet. Im konkreten Fall war allerdings die Besonderheit zu beachten, dass eine 38 Jahre abdeckende Detailplanungsphase mit Wachstumsraten zwischen von 2,5 % bis 2,0 % p.a. vorlag. Da keine Umstände ersichtlich seien, die das Wachstum beeinträchtigen könnten, sei eine geringere Wachstumsrate gerade ab dem Jahr 39 „schlechterdings unplausibel“.7

12.138

5. Persönliche Steuern Die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der persönlichen Steuern der Unternehmenseigner ist in der Theorie und der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung inzwischen anerkannt.8 Die persönlichen Steuern der Anteilseigner vermindern sowohl die bei den Anteilseignern ankommenden (Netto-)Zahlungsströme als auch diejenigen aus der Alternativ1 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 232; vom Ergebnis her auch OLG Düsseldorf vom 4.7.2012 – 26 W 8/10 (AktE), AG 2012, 797 = juris Rz. 68. 2 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 113. 3 Vgl. Tschöpel/Wiese/Willershausen, WPg 2010, 349. 4 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, juris Rz. 114. 5 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 89. 6 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2012 – 21 W 11/11, AG 2012, 417 = juris Rz. 89. 7 Vgl. OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 = BeckRS Rz. 34. 8 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 43; mit Nachweisen zur Rechtsprechung Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 829 (837 f.).

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§ 12 Rz. 12.139

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

anlage. Die jüngere Rechtsprechung befasst sich nun nicht mehr mit der Frage „ob“ persönliche Steuern angesetzt werden (dürfen) sondern damit „wie“ diese angemessen typisiert berücksichtigt werden. D.h. welche Annahmen bezüglich der persönlichen Steuerbelastung des typischen außenstehenden Aktionärs angemessen sind.

12.140 Bei gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen wird entsprechend den Empfehlungen des IDW S 1 i.d.F. 2008 im Einklang mit der Rechtsprechung typisierend eine inländische, unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person als Anteilseigner unterstellt.

12.141 Im Rahmen des früheren körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens bzw. des früheren Halbeinkünfteverfahrens haben die Gerichte dabei durchgängig einen typisierten Steuersatz i.H.v. 35 % bzw. 17,5 % auf Ausschüttungen gebilligt.1

12.142 Korrespondierend zu der Berücksichtigung der persönlichen Steuern im Zähler des Ertragswertkalküls sind die persönlichen Steuern auch bei der Ermittlung der Alternativrendite bzw. dem Kapitalisierungszinssatz zu berücksichtigen. Um die unterschiedliche persönliche Besteuerung von Zinseinkünften, Dividenden und Veräußerungsgewinnen, die hinter der kapitalmarktorientiert abgeleiteten Alternativanlage stehen, sachgerecht abzubilden, wird in der Literatur auf das Tax-CAPM verwiesen. Bei dem Tax-CAPM handelt es sich um eine methodische Verbesserung gegenüber der zuvor zu beobachtenden vollen Belastung der Alternativanlage mit dem typisierten Steuersatz von 35 %.2 Eine rückwirkende Anwendung des TaxCAPM steht damit im Einklang mit der vom BGH geäußerten Auffassung, nach der eine nach dem Bewertungsstichtag entwickelte neue Berechnungsweise zu bevorzugen ist, wenn ihre Anwendung eine größere Annäherung an den ‚wahren‘ Unternehmenswert verspricht, oder sie Fehler oder Unzulänglichkeiten einer alten Berechnungsweise behebt.3

12.143 Auf Ebene des Zählers setzt die persönliche Steuer an drei Bemessungsgrundlagen an: Dem Wertbeitrag aus Ausschüttungen, dem Wertbeitrag aus Thesaurierungen sowie der inflationsbedingten Wertsteigerung.

12.144 Seit Einführung der Abgeltungsteuer zum 1.1.2009 werden die Wertbeiträge aus Ausschüttungen einem 25 %-igen Abgeltungsteuersatz (zzgl. SolZ) unterworfen.

12.145 Der gleiche nominelle Abgeltungsteuersatz gilt auch für Veräußerungsgewinne (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 i.Vm. § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG). Thesaurierte Beträge, die modelltechnisch den Anteilseignern über einen Wertbeitrag aus Thesaurierung direkt zugerechnet werden, unterliegen annahmegemäß erst nach einer typisierten Haltedauer der Abgeltungsteuer.4 Da künftige Steuerzahlungen aus heutiger Sicht wertmäßig weniger ins Gewicht fallen (Barwerteffekt), liegt der effektive (Veräußerungsgewinn-)Steuersatz unter dem nominalen Abgeltungsteuersatz.

1 Vgl. mit Nachweisen zur Rechtsprechung Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 829 (838). 2 Vgl. für einen knappen Abriss über die Entwicklung der Berücksichtigung persönlicher Steuern beim (Tax-)CAPM in der Rechtsprechung Hachmeister/Ruthardt, DB 2017, 957 (958); sowie ausführlich Popp, Der Konzern 2015, 193. 3 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, AG 2016, 135. 4 Ausführlich zur Typisierung der Haltedauer auch unter dem Aspekt der abfindungsinduzierten Besteuerung Ruthardt, CFB 2013, 462 (465).

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Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.150 § 12

In der Rechtsprechung wird bei Bewertungen unter der Abgeltungsteuer die typisierte Belas- 12.146 tung der Wertbeiträge aus Thesaurierung mit der halben nominellen persönlichen Steuerbelastung – Abgeltungsteuer zzgl. SolZ – i.H.v. 13,1875 % als zutreffend anerkannt.1 Dem liegt in etwa eine Haltedauer von 40 Jahren bei einer Kursrendite von 5 % zugrunde.2 Zwar würde diese Anlagedauer nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. „nicht dem Anlageverhalten eines durchschnittlichen Kleinaktionärs entsprechen“, führe aber auch zu einer geringeren Steuerbelastung und hätte somit keine unangemessene Benachteiligung der Minderheitsaktionäre zur Folge.3 Das LG München I verweist auf empirische Studien für die USA, aus denen für Aktieninvest- 12.147 ments eine Haltedauer zwischen 25 und 30 Jahren erkennbar sei. Zwar würden diese langen Haltedauern in den USA von der Existenz sehr langfristig investierter Pensionsfonds beeinflusst und seien demnach für Deutschland nicht zwingend.4 Dennoch sei die typisierte Besteuerung mit dem hälftigen Kursgewinnsteuersatz und die Annahme einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen Person als Anteilseigner nicht zu beanstanden.5 Da nach der Auffassung des OLG München eine Typisierung der steuerlichen Verhältnisse notwendig ist, komme es nicht darauf an, ob Minderheitsaktionäre im konkreten Einzelfall gar nicht der Veräußerungsgewinnbesteuerung unterliegen, „etwa, weil sie ihre Aktien bereits vor dem 1.1.2009 erworben haben und die damals geltende Spekulationsfrist von einem Jahr bereits abgelaufen war.“6 Vielmehr sei es rechtlich zulässig, für alle Bewertungsstichtage nach dem 1.1.2009 eine Besteuerung der Wertbeiträge aus Thesaurierung mit dem halben nominellen Steuersatz vorzunehmen.7

12.148

Inhaltlich übereinstimmend äußert sich das OLG Frankfurt a.M. Zwar sei für diverse Antragsteller eine Veräußerung der Aktien aufgrund der Übergangsregelung steuerfrei möglich, sofern sie ihre Aktien bereits vor dem 31.12.2008 erworben hätten. Da jedoch aufgrund der Notwendigkeit einer einheitlichen Abfindung aller Minderheitsaktionäre eine Typisierung notwendig sei, sei es angemessen, „umfassend die neue Gesetzeslage zur Anwendung zu bringen und entsprechend typisiert einen Ersterwerb nach dem 31.12.2008 zu unterstellen.“8 Dazu wird darauf hingewiesen, dass sich anderenfalls eine Inkonsistenz zum angesetzten Kapitalisierungszinssatz ergäbe, wenn gleichzeitig bei der Ermittlung der Marktrisikoprämie die Effekte der Abgeltungsteuer erfasst würden.9

12.149

Des Weiteren sind sog. inflationsbedingte Veräußerungsgewinne bei der Ableitung der Nettoeinnahmen zu berücksichtigen.10 Ausgangspunkt ist die Steuerpflicht auf Veräußerungsgewinne. Aus Wesentlichkeitsgründen beschränkt sich die Überlegung i.d.R. auf die Phase der ewigen Rente. Finanzmathematisch steigt der Unternehmenswert nominal in der ewigen Ren-

12.150

1 Vgl. in der Folge auch Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 687 (692). 2 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 29; OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 = juris Rz. 74. 3 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 29. 4 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5HK O 16371/13, AG 2016, 51 = Beschlusstext, S. 137. 5 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5HK O 16371/13, AG 2016, 51 = Beschlusstext, S. 137. 6 Vgl. OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 = juris Rz. 74. 7 Vgl. OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 = juris Rz. 74. 8 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 30. 9 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 = juris Rz. 30. 10 Vgl. umfassend: Popp, Der Konzern 2019, 149; Raths, Restwertermittlung, 2018, S. 89 (Formel: 2.68) und S. 90 (Formel: 2.71b)).

Popp/Ruthardt

353

§ 12 Rz. 12.150

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

te Jahr für Jahr in Höhe der unternehmensspezifischen Inflationsrate. Da die Bewertungspraxis, im Einklang mit der Rechtsprechung, typisierend von einer nicht unendlichen Haltedauer der Anteilseigner ausgeht, werden auch diese inflationsbedingten (Schein-)Kursgewinne nach der typisierten Haltedauer realisiert und unterliegen dann der (effektiven) Abgeltungsteuer zzgl. SolZ.1

12.151 Für die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes wird in der Bewertungspraxis und der Rechtsprechung einhellig auf das Tax-CAPM zurückgegriffen. Damit verbunden sind die folgenden Aspekte:2 – Der Risikozuschlag ergibt sich nach dem Tax-CAPM als Produkt aus der Marktrisikoprämie nach persönlichen Steuern (Abgeltungsteuer) und dem unternehmensspezifischen Betafaktor. – Die Marktrisikoprämie entspricht der Differenz aus der Rendite des Marktportfolios und der Rendite der risikolosen Anlagealternative. – Die Rendite des Marktportfolios wird aus der empirisch beobachtbaren langfristigen nominalen, d.h. auch durch Inflation beeinflussten Veränderung von Aktienindices (Performance-Indices) abgeleitet. – Die jährliche Veränderung des Indexstandes bzw. die Aktienrendite setzt sich zusammen aus der Dividenden- und der Kursrendite der einbezogenen Aktien. – Empirisch lassen sich nur Aktienrenditen vor persönlichen Steuern (Vor-ESt) beobachten.

12.152 Vor diesem Hintergrund sind die Vor-ESt-Aktienrenditen nach dem Tax-CAPM in Nach-EStAktienrenditen bzw. eine Nach-ESt-Marktrisikoprämie überzuleiten. Der auf die Dividendenrendite entfallende Teil der Aktienrendite wird dabei der nominellen Abgeltungsteuer zzgl. SolZ unterworfen. Der Differenzbetrag zwischen der Aktienrendite und der Dividendenrendite entspricht der Kursrendite. Am Markt historisch beobachtbare bzw. für die Zukunft erwartete Aktienkursentwicklungen, mithin Kursrenditen, stellen nominale Größen dar. Dementsprechend sind inflationsbedingte Kurssteigerungen in die Kursrendite bereits „eingepreist“. Da im Rahmen des Tax-CAPM bei der Ermittlung der Nach-ESt-Marktrisikoprämie die nominale Kursrendite um den effektiven Veräußerungsgewinnsteuersatz vermindert wird, werden bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes (implizit) auch die inflationsbedingten Kursveränderungen bzw. (Schein-) Kursgewinne der effektiven Veräußerungsgewinnbesteuerung unterworfen. Um diesbezüglich die Steuer- bzw. Verfügbarkeitsäquivalenz zwischen Bewertungsobjekt und Alternativanlage sicherzustellen, ist die effektive Veräußerungsgewinnbesteuerung auf inflationsbedingte Wertsteigerungen grundsätzlich auch bei der Ertragswertermittlung bzw. „im Zähler“ zu erfassen.

12.153 Die Berücksichtigung der effektiven Veräußerungsgewinnbesteuerung auf inflationsbedingte Wertsteigerungen ist u.E. in der Bewertungspraxis weit verbreitet und wurde in Spruchverfahren als sachgerecht bestätigt bzw. nicht beanstandet.3

1 Vgl. mit weiterführenden Nachweisen WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A, Tz. 453 f. 2 Vgl. hierzu auch Ruthardt/Popp, AG 2019, 196 (200). 3 Vgl. LG Düsseldorf v. 15.1.2018 – 31 O 5/13; LG Koblenz v. 7.8.2017 – 4 HK O 79/14; LG München I v. 30.6.2017 – 5 HK 13182/15; LG München I v. 28.4.2017 – 5 HKO 26513/11; LG Mün-

354

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.156 § 12

6. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen In der Literatur werden zur Abgrenzung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zwei Konzepte diskutiert.1 Nach der wertbezogenen Abgrenzung werden die Vermögensgegenstände als nicht betriebsnotwendig eingestuft, für die sich im Wege der alternativen Veräußerung bzw. Liquidation ein höherer Wertbeitrag ergibt, als bei fortgeführter Nutzung im Unternehmen. Die Bewertungspraxis geht regelmäßig von einer funktionalen Abgrenzung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens aus, nach der nicht betriebsnotwendige Vermögensgegenstände dadurch gekennzeichnet sind, dass durch ihre Veräußerung das der Unternehmensbewertung zugrundeliegende Unternehmenskonzept bzw. die Unternehmenstätigkeit nicht berührt wird.

12.154

Die Rechtsprechung sieht die Abgrenzung nicht betriebsnotwendiger Vermögensteile regelmäßig analog zur Unternehmensplanung als unternehmerische Entscheidung.2 Als Ausnahme wird angeführt, dass sich die Abgrenzung als „offenkundig unwirtschaftlich oder sogar vorgeschoben“3 erweist. Nicht betriebsnotwendige Vermögensteile werden regelmäßig mit den erwarteten Liquidations- bzw. Veräußerungserlösen abzüglich Veräußerungskosten sowie den steuerlichen Folgen auf Unternehmensebene bewertet.4 Die Unternehmensplanung ist um die Ergebnisbeiträge aus nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenständen zu bereinigen.5

12.155

Ob bzw. inwieweit bei der Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens persönliche Steuern zu berücksichtigen sind, hängt von der beabsichtigten Verwendung der im Rahmen der (fiktiven Veräußerung) erzielten Erlöse bzw. der nicht betriebsnotwendigen Kassenbestände ab.6 Die Rechtsprechung handhabt die Berücksichtigung persönlicher Steuern auf nicht betriebsnotwendiges Vermögen uneinheitlich. Bei der Urteilsanalyse wie bei der konkreten Festlegung ist zu berücksichtigen, dass sich das (Einkommen-)Steuerrecht bezüglich der Besteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen in den letzten Jahren mehrfach geändert hat. Während früher Veräußerungsgewinne steuerfrei waren unterliegen im gegenwärtigen Steuersystem auch die Wertbeiträge aus Thesaurierung der Abgeltungsteuer. Dies hat unmittelbaren Einfluss auf die steuerlichen Folgen aus der Erlösverwendung. Wird von einer Ausschüttung der erzielten Erlöse oder nicht betriebsnotwendiger Liquidität ausgegangen, erfordert dies in aller Regel den Abzug typisierter persönlicher Ertragsteuern der Anteilseigner (Abgeltungsteuer zzgl. SolZ).7

12.156

1 2 3 4 5 6 7

chen I v. 25.4.2016, 5 HK 20672/14; LG Koblenz v. 10.9.2015 – 4 HKO 166/12; LG Kiel v. 21.4.2015 – 16 O 75/12. Vgl. bspw. Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (875) sowie Rz. 8.5 ff. Vgl. mit umfassenden Nachweisen Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (875-879). OLG Frankfurt a.M. v. 17.12.2012 – 21 W 39/11, AG 2013, 566 = juris Rz. 56. Vgl. OLG München v. 14.7.2009 – 31 Wx 121/06, ZIP 2009, 2340; KG Berlin v. 23.1.2009 – 2 W 68/07, AG 2009, 200; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875, 877. Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 241. Vgl. ausführlich Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875 (877 f.). Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 = BeckRS Rz. 139; OLG Frankfurt a.M. v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 = BeckRS Rz. 79; OLG Karlsruhe v. 15.11.2012 – 12 W 66/06, AG 2013, 353 = juris Rz. 197; OLG Frankfurt a.M. v. 20.12.2011 – 21 W 8/11, AG 2012, 330 = juris Rz. 94; OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08, AG 2011, 795 = juris Rz. 309 f.

Popp/Ruthardt

355

§ 12 Rz. 12.157

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

III. Liquidationswert 12.157 Der Liquidationswert ergibt sich als Barwert der finanziellen Überschüsse unter der Annahme der Liquidation des Unternehmens. Es handelt sich somit um den Ertragswert unter der Annahme der Auflösung bzw. Verwertung des Unternehmens als Unternehmenskonzept.

12.158 Der Liquidationswert wurde in der Rechtsprechung historisch entsprechend der betriebswirtschaftlichen Theorie als Wertuntergrenze gesehen. Auch IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 140, unterstellt ökonomisch rationales Verhalten der Entscheidungsträger; der Liquidationswert bildet grundsätzlich die Wertuntergrenze für den Unternehmenswert. Auf einen niedrigeren Fortführungswert ist nur bei Vorliegen eines rechtlichen oder faktischen Zwangs zur Unternehmensfortführung abzustellen. Als Argument für die Relevanz des Liquidationswertes als Wertuntergrenze für rechtliche Bewertungsanlässe wird in der Literatur auf Anreizgesichtspunkte verwiesen. Wird ein höherer Liquidationswert vernachlässigt, könnte ein Mehrheitsaktionär nach dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre die (wertoptimale) Liquidation umsetzen; die Fortführung wäre in diesem Fall unter Berücksichtigung rein finanzieller Ziele und der Annahme rational handelnder Akteure nicht begründbar.1

12.159 Die jüngere Rechtsprechung vertritt dagegen eine differenzierte Betrachtung zur Wertrelevanz des Liquidationswertes.2 Auf den Liquidationswert soll es nunmehr allenfalls dann ankommen, wenn die Absicht besteht, das Unternehmen tatsächlich zu liquidieren und die Ertragsaussichten des Unternehmens auf Dauer negativ sind.3

12.160 Da auch ein zur Barabfindung verpflichtender Squeeze-out während eines laufenden Liquidationsverfahrens zulässig ist,4 kommt es in diesen Fällen statt des Ertragswerts auf den Liquidationswert an. Allerdings sind diese Fälle in der Praxis äußerst selten.5 Faktisch führt die Rechtsprechung zu einer Irrelevanz des Liquidationswertes, sofern der Ertragswert positiv ist und die Unternehmensleitung nachvollziehbar eine Fortführungsabsicht äußert.6

12.161 Für die praktische Bewertungsarbeit führt dies dazu, dass selbst zu konzeptionellen Grundsatzfragen kaum auf aussagefähige Judikatur zurückgegriffen werden kann und die Ansichten über die Ableitung von Liquidationswerten im Einzelfall diametral voneinander abweichen können.

1 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2671 f.); Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1742); Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 74a; Wagner, WPg 2016, 1090 (1094); eine ausführliche Diskussion des Liquidationswertes als Untergrenze der Unternehmensbewertung findet sich auch unter Rz. 9.15 ff. 2 Vgl. mit umfassenden Nachweisen Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725 (728 f.); Wagner, WPg 2016, 1090 (1090 f.). 3 Vgl. BGH v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, AG 2006, 887 (889); OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 122/16, Beschlusstext, S. 14; OLG München v. 17.7.2014 – 31 Wx 407/13, AG 2014, 714 = BeckRS S. 6; OLG Düsseldorf v. 29.7.2009 – 26 W 1/08, juris Rz. 37; OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – 26 W 1/07 (AktE), AG 2009, 907 = juris Rz. 96 f. 4 Vgl. BGH v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, AG 2006, 887 = juris Rz. 7 ff. 5 Vgl. exemplarisch: LG Hannover v. 5.7.2016 – 26 O 57/15; OLG Celle v. 28.12.2016 – 9 W 128/16. 6 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725 (731).

356

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.166 § 12

IV. Substanzwert Der Substanzwert im betriebswirtschaftlichen Sinne ist sowohl für die Ermittlung des Gesamtwerts einer fortzuführenden Unternehmung als auch für den Fall einer beabsichtigten Liquidation ohne Aussagewert.1 Bei einer anzunehmenden Liquidation ist nicht der Substanz-, sondern der Liquidationswert anzusetzen. Hiervon inhaltlich abzugrenzen ist der steuerliche Substanzwert i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG.2

12.162

V. Unterschiedlich ausgestaltete Anteile Bei der Wertermittlung für verschiedene Aktiengattungen ist eine differenzierte Betrachtung notwendig, wenn die Ausgestaltung wertrelevant ist. Dies ist jeweils anhand der Gegebenheiten des Einzelfalls (z.B. Höhe des Dividendenvorzugs bei Vorzugsaktien vs. fehlendes Stimmrecht) zu überprüfen und zu entscheiden.3

12.163

Die wirtschaftlich volle Kompensation wird regelmäßig nach dem höheren Betrag aus Börsenkurs und anteiligem Ertragswert bemessen.4

12.164

Der Börsenkurs bildet den Desinvestitionswert der Aktie ab, mithin den Betrag, den ein kurzfristig orientierter Minderheitsaktionär bei einer freien Veräußerung der Aktie unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme erlösen könnte.5 Demnach sind im Fall von Stamm- und Vorzugsaktien unterschiedliche Desinvestitionswerte zu berücksichtigen, sofern diese zu unterschiedlichen Kursen notieren.6

12.165

Die Ertragswertermittlung geht im Regelfall von einer Fortführung des Unternehmens sowie einer dauerhaften Anlageabsicht der (Minderheits-)Aktionäre aus (langfristig orientierte Daueranleger). Der Unternehmenswert ergibt sich nach dem Ertragswertverfahren als Barwert der finanziellen Überschüsse, die den Unternehmenseignern zukünftig zufließen. Die Konsequenzen einer unterschiedlichen Ausgestaltung von Aktien für die Ertragswertermittlung hängen davon ab, ob diese (nur) unterschiedliche Stimm- und Herrschaftsrechte oder (auch) eine unterschiedliche Beteiligung der Aktien an den Zahlungsströmen aus dem Unternehmen betrifft.

12.166

1 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 6; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49 = juris Rz. 202; OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – I-26 W 7/07 (AktE), AG 2009, 667 (668); a.A. OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 21/14 u. 1 U 131/13, das bei Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge bzw. Unternehmen mit nicht vorrangig finanzieller Zielsetzung eine Relevanz des Rekonstruktions- bzw. Substanzwertes sieht. 2 Vgl. hierzu BFH v. 27.9.2017 – II R 15/15, GmbHR 2018, 381 = BeckRS. 3 Vgl. LG Hamburg v. 26.9.2014 – 403 HKO 19/13; OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822 = juris Rz. 202 ff.; OLG Karlsruhe v. 12.4.2012 – 12 W 57/10; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (427 ff.), sowie § 20. 4 Vgl. stellvertretend Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 83; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 22; OLG Düsseldorf v. 15.12.2016 – 26 W 25/12 (AktE), AG 2017, 809 = BeckRS Rz. 48. 5 Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (413 f.); Adolff in Fleischer/Hüttemann, 2015, § 16 Rz. 37; zustimmend Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, S. 71; Schüppen, ZIP 2016, 1413 (1417). 6 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 379.

Popp/Ruthardt

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§ 12 Rz. 12.167

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

12.167 Die Frage einer wertmindernden Berücksichtigung fehlender Herrschafts- bzw. Stimmrechte bei der Ertragswertermittlung für einen langfristig orientierten Anteilseigner wird in der Rechtsprechung und Kommentierung umfassend unter dem Begriff „Minderheitsabschlag“ diskutiert. Die Begründungen von Adolff1 (Ausschluss aktionärsstrukturbedingter Wertkomponenten), Hüttemann2 (Liquidationshypothese) oder Ruthardt3 (kein Governance-Abschlag) mögen differieren. Allen genannten Denkschulen gemeinsam ist aber das Verbot eines Minderheitsabschlags zu Lasten der ausscheidenden Aktionäre aufgrund der quotalen Teilhabe am Unternehmenswert.4 Aus der Existenz von Anteilen mit und ohne Stimmrecht ergibt sich im Ergebnis demnach noch keine Besonderheit bei der Ermittlung des Anteilswertes als quotaler Unternehmenswert. Denknotwendigerweise ist eine differenzierte Bewertung von Stamm- und Vorzugsaktien im Rahmen der Ertragswertermittlung lediglich aufgrund unterschiedlicher Stimmrechte nicht zulässig.5

12.168 Eine unterschiedliche Ertragswertbewertung von Stamm- und Vorzugsaktien kann dagegen notwendig sein, sofern sich (auch) die Rechte an den Zahlungsströmen bzw. die durch sie vermittelten Vermögensrechte unterscheiden.6 In der Rechtsprechung verweisen vor diesem Hintergrund das OLG Frankfurt a.M. sowie das OLG Düsseldorf auf die Notwendigkeit einer differenzierten Bewertung von unterschiedlich ausgestalteten Aktiengattungen bei Vorliegen einer „Mehrdividende“; d.h. sofern den Vorzugsaktien entsprechend der Satzung ein überproportionaler Anteil am Bilanzgewinn zugewiesen wird.

12.169 „Dieser Ansatz hat zwar zur Folge, dass Vorzugsaktien – dem Ertragswertverfahren zufolge – häufig höher als Stammaktien zu bewerten sind, sofern sie mit einer Mehrdividende ausgestattet sind. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund einer Bewertung nach dem Zuflussprinzip jedoch folgerichtig und konsequent“.7

12.170 „Bei der Aufteilung des Unternehmenswertes auf Vorzugs- und Stammaktien ist die unterschiedliche Ausstattung der Aktien zu berücksichtigen. Die in der Satzung enthaltene Regelung zur Gewinnverwendung ist zu beachten“.8 Der Ausgleich sei „entsprechend gegenüber den Stammaktien zu erhöhen, wenn dem Aktionär eine ‚echte‘ Mehrdividende gewährt wird.“ Dazu seien nach der Auffassung des OLG Düsseldorf „pauschalierte Zu- und Abschläge zulässig, […] da der rechnerische Wert der Rechte und Beschränkungen der einzelnen Aktiengattungen oft nur schwer feststellbar“ sei.9 Als Indikatoren für die Wertdifferenz wurden im konkreten Fall vom OLG Düsseldorf vorrangig der satzungsmäßige Gewinnverteilungsschlüssel sowie zur indiziellen Bestätigung das Verhältnis der Börsenkurse der Stamm- und Vorzugsaktien betrachtet.10

1 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 354, 383. 2 Vgl. Hüttemann, CF 2016, 467 (469). 3 Vgl. Ruthardt, NZG 2014, 972 (972 ff.). 4 Vgl. Popp, Der Konzern 2017, 224 (226). 5 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (430). 6 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 381. 7 OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822 = juris Rz. 205. 8 OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – 26 W 1/07 (AktE), AG 2009, 907 = juris 1. Leitsatz. 9 Vgl. OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – 26 W 1/07 (AktE), AG 2009, 907 = juris Rz. 140. 10 Vgl. OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – 26 W 1/07 (AktE), AG 2009, 907, juris Rz. 140.

358

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.175 § 12

VI. Net Asset Value In der Bewertungspraxis findet sich insbesondere bei Immobiliengesellschaften bzw. ver- 12.171 mögensverwaltenden Gesellschaften die Darstellung eines sog. „Net Asset Value“. Für die Ermittlung des Net Asset Value werden die Zeitwerte der Vermögenswerte addiert und um die Zeitwerte der Schulden sowie den Barwert der Verwaltungskosten gekürzt. Auf diese Weise wird ein Zeitwert des Eigenkapitals ermittelt. Für die Verwaltungskosten werden die entsprechenden Planannahmen für die einbezogenen Aufwandsposten zu Grunde gelegt, die auch der Ertragswertberechnung zu Grunde gelegt werden.1 Der Barwert der Verwaltungskosten ergibt sich vereinfachend auf der Grundlage der der Unternehmenswertermittlung zu Grunde gelegten Kapitalisierungszinssätze vor Steuern. In der Rechtsprechung wird die Bedeutung des Net Asset Value nicht einheitlich gesehen. Es finden sich sowohl ablehnende Beschlüsse2 als auch die Anwendung bei bestandshaltenden Immobiliengesellschaften befürwortende Beschlüsse einzelner Landgerichte.3

12.172

Nach der Auffassung des OLG Düsseldorf sowie des OLG München besteht jedenfalls keine 12.173 Pflicht, neben dem Ertragswertverfahren bei Immobilienunternehmen bzw. vermögensverwaltenden Unternehmen auch den Net Asset Value heranzuziehen.4 Nach der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. kann jedenfalls ausnahmsweise unter Berücksichtigung des besonderen Geschäftsmodells des Unternehmens zur Schätzung des Unternehmenswertes auch auf den Net Asset Value zurückgegriffen werden.5 Im konkreten Fall bestanden gegen die Anwendung der Net Asset Value Methode keine grundsätzlichen Bedenken, da das Unternehmen lediglich indirekt über Investmentvehikel an Immobilien beteiligt war und selbst keine Immobilien unmittelbar hielt. Zudem sollten die zum Bewertungsstichtag bestehenden Investments kurzfristig abgewickelt werden.6

12.174

VII. Vorerwerbspreise Nach der Auffassung des BVerfG können die von einem Mehrheitsaktionär tatsächlich gezahlten Preise für Aktien einer abhängigen Gesellschaft bei der Bewertung des Anteilseigentums zur Bemessung der Barabfindung gemäß § 305 AktG unberücksichtigt bleiben, weil sie regelmäßig weder zu dem „wahren“ Wert des Anteilseigentums in der Hand der Minderheitsaktionäre noch zu dem Verkehrswert der Aktien eine Beziehung haben.7 Eine vergleichbare Entscheidung hat der EuGH getroffen. Demnach enthält das Gemeinschaftsrecht keinen Rechtsgrundsatz, durch den die Minderheitsaktionäre dahingehend geschützt sind, dass der Hauptaktionär verpflichtet ist, deren Aktien zu den gleichen Bedingungen aufzukaufen 1 Vgl. LG Hamburg v. 29.6.2015 – 412 HKO 178/12, Justizportal Hamburg Rz. 135. 2 Vgl. LG München I v. 14.2.2014 – 5 HK O 16505/08, Beschlusstext, S. 63. 3 Vgl. LG Hamburg I v. 29.6.2015 – 412 HKO 178/12, Justizportal Hamburg Rz. 31; LG Frankfurt a.M. v. 16.12.2014 – 3-5 O 164/13, juris Rz. 58 ff.; LG München I v. 30.11.2016 – 5 HK 22066/02, Beschlusstext, S. 16. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – 26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 = BeckRS Rz. 37; OLG München v. 30.7.2018 – 31 Wx 122/16, Beschlusstext, S. 14. 5 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 8.9.2016 – 21 W 36/15, AG 2017, 553 = BeckRS Rz. 29. 6 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 8.9.2016 – 21 W 36/15, AG 2017, 553 = BeckRS Rz. 32 f. 7 Vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 (568) m. Anm. E. Vetter. Vgl. ausführlich zu Vorerwerbspreisen § 19.

Popp/Ruthardt

359

12.175

§ 12 Rz. 12.175

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

wie die, die beim Erwerb einer Beteiligung vereinbart wurden, mit der der Hauptaktionär die Kontrolle erlangt oder seine Kontrolle verstärkt hat.1 Die Irrelevanz von Preisen, die der Hauptaktionär bezahlt hat, wurde für den Squeeze out ausdrücklich vom BGH2 nochmals festgehalten.

12.176 Entsprechend werden die am Markt von der herrschenden/übernehmenden Gesellschaft oder von Dritten bezahlten (Vorerwerbs-)Kaufpreise regelmäßig nicht als verlässliche Grundlage für die festzulegende Abfindung bzw. für die Einschätzung der Angemessenheit in Spruchverfahren herangezogen. Dem liegt die Ansicht zugrunde, dass diese durch subjektive Wertvorstellungen und Sonderüberlegungen des Käufers beeinflusst sein können. Zudem seien sie naturgemäß durch die jeweilige Situation und die wertrelevanten Umstände und Erkenntnisse zum damaligen Kaufzeitpunkt geprägt.3

12.177 Sofern der Konzernierungsmaßnahme ein Übernahmeangebot voraus geht, wird sich der gebotene Übernahmepreis im durchschnittlichen Börsenkurs wiederspiegeln, so dass gezahlte Preise faktisch über die Funktion des Börsenkurses als Wertuntergrenze gleichwohl auf die angemessene Kompensation wirken.

VIII. Börsenkurs 1. Desinvestitionswert

12.178 Der – nach einschlägigen Regeln ermittelte – Börsenkurs verkörpert den Desinvestitionswert der Aktie, d.h. den Betrag, den ein Minderheitsaktionär unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme bei einem freiwilligen Verkauf für die Aktie am Bewertungsstichtag hätte erzielen können (vgl. Rz. 12.4).

12.179 Seit der Stollwerk-Entscheidung des BGH im Jahr 2010 ist in der Rechtsprechung unstrittig, dass der Börsenkurs als umsatzgewichteter dreimonatiger Durchschnittskurs vor dem Tag der Bekanntmachung der beabsichtigten Strukturmaßnahme zu ermitteln ist. Zudem ist der Börsenkurs nach Ansicht des BGH immer dann auf den Bewertungsstichtag „hochzurechnen“, wenn ein „längerer Zeitraum“ zwischen dem Tag der Bekanntgabe und dem Tag der Hauptversammlung liegt und die „allgemeine oder branchentypische“ Börsenentwicklung eine Anpassung als notwendig erscheinen lässt.4 2. Maßgeblicher Stichtag

12.180 Als Endzeitpunkt für den Dreimonatsdurchschnittskurs ist ökonomisch der Zeitpunkt relevant, bevor der Kapitalmarkt die Information der geplanten Strukturmaßnahme verarbeitet und in den Börsenkurs einpreist;5 d.h. eine gedankliche Sekunde vor dem Zeitpunkt, zu dem die Kursreaktion als Folge des Bekanntwerdens der Strukturmaßnahme erfolgt. Theoretisch 1 Vgl. EuGH v. 15.10.2009 – C-101/08, AG 2009, 821 ff. 2 Vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZR 18/09, AG 2010, 629 (632). 3 Vgl. stellvertretend zur herrschendenden Meinung OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 20/14, Beschlusstext, S. 32; OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – 26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 = BeckRS Rz. 45; a.A. LG Frankfurt v. 25.11.2014 – 3-05 O 43/13, juris Rz. 86; LG Hannover v. 22.8.2012 – 23 AktE 149/10 entgegen der BGH-Rechtsprechung. 4 Vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 (631 f.). 5 Vgl. Weber, ZGR 2004, 280 (284).

360

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.185 § 12

wäre dann die Kursentwicklung untertägig noch bis zur Kursreaktion zu berücksichtigen. Aus Vereinfachungsgründen ist auf die Kurse bis zu dem Tag vor der Kursreaktion abzustellen.1 Als Auslöser für das Bekanntwerden dürfte häufig eine ad-hoc-Mitteilung in Frage kommen. Allerdings können die relevanten Informationen auch durch eine Pressemitteilung oder andere öffentliche Mitteilungen bekannt werden.2 Abgrenzungsschwierigkeiten dürften sich entsprechend dem OLG Frankfurt a.M. insbesondere dann ergeben, wenn bspw. der Zeitpunkt erstmaliger Andeutungen oder bloßer Gerüchte angeführt wird.3

12.181

Maßgeblich sei nach der Auffassung des OLG Karlsruhe „allein die Tatsache des erstmaligen Auftretens von der belastbaren Information als solche, da sich die Markterwartung mit dem Wissen von der beabsichtigten Strukturmaßnahme neu, nämlich an der Höhe der erwarteten Abfindung, ausrichtet“.4 Dies sei „unabhängig davon, ob dieses Wissen durch eine adhoc-Mitteilung der Mehrheitsaktionärin, wie hier durch eine Bekanntgabe der beherrschten Gesellschaft oder durch eine belastbare Presseberichterstattung in den Markt gelangt“.5

12.182

3. Längerer Zeitraum und Hochrechnung a) Längerer Zeitraum Eine „Hochrechnung“ des Börsenkurses auf den Bewertungsstichtag ist nach dem BGH vorzunehmen, wenn ein „längerer Zeitraum“ zwischen dem Tag der Bekanntmachung und dem Tag der HV liegt und die „allgemeine oder branchentypische“ Börsenentwicklung eine Anpassung als notwendig erscheinen lässt.6 Die Hochrechnung soll die Minderheitsaktionäre davor schützen, dass „sie von einer positiven Börsenentwicklung ausgeschlossen werden“.7

12.183

Im Fall „Stollwerck“ war der BGH bei einem Zeitraum zwischen Ankündigung und beschlussfassender Hauptversammlung von siebeneinhalb Monaten von einem „längeren Zeitraum“ ausgegangen. In der Fachliteratur wird ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten nicht als „längerer Zeitraum“ gesehen.8 Auf der anderen Seite wird in der Literatur z.T. allerdings auch generell (d.h. bei kürzeren Zeiträumen) für eine Hochrechnung plädiert, da der Börsenkurs simuliert werden soll, zu dem die Aktie am Bewertungsstichtag hätte verkauft werden können.9 Ebenfalls wird diskutiert, ob die Hochrechnung auf positive Entwicklungen beschränkt sein soll oder auch eine Hochrechnung „nach unten“ zulässig ist.10

12.184

Die Rechtsprechung handhabt das Vorliegen eines „längeren Zeitraums“ sehr restriktiv.11 Ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten zwischen Bekanntwerden und Tag der Hauptversammlung wird als „normal“ oder „üblich“ angesehen, da sechs Monate regelmäßig für Be-

12.185

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1222). Vgl. Weber, ZGR 2004, 280 (284); BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 (631). Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 = BeckRS Rz. 67. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 = juris Rz. 29. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 = juris Rz. 29. Vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 (632). BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 (630). Vgl. Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1223) m.w.N. Vgl. Ruthardt/Hachmeister, CF 2014, 174 (183). Insoweit ablehnend: Wasmann, ZGR 2011, 83 (99). Vgl. für umfassende Nachweise zur Rechtsprechung Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1223 f.).

Popp/Ruthardt

361

§ 12 Rz. 12.185

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

wertung, Prüfung und Vorbereitung der HV benötigt werden.1 Das OLG Saarbrücken sieht in einem Zeitraum von sechseinhalb Monaten noch keinen längeren Zeitraum.2 Nach der Auffassung der Rechtsprechung soll die Hochrechnung generell auf Ausnahmefälle beschränkt werden. Eine nachträgliche Anpassung sei nur veranlasst, wenn die angekündigte Maßnahme ohne sachlichen Grund verzögert bzw. nicht innerhalb einer üblichen Zeitspanne durchgeführt wird.3

12.186 Das OLG Frankfurt a.M. hat bei einem Zeitraum von etwa acht Monaten eine Hochrechnung zwar in Erwägung gezogen. Im konkreten Fall kam allerdings eine Anpassung nach oben aufgrund der Börsenentwicklung nicht in Betracht, da sich der Branchenindex DAXsubsector Real Estate im Zeitraum zwischen der erstmaligen Bekanntgabe und dem Bewertungsstichtag negativ entwickelt hatte.4

12.187 Das LG Frankfurt a.M. ist in einem kürzlich ergangenen Beschluss als erstes Gericht bei einem Zeitraum unter 7,5 Monaten (7 Monate und 8 Tage) von dem Vorliegen eines „längeren Zeitraums“ ausgegangen. Bei einem Zeitraum über sieben Monaten sei demnach das Vorliegen eines längeren Zeitraums zu bejahen.5 b) Hochrechnungsmethodik

12.188 Bei Vorliegen eines „längeren Zeitraums“ stellt sich die Frage der Hochrechnungsmethodik. In der Literatur wurde zunächst eine proportionale bzw. 1:1 Hochrechnung dargestellt.6 Demnach würde die prozentuale Kursentwicklung eines (Branchen-)Index oder von PeerGroup-Unternehmen betrachtet und diese 1:1 auf die betreffende Aktie übertragen. Bei der proportionalen Hochrechnung wird allerdings implizit die ökonomisch nicht plausibel begründbare Annahme getroffen, dass die Aktie des zu bewertenden Unternehmens (plötzlich) ab dem Tag der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme 1:1 der Kursentwicklung eines (Branchen-)Index oder der Kursentwicklung der Peer-Group-Unternehmen gefolgt wäre. Bei dieser Hochrechnungsmethodik besteht demnach die Gefahr, einen Betrag zu ermitteln, zu dem ein Aktionär die Aktie unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme zum Bewertungsstichtag nie hätte veräußern können. Eine angemessene Indikation für den gesuchten Desinvestitionswert kann dagegen durch eine Hochrechnung des Börsenkurses unter Rückgriff auf den eigenen Betafaktor der Aktie bzw. die Berücksichtigung einer möglichen Abkopplung der Aktienkursentwicklung von der allgemeinen Kursentwicklung des Marktes, der Branche und der Peer Group Unternehmen ermittelt werden. Auf die statistische Güte und Eignung des originären Betafaktors zur Abbildung des operativen Risikos der Geschäftstätigkeit des Unternehmens kommt es an dieser Stelle – anders als bei der fundamentalen Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren – nicht an. Zumindest wird nachvollziehbar eine realistische Entwicklung der Aktie zwischen dem Tag der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und dem Tag der HV simuliert.7 Auf diese Weise kann der Intention des BGH, nach der die Minderheitsaktionäre bei Vorliegen eines „längeren Zeitraums“ durch die Hochrechnung davor ge1 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 = juris Rz. 174. 2 Vgl. OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, DStR 2014, 1727 (1728) = AG 2014, 866. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49 = juris Rz. 212; OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, DStR 2014, 1727 (1730) = AG 2014, 866. 4 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 21.12.2010 – 5 W 15/10, juris Rz. 52. 5 Vgl. LG Frankfurt a.M. v. 4.2.2019 – 3-05 O 68/17, BeckRS Rz. 43 f. 6 Vgl. Weber, ZGR 2004, 280 (287); Wasmann, ZGR 2011, 84 (97). 7 Vgl. Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1227).

362

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.192 § 12

schützt werden sollen, dass „sie von einer positiven Börsenentwicklung ausgeschlossen werden“ (jedenfalls aus einem ökonomischen Blickwinkel) hinreichend Rechnung getragen werden. Aufgrund der restriktiven Handhabung des längeren Zeitraumes finden sich in der Rechtsprechung nach unseren Kenntnissen bislang erst zwei oberlandesgerichtliche Entscheidungen, in denen eine abfindungsbeeinflussende Hochrechnung vorgenommen wurde. Dabei lag jeweils mit elf1 respektive zwölf2 Monaten ein „längerer Zeitraum“ vor.

12.189

Das OLG Karlsruhe folgt in einem Beschluss aus dem Jahr 2015 der Hochrechnungsmethodik des gerichtlichen Sachverständigen.3 Als Ausgangspunkt wird von diesem auf die Entwicklung des CDAX-Performanceindex und die Kursentwicklung der Peer Group Unternehmen verwiesen. Der CDAX-Performanceindex war um 20,99 % und die Kurse der börsennotierten Peer Group Unternehmen waren im Durchschnitt um 20,00 % zurückgegangen. Übereinstimmend mit dem gerichtlichen Sachverständigen stellt das OLG Karlsruhe fest, dass eine 1:1 Übertragung der Kursentwicklung der Peer Group Unternehmen im vorliegenden Fall nicht möglich sei, da sich die Aktie aufgrund des vorliegenden Unternehmensvertrages und der bestehenden Garantiedividende „zu einem gewissen Grad von der allgemeinen Kursentwicklung und der Entwicklung seiner Peer-Group abgekoppelt hat.“4 Dieser Tatsache könnte durch einen hälftigen Abschlag auf den allgemeinen und peergruppenspezifischen Kursrückgang Rechnung getragen werden, so dass ein Abschlag i.H.v. 10,00 % als angemessen eingeschätzt wird.5 Der Börsenkurs i.H.v. 21,83 Euro wird vom OLG Karlsruhe bestimmt, indem von dem durchschnittlichen Börsenkurs vor der Ankündigung i.H.v. 24,26 Euro 10,00 % bzw. 2,43 Euro abgezogen werden.6

12.190

In der vom OLG Frankfurt a.M. im Jahr 2016 getroffenen Entscheidung wird als Ausgangspunkt für die Hochrechnung auf die negative Entwicklung des DAX 30 (-28 %) sowie eines Branchenindex (-22 %) verwiesen. Im Ergebnis erfolgt eine proportionale Anpassung der Kurse der verschmolzenen Gesellschaften um 25 % nach unten.7 „Denn es [sei] anzunehmen, dass der Kurs der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen dem allgemeinen Trend jedenfalls teilweise gefolgt wäre.“8

12.191

In einer bislang nicht rechtskräftigen Entscheidung hat das LG Frankfurt a.M. den Börsenkurs unter Rückgriff auf die Entwicklung von Branchenindices (DAXsector All Banks und EURO STOXX Banks) sowie die Entwicklung der Aktien der Peer Group Unternehmen um 28,2 % proportional hochgerechnet.9 Eine im konkreten Fall tatsächlich zu beobachtende Abkopplung der Aktie von der Markt-, Branchen- und Peer Group Entwicklung in den Jahren vor der Ankündigung der Strukturmaßnahme, die Aktie wies in den drei Jahren vor der Strukturmaßnahme ein nahezu konstantes Niveau auf, wurde vom LG Frankfurt a.M. nicht berücksichtigt.

12.192

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2016 – 21 W 22/13. Vgl. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789. Vgl. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 = juris Rz. 32. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 = juris Rz. 32. Vgl. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 = juris Rz. 32. Alternativ könnte folgendermaßen gerechnet werden: 24,26 Euro * (1-10,00 %) = 21,83 Euro. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 = BeckRS Rz. 84-86. OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 = BeckRS Rz. 84. Vgl. LG Frankfurt a.M. v. 4.2.2019 – 3-05 O 68/17, BeckRS Rz. 50 ff.

Popp/Ruthardt

363

§ 12 Rz. 12.193

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

12.193 Aus den Entscheidungen wird deutlich, dass bislang keine einheitliche Rechtsprechung zur Hochrechnungsmethodik ersichtlich ist. Jedenfalls wird deutlich, dass die Hochrechnung nicht auf eine positive Kursentwicklung beschränkt ist. Vielmehr sei es, „da es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse der Gesellschaft am Bewertungsstichtag ankommt, sachgerecht […] auch eine negative Kursentwicklung zu berücksichtigen.“1

12.194 Zum letzten Punkt soll angemerkt werden, dass sich die Frage der positiven oder negativen Fortschreibung des Börsenkurses ggf. bereits i.R.d. Festlegung des Abfindungsangebotes bei der Durchführung der Strukturmaßnahme stellt. Aus prozessualer Hinsicht ist anzuführen, dass in Spruchverfahren eine nachträgliche Fortschreibung des Börsenkurses „nach unten“, die zu einer Wertfeststellung unter dem ursprünglichen Abfindungsangebot zu Lasten der Antragsteller führen würde, nicht zulässig ist.2 Insoweit ist die praktische Relevanz einer späteren Korrektur des Börsenkurses nach unten im Rahmen eines Spruchverfahrens stark eingeschränkt.3 4. Irrelevanz des Börsenkurses als Untergrenze

12.195 Verfassungsrechtlich darf die wirtschaftlich volle Kompensation den Börsenkurs nur unterschreiten, wenn dieser nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt.4 Entsprechend dem BGH kommt ein Unterschreiten des Börsenkurses nur in Betracht, sofern5 – über einen längeren Zeitraum praktisch kein Handel der Aktie stattgefunden hat, – einzelne Aktionäre aufgrund einer Marktenge nicht in der Lage gewesen wären, ihre Aktien am Markt zu veräußern, oder – Anzeichen für eine Manipulation des Börsenkurses vorliegen.

12.196 Die Spruchgerichte legen sehr restriktive Kriterien an die Nichtbeachtung des Börsenkurses als Untergrenze. Die Nichtbeachtung wird als „begründungsbedürftige Ausnahme“ gesehen. „Harte“ Kriterien können nicht identifiziert werden. Es wird eher darauf abgestellt, ob einzelne Minderheitsaktionäre die Aktie tatsächlich hätten verkaufen können – und somit auf die Desinvestitionsmöglichkeit.6

12.197 In der jüngeren Vergangenheit ist die Tendenz zu beobachten, dass die Spruchgerichte eine Indizwirkung der Kriterien des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebV annehmen.7 Gemessen hieran wäre von einer Marktenge auszugehen, wenn kumulativ während der letzten drei Monate vor dem 1 OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 = BeckRS Rz. 84. 2 Dies ist auf die Besonderheit in Spruchverfahren zurückzuführen, nach der im Spruchverfahren nur eine höhere, nicht aber eine niedrigere als die vom Hauptaktionär angebotene Abfindung festgesetzt werden darf („Verböserungsverbot“). Vgl. im Zusammenhang mit der rückwirkenden Anwendung neuer Berechnungsweisen BGH v. 25.9.2015 – II Z 23/14, juris Rz. 37 f.; Popp, WPg 2017, 465 (468). 3 Vgl. Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1223). 4 Vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, NJW 1999, 3769 (3772) = AG 1999, 566. 5 Vgl. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, NJW 2001, 2080 (2082) = AG 2001, 417. 6 Vgl. Ruthardt, DB 2017, 2405 (2405 f.); Ruthardt/Hachmeister, CF 2014, 174 (180); jüngst OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 36. 7 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS Rz. 33; eine mögliche Indizwirkung der Kriterien sehen OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822; OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789.

364

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.200 § 12

Stichtag an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abgewichen sind. Die Möglichkeit der freien Veräußerung hängt nicht von der Informationseffizienz des Kapitalmarktes ab. Sofern Aktienkurse bspw. durch ein öffentliches Übernahmeangebot beeinflusst sind, spricht dies zwar nach der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. gegen die Heranziehung für die Schätzung des Unternehmenswertes, steht allerdings der Heranziehung als Untergrenze nicht entgegen.1 Der Börsenkurs sei vielmehr nur dann nicht als Untergrenze zu berücksichtigen, wenn einem Minderheitsaktionär „die Möglichkeit des tatsächlichen Verkaufs zum Börsenkurs fehlen würde“.2 Dabei ist grundsätzlich nicht entscheidend, „ob es der Gesamtheit der außenstehenden Aktionäre möglich gewesen wäre, ihre Aktien zum Stichtag oder auch in einem überschaubaren Zeitraum zum festgestellten Börsenkurs zu verkaufen“.3 Demgemäß gehen auch die Überlegungen […] zu einer Veränderung des Börsenkurses für den Fall fehl, dass alle Minderheitsaktionäre gezwungen gewesen wären, ihre Beteiligung zu veräußern“.4

12.198

5. Freiverkehrskurse Das OLG Karlsruhe hat zuletzt festgestellt, dass der Dreimonatsdurchschnittskurs auf Basis von börslich gemeldeten Geschäften zu ermitteln ist. Sog. over the counter Geschäfte seien nicht zu berücksichtigen. Zudem verweist das OLG Karlsruhe explizit auf die Praxis der BaFin, nach der nur inländische Transaktionen im regulierten Markt herangezogen werden.5 Bei anderen Oberlandesgerichten finden sich dagegen auch Stimmen, die sich für eine grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit von Freiverkehrskursen aussprechen.6

12.199

IX. Fester oder variabler Ausgleich 1. Grundlagen Den außenstehenden Aktionären ist gem. § 304 Abs. 1 AktG bei Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags ein angemessener Ausgleich anzubieten. Dieser kann als fester Ausgleich oder, sofern der andere Vertragsteil eine AG oder KGaA ist, als variabler Ausgleich7 angeboten werden. Als Ausgleichszahlung ist gem. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG mindestens die jährliche Zahlung des Betrags zuzusichern, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten unter Berücksichtigung angemessener Abschreibungen und Wertberichtigungen, jedoch ohne Bildung anderer Gewinnrücklagen, voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden könnte. Diese gesetzliche Regelung stellt sicher, dass der außenstehende Aktionär eine 1 2 3 4 5 6

Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 = BeckRS Rz. 79. OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 = BeckRS Rz. 81. OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 = juris Rz. 50. OLG Frankfurt a.M. v. 30.3.2010 – 5 W 32/09, juris Rz. 35. Vgl. zum Ganzen OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, BeckRS. Tendenziell pro Berücksichtigungsfähigkeit von Freiverkehrskursen OLG Düsseldorf v. 11.5.2015 – 26 W 2/13 (AktE), AG 2015, 573 = BeckRS Rz. 29; Freiverkehrskurse ablehnend, sofern wesentliche wertrelevante Informationen nicht eingepreist sind OLG München v. 17.7.2014 – 31 Wx 407/13, NZG 2014, 1230 f. = AG 2014, 714. 7 Vgl. zu den relativ seltenen Fällen des variablen Ausgleichs: Schnorbus, ZHR 2017, 902 ff.

Popp/Ruthardt

365

12.200

§ 12 Rz. 12.200

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Ausgleichszahlung erhält, die wertmäßig der Dividende entspricht, die er ohne den Unternehmensvertrag erhalten würde.1 Was in der Zukunft voraussichtlich verteilt werden kann, hängt von der künftigen Ertragslage ab (vgl. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG). Damit wird deutlich, dass bereits das Gesetz auf den Ertragswert des Unternehmens abstellt.2

12.201 Die Ableitung der Ausgleichszahlung erfolgt regelmäßig durch Verrentung des Ertragswertes.3 Aufgrund der i.d.R. unbeschränkten Laufzeit der Unternehmensverträge kann dieser rechnerische Zusammenhang durch Umformung der allgemeinen Berechnungsformel für den Unternehmenswert als ewige Rente dargestellt werden. UW =

E bzw. E = UW · i i

12.202 Für die Ermittlung des Ausgleichsbetrags (E) wird der für die Abfindung ermittelte Unternehmenswert (UW) durch Multiplikation mit einem Verrentungszinssatz (i) in eine Annuität umgerechnet.

12.203 Bei einer chronisch defizitären Gesellschaft ist ein Nullausgleich angemessen. Dies gilt selbst dann, wenn die Abfindung nach dem gegenüber dem Ertragswert höheren und positiven Liquidationswert bestimmt wurde.4

12.204 Besitzt die abhängige Gesellschaft verschiedene Aktiengattungen, die mit unterschiedlichen Gewinnbezugsrechten i.S.v. § 139 AktG verbunden sind, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie sich dies auf die Höhe des Ausgleichs auswirkt. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Formen von Vorzügen lassen sich keine generellen Leitlinien formulieren.5

12.205 In der Ytong-Entscheidung gelangte der BGH zu der Auffassung, dass als Ausgleichszahlung der voraussichtlich verteilungsfähige durchschnittliche Bruttogewinnanteil je Aktie abzüglich der von der Gesellschaft hierauf zu entrichtenden (Ausschüttungs-)Körperschaftsteuer in Höhe des jeweils gültigen Steuertarifs zuzusichern sei. Anpassungen der Körperschaftsteuer könnten demnach zu Anpassungen der Ausgleichszahlung führen, da nach der Auffassung des BGH die „Körperschaftsteuer von der Gesellschaft selbst nicht beeinflusst werden kann, sondern lediglich Ausfluss des von ihr erwirtschafteten Gewinns ist“.6

1 Vgl. BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (61) = AG 2003, 627; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06, juris Rz. 48. 2 Vgl. Krieger in Münchener Hdb. AG, § 71 Rz. 87; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 75 m.w.N. 3 Vgl. Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 39; Veil/Preissner in Spindler/Stilz, § 304 AktG Rz. 54; BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 = juris Rz. 20; BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627; OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 65; OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822 = juris Rz. 230; OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 = juris Rz. 130. 4 Vgl. BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, AG 2006, 331; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 92 f.; Spindler/Stilz, § 304 AktG Rz. 61. 5 Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 98 ff.; Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 33 ff.; OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822 = juris Rz. 202 ff.; OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – 26 W 1/07 (AktE), AG 2009, 907 = juris Rz. 140 ff. i.V.m. LG Dortmund v. 13.12.2006 – 20 AktE 4/94, BeckRS. 6 BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, WM 2003, 1859 (1859 ff.). Krit. Popp, WPg 2008, 23 (25 f.).

366

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.211 § 12

Die Ermittlung der Ausgleichszahlung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erfolgt, indem die aktuelle Körperschaftsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag von dem aus dem Ertragswert abgeleiteten Bruttogewinnanteil abgezogen wird. Die zur Charakterisierung des Ausgleichs nach Unternehmenssteuern vereinzelt zu findende Bezeichnung „Netto-Ausgleich“ findet keine Entsprechung in der Rechtsprechung des BGH und ist aufgrund der Verwechslungsgefahr mit dem Ausgleich nach persönlicher ESt zu vermeiden.

12.206

Die festzulegende Ausgleichszahlung ist wie die Dividende eine Größe vor persönlicher Einkommensteuer. Bei der Festlegung ist folglich zu berücksichtigen, dass die Zuflüsse aus dieser Ausgleichszahlung wie Dividenden behandelt werden und daher der Abgeltungsteuer von 25 % zzgl. SolZ unterliegen, soweit für die Auszahlung nicht Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto als verwendet gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Hierzu wird nach der Verrentung des Nachsteuerwerts je Aktie mit einem Nachsteuerzinssatz zur Ermittlung der Ausgleichszahlung (vor Steuern) die typisierte Steuerbelastung aufgeschlagen und so der Nachsteuerwert in einen Vorsteuerwert umgerechnet.1

12.207

2. Verrentungszinssatz Der Verrentungszinssatz drückt ökonomisch die gegenüber der Ausgleichszahlung äquivalente Alternativanlage aus. Insofern soll er die Risikostruktur der Ausgleichszahlung abbilden. Für die Ableitung des Verrentungszinssatzes finden sich in der Praxis zwei unterschiedliche Vorgehensweisen: zum einen der Mittelwertansatz und zum anderen der Bonitätsansatz. Beim Mittelwertansatz wird der risikolose Basiszinssatz um die Hälfte des Risikozuschlages des Ertragswertverfahrens erhöht, während beim Bonitätsansatz der risikolose Zinssatz um einen Bonitätszuschlag für das Ausfallrisiko der Muttergesellschaft erhöht wird.

12.208

Wenn und soweit der Unternehmensvertrag eine Klausel zum Wiederaufleben des Abfindungsangebots vorsieht, kommt primär der Bonitätsansatz zum Ansatz. Im Gegensatz hierzu ist der Mittelwertansatz für den Fall eines Unternehmensvertrags ohne eine Klausel zum Wiederaufleben des Abfindungsangebots die übliche Vorgehensweise.2

12.209

Im Wesentlichen werden in der Rechtsprechung folgende Gesichtspunkte bei der Abwägung der Risikostruktur genannt:

12.210

Als risikominimierende Komponenten wird auf die Verlustübernahmeverpflichtung (§ 302 AktG) der herrschenden Gesellschaft während der Vertragsdauer3 sowie die gleichbleibenden Zahlungen ohne Gewinnschwankungen, die unabhängig vom tatsächlich erzielten Gewinn bestehen,4 verwiesen. Das Risiko der Ausgleichszahlung ist daher nicht mit dem vollen

12.211

1 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 = BeckRS Rz. 94; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 258; LG Stuttgart v. 5.11.2012 – 31 O 55/08, Beschlusstext, S. 62. 2 Vgl. LG München I v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13, juris Rz. 391 ff.; LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/06; für den Bonitätsaufschlag bei Wiederaufleben vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 77. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, juris Rz. 260; LG München I v. 14.2.2014 – 5 HKO 16505/08, Beschlusstext, S. 70; Maul, DB 2002, 1423 (1425). 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, juris Rz. 498; OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (867); OLG Düsseldorf v. 20.9.2006 – 26 W 8/06, juris Rz. 645; LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/06, Beschlusstext, S. 121.

Popp/Ruthardt

367

§ 12 Rz. 12.211

Zweiter Teil: Bewertungsmethoden

Risiko einer unternehmerischen Betätigung vergleichbar, das aber im Fall der Vertragsbeendigung wieder auflebt.1

12.212 Demgegenüber ist für den Regelfall risikoerhöhend festzuhalten, dass der Ausgleichsanspruch nicht vor einer Auszehrung der beherrschten Gesellschaft durch nachteilige Maßnahmen des herrschenden Unternehmens schützt.2 Im Falle einer nachhaltigen Schwächung der Ertragskraft des Unternehmens während der Vertragslaufzeit besteht die Unternehmensbeteiligung an einem im Wert geminderten Unternehmen fort.3

12.213 Ferner ist der außenstehende Aktionär während der Laufzeit des Vertrags dem Insolvenzrisiko der herrschenden Gesellschaft als Schuldner des Ausgleichs ausgesetzt.4

12.214 Unter Berücksichtigung der vorstehenden Risikogesichtspunkte ist es daher für den Regelfall angemessen, einen unter dem vollen Kapitalisierungszinssatz, aber über dem quasi-risikolosen Basiszinssatz liegenden Verrentungszinssatz anzusetzen. Dieser kommt häufig im Ansatz des Mittelwertes aus risikolosem Basiszinssatz und den vollen risikoadjustierten Kapitalkosten zum Ausdruck.5

12.215 Vereinzelt sehen Unternehmensverträge für den Fall einer Vertragskündigung vor, dass der vertraglich vereinbarte Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre befristet wieder auflebt. Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit solcher Klauseln sind nicht ersichtlich.

12.216 Wenn und soweit in Ausnahmefällen der Unternehmensvertrag somit eine Klausel enthält, wonach im Falle der Vertragsbeendigung der (damalige) Abfindungsanspruch gem. § 305 AktG wieder auflebt und insoweit ein Schutz gegen die „Auszehrung“ des abhängigen Unternehmens durch nachteilige Maßnahmen des herrschenden Unternehmens besteht, verbleibt das Bonitätsrisiko des anderen Vertragsteils als Schuldner der Ausgleichszahlung.6

12.217 Als Ausgangsgröße zur Messung dieses Insolvenzrisikos können Renditevergleiche zwischen Bundesanleihen und Industrieanleihen des anderen Vertragsteils oder Credit Default Swaps der Industrieanleihe herangezogen werden.7

12.218 Unabhängig von der Ermittlungsmethodik ist der Verrentungszinssatz nicht um einen Wachstumsabschlag zu vermindern.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 = juris Rz. 134. Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = juris Rz. 263. Vgl. LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/06, Beschlusstext, S. 121. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, juris Rz. 202; LG München I v. 14.2.2014 – 5 HKO 16505/08, Beschlusstext, S. 69; LG Berlin v. 22.11.2011 – 102 O 228/07, Beschlusstext, S. 59. Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, BeckRS Rz. 91 ff.; OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 = BeckRS Rz. 65; LG München I v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13, juris Rz. 391 ff. Vgl. LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/06, Beschlusstext, S. 122; OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 203. Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 77; LG Berlin v. 23.4.2013 – 102 O 134/06, Beschlusstext, S. 122 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 = juris Rz. 206 ff. Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – 26 W 2/15 (AktE), AG 2017, 584 = BeckRS Rz. 78, m.w.N.; OLG Karlsruhe v. 13.5.2013 – 12 W 77/08 (13), AG 2013, 880 = juris Rz. 106; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06, juris Rz. 52.

368

Popp/Ruthardt

Bewertungsmethoden im Spiegel der Rechtsprechung

Rz. 12.219 § 12

X. Relevanz der kapitalisierten Ausgleichszahlung Eine bewertungsmethodische Besonderheit ergibt sich, wenn das Bewertungsobjekt vor dem Abschluss weiterer Strukturmaßnahmen bereits vertraglich beherrscht war. In diesem Fall ist zu entscheiden, ob die Festlegung der angemessenen Barabfindung unter Berücksichtigung der kapitalisierten Ausgleichsbeträge aus bereits bestehenden Unternehmensverträgen zu erfolgen hat.1 Der BGH2 hat klargestellt, dass die kapitalisierte Ausgleichszahlung keine Wertobergrenze darstellt,3 hat allerdings die Frage, ob der Barwert der festen Ausgleichszahlung als (weitere) Untergrenze für die Barabfindung beim Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zu berücksichtigen ist, zuletzt explizit offengelassen. Derzeit wird von einer unsicheren Rechtslage,4 der völligen Irrelevanz der Ausgleichszahlung,5 der Möglichkeit eines Kombinationswerts aus (zeitlich begrenzter) Ausgleichszahlung und Ertragswert6 bzw. davon ausgegangen, dass der Barwert der Ausgleichszahlungen als Wertuntergrenze zu berücksichtigen ist.7

1 Vgl. allgemein zur Berechnung Popp, WPg 2018, 224 ff. 2 Vgl. BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, ZIP 2016, 666. 3 Vgl. für eine ausführliche Diskussion der „Nestlé“ Entscheidung des BGH Popp, Der Konzern 2017, 224 ff. 4 Vgl. Mennicke, DB 2016, 2047 (2048); Singhoff, DB 2016, 1185. 5 Vgl. Wasmann, DB 2017, 1433 (1437); OLG Düsseldorf v. 15.11.2016 – 26 W 2/16 (AktE), AG 2017, 672 = BeckRS, Leitsatz. 6 Vgl. Ruthardt, DB 2017, 535 (536); Ruthardt, Der Konzern 2013, 615 (616); für einen zum Stichtag gekündigten Unternehmensvertrag OLG Frankfurt a.M. v. 5.2.2016 – 21 W 69/14, DStR 2016, 978 = AG 2016, 588; Mennicke, DB 2016, 2047. 7 Vgl. Schüppen, ZIP 2016, 1413 (1418).

Popp/Ruthardt

369

12.219

Dritter Teil Querschnittsfragen § 13 Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.1

II. Unterscheidung von Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung . . .

13.2

III. Festlegung der gesetzlichen Bewertungsziele als Rechtsfrage . . . . . . . . 13.6 1. Normgebundenheit der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . 13.6 a) Abfindung ausscheidender Aktionäre als Beispielsfall . . . . . . 13.6 b) Bewertungsvorgaben im Familien- und Erbrecht . . . . . . . . 13.7 2. Weitere Konkretisierungen des Bewertungsziels . . . . . . . . . . . . . . . . 13.8 a) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . 13.8 b) Quotaler Unternehmenswert oder Anteilswert . . . . . . . . . . . . . 13.9 c) Liquidationswert als Wertuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.10 d) Börsenwert als Wertuntergrenze . 13.11 3. Festlegung des Bewertungsziels als Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . 13.12 IV. Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen bei der tatsächlichen Wertfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermittlung von Unternehmenswerten als Tatsachenfeststellung . . . . a) Vom gesetzlichen Bewertungsziel zur Tatsachenfeststellung . . . . . . . b) Unternehmenswertfeststellungen als Schätzungen . . . . . . . . . . . . . . c) Hinzuziehung eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . .

13.13 13.13 13.13 13.14

d) Würdigung des Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . . . . . . 2. Richterliches Schätzungsermessen und Auswahl unter mehreren Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . a) Auswahl der Bewertungsmethode als Aufgabe des Tatrichters . . . . . . b) Optimierungsgebot oder nur Vertretbarkeits- bzw. Plausibilitätsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mangelnde Eignung einer Bewertungsmethode . . . . . . . . . . c) Unrichtige Tatsachengrundlage und falsche Berechnungen . . . . . . d) Fehlerhafte Methodenauswahl . . . e) Befangenheit des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Kritik am IDW S 1 zwischen Rechts- und Tatfragen . . . . . . 1. Dominanz der IDW-Verlautbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eignung des IDW S 1 und gesetzliche Bewertungsperspektive . . . . . . . 3. Verfahrensrechtliche Relevanz . . . . . .

13.16 13.18 13.18 13.19 13.19 13.22 13.24 13.24 13.25 13.27 13.28 13.29 13.30 13.30 13.33 13.40

13.15

Schrifttum: Brähler, Der Wertmaßstab der Unternehmensbewertung nach § 738 BGB, WPg 2008, 209; Emmerich, Besprechung von Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, AG 2003, 168; Fleischer, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage – Der Stinnes-Beschluss des BGH zur Anwendung neuer Bewertungsstandards auf vergangene Bewertungsstichtage, AG 2016, 185; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften, ZIP 2012, 1633; Fleischer, Die Barabfindung außenstehender Aktionäre nach § 305 und § 320b AktG: Stand-alone oder Verbundberücksichtigungsprinzip?, ZGR 1997, 368; Fleischer/Schnei-

Hüttemann 371

§ 13 Rz. 13.1

Dritter Teil: Querschnittsfragen

der, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Großfeld, Bewertung von Anteilen an Unternehmen, JZ 1981, 769; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 475; Hüttemann, Richterliche Unternehmensbewertung zwischen Rechts- und Tatfragen, FS Schilken, 2015; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603; Hüttemann, Unternehmensbewertung quo vadis? Rechtliche Vorgaben an ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; Hüttemann, Unternehmensbewertung und Börsenkurs, ZGR 2001, 454; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; Knoll, Rechtsgeprägte Unternehmensbewertung: Richtigkeit, Vertretbarkeit und das IDW, BFuP 2017, 300; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a AktG, 2014; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002; Meilicke, Erzielbarer Veräußerungserlös vs. objektivierten Unternehmenswert bei der Abfindung von Gesellschaftern, ZIP 2014, 605; Meincke, Das Recht der Nachlassbewertung im BGB, 1973; W. Müller, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung. Zustandsbeschreibung und Ausblick, FS Bezzenberger, 2000, S. 705; W. Müller, Der Wert der Unternehmung, JuS 1973, 603; Meinert, Neue Entwicklungen in der Unternehmensbewertung, DB 2011, 2397; Olzen, Das Verhältnis von Richtern und Sachverständigen im Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung, ZZP 93 (1980), 66; Paulsen, Unternehmensbewertung und Rechtsprechung, WPg Sonderheft 2008, 109; Paulsen, Statement: Rezeption wissenschaftlicher Thesen durch die Gerichte, WPg 2007, 823; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Auf. 2010; Ruiz de Vargas/Schenk, Anteilsbewertung im Squeeze-outFall bei vorliegendem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag: Barwert der Ausgleichszahlung oder anteiliger Ertragswert? AG 2016, 354; Ruthardt/Hachmeister, Verkehrswert des Anteils und/oder des Unternehmens als gesellschaftsrechtliche (Unternehmens-)Wertkategorien, WPg 2016, 411; Ruthardt/Hachmeister, Ermittlung der angemessenen Barabfindung bei Squezze Out: Zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer fundamentalen (Ertrags-)Wertermittlung, NZG 2014, 41; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensplanung und (optimales) Unternehmenskonzept in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, DB 2013, 2666; Ruthardt/Hachmeister, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung – Grundlegende Anmerkungen und Würdigung der jüngeren Rechtsprechung in Spruchverfahren, WPg 2012, 451; Schmalenbach, Die Werte von Anlagen und Unternehmungen in der Schätzungstechnik, ZfhF 1917/18, 1; Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994; Schilken, Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2014; Schüppen, Brot, Steine und Glatteis – Der „Solange-Beschluss“ des BGH zur Unternehmensbewertung unter rückwirkender Anwendung von IDW S1 (2005), ZIP 2016, 393; Schüppen, Schiedsverfahren und Unternehmensbewertungsgutachten, FS Elsing, 2015, S. 509; Stilz, Unternehmensbewertung und angemessene Abfindung – Zur vorrangigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses –, FS Goette, 2011, S. 529; Steinle/Liebert/Katzenstein in MünchHandbGesR, 5. Aufl. 2016, Band 7.

I. Einführung 13.1 Unternehmensbewertung wird zum „Rechtsproblem“, wenn der Richter bei der Entscheidung über einen vermögensrechtlichen Anspruch – z.B. bei der Abfindung ausscheidender Aktionäre – von Rechts wegen den Wert einer Unternehmung berücksichtigen muss (vgl. Hüttemann, Rz. 1.5 ff.).1 Im juristischen Schrifttum2 ist schon früh auf diese rechtliche Dimension des Bewertungsproblems hingewiesen worden und diese Einsicht hat inzwischen auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Im Beschluss des OLG Düsseldorf vom 8.8.20133 heißt es sogar: „Die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung und die ihr zugrunde liegende

1 Vgl. allgemein Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563; zu nachfolgenden Überlegungen s. auch Hüttemann, WPg 2007, 812 (813) und Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317. 2 Grundlegend W. Müller, JuS 1973, 603; Großfeld, JZ 1981, 769. 3 OLG Düsseldorf v. 8.8.2013 – I-26 W 15/12 (AktE), ZIP 2013, 1816 (1817).

372

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.3 § 13

Unternehmensbewertung sind in erster Linie Rechtsanwendung“.1 Wie bereits die Einschränkung – „in erster Linie“ – andeutet, geht es bei gerichtlichen Unternehmensbewertungen indes nicht nur um „Rechtsanwendung“, sondern auch um Tatsachenfeststellungen. Dies betont auch der II. Senat des BGH im Stinnes-Beschluss vom 29.9.2015,2 in dem es anknüpfend an die Überlegungen im Kali & Salz-Urteil vom 13.3.19783 heißt:4 „Bestimmungen, nach welcher Methode der Unternehmenswert zu schätzen ist, enthalten weder das Grundgesetz noch das einfache Gesetz. Die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode ist keine Rechtsfrage, sondern Teil der Tatsachenfeststellung und beurteilt sich nach der wirtschaftswissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie und -praxis […]. Dagegen ist es eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht.“ Bevor näher zur Abschichtung von Rechts- und Tatfragen bei der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung Stellung genommen werden kann, bedarf es zuvor einiger allgemeiner Hinweise zur prozessualen Bedeutung dieser Unterscheidung.

II. Unterscheidung von Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung Die Abgrenzung von Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung ist zunächst für die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Sachverständigen relevant. Nach dem Grundsatz iura novit curia obliegt die Rechtsanwendung – also die Auslegung des Gesetzes und die Subsumtion eines konkreten Sachverhalts unter eine abstrakte Rechtsnorm5 – allein dem Richter, während dieser sich bei der Ermittlung des Sachverhalts der Mithilfe eines Sachverständigen bedienen darf, sofern seine eigene Sachkunde nicht ausreicht (vgl. §§ 402 ff. ZPO). Die Beauftragung eines Sachverständigen – zumeist eines Wirtschaftsprüfers – stellt bei gerichtlichen Unternehmensbewertungen den praktischen Regelfall dar.6

13.2

Die Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen ist darüber hinaus für die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren von Bedeutung. Während das Berufungsgericht als weitere Tatsacheninstanz – wenn auch nur in den Grenzen des § 529 ZPO – eine erneute Tatsachenfeststellung vornehmen kann, ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden. Da eine Revision nach §§ 545 Abs. 1, 546 ZPO nur auf eine „Rechtsverletzung“ gestützt werden kann, unterliegen Tatsachenfeststellungen in der Revisionsinstanz lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine tatrichterliche Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und

13.3

1 Ebenso Paulsen, WPg Sonderheft 2008, 109 (110); kritisch dazu Schüppen in FS Elsing 2015, 509 (516); Schüppen, ZIP 2016, 393 (395). 2 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135. 3 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, WM 1978, 401 (405). 4 Ebenso BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359; s. auch BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439. 5 Vgl. zum Begriff der Rechtsfrage BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (117 ff.) = AG 2016, 135; allgemein zur Unterscheidung von Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung nur Schilken, Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2014, Rz. 948 f. 6 Siehe nur Paulsen, WPg 2007, 823.

Hüttemann 373

§ 13 Rz. 13.3

Dritter Teil: Querschnittsfragen

nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt.1 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch im Spruchverfahren, wo im Rechtsmittelverfahren insoweit zwischen der Beschwerde (§ 12 SpruchG) und der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG i.V.m. § 17 SpruchG), die nur auf Rechtsverletzungen gestützt werden kann, zu unterscheiden ist.2 Die Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen ist schließlich keine Besonderheit des zivilgerichtlichen Verfahrens, sondern stellt sich als Problem des „allgemeinen Verfahrensrechts“ auch in anderen Verfahrensordnungen wie z.B. bei Unternehmensbewertungen für steuerliche Zwecke im finanzgerichtlichen Verfahren (dazu näher Krumm, Rz. 35.25 ff.)3 oder im Schiedsverfahren (dazu Fehrenbacher, Rz. 37.41 ff.) und findet auch im Rechtsvergleich eine deutliche Bestätigung (dazu eingehend Fleischer, Rz. 38.35 ff.).

13.4 Für die weiteren Überlegungen kann somit festgehalten werden, dass die Rechtsanwendung – also vor allem die Auslegung des Gesetzes – stets dem Richter vorbehalten ist, während die Tatsachenfeststellung in der Praxis die „Domäne“ der betriebswirtschaftlichen Sachverständigen darstellt, weil es dem Tatrichter insoweit regelmäßig an der erforderlichen Sachkenntnis fehlen wird. Auslegungsfragen des materiellen Rechts sind folglich immer Rechtsfragen, die Ermittlung des relevanten Sachverhalts mittels Wertschätzung selbst ist hingegen vor allem eine Tatfrage. Allerdings – und diese Einsicht ist von entscheidender Bedeutung für die weitere Untersuchung – ist die Tatsachenfeststellung kein „rechtsfreier Raum“, denn der Tatrichter ist auch im Bereich der Beweiserhebung und Beweiswürdigung an bestimmte verfahrensrechtliche Vorgaben gebunden. So darf der Tatrichter z.B. die tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen nicht einfach kritiklos übernehmen, sondern hat sie eigenständig zu würdigen und insbesondere zu prüfen, ob sie dem für eine richterliche Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO erforderlichen Beweismaß – d.h. Anknüpfung an „hinreichende Anhaltspunkte“ und überwiegende Wahrscheinlichkeit des Schätzungsergebnisses – genügen.4 Ferner dürfen die tatrichterlichen Feststellungen nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen, in sich widersprüchlich sein oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruhen.5 Ob der Tatrichter diese verfahrensrechtlichen Grenzen eingehalten hat, ist eine Rechts- und keine Tatfrage.6 Mit Recht hat der BGH daher im Stinnes-Beschluss festgestellt, dass eine revisible Rechtsverletzung vorliegt, wenn der Tatrichter eine Bewertungsmethode angewandt hat, die dem gesetzlichen Bewertungsziel nicht entspricht.7

13.5 Im Weiteren soll die Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen bei der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung im Einzelnen untersucht werden. Dies wird in zwei Schritten erfolgen: Zunächst wird aufgezeigt, an welche gesetzlichen Bewertungsziele die Gerichte – und folglich auch die Sachverständigen – bei der normgeprägten Unternehmensbewertung von Rechts wegen gebunden sind. Die Festlegung des gesetzlichen Bewertungsziels ist immer zugleich „Rechtsfrage“. Sodann soll auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung die Grenze zwischen Rechts- und Tatfragen nachgezeichnet werden. Die „Rechtsfragen“ betreffen dort vor 1 Speziell zu Unternehmensbewertungen BGH v. 3.12.2013 – XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 (1100); BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439; weitere Nachweise bei Schilken, Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2014, Rz. 948. 2 Vgl. dazu näher Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 12 SpruchG Rz. 44, 84. 3 Siehe nur BFH v. 3.2.2011 – V B 132/09, BFH/NV 2011, 760; BFH v. 6.8.2018 – X B 22/18, juris. 4 Ebenso Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 6. 5 Vgl. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439. 6 Vgl. nur BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439; eingehend dazu Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (322 ff.). 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135.

374

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.7 § 13

allem die verfahrensrechtlichen Grenzen des tatrichterlichen Schätzungsermessens nach § 287 Abs. 2 ZPO, deren Einhaltung auch in der Revision bzw. im Rechtsbeschwerdeverfahren überprüft werden kann.1 Für weitere verfahrensrechtliche Aspekte bei zivilrechtlichen Bewertungsanlässen ist auf die näheren Ausführungen zum Spruchverfahren (Arnold/Rothenburg, Rz. 33.1 ff.), zum streitigen Verfahren (Lauber, Rz. 24.1 ff.) sowie zum Schiedsverfahren (Fehrenbacher, Rz. 37.1 ff.) zu verweisen.

III. Festlegung der gesetzlichen Bewertungsziele als Rechtsfrage 1. Normgebundenheit der Unternehmensbewertung a) Abfindung ausscheidender Aktionäre als Beispielsfall Wenn das OLG Düsseldorf feststellt, die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung sei „in erster Linie Rechtsanwendung“,2 dann zielt diese Aussage vor allem auf die Auslegung der Norm, aus der sich der Barabfindungsanspruch des ausscheidenden Minderheitsaktionärs ergibt. Es geht also um die Rechtsfrage, was nach § 305 Abs. 1 AktG unter einer „angemessenen“ Abfindung zu verstehen ist (dazu eingehend Adolff/Häller, Rz. 21.80 ff.). Diese müsse – so das OLG Düsseldorf – den „wirklichen“ oder „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerspiegeln.3 Damit ist nach der Rechtsprechung des BGH der „Verkehrswert des Gesellschaftsunternehmens“ gemeint.4 Zugleich wird damit einer Abfindung zu „Buch- oder Bilanzwerten“ des Gesellschaftsvermögens eine klare Absage erteilt.5 Die aktienrechtliche Bewertungsvorgabe trifft sich mit § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, der die Abfindung eines ausscheidenden Personengesellschafters regelt und der über § 12 UmwG 1956 das gesetzgeberische Vorbild für die im Rahmen der Aktienrechtsreform 1965 geschaffene Vorschrift des § 305 Abs. 1 AktG war.6 Danach ist dem ausscheidenden Gesellschafter „dasjenige zu zahlen, was er erhalten würde, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“ (vgl. zur Liquidationsthese näher Hüttemann, Rz. 1.38). Anders ausgedrückt: Die verbleibenden Gesellschafter haben dem Ausscheidenden seinen Anteil an einem fiktiven Liquidationserlös zu bezahlen.7

13.6

b) Bewertungsvorgaben im Familien- und Erbrecht Auch die Bewertungsvorgaben im Familien- und Erbrecht sind als Rechtsfragen durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften zu ermitteln (vgl. dazu näher Born, Rz. 26.1 ff. und Lange, Rz. 27.1 ff.). Dabei ergibt ein Umkehrschluss aus den Sonderregelungen in §§ 1376 Abs. 4, 1515 Abs. 2, 2049, 2312 BGB, dass grundsätzlich von einer Bewertung mit dem Verkehrswert

1 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439. 2 OLG Düsseldorf v. 8.8.2013 – I-26 15/12 (AktE), NZG 2013, 1393. 3 OLG Düsseldorf v. 8.8.2013 – I-26 15/12 (AktE), ZG 2013, 1393 unter Hinweis auf BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566 m. Anm. Vetter. 4 Siehe nur BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417; vgl. dazu auch Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 ff. 5 Vgl. bereits BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. 6 Zur Vorbildfunktion des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB für § 305 Abs. 1 AktG vgl. nur Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 f.); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 356 ff. 7 Näher zur Liquidationshypothese vgl. Hüttemann, CF 2016, 475 ff.

Hüttemann 375

13.7

§ 13 Rz. 13.7

Dritter Teil: Querschnittsfragen

i.S. eines gedachten Veräußerungspreises auszugehen ist.1 Wenn man versucht, diese gesetzliche Wertvorstellung in die Sprache der betriebswirtschaftlichen Wertkonzeptionen (vgl. dazu Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.6 ff.) zu übersetzen, dann ist damit ein „objektivierter“ Wert2 gemeint, der sich nach dem fiktiven Preis bestimmt, den ein „markttypischer“ Erwerber bei einer unterstellten Veräußerung des Unternehmens oder der Praxis voraussichtlich zahlen würde.3 2. Weitere Konkretisierungen des Bewertungsziels a) Stichtagsprinzip

13.8 Die gesetzlichen Bewertungsziele im Gesellschafts-, Familien und Erbrecht („wahrer“ Wert) bedürfen regelmäßig weiterer Konkretisierungen. So ist zu berücksichtigen, dass sich Unternehmenswerte im Zeitablauf ändern, weil Unternehmen keine „statischen“ Größen sind.4 Deshalb bildet der rechtlich relevante Bewertungsstichtag ein zentrales Element jeder gesetzlichen Bewertungsvorgabe (dazu näher Hüttemann/Meyer, Rz. 14.1).5 Bei der Abfindung ausscheidender Gesellschafter nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt es z.B. auf den Zeitpunkt des Ausscheidens an, während für den Pflichtteil der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls zugrunde zu legen ist (vgl. § 2311 Abs. 1 BGB). b) Quotaler Unternehmenswert oder Anteilswert

13.9 Eine weitere Rechtsfrage betrifft das Bewertungsobjekt, das von Rechts wegen maßgebend ist. Hier ist zu beachten, dass die Abfindung ausscheidender Gesellschafter und Minderheitsaktionäre im Rahmen der Liquidationshypothese (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB) als „quotaler“ Gesamtunternehmenswert zu ermitteln ist, so dass für Mehrheitszuschläge und Minderheitsabschläge nach ganz herrschender und zutreffender Ansicht kein Raum ist (vgl. dazu näher Fleischer, Rz. 20.1 ff.).6 Demgegenüber sind Unternehmensanteile im Familienund Erbrecht sowie im Steuerrecht (vgl. § 11 Abs. 3 BewG) als selbständige Vermögensgegenstände zu bewerten, so dass von Rechts wegen eine „direkte“ Anteilsbewertung erforderlich ist, bei der auch anteilsbezogene Merkmale (z.B. Beteiligungsumfang, Sonderrechte, Abfindungsbeschränkungen), die den Anteilswert beeinflussen, zu berücksichtigen sind (dazu eingehend Fleischer, Rz. 20.40 ff.).7

1 Siehe nur BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776; zum Wertbegriff des Zivilrechts grundlegend Meincke, Das Recht der Nachlassbewertung im BGB, 1973, S. 187 ff. 2 Vgl. dazu auch Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 35 ff. 3 Aus der familienrechtlichen Rechtsprechung vgl. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249; BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439. 4 Ebenso OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12 Rz. 126, AG 2014, 291. 5 Für einen aktuellen Überblick zum Stichtagsprinzip in der Rechtsprechung s. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 ff. 6 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 356 ff.; Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1636 ff.); a.A. für börsennotierte Aktiengesellschaften W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705. 7 Vgl. dazu näher nur die Nachweise bei Koch in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2013, § 1376 BGB Rz. 33 ff.; Lange in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2013, § 2311 BGB Rz. 40; Haas in Staudinger, 13. Aufl. 2006, § 2311 BGB Rz. 92.

376

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.12 § 13

c) Liquidationswert als Wertuntergrenze Bei ertragsschwachen Unternehmen kann der Verkehrswert über dem Fortführungswert liegen, weil ein wirtschaftlich denkender Erwerber die „lebende Einheit“ zerschlagen und wertvolle Unternehmensteile (z.B. Teilbetriebe oder Grundstücke) einzeln verwerten würde. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob ein solcher – über dem Fortführungswert liegender – „Liquidationswert“ von Rechts wegen außerhalb der agrarpolitisch motivierten Sonderregelungen im Familien- und Erbrecht (vgl. §§ 1476 Abs. 4, 1515 Abs. 2, 2049, 2312 BGB) die Wertuntergrenze bildet. Dafür spricht – entgegen einer älteren Rechtsprechung des BGH1 zum Pflichtteilsrecht – nicht nur die Maßgeblichkeit des Verkehrswerts, sondern auch die allgemeine Überlegung, dass rechtlich unverbindliche Fortführungsabsichten der verbleibenden Gesellschafter bzw. des übernehmenden Erben die Höhe der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters bzw. die Höhe des Pflichtteils nicht mindern dürfen (vgl. dazu näher Fleischer, Rz. 9.29 ff.).2

13.10

d) Börsenwert als Wertuntergrenze Rechtliche Bewertungsvorgaben können sich nicht nur aus dem „einfachen“ Recht, sondern auch aus dem Verfassungsrecht ergeben. So hat das BVerfG im DAT-Altana-Beschluss3 aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitet, dass bei börsennotierten Aktiengesellschaften der Börsenkurs die Untergrenze der Barabfindung ausscheidender Minderheitsaktionäre nach § 305 Abs. 1 AktG darstellen muss (dazu näher Adolff/Häller, Rz. 21.94 ff.).

13.11

3. Festlegung des Bewertungsziels als Rechtsanwendung Das gesetzliche Bewertungsziel ist durch Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Bestim- 13.12 mungen zu bestimmen und zu konkretisieren. Damit ist Unternehmensbewertung „Teil der Jurisprudenz“4 und insoweit kann man mit dem OLG Düsseldorf davon sprechen, dass die rechtsgebundene Unternehmensbewertung „in erster Linie Rechtsanwendung“ ist.5 Daraus folgt zum einen, dass allein der Richter berufen ist, das rechtliche Bewertungsziel vorzugeben. Er darf die Entscheidung über das Bewertungsziel also nicht dem betriebswirtschaftlichen Sachverständigen überlassen, da es sich insoweit um eine „Rechtsfrage“ handelt. Zum anderen stellen materiell-rechtliche Fehler des Gerichts bei der Festlegung des gesetzlichen Bewertungsziels stets eine „Rechtsverletzung“ i.S.v. § 546 ZPO dar, die auch im Rechtsmittelverfahren uneingeschränkt überprüft werden können. Die Frage, ob der Liquidationswert stets die Wertuntergrenze der Abfindung bildet,6 ist in diesem Sinne also ebenso eine Rechtsfrage wie die Frage, ob bei der Bewertung einer freiberuflichen Praxis ein Unternehmerlohn abzusetzen ist.7

1 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510). 2 Siehe bereits Hüttemann, WPg 2007, 812, 816; ebenso Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 (1742). 3 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566 m. Anm. Vetter. 4 Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 3. 5 OLG Düsseldorf v. 8.8.2013 – I-26 W 15/12 (AktE), ZIP 2013, 1816 (1817). 6 Verneinend BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); bejahend BayObLG v. 31.5.1995 – 3 Z BR 67/89, AG 1995, 509; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128. 7 Dazu nur BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439.

Hüttemann 377

§ 13 Rz. 13.13

Dritter Teil: Querschnittsfragen

IV. Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen bei der tatsächlichen Wertfeststellung 1. Ermittlung von Unternehmenswerten als Tatsachenfeststellung a) Vom gesetzlichen Bewertungsziel zur Tatsachenfeststellung

13.13 Von der Ermittlung des gesetzlichen Bewertungsziels als Rechtsfrage durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften ist die Feststellung des konkreten Unternehmenswerts als Tatfrage zu unterscheiden. Hat der Richter bspw. durch Auslegung des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entschieden, dass sich die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters nach seinem Anteil am „wahren“ Unternehmenswert richtet, den ein gedachter Erwerber im Rahmen einer fiktiven Liquidation der Gesellschaft für das Unternehmen als Einheit zahlen würde (dazu Hüttemann, Rz. 1.26), dann muss dieser „wahre“ Wert mit den Mitteln des Beweisrechts tatsächlich ermittelt werden. b) Unternehmenswertfeststellungen als Schätzungen

13.14 Unternehmenswerte lassen sich nicht mit dem nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Grad an Gewissheit ermitteln, wenn man von dem Ausnahmefall absieht, dass in enger zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag ein bindendes Kaufangebot für das konkrete Bewertungsobjekt abgegeben worden ist, aus dem der Richter einen fiktiven Veräußerungspreis i.S. eines Verkehrswertes ableiten könnte. Dieses Beweisproblem haben schon die Verfasser des BGB erkannt und in §§ 738 Abs. 2, 2311 Abs. 2 BGB bestimmt, dass der Wert des Gesellschaftsvermögens bzw. des Nachlasses im „Wege der Schätzung“ erfolgen kann. Außerhalb dieser Sonderregelungen erlaubt die allgemeine Vorschrift des § 287 Abs. 2 ZPO für das zivilgerichtliche Verfahren eine richterliche Schätzung. Die prozessuale Besonderheit der Schätzung besteht in der Herabsetzung des erforderlichen Beweismaßes.1 Damit wird eine gerichtliche Entscheidung über unternehmenswertabhängige Ansprüche regelmäßig überhaupt erst möglich gemacht, denn der „wirkliche“ Wert eines Unternehmens als Einheit lässt sich nicht „mathematisch exakt punktgenau ermitteln“,2 sondern nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schätzen.3 c) Hinzuziehung eines Sachverständigen

13.15 Weil die schätzweise Feststellung von Unternehmenswerten die Ebene der Tatsachenfeststellung betrifft, die mit den Mitteln des Beweisrechts durchzuführen ist, darf das Gericht im Rahmen seines Schätzungsermessens nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Sachverständigen hinzuziehen. Die Beauftragung eines Sachverständigen – zumeist handelt es sich um Wirtschaftsprüfer oder Hochschullehrer der Betriebswirtschaft – stellt bei gerichtlichen Unternehmensbewertungen den Regelfall dar, weil kaum ein Gericht über die erforderliche Sachkunde verfügt.4 Im Spruchverfahren besteht die Besonderheit, dass sich das Gericht – je nach Vorbringen der Abfindungskläger – auf die Anhörung des gerichtlich bestellten sachverständigen Prüfers beschränken kann, der bereits vor der Beschlussfassung über die Strukturmaßnahme

1 Siehe nur OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841); Ahrens in Wieczorek/ Schütze, 3. Aufl. 2008, § 287 ZPO Rz. 1. 2 Insoweit zutreffend OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200. 3 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417; aus dem Schrifttum nur Hüttemann, ZGR 2001, 454 (474); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (540). 4 Statt vieler Paulsen, WPg 2007, 823.

378

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.17 § 13

(z.B. Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag) die Angemessenheit der Abfindung geprüft hatte.1 d) Würdigung des Sachverständigengutachtens Der hinzugezogene Sachverständige hat den Richter bei der Tatsachenermittlung zu beraten und zu unterstützen. Sein Sachverständigengutachten unterliegt grundsätzlich der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Der Richter darf die Berechnungen des Gutachters also nicht einfach ungeprüft übernehmen, sondern muss sich nach Kräften und in den Grenzen seiner eigenen Sachkunde mit den fachlichen Ausführungen auseinandersetzen und sich eine eigene Meinung bilden.2 Die Schätzung „ist und bleibt Sache des Gerichts“.3 Angesichts der Komplexität des Bewertungsproblems dürfen die Anforderungen an die richterliche Kontrolle aber auch nicht überspannt werden: Der Richter muss z.B. nicht sämtliche Annahmen des Modigliani-Miller-Theorems kennen, wenn er einen vom Sachverständigen mittels „Capital-Asset-Pricing-Model (CAPM)“ abgeleiteten Risikozuschlag zugrunde legen will.4 Allerdings wird man erwarten können, dass dem Richter die Funktion eines Risikozuschlags zum Basiszins – die Herstellung der Risikoäquivalenz – bekannt ist und er sich zumindest ansatzweise auch mit den Vor- und Nachteilen von „gegriffenen“ Risikozuschlägen im Vergleich zu kapitalmarkttheoretisch „abgeleiteten“ Risikozuschlägen auseinandergesetzt hat.5 Will der Richter von den Annahmen des Sachverständigen abweichen, muss er dies nicht nur fachlich begründen, sondern auch die Quelle der eigenen Sachkunde (z.B. Beiträgen in Fachzeitschriften) angeben.6 Angesichts der umfangreichen Sachverständigengutachten überrascht es nicht, dass auch die Beschlüsse der OLG in Spruchverfahren regelmäßig einen erheblichen Umfang haben.7 Aber nur durch einen intensiven fachlichen Austausch der Gerichte mit den Sachverständigen kann verhindert werden, dass die Gerichte die Unternehmensbewertung weitestgehend in die Hände des Sachverständigen legen und die Wahl des Gutachters letztlich über den Unternehmenswert entscheidet.8

13.16

Für eine richterliche Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO gilt zwar ein herabgesetztes Beweismaß, sie darf aber – so die gebräuchliche Formulierung der Gerichte – nicht „völlig in der Luft hängen“,9 sondern muss sich auf „greifbare Anhaltspunkte“ stützen und einen „ausreichen-

13.17

1 Dazu OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, AG 2007, 128; OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560 (561). 2 Allgemein zur Beweiswürdigung von Sachverständigengutachten vgl. Greger in Zöller, Vor § 402 ZPO Rz. 14 f.; Ahrens in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2014, § 412 ZPO Rz. 1 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, 18. Aufl. 2018, § 122 Rz. 67 f.; Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1482 ff.; Olzen, ZZP 93 (1980), 66 ff. 3 So treffend OLG Koblenz v. 14.12.2007 – 10 U 1153/02, juris. 4 Vgl. zu finanzmarkttheoretischen Grundlagen des CAPM etwa Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Kapitalgesellschaft, 2007, S. 25 ff. 5 Beispielhaft OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, AG 2007, 128; aus dem Schrifttum vgl. Hüttemann, WPg 2007, 819 ff. m.w.N.; eingehende Kritik aber bei Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a AktG, 2014, S. 180 ff. 6 Zu Bewertungsgutachten vgl. Paulsen, WPg 2007, 823. 7 Siehe etwa den 141 (!) Randziffern langen Beschluss des OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291. 8 So die Befürchtung von Emmerich, AG 2003, 168. 9 Siehe OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841): „Eine Schätzung, die mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde, ist allerdings unzulässig“. Ebenso OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203).

Hüttemann 379

§ 13 Rz. 13.17

Dritter Teil: Querschnittsfragen

den Realitätsbezug“ aufweisen.1 Im Fall der gerichtlichen Unternehmensbewertung hat der Richter folglich – unterstützt durch den betriebswirtschaftlichen Sachverständigen – nach geeigneten Bewertungsmethoden zu suchen, die nach den konkreten Verhältnissen des Streitfalls zumindest mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit eine „tragfähige Grundlage“2 für den gesuchten Unternehmenswert darstellen. 2. Richterliches Schätzungsermessen und Auswahl unter mehreren Bewertungsmethoden a) Auswahl der Bewertungsmethode als Aufgabe des Tatrichters

13.18 In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Auswahl der Bewertungsmethode Aufgabe des – sachverständig beratenen – Tatrichters ist.3 Wörtlich heißt es dazu im Stinnes-Beschluss des BGH vom 29.9.2015: „Die Entscheidung darüber, welche von mehreren rechtlich zulässigen Berechnungsweisen im konkreten Fall geeignet und sachgerecht sind, obliegt als Teil der Tatsachenfeststellung im Rahmen des Schätzungsermessens dem Tatrichter.“4 Der Tatrichter hat somit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der Unternehmenswert mittels fundamentalanalytischer Verfahren (Ertragswertmethode oder DCF-Verfahren) oder in anderer Weise wie z.B. durch eine marktorientierte Methode nach dem Börsenwert geschätzt wird.5 b) Optimierungsgebot oder nur Vertretbarkeits- bzw. Plausibilitätsprüfung? aa) Meinungsstand

13.19 In der neueren Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Gerichte von Rechts wegen verpflichtet sind, diejenige Bewertungsmethode anzuwenden, die das Bewertungsziel „am besten erreicht“.6 Für ein solches „bewertungsrechtliches Optimierungsgebot“7 wird vor allem geltend gemacht, dass nur auf diese Weise das Bewertungsziel einer „vollen“ Entschädigung erreicht werden könne.8 Ferner gebiete der Normzweck der gesetzlichen Abfindungsrechte eine Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse über die Bewertung von Unternehmen. Denn nur auf diese Weise werde eine Bindung an veraltete Bewertungsstandards verhindert und gewährleistet, dass methodische Verbesserungen in das Spruchverfahren einfließen (vgl. dazu näher Fleischer, Rz. 15.19). Nach dieser Ansicht besteht somit eine richterliche Pflicht, jede „nachvollziehbare methodische Verbesserung sofort anzuwenden“.9 Teilweise wird einem geänderten Expertenstandard sogar eine „Überlegenheitsvermutung“ zugeschrie-

1 Vgl. nur Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 ZPO Rz. 14. 2 So etwa OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). 3 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265; s. auch BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439. 4 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (119) = AG 2016, 135. 5 Vgl. nur BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). 6 So etwa noch OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420. 7 So Fleischer, AG 2016, 185 (195 f.); Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354 (357); zustimmend Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 24. 8 Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354 (357). 9 So bereits OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (867).

380

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.21 § 13

ben, insbesondere wenn das Expertengremium selbst ausdrücklich die Anwendung eines neuen Standards empfiehlt.1 Diese Grundsätze sind in der neueren Rechtsprechung auf Widerstand gestoßen. So soll es nach Ansicht des OLG Frankfurt ausreichen, dass die gewählte Methode nach der Überzeugung des Gerichts eine „geeignete und aussagekräftige, aber […] nicht notwendigerweise bestmögliche Grundlage“ für die vorzunehmende Schätzung darstelle.2 Dieser Auffassung hat sich inzwischen auch das OLG Zweibrücken angeschlossen und ergänzt, es sei „nicht Aufgabe des Gerichts im Spruchverfahren, eine im Unternehmenswertgutachten zulässigerweise und fachgerecht angewandte und damit – aus Sicht der Betriebswissenschaft – vertretbare Methode, durch eine andere, ebenfalls nur vertretbare zu ersetzen“.3 In die gleiche Richtung zielen frühere Aussagen anderer OLG, es sei nicht ihre Aufgabe, „wirtschaftswissenschaftlich umstrittene Fragen der Unternehmensbewertung zu klären oder hierzu auch nur einen Beitrag zu leisten […]“.4 Die Klärung dieser fachwissenschaftlichen Streitfragen müsse der wissenschaftlichen Diskussion innerhalb der Betriebswirtschaftslehre überlassen bleiben und könne nicht zum Gegenstand einer juristischen Entscheidung gemacht werden.5 Nach dieser Ansicht soll mithin allein entscheidend sein, ob eine nach § 287 Abs. 2 ZPO tragfähige Grundlage für die von dem Gericht vorzunehmende Schätzung des Anteilswerts vorliegt.6 Hingegen sei – auch mit Blick auf den Grundsatz effektiver Verfahrensführung – die Ermittlung der Methode, die das Bewertungsziel am (vermeintlich) besten erreicht, nicht geboten.7

13.20

Der BGH hat sich im Stinnes-Beschluss vom 29.9.20158 nicht eindeutig zum Problem der „Bestenauslese“ geäußert. Einerseits heißt es dort, das Bewertungsziel einer „dem wahren Wert möglichst nahekommenden Schätzung“ spreche für die Anwendung einer neuen Bewertungsmethode, wenn „sie besser geeignet ist, also eine größere Annäherung an den ‚wahren‘ Unternehmenswert“ verspreche. Auf der anderen Seite betont der BGH den Grundsatz der Verfahrensökonomie, der es gebiete, den „Gewinn an Genauigkeit gegen den weiteren verfahrensrechtlichen und zeitlichen Aufwand abzuwägen“. Ferner verweist der II. Senat auf den Nichtannahmebeschluss des BVerfG aus dem Jahr 2007,9 wo die zuständige Kammer ausgeführt hatte, die „Verwendung von Methoden, die zum Zeitpunkt der Vornahme der Unternehmensbewertung gebräuchlich und anerkannt waren,“ sei „grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich“. Ähnlich zurückhaltend äußerte sich auch der Familiensenat des BGH. Im Rahmen des Zugewinnausgleichs sei es grundsätzlich sachgerecht, wenn eine Methode zur Bewertung einer Freiberuflerpraxis herangezogen werde, die von einer zuständigen Standesorga-

13.21

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Dafür Fleischer, AG 2016, 185 (198); zweifelnd Hüttemann, CF 2016, 467 (471). So OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 (767); OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12 Rz. 81, AG 2015, 580; ebenso Steinle/Liebert/Katzenstein in MünchHandbGesR, Band 5, § 34 Rz. 93. OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, AG 2015, 580; ähnlich KG Berlin v. 14.1.2009 – 2 W 68/07, AG 2009, 199. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, juris Rz. 81 = AG 2015, 580. OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203); OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627). BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135. BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06, AG 2007, 697.

Hüttemann 381

§ 13 Rz. 13.21

Dritter Teil: Querschnittsfragen

nisation empfohlen und verbreitet angewendet wird.1 Der XII. Senat sah es daher nicht als „rechtsfehlerhaft“ an, dass der Tatrichter – den Empfehlungen der zuständigen Standesorganisation (hier: Steuerberaterkammer) folgend – bei der Bewertung einer Steuerberaterpraxis der modifizierten Ertragswertmethode den Vorzug vor dem in der Praxis vorherrschenden Umsatzwertverfahren eingeräumt hatte.2 bb) Stellungnahme

13.22 Die Selbstbeschränkung der Oberlandesgerichte auf eine bloße „Vertretbarkeits- bzw. Plausibilitätsprüfung“ ist im neueren Schrifttum zu Recht auf Widerspruch gestoßen.3 Denn er verhindert nicht nur einen „methodenoffenen“ Austausch zwischen Richtern und Sachverständigen über mögliche und sinnvolle Methodenverbesserungen. Eine „Vertretbarkeitsdoktrin“ verstärkt auch die faktische Dominanz der IDW-Standards im Rahmen richterlicher Unternehmensbewertungen.4 Zwar ist nachvollziehbar, dass sich die Spruchgerichte nicht zum „Richter“ in betriebswirtschaftlichen Streitfragen aufspielen wollen oder den Anspruch erheben sollten, „wirtschaftswissenschaftlich umstrittene Fragen der Unternehmensbewertung zu klären oder hierzu auch nur einen Beitrag zu leisten“.5 Die Einsicht, dass wirtschaftswissenschaftliche Streitfragen in erster Linie in der Fachwissenschaft und nicht vor dem Spruchgericht geklärt werden müssen, befreit den Tatrichter aber nicht von seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung, sich im Rahmen seiner fachlichen Erkenntnismöglichkeiten ein eigenes, methodenkritisches und unabhängiges Urteil darüber zu bilden, ob eine vom Sachverständigen gewählte Bewertungsmethode dem gesetzlichen Bewertungsziel gerecht wird.6 Entgegen der Ansicht einiger Oberlandesgerichte reicht dazu eine bloße „Vertretbarkeitsprüfung“ regelmäßig nicht aus. In diesem Zusammenhang ist auch der Aussage des II. Senats des BGH zu widersprechen, eine Schätzungsmethode sei schon dann unbedenklich anwendbar, wenn diese „in der Praxis gebräuchlich und anerkannt ist“.7 Zwar ist richtig, dass die Gepflogenheiten der Bewertungspraxis und die wissenschaftliche Anerkennung ein erhebliches Indiz für die sachliche „Richtigkeit“ einer Methode darstellen. Allein der Umstand, dass die Praxis „schon immer so verfährt“ oder eine bestimmte Methode von den Fachgremien des IDW „empfohlen“ wird, entbindet den Tatrichter aber noch nicht von seiner eigenen Pflicht, sich im kritischen Austausch mit dem Sachverständigen mit bewertungsrelevanten methodischen Einwänden gegen ein Bewertungsgutachten inhaltlich auseinanderzusetzen.

13.23 Schließlich spricht – wie der BGH zutreffend festgestellt hat8 – das gesetzliche Bewertungsziel einer dem „wahren“ Wert möglichst nahekommenden Schätzung dafür, bei der Auswahl zwischen mehreren Bewertungsmethoden diejenige anzuwenden, die nach Einschätzung des Tatrichters „besser“ geeignet erscheint. Es wäre offensichtlich rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter eine nach seiner eigenen Überzeugung „überlegene“ Bewertungsmethode nur deshalb nicht anwenden würde, weil der Sachverständige eine andere Berechnung vorgenommen hat. Die Anerkennung eines bewertungsrechtlichen „Optimierungsgebots“ bedeutet auch nicht, 1 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249; BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, BGHZ 175, 207. 2 So BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249. 3 Vgl. Knoll, BFuP 2017, 300; Lauber, Rz. 34.34 f. 4 Richtig Knoll, BFuP 2017, 300 (302 f.). 5 So das OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). 6 Zutreffend OLG Koblenz v. 14.12.2007 – 10 U 1153/02, juris: „Die Schätzung selbst ist und bleibt Sache des Gerichts, nicht etwa eines Sachverständigen. 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (127) = AG 2016, 135. 8 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135.

382

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.25 § 13

dass die Spruchgerichte jedem theoretisch möglichen Einwand gegen ein Bewertungsgutachten ausführlich nachgehen müssten. Es geht nur darum, dass sich die Spruchgerichte im Interesse einer möglichst „richtigen“ Schätzung mit den Annahmen und Berechnungen der betriebswirtschaftlichen Sachverständigen eigenständig auseinandersetzen und sich zu den streitrelevanten Bewertungsfragen selbst eine Meinung bilden müssen.1 Nicht die „Vertretbarkeit“ oder „Plausibilität“ einer Schätzungsmethode, sondern erst die eigene richterliche Überzeugung davon, dass es – jedenfalls gegenwärtig – keine eindeutig „überlegene“ Schätzungsmethode gibt, rechtfertigt die Anwendung einer bestimmten Methode. Der Tatrichter darf daher auch nicht zwischen mehreren „gebräuchlichen und anerkannten“ Bewertungsmethoden (z.B. einer fundamentalanalytischen Schätzung nach der Ertragswertmethode und einer Bewertung nach Börsenkursen) „frei“ wählen, sondern muss der Frage nachgehen, ob die vom Sachverständigen gewählte Methode tatsächlich eine dem „wahren“ Wert möglichst nahekommende Schätzung ermöglicht. Dem steht auch der vom BGH2 und einigen OLG wiederholt bemühte Grundsatz der Verfahrensökonomie nicht entgegen,3 denn es geht in Spruchverfahren nicht um einen möglichst „kurzen Prozess“,4 sondern um eine angemessene inhaltliche Auseinandersetzung des Tatrichters mit den Bewertungsgutachten. 3. Abgrenzung von Rechts- und Tatfragen a) Rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellungen Fraglich ist, welche Einwände gegen die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode lediglich im Rahmen der tatrichterlichen Sachverhaltsermittlung relevant sind – und mithin nur in der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz vorgebracht werden können – und welche Einwände zugleich eine Rechtsverletzung begründen, die mit dem Rechtsmittel der Revision bzw. der Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Da die allgemeinen Grundsätze zur eingeschränkten Überprüfung tatrichterlicher Feststellungen im Revisionsverfahren sinngemäß auch für Schätzungen nach § 287 ZPO gelten,5 kann eine vom sachverständig beratenen Tatrichter vorgenommene Unternehmensbewertung nur daraufhin überprüft werden, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, in sich widersprüchlich ist oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.6 Im Weiteren sollen verschiedene Gesichtspunkte aufgezeigt werden, die gemessen an diesem Maßstab eine Wertermittlung „rechtsfehlerhaft“ machen.

13.24

b) Mangelnde Eignung einer Bewertungsmethode Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte stellt die Anwendung einer Methode, die dem gesetzlichen Bewertungsziel widerspricht, zugleich eine Rechtsverletzung dar.7 Dem ist mit der Überlegung zu folgen, dass eine Unternehmensbewertung, die zur Schätzung des gesuchten „wahren“ Wertes nicht geeignet ist, als „rechtsfehlerhaft“ an1 2 3 4 5 6

Ebenso Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 6. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (726). Treffend Fleischer, AG 2016, 185 (195). Vgl. zuletzt BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297). Statt vieler nur BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297); BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776 (779); ebenso für das finanzgerichtliche Verfahren z.B. BFH v. 29.5.2008 – VI R 11/07, BStBl. II 2008, 933 (936). 7 Vgl. nur BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (118) = AG 2016, 135; OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203).

Hüttemann 383

13.25

§ 13 Rz. 13.25

Dritter Teil: Querschnittsfragen

zusehen ist.1 Ein solcher Fall wäre z.B. anzunehmen, wenn der fiktive Verkehrswert eines „lebenden“ Unternehmens nach dem Substanzwert geschätzt würde, obwohl auf dem relevanten Markt nur rein finanziell interessierte Investoren als potentielle Erwerber denkbar sind (zur Irrelevanz des Substanzwertes bei rein finanzieller Zielsetzung vgl. nur Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.40 ff.). Als rechtsfehlerhaft wäre auch eine Bewertung anzusehen, wenn der Unternehmenswert anhand des Börsenwertes ermittelt wird, obwohl der Börsenkurs nach den Verhältnissen am Stichtag mangels ausreichender Liquidität kein geeigneter Schätzungsparameter für den „wahren“ Wert darstellt (zur Schätzung nach Börsenkursen vgl. näher Adolff/ Häller, Rz. 18.81 ff.). Auch ein Wertgutachten, welches den Unternehmenswert nicht auf den von Rechts wegen relevanten Stichtag abbildet, ist regelmäßig unbrauchbar und rechtsfehlerhaft.

13.26 Von dem Fall, dass der Sachverständige eine ungeeignete Methode angewandt hat, ist die Konstellation zu unterscheiden, dass der Richter dem Sachverständigen ein falsches Bewertungsziel vorgegeben hat. Dies wäre etwa anzunehmen, wenn der Tatrichter im Rahmen der Berechnung des Zugewinnausgleichs ausdrücklich eine Bewertung des Unternehmens zum Fortführungswert verlangt und die Berücksichtigung eines höheren Liquidationswertes von Rechts wegen ausschließt, obwohl kein Fall der §§ 1476 Abs. 4, 1515 Abs. 2 BGB vorliegt. In einem solchen Fall ist nicht nur die Rechtsanwendung – also die Auslegung der gesetzlichen Bewertungsvorschrift – „fehlerhaft“ und revisibel. Im Regelfall wird sich eine fehlerhafte Bewertungsprämisse auch auf der Ebene der Tatsachenfeststellung auswirken. Denn wenn der Sachverständige im Beispielsfall auf die Ermittlung eines Liquidationswertes von vornherein verzichtet, weil der Richter seine Berücksichtigung von vornherein untersagt hat, dürfte auch das Bewertungsgutachten schon deshalb unvollständig und daher ebenfalls „fehlerhaft“ sein, weil nicht auszuschließen ist, dass der Liquidationswert über dem Fortführungswert liegt. c) Unrichtige Tatsachengrundlage und falsche Berechnungen

13.27 Eine Unternehmenswertschätzung kann immer nur geeignet sein, wenn sie auf hinreichenden und zutreffenden Anhaltspunkten aufbaut. Daher ist ein Bewertungsgutachten, das auf fehlerhaften oder ungesicherten Unternehmensdaten beruht, regelmäßig nicht brauchbar und zugleich rechtsfehlerhaft.2 Hierzu gehört z.B. der Fall, dass eine Unternehmensplanung fehlt und der Gutachter ohne Rücksprache mit der Unternehmensführung eine Planung erstellt (zu Unternehmensplanungen und Prognosen vgl. Meyer, Rz. 7.1 ff.).3 Aber auch eine Unternehmenswertschätzung, die zwar auf einer richtigen Tatsachengrundlage und der Anwendung einer geeigneten Methode beruht, ist rechtsfehlerhaft, wenn sie nicht „methodensauber“ ausgeführt wird.4 Ein solcher Fall wäre etwa anzunehmen, wenn der Gutachter zwar das nicht betriebsnotwendige Vermögen zutreffend ermittelt, aber es unterlässt, dieses dem Wert des betriebsnotwendigen Vermögens hinzuzurechnen. Ebenso ist im Zugewinnausgleich ein Bewertungsgutachten ungeeignet, wenn nicht erkennbar ist, dass bei der Berechnung des Goodwills einer freiberuflichen Praxis der Wert ausgeschieden worden ist, der ge-

1 Beispielhaft BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776 (779): Bewertung eines Anwesens mit dem Liquidationswert, obwohl Ziel der Bewertung der „volle, wirkliche Wert“ gewesen ist. 2 OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). 3 Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – I-26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (330). 4 Zum Gebot der „Methodensauberkeit“ vgl. nur BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135 im Anschluss an OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (726).

384

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.30 § 13

rade auf den nicht übertragbaren persönlichen Einsatz des Praxisinhabers zurückzuführen ist.1 d) Fehlerhafte Methodenauswahl Eine Rechtsverletzung liegt auch vor, wenn ein Tatrichter eine vom Sachverständigen ausgewählte Bewertungsmethode einfach übernimmt, ohne diese Auswahl hinreichend zu begründen. Die Anforderungen an die Auswahl eines geeigneten Schätzungsverfahrens sind in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (vgl. die Nachweise bei Rz. 13.20 ff.). Während es nach Ansicht einiger OLG2 ausreicht, dass die vom Tatrichter ausgewählte Schätzungsmethode „in der Praxis üblich und anerkannt ist“ und die Berechnungen „vertretbar“ und „plausibel“ erscheinen, besteht nach der hier vertretenen Ansicht ein „Optimierungsgebot“. Dies bedeutet, dass der Tatrichter von Rechts wegen gehalten ist, diejenige Methode auszuwählen, die nach seinem – sachverständig beratenen – Urteil am besten zur Schätzung des „wahren“ Wertes geeignet ist.3

13.28

e) Befangenheit des Sachverständigen Grundsätzlich hat ein Sachverständiger sein Gutachten „unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten“. Wie das OLG Karlsruhe entschieden hat, liegt in der Mitgliedschaft eines Sachverständigen im IDW noch kein Anlass für die Besorgnis der Befangenheit.4 Dem ist schon deshalb zu folgen, weil über 80 % aller deutschen Wirtschaftsprüfer dem IDW als Mitglied angehören und das IDW nach seiner Satzung eine unabhängige berufsständische Organisation darstellt. Die Mitgliedschaft als solche – und auch nicht die Mitgliedschaft in den Fachgremien des IDW – kann daher für sich genommen noch keine Besorgnis der Befangenheit begründen, zumal es allen Wirtschaftsprüfern frei steht, von den Verlautbarungen des IDW im Einzelfall abzuweichen.

13.29

V. Exkurs: Kritik am IDW S 1 zwischen Rechts- und Tatfragen 1. Dominanz der IDW-Verlautbarungen Gerichtlich bestellte Sachverständige sind in der Regel Wirtschaftsprüfer, die sich im Rahmen ihrer Berufsausübung an den fachlichen Empfehlungen orientieren, die das IDW für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer herausgibt. In Fragen der Unternehmensbewertung greifen Wirtschaftsprüfer daher in der Regel auf den IDW-Standard „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1)“5 und die ihn ergänzenden Erläuterungen zurück.6 Diese faktische Dominanz der IDW-Standards,7 die im Rechtsvergleich der rechtsgebundenen Unternehmensbewertung einen deutschen Sonderweg darstellt,8 hat das OLG 1 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, BGHZ 175, 207. 2 Beispielhaft OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203) m.w.N. 3 Ebenso Fleischer, AG 2016, 185 (195 f.); Ruiz de Vargas, AG 2016, 354 (357); Knoll, BFuP 2017, 300 (303); s. auch Lauber, Rz. 34.34 f. 4 OLG Karlsruhe v. 31.1.2018 – 12 W 45/17, AG 2018, 405. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, Stand 4.7.2016. 6 IDW, WPH-Edition, Bewertung und Transaktionsberatung – Betriebswirtschaftliche Bewertungen, Due Diligence, Fairness-Opinions, 2018. 7 Dazu kritisch Knoll, BFuP 2017, 300. 8 Dazu eingehend Fleischer, AG 2014, 97 ff.

Hüttemann 385

13.30

§ 13 Rz. 13.30

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Stuttgart in seinem Beschluss vom 5.11.2013 wie folgt begründet:1 „Das Gericht ist im Rahmen seiner Schätzung des Verkehrswertes des Aktieneigentums nicht gehalten, darüber zu entscheiden, welche Methode der Unternehmensbewertung und welche methodische Einzelentscheidung innerhalb einer Bewertungsmethode richtig sind. Vielmehr können Grundlage der Schätzung des Anteilswerts durch das Gericht alle Wertermittlungen sein, die auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Bewertungsmethoden sowie methodischen Einzelfallentscheidungen beruhen, auch wenn diese in der wissenschaftlichen Diskussion nicht einhellig vertreten werden. […] Als anerkannt und gebräuchlich in diesem Sinne ist derzeit nicht nur, aber jedenfalls auch das anzusehen, was von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in dem Standard IDW S 1 sowie in sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vertreten wird. Die Verlautbarungen des IDW stellen eine anerkannte Expertenauffassung dar und bilden als solche Erkenntnisquelle für das methodisch zutreffende Vorgehen bei der fundamentalanalytischen Ermittlung des Unternehmenswertes.“

13.31 Bei der praktischen Anwendung des IDW-Standards fällt auf, dass die Gerichte den IDW S 1 als eine Art konsistente „Einheit“ betrachten, aus der man nicht einzelne Prämissen oder Vorgaben herausbrechen dürfe. So betont etwa das OLG Stuttgart, die Schätzung müsse „methodensauber“ erfolgen,2 und auch von anderer Seite wird die Anwendung einer Bewertungsmethode „in ihrer Gesamtheit“ gefordert.3 Einer solchen Forderung nach einer „konsistenten“ Bewertung ist zwar – was die „technischen“ Elemente der Bewertung angeht (z.B. keine doppelte Berücksichtigung des Unternehmensrisikos im Zähler und Nenner) – grundsätzlich zuzustimmen, sie geht aber am eigentlichen Problem vorbei. Der IDW-Standard ist keine „Black Box“, sondern ein auf verschiedenen Prämissen beruhendes Bewertungskonzept, dessen Eignung für rechtliche Bewertungsanlässe nicht lediglich im Sinne eines „alles oder nichts“ beurteilt werden kann. Vielmehr ist es Aufgabe der Gerichte, die einzelnen Bewertungsannahmen daraufhin zu überprüfen, ob sie der rechtlichen Bewertungsvorgabe des „wahren Werts“ – verstanden als fiktiver Veräußerungspreis – gerecht werden. Ist dies nach der Überzeugung des Gerichts nicht der Fall, so ist dem Sachverständigen aufzugeben, die betreffende Annahme des IDW (z.B. eine unveränderte Fortführung des Unternehmens) durch eine andere Annahme (vergleichende Einbeziehung nachvollziehbarer werterhöhender alternativer Unternehmenskonzepte) zu ersetzen. In gleicher Weise wäre auch bei anderen „kritischen“ Annahmen (z.B. bei der Abgrenzung des nichtbetriebsnotwendigen Vermögens) zu verfahren. Insoweit geht es auch nicht bloß um Fragen der „Bewertungstechnik“, bei denen sich der Richter mangels eigenen Sachverstandes eine gewisse Zurückhaltung auferlegen muss,4 sondern um die Konkretisierung der rechtlichen Bewertungsvorgabe und damit eine originäre Aufgabe des Richters.

13.32 Das OLG Stuttgart hat im Beschluss vom 5.11.2013 die Anwendung der IDW-Grundsätze zuletzt noch mit dem Argument verteidigt, die Orientierung am IDW-Standard leiste einen „erheblichen Beitrag dazu, die Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Unternehmensbewertung im Rahmen der fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden zu sichern, was zugleich zur Kontinuität der Rechtsprechung führt.“5 Die „Kontinuität der Rechtsprechung“ ist allerdings eine Argumentationsfigur, die sich in erster Linie auf die Auslegung des bestehenden 1 2 3 4 5

OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 (292). OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 (292). Paulsen, WPg 2007, 823 (824). So auch Paulsen, WPg 2007, 823. OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 (292).

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Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.34 § 13

Rechts bezieht,1 während es vorliegend um die Eignung einer Schätzungsmethode geht. Insbesondere gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz, der dem Richter das Festhalten an einer „ungeeigneten“ Schätzungsmethode erlaubt, nur weil die Gerichte diese Methode über viele Jahre angewandt haben. Zwar wird man Verständnis dafür haben müssen, dass die Gerichte aus „Kontinuitätsgründen“ bei der Auswahl zwischen mehreren gleich geeigneten Methoden an einer langjährigen Praxis festhalten. Sofern der Richter aber zu der Überzeugung gelangt, dass bestimmte Bewertungsannahmen des IDW S 1 nicht mit der rechtlichen Bewertungsvorgabe übereinstimmen, kann es keinen Bestandsschutz geben. Überdies kann der IDW S 1 die „Kontinuitätserwartung“ der Rechtsprechung auch deshalb kaum erfüllen, weil das IDW diesen Standard in den letzten 15 Jahren mehrfach inhaltlich verändert hat, um neue fachliche Entwicklungen zu berücksichtigen. 2. Eignung des IDW S 1 und gesetzliche Bewertungsperspektive Für die Frage, ob der IDW S 1 eine geeignete Schätzungsgrundlage für den bei rechtlichen Bewertungsanlässen gesuchten „wahren Wert“ des Unternehmenseigentums darstellt, kommt es aus beweisrechtlicher Sicht – insoweit ist dem OLG Stuttgart zu folgen2 – nicht darauf an, ob die IDW-Grundsätze aus fachwissenschaftlicher Sicht die einzige „richtige“ Bewertungsmethode darstellen. Vielmehr reicht es für die Anwendung einer bestimmten Bewertungsmethode im Rahmen von § 287 Abs. 2 ZPO aus, dass der – sachverständig beratene – Tatrichter der Überzeugung ist, dass die gewählte Bewertungsmethode im konkreten Fall eine „tragfähige Grundlage“ für eine dem „wahren“ Wert möglichst nahekommende Schätzung darstellt.3 Zwar verfügt der Tatrichter dabei über ein weites Schätzungsermessen, das in der Revision bzw. im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt der rechtlichen Überprüfung zugänglich ist (vgl. bereits Rz. 13.4). Bei der Frage, ob eine vom Tatrichter ausgewählte Bewertungsmethode den gesetzlichen Bewertungszielen entspricht, handelt es sich aber – wie der BGH im Stinnes-Beschluss ausdrücklich festgestellt hat4 – um eine Rechtsfrage.

13.33

Beurteilt man die Eignung der IDW-Grundsätze unter diesem Gesichtspunkt, so ist gegen die bewertungstheoretischen Grundlagen des IDW S 1 – also insbesondere die Bestimmung des Unternehmenswertes als „Zukunftserfolgswert“ auf der Grundlage eines Ertragswertoder DCF-Kalküls – nichts einzuwenden. Die Schätzung von Unternehmenswerten anhand der erwarteten künftigen Überschüsse lässt sich auf den ökonomischen Erfahrungssatz zurückführen, dass sich der Wert eines Unternehmens als lebender Einheit im Geschäftsverkehr nach dem finanziellen Zukunftsertrag bestimmt.5 In diesem Sinne ist auch die Aussage des BGH aus dem Jahr 1998 zu verstehen, dass der Ertragswert „theoretisch den richtigen Wert eines Unternehmens“ darstelle.6

13.34

1 Zu Kontinuität im Recht vgl. nur Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002. 2 OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 (292). 3 OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627); OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). 4 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (118) = AG 2016, 135. 5 Prägnant Schmalenbach, ZfhF 1918, 1: „Alle, die eine Wirtschaftsanlage kaufen […] wollen, werden, wenn sie wirtschaftlich denken, von dem Gedanken beherrscht: Was kann diese Anlage in Zukunft an Gewinn bringen?“; zum Ertragswert als „theoretisch“ richtiger Wert vgl. BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = AG 1999, 122 und Hüttemann, WPg 2007, 812 (818 f.). 6 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122.

Hüttemann 387

§ 13 Rz. 13.35

Dritter Teil: Querschnittsfragen

13.35 Allerdings erscheint der IDW S 1 unter einem anderen Gesichtspunkt angreifbar. Es geht um die Frage, ob alle Bewertungsannahmen dem gesetzlichen Bewertungsziel entsprechen: Nach dem IDW S 1 ist ein „objektivierter“ Unternehmenswert „aus Sicht der Anteilseigner“ und unter der Annahme der „Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept“ zu bestimmen.1 Damit wird jedoch – wie im neueren juristischen Schrifttum zunehmend erkannt wird2 – die gesetzliche Bewertungsvorgabe bei der Abfindung ausscheidender Gesellschafter nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 305 Abs. 1 AktG nicht zutreffend umgesetzt. Geht man nämlich von der Liquidationshypothese aus, ist nicht ein „subjektiver Grenzpreis“ des ausscheidenden Anteilseigners, sondern sein Anteil an einem fiktiven Veräußerungserlös zu bestimmen, wie er bei einer bestmöglichen Verwertung der Unternehmenssubstanz in einer gedachten Liquidation der Gesellschaft voraussichtlich erzielt würde (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB).3 Anders ausgedrückt: Der objektivierte Unternehmenswert ist aus der Perspektive eines gedachten „markttypischen“ Erwerbers zu schätzen (vgl. näher Hüttemann, Rz. 1.26 f.).4 Denn es wird ein Verkehrswert im Sinne eines potentiellen Kaufpreises gesucht, den ein typisierter Erwerber für das Unternehmen voraussichtlich zahlen würde. Hinter dem Konzept des „objektivierten“ Wertes verbirgt sich also letztlich ein Typisierungsproblem in Hinsicht auf einen gedachten Unternehmenserwerbers.5 Ein „markttypischer“ – d.h. ausschließlich finanziell interessierter und rational handelnder – Erwerber wird eine vorhandene Unternehmensplanung seiner Bewertung aber nur dann zugrunde legen, wenn sie ihm wirtschaftlich hinreichend optimiert erscheint. Die auf das vorhandene Unternehmenskonzept beschränkte Bewertungsperspektive nach IDW S 1 (Bewertung des „Unternehmens wie es steht und liegt“) birgt also die Gefahr, dass bei der Bewertung „systematisch“ solche werterhöhenden Faktoren ausgeblendet werden, die ein wirtschaftlich denkender Erwerber bei der Schätzung eines möglichen Kaufpreises einbeziehen würde.6 Deshalb reicht es auch nicht aus, wenn die gerichtlichen Sachverständigen im Spruchverfahren lediglich die vorhandene Planung zum Stichtag daraufhin überprüfen, ob sie auf „realistischen“ Annahmen beruht.7 Um einer „Planungsvorhand der Unternehmen“8 entgegenzuwirken, sind vielmehr auch alternative Unternehmenspolitiken einzubeziehen, wie sie etwa durch einen Vergleich mit anderen Unternehmen derselben Branche ermittelt werden können (vgl. dazu auch Meyer, Rz. 7.45 ff.).9

13.36 Die rechtlichen Bedenken gegen die Bewertungsprämissen des IDW S 1 – Bewertung „aus Sicht der Anteilseigner“ und unter der Annahme einer „Fortführung des Unternehmens in 1 Zum Konzept des „objektivierten“ Unternehmenswertes s. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 35 ff. 2 Dazu aus dem Schrifttum nur Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 366 ff.; Brähler, WPg 2008, 209 f.; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a AktG, 2014; kritisch zur Liquidationshypothese Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41 ff.; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 ff.; dagegen wiederum Hüttemann, CF 2016, 467 (468 ff.). 3 Dazu eingehend zuletzt Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 ff. 4 So bereits Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (582 ff.). 5 Dazu näher Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (582 ff.); unrichtig daher OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), DB 2018, 2108, das in einer Bewertung aus der Sicht eines „markttypischen Erwerbers“ ein unzulässiges „subjektives“ Bewertungskonzept sieht. 6 Ebenso Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670 ff.). 7 So OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (842); s. auch OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 (673); OLG Düsseldorf v. 17.12.2015 – I-26 W 22/14 (AktE), AG 2016, 504. 8 So die Formulierung des OLG Karlsruhe v. 18.5.2016 – 12a W 2/15, AG 2016, 672 (673). 9 Zuletzt Hüttemann, CF 2016, 467 (474).

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Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.37 § 13

unverändertem Konzept“ – richten sich nicht nur gegen die Prognose der Zukunftserträge, sondern haben auch Bedeutung für andere Elemente der Bewertungsmethode. Sie betreffen z.B. die im IDW S 1 abgelehnte Berücksichtigung möglicher Synergievorteile, die bei einer Bewertung aus der Sicht eines potentiellen Unternehmenserwerbers nicht ganz ausgeblendet werden können, weil sie sich im Preis niederschlagen werden.1 Auch bei der Typisierung persönlicher Steuern können sich Unterschiede zwischen einer „marktbezogenen“ Bewertung und einer Bewertung aus der Sicht der Anteilseigner ergeben, weil die Steuersätze von Privatanlegern und strategischen Erwerbern zumeist differieren.2 Ein weiterer Streitpunkt ist die Abgrenzung der Bewertungseinheit „Unternehmen“ vom separat zu bewertenden nicht betriebsnotwendigen Vermögen (dazu Hüttemann/Meinert, Rz. 8.1 ff.). Auch hier darf nicht einfach die vorhandene Unternehmensplanung am Stichtag den Ausschlag geben, sondern bei einer Bewertung aus der Sicht eines „markttypischen“ Erwerbers muss die wirtschaftlich vorteilhafteste Verwertung des Gesellschaftsvermögens maßgebend sein.3 Die hier formulierte Kritik am IDW S 1 ist nicht neu.4 Dass eine mögliche Diskrepanz zwi- 13.37 schen der gesetzlichen Bewertungsvorgabe und den Bewertungsannahmen der IDW-Grundsätze bisher von den Gerichten nicht eingehender thematisiert wird, dürfte verschiedene Gründe haben: Zunächst einmal ist die Formel vom „wahren“ Wert als gesetzliche Bewertungsvorgabe in hohem Maße konkretisierungsbedürftig und wird nicht immer eindeutig i.S. der Liquidationshypothese als gedachter Veräußerungspreis verstanden.5 Die hier vertretene Ansicht entspricht zwar der älteren Rechtsprechung des BGH6 und wird z.B. durch den DATAltana-Beschluss des BGH gestützt, in dem ausdrücklich vom „Verkehrswert“ die Rede ist.7 Es finden sich aber auch Entscheidungen, in denen der „wahre“ Wert als „Grenzwert“ des ausscheidenden Aktionärs verstanden wird, was man im Sinne der vom IDW eingenommenen Bewertungsperspektive deuten könnte.8 Derartige Unsicherheiten über das rechtliche Bewertungsziel – die sich auf der Ebene der OLG-Rechtsprechung fortsetzen9 – tragen dazu bei, dass die Gerichte die Prämissen des IDW-Standards nicht kritisch genug hinterfragen und sich – wie z.B. das OLG Stuttgart10 – mit der Feststellung begnügen, dass der IDW-Standard eine „anerkannte Expertenauffassung“ darstellt. Dabei wird allerdings übersehen, dass das IDW zwar „Experte“ für Unternehmensbewertungen ist, der Richter aber das Bewertungsziel vorgibt und sich eine eigene Überzeugung davon bilden muss, dass die Bewertungsannahmen dem Bewertungsziel entsprechen. 1 Siehe nur Hüttemann, WPg 2007, 812 (815 f.); noch weitergehend Fleischer, ZGR 1997, 368 (386); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 386 ff. 2 Zu Steuern bei der Unternehmensbewertung zuletzt Meilicke, ZIP 2014, 605 ff. 3 Vgl. dazu Hüttemann, WPg 2007, 812 (816); Meinert, DB 2011, 2397 (2402 f.); zurückhaltender OLG Frankfurt v. 20.12.2011 – 21 W 8/11, AG 2012, 330 (334): Abkehr von Unternehmensplanung nur, wenn diese „zu offenkundig unwirtschaftlichen Ergebnissen führt.“ 4 Siehe bereits Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); Hüttemann, WPg 2007, 812 (815 ff.); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 372 ff. 5 Zum Folgenden für die aktienrechtliche Barabfindung vgl. näher Hüttemann in FS HoffmannBecking, 2013, S. 603 ff. 6 BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506. 7 Siehe nur BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417. 8 So etwa BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286. 9 Vgl. etwa einerseits OLG Frankfurt v. 17.1.2017 – 21 W 37/12, AG 2017, 626 (627): „Verkehrswert der Beteiligung“ und OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 (790) andererseits: „Grenzwert, zu dem der außenstehende Aktionär aus der Gesellschaft ausscheiden kann“. 10 OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291 (292).

Hüttemann 389

§ 13 Rz. 13.38

Dritter Teil: Querschnittsfragen

13.38 Möglicherweise haben sich die Gerichte mit den IDW-Grundsätzen „abgefunden“, weil sie befürchten, dass z.B. die Einbeziehung alternativer Unternehmenskonzepte in den Bewertungsvorgang (z.B. eine Änderung der Produktpalette und Fertigungstiefe oder eine unterstellte separate Veräußerung von Teilbetrieben, Beteiligungen oder Grundbesitz) die Spruchverfahren mit zusätzlichem Streitpotential belasten und die ohnehin schon sehr lange Verfahrensdauer noch weiter verlängern könnte.1 In der Tat würde sich das Arbeitsprogramm der Sachverständigen wohl noch vergrößern, wenn nicht nur der „Realitätsgehalt“ der vorhandenen Unternehmensplanung geprüft würde, sondern auch nach möglichen werterhöhenden Faktoren Ausschau gehalten werden müsste. Indes wird damit weder die Grenze zur bloßen Spekulation überschritten, noch das Spruchverfahren zwingend „ad ultimo“ verlängert, sondern lediglich dem Umstand Rechnung getragen, dass auch die vorhandene Unternehmensplanung nur eine bloße „Planung“ darstellt, deren Wirtschaftlichkeit nicht einfach unterstellt werden kann und die für einen gedachten Unternehmenserwerber ohnehin nicht verbindlich ist. Gerade bei Konflikten zwischen Mehrheitsgesellschafter und ausscheidendem Minderheitsgesellschafter ist auch keineswegs gewährleistet, dass die vom Mehrheitsgesellschafter gewählte Unternehmensstrategie für das Gesellschaftsunternehmen bei einer „Standalone-Betrachtung“ die vorteilhafteste Konzeption darstellen muss. Denkbar ist ferner, dass sich mit anderen Unternehmen als dem des Mehrheitsgesellschafters höhere Synergievorteile erzielen ließen. Schon aus diesem Grund ist eine Kontrolle, ob das vorhandene Unternehmenskonzept bezogen auf das einzelne Unternehmen als wirtschaftlich „hinreichend optimiert“ anzusehen ist, unverzichtbar, wenn man eine Benachteiligung von Minderheitsgesellschaftern verhindern will.2

13.39 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Berücksichtigung alternativer Szenarien im gerichtlichen Verfahren schon dadurch verfahrensrechtliche Grenzen gesetzt werden, dass eine tatrichterliche Schätzung nicht „in der Luft hängen“ darf3 und deshalb nur hinreichend „berechenbare“ und nachvollziehbare Szenarien berücksichtigt werden dürfen. Entscheidend ist aber, dass bei der Suche nach einem gedachten Kaufpreis nicht allein das am Stichtag vorhandene Unternehmenskonzept, sondern das prozessuale Beweismaß („überwiegend wahrscheinlich“) den Fokus der tatrichterlichen Wertfeststellung begrenzt, so dass ein entsprechendes Vorbringen einer Partei betreffend bisher nicht genutztes „Wertpotential“ des Unternehmens nicht von vornherein ausgeblendet werden darf (zu Planung und Prognose näher Meyer, Rz. 7.45 ff.). 3. Verfahrensrechtliche Relevanz

13.40 Die vorstehend auf der Basis der „Liquidationshypothese“ formulierten Bedenken gegen den IDW S 1 betreffen zwar zunächst nur die Tatsachenebene und damit das Schätzungsermessen des Tatrichters nach § 287 Abs. 2 ZPO, das – wie bereits ausgeführt – in der Revision oder im Rechtsbeschwerdeverfahren nur einer eingeschränkten Rechtskontrolle unterliegt.4 Die konkrete Wertschätzung kann nur daraufhin rechtlich geprüft werden, ob sie 1 Rechtstatsächliche Hinweise zur Verfahrensdauer bei Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Einl. SpruchG Rz. 63. 2 Vgl. zuletzt Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (613); Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2666 (2670). 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (841): „Eine Schätzung, die mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde, ist allerdings unzulässig“. Ebenso OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (203). 4 Vgl. zuletzt BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297).

390

Hüttemann

Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatfragen

Rz. 13.40 § 13

gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, in sich widersprüchlich ist oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.1 Wie der BGH im Stinnes-Beschluss festgestellt hat, stellt die Anwendung einer Bewertungsmethode, die den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht, aber eine Rechtsverletzung dar. Ein solcher Widerspruch ist z.B. darin zu sehen, dass Unternehmen nach IDW S 1 auf der Grundlage der zum Stichtag vorhandenen Unternehmensplanung zu bewerten sind, während die Liquidationshypothese eine Bewertung des Unternehmens aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers fordert. Eine Wertschätzung nach dem IDW S 1 blendet somit alternative – und wirtschaftlich vorteilhafte – Unternehmenskonzeptionen zwingend aus, die ein „markttypischer Erwerber“ bei der Preisbildung berücksichtigen würde. Entsprechendes gilt für weitere Bewertungsprämissen des IDW-Standards, die nicht auf den Standpunkt eines „fiktiven“ Unternehmenserwerbers abstellen. Zwar müssen sich diese „fehlerhaften“ Bewertungsprämissen nicht bei jeder Bewertung auf das Schätzungsergebnis auswirken. So sind z.B. „alternative“ Unternehmenskonzepte nicht zu berücksichtigen, wenn die vorhandene Unternehmensstrategie aus der Sicht des Stichtags hinreichend „optimiert“ erscheint. Im Regelfall wird sich eine Rechtsverletzung aber schon daraus ergeben, dass Tatrichter und Sachverständiger – den Empfehlungen des IDW S 1 folgend – solchen möglichen Abweichungen gar nicht nachgegangen sind, sondern das Unternehmen „wie es steht und liegt“ bewertet haben. Da ein Revisionsgericht solche Feststellungen aber nicht nachholen kann, muss die Entscheidung dann als „rechtsfehlerhaft“ aufgehoben und die Sache an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen werden.2

1 Statt vieler nur BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297); BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776 (779); ebenso für das finanzgerichtliche Verfahren z.B. BFH v. 29.5.2008 – VI R 11/07, BStBl. II 2008, 933 (936). 2 So auch BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 (297).

Hüttemann 391

§ 14 Stichtagsprinzip I. Hintergründe, Funktionen und Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ableitung und Anwendungsbereich . 2. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertabgrenzung . . . . . . . . . . . . . b) Informationsabgrenzung . . . . . . . 4. Fragenkreise ohne Aussagekraft des Stichtagsprinzips . . . . . . . . . . . . 5. Bewertungen vor dem Stichtag . . . . . 6. Sondersituation: Ermittlung stichtagsbezogener hypothetischer Börsenkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ermittlung des maßgebenden Stichtags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festlegung des Stichtags . . . . . . . . . . 2. Stichtage bei ausgewählten gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktien- und umwandlungsrechtliche Abfindungs- und Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . b) Der Abfindungsanspruch aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . .

14.1 14.1 14.4 14.8 14.8 14.10 14.17 14.20 14.23 14.24 14.24 14.30 14.30

III. In die Wertermittlung einzubeziehende Informationen . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigungsfähige Tatsachen . . a) Die „Wurzeltheorie“ des BGH . . . aa) Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgeentscheidungen . . . . . . cc) Prognosebildung: Kritik . . . . dd) Rechtsprechung der Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Spätere Erkenntnisse über präexistente Zustände . . . . . . b) Meinungsstand im Schrifttum . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitpunktbezogenheit der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . bb) Perspektive eines gedachten Unternehmenserwerbers . . . . cc) Kapitalisierungszinssatz . . . . 3. Rechtliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . 4. Standardänderungen . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit zur Informationsabgrenzung . .

14.40 14.40 14.41 14.41 14.41 14.43 14.48 14.50 14.51 14.52 14.56 14.56 14.60 14.63 14.65 14.70 14.75

14.35

Schrifttum: Aha, Aktuelle Aspekte der Unternehmensbewertung im Spruchstellenverfahren. Zugleich Anmerkungen zu der Paulaner-Entscheidung des BayObLG, AG 1997, 26; Baldamus, Der Einfluss der Körperschaftsteuer auf den sog. festen Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG, AG 2005, 77; Bellinger, Eine Wende in der Unternehmensbewertung?, WPg 1980, 575; Beyerle, Zur Regelabfindung im Konzernrecht gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 AktG, AG 1980, 317; Bücker, Die Berücksichtigung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen – BGH revidiert DAT/Altana, NZG 2010, 697; Bungert, Rückwirkende Anwendung von Methodenänderungen bei der Unternehmensbewertung, WPg 2008, 811; Bungert/ Wansleben, Dividendenanspruch bei Verschiebung der Gewinnberechtigung bei Verschmelzungen, DB 2013, 979; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983; Emmerich, Wie rechne ich mich arm? Kritische Anmerkungen zur gegenwärtigen Bewertungspraxis in Spruchverfahren, FS Mestmäcker, 2006, S. 137; Fleischer, Die Barabfindung außenstehender Aktionäre nach den §§ 305 und 320b AktG: Stand-alone-Prinzip oder Verbundberücksichtigungsprinzip?, ZGR 1997, 368; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen, AG 2014, 97; Fleischer, Der Stinnes-Beschluss des BGH zur Anwendung neuer Bewertungsstandards auf vergangene Bewertungsstichtage, AG 2016, 185; Gießelmann/Meinert, Nichtberücksichtigung eines Ereignisses mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit bei der Unternehmensbewertung, GWR 2016, 143; Herzig, Zum Prinzip der Wertaufhellung, FS Meilicke, 2010, S. 179; Hoffmann-Becking, Das neue Verschmelzungsrecht in der Praxis, FS Fleck, 1988, S. 105; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; Hüttemann, Neuere Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, StbJb. 2000/2001, 385; Hüttemann, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung, in Heintzen/Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, 2003, S. 151; Hüttemann, Rechtliche Vorgaben für ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; Hüttemann, Stichtagsprinzip und Wertaufhellung, FS Priester, 2007, S. 301; Hüttemann, Zur „rückwirkenden“ Anwendung neuer Bewertungsstandards

392

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.1 § 14

bei der Unternehmensbewertung, WPg 2008, 822; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603; Hüttemann, Richterliche Unternehmensbewertung zwischen Rechts- und Tatfragen, FS Schilken, 2015, S. 317; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009; Kollrus, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren, MDR 2012, 66; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002; Kuckenburg, Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleichsverfahren, FuR 2012, 222; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a AktG, 2014; Lausterer, Unternehmensbewertung zwischen Betriebswirtschaftslehre und Rechtsprechung, 1997; Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter. Rechtsgrundsätze zur Unternehmensbewertung, 1975; Meincke, Das Recht der Nachlaßbewertung im BGB, 1973; Meinert, Neuere Entwicklungen in der Unternehmensbewertung (Teil I), DB 2011, 2397; Meyer, Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung nachträglich erlangter Informationen bei der Bewertung von Unternehmen, AG 2015, 16; Meyer, Anmerkung zu BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14 („Stinnes“), WuB 2016, 336; Mock, Die rückwirkende Anwendung von Bewertungsstandards, WM 2016, 1261; W. Müller, Unternehmenswert und börsennotierte Aktie, FS G.H. Roth, 2011, S. 517; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung bei freiwilligem Ausscheiden aus der Personengesellschaft, 1990; Paul, BB-Kommentar: Rechtsunsicherheit bei Ermittlung der Squeeze-out-Abfindung bei bestehendem (Beherrschungsund) Gewinnabführungsvertrag zum Teil beseitigt, BB 2016, 1073; Peemöller, Grundsätze der Unternehmensbewertung – Anmerkungen zum Standard IDW S 1, DStR 2001, 1401; Popp, Fester Ausgleich bei Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen, WPg 2008, 23; Popp, Zum Anwendungszeitraum von Bewertungsstandards, WPg 2017, 465; Popp/Ruthardt, Das entscheidungsorientierte Stichtagsprinzip bei der Unternehmensbewertung, AG 2015, 857; Riegger/Wasmann, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung, FS Goette, 2011, S. 433; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out, 2014; Ruthardt/Hachmeister, Zur Frage der rückwirkenden Anwendung von Bewertungsstandards, WPg 2011, 351; Ruthardt/Hachmeister, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung – Grundlegende Anmerkungen und Würdigung der jüngeren Rechtsprechung in Spruchverfahren, WPg 2012, 451; Schmid, Das Stichtagsprinzip im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht, ZEV 2015, 387; J. Schmidt, Das Recht der außenstehenden Aktionäre. Das Verfahren gem. § 306 AktG bei Überprüfungsanträgen außenstehender Aktionäre, 1979; K. Schmidt, Abfindung, Unternehmensbewertung und schwebende Geschäfte, DB 1983, 2401; Schüppen, Brot, Steine und Glatteis – Der „Solange-Beschluss“ des BGH zur Unternehmensbewertung unter rückwirkender Anwendung von IDW S 1 (2005), ZIP 2016, 393; Schulze-Osterloh, Das Auseinandersetzungsguthaben des ausscheidenden Gesellschafters einer Personengesellschaft nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, ZGR 1986, 545; Schwetzler, Die „volle“ Entschädigung von außenstehenden und ausscheidenden Minderheitsaktionären – eine Anmerkung aus ökonomischer Sicht, WPg 2008, 890; Seetzen, Die Bestimmung des Verschmelzungsverhältnisses im Spruchstellenverfahren, WM 1994, 45; Seetzen, Spruchverfahren und Unternehmensbewertung im Wandel, WM 1999, 565; Wollny, Der Bewertungsstichtag für Unternehmenswerte bei aktienrechtlichen Abfindungen, M&A-Transaktionen und Schadensersatz, DStR 2017, 949.

I. Hintergründe, Funktionen und Reichweite 1. Ableitung und Anwendungsbereich Unternehmenswerte können nur zeitpunktbezogen ermittelt werden, da sie sich im Zeitablauf verändern, d.h. keine feststehenden Größen darstellen.1 Sie müssen daher auf einen bestimmten Stichtag bezogen sein, so dass für Unternehmensbewertungen das Stichtagsprinzip 1 Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (392); Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 211; Riegger/ Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (434); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 40 f.

Hüttemann/Meyer 393

14.1

§ 14 Rz. 14.1

Dritter Teil: Querschnittsfragen

gilt.1 Es gehört zu den fundamentalen Grundsätzen der Unternehmensbewertung.2 Bei rechtsgeleiteten Bewertungen3 zählen Anwendungsfragen, die das Stichtagsprinzip betreffen, zu den Rechtsfragen, da die gesetzlichen Bewertungsziele betroffen sind (vgl. Rz. 1.33).4 Unabhängig von der angewandten Bewertungsmethode muss der Bewertungsstichtag für alle Unternehmensbestandteile identisch sein, da das Unternehmen als Einheit zu bewerten ist, was voraussetzt, dass auch die zeitliche Bezugnahme eine einheitliche ist.5 Auf einen identischen Stichtag muss ferner dort abgestellt werden, wo vermögensrechtliche Ansprüche an eine Wertrelation anknüpfen, die zwischen den Unternehmen zweier Gesellschaften besteht (vgl. etwa § 304 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG, § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 15 UmwG).6

14.2 Das Gesetz geht von der Maßgeblichkeit eines einheitlichen Stichtags aus, wenn es etwa in § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG oder § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG auf „die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlussfassung“ Bezug nimmt. Deshalb ist bei rechtsgeleiteten Bewertungen keine Aufspaltung in einen „rechnerischen“ Stichtag in Bezug auf die Unternehmenswertfixierung (dazu Rz. 14.8 f.) und einen daneben stehenden „informatorischen“ Stichtag im Hinblick auf die dabei einzubeziehenden Informationen (dazu Rz. 14.10 ff.) möglich.7 Die Anerkennung zweier Stichtage ist insbesondere nicht erforderlich, um eine zutreffende Wertabgrenzung zu erreichen (dazu Rz. 14.9).8 Auf die Figur des „technischen Stichtags“, bei dem es sich anerkanntermaßen nicht um den maßgebenden Bewertungsstichtag handelt, wird in Rz. 14.4, 14.20 f. eingegangen.

14.3 Das Stichtagsprinzip greift nicht nur bei der Bewertung von Unternehmen ein, sondern gilt ganz allgemein für Bewertungsaufgaben, die Sach- und Rechtsgesamtheiten bzw. Vermögensmassen betreffen, da sie in gleicher Weise zeitpunktbezogen sind.9 Dies betrifft etwa die Bewertung eines Nachlasses für Zwecke der Berechnung des Pflichtteils (§ 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB) und der Erbschaftsteuer (§§ 11, 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG)10 sowie die Ermittlung des Anfangs- und Endvermögens für den Zugewinnausgleich (§ 1376 BGB). Auch das Bilanzrecht folgt dem Stichtagsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Allerdings lassen sich die hier geltenden Wertaufhellungsgrundsätze11 nicht ohne weiteres auf die Unternehmensbewertung übertragen (dazu Rz. 14.62).

1 Siehe nur BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362; IDW S 1, Rz. 22; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 357. 2 Hüttemann in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 151 (160). 3 Zur Differenzierung zwischen rechtsgeleiteten (normgeprägten) und nicht rechtsgeleiteten Bewertungsanlässen s. nur Fleischer, AG 2014, 97 (98). 4 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (119) = AG 2016, 135; s. auch Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (319 ff.); Meyer, WuB 2016, 336 (338). 5 Vgl. Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 212. 6 Siehe nur Adolff, Unternehmensbewertung, S. 420, 440. 7 Vgl. demgegenüber Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 19 ff. („rechnerischer“ und „rechtlicher“ Stichtag); Popp, WPg 2008, 23 (28 f.) („technischer“ und „informatorischer“ Stichtag). 8 Vgl. demgegenüber Popp, WPg 2008, 23 (28 f.). 9 Zu den Hintergründen Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 211 ff. 10 Zum Stellenwert des Stichtagsprinzips im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer s. etwa Schmid, ZEV 2015, 387. 11 Dazu näher Hüttemann in FS Priester, 2007, S. 301 (301 ff.).

394

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.6 § 14

2. Terminologie Der maßgebende Stichtag bzw. – gleichbedeutend – Bewertungsstichtag folgt bei rechts- 14.4 geleiteten Bewertungen aus den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben. Bei nicht rechtsgeleiteten Bewertungen ist er anlassadäquat festzulegen (näher Rz. 14.24 ff.). Jedoch kann es aus verfahrenstechnischen Gründen erforderlich sein, die Bewertung zunächst auf einen früheren Zeitpunkt vorzunehmen und den so ermittelten Unternehmenswert sodann auf den Stichtag hochzurechnen und gegebenenfalls zu korrigieren (Einzelheiten in Rz. 14.20 f.). In der Bewertungspraxis hat sich deshalb die terminologische Differenzierung zwischen dem „technischen“ und (bei rechtsgeleiteten Bewertungen) dem „rechtlichen“ Bewertungsstichtag etabliert.1 Wenn im Rahmen dieses Beitrags der Begriff „Stichtag“ bzw. „Bewertungsstichtag“ verwendet wird, so ist damit ausnahmslos der für die Bewertung letztlich maßgebende („rechtliche“) Stichtag gemeint. In terminologischer Hinsicht ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Stichtagsprinzip“ unpräzise ist. Denn für die Bewertung kann es nicht auf die Verhältnisse „eines Tages“ ankommen, da ein Tag einen Zeitraum (von 24 Stunden) umfasst, nicht hingegen einen Zeitpunkt (vgl. Rz. 14.1) markiert.2 Vor diesem Hintergrund ist in § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG zutreffend bestimmt, dass es auf „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung“ ankommt. Tritt folglich nach der Beschlussfassung, aber noch am selben Kalendertag eine unvorhersehbare wertrelevante Entwicklung ein, so ist sie nicht mehr zu berücksichtigen (zu den Hintergründen Rz. 14.40 ff.). In gleicher Weise präzise formuliert das Gesetz etwa in § 11 ErbStG, wo auf den „Zeitpunkt der Entstehung der Steuer“ abgestellt wird, nicht aber auf den Kalendertag, in den das betreffende Ereignis (vgl. § 9 ErbStG) fällt. Praktische Bedeutung kommt dem hier herausgestellten Aspekt freilich nur in Ausnahmesituationen zu.

14.5

Was seinen Prinzipiencharakter angeht, wird das Stichtagsprinzip als technisches Prinzip im Sinne der Systemlehre eingeordnet.3 Zu bedenken ist allerdings, dass die jedem Rechtsprinzip innewohnende Abwägungsfähigkeit4 im Hinblick auf seinen Kerngehalt, d.h. die Zeitpunktbezogenheit der Bewertung, zweifelhaft erscheinen muss. Denn aus den in Rz. 14.1 angeführten Gründen würde jede Aufweichung des Zeitpunktbezugs die logische Konsistenz der Bewertung in Frage stellen.5 Abweichende Vereinbarungen sind allerdings möglich, soweit der jeweilige Sachbereich einer privatautonomen Regelung zugänglich ist (dazu Rz. 14.14 f.).

14.6

1 Siehe etwa Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 9; Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 33; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 5 UmwG Rz. 131; zu den teilweise verwendeten Begriffen „rechnerischer“ und „informatorischer“ Stichtag s. schon oben Rz. 14.2. 2 Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 211 f. 3 Klöhn, System, S. 283 f. 4 Vgl. nur Canaris, Systemdenken, S. 52 ff. 5 Vgl. für den wichtigen Bereich der in die Bewertung einzubeziehenden Informationen Ruthardt/ Hachmeister, WPg 2012, 451 (454); näher zu diesem Fragenkreis unten Rz. 14.10 ff., 14.40 ff. Keine Ausnahme von der Zeitpunktbezogenheit der Unternehmensbewertung bildet die aufgrund des DAT/Altana-Beschlusses (BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566) erforderliche Ermittlung hypothetischer Börsenkurse, da es sich bei ihr richtigerweise um eine auf den Bewertungsstichtag bezogene Schätzung handelt (vgl. unten Rz. 14.23); a.A. Bücker, NZG 2010, 967 (970).

Hüttemann/Meyer 395

§ 14 Rz. 14.7

Dritter Teil: Querschnittsfragen

14.7 Darüber hinaus sind Fallgestaltungen vorzufinden, für die versucht wird, das Stichtagsprinzip in anderer, weitergehender Weise als Abwägungsfaktor in Stellung zu bringen. So werden aus ihm Folgerungen für die Bindung der Bewertung an vorhandene Unternehmenskonzepte1 und am Stichtag gültige Bewertungsstandards2 abgeleitet. Bisweilen ist dann vom Stichtagsprinzip „im weiteren Sinne“ die Rede.3 Materiell geht es dabei aber um Sach- und Rechtsfragen der Bewertung, für die das Stichtagsprinzip keine Wertungen beizusteuern vermag (näher Rz. 14.17 ff. und Rz. 14.70 ff.). Für derartige Situationen sollte deshalb ganz auf die Verwendung dieses Begriffs verzichtet werden. 3. Funktionen a) Wertabgrenzung

14.8 Aus den in Rz. 14.1 dargestellten Gründen folgt mit Notwendigkeit, dass das Stichtagsprinzip den Unternehmenswert in zeitlicher Hinsicht abgrenzt (Wertabgrenzungsfunktion).4 Es dient dazu, Wertveränderungen im Zeitablauf zu neutralisieren.5 Bei Anwendung des Ertragswert- bzw. des DCF-Verfahrens wird über den Bewertungsstichtag festgelegt, welche (zukünftigen) finanziellen Überschüsse in die Wertermittlung einzubeziehen sind (Überschussabgrenzung)6 und auf welchen Zeitpunkt die Abzinsung erfolgt.7 Wenn Rechtsfolgen unmittelbar an den Unternehmenswert anknüpfen, etwa die Höhe einer geschuldeten Abfindung determiniert wird, kommt dem Stichtagsprinzip darüber hinaus eine Überschusszuweisungsfunktion zu, da der ermittelte Wert die Zuweisung der im Zeitablauf eintretenden bzw. zu erwartenden Überschüsse widerspiegelt.8 Die Überschussabgrenzungs- und die Überschusszuweisungsfunktion bilden Unterfunktionen der Wertabgrenzungsfunktion. Soweit ein Liquidations- oder Substanzwert zu ermitteln ist (vgl. § 9 sowie Rz. 11.75 ff.), ist der Stichtag maßgebend für die sächliche Zusammensetzung des Bewertungsobjekts einschließlich der zugehörigen Schulden.9 Der Stichtag bestimmt mithin, „wann die Zukunft beginnt.“10

14.9 Diesen Zusammenhängen ist bereits bei seiner Festlegung Rechnung zu tragen,11 sei es durch den Gesetzgeber, sei es durch die von der Bewertung Betroffenen im Rahmen privatautonomer Entscheidungen (zur Stichtagsermittlung näher Rz. 14.24 ff.). Bisweilen korrespondiert der gesetzlich bestimmte Stichtag allerdings nicht mit dem Zeitpunkt des Übergangs der Gewinnberechtigung (vgl. etwa § 305 Abs. 3 Satz 2, § 294 Abs. 2 AktG; dazu Rz. 14.31). Um in 1 2 3 4

5 6 7 8 9 10 11

Vgl. etwa Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (182). Vgl. Bungert, WPg 2008, 811 (816 f.). Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 83. So die treffende Begriffsverwendung bei Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 10; vgl. auch etwa Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (434); Wollny, DStR 2017, 949 (949). Im Schrifttum wird teilweise der Begriff „ergebnisbezogenes Stichtagsprinzip“ vorgezogen (Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 [857]). Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 211 f. Kuckenburg, FuR 2012, 222 (227); Peemöller, DStR 2001, 1401 (1402); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (434); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 41. IDW S 1, Rz. 85; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 378; Seetzen, WM 1994, 45 (46). Vgl. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 10; s. aber Rz. 14.9 a.E. Vgl. Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 213 f. Vgl. Moxter, Grundsätze, S. 171 a.E.; Wollny, DStR 2017, 949 (949 f.). Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74; Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (179).

396

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.11 § 14

solchen Fällen eine zutreffende Überschussabgrenzung sicherzustellen, ist im Rahmen der auf den Stichtag zu bildenden Prognose an die voraussichtlich eintretenden Zahlungsströme anzuknüpfen.1 b) Informationsabgrenzung Die Wertabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips lässt aus sich heraus noch keine Schlüsse darauf zu, welche Informationen über das Unternehmen und sein Umfeld in die Bewertung einbezogen werden dürfen. Problematisch ist das in den praktisch wichtigen Fällen, in denen die Bewertung oder ihre gerichtliche Überprüfung nach dem Bewertungsstichtag erfolgt. Denn hier sind dem Bewertenden zum einen die tatsächlich eingetretenen Entwicklungen bekannt. Zum anderen stehen ihm häufig bessere Informationen über den Zustand des Unternehmens am Bewertungsstichtag zur Verfügung. Das wirft die Frage auf, ob es ihm erlaubt ist, derartige Informationen zu nutzen. Die Zeitpunktbezogenheit der Bewertungsaufgabe (Rz. 14.1) legt es überaus nahe, dass auch nur die am Stichtag verfügbaren Erkenntnisse bei der Wertermittlung berücksichtigt werden dürfen.2 Diese Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips ist ganz weitgehend anerkannt,3 wenngleich in Bezug auf viele Einzelfragen Unsicherheit besteht (s. Rz. 14.11, 14.13). Häufig wird auf die Informationsabgrenzungsfunktion im selben Atemzug verwiesen wie auf die Wertabgrenzungsfunktion.4

14.10

Nach den heute herrschenden Anschauungen hat die Prognose über die weitere Unternehmensentwicklung jedenfalls im Grundsatz nach den am Bewertungsstichtag verfügbaren Informationen zu erfolgen, so dass die tatsächlichen späteren Entwicklungen ausgeblendet werden müssen.5 Bisweilen wird hierfür der Begriff „strenges Stichtagsprinzip“ verwendet.6 Als berücksichtigungsfähig werden nur solche Entwicklungen angesehen, die am Bewertungsstichtag „bei angemessener Sorgfalt hätte[n] erlangt werden können“.7 Nach einer in der

14.11

1 Vgl. BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167); Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (980); Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (110); weitergehend Popp, WPg 2008, 23 (28 f.), der einen gesonderten Stichtag für erforderlich erachtet (dazu oben Rz. 14.2); zu diesem Fragenkreis auch W. Müller in FS G.H. Roth, 2011, S. 517 (528); zur (grundsätzlich fehlenden) Berücksichtigungsfähigkeit nachträglich erlangter Informationen s. unten Rz. 14.10 ff., 14.40 ff. 2 Vgl. Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (392 f.). 3 Siehe etwa Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 59; Adolff, Unternehmensbewertung, S. 369 ff.; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383 (1403); Moxter, Grundsätze, S. 168 ff.; Piltz, Unternehmensbewertung, S. 117; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 41 ff. Den Begriff „Informationsabgrenzungsfunktion“ verwendet auch Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 10. 4 Vgl. IDW S 1, Rz. 22 f.; Komp, Zweifelsfragen, S. 142; Kuckenburg, FuR 2012, 222 (227); Riegger/ Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (434). Deutlich getrennt wird zwischen diesen Aspekten hingegen bei Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (179); noch weitergehend Popp, WPg 2008, 23 (28 f.), soweit er zwischen zwei verschiedenen Stichtagen differenziert (dazu oben Rz. 14.2, 14.9). 5 Vgl. etwa OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126); OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 827 (830); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10, AG 2012, 221 (222); Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452); Seetzen, WM 1994, 45 (46). 6 Adolff, Unternehmensbewertung, S. 369; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 42. 7 So IDW S. 1, Rz. 23; s. auch etwa OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 060/06, AG 2008, 28 (32); Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74; Moxter, Grund-

Hüttemann/Meyer 397

§ 14 Rz. 14.11

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Rechtsprechung gebräuchlichen Formel soll es hingegen genügen, dass später eingetretene Entwicklungen „schon in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen angelegt sind“1 (sog. „Wurzeltheorie“).2

14.12 Die Informationsabgrenzungsfunktion weist zwar unverkennbare Verbindungslinien zu der sowohl nach dem Ertragswert- als auch nach dem DCF-Verfahren erforderlichen Prognosebildung auf.3 Sie beansprucht jedoch methodenübergreifend und auch für andere Bewertungsanlässe als Unternehmensbewertungen Geltung.4 Insbesondere betrifft sie – unabhängig von der Bewertungsmethode – Situationen, in denen Umstände, die am Stichtag bereits vorgelegen haben, erst später erkannt werden, was insbesondere bei Altlasten erhebliche praktische Bedeutung erlangt (dazu Rz. 14.51).5

14.13 Unterzieht man den vorzufindenden Meinungsstand einer Detailanalyse, so ist festzustellen, dass die Informationsabgrenzungsfunktion nicht nur in ihren Einzelheiten unsicher und streitbehaftet ist,6 sondern von einigen Stimmen bereits im Grundsätzlichen abgelehnt wird, wenn sie davon ausgehen, dass auch nachträgliches Faktenwissen bewertungsrelevant ist.7 Die Informationsabgrenzungsfunktion bedarf daher weiterer Untersuchung. Die Frage, welcher Kenntnisstand genau bei der Wertermittlung zu berücksichtigen ist, wird in Rz. 14.40 ff. beleuchtet.

14.14 Zu bedenken ist auch, dass der jeweilige Bewertungsanlass und die bestehenden Bewertungsvorgaben Einfluss auf die Reichweite der Informationsabgrenzungsfunktion nehmen können. So wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass nachträglich erlangte Informationen zu berücksichtigen sind, wenn dies zwischen den betroffenen Parteien vereinbart worden ist.8 Das gilt einschränkungslos für nicht rechtsgeleitete Bewertungen. Je nach Bewertungsanlass kann

1 2 3 4 5 6 7

8

sätze, S. 168 f.; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452 ff.). So BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; s. auch etwa Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 66. Grundlegend BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511); Einzelheiten und weitere Nachweise in Rz. 14.41 ff. Vgl. die darstellerische Bezogenheit auf das Ertragswertverfahren bei Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 56 ff.; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 8 ff.; Komp, Zweifelsfragen, S. 142. Vgl. Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 214 f. (allgemein für Nachlassbewertungen); Bellinger, WPg 1980, 575 (583 a.E.); Piltz, Unternehmensbewertung, S. 113 (jeweils für die Substanzwertermittlung). Vgl. aus der Rechtsprechung (mit Unterschieden im Einzelnen) OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09, ZIP 2010, 729 (733); OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (910); OLG Düsseldorf v. 2.4.1998 – 19 W 3/93 AktE, AG 1999, 89 (91). Vgl. vorläufig die disparaten Prüfungsmaßstäbe, auf die in Rz. 14.11 Bezug genommen worden ist. Meilicke, Barabfindung, S. 86 ff.; J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 64 f.; für den Normalfall auch Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 27a, § 305 AktG Rz. 59; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 22 Rz. 41; s. ferner OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (52 a.E.); Emmerich in FS Mestmäcker, 2006, S. 137 (143 f.); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 374; Kollrus, MDR 2012, 66 (66); Seetzen, WM 1999, 565 (570). OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1226) = GmbHR 1999, 712; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74 a.E.; Lausterer, Unternehmensbewertung, S. 137; Piltz, Unternehmensbewertung, S. 114.

398

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.17 § 14

in diesem Bereich auch die Situation auftreten, dass der Auftraggeber der Bewertung die Einbeziehung derartiger Erkenntnisse wünscht. So wird ein potentieller Unternehmenserwerber, der die Bewertung in Auftrag gegeben hat, auch dann ein erhebliches Interesse an der Berücksichtigung zwischenzeitlich eingetretener Entwicklungen haben, wenn das Gutachten (aus welchen Gründen auch immer) auf einen früheren Bewertungsstichtag zu erstellen ist. Bei rechtsgeleiteten Bewertungen kommt eine Disposition der betroffenen Parteien über die 14.15 einzubeziehenden Informationen hingegen nur insoweit in Betracht, wie der rechtliche Anspruch, der der Bewertungsaufgabe zugrunde liegt, seinerseits einer Parteivereinbarung zugänglich ist.1 Eine derartige Dispositionsmöglichkeit über die Berücksichtigung der späteren tatsächlichen Entwicklung hat der BGH im Hinblick auf Abfindungsansprüche aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB bejaht und dazu ausgeführt: „[E]benso, wie die Parteien grundsätzlich frei sind, im Gesellschaftsvertrag oder nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters die Höhe des Abfindungsguthabens unabhängig von gesetzlichen Regelungen zu bestimmen, können sie sich selbstverständlich auch auf eine bestimmte Bewertungsmethode oder auf Einzelheiten ihrer Anwendung mit der Auswirkung einigen, daß sich das Bewertungsergebnis ändert.“2 Im Anwendungsbereich zwingenden Rechts, namentlich bei aktien- und steuerrechtlichen Bewertungsanlässen, bleibt hierfür freilich kein Raum. Die vorstehenden Erörterungen zum Informationsabgrenzungsgehalt des Stichtagsprinzips beziehen sich auf nachträglich erlangte Informationen über das Unternehmen und sein Umfeld, also die Tatsachenbasis. Hiermit auf das Engste verbunden ist aber auch die Frage, inwieweit spätere Rechtsänderungen Eingang in die Bewertung finden können.3 Das wird in erster Linie für die Besteuerung diskutiert, wobei häufig identische Differenzierungskriterien wie im Hinblick auf die einzubeziehenden Tatsachen angewendet werden.4 Da Änderungen des Steuerrechts in der Vergangenheit sehr häufig zu Anpassungen der Bewertungsstandards geführt haben,5 bestehen enge Parallelen auch zu der kontrovers diskutierten Frage, inwieweit nachträgliche Standardänderungen – gewissermaßen rückwirkend – Einfluss auf die Bewertung nehmen können. Auf die hier angesprochenen Problemkreise wird in Rz. 14.65 ff., 14.70 ff. näher eingegangen.

14.16

4. Fragenkreise ohne Aussagekraft des Stichtagsprinzips Wie in Rz. 14.7 bereits angesprochen, wird das Stichtagsprinzip von der Rechtsprechung und weiten Teilen des Schrifttums auch noch in einer anderen Ausprägung herangezogen. Beispielhaft heißt es im IDW S 1: „Die Bewertung eines Unternehmens basiert auf der am Bewertungsstichtag vorhandenen Ertragskraft. Grundsätzlich beruht die vorhandene Ertragskraft auf den zum Bewertungsstichtag vorhandenen Erfolgsfaktoren. Die bewertbare Ertragskraft beinhaltet die Erfolgschancen, die sich zum Bewertungsstichtag aus bereits eingeleiteten Maßnahmen oder aus hinreichend konkretisierten Maßnahmen im Rahmen des bisherigen

1 Vgl. Lausterer, Unternehmensbewertung, S. 137; Piltz, Unternehmensbewertung, S. 114. 2 BGH v. 12.2.1979 – II ZR 106/78, WM 1979, 432 (433); nicht genügend gewürdigt von Bellinger, WPg 1980, 575 (576). 3 Vgl. nur IDW S 1, Rz. 23. 4 Siehe etwa Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435 f.). 5 Überblick bei Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 52.

Hüttemann/Meyer 399

14.17

§ 14 Rz. 14.17

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Unternehmenskonzepts und der Marktgegebenheiten ergeben.“1 Bisweilen wird insoweit vom Stichtagsprinzip „im weiteren Sinne“ gesprochen.2 Das Unternehmen sei der Bewertung so zugrunde zu legen, „wie es am Stichtag steht und liegt“.3 Diese Bindung an das vorhandene Unternehmenskonzept wird auch auf die „Wurzeltheorie“ gestützt: Konzeptänderungen, die am Bewertungsstichtag nicht wenigstens in der Wurzel angelegt seien, könnten nicht berücksichtigt werden.4

14.18 Diese Fruchtbarmachung des Stichtagsprinzips überzeugt jedoch nicht und ist abzulehnen, weil es für den angesprochenen Fragenkreis nichts hergibt:5 Selbst bei weitestem Verständnis der Informationsabgrenzungsfunktion könnte aus dem Stichtagsprinzip nur abgeleitet werden, dass solche Unternehmenskonzepte unberücksichtigt bleiben müssen, die nach den Verhältnissen am Bewertungsstichtag unrealistisch erscheinen oder in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen zumindest nicht hinreichend „objektivierbar“ bzw. „bewertbar“ sind.6 Hierbei handelt es sich jedoch um eine Selbstverständlichkeit, da derartige Konzepte den Unternehmenswert am Bewertungsstichtag nicht beeinflussen können. Den Ausschluss naheliegender Entwicklungsmöglichkeiten trägt das Stichtagsprinzip hingegen gerade nicht.7

14.19 Bei dem Problem der Berücksichtigungsfähigkeit solcher Alternativkonzepte (dazu näher § 7 sowie Rz. 1.37, 1.53) handelt es sich vielmehr um eine Sach- bzw. Rechtsfrage der Bewertung, die durch die Bezugnahme auf das Stichtagsprinzip lediglich verdeckt, nicht jedoch gelöst wird. Diese Feststellung gilt in gleicher Weise für damit im Zusammenhang stehende Bewertungsprobleme, für die aus dem Stichtagsprinzip ebenfalls keine Aussagen abzuleiten sind. Dies betrifft insbesondere die Berücksichtigungsfähigkeit von Verbundeffekten (dazu § 16), die Abgrenzung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens (dazu § 8) und den Problembereich des Liquidationswerts als Wertuntergrenze (dazu Rz. 9.15 ff.).8 1 IDW S 1, Rz. 32 (einschränkend Rz. 49 für subjektive Einigungswerte); gleichsinnig Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 83, A 270 f., A 300 ff.; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber § 305 AktG Rz. 11; s. auch Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (863 ff.): „entscheidungsorientiertes Stichtagsprinzip“; ausführliche Nachweise zum Meinungsstand in Rz. 7.8 ff. 2 So Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 83; vgl. demgegenüber Moxter, Grundsätze, S. 171 f. („enge Interpretation“). 3 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (130) = AG 2016, 135; BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362; Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 30; Wollny, DStR 2017, 949 (950). Die Formulierung im Haupttext entstammt der Stellungnahme IDW HFA 2/1983, WPg 1983, 468 (473). 4 In diesem Sinne BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31; BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286 (für Verbundvorteile); OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 060/06, AG 2008, 28 (32); OLG Düsseldorf v. 19.10.1999 – 19 W 1/96 AktE, AG 2000, 323 (323 f.) (für Verbundvorteile); LG München I v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13, AG 2016, 51 (54) (für Verbundvorteile); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 10; Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (182); vgl. auch Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 371 f. 5 Siehe auch bereits Adolff, Unternehmensbewertung, S. 223, S. 372; Hüttemann, WPg 2007, 812 (815): „normative Vorgabe“; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (453); vgl. ferner Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435) sowie für Verbundvorteile Fleischer, ZGR 1997, 368 (383 f.); offengelassen von Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 68. 6 Vgl. Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (613) unter Bezugnahme auf BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, BGHZ 68, 163 (165). 7 Vgl. Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (586 ff.); wohl auch Meinert, DB 2010, 2397 (2400). 8 Zu den Zusammenhängen, die zwischen diesen Fragenkreisen bestehen, näher Hüttemann, WPg 2007, 812 (815 ff.); s. auch Rz. 7.4; zu der streitigen Frage, ob Ausgleichszahlungen, die auf Basis

400

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.22 § 14

5. Bewertungen vor dem Stichtag In Rz. 14.10 ff. sind Situationen erörtert worden, in denen der Bewertungs- bzw. Überprü- 14.20 fungszeitpunkt nach dem Stichtag liegt. Jedoch ist auch der umgekehrte Fall denkbar: Muss die Bewertung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf einen in der Zukunft liegenden Stichtag vorgenommen werden, so stellt sich die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die am Stichtag verfügbaren Informationen Eingang in die Bewertung finden. Diese Frage ist nicht zuletzt bei rechtsgeleiteten Bewertungen von erheblicher Relevanz. Beispielsweise ergibt sich aus den §§ 293 ff. AktG, dass die Bewertungsaufgaben, die in Hinsicht auf die Ermittlung des angemessenen Ausgleichs und der Abfindung (§§ 304, 305 AktG) bei Unternehmensverträgen durchzuführen sind, zeitlich vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung (vgl. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG; dazu Rz. 14.30 ff.) erfolgen müssen.1 In solchen Fällen wird die Bewertung auf einen vorangehenden Abschlussstichtag bezogen („technischer Stichtag“, vgl. Rz. 14.4) und sodann durch Aufzinsung auf den Bewertungsstichtag hochgerechnet.2 Die Stichtagsaktualität kann im Anschluss dadurch sichergestellt werden, dass geeignete Informationen über bewertungsrelevante Entwicklungen bis zum Bewertungsstichtag eingeholt werden und im Rahmen einer besonderen Stichtagserklärung dazu Stellung bezogen wird, ob die Bewertungsergebnisse weiterhin aktuell oder ergänzungsbedürftig sind.3 Aus den jeweils anwendbaren Rechtsvorschriften können sich weitere Berichts- oder Prüfungspflichten ergeben.4 Bei nicht rechtsgeleiteten Bewertungen ist nach praktikablen Lösungen zu suchen, die dem jeweiligen Bewertungsanlass gerecht werden.5

14.21

Klargestellt sei, dass sich in den hier betrachteten Situationen (Bewertung vor dem Stichtag) zu einem späteren Zeitpunkt auch noch die Frage der Reichweite der Informationsabgrenzungsfunktion stellen kann, so dass sich beide Problemkreise nicht ausschließen. Das lässt sich ebenfalls am Beispiel der §§ 304, 305 AktG verdeutlichen: Die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung erfolgt ex post im Rahmen des Spruchverfahrens.

14.22

1 2

3 4 5

eines Gewinnabführungsvertrags geschuldet sind, die Untergrenze der Abfindung im Falle eines späteren Squeeze-out bilden, vgl. BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 (271 ff., 277) = AG 2016, 359 mit umfänglichen Nachweisen zum Meinungsstand. Näher Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 100. Vgl. Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 9; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 5 UmwG Rz. 131. Diese Vorgehensweise ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 [236] = AG 2010, 629); zu Einzelfragen OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832 (837). Aus rechtlicher Sicht ist gegen ein derartiges Vorgehen der Bewertungs- und Prüfungspraxis nichts zu erinnern (vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08 – Rz. 131, AG 2012, 135). Vgl. Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 5 UmwG Rz. 131; Popp, WPg 2008, 23 (28); zu § 64 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 UmwG näher Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 5 UmwG Rz. 132. Zu dem praktisch wichtigen Fall des Unternehmenskaufs auf einen künftigen Bilanzstichtag s. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 81; Moxter, Grundsätze, S. 168.

Hüttemann/Meyer 401

§ 14 Rz. 14.23

Dritter Teil: Querschnittsfragen

6. Sondersituation: Ermittlung stichtagsbezogener hypothetischer Börsenkurse

14.23 In engem Zusammenhang mit dem Stichtagsprinzip steht die im Zuge des DAT/Altana-Beschlusses des BVerfG erforderlich gewordene Ermittlung des Börsenkurses als verfassungsrechtlicher Wertuntergrenze bei börsennotierten Gesellschaften.1 Hier kommt es nicht auf den tatsächlichen Kurswert am Stichtag an, sondern auf einen hypothetischen, von der Strukturmaßnahme unbeeinflussten Verkehrswert der Aktie am Stichtag,2 dessen Ermittlung erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Auf die Einzelheiten wird wegen des Sachzusammenhangs in § 18 eingegangen (s. Rz. 18.77 ff.).

II. Ermittlung des maßgebenden Stichtags 1. Festlegung des Stichtags

14.24 Bei der Bestimmung des Bewertungsstichtags kommt der Wertabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips (Rz. 14.8 f.) entscheidende Bedeutung zu. Dies betrifft vor allem nicht rechtsgeleitete Bewertungen, da die Festlegung des Stichtags hier den Parteien bzw. dem Auftraggeber der Bewertung obliegt.3 Werden keine klaren Vorgaben gemacht, muss der Bewertende den Bewertungsstichtag selbst fixieren, was zweckgerecht mit Blick auf den jeweiligen Bewertungsanlass zu erfolgen hat.4 Ist ein Inhaberwechsel geplant, so hat sich die Festlegung des Stichtags daran zu orientieren, wann die Gewinnberechtigung voraussichtlich auf den zukünftigen Unternehmens- bzw. Anteilsinhaber übergehen wird.5 Dies betrifft insbesondere den praktisch wichtigen Fall der (in Aussicht genommenen) Unternehmens- bzw. Anteilsveräußerung.

14.25 Bei rechtsgeleiteten Bewertungen ergibt sich der maßgebende Bewertungsstichtag hingegen aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, so dass es hier Aufgabe des Gesetzgebers ist, den Stichtag bewertungszweckadäquat festzulegen. Eine Einwirkungsmöglichkeit der von der Bewertung betroffenen Parteien besteht nur, soweit die einschlägigen Rechtsvorschriften dispositiver Natur sind, was jedoch insbesondere bei aktienrechtlichen Umstrukturierungen (vgl. § 23 Abs. 5 AktG) und steuerrechtsgeleiteten Bewertungen nicht der Fall ist.6 Bisweilen besteht über die Dispositionsmöglichkeit auch Streit. Das betrifft namentlich den Stichtag zur Bestimmung der Verschmelzungswertrelation im Umwandlungsrecht (dazu Rz. 14.34). Soweit der Ausgleichs- bzw. Auseinandersetzungsanspruch, der der Bewertungsaufgabe zugrunde liegt, parteidisponibel ist, kommt eine privatautonome Abänderung auch des gesetzlichen Bewertungsstichtags in Betracht.7 Hierzu wird jedoch regelmäßig kein Anlass bestehen, wenn der Gesetzgeber den Stichtag interessengerecht ausgewählt hat. 1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305 ff.) = AG 1999, 566. 2 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 (233 ff.) = AG 2010, 629; vgl. auch BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566: „Zu den im Berücksichtigungszeitpunkt maßgeblichen Verhältnissen gehört aber nicht nur der Tageskurs, sondern auch ein auf diesen Tag bezogener Durchschnittswert.“ 3 Vgl. nur Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452). 4 Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 73. 5 Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74; Peemöller, DStR 2001, 1401 (1402); Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (179). 6 Zu § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG s. BayObLG v. 11.7.2001 – 3Z BR 172/99, AG 2002, 388 (389). 7 Vgl. in ähnlichem Kontext BGH v. 12.2.1979 – II ZR 106/78, WM 1979, 432 (433); dazu oben Rz. 14.15.

402

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.30 § 14

Ferner sind Situationen denkbar, in denen der Stichtag nicht eindeutig im Gesetz zum Ausdruck kommt, sondern durch Auslegung der anwendbaren Rechtsnormen gewonnen werden muss (vgl. beispielhaft Rz. 14.33 f.). Inwieweit dabei bewertungsanlassbezogene Zweckgerechtigkeitserwägungen berücksichtigt werden können, ist eine Frage des Einzelfalls und bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung.

14.26

Da die Anlässe rechtsgeleiteter Unternehmensbewertungen mannigfaltig sind (vgl. die beispielhafte Übersicht in Rz. 1.9 ff.), kennt das Recht eine Vielzahl an Bewertungsstichtagen. Eine sachgebietsübergreifende Systematisierung der vorhandenen Stichtagsregelungen erscheint weder sinnvoll noch möglich. Die gesetzlich vorgegebenen Stichtage werden vielmehr bereichsbezogen im Rahmen der §§ 21 ff. dieses Handbuchs mitbehandelt.

14.27

Immerhin lässt sich grob zwischen folgenden beiden Situationen unterscheiden:1 Die Bewertungsaufgabe kann sich zunächst im Rahmen einer Ausgleichs- oder Auseinandersetzungsrechnung stellen, welche keine spezifisch unternehmensrechtlichen Wurzeln hat, sondern auf einer anderen Grundlage beruht. Dann stellt der Umstand, dass der Wert eines Unternehmens mit einzubeziehen ist, aus Sicht der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften eine bloße Zufälligkeit dar. Hierhin zählen insbesondere die Bewertungsanlässe des Familien- und Erbrechts, etwa die Einbeziehung von Unternehmenswerten bei der Berechnung des Zugewinns oder des Pflichtteils. Die Festlegung des Stichtags durch den Gesetzgeber ist in solchen Fällen den Eigenheiten des jeweiligen Rechtsgebiets geschuldet, ohne dass Raum für Überlegungen bleibt, die auf Besonderheiten gerade der Unternehmensbewertung beruhen.

14.28

Den Gegenpol bilden Rechtshandlungen gesellschaftsrechtlicher Natur, die eine Unternehmensbewertung unmittelbar und notwendig zur Folge haben. Hier sind Fragestellungen vorzufinden, denen aus Sicht des Stichtagsprinzips Querschnittscharakter zukommt und die deshalb im Folgenden erörtert werden.

14.29

2. Stichtage bei ausgewählten gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen a) Aktien- und umwandlungsrechtliche Abfindungs- und Ausgleichsansprüche Sachgebietsübergreifende Verbindungslinien hinsichtlich des Bewertungsstichtags lassen sich im Bereich der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungs- und Ausgleichsansprüche nachweisen.2 Der „Standardfall“ des Abfindungsanspruchs ist in § 305 AktG im Hinblick auf Unternehmensverträge geregelt (dazu näher Rz. 21.23 ff.).3 In Bezug auf die angemessene Barabfindung nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 a.E., Nr. 3 AktG ordnet § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG an, dass sie „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen“ muss. Ungeachtet der Auslegungsschwierigkeiten, die diese Vorschrift bereitet,4 ist ihr mit hinreichender Deutlichkeit der für die Bewertung relevante Stichtag zu entnehmen (Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses der abhän-

1 2 3 4

Vgl. auch bereits Hüttemann in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 151 (151 f.). Vgl. auch Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 7. Vgl. Fleischer, AG 2014, 97 (98). Vgl. mit Blick auf die Börsenkursermittlung (dazu oben Rz. 14.23) BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 (234 ff.) = AG 2010, 629 unter Darstellung der Entstehungsgeschichte; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 54; zu Verbundeffekten (vgl. oben Rz. 14.19) s. Fleischer, ZGR 1997, 368 (383 ff.).

Hüttemann/Meyer 403

14.30

§ 14 Rz. 14.30

Dritter Teil: Querschnittsfragen

gigen Gesellschaft),1 wenngleich das Wort „berücksichtigen“ in dieser Hinsicht zu schwach formuliert ist.2 In Rechtsprechung und Schrifttum ist daher nahezu allgemein anerkannt, dass der Gesetzgeber in § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG den Abfindungsstichtag festgelegt hat.3

14.31 Vor dem Hintergrund der Wertabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips (Rz. 14.8 f.) wäre der ideale Bewertungsstichtag zwar an sich derjenige des Wirksamwerdens des Unternehmensvertrages (vgl. § 294 Abs. 2 AktG).4 Jedoch erfolgt die maßgebende Entscheidung über sein Inkrafttreten durch die Zustimmungsbeschlüsse der Anteilsinhaber der betroffenen Gesellschaften (vgl. § 293 AktG), so dass die zu dieser Zeit bestehenden Verhältnisse die Entscheidungsgrundlage bilden.5 Die in § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG gewählte zeitliche Anknüpfung erscheint daher gut vertretbar. Dass das Gesetz ausschließlich auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung der abhängigen Gesellschaft abstellt, erklärt sich damit, dass § 305 AktG die außenstehenden Aktionäre dieser Gesellschaft schützen will. Die Anknüpfung des Gesetzes erscheint daher auch insoweit sachgerecht.6

14.32 Gleichgerichtete Vorschriften sind in § 320b Abs. 1 Satz 5 AktG für die Eingliederung, in § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG für den Ausschluss von Minderheitsaktionären, in § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG für Verschmelzung und Formwechsel (§ 208 UmwG) sowie in § 7 Abs. 2 Satz 1 SEAG für bestimmte, die SE betreffende Strukturmaßnahmen (vgl. § 9 Abs. 2, § 12 Abs. 2 SEAG) enthalten.7

14.33 Die vorstehend in Bezug genommenen Vorschriften haben gemein, dass sie sich nur auf die Ermittlung der angemessenen Barabfindung beziehen. Demgegenüber fehlt eine ausdrückliche Regelung im Hinblick auf die parallelen Fälle der Abfindung durch Gewährung von Aktien bei Unternehmensverträgen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1, 2, Abs. 3 Satz 1 AktG) und Eingliederungen (§ 320b Abs. 1 Satz 2–4 AktG). Hier muss die Ermittlung des Wertverhältnisses der Unternehmen der beteiligten Gesellschaften auf denselben Stichtag erfolgen (vgl. Rz. 14.1). Fraglich ist, ob die für die Barabfindung geltenden Stichtagsregelungen entsprechende Anwendung finden, d.h. auf den Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses der abhängigen bzw. eingegliederten Gesellschaft abzustellen ist. Das ist zu bejahen, da stichtagsbezogene Differenzierungen aufgrund der Funktionsgleichheit der beiden Arten der Abfindung8 nicht zu

1 Vgl. Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (115); Komp, Zweifelsfragen, S. 141; Seetzen, WM 1999, 565 (569). Dies hat ganz offensichtlich auch der gesetzgeberischen Regelungsabsicht entsprochen (vgl. BT-Drucks. 16/6699, 94 f.). 2 Vgl. OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (129); zweifelnd deshalb Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 32 Fn. 5 (mit Blick auf die parallele Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG). 3 Siehe etwa BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (139 f.) = AG 1998, 286; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 34; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 84; Klöhn, System, S. 283 a.E. 4 Vgl. (auch zu strukturgleichen umwandlungsrechtlichen Fragen) Adolff, Unternehmensbewertung, S. 421; Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (981 f.); Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (115); Popp, WPg 2008, 23 (28 f.); s. zu diesem Fragenkreis auch bereits oben Rz. 14.9. 5 Vgl. OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (129); Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 60; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 72; Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (116). 6 Siehe auch Adolff, Unternehmensbewertung, S. 422 Fn. 2281 a.E. 7 Zur speziellen Rechtslage auf Grundlage des § 39a Abs. 3 WpÜG näher Klöhn, System, S. 284 f. 8 Dazu näher Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 50.

404

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.35 § 14

begründen wären.1 Im Kontext des § 305 AktG ist dies nahezu allgemein anerkannt.2 Für den Sachbereich der Eingliederung kann nichts anderes gelten.3 Weithin anerkannt ist ferner, dass der Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses der abhängigen Gesellschaft den Stichtag auch für die Ermittlung des festen Ausgleichs nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG und des angemessenen Umrechnungsverhältnisses beim variablen Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG markiert.4 Im Umwandlungsrecht fehlt es in Bezug auf den Stichtag zur Bestimmung der Verschmelzungswertrelation (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 2, § 15 UmwG) ebenfalls an einer ausdrücklichen Vorschrift. Angesichts der in § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG für die Barabfindung getroffenen Regelung liegt es auch hier überaus nahe, den Zeitpunkt der Beschlussfassung der Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers als maßgebend anzusehen.5 Eine Dispositionsmöglichkeit der Parteien des Unternehmensvertrages6 ist hingegen nicht anzuerkennen.7

14.34

b) Der Abfindungsanspruch aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB Während für die Abfindung nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG und den Parallelvorschriften des Aktien- und Umwandlungsrechts mit dem Zeitpunkt der Beschlussfassung der Anteilseigner ein klarer zeitlicher Bezugspunkt für die Unternehmenswertfixierung definiert ist (Rz. 14.30 ff.), stellen sich die Dinge beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft (dazu § 24) auf Grundlage des Norminhalts des § 738 BGB (i.V.m. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG) als weniger deutlich dar.

1 Vgl. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 23, 34; Adolff, Unternehmensbewertung, S. 440 f. („gleichwertige Alternativen“). 2 Vgl. BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (139 f.); Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 50, 58 f.; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 84, 145; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 66; a.A. Beyerle, AG 1980, 317 (325). 3 Vgl. Hüffer/Koch, § 320b AktG Rz. 2. 4 Vgl. BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 (198) = AG 2006, 331; BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (139 f.) = AG 1998, 286; Hüffer/Koch, § 304 AktG Rz. 10; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 AktG Rz. 47; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 304 AktG Rz. 51; Adolff, Unternehmensbewertung, S. 441 f.; J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 64; teilweise abweichend Popp, WPg 2008, 23 (28 f.). Eine Vorverlagerung kommt nach herrschender Meinung auch dann nicht in Betracht, wenn bereits zuvor eine qualifiziert faktische Beherrschung bestanden hat (Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 AktG Rz. 47; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 73; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 66, a.A. Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 304 AktG Rz. 96; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 304 AktG Rz. 52). 5 So die mittlerweile herrschende Meinung, s. Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 7; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 5 UmwG Rz. 131; Adolff, Unternehmensbewertung, S. 420 ff.; Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (980); Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (114 ff.); a.A. Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 22 ff. (Tag des ersten Verschmelzungsbeschlusses eines der beteiligten Rechtsträger; s. aber Rz. 28 f.). 6 Dafür Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 32; vgl. ferner Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 28 f.; wohl auch BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167), allerdings beiläufig und ohne Bezugnahme auf den Streitstand. 7 Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 21; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 5 UmwG Rz. 131.

Hüttemann/Meyer 405

14.35

§ 14 Rz. 14.36

Dritter Teil: Querschnittsfragen

14.36 Anerkannt ist zwar, dass das Ausscheiden des Gesellschafters den maßgebenden Bewertungszeitpunkt markiert (vgl. § 738 Abs. 1, 2 a.E. BGB).1 Der Wortlaut des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB deutet allerdings auf stichtagsbezogene Besonderheiten hin. Denn es heißt hier, dass dem ausscheidenden Gesellschafter „dasjenige zu zahlen“ ist, „was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre.“ Diese gesetzliche Formulierung erweckt den Anschein, als sei für die Bestimmung des Unternehmenswerts der gesamte Zeitraum einer hypothetischen Liquidation einzubeziehen, so dass auch solche Ereignisse wertbeeinflussend wären, die erst während der Auseinandersetzungsphase, d.h. nach dem Stichtag, eintreten. Hierin läge eine Durchbrechung des Informationsabgrenzungsgehalts des Stichtagsprinzips (dazu Rz. 14.10 ff., 14.40 ff.).

14.37 Ein derartiges Verständnis könnte jedoch nicht überzeugen. Zwar kommt es für die Bemessung der Abfindung auf dasjenige an, was bei bestmöglicher Verwertung des Gesellschaftsvermögens erzielbar wäre.2 Bei der dahinter stehenden „Liquidationshypothese“ handelt es sich jedoch lediglich um eine Denkfigur, die zwar Folgerungen für die Einbeziehung potentiell wertbeeinflussender Faktoren zulässt, etwa alternativer Unternehmenskonzepte (dazu Rz. 7.45 ff.) und Synergien,3 aber nichts daran ändert, dass das Unternehmen in Wirklichkeit nicht veräußert, sondern weitergeführt wird.4 Der Verlust des in der Beteiligung verkörperten Vermögenswerts an die übrigen Gesellschafter tritt im Zeitpunkt des Ausscheidens ein (vgl. § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB), so dass auch für die Bemessung des Unternehmenswerts an diejenigen Verhältnisse anzuknüpfen ist, die zu diesem Zeitpunkt bestehen (dazu näher unten Rz. 14.40 ff., 14.56 ff.). Spätere Entwicklungen gehen den ausgeschiedenen Gesellschafter hingegen nichts mehr an.5

14.38 Für diese Lösung spricht auch der historische Befund: Im ersten BGB-Entwurf war, dem Vorbild des Art. 130 Abs. 1 ADHGB folgend, eine ausdrückliche Bezugnahme auf die „Vermögenslage zur Zeit des Ausscheidens“ enthalten gewesen (§ 658 Abs. 1 E I). Dieser Passus ist zwar von der Redaktionskommission gestrichen worden. Jedoch waren damit ganz offensichtlich keine inhaltlichen Änderungen bezweckt.6 Das hier abgeleitete Ergebnis deckt sich ferner mit dem Befund, dass § 738 BGB das gesetzgeberische Vorbild für die in § 305 AktG getroffene Regelung bildet,7 so dass ein Auseinanderlaufen der materiell-stichtagsbezogenen Vorgaben nicht überzeugend begründbar wäre.

14.39 Festzuhalten ist daher, dass sich aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB keine stichtagsbezogenen Besonderheiten ergeben. Das verweist auf das allgemeine Problem zurück, ob und welche nach-

1 Vgl. etwa BGH v. 21.4.1955 – II ZR 223/53, BGHZ 17, 130 (136); RG v. 22.12.1922 – II 621/11, RGZ 106, 128 (131 a.E.); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 19; Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 122; K. Schmidt, DB 1983, 2401 (2401). 2 Dazu näher Adolff, Unternehmensbewertung, S. 307 ff., S. 357 ff.; Hüttemann in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen bewerten, S. 151, 153 ff.; Lauber, Verhältnis, S. 48 ff. 3 Dazu Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (606 ff.). 4 Vgl. auch Lauber, Verhältnis, S. 54; K. Schmidt, DB 1983, 2401 (2403). 5 Vgl. Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 122. 6 Näher K. Schmidt, DB 1983, 2401 (2403); Schulze-Osterloh, ZGR 1986, 545 (549) sowie Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 53, der auf S. 44 ff. ausführlich auf die Entstehungsgeschichte eingeht. 7 Näher Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (604 f.); zu den engen Verbindungslinien zwischen beiden Normen eingehend Lauber, Verhältnis, S. 40 ff., S. 51 ff.

406

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.41 § 14

träglich erlangten Informationen über die Verhältnisse am Stichtag in die Unternehmensbewertung einbezogen werden können. Darauf ist nunmehr im Einzelnen einzugehen.

III. In die Wertermittlung einzubeziehende Informationen 1. Ausgangspunkt Die Reichweite der Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips (Rz. 14.10 ff.) 14.40 ist bei rechtsgeleiteten Bewertungen von wesentlicher Bedeutung, da eine vertragliche Regelung über die einzubeziehenden Informationen entweder bereits aus Rechtsgründen ausscheidet oder im praktischen Regelfall unterbleibt (vgl. Rz. 14.15). Bei nicht rechtsgeleiteten Bewertungen stellen sich gleichgerichtete Sachprobleme, wenn es an besonderen Bewertungsvorgaben fehlt (s. Rz. 14.14). Im Folgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, welche Erkenntnisse über das Unternehmen und sein Umfeld in die Wertermittlung einbezogen werden können, d.h. auf welcher Tatsachenbasis die Bewertung zu erfolgen hat (Rz. 14.41 ff.). Im Anschluss wird auf die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglich erlangter Informationen über die rechtlichen Verhältnisse des Unternehmens (Rz. 14.65 ff.) sowie auf die Rechtslage bei Veränderungen von Bewertungsstandards (Rz. 14.70 ff.) eingegangen. Keine oder lediglich akzidentielle Bedeutung kommt den sogleich herausgearbeiteten Zusammenhängen hingegen für diejenigen Fragenkreise zu, die in Rz. 14.17 ff. angesprochen worden sind (Bindung an das Unternehmenskonzept, Verbundeffekte etc.). Ein „Stichtagsprinzip im weiteren Sinne“ ist aus den dort genannten Gründen nicht anzuerkennen. 2. Berücksichtigungsfähige Tatsachen a) Die „Wurzeltheorie“ des BGH aa) Ursprung Prägend für den Meinungsstand über die Bewertungsrelevanz von Informationen, die nach dem Stichtag erlangt werden, ist ein Urteil des IV. Zivilsenats des BGH aus dem Januar 1973. Das Gericht wählte einen sehr weitgehenden Ausgangspunkt, indem es formulierte: „[Es] erscheint […] auch nicht unzulässig und, um die Unsicherheit bei der Bewertung des Zukunftsertrages möglichst einzuschränken, sogar angebracht, auch noch die während des Bewertungszeitraums erkennbare Entwicklung des Unternehmens, wozu hier die behauptete Veräußerung einer Unternehmensabteilung gehören könnte, mit zu berücksichtigen, ohne daß dadurch der Grundsatz des § 2311 BGB verletzt wird, nach welchem der Unternehmenswert zur Zeit des Erbfalls zu schätzen ist und daher auch die Ertragsprognose auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden muß.“1 Diese Herangehensweise hat das Gericht auch auf den Rechtsgedanken der im konkreten Sachbereich (Pflichtteilsberechnung) einschlägigen Regelung des § 2313 BGB gestützt,2 die einen Fremdkörper bildet und deshalb nicht verallgemeinerungsfähig ist (vgl. auch Rz. 14.61).3 Gleichwohl sind seine Ausführungen so zu verstehen, dass ihnen übergreifende Bedeutung für rechtsgeleitete Unternehmensbewertungen zukommen soll.

1 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511); Hervorhebung nur hier. 2 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511). 3 Dazu näher Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 227 ff.

Hüttemann/Meyer 407

14.41

§ 14 Rz. 14.42

Dritter Teil: Querschnittsfragen

14.42 Zugleich machten die Richter allerdings folgende, überaus bedeutsame Einschränkung: „Dagegen müssen spätere Entwicklungen, deren Wurzeln in der Zeit nach dem Bewertungsstichtag liegen, außer Betracht bleiben […].“1 Damit war die sog. „Wurzeltheorie“2 aus der Taufe gehoben, die hier als Ausnahme von der grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit „erkennbar gewordener Entwicklungen“3 in Erscheinung tritt. Zusammengefasst lautete die Aussage des Gerichts: „Entwicklungen, die nach dem Stichtag erkennbar geworden sind, können berücksichtigt werden (Regel), es sei denn, ihre Wurzeln liegen ebenfalls in der Zeit nach dem Stichtag (Ausnahme).“ Aus Stichtagssicht handelt es sich um ein rein objektives Kriterium, denn dem Gericht zufolge muss lediglich die Verwurzelung der Entwicklung, nicht jedoch ihre Erkennbarkeit am Bewertungsstichtag vorgelegen haben. bb) Folgeentscheidungen

14.43 In mehreren Entscheidungen aus der Folgezeit hat der BGH an diese Rechtsprechung angeknüpft. So heißt es in einem Urteil des II. Senats aus dem Jahr 1977: „Da sich [der Ertragswert] nach den in der Zukunft erzielbaren Einnahmeüberschüssen richtet, lassen sich aus späteren Ergebnissen Rückschlüsse auf den Unternehmenswert auch zu einem früher liegenden Stichtag ziehen. Es kann daher angebracht sein, die während des Bewertungszeitraums erkennbare Entwicklung des Unternehmens noch in die Bewertung einzubeziehen, soweit ihre Ursachen nicht erst nach dem Bewertungsstichtag eingetreten sind.“4 Auch hier tritt die Wurzeltheorie folglich als Einschränkung der grundsätzlichen Bewertungsrelevanz späterer Entwicklungen in Erscheinung.

14.44 In jüngerer Zeit formuliert das Gericht hingegen einschichtig, wenn es in einem Beschluss aus dem Jahr 1998 heißt: „Entwicklungen, die erst später eintreten, aber schon in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen angelegt sind, müssen berücksichtigt werden […].“5 Inhaltliche Unterschiede sind hiermit nicht verbunden,6 auch wenn das Gericht nicht mehr an später „erkennbare“, sondern an später „eingetretene“ Entwicklungen anknüpft. Auch später eingetretene Entwicklungen können nämlich nur dann berücksichtigt werden, wenn sie zugleich erkennbar waren (und auch erkannt wurden). Lediglich die gewählte Formulierung ist verbindlicher geworden („müssen berücksichtigt werden“).

14.45 Der so konturierten, rein objektiven Anknüpfung an die Verhältnisse am Stichtag ist der BGH allerdings nicht durchgängig gefolgt. Es lassen sich Entscheidungen nachweisen, in denen (zumindest auch) an die Voraussehbarkeit der jeweiligen Entwicklung am Stichtag, d.h. auf ein subjektiv gefärbtes Kriterium abgestellt wird.7 In einer jüngeren Entscheidung kombiniert

1 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511). 2 So BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (384). Es handelt sich aber selbstverständlich nicht um eine Theorie, sondern lediglich um eine Rechtsauffassung zu einem Sachproblem. 3 Vgl. erneut BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511). 4 BGH v. 28.4.1977 – II ZR 208/75, BB 1977, 1168 (1168 f.); vgl. auch BGH v. 17.11.1980 – II ZR 242/79, WM 1981, 452 (453). 5 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; vgl. auch BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122 = GmbHR 1999, 31, wo jedoch der in Rz. 14.17 ff. angesprochene Fragenkreis betroffen war. 6 Unrichtig Seetzen, WM 1999, 565 (570). 7 Vgl. BGH v. 12.2.1979 – II ZR 106/78, WM 1979, 432 (433); BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 (1319) sowie bereits BGH v. 31.5.1965 – III ZR 214/63, NJW 1965, 1589 (1590); vgl. auch RG v. 5.1.1908 – Rev. I. 197/07, RGZ 68, 1 (2 ff.).

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Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.48 § 14

das Gericht beide Ansätze, wenn es heißt: „[D]ie spätere tatsächliche Entwicklung [darf] nach der sog. Wurzeltheorie nur […] berücksichtigt werden, sofern sie in ihren Ursprüngen bereits am Stichtag angelegt und erkennbar war […].“1 Diese Äußerung ist jedoch nur beiläufig und in unzutreffender Bezugnahme auf das Urteil aus dem Januar 1973 erfolgt, wo gerade nicht auf die Erkennbarkeit am Stichtag, sondern während des nachfolgenden „Bewertungszeitraums“ abgestellt worden war.2 Hinreichende Anhaltspunkte für eine Absicht des erkennenden Senats für Landwirtschaftssachen, das Wurzelkriterium abzulösen oder zu modifizieren, lassen sich dieser Entscheidung folglich nicht entnehmen. Gleiches gilt für ein Urteil des II. Zivilsenats aus dem Jahr 2012, auch wenn es hier heißt: „Zumindest auf Grundlage der Ertragswertmethode ist es nicht möglich, stichtagsbezogen einen exakten, einzig richtigen Wert eines Unternehmens zu bestimmen […]. Durch eine abweichende tatsächliche Entwicklung der zugrunde gelegten Erträge wird die Bewertung nicht nachträglich als falsch entlarvt und unrichtig.“3 Da sich das Gericht an dieser Stelle nämlich nicht mit seiner bisherigen Rechtsprechung auseinandersetzt und es an jeder Abgrenzung zu dieser Rechtsprechung fehlt, kann darin ebenfalls keine Abkehr von den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen erblickt werden.4 Ebenfalls keine klare Wegweisung enthält der für Rechtsfragen der Unternehmensbewertung grundlegende „Stinnes“-Beschluss des II. Senats aus dem September 2015. Zu dem vorliegend diskutierten Problemkreis, der mangels Entscheidungserheblichkeit lediglich gestreift worden ist, findet sich keine belastbare Einordnung, da einerseits Anklänge an ein rein objektives Wurzelkriterium nachweisbar sind („am Stichtag schon angelegt“),5 während andererseits, ebenfalls beiläufig, auf eine subjektiv gefärbte Abgrenzung Bezug genommen wird („angelegt und vorhersehbar“).6 In ähnlich ambivalenter Weise spricht der XII. Senat in einer jüngeren Entscheidung einerseits von den „Erkenntnismöglichkeiten an diesem Stichtag“ und andererseits von „Entwicklungen“, die „am Stichtag schon angelegt waren“.7

14.46

Da die Wurzeltheorie mithin zu keiner Zeit aufgegeben wurde, sondern sich auch noch in jüngerer Zeit Anleihen an sie nachweisen lassen, wird man schlussfolgern können, dass sie nach wie vor einen Bestandteil der Rechtsprechung des BGH bildet. Ihren Bezugspunkt findet sie in der Prognosebildung über zukünftige Entwicklungen des Unternehmens und seines Umfeldes. Da das Wurzelkriterium ein objektives ist (sinngemäß: „in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen angelegte Entwicklungen“),8 besteht erheblicher Raum für rückschauende Betrachtungen und damit auch für Wertkorrekturen. Jedoch hat das Gericht in keiner seiner Entscheidungen Gesichtspunkte mitgeteilt, mit deren Hilfe sich bestimmen lässt, wann eine Entwicklung ihre Wurzeln bereits am Stichtag hat und wann nicht.

14.47

cc) Prognosebildung: Kritik Diese Abgrenzung erweist sich als undurchführbar. Denn dass tatsächlich eingetretene Entwicklungen ihre Ursachen stets in Zuständen der Vergangenheit haben, dürfte kaum zu be-

1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (384). BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511). BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167 a.E.). Gleiches gilt für die Ausführungen des XII. Senats in der Entscheidung BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 (265 f.) = NJW 2011, 2572. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (130) = AG 2016, 135. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, AG 2018, 439 (440 a.E.). Vgl. BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286.

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14.48

§ 14 Rz. 14.48

Dritter Teil: Querschnittsfragen

streiten sein.1 Das wird an folgendem Beispiel deutlich:2 Fragt man danach, ob bei einer Unternehmensbewertung, die auf den 31.3.1989 durchzuführen ist, diejenigen Veränderungen berücksichtigt werden müssen, die (rückblickend) infolge der deutschen Einheit eingetreten sind, so wäre dies bei konsequenter Anwendung des Kriteriums des BGH zu bejahen. Denn aus historischer Perspektive lässt sich schwerlich leugnen, dass die Wurzeln der deutschen Einheit vor dem Stichtag angelegt gewesen sind und letztlich in der Teilung Deutschlands liegen. Dass es hierauf für Zwecke der Unternehmensbewertung nicht ankommen kann, liegt auf der Hand.3

14.49 Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage, es reiche nicht aus, dass „sich rückblickend eine irgendwie geartete Kausalkette bis vor den Stichtag zurückverfolgen lässt“,4 mehr resignierend, denn zielführend.5 Gleiches gilt für Konkretisierungskriterien wie „gesetzmäßige Beziehung“,6 „wirtschaftliche Fassbarkeit“,7 „Angemessenheit“8 oder „Gewöhnlichkeit“.9 Die Wurzeltheorie ist mithin weder operational noch sachgerecht, soweit es um die Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen in die Wertermittlung geht.10 dd) Rechtsprechung der Instanzgerichte

14.50 Ungeachtet dieser Einwände findet die Wurzeltheorie auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte Widerhall.11 In vielen jüngeren Entscheidungen ist jedoch eine Modifikation 1 Gleichsinnig Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 10a; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 61; Hüttemann, CF 2016, 467 (472 f.); Komp, Zweifelsfragen, S. 145; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (859); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 44; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452); insoweit auch Meilicke, Barabfindung, S. 85 a.E.; J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 64; aus der Rechtsprechung vgl. OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10, AG 2012, 221 (222); abweichend die Überlegungen zur Kausalität bei Wollny, DStR 2017, 949 (951), die das dort erörterte, Verbundvorteile betreffende Rechtsanwendungsproblem (vgl. Rz. 14.19) aber nicht lösen, sondern lediglich überdecken (vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 404 ff.). 2 Vgl. OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (129 f.). 3 Eine Berücksichtigung im Ergebnis ablehnend zu Recht OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (130); für die erste Ölkrise auch OLG Celle v. 1.7.1980 – 9 Wx 9/79, AG 1981, 234 (234); im Hinblick auf die vergleichbare Problemlage der Finanzkrise für den Bewertungsstichtag 29.8.2007 differenzierend OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 (515). 4 So OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, AG 1984, 216 (218); s. auch OLG Zweibrücken v. 9.3.1995 – 3 W 133/92, 3 W 145/92, AG 1995, 421 (422); Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 34. 5 Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 76, wo sodann subjektiv abgegrenzt wird („bereits am Bewertungsstichtag erwartet wurden“); ähnlich OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553). 6 Vgl. Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383 (1403). 7 Vgl. OLG Zweibrücken v. 9.3.1995 – 3 W 133/92, 3 W 145/92, AG 1995, 421 (422). 8 OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86, AG 1988, 275 (276). 9 Vgl. OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 165, AG 2011, 560; Kollrus, MDR 2012, 66 (66). 10 Vgl. auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 61; Adolff, Unternehmensbewertung, S. 369 ff.; Hüttemann, CF 2016, 467 (472 f.); Komp, Zweifelsfragen, S. 144 ff.; Lausterer, Unternehmensbewertung, S. 136; Piltz, Unternehmensbewertung, S. 115 ff.; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (859); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452); Rz. 12.65. 11 Vgl. aus neuerer Zeit OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 (96) (vgl. aber die nachfolgende Fn.); OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, AG 2018, 753 (757 f.);

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Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.51 § 14

vorzufinden, die ihre Ursache in den vorstehend dargestellten Kritikpunkten hat und in der jüngeren Rechtsprechung des BGH immerhin gewisse Anklänge findet (vgl. die Nachweise in Rz. 14.45 f.): Die objektive Anknüpfung, die dem Wurzelkriterium immanent ist, wird ergänzt um ein subjektives Element, das etwa in der „Absehbarkeit“ oder „Erkennbarkeit“ der jeweiligen Entwicklung am Stichtag erblickt wird.1 In materieller Hinsicht läuft diese Rechtsprechung auf eine Aufgabe der Wurzeltheorie hinaus, denn der objektiven „Verwurzelung“ kommt aus den Gründen, die in Rz. 14.48 angeführt worden sind, keinerlei Abgrenzungskraft zu, so dass letztlich das subjektive Kriterium das entscheidende ist. Teilweise wird auch ganz offen ein subjektiver Ausgangspunkt gewählt.2 Es trifft daher zu, wenn im Schrifttum eine Hinwendung der Instanzgerichte zu einem „strengen“ Verständnis des Stichtagsprinzips (vgl. Rz. 14.11) beobachtet wird.3 ee) Spätere Erkenntnisse über präexistente Zustände Das Wurzelkriterium bereitet in der Gerichtspraxis nicht nur bei der rückschauenden Überprüfung von Zukunftsprognosen erhebliche Schwierigkeiten, sondern auch in Bezug auf Umstände, die am Stichtag bereits vorgelegen haben, aber zu dieser Zeit noch nicht erkannt wurden. Ein gutes Beispiel bilden Altlasten, und zwar sowohl finanzieller4 als auch sächlicher Art (insbesondere Grundstückskontaminationen).5 Bei konsequenter Anwendung der Wurzeltheorie kann kein Zweifel daran bestehen, dass derartige Sachverhalte stets bewertungsrelevant sind, denn wenn „später eintretende Entwicklungen“, die in den Verhältnissen am Stichtag „angelegt“ waren, berücksichtigungsfähig sind,6 muss dies erst recht für am Stichtag bereits

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KG v. 6.5.2015 – 2 W 144/13 SpruchG – Rz. 53 (juris); OLG München v. 5.5.2015 – 31 Wx 366/13, AG 2015, 508 (511); OLG Frankfurt v. 7.2.2012 – 5 U 92/11, AG 2012, 293 (294); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 165, AG 2011, 560; OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (52 a.E.). Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126); OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 (867); OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 (553); OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843); letztlich auch OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 (96): „nicht absehbar“; OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 8/14 (AktE) – Rz. 72 (juris): „nicht vorhersehbar“; Nachweise aus der Rechtsprechung bis 2011 bei Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (454 ff.). Vgl. OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 060/06, AG 2008, 28 (32) sowie OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 827 (830): „bei angemessener Sorgfalt“; in diese Richtung auch OLG Düsseldorf v. 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE), AG 2016, 861 (863): „damals noch nicht absehbar“. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (454 ff.) unter umfänglicher Analyse der Rechtsprechung bis 2011. Auf Basis derartiger Überlegungen hat sich das OLG Frankfurt für die Nichtberücksichtigung von Entwicklungen ausgesprochen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit am Stichtag als sehr gering einzuschätzen war (OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, AG 2016, 551 [553]); zu dieser Entscheidung Gießelmann/Meinert, GWR 2016, 143; Hüttemann, CF 2016, 467 (472). Das gefundene Ergebnis erscheint zwar richtig (Rz. 7.59), jedoch lässt sich die Ausklammerung von am Stichtag erkennbaren Szenarien nicht auf den Informationsabgrenzungsgehalt des Stichtagsprinzips stützen (Rz. 14.60; zu parallelen Fragestellungen oben Rz. 14.18 f.). Vgl. OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, AG 2018, 753 (757 f.) (Manipulation von Abgaswerten); OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09, ZIP 2010, 729 (732 f.). Vgl. OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (910); OLG Düsseldorf v. 2.4.1998 – 19 W 3/93 AktE, AG 1999, 89 (91). S. erneut BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286.

Hüttemann/Meyer 411

14.51

§ 14 Rz. 14.51

Dritter Teil: Querschnittsfragen

vorhandene Zustände gelten.1 Auch hier lassen sich allerdings Bestrebungen innerhalb der neueren instanzgerichtlichen Rechtsprechung nachweisen, das Wurzelkriterium subjektiv anzureichern und auf die Erkennbarkeit am Stichtag bzw. auf die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen abzustellen.2 b) Meinungsstand im Schrifttum

14.52 Die in der Gerichtspraxis zu beobachtende Meinungsvielfalt beim Verständnis der Wurzeltheorie spiegelt sich auch in den Stellungnahmen im Schrifttum wider: Teilweise wird an die Wurzeltheorie in ihrer ursprünglichen, objektiven Ausprägung angeknüpft.3 Andere kombinieren sie mit subjektiven Elementen,4 was – wie in Rz. 14.50 dargelegt – auf ihre Aufgabe hinausläuft. Teilweise wird, abhängig vom Bewertungsanlass, zwischen einer objektiven und einer subjektiven Erkennbarkeit unterschieden.5

14.53 Methodisch überzeugender erscheint es aus den vorstehenden Gründen demgegenüber, wenn im IDW S 1 ausschließlich subjektiv abgegrenzt wird, ohne dass das Wurzelkriterium Erwähnung findet: „Die Erwartungen der an der Bewertung interessierten Parteien über die künftigen finanziellen Überschüsse sowohl des Bewertungsobjekts als auch der bestmöglichen Alternativinvestition hängen von dem Umfang der im Zeitablauf zufließenden Informationen ab. Bei Auseinanderfallen des Bewertungsstichtags und des Zeitpunkts der Durchführung der Bewertung ist daher nur der Informationsstand zu berücksichtigen, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.“6

14.54 Diese Bezugnahme auf die „angemessene Sorgfalt“ am Bewertungsstichtag wird in der Literatur von vielen geteilt.7 Nimmt man die kombinatorischen Ansätze (vgl. Rz. 14.50, 14.52) hinzu, die, wie dargelegt, ebenfalls auf eine subjektive Abgrenzung hinauslaufen, so entspricht es heute der herrschenden Meinung, dass in Bezug auf die berücksichtigungsfähigen Informationen eine subjektive Anknüpfung stattzufinden hat. Damit geht ein vom ursprünglichen Ansatz des BGH (Rz. 14.42 f.) abweichendes Regel-Ausnahme-Verständnis einher: Heute wird 1 In diesem Sinne in der Tat OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, AG 2018, 753 (757 f.); OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 1/07 (AktE), AG 2009, 907 (910); vgl. aber OLG Düsseldorf v. 2.4.1998 – 19 W 3/93 AktE, AG 1999, 89 (91), soweit ergänzend angeführt wird, dass am Stichtag mit Altlasten „zu rechnen war“; dazu auch Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (862 a.E.). 2 OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09, ZIP 2010, 729 (733); zur Behandlung von Verdachtsfällen vgl. Rz. 14.61. 3 Vgl. Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 66; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383 (1403); Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 122 f.; Paul, BB 2016, 1073. 4 Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 76; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 9; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 78; Aha, AG 1997, 26 (29); Seetzen, WM 1994, 45 (46); Wollny, DStR 2017, 949 (950). 5 Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 370. 6 IDW S 1, Rz. 23; ebenfalls einen subjektiven Ansatz zugrunde legend Meyer, AG 2015, 16 (20 ff.); Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (858 ff.); weitere Nachweise im Folgenden. 7 Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74; Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 114; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 10a; Hüttemann, CF 2016, 467 (473); Kuckenburg, FuR 2012, 222 (227); Moxter, Grundsätze, S. 168 f.; Popp, WPg 2008, 23 (28); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 42 ff.; Ruthardt/ Hachmeister, WPg 2012, 451 (452 ff.); zur maßgebenden Person s. unten Rz. 14.60.

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Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.56 § 14

es vielfach als Regelfall angesehen, nachträglich erlangte Informationen nicht zu berücksichtigen. Etwas anderes soll nur ausnahmsweise bei Erkennbarkeit schon am Stichtag gelten.1 Diese Sichtweise wird allerdings nicht durchgängig geteilt. Einige Autoren sprechen sich für 14.55 eine größere Offenheit im Hinblick auf die Einbeziehung späterer Erkenntnisse aus.2 Es gehe nicht an, sehenden Auges Bewertungsannahmen zugrunde zu legen, die sich in der Realität als grundfalsch erwiesen hätten.3 Häufig habe dies eine Schlechterstellung von Minderheitsgesellschaftern zur Folge, welche nicht zu rechtfertigen sei.4 Das Erfordernis der vollen Abfindung führe zu der Notwendigkeit, die bis zum Entscheidungszeitpunkt bekannt gewordenen Tatsachen zu berücksichtigen.5 Die Abgrenzung der am Stichtag gerade noch vorhersehbaren von den für irrelevant erachteten späteren Entwicklungen sei angesichts der Interdependenz aller wirtschaftlichen Vorgänge oft genug nicht ohne Willkür möglich.6 Tatsachen seien „allemal besser als bloße Schätzungen aus vergangener Sicht.“7 Dieser Ansatz weist enge Verbindungslinien zur Wurzeltheorie in ihrer ursprünglichen Lesart (Rz. 14.41 ff.) auf, da die von seinen Vertretern befürwortete, grundsätzliche Anknüpfung an die tatsächlich eingetretenen Verhältnisse eine objektive ist.8 c) Stellungnahme aa) Zeitpunktbezogenheit der Bewertung Die zuletzt dargestellte Auffassung vermag nicht zu überzeugen, da sie mit der Zeitpunktbezogenheit einer jeden Unternehmensbewertung (Rz. 14.1) nicht zu vereinbaren ist.9 Be1 Siehe etwa Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74, A 76; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452 ff.); aus der Rechtsprechung: OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126); OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843); OLG Düsseldorf v. 6.4.2011 – I-26 W 2/06 (AktE) – Rz. 22 (juris). 2 Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 27a, § 305 AktG Rz. 59; Emmerich in FS Mestmäcker, 2006, 137 (143 f.); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 22 Rz. 41; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 374; Kollrus, MDR 2012, 66 (66); Meilicke, Barabfindung, S. 86 ff.; J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 64 f.; Seetzen, WM 1999, 565 (570) sowie aus der Rechtsprechung OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (52 a.E.); differenzierend Komp, Zweifelsfragen, S. 142 f. 3 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 59; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 22 Rz. 41; Meilicke, Barabfindung, S. 87 f.; J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 65. 4 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 27a; Emmerich in FS Mestmäcker, 2006, S. 137 (143 f.); vgl. auch Meilicke, Barabfindung, S. 86 f. (Hinweis auf den Informationsvorsprung von Mehrheitsgesellschaftern). 5 In diesem Sinne Meilicke, Barabfindung, S. 86 ff.; vgl. auch J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 64 a.E. („weitere Objektivierung der Unternehmensbewertung“). 6 Emmerich in FS Mestmäcker, 2006, S. 137 (143 f.). 7 OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (52 a.E.). 8 Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 59: „Ohnedies hindert, eine normale Entwicklung der Dinge unterstellt, nichts, spätere Entwicklungen grundsätzlich als bereits am Stichtag ’angelegt’ anzusehen […]“; ebenso Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 22 Rz. 41; ähnlich Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 374; Seetzen, WM 1999, 565 (570). 9 Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 60; Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (392 f.); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 45 f.

Hüttemann/Meyer 413

14.56

§ 14 Rz. 14.56

Dritter Teil: Querschnittsfragen

zieht man Tatsachen ein, die erst später eingetreten bzw. erkennbar geworden sind, so stellt man nicht auf „die Verhältnisse“ des Unternehmens am Stichtag (vgl. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) ab, sondern bewertet letztlich ein anderes Unternehmen, da die Unsicherheit über die zu erwartenden Entwicklungen eine entscheidende Wertdeterminante bildet.1 Wer meint, die Stichtagsbezogenheit der Bewertung sei lediglich „ein notwendiges Übel, aber nicht Selbstzweck“,2 verkennt, dass ein Unternehmenswert denknotwendig auf einen bestimmten Zeitpunkt festgestellt werden muss, da er sich im Zeitablauf stetig ändert. Übersetzt in die Perspektive eines ausscheidenden Gesellschafters bedeutet das: Für die Höhe der ihm zustehenden Abfindung sind die tatsächlichen Entwicklungen, die nach dem Bewertungsstichtag eintreten, irrelevant, so dass es ausschließlich auf die ex ante-Perspektive am Stichtag ankommt.3 Einzuräumen ist zwar, dass es im Nachhinein erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann, den Kenntnisstand und die Erwartungen am Stichtag zu rekonstruieren.4 Dem ist nötigenfalls mit Schätzungen beizukommen, die transparent gemacht werden müssen,5 nicht jedoch im Wege einer Übernahme von Ist-Daten (s. auch Rz. 12.64).

14.57 Spätere Ist-Zahlen können auch nicht über den Umweg einer „Plausibilitätskontrolle“6 einbezogen werden, um die auf den Stichtag gebildete Prognose zu bestätigen oder zu falsifizieren.7 Ein derartiges Vorgehen mag zwar intuitiv naheliegen (vgl. Rz. 34.57), führt jedoch denselben Rückschaufehler herbei, der sich einstellt, wenn diese Zahlen von vornherein zugrunde gelegt werden. Zutreffend führt der II. Zivilsenat des BGH aus: „Wenn einzelne, bei der Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode zugrunde gelegte Hilfsgrößen nicht wie prognostiziert eintreten, macht das die Unternehmensbewertung nicht unrichtig […]. Jede in die Zukunft gerichtete Prognose, insbesondere die der Ertragswertmethode eigene Beurteilung künftiger Erträge, ist ihrer Natur nach mit Unsicherheiten behaftet […]. 1 Näher Adolff, Unternehmensbewertung, S. 371; Moxter, Grundsätze, S. 169 ff.; ihm folgend Simon/ Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 34; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (860); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (454), wo zudem darauf hingewiesen wird, dass sich die Planungsunsicherheit im Risikozuschlag niederschlägt (vgl. auch unten Rz. 14.64); vgl. ferner Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 78 Fn. 200; nicht haltbar OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (52 a.E.) sowie insoweit auch die „Paulaner“-Entscheidung des BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90, AG 1996, 127 (129); zu ihr Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (393); vgl. auch Aha, AG 1997, 29 (33). 2 Vgl. Meilicke, Barabfindung, S. 88. 3 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126); OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – I-26 W 9/14 (AktE), AG 2016, 329 (331); s. auch OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, AG 2017, 832 (834 f.); Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 24; vgl. demgegenüber J. Schmidt, Recht der außenstehenden Aktionäre, S. 64 f. 4 Dazu Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 77. Dies dürfte auch der Grund für die in Teilen der Praxis vorzufindende Neigung sein, Ist-Zahlen einzubeziehen (vgl. LG München I v. 25.1.1990 – 17 HK O 17002/82 – Paulaner, AG 1990, 405 [405]; Seetzen, WM 1999, 565 [570]). 5 Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 77. 6 Vgl. etwa OLG Düsseldorf v. 11.5.2015 – I-26 W 2/13 (AktE) – Rz. 46, AG 2015, 573; OLG München v. 15.12.2004 – 7 U 5665/03, AG 2005, 486 (488); LG Hamburg v. 15.10.2015 – 403 HKO 42/14 – Rz. 43 ff. (juris); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 57; Kollrus, MDR 2012, 66 (66); Seetzen, WM 1999, 565 (570); umfängliche Nachweise aus der Rechtsprechung bei Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (455). 7 Piltz, Unternehmensbewertung, S. 117 f.; ablehnend auch Lausterer, Unternehmensbewertung, S. 137 ff.; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (455); s. aus der Rechtsprechung OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843); OLG Düsseldorf v. 31.3.2006 – I-26 W 5/06 AktE – Rz. 36 (juris).

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Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.60 § 14

Durch eine abweichende tatsächliche Entwicklung der zugrunde gelegten Erträge wird die Bewertung nicht nachträglich als falsch entlarvt und unrichtig.“1 Es können zwar Situationen auftreten, in denen die Prognosebildung auf einer fehlerhaften 14.58 Analyse der am Stichtag vorzufindenden Verhältnisse beruht.2 Den Bezugspunkt der Prüfung bilden aber auch in einem solchen Fall nicht die tatsächlich eingetretenen Entwicklungen, sondern die Verhältnisse am Stichtag. Den Ist-Zahlen kann hier allenfalls eine schwache Indizfunktion zukommen. Es sind sogar Fälle denkbar, in denen sich die Dinge durch Zufall prognosegemäß entwickelt haben, obwohl die Verhältnisse am Stichtag unzutreffend abgebildet worden sind. Dann ist die Prognose gleichwohl falsch und zu korrigieren. Aus dem Gesagten folgt, dass die Prognose niemals anhand von Ist-Daten abgeändert werden darf. Beruht sie aus Stichtagssicht auf fehlerhaften Annahmen, so ist vielmehr eine neue Prognose aufzustellen, die die zutreffend ermittelten Verhältnisse am Stichtag aufnimmt. Im Hinblick auf Bewertungsaufgaben, die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen betreffen, ist ferner zu bedenken, dass das Gesetz den Stichtag auf denjenigen Zeitpunkt fixiert, an dem die Anteilseigner über die abfindungsbegründende Maßnahme Beschluss fassen (s. Rz. 14.30 ff.). Das findet seinen Grund darin, dass die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen die Entscheidungsgrundlage bilden. Bezöge man spätere Entwicklungen mit ein, so setzte man – diesem Gedanken zuwider – einen Fehlanreiz, Spruchverfahren ohne Notwendigkeit in die Länge zu ziehen.3 Die Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips trägt ganz generell zur Planungssicherheit bei, weil sie zur Folge hat, dass sich die zu erbringenden Leistungen für alle Anspruchsbeteiligten in einem kalkulierbaren Rahmen bewegen.4

14.59

bb) Perspektive eines gedachten Unternehmenserwerbers Die Frage, welche Umstände zur Wertbildung am Stichtag beitragen, ist aus der Perspektive 14.60 eines gedachten Unternehmenserwerbers zu ermitteln.5 Sachverhalte, die ihm am Stichtag nicht bekannt sind und von ihm auch nicht erkannt werden können, haben keine Auswir1 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 (167 a.E.); gleichsinnig OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 827 (830); dem folgend auch Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (860); vgl. ferner die am Ende von Rz. 7.39 nachgewiesene Rechtsprechung. 2 Vgl. Komp, Zweifelsfragen, S. 147 a.E. 3 Vgl. Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (393); Lausterer, Unternehmensbewertung, S. 137; Piltz, Unternehmensbewertung, S. 117; Seetzen, WM 1994, 45 (46). 4 Vgl. Baldamus, AG 2005, 77 (80); Klöhn, System, S. 284. 5 Dazu ausführlich Hüttemann, CF 2016, 467 (468 ff.); Hüttemann, WPg 2007, 812 (814 f.); grundlegend Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (573 ff., 582 ff.); gleichsinnig Adolff, Unternehmensbewertung, S. 365 ff.; DVFA, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung, 2012, S. 8 ff.; s. auch Rz. 1.7, 7.50 ff.; mit Blick auf das Stichtagsprinzip: Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (392); Meinert, DB 2011, 2397 (2400); Meyer, AG 2015, 16 (21 ff.); vgl. auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132) = AG 2016, 135; OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17, ZIP 2018, 122 (126). Demgegenüber wird teilweise auf die Entscheidungsträger des Unternehmens abgestellt (Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 [862 ff.]: „entscheidungsorientiertes Stichtagsprinzip“; Rz. 12.65; gleichsinnig Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 [180 ff.]: „entscheidungsorientierte Wurzeltheorie“). Soweit die Informationsabgrenzungsfunktion nach dem hier vertretenen, tendenziell engen Ansatz (dazu oben Rz. 14.17 ff.) reicht, dürften sich freilich kaum praktische Unterschieden ergeben (vgl. auch Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 [862]; zur maßgebenden Perspektive bei Planung und Prognose ausführlich § 7). Von anderer Seite wird auf den Bewertenden Bezug genommen (Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG

Hüttemann/Meyer 415

§ 14 Rz. 14.60

Dritter Teil: Querschnittsfragen

kungen auf die Preisbildung und können deshalb nicht in die Bewertung einfließen.1 Bewertungsrelevant sind daher nur solche Informationen, die dem fiktiven Erwerber nach einer gründlichen Prüfung des Unternehmens zur Verfügung stünden, wobei zugunsten ausscheidender Minderheitsgesellschafter im Wege normativer Konkretisierung unterstellt werden kann, dass die Unternehmensleitung keine relevanten Informationen zurückhält.2 Dieser infolge einer Due Diligence-Prüfung erlangte Kenntnisstand deckt sich mit dem Kriterium der „angemessenen Sorgfalt“, wie es im IDW S 1 für zutreffend erachtet wird (s. Rz. 14.53).

14.61 Dabei ist kein Unterschied zu machen zwischen Informationen, die die Prognosebildung i.e.S. (Einschätzung der zukünftigen Entwicklungen) betreffen, und Erkenntnissen über den Unternehmenszustand am Stichtag.3 Denn aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers stellt sich die Problemlage als identisch dar. Auch das Marktumfeld ist einzubeziehen, da es in gleicher Weise wertbeeinflussend ist.4 Risiken sind mit angemessenen Wertabschlägen abzubilden.5 Hierhin zählen etwa potentielle Altlasten, die sich mit vertretbarem Aufwand weder verifizieren noch falsifizieren lassen.6 Auch für die Auswahl der Bewertungsmethode ist nicht auf den tatsächlichen späteren Verlauf, sondern auf die am Stichtag vorzufindenden Verhältnisse und erwartbaren Entwicklungen abzustellen.7 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass gesetzliche Vorschriften älteren Datums, die den Informationsabgrenzungsgehalt des Stichtagsprinzips punktuell durchbrechen, im Rahmen des methodisch Vertretbaren unangewendet zu lassen, jedenfalls aber eng auszulegen sind.8 So ist heute anerkannt, dass neben einer Abfindung zum Ertragswert für die in § 740 BGB angeordnete Teilnahme des Ausscheidenden an künftigen Gewinnen und Verlusten aus schwebenden Geschäften kein Raum mehr bleibt.9

14.62 Aus diesen sowie aus den in Rz. 14.48 f. mitgeteilten Gründen bildet die Wurzeltheorie einen Irrweg und ist aufzugeben. Diese Sichtweise ist mittlerweile im Vordringen befindlich.10 Wur-

1 2 3 4

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Rz. 10a; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 78 a.E.: „Sicht und Kenntnis eines ’sorgfältig arbeitenden’ Wirtschaftsprüfers“). Vgl. Meinert, DB 2011, 2397 (2400) sowie (allgemeiner) Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435). Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 371 f.; Hüttemann, CF 2016, 467 (473); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 43. Vgl. bereits Hüttemann, StbJb. 2000/2001, 385 (392 f.); s. auch Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452); a.A. Komp, Zweifelsfragen, S. 142 f.; wohl nur im Ausgangspunkt differenzierend Piltz, Unternehmensbewertung, S. 114 ff. Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 10a a.E.; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 9; Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 214 f.; s. aus der Rechtsprechung BGH v. 31.5.1965 – III ZR 214/63, NJW 1965, 1589 (1590): besondere politische Ereignisse; OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 (515); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 165, AG 2011, 560: jeweils Finanzkrise; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (130): deutsche Einheit; OLG Celle v. 1.7.1980 – 9 Wx 9/79, AG 1981, 234 (234): Ölkrise. Vgl. Meincke, Recht der Nachlaßbewertung, S. 228; dazu Rz. 7.39 f., 7.59. Vgl. OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12 – Rz. 114, AG 2015, 241. Vgl. zu diesem Fragenkreis Piltz, Unternehmensbewertung, S. 119. Zu § 2313 BGB s. bereits oben Rz. 14.41. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 740 BGB Rz. 3; Habermeier in Staudinger, Bearbeitungsstand 2003, § 740 BGB Rz. 1; Schulze-Osterloh, ZGR 1986, 545 (557 ff.); anders noch Neuhaus, Unternehmensbewertung, S. 123 u. S. 131 ff.; K. Schmidt, DB 1983, 2401 (2403 ff.). Vgl. Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 114; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 61; Adolff, Unternehmens-

416

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.64 § 14

zeltheoretische Überlegungen lassen sich auch nicht über die vielfach herangezogene Parallele zu den Grundsätzen über die bilanzrechtliche Wertaufhellung (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) aufrechterhalten.1 Denn einem gedachten Erwerber stehen etwaige wertaufhellende Informationen am Stichtag nicht zur Verfügung, so dass sie für ihn bedeutungslos und damit nicht wertbildend sind.2 Deshalb spielt es im Kontext der Unternehmensbewertung auch keine Rolle, ob man im Bilanzrecht einem objektiven oder einem subjektiven Wertaufhellungsverständnis folgt.3 cc) Kapitalisierungszinssatz Strukturgleiche Sachfragen stellen sich auch im Hinblick auf diejenigen Informationen, die bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes (dazu § 6) zu berücksichtigen sind, wenngleich sich hierzu kein vergleichbarer Streitstand gebildet hat.4 Es dürfte allgemein anerkannt sein, dass das Stichtagsprinzip auch für die Festlegung der Alternativinvestition Geltung beansprucht.5 In dieser Hinsicht ist ebenfalls von demjenigen Kenntnisstand auszugehen, der am Stichtag erlangt werden konnte.6 Nachträgliche Erkenntnisse sind unberücksichtigt zu lassen.7 Dies betrifft sowohl die zukünftige Zinsentwicklung, so dass die am Stichtag aktuelle Zinsstrukturkurve heranzuziehen ist,8 als auch die Bestimmung des Risikozuschlags.9

14.63

Tritt hingegen die Ausnahmesituation auf, dass in rechtlich zulässiger Weise vereinbart worden ist, nachträgliche Informationen über die Unternehmensentwicklung bei der Bewertung zu berücksichtigen (dazu Rz. 14.14 f.), so kann dies nicht ohne Einfluss auf den Kapitalisierungszinssatz bleiben. Für den betroffenen Zeitraum können dann nachträgliche Erkenntnisse

14.64

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bewertung, S. 369 ff.; Hüttemann, CF 2016, 467 (472 f.); Komp, Zweifelsfragen, S. 144 ff.; Lausterer, Unternehmensbewertung, S. 137 ff.; Meyer, AG 2015, 16 (18 ff.); Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 (859); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 43 ff.; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (452 ff.); Rz. 12.65. Hüttemann, CF 2016, 467 (473); vgl. demgegenüber OLG München v. 15.12.2004 – 7 U 5665/03, AG 2005, 486 (488); Bellinger, WPg 1980, 575 (583 a.E.); Kollrus, MDR 2012, 66 (66). Von „Wertaufhellung“ kann daher nur insoweit die Rede sein, wie später erlangte Informationen nach Maßgabe von Rz. 14.56 ff. ausnahmsweise Berücksichtigung finden können (in diesem Sinne Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung, S. 42). Piltz, Unternehmensbewertung, S. 119. Siehe dazu Herzig in FS Meilicke, 2010, S. 179 (183 ff.); Hüttemann in FS Priester, 2007, S. 301 (304 ff.); aus der Rechtsprechung: EuGH v. 7.1.2003 – C-306/99 – BIAO, BStBl. II 2004, 144 (155); BFH v. 15.9.2004 – I R 5/04, BStBl. II 2009, 100 (105 f.). Vgl. aber Moxter, Grundsätze, S. 171 f.; Schwetzler, WPg 2008, 890 (894 ff.); Wollny, DStR 2017, 949 (951 f.). OLG Stuttgart v. 19.3.2008 – 20 W 3/06, AG 2008, 510 (514); IDW S 1, Rz. 23; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 74, A 82; Peemöller, DStR 2001, 1401 (1402); Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 173 (179); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (451). Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 82; vgl. auch BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383 (1400 f.); Moxter, Grundsätze, S. 172. Teilweise abweichend Schwetzler, WPg 2008, 890 (895 ff.). Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE), AG 2016, 861 (863); OLG Frankfurt v. 16.7.2010 – 5 W 53/09 – Rz. 48 ff. (juris); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 24 ff. Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (454).

Hüttemann/Meyer 417

§ 14 Rz. 14.64

Dritter Teil: Querschnittsfragen

(spiegelbildlich) auch in Bezug auf die Alternativinvestition berücksichtigt werden. Darüber hinaus bleibt für einen Risikozuschlag kein Raum, soweit Ist-Zahlen einbezogen worden sind.1 3. Rechtliche Verhältnisse

14.65 Den Bezugspunkt der Diskussion über die Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips bilden, wie dargelegt, in erster Linie nachträgliche Informationen über das Unternehmen und sein Umfeld, d.h. über tatsächliche Umstände. Das wirft die Frage auf, ob Informationen über das rechtliche Umfeld, in dem das Unternehmen agiert, identisch zu behandeln sind. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht eine verbreitete Neigung, dies zu bejahen, wobei regelmäßig die Situation einer nachträglichen Veränderung der Rechtslage, und hier namentlich der Steuergesetze, in den Blick genommen wird.2

14.66 Der II. Zivilsenat des BGH ist von einer solchen, gleichförmigen Behandlung von Informationen über die Tatsachenbasis und das rechtliche Umfeld jedoch in seiner Entscheidung in der Rechtssache „Ytong“ teilweise abgewichen. Der Senat betont zwar im Ausgangspunkt, dass es auch in Bezug auf die „rechtlichen Strukturen des Unternehmens“ auf die Verhältnisse am Stichtag ankommt.3 Im Hinblick auf den jährlich zu zahlenden Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG sei jedoch die auf den Bruttogewinnanteil je Aktie entfallende Körperschaftsteuer „in Höhe des jeweils gültigen Steuertarifs“ abzuziehen.4 Einen Verstoß gegen das Stichtagsprinzip verneint der Senat, da es sich nach seiner Auffassung nur auf die Festlegung des zuzusichernden Gewinnanteils als fester Bruttogröße beziehe, nicht jedoch auf die darauf zu entrichtende Körperschaftsteuer, „die lediglich Ausfluss des erwirtschafteten Gewinns“ sei.5

14.67 Entgegen dieser Einschätzung hat das Gericht hier das Stichtagsprinzip in seinem Informationsabgrenzungsgehalt durchbrochen,6 da zu den „Verhältnissen der Gesellschaft“ am Stichtag (vgl. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) auch die Höhe der Körperschaftsteuer zählt, die als Aufwandposten unmittelbar wertbeeinflussend ist.7 Ob diese Abweichung aufgrund der Besonderhei1 Vgl. BayObLG v. 19.10.1995 – BReg.3 Z 17/90, AG 1996, 127 (130); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (454); a.A. Aha, AG 1997, 26 (33). 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 (96); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560 (563); OLG Stuttgart v. 19.3.2008 – 20 W 3/06, AG 2008, 510 (513 f.); IDW S 1, Rz. 23; Bungert, WPg 2008, 811 (821); Kuckenburg, FuR 2012, 222 (227); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (456 f.); allgemein für die rechtlichen Rahmenbedingungen Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435 f.); gleichsinnig BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (130 f.) = AG 2016, 135 („wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen des Unternehmens“, „wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse“). 3 BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362. 4 BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (60 ff.) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362; ebenso etwa OLG München v. 26.8.2018 – 31 Wx 382/15, AG 2018, 753 (757); OLG Stuttgart v. 28.9.2017 – 20 W 5/16, AG 2018, 765 (767); zu Folgefragen s. Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 88; Baldamus, AG 2005, 77 (82 ff.). 5 BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362; zum Streitstand vor Ergehen dieser Entscheidung näher Baldamus, AG 2005, 77 (80 f.). 6 Ebenso Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 90; Baldamus, AG 2005, 77 (82); Ruthardt/ Hachmeister, WPg 2012, 451 (457); a.A. Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (436). 7 In diese Richtung auch (in anderem Kontext) BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 (265 a.E.) = NJW 2011, 2572: „Ausgehend von dem im Zugewinnausgleich geltenden Stichtagsprinzip muss auch die bei einer Veräußerung anfallende Steuer nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen bemessen werden, die am Stichtag vorlagen.“

418

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.70 § 14

ten des angemessenen Ausgleichs nach § 304 AktG gerechtfertigt werden kann,1 wird unterschiedlich beurteilt,2 dürfte aber zu verneinen sein. Es erscheint nämlich wenig überzeugend, in Bezug auf eine einzelne Aufwandposition eine singuläre Ausnahme von den sonst geltenden Grundsätzen zuzulassen.3 Jedenfalls kann diese Rechtsprechung nicht auf Abfindungsfälle übertragen werden,4 und sie ist auch sonst nicht verallgemeinerungsfähig.5 Richtigerweise beanspruchen die obigen Ausführungen zur Reichweite der Informations- 14.68 abgrenzungsfunktion (Rz. 14.56 ff.) auch in Bezug auf die rechtlichen Verhältnisse des Unternehmens uneingeschränkt Geltung. Aus Sicht des Bewertenden sind die rechtlichen Verhältnisse nämlich in gleicher Weise wertbeeinflussend wie das tatsächliche Unternehmensumfeld.6 Folglich kann für die betreffenden Informationen nichts anderes gelten als für Tatsacheninformationen. Dies gilt sowohl für am Stichtag vorhandene rechtliche Verhältnisse, die erst nachträglich offenbar werden, als auch für Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen während des Prognosezeitraums. Abzustellen ist auch insoweit auf die Erkenntnismöglichkeiten eines gedachten Unterneh- 14.69 menserwerbers, der das Unternehmen und sein Umfeld am Stichtag einer gründlichen Prüfung unterzieht. Am Stichtag nicht aufgedeckte präexistente Rechtsverhältnisse sind in die Bewertung einzubeziehen, wenn ihr Bestehen bei angemessener Sorgfalt erkannt worden wäre. Später erlangte Informationen sind nur unter dieser Voraussetzung bewertungsrelevant. Was nachträgliche Veränderungen der rechtlichen Verhältnisse angeht, kommt es ebenfalls darauf an, ob sie aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers bereits am Stichtag wertbeeinflussend waren. Für Gesetzesänderungen wird man das annehmen können, wenn ihr Inkrafttreten bei Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen am Stichtag hinreichend wahrscheinlich gewesen ist.7 Hierbei handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls, so dass die vielfach vorzufindende Anknüpfung an ganz bestimmte Handlungen während des Gesetzgebungsverfahrens8 nicht überzeugend erscheint.9 Aus der Stichtagsperspektive eines gedachten Unternehmenserwerbers macht es im Übrigen keinen prinzipiellen Unterschied, ob das Gesetz nur für die Zukunft gilt oder (ausnahmsweise) rückwirkend in Kraft gesetzt wurde.10 4. Standardänderungen Damit ist zugleich eine wichtige Erkenntnis für die Frage gewonnen, inwieweit Änderungen von Bewertungsstandards, die nach dem Stichtag eingetreten sind, die Bewertung beeinflus1 Vgl. BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (61 f.) = AG 2003, 627 = GmbHR 2003, 1362. 2 Vgl. Baldamus, AG 2005, 77 (82 ff.). 3 Vgl. auch Popp/Ruthardt in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. C 85; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 90 f.; Baldamus, AG 2005, 77 (82). 4 OLG Stuttgart v. 19.3.2008 – 20 W 3/06, AG 2008, 510 (514). 5 Vgl. demgegenüber Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 94. 6 Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (435 f.). 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE), AG 2016, 584 (587); KG v. 6.5.2015 – 2 W 144/13 SpruchG – Rz. 58 (juris); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 146 ff., AG 2011, 560; Bungert, WPg 2008, 811 (821); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (436). 8 Vgl. Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 78; Bungert, WPg 2008, 811 (821 Fn. 62); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 451 (457); undeutlich IDW S 1, Rz. 23: „mit Wirkung für die Zukunft vom Gesetzgeber beschlossene[s] Steuerrecht“. 9 Ebenso Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (436); vgl. auch KG v. 6.5.2015 – 2 W 144/13 SpruchG – Rz. 58 (juris); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 148, AG 2011, 560. 10 Insoweit missverständlich IDW S 1, Rz. 23.

Hüttemann/Meyer 419

14.70

§ 14 Rz. 14.70

Dritter Teil: Querschnittsfragen

sen können (dazu eingehend § 15): Soweit hierdurch Änderungen des rechtlichen Umfeldes, insbesondere der Steuergesetze,1 zutreffend nachvollzogen werden, die nach Maßgabe der Ausführungen in Rz. 14.68 f. stichtagsrelevant sind, müssen die entsprechenden Standardanpassungen berücksichtigt werden, weil die ihnen zugrunde liegenden Rechtsänderungen wertbeeinflussend sind.2 Materiell geht es dabei nicht um eine Bindung an den (geänderten) Standard, sondern um die zutreffende Abbildung der reformierten Rechtslage. Insoweit, aber auch nur insoweit (vgl. Rz. 14.71), ist die Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips einschlägig. Umgekehrt dürfen Standardanpassungen, die durch Gesetzesänderungen nach dem Stichtag bedingt sind, grundsätzlich nicht angewendet werden.3 Geänderte Aussagen des IDW zur bestehenden Rechtslage entfalten keine Bindungswirkung.4

14.71 Keine Aussagekraft kommt der Informationsabgrenzungsfunktion hingegen in Bezug auf Standardänderungen zu, die lediglich Ausdruck besserer fachwissenschaftlicher Erkenntnis sind (Methodenverbesserungen). Denn die dem Stichtagsprinzip zugrunde liegende Zeitpunktbezogenheit der Bewertung (Rz. 14.1) findet ihren Anknüpfungspunkt in der Lage des Unternehmens einschließlich seines tatsächlichen und rechtlichen Umfeldes, d.h. in den wertbildenden Faktoren. Die Methodik der Wertfeststellung zählt nicht hierhin.5 Bewertungsstandards kommt auch kein Rechtsnormcharakter zu,6 so dass das Stichtagsprinzip keinerlei Aussagekraft für diesen Fragenkreis besitzt.

14.72 Die vorstehenden, hier bereits in der 1. Auflage befürworteten Abgrenzungen im Hinblick auf Aussagekraft und Reichweite des Stichtagsprinzips entsprechen im Kern derjenigen Sichtweise, zu der sich der II. Zivilsenat in seinem grundlegenden „Stinnes“-Beschluss aus dem September 2015 (s. Rz. 15.3 ff.) bekannt hat:7 Im Falle von Standardänderungen ist das Stichtags1 Vgl. den Überblick bei Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 52. 2 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135; Bungert, WPg 2008, 811 (814 f.); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (352). Gleiches gilt für Verhaltensannahmen, die von der Gesetzesänderung beeinflusst werden (näher Hüttemann, WPg 2008, 822 [823]). Etwaige Angaben über das Inkrafttreten des Standards sind für diesen Fragenkreis irrelevant. 3 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (125 f., 130 f.) = AG 2016, 135; Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 79; Bungert, WPg 2008, 811 (815); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (352). 4 Näher Hüttemann, WPg 2008, 822 (822 f.). 5 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (130 a.E., 132) = AG 2016, 135; OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 (765); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135 (138); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 f.); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439); insoweit auch Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 94; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – I-26 W 3/11 (AktE), AG 2012, 459 (460); Bungert, WPg 2008, 811 (816 f.); Schüppen, ZIP 2016, 393 (397); vgl. auch OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09, AG 2010, 798 (800). 6 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132) = AG 2016, 135; OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 (766); Fleischer, AG 2016, 185 (188 f.); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439); nicht überzeugend die Bezugnahme auf Art. 170 EGBGB durch BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, AG 2006, 41 (43); Bungert, WPg 2008, 811 (816 f.); diese Sichtweise gleichwohl verteidigend Mock, WM 2016, 1261 (1266 f.). 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (125 f., 130 ff.) = AG 2016, 135; dazu Hüttemann, CF 2016, 467 (471 f.); Meyer, WuB 2016, 336 (338 f.).

420

Hüttemann/Meyer

Stichtagsprinzip

Rz. 14.73 § 14

prinzip im Grundsatz nicht betroffen.1 Abweichendes gilt zum einen dann, wenn die neue Berechnungsweise eine Reaktion auf wirtschaftliche oder (steuer-)rechtliche Veränderungen nach dem Stichtag darstellt.2 In diesem Fall darf sie nicht zugrunde gelegt werden.3 Zum anderen ist das Stichtagsprinzip betroffen, wenn die neue Berechnungsweise auf Veränderungen reagiert, die am Stichtag bereits wertbeeinflussend gewesen sind, aber in der alten Methode noch keine Berücksichtigung gefunden haben.4 In diesem Fall muss die neue Berechnungsweise zugrunde gelegt werden.5 Im Hinblick auf Methodenverbesserungen, für die das Stichtagsprinzip nach den obigen 14.73 Ausführungen keine Aussagekraft besitzt, gilt dasselbe wie für diejenigen Fragestellungen, die in Rz. 14.17 ff. analysiert worden sind: Es handelt sich um ein Sachproblem der Bewertung, das ohne Bezugnahme auf das Stichtagsprinzip gelöst werden muss. Die besseren Gründe sprechen für die Berücksichtigungsfähigkeit von Methodenänderungen, sofern sie aus Sicht des erkennenden Gerichts zu angemesseneren Ergebnissen führen (s. auch Rz. 15.40 f.).6 Das ist der Fall, wenn die neue Methode eine größere Annäherung an den „wahren“ Unternehmenswert verspricht bzw. Fehler oder Unzulänglichkeiten der alten Methode vermeidet.7 Die von der Bewertung Betroffenen mögen sich zwar auf einen Unternehmenswert (bzw. Wertkorridor) eingestellt haben, der sich auf Basis des früheren Standards ergeben hätte.8 Dennoch ist kein Vertrauensschutz anzuerkennen, da die Gerichte ohnehin nicht an bestimmte Standardinhalte bzw. vom Abfindungsverpflichteten zugrunde gelegte Bewertungsmethoden bzw. Berechnungsweisen gebunden sind, so dass stets mit nachträglichen Korrekturen gerechnet werden muss.9 Ein Verstoß gegen die theoretischen Grundlagen der Ertragswertmethode ist

1 2 3 4 5 6

Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (125 f., 130 f.) = AG 2016, 135. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (125 f., 130) = AG 2016, 135. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. Näher Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 ff.); im Ausgangspunkt auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135; s. ferner OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 (765 f.); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135 (138); Castedello in WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Rz. A 79; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62 f.; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 810; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439 f.); Meyer, WuB 2016, 336 (339 f.); Popp, WPg 2017, 465 (467); a.A. noch BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, AG 2006, 41 (42 f.); OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 11/11 (AktE), AG 2012, 716 (719); OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09, AG 2010, 798 (800); s. auch OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 (791); OLG Zweibrücken v. 2.10.2017 – 9 W 3/14, AG 2018, 200 (202 f.); Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 94; Bungert, WPg 2008, 811 (816 ff.). 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131) = AG 2016, 135. 8 Vgl. etwa die Argumentation des OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – I-26 W 3/11 (AktE), AG 2012, 459 (460 f.). 9 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (127 ff.) = AG 2016, 135 (auch zur fehlenden Anwendbarkeit der Geschäftsgrundlagenlehre des bürgerlichen Rechts); OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14 – Rz. 32, AG 2017, 832; OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 (765 f.); OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 (426); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Fleischer, AG 2016, 185 (193 f.); Hüttemann, WPg 2008, 822 (822 ff.); zum vergleichbaren Problem der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung s. BGH v. 12.2.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (124) = AG 2011, 417 (ebenfalls im Kontext der Unternehmensbewertung).

Hüttemann/Meyer 421

§ 14 Rz. 14.73

Dritter Teil: Querschnittsfragen

ebenfalls nicht zu befürchten, da die Kenntnis einer fundamentalanalytischen Bewertungsmethode keine Voraussetzung für das Zustandekommen richtiger Marktpreise bildet.1

14.74 Soweit Verfahrensverzögerungen zu befürchten sind, ist dem nicht durch ein punktuelles „Rückwirkungsverbot“ zu begegnen, sondern es bedarf übergreifender Lösungswege, die im Schrifttum auch bereits vorgezeichnet worden sind.2 Nach Auffassung des BGH ist der Gewinn an Genauigkeit gegen den weiteren verfahrensrechtlichen und zeitlichen Aufwand abzuwägen.3 Das gelte insbesondere dann, wenn das Spruchverfahren zu dem Zeitpunkt, an dem die neue Berechnungsweise bekannt und anerkannt wird, bereits länger andauert.4 In der Gerichtspraxis ist diese Einschränkung dort praktisch geworden, wo die gutachterliche Wertermittlung nach der alten Methode erfolgt war.5 Allerdings wird man der Auswahl einer zielgenauen Bewertungsmethode im Regelfall ein höheres Gewicht beizumessen haben als der Verringerung von Aufwand und Verfahrensdauer (s. auch Rz. 15.36 f.).6 5. Fazit zur Informationsabgrenzung

14.75 Informationen über das zu bewertende Unternehmen, die nach dem Bewertungsstichtag erlangt worden sind, können nur ausnahmsweise Berücksichtigung finden. Hierfür ist erforderlich, dass sie einem gedachten Erwerber bei sorgfältiger Prüfung des Unternehmens bereits am Stichtag zur Verfügung gestanden hätten. Das gilt sowohl für Informationen, die die Prognosebildung betreffen, als auch für Erkenntnisse über den Unternehmenszustand am Stichtag. Derselbe Maßstab ist auch in Bezug auf Informationen über die rechtlichen Verhältnisse des Unternehmens anzulegen. Spätere Ist-Zahlen dürfen der Bewertung keinesfalls zugrunde gelegt werden. Die so umschriebene Informationsabgrenzungsfunktion des Stichtagsprinzips beschränkt sich auf wertbildende Faktoren. Auf die Methodik der Wertfeststellung bezieht sie sich hingegen nicht. Das von der Rechtsprechung entwickelte Wurzelkriterium ist aufzugeben, da die ihm zugrunde liegende objektive Abgrenzung weder operational noch sachgerecht ist.

1 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (132), wo zudem herausgestellt wird, dass in Ermangelung eines echten Verkaufsfalls kein Marktpreis gebildet, sondern ein solcher lediglich theoretisch geschätzt wird. 2 Hüttemann, WPg 2008, 822 (824 f.). 3 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131); zustimmend Hüttemann, CF 2016, 467 (471 f.); kritisch Schüppen, ZIP 2016, 393 (396). 4 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 (131), wo es weiter heißt, dass die Grundlagen der Schätzung im Spruchverfahren zwar methodensauber, aber mit verfahrensökonomisch vertretbarem Aufwand geschaffen werden müssten. 5 OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE), AG 2016, 864 (865); LG Dortmund v. 20.3.2017 – 18 O 158/05 (AktE) – Rz. 26 (juris); vgl. aber OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – I-26 W 8/15 (AktE), AG 2018, 399 (400 f.); anders jedenfalls dann, wenn, wie häufig (vgl. Popp, WPg 2017, 465 [467]), eine Alternativbewertung nach dem geänderten Standard erfolgt ist (OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14 [AktE] – Rz. 46 (juris); OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – I-26 W 10/15 [AktE], AG 2017, 754 [755]). 6 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (195 ff.); Meyer, WuB 2016, 336 (339 f.); Popp, WPg 2017, 465 (467 a.E.).

422

Hüttemann/Meyer

§ 15 Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . .

15.1

II. Der Stinnes-Beschluss des BGH . . . 1. Anlassfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorheriger Meinungsstand . . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . aa) Einzelne Oberlandesgerichte: Keine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mehrzahl der Oberlandesgerichte: Nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Lehre: Nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . bb) Einzelne Literaturstimmen: Methodenanpassungen versus Methodenverbesserungen . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensausgang . . . . . . . . . . . . . . 4. Reaktionen in Rechtsprechung und Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . .

15.4 15.4 15.5 15.6

III. Entfaltung der Einzelargumente . . . 1. Sachgründe für eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angemessene Abfindung als gesetzliches Bewertungsziel . . . . . b) Auswahl einer normzweckadäquaten Bewertungsmethode . .

15.6

15.9 15.12 15.12

15.14 15.15 15.19 15.20 15.21 15.21 15.23

c) Verschlechterungsverbot zugunsten abfindungsberechtigter Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Geringes Kostenrisiko der Antragsteller im Spruchverfahren . . . 2. Einwände gegen eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intertemporales Recht (Art. 170 EGBGB) . . . . . . . . . . . . b) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . c) Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Störung der Geschäftsgrundlage . e) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . f) Grenzpreisbestimmung . . . . . . . . g) Verbot überlanger Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.25 15.26 15.27 15.28 15.29 15.31 15.33 15.34 15.35 15.36 15.38

IV. Anwendung verbesserter Bewertungsweisen auf vergangene Bewertungsstichtage . . . . . . . . . . . . 15.39 1. Gebot der Berücksichtigung verbesserter Bewertungsstandards . . . . . 15.40 2. Vergleich mit anderen Fällen nachträglichen Erkenntnisfortschritts . . . . 15.42 V. Erkenntnisfortschritt durch neue Bewertungsstandards . . . . . . . . . . . . 15.43 1. Betriebswirtschaftlich und bewertungsmethodisch bessere Ergebnisse durch IDW S 1 2005 . . . . . . . . . . . . . 15.44 2. Überlegenheitsvermutung für einen neuen Expertenstandard . . . . . . . . . . 15.46

Schrifttum: Bungert, Rückwirkende Anwendung von Methodenänderungen bei der Unternehmensbewertung, WPg 2008, 811; Dörschell/Franken, Rückwirkende Anwendung des neuen IDW-Standards zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, DB 2005, 2257; Fleischer, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage. Der Stinnes-Beschluss des BGH zur Anwendung neuer Bewertungsstandards auf vergangene Bewertungsstichtage, AG 2016, 185; Großfeld, Barabfindung und Ausgleich nach §§ 304, 305 AktG, NZG 2004, 74; Hommel/Dehmel/Pauly, Unternehmensbewertung unter dem Postulat der Steueräquivalenz – Adjustierung der Discounted-Cashflow-Verfahren an das deutsche Steuerrecht, BB-Beilage 2005, Nr. 17, S. 13; Hüttemann, Zur „rückwirkenden“ Anwendung neuer Bewertungsstandards bei der Unternehmensbewertung, WPg 2007, 822; Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, CF 2016, 467; Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out“: Der Zeitaspekt in Gesetz, Rechtsprechung und Gutachterpraxis aus funktionaler Sicht, 2014; Kollrus, Unternehmensbewertung im

Fleischer 423

§ 15 Rz. 15.1

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Spruchverfahren, MDR 2012, 66; Lenz, Gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren: Die Rückwirkung geänderter Grundsätze zur Unternehmensbewertung auf den Bewertungsstichtag – zugleich Besprechung des BayObLG vom 28.10.2005 und des LG Bremen vom 18.2.2002, WPg 2006, 1160; Mock, Die rückwirkende Anwendung von Bewertungsstandards – zugleich Besprechung von BGH vom 29.9.2015 = WM 2016, 157, WM 2016, 1261; Popp, Zum Anwendungszeitraum von Bewertungsstandards – zugleich eine Anmerkung zum Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 28.8.2014 – 26 W 9/12, Der Konzern 2015, 193; Popp, Zum Anwendungszeitraum von Bewertungsstandards – zugleich eine Anmerkung zur BGH-Entscheidung vom 29.9.2015 – II ZB 23/14, WPg 2017, 465; Riegger/Wasmann, Das Stichtagsprinzip in der Unternehmensbewertung, FS Goette, 2011, S. 351; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze out, 2014; Ruthardt/Hachmeister, Zur Frage der rückwirkenden Anwendung von Bewertungsstandards, WPg 2011, 351; Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht. Zur Geltung und Wirkung privat gesetzter Regeln, 2014; Schüppen, Brot, Steine und Glatteis – Der „Solange-Beschluss“ des BGH zur Unternehmensbewertung unter rückwirkender Anwendung von IDW S 1 (2005), ZIP 2016, 393; Schwetzler, Unternehmensbewertung bei nicht zeitnaher Abfindung, FB 2008, 30; Wagner/Jonas/ Ballwieser/Tschöpel, Unternehmensbewertung in der Praxis. Empfehlungen und Hinweise zur Anwendung von IDW S 1, WPg 2006, 1005; Wagner/Willershausen, Zur Anwendung der Neuerungen der Unternehmensbewertungsgrundsätze des IDW S 1 i.d.F. 2008 in der Praxis, WPg 2008, 731; Wasmann/Gayk, SEEG und IDW ES 1 n.F., Neues im Spruchverfahren, BB 2005, 955; Wittgens/Redeke, Zu aktuellen Fragen der Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, ZIP 2007, 2015.

I. Problemaufriss 15.1 Intertemporales Privatrecht bestimmt, ob früheres oder neues Recht nach einer Gesetzesänderung anwendbar ist.1 In diesem Sinne beträfe intertemporales Bewertungsrecht die Abfolge von Bewertungsnormen in der Zeit. Zumindest für das Gesellschaftsrecht wäre dies allerdings ein wenig ergiebiges Thema, weil die beiden bewertungsrechtlichen Fundamentalnormen – § 738 BGB und § 305 AktG – seit Jahrzehnten unverändert in Geltung stehen.

15.2 Anders verhält es sich demgegenüber mit einer benachbarten Fragestellung: der intertemporalen Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards. Praktische Bedeutung erlangt sie dadurch, dass die vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (Rz. 3.22 ff.) in der Gerichtspraxis dominieren.2 Im Zeitablauf waren und sind dies: die Stellungnahme HFA 2/1983 Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen von 1983 („HFA 2/1983“)3, der IDW Standard S 1 Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen vom 28.6.2000 („IDW S 1 2000“)4, der IDW Standard S 1 Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen vom 18.10.2005 („IDW S 1 2005“)5 und der IDW Standard S 1 Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen vom 2.4.2008 („IDW S 1 2008“)6. Ändert sich 1 So Hess, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 7. 2 Vgl. etwa OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724, Leitsatz 3: „Als anerkannt und gebräuchlich ist derzeit nicht nur, aber jedenfalls auch das anzusehen, was von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in dem Standard S 1 sowie in sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaftslehre (FAUB) vertreten wird.“; aus dem Schrifttum Fleischer, AG 2014, 97 (100); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 13. 3 Abgedruckt in WPg 1983, 468. 4 Abgedruckt in WPg 2000, 825. 5 Abgedruckt in WPg 2005, 1303. 6 Abgedruckt in FN-IDW 7/2008, S. 271.

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Fleischer

Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.4 § 15

der Bewertungsstandard während eines Spruchverfahrens, so stellt sich die Frage, ob die Gerichte den neuen Standard nachträglich berücksichtigen dürfen oder sogar müssen (dazu auch Rz. 1.66, Rz. 14.70 ff. und Rz. 33.51). Kontrovers diskutiert wurde dies in jüngerer Zeit hauptsächlich für die nachträgliche Anwendung des IDW S 1 2005.1 Der BGH hat diese Streitfrage nunmehr für die Praxis in seinem Stinnes-Beschluss vom Sep- 15.3 tember 2015 dahin entschieden, dass ein neuer Bewertungsstandard (in casu: IDW S 1 2005) grundsätzlich auf vergangene Bewertungsstichtage angewendet werden kann.2 Im Folgenden werden zunächst dieses vielbeachtete Verfahren3 einschließlich seiner Vorgeschichte, der Verfahrensausgang sowie die Reaktionen in Rechtsprechung und Rechtslehre nachgezeichnet (Rz. 15.4 ff.). Sodann gilt die Aufmerksamkeit den Einzelargumenten, die für und gegen eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards vorgebracht wurden (Rz. 15.20 ff.). Schließlich wird untersucht, ob es ein Gebot zur Berücksichtigung verbesserter Standards gibt (Rz. 15.39 ff.) und ob neue Standards zugleich auch verbesserte Standards sind (Rz. 15.43 ff.).

II. Der Stinnes-Beschluss des BGH 1. Anlassfall Entzündet hat sich der Rechtsstreit an dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre des Logis- 15.4 tikunternehmens Stinnes gemäß § 327a AktG durch Hauptversammlungsbeschluss vom 17.2.2003. Als Barabfindung hatte der Hauptaktionär, eine 100%ige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, ursprünglich einen Betrag von 39,85 Euro je Aktie festgelegt. In einem Vergleich zur Beilegung mehrerer Anfechtungsklagen gegen den Hauptversammlungsbeschluss wurde die Barabfindung kurz darauf auf 52 Euro erhöht. Im Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung zum maßgeblichen Bewertungsstichtag, dem 17.2.2003, zog der vom LG Düsseldorf bestellte Sachverständige die vom Institut der Wirtschaftsprüfer entwickelten Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen heran. Auf der Grundlage des IDW-Standards S 1 2000 ermittelte er einen Abfindungsbetrag von 65,48 Euro je Stinnes-Aktie, auf der Grundlage des IDW-Standards S 1 2005 einen Betrag von 48,94 Euro je Aktie. Das LG Düsseldorf legte die Barabfindung auf 57,77 Euro fest. Es zog dabei den IDW S 1 2000 heran und stützte sich im Kern auf die Berechnung des Sachverständigen, nahm jedoch einige Korrekturen vor. Im Beschwerdeverfahren hielt es das OLG Düsseldorf für entscheidungserheblich, ob im konkreten Fall IDW S 1 2000 oder IDW S 1 2005 anzuwenden sei. Es legte daher dem BGH die Frage vor, „ob und ggfs. unter welchen Umständen eine in der Wirtschaftswissenschaft angewendete Bewertungsmethode, hier des IDW S 1 2005, rückwirkend anzuwenden ist“4. Der BGH bejahte die Zulässigkeit der Vorlage, weil das OLG Düsseldorf und das OLG Frankfurt in dieser (Rechts-)Frage unterschiedliche Ansichten vertraten.5 1 Näher 1. Aufl. § 13 Rz. 3 ff. 2 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135. 3 Dazu etwa Fleischer, AG 2016, 185; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 261 ff.; Hüttemann, CF 2016, 467 (472 ff.); Mock, WM 2016, 1261; Popp, WPg 2017, 465; Schüppen, ZIP 2016, 393. 4 OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – 26 W 9/12, AG 2014, 817 (818); dazu Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 252 ff. (Egger war als OLG-Richter an diesem Verfahren beteiligt); Popp, Der Konzern 2015, 193. 5 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 7 ff. = AG 2016, 135; dazu Fleischer, AG 2016, 185 (188 f.).

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§ 15 Rz. 15.5

Dritter Teil: Querschnittsfragen

2. Vorheriger Meinungsstand

15.5 Zum besseren Verständnis der Vorlagefrage und der Entscheidungsbegründung des BGH ist es ratsam, zunächst einen Blick auf den vorherigen Meinungsstand in Rechtsprechung und Rechtslehre zu werfen, der im Stinnes-Beschluss des BGH nicht näher aufbereitet wird. a) Rechtsprechung aa) Einzelne Oberlandesgerichte: Keine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards

15.6 Einzelne Oberlandesgerichte hatten sich gegen eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards ausgesprochen. Den Anfang machte das BayObLG mit einem Beschluss aus dem Jahre 2005. Es rekurrierte für die Frage, welche Bewertungsgrundsätze in länger dauernden Spruchverfahren anzuwenden sind, auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts.1 Konkret zog es Art. 170 EGBGB heran, wonach für ein Schuldverhältnis, das vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs entstanden ist, die bisherigen Gesetze maßgebend bleiben. Diese Vorschrift enthalte einen allgemeinen Rechtsgedanken, der einem Rückgriff auf neue Bewertungsstandards in einem laufenden Spruchverfahren grundsätzlich entgegenstehe.2 Gleiches folge aus Art. 6 EMRK, wonach eine gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit ergehen müsse.3 Das OLG München hat diese Rechtsprechungslinie im Kern fortgeführt4 und um die Erwägung ergänzt, dass außenstehende Aktionäre eine Beeinträchtigung ihrer Rechte allein durch Zeitablauf nicht hinnehmen müssten.5 Immerhin relativierte der Senat seinen Beschluss aus dem Jahre 2006 durch den Hinweis, dass sich eine andere Beurteilung ergeben könne, wenn die neuen Bewertungsgrundsätze eine nachvollziehbare methodische Verbesserung enthielten, so dass die gerichtliche Verpflichtung der Festsetzung einer angemessenen Abfindung deren sofortige Anwendung erfordern würde.6

15.7 Das OLG Düsseldorf hatte zunächst im Anschluss an das BayObLG im Jahre 2006 entschieden, dass der allgemeine Rechtsgedanke des Art. 170 EGBGB einer nachträglichen Anwendung neuer Bewertungsstandards entgegenstehe7 und dass IDW S 1 2005 keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn gegenüber IDW S 1 2000 verspreche.8 Von diesem Standpunkt ist derselbe Senat im Jahre 2009 aber wieder abgerückt. Danach sollten neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Abweichung vom Stichtagsprinzip Anwendung finden, wenn dies zu besseren Ergebnissen führe.9 Allerdings stelle der Anfall der Ertragsteuern auf Unternehmens- und auf Anteilseignerebene keine neue wissenschaftliche Erkenntnis dar, weil in der sog. Nachsteuerbetrachtung lediglich eine neue Betrachtungsweise zum Ausdruck komme.10 Später ist der Se1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, NZG 2006, 156, Leitsatz 2. Vgl. BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, NZG 2006, 156 (157). Vgl. BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, NZG 2006, 156 (157). Vgl. OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411 (412); ferner OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 060/06, BB 2007, 2395 (2396) = AG 2008, 28. Vgl. OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411 (412). Vgl. OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411 (412). Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.9.2006 – 26 W 8/06 – juris-Rz. 36, BeckRS 2007, 06686. Vgl. OLG Düsseldorf v. 7.5.2008 – 26 W 16/06 – juris-Rz. 14, BeckRS 2008, 17151. Vgl. OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE), WM 2009, 2220 (2225); ebenso bereits die Vorinstanz LG Dortmund v. 19.3.2007 – 18 AktE 5/03, AG 2007, 792 (794). So OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE), WM 2009, 2220 (2225) im Anschluss an LG Dortmund v. 19.3.2007 – 18 AktE 5/03, AG 2007, 792 (794).

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.9 § 15

nat aber wieder auf die ursprüngliche Linie umgeschwenkt.1 In seinem Vorlagebeschluss vom August 2014 hielt er es für sachgerecht, bei der Unternehmensbewertung in einem Spruchverfahren grundsätzlich die am Tag der zugrunde liegenden Unternehmensmaßnahme geltenden Bewertungsgrundsätze anzuwenden.2 Dies gelte jedenfalls dann, wenn der zum späteren Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltende Bewertungsstandard allein wegen des geänderten Standards zu so gravierenden Abweichungen führe, dass die Beteiligten damit nicht rechnen müssten, und der neue Standard selbst umstritten sei.3 Ohne nähere Sachauseinandersetzung mit der Frage hatte sich schließlich auch das KG im Jahre 2011 der Auffassung des BayObLG angeschlossen.4 Die Anwendung der alten IDW-Fassung, so hieß es in einem Satz, werde aus Sicht des Senats dem Umstand gerecht, dass es sich um die am für die Bewertung maßgeblichen Stichtag geltende Fassung handele und das die neue Fassung aus dem Jahre 2005 nicht als generell überlegen angesehen werden könne.5

15.8

bb) Mehrzahl der Oberlandesgerichte: Nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards Die Mehrzahl der Oberlandesgerichte hielt es demgegenüber für zulässig oder sogar geboten, 15.9 in einem laufenden Spruchverfahren nachträglich einen neuen Bewertungsstandard anzuwenden. In diesem Sinne positionierte sich zunächst das OLG Celle in einem Beschluss aus dem Jahre 2007: Das Spruchverfahren diene dem Ziel, den wahren Unternehmenswert zu ermitteln, um einen gerechten Ausgleich für die weichenden Aktionäre festzusetzen.6 Daher spreche vieles dafür, auf die neueste Bewertungsmethode abzustellen, weil diese am ehesten geeignet scheine, dieses Ziel zu erreichen.7 Ebenso hatte sich zuvor bereits das LG Bremen im Jahre 2002 geäußert.8 Auch das OLG Karlsruhe sah sich 2008 nicht gehindert, Bewertungsmaßstäbe nach IDW S 1 2005 zur Überprüfung der Angemessenheit des Unternehmenswertes ergänzend heranzuziehen.9 Bei der Bewertung der Angemessenheit eines Unternehmenswertes sei nicht wie bspw. im Falle einer Beurteilung eines Fehlers in einem Arzthaftungsprozess nur der Standard zum Behandlungszeitpunkt – hier des Bewertungsstichtags – allein maßgeblich. Wirtschaftliche Prozesse unterlägen der dauernden Fortentwicklung und könnten deshalb zu besseren oder präziseren Bewertungsmethoden führen, die im Rahmen von Kontrollüberlegungen auch ergänzend herangezogen werden könnten, um einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang methodisch und rechnerisch genauer zu bewerten oder zu plausibilisieren.10 Nachfolgende Beschlüsse des Senats haben diese Rechtsprechung bestätigt und dahin präzisiert, dass bei einem Rückgriff auf die IDW-Standards in der Regel der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuelle Standard zu berücksichtigen sei.11

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – I-26 W 3/11 (AktE), AG 2012, 459. Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817. Mit dieser Einschränkung OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817. Vgl. KG v. 19.5.2011 – 2 W 154/08, AG 2011, 627. So KG v. 19.5.2011 – 2 W 154/08, AG 2011, 627 (628). Vgl. OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (866). So ausdrücklich OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (866). Vgl. LG Bremen v. 18.2.2002 – 13 O 458/96, AG 2003, 214 (215). Vgl. OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (50). So ausdrücklich OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (50). So OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765; ferner OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603.

Fleischer 427

§ 15 Rz. 15.10

Dritter Teil: Querschnittsfragen

15.10 Auf derselben Linie lag die jüngere Rechtsprechung des OLG Stuttgart. Der für das Gesellschaftsrecht zuständige 20. Zivilsenat hatte die generelle Frage, ob IDW S 1 2005 für Bewertungsanlässe mit Stichtagen in der Vergangenheit angewendet werden könne, in verschiedenen Beschlüssen zunächst offengelassen1: Die Gerichte seien weder gehalten noch gehindert, im Laufe eines Spruchverfahrens geänderte IDW-Bewertungsgrundsätze als neuere Erkenntnisquelle für künftige Entwicklungen aus Sicht des Bewertungsstichtags ergänzend heranzuziehen.2 Dies gelte jedenfalls dann, wenn keine vollständige Neubegutachtung erforderlich sei.3 Dabei betonte der Senat einerseits den Gesichtspunkt nicht hinzunehmender Verfahrensverzögerung4, unterstrich andererseits aber die Möglichkeit, frühere Unternehmensbewertungen im Lichte neuerer Erkenntnis zu überprüfen.5 In Fortentwicklung seiner Position sprach sich der Senat sodann 2011 dafür aus, bei einem Rückgriff auf die IDW-Bewertungsgrundsätze die jeweils aktuelle Fassung anzuwenden.6 Nachfolgende Beschlüsse haben diese Senatsrechtsprechung fortgeführt.7

15.11 Schließlich hat sich auch das OLG Frankfurt dem neueren Trend zur Anwendbarkeit des aktuellen Standards angenähert8, nachdem es ursprünglich auf den am Bewertungsstichtag geltenden IDW-Standard abgestellt hatte.9 Zwei Beschlüsse aus den Jahren 201010 und 201111 distanzierten sich vorsichtig von dieser Rechtsauffassung, indem sie die Grundsatzfrage offenließen und stattdessen auf die Besonderheiten des Einzelfalls abstellten. Im Jahre 2014 erklärte das OLG Frankfurt sodann zwar, dass vom Grundsatz her die zum Bewertungszeitpunkt anerkannten Methoden und Standards der gerichtlichen Schätzung des Unternehmenswertes anzuwenden seien.12 Zugleich fügte es aber hinzu, dass bei entsprechender Bedeutung für das Bewertungsergebnis dann anders zu verfahren sei, wenn der neue Standard mit einem in Wissenschaft und Praxis anerkannten und dem Gericht nachvollziehbaren echten Erkenntnisfortschritt verbunden sei.13 Gemünzt auf den konkreten Fall verlieh es seiner Überzeugung Ausdruck, dass es sich bei der Neuformulierung des Standards IDW S 1 2005 gegenüber dem Standard IDW S 1 2000 um einen in der Wissenschaft und Praxis anerkannten Paradigmenwechsel handele, der mit einem echten Erkenntnisfortschritt verbunden sei.14

1 Vgl. OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, NZG 2007, 112 (115, 116) = AG 2007, 128; OLG Stuttgart v. 16.2.2007 – 20 W 6/06, NZG 2007, 302 (309) = AG 2007, 209; zuletzt OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08 – juris-Rz. 156, AG 2010, 510 (kein Volltext). 2 So ausdrücklich OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, AG 2007, 128 = NZG 2007, 112, Leitsatz 1. 3 Vgl. OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, NZG 2007, 112 (116) = AG 2007, 128. 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, NZG 2007, 112 (116) = AG 2007, 128; OLG Stuttgart v. 16.2.2007 – 20 W 6/06, NZG 2007, 302 (309) = AG 2007, 209. 5 Vgl. OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, NZG 2007, 112 (116) = AG 2007, 128. 6 Vgl. OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420. 7 Vgl. OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 6/09, AG 2012, 839; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (implizit). 8 Vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 9 Vgl. OLG Frankfurt v. 26.8.2009 – 5 W 35/09, BeckRS 2010, 29010. 10 Vgl. OLG Frankfurt v. 20.12.2010 – 5 W 51/09 – juris Rz. 43. 11 Vgl. OLG Frankfurt v. 29.3.2011 – 21 W 12/11 – juris Rz. 38, AG 2011, 629. 12 Vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 13 So OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 14 So OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.13 § 15

b) Schrifttum aa) Herrschende Lehre: Nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards Das Meinungsbild im Schrifttum präsentierte sich einheitlicher als die obergerichtliche 15.12 Spruchpraxis: Nach ganz überwiegender Lehre war die nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards in einem laufenden Spruchverfahren von Rechts wegen in der Regel geboten.1 Dies galt sowohl für die Kommentarliteratur2 als auch für Zeitschriften- und Festschriftenbeiträge3 sowie Urteilsbesprechungen4 und Monographien5. Variierend führte eine prominente Literaturstimme aus, dass eine neue Methode jedenfalls dann anzuwenden sei, wenn sie einen klaren Fehler korrigiere oder sonst so überzeugend besser sei, dass verständige Partner sich schon früher darauf eingelassen hätten.6 Als ein Hauptargument wurde hervorgehoben, dass die Gerichte nur solche Bewertungsmethoden anwenden dürften, die den objektivierten Unternehmenswert bestmöglich abbilden.7 Daher seien sie gehalten, in allen noch anhängigen Bewertungsverfahren die neuesten

1 Vgl. Dörschell/Franken, DB 2005, 2257 (begrenzt auf die Dauer des Halbeinkünfteverfahrens); Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 8 SpruchG Rz. 4a; Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 ff.); Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out“, S. 242 ff.; Kollrus, MDR 2012, 66 (68); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 60; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439 f.); Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 20; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353, 359); Schwetzler, FB 2008, 30 (37); Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 45; Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 63; Veil in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 80; Wagner/ Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1007); Wasmann/Gayk, BB 2005, 955 (957); Wittgens, AG 2007, 106 (112); Wittgens/Redeke, ZIP 2007, 2015 (2016); grundsätzlich auch Lenz, WPg 2006, 1160 (1165 ff.); offen Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 52c. 2 Vgl. Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 8 SpruchG Rz. 4a; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 61; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 20; Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 43 ff.; Stephan in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 63; Veil in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 80; offen Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 52c. 3 Vgl. Dörschell/Franken, DB 2005, 2257; Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 ff.); Kollrus, MDR 2012, 66 (68); Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439 f.); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353, 359); Schwetzler, FB 2008, 30 (37); Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1007); Wasmann/Gayk, BB 2005, 955 (957); Wittgens, AG 2007, 106 (112); abw. Schwichtenberg/ Krenek, BB 2012, 2127 (2133 f.). 4 Vgl. Wittgens/Redeke, ZIP 2007, 2015 (2016); grundsätzlich auch Lenz, WPg 2006, 1160 (1165 ff.). 5 Vgl. die betriebswirtschaftliche Doktorarbeit von Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out“, S. 242 ff. 6 So Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 243. 7 Vgl. Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out“, S. 249; Riegger/ Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 61; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353, 359); Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 45; ferner Lenz, WPg 2006, 1160 (1166); sowie Hüttemann, WPg 2008, 822 (823): „Einziger Maßstab für die Angemessenheit einer Abfindung ist die tatrichterliche Überzeugung von der sachlichen Eignung eines Bewertungsverfahrens. Es gibt mithin keine Denkverbote und keine Bindung an ‚veraltete‘ Bewertungsmethoden.“

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15.13

§ 15 Rz. 15.13

Dritter Teil: Querschnittsfragen

wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuwenden1, so wie sie auch eine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung zu berücksichtigen pflegen2. Nur so ließen sich falsche Bewertungsergebnisse vermeiden.3 Dies sei bei der Wahl zwischen IDW S 1 2000 und IDW S 1 2005 besonders wichtig, weil sich die Bewertungsunterschiede zwischen beiden Standards in einer Größenordnung von 20 bis 30 % bewegten.4 Bei einem Rückwirkungsverbot des verbesserten Bewertungsstandards IDW S 1 2005 werde daher das Bewertungsziel der §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG grob verfehlt, und der Kompensationsschuldner müsse womöglich eine unangemessen hohe Abfindung leisten.5 bb) Einzelne Literaturstimmen: Methodenanpassungen versus Methodenverbesserungen

15.14 Einzelne Literaturstimmen unterschieden demgegenüber zwischen Methodenanpassungen und Methodenverbesserungen6: (a) Methodenanpassungen beruhten auf Änderungen der normativen – zumeist steuerlichen – Rahmenbedingungen. Sie sollten rückwirkend angewendet werden, begrenzt durch den Zeitpunkt, in dem sich die normativen Rahmenbedingungen geändert haben.7 (b) Methodenverbesserungen beruhten demgegenüber auf einer Weiterentwicklung der betriebswirtschaftlichen Methodik. Sie sollten grundsätzlich keine rückwirkende Anwendung finden.8 Etwas anderes sollte ausnahmsweise dann gelten, wenn der geänderte Bewertungsstandard überwiegend rückanzuwendende Methodenanpassungen enthalte, mit denen eine geringfügige Methodenverbesserung untrennbar verbunden sei.9 3. Verfahrensausgang

15.15 Der BGH hat sich im Kern der in der obergerichtlichen Spruchpraxis und im Schrifttum vorherrschenden Auffassung angeschlossen. Für den konkreten Fall entschied er, dass die Schätzung des Unternehmenswerts auf der Grundlage des nach IDW S 1 2005 ermittelten Wertes von 48,94 Euro je Aktie zu erfolgen habe, und nicht nach dem gemäß IDW S 1 2000 ermittelten Wert.10 Losgelöst von den Fakten des Falles und leitsatzförmig verdichtet sprach 1 Vgl. Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 8 SpruchG Rz. 4a; Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out“, S. 250; Lenz, WPg 2006, 1160 (1166); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353, 359); Veil in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 80; grundsätzlich auch Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 61. 2 Vgl. Lenz, WPg 2006, 1160 (1165); Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 46; außerdem LG Frankfurt v. 21.3.2006 – 3-5 O 153/04, AG 2007, 42 (45). 3 Vgl. Lenz, WPg 2006, 1160 (1166). 4 Dazu Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 52c; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012, Rz. 745; Lenz, WPg 2006, 1160 (1161). 5 Vgl. Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 45; ferner Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 61; eingehend auch Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 63. 6 So Bungert, WPg 2008, 811 (814 ff.); zustimmend Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 94. 7 Vgl. Bungert, WPg 2008, 811 (814 f.); Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 94. 8 Vgl. Bungert, WPg 2008, 811 (816 f.); gegen eine rechtliche Notwendigkeit zu ihrer Berücksichtigung auch Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG AktG Rz. 94. 9 Vgl. Bungert, WPg 2008, 811 (817 f.). 10 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 30 = AG 2016, 135.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.19 § 15

er aus: „Der Schätzung des Unternehmenswertes im Spruchverfahren können auch fachliche Berechnungsweisen zu Grunde gelegt werden, die erst nach der Strukturmaßnahme, die den Anlass für die Bewertung gibt, und dem dafür bestimmten Bewertungsstichtag entwickelt werden. Dem stehen weder der Gedanke der Rechtssicherheit noch der Vertrauensschutz entgegen. Das Stichtagsprinzip wird von der Schätzung auf Grund einer neuen Berechnungsweise nicht verletzt, solange die neue Berechnungsweise nicht eine Reaktion auf nach dem Stichtag eingetretene und zuvor nicht angelegte wirtschaftliche oder rechtliche Veränderungen, insbesondere in steuerlicher Hinsicht ist.“1 Erläuternd fügte der BGH hinzu, er habe schon in der Vergangenheit ohne Bedenken neue Bewertungsweisen auf vergangene Bewertungsstichtage angewendet2, so den IDW S 1 2000 auf einen Bewertungsfall, zu dem dieser Standard noch nicht veröffentlicht war und noch der ältere Standard HFA 2/1983 der Unternehmensbewertung vorgerichtlich zu Grunde gelegt worden war.3 Ebenso wurde bei der Bestimmung des Börsenwerts eine andere Berechnungsweise zur Bestimmung des Referenzzeitraums auch auf in der Vergangenheit liegende Bewertungsanlässe angewendet.4

15.16

Die Entscheidung darüber, ob eine neue Bewertungsmethode oder Berechnungsweise an- 15.17 gewendet wird, ist nach Auffassung des BGH dem Tatrichter vorbehalten.5 Das Bewertungsziel einer dem wahren Wert möglichst nahekommenden Schätzung spreche für die Anwendung einer neuen Berechnungsmethode, wenn sie besser geeignet sei, also eine größere Annäherung an den „wahren“ Unternehmenswert verspreche, oder sie Fehler oder Unzulänglichkeiten einer alten Berechnungsweise behebe.6 Wenn ein Spruchverfahren zu dem Zeitpunkt, zu dem die neue Berechnungsweise bekannt oder anerkannt wird, bereits länger andauert, sei der Gewinn an Genauigkeit allerdings gegen den weiteren verfahrensrechtlichen und zeitlichen Aufwand abzuwägen.7 Nach Zurückverweisung hat das OLG Düsseldorf im Juni 2016 entschieden, dass für die Schätzung des Unternehmenswertes der nach IDW S 1 2005 ermittelte Wert zugrunde gelegt werden müsse. Eine Verfahrensverzögerung durch die Anwendung des neuen Standards sei nicht zu befürchten, da das LG Düsseldorf den Ertragswert nicht nur nach dem IDW S 1 2000, sondern auch nach dem IDW S 1 2005 hatte ermitteln lassen.8

15.18

4. Reaktionen in Rechtsprechung und Rechtslehre Im Schrifttum ist der Stinnes-Beschluss des BGH ganz überwiegend positiv aufgenommen worden.9 Die obergerichtliche Spruchpraxis hat auf der Grundlage dieses Beschlusses ver1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Leitsatz 2 = AG 2016, 135. Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 41 = AG 2016, 135. Vgl. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (117) = AG 2001, 417. Vgl. BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 Rz. 20 ff. = AG 2010, 629. Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 7 = AG 2016, 135. Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 7 = AG 2016, 135. Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 7 = AG 2016, 135. Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.6.2016 – I-26 W 4/12 (AktE), BeckRS 2016, 117230 Rz. 18 = AG 2017, 487. 9 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185; Hachmeister/Ruthardt, DB 2017, 957 (958); Handke, BB 2016, 306; Hüttemann, CF 2016, 467 (472); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 24; Mennicke, DB 2016, 520 f.; Mense/Klie, GWR 2016, 55; A. Meyer, WuB II A. § 327f AktG 1.16; kritisch nur Mock, WM 2016, 1261, 1264 ff.; teilweise auch Schüppen, ZIP 2016, 393.

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15.19

§ 15 Rz. 15.19

Dritter Teil: Querschnittsfragen

schiedentlich eine Berechnung der Abfindung nach dem neuen Bewertungsstandard vorgenommen.1 Zuletzt hat das OLG Düsseldorf ausgesprochen: „War der Bewertungsstandard IDW S 1 2005 zum Bewertungsstichtag bereits als Entwurf veröffentlicht und haben Verfahrensbeteiligte seine Heranziehung schon im erstinstanzlichen Spruchverfahren gefordert, kann der ‚neuere‘ Bewertungsstandard IDW S 1 2005 (hier: anstelle des IDW S 1 2000) im Beschwerdeverfahren auch dann herangezogen werden, wenn erstinstanzlich eine sachverständige Alternativbewertung anhand des ‚alten‘ Bewertungsstandards IDW S 1 2000 veranlasst worden war und sich das Verfahren durch die Einholung der Alternativbewertung im Beschwerdeverfahren verzögert.“2 Allerdings hat das OLG Düsseldorf in zwei Fällen aus dem Jahre 2016, in denen eine Alternativbewertung nach IDW S 2005 fehlte, eine Bewertung nach Maßgabe dieses Standards aus prozessökonomischen Gründen abgelehnt.3

III. Entfaltung der Einzelargumente 15.20 Zur Begründung für eine nachträgliche Anwendung neuer Standards haben BGH und herrschende Lehre eine Reihe schlagkräftiger Argumente vorgetragen (sogleich Rz. 15.21 ff.). Durchgreifende Einwände hiergegen bestehen nicht (Rz. 15.27 ff.). 1. Sachgründe für eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards a) Angemessene Abfindung als gesetzliches Bewertungsziel

15.21 Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen zur normorientierten Unternehmensbewertung ist das gesetzliche Bewertungsziel.4 Nach den §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG hat ein ausgeschiedener Aktionär Anspruch auf eine angemessene Abfindung. Was darunter zu verstehen ist, wird im Aktiengesetz nicht näher erläutert und ist daher von Rechtsprechung und Lehre im Wege der Auslegung zu ermitteln. BVerfG und BGH haben diese knappe gesetzliche Vorgabe dahin interpretiert, dass dem ausgeschiedenen Aktionär eine „volle“5 oder „vollständige“6 Abfindung zusteht.7 Dies ist nur dann gewährleistet, wenn seine Abfindung den „wirklichen“ oder „wahren“ Wert der Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts widerspiegelt.8 In Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben ist nach Ansicht des BGH

1 Vgl. OLG Frankfurt v. 20.7.2016 – 21 W 21/14, BeckRS 2016, 119036 Rz. 32 f. = AG 2017, 832; OLG Düsseldorf v. 6.4.2017 – I-26 W 10/15 (AktE), AG 2017, 754 = ZIP 2017, 1157; s. auch OLG Zweibrücken v. 6.9.2016 – 9 W 3/14, NZG 2017, 308 Rz. 7 = AG 2017, 365. 2 OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – I-26 W 8/16 (AktE), AG 2018, 399 Leitsatz. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE), BeckRS 2016, 18623 Rz. 32 = AG 2016, 864; OLG Düsseldorf v. 15.11.2016 – I-26 W 2/16 (AktE) Rz. 28, AG 2017, 672 = ZIP 2017, 521. 4 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 14 = AG 2016, 135; Fleischer, AG 2016, 185 (190). 5 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263 (283); BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (115) = AG 2001, 417. 6 BGH v. 20.5.1997 – II ZB 9/96, BGHZ 135, 374 (379) = AG 1997, 515. 7 Zusammenfassend Fleischer, AG 2014, 97 (99); ferner Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 52, der das Prinzip der vollen Abfindung als „Fundamentalprinzip des Abfindungsrechts“ bezeichnet. 8 So insbesondere BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (303) = AG 1999, 566.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.24 § 15

der Grenzwert zu ermitteln, zu dem ein außenstehender Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann.1 Mit diesen höchstrichterlichen Rahmenvorgaben ist der Auftrag an Tatgerichte und Sachverständige – bei allen Unschärfen, die jeder Unternehmensbewertung innewohnen2 – klar und unmissverständlich umrissen: Zu ermitteln ist der volle wirtschaftliche Wert der Beteiligung – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Bleibt die Abfindung im Einzelfall dahinter zurück, liegt hierin ein Verstoß gegen das Verfassungsgebot der vollen Abfindung. Umgekehrt wird das gesetzliche Bewertungsziel ebenso verfehlt, wenn der ausgeschiedene Aktionär eine Abfindung erhält, die den wirklichen Wert seiner Beteiligung übersteigt.3 In diesem Sinne verlangen die §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG einen fairen Ausgleich zwischen den Beteiligten4, wie er schon in der Gesetzesformel der angemessenen Abfindung anklingt.

15.22

b) Auswahl einer normzweckadäquaten Bewertungsmethode Zum Bewertungsverfahren enthält das Aktiengesetz keinerlei Hinweise, und auch die Gerichte vermeiden – trotz unübersehbarer Präferenz für das Ertragswertverfahren5 – eine endgültige Festlegung. So hat das BVerfG in seinem bahnbrechenden DAT/Altana-Beschluss ausgeführt, dass Art. 14 Abs. 1 GG für die Wertermittlung von Unternehmensbeteiligungen keine bestimmte Methode vorschreibe.6 Ganz ähnlich hat der BGH verschiedentlich ausgesprochen, dass das Gesetz – von Ausnahmefällen abgesehen – keine bestimmte Methode vorsehe7 und dass es in der Betriebswirtschaftslehre keine einhellig gebilligte Bewertungsmethode gebe.8

15.23

Diese bewusste gesetzgeberische Zurückhaltung9 darf allerdings nicht als Freibrief für Metho- 15.24 denbeliebigkeit oder gar eine methodenfreie Schätzung ohne betriebswirtschaftliches Fundament missverstanden werden. Vielmehr ist allgemein anerkannt, dass sich Gerichte und 1 So BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; variierend BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 (237) = AG 2010, 629: „Den Minderheitsaktionären ist das zu ersetzen, was sie ohne die zur Entschädigung verpflichtende Intervention des Hauptaktionärs oder die Strukturmaßnahme bei einem Verkauf des Papiers erlöst hätten.“ 2 Dazu, dass es nicht „den“ richtigen Unternehmenswert gibt, etwa OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 (514); Drescher in Spindler/Stilz, AktG, § 8 SpruchG Rz. 4; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 3. 3 Vgl. Bungert, WPg 2008, 811 (815): „Dagegen ist vom Gesetz keine ‚Überkompensation‘ vorgesehen.“; ferner OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822: „Die materielle Gerechtigkeit gebietet es grundsätzlich, einem etwaigen Erkenntnisgewinn bei der gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung Rechnung zu tragen. Andernfalls würde das verfassungsrechtliche Ziel, den Minderheitsaktionären den tatsächlichen Wert ihrer Beteiligung zu ersetzen, gegebenenfalls verfehlt. […] […] führt insgesamt gesehen die Verwendung des alten Standards IDW S 1 2000 zu einer tendenziellen Überbewertung des Unternehmenswertes.“ 4 Gleichsinnig OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (867): „gerechte[r] Ausgleich für die weichenden Aktionäre“. 5 Vgl. etwa BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370 f.) = GmbHR 1992, 257. 6 Vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566. 7 Vgl. BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (382); BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 24, BGHZ 188, 249 (255); BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 16, BGHZ 188, 282 (288). 8 Vgl. BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548). 9 Dazu für das Umwandlungsrecht Begr. RegE UmwG, BT-Drucks. 12/6699, 94: „Allerdings sollte nicht mehr wie im geltenden Recht die Berücksichtigung bestimmter Bewertungsmethoden vorgeschrieben werden. Dies hat sich nicht bewährt, weil die Berücksichtigung und die Gewichtung

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§ 15 Rz. 15.24

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Sachverständige bei der Wertermittlung keineswegs in einem rechtlichen Vakuum bewegen1, sondern gehalten sind, dem jeweiligen Normzweck Geltung zu verschaffen.2 Anschaulich spricht man insoweit von normzweckkonformer oder rechtsgeleiteter Unternehmensbewertung.3 Hieraus ergeben sich unmittelbare Konsequenzen für die Auswahl der Bewertungsmethode: Ausgewählt werden dürfen nur solche Methoden, die geeignet sind, den gesetzlich vorgegebenen Bewertungszweck zu erfüllen.4 Bündig kann man daher von der gebotenen Auswahl einer normzweckadäquaten Bewertungsmethode sprechen.5 Dieses Gebot und das Bewertungsziel einer dem wahren Wert möglichst nahekommenden Schätzung sprechen nachdrücklich für die Anwendung einer neuen Bewertungsmethode, wenn sie besser geeignet ist, also eine größere Annäherung an den „wahren“ Unternehmenswert verspricht, oder Unzulänglichkeiten einer alten Berechnungsweise behebt.6 c) Verschlechterungsverbot zugunsten abfindungsberechtigter Aktionäre

15.25 Außerdem genießen die abzufindenden Aktionäre schon dadurch einen Mindestschutz, dass eine einmal festgelegte Kompensation im Spruchverfahren nicht herabgesetzt, sondern nur erhöht werden kann.7 Es gilt insoweit ein Verbot der reformatio in peius.8 Infolgedessen kann auch die nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards nicht zu einer Verringerung der Abfindung führen.9 Denkbar ist nur, dass an sich werterhöhende Umstände, die bei der ursprünglichen Bewertung zu Unrecht unberücksichtigt blieben, im Ergebnis neutralisiert wer-

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der verschiedenen Methoden je nach Natur und Gegenstand des Unternehmens verschieden sein kann.“; näher dazu Fleischer, AG 2014, 97 (110). Treffend OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840: „Ob die Abfindung angemessen ist, ist eine Rechtsfrage, die von dem Gericht zu beantworten ist.“; Drescher in Spindler/Stilz, AktG, § 8 SpruchG Rz. 4: „Die Bemessung der Angemessenheit der Kompensation ist eine Rechtsfrage und keine Frage der Tatsachenermittlung oder der Beweiswürdigung.“ Vgl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (374 ff.); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 21; Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 305 AktG Rz. 76; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. AktG § 305 Rz. 7. Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 4 („rechtsgeleitete Unternehmensbewertung“); Fleischer, ZGR 1997, 368 (375) („Normprägung der Unternehmensbewertung“); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 199 („Rechtsprägung“); Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 7 („Primat des Rechts“); Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze out, S. 29 („normzweckadäquate Abfindungsbemessung“). Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (190); ebenso Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 21; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 4 und 61; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 16; Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 45; Veil in Spindler/ Stilz, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 80. So Fleischer, AG 2016, 185 (190); allgemein bereits Fleischer, AG 2014, 97 (109): „Grundsatz der Normzweckadäquanz“; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze out, S. 115: „Grundsätze normzweckadäquater Abfindungsbemessung“. Überzeugend BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 42 = AG 2016, 135. Ebenso Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440); Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 20. Allgemein dazu BGH v. 18.10.2010 – II ZR 270/08 – Rz. 12, AG 2010, 910; Fleischer, AG 2014, 97 (101, 114); Hüffer/Koch, Anh. § 305 AktG Rz. 2; Puszkajler in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 14. Vgl. Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 63.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.28 § 15

den.1 Dies begegnet jedoch im Hinblick auf das gesetzliche Bewertungsziel keinen durchgreifenden Bedenken2: Das Spruchverfahren soll eine angemessene Abfindung i.S.d. §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG sicherstellen und verfolgt nicht etwa den Nebenzweck, Nachlässigkeiten bei der Unternehmensbewertung zu sanktionieren.3 d) Geringes Kostenrisiko der Antragsteller im Spruchverfahren Hinzu kommt schließlich, dass die abzufindenden Aktionäre im Spruchverfahren nach § 15 15.26 Abs. 1 SpruchG n.F. grundsätzlich nicht mit den Gerichtskosten belastet werden.4 Auch ihre außergerichtlichen Kosten sind gem. § 15 Abs. 2 SpruchG n.F. vom Antragsgegner zu erstatten, wenn dies unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens der Billigkeit entspricht.5 Hieraus ergibt sich insgesamt eine asymmetrische Verteilung von Chancen und Risiken im Spruchverfahren6, die Berufskläger und räuberische Aktionäre anlockt.7 2. Einwände gegen eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, dass der Normzweck der §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG – die möglichst genaue Ermittlung der angemessenen Abfindung – eine nachträgliche Anwendung verbesserter Bewertungsstandards nahelegt. Dieses vorläufige Auslegungsergebnis hält auch allen Einwänden stand, die sich teils aus allgemeinen Topoi (Vertrauensschutz, Rechtssicherheit, Prozessökonomie), teils aus bewertungsrechtlichen Erwägungen (Stichtagsprinzip, Grenzpreisbestimmung) speisen.

15.27

a) Intertemporales Recht (Art. 170 EGBGB) Nach einer verschiedentlich vorgetragenen Auffassung soll der Rechtsgedanke des Art. 170 EGBGB einer nachträglichen Anwendung neuer Bewertungsstandards entgegenstehen.8 Aus 1 Vgl. Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 63; ferner Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62 a.E.; kritisch dazu OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817: „Der vorliegende Fall macht exemplarisch besonders deutlich, dass sich selbst dann offensichtliche Bewertungsfehler nur deshalb ‚wegrechnen‘ lassen, weil ein neuer Standard rückwirkend angewendet worden ist. […] Durch die rückwirkende Anwendung des IDW S 1 2005 werden im konkreten Fall die ganz erheblichen werterhöhenden Veränderungen, die seinerzeit fehlerhaft nicht berücksichtigt worden waren, weitgehend ‚aufgezehrt‘.“ 2 Ebenso Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62 a.E.; Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 63. 3 Allgemein dazu auch Hüttemann, WPg 2008, 822 (823): „Im Spruchverfahren wird nur die objektive Angemessenheit der vertraglich angebotenen Abfindung überprüft, nicht aber, ob der Abfindungsschuldner bei der Bemessung der Abfindung ‚sorgfaltswidrig‘ gehandelt hat.“; zustimmend Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out“, S. 249. 4 Dazu Hüffer/Koch, AktG, § 15 SpruchG Rz. 4; zu § 15 Abs. 2 SpruchG a.F. Roßkopf in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 15 SpruchG Rz. 37 ff. 5 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 15 SpruchG Rz. 6; zur bisherigen Handhabung nach § 15 Abs. 4 SpruchG a.F. Henselmann/Winkler, CF 2014, 405 mit Fn. 2. 6 Vgl. Henselmann/Winkler, CF 2014, 405. 7 Vgl. zuletzt die empirischen Befunde von Henselmann/Winkler, CF 2014, 405 (407 ff.). 8 Vgl. BayObLG v. 28.5.2005 – 3Z BR 71/00, AG 2006, 41 (43); OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411 (412); OLG Düsseldorf v. 20.9.2006 – 26 W 8/06 – juris-Rz. 36, BeckRS 2007, 06686; Bungert, WPg 2008, 811 (816 f.).

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15.28

§ 15 Rz. 15.28

Dritter Teil: Querschnittsfragen

dieser Perspektive handelt es sich bei der in Rede stehenden Frage um eine solche des intertemporalen Rechts (dazu Rz. 15.1).1 Dem haben die jüngere Spruchpraxis und das Schrifttum mit Recht nahezu einhellig widersprochen: Die Bewertungsstandards des IDW sind – ungeachtet ihrer praktischen Dominanz – keine Rechtsnormen und damit keine Gesetze i.S.d. Art. 2 EGBGB2, sondern nur Expertenauffassungen aus dem Kreise der Wirtschaftsprüfer3. Ebenso wenig lassen sie sich als Gewohnheits- oder Richterrecht in den tradierten Rechtsquellenkanon einordnen.4 Irreführend ist daher auch die Redeweise des OLG München, nach der das IDW neue Standards „in Kraft setzen“5 kann.6 Eine irgendwie geartete Normsetzungskompetenz steht dem IDW als einem privatrechtlichen Verein selbstverständlich nicht zu.7 Infolgedessen ist es ein klassischer Kategorienfehler, wenn einzelne Obergerichte durch eine faktische Gleichsetzung von Bewertungsstandards mit Rechtsnormen die Schranken für eine Rückwirkung von Gesetzen anwenden.8 Um solche Assoziationen zu vermeiden, sollte man nicht von „rückwirkender“, sondern besser von „nachträglicher“ Anwendung neuer Bewertungsstandards sprechen.9 b) Vertrauensschutz

15.29 Ein zweiter Einwand lautet, dass sich die abfindungsberechtigten Aktionäre auf die damaligen Bewertungsmethoden und Berechnungsweisen verlassen hätten und auch hätten verlassen dürfen.10 Dem ist der BGH mit Recht nicht gefolgt11, weil dieser Einwand tatsäch1 Ebenso der Problemaufriss bei Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, S. 18: „Handelte es sich um Rechtsnormen, so könnte auf die Grundsätze zur intertemporalen Geltung von Recht zurückgegriffen werden.“ 2 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 45 = AG 2016, 135; OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09, BeckRS 2010, 21956 (insoweit nicht in AG 2010, 798 abgedruckt); OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765; OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, BeckRS 2011, 01677 (insoweit nicht in AG 2011, 420 abgedruckt); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823); Kollrus, MDR 2012, 66 (68); Lenz, WPg 2006, 1162 (1166); Meinert, DB 2011, 2455 (2458); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439); Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353). 3 Vgl. etwa OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/2012, AG 2012, 840 (841); umfassend Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, S. 78 ff. und passim. 4 Eingehend dazu Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, S. 53 ff. 5 OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411, Leitsatz 1: „Zur Anwendung von Bewertungsgrundsätzen für Zeiträume vor deren Inkrafttreten: Keine ‚Rückwirkung‘ des IDW S 1 von 2005.“ 6 Kritisch dazu Fleischer, AG 2014, 97 (100); Hüttemann, WPg 2008, 822 (825). 7 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (726) („da das IDW eine private Institution ohne Rechtssetzungsbefugnisse ist“); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823); eingehend zur Verfassung des IDW Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, S. 34 ff. 8 Fehlgehend daher OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822: „Die vorstehende Erwägung findet ihren Niederschlag ebenfalls bei dem grundsätzlichen Verbot der rückwirkenden Anwendung von Normen (vgl. auch Art. 170 EGBGB und Art. 232 § 1 EGBGB).“ Zutreffend OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, BeckRS 2011, 01677 (insoweit nicht in AG 2011, 420 abgedruckt): „Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen für die Rückwirkung von Rechtsnormen sind hier aber nicht einschlägig, da es sich bei den Empfehlungen des IDW nicht um Rechtsnormen, sondern um eine Expertenauffassung handelt.“ 9 Vgl. Fleischer, AG 2015, 185 (188). 10 So etwa OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 (819); gleichsinnig schon OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – I-26 W 3/11 (AktE), AG 2012, 459 (460 f.). 11 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 32 und 37 = AG 2016, 135.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.31 § 15

liches und berechtigtes Vertrauen unzulässigerweise gleichsetzt. Zwar mögen sich die ausgeschiedenen Aktionäre durchaus auf einen Wertkorridor eingestellt haben, der sich auf Grundlage des früheren Bewertungsstandards ergeben hätte. Dieses Vertrauen ist aber nicht schutzwürdig: Ausgeschiedene Aktionäre dürfen sich nur darauf verlassen, eine angemessene Barabfindung i.S.d. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG zu erhalten; dagegen besteht für sie kein Vertrauensschutz auf die Beständigkeit der angewendeten Bewertungsmethode.1 Weil die Gerichte ohnehin nicht an einen bestimmten IDW-Standard gebunden sind, müssen die abzufindenden Aktionäre stets mit nachträglichen Korrekturen rechnen.2 Für den spiegelbildlichen Fall, dass neue Bewertungsmethoden zum Nachteil des abfindungsverpflichteten Unternehmens ausschlagen, hat der BGH schon früher ausgesprochen, dass es keinen Vertrauensschutz in bestehende Bewertungsmethoden gibt: Im DAT/Altana-Verfahren zur Berücksichtigung des Börsenkurses hatten die beteiligten Unternehmen geltend gemacht, sie hätten auf die bisherige, den Börsenkurs ausblendende Rechtsprechung zur Abfindung vertrauen dürfen. Die neue Rechtsprechung, die sich zu ihrem Nachteil auswirke, könne im konkreten Fall nicht angewendet werden, weil sie nicht vorhersehbar gewesen sei und ihnen auch nicht zugemutet werden könne.3 Der II. Zivilsenat des BGH lehnte die Gewährung eines solchen Vertrauensschutzes ab und begründete dies damit, dass die sog. unechte Rückwirkung infolge einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Privatrecht nur ganz ausnahmsweise unzulässig sei, wenn sie für den Betroffenen existenzbedrohende Auswirkungen hätte.4 Im Lichte dieser BGH-Entscheidung kommt ein Vertrauen von Unternehmen oder abzufindenden Aktionären auf die Beständigkeit des angewendeten IDW-Standards erst recht nicht in Betracht.5

15.30

c) Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit Die vorherigen Erwägungen entziehen zugleich dem dritten Gegenargument den Boden, dass neue Bewertungsstandards wegen fehlender Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit nicht berücksichtigt werden dürften.6 Wenn Unternehmen und abzufindende Aktionäre im Spruchverfahren schon eine nicht vorhersehbare7 Rechtsprechungsänderung hinnehmen müssen, so kann für eine nachträgliche Änderung von IDW-Standards schlechterdings nichts anderes gel-

1 Vgl. OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09, BeckRS 2010, 21496 (insoweit nicht in AG 2010, 798 abgedruckt); OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765 f.; OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 (426); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 f.); Kollrus, MDR 2012, 66 (68); Meinert, DB 2011, 2455 (2458); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353). 2 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (193). 3 Vgl. die Wiedergabe des Parteivortrags in BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (123) = AG 2001, 417. 4 Vgl. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (124) = AG 2001, 417. 5 Wie hier Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439 f.); ferner Kollrus, MDR 2012, 66 (68): „Ähnlich einer Rechtsprechungsänderung besteht kein Vertrauensschutz.“ 6 So aber OLG München v. 30.6.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411 (412); OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 (819); Schwichtenberg/Krenek, BB 2012, 2127 (2134). 7 Dazu BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (124) = AG 2001, 417: „Allerdings ist es richtig, daß die Beteiligten zu 4 und 5 aufgrund der bisherigen Rechtsprechung davon ausgehen konnten, daß der Börsenpreis weder bei der Barabfindung noch bei der Ermittlung der Verschmelzungswertrelation bzw. des Umtauschverhältnisses berücksichtigt würde.“

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15.31

§ 15 Rz. 15.31

Dritter Teil: Querschnittsfragen

ten.1 Dies ist auch in der Sache überzeugend, weil es auf den Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit gar nicht ankommt2: Nach dem Normzweck des § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG wird im Spruchverfahren nur die objektive Angemessenheit der Abfindung überprüft, nicht aber, ob verbesserte Bewertungsmethoden vorhersehbar waren oder ob der Abfindungsschuldner bei der Bemessung der Abfindung sorgfaltswidrig gehandelt hat.3

15.32 Unabhängig davon kann von einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit keine Rede sein. Der Gesetzgeber verwendet in den §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG mit dem Begriff der angemessenen Abfindung einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Konkretisierung er den Gerichten überlässt.4 Es liegt in der Natur dieser Regelungstechnik, dass im Vornhinein nur gewisse Bewertungsparameter feststehen, die sich zudem im Zeitablauf verändern können.5 Ähnlich verhält es sich mit dem Gebot der angemessenen Vorstandsvergütung in § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG, ohne dass man dort unter Rechtssicherheitsgesichtspunkten durchgreifende Bedenken erhoben hätte.6 Hinzu kommt schließlich, dass die Sachgesetzlichkeiten der Unternehmensbewertung von vornherein keine vollständige Rechtsund Planungssicherheit zulassen.7 d) Störung der Geschäftsgrundlage

15.33 Eine neue Variante des Vertrauensschutzarguments hat das OLG Düsseldorf in seinem Vorlagebeschluss vom August 2014 vorgebracht. Danach soll die Art und Weise der Unternehmenswertberechnung eine „wertbestimmende Geschäftsgrundlage“ sein, die wegfiele, wenn es durch eine Anwendung des IDW S 1 2005 zu einer Wertreduzierung von 25 bis 30 % käme.8 In anderen Rechtsbereichen werde eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB schon bei einer Abweichung von 10 % angenommen. Das Argument ist dogmatisch originell, aber gleichwohl unzutreffend,9 da hier keine der anerkannten Fallgruppen der Lehre von der Geschäftsgrundlage einschlägig ist. Eine wesentliche Äquivalenzstörung kommt von vornherein nicht in Betracht, da die ausgeschiedenen Aktionäre nach wie vor Anspruch auf eine angemessene Abfindung haben. Auch eine Änderung der Gesetzeslage oder der ständigen 1 Wie hier Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439 f.). 2 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (194); ebenso BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 36 = AG 2016, 135. 3 Eindringlich und überzeugend Hüttemann, WPg 2008, 822 (823); Lenz, WPg 2006, 1160 (1166); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62. 4 Allgemein dazu und zu ähnlichen Beispielen Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 45 ff. und passim. Von „angemessener Vergütung“ sprechen etwa § 1987 BGB (Nachlassverwalter), § 2221 BGB (Testamentsvollstrecker) und § 32 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 UrhG (Urheber). 5 Ähnlich Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; ferner Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „Squeeze out“: Der Zeitaspekt in Gesetz, Rechtsprechung und Gutachterpraxis aus funktionaler Sicht, 2014, S. 249. 6 Näher Fleischer in Spindler/Stilz, § 87 AktG Rz. 21 m.w.N. 7 So auch OLG Stuttgart v. 19.11.2011 – 20 W 2/07, BeckRS 2011, 01677 (insoweit nicht in AG 2011, 420 abgedruckt): „Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Beteiligten auf diese Weise nicht abschätzen können, auf welcher Grundlage das Gericht seine Entscheidung trifft. Diese Unsicherheit ist für das durch eine Vielzahl von Annahmen und Prognosen bestimmte Ertragswertverfahren und für gerichtliche Entscheidungen typisch, die – wie hier – wesentlich auf Schätzungen nach § 287 Abs. 2 ZPO beruhen.“ 8 So OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 (819). 9 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (194); i.E. ebenso BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 38 = AG 2016, 135.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.35 § 15

Rechtsprechung scheidet aus, weil Bewertungsstandards weder Rechtsnomen sind (Rz. 15.28) noch die Dignität einer ständigen Rechtsprechung genießen. Selbst wenn dies anders wäre, ließe sich die vom OLG Düsseldorf herangezogene Zumutbarkeitsgrenze von 10 % nicht schlüssig begründen. Wie bereits dargelegt, gewährt der BGH bei einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur dann (Vertrauens-)Schutz, wenn sie für die Betroffenen existenzbedrohende Auswirkungen hätte.1 Warum bei einer Änderung von Bewertungsstandards ein höheres Schutzniveau gelten sollte, ist nicht erfindlich. Schließlich beruht der Abfindungsanspruch beim Ausschluss von Aktionären nach § 327a AktG auch nicht auf vertraglicher Grundlage, sondern entsteht wie bei der Mehrheitseingliederung kraft Gesetzes als Pendant zum Verlust der Mitgliedschaft.2 Die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage finden nach dem eindeutigen Wortlaut des § 313 BGB aber nur auf Verträge Anwendung, nicht dagegen auf einseitige Rechtsgeschäfte und erst recht nicht auf gesetzliche Schuldverhältnisse.3 e) Stichtagsprinzip Manche Stimmen berufen sich außerdem darauf, dass das in § 327b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AktG enthaltene Stichtagsprinzip einer nachträglichen Anwendung neuer Bewertungsstandards im Wege stehe.4 Auch dieser Einwand hat in Rechtsprechung und herrschender Lehre keine Gefolgschaft gefunden.5 Er geht deshalb fehl, weil sich das Stichtagsprinzip nur auf die Lage des Unternehmens einschließlich seines tatsächlichen und rechtlichen Umfeldes bezieht.6 Daher wird das Stichtagsprinzip von der Schätzung aufgrund einer neuen Berechnungsweise nicht verletzt, solange die neue Berechnungsweise nicht eine Reaktion auf nach dem Stichtag eingetretene und zuvor nicht angelegte wirtschaftliche oder rechtliche Veränderungen, insbesondere in steuerlicher Hinsicht ist.7

15.34

f) Grenzpreisbestimmung Zu kurz greift ferner das Argument, dass Grundlage der gebotenen Grenzpreisbestimmung 15.35 nur der jeweils gültige und nicht ein – noch unbekannter – zukünftiger Bewertungsstandard sei.8 Eine solche Sichtweise verkennt, dass die Markt- und Börsenpreisbildung aufgrund zahlreicher anderer Einflussfaktoren und Informationsquellen und nicht ausschließlich aufgrund eines IDW-Standards erfolgt.9 Kein rational handelnder Minderheitsaktionär, so heißt es treffend in einer neueren ökonomischen Dissertation, wird seine Entscheidung ernsthaft davon 1 2 3 4 5

6 7 8 9

Vgl. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (124) = AG 2001, 417. Vgl. Hüffer/Koch, § 327b AktG Rz. 8 m.w.N. Vgl. Finkenauer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 313 BGB Rz. 47 ff. Vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822; OLG Düsseldorf v. 28.8.2014 – I-26 W 9/12 (AktE), AG 2014, 817 (819). Ablehnend OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, AG 2013, 765; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135 (138); OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (866); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 f.); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (439); Wittgens, AG 2007, 106 (112). Vgl. BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57 (64) = AG 2003, 627. So mit Recht BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 40 = AG 2016, 135. So aber OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5W 52/09, AG 2010, 798 (800). Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (195); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62.

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§ 15 Rz. 15.35

Dritter Teil: Querschnittsfragen

abhängig machen, was der zum Bewertungsstichtag gültige IDW-Standard vorschreibt.1 Daher hat der BGH das Grenzpreis-Argument mit Recht zurückgewiesen.2 g) Verbot überlanger Verfahrensdauer

15.36 Wiederholt bemüht wird schließlich das Argument, dass eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards ausscheiden müsse, um Verfahrensverzögerungen zu vermeiden.3 Daran ist richtig, dass das Verbot einer überlangen Verfahrensdauer gemäß Art. 6 EMRK auch in aktienrechtlichen Spruchverfahren Beachtung erheischt.4 Jedoch folgt hieraus mitnichten ein kategorisches „Rückwirkungsverbot“, weil eine nachträgliche Anwendung des neuen Standards vielfach – wie auch im Stinnes-Fall5 – keine vollständige Neubewertung erfordert und daher auch nicht zu wesentlichen Verfahrensverzögerungen führt.6 Auch überzeugt es nicht, dem Gebot der Prozesswirtschaftlichkeit im Spruchverfahren grundsätzlich den Vorrang einzuräumen.7 Vielmehr gebührt gerade umgekehrt der Auswahl einer zieladäquaten Bewertungsmethode Priorität, während die Vermeidung einer überlangen Verfahrensdauer nur eine Nebenbedingung darstellt. Daher wäre es unzulässig, sehenden Auges einen Bewertungsstandard anzuwenden, der dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht (mehr) entspricht, nur weil sich das Spruchverfahren auf diese Weise abkürzen ließe. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG ist vorrangig dem Ziel verpflichtet, eine angemessene Abfindung zu ermitteln und nicht „kurzen Prozess“ zu machen. Lediglich in Einzelfällen kann es einmal erforderlich sein, von einer nachträglichen Anwendung des neuen Standards abzusehen, wenn eine überlange Verfahrensdauer eine sofortige Entscheidung verlangt oder noch ausstehende Bewertungsschritte das Spruchverfahren unvertretbar in die Länge ziehen würden.8 In die gleiche Richtung zielen die Ausführungen des BGH im Stinnes-Beschluss, der allerdings etwas offener formuliert, dass „der Gewinn an Genauigkeit gegen den weiteren verfahrensrechtlichen und zeitlichen Aufwand abzuwägen“9 sei, wenn ein Spruchverfahren zu dem Zeitpunkt bereits länger andauere, zu dem die neue Berechnungsweise bekannt und anerkannt werde.

15.37 Unabhängig davon überspannen einzelne Oberlandesgerichte den Bogen zulässiger Rechtsfortbildung, wenn sie ein „Rückwirkungsverbot“ für neue Bewertungserkenntnisse auf eigene Faust als Mittel der Verfahrensbeschleunigung einsetzen. Richtigerweise ist der Verfah1 So Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „Squeeze out“, 2014, S. 252. 2 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 44 = AG 2016, 135; ebenso zuvor bereits OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, BeckRS 2011, 01677 = AG 2011, 420. 3 Vgl. BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, NZG 2006, 156 (157) = AG 2006, 41; OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 4 Vgl. dazu EGMR v. 19.7.2007 – 71440/01 (Freitag/Deutschland), NJW-RR 2009, 141; zur Bedeutung des effektiven Rechtsschutzes für das Spruchverfahren auch BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3321/10, NZG 2012, 1035 (1037). 5 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 47 = AG 2016, 135: „Eine Verfahrensverzögerung durch die Anwendung des neuen Standards ist nicht zu befürchten, weil das OLG den Ertragswert nicht nur nach dem IDW S 1 2000, sondern auch nach dem IDW S 1 2005 ermittelt hat.“ 6 Dazu auch OLG Stuttgart v. 19.11.2011 – 20 W 2/07, BeckRS 2011, 01677 (insoweit nicht in AG 2011, 420 abgedruckt); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440). 7 So aber OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 8 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (195); ähnlich Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440). 9 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 42 = AG 2016, 135.

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Fleischer

Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.40 § 15

rensverzögerung im Spruchverfahren nicht mit punktuellen Korrekturen, sondern nur mit einer grundsätzlichen Neuausrichtung beizukommen.1 Diese bleibt aber aus guten Gründen dem Gesetzgeber vorbehalten, der auch bereits mit der Vorbereitung einer solchen Reform begonnen hat.2 3. Ergebnis Die gegen eine nachträgliche Anwendung neuer Bewertungsstandards vorgebrachten Einwän- 15.38 de vermögen allesamt nicht zu überzeugen. Sie verkennen – gleich in welcher dogmatischen Einkleidung – dass die abfindungsberechtigten Aktionäre durch eine nachträgliche Anwendung verbesserter Bewertungsmethoden nicht schlechter, sondern exakt so gestellt werden, wie es das Gesetz vorsieht: Sie erhalten eine angemessene Vergütung i.S.d. §§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 Satz 1 AktG.3

IV. Anwendung verbesserter Bewertungsweisen auf vergangene Bewertungsstichtage Stehen der nachträglichen Anwendung neuer Bewertungsmethoden oder Berechnungsweisen mithin keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken entgegen, so ist weiter zu prüfen, ob es ein Gebot zur Berücksichtigung verbesserter Standards gibt (dazu Rz. 15.40) und ob neue Standards zugleich auch verbesserte Standards sind (dazu Rz. 15.43).

15.39

1. Gebot der Berücksichtigung verbesserter Bewertungsstandards Argumentativer Ausgangspunkt ist das oben herausgearbeitete Gebot, eine normzweckadäquate Bewertungsmethode auszuwählen (Rz. 15.24). Unter mehreren in Betracht kommenden Methoden ist diejenige zu wählen, die den wahren Unternehmenswert bestmöglich abbildet.4 In den Worten des BGH: „Das Bewertungsziel einer dem wahren Wert möglichst nahekommenden Schätzung spricht für die Anwendung einer neuen Berechnungsmethode, wenn sie besser geeignet ist, also eine größere Annäherung an den ‚wahren‘ Unternehmenswert verspricht.“5 Aus diesem bewertungsrechtlichen Optimierungsgebot6 folgt, dass es bei der Auswahl der Bewertungsmethode keine Denkverbote und keine Bindung an veraltete Bewertungsstandards geben darf.7 Vielmehr gebietet der Normzweck des § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich die Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über

1 Überzeugend Hüttemann, WPg 2008, 822 (824). 2 Vgl. das Schreiben des Bundesjustizministeriums vom 17.4.2014 zur Evaluierung des Spruchverfahrens; dazu etwa die Stellungnahme des DAV Handelsrechtsausschusses, NZG 2014, 1144. 3 Gleichsinnig Bungert, WPg 2008, 811 (815); Hüttemann, WPg 2008, 822 (823 f.); Lenz, WPg 2006, 1162 (1166); Meinert, DB 2011, 2455 (2458); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 62; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353). 4 Vgl. Fleischer, AG 2016, 195 (196); gleichsinnig Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, 4. Aufl. 2017, Anh. § 305 AktG Rz. 16 und 20; ähnlich Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „Squeeze out“, 2014, S. 249; Kollrus, MDR 2012, 66 (68). 5 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 42 = AG 2016, 135. 6 In diesem Sinne OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 (426): „Denn das Gericht muss bei der Schätzung des Unternehmenswertes diejenige Methode anwenden, die das Bewertungsziel der Ermittlung des objektiven Unternehmenswertes am Besten erreicht.“ 7 Treffend Hüttemann, WPg 2008, 822 (823).

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15.40

§ 15 Rz. 15.40

Dritter Teil: Querschnittsfragen

die Bewertung von Unternehmen.1 Es besteht mit anderen Worten eine richterliche Pflicht, jede nachvollziehbare methodische Verbesserung sofort anzuwenden.2 Dies gilt unabhängig davon, ob sie zu einem höheren oder geringeren Unternehmenswert führt.3

15.41 Erkennt ein Gericht, dass ein bisher verwendeter Bewertungsstandard methodische Fehler oder Ungereimtheiten aufweist, so würde es seine Gesetzespflicht zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung verletzen, wenn es sehenden Auges an diesem Standard festhielte. Es kann sich in aller Regel auch nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass früherer und heutiger Bewertungsstandard beide zu vertretbaren Ergebnissen führten und dass es stets eine hinzunehmende Bandbreite unterschiedlicher Werte gebe.4 Hierbei geriete aus dem Blick, dass dem grundsätzlich bestehenden Schätzungsermessen i.S.d. § 287 ZPO klare gesetzliche Grenzen gezogen sind. Nach allgemeiner Ansicht ist es unzulässig, bei einer Schätzung wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht zu lassen oder unrichtige Maßstäbe zugrunde zu legen.5 Daher wäre auch die Anwendung überholter oder veralteter Bewertungsstandards von § 287 ZPO nicht mehr gedeckt.6 2. Vergleich mit anderen Fällen nachträglichen Erkenntnisfortschritts

15.42 Die Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisfortschritte zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung – d.h. am Tag der letzten mündlichen Verhandlung – ist auch nichts Ungewöhnliches, sondern nachgerade eine zivilprozessuale Selbstverständlichkeit.7 Dies zeigen zahlreiche Beispiele, auf die man in Rechtsprechung und Lehre mit Recht hingewiesen hat: So wird etwa im Werkvertragsrecht die Mangelhaftigkeit eines Bauwerks bei Abnahme nicht nach dem Wissensstand im Zeitpunkt der Abnahme, sondern nach demjenigen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren beurteilt.8 Ähnliches gilt für die Feststellung von Kausalitäten und Ursachenzusammenhängen im Haftungsrecht, bei denen 1 Vgl. OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 (867); Drescher in Spindler/Stilz, AktG, § 8 SpruchG Rz. 4a; Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „Squeeze out“, 2014, S. 250; Lenz, WPg 2006, 1160 (1166); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 63; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 20; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353, 359); Stephan in Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 63. 2 Überzeugend Hüttemann, WPg 2008, 822 (823) unter Berufung auf eine Formulierung von OLG München v. 30.11.2006 – 31 Wx 059/06, AG 2007, 411 (412); zustimmend Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „Squeeze out“, 2014, S. 252; ferner Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353); ähnlich Lenz, WPg 2006, 1160 (1167). 3 Vgl. Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440). 4 So aber OLG Düsseldorf v. 7.5.2008 – 26 W 16/06, BeckRS 2008, 17151. 5 Allgemein dazu BGH v. 18.2.1993 – III ZR 23/92, NJW-RR 1993, 795 (796); Foerste in Musielak, 11. Aufl. 2014, § 287 ZPO Rz. 9; im vorliegenden Zusammenhang Hüttemann in FS Schilken, 2015, S. 317 (330): „Gemessen an diesen Maßstäben stellt die Anwendung einer ungeeigneten Methode zugleich eine Rechtsverletzung dar, weil eine Schätzung, die auf fehlerhaften Prämissen beruht, auf einem ‚unrichtigen Maßstab‘ beruht bzw. gegen ‚Erfahrungssätze‘ verstößt.“ 6 Wie hier Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 63; Riegger/Wasmann in FS Goette, 2011, S. 433 (440); ferner Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 80. 7 Vgl. § 296a ZPO; dazu etwa Prütting in MünchKomm. ZPO, 4. Aufl. 2013, § 296a ZPO Rz. 1 ff.; Huber in Musielak, 11. Aufl. 2014, § 296a ZPO Rz. 1 ff.; im vorliegenden Zusammenhang auch Hüttemann, WPg 2008, 822 (824): „Die Anwendung neuester Erkenntnismöglichkeiten ist auch keine Besonderheit des Spruchverfahrens.“; ferner Ruthardt/Hachmeister, WPg 2011, 351 (353). 8 Darauf hinweisend OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 5 W 52/09, BeckRS 2011, 01677 (insoweit nicht in AG 2011, 420 abgedruckt); Hüttemann, WPg 2008, 822 (824); zum bürgerlichen Recht Peters/ Jacoby in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 633 BGB Rz. 190.

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Fleischer

Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.44 § 15

der gerichtliche Sachverständige auch solche Verfahren anwenden kann und muss, die im Zeitpunkt der schädigenden Handlung noch unbekannt waren.1 Schließlich legen Gerichte bei ihrer Urteilsfindung grundsätzlich eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde, auch wenn diese zum Zeitpunkt des anspruchsbegründenden Verhaltens noch nicht gegolten hatte.2 Stets geht es um bessere Einsichten und Erkenntnisse, seien sie nun betriebswirtschaftlicher, technischer, medizinischer, physikalischer oder rechtlicher3 Natur. Deren Berücksichtigung entspricht, wie das OLG Frankfurt ausgeführt hat, einem Gebot der „materielle[n] Gerechtigkeit“4.

V. Erkenntnisfortschritt durch neue Bewertungsstandards Es bleibt die Frage, ob mit neuen Bewertungsmethoden oder Berechnungsweisen stets auch ein Erkenntnisfortschritt einhergeht.

15.43

1. Betriebswirtschaftlich und bewertungsmethodisch bessere Ergebnisse durch IDW S 1 2005 Bezogen auf die Problematik des Stinnes-Falls gingen Rechtsprechung und herrschende Lehre schon bisher davon aus, dass eine Unternehmensbewertung auf der Grundlage von IDW S 1 2005 zu betriebswirtschaftlich und bewertungsmethodisch besseren Ergebnissen führt als eine Bewertung auf der Basis von IDW S 1 2000.5 Das OLG Frankfurt sprach sogar von einem „in der Fachliteratur und der Praxis weitgehend anerkannten Paradigmenwechsel“6. Dieser Einschätzung ist der BGH in seinem Stinnes-Beschluss beigetreten: „Der IDW S 1 2005 ist methodisch eine Verbesserung gegenüber dem IDW S 1 2000.“7 Zur Begründung führt er aus, der IDW S 1 2005 behebe Unzulänglichkeiten bei der Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens und der unterschiedlichen Besteuerung der Alternativanlage im IDW S 1 2000.8 Auch sei die Abkehr von der Vollausschüttungshypothese eine methodische Verbesserung, weil eine Vollausschüttung in der Wirklichkeit nicht vorgekommen und die Abkehr mit der Umstellung 1 Darauf hinweisend OLG Frankfurt v. 15.2.2010 – 5 W 52/09, BeckRS 2010, 21946 (insoweit nicht in AG 2010, 798 abgedruckt); Hüttemann, WPg 2008, 822 (824). 2 Vgl. LG Frankfurt v. 21.3.2006 – 3-5 O 153/04, AG 2007, 42 (45); Kollrus, MDR 2012, 66 (68); Lenz, WPg 2006, 1160 (1165); Simon/Leverkus in Simon, 2007, Anh. § 11 SpruchG Rz. 46. 3 Vgl. im Zusammenhang mit der Unzulässigkeit eines bereits laufenden Spruchverfahrens nach der geänderten Rechtsprechung des BGH zum Delisting LG München I v. 28.5.2014 – 5 HK O 19239/07, AG 2014, 790 (791): „Gerichte sind nämlich in der Regel nicht an eine feststehende Rechtsprechung gebunden, die sich im Lichte besserer Erkenntnis als nicht mehr tragfähig erweist.“ 4 OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 5 Vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822; bestätigt in OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241; Dausend/Schmitt, FB 2006, 153 ff.; Jonas/Löffler/Wiese, WPg 2004, 898 (904 f.); Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 61; Stehle, WPg 2006, 906 (915 f.); Stephan in Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 63; eingehend auch Hower, Unternehmensbewertung mit dem TAX-CAPM, Fortschritt oder nicht pragmatische Komplexitätssteigerung?, 2008, S. 167 (Ergebnis); abweichend KG v. 19.5.2011 – 2 W 154/08, AG 2011, 627 (628). 6 OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 47 = AG 2016, 135. 8 So BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 47 = AG 2016, 135 unter Berufung auf Popp, Der Konzern 2015, 193, 204.

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15.44

§ 15 Rz. 15.44

Dritter Teil: Querschnittsfragen

der der Berechnung zugrunde liegenden Alternativanlage in Aktien statt in festverzinslichen Wertpapieren folgerichtig gewesen sei.1

15.45 Dem wird man sich im Ergebnis gerne anschließen.2 Auf den ersten Blick überrascht allerdings, dass sich der BGH auf eine inhaltliche Beurteilung berufsständischer Bewertungsstandards einlässt, die nach seiner Grundposition eigentlich dem sachverständig beratenen Tatrichter vorbehalten ist.3 Ganz wohl scheint sich der Senat in seiner Rolle auch nicht zu fühlen, wie man an der knapp gehaltenen Begründung zur Überlegenheit des IDW S 1 2005 erkennt, die nur aus drei Sätzen besteht und sich auf eine einzige Literaturstimme stützt. Die Erklärung für diesen „Durchgriff“ auf die Ebene tatrichterlicher Beurteilung dürfte darin liegen, dass der BGH hier aufgrund der zulässigen Vorlage selbst als Beschwerdegericht zu entscheiden hatte4 und zugleich eine Rückverweisung an das OLG Düsseldorf vermeiden wollte, dessen zum Teil polemisch zugespitzte Kritik an der nachträglichen Anwendung des IDW S 1 20055 dem Sachproblem nicht gerecht wird. Wegen dieser Besonderheiten ist nicht anzunehmen, dass sich der BGH künftig auch in anderen Fällen als arbiter elegantiarum im Wettstreit konkurrierender Bewertungsmethoden oder Berechnungsweisen betätigen wird.6 2. Überlegenheitsvermutung für einen neuen Expertenstandard

15.46 Losgelöst von dem konkreten Vorlagebeschluss kann man schließlich fragen, ob neue Bewertungsstandards regelmäßig auch verbesserte Standards sind. Hierzu zeichnet sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch keine einheitliche Linie ab. Das OLG Frankfurt verlangt, dass der neue Standard mit einem in Wissenschaft und Praxis anerkannten und dem Gericht nachvollziehbaren echten Erkenntnisfortschritt verbunden sein müsse.7 Demgegenüber geht das OLG Stuttgart wie zuvor bereits das OLG Celle8 davon aus, dass die Aktualisierung einer Expertenauffassung regelmäßig auf die Umsetzung von Erkenntnisfortschritten zurückzuführen sei.9 Hierzu tendieren auch das OLG Karlsruhe10 und erste

1 So BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 47 = AG 2016, 135 unter Berufung auf Popp, Der Konzern 2015, 193, 201. 2 Zu Folgendem bereits Fleischer, AG 2016, 185 (197). 3 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 13 = AG 2016, 135: „Ob als fachliches Regelwerk der IDW S 1 2005 oder IDW S 1 2000 herangezogen wird, betrifft weder die Auslegung einer Norm noch die Subsumtion unter eine Norm, sondern die Tatsachenfeststellung, soweit ihre rechtliche Zulässigkeit nicht in Frage steht.“ 4 Dazu BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 6 und 18 = AG 2016, 135. 5 Vgl. schon vor dem Vorlagebeschluss OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – I-26 W 3/11 (AktE), AG 2012, 459 (461): „Es ist auch wenig plausibel, wenn durch die rückwirkende Anwendung eines Standards, gewissermaßen ‚über Nacht‘ und flächendeckend 20 % oder 30 % der Unternehmenswerte rückwirkend ‚vernichtet‘ werden, obwohl zuvor noch alle am Markt Beteiligten von den weit höheren Werten ausgegangen waren.“ 6 Vgl. Fleischer, AG 2016, 185 (191); ähnlich Hüttemann, CF 2016, 467 (472). 7 So OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822; noch deutlicher OLG Frankfurt v. 18.12.2014 – 21 W 34/12, AG 2015, 241 (243): „Hierbei vermag der Senat auch schon aufgrund der Komplexität sowie der unterschiedlichen, häufig allein steuerrechtlich begründeten Motivation für die Einführung eines neuen Standards auch keine Vermutungswirkung für die Überlegenheit eines zeitlich nachfolgenden Standards gegenüber dem alten Standard zu erkennen.“ 8 Vgl. OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865. 9 So OLG Stuttgart v. 19.11.2011 – 20 W 53/06, AG 2011, 420 (426). 10 Vgl. OLG Karlsruhe v. 30.4.2013 – 12 W 5/12, BeckRS 2013, 08873 = AG 2013, 765.

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Intertemporale Anwendung berufsständischer Bewertungsstandards

Rz. 15.46 § 15

Literaturstimmen.1 Diese zweite Auffassung verdient Zustimmung2: Wenn ein sachverständiges Gremium nach eingehender Beratung eine Änderung seines eigenen Standards beschließt, so sprechen durchschlagende Gründe dafür, dem geänderten Expertenstandard eine Überlegenheitsvermutung zuzuschreiben.3 Dies gilt erst recht, wenn dieses Gremium selbst ausdrücklich die nachträgliche Anwendung des neuen Standards empfiehlt, wie dies das IDW für seinen Bewertungsstandard S 1 2005 getan hat.4 Widerlegt werden kann diese Vermutung etwa durch den Hinweis, dass die Änderung allein (steuer-)rechtlich motiviert war.

1 Vgl. Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 61 Fn. 289: „Allerdings spricht bereits eine tatsächliche Vermutung dafür, dass neuere Bewertungsmethoden mit einem wesentlichen Richtigkeitsgewinn verbunden sind.“ 2 Zu Folgendem bereits Fleischer, AG 2016, 185 (197 f.); zweifelnd Hüttemann, CF 2016, 467 (471). 3 Allgemein dazu auch im öffentlichen Recht OVG Münster v. 12.4.1978 – VII A 1112/74, NJW 1979, 772 mit folgendem Leitsatz: „Setzen zwei im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens (an sich) zu beachtende Verwaltungsvorschriften bzw. als sog. antizipierte Sachverständigenaussage zu bewertende Regelwerte unterschiedliche Immissionsrichtwerte fest, so ist der rechtlichen Beurteilung in der Regel die neue Vorschrift zugrunde zu legen.“ 4 Vgl. IDW S 1 2005, WPg 2005, 1303 Fn. 1: „Verabschiedet vom Hauptfachausschuss (HFA) am 18.10.2005. Der Standard ist grundsätzlich auch auf Bewertungsstichtage vor seiner Verabschiedung anzuwenden.“; dazu auch Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1007); Kohl/ Schilling, WPg 2007, 70 (71); Schwetzler, FB 2008, 30 (37).

Fleischer 445

§ 16 Verbundvorteile/Synergieeffekte I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . .

16.1

II. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . .

16.4

III. Position der Bewertungspraxis und -lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. IDW S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . .

16.7 16.7 16.9

IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . 16.13 V. Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Squeeze-out gem. §§ 327a ff. AktG . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . d) Verteilungsschlüssel . . . . . . . . . . 2. Abfindungsanspruch bei gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.16 16.17 16.17 16.20 16.26 16.31

a) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschafterausschluss im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.37 16.41 16.44

VI. Anteilstausch . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien gem. § 305 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Fallgruppen . . . . . . . . . . . .

16.53 16.53 16.53

16.50

16.56 16.59 16.61 16.67 16.70

VII. Summe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.72 16.37

Schrifttum: Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 2009; Aschauer/Purtscher, Einführung in die Unternehmensbewertung, 2011; Böcking, Das Verbundberücksichtigungsprinzip als Grundsatz ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, FS Moxter, 1994, S. 1407; Brudney/Chirelstein, A Restatement of Corporate Freezeouts, 87 Yale L. J. 1354 (1978); Busse von Colbe, Berücksichtigung von Synergien vs. Stand-alone-Prinzip bei der Unternehmensbewertung, ZGR 1994, 595; Castedello, Methodik der Unternehmensbewertung, in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, 1; Coates, „Fair Value“ as an Avoidable Rule of Corporate Law: Minority Discounts in Conflict Transactions, 147 U. Pa. L. Rev. 1251 (1999); Decher, Verbundeffekte im Aktienkonzernrecht und im Recht der Unternehmensbewertung, FS Hommelhoff, 2012, S. 115; Dirrigl, Synergieeffekte beim Unternehmenszusammenschluss und Bestimmung des Umtauschverhältnisses, DB 1990, 185; Doralt, Zur Entwicklung eines österreichischen Konzernrechts, ZGR 1991, 252; Doralt/Nowotny/Kalss, AktG, 2. Aufl. 2012; Drukarczyk, Zum Problem der angemessenen Barabfindung bei zwangsweise ausscheidenden Anteilseignern, AG 1973, 357; Easterbrook/Fischel, Corporate Control Transactions, 91 Yale L. J. 698 (1982); Fleischer, Die Barabfindung außenstehender Aktionäre nach den §§ 305 und 320b AktG: Stand-alone-Prinzip oder Verbundberücksichtigungsprinzip?, ZGR 1997, 368; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Gall/Potyka/Winner, Squeezeout, 2006; Haberer/Purtscher, Wirtschaftliche und rechtliche Fragen der Unternehmensbewertung, in Althuber/Schopper, Handbuch Unternehmenskauf und Due Diligence, 2. Aufl. 2014, S. 163; Herfs/ Wyen, Aktien statt Cash – Offene Fragen beim Tauschangebot unter dem WpÜG, FS Hopt, 2010, S. 1955; Hommel/Braun, Marktorientierte Unternehmensbewertung – der Börsenkurs auf dem Prüfstand, BB-Beilage 6/2002, 10; Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, 2004; Hügel, Verschmelzung und Einbringung, 1993; Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 1998, 563; IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, 14. Aufl. 2014; Kalss, Anlegerinteressen – Der Anleger im Handlungsdreieck zwischen Vertrag, Verband und Markt, 2001; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung, 2. Aufl. 2010; Kalss/Zollner, Squeeze-out, 2007; Koppensteiner, Unternehmensverträge de lege ferenda. Eine Skizze, FS Ostheim, 1990, S. 403; Kort, Ausgleichs- und Abfindungsrecht (§§ 304, 305 AktG) beim Beitritt eines herrschenden Unternehmens zu einem Beherrschungsvertrag, ZGR 1999, 402; Kranebitter, Unternehmensbewertung für Praktiker,

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.2 § 16

2016; Kropff, Rechtsfragen der Abfindung ausscheidender Aktionäre, DB 1962, 155; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, 1988; Lutter, Materielle und förmliche Erfordernisse eines Bezugsrechtsausschlusses – Besprechung der Entscheidung BGHZ 71, 40 (Kali + Salz), ZGR 1979, 401; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997; Mandl/Rabel, Zur Abfindung von Minderheitsaktionären: Die Auswahl des Bewertungsverfahrens, FS Loitlsberger, 2001, S. 205; Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert, 1979; Maul, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Spruchstellenverfahren, FS Drukarczyk, 2003, S. 256; Mertens, Zur Geltung des Stand-alone-Prinzips für die Unternehmensbewertung bei der Zusammenführung von Unternehmen, AG 1992, 321; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Popp/Ruthardt, Unternehmensbewertung im Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht, in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, 213; Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze-out, 2014; Ruthardt, Abfindungsbemessung beim Squeeze Out, NZG 2015, 1387; Seicht, Und es gibt ihn doch, den „objektivierten Unternehmenswert“, RWZ 2004, 161; Spindler/Klöhn, Ausgleich gem. § 304 AktG, Unternehmensbewertung und Art. 14 GG, Der Konzern 2003, 511; Subramanian, Fixing Freezeouts, 115 Yale L.J. 2 (2005); Talos/Winner, EU-Verschmelzungsgesetz, 2. Aufl 2016; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2007; Winner, Bewertungsprobleme bei Umgründungen, in Artmann/Rüffler/Torggler, Unternehmensbewertung, Bd. IV, 2014, S. 57; Zwirner, Berücksichtigung von Synergieeffekten bei Unternehmensbewertungen, DB 2013, 2874.

I. Begriffsklärung Der einschlägige Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer definiert Synergieeffekte wie folgt: „Unter Synergieeffekten versteht man die Veränderung der finanziellen Überschüsse, die durch den wirtschaftlichen Verbund zweier oder mehrerer Unternehmen entstehen und von der Summe der isoliert entstehenden Überschüsse abweichen.“1 Diese Synergieeffekte können positiv sein; dann bezeichnet man sie auch als Verbundvorteile,2 bei denen der Wert des Ganzen mehr als die Summe seiner Teile ist. Solche Verbundvorteile können z.B. in Größenvorteilen liegen, die sich aus der Integration zweier Unternehmen ergeben, aber auch aus der Ergänzung unterschiedlicher Produktportfolios oder der Ausnützung steuerlicher Verlustvorträge. Auch negative Synergien sind möglich, wenn die Unternehmensintegration i.E. nachteilig ist. So können aus der Integration unterschiedlicher Unternehmenskulturen nachteilige Effekte oder aus der Anpassung abweichender IT-Systeme im Bankenbereich unmittelbar messbare Kosten entstehen. In der Folge geht es immer um den (positiven oder negativen) Nettosynergieeffekt, der sich aus der Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren ergibt.

16.1

(Positive) Synergieeffekte sind die tatsächlich beobachtbaren Ergebnisse der Zusammenführung. Aus Sicht ex ante, also vor der Transaktion, ist die Bezeichnung als „Synergiepotentiale“ oder „erwartete Synergieeffekte“3 genauer, weil es um noch zu hebende, aber doch schon erwartete Vorteile geht.4 In der Folge werden auch diese Synergiepotentiale zuweilen als Synergieeffekte bezeichnet. Gerade die Einschätzung von Synergiepotentialen ist eine häufige Fehlerquelle bei Bewertungen. Denn sie werden einerseits vor einer Transaktion zwischen unabhängigen Vertragspartnern häufig überschätzt, genauso wie die mit der Hebung der Vorteile verbundenen Kosten regelmäßig unterschätzt werden;5 denn „der Bewerter muss ein Unternehmen unterstellen, das wesentlich andere Eigenschaften hat als dasjenige, das er vor sich

16.2

1 2 3 4 5

IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 33. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 386. So IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 13. Peemöller/Kunowski in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 277 (297). Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 229, 231.

Winner 447

§ 16 Rz. 16.2

Dritter Teil: Querschnittsfragen

sieht.“1 Andererseits sind die Synergiepotentiale im Informationswesen der Gesellschaft regelmäßig nicht näher dokumentiert, sondern nur einigen von einer Transaktion Betroffenen bekannt; eine Offenlegung kann – wie in allen Fällen der Informationsasymmetrie – im Einzelfall auch unterbleiben, insb. wenn der Informierte bei ordnungsgemäßer Offenbarung Teile dieser Gewinne abgeben muss.2

16.3 Echte Synergieeffekte können einzig durch das Zusammenwirken zweier bestimmter Unternehmen aufgrund der spezifischen Gegebenheiten erreicht werden; sie sind mit der konkreten Bewertungssituation eng verbunden.3 Dazu gehören z.B. die sich ergänzenden Produktportfolios zweier konkreter Marktteilnehmer. Hingegen sind unechte Synergieeffekte solche, die zumindest grundsätzlich mit jedem Unternehmen und somit unabhängig vom konkreten Bewertungsanlass erzielt werden können.4 Hierzu gehören die oben erwähnten Größenvorteile oder auch steuerliche Verlustvorträge.

II. Problemstellung 16.4 Synergieeffekte sind wichtige Treiber für Unternehmenstransaktionen.5 Dass sie (und andere Transaktionsgewinne) für den Erwerber eines Unternehmens oder eines kontrollierenden Anteils von Relevanz sind, ist unbestritten. Dass der Verkäufer in einer Verhandlungssituation einen möglichst großen Anteil dieser Effekte für sich beanspruchen wird, ebenso. Dient die Bewertung als Entscheidungshilfe für Käufer und Verkäufer, so geht es darum, diese Effekte zu schätzen und einzupreisen. Die Verteilung ist dann Sache der Verhandlungspartner.

16.5 Wird der Bewerter allerdings im Rahmen eines gesetzlichen Bewertungsanlasses, insb. im Spruchverfahren, tätig, so muss er zumeist einen Wert ermitteln, der in weiterer Folge einer bestimmten Maßnahme zugrunde gelegt wird, sei es, weil es um die Kontrolle der Angemessenheit privatautonom ausgehandelter Transaktionsbedingungen für nicht an den Verhandlungen beteiligte Dritte geht (so z.B. bei der Konzentrationsverschmelzung zugunsten der überstimmten Gesellschafter), sei es, weil die Transaktionsbedingungen einseitig von einer Partei festgelegt wurden und auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sind (so z.B. bei der angemessenen Abfindung des Squeeze-out). In diesen Fällen muss der Bewerter auch entscheiden, wem die Vorteile aus der Maßnahme zukommen sollen: demjenigen, der die Anteile erwirbt, demjenigen, der sie abgibt, oder beiden Parteien anteilsmäßig, was die Zusatzfrage aufwirft, wie diese Anteile zu bestimmen sind. Diese Rechtsfrage6 ist Kernthema des folgenden Beitrags.7

16.6 Zu diesem Thema finden sich im juristischen Schrifttum wenig allgemeine Ausführungen.8 Vielmehr setzt die Diskussion bei den einzelnen Bewertungsanlässen an, was insofern kon-

1 2 3 4 5 6 7

Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 93. Busse v. Colbe, ZGR 1994, 595 (608); Maul in FS Drukarczyk, 2003, S. 256 (268). Peemöller/Kunowski in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 277 (297). IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 34; Zwirner, DB 2013, 2874 (2876). Busse v. Colbe, ZGR 1994, 595 (602 f.). Fleischer, AG 2014, 97 (109). So auch hier Rz. 34.39. Daneben lassen sich die Erkenntnisse weitgehend auch auf vertraglich festgelegte Bewertungsanlässe übertragen. 8 Vgl. aber Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 386 ff.

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.8 § 16

sequent ist, als die rechtlichen Vorgaben für den relevanten Normwert1 für jeden Bewertungsanlass gesondert ermittelt werden müssen; vgl. Rz. 1.7, 1.32 sowie zur Abgrenzung von Tatund Rechtsfrage Rz. 34.5 ff. Hingegen zeigt die Betriebswirtschaftslehre insofern ein unbefangeneres Herangehen und scheut vor generalisierenden Aussagen weniger zurück, die auch an die Spitze des folgenden Beitrags gestellt werden. Danach folgt eine Diskussion einzelner Bewertungsanlässe, nach Verwandtschaft gegliedert, bevor der Beitrag mit einigen allgemeinen Aussagen schließt. Die Darstellung stellt jene Bewertungsanlässe in den Mittelpunkt, die nach dem SpruchG zu behandeln sind, und streift weitere ausgewählte kapitalgesellschaftsrechtliche Anlässe; eine Behandlung jedes denkbaren rechtlichen Kontextes ist nicht möglich.

III. Position der Bewertungspraxis und -lehre 1. IDW S 1 Der einschlägige IDW S 12 geht davon aus, dass bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen 16.7 Bewertungsanlässen (wie z.B. der Anteilsbewertung beim Squeeze-out), um die es in diesem Beitrag schwerpunktmäßig geht, der sog. objektivierte Unternehmenswert ermittelt werden muss.3 Dieser „stellt einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert aus Sicht der Anteilseigner dar“;4 näher dazu Rz. 1.7. Im Rahmen der Ermittlung eines objektivierten Werts sind die Überschüsse aus unechten Synergieeffekten (Rz. 16.3) zu berücksichtigen, soweit „die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.“5 Das noch nicht konkretisierte Potential bleibt somit auch bei unechten Synergiegewinnen unberücksichtigt. Hingegen werden im Umkehrschluss echte Synergieeffekte grundsätzlich nicht berücksichtigt; denn die Bewertung basiert auf der Fortführung des bisherigen Unternehmenskonzepts. Diesbezüglich ähnlich gehen die rezenten DVFA „Best-Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“, die für die Ermittlung angemessener Abfindungen gelten sollen, zwar zunächst von der Maßgeblichkeit einer angenommenen künftigen geplanten Unternehmenspolitik aus, nehmen aber den Blickwinkel des „markttypischen Erwerbers“ ein, weswegen „rein käuferindividuelle Synergien“ ausgeklammert bleiben sollen.6 Anderes gilt nur bei der Ermittlung des subjektiven Entscheidungswerts (Grenzwerts), also desjenigen Preises, den ein Investor für ein Unternehmen höchstens zahlen darf bzw. den ein Verkäufer mindestens erlangen muss;7 näher dazu Rz. 1.1. Hier sind aus Sicht des Käufers grundsätzlich alle realisierbaren Möglichkeiten zu berücksichtigen, auch wenn sie noch nicht Bestandteil des zum Bewertungsstichtag dokumentierten Unternehmenskonzepts sind.8 Da1 Zu diesem Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 191 ff. Vgl. auch schon Kropff, DB 1962, 155; Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 62 ff.; Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 187. 2 Ähnlich der neue österreichische Standard KSF/BW 1 2014 für die objektivierte Bewertung, wobei freilich offengelassen wird, ob bei gesetzlichen Bewertungsanlässen nicht abweichende gesetzl. Vorgaben die Berücksichtigung von Synergien verlangen; dazu Winner in Artmann/Rüffler/Torggler, Unternehmensbewertung, 2014, S. 57 (66 ff.). 3 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 31. 4 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 29. 5 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 34. 6 Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung (http://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Standards/DVFA_ Best_Practice_Empfehlungen_Unternehmensbewertung.pdf), S. 11. 7 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 12. 8 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 49.

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16.8

§ 16 Rz. 16.8

Dritter Teil: Querschnittsfragen

raus folgt, dass bei der Ermittlung des Entscheidungswerts des Käufers sowohl echte als auch unechte Synergieeffekte berücksichtigt werden.1 Hingegen sind für die Preisuntergrenze des Verkäufers nur unechte Synergieeffekte von Relevanz, soweit sie für ihn nach der Transaktion wegfallen würden;2 auf die Dokumentation im Unternehmenskonzept scheint es für die Verkäufersicht nicht anzukommen. 2. Betriebswirtschaftslehre

16.9 Ausgangspunkt der Überlegungen der Betriebswirtschaftslehre ist, dass es neben der Ermittlung von Grenzwerten (Rz. 16.8) auch Aufgabe des Bewerters sein kann, einen Schiedswert festzulegen.3 Dabei hat er einen Einigungspreis zu suchen, der die Interessen beider Parteien ausreichend berücksichtigt. In einer sog. dominierten Konfliktsituation, bei der die eine Partei den Bewertungsanlass herbeiführen kann, während der anderen keine Entscheidungsfreiheit zukommt,4 wird dieser Einigungspreis zumeist im Rahmen eines Spruchverfahrens oder sonstiger gerichtlicher Verfahren ermittelt.

16.10 Die betriebswirtschaftliche Praxisliteratur lehnt sich für dominierte Konfliktsituationen zum Großteil an IDW S 1 an und spricht sich gegen eine Berücksichtigung echter Synergieeffekte aus, während unechte Verbundvorteile innerhalb der durch den Standard vorgegebenen Grenzen berücksichtigt werden sollen.5

16.11 Hingegen wird im mehr grundlagenorientierten Schrifttum für die Schiedswertermittlung überwiegend vertreten, dass für den vorzunehmenden Interessenausgleich die Entscheidungswerte beider Parteien zu berücksichtigen (und damit auch zu ermitteln) sind.6 Zwischen diesen Werten sei ein angemessener Kompromiss zu finden. Nach diesem Ansatz sind positive Synergieeffekte zu berücksichtigen, wobei diese Schlussfolgerung erstmals in den 70er-Jahren gezogen wurde.7 Der überwiegende8 Teil des heutigen grundlagenorientierten Schrifttums sieht dies ebenso.9 Das gilt auch bei dominierten Bewertungsanlässen wie z.B. beim Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern. Bei diesen sind aber negative (Netto-)Synergieeffekte nicht 1 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 50. 2 IDW S 1 (i.d.F. 2008), Rz. 51. 3 Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 16 ff.; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 479 ff. 4 Für alle Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 82 f.; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 390 f. 5 Castedello in IDW, Bewertung, A Rz. 270 f.; Popp/Ruthardt in IDW, Bewertung, C Rz. 120; Zwirner, DB 2013, 2874 ff.; für Österreich Ausserlechner in Kranebitter, Unternehmensbewertung für Praktiker, 2017, S. 230 (238). 6 Aschauer/Purtscher, Einführung in die Unternehmensbewertung, S. 103; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 397 ff. 7 Drukarczyk, AG 1973, 357 ff.; Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert, passim; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 91 ff.: „Verbundberücksichtigungsprinzip“. 8 Anders aber z.B. Mandl/Rabel in FS Loitlsberger, 2001, S. 205 (210) (Minderheitsgesellschafter sollen durch Ausschluss vermögensmäßig nicht schlechter gestellt werden, weswegen Transaktionsgewinn nicht zu berücksichtigen sei). 9 Angermayer-Michler/Oser in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1363 (1376 ff.); Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407 (1409); Busse v. Colbe, ZGR 1994, 595 (602 ff.); Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 406 f.; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 591 ff.; Maul in FS Drukarczyk, 2003, S. 256 (267).

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.14 § 16

abfindungsmindernd zu berücksichtigen; die zu schützende Partei muss m.a.W. zumindest ihren Entscheidungswert ersetzt erhalten.1 Nach diesem Ansatz dient die volle Entschädigung bei dominierten Bewertungsanlässen i.E. 16.12 der Simulation möglicher Ergebnisse von Vertragsverhandlungen. Damit wird freilich die Frage der angemessenen Aufteilung des Transaktionsgewinns nicht gelöst. Vertreten wird im Schrifttum die hälftige Teilung,2 eine Teilung nach den Ertragswerten3 oder nach den jeweils erzielten Zugewinnen der Ertragswerte.4 Rationale Begründungen für die Vorzugswürdigkeit einer Methode fehlen zumeist.

IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben Gesellschaftsanteile sind nach der Position des BVerfG vermögenswerte Privatrechte und unterliegen dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz gem. Art. 14 Abs. 1 GG.5 Bei Entzug des Eigentums muss der Gesellschafter für die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung und den Verlust seiner Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt werden,6 was zu einem Ersatz des „wirklichen“ bzw. „wahren“ Werts der Anteile führt.7 In Zusammenhang mit der Abfindung bei Abschluss eines Beherrschungsvertrags hielt das BVerfG fest: „Darüber hinaus muß die Abfindung so bemessen sein, daß die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrags oder der Eingliederung erlangt hätten;“8 dies bedeute jedoch nicht, dass vom Mehrheitsaktionär tatsächlich bezahlte Paketpreise heranzuziehen seien, da sich in diesen nur der Grenznutzen widerspiegle, den der Mehrheitsaktionär aus den erworbenen Aktien ziehen kann.9 An diesen Grundsätzen hielt das BVerfG in der Folge auch zur Eingliederung,10 zum aktienrechtlichen11 und zum übernahmerechtlichen12 Squeeze-out sowie zur Verschmelzung13 fest.

16.13

Insbes. das Urteil zum übernahmerechtlichen Squeeze-out ist im vorliegenden Zusammenhang von Interesse: Einerseits genüge es aus verfassungsrechtlicher Sicht, wenn die Bewertung den vollen Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust si-

16.14

1 Angermayer-Michler/Oser in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1363 (1378 ff.); Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 90; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 407; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 482, 586 f. 2 Z.B. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 406 f. 3 Z.B. Angermayer-Michler/Oser in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1363 (1378 ff.). 4 Übersicht bei Fleischer, ZGR 1997, 368 (381). 5 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (276). 6 So schon BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvR 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (283). 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana – Rz. 57, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 8 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana – Rz. 57, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 9 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana – Rz. 59, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 10 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 21, AG 2011, 511 = NZG 2011, 869. 11 So kurz BVerfG v. 9.12.2009 – 1 BvR 1542/06 – Rz. 21, AG 2010, 160. 12 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09 – Rz. 17, AG 2012, 625. 13 Entschieden durch BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 22, AG 2011, 511. Zunächst offen gelassen in BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06 – Rz. 18, AG 2007, 697; BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Rz. 11, AG 2011, 128.

Winner 451

§ 16 Rz. 16.14

Dritter Teil: Querschnittsfragen

cherstelle;1 andererseits sei es verfassungsrechtlich nicht erforderlich, dass „[b]loße, in dem aktuellen Wert des konkreten Eigentums noch nicht abgebildete Gewinnerwartungen und in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten sowie Chancen und Gegebenheiten, innerhalb derer ein Unternehmen seine Tätigkeit entfaltet,“ ausgeglichen würden.2

16.15 Dem Diktum über bloße in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten kann wohl entnommen werden, dass Synergiepotentiale (jedenfalls im Sinne echter Synergien) aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht in die Bewertung einfließen müssen, auch wenn es im konkreten Fall bloß um die Frage ging, ob die Angemessenheitsvermutung gem. § 39a Abs. 3 WpÜG („Markttest“ der Abfindung) durch eine Unternehmensbewertung erschüttert werden kann. Neben dieser Aussage zeigt die Gesamtschau der verfassungsrechtlichen Entscheidungen m.E. deutlich, dass eine Weitergabe von Transaktionsvorteilen für Zwecke des Art. 14 Abs. 1 GG nicht erforderlich ist. Das bedeutet aber nur, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen die Abgeltung der Synergiepotentiale nicht geboten ist. Deswegen ist sie aber noch lange nicht verfassungsrechtlich unzulässig;3 diese Frage ist anhand der Wertungen des einfachen Gesetzesrechts zu entscheiden.

V. Abfindungen 16.16 In zahlreichen Konstellationen kann es dazu kommen, dass die Gesellschafter Geld für ihre Anteile erhalten. Zwei Grundkonstellationen lassen sich unterscheiden. Einerseits können die Gesellschafter unter unterschiedlichen Voraussetzungen ausgeschlossen werden; sie können den Anteilsverlust nicht verhindern, wie vor allem beim Squeeze-out, aber auch beim Ausschluss aus wichtigem Grund bei der GmbH. Andererseits können die Gesellschafter bei bestimmten Maßnahmen der Gesellschaft oder ihres Mehrheitsgesellschafters ihre Anteile gegen eine Barabfindung andienen, wie insb. beim Abschluss von Unternehmensverträgen gem. § 305 AktG, aber auch in Umwandlungssituationen.4 Bis 2013 hatte zu dieser Fallgruppe auch das Austrittsrecht bei einem Delisting einer börsennotierten Gesellschaft gehört;5 § 39 Abs. 3 BörsG fordert nunmehr zwar ein Angebot, bei dem allerdings eine Unternehmensbewertung nur mehr in Ausnahmefällen erforderlich ist. In der Folge wird zunächst die Rechtslage für den Squeeze-out dargestellt, um hernach auf Besonderheiten bei anderen Abfindungskonstellationen einzugehen.6 Zur Berücksichtigung von Synergien bei der Bewertung im Rahmen von Pflicht- und Übernahmeangeboten vgl. Rz. 23.33.

1 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09 – Rz. 18, AG 2012, 625. 2 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09 – Rz. 23, AG 2012, 625; so schon BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 – MotoMeter – Rz. 17, AG 2001, 42. 3 So zu Recht Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 400. 4 Daneben kann einzelnen Gesellschaftern auf vertraglicher Basis das Recht zustehen, ihre Anteile generell oder unter bestimmten Voraussetzungen zurückzugeben. 5 Vgl. zur Rechtslage bis 2013 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, AG 2003, 273; zur Rechtsprechungswende BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, AG 2013, 877; verfassungsrechtl. Grundlegung durch BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, AG 2012, 557. 6 Damit weicht die vorliegende Darstellung von der üblichen aktienrechtl. Systematik ab, nach der (vor allem aus Gründen der Rechtsentwicklung) die einschlägigen Fragen überwiegend im Rahmen des Abfindungsanspruchs nach § 305 AktG diskutiert werden.

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.20 § 16

1. Squeeze-out gem. §§ 327a ff. AktG a) Ausgangslage Vorteile aus einem Squeeze-out gem. §§ 327a ff. AktG (beim up-stream merger allenfalls i.V.m. § 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG) können z.B. daraus resultieren, dass der Mehrheitsgesellschafter nach dem Squeeze-out den Konzern straffer führen kann als zuvor, weil er auf die Belange der Minderheitsgesellschafter keine Rücksicht nehmen muss.1 So kann die Konzerntochter nach dem Ausschluss der Minderheit i.E. als unselbständige Betriebsabteilung geführt werden, solange auf die Interessen der Gläubiger Bedacht genommen wird. Neben diesen Synergieeffekten im engeren Sinn, gibt es ganz allgemein Transaktionsvorteile (z.B. effizientere Unternehmensführung oder Entfall von Kosten der Börsennotierung). Auch solche Wertsteigerungen sind nach den im Folgenden aufgestellten Regeln zu beurteilen.

16.17

Bei einer Bewertung stand alone wird für die Ermittlung der angemessenen Abfindung nur das Unternehmen der Gesellschaft bewertet, deren Minderheitsaktionäre ausscheiden sollen, ohne dass die Vorteile berücksichtigt werden, die sich erst aus dem Ausschluss ergeben. Dieses Vorgehen bedeutet i.E., dass der Transaktionsgewinn nicht zwischen den Parteien der dominierten Transaktion, dem Ausschließenden einer- und den Ausgeschlossenen andererseits, aufzuteilen ist; er kommt vielmehr zur Gänze demjenigen zu Gute, der die zu bewertenden Gesellschaftsanteile übernimmt. Wenn das rechtsrichtig ist, so geht die Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts zu Lasten desjenigen, der seine bisherige Position aufgeben muss.2 Alternativ ist es denkbar, dass zwischen den Grenzpreisen der Parteien ein angemessener Ausgleich zu finden ist. Dann wird zwar der Grenzpreis der Ausscheidenden anhand objektiver Faktoren bestimmt,3 dieser stellt aber nur einen Eckpfeiler für die Bestimmung des Schiedswerts dar, der unter Berücksichtigung der subjektiven Faktoren auf Seite der Gegenpartei festgelegt wird.

16.18

Wie der Schiedswert beim Squeeze-out konkret zu ermitteln ist, also welcher Teil des Transaktionsgewinns bei fairer Bewertung denjenigen zusteht, deren Anteile entzogen werden, ist betriebswirtschaftlich nicht zu beantworten;4 der Gutachter kann ohne rechtliche Wertungen nur feststellen, dass zu einem bestimmten Preis eine Einigung möglich gewesen wäre, weil dieser Preis zwischen den Entscheidungswerten der Bewertungssubjekte liegt. Der Abfindungsermittlung geht somit die Ermittlung eines rechtlich determinierten Normwerts voraus.5 Die Frage der Berücksichtigung von Synergien ist somit gerichtlich voll überprüfbar.6

16.19

b) Rechtsprechung und Schrifttum Die überwiegende Ansicht geht zusammengefasst davon aus, dass die Bewertung beim Gesellschafterausschluss den Wert zu ermitteln hat, zu dem der Gesellschafter ohne wirtschaft1 Vgl. Coates, U. Pa. L. Rev. 1328 (1999); Ruthardt, Normzweckorientierte Unternehmensbewertung, S. 80 f. m.w.N. („Trennungseffekt“). 2 Für alle Busse v. Colbe, ZGR 1994, 595 (604). 3 Somit sind besondere subjektive Verhältnisse einzelner Gesellschafter (z.B. aus steuerrechtl. Faktoren) wegen der vorzunehmenden Typisierung nicht zu berücksichtigen; vgl. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 401 ff. 4 So auch OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05 – Rz. 24, NZG 2007, 112, 114 = AG 2007, 128. 5 Fleischer, ZGR 1997, 368 (374 ff.); a.A. Mertens, AG 1992, 321 (322 f.). 6 Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 48; vgl. auch Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65.

Winner 453

16.20

§ 16 Rz. 16.20

Dritter Teil: Querschnittsfragen

lichen Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann; das ist der sog. Grenzpreis. Das Unternehmen der Gesellschaft ist danach stand alone zu bewerten, das heißt ohne Berücksichtigung etwaiger echter Verbundvorteile aus der Vollintegration. Unechte Verbundeffekte sind hingegen zu berücksichtigen, jedenfalls dann, wenn die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet sind oder im Unternehmenskonzept bereits Berücksichtigung gefunden haben.

16.21 Die Rspr. des BVerfG scheint eine Berücksichtigung der Synergiepotentiale weder zu fordern noch zu verbieten (Rz. 16.13 ff.). Der BGH hat sich zu der Frage im Zusammenhang mit dem Squeeze-out gar nicht, im Kontext der Abfindung nach § 305 AktG immerhin vereinzelt geäußert. 1998 hielt der BGH in der Asea/BBC-Entscheidung1 fest, dass die Bewertung des beherrschten Unternehmens als unabhängige Gesellschaft zum Stichtag aufgrund der bisherigen Ertragslage erfolgen müsse; die Verhältnisse der beherrschenden Gesellschaft würden nicht berücksichtigt. Aus beiden Überlegungen heraus sei die Berücksichtigung von echten Synergiepotentialen abzulehnen; maßgebend sei der Grenzwert, zu dem die abfindungsberechtigten Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden können, ohne wirtschaftliche Nachteile zu erleiden.

16.22 Es könnte überlegt werden, ob sich aus der DAT/Altana-Entscheidung zur Abfindung nach § 305 AktG gegenteilige Anhaltspunkte ergeben.2 Zunächst hält der BGH dort als unbestritten fest, dass unechte Verbundvorteile (Rz. 16.3) in den Ertragswert der abhängigen AG einfließen;3 eine Einschränkung auf solche Effekte, bei denen „die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder [die] im Unternehmenskonzept dokumentiert sind“ – wie nach IDW S 1 – macht der BGH nicht.4 Zu den echten Verbundeffekten sagt der BGH in dem Urteil unmittelbar gar nichts. Allerdings sprach sich der BGH für die Berücksichtigung von Börsenkursen als Untergrenze der Abfindung aus, wobei durch den damals gewählten Referenzzeitraum (drei Monate vor dem Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung) denkbar war, dass in den Börsenkurs Synergien aus der bekannten Maßnahme bereits eingepreist waren. Aus diesem Grund sah sich der BGH auch zu Aussagen zur Berücksichtigung von Synergiepotentialen veranlasst, ohne dass diesen eine eindeutige Stellungnahme zu entnehmen wäre.5 Jedenfalls kann dem Urteil keine Aussage entnommen werden, nach der Synergiepotentiale jedenfalls zu berücksichtigen wären.6 Hinzu kommt, dass der BGH zwischenzeitlich den Referenzzeitraum für die Durchrechnung des Börsenkurses so festgelegt hat, dass Synergieeffekte nicht mehr eingepreist sein sollten; denn es kommt nunmehr auf die letzten drei Monate vor Bekanntmachung der Maßnahme an (näher Rz. 18.73 ff.).7 Damit dürften die Aussagen im DAT/ Altana-Urteil jedenfalls nicht (mehr) im Sinne einer Berücksichtigung von Synergiepotentialen interpretiert werden.8

16.23 Dem entspricht, dass die Rspr. der Instanzgerichte vor und nach dem DAT/Altana-Urteil im Wesentlichen die gleiche Linie verfolgt hat: „Echte Verbundvorteile“ (z.B. Absatzsynergien), die nur aus der spezifischen Kombination mit dem Mehrheitsgesellschafter erzielt 1 2 3 4 5

BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Rz. 11 ff., BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana – Rz. 26, BGHZ 147, 108 (119) = AG 2001, 417. Anders aber Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 11. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana – Rz. 25 ff., BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 (119 ff.). 6 Wie hier Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 394 f. 7 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629. 8 Insofern wie hier Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 11.

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.24 § 16

werden können, sind nicht abfindungserhöhend zu berücksichtigen;1 das gilt auch für sonstige Vorteile, die erst aufgrund des Ausschlusses eintreten, wie z.B. verminderte Kosten der Hauptversammlung.2 Hingegen sind „unechte Verbundvorteile“ abzugelten,3 jedenfalls dann, wenn die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.4 Nur vereinzelt lassen Entscheidungen die Frage offen5 oder sprechen sich für die Berücksichtigung von Synergien aus.6 Die h.M. im rechtswissenschaftlichen Schrifttum folgt der überwiegenden Rspr.7 (vgl. auch Rz. 1.26, 1.28, 1.37). Der Gesellschafter sei durch die volle Abfindung vermögensmäßig gleich zu stellen wie vor dem Ausschluss; die Synergiegewinne wären ihm auch zuvor nicht zugestanden.8 Die Hebung der Verbundvorteile hänge ganz überwiegend vom herrschenden Unternehmen ab9 und sei auch nicht bereits „in der Wurzel“ zum Bewertungsstichtag angelegt.10 Aus praktischer Sicht wird geltend gemacht, dass echte Verbundvorteile nur schwer quantifizierbar seien und daher aus der Betrachtung ausgeschieden werden sollten.11 Ebenso wenig sei die richtige Verteilung der Synergiegewinne auf Ober- und Untergesellschaft unmittelbar recht-

1 Vgl. z.B. BayObLG v. 11.12.1995 – 3Z BR 36/91 – Rz. 39, AG 1996, 176 (zu § 305 AktG); BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90 – Rz. 49, AG 1996, 259 (zu § 305 AktG); OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97 – Rz. 27, AG 1999, 128 (zu § 305 AktG); OLG Stuttgart v. 4.2.2000 – 4 W 15/98 – Rz. 21 ff., AG 2000, 428 (zu § 305 AktG); OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08 – Rz. 100, AG 2010, 510 (zu §§ 327a ff. AktG); OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – Rz. 37, AG 2011, 828 (zu §§ 327a ff. AktG); OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – Rz. 169, AG 2013, 897 (zu § 305 AktG); OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 136 ff., AG 2014, 822 (zu § 305 AktG); OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/25 – Rz. 61, AG 2017, 790. 2 OLG München v. 26.10.2006 – 31 Wx 12/06 – Rz. 27, ZIP 2007, 375 (zu §§ 327a ff. AktG); OLG Frankfurt v. 17.6.2010 – 5 W 39/09 – Rz. 22 ff., AG 2011, 717 (zu §§ 327a ff. AktG). 3 BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90 – Rz. 49, WM 1996, 526; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97 –Rz. 28, NZG 1998, 987, 988 (Bungert) = AG 1999, 128 (zu § 305 AktG); OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05 – Rz. 62, AG 2007, 128 (zu §§ 327a ff. AktG); OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 14/13 AktE, 26 W 14/13 AktE – Rz. 50 ff., AG 2017, 712. 4 OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – Rz. 169, AG 2013, 897 (zu § 305 AktG). Letztlich offen lassend, weil keine unechten Synergieeffekte nachgewiesen wurden, OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/25 – Rz. 60, AG 2017, 790. 5 OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05 – Rz. 62, AG 2007, 128 (zu §§ 327a ff. AktG mit Sympathien für die Berücksichtigung). 6 Zu einer Sondersituation OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, BeckRS 2014, 01047 (zu §§ 327a ff. AktG). 7 Decher in FS Hommelhoff, 2012, S. 115 (122 ff.); Fleischer; AG 2014, 97 (99); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 33; Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, S. 32, 40; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (593); Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 64 ff.; Kort, ZGR 1999, 402 (415); Mertens, AG 1992, 321; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 159 f.; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 11; Servatius in Grigoleit, § 305 AktG Rz. 23; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 66 ff.; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 45 f., 81. 8 Exemplarisch Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 68. 9 Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65; Mertens, AG 1992, 321 (327). 10 Kort, ZGR 1999, 402 (416); krit. zu dieser Argumentationslinie Rz. 14.17 ff. 11 Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65. Ähnlich z.B. Easterbrook/Fischel, 91 Yale L. J. 728 (1982).

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16.24

§ 16 Rz. 16.24

Dritter Teil: Querschnittsfragen

lich vorgegeben.1 I.E. werden die Synergiegewinne somit dem Mehrheitsgesellschafter zugeordnet.2 Hingegen sollen sog. „unechte Verbundvorteile“ (z.B. allgemeine Rationalisierungspotentiale oder Verlustvorträge) abzugelten sein,3 jedenfalls soweit sie zum Gegenstand der Planung gemacht werden oder werden können.4 Negative (Netto-)Verbundeffekte dürfen jedenfalls zu Lasten der Auszuschließenden nicht berücksichtigt werden.5

16.25 Die Gegenmeinung tritt für die Berücksichtigung von positiven echten Synergieeffekten ein und gewinnt zunehmend Anhänger.6 Die Begründungsmuster sind unterschiedlich. Einerseits bezieht man sich auf die Gleichbehandlung von Mehrheits- und ausscheidenden Minderheitsgesellschaftern.7 Andererseits wird die Gleichbehandlung des Ausschlusses mit dem Verkauf hervorgehoben, bei dem der Gesellschafter am Synergiegewinn beteiligt würde, weil er im Regelfall mehr als seinen Grenzpreis erhält.8 Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht wird (allerdings als petitio principii) argumentiert, dass Synergieeffekte zum Teil im Unternehmen der betroffenen Tochtergesellschaft angelegt sind, weswegen die Aneignung dieser Vorteile allein durch den Mehrheitsgesellschafter eine unzulässige Ausnützung von corporate opportunities sei.9 Volle Entschädigung ist nach diesen Ansätzen jedenfalls mehr als der Grenzwert des Ausscheidenden und impliziert zumindest eine Beteiligung an den Transaktionsgewinnen und daher auch an den Synergieeffekten.10

1 Vgl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (381) m.w.N.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65; Seicht, RWZ 2004, 161 (165). 2 Vgl. Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 138. 3 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 71; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 33; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (593); Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 66; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 160. 4 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 69. 5 Für alle Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 70; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 135. 6 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 386 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 327b AktG Rz. 9 i.V.m. § 305 AktG Rz. 70 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (386 ff.); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 388 ff.; Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 70 ff.; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 135; Lutter, ZGR 1979, 401 (418); Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 135 ff.; Ruthardt, NZG 2015, 1387 (1392). Diese Richtung ist in Österreich bei grundsätzlich gleicher Rechtslage besonders stark: Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, S. 192 ff.; Doralt, ZGR 1991, 252 (258 f., 275); Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz. 222 ff.; Haberer/Purtscher in Althuber/Schopper, Hdb. Unternehmenskauf, S. 206; Kalss, Anlegerinteressen, S. 517 f.; Kalss/Zollner, Squeeze-out, § 2 Rz. 14; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 441 ff. 7 Kalss, Anlegerinteressen, S. 517; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 138. A.A. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65. 8 Fleischer, ZGR 1997, 368 (389 ff.); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 399; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 137. Abl. z.B. BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90 – Rz. 49, WM 1996, 526. 9 Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, S. 83. Ähnl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 397. 10 Zu den mögl. Bedeutungen des Begriffs „volle Entschädigung“ vgl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (385).

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Winner

Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.28 § 16

c) Stellungnahme Aus den Normtexten lässt sich nichts für die eine oder für die andere Auffassung gewinnen.1 Der Maßstab, nach dem sich die Angemessenheit zu richten hat, bleibt offen; denn es wird zwar klar, wer Bewertungsobjekt (die Gesellschaft), aber nicht wer Bewertungssubjekt sein soll.2 Auch aus Bildern, z.B. dass die Effekte am Bewertungsstichtag „in der Wurzel“ vorliegen müssen, lässt sich für eine problemadäquate Lösung nichts gewinnen.

16.26

Die gegen die Berücksichtigung von Verbundvorteilen vorgebrachten praktischen Schwierigkeiten überzeugen nicht. Diese Probleme sind jeder Bewertung inhärent, die auf zukünftige Ereignisse abstellt, ohne dass deswegen die Ertragswertmethode an sich abgelehnt würde;3 die Problematik der Messbarkeit von Synergieeffekten liegt nicht grundsätzlich anders, obwohl anzuerkennen ist, dass die Situation dadurch verschärft wird, dass es das zu bewertende Unternehmen in dieser Form im Bewertungszeitpunkt gar nicht gibt. Das spricht wohl für Zurückhaltung bei der praktischen Handhabung, aber nicht für eine grundsätzliche Ablehnung. Sofern Verbundeffekte festgestellt werden können, sind sie zu berücksichtigen.4 Auch die bei Verschmelzungen zu beobachtende Gefahr, dass solche Effekte aus Optimismus zu hoch eingeschätzt werden, besteht beim Squeeze-out nicht, besteht doch kein diesbezüglicher Interessengleichlauf zwischen Ausschließendem und Ausgeschlossenen.5 Im Einzelfall können bei der Schätzung des Unternehmenswerts nach § 287 ZPO (bzw. § 738 Abs. 2 BGB)6 Synergiepotentiale auch ohne genauen Nachweis berücksichtigt werden. Trotz der bestehenden Unsicherheiten muss die Schätzung wegen der in solchen Situationen bestehenden Informationsasymmetrie (zugunsten des allenfalls mit erhöhter Zahlungsverpflichtung belegten Mehrheitsgesellschafters) möglich sein; freilich wird es deutliche Anhaltspunkte für das Bestehen, aber auch für die ungefähre Höhe der erwarteten Verbundvorteile geben müssen.

16.27

Mit der ganz h.L. und Rspr. sind unechte Verbundeffekte jedenfalls zu ersetzen.7 Denn diese Effekte sind bereits in der Gesellschaft angelegt, ohne dass es einer besonderen Kooperation mit gerade diesem Hauptgesellschafter bedarf. Hinzu kommt, dass die Geschäftsführung der Gesellschaft ganz generell auch im Interesse der Gesellschafter zu erfolgen hat und Rationalisierungspotentiale vom Vorstand daher grundsätzlich wahrzunehmen sind. Weswegen der Mehrheitsgesellschafter einen Vorteil erlangen soll, wenn die Geschäftsführung dies unterlassen hat, ist nicht ersichtlich; dies wird besonders deutlich, wenn die Hebung dieser Potentiale – vielleicht sogar auf Anregung des Hauptgesellschafters – nur vorläufig, d.h. bis nach Durchführung des Ausschlusses, unterlassen wird. Deswegen ist es entgegen IDW S 1 (Rz. 16.7) auch nicht ausschlaggebend, ob die entsprechenden Maßnahmen schon eingeleitet oder „konkretisiert“ wurden. Die regelmäßig auftretenden Beweisprobleme8 können es

16.28

1 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 408 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (383 f.). 2 Zu Recht Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 591. 3 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 402 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (379 f.); Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 398. 4 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 71. 5 So eindringl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (380 f.). 6 Dazu allg. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 22; s. auch Rz. 1.45 ff. 7 Das Folgende nach Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 447 ff. 8 Zur Bedeutung der Regelung des IDW S 1 aus Gesichtspunkten der Beweislast Fleischer, ZGR 1997, 368 (379 f.). „Zu teuer“ könnte der Ausschluss bei Teilung der Synergieeffekte aus Effizienzgesichtspunkten sein, wenn die Kosten der Feststellung der Verbundvorteile regelmäßig oder doch häufig höher als diese Vorteile selbst sind; dieser Gefahr ist freilich besser auf verfahrensrechtlicher

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§ 16 Rz. 16.28

Dritter Teil: Querschnittsfragen

nicht rechtfertigen, die Ersatzfähigkeit bestimmter Posten generell abzulehnen. Für die Einbeziehung spricht auch, dass unechte Verbundvorteile1 im Börsenkurs, der grundsätzlich zu berücksichtigen ist (vgl. Rz. 18.41 ff., 18.62 ff.), eingepreist sein können. Ebenso stellt mit der einhelligen Lehre der Entscheidungswert des Ausgeschlossenen die Untergrenze dar.

16.29 Für die Beurteilung der Ersatzfähigkeit echter Verbundvorteile ist weiter auszuholen.2 Zunächst ist aus wohlfahrtsökonomischen Überlegungen wenig zu gewinnen.3 Denn Konzentrationen werden nicht zu billig, wenn bloß der Ersatz der subjektiven Nachteile ohne Abgabe eines Teils der Synergiegewinne erforderlich ist. Als Maßstab, wann die Konzentration „zu billig“ ist, kommt vor allem ein wohlfahrtstheoretischer Ansatz in Betracht. Hier genügt der Ersatz des subjektiven Werts beim Enteigneten grundsätzlich, um ineffiziente Enteignungen zu verhindern;4 das gilt auch für den Ausschluss der Minderheitsgesellschafter. Ebenso wenig vermeidet eine Teilung von Synergiegewinnen per se wohlfahrtsfördernde Transaktionen. Zwar besteht die Gefahr, dass effiziente Maßnahmen unterbleiben, wenn Verbundvorteile herauszugeben sind, weil dann keine Anreize vorliegen, diese Vorteile auch zu heben.5 Allerdings kann das ohnehin bloß für Synergien gelten, die nur mit Mühe entdeckt und/oder gehoben werden können.6 Aber auch hier gewinnt dieses Argument nur dann an Gewicht, wenn der Verteilungsschlüssel sehr stark zugunsten der Minderheit ausfällt (dazu Rz. 16.31 ff.).7

16.30 Die Teilung von Synergiegewinnen hat daher vor allem Umverteilungswirkungen; ausschlaggebend sind Gerechtigkeitsgesichtspunkte. Beim Squeeze-out können die Minderheitsgesellschafter nicht selbst über die Aufgabe ihrer Rechtsposition entscheiden; gerade diese individuelle Verfügungsmacht ist auch nicht gewollt, da sie von einem Zwerggesellschafter genutzt werden könnte, um nahezu den ganzen Transaktionsgewinn des Mehrheitsgesellschafters abzuschöpfen. Dieser soll vor einer solchen hold-out-Situation geschützt werden.8 Wenn die Minderheit so handelt, wird das Verhältnis von Mitteleinsatz des Zwerggesellschafters zu Beteiligung an den Synergien in ein nicht mehr faires Verhältnis gesetzt. Das Ausschlussrecht vermeidet diesen Effekt. Will man den Mehrheitsaktionär davor schützen, nahezu den gesamten Transaktionsgewinn herausgeben zu müssen, um die letzten Anteile aufzusammeln, so darf daraus freilich nicht der Schluss gezogen werden, dass er den Transaktionsgewinn zur Gänze einstreifen darf.9 Die Rechtsordnung hat einen fairen Kompromiss zwischen den zu berück-

1

2 3 4 5 6 7 8 9

Ebene zu begegnen. Siehe aus der Rspr. OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/25 – Rz. 60, AG 2017, 790. Auch echte Verbundvorteile können eingepreist sein, wenn der Ausschluss der Minderheitsgesellschafter angekündigt oder sonst bekannt ist; vgl. Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, S. 67 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 67. Vom Ansatz her ähnlich Fleischer, ZGR 1997, 368 (389 ff.); vgl. auch Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 85; Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 10 (13). Teilweise abw. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 399; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, S. 83 f.; vgl. auch Fleischer, ZGR 1997, 368 (388 f.). Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 300 ff.; so auch Koppensteiner in FS Ostheim, 1990, S. 403 (424); Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 591. Allg. Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J (1982) 698 ff., insb. 728. Subramanian, 115 Yale L. J. 43 (2005) in Fn. 175. Vgl. Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, S. 23 bei Fn. 17. Für alle Fleischer in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2007, Vor §§ 327a-f AktG Rz. 14 m.w.N. So auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 404 f.

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.33 § 16

sichtigenden Interessen zu erreichen.1 Erkennt man die vertragsrechtliche Wurzel des Gesellschafterausschlusses an, so muss der Enteignungsbegünstigte seine höheren subjektiven Nutzungsmöglichkeiten zumindest zum Teil an die Enteigneten abgeben.2 Zu Auswirkungen dieser Ansicht auf die Maßgeblichkeit von Vorerwerbspreisen für die Höhe der Abfindung vgl. Rz. 19.114 ff. d) Verteilungsschlüssel Wenn man die Aufteilung der Verbundpotentiale grundsätzlich bejaht, muss man auch zum „Wie“ Stellung nehmen.3 Rechtliche Vorgaben für eine angemessene Aufteilung sind nur schwierig zu finden; denn echte Synergiegewinne können grundsätzlich nicht kausal der einen oder der anderen Gesellschaft zugeordnet werden, sondern entstehen erst aus der Zusammenführung der Unternehmen. Daraus abzuleiten, dass die Verbundvorteile nicht zu berücksichtigen sind, führt aber auch zu einer Aufteilung, nämlich zu einer Zuweisung zum ausschließenden Mehrheitsgesellschafter.4

16.31

Neben der nahe liegenden Aufteilung zu gleichen Teilen5 wird im Schrifttum die Aufteilung 2:1 oder 3:1 zugunsten des Mehrheitsaktionärs wegen dessen größerer Verantwortung für die Verbundvorteile vertreten.6 Die Aufteilung soll auch nach den Ertragswerten der beteiligten Gesellschaften oder nach den Ertragswertzuwächsen erfolgen können.7 Soweit sich synergieeffektive Vermögensbestandteile ausmachen lassen, kommt auch eine Teilung nach dem Verhältnis der Werte dieser Bestandteile in Betracht.8 Alle Ansätze sind in gewissem Maß willkürlich.9 Andere Autoren präferieren ergebnisoffenere Ansätze: Steigerung der Anreize zur effizienzsteigernden Transaktion10 oder Honorierung unternehmerischer Leistungen des Mehrheitsaktionärs bei Entdeckung und Verwirklichung der Verbundeffekte.11

16.32

Bei diesen Ansätzen bleibt zunächst Großteils unbeantwortet, zwischen wem zu teilen ist,12 zwischen den beteiligten Gesellschaften oder unmittelbar zwischen Minderheitsaktionären und Mehrheitsaktionär. Eine gleiche Teilung zwischen den Gesellschaften13 ist aus gesellschaftsrechtlicher Sicht zwar konsequent, weil beide zu den Verbundeffekten beitragen, führt aber dazu, dass dem Mehrheitsaktionär mindestens 97,5 % der echten Synergiegewinne zu-

16.33

1 Zur Schiedspreisermittlung eindringlich Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 19. 2 A.A. z.B. Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (580). 3 Das Folgende nach Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 450 ff. 4 Fleischer, ZGR 1997, 368 (383); Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 10 (13). 5 Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407 (1424 ff.); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 71; Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 10 (13); Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, S. 407; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, S. 18 f. Kritisch Fleischer, ZGR 1997, 368 (381). 6 Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 404. 7 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 410 f.; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 404. 8 Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 87. 9 Fleischer, ZGR 1997, 368 (382). 10 Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, S. 83 f. 11 Fleischer, ZGR 1997, 368 (398 f.). Ähnl. im Ansatz Großfeld/Egger/Tönnes, Unternehmensbewertung, Rz. 404. 12 Vgl. Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407 (1424 ff.). 13 Dafür Kalss/Zollner, Squeeze-out, § 2 Rz. 14.

Winner 459

§ 16 Rz. 16.33

Dritter Teil: Querschnittsfragen

kommen.1 Schon wegen dieses Effekts ist es nicht angezeigt, der Obergesellschaft mehr als die Hälfte der Synergiegewinne zukommen zu lassen.2 Die Aufteilung nach den Ertragswerten der beteiligten Gesellschaften überzeugt m.E. nicht, weil die relative Größe der beteiligten Unternehmen nichts darüber aussagt, welche Gesellschaft für Verbundvorteile in welchem Ausmaß kausal ist.3

16.34 Wenngleich dieser Ansatz plausibel ist, ist es m.E. ebenso gut vertretbar, die Teilung der echten Synergiegewinne unmittelbar zwischen Mehrheitsgesellschafter und Abzufindenden vorzunehmen. Damit nähert sich die Lösung am ehesten möglichen Verhandlungsergebnissen an, weil die Abzufindenden mit einer äußerst geringen Zuteilung der Synergien im Regelfall nicht einverstanden wären. Eine hälftige Teilung4 zwischen diesen kann freilich dazu führen, dass der „Synergiebestandteil“ der Abfindung pro Aktie den Anteil am stand-alone-Wert bei weitem übersteigt, auch wenn die Synergiegewinne an sich wesentlich geringer als dieser sind; wegen dieser deutlichen Schlechterbehandlung des Mehrheitsaktionärs der Untergesellschaft scheidet die hälftige Teilung unmittelbar zwischen Mehrheit und Minderheit m.E. aus. Besser ist die proportionale Teilung nach dem Ausmaß der von Hauptgesellschafter und Minderheit gehaltenen Beteiligungen5 – ein Ansatz, der im Gesellschaftsrecht ohnehin nahe liegt.

16.35 Beide Ansätze – hälftige Teilung zwischen Ober- und Untergesellschaft und unmittelbare proportionale Teilung zwischen Hauptgesellschafter und Ausgeschlossenen – laufen direkt oder indirekt auf eine anteilige Verteilung hinaus,6 allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen im Einzelfall. In dem von ihnen gebildeten Korridor hat sich die Verteilung der erwarteten Verbundvorteile im Regelfall zu bewegen. Die angemessene Verteilung im Rahmen dieser Vorgaben hat der Sachverständige vorzunehmen. Er hat sie freilich offen zu legen, um dem Richter eine abweichende Beurteilung zu ermöglichen. Dafür bedarf es neben der Bewertung von Verbundvorteilen und ihrer Verteilung auch Aussagen zu den Kriterien für die Verteilung.

16.36 Unechte Verbundvorteile sind hingegen kein Transaktionsgewinn, sondern bestehen unabhängig von dem Gesellschafterausschluss. Daher stehen sie (z.B. als Rationalisierungspotentiale) den Minderheitsgesellschaftern aus gesellschaftsrechtlichen Gründen anteilsmäßig zu. 2. Abfindungsanspruch bei gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen a) Fallgruppen

16.37 Gemäß § 305 AktG hat ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag eine angemessene Abfindung für die außenstehenden Aktionäre der abhängigen Gesellschaft zu enthalten, den sie anstelle des Ausgleichs nach § 304 AktG wählen können. Diese kann bzw. muss unter bestimmten Bedingungen (näher § 305 Abs. 2 AktG) eine angemessene Barabfindung7 sein. Die Aktionäre haben in diesen Fällen somit ein Wahlrecht, ob sie ausscheiden wollen oder nicht. Die Barabfindung muss die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Be1 Dem Mehrheitsaktionär stehen einerseits 50 % als Obergesellschaft zu, aufgrund seiner Beteiligung von zumindest 95 % an der Untergesellschaft aber i.E. auch mindestens 47,5 % der dort anfallenden Synergiegewinne. Vgl. Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, S. 23 in Fn. 17. 2 So aber Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 404. 3 Ähnlich Fleischer, ZGR 1997, 368 (382). A.A. Adolff, Unternehmensbewertung, S. 410 f. 4 Dafür Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407 (1427) m.w.N. 5 Vgl. aus den USA Brudney/Chirelstein, 87 Yale L. J. (1978) 1359 ff. 6 Für diese auch Busse v. Colbe, ZGR 1994, 595 (604). 7 Zur Abfindung in Aktien Rz. 16.67 ff.

460

Winner

Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.41 § 16

schlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG). Obwohl § 305 Abs. 3 AktG vor allem auf die Verhältnisse der abhängigen Gesellschaft abstellt, ist damit nicht gesagt, aus welchem Blickwinkel diese Verhältnisse zu beurteilen sind (vgl. schon Rz. 16.26). Bei der Eingliederung nach §§ 320 ff. AktG gehen die Anteile der Minderheitsaktionäre auf die Hauptgesellschafterin über. Den anderen Aktionären sind gem. § 320b AktG Aktien der Hauptgesellschafterin als Abfindung zu gewähren. Ist diese ihrerseits eine abhängige Gesellschaft, so muss daneben eine angemessene Barabfindung gewährt werden (§ 320b Abs. 1 Satz 3 AktG); anders als bei der Abfindung nach § 305 AktG steht in diesem Fall den ausgeschlossenen Gesellschaftern die Wahl der Abfindungsart zu, während ihnen die Anteile der Gesellschaft jedenfalls entzogen werden.

16.38

In verschiedenen Zusammenhängen gewährt das UmwG Anteilsinhabern eines übertragenden Rechtsträgers ein Recht auf Hingabe ihrer Mitgliedschaft gegen eine angemessene Barabfindung: bei der Mischverschmelzung (bei der also ein Rechtsformwechsel stattfindet), bei der Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, bei Verschmelzungen, nach denen die Anteile bei dem übernehmenden Rechtsträger dinglichen Verfügungsbeschränkungen unterliegen (alles in § 29 Abs. 1 UmwG) und wenn bei einer internationalen Verschmelzung die übernehmende oder neue Gesellschaft nicht dem deutschen Recht unterliegt (§ 122i UmwG). Ein solches Austrittsrecht besteht auch beim Formwechsel gem. §§ 207 f. UmwG. Dem entspricht, dass bei der SE-Gründung widersprechenden Gesellschaftern eine angemessene Barabfindung anzubieten ist, wenn die SE nach der Verschmelzung ihren Sitz im Ausland haben soll (§ 7 Abs. 1 SEAG), wenn die neu gegründete Holding-SE ihren Sitz im Ausland haben soll bzw. eine abhängige SE i.S.v. § 17 AktG sein soll (§ 9 Abs. 1 SEAG) oder wenn die SE gem. Art. 8 SEV ihren Sitz grenzüberschreitend verlegt (§ 12 Abs. 1 SEAG). In all diesen Fällen muss die Barabfindung die Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Maßnahme berücksichtigen (§ 30 Abs. 1 UmwG i.V.m. § 122i Satz 3 bzw. § 208 UmwG; § 7 Abs. 2 SEAG i.V.m. § 9 Abs. 2 bzw. § 12 Abs. 2 SEAG).

16.39

Gemein ist den Ansprüchen, dass die Gesellschafter nicht gezwungen sind, ihre Anteile abzugeben. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass sie bei den Ansprüchen aus Eingliederung, Umwandlung oder SE-Gründung die Wahl zwischen Aktien an einem neuen Rechtsträger und Barabfindung haben, während sie beim Abschluss eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrags in der abhängigen Gesellschaft bleiben müssen, wenn sie die Barabfindung nicht annehmen wollen.

16.40

b) Meinungsstand Die Rspr. des BGH in Sachen Asea/BBC1 betraf die Abfindung nach § 305 AktG; die Berücksichtigung von echten Synergiepotentialen wurde dort abgelehnt (dazu schon Rz. 16.21). Ersetzt wird – auch nach der einschlägigen Rspr. der Instanzgerichte –2 der Grenzwert, zu dem 1 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Rz. 11 ff., BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286. 2 Vgl. z.B. BayObLG v. 11.12.1995 – 3Z BR 36/91 – Rz. 39, AG 1996, 176; BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90 – Rz. 49, AG 1996, 259; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97 – Rz. 27, AG 1999, 128; OLG Düsseldorf v. 19.10.1999 – 19 W 1/96 AktE – Rz. 36 ff., AG 2000, 323; OLG Stuttgart v. 4.2.2000 – 4 W 15/98 – Rz. 21 ff., AG 2000, 428; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10 – Rz. 169, AG 2013, 897; OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 136 ff., AG 2014, 822.

Winner 461

16.41

§ 16 Rz. 16.41

Dritter Teil: Querschnittsfragen

die Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft ausscheiden können, ohne wirtschaftliche Nachteile zu erleiden. Die h.M. lehnt die Berücksichtigung echter Synergieeffekte ebenfalls ab1 (so auch zu § 29 UmwG hier Rz. 22.61). Sie stützt sich dabei auch darauf, dass nach §§ 311 ff. AktG im faktischen Konzern Verbundnachteile der Tochtergesellschaft nicht zu ersetzen sind.2 Unechte Verbundvorteile sind hingegen auch bei diesem Abfindungsanspruch zu ersetzen.3 Negative (Netto-)Verbundeffekte dürfen jedenfalls zu Lasten der Abzufindenden nicht berücksichtigt werden.4 In der Sache stellen sich ähnliche Fragen bei der Berechnung des festen Ausgleichs nach § 304 AktG: Inwieweit müssen Ertragsmöglichkeiten, die sich erst aus dem Unternehmensvertrag ergeben, bei der Beurteilung der künftigen Ertragsaussichten berücksichtigt werden? Die h.M. lehnt auch bei dieser Frage die Berücksichtigung echter Verbundeffekte ab.5

16.42 Ähnlich wie beim Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG spricht sich auch in diesem Zusammenhang die Mindermeinung für eine Berücksichtigung von echten Synergieeffekten aus.6 Als Begründung wird neben den in Rz. 16.24 angegebenen Aspekten auch hervorgehoben, dass es sonst zu einer Ungleichbehandlung mit der Abfindung in Aktien kommt:7 Denn bei dieser findet auch bei Bewertung der beiden Unternehmen stand alone jedenfalls eine Teilung des Synergiegewinns zwischen den Gesellschaften im Verhältnis ihrer Unternehmenswerte statt (näher Rz. 16.59 ff.).

16.43 Zu allen anderen Abfindungsansprüchen wird im Wesentlichen auf die jeweilige Position zu § 305 AktG verwiesen. Explizite Stellungnahmen zu § 320b AktG8 und zum UmwG9 vertreten ganz überwiegend, dass echte Synergieeffekte nicht zu berücksichtigen sind, unechte hingegen schon; der Abzufindende soll keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, m.a.W. zu 1 Deilmann in Hölters, § 305 AktG Rz. 65; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 33; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 64 ff.; Paschos in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 305 AktG Rz. 19; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 11; Servatius in Grigoleit, § 305 AktG Rz. 23; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 66 ff.; Veil/ Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 45 f., 81. 2 Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65. 3 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 71; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 66; vgl. auch OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822. 4 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 70; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 135. 5 Henkel in Schüppen/Schaub, MünchAnwaltsHdb. Aktienrecht, § 53 Rz. 77; Spindler/Klöhn, Der Konzern 2003, 511 (519 ff.); Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 78. 6 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 386 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 70 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (386 ff.); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 404 f.; Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 70 ff.; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 135; Lutter, ZGR 1979, 401 (418); Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 135 ff. 7 So z.B. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 408 f.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (387). 8 Hüffer/Koch, § 320b AktG Rz. 2 i.V.m. § 305 AktG Rz. 33; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 320b AktG Rz. 10 i.V.m. § 305 AktG Rz. 65. 9 Humrich in MünchHdb. Umwandlungsrecht, § 14 Rz. 315 f.; Rieder in Habersack/Wicke, § 30 UmwG Rz. 8; Winter in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 5 UmwG Rz. 30 f; Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 15 ff. Für Österreich Winner/Obradovic´ in Talos/Winner, EU-Verschmelzungsgesetz, § 10 Rz. 69.

462

Winner

Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.47 § 16

einem (typisierten) Grenzwert abgefunden werden. Nur vereinzelt wird die Berücksichtigung von Synergiegewinnen vertreten.1 Zur Begründung werden weitgehend die zu § 305 AktG entwickelten Argumentationslinien herangezogen. c) Stellungnahme Die Beurteilung hängt von Telos und Rahmenbedingungen der einzelnen Austrittsrechte 16.44 ab und darf nicht pauschal erfolgen. Die Problematik ähnelt in der Sache derjenigen beim Squeeze-out, ohne ihr zur Gänze zu entsprechen. Denn es kommt in allen Fällen nicht zu einem zwangsweisen Ausschluss; damit geht es nicht um den Schutz des Mehrheitsaktionärs vor einem hold-out (Rz. 16.29 ff.). Alle hier behandelten Normen sollen ganz im Gegenteil die opponierenden Gesellschafter gegen die Folgen einer für sie möglicherweise nachteiligen Beschlussfassung durch eine Austrittsmöglichkeit schützen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Minderheitsgesellschafter in den meisten Fällen die Möglichkeit haben, an den Synergieeffekten weiterhin zu partizipieren, indem sie von ihrem Austrittsrecht nicht Gebrauch machen – denn dann bleiben sie an demjenigen Rechtsträger beteiligt, bei dem diese Gewinne in Zukunft (hoffentlich) anfallen werden. Das Ausmaß der Partizipation bestimmt sich dann durch die Festlegung des Umtauschverhältnisses – wie zu zeigen sein wird (Rz. 16.59 ff.), lässt das Problem sich dort auch wesentlich leichter und eleganter lösen als bei der Festlegung einer Barabfindung. M.E. sind (echte) Synergieeffekte bei der Festlegung der Barabfindung nicht einzupreisen, wenn die Gesellschafter sich entscheiden, ihr Austrittsrecht auszuüben, obwohl sie die Möglichkeit hätten, durch Verbleib in dem neu entstandenen Rechtsträger an diesen Synergieeffekten zu partizipieren.2 Dafür sprechen zumindest zwei Aspekte:

16.45

Erstens ist nicht einzusehen, warum der austrittswillige Gesellschafter einerseits die Risiken 16.46 der neuen Mitgliedschaft nicht eingehen will, aber andererseits eine Beteiligung an ihren Vorteilen durch Auszahlung des Werts der Synergiepotentiale verlangen können soll. Wenn er sich für die Abfindung entscheidet, dann zeigt er, dass er die neue Organisationsform nicht für zielführend hält und den alten Zustand bevorzugt; bei diesem Wort soll er auch genommen werden. Dass die Gesellschaft, an der er in Zukunft beteiligt sein wird, vielleicht oder sogar zwingend (in den Fällen des § 320b Abs. 1 Satz 3 AktG) ihrerseits eine abhängige Gesellschaft ist, verfängt m.E. nicht, da es ganz generell kein Austrittsrecht bei bloß faktischer Konzernierung (jedenfalls bei nicht börsennotierten Gesellschaften) gibt. Dagegen spricht auch nicht, dass alle Normen die Abfindungsberechtigten vor einer gewissen Gefahr schützen wollen (Rechtsformwechsel in eine inländische oder ausländische Rechtsform, Verlust der Börsennotierung etc.). Denn das Austrittsrecht gewährleistet nur, dass dieses Risiko nicht genommen werden muss, verlangt aber nicht umgekehrt, dass den Ausscheidenden dennoch die Vorteile aus der Neustrukturierung abgegolten werden sollen. Zweitens ist die Ermittlung von Synergiepotentialen mit Unsicherheit behaftet. Die Erfahrung zeigt, dass eine verlässliche Schätzung schwer möglich ist. Dies trifft zwar für jede zukunftsbezogene Bewertung zu, ist aber bei erhofften Transaktionsgewinnen dadurch ver1 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 386 ff. (zu Eingliederung und §§ 29, 207 UmwG); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 305 AktG Rz. 70 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (zur Eingliederung). Offen lassend Simon in KölnKomm. UmwG, § 30 UmwG Rz. 10 f. 2 So schon im Ansatz Winner/Obradovic´ in Talos/Winner, EU-Verschmelzungsgesetz, § 10 Rz. 69.

Winner 463

16.47

§ 16 Rz. 16.47

Dritter Teil: Querschnittsfragen

schärft, dass es das zu bewertende Unternehmen in dieser Form im Bewertungszeitpunkt gar nicht gibt. Daraus kann man zwar nicht ableiten, dass Synergiepotentiale unter keinen Umständen zu ersetzen sind (vgl. schon Rz. 16.27), aber es spricht doch für eine zurückhaltende Einbeziehung. Denn i.E. werden bei einer Barabfindung die Synergiepotentiale monetarisiert und ausgezahlt, bevor sie sich tatsächlich verwirklicht haben, ohne dass sie zurückgefordert werden können, wenn sich diese Hoffnungen nicht realisieren. Werden die Synergiepotentiale hingegen (bloß) bei der Festlegung des Umtauschverhältnisses für die Ausgabe neuer Aktien berücksichtigt, so sind die Effekte nicht endgültig – alle Beteiligten bleiben in der Risikogemeinschaft Gesellschaft verbunden. Das spricht für Zurückhaltung beim Ersatz der Potentiale, wenn die Partizipation bei Verbleib in der Gesellschaft möglich ist.

16.48 I.E. ergibt sich aus Telos und Funktionszusammenhang somit, dass echte Synergieeffekte bei den Abfindungen nach § 320b AktG, §§ 29 Abs. 1, 122i, 207 f. UmwG sowie §§ 7, 9 und 12 SEAG nicht zu ersetzen sind. Die Bewertung der übertragenden, einzugliedernden, sich umwandelnden, ihren Sitz verlegenden bzw. eine Holdinggesellschaft gründenden Gesellschaft erfolgt für die Angemessenheit der Abfindung stand alone. Daraus kann folgen, dass die Übernahme von Aktien attraktiver gestaltet wird als die Barabfindung; gerade dies spiegelt aber die Entscheidungssituation wider: Bevorzugung der neuen unternehmerischen Einheit oder des status quo.

16.49 Anders ist m.E. die Situation bei der Ermittlung der Angemessenheit der Abfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages gem. § 305 AktG. Denn eine Wahlmöglichkeit hat der Abfindungsberechtigte1 nur insofern, dass er in der Untergesellschaft verbleiben kann, wenn er die Abfindung nicht annimmt. Damit wird er im Regelfall keine Möglichkeit haben, an den Synergiegewinnen zu partizipieren, wenn er die Abfindung nicht annimmt; denn er soll durch das Austrittsrecht ja gerade vor der ganz naheliegenden Gefahr einer Beeinträchtigung seiner mitgliedschaftlichen Stellung in der abhängigen Gesellschaft durch den Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrag geschützt werden, die dazu führen wird, dass ihm auch bisher zustehende Vorteile durch den Vertrag entzogen werden. Deswegen ist es für die Abfindung nach § 305 AktG angemessen, ihn an den durch die Vertragskonzernierung entstehenden Synergieeffekten zumindest durch eine angemessene (vgl. dazu Rz. 16.31 ff.) Berücksichtigung bei der Festlegung der Barabfindung teilhaben zu lassen.2 3. Gesellschafterausschluss im GmbH-Recht

16.50 Bei der GmbH ist der Ausschluss von Gesellschaftern auch ohne Satzungsregelung (vgl. § 34 GmbHG) aus einem wichtigen Grund möglich, der dem Auszuschließenden aber zuzurechnen sein muss.3 Allerdings darf der Ausschluss nicht zu einer finanziellen Schädigung des Ausgeschlossenen führen, weswegen der volle wirtschaftliche Wert (Verkehrswert) des Anteils abzufinden ist.4 Der Gesellschaftsvertrag kann nähere Regelungen über die Höhe der Abfindung

1 Ein Wahlrecht haben auch im Fall von § 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG nur die Vertragspartner des Unternehmensvertrags. 2 Das muss dann wohl auch für die Berechnung des festen Ausgleichs nach § 304 AktG gelten. 3 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157. Näher z.B. Fastrich in Baumbach/Hueck, Anh. § 34 GmbHG Rz. 2 ff. 4 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52 – Rz. 35, BGHZ 9, 157; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 208 m.w.N.

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Winner

Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.53 § 16

enthalten.1 Abfindungsschuldner ist die Gesellschaft. In der Sache gelten dieselben Grundsätze, wenn die Satzung gem. § 34 GmbHG die (Zwangs-)Einziehung von Anteilen vorsieht.2 Ob allenfalls auftretende Synergieeffekte zu ersetzen sind, wird im Standardschrifttum nicht erörtert. Das ist aus praktischer Sicht auch naheliegend, denn Verbundeffekte treten typischerweise in Zusammenhang mit einem Ausschluss aus wichtigem Grund nicht auf, bei dem der Grund in der Person oder im Verhalten des Auszuschließenden liegen muss, nicht aber in Vorteilen für die anderen Gesellschafter. Das kann bei der Zwangseinziehung im Einzelfall anders sein, weil die Satzung auch andere sachliche Gründe festlegen kann, die die Einziehung rechtfertigen können. Für den Ersatz allenfalls auftretender Verbundvorteile spricht, dass der ausgeschlossene Gesellschafter kein Wahlrecht hat, sondern die Abfindung gegen Geschäftsanteile nehmen muss. Das sollte m.E. den Ausschlag geben, selbst wenn der wichtige Grund für den Ausschluss dem Ausgeschlossenen auch vorgeworfen werden kann und obwohl der Abfindungsschuldner die GmbH selbst ist.

16.51

Das gilt umso mehr, wenn der Gesellschafter aus wichtigem Grund aus der GmbH austritt. 16.52 Denn dieser Grund kann auch in einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft liegen, die die Gesellschafterposition wesentlich beeinflusst, aber ganz allgemein auch in Gründen, welche aus der Sphäre der anderen Gesellschafter rühren.3 Ab welchem Intensitätsgrad der Konzernierung das Austrittsrecht besteht, ist äußerst strittig.4 Ob ein Austrittsrecht bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zusteht, hängt vor allem davon ab, welche Mehrheit für die Beschlussfassung über den Vertrag erforderlich ist; genügt die qualifizierte Mehrheit, so besteht nach h.M. analog zu § 305 AktG ein Anspruch auf Barabfindung, der sich dann auch – anders als in anderen Fällen des Austrittsrechts aus wichtigem Grund – gegen den Vertragspartner richtet.5 In all diesen Fällen sind Verbundeffekte m.E. abzugelten.

VI. Anteilstausch 1. Verschmelzung a) Ausgangslage Die Erwartung, dass Synergien und andere positive Transaktionseffekte eintreten werden, ist ein wesentlicher Motor für Unternehmenszusammenschlüsse.6 Freilich dienen Verschmelzungen in der Realität nicht zwingend der Zusammenführung bisher wirtschaftlich selbständiger Einheiten (sog. Konzentrationsverschmelzung).7 In der Praxis ist die Konzernverschmel1 Zu den Grenzen vgl. z.B. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 26 ff. m.w.N. Im Regelfall geht es um Vorschriften für vergleichbare Ausschluss- bzw. Einziehungstatbestände; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 34 GmbHG Rz. 45. 2 Für alle Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 54 ff. 3 Vgl. Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 182 ff. m.w.N. 4 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 13 GmbHG Anh. Rz. 332 f.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 184 mit Überblick über den Meinungsstand. 5 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 13 GmbHG Anh. Rz. 913 ff. 6 Für alle Angermayer-Michler/Oser in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1363 (1376 ff.); Pfitzer in IDW, WP Handbuch, 14. Aufl. 2014, Bd. II, F Rz. 243. 7 Zu den Realtypen Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 21 f.; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 377.

Winner 465

16.53

§ 16 Rz. 16.53

Dritter Teil: Querschnittsfragen

zung bisher rechtlich selbständiger, aber unter einheitlicher Leitung stehender Gesellschaften häufiger. Bei beiden Typen können Synergieeffekte auftreten. Während bei der Konzentrationsverschmelzung über die Verteilung dieser Vorteile aber typischerweise Verhandlungen bisher voneinander unabhängiger Vertragspartner stattfinden (sei es der Vorstände der Gesellschaften, sei es ihrer Mehrheitsgesellschafter) und dem Verschmelzungsvertrag daher eine gewisse Richtigkeitschance zukommt, kann bei der Konzernverschmelzung von einer unabhängigen Willensbildung in der Tochtergesellschaft keine Rede sein. Diese Unterschiede sind m.E. auch bei der rechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen. Abgesehen davon werden bei der Verschmelzung auch die Aktionärskreise zusammengeführt; wegen dieses mitgliedschaftserhaltenden Charakters der Maßnahme wird den Aktionären ihr Aktieneigentum nicht entzogen.

16.54 Die Schlüsselfrage aus Sicht der beteiligten Aktionäre bei einer Verschmelzung ist die Festlegung des Umtauschverhältnisses: Wie viele Aktien der übernehmenden Gesellschaft werden pro Aktie der übertragenden Gesellschaft gewährt? Auch hier geht es einerseits darum, dass die jedem Aktionär zustehenden Aktien nach der Verschmelzung nicht weniger wert sein sollen als zuvor, mit anderen Worten um die Ermittlung des Grenzpreises. Andererseits soll die Verschmelzung auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Das Umtauschverhältnis bestimmt somit i.E. auch, in welchem Verhältnis diese Vorteile zwischen den beiden Gesellschaftergruppen geteilt werden.

16.55 Deswegen bestimmt § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwG (allerdings bloß indirekt über den Inhalt des Prüfungsberichts), dass das Umtauschverhältnis „angemessen“ festzulegen ist (vgl. dazu grundsätzlich Rz. 22.11 ff.). Fehlt es an einer solchen Festlegung, so kann das Umtauschverhältnis auf Antrag von Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers nachträglich in einem Spruchverfahren gem. § 15 UmwG durch bare Zuzahlungen korrigiert werden. Aus § 12 Abs. 2 UmwG geht auch hervor, dass das Umtauschverhältnis nach einer bestimmten Methode ermittelt werden muss; dies bedeutet, dass im Regelfall eine Bewertung der beteiligten Unternehmen vorgenommen werden muss1 und dass dann in einem zweiten Schritt die ermittelten Unternehmenswerte zueinander in Relation gesetzt werden müssen. Was sich darüber hinaus hinter dem Konzept der „Angemessenheit“ verbirgt, lässt sich dem UmwG nicht unmittelbar entnehmen; das gilt auch für die hier interessierende Frage der Verteilung der Synergieeffekte zwischen den Gesellschaftern der übertragenden und denjenigen der übernehmenden Gesellschaft. b) Rechtsprechung und Schrifttum

16.56 Die Rspr. der Instanzgerichte geht zumeist ohne nähere Erörterung davon aus, dass für die Ermittlung des angemessenen Umtauschverhältnisses bei der Verschmelzung die objektiven Werte der beteiligten Unternehmen auf stand-alone-Basis heranzuziehen sind, womit echte Verbundvorteile nicht berücksichtigt werden.2 Vereinzelt wird die Berücksichtigung thematisiert.3 Das OLG Stuttgart scheint allerdings neben der Bewertung der Unternehmen nach dem 1 Für alle Drygala in Lutter, § 12 UmwG Rz. 4. Zur Verschmelzung allein auf Basis der Börsenkurse vgl. Rz. 18.55 ff. 2 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf v. 20.10.2005 – 19 W 11/04 – Rz. 25 f., AG 2006, 287; OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Rz. 92, AG 2010, 751. 3 OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, AG 1984, 216; offen lassend OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Rz. 365 ff., AG 2011, 49. Die meisten im Standardschrifttum in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen betreffen § 305 AktG.

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.59 § 16

stand-alone-Prinzip auch eine explizite Einbeziehung der echten Synergieeffekte zulassen zu wollen.1 Hingegen sollen unechte Verbundvorteile (hier: Verlustvorträge) nach einer Entscheidung zu einer Konzernverschmelzung jedenfalls dann bei der Bewertung den Gesellschaften je hälftig zugewiesen werden können, wenn der Ertragswert der Tochtergesellschaft wesentlich geringer ist als derjenige der Muttergesellschaft.2 Die überwiegende Meinung im Schrifttum folgt der Rspr.3 (vgl. auch Rz. 22.34). Subjektive 16.57 Vorstellungen der Beteiligten sind nach dieser Ansicht nicht zu berücksichtigen. Vielmehr erfolgt die Bewertung stand alone, das heißt auf Basis der jeweiligen Unternehmenswerte ohne Berücksichtigung von echten Synergieeffekten und ähnlichen Transaktionsgewinnen; das Verhältnis dieser Unternehmenswerte bestimmt dann auch das Umtauschverhältnis. Das muss auch für die Festlegung des Werts im Rahmen der baren Zuzahlung gelten. Eine Gegenmeinung geht für die bare Zuzahlung hingegen davon aus, dass konkrete Synergieeffekte zu berücksichtigen sind, ohne jedoch in allen Fällen näher festzulegen, in welcher Weise die Verbundeffekte herangezogen werden sollen.4 Dazu vorgeschlagene Konzepte sind hälftige Teilung oder Verteilung im Verhältnis der Ertragswertzuwächse.5 Nach mancher Ansicht soll die Aufteilung anhand einer „wertenden Zurechnung“ im Einzelfall vorgenommen werden, die wohl die kausalen Beiträge jeder Gesellschaft zu den Verbundvorteilen würdigt;6 i.E. läuft dies wohl vor allem auf die Berücksichtigung tatsächlich getätigter und auch zielführender Aufwendungen hinaus. Freilich wird zugestanden, dass die richterliche Nachprüfbarkeit nur mehr sehr eingeschränkt gegeben ist, wenn auf topische Gesichtspunkte zurückgegriffen wird.7 Nach anderer Ansicht kann die Aufteilung der Verbundvorteile zumindest bei der Verschmelzung bisher unverbundener Gesellschaften zwischen den Gesellschaftergruppen frei erfolgen, während bei Verschmelzungen im Konzern zum Schutz der Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft die Verschmelzung nach dem Verhältnis der standalone-Werte zu erfolgen hat.8

16.58

c) Grundlagen Wenn das Umtauschverhältnis anhand einer Bewertung der Unternehmen stand alone bestimmt wird, so erhält jede Gesellschaftergruppe automatisch wertmäßig dasjenige, was sie auch vor der Transaktion hatte (sofern die Transaktion keine Werte vernichtet). Die Bewertung stand alone führt wegen des mitgliedschaftserhaltenden Charakters der Verschmelzung im Gegensatz zur Lage beim Gesellschafterausschluss aber nicht dazu, dass Synergiegewinne

1 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 137, AG 2006, 421. 2 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06 – Rz. 45 ff., AG 2007, 705. 3 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 55; Mayer in Widmann/Mayer, § 5 UmwG Rz. 107; Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 16; Wicke in Habersack/Wicke, § 5 UmwG Rz. 48; Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 48; Mertens, AG 1992, 321. 4 Winter in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 5 UmwG Rz. 32. 5 Für eine Diskussion vgl. Dirrigl, DB 1990, 185 (190 f.); Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 203 ff. 6 Dafür z.B. Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 206. 7 Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 206. 8 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 488 ff. (ähnl. auch hier Rz. 21.45); für Österreich Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung, § 220 AktG Rz. 24; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 455 ff. Ähnl. schon Dirrigl, DB 1990, 185 (190 ff.).

Winner 467

16.59

§ 16 Rz. 16.59

Dritter Teil: Querschnittsfragen

nur einem der Beteiligten zugeordnet werden.1 Denn die Gegenleistung, welche die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft erhalten, besteht in Anteilen der neuen unternehmerischen Einheit; die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft geben demgegenüber (wirtschaftlich betrachtet) Beteiligungen ab, erhalten aber wiederum das eingebrachte Unternehmen. Insofern profitieren beide Gesellschafterkreise von tatsächlich eintretenden Verbundeffekten.

16.60 Auch der Schlüssel der Verteilung ist nach dieser Formel vorgegeben. Wenn das Umtauschverhältnis nach den Werten stand alone bestimmt wird, so werden auch die Synergiegewinne automatisch nach diesem Verhältnis den verschiedenen Gesellschafterkreisen zugeteilt.2 Ein Vorteil dieses Vorgehens ist, dass die Synergiegewinne nicht quantifiziert werden müssen;3 ihre Feststellung ist aufgrund der besonderen Prognoseschwierigkeiten, aber vor allem auch wegen der Gefahr einer übermäßig optimistischen Einstellung der Akteure, die den Zusammenschluss betreiben, in jedem Fall mit besonderen Problemen behaftet. Der Schlüssel enthält aber auch eine Wertung, welche Aufteilung dieser Transaktionsgewinne angemessen ist, nämlich die „implizit-ertragswertanteilige“ Zurechnung der Synergiegewinne.4 Nach dieser Auffassung darf über die Verteilung von Synergien eigentlich nicht verhandelt werden. d) Stellungnahme

16.61 Die richtige Lösung kann für die Konzentrationsverschmelzung m.E. nicht durch die Vorgabe eines starren Verhältnisses für die Verteilung der Verbundvorteile gefunden werden. Denn Gegenstand der Verhandlung ist nicht nur das „Ob“ der Verschmelzung, sondern sind auch ihre konkreten Bedingungen. Die richtige und freiheitsfördernde Auslegung des Begriffs „angemessenes Umtauschverhältnis“ versteht m.E. die Verschmelzung als Ergebnis eines Verhandlungs- und Preisbildungsprozesses, dessen Ergebnisse (nur) einer eingeschränkten Überprüfung unterliegen:5 Angemessen ist demnach alles, was eine vernünftige Partei noch akzeptiert hätte.

16.62 Dafür kommt es nicht auf die Verschmelzungswertrelation, sondern auf absolute Werte an. Jedes Verhandlungsergebnis, bei dem den Gesellschaftern der übernehmenden Gesellschaft nach der Vermögensübertragung aus Sicht ex ante derselbe Wert verbleibt wie vor ihr, führt

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, AG 1984, 216; OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05, Rz. 137, AG 2006, 421; Fleischer, ZGR 1997, 368 (387); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 480; Pfitzer in IDW, WP Handbuch, Bd. II, 14. Aufl. 2014, F Rz. 245. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, AG 1984, 216; OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 137, AG 2006, 421; Busse v. Colbe, ZGR 1994, 595 (605); Dirrigl, DB 1990, 185 (189); Fleischer, ZGR 1997, 368 (387); Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 76; Ausserlechner in Kranebitter, Unternehmensbewertung für Praktiker, S. 240; Müller in Kallmeyer, § 9 UmwG Rz. 38; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, § 150 AktG Rz. 80. 3 Dirrigl, DB 1990, 185 (191); Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 207 f. 4 Begriffsbildung nach Dirrigl, DB 1990, 185 (189). 5 Wie hier Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 488 ff. (ähnl. auch hier Rz. 21.45); Humrich in MünchHdb. Umwandlungsrecht, § 14 Rz. 327; Pfitzer in IDW, WP Handbuch, Bd. II, 14. Aufl. 2014, F Rz. 247 ff.; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 455 ff. Zur ganz vergleichbaren Sachkapitalerhöhung gegen Unternehmenseinbringung Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, § 150 AktG Rz. 79 ff. Für Verhandlungsspielraum auch Fleischer, ZGR 1997, 368 (386).

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Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.65 § 16

bei der Konzentrationsverschmelzung zu einem angemessenen Verhandlungsergebnis;1 eben dies gilt auch aus Sicht der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft. Darüber hinaus ist die Verteilung der Synergiegewinne Verhandlungssache; es besteht kein Anlass, diesen Verhandlungsspielraum zu beschneiden. Die Rechtsordnung muss sich im Rahmen der ausgleichenden Gerechtigkeit darauf beschränken, die jeweilige Ausgangsposition der Vertragsparteien aufrecht zu erhalten.2 Damit ergibt sich durch die positive Wertschöpfung der Transaktion ein Verhandlungsspielraum. Das lässt sich auch eher mit allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen vereinbaren: Der Vertragsabschluss trägt im allgemeinen Zivilrecht eine Richtigkeitschance in sich.3 Die Rechtsordnung kann sich im Rahmen der ausgleichenden Gerechtigkeit darauf beschränken, die jeweilige Ausgangsposition der Vertragsparteien aufrecht zu erhalten.4 Die Frage lautet damit: Entspricht der absolute Wert der Beteiligung nach der Verschmelzung zumindest dem absoluten Wert der Beteiligung davor („Status-quo-Prämisse“5)? Dies führt nicht dazu, dass die Synergieeffekte zwingend zu quantifizieren sind; das wäre wegen der operationalen Schwierigkeiten sicher problematisch. Die Bestimmung des Umtauschverhältnisses nach den stand-alone-Werten führt jedenfalls zu einer angemessenen Verteilung; eine Quantifizierung kann daher unterbleiben, wenn man sich mit der Zuteilung nach Ertragswerten zufrieden gibt. Wenn die Synergieeffekte quantifiziert werden können, dürfen sie aber in die Berechnung einbezogen werden; ob das der Fall ist, muss vom Verschmelzungsprüfer untersucht werden.6 Dies ist jedenfalls auch im Bericht gem. § 12 UmwG darzustellen; denn diese Effekte sind ein wesentlicher Faktor für die Meinungsbildung der Gesellschafter.

16.63

Die überstimmte Minderheit muss sich i.E. damit mit jeder Verteilung innerhalb dieser Grenzen abfinden. Das gilt auch, wenn die betroffene Gesellschaft beherrscht wird – jedenfalls von jemand anderem als dem Verschmelzungspartner. Denn der für die Abstimmung ausschlaggebende Gesellschafter ist vom Umtauschverhältnis grundsätzlich genauso betroffen wie die überstimmte Minderheit; seine Zustimmung macht das Umtauschverhältnis daher noch nicht verdächtig.7

16.64

Etwas anders gilt bei der Konzernverschmelzung.8 Hier fehlt es an der Verhandlung, die eine Legitimation für eine freie Verteilung der Synergieerwartungen bietet. Würde man auch hier vertreten, dass die Aufteilung nicht rechtlich determiniert ist, so wäre das Ergebnis vorbestimmt: Die erwarteten Verbundvorteile würden der Obergesellschaft zugeordnet. Dies

16.65

1 Beispiel: Wert der übertragenden Gesellschaft A und der übernehmenden Gesellschaft B je 100 (verteilt auf je 100 Stückaktien); Synergiegewinne werden im Ausmaß von 50 erwartet. Entscheidungswert aller Gesellschafter beider Gesellschaften damit je 100. Damit der Wert aus Sicht beider Gesellschaftergruppen erhalten bleibt, müssen sie jeweils zumindest 40 % an der übernehmenden Gesellschaft halten. Jedes Umtauschverhältnis, bei dem pro A-Aktie zwischen 0,67 und 1,5 B-Aktien gewährt werden, ist aus Sicht beider Gesellschaftergruppen werterhaltend. 2 A.A. im gegebenen Zusammenhang Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 204, 206. 3 So für die Verschmelzung zuerst (wenn auch in abw. Zusammenhang) Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 157 ff. 4 Der Maßstab der Überprüfung ist damit (wegen der Sorge um die Auswirkung kollektiver Entscheidungen auf Einzelne) ohnehin strenger als im allg. Zivilrecht, wo allenfalls besonders krasse Äquivalenzstörungen aufgegriffen werden können. 5 Begriff nach Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911 (919). 6 Pfitzer in IDW, WP Handbuch, Bd. II, 14. Aufl. 2014, F Rz. 246. 7 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 489. 8 Wie hier grds. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 492 ff.; Fleischer, ZGR 1997, 368 (386 f.).

Winner 469

§ 16 Rz. 16.65

Dritter Teil: Querschnittsfragen

wäre i.E. eine Aneignung von Geschäftschancen zu Lasten der Tochtergesellschaft. Daher müssen bei der Konzernverschmelzung rechtliche Determinanten für die Verteilung der Synergiepotentiale bestehen. Eine wertende Zurechnung nach den Umständen des Einzelfalls1 genügt m.E. nicht.

16.66 Damit geht es um den Schutz der Minderheitsgesellschafter in der Tochtergesellschaft; die Rechtsordnung muss festlegen, welcher Anteil der Synergiegewinne ihnen jedenfalls zustehen muss, ohne jedoch eine Obergrenze zu bestimmen. Diese Untergrenze für das Umtauschverhältnis ergibt sich bei der Konzernverschmelzung mit der h.M. grundsätzlich aus dem Verhältnis der Unternehmenswerte stand alone. Die Verteilung der Synergien nach der Größenordnung der beteiligten Unternehmen ist zwar willkürlich; sie hat aber den wegen der bestehenden Informationsasymmetrie bedeutenden Vorteil, dass ein konkreter Nachweis der Synergien nicht notwendig ist. I.E. kann dies freilich bedeuten, dass diese Effekte bei der Verschmelzung vor allem der Obergesellschaft zukommen. Denn gerade im Konzern können die Ertragswerte sehr stark zu Lasten der Tochtergesellschaft differieren.2 Da die ganz überwiegende Zahl der Verschmelzungen in der Praxis innerhalb eines Konzerns stattfindet, wird i.E. die „implizit-ertragswertanteilige“ Zurechnung der Synergiegewinne weiterhin überwiegen. 2. Abfindung in Aktien gem. § 305 AktG

16.67 Bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages muss den außenstehenden Aktionären gem. § 305 AktG eine angemessene Abfindung gewährt werden.3 Diese kann bzw. muss unter bestimmten Bedingungen (näher § 305 Abs. 2 AktG) eine Abfindung in Aktien4 sein, die die Aktionäre anstelle des Ausgleichs nach § 304 AktG wählen können. Die Abfindung ist angemessen, wenn Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der abhängigen Gesellschaft Aktien der anderen Gesellschaft zu gewähren wären; Spitzen können durch bare Zuzahlungen ausgeglichen werden (§ 305 Abs. 3 Satz 1 AktG).

16.68 Die h.L. lehnt auch für den Abfindungsanspruch in Aktien nach § 305 AktG die Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Bewertung der Unternehmen ab, da sie nicht zu einer Abfindung zum Grenzpreis führt, welche auch Ziel der Abfindung in Aktien sei.5 Das übersieht freilich, dass bei einer Ermittlung des Umtauschverhältnisses nach stand-alone-Werten die Synergien automatisch nach dem Verhältnis der Ertragswerte geteilt werden.6

16.69 Nach dem oben Gesagten ist der h.L. im gegebenen Zusammenhang i.E. zuzustimmen. Denn in Konzernsituationen bedarf es auch bei der Verschmelzung einer Regel für die Zuteilung von Verbundvorteilen, für welche man der Einfachheit halber die „implizit-ertragswertanteilige“

1 Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 206. 2 Vgl. näher Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 458; Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911 (918 f.). 3 Diese Überlegungen gelten sinngemäß, soweit man einen Anspruch auf Abfindung in Aktien auch bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit einer GmbH anerkennt; vgl. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 13 GmbHG Anh. Rz. 945 m.w.N. 4 Zur Barabfindung Rz. 16.49. 5 Vgl. z.B. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 33 i.V.m. Rz. 23 und 31; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 50 i.V.m. Rz. 66. 6 Zu § 305 z.B. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 409; Fleischer, ZGR 1997, 368 (387).

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Winner

Verbundvorteile/Synergieeffekte

Rz. 16.73 § 16

Zurechnung heranziehen kann (Rz. 16.59 ff.). Dies muss umso eher bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages gelten. 3. Weitere Fallgruppen Wird eine (Ab- oder Auf-)Spaltung zur Aufnahme durchgeführt, so sind die verschmelzungsrechtlichen Vorschriften der §§ 12, 15 UmwG anzuwenden. Das gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG festzulegende Umtauschverhältnis1 muss somit angesichts des Werts des abgespaltenen Vermögens und des Werts des übernehmenden Rechtsträgers angemessen sein. Somit stellt sich die Frage der Verteilung der Synergien in gleicher Weise wie bei der Verschmelzung (Rz. 16.63 ff.). Auch bei der Spaltung ist somit nach der hier vertretenen Ansicht zwischen Transaktionen bisher unverbundener Gesellschaften und Spaltungen zur Aufnahme im Konzern zu unterscheiden.

16.70

Bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage darf in analoger Anwendung2 von § 255 Abs. 2 AktG der Wert der Sacheinlage nicht unangemessen niedrig festgelegt werden; ihr Wert darf nicht niedriger sein als der volle Wert der übernommenen Aktien, wobei ein Fehler nicht zur Zuzahlungspflicht, sondern zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führt. In der Sache ordnet die Norm somit bloß eine einseitige Angemessenheit aus Sicht der ihr Kapital erhöhenden (=übernehmenden) Gesellschaft an. Auch hier sollte bei einer freien Verhandlung zwischen unabhängigen Gesellschaften (Konzentrationseinbringung) die Verteilung der (quantifizierten) Synergiepotentiale privatautonom festgelegt werden können, während bei einer Einbringung im Konzern oder auch bei bloßer Personenidentität zwischen Einbringendem und Mehrheitsgesellschafter die Angemessenheit nur auf Basis einer Bewertung stand alone festgestellt wird.3 Das trifft sich i.E. mit der Ansicht, wonach bei der Bewertung der Sacheinlage im Rahmen der Angemessenheitsprüfung die subjektive Sicht der übernehmenden Gesellschaft ausschlaggebend sein soll;4 denn dies führt dazu, dass in den Wert der Sacheinlage die Synergien eingepreist werden und damit dem Inferenten zugutekommen. Bei einer Einbringung im Konzern ist dies aber m.E. nicht sachgerecht. Zum Gläubigerschutz vgl. Rz. 21.74.

16.71

VII. Summe Nach der hier vertretenen Ansicht ist die schwierige Feststellbarkeit von potentiellen Synergiegewinnen kein Grund, sie bei dominierten Bewertungsanlässen nicht zu berücksichtigen. Die Unsicherheiten liegen an der Zukunftsorientiertheit der Bewertung generell. Jedenfalls ist aber ein kritisches Herangehen erforderlich; insb. sind bei der Schätzung des Unternehmenswerts nach § 287 ZPO deutliche Anhaltspunkte für das Bestehen, aber auch für die Höhe der Synergiepotentiale erforderlich.

16.72

Wie Synergiepotentiale bei den einzelnen Bewertungsanlässen zu berücksichtigen sind, ist damit freilich noch nicht gesagt. So besteht bei einer grundsätzlich nicht dominierten Trans-

16.73

1 Für die Zuteilung von Synergiepotentialen zwischen verschiedenen Gesellschaftergruppen bei der nicht verhältniswahrenden Spaltung erübrigt sich die Diskussion jedoch wegen der erforderlichen Einstimmigkeit (vgl. § 128 UmwG). 2 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40 = AG 1978, 196; für alle Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 16. 3 Für Österreich Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, § 150 AktG Rz. 79 ff.; vgl. auch hier Rz. 21.52. 4 Stilz in Spindler/Stilz, § 255 AktG Rz. 19 m.w.N; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955 (1976 f.); zur GmbH z.B. Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, § 14 GmbHG Rz. 32.

Winner 471

§ 16 Rz. 16.73

Dritter Teil: Querschnittsfragen

aktion, wie einer Konzentrationsverschmelzung, bei der aber zum Schutz der überstimmten Minderheitsgesellschafter die Überprüfung der Transaktionsbedingungen auf ihre Angemessenheit vorgeschrieben ist, weiter Spielraum: Die überstimmten Gesellschafter dürfen nach der Transaktion in absoluten Werten nicht weniger halten als zuvor. Soweit Gesellschafter freiwillig eine Abfindung nehmen, obwohl sie grundsätzlich an den Ertragsaussichten der neuen unternehmerischen Einheit beteiligt bleiben könnten (z.B. bei einer internationalen Verschmelzung), besteht kein Grund, ihnen die Synergiepotentiale abzugelten. Hingegen erfordert der Schutzzweck anderer Normen nach der hier vertretenen Auffassung den anteiligen Ersatz dieser Potentiale, so insb. beim Squeeze-out und der Abfindung nach § 305 AktG. Insofern liegt der Schluss nahe, dass Synergiepotentiale echte corporate opportunities sind, die den Gesellschaftern im Regelfall nicht entzogen werden dürfen.

472

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§ 17 Berücksichtigung von Steuern I. Grundsätzliche Berücksichtigung von Ertragsteuern bei Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . 1. Bewertungsrelevante Unternehmensteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertungsrelevanz von persönlichen Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . a) Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei der objektivierten Unternehmenswertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmittelbare Typisierung . . . bb) Mittelbare Typisierung . . . . . b) Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei subjektiven Unternehmenswerten . . . . . . . . . 3. Abbildung von laufenden Ertragsteuern: Anwendungsbeispiel . . . . . . II. Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . 1. Laufende Ertragbesteuerung der Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 2. Laufende Ertragsteuern der Unternehmenseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abbildung der laufenden Ertragsteuern in Abhängigkeit vom Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . a) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . b) WACC-DCF-Ansatz . . . . . . . . . . 4. Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . .

17.1 17.3 17.8

17.12 17.15 17.20 17.24 17.26

17.28 17.28 17.39 17.46 17.46 17.47 17.50

III. Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Personengesellschaften und Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . 1. Laufende Ertragsbesteuerung der Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . 2. Laufende persönliche Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergänzungsbilanzen, Sonderbetriebsvermögen und Tätigkeitsvergütungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. KMU und Vereinfachungen . . . . . . .

17.60 17.61 17.65 17.73 17.77

IV. Bewertungskalküle ohne die vollständige Berücksichtigung von Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.80 1. Internationale Unternehmensbewertungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . 17.81 2. Nutzungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.82 V. Diskussion zur Berücksichtigung transaktionsabhängiger Steuern . . . 17.84 1. Abfindungsansprüche ausscheidender Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . 17.85 2. Erbrechtliche und familienrechtliche Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . 17.88 VI. Diskussion zur Erfassung persönlicher Steuern bei der Bewertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.90

Schrifttum: Ballwieser/Kruschwitz/Löffler, Einkommenssteuer und Unternehmensbewertung – Probleme mit der Steuerreform 2008, WPg 2007, 756; Bartels/Jonas in Beck’sches IFRS Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 27; Behringer, Unternehmensbewertung der Mittel- und Kleinbetriebe, 5. Aufl. 2012; BMF-Schreiben v. 22.12.2009, Einzelfragen zur Abgeltungsteuer, Ergänzung des BMF-Schreibens v. 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94) unter Berücksichtigung der Änderungen durch das BMF-Schreiben v. 16.11.2010 – IV C 1 - S 2252/08/10004, BStBl. I 2010, 1305; Brennan, Taxes, Market Valuation and Corporate Financial Policy, National Tax Journal 1970, 417; Debreu, Werttheorie, 1976; Dhaliwal/ Krull/Zhen Li, Did the 2003 Tax Act reduce the cost of equity capital?, JAE 2007, 121; Dörschell/Franken/Schulte, Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes für Personengesellschaften nach der Unternehmensteuerreform 2008, WPg 2008, 444; Fassnacht, Die latente Spekulationssteuer bei der Bewertung von Immobilien im Zugewinnausgleich, FamRZ 2014, 1681; Gräfer/Ostmeier, Der Discounted Cash-flow als Instrument der Unternehmensbewertung, BBK 2000, 1241; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1994; Haesner/Schanz, Payout Policy Tax Clienteles, Ex-dividend Day Stock Prices and Trading Behavior in Germany: The Case of the 2001 Tax Reform, JBFA 2013, 593; Hoppenz, Die latente Einkommensteuer im Zugewinnausgleich: ein Rettungsversuch, FamRZ 2012, 1618; IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Umsetzung des IDW

Jonas/Wieland-Blöse 473

§ 17 Rz. 17.1

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Standards Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F.2008), IDWFachnachrichten 5/2012, 323; IDW, IDW-Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F.2008), IDW-Fachnachrichten 7/2008, 271; IDW Praxishinweis: Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 282; IDW S 13, Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung zur Bestimmung von Ansprüchen im Familien- und Erbrecht, IDW Life 7/2016, 574; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Ihlau/Duscha, Hinweise zur Anwendung von IDW S 1 bei der Bewertung von KMU, WPg 2012, 489; Jonas, Abfindung und Besteuerung ausgeschlossener Gesellschafter, in FS Meilicke, 2010, S. 271; Jonas, Unternehmensbewertung: Zur Anwendung der Discounted-Cash-Flow-Methode in Deutschland, BFuP 1995, 83; Jonas, Mittelbare und unmittelbare Typisierung der Einkommensteuer in der Unternehmensbewertung, WPg 2008, 826; Jonas, Die Bewertung mittelständischer Unternehmen – Vereinfachungen und Abweichungen, WPg 2011, 299; Jonas/Löffler/Wiese, Das CAPM mit deutscher Einkommenssteuer, WPg 2004, 898; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993; Kohl/Schulte, Ertragswertverfahren und DCF-Verfahren, WPg 2000, 1147; Koller/Goedhardt/Wessels, Valuation, 4. Aufl. 2005; Kuckenberg, Latente Steuern im Zugewinnausgleich, FuR 2015, 95; Kunowski/Popp in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1311; Müller, Einzelfragen bei der Bewertung von Personengesellschaften, WPg 2018, 576; Münch, Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich, DStR 2014, 806; Popp, Ausgewählte Aspekte der objektivierten Bewertung von Personengesellschaften, WPg 2008, 935; Ruiz de Vargas/Zollner, Der typisierte Einkommensteuersatz bei der Bewertung von Personengesellschaften in Abfindungsfällen, WPg 2012, 606; Schulz, Latente Einkommensteuer beim Zugewinnausgleich – ein Albtraum, FamRZ 2014, 1684; Siepe, Kapitalisierungszinssatz und Unternehmensbewertung, WPg 1998, 325; Tschöpel/Wiese/Willershausen, Unternehmensbewertung und Wachstum bei Inflation, persönlicher Besteuerung und Verschuldung (Teil 1), WPg 2010, 349; Wagner, Der Einfluss der Besteuerung auf zivilrechtliche Abfindungs- und Ausgleichsansprüche bei Personengesellschaften, WPg 2007, 929; Wagner, Unterschiedliche Wirkung bewertungsbedingter und transaktionsbedingter latenter Ertragssteuern auf Abfindungs- und Ausgleichsansprüche?, WPg 2008, 834; Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, Unternehmensbewertung in der Praxis – Empfehlungen und Hinweise zur Anwendung von IDW S 1, WPg 2006, 1005; Wagner/Saur/ Willershausen, Zur Anwendung der Neuerung der Unternehmensbewertungsgrundsätze des IDW S 1 i.d.F. 2008 in der Praxis, WPg 2008, 731.

Dieser Abschnitt wurde unter Mitarbeit von Dr. Christian Haesner erstellt.

I. Grundsätzliche Berücksichtigung von Ertragsteuern bei Unternehmensbewertungen 17.1 Der Wert eines Unternehmens bestimmt sich unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner.1 Ertragsteuern mindern neben anderen Ausgaben diese Nettozuflüsse. Daher sind bei der Bestimmung der Nettozuflüsse sowohl die inländischen und ausländischen Ertragsteuern des Unternehmens als auch grundsätzlich die aufgrund des Eigentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu berücksichtigen.2

17.2 Diese grundsätzliche Überlegung greift sowohl im Zähler (Nettozuflüsse) als auch im Nenner (Kapitalisierungszinssatz) des Barwertkalküls. Zähler und Nenner müssen auch hinsichtlich der Berücksichtigung von Steuern äquivalent abgeleitet werden. Korrespondierend mit der Ableitung von Nettozuflüssen nach allen Steuern ist daher bei einer vollständigen Berück1 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 4. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 28.

474

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.8 § 17

sichtigung von Steuern auch der Kapitalisierungszinssatz nach persönlichen Steuern abzuleiten. Soweit aus Typisierungsgründen (vgl. zur mittelbaren Typisierung Rz. 17.20) oder Vereinfachungsgründen (wie im Nutzungswert nach IAS 36, vgl. Rz. 17.82) auf eine Berücksichtigung von Steuern im Bewertungskalkül verzichtet wird, muss dies konsistent bei den Nettozuflüssen und dem Kapitalisierungszinssatz erfolgen. 1. Bewertungsrelevante Unternehmensteuern Zu den bewertungsrelevanten Unternehmensteuern gehört in erster Linie die alle Unternehmen (unabhängig von der Rechtsform) belastende Gewerbesteuer (GewSt), die als Objektsteuer die Ertragskraft eines Gewerbetriebs besteuern soll. Der Gewerbesteuer unterliegen Kapitalgesellschaften kraft Rechtsform (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG) sowie Personengesellschaften und Einzelunternehmen, sofern diese einen Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 GewStG) darstellen.

17.3

Kapitalgesellschaften unterliegen als selbständige Steuersubjekte gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG grundsätzlich der Körperschaftsteuer (KSt). Die KSt ist als Definitivsteuer für Bewertungszwecke von den ermittelten finanziellen Überschüssen auf Unternehmensebene in Abzug zu bringen. Die KSt beträgt unabhängig davon, ob Gewinne ausgeschüttet oder thesauriert werden, einheitlich 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) zzgl. 5,5 % SolZ (§ 1 Abs. 1 SolZG).

17.4

Nutzbare gewerbe- und körperschaftsteuerliche Verlustvorträge mindern ggf. die zukünftige 17.5 steuerliche Belastung der finanziellen Überschüsse und können so zu einer Steuerersparnis führen. Im Rahmen der Unternehmensbewertung führt die Berücksichtigung von Verlustvorträgen daher grundsätzlich zu einer Werterhöhung. Die Berücksichtigung von Verlustvorträgen bei der Unternehmensbewertung ist abhängig vom Bewertungsanlass und vom Wertkonzept.1 Hierauf wird exemplarisch in Rz. 17.34 ff. im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von gewerbesteuerlichen Verlustvorträgen bei Kapitalgesellschaften eingegangen. Ebenfalls sind anfallende ausländische Ertragsteuern als bewertungsrelevant abzuziehen.2

17.6

Für die Höhe der Ertragsteuerbelastung ist das am Bewertungsstichtag geltende, hinsichtlich der künftig zu erwartenden Nettozuflüsse das am Bewertungsstichtag vom Gesetzgeber für die Zukunft beschlossene Steuerrecht maßgeblich.3

17.7

2. Bewertungsrelevanz von persönlichen Ertragsteuern Ertragsteuern der Unternehmenseigner (persönliche Ertragsteuern) sind aufgrund des Eigentums am Bewertungsobjekt zu entrichten. Sie mindern die den Eigentümern zur Verfügung stehenden finanziellen Überschüsse aus dem Unternehmen und sind deshalb grundsätzlich bewertungsrelevant.4 Dazu gehört in erster Linie die persönliche ESt-Belastung aus Gewinnausschüttungen bzw. Entnahmen und aus Veräußerungsgewinnen. Weiterhin sind SolZ und KiSt zu berücksichtigen.

1 Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1330. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 28; LG Frankfurt/M. v. 21.3.2006 – 3-05 O 153/04 – Rz. 57 ff., AG 2007, 42; OLG Frankfurt/M. v. 2.5.2011 – 21 W 3/11 – Rz. 48, AG 2011, 828. 3 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 23; OLG Stuttgart v. 18.12.2009 – 20 W 2/08, AG 2010, 513 = BeckRS 2010, 900. 4 IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A, Rz. 288.

Jonas/Wieland-Blöse 475

17.8

§ 17 Rz. 17.9

Dritter Teil: Querschnittsfragen

17.9 Die Unternehmensbewertungstheorie stützt die grundsätzliche Richtigkeit der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern. So gilt es als unbestritten, dass die persönliche Ertragsteuer von Investoren deren Investitionsentscheidungen beeinflusst.1 Es ist das Kernelement der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, formal abgeleitet zu haben, wie aus individuellen Nutzenfunktionen ein allgemeiner Gleichgewichtspreis entsteht.2 Dieser Preis reflektiert die persönlichen und somit auch die steuerlichen Verhältnisse der Marktteilnehmer. Ebenso sprechen empirische Untersuchungen überwiegend dafür, dass persönliche Ertragsteuern der Unternehmenseigner Preise und Renditen von Unternehmenstiteln spürbar beeinflussen. So zeigen bspw. Untersuchungen von Steuerrechtsänderungen, dass Marktpreise und Marktrenditen durch persönliche Ertragsteuern beeinflusst werden.3

17.10 Auch die in Deutschland, insbesondere im Vergleich den USA und Großbritannien, wesentlich größeren Bedeutung der Personengesellschaften erfordert eine detaillierte Auseinandersetzung mit persönlichen Steuern. So können Personengesellschaften, bei denen nicht die Körperschaftsteuer, sondern faktisch die persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner im Wesentlichen die Unternehmenssteuern darstellen, nicht einfach unter Auslassung der persönlichen Ertragsteuern bewertet werden.

17.11 Es entspricht daher der langjährigen deutschen Bewertungspraxis, die Steuerwirkungen beim Unternehmenseigner zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung ist dem gefolgt.4 Die Nachsteuerbetrachtung entspricht den Empfehlungen der IDW S 1 i.d.F. 2000 und IDW S 1 i.d.F. 2005. Die grundsätzliche Bewertungsrelevanz von persönlichen Ertragsteuern auf Ebene der Unternehmenseigner ist fest im aktuellen IDW S 1 i.d.F. 2008 verankert.5 Gleichzeitig eröffnet der IDW S 1 i.d.F. 2008 aber auch die Möglichkeit der Verwendung einer Vorsteuerbetrachtung, in denen persönliche Ertragsteuern nicht explizit sondern lediglich implizit berücksichtigt sind.6 a) Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei der objektivierten Unternehmenswertermittlung

17.12 Objektive Werte, die unabhängig von den persönlichen Verhältnissen der Marktteilnehmer sind, gibt es nicht.7 Vielmehr reflektieren Marktpreise und Verkehrswerte die gewichteten aggregierten Präferenzen und Ausstattungen und eben damit die individuellen – auch steuerlichen – Wertvorstellungen der Investoren.

1 So beispielweise Ballwieser/Kruschwitz/Löffler, WPg 2007, 756 (765) und Wagner, DB 1972, 1637. 2 Debreu, Werttheorie. 3 So bspw. Dhaliwal/Krull/Zhen Li, JAE 2007, 121 für den US-amerikanischen Aktienmarkt und Haesner/Schanz, JBFA 2013, 593 für den deutschen Aktienmarkt. 4 OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 41/05, 31 Wx 66/05, AG 2007, 246 = ZIP 2006, 1722; OLG Frankfurt v. 17.6.2010 – 5 W 39/09, AG 2011, 717 = Der Konzern 2011, 47; OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 und OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09, AG 2011, 205 = ZIP 2011, 382. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 28. 6 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 30. 7 Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 146.

476

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.16 § 17

Die objektivierte Unternehmenswertermittlung dient dazu, einen von den individuellen Wertvorstellungen eines Investors unabhängigen, typisierten Wert des Unternehmens zu ermitteln. „Der objektivierte Unternehmenswert stellt einen intersubjektiv nachvollziehbaren Zukunftserfolgswert aus Sicht der Unternehmenseigner dar.“1 „Wegen der Wertrelevanz der persönlichen Ertragsteuern sind zur Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts anlassbezogene Typisierungen der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner erforderlich.“2 Die „wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner“ sind „im Bewertungskalkül sachgerecht zu typisieren“.3 Für die Abbildung einer marktpreisbeeinflussenden typisierten Besteuerung existieren mit dem Tax-CAPM etablierte Ansätze.4

17.13

Im Hinblick auf die verschiedenen Anlässe der objektivierten Unternehmenswertermittlung kann die Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern des Unternehmenseigners im Bewertungskalkül explizit (= unmittelbar typisierend) im Rahmen einer Nachsteuerbetrachtung oder implizit (= mittelbar typisierend) im Rahmen einer Vorsteuerbetrachtung erfolgen.5

17.14

aa) Unmittelbare Typisierung Im Rahmen der unmittelbaren Typisierung werden die zukünftigen Nettozuflüsse um die 17.15 persönlichen Ertragsteuern gekürzt und mit einem ebenfalls durch die persönliche Ertragsteuer beeinflussten Kapitalisierungszinssatz diskontiert. Diese explizite Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern erfordert daher grundsätzlich Typisierungen hinsichtlich der Höhe des effektiven persönlichen Steuersatzes des Anteilseigners sowie seiner steuerlichen wertrelevanten Verhältnisse und Verhaltensweisen.6 Durch die Typisierung wird vermieden, dass der objektivierte Unternehmenswert von den aufgrund unterschiedlicher Einkommensverhältnisse der Anteilseigner individuell verschiedenen Steuersätzen abhängig gemacht wird.7 Die unmittelbare Typisierung ist bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewer- 17.16 tungsanlässen, insbesondere bei der Ermittlung von Abfindungsansprüchen bei Verlust von Eigentums- und Gesellschaftsrechten, vorzunehmen. Im Einklang mit der langjährigen Bewertungspraxis und deutscher Rechtsprechung8 erfolgt die objektivierte Unternehmensbewertung dabei aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als typisiertem Anteilseigner.9 Die unwesentlichen Anteile werden im Privatvermögen gehalten und stellen keine Beteiligungen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG dar.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 29. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 29. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 43. Brennan, National Tax Journal 1970, 417; Jonas/Löffler/Wiese, WPg 2004, 898. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 30. Die Bezeichnungen „unmittelbare“ und „mittelbare“ Typisierung folgen auch im Weiteren den Begrifflichkeiten aus IDW S 1 i.d.F. 2008. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 44. Siepe, WPg 1998, 325 (332). OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 41/05, 31 Wx 66/05, ZIP 2006, 1722 (1725) = AG 2007, 246; LG Frankfurt/M. v. 8.8.2001 – 3-08 O 69/97, AG 2002, 357. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 31. Eine andere Ansicht hinsichtlich der Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner vertritt Meilicke, der bei der Ermittlung von Abfindungsansprüchen die Bewertungsperspektive eines meistbietenden Dritten in den Vordergrund stellt (Meilicke, Erzielbarer Veräußerungserlös vs. objektivierten Unternehmenswert bei der Abfindung von Gesellschaftern, ZIP 2014, 605).

Jonas/Wieland-Blöse 477

§ 17 Rz. 17.17

Dritter Teil: Querschnittsfragen

17.17 Bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften ist unter den Verhältnissen des so typisierten Anteilseigners seit 1.1.2009 für die Einkommenbesteuerung die Abgeltungsteuer zu berücksichtigen. Hierbei werden Zinserträge, Dividenden und Veräußerungsgewinne (unabhängig von der Haltedauer) mit einer einheitlichen definitiven Steuerbelastung von 25 % zzgl. SolZ belegt. Die Typisierung einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner erfordert weitergehende Analysen zu den effektiven Auswirkungen der persönlichen Steuern auf die künftigen Nettozuflüsse und den Kapitalisierungszinssatz.1 Insbesondere sind bei differenzierter Effektivbesteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen Annahmen hinsichtlich der Haltedauern von Unternehmensanteilen zu treffen (vgl. Rz. 17.43 f.).

17.18 Die Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes einer Personengesellschaft oder eines Einzelunternehmers erfordert grundsätzlich eine Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern, wenn – wie im derzeitigen Abgeltungsteuersystem – die persönliche Ertragsteuer ganz oder teilweise an die Stelle der in der Alternativrendite bereits berücksichtigten Unternehmensteuer tritt.2 Denn eine Kapitalisierung von Nettozuflüssen ohne Körperschaftsteuer mit einem Zinssatz, der regelmäßig als eine aus Kapitalmarktdaten abgeleitete Aktienrendite um Körperschaftsteuer gemindert ist, wäre inkonsistent. Entsprechend sind bei der objektivierten Bewertung von Personengesellschaft Typisierungen hinsichtlich der steuerlichen Verhältnisse der Unternehmenseigner vorzunehmen. Diese Typisierungen betreffen zum einen die Höhe des Ertragssteuersatzes, schließen aber auch andere Aspekte, wie bspw. die Thesaurierungsbegünstigung gem. § 34a EStG, Ergänzungsbilanzabschreibungen und steuerliche Wirkungen aus Tätigkeitsvergütungen und Sonderbetriebsvermögen ein (vgl. Rz. 17.77 ff.).

17.19 Einstweilen frei. bb) Mittelbare Typisierung

17.20 Die mittelbare Typisierung kommt im Rahmen unternehmerischer Initiativen in Betracht. Damit findet die mittelbare Typisierung z.B. bei Kaufpreisverhandlungen, Fairness Opinions, Börsengängen, der Bewertung von Sacheinlagen und bei Kreditwürdigkeitsprüfungen Anwendung.

17.21 Bei der mittelbaren Typisierung wird die Annahme getroffen, dass die Nettozuflüsse aus dem Bewertungsobjekt und der Alternativinvestition in ein Aktienportfolio auf Ebene der Unternehmenseigner einer vergleichbaren Besteuerung unterliegen. Im Bewertungskalkül kann dann auf die explizite Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuer verzichtet werden. Zur Wahrung des Steueräquivalenzprinzips ist dann sowohl bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse als auch bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes auf die Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern zu verzichten.

17.22 Die mittelbare Berücksichtigung kommt dem Bedürfnis nach Vereinfachung entgegen, bedeutet sie doch faktisch das Weglassen der Einkommensteuer im Bewertungskalkül. Gleichwohl ist die persönliche Ertragsteuer auch in diesem Modell nicht irrelevant. So sind die in diesem Modell verwendeten Parameter im Kapitalisierungszinssatz, insbesondere die Markt-

1 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 46. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 47.

478

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.27 § 17

risikoprämie, zwingend aus einem methodischen Kontext abzuleiten, in dem auch persönliche Ertragsteuern modelliert sind.1 Bei zukünftigen Steuerrechtsänderungen ist diese sich in dem Verhältnis der Marktrisikoprämie vor und nach persönlichen Ertragsteuern reflektierende mittelbare Typisierung erneut vorzunehmen.2 Die mittelbare Typisierung gem. IDW S 1 i.d.F. 2008 ist nicht ohne weiteres auf die Bewer- 17.23 tung von Personengesellschaften anwendbar. So ist die unmittelbare Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern am Leitbild der im Streubesitz befindlichen Publikumsaktiengesellschaft ausgerichtet. Die über konsistent angepasste Bewertungsparameter daraus abgeleitete mittelbare Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern ist daher grundsätzlich ebenfalls nur bei Kapitalgesellschaften möglich. Gleichwohl sind im Einzelfall anlassbezogene Vereinfachungen bei der Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern vertretbar (vgl. Rz. 17.76 ff.). b) Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei subjektiven Unternehmenswerten Bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte sollte grundsätzlich die individuelle per- 17.24 sönliche Steuerlast der Eigentümer zugrunde gelegt werden.3 Es sind also alle wesentlichen relevanten Steuerarten in das Bewertungsmodell zu integrieren. In Einzelfällen kann aber eine Typisierung der steuerlichen Verhältnisse sachgerecht sein. Dies kann bspw. dann vorliegen, wenn die Ermittlung des individuellen Steuersatzes zu aufwendig ist, da eine große Anzahl an Gesellschaftern besteht.4

17.25

3. Abbildung von laufenden Ertragsteuern: Anwendungsbeispiel In den folgenden Abschnitten wird auf die Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften (vgl. Rz. 17.28 ff.) und bei der Bewertung von Personengesellschaften (vgl. Rz. 17.60 ff.) eingegangen. Zum besseren Verständnis der konkreten Umsetzung wird diesen Ausführungen hier ein vereinfachendes Beispiel vorangestellt. Da hier alleine die steuerlichen Effekte betrachtet werden sollen, geht dieses Beispiel davon aus, dass nachhaltig ein konstantes Ergebnis vor Steuern von 100 erzielt wird. In diesem Fall kann zur Berechnung des Barwerts das Ergebnis einfach durch den Kapitalisierungszinssatz geteilt werden.

17.26

Das Beispiel differenziert hinsichtlich der steuerlichen Konsequenzen zwischen der Bewertung einer Publikums-AG unter unmittelbarer und mittelbarer Typisierung, einer GmbH (bei der die Gesellschafter typischerweise wesentlich beteiligt sind und dem Teileinkünfteverfahren unterliegen) und einer Personengesellschaft (für die von der sog. Thesaurierungsbegünstigung ausgegangen wird):

17.27

1 2 3 4

Jonas, WPg 2008, 826 (833). Jonas, WPg 2008, 826 (833). IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 58. Behringer, Unternehmensbewertung der Mittel- und Kleinbetriebe, S. 139.

Jonas/Wieland-Blöse 479

§ 17 Rz. 17.27

Dritter Teil: Querschnittsfragen

II. Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften 1. Laufende Ertragbesteuerung der Kapitalgesellschaft

17.28 Der Ertragswert ermittelt den Unternehmenswert als den Barwert der den Anteilseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse. Zur Ableitung dieser finanziellen Überschüsse ist das zunächst ermittelte Ergebnis vor Steuern um bewertungsrelevante Unternehmensteuern zu kürzen. Auf Unternehmensebene sind für alle Unternehmen (unabhängig von der Rechtsform) die Gewerbesteuer, die Körperschaftsteuer bei Kapitalgesellschaften sowie bei internationalen Konzernen ausländische Unternehmensteuern in Abzug zu bringen.

17.29 Ausgangspunkt für die Ermittlung der Unternehmensteuern bildet regelmäßig das in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung ermittelte Ergebnis vor Steuern. Die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung kann dabei nach handelsrechtlichen oder nach anderen anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen (IFRS, US-GAAP) ermittelt werden. Zur Ableitung einer geeigneten steuerlichen Bemessungsgrundlage ist daher in einem ersten Schritt die Wesentlichkeit der Unterschiede zwischen den geplanten handelsrechtlichen oder nach IFRS oder US-GAAP ermittelten Ergebnis vor Steuern und dem nach den einschlägigen steuerlichen Vorschriften ermittelte Gewinn zu beurteilen. Nennenswerte Unterschiede können bspw. in den Abschreibungen auf materielle und immaterielle Vermögenswerte bestehen. Soweit die Unterschiede

480

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.34 § 17

insgesamt als wesentlich wertrelevant zu beurteilen sind, ist das in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung ermittelte Ergebnis vor Steuern entsprechend zu korrigieren. Die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag. Hierfür ist der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG ermittelte Gewinn aus Gewerbetrieb im weiteren Verlauf um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG und Kürzungen nach § 9 GewStG anzupassen. Zu den Korrekturen gehören gem. § 8 Nr. 1 GewStG u.a. Hinzurechnungen für Entgelte für Schulden, die den Gewinn gemindert haben, sowie Miet- und Pachtzinsen für die Nutzung von beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern, die im Eigentum eines anderen stehen. Die Gewerbesteuer gehört zu den nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5b EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) und mindert somit nicht die Bemessungsgrundlage. Aus dem steuerlichen Gewerbeertrag wird zunächst der GewSt-Messbetrag als Produkt aus Gewerbeertrag und der Steuermesszahl von einheitlich 3,5 % (§ 11 Abs. 2 GewStG) ermittelt. Die Steuerschuld ergibt sich dann durch Multiplikation des GewSt-Messbetrags mit dem relevanten Hebesatz.

17.30

Kapitalgesellschaften unterliegen als selbständige Steuersubjekte ferner der Körperschaftsteuer (zzgl. SolZ). Unabhängig davon, ob Gewinne ausgeschüttet oder thesauriert werden, beträgt die KSt einheitlich 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) zzgl. 5,5 % SolZ. Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer ist der nach dem EStG und dem KStG ermittelte Gewinn (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KStG).

17.31

Grundsätzlich unterliegen Zinsaufwendungen den Regeln der sog. Zinsschranke gem. § 8a 17.32 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4h EStG, welche die Abzugsfähigkeit des Netto-Zinsaufwands auf 30 % des steuerpflichtigen Gewinns vor Zinsertrag, Zinsaufwand, Ertragsteuern und Abschreibungen (EBITDA) begrenzt. Zinsaufwendungen, die im laufenden Jahr nicht angesetzt werden können, werden gesondert festgestellt und sind in den folgenden Jahren vorzutragen. Ein eventuell zum Bewertungsstichtag vorliegender nutzbarer Zinsvortrag kann insofern zu einer Steuerersparnis führen, welche im Rahmen der Unternehmensbewertung werterhöhend zu berücksichtigen ist. Für die Zinsschranke bestehen jedoch einige Ausnahmen (§ 4h Abs. 2 EStG), so dass die Relevanz der Regelungen im Einzelfall zu prüfen ist. Erwirtschaftet eine Unternehmung einen Verlust im aktuellen Jahr, so wird dieser gesondert 17.33 festgestellt und kann in den zukünftigen Jahren zur Kürzung der gewerbesteuerlichen bzw. körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage genutzt werden. Dabei darf der Verlustvortrag bis zu einer Höhe von 1 Mio. Euro uneingeschränkt die gewerbesteuerliche bzw. die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage mindern (§ 10a Satz 1 GewStG bzw. § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG). Die 1 Mio. Euro übersteigende Bemessungsgrundlage kann nur bis zu 60 % durch den Verlustvortrag gemindert werden (§ 10a Satz 2 GewStG). Die Nutzung von Verlustvorträgen führt zu Steuerersparnissen, die die ausschüttbaren finanziellen Überschüsse an die Anteilseigner erhöhen. Voraussetzung für die Nutzung von gewerbesteuerlichen Verlustvorträgen ist grundsätzlich eine Unternehmer- und eine Unternehmensidentität. Unternehmensidentität ist gegeben, wenn der Betrieb der den Verlustabzug in Anspruch nehmen möchte, identisch ist mit dem Betrieb, der im Verlustjahr bestand (§ 10a.2 GewStR). Unternehmeridentität besteht, wenn der Gewerbetreibende, der den Verlustabzug in Anspruch nehmen möchte, den Verlust selbst erlitten hat (§ 10a.3 Abs. 1 GewStR). Änderungen in der Unternehmeridentität kön-

Jonas/Wieland-Blöse 481

17.34

§ 17 Rz. 17.34

Dritter Teil: Querschnittsfragen

nen sich bei Kapitalgesellschaften vor allem durch Umwandlungen ergeben.1 Des Weiteren sind die Regelungen des § 8c KStG zum Untergang von gewerbesteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Verlustvorträgen beachtlich.2 Demnach geht der Verlustvortrag anteilig unter, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals an einen Erwerber übertragen werden. Werden mehr als 50 % übertragen, geht der Verlustvortrag vollständig unter. Aktienrechtliche Bewertungsanlässe (Squeeze-outs bzw. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge) sind oftmals die Folge eines i.S.d. § 8c KStG schädlichen Anteilserwerbs. Hier gilt es dann für den Bewerter einzuschätzen, inwieweit die bestehenden Verlustvorträge im Zusammenhang mit den Ausnahmeregelungen der Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 Satz 5–8 KStG, der Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 Satz 4 KStG), der Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) oder den Regelungen des § 8d zum Fortführungsgebundenen Verlustvortrag vollständig oder anteilig weiterhin genutzt werden können.

17.35 Die Berücksichtigung von innerhalb des Planungszeitraums entstehender Neuverluste sowie der hieraus resultierenden gewerbesteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge ist im Allgemeinen als unstrittig anzusehen. Hingegen ist die Berücksichtigung zum Bewertungsstichtag bestehender Verlustvorträge im Rahmen der Unternehmensbewertung in Abhängigkeit vom Bewertungsanlass und vom Wertkonzept zu beurteilen.3 Dabei ist hinsichtlich des Bewertungsanlasses danach zu unterscheiden, ob ein Eigentümerwechsel stattfindet, oder nicht. Bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte ist es sachgerecht, die Verlustvorträge nicht zu berücksichtigen, wenn ein Eigentümerwechsel dazu führt, dass der neue Eigentümer diese nicht mehr nutzen kann. Wird bspw. eine Kapitalgesellschaft als Sacheinlage in eine andere Gesellschaft eingebracht, so ist die im Rahmen der Beurteilung der Werthaltigkeit der Sacheinlage vorzunehmende Unternehmensbewertung aus Sicht der die Sacheinlage aufnehmenden Gesellschaft vorzunehmen. Sofern ein ggf. bestehender Verlustvortrag nicht übertragbar sein sollte, wäre dieser für die Bewertung der Sacheinlage nicht relevant. Im Rahmen der objektivierten Unternehmenswertermittlung ist regelmäßig von Effekten zu abstrahieren, die durch die Transaktion selbst erst ausgelöst werden, wie etwa den steuerlichen Folgen aus einem Gesellschafterwechsels.

17.36 Wird der Wertbeitrag aus Verlustvorträgen im Rahmen der Unternehmensbewertung berücksichtigt, so sollte dies in erster Linie durch Berücksichtigung innerhalb der Planungsrechnung erfolgen. Sollten die Verlustvorträge innerhalb des Detailplanungszeitraums nicht aufgebraucht sein, sind die Unternehmensteuern in der ewigen Rente unter Berücksichtigung der Verlustvorträge finanzmathematisch in eine barwertäquivalente Annuität umzurechnen. Aus Vereinfachungs- oder Transparenzgründen kann der Wertbeitrag aus Verlustvorträgen stattdessen auch als Sonderwert erfasst werden. In diesem Fall werden die jährlichen Steuerersparnisse aus Verlustvorträgen auf den Bewertungsstichtag diskontiert und der resultierenden Wert separat in der Unternehmensbewertung berücksichtigt. Dabei ist darauf zu achten, dass durch methodisch konsistente Diskontierungszinssätze der Unternehmenswert mit Ansatz der Verlustvorträge als Sonderwert in jedem Fall zum selben Unternehmenswert führt, wie die integrierte Berücksichtigung innerhalb der Planungsrechnung.

1 Die Folgen der verschiedenen Umwandlungen einer Kapitalgesellschaft auf den Verlustvortrag sind in 10a.3 Abs. 4 GewStR dargestellt. 2 Für gewerbesteuerliche Verlustvorträge gelten gem. § 10a Satz 8 GewStG die Beschränkungen des § 8c KStG entsprechend. 3 Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1330.

482

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.41 § 17

Als Folge der bis zum Jahr 2000 geltenden körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren besitzen einige Kapitalgesellschaften teilweise noch Ansprüche auf die Erstattung von Körperschaftsteuerguthaben. Die zum 31.12.2006 noch vorhandenen KSt-Guthaben führen über einen Zeitraum bis zum Jahr 2017 zu Zinserträgen und Zahlungsmittelzuflüssen. Im Rahmen der Ertragswertberechnung ist die bilanzielle und erfolgswirksame Entwicklung des KSt-Guthabens daher entsprechend abzubilden. Sollte das Guthaben bis zum Ende der Detailplanungsphase nicht vollständig zurückgezahlt sein, ist es über eine Annuität in der ewigen Rente zu berücksichtigen. Alternativ kann auch hier ein Ansatz als Sonderwert aus Körperschaftsteuerguthaben erfolgen. In diesem Fall ist aber wie bei Verlustvorträgen darauf zu achten, dass der Ansatz als Sonderwert insgesamt zum gleichen Unternehmenswert führt, wie die integrierte Berücksichtigung im Bewertungsmodell.

17.37

Von im Ausland erzielten finanziellen Überschüssen sind ausländische Unternehmensteuern, die von der Art des Unternehmens im Ausland, dem Bestand oder Nichtbestand eines DBA sowie den Sonderregelungen für ausländische Einkünfte abhängen, abzusetzen.

17.38

2. Laufende Ertragsteuern der Unternehmenseigner Zur Ermittlung des Unternehmenswertes bei unmittelbarer Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner sind die finanziellen Überschüsse um persönliche Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu kürzen. Diese betreffen bei deutschen unbeschränkt steuerpflichtigen und nur unwesentlich am Bewertungsobjekt beteiligten Anteilseignern die Abgeltungsteuer auf Ausschüttungen sowie die Besteuerung von Kursgewinnen bzw. Wertsteigerungen.1

17.39

Die unterschiedliche effektive Besteuerung von Ausschüttungen und Kursgewinnen erfordert Annahmen über die künftige Ausschüttungs- bzw. Entnahmepolitik der Gesellschaft. Dabei ist die Aufteilung der finanziellen Überschüsse in Ausschüttungen und Thesaurierungen für die Phase des Detailplanungszeitraums auf Basis des individuellen Unternehmenskonzepts und unter Berücksichtigung der bisherigen und geplanten Ausschüttungspolitik, der Eigenkapitalausstattung und der steuerlichen Rahmenbedingungen vorzunehmen. Soweit für die Verwendung thesaurierter Mittel keine konkreten Planungen vorliegen und auch die Investitionsplanung keine konkrete Verwendung vorsieht, ist eine sachgerechte Prämisse zur Wiederanlage zu treffen.2 IDW S 1 i.d.F. 2008 schlägt hier der Annahme einer barwertneutralen Wiederanlage folgend eine fiktive unmittelbare Zurechnung der thesaurierten Beträge an die Anteilseigner vor.3

17.40

Für die Phase der ewigen Rente wird nach IDW S 1 i.d.F. 2008 typisierend angenommen, dass das Ausschüttungsverhalten des zu bewertenden Unternehmens äquivalent zum Ausschüttungsverhalten der Alternativanlage ist, sofern nicht Besonderheiten der Branche, der Kapitalstruktur oder der rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten sind.4 Für die thesaurierten Beträge wird die Annahme einer barwertneutralen Wiederanlage getroffen. Auf die thesaurierungsbedingten zukünftigen Wertzuwächse ist dann eine effektive Veräußerungsbesteuerung zu berücksichtigen. Im Ergebnis setzt sich die persönliche Steuerlast der Anteilseigner somit zusammen aus der Steuerlast auf die tatsächlichen Ausschüttungen und der effektiven Steuer-

17.41

1 2 3 4

IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 44. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 36. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005 (1011). IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 37.

Jonas/Wieland-Blöse 483

§ 17 Rz. 17.41

Dritter Teil: Querschnittsfragen

last auf die fiktiv unmittelbar zugerechneten künftig realisierten Veräußerungsgewinne aus thesaurierungsbedingten Unternehmenswertsteigerungen.1

17.42 Bei der Bewertung von Publikumsaktiengesellschaften im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Anlässen (beispielweise Squeeze-outs) ist typisierend von einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person mit unwesentlichen (Beteiligungsquote , 1 %) im Privatvermögen gehaltenen Anteilen, die keine Beteiligung i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG sind,2 auszugehen. Ausschüttungen sind im Rahmen des Abgeltungsteuersystems seit VZ 2009 mit einer Kapitalertragsteuer (Abgeltungsteuer) von 25 % zzgl. SolZ von 5,5 % belastet, so dass daraus eine Steuerbelastung von rund 26,38 % resultiert. Dieser Prozentsatz ist auch in der Rechtsprechung und Kommentierung allgemein anerkannt.3

17.43 Veräußerungsgewinne unterliegen im Abgeltungsteuersystem unabhängig von der Haltedauer ebenfalls der Abgeltungsteuer von 25 % zzgl. SolZ, sofern die Anteile ab dem 1.1.2009 erworben wurden. Daher ist die Veräußerungsgewinnsteuer grundsätzlich erst für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2009 anzusetzen.4 Dabei werden Veräußerungsgewinne, oder ganz allgemein durch Thesaurierung erzielte Wertsteigerungen, erst dann besteuert, wenn sie realisiert werden. Entsprechend liegt die effektive, heute wertbeeinflussende Veräußerungsgewinnsteuer unterhalb der künftig realisierten nominalen Abgeltungsteuer. Hierbei wird es als sachgerecht angesehen, für die typisierten Anteilseigner grundsätzlich zum einen von einem Erwerb nach dem 31.12.2008 und zum anderen von langen Haltedauern und einer dementsprechend geringen effektiven Steuerbelastung aus thesaurierungsbedingten Wertsteigerungen auszugehen. Bei objektivierten Bewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008 ist die typisierende Annahme einer effektiven Veräußerungsgewinnbesteuerung in Höhe der hälftigen nominalen Abgeltungsteuer, mithin rund 13,19 % (inkl. SolZ), verbreitet.5

17.44 Sollte bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften die Abgeltungsteuer nicht als sachgerechte Typisierung für die persönliche Ertragsteuer angesehen werden, kann in Abhängigkeit vom Bewertungsanlass auch ein anderer Steuersatz angesetzt werden. Beispielsweise ist eine abweichende Vorgehensweise bei einer GmbH anzuwenden, die von wenigen natürlichen Personen im Betriebsvermögen gehalten wird. Hier ist jeweils das Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG anzuwenden,6 nachdem nur 60 % der Dividendeneinkünfte (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d i.V.m. Satz 2 EStG) bzw. nur 60 % der Veräußerungsgewinne (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG) steuerpflichtig sind und mit dem persönlichen Steuersatz besteuert werden. Handelt es sich um wesentliche Beteiligungen im Privatvermögen natürlicher Personen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, so gilt für Veräußerungsgewinne ebenfalls das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 1 Daneben kann in der ewigen Rente ebenfalls noch der Ansatz der steuerlichen Belastungen aus rein inflationsbedingten Unternehmenswertsteigerungen in Betracht kommen (Tschöpel/Wiese/Willershausen, WPg 2010, 349 [356]). 2 Bei Beteiligungen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erfolgt die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nach dem Teileinkünfteverfahren, bei dem 60 % des Veräußerungsgewinns in Höhe der persönlichen Einkommensteuer zu versteuern sind und 40 % steuerfrei sind. 3 LG Stuttgart v. 5.11.2012 – 31 O 55/08 KfH AktG – Rz. 100, NZG 2013, 342; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 86; Deilmann in Hölters, § 305 AktG Rz. 58. 4 Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731 (735 f.). 5 Jonas, WPg 2008, 831; so auch Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 86; Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731 (741); Seppelfricke, Handbuch Aktien und Unternehmensbewertung, S. 77. 6 IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Umsetzung des IDW S 1 i.d.F. 2008, 2012, Abschn. 4.4.2.5, Antwort auf Frage II.

484

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.46 § 17

Satz 1 lit. c EStG); Dividendeneinkünfte unterliegen grundsätzlich der Abgeltungsteuer, können aber unter bestimmten Voraussetzungen1 ebenfalls nach dem Teileinkünfteverfahren besteuert werden (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d i.V.m. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG). Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG kann eine unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto steuerfrei zurückgewähren, soweit sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen. Soweit eine Beteiligung von weniger als 1 % im Privatvermögen gehalten wird, ist die Einlagenrückgewähr nicht steuerbar, da Zahlungen aus dem steuerlichen Einlagekonto ausdrücklich nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen zählen. Insoweit stellt die Einlagerückgewähr einen bewertungsrelevanten positiven Wertbeitrag dar. Nach Auffassung der Finanzverwaltung verringern Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto jedoch die Anschaffungskosten von nach dem 1.1.2009 erworbenen Aktien.2 Dies führt zu einem Anstieg der steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne beim Verkauf der Aktien. Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto stellen mithin nur eine Verschiebung der Steuerlast in die Zukunft dar. Im Rahmen der unmittelbaren Typisierung der steuerlichen Verhältnisse des unbeschränkt steuerpflichtigen inländischen Anteilseigners bietet es sich insofern an, von Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto eine effektive Kursgewinnsteuer in Höhe der hälftigen nominalen Abgeltungsteuer, mithin rund 13,19 % (inkl. SolZ), abzusetzen.

17.45

3. Abbildung der laufenden Ertragsteuern in Abhängigkeit vom Bewertungsverfahren a) Ertragswertverfahren Der Ertragswert ermittelt den Unternehmenswert als den Barwert der den Anteilseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse. Dies sind vor allem Ausschüttungen und Kapitalrückzahlungen. Daneben können thesaurierte Beträge den Anteilseignern fiktiv unmittelbar zugerechnet werden (Wertbeitrag aus Thesaurierung), soweit für die Verwendung thesaurierter Mittel keine konkreten Planungen vorliegen. Zur Ableitung dieser finanziellen Überschüsse ist das ermittelte Ergebnis vor Steuern um bewertungsrelevante Unternehmensteuern zu kürzen. Auf Unternehmensebene sind für alle Kapitalgesellschaften die Gewerbesteuer, die Körperschaftsteuer sowie bei internationalen Konzernen ausländische Unternehmensteuern zu ermitteln. Bei unmittelbarer Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner sind die finanziellen Überschüsse nach Unterneh1 Unter der Voraussetzung, dass der Gesellschafter mindestens zu 25 % bzw. bei beruflicher Tätigkeit des Gesellschafters für die Kapitalgesellschaft, mindestens zu 1 % an der Kapitalgesellschaft (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG) beteiligt ist, kann der Gesellschafter die Beteiligungserträge wahlweise nach dem Teileinkünfteverfahren versteuern. 2 Steuerfreie Auszahlungen aus dem steuerlichen Einlagekonto führen – analog zu der zu § 17 EStG ergangenen Rechtsprechung – zu einer Minderung der Anschaffungskosten (BFH v. 19.7.1994 – VIII R 58/92, BStBl. II 1995, 362 = GmbHR 1995, 469). Es erfolgt ein Rückgriff auf die Begriffsbestimmung des § 255 HGB (BFH v. 27.3.2007 – VIII R 62/05, BStBl. II 2010, 159 = GmbHR 2007, 780). Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt diese Rechtsprechung zur Minderung der Anschaffungskosten gleichermaßen für den Anschaffungskostenbegriff i.S.d. § 20 Abs. 4 EStG ab 2009. Dies sollte durch den Verweis auf das BFH-Urteil v. 20.4.1999 (BStBl. II 1999, 698) in Rz. 92 des BMF-Schreibens v. 22.12.2009 – IV C 1 - S 2252/08/10004 (Kapitalherabsetzung/Ausschüttung aus dem Einlagekonto) zum Ausdruck gebracht werden.

Jonas/Wieland-Blöse 485

17.46

§ 17 Rz. 17.46

Dritter Teil: Querschnittsfragen

mensteuern um persönliche Ertragsteuern der Anteilseigner zu kürzen. Diese betreffen bei inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen und nur unwesentlich am Bewertungsobjekt beteiligten Anteilseignern die Abgeltungsteuer auf Ausschüttungen sowie die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen. b) WACC-DCF-Ansatz

17.47 Die im Rahmen des WACC-DCF-Ansatzes (vgl. dazu ausführlich § 10) relevanten künftigen Cashflows sind – vorbehaltlich der fehlenden Vorteile aus der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Fremdfinanzierung – jene finanziellen Überschüsse, die unter Berücksichtigung gesellschaftsrechtlicher Ausschüttungsgrenzen allen Kapitalgebern des Unternehmens zur Verfügung stehen.1 Die Free Cash Flows stellen finanzielle Überschüsse nach Unternehmensteuern und bei unmittelbarer Typisierung auch nach persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner, jedoch vor Zinsen dar. Sie werden als Nominalgrößen geplant. In der International und auch in der hiesigen Bewertungspraxis üblichen Darstellungsweise ermitteln sich die Free Cash Flows wie folgt: Ergebnis vor Steuern und Zinsen + Sonstiges Finanzergebnis (ohne Fremdkapitalzinsen) – Adjustierte Ertragsteuern des Unternehmens (bei fiktiver Eigenfinanzierung) – Adjustierte persönliche Ertragsteuern (bei fiktiver Eigenfinanzierung) + Abschreibungen und andere zahlungsunwirksame Aufwendungen – Zahlungsunwirksame Erträge –/+ Investitionsauszahlungen/Einzahlungen aus Desinvestitionen +/– Verminderung/Erhöhung des Netto-Working Capitals =

Free Cash Flow

17.48 Die von dem Unternehmen gezahlten Unternehmensteuern sowie bei unmittelbarer Typisierung etwaige persönliche Ertragsteuern der Unternehmenseigner sind bei der Ermittlung der Free Cash Flows abzuziehen. Die Berechnung der Free Cash Flows erfolgt unter der Annahme, dass keine gewinnmindernden Fremdkapitalzinsen zu zahlen sind;2 dementsprechend sind die Unternehmensteuern (und ggf. die persönlichen Ertragsteuern) unter der Annahme einer fiktiven vollständigen Eigenfinanzierung zu ermitteln.3 Die steuerliche Vorteilhaftigkeit einer Fremdfinanzierung wird im Rahmen der Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes abgebildet.4

17.49 Obwohl auch eine DCF-Bewertung grundsätzlich unter Berücksichtigung persönlicher Steuern durchgeführt werden kann, ist es absolut herrschende Praxis, DCF-Bewertungen regelmäßig mittelbar typisierend, d.h. ohne explizite Berücksichtigung persönlicher Steuern vorzunehmen.

1 2 3 4

IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 127. Jonas, BFuP 1995, 83 (86). IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 128. Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 58.

486

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.54 § 17

4. Kapitalisierungszinssatz Der verwendete Kapitalisierungszinssatz stellt grundsätzlich die beste alternative Anlagemöglichkeit dar1 und drückt somit die Renditeerwartung einer äquivalenten Alternativinvestition aus.2 Die finanziellen Überschüsse aus der alternativ am Kapitalmarkt zu tätigenden Anlage unterliegen grundsätzlich der Ertragsbesteuerung. Diese Steuerbelastung ist daher auch im Kapitalisierungszinssatz zu berücksichtigen.3

17.50

Werden bei den zu diskontierenden finanziellen Überschüssen persönliche Ertragsteuern in Abzug gebracht, ist der Kapitalisierungszinssatz ebenfalls unter Berücksichtigung der Wirkungen der persönlichen Ertragsteuern anzusetzen. Die äquivalente Berücksichtigung der persönlichen Einkommensteuer im Zähler und im Nenner des Bewertungskalküls entspringt der bewertungstheoretisch gebotenen Steueräquivalenz.4

17.51

Eine Erklärung der empirisch beobachtbaren Aktienrenditen kann durch das Tax-CAPM erfolgen, welches das CAPM um die explizite Berücksichtigung der Wirkungen persönlicher Ertragsteuern erweitert. Die steuerliche Behandlung von Zinseinkünften, Dividenden und Kursgewinnen wird dabei direkt in der Bewertungsgleichung des Tax-CAPM erfasst, indem die jeweils relevanten Steuersätze bei den Komponenten des Kapitalisierungszinssatzes berücksichtigt werden.5

17.52

Das Tax CAPM nach Brennan6 zeigt, welche Gleichgewichtsrenditen sich auf einem durch 17.53 individuelle persönliche Steuern beeinflussten Kapitalmarkt einstellen; es ist insofern zunächst unabhängig vom deutschen Steuersystem. Das Tax-CAPM wurde zur Erfassung der in Deutschland bestehenden Steuerwirkungen entsprechend angepasst – so zuletzt auf das Abgeltungssteuersystem.7 In der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur wird die Eignung des CAPM und des Tax-CAPM zur Ermittlung des Risikozuschlags sowie dessen Überlegenheit gegenüber einer bloßen Schätzung des Risikozuschlags gesehen.8

1 2 3 4 5 6 7 8

Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 9. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 4. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 93; OLG Karlsruhe v. 25.6.2008 – 7 U 133/07, NZG 2008, 785 (791). Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 177. Jonas/Löffler/Wiese, WPg 2004, 898. Brennan, National Tax Journal 1970, 417. IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt A, Rz. 366 ff. OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11, AG 2011, 828; OLG Frankfurt v. 30.8.2012 – 21 W 14/11 – Rz. 67, NZG 2012, 1382; OLG Frankfurt v. 20.12.2010 – 5 W 51/09 – Rz. 52 ff., juris; OLG Frankfurt v. 17.6.2010 – 5 W 39/09, AG 2011, 717 = BeckRS 2011, 1667; OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 2/08, AG 2010, 510; OLG Stuttgart v. 18.12.2009 – 20 W 2/09, AG 2010, 758 = BeckRS 2008, 900; OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 = BeckRS 2011, 1677; OLG Stuttgart v. 3.4.2012 – 20 W 7/09 – Rz. 85, juris; OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE), WM 2009, 2220; OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 8/10 (AktE) – Rz. 53, AG 2012, 797 (799) = NZG 2012, 1260 (1261); OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47; OLG Celle v. 19.4.2007 – 9 W 53/06, AG 2007, 865 = ZIP 2007, 2025; Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 126 („State of the Art“).

Jonas/Wieland-Blöse 487

17.54

§ 17 Rz. 17.54

Dritter Teil: Querschnittsfragen

In einer Entscheidung äußert sich das OLG Frankfurt1 zum Tax-CAPM wie folgt: „Bereits seit Geltung des Standards IDW S1 2000 wird bei der Ermittlung des Risikozuschlags anhand des Capital Asset Pricing Model (CAPM) die aus der langjährigen Differenz zwischen der Rendite von Aktien und quasi risikofreien öffentlichen Anleihen ermittelte durchschnittliche Risikoprämie (Marktrisikoprämie) mit einem das unternehmensspezifische Risiko abbildenden Faktor, dem sogenannten Betafaktor, multipliziert. Das im Standard IDW S1 2005 empfohlene Tax Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM) ergänzt das CAPM noch um die Wirkung persönlicher Ertragsteuern. […] Die Anwendung des (Tax-)CAPM ist nicht nur ein in der Betriebswirtschaftslehre und der Bewertungspraxis anerkanntes Berechnungsmodell für die Festlegung des Risikozuschlags, sondern hat sich auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung weitestgehend durchgesetzt (vgl. OLG Düsseldorf [v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE),] WM 2009, 2220 (2226); OLG Frankfurt am Main [v. 20.12.2010 – 5 W 51/09 –] juris Rn. 52 ff.; OLG Stuttgart [v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 =] juris Rz. 158). Für die Anwendung des (Tax-) CAPM spricht nicht allein der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, sondern auch das Fehlen eines praktisch verwendbaren überlegenen Modells. Denn es ist nicht ersichtlich, dass ein Alternativmodell zur Ermittlung des Risikozuschlags, insbesondere eine pauschale Schätzmethode, dem (Tax-)CAPM überlegen wäre. Aufgrund seiner Herleitung aus beobachtbaren Kapitalmarktdaten ermöglicht dieses vielmehr im Vergleich mit pauschalen Risikozuschlägen zumindest eine gewisse Objektivierung […].“

17.55 Nach dem Tax-CAPM setzen sich die Eigenkapitalkosten nach Steuern aus dem um die typisierte persönliche Ertragsteuer gekürzten Basiszinssatz und der auf Basis des Tax-CAPM ermittelten Risikoprämie nach persönlichen Ertragsteuern, gewichtet mit dem Betafaktor, zusammen: Mit: = Eigenkapitalkosten; = risikoloser Zinssatz; = persönlicher Ertragsteuersatz (Abgeltungsteuer); = Marktrisikoprämie nach persönlichen Ertragsteuern (Abgeltungsteuer).

17.56 Der risikolose Basiszinssatz wird typisierend um den Abgeltungsteuersatz auf Zinserträge von 25 % zzgl. SolZ, mithin i.H.v. 26,375 % angepasst.

17.57 Die Marktrisikoprämie vor Steuern ist ebenfalls um die Steuerwirkungen von Dividenden und Kursgewinnen anzupassen. Zur Höhe der Marktrisikoprämie vor und nach persönlichen Ertragsteuern gibt der FAUB des IDW regelmäßig Empfehlungen heraus, die sowohl die jeweiligen steuerlichen Gegebenheiten berücksichtigen, als auch sich an den aktuellen Entwicklungen am Kapitalmarkt orientieren. 1 OLG Frankfurt v. 20.2.2012 – 21 W 17/11 – Rz. 54 f., NZG 2013, 69 (70) = AG 2013, 647.

488

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.59 § 17

Mit Blick auf die derzeitige Situation auf den Kapitalmärkten hält es der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW (FAUB) für sachgerecht, sich bei der Bemessung der Marktrisikoprämie aktuell aufgrund der Verwerfungen aus der Finanzmarkt- und Euro-Schuldenkrise an einer Bandbreite von 5 % bis 6 % (nach persönlichen Steuern) zu orientieren.1 Nach dem WACC-Ansatz sind die künftigen erzielbaren Cashflows mit den gewogenen Kapitalkosten (WACC) abzuzinsen. Die gewogenen Kapitalkosten hängen von der Höhe der Eigenund der Fremdkapitalkosten sowie infolge der fehlenden Finanzierungsneutralität der Besteuerung vom Verschuldungsgrad (gemessen als Verhältnis des Marktwerts des Fremdkapitals zum Marktwert des Eigenkapitals) ab.2 Die steuerliche Vorteilhaftigkeit einer Fremdfinanzierung – das sog. Tax Shield – wird dabei im Rahmen der Ermittlung der Fremdkapitalkosten abgebildet.

17.58

Die Fremdkapitalkosten errechnen sich als gewogener durchschnittlicher Kostensatz der einzelnen Fremdkapitalformen. Von den Fremdkapitalkosten sind die auf diese entfallenden Unternehmensteuern abzusetzen. Sofern eine unmittelbare Typisierung der Anteilseigner erfolgt, sind darüber hinaus die persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner bei der Bestimmung der Fremdkapitalkosten zu berücksichtigen, um der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen Rechnung zu tragen.3 Die steuerliche Entlastung aufgrund anteiliger Fremdfinanzierung auf Ebene des Anteilseigners betrifft dabei ausschließlich die ausgeschütteten Beträge. Daher ist die vom Unternehmen geplante Ausschüttungsquote bei der Ermittlung des Tax Shield zu berücksichtigen.

17.59

Die anzusetzenden Fremdkapitalkosten nach Steuern ermitteln sich bei Kapitalgesellschaften unter Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern im derzeitigen Abgeltungsteuersystem wie folgt:

Mit:

= Fremdkapitalkosten nach Steuern;

= Fremdkapitalkosten vor Steuern; = Gewerbesteuersatz; = Körperschaftsteuersatz zzgl. SolZ;

1 „Hinweise des FAUB zur Berücksichtigung der Finanzmarktkrise bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in der Unternehmensbewertung“ vom 19.9.2012. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 133. 3 Eine Berücksichtigung der Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen bei der Bemessung der persönlichen Ertragsteuern ist nicht zwingend im Rahmen der Ermittlung der Fremdkapitalkosten erforderlich, sondern kann auch über die Cashflow-Ermittlung erfolgen (Kohl/Schulte, WPg 2000, 1147 [1156 ff.]).

Jonas/Wieland-Blöse 489

§ 17 Rz. 17.59

Dritter Teil: Querschnittsfragen

= Ausschüttungsquote; = persönlicher Ertragsteuersatz (Abgeltungsteuer zzgl. SolZ);

= effektive Kursgewinnsteuer. Bei Zinsaufwendungen sind nur 75 % der Gewerbesteuer1 jeweils unter Beachtung von Verlustvorträgen und möglicher Zinsschranken anzusetzen. Dies führt regelmäßig dazu, dass das Tax Shield aus der Fremdfinanzierung geringer als der nominale Unternehmenssteuersatz ausfällt.

III. Abbildung von laufenden Ertragsteuern bei der Bewertung von Personengesellschaften und Einzelunternehmen 17.60 Personengesellschaften sind als solche keine selbständigen Steuersubjekte, weder nach dem Einkommen- noch nach dem Körperschaftsteuergesetz. Eine Ertragsbesteuerung der Personengesellschaft selbst gibt es daher nur bei der Gewerbesteuer (§ 5 GewStG). Stattdessen unterliegt der Unternehmer oder der Gesellschafter der Ertragsteuer; das Steuersubjekt, dem die Einkünfte zugerechnet werden, sind die einzelnen Gesellschafter der Personengesellschaft. Die Einkünfte von Personengesellschaften werden daher für die Ertragsbesteuerung gemäß dem sog. „Transparenzprinzip“ quasi auf der Ebene der einzelnen Gesellschafter erzielt. Personengesellschaften, die steuerlich nach dem „Transparenzprinzip“ behandelt werden, sind insbesondere die klassischen Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG), ferner die GbR, aber auch atypisch stille Gesellschaften und Gemeinschaften (Erbengemeinschaft, Bruchteilsgemeinschaft). Handelt es sich bei den Gesellschaftern um natürliche Personen und betreibt eine Personengesellschaft einen Gewerbebetrieb, werden die erzielten Ergebnisse den Unternehmern oder Gesellschaftern direkt als eigene Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zugerechnet. Bewertungsrelevante laufende Ertragsteuern bei Personengesellschaften sind dann die Gewerbeertragsteuer und die persönliche Einkommensteuer.2 1. Laufende Ertragsbesteuerung der Personengesellschaft

17.61 Die Gewerbeertragsteuer mindert die zu kapitalisierenden Ergebnisse der Personengesellschaft, sofern diese einen Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 GewStG) darstellt. Die Gewerbesteuer ist folglich im Rahmen der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen und von der Kapitalisierungsgröße abzusetzen. Die Besteuerung bei Personengesellschaften erfolgt grundsätzlich analog zu der Besteuerung von Kapitalgesellschaften. Bei Personengesellschaften kann jedoch ein Freibetrag i.H.v. 24.500 t berücksichtigt werden.

1 Ohne Berücksichtigung der Freigrenze gem. § 8 Nr. 1 GewStG. 2 Handelt es sich bei einem Gesellschafter der Personengesellschaft um eine Kapitalgesellschaft, sind die Einkünfte in die Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Einkommens (§ 8 KStG) des Gesellschafters einzubeziehen.

490

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.67 § 17

Erwirtschaftet eine Unternehmung einen Verlust im aktuellen Jahr, so wird dieser gesondert 17.62 festgestellt und kann in den zukünftigen Jahren zur Kürzung des steuerpflichtigen Gewerbeertrags gem. § 10a GewStG genutzt werden. Dabei darf der gewerbesteuerliche Verlustvortrag bis zu einer Höhe von 1 Mio. Euro uneingeschränkt die gewerbesteuerliche bzw. die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage mindern (§ 10a Satz 1 GewStG). Die 1 Mio. Euro übersteigende Bemessungsgrundlage kann nur bis zu 60 % durch den Verlustvortrag gemindert werden (§ 10a Satz 2 GewStG). Verlustvorträge führen zu einer Steuerersparnis und erhöhen demzufolge die künftigen Jahresergebnisse. Im Rahmen der Unternehmensbewertung führt die Berücksichtigung von Verlustvorträgen daher grundsätzlich zu einer Werterhöhung. Die Abbildung des Wertbeitrags aus Verlustvorträgen kann integriert im Rahmen der Ableitung der Unternehmensteuern oder separat als Sonderwert erfolgen (vgl. Rz. 17.35). Voraussetzung für eine Nutzung gewerbesteuerlicher Verlustvorträge ist grundsätzlich ei- 17.63 ne Unternehmer- und eine Unternehmensidentität. Bei Personengesellschaften ist die Unternehmeridentität an die einzelnen Mitunternehmer gebunden, so dass bei Ausscheiden eines Mitunternehmers der Verlustvortrag anteilig untergeht (§ 10a Satz 4 GewStG). Analog zu Kapitalgesellschaften ist die Berücksichtigung zum Bewertungsstichtag bestehender Verlustvorträge im Rahmen der Unternehmensbewertung in Abhängigkeit vom Bewertungsanlass und vom Wertkonzept zu beurteilen (vgl. Rz. 17.33). In der Bewertungspraxis wird in der Bandbreite der Bewertungsanlässe – von der Ermittlung eines objektivierten Abfindungswerts aufgrund des Ausscheidens eines Personengesellschafters gem. § 738 BGB bis zur Ermittlung von Zugewinnausgleichsansprüchen – die Berücksichtigung von Verlustvorträgen kontrovers diskutiert.1 Das Ergebnis nach GewSt ergibt das entnahmefähige Ergebnis. Von diesem entnahmefähigen Ergebnis sind bei der Bewertung von Personengesellschaften stets die persönlichen Einkommensteuern abzusetzen.2 Um eine Doppelbesteuerung der gewerblichen Einkünfte mit der Gewerbe- und Einkommensteuer zu verhindern, erfolgt gem. § 35 EStG eine Anrechnung der Gewerbesteuer in Höhe des 3,8-fachen des festgesetzten GewSt-Messbetrages, wobei die tatsächlich gezahlte GewSt den Höchstbetrag darstellt.

17.64

2. Laufende persönliche Einkommensteuer Für die Aufteilung des Gewinns der Personengesellschaft auf die Gesellschafter sind grundsätzlich die im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Beteiligungsverhältnisse maßgebend. Dabei kommt es nach dem Transparenzprinzip nicht darauf an, ob der Gewinn tatsächlich an die Gesellschafter ausgeschüttet wird oder nicht.

17.65

Hinsichtlich der Höhe des persönlichen Ertragsteuersatzes des Personengesellschafters wird in der Bewertungspraxis überwiegend ein typisierter Steuersatz i.H.v. 35 % inkl. SolZ und Kirchensteuer als sachgerecht angesehen.3

17.66

Vor Einführung des Abgeltungssteuersystems zum 1.1.2009 wurde im Rahmen objektivierter Bewertungen ein typisierter Steuersatz i.H.v. 35 % explizit in den Verlautbarungen des IDW

17.67

1 So etwa Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1331 ff.; Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606 (608). 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 47. 3 Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606; Dörschell/Franken/Schulte, WPg 2008, 444; IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 43.

Jonas/Wieland-Blöse 491

§ 17 Rz. 17.67

Dritter Teil: Querschnittsfragen

empfohlen.1 Diese Höhe des typisierten persönlichen Ertragsteuersatzes ist von der Gerichtspraxis im Allgemeinen anerkannt.2

17.68 Eine konkrete Typisierungsempfehlung ist anders als in den vorherigen Fassungen des IDW S 1 im aktuellen IDW S 1 i.d.F. 2008 nicht enthalten. So empfiehlt das IDW eine dreistufige Vorgehensweise zur Ermittlung des persönlichen Einkommensteuersatzes: 1. Zunächst soll untersucht werden, inwieweit „die Möglichkeit der Berücksichtigung der tatsächlichen Ertragsteuerbelastung im konkreten Einzelfall gegeben ist“; 2. Ist dies nicht möglich, „sollte eine sachgerechte [gesellschaftsbezogene] Typisierung anhand von Informationen zur Gesellschafterstruktur (Beteiligungsquoten, Höhe des anteiligen Gewinns) erfolgen“; 3. „Sofern beides z.B. aufgrund einer Vielzahl von Gesellschaftern mit unterschiedlichen persönlichen Ertragsteuersätzen nicht durchführbar ist“, kann ein Steuersatz von weiterhin 35 % oder ein anderer Steuersatz im Bewertungskalkül unterstellt werden.3 Insbesondere für die Bewertung von Personengesellschaften „mit wenigen bekannten Anteilseignern kann auch von anderen Steuersätzen ausgegangen werden“; beispielweise kann der Ansatz des Spitzensteuersatzes für gewerbliche Einkünfte in Betracht gezogen werden, wenn das Bewertungsobjekt eine ausreichende Ertragskraft aufweist.4

17.69 Für den Fall der Ermittlung von Abfindungen ausscheidender Gesellschafter einer Personengesellschaft könnte eine Besteuerung nach den individuellen steuerlichen Verhältnissen der Gesellschafter oder eine gesellschaftsbezogene Typisierung teilweise nicht in Betracht kommen. Mit Verweis auf das Gesamthandsprinzip und das Gleichbehandlungsprinzip bei Abfindungsfällen5 fordern Ruiz de Vargas/Zollner vielmehr die Bestimmung einer anlassbezogenen Typisierung der persönlichen Besteuerung „über alle gewerblichen Personengesellschaften.“6 Auf Basis von jüngeren Daten des statistischen Bundesamtes wird ein typisierter Einkommensteuersatz von rund 35,0 % (inkl. SolZ, ohne KiSt) vorgeschlagen.7

17.70 Werden Gewinne bei einer Personengesellschaft thesauriert, kann auf Antrag der Gewinn gem. § 34a EStG unter bestimmten Voraussetzungen8 ganz oder teilweise mit einem Steuersatz von 28,25 % (zzgl. SolZ) belastet werden. Der Antrag ist dabei für jeden Betrieb oder Mitunternehmeranteil für jeden Veranlagungszeitraum gesondert zu stellen. Erfolgt zu einem spä1 IDW S 1 i.d.F. 2000, Rz. 51; IDW S 1 i.d.F. 2005, Rz. 54. 2 OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 2/08, AG 2010, 513 = BeckRS 2010, 900. 3 IDW, Ergebnisbericht-Online über die 96. Sitzung des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 2.4.2008 (im Mitgliederbereich der Homepage des IDW: www.idw.de). 4 IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Umsetzung des IDW S 1 i.d.F. 2008, 2012, Abschn. 4.4.2.4, Antwort auf Frage I; Popp, WPg 2008, 935. 5 Zum Gesamthandsprinzip z.B. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, GmbHR 1994, 871 = AG 1994, 503 = NJW 1994, 2536; zum Gleichbehandlungsgrundsatz z.B. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, GmbHR 1992, 257 = NJW 1992, 892. 6 Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606 (610). 7 Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606 (611). 8 Voraussetzung ist, dass dem Mitunternehmer ein Gewinnanteil von mehr als 10 % oder absolut mehr als 10.000 t zusteht (§ 34a Abs. 1 Satz 3 EStG). Die Begünstigung hängt ferner davon ab, dass der nicht entnommene Gewinn des Mitunternehmers durch (qualifizierten) Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG) ermittelt wurde (§ 34a Abs. 2 EStG).

492

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.74 § 17

teren Zeitpunkt die Entnahme der begünstigt thesaurierten Gewinne, so sind diese mit 25 % (zzgl. SolZ) nachzuversteuern. Die Regelungen der Thesaurierungsbegünstigung beinhaltet somit lediglich eine Steuerstundung, so dass der Vorteil der Thesaurierungsbegünstigung auf einem Zinsvorteil beruht. Die steuerliche Vorteilhaftigkeit der Thesaurierung tritt – abhängig vom effektiven Nachversteuerungssatz, der Entnahmequote und dem Kapitalisierungszinssatz – erst bei Einkommensteuersätzen von über 39 % (vor SolZ) ein;1 ist der individuelle Einkommensteuersatz des Gesellschafters geringer, sollte in der Bewertung entsprechend auf eine Berücksichtigung der Thesaurierungsbegünstigung verzichtet werden.2 Die Berücksichtigung der Thesaurierungsbegünstigung ist daher in Abhängigkeit vom zugrunde gelegten Einkommensteuersatz zu beurteilen. Wird der Bewertung von Personengesellschaften typisierend von einem Einkommensteuersatz i.H.v. 35 % ausgegangen, empfiehlt es sich die Annahme der Vollentnahme zu treffen. Wird im Rahmen der objektivierten Unternehmensbewertung anlassbezogen ein höherer Einkommensteuersatz herangezogen, ist hingegen zu prüfen, ob auch eine Thesaurierungsbegünstigung gem. § 34a EStG vorzunehmen ist.

17.71

Bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte kann die Thesaurierungsbegünstigung in Abhängigkeit vom individuellen Einkommensteuersatz des Gesellschafters berücksichtigt werden.

17.72

3. Ergänzungsbilanzen, Sonderbetriebsvermögen und Tätigkeitsvergütungen Besondere Vorgänge können steuerliche Korrekturen im Hinblick auf die Wertansätze in der 17.73 Bilanz der Personengesellschaft notwendig machen, die nur einen Gesellschafter betreffen. Die steuerlichen Korrekturen werden nicht in der Bilanz der Personengesellschaft vorgenommen, sondern in Ergänzungsbilanzen, die für jeden Gesellschafter aufgestellt werden können. Wird bspw. ein Gesellschaftsanteil nicht zum Buchwert, sondern zu einem über dem Buchwert liegenden Verkehrswert erworben und weichen damit die auf die einzelnen Wirtschaftsgüter zu verteilenden Anschaffungskosten des neuen Gesellschafters für den Gesellschaftsanteil von den Bilanzansätzen der Wirtschaftsgüter in der Gesamtbilanz ab, können die Mehrbeträge in einer positiven Ergänzungsbilanz aktiviert werden. Diese Mehrbeträge mindern bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern in Form von Abschreibungen die Steuerlast des Mitunternehmers. Bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte sind die individuellen Ergänzungsbilanzauswirkungen nach gängiger Literaturmeinung zu berücksichtigen. Hingegen ist es nach dem derzeitigen Meinungsstand in der Literatur unklar, wie Ergänzungsbilanzen bei der objektivierten Unternehmensbewertung zu berücksichtigen sind. Dabei ist sowohl zwischen bereits vorhandenen Ergänzungsbilanzen und transaktionsabhängigen, aus dem Bewertungsanlass heraus neu zu bildenden Ergänzungsbilanzen als auch zwischen verschiedenen Bewertungsanlässen zu differenzieren. Im Zusammenhang mit Abfindungen von Personengesellschaftern wird bspw. argumentiert, dass der zu bestimmende objektivierte Wert im Sinne einer Gleichbehandlung aller Gesellschafter frei von subjektiven Faktoren Einzelner ermittelt werden soll, soweit diese Faktoren 1 Ruiz de Vargas/Zollner leiten eine Vorteilhaftigkeit der Thesaurierungsbegünstigung für persönliche Einkommensteuersätze größer als 39 % ab (Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606 [611 f.]); in Abhängigkeit insbesondere der Annahmen an den effektiven Nachversteuerungssatz ergeben sich andere Grenzsteuersätze, ab denen die Thesaurierungsbegünstigung steuerlich günstiger ist. 2 Dörschell/Franken/Schulte, WPg 2008, 444 (449).

Jonas/Wieland-Blöse 493

17.74

§ 17 Rz. 17.74

Dritter Teil: Querschnittsfragen

nicht allen Gesellschaftern in gleichem Maße zugutekommen;1 die durch historische Anschaffungskosten ebenso wie die durch potentiell künftige Anschaffungskosten resultierenden individuellen Ergänzungsbilanzabschreibungen sind dann nicht zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit erb- und familienrechtlichen Bewertungsanlässen findet sich die Aussage, dass hier bestehende Ergänzungsbilanzen in die Bewertung mit einbezogen werden können, da hiermit keine Ungleichbehandlung von Gesellschaftern verbunden sei.2 Es wird auch die Meinung vertreten, eine objektivierte Bewertung erfordere eben von den konkreten Bilanzansätzen der bisherigen Eigentümer zu abstrahieren und auf die Bilanzansätze eines typisierten Eigentümers einschließlich dessen typisierter Ergänzungsbilanz abzustellen.3 Zur Diskussion zur Berücksichtigung transaktionsabhängiger Ergänzungsbilanzabschreibungen in der objektivierten Unternehmensbewertung vgl. Rz. 17.85 ff.

17.75 Die mit dem Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter in Zusammenhang stehenden Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich in die Gewinnermittlung einzubeziehen. So unterliegen Vergütungen, die der Gesellschafter (für die Leistung von Diensten (bspw. Tätigkeitsvergütungen), Hingabe von Darlehen oder Überlassung von Wirtschaftsgütern) von der gewerblichen Personengesellschaft bezogen hat, dem steuerlichen Gewinn und werden somit als Sonderbetriebsausgabe auch der Gewerbesteuer unterworfen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 7 GewStG).4 Da im Sonderbetriebsvermögen auch betriebsnotwendiges Vermögen enthalten sein kann, ist für die Unternehmensbewertung eine genaue Abgrenzung des Bewertungsobjektes hinsichtlich des bestehenden Sonderbetriebsvermögens erforderlich. Dabei kann es im Einzelfall auch sachgerecht sein, das Sonderbetriebsvermögen mit in das Bewertungsobjekt einzubeziehen, sofern es einen integralen Bestandteil der Personengesellschaft darstellt und diese in unveränderter Weise fortgeführt wird.5 Soweit entsprechende Vergütungen für die Nutzung von Sonderbetriebsvermögen im Rahmen der Bewertung angesetzt wurden, sind diese entsprechend bei der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Beschränkt sich das Bewertungsobjekt hingegen auf das Gesamthandsvermögen, sind Sonderbetriebsausgaben und -einnahmen bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse nicht zu berücksichtigen.6

17.76 Ist ein Gesellschafter einer gewerblichen Personengesellschaft als Geschäftsführer tätig, mindern dessen Tätigkeitsvergütungen als Sonderbetriebsausgabe nicht die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage. Die Unternehmenserfolge inklusive Tätigkeitsvergütung unterliegen auf Ebene des Gesellschafters der Einkommensteuer gemindert durch die 3,8-fache Anrechnung des Gewerbesteuermessbetrags. Dies führt zu einer einkommensteuerlichen Mehrbelastung des einen, tätigen Gesellschafters gegenüber den anderen Gesellschaftern, die keine Tätigkeitsvergütung beziehen. Im Rahmen der objektivierten Unternehmenswertermittlung empfiehlt sich daher die Annahme, dass die Tätigkeiten im Dienste der Gesellschaft fiktiv von nicht gesellschaftsrechtlich beteiligten Personen erfolgen. Ist dann wie im Falle inhabergeprägter Unternehmen die Gesellschaftertätigkeit mit der Geschäftsführung verknüpft, wäre ein 1 2 3 4

Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1994, S. 127. Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1339. Jonas in FS Meilicke, 2010, S. 271 (S. 277 f.). Die Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG qualifiziert die handelsrechtlich als Aufwand zu berücksichtigenden Vergütungen an die Gesellschafter (für die Leistung von Diensten, Hingabe von Darlehen oder Überlassung von Wirtschaftsgütern) als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Umqualifizierung). 5 Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1333. 6 Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1333.

494

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.79 § 17

nach den individuellen Verhältnissen1 gerechtfertigter Unternehmerlohn in Abzug zu bringen. 4. KMU und Vereinfachungen Das Ertragswertverfahren nach IDW S 1 i.d.F. 2008 beruht auf dem Grundsatz, dass alle Ertragsteuern, auch die persönlichen Steuern der Unternehmenseigner, für den Unternehmenswert relevant sind. Da die persönliche Einkommensteuer von Investoren deren Investitionsentscheidungen beeinflusst, ist dies nicht nur theoretisch richtig, sondern ermöglicht erst auch die Bewertung von Personengesellschaften. Personengesellschaften, die selber lediglich die Gewerbesteuer zahlen und ansonsten keiner Einkommensbesteuerung unterliegen und bei denen die persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner damit im Wesentlichen die Unternehmenssteuern darstellen, können nicht ohne Betrachtung der persönlichen Ertragsteuern bewertet werden. Eine mit IDW S 1 i.d.F. 2008 konforme Bewertung von Personengesellschaften ohne eine explizite Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern scheint damit nicht möglich zu sein.

17.77

Die vollständige Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern im Ertragswertverfahren kann zu komplexen und ambitionierten Rechenwerken führen, die insbesondere bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) häufig in keinem Verhältnis zum ermittelten Wert stehen. Eine für die Praxis mögliche Vereinfachung kann es daher sein, die persönliche Einkommensteuer bei Bewertung von Personengesellschaften zu vernachlässigen und stattdessen die Personengesellschaft vereinfachend wie eine Kapitalgesellschaft zu behandeln.2 Entsprechend würden dann zur mittelbaren Berücksichtigung von persönlichen Ertragsteuern bei Kapitalgesellschaften die finanziellen Überschüsse einer fiktiven Körperschaftsteuerbelastung unterliegen und der Kapitalisierungszinssatz vor persönlichen Ertragsteuern ermittelt.

17.78

Diese pragmatische Vereinfachung bei der Bewertung von kleinen und mittelgroßen Personengesellschaften erlaubt im Regelfall eine Zeit- und Komplexitätsreduzierung ohne dabei zu systematischen Verzerrungen in den Bewertungsergebnissen zu führen. So kann gezeigt werden, dass mit der Steuerreform 2008 eine annähernde Rechtsformneutralität erreicht wurde und sich in normalen Bewertungskonstellationen bei den verschiedenen Rechtsformen kaum Unterschiede in den Unternehmenswerten ergeben.3 Diese Vereinfachung erweist sich auch bei der Bewertung von Personengesellschaften innerhalb von Konzernstrukturen, deren Mitunternehmer Kapitalgesellschaften sind, als sachgerecht.4 Letztlich bleibt es dem Bewertungsgutachter aber auch bei Verwendung dieser vereinfachenden Methode nicht erspart, sich mit dem konkreten Verhältnissen der zu bewertenden Personengesellschaft auseinander zu setzen. Dies schließt auch Sonder- und Ergänzungsbilanzen ein.5

17.79

1 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 28, BGHZ 188, 282 = MDR 2011, 490; BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06 – Rz. 33, WPg 2008, 583 = MDR 2008, 508. 2 Jonas, WPg 2011, 299 (303). 3 Siehe auch Rz. 17.27 oder Jonas, WPg 2008, 826 (831 f.). 4 Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (493). 5 Jonas, WPg 2011, 299 (303).

Jonas/Wieland-Blöse 495

§ 17 Rz. 17.80

Dritter Teil: Querschnittsfragen

IV. Bewertungskalküle ohne die vollständige Berücksichtigung von Steuern 17.80 Nicht nur weil dies theoretisch richtig ist, sondern auch, um gleichermaßen die Bewertung von Kapital- und Personengesellschaften zu ermöglichen, beruht das Ertragswertverfahren nach IDW S 1 i.d.F. 2008 auf dem Grundsatz, dass alle Ertragsteuern, auch die persönlichen Steuern der Anteilseigner für den Unternehmenswert relevant sind. Diese Berücksichtigung kann explizit (unmittelbar typisierend) oder implizit (mittelbar typisierend) erfolgen.1 In der Bewertungspraxis sind Unternehmensbewertungskalküle ohne die vollständige Berücksichtigung von Steuern gleichwohl auch verbreitet. 1. Internationale Unternehmensbewertungspraxis

17.81 In der internationalen Bewertungspraxis und auch in der die internationale Unternehmensbewertungspraxis prägenden anglo-amerikanischen Bewertungsliteratur ist die Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern unüblich.2 In der Regel werden fair value Berechnungen und DCF-Bewertungen ohne Berücksichtigung persönlicher Steuern durchgeführt. 2. Nutzungswert

17.82 Im Rahmen der Durchführung von Wertminderungstest nach IAS 36 wird häufig der Nutzungswert (Value in Use) der zu testenden zahlungsmittelgenerierenden Einheit auf Basis diskontierter künftiger Zahlungsströme (IAS 36.30 ff.) ermittelt. Beim Nutzungswert handelt es sich um ein Vorsteuer-Konzept, entsprechend ist bei seiner Ermittlung grundsätzlich ein Vorsteuer-Kapitalisierungszinssatz für die Abzinsung der Vorsteuer-Zahlungsströme heranzuziehen (IAS 36.55). Unter Vorsteuer-Konzept ist hier ein Bewertungskalkül zu verstehen, bei dem alle Ertragssteuern, also sowohl persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner als auch die Unternehmenssteuern außer Acht bleiben.

17.83 Am Kapitalmarkt beobachtbare Renditen risikobehafteter Eigenkapitaltitel enthalten jedoch regelmäßig Steuereffekte. Daher ist der ermittelte Kapitalisierungszinssatz in einen Vorsteuer-Kapitalisierungszinssatz zu transformieren. Es bieten sich zwei vereinfachende Vorgehensweisen an: 1. In Betracht kommt die Umrechnung des Nachsteuer-Kapitalisierungszinssatzes durch bloßes „Hochschleusen“ (grossing-up) in einen fiktiven Vorsteuer-Kapitalisierungszinssatz. Dies ist allerdings nur vertretbar bei gleichbleibenden Zahlungsströmen, d.h. im einfachen Rentenfall. 2. Bei unterschiedlichen Zahlungsströmen in den Planungsperioden kann der NachsteuerKapitalisierungszinssatz in einer Überleitungsrechnung iterativ in einen impliziten Vorsteuer-Kapitalisierungszinssatz übergeleitet werden (IAS 36.BCZ85, IAS 36.BC94). Konkret erfordert dies ein Bewertungskalkül nach Unternehmensteuern und vor persönlichen Steuern der Anteilseigner; das im Bewertungsergebnis identische Vorsteuer-Kalkül wird lediglich für Darstellungszwecke herangezogen.

1 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 29–31. 2 So führen Koller/Goedhardt/Wessels, Valuation, S. 586 f. (dem international wohl am meisten verbreiten Bewertungslehrbuch) aus: „… taxation may affect companies value.“; „… the net impact is relatively small. Therefore, in pratice, there is often no need [persönliche Steuern zu berücksichtigen] …“.

496

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.86 § 17

Methodisch stellen beide Vorgehensweisen letztlich nur theoretisch unbefriedigende Kunstrechnungen dar, tragen somit aber dem Erfordernis des Vorsteuer-Konzepts des Nutzungswerts nach IAS 36 Rechnung.

V. Diskussion zur Berücksichtigung transaktionsabhängiger Steuern Neben der laufenden Besteuerung der finanziellen Überschüsse aus dem Bewertungsobjekt 17.84 können zusätzlich auch transaktionsabhängige Steuerwirkungen bewertungsrelevant sein. Beispielsweise werden im Falle eines Verkaufs eines Mitunternehmeranteils sowohl der freiwillig ausscheidende Gesellschafter als auch der potentielle Käufer transaktionsabhängige Steuerwirkungen bei ihrer jeweiligen Grenzpreisermittlung berücksichtigen.1 Für den ausscheidenden Gesellschafter stellt die Differenz zwischen dem Veräußerungspreis und dem Kapitalkonto sowie den Veräußerungskosten einen nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG (begünstigten) steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn dar; die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns erhöht den Grenzpreis des ausscheidenden Gesellschafters. Bei dem Käufer wiederum führt ein über den Buchwert hinausgehender Kaufpreis zu höheren Anschaffungskosten, die in seiner Ergänzungsbilanz auf die erworbenen Wirtschaftsgüter zu verteilen sind (step-up Volumen). Der Käufergrenzpreis steigt um den abgezinsten steuerlichen Abschreibungsvorteil (Tax amortisation benefit)2. Die Berücksichtigung der Veräußerungsgewinnbesteuerung und ergänzungsbilanzbedingten Abschreibungsvorteile bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte wird in der Literatur kontrovers diskutiert. 1. Abfindungsansprüche ausscheidender Gesellschafter Scheidet ein Gesellschafter aus einer Personengesellschaft aus, führt dies zu einem Eigentümerwechsel, da der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den verbleibenden Gesellschaftern zuwächst.3 Die Bemessung der Abfindungshöhe richtet sich vorbehaltlich anderer gesellschaftsvertraglicher Regelungen nach § 738 BGB. Entgegen dem Wortlaut des § 738 BGB orientiert sich der volle wirtschaftliche Wert des Anteils am tatsächlichen Wert des lebenden Unternehmens, der sich aus dem Ertragswert der fortgeführten Gesellschaft ergibt.4

17.85

Durch das Ausscheiden eines Gesellschafters einer Personengesellschaft werden grundsätzlich die in Rz. 17.84 benannten transaktionsabhängigen Steuerwirkungen ausgelöst. Dies gilt sowohl für das freiwillige als auch für das unfreiwillige Ausscheiden eines Gesellschafters.5 Hinsichtlich der Behandlung der transaktionsbedingten Steuerwirkungen im Rahmen der Ermittlung objektivierter Abfindungsansprüche existieren in der Literatur unterschiedliche Meinungen. So findet sich die Empfehlung, den objektivierten Wert ohne die Berücksichtigung transaktionsabhängiger Steuerwirkungen zu ermitteln, da es sich hierbei um Effekte handelt, die – vergleichbar mit echten Synergieeffekten – erst als Folge des Ausscheidens entstehen.6 Der objektivierte Abfindungswert solle im Sinne der gesellschaftsrechtlich gebotenen

17.86

1 2 3 4

Wagner, WPg 2007, 929 (932). Bartels/Jonas, Beck’sches IFRS Handbuch, § 27 Rz. 40. Wagner, WPg 2007, 929 (932). BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 = WM 1995, 802; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = NJW 1985, 192; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 48 f. 5 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 902 f. 6 Kunowski/Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1311, 1341 ff.; Müller, WPg 2018, 576 (583).

Jonas/Wieland-Blöse 497

§ 17 Rz. 17.86

Dritter Teil: Querschnittsfragen

(internen) Gleichbehandlung aller Gesellschafter frei von subjektiven Faktoren Einzelner ermittelt werden, soweit diese Faktoren nicht allen Gesellschaftern gemeinsam sind.1 Dagegen empfiehlt Wagner, dass ein rationales Verhandlungsergebnis der Vertragspartner auch die Höhe der Abfindung prägen sollte und dem ausscheidenden Gesellschafter transaktionsabhängige Steuern teilweise oder vollständig zu erstatten sind, soweit die Abfindungsansprüche mit einem Eigentumswechsel verbunden sind.2 Ebenso kann argumentiert werden, dass abschreibungsbedingte Steuervorteile durch jeden potentiellen Investor realisiert werden können und somit bei der Ermittlung objektivierter Abfindungswerte werterhöhend zu berücksichtigen sind.3 Denn die bisherigen Buchwerte sind nur für den bisherigen Altgesellschafter relevant und führen mithin zu einem subjektiven Wert aus Sicht der bisherigen Alteigentümer. Der objektivierte Wert stellt hingegen einen typisierten, auf Durchschnitts- bzw. Grenzentscheider abstellenden, subjektiven Wert dar; ein solchermaßen objektivierter Wert muss sich von den konkreten Buchwerten der bisherigen Alteigentümer lösen.

17.87 Nach der hier vertretenen Meinung ist konsequent auf den Gedanken des § 738 BGB abzustellen. Scheidet ein Gesellschafter aus und muss er selbst die aufgrund des Unterschieds zwischen Unternehmenswert und Buchwert entstehende Steuerlast tragen, dann steht ihm ein ungeminderter Anteil am vollen, nicht bereits durch seine persönliche Steuerlast geminderten Unternehmenswert zu. Zudem hat er einen Anspruch auf eine bestmögliche Verwertung seines Vermögens. Daraus folgt, dass im Rahmen der Bewertung seines Vermögensanteils zu berücksichtigen ist, dass ein ordentlicher Liquidator seines Vermögens den Käufer darauf hinweisen wird, dass dieser eine höhere Abschreibungsbasis und damit einen abschreibungsbedingten Steuervorteil hat. Für diesen Steuervorteil wird ein ordentlicher Liquidator am Markt einen Preis durchsetzen können. Daher wird hier die Meinung vertreten, dass im Rahmen einer Abfindungsbewertung ein abschreibungsbedingter Steuervorteil grundsätzlich zu berücksichtigen ist. 2. Erbrechtliche und familienrechtliche Ausgleichsansprüche

17.88 Bewertungen im Zusammenhang von Ausgleichansprüchen4 lassen sich dadurch kennzeichnen, dass sie der bloßen Ermittlung von Geldforderungen dienen; der Anspruchsberechtigte (bspw. der von der gesellschaftsrechtlichen Nachfolge ausgeschlossene Erbe infolge einer qualifizierten Nachfolgeklausel oder der nicht am Gesellschaftsvermögen beteiligte Ehegatte) erwirbt weder Eigentum am Unternehmen, noch gibt der Verpflichtete Eigentum auf.5 Insofern findet sich in der Literatur die Auffassung, dass mangels eines die transaktionsabhängigen Steuern auslösenden Eigentümerwechsels keine transaktionsabhängigen Steuerwirkungen entstehen können.6 Hingegen sollten abschreibungsbedingte Steuervorteile aus bestehenden Ergänzungsbilanzen in die objektivierte Bewertung einbezogen werden.7 1 Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1994, S. 127; Müller, WPg 2018, 576 (583). 2 Wagner, WPg 2007, 929 (937). Falls der Barwert der Steuervorteile der verbleibenden Gesellschafter geringer sind als die Steuerlast des Ausscheidenden Gesellschafters, wird empfohlen, die Abfindungshöhe an dem Steuervorteil der Verbleibenden zu bemessen, wenn der Eigentumswechsel vom ausscheidenden Gesellschafter ausgelöst wurde (Wagner, WPg 2008, 834 [840]). 3 Jonas in FS Meilicke, 2010, S. 271 (S. 277 f.). 4 Zur Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht s. auch § 26 bzw. § 27. 5 Wagner, WPg 2008, 834 (836). 6 Wagner, WPg 2007, 929 (933). 7 Wagner, WPg 2007, 929 (933).

498

Jonas/Wieland-Blöse

Berücksichtigung von Steuern

Rz. 17.91 § 17

Die aktuelle familienrechtliche Rechtsprechung des BGH verlangt indes bei der Bewertung im Zugewinnausgleich den wertmäßigen Abzug der latenten Steuerlast, und zwar unabhängig von der Frage, ob eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist, oder nicht.1 Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH habe ein solcher Abzug latenter Ertragsteuern aus Gründen der Gleichbehandlung bei allen Vermögenswerten im Rahmen des Zugewinnausgleichs zu erfolgen, d.h. bei betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigen Vermögen.2 Der bei allen Vermögenswerten gebotene Abzug der latenten Steuerlast hat nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Stichtags zu erfolgen. Insbesondere sei damit der individuelle Steuersatz des Inhabers oder Gesellschafters maßgeblich.3 Die Intention dieser Rechtsprechung erscheint durchaus gerechtfertigt, denn auch bei fortbestehender Ehe wären Ehegatten nur am Erlös nach Steuern beteiligt. Gleichwohl hat die aktuelle familienrechtliche Rechtsprechung des BGH vereinzelt Kritik erfahren.4 Sie erscheint aber letztlich konsequent, weil allein der Inhaber des Unternehmens (und damit i.d.R. der Ausgleichspflichtige) mit der latenten Steuer belastet ist, während der Zugewinnausgleichsberechtigte einen von Steuerlasten befreiten Geldanspruch erhält.5 Wendet man diese Rechtsprechung jedoch konsequent an, steht dem Abzug der latenten Steuerlast auf die stillen Reserven ein positiver Effekt aus dem dann auch notwendigen Einbezug des abschreibungsbedingten Steuervorteils (vgl. Rz. 17.84) gegenüber. Aufgrund der für den Bewertungsanlass unterstellten Veräußerungsfunktion ist nach IDW S 13 ist bei daher der Bewertung im Zugewinnausgleich zu überprüfen, ob sich bei einem fiktiven Erwerb aus der Aufdeckung stiller Reserven ein zusätzliches Abschreibungspotential ergibt. In diesem Fall ist ein abschreibungsbedingter Steuervorteil zu berücksichtigen.6 Der Abzug der Veräußerungsgewinnbesteuerung und die Berücksichtigung des abschreibungsbedingten Steuervorteils sind gegenläufig. Aus Vereinfachungsgründen kann daher auf die Ermittlung beider Faktoren verzichtet werden, wenn es Indikatoren dafür gibt, dass sich beide Effekte gegenseitig weitgehend ausgleichen.7

17.89

VI. Diskussion zur Erfassung persönlicher Steuern bei der Bewertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens Nicht betriebsnotwendige, veräußerbare Vermögensteile werden mit dem Liquidationswert 17.90 unter Berücksichtigung der Kosten der Liquidation sowie den steuerlichen Folgen auf Unternehmensebene in Unternehmenswert berücksichtigt. Werden Vermögensgegenstände (tatsächlich oder fiktiv) liquidiert, ist für die Differenz zwischen Buchwert und Veräußerungserlös die Gewerbeertrag- und Körperschaftsteuerbelastung (tatsächlich oder fiktiv) zu erfassen. Unterschiedliche Vorgehensweisen ergeben sich hingegen bei der Erfassung persönlicher Steuern bei der Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. So wird teilweise mit dem Hinweis, dass die steuerlichen Folgen auf Unternehmens- und Eigentümerebene zu be1 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16 – Rz. 13; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 47, FamRZ 2011, 1367 = MDR 2011, 1042; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 29 ff., FamRZ 2011, 622 = MDR 2011, 490; BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, FamRZ 2005, 99 (101) = MDR 2005, 276; s. auch Münch, DStR 2014, 806. 2 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 49, FamRZ 2011, 1367 = MDR 2011, 1042. 3 IDW S 13, Rz. 37. 4 Fassnacht, FamRZ 2014, 1681; Hoppenz, FamRZ 2012, 1618; Schulz, FamRZ 2014, 1684. 5 IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Abschnitt D, Rz. 44; Kuckenburg, FuR 2015, 95 (96). 6 IDW S 13, Rz. 38. 7 IDW S 13, Rz. 41.

Jonas/Wieland-Blöse 499

17.91

§ 17 Rz. 17.91

Dritter Teil: Querschnittsfragen

rücksichtigen sind, ein Abzug der persönlichen Steuern von den Zuflüssen aus dem Verkauf des nicht betriebsnotwendigen Vermögen als sachgerecht angesehen.1 Hierbei wird dann meist implizit eine Ausschüttung der erzielten Erlöse zum Bewertungsstichtag oder zu einem späteren Zeitpunkt angenommen, die persönlichen Ertragsteuern unterliegt.

17.92 Unter ökonomischen Gesichtspunkten stellt diese Annahme der Ausschüttung der Veräußerungserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermögens nicht die wertoptimalste Verwendungsalternative dar. Wir halten es – und dies im Einklang mit der nach unserer Wahrnehmung herrschenden Meinung – daher für grundsätzlich angemessen, die ermittelten Sonderwerte nicht mit persönlichen Einkommensteuern zu belasten. So muss ein ausscheidender Aktionär oder Gesellschafter ggf. ohnehin persönliche Einkommensteuer auf mit einer Abfindung realisierten Wertsteigerungen abführen. Insoweit käme es, anders als im Bewertungskalkül des betriebsnotwendigen Vermögens, in welchem persönliche Steuern konsistent im Zähler und Nenner berücksichtigt werden, zu einer doppelten Abführung von Steuern, wenn bei der Bemessung der Abfindung bereits persönliche Einkommensteuern auf eine fiktive Ausschüttung der Veräußerungserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermögens in Abzug gebracht wurden. Aktionäre und Gesellschafter haben Anspruch auf eine wertoptimale Auskehrung dieser freien nicht betriebsnotwendigen Mittel bspw. in Form einer Kapitalherabsetzung oder Aktienrückkäufen. Die Nichtberücksichtigung persönlicher Steuern (insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen) halten wir ökonomisch sachgerecht und findet sich auch in Entscheidungen, die auf die persönliche Besteuerung verzichten und einen Zufluss der Liquidationserlöse nach Unternehmenssteuer aber vor persönlicher Einkommensteuer vorsehen.2

1 Vgl. bspw. OLG Frankfurt v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, juris Rz. 85 und 95 = AG 2016, 551; OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, juris Rz. 75 = AG 2015, 504; OLG Karlsruhe v. 15.11.2012 – 12 W 66/06, juris Rz. 197 = AG 2013, 353; OLG Frankfurt a.M. v. 20.12.2011 – 21 W 8/11, juris Rz. 78 = AG 2012, 330; OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08, juris Rz. 310 = AG 2011, 795. 2 Vgl. bspw. OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, juris Rz. 164 = AG 2012, 513; OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, juris Rz. 230 = AG 2011, 560; OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09, juris Rz. 241 = AG 2011, 205; LG Frankfurt v. 21.3.2006 – 3-5 O 153/04, AG 2007, 42.

500

Jonas/Wieland-Blöse

§ 18 Börsenkurs und Unternehmensbewertung I. 1. 2. 3. 4. 5.

Fallgruppen und Interessenlage . . . 18.1 Abfindung (in Geld und Aktien) . . . 18.2 Echte Fusion („merger of equals“) . . 18.5 Konzernverschmelzung . . . . . . . . . . . 18.11 Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . 18.13 Delisting und Downgrading . . . . . . . 18.17

II. Rechtsprechung bis Ende der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.21 III. Die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.29 IV. Heutiger Stand der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abfindung in Geld . . . . . . . . . . . . . . a) Quotaler Unternehmenswert (nach der Liquidationshypothese) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deinvestitionswert der Aktie (nach der Veräußerungshypothese) . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Durchschnittskurse . . . . . . . bb) Ausnahmefälle . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien und Konzernverschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Siemens/SNI-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Kuka-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Telekom/T-Online-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . e) Derzeit unvollkommene Umsetzung des Deinvestitionsgedankens beim Aktientausch . . . . . . . .

18.34 18.35 18.36 18.41 18.51 18.52 18.53 18.53 18.54 18.55 18.56 18.57

3. Echte Fusion („merger of equals“) . . a) Die Entscheidung Wüstenrot und Württembergische des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Daimler/Chrysler-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme zum Deinvestitionsgedanken beim merger of equals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme zum Verhandlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abfindung in Geld . . . . . . . . . . . . . . a) Meistbegünstigungsprinzip . . . . . aa) Entwicklungslinien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . b) Maßgeblicher Stichtag für die Bestimmung des Börsenkurses . . . c) Konkretisierung der Ausnahmen zur Börsenkursrechtsprechung . . aa) Marktenge . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlender Handel . . . . . . . . . cc) Kursanomalien und Marktverzerrung . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung in Aktien und Konzernverschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung der Rechtsprechung: Methodengleichheit und Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . 3. Echte Fusion („merger of equals“) . .

18.58 18.58 18.59 18.62 18.64

18.65 18.65 18.67 18.67 18.73 18.77 18.82 18.84 18.85 18.86 18.88 18.88 18.94 18.97

Schrifttum: Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 445 f.; Adolff, Konkurrierende Bewertungssysteme bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ZHR 173 (2009), 67; Baums, Rechtsfragen bei der Bewertung börsennotierter Gesellschaften, ILF Working Paper Series No. 104 (2009); Bungert/Janson, Im Spannungsfeld von Unternehmensvertrag und Squeeze-out: Gibt es einen zeitanteiligen Ausgleichsanspruch nach § 304 AktG?, FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 159; Bungert/Wansleben, Dividendenanspruch bei Verschiebung der Gewinnberechtigung bei Verschmelzungen, DB 2013, 979; Bungert/Wettich, Neues zur Ermittlung des Börsenwerts bei Strukturmaßnahmen, ZIP 2012, 449; Bungert/Wettich, Die zunehmende Bedeutung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen im Wandel der Rechtsprechung, FS HoffmannBecking, 2013, S. 157; Bungert/Wettich, Vorgaben aus Karlsruhe zum Referenzzeitraum des Börsenwerts für die Abfindung bei Strukturmaßnahmen, BB 2010, 2227; Burger, Keine angemessene Abfindung durch Börsenkurse bei Squeeze-out, NZG 2012, 281; Busse von Colbe, Der Vernunft eine Gasse:

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§ 18

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Abfindung von Minderheitsaktionären nicht unter dem Börsenkurs ihrer Aktien, FS Lutter, 2000, S. 1053; Butzke, Der Abfindungsanspruch nach § 305 AktG nach Squeeze-out, Formwechsel oder Verschmelzung, FS Hüffer, 2010, S. 97; Decher, Die Information der Aktionäre über die Unternehmensbewertung bei Strukturmaßnahmen in der Hauptsammlungs- und Gerichtspraxis, FS HoffmannBecking, 2013, S. 295; Decher, Die Ermittlung des Börsenkurses für Zwecke der Barabfindung beim Squeeze-out, ZIP 2010, 1673; Emmerich, Kapitulation vor der Komplexität – Zur Praxis der Unternehmensbewertung in der aktuellen Rechtsprechung, FS Stilz, 2014, S. 135; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Fleischer, Zur Behandlung des Fungibilitätsrisikos bei der Abfindung außenstehender Aktionäre (§§ 305, 320b AktG), FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331; Fleischer, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage, AG 2016, 185; Fleischer/Bong, Unternehmensbewertung bei konzernfreien Verschmelzungen zwischen Geschäftsleiterermessen und Gerichtskontrolle, NZG 2013, 881; Fleischer/Jaeger, Gesellschaftsrechtliche Anteilsbewertung in Frankreich gemäß Art. 1843-4 Code civil, RabelsZ 77, 693; Fleischer/Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Fleischer/Schneider/Thaten, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen in Deutschland und den vereinigten Staaten, Der Konzern 2013, 61; Gärtner/Handke, Unternehmenswertermittlung im Spruchverfahren – Schrittweiser Abschied vom Meistbegünstigungsprinzip des BGH (DAT/Altana)?, NZG 2012, 247; Groß, Die Neuregelung des Anlegerschutzes beim Delisting, AG 2015, 812; Gude, Strukturänderungen und Unternehmensbewertung zum Börsenkurs, 2004; Hachmeister/Ruthardt/Gerhardt, Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Unternehmensbewertung – Theorie, Praxis und Rechtsprechung in Spruchverfahren, Der Konzern 2011, 600; Häller, Delisting von Aktien in der Insolvenz, ZIP 2016, 1903; Happ/Bednarz, Aktienrechtliche Abfindungsund Ausgleichsansprüche – Zu offenen Fragestellungen in Sachen Ytong, DAT/Altana und Stollwerck, FS Stilz, 2014, S. 219; Hasselbach/Ebbinghaus, Auswirkungen der Stollwerck-Entscheidung des BGH auf die Transaktions- und Bewertungspraxis bei börsennotierten Gesellschaften, Der Konzern 2010, 467; Henselmann/Schrenker/Winkler, Berücksichtigung von Börsenkursen bei der Ermittlung von Barabfindungen im Rahmen von aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen, Der Konzern 2010, 467; Hentzen, IFRS-Werte als Grundlage der Unternehmensbewertung aus Anlass von Umstrukturierungsmaßnahmen, DB 2005, 1891; Hoffmann, Möglichkeiten und Grenzen einer analogen Anwendung des Spruchverfahrens, FS Stilz, 2014, S. 267; Hüffer, Bewertungsgegenstand und Bewertungsmethode – Überlegungen zur Berücksichtigung von Börsenkursen bei der Ermittlung von Abfindung und Ausgleich, FS Hadding, 2004, S. 461; Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, 2005; Hüttemann, Börsenkurs und Unternehmensbewertung, ZGR 2001, 454; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603; Krause, Die Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen, FS Hopt, 2010, S. 1005; Klöhn/Verse, Ist das „Verhandlungsmodell“ zur Bestimmung der Verschmelzungswertrelation verfassungswidrig?, AG 2013, 2; Knoll, Unternehmensverträge und der BGH: Volle Entschädigung der außenstehenden Aktionäre?; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 304, 327 a AktG, 2014; Luttermann, Zur Rechtspraxis internationaler Unternehmensbewertungen bei der Publikums-Aktiengesellschaft, NZG 2007, 611; Martens, Die Unternehmensbewertung nach dem Grundsatz der Methodengleichheit oder dem Grundsatz der Meistbegünstigung, AG 2003, 593; Mollnhuber, Umtauschverhältnis und Unternehmensbewertung bei der Verschmelzung, 2017; Müller, Konzernrechtlicher Nachteilsausgleich bei Beschlüssen der Hauptversammlung, FS Stilz, 2014, S. 427; Pluskat/Wiegand, Genussscheininhaber: Schuldrechtliche Gläubiger oder „Schattenaktionäre“?, DB 2012, 1081; Popp/Ruthardt, Abfindung zum Börsenkurs: Hochrechnungsmethodik, WPg 2017, 1222; Puszkajler, Börsenwert über alles bei Verschmelzungen?, ZIP 2010, 2275; Reichert, Eigentumsschutz und Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, FS Stilz, 2014, S. 479; Riegger/Wasmann, Ausnahmen von der Berücksichtigung des Börsenkurses bei der Ermittlung gesetzlich geschuldeter Kompensationen im Rahmen von Strukturmaßnahmen, FS Stilz, 2014, S. 509; Ruthardt, Barabfindung beim Squeeze Out bei Beherrschungsund Gewinnabführungsverträgen, Der Konzern 2013, 615; Schilling/Witte, Die Bestimmung des Bör-

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.3 § 18

senwerts einer Aktie im Lichte der aktuellen BGH-Rechtsprechung – eine Erörterung praktischer Bewertungsfragen, Der Konzern 2010, 477; Schmidbauer, Die Bewertung von Konzernen als Problem in der Theorie der Unternehmensbewertung, DStR 2002, 1542; Schroeder/Habbe, Die Berücksichtigung von Schadensersatzansprüchen bei der Überprüfung der Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, NZG 2011, 845; Schulte/Köller/Luksch, Eignung des Börsenkurses und des Ertragswerts als Methoden zur Ermittlung von Unternehmenswerten für die Bestimmung eines angemessenen Umtauschverhältnisses bei (Konzern-) Verschmelzungen, WPg 2012, 380; Stilz, Unternehmensbewertung und angemessene Abfindung – Zur vorrangigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses, FS Goette, 2011, S. 529; Tonner, Die Maßgeblichkeit des Börsenkurses bei der Bewertung des Anteilseigentums – Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, FS K. Schmidt, 2009, S. 1581; Wasmann, Endlich Neuigkeiten zum Börsenkurs – Besprechung der Stollwerck-Entscheidung des BGH, ZGR 2011, 83; Weber, Börsenkursbestimmung aus ökonomischer Perspektive, ZGR 2004, 280; Wicke, Verschmelzungswertrelation, FS Stilz, 2014, S. 707.

I. Fallgruppen und Interessenlage Das Gesellschaftsrecht kennt diverse Sachverhaltskonstellationen, in denen aufgrund gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnamen eine angemessene Abfindung an Gesellschafter geleistet bzw. eine angemessene Partizipation aller Gesellschafter an der Maßnahme sichergestellt werden muss. All diesen Fällen ist gemein, dass das gesetzlich vorgeschriebene Angemessenheitserfordernis Anlass für eine Unternehmensbewertung gibt, in deren Rahmen sich die Frage nach der Relevanz des Börsenkurses für die Bewertung stellt.

18.1

1. Abfindung (in Geld und Aktien) Das Aktien- bzw. Umwandlungsrecht lässt es unter bestimmten Voraussetzungen zu, dass Minderheitsaktionären ihre Beteiligung an der Gesellschaft ohne ihren Willen entzogen wird. Sie verlieren damit den Zugriff auf die Erträge, welche das von der Gesellschaft getragene Unternehmen erwirtschaftet. Als Kompensation hierfür müssen sie eine angemessene Abfindung erhalten. Zu dieser Fallgruppe gehören der aktienrechtliche Squeeze-out nach § 327a AktG (s. im Einzelnen Rz. 21.4 ff.), der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out nach § 62 Abs. 5 UmwG (s. im Einzelnen Rz. 22.64 ff.) sowie die Eingliederung nach §§ 319, 320 AktG (s. im Einzelnen Rz. 21.12 ff.).

18.2

In einer artverwandten Fallgruppe wird der Gesellschaftsanteil zwar nicht entzogen, es wird 18.3 aber in die Aktionärsstellung strukturell so tief eingegriffen, dass den Minderheitsaktionären aufgrund zwingenden Gesetzesrechts eine Exit-Möglichkeit zusteht: Sie müssen die Wahl bekommen, aus der Gesellschaft gegen Erhalt einer angemessenen Abfindung auszuscheiden. Zu dieser Fallgruppe gehört jeweils das Abfindungsangebot an die außenstehenden Aktionäre nach – § 305 AktG bei Begründung eines Vertragskonzerns durch Abschluss eines Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrages (s. im Einzelnen Rz. 21.16 ff.), nach – §§ 207, 194 Abs. 1 Nr. 6 UmwG beim Formwechsel (s. im Einzelnen Rz. 22.116 ff.), nach – § 29 UmwG bei der Mischverschmelzung (inklusive der Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht-börsennotierte AG) (s. im Einzelnen Rz. 22.53 ff.), und bei der

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503

§ 18 Rz. 18.3

Dritter Teil: Querschnittsfragen

– grenzüberschreitenden Hinaus-Verschmelzung (aus Deutschland in das EU-Ausland) nach § 122i UmwG (s. im Einzelnen Rz. 22.68 ff. sowie Rz. 22.73 ff. zum Sonderfall der Verschmelzung zur SE).1

18.4 Die Abfindung kann als reine Barabfindung ausgestaltet sein (Beispiel: Squeeze-out). Häufig sieht das Gesetz jedoch stattdessen oder wahlweise eine Abfindung in Aktien vor (Beispiele: Eingliederung und Vertragskonzern). Obwohl es hier zu einem Aktientausch kommt, geht es in dieser Fallgruppe in der Sache um eine Abfindung in dem Sinne, dass mit dem Verlust der ursprünglich gehaltenen Aktie eine voll kompensationsfähige Ausgleichsleistung korrespondieren muss, damit dem gesetzlichen Angemessenheitserfordernis Genüge getan ist. Derselben Logik wie die Abfindung in Aktien (Verschmelzungswertrelation als Dreh- und Angelpunkt) folgt der variable Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG, vgl. Rz. 21.22. Beim fixen Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG spielt der Börsenkurs dagegen allenfalls eine untergeordnete Rolle (Rz. 21.19). 2. Echte Fusion („merger of equals“)

18.5 Anders liegt es im Fall der Verschmelzung von zuvor voneinander unabhängigen Gesellschaften („merger of equals“). Auch hier verlieren die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft ihre Aktie und erhalten im Gegenzug Aktien der übernehmenden Gesellschaft. Gleichwohl handelt es sich aber bei den empfangenen Aktien konzeptionell nicht um eine Abfindung: Die Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers werden von den Erträgen, welche das von „ihrer“ Gesellschaft getragene Unternehmen erwirtschaftet, gerade nicht abgeschnitten. Vielmehr wird dieses Unternehmen mit demjenigen des aufnehmenden Rechtsträgers zusammengeführt, ebenso wie die beiden zuvor getrennten Aktionärspopulationen der fusionierten Rechtsträger. An den Erträgen des fusionierten Unternehmens partizipieren nach der Verschmelzung beide Aktionärspopulationen, und zwar in demjenigen Verhältnis, das sich aus dem Umtauschverhältnis ergibt, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG.

18.6 Auch hier gilt ein gesetzliches Angemessenheitserfordernis (vgl. § 12 Abs. 2 UmwG). Dieses bewirkt wirtschaftlich die angemessene Partizipation der durch die Fusion zusammengeführten Aktionärspopulationen an künftigen, nach der Verschmelzung durch das fusionierte Unternehmen erwirtschafteten Erträgen. Es geht m.a.W. um die Quoten, mit denen die ursprünglichen Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers einerseits und die ursprünglichen Aktionäre des übernehmenden Rechtsträgers andererseits am künftigen gemeinsamen Unternehmenserfolg teilhaben.

18.7 Die Interessenlage ist dabei symmetrisch: Was durch eine Quotenverschiebung der einen Aktionärspopulation genommen wird, erhält die andere. Risiken und Chancen einer Quotenverschiebung in die eine oder andere Richtung sind für beide Seiten gleich. Für die Interessenbewertung ist es unerheblich, ob man den Blick auf die Aktionäre der übertragenden oder der übernehmenden Gesellschaft richtet: Beide Seiten werden dann angemessen behandelt, wenn sie – als Kollektiv betrachtet – diejenige Quote am künftigen Unternehmensertrag zugewiesen bekommen, welche dem Wertanteil entspricht, den sie jeweils „mitgebracht“ haben. Das Umtauschverhältnis folgt deswegen aus einer Relationalbewertung der Unternehmen der fusionierten Rechtsträger: Was von der jeweiligen Seite an Wert „mitgebracht“ wird, muss zueinan1 Zum Bewertungsproblem bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen eingehend, insbesondere unter Einbeziehung der international-privatrechtlichen Aspekte, Adolff, ZHR 173 (2009), 67 ff.; Kiem, ZGR 2007, 542.

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.11 § 18

der ins Verhältnis gesetzt werden. Aus diesem Wertverhältnis lässt sich sodann das Umtauschverhältnis ableiten. Der Blick auf diese Symmetrie der Interessenlagen beim merger of equals wird im deutschen Recht dadurch verstellt, dass die Aktionäre des übertragenden und des aufnehmenden Rechtsträgers im Fall eines für sie jeweils unangemessenen Umtauschverhältnisses unterschiedlich behandelt werden:

18.8

– Die Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers (deren Aktien mit der Eintragung der Verschmelzung untergehen) können nach § 15 UmwG bei einem für sie „zu niedrig bemessenen“ Umtauschverhältnis eine bare Zuzahlung verlangen. Erforderlichenfalls müssen sie eine angemessene Zuzahlung im Spruchverfahren erstreiten. – Den Aktionären des übernehmenden Rechtsträgers (deren Aktien bestehen bleiben, da ihr Rechtsträger überlebt), steht dieser Rechtbehelf nicht zur Verfügung; sie sind vielmehr darauf verwiesen, die unangemessene Verwässerung ihrer Anteile vor den ordentlichen Gerichten in einer Anfechtungsklage nach § 255 Abs. 2 AktG geltend zu machen. Dies ändert aber nichts an der Gleichartigkeit der Gefahr einer wirtschaftlichen Benachteiligung auf beiden Seiten: Eine unangemessene Relationalbewertung führt zu einem unangemessenen Umtauschverhältnis – und deswegen wiederum erhält eine Seite (quotal) weniger als ihr zusteht. Auf beiden Seiten sitzen Mehrheit und Minderheit in diesem Konflikt in demselben Boot:1 Die Mehrheit hat keine Möglichkeit, der Minderheit „an ihrer Seite“ zu schaden, indem sie der Minderheit ein Vermögensopfer zumutet, das sie selbst nicht zu erbringen bereit ist.

18.9

Es ist häufig darauf hingewiesen worden,2 dass infolge der Vertragsfreiheit bei der Festsetzung der Verschmelzungsrichtung (inklusive der Möglichkeit, auf eine „leere“ NewCo zu verschmelzen) die Auswahlentscheidung, wer bei einem merger of equals übernehmender und wer aufnehmender Rechtsträger ist, willkürlich erfolgen kann – und dass daher die oben skizzierte unterschiedliche Behandlung der beiden zusammengeführten Aktionärspopulationen der sachlogischen Grundlage entbehrt.3

18.10

3. Konzernverschmelzung Ein Grenzfall ist die upstream-Konzernverschmelzung (Tochter auf Mutter).4 Hier hat der aufnehmende Rechtsträger eine Mehrheit (von typischerweise über 75 %) an dem übertragenden Rechtsträger. Deswegen sitzen in der Hauptversammlung der Tochter Mehrheit und Minderheit gerade nicht in demselben Boot, wenn sie über die Verschmelzung und das Umtauschverhältnis abstimmen:

1 So nunmehr auch das OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/Krupp – Rz. 62 – juris = AG 2017, 827; Bungert/Eckert, BB 2000, 1845; Wilm, NZG 2000, 234 (236); Stilz in FS K.P. Mailänder, 2006, S. 421 (425); sehr instruktiv zum Ganzen auch Baums, ILF Working Paper 104, 2009, S. 21. 2 Etwa Decher in Lutter, § 14 UmwG Rz. 21; Gehling in Semler/Stengel, § 15 UmwG Rz. 8. 3 Prägnant Wilm, NZG 2000, 234 (235). 4 Siehe dazu Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 445 f.

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§ 18 Rz. 18.11

Dritter Teil: Querschnittsfragen

– Ein für die Aktionäre der Tochter ungünstiges Umtauschverhältnis benachteiligt im wirtschaftlichen Ergebnis nur die Minderheit, während die Mehrheitsgesellschafterin (als aufnehmende Rechtsträgerin) davon profitiert. – Im Gesellschafterkreis (und damit in der Hauptversammlung) der Mutter herrscht dagegen derselbe Interessengleichlauf wie beim merger of equals: Die Mehrheit der Aktionäre der Mutter vermag ihrer Minderheit kein Vermögensopfer zuzumuten, das sie nicht selbst zu erbringen bereit ist.

18.12 Insgesamt besteht somit die gleiche Interessenlage wie bei der Abfindung in Aktien: Für die Minderheit der Tochter geht es darum, dass sie eine angemessene Kompensation für den (ohne ihren Willen eintretenden) Verlust ihrer Aktien erhält. Für die Minderheit der Mutter besteht qualitativ die gleiche Verwässerungsgefahr wie beim merger of equals (wenn auch regelmäßig in quantitativ stark abgemilderter Form, weil viel weniger neue Aktien des aufnehmenden Rechtsträgers benötigt werden). Dieser Gefahr ist die Minderheit der Mutter aber nicht in dem gleichen Maße ausgesetzt wie die Minderheit der Tochter, weil die Mehrheit der Mutter keine Möglichkeit hat, sich durch eine Quotenverschiebung zu Lasten ihrer Minderheit reicher zu machen. Im Aktionärskreis der Mutter stehen Mehrheit und Minderheit also „Seite an Seite“. 4. Übernahmerecht

18.13 Von den in den Rz. 18.2–18.12 dargestellten gesellschaftsrechtlichen Fallgruppen der gesetzlich gebotenen Angemessenheitsprüfung sind die kapitalmarktrechtlich geregelten öffentlichen Kaufangebote zu unterscheiden: Für die bei einem freiwilligen Übernahmeangebot oder bei einem Pflichtangebot anzubietende Gegenleistung sieht das WpÜG bestimmte Mindestanforderungen vor. Neben den bei Vor- oder Parallelerwerben bezahlten Preisen ist eine dieser Preisuntergrenzen der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe des Angebots bzw. des Kontrollerwerbs. Nach § 5 Abs. 3 WpÜG-AngVO entspricht dieser gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs dem nach Umsätzen gewichteten Durchschnittskurs aller der BaFin nach Art. 26 VO (EU) 600/20141 als an einem organisierten Markt getätigt gemeldeten oder übermittelten Geschäfte.2

18.14 Ausnahmsweise kann auf den in dieser Weise ermittelten gewichteten Dreimonatskurs nicht rekurriert werden. Dann muss eine Bewertung der Zielgesellschaft erfolgen. Dies ist nach § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO dann der Fall, wenn für die Aktien der Zielgesellschaft während des genannten Dreimonatszeitraums an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als fünf Prozent voneinander abweichen. In diesen Fällen ist die Höhe der Gegenleistung auf der Grundlage einer Unternehmensbewertung der Zielgesellschaft zu bestimmen, in deren Rahmen dem (historischen) Börsenkurs allenfalls noch eine untergeordnete Bedeutung zukommt (s. im Einzelnen Rz. 21.78 f.).3 Bei Tauschangeboten findet nach § 7 WpÜG1 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012. 2 Siehe dazu http://www.bafin.de/SharedDocs/Standardartikel/DE/Datenbanken/db_Mindestpreise. html. 3 Auch in diesem Fall fehlt dem Börsenkurs aber nicht per se jede Eignung zur Feststellung des Wertes einer Unternehmensbeteiligung, solange die Aktien an der Börse gehandelt werden, vgl. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, NJW 1999, 3769 (3772) = AG 1999, 566.

506

Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.17 § 18

AngVO dieselbe Logik auf die Bestimmung des Umtauschverhältnisses entsprechend Anwendung. Gegenüber den in Rz. 18.2–18.12 beschriebenen gesellschaftsrechtlichen Angemessenheitserfordernissen sind diese Mindestpreisregelungen des Übernahmerechts deutlich schematischer (und klar auf den Börsenkurs bezogen). Diese Schematik vereinfacht die praktische Handhabung, verkürzt aber den Minderheitenschutz. Für die vom WpÜG erfassten Fallgruppen findet dies nach herrschender Meinung seine Rechtfertigung darin, dass dem Angebotsadressaten die Wahl bleibt, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen – und er selbst bei Ablehnung zunächst in die Rolle des Minderheitsgesellschafters im faktischen Konzern gerät (nicht etwa in diejenige im Vertragskonzern, an die der Gesetzgeber in § 305 AktG die Rechtsfolge der Möglichkeit zum Exit gegen angemessene Abfindung geknüpft hat).1

18.15

Wiederum ein Grenzfall ist der übernahmerechtliche Squeeze-out nach § 39a WpÜG: Hier erfolgt der Squeeze-out einer verbleibenden Minderheit von 5 % oder weniger in den ersten drei Monaten nach dem Ablauf der Annahmefrist eines Übernahme- oder Pflichtangebots. Für diese Sonderkonstellation enthält das Gesetz die Vermutung, dass die im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots offerierte Gegenleistung auch für die Zwecke des Squeezeout als angemessen anzusehen ist, wenn 90 % oder mehr der Angebotsadressaten angenommen haben. Dieser „Abstimmung mit den Füßen“ der Angebotsadressaten (und nicht etwa dem Börsenkurs, der nur mittelbar als Preisuntergrenze in den Angebotspreis eingeflossen ist) wird somit vom Gesetzgeber eine sehr starke Indikationskraft für die Angemessenheit der Barabfindung beim Squeeze-out zugemessen.2 Diese Anerkennung als gesetzlich festgeschriebener Angemessenheitsindikator bezieht sich dabei auf den Fall der Entziehung der Aktie ohne den Willen des betroffenen Aktionärs, allerdings in der Sonderkonstellation, dass er kurz zuvor die Gelegenheit zur freiwilligen Veräußerung gehabt hat (und diese Gelegenheit von der überwältigenden Mehrheit seiner „Leidensgenossen“ ergriffen worden ist).3

18.16

5. Delisting und Downgrading Von den in Rz. 18.2–18.12 dargestellten gesellschaftsrechtlichen Fallgruppen der gesetzlich gebotenen Angemessenheitsprüfung ist ferner die Fallgruppe des Delisting und Downgrading zu unterscheiden: Im Zuge der Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie4 hat der Gesetzgeber die Regelungen zum sog. Delisting in § 39 BörsG grundlegend überarbeitet. Damit beendete der Gesetzgeber eine jahrzehntelange Debatte um die Frage nach dem richti1 Vgl. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 14; Habersack, ZIP 2003, 1123 (1127); Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 36 f. 2 Zu der Frage, ob die Vermutung der Angemessenheit bei Erreichen der 90 %-Annahmequote widerleglich, oder, wie der Gesetzeswortlaut nahelegt und heute der h.M. entsprechen dürfte, unwiderleglich ist, vgl. nur Hüffer/Koch, § 327a AktG Rz. 2 m.w.N. 3 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit vgl. BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 19 f. – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907. 4 Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG, umgesetzt durch Gesetz v. 20.11.2015, BGBl. I 2015, S. 2029.

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18.17

§ 18 Rz. 18.17

Dritter Teil: Querschnittsfragen

gen Ausmaß an Anlegerschutz im Falle eines Delisting, deren Ausgangspunkt § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG (bzw. dessen Vorgängervorschrift § 43 Abs. 4 Satz 2 BörsG a.F.) war. Hiernach darf ein Widerruf der Zulassung von Wertpapieren zum Handel im regulierten Markt auf Antrag des Emittenten „nicht dem Schutz der Anleger widersprechen“. Nähergehende Anforderungen an das erforderliche Schutzniveau enthielt das Börsengesetz bis zum 26.11.2015 jedoch nicht. Vielmehr waren die konkreten Anforderungen an den Schutz der Anleger Gegenstand diverser Gerichtsentscheidungen. So wurde den Anlegern im Jahr 2002 durch die Macrotron-Entscheidung des BGH zunächst ein sehr weitgehender Schutz zuerkannt, wonach im Falle des Rückzugs aus dem regulierten Markt u.a. ein Pflichtangebot an die Minderheitsaktionäre zu unterbreiten war.1 Im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012, in der es geurteilt hat, dass ein Börsenrückzug das Eigentumsgrundrecht der Aktionäre aus Art. 14 GG nicht berühre,2 hat der BGH seine Macrotron-Rechtsprechung jedoch ein Jahr später in der Rechtssache Frosta aufgegeben.3 Nachdem in Folge der Frosta-Entscheidung des BGH eine Vielzahl von Delisting-Anträgen gestellt wurden und vermehrt Forderungen nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers zur Schließung der entstandenen „Schutzlücke im Anlegerrecht“ aufkamen,4 hat der Gesetzgeber den Anlegerschutz im Falle eines Delisting gesetzlich geregelt: Fortan muss den Anlegern im Falle des vollständigen5 Rückzugs einer börsennotierten Gesellschaft vom regulierten Markt sowie im Fall des sog. Downgrading (Wechsel vom regulierten Markt in den Freiverkehr)6 ein Erwerbsangebot nach dem WpÜG unterbreitet werden (§ 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG).7

18.18 Auf das Delisting-Erwerbsangebot ist § 31 WpÜG mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die angebotene Gegenleistung stets in einer Geldleistung bestehen muss (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). Im Grundsatz soll hierfür der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Ankündigung des Erwerbsangebots die Grundlage für die Berechnung der Gegenleistung bilden (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). Des Weiteren werden über den Verweis in § 31 Abs. 7 WpÜG auf § 4 WpÜGAngVO auch Vorerwerbe innerhalb der letzten sechs Monate vor Veröffentlichung der Ankündigung des Erwerbsangebots bei der Bestimmung der Gegenleistung berücksichtigt.8 Nach 1 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 – Macrotron, AG 2003, 273 (274) = BB 2003, 806 (808); s. ausführlich zur Entscheidung die Besprechung von Adolff/Tieves, BB 2003, 797. 2 BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BVerfGE 132, 99 = ZIP 2012, 1402 = AG 2012, 557; s. hierzu die Besprechung von Bungert/Wettich, DB 2012, 2265. 3 BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 = AG 2013, 877; s. dazu EWiR 2014, 3 (Bungert/ Wettich). Seitdem unterlag das Delisting allein den Anforderungen, welche die jeweiligen Börsenordnungen unter Ausnutzung der Ermächtigung in § 39 Abs. 2 Satz 5 BörsG a.F. aufstellten; s. hierzu eingehend Häller, ZIP 2016, 1903, 1904. 4 Bayer, NZG 2015, 1169; s. ferner die Stellungnahmen von Habersack (S. 6 f.) und Koch (S. 4 f.) zur Aktienrechtsnovelle 2014, die ein Handeln des Gesetzgebers dringend für erforderlich halten, abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a06/anhoerungen/Archiv/stellung nahmen/371890. 5 Für den Fall eines lediglich partiellen Börsenrückzugs („Börsenplatzreduktion“) i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BörsG ist kein Erwerbsangebot erforderlich, Häller, ZIP 2016, 1903 (1905). 6 Ein Downgrading ist börsenrechtlich als Beendigung der Zulassung zum regulierten Markt und damit ebenfalls ein Fall des Delisting i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 1 BörsG zu verstehen, Groß, AG 2015, 812 (814). 7 Das Börsengesetz regelt nicht, von wem das Erwerbsangebot ausgehen muss, regelmäßig wird aber nur ein Großaktionär als Bieter in Frage kommen; s. dazu eingehend Häller, ZIP 2016, 1903 (1908). 8 Bayer, NZG 2015, 1169 (1174).

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.21 § 18

Ansicht des Gesetzgebers ermöglicht die „Orientierung […] am einfach festzustellenden Börsenkurs sowie an Vorerwerben […] im Regelfall ein transparentes und rechtssicheres Verfahren, das auch für die betroffenen Emittenten handhabbar ist und keine übermäßigen bürokratischen Hürden aufbaut“.1 Wie der maßgebliche „gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs“ ermittelt wird, folgt aus § 5 Abs. 3 WpÜG-AngVO. Berechnungsgrundlage ist hiernach „der nach Umsätzen gewichtete Durchschnittskurs“ aller der BaFin nach Art. 26 VO (EU) 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente als an einem organisierten Markt getätigt gemeldeten oder übermittelten Geschäfte. Einzig die BaFin ist somit in der Lage, diesen Wert exakt zu ermitteln; der Emittent bzw. der Bieter können diesen Wert jedoch bei der BaFin erfragen.2

18.19

Ausnahmsweise hat sich die Gegenleistung jedoch dann nicht am Börsenkurs der letzten sechs Monate zu orientieren, wenn der Emittent entgegen Art. 17 MMVO eine Insiderinformation nicht unverzüglich veröffentlicht oder in einer solchen Mitteilung eine unwahre Insiderinformation veröffentlicht hat (§ 39 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 BörsG); ferner dann, wenn der Emittent oder der Bieter in Bezug auf Wertpapiere, die Gegenstand des Widerrufsantrags sind, gegen das Verbot der Marktmanipulation nach Art. 12 und 15 MMVO verstoßen hat (§ 39 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 BörsG).3 Soweit diese Verstöße nicht bloß unwesentliche Auswirkungen auf den errechneten Börsendurchschnittskurs haben, hat die Berechnung der Gegenleistung auf Grundlage einer Unternehmensbewertung zu erfolgen (§ 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG), in deren Rahmen jedoch dem (historischen) Börsenkurs allenfalls noch eine untergeordnete Bedeutung zukommt (s. im Einzelnen Rz. 21.78 f.).4 Gleiches gilt auch dann, wenn der Börsenkurs nicht in aussagekräftiger Weise festgestellt werden kann, weil an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden oder mehrere nacheinander festgestellte Kurse um mehr als 5 % voneinander abweichen (§ 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG).

18.20

II. Rechtsprechung bis Ende der 1990er Jahre In allen in den Rz. 18.2–18.12 dargelegten gesellschafts- und umwandlungsrechtlichen Fall- 18.21 gruppen stellt sich die Frage, welche Methoden und Wertindikatoren herangezogen werden können bzw. müssen, um das gesetzliche Angemessenheitserfordernis praktisch handhabbar zu machen und inwieweit der (historische) Börsenkurs der betreffenden Aktien berücksichtigt werden kann bzw. muss.5 Die gesetzlichen Vorgaben hierzu sind sehr dürftig. Die Frage, welche Bedeutung Börsenkursen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zuzuweisen ist, ist dem Richterrecht überlassen.

1 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/6220, S. 92. 2 Bayer, NZG 2015, 1169 (1174). 3 Für beide Fälle hat der Gesetzgeber klargestellt, dass ein Verstoß i.S.v. § 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG nur dann vorliege, wenn dieser durch die „zuständige Behörde rechts- oder bestandskräftigt festgestellt wurde“, Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/6220, S. 85. S. hierzu auch Groß, AG 2015, 812 (817). 4 Auch in diesem Fall fehlt dem Börsenkurs aber nicht per se jede Eignung zur Feststellung des Wertes einer Unternehmensbeteiligung, solange die Aktien an der Börse gehandelt werden, vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, NJW 1999, 3769 (3772) = AG 1999, 566. 5 Zum Folgenden eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 306 ff.

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§ 18 Rz. 18.22

Dritter Teil: Querschnittsfragen

18.22 Bis Ende der 1990er Jahre haben die Gerichte dem Börsenkurs so gut wie keine Bedeutung für die gesetzlich angeordnete Angemessenheitsprüfung beigemessen. Dies hatte seine (historische) Ursache in einer starken Ausrichtung der Rechtsprechung auf den quotalen Unternehmenswert: Seit einem Urteil zur OHG1 aus dem Jahr 1922 galt nach der Rechtsprechung des RG, dass es bei der Bewertung eines Anteils aus Anlass der Auseinandersetzung zwischen den Gesellschaftern auf den Wert des von der Gesellschaft getragenen Unternehmens in seiner Gesamtheit ankommt. Nach dieser Rechtsprechung ist zu schätzen, was der Ausscheidende bei der Auseinandersetzung erhalten hätte, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre. Dabei differenzierte schon das RG zwischen der Liquidation der Gesellschaft und derjenigen des Unternehmens. Maßgeblich für den Anteilswert hielt es demzufolge „nicht [den] Wert, der sich bei einer allgemeinen Versilberung der einzelnen Vermögensgegenstände ergibt, sondern [den] Erlös, der sich bei einer der Sachlage entsprechenden, möglichst vorteilhaften Verwertung des Gesellschaftsvermögens […] durch Veräußerung im Ganzen ergeben würde.“2

18.23 Der Kern dieser Liquidationshypothese3 besteht darin, dass der Wert eines Gesellschaftsanteils nach dem potentiellen Kaufpreis bestimmt wird, der bei einer Veräußerung des von der Gesellschaft getragenen Gesamtunternehmens hätte erlöst werden können. Damit gelangt man zu einem (typisierten) Wert des Gesellschaftsunternehmens aus der Bewertungsperspektive eines Gesamtunternehmensträgers, der sodann nach dem Verhältnis der Kapitalanteile auf den einzelnen Gesellschaftsanteil umgelegt wird.4

18.24 Der BGH hat diese Herangehensweise aus der Rechtsprechung des RG übernommen,5 zunächst für die Personengesellschaft und später dann auch für die Kapitalgesellschaft.6 Maßgeblich für die Höhe des Abfindungsanspruchs des ausscheidenden Gesellschafters ist somit nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für alle Gesellschaftsformen der „Preis, der bei einer Veräußerung des Unternehmens als Einheit erzielt würde“.7 Der Anteilswert ist eine lineare Funktion dieses Wertes des Gesellschaftsunternehmens. In dieser Eigenschaft wird er – nicht zuletzt um ihn gegen alle aus Bilanzpositionen abgeleiteten und somit den goodwill ausschließenden Wertansätze abzugrenzen – als der „wahre“8 und „wirkliche“9 Wert bzw. als der „tatsächliche Wert des lebenden Unternehmens“10 bezeichnet.

1 RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (131 f.). 2 RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132), Hervorhebung hinzugefügt. 3 Eingehend zur Entwicklung der Liquidationshypothese Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (605). 4 Besonders klar BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136 f.). 5 Z.B. BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113 mit Anm. Schulze-Osterloh, ZGR 1986, 544; BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123 (281, 284 f.). Vgl. zur abgeleiteten Anteilsbewertung auch BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 (199) = AG 1980, 158 (betrifft Zugewinnausgleich). 6 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 28.4.1977 – II ZR 208/75, WM 1977, 781. 7 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370) = GmbHR 1992, 257, Hervorhebung hinzugefügt. 8 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. 9 BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136). 10 BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136).

510

Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.28 § 18

Diese methodische Herangehensweise bedingt eine Tendenz, Börsenkursen eine eher untergeordnete Bedeutung zuzumessen: Aus dem Börsenkurs ergibt sich unmittelbar und klar ein Wertindikator für die einzelne Aktie als Bewertungsobjekt. Nach der abgeleiteten Unternehmensbewertung auf der Grundlage der Liquidationshypothese ist dies aber gerade das falsche Bewertungsobjekt, denn es geht darum, was ein (neutraler) Käufer für das Gesamtunternehmen bezahlen würde. Börsenkurse können in diesem Kontext nur insofern eine Rolle spielen, als die Börsenkapitalisierung ein Indikator für den Gesamtunternehmenswert ist.

18.25

Die Brauchbarkeit der Börsenkapitalisierung als Wertindikator im Kontext der Liquidationshypothese hat der BGH bis Ende der 1990er Jahre rundheraus verneint. Die Leitentscheidung zu dieser Rechtsprechungslinie stammt aus dem Jahre 1967.1 Auf der Grundlage der Orientierung allein am Wert des Gesellschaftsunternehmens – wodurch der „wahre Wert“ der Aktie ausschließlich als quotaler Unternehmenswert erscheint – kam der BGH zu seiner berühmt gewordenen Ablehnung des Börsenkurses als rechtlich relevante Wertdeterminante:

18.26

„Der Börsenkurs kann sich mit dem wahren Wert der Aktie decken, er kann aber auch höher sein. Er ergibt sich aus dem im Augenblick der Kursbildung vorhandenen Verhältnis von Angebot und Nachfrage, das von der Größe und Enge des Marktes, von zufallsbedingten Umsätzen, von spekulativen Einflüssen und sonstigen, nicht wertbezogenen Faktoren wie politischen Einflüssen, Gerüchten, Informationen, psychologischen Momenten oder allgemeinen Tendenzen abhängt. Außerdem unterliegt der Börsenkurs unberechenbaren Schwankungen und Entwicklungen, wie die Aktienkurse der letzten Jahre besonders deutlich gemacht haben. Das schließt aus, der Berechnung der angemessenen Abfindung den Börsenkurs zugrunde zu legen.“2

18.27

Die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1967 hat die Haltung der Zivilgerichte bis zur DAT/ Altana-Entscheidung des BVerfG im Jahre 19993 nachhaltig geprägt.4 Der ganz herrschenden Praxis entsprach es, den abgeleiteten Anteilswert auf der Grundlage einer „objektivierten“ Gesamtunternehmensbewertung zu ermitteln, welcher die – von der Ertragswertmethode dominierten – jeweils aktuellen Leitlinien des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW S 1) zugrunde gelegt wurden. Zugleich wurde Börsenkapitalisierung regelmäßig ignoriert oder allenfalls im Rahmen einer Kontrollüberlegung zum Zwecke der Plausibilisierung des IDW-Werts ergänzend herangezogen.

18.28

1 2 3 4

BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. In der Instanzgerichtsrechtsprechung finden sich besonders gründliche Beschreibungen der abgeleiteten Anteilsbewertung nach einer Liquidationshypothese etwa in OLG Düsseldorf v. 29.10.1976 – 19 W 6/73 – Metallgesellschaft/Stollberger Zink, AG 1977, 168 (169) (betrifft §§ 304, 305 AktG) und OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1224) = GmbHR 1999, 712 (betrifft GmbH). Vgl. auch LG Frankfurt/M. v. 8.12.1982 – 3/3 AktE 104/79 – Gutehoffnungshütte/Roland Druckmaschinen, AG 1983, 136 (137) (betrifft §§ 304, 305 AktG); OLG Düsseldorf, v. 17.2.1984 – 19 W 1/81 – ATH/Rheinstahl, AG 1984, 216 (betrifft §§ 304, 305 AktG); OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86 – Colditz/WHB, WM 1988, 1052 (1058) = AG 1988, 275 (betrifft Eingliederung); OLG Düsseldorf v. 2.8.1994 – 19 W 5/93, AG 1995, 84 (betrifft Eingliederung); OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97 – Wolters/Gilde, AG 1999, 128 = DB 1998, 2006 (betrifft §§ 304, 305 AktG).

Adolff/Häller

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§ 18 Rz. 18.29

Dritter Teil: Querschnittsfragen

III. Die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG 18.29 Die Haltung der Zivilgerichte wurde 1999 durch das BVerfG in der DAT/Altana-Entscheidung1 grundlegend korrigiert.2 Die DAT/Altana-Entscheidung wurzelt in einer Rechtsprechungslinie des BVerfG, welche sich im Wesentlichen auf die Feldmühle-Entscheidung aus dem Jahre 19623 zurückführen lässt. Nach dieser Rechtsprechungslinie hat der Schutz der Minderheit gegen den Entzug der Mitgliedschaft drei Kernelemente: – Möglichkeit des Entzugs: Die Verfassung verbietet nicht a limine den mit den Mitteln des Privatrechts nach dem Mehrheitsprinzip bewirkten Entzug des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Aktieneigentums der Minderheit in einer Aktiengesellschaft im Interesse der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Handlungsfreiheit der Mehrheit.4 – Volle Kompensation: Allen zum Ausscheiden gezwungenen Aktionären müssen aber wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Machtmissbrauch der Mehrheit5 zu Gebote stehen. Sie müssen „volle Entschädigung“6 für ihren Verlust erhalten,7 wobei es zulässig ist, diese „Schutzrechte für die Minderheitsaktionäre […] auf die Vermögenskomponente der Beteiligung zu konzentrieren“.8 – Effektiver Rechtsschutz: Für die Überprüfung der Vollwertigkeit der Kompensation muss ein Kontrollmechanismus zur Verfügung stehen, womit – in allen Fällen, in denen die Höhe der Kompensation nicht unmittelbar von einem funktionierenden Markt determiniert wird – die Kontrolle durch ein Gericht gemeint ist.9

18.30 Diese Anforderungen gelten entsprechend, wenn durch privatrechtliche Intervention das in der Aktie verkörperte „gesellschaftsrechtlich vermittelte Eigentum“10 zwar nicht entzogen, aber in einer Weise beeinträchtigt wird, die dem Entzug gleichsteht.11 Sie sind einer Einschränkung durch das Mehrheitsprinzip nicht zugänglich. 1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566. 2 Zum Folgenden eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 298 ff.; ferner Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (480). 3 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263. 4 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (283); BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (302) = AG 1999, 566; BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 – Moto Meter, ZIP 2000, 1670 (1671) = AG 2001, 42. 5 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (283); BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (303) = AG 1999, 566; BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 – Moto Meter, ZIP 2000, 1670 (1671) = AG 2001, 42. 6 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566; ebenso schon BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (283). 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566; BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (283); von Klöhn (Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 52) und Fleischer (AG 2014, 97 [99]) bezeichnet als „Fundamentalprinzip des Abfindungsrechts“. 8 BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 – Moto Meter, ZIP 2000, 1670 (1671) = AG 2001, 42. Ebenso BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129): volle Kompensation nur für die „vermögensrechtliche Stellung“ des Aktionärs. 9 BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 – Moto Meter, ZIP 2000, 1670 (1673) = AG 2001, 42. 10 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, BVerfGE 14, 263 (276). 11 Um eine solche dem Entzug gleichgestellte Beeinträchtigung handelt es sich namentlich beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.33 § 18

In der DAT/Altana-Entscheidung hat das BVerfG das Kernelement der vollen Kompensation durch spezifische Bewertungsvorgaben konkretisiert.1 Dabei gelangt das Gericht zu einer doppelten Bewertungsperspektive: „Charakteristikum des Aktieneigentums“ sei „zum einen, dass es mitgliedschaftliche Herrschafts- und Vermögensrechte“ vermittle, wobei die Vermögenskomponente vielfach im Vordergrund stehe; zum anderen vermittle die Aktie besondere finanzielle Freiheiten, die auf ihrer hohen Verkehrsfähigkeit fußten.2 Weder die eine noch die andere dieser Eigenschaften der Aktie darf nach der DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG bei der Bewertung der „grundrechtlich relevanten Einbuße“ außer Betracht bleiben:

18.31

– Langfristige Unternehmensbeteiligung: Hinsichtlich der Erfassung der Aktie in ihrer Eigenschaft als Instrument zur Vermittlung „mitgliedschaftlicher Herrschafts- und Vermögensrechte“ hat das BVerfG dabei an die verfassungskonforme Auslegung der Angemessenheitserfordernisse in §§ 304 Abs. 1 Satz 1, 305 Abs. 1 und 320b Abs. 1 Satz 1 AktG durch die Zivilgerichte keine Anforderungen gestellt, denen die damalige Praxis nicht ohnehin genügte: Der Ausgleich nach § 304 AktG müsse so bemessen sein, dass die außenstehenden Aktionäre „auch künftig die Rendite erhalten, die sie erhalten hätten, wenn der Unternehmensvertrag nicht geschlossen worden wäre“; bei der Abfindung nach §§ 305 sowie 320b AktG so, dass sie den „Gegenwert ihrer Gesellschaftsbeteiligung“ erhalten.3 Der Umstand, dass Literatur und Rechtsprechung davon ausgehen, dieser entspreche dem „wirklichen“ oder „wahren“ Wert4 und dass sich in der Praxis für die Bestimmung „dieses ‚wahren‘ Unternehmenswerts die Ertragswertmethode durchgesetzt hat“,5 begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

18.32

– Kurzfristige Veräußerungsmöglichkeit: „Darüber hinaus“ muss die Abfindung nach der DAT/Altana-Entscheidung jedoch so bemessen sein,

18.33

„dass die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrages oder der Eingliederung erhalten hätten“.6

Denn „eine geringere Abfindung würde der Dispositionsfreiheit über den Eigentumsgegenstand nicht hinreichend Rechnung tragen“.7 Die Bewertung nach einer Methode, welche dieser Dimension des Aktieneigentums keine Beachtung schenkt, ist nach der DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG mit den verfassungsrechtlichen Methodenvorgaben nicht vereinbar: Die „Entschädigung und folglich auch die Methode ihrer Berechnung müsse dem entzogenen Eigentumsobjekt gerecht werden“.8 Die Aktie werde durch ihre Verkehrsfähigkeit „geprägt“.9 Deswegen verlange Art. 14 Abs. 1 GG die „Entschädigung zum ‚wahren Wert‘ […] mindestens aber zum Verkehrswert“.10 Dieser „Verkehrswert“ der Aktie entspricht dem Veräußerungs-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566 unter Berufung auf BGH v. 20.5.1997 – II ZB 9/96 – Guano, BGHZ 135, 374 = AG 1997, 515. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (305 ff.) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566, Hervorhebung hinzugefügt. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (308) = AG 1999, 566. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566, Hervorhebung hinzugefügt.

Adolff/Häller

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§ 18 Rz. 18.33

Dritter Teil: Querschnittsfragen

erlös bei einer freien Deinvestitionsentscheidung. An diesem Gebot der Berücksichtigung des „Verkehrswertes“ der Aktie hält das BVerfG auch nach der „Delisting“-Entscheidung aus dem Jahre 2012 fest: Dort hatte das BVerfG dahingehend differenziert, dass die besondere Verkehrsfähigkeit einer Aktie aufgrund ihrer Börsennotierung nicht als solche von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sei, die hierdurch gesteigerte Verkehrsfähigkeit müsse aber trotzdem „bei der Wertbestimmung des Eigentums zur Bemessung der angemessenen Abfindung berücksichtigt werden“.1

IV. Heutiger Stand der Rechtsprechung des BVerfG 18.34 Die DAT/Altana-Entscheidung ist heute noch der Dreh- und Angelpunkt der Rechtsprechung des BVerfG zur Anteilsbewertung bei börsennotierten Aktiengesellschaften.2 Das Gericht hatte allerdings in einer ganzen Reihe von Folgeentscheidungen Gelegenheit, die Reichweite dieser Rechtsprechung zu präzisieren und Detailfragen klarzustellen. Verdeutlicht wurden dabei vor allem die Grenzlinien, bis zu welcher die verfassungsrechtlichen Vorgaben die Zivilgerichte binden und ab welcher diese in ihrer richterlichen Rechtsfortbildung keinen verfassungsrechtlichen Schranken unterliegen, sondern selbst die rechtlichen Methodenvorgaben ermitteln, welche sie ihrerseits den betriebswirtschaftlichen Sachverständigen mit auf den Weg geben. Unverändert gilt bei alledem der Grundsatz, dass das Grundgesetz keine bestimmte Methode zur Ermittlung des Werts von Unternehmensbeteiligungen vorschreibt.3 In diesem Abschnitt wird dargelegt, welche dieser Methodenvorgaben sich nach dem aktuellen Stand der Rechtsprechung des BVerfG aus Art. 14 GG ergeben. Sodann wird dargelegt, welche weiteren rechtlichen Methodenvorgaben nach dem aktuellen Stand der Zivilgerichte – vor allem des BGH – hinzukommen (Rz. 18.65 ff.). 1. Abfindung in Geld

18.35 Der strukturell einfachste Fall ist die Barabfindung.4 Hier muss nur ein einziges Unternehmen bewertet werden, nämlich dasjenige der Gesellschaft, aus welcher der betroffene Minderheitsgesellschafter ausscheidet. Der zentrale gedankliche Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BVerfG ist nach wie vor die Unterscheidung in zwei Bewertungsperspektiven, nämlich – die des Blicks auf das Gesamtunternehmen mit dem Ziel der Ermittlung des („wahren“) quotalen Unternehmenswerts, und – die des Blicks auf die einzelnen Aktien mit dem Ziel der Ermittlung desjenigen Betrags, der bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ an der Börse zu erlösen gewesen wäre. Diesen Wert bezeichnen wir, in Anlehnung an diese zentrale Formulierung des BVerfG, als den Deinvestitionswert. 1 BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1569/08, BVerfGE 132, 99 = NJW 2012, 3081 (3084) Rz. 62 = AG 2012, 557. 2 Ebenso Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 ff. 3 Zuletzt BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (626); BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 4 Eine rechtsvergleichende Übersicht im Hinblick auf die Barabfindungsfälle findet sich bei Fleischer, AG 2014, 97 ff.

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.38 § 18

In der praktischen Umsetzung führen diese beiden Bewertungsperspektiven zu zwei gedanklich voneinander zu trennenden Modellrahmen (mit jeweils unterschiedlichen rechtlichen Methodenvorgaben), an die sich die Fachgerichte und die betriebswirtschaftlichen Gutachter von Verfassungs wegen zu halten haben.1 a) Quotaler Unternehmenswert (nach der Liquidationshypothese) Die erste durch das BVerfG anerkannte Bewertungsperspektive knüpft an die zivilrechtliche Rechtsprechungslinie bis zur DAT/Altana-Entscheidung an. Der Minderheitsaktionär muss, damit dem Grundsatz der vollen Kompensation Genüge getan ist, den „Gegenwert seiner Gesellschaftsbeteiligung“2 erhalten. Dies ist sein quotaler Anteil am Gesamtunternehmenswert, mithin der Betrag, der auf die einzelne Aktie entfallen würde, wenn die Gesellschaft in der Weise liquidiert würde, dass sie das von ihr getragene Unternehmen in seiner Gesamtheit (transaktionskostenfrei) veräußert und den Erlös unter die Gesellschafter verteilt (Gedanke des § 738 BGB – Liquidationshypothese).3

18.36

In betriebswirtschaftliche Modellkategorien übersetzt bedeutet dies: Es muss das Gesamtunternehmen bewertet werden. Dies ist nur aus der (gedachten) Perspektive eines (gedachten) Gesamtunternehmensträgers möglich.4 Der so ermittelte Wert ist sodann quotal auf die einzelnen Aktien umzulegen und zwar unabhängig davon, wie viele Aktien ein konkreter Minderheitsaktionär hält. Demgemäß ist kein Platz für Paket-Auf- oder -Abschläge. Alle Aktien sind für die Zwecke der rechtsgeleiteten Bewertung (in den hier erörterten Fallgruppen) gleich wertvoll.5

18.37

Vom zeitlichen Anlagehorizont her entspricht diese Bewertungsperspektive am ehesten der Investitionsrechnung eines extrem langfristig investierenden Aktionärs: Wer sich sicher ist, seinem Unternehmen für einen unbegrenzten Zeitraum treu zu bleiben, der richtet den Blick mehr auf eine Prognose künftiger Einnahmeüberschüsse und Dividenden und weniger auf das tagesaktuelle „Auf und Ab“ des Börsenkurses. Obwohl er nur einen (winzigen) Bruchteil sein Eigentum nennt, lässt sich bei einem derartigen, von vorne herein auf die Rolle des Langzeitinvestors festgelegten Aktionär sagen, seine Investitionsrechnung gleiche strukturell derjenigen eines Gesamtunternehmensträgers. Er betreibt Fundamentalanalyse im Sinne der Projizierung künftiger Cash Flows to Equity und ihrer risikoadäquaten Abzinsung auf einen Barwert, den er sodann quotal auf die einzelnen Aktien umlegt, um zu deren „wahrem“ Wert zu gelangen.

18.38

1 Besonders klar insofern OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 212 ff. – Wella. 2 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120). 3 Die Liquidationshypothese entspricht dem historischen Willen des Gesetzgebers, Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (605). 4 Ebenso Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (605) (Perspektive eines gedachten Erwerbers des Gesamtunternehmens); ebenso schon Hüttemann, ZHR 162 (1998), S. 563 (528 ff.). Dem folgen die „Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ des Arbeitskreises „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA vom Dezember 2012, S. 10, Abschnitt B, (http:// www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Standards/DVFA_Best_Practice_Empfehlungen_ Unternehmensbewertung.pdf); das LG Köln empfiehlt in seinem Beschluss vom 8.9.2014 (Az. 82 O 2/09) eine Plausibilisierung der Unternehmensbewertung anhand der Best-Practice-Empfehlungen der DVFA. Siehe auch Rz. 2.38 ff.; Wicke in FS Stilz, 2014, S. 706 (710). 5 Eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 360 ff.

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§ 18 Rz. 18.39

Dritter Teil: Querschnittsfragen

18.39 Dieser „quotale Unternehmenswert“1 kann, muss aber nicht mit dem Börsenkurs identisch sein. Je größer das Misstrauen des (gedachten) Modellaktionärs gegenüber der fundamentalen Richtigkeit des jeweils in Frage stehenden Aktienkurses ist, desto eher wird er damit rechnen, dass es zu einem Auseinanderfallen des quotalen Unternehmenswerts vom Börsenkurs – oder, was dasselbe ist: des Fundamentalwerts des Gesamtunternehmens von der Börsenkapitalisierung – kommt. Je mehr er im konkreten Fall an die fundamentale Allokationseffizienz des in casu relevanten Aktienmarkts glaubt,2 desto weniger wird er es für erforderlich halten, zur Ermittlung des Fundamentalwerts des Gesamtunternehmens gesonderte Überlegungen anzustellen. Denn stattdessen wird er sich auch für die Zwecke der Gesamtunternehmensbewertung im Kontext einer langfristigen Investitionsrechnung ohne Störgefühl an der Börsenkapitalisierung orientieren.

18.40 Mit Blick auf die vor diesem Hintergrund zentrale Frage, inwieweit Börsenkurse für die Zwecke der Ermittlung des quotalen Unternehmenswerts eine Rolle spielen, bezieht das BVerfG in der Sache keine Stellung.3 Das Grundgesetz „schreibt keine bestimmte Methode zur Ermittlung des Werts der Unternehmensbeteiligung der Minderheitsaktionäre vor“.4 Hier bestehen verfassungsrechtliche Anforderungen nur an die „Auswahl der Methode“. Insofern fordert die Verfassung die Einhaltung „bestimmter Mindeststandards“.5 Im Einzelnen: – Ertragswertmethode: Gegen die (in der bisherigen Praxis klar dominierende)6 Ermittlung des quotalen Unternehmenswerts nach der Ertragswertmethode ist aus Verfassungssicht nichts einzuwenden.7 Es ist nicht erforderlich, dass alle zur Verfügung stehenden Bewertungsmethoden kumulativ herangezogen werden.8 Verfassungsrechtlich erforderlich ist al-

1 BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (130). 2 Hierzu eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 78 ff.; Baums, ILF Working Paper 104, 2009, S. 13 ff. 3 Besonders deutlich BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Rz. 29 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 (1658) = AG 2012, 674: „Bei der Ermittlung des Unternehmenswertes handelt es sich in erster Linie um eine Frage, die auf der Ebene des einfachen Rechts zu beantworten ist. Dementsprechend schreibt Art. 14 Abs. 1 GG weder eine bestimmte Methode der Unternehmensbewertung noch bestimmte Prognoseverfahren zur Einschätzung künftiger Erträge vor“. 4 In neuerer Zeit BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 18 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907 (908). 5 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 6 Kritisch hierzu die „Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ des Arbeitskreises „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA vom Dezember 2012 (http://www.dvfa.de/fileadmin/ downloads/Publikationen/Standards/DVFA_Best_Practice_Empfehlungen_Unternehmensbe wertung.pdf); das LG Köln empfiehlt in seinem Beschluss vom 8.9.2014 (Az. 82 O 2/09) eine Plausibilisierung der Unternehmensbewertung anhand der Best-Practice-Empfehlungen der DVFA. 7 BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129): verfassungsrechtlich akzeptiert, dass die Fundamentalwertrelation für die Konzernverschmelzung herangezogen wurde, obwohl diese für die Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers ungünstiger war als die Börsenwertrelation; s. aus der jüngeren Instanzrechtsprechung auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 (114 ff.) = AG 2016, 135. Äußerst kritisch zur Ertragswertmethode Emmerich in FS Stilz, 2014, S. 135 ff. („pseudo-mathematisch“, „nahezu beliebig manipulierbar“, „nahezu willkürlich“, „meistens grundfalsch“). 8 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 18 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (625) = NZG 2012, 907 (908), betrifft übernahmerechtlichen Squeeze-out.

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.40 § 18

lerdings eine sorgfältige Begründung der methodischen Auswahlentscheidung,1 die zur Anwendung einer „im gegebenen Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode“ führen muss.2 – Marktorientierte Methode auf Grundlage des Börsenkurses: Bei Vorhandensein einer solchen Begründung akzeptierte es das BVerfG, wenn ein Fachgericht die Ertragswertmethode als im konkreten Fall ungeeignet verwirft und sich stattdessen am Börsenkurs orientiert (Grundsatz der Methodenfreiheit):3 Wie das Gericht in der Telekom/T-OnlineEntscheidung klargestellt hat, unterliegt „die Aussagekraft und die Tauglichkeit einer marktorientierten Bewertungsmethode auf Grundlage des Börsenkurses im konkreten Fall der fachrichterlichen Prüfung und Würdigung“.4 In Deutsche Hypothekenbank führt das BVerfG (zum übernahmerechtlichen Squeeze-out) aus, die Ertragswertmethode liefere keine richtigeren Ergebnisse als der „Markttest“.5 Als Argumente werden die erhöhten Transparenzund Publizitätsanforderungen im regulierten Markt sowie die Vermeidung überlanger Verfahrensdauern genannt.6 Im Fall einer solchen Orientierung (allein) am Börsenkurs gehört zur sorgfältigen Begründung der methodologischen Auswahlentscheidung die Prüfung des Sachverhalts auf offensichtliche Marktstörungen hin, wie etwa auf „Marktenge im Handel einer bestimmten Aktie, auf etwaige Anzeichen einer gezielten Pflege des Kurses der Aktie in Ansehung der bevorstehenden Strukturmaßnahme oder auf eine unzureichende Information des Marktes wegen eines Verstoßes gegen Mitteilungspflichten.“7 – Keine Punktlandung: In der Daimler/Chrysler-Entscheidung hat das BVerfG mit besonderer Deutlichkeit klargestellt, dass die Fachgerichte berechtigt sind, Bandbreiten von Bewertungsergebnissen zu akzeptieren, weil es „nicht möglich ist, stichtagsbezogen einen exakten, einzig richtigen Wert eines Unternehmens zu bestimmen“.8 Auch aus diesem Grund besteht kein verfassungsrechtliches Gebot, eine Reihe methodischer Ansätze nebeneinander zur Anwendung zu bringen, insbesondere wenn jeder dieser Ansätze (gleichermaßen) zu lediglich unvollkommenen Schätzungen und Approximationen führt. Vor diesem Hintergrund sei es, so das BVerfG, „von Verfassungs wegen nicht geboten, eine auf zutreffender Tatsachengrundlage beruhende, vertretbare Prognose durch eine andere – ebenfalls notwendigerweise nur vertretbare – zu ersetzen. Der fachrechtliche Versuch, letztlich nicht auflösbaren Divergenzen weiter nachzugehen, kann für sich gesehen kein Gewinn für die rechtsschützende Wirkung richterlicher Nachprüfung sein. Dies gilt zumal auch deshalb, weil Spruchverfahren gerade wegen der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besonders komplexen Bewertungsfragen einer

1 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 2 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 18 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (625) = NJW 2012, 907 (908). 3 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511: verfassungsrechtlich akzeptiert, dass die Börsenkursrelation für die Konzernverschmelzung herangezogen wurde. 4 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 25 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 5 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (627). 6 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (627). 7 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 25 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 8 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Rz. 30 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 (1658) = AG 2012, 674.

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§ 18 Rz. 18.40

Dritter Teil: Querschnittsfragen

erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, nicht in angemessener Zeit abgeschlossen zu werden und dann das Gebot effektiven Rechtsschutzes zu verletzen“.1 b) Deinvestitionswert der Aktie (nach der Veräußerungshypothese)

18.41 Die zweite Bewertungsperspektive ist durch die DAT/Altana-Entscheidung neu hinzugekommen. Bis 1999 war sie von den Zivilgerichten so gut wie vollständig ignoriert worden (eingehend Rz. 18.21 ff.). In der „Beerdigung“ dieser Gerichtspraxis liegt, wie dargelegt, der Paradigmenwechsel durch die DAT/Altana-Entscheidung: Der Minderheitsaktionär darf nicht allein auf den quotalen Unternehmenswert (ermittelt nach den soeben erörterten Methoden) verwiesen werden. Vielmehr muss die Abfindung nach der bereits zitierten, inzwischen fest eingeschliffenen Formulierung des BVerfG „darüber hinaus so bemessen sein, dass die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung im Zeitpunkt der [jeweiligen Strukturmaßnahme] erlangt hätten“.2

18.42 In betriebswirtschaftliche Modellkategorien übersetzt bedeutet dies: Hier funktioniert die tradierte Bewertungsperspektive der Zivilgerichte, wie sie bis 1999 ausschließlich zur Anwendung gekommen ist, nicht. Objekt der Bewertung ist nicht das Gesamtunternehmen, sondern die einzelne Aktie. Das (gedachte) Subjekt, auf dessen Bewertungsperspektive es ankommt, ist nicht der Gesamtunternehmensträger, sondern ein (gedachter) einzelner Modellaktionär, der im Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses über die jeweilige Strukturmaßnahme Aktien am Markt veräußert, und zwar in einer (gedachten) Welt, in der es nicht zu der Strukturmaßnahme gekommen ist.3

18.43 Auch hier sind alle Aktionäre gleich hoch zu entschädigen. Dies bedeutet insbesondere: Wer viele Aktien hält, muss sich keinen Paketabschlag gefallen lassen, selbst wenn es ihm in der realen Welt schwerfallen könnte, alle seine Aktien über die Börse zu veräußern, ohne dass die Kurse aufgrund des Angebotsüberhanges sinken.

18.44 Vom zeitlichen Anlagehorizont her entspricht diese Bewertungsperspektive derjenigen eines kurzfristig investierenden Aktionärs: Wer fest entschlossen ist, dass er seine Aktie am Tag X veräußern wird, dem sind, sobald der Tag X gekommen ist, Prognosen über künftige cash flows to equity ebenso gleichgültig wie die allokative Effizienz der Kapitalmärkte. Für ihn ist der Kurs ein unverrückbares Datum. Am Veräußerungstag sind Wert und Preis denknotwendig identisch.

1 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Rz. 30 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 (1658) = AG 2012, 674. 2 Neben BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 z.B. BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120); BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2007, 697 (698); BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129); BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 21 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511; BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 20 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 = NJW 2012, 907 (909), Hervorhebung hinzugefügt. 3 Wobei es nicht schadet, wenn die rechtliche Möglichkeit der Strukturmaßnahme vom Markt bereits eingepreist wurde, vgl. BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (121).

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.48 § 18

Diese Mindestgrenze der Abfindung bezeichnet das BVerfG in der DAT/Altana-Entscheidung als den „Verkehrswert“.1 Da eine verwirrende Vielzahl von (anderen) Wertkonzepten in der jahrzehntelangen Entwicklung der Rechtsprechung und wissenschaftlichen Diskussion ebenfalls „Verkehrswert“ genannt worden sind, mag es hilfreich sein, stattdessen – in Anknüpfung an die oben zitierte Formulierung des BVerfG – vom Deinvestitionswert der Aktien zu sprechen.

18.45

Die Methodenvorgaben des BVerfG für die Bestimmung des Deinvestitionswerts sind deutlich konkreter als diejenigen für die Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts: Im Regelfall soll es unmittelbar auf den Börsenkurs ankommen. Der Deinvestitionswert ist mit dem Börsenkurs identisch, weil und solange der Börsenkurs bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ als Verkaufspreis hätte erlöst werden können. Die Identität von Börsenkurs und Deinvestitionswert ist nur dann in Frage gestellt, wenn es „ungewiss“ ist, „ob der Minderheitsaktionär seine Aktie tatsächlich zum Börsenkurs hätte verkaufen können“. Dies kann nach dem Verständnis des BVerfG vor allem bei Marktenge, schlechter Verfassung der Kapitalmärkte und Marktmanipulation der Fall sein (dazu Rz. 18.52 ff.).2

18.46

Soweit eine freie Deinvestition möglich gewesen wäre, führt somit am Börsenkurs als Untergrenze der Abfindung nach der Rechtsprechung des BVerfG kein Weg vorbei. Der Satz, dass die Verfassung „für die Wertermittlung von Unternehmensbeteiligungen keine bestimmte Methode“ vorschreibe, gilt somit für die (verfassungsrechtlich unverzichtbare) Bewertung der Aktie in ihrer Eigenschaft als Handelsobjekt nicht.3 Plakativ gesprochen: Kein Vermögensgegenstand ist an einem bestimmten Stichtag weniger „wert“ als der Betrag, zu dem er sich anstrengungslos zu Geld machen lässt – und diese Selbstverständlichkeit zu ignorieren ist den Fachgerichten seit dem Jahr 1999 untersagt.

18.47

Bei alldem muss im Auge behalten werden, dass nicht einfach auf einen real messbaren Börsenkurs (an einem bestimmten Handelstag) rekurriert werden kann: Auch der Deinvestitionswert muss vom Tatgericht nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden. Dabei ist eine hypothetische Betrachtung gefordert. Korrespondierend zur Liquidationshypothese für die Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts ließe sich hierbei von der Veräußerungshypothese zur Bestimmung des Deinvestitionswerts der Aktie sprechen (s. im Einzelnen Rz. 34.25 ff.).

18.48

1 Neben BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 z.B. BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120); in etwas anderem Kontext wiederum BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 21 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (625) = NJW 2012, 907 (909). 2 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566. Noch deutlicher ist eine in der Literatur wenig beachtete Passage am Ende der Entscheidung (S. 312), als es um die Zurückverweisung an das OLG geht. Dort heißt es: „Es ist auch nicht auszuschließen, daß es der Beschwerdeführerin unmöglich gewesen wäre, ihre Aktien zum Börsenkurs zu veräußern. Der Gutachter hat zwar darauf hingewiesen, daß im Falle der DAT AG tatsächlich Marktenge herrschte […] Daß es für einzelne außenstehende Aktionäre aber völlig unmöglich gewesen wäre, ihre Aktienbeteiligungen zu veräußern, ist nicht ersichtlich. Insofern kann davon ausgegangen werden, daß der Börsenpreis jedenfalls bis zur Bekanntmachung des beabsichtigten Unternehmensvertrages den echten Verkehrswert des Eigentumsobjekts widerspiegelt.“ 3 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (307) = AG 1999, 566.

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§ 18 Rz. 18.49

Dritter Teil: Querschnittsfragen

18.49 Die Veräußerungshypothese erfordert keine Unternehmensbewertung.1 Sie zielt auf eine Schätzung des Preises, zu dem sich am Tag der Hauptversammlung eine einzelne Aktie hätte veräußern lassen, wenn eine Strukturmaßnahme der Gesellschaft weder angekündigt noch beschlossen worden wäre. Diese Schätzung ist keineswegs trivial: Auch an einem liquiden, keinen besonderen Störungen unterworfenen Markt sind die realen Kurse am Tag der Hauptversammlung von der Ankündigung der Maßnahme typischerweise verzerrt. Zudem käme man zu reinen Zufallsergebnissen, wenn man einzelne Börsentage in den Blick nehmen würde, statt einer vernünftig strukturierten, gewichteten2 Durchschnittsbetrachtung über einen längeren Zeitraum. Zur Bestimmung des Deinvestitionswerts kann man somit nicht ohne weitere Denk- und Rechenoperationen auf den Datensatz realer Kurswerte zurückgreifen. Ebenso wenig kann man aber Denk- und Rechenoperationen zugrunde legen, die zum quotalen Unternehmenswert hinführen. Insbesondere ist für den Deinvestitionswert konzeptionell irrelevant, – wie ein langfristiger Investor über den Ertragswert denken würde oder – inwieweit der (geschätzte) Börsenkurs am Stichtag im Sinne der Kapitalmarkteffizienz fundamental „richtig“ ist oder nicht: Auch auf einem fundamental vollständig ineffizienten Markt hätte die Veräußerungsmöglichkeit bestanden – und, beim Schopfe ergriffen, zu einem bestimmten Veräußerungserlös geführt.3

18.50 Innerhalb dieses konzeptionellen Rahmens der verfassungsrechtlich vorgegebenen Veräußerungshypothese sind die Details wiederum den Zivilgerichten (und deren betriebswirtschaftlichen Sachverständigen) überlassen. Hierbei geht es in der Sache vor allem um die „richtige“ Bestimmung von Durchschnittskursen und um Ausnahmefälle, in denen der Börsenkurs auch unterschritten werden darf. aa) Durchschnittskurse

18.51 Die Zivilgerichte sind in der Wahl der Methode zur Bestimmung eines geeigneten Referenzkurses frei.4 Verfassungsrechtlich kommt es allein darauf an, dass dabei „einem Missbrauch von beiden Seiten begegnet“ wird.5 Somit ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn zur Bestimmung des hypothetischen Veräußerungsbetrages in Anlehnung an § 5 Abs. 1 und 3 WpÜG-AngVO ein gewichteter Dreimonatsdurchschnittskurs herangezogen wird. Ob dabei von den drei Monaten vor der Hauptversammlung oder vor der öffentlichen Ankündigung der Maßnahme ausgegangen wird, ist ebenfalls Sache der Zivilgerichte6 (und wurde vom BGH in der Stollwerck-Entscheidung von 20107 in letzterem Sinne geklärt, dazu unter V.1.b), Rz. 18.77 ff.).

1 Ähnlich Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (487). 2 Zur Gewichtung OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 26 ff. – Wella. 3 Das wird oft verkannt (und sodann an dieser Stelle Überlegungen zur Effizienz von Kapitalmärkten angestellt). Klar und richtig insofern OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 216 ff. – Wella. 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309 f.) = AG 1999, 566; BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120). 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566; BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120). 6 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120). 7 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 = BB 2010, 1941.

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.52 § 18

bb) Ausnahmefälle Bereits nach DAT/Altana kommt eine Abweichung vom tatsächlichen Börsenkurs in Betracht, wenn dieser „ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt“.1 – Ein solcher Ausnahmefall ist der der Marktenge.2 Der Börsenkurs gibt nur dann den Verkehrswert der Aktie wieder, wenn er tatsächlich erzielbar gewesen wäre.3 Sind mindestens 95 % der Aktien unverkäuflich, ist „ungewiss, ob der Minderheitsaktionär seine Aktien tatsächlich zum Börsenkurs hätte verkaufen können.“4 Fraglich bleibt indes, unter welchen genauen Voraussetzungen von Marktenge auszugehen ist. In DAT/Altana stellte das BVerfG darauf ab, ob es dem einzelnen außenstehenden Aktionär „völlig unmöglich“ gewesen wäre, seine Aktienbeteiligung zu Börsenkursen zu veräußern. Dafür sei trotz der vom Gutachter festgestellten geringen Liquidität des Marktes nichts ersichtlich gewesen.5 – Nach DAT/Altana muss es der abfindungsverpflichteten Hauptgesellschaft im Fall der Eingliederung – oder dem herrschenden Unternehmen im Fall des Unternehmensvertrags – möglich sein, im Spruchverfahren „darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Börsenkurs nicht dem Verkehrswert entspricht, etwa weil längere Zeit praktisch überhaupt kein Handel mit den Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat.“6 – Wenn wegen eines Verstoßes gegen Mitteilungspflichten ein Informationsdefizit vorliegt, kann es zu einer Abweichung von Börsenkurs und Verkehrswert kommen.7 – Weiterhin kommt der Deinvestitionswert als Untergrenze der Abfindung dann nicht in Betracht, wenn der Börsenpreis manipuliert wurde.8 Dies gilt nach der Auffassung des BVerfG insbesondere bei gezielter Kurspflege in Ansehung der bevorstehenden Struktur-

1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566; s. auch OLG Düsseldorf v. 13.3.2008 – I-26 W 8/07 AktE, AG 2008, 498 (501); OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, AG 2007, 325 (329); OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01 – SEN/KHS, AG 2005, 45 (46). 2 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566, bestätigt in BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511 und BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (121); s. auch BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, NJW 2010, 2657 (2658) = AG 2010, 629; BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2082); ausführlich OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (715); Riegger/Wasmann in FS Stilz, 2014, S. 509 (511 ff.). 3 OLG Düsseldorf v. 25.5.2000 – 19 W 5/93 AktE – DAT/Altana II, AG 2000, 421 (422). 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566 und im Anschluss daran etwa OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01 – SEN/KHS, AG 2005, 45 (47). 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (312) = AG 1999, 566. 6 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566; im Anschluss daran zahlreiche Entscheidungen der Fachgerichte, etwa OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, AG 2007, 325 (329); OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01 – SEN/KHS, AG 2005, 45 (47). 7 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511; zuvor bereits OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (756). 8 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 25 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2499) = AG 2011, 511; BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 416 = NJW 2001, 2080 (2082); OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, AG 2007, 325 (329); OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01 – SEN/KHS, AG 2005, 45 (47); von der praktischen Irrelevanz dieser Fallgruppe ausgehend Riegger/Wasmann in FS Stilz, 2014, 509 (511).

Adolff/Häller

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18.52

§ 18 Rz. 18.52

Dritter Teil: Querschnittsfragen

maßnahme.1 Nach der Siemens/SNI-Entscheidung des BVerfG liegt zwar in der bloßen Bekanntgabe einer Eingliederungsmaßnahme kein Missbrauch.2 Ein Missbrauch komme aber dann in Betracht, „wenn die Obergesellschaft die Information über die beabsichtigte Maßnahme gezielt zur Einflussnahme auf den Aktienkurs im Referenzzeitraum nutzt“.3 2. Abfindung in Aktien und Konzernverschmelzung a) Die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG

18.53 Bereits nach der DAT/Altana-Entscheidung finden die vom BVerfG darin entwickelten Grundsätze auf die Bestimmung der Verschmelzungswertrelationen bei der Abfindung in Aktien Anwendung: „Bei der Abfindung durch Aktien der Hauptgesellschaft (§ 320 b Abs. 1 Satz 2 AktG) oder der herrschenden Gesellschaft bzw. ihrer Muttergesellschaft (§ 305 Abs. 2 AktG) gilt nichts anderes als bei der Barabfindung.“4 Auch hier markiere bei der abhängigen Gesellschaft der Börsenwert die Untergrenze der Bewertung. Asymmetrisch hierzu ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, einen etwa existierenden Börsenwert der herrschenden Gesellschaft oder Hauptgesellschaft als Obergrenze der Bewertung dieser Gesellschaft heranzuziehen, und zwar auch und gerade, soweit es um den Schutz der Aktionäre der Untergesellschaft geht. Schon nach DAT/Altana-Entscheidung vermittelt demnach das Aktieneigentum des abfindungsberechtigten Minderheitsaktionärs keinen Anspruch auf Aktien der herrschenden Gesellschaft höchstens zum Börsenkurs.5 b) Die Siemens/SNI-Entscheidung des BVerfG

18.54 Im Fall Siemens/SNI ging es um die Abfindung in Aktien im Fall der Eingliederung, wofür die Verschmelzungswertrelation festzustellen war. Das OLG Düsseldorf bewertete die eingegliederte Gesellschaft nach ihrem Börsenwert, da dieser die Untergrenze der Abfindung bilde.6 Das herrschende Unternehmen wurde unter Verweis auf den Grundsatz der Methodengleichheit (dazu Rz. 18.88 ff.) ebenfalls nach seinem Börsenwert bewertet, obwohl dieser deutlich niedriger lag als der vom Sachverständigen ermittelte Ertragswert.7 Das BVerfG beanstandete diese Vorgehensweise nicht.8 c) Die Kuka-Entscheidung des BVerfG

18.55 Im Fall Kuka9 übertrug das BVerfG die für die Abfindung in Aktien entwickelten DAT/AltanaGrundsätze auf die Konzernverschmelzung.10 Zugleich bestätigte es seine asymmetrische Auffassung zum Stellenwert des Börsenkurses als Wertdeterminanten bei der Unter- und Obergesellschaft: 1 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 2 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (121). 3 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (121). 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566. 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566. 6 OLG Düsseldorf v. 31.3.2003 – 19 W 9/00 AktE – Siemens/SNI, AG 2003, 329 (330). 7 OLG Düsseldorf v. 31.3.2003 – 19 W 9/00 AktE – Siemens/SNI, AG 2003, 329 (333). 8 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 199. 9 BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07, AG 2011, 128. 10 Offen ließ das BVerfG, inwieweit diese Grundsätze insgesamt auf Verschmelzungen durch Aufnahme anzuwenden seien. BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129).

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.56 § 18

– Hohes Gewicht der Obergesellschaft nach deren Ertragswert: In casu ging es um eine upstream-Verschmelzung durch Aufnahme, bei der Ober- und Untergesellschaft börsennotiert waren. Während beim übertragenden Rechtsträger der nach der Ertragswertmethode ermittelte quotale Unternehmenswert der Börsenkapitalisierung entsprach (rund 74 t je Aktie), wichen beim übernehmenden Rechtsträger Ertragswert (rund 26 t je Aktie) und der Börsenkurs (rund 14–17 t je Aktie) stark voneinander ab. Das Umtauschverhältnis war nach der Relation der Ertragswerte festgelegt worden. Dadurch erhielt die Obergesellschaft (als aufnehmender Rechtsträger) mehr Gewicht, als ihrer Börsenkapitalisierung entsprach. – Kein Rekurs auf die günstigere Börsenwertrelation: Im Ergebnis standen die Minderheitsgesellschafter des übertragenden Rechtsträgers damit erheblich schlechter, als wenn die Relation der Börsenkapitalsierungen zur Anwendung gekommen wäre: Es wurde zwar nicht ihre eigene Untergesellschaft (unter Berufung auf einen unter dem Börsenkurs liegenden Ertragswert im Vergleich zur Börsenkapitalisierung) „arm gerechnet“. Aber es wurde die aufnehmende Obergesellschaft (unter Berufung auf einen über dem Börsenkurs liegenden Ertragswert im Vergleich zur Börsenkapitalisierung) „reich gerechnet“. Dies führte dazu, dass die Minderheitsgesellschafter weniger Aktien erhielten, als wenn sie (in einer hypothetischen Welt ohne die Maßnahme) am Tag des Hauptversammlungsbeschlusses (i) die Aktien der Untergesellschaft an der Börse verkauft und (ii) die Aktien der Obergesellschaft am Markt gekauft hätten. Es gibt somit nach der Rechtsprechung des BVerfG für den Fall des Aktientausches (bei der upstream-Konzernverschmelzung und bei der Abfindung in Aktien) keinen Grundsatz „Börsenwertrelation als Untergrenze“: Was bei der Untergesellschaft verboten ist (für den betroffenen Minderheitsaktionär ungünstige Abweichung vom Börsenkurs), ist bei der Obergesellschaft erlaubt: Die Zivilgerichte sind „frei, der herrschenden Gesellschaft … einen höheren Wert beizumessen als den Börsenwert.“1 d) Die Telekom/T-Online-Entscheidung des BVerfG Auch im Fall Telekom/T-Online ging es um einen upstream merger. Das LG und das OLG Frankfurt stellten für die Höhe der baren Zuzahlung allein auf das Verhältnis der Börsenkurse ab, nicht aber auf dasjenige der Ertragswerte. Das BVerfG bestätigte, dass die DAT/AltanaGrundsätze auf den Fall der Verschmelzung durch Aufnahme übertragbar sind.2 Es wiederholte außerdem den Grundsatz der Methodenfreiheit3 sowie den Grundsatz, dass der Börsenwert die Untergrenze für die Bewertung der Untergesellschaft bilde4 (nicht aber die Obergrenze für die Bewertung der Obergesellschaft).

1 BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129). 2 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 22 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 3 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 4 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511.

Adolff/Häller

523

18.56

§ 18 Rz. 18.57

Dritter Teil: Querschnittsfragen

e) Derzeit unvollkommene Umsetzung des Deinvestitionsgedankens beim Aktientausch

18.57 Das BVerfG hat somit seinen Deinvestitionsgedanken für die Fälle des Aktientausches in dominierten Situationen (Abfindung in Aktien, Konzernverschmelzung) nicht konsequent zu Ende geführt. Der Minderheitsaktionär darf schlechter gestellt werden, als wenn er seine Untergesellschaftsaktie am relevanten Stichtag an der Börse zu Geld gemacht hätte. Diese Inkonsequenz mag man bedauern,1 sie ist aber als inzwischen gefestigte, mehrfach bestätigte Rechtsprechung des BVerfG hinzunehmen: Dem Schutzbedürfnis der Minderheit in der Untergesellschaft trägt das BVerfG in dieser Fallgruppe „in der Mitte zwischen Barabfindung und merger of equals“ weniger konsequent Rechnung als bei der Barabfindung. Es ist mit dem geltenden Recht vereinbar, wenn sie weniger erhalten als bei einer freien Deinvestitionsentscheidung. Rechtfertigen lässt sich diese Asymmetrie durch den Verweis auf den Schutz der Minderheit der Obergesellschaft, sowie darauf, dass die Minderheit von den Zahlungsströmen ihres Unternehmens ja nicht endgültig abgeschnitten,2 sondern als Gesellschafter der gesamten Unternehmensgruppe daran beteiligt bleibt. 3. Echte Fusion („merger of equals“) a) Die Entscheidung Wüstenrot und Württembergische des BVerfG

18.58 In der Entscheidung Wüstenrot und Württembergische ging es um das Umtauschverhältnis der Anteile bei der Verschmelzung zweier gleichberechtigter, voneinander unabhängiger Aktiengesellschaften (merger of equals). Nach Ansicht des OLG Stuttgart als Vorinstanz markiert der Börsenkurs der Aktien eines Verschmelzungspartners in einem solchen Fall „nicht zwingend die Untergrenze für den Wert eines Anteils an diesem Rechtsträger als Grundlage der Bestimmung des angemessenen Umtauschverhältnisses“.3 Dies wird insbesondere mit der „Interessenkongruenz unter den jeweiligen Anteilseignern eines jeden Rechtsträgers“ begründet.4 Das BVerfG ließ hier noch offen, ob die von der Verschmelzung betroffenen Minderheitsaktionäre unter Berücksichtigung der DAT/Altana-Grundsätze zu entschädigen sind.5

1 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 451 f.; Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 156, 162; Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (492 f.); vgl. auch Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 Rz. 17a; für Börsenkurs als Obergrenze der Bewertung der Obergesellschaft Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 (1066 f.); Gude, Strukturänderungen und Unternehmensbewertung zum Börsenkurs, 2004, S. 170 ff.; vgl. auch OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (711 ff.); Puszkajler, BB 2003, 1692 (1694). 2 In diese Richtung noch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 468 ff., allerdings ohne hinreichende Berücksichtigung der „oben“ und „unten“ divergierenden Gefährdungslage, wie sie hier unter Rz. 18.7 ff. dargestellt ist. 3 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2006, 420 (427). 4 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2006, 420 (427). 5 BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2007, 697 (698), s. dazu schon oben Rz. 18.11 ff.

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.61 § 18

b) Die Daimler/Chrysler-Entscheidung des BVerfG In Daimler/Chrysler1 ging es um einen Antrag auf Gewährung einer baren Zuzahlung nach § 15 UmwG im Fall der Verschmelzung zweier wirtschaftlich und rechtlich unabhängiger Unternehmen. Das BVerfG übertrug nunmehr hier ausdrücklich die DAT/Altana-Grundsätze auf den Fall des merger of equals,2 allerdings ohne eingehende Begründung. Das Gericht verweist vielmehr auf die Telekom/T-Online-Entscheidung,3 als wäre der merger of equals dort bereits (mit-)entschieden worden. Eine Auseinandersetzung mit den strukturellen Unterschieden der beiden Fallgruppen (s. Rz. 18.5 ff.) unterbleibt.

18.59

Auffällig ist, dass das BVerfG zwar auf die DAT/Altana-Grundsätze rekurriert, dabei aber nur das Prinzip der vollen Kompensation und das der gerichtlichen Kontrolle ausdrücklich nennt. Es fehlt hingegen die Standard-Formulierung,4 dass die Minderheitsaktionäre nicht weniger erhalten dürfen, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der Maßnahme erhalten hätten, und dass aus diesem Grund ein existierender Börsenkurs Berücksichtigung finden muss. Dies mag seinen Grund darin haben, dass die Berücksichtigung des Börsenkurses des übertragenden Rechtsträgers (Daimler-Benz AG) nicht zu einem für dessen Aktionäre günstigeren Umtauschverhältnis geführt hätte, wie das Gericht ausdrücklich feststellt:

18.60

„Dabei kommt es auf die Frage der Berücksichtigung des Börsenkurses des übertragenden Rechtsträgers hier nicht entscheidend an; denn nach den von der Verfassungsbeschwerde insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des OLG hätte dies zu einer für den Beschwerdeführer ungünstigeren Umtauschrelation geführt“.5

Allerdings war dem Fusionspartner Chrysler Corporation (und damit dem aufnehmenden Rechtsträger) ein höherer Ertragswert zugemessen worden als es seiner Börsenkapitalisierung entsprochen hat. Damit erhielten die Daimler-Aktionäre im Ergebnis weniger, als sie bei einer freien Deinvestition über die Börse erhalten hätten. Sie standen schlechter als bei einem Umtausch auf der Grundlage der Börsenwertrelation. Ähnlich wie im Kuka-Fall (s. Rz. 18.55) hat das BVerfG die Bestimmung des Umtauschverhältnisses aufgrund der Ertragswertrelation gleichwohl nicht beanstandet. Das Urteil enthält außerdem wichtige Aussagen zu dem von Eberhard Stilz entwickelten6 und 18.61 vom OLG Frankfurt7 sowie vom OLG Stuttgart8 angewandten sog. Verhandlungsmodell,9 wonach sich die Prüfung des Gerichts beim merger of equals auf die Kontrolle eines ordnungsgemäßen Verhandlungsprozesses beschränken darf. Dieses Modell lehnt das BVerfG ab: Es ent-

1 2 3 4

5 6 7 8 9

BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674. BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675). Zu dieser Entscheidung s. unter Rz. 18.56. Vgl. etwa BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (306) = AG 1999, 566; BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120); BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2007, 697 (698); BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Telekom/T-Online, AG 2011, 511. BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675 f.), Hervorhebung hinzugefügt. Stilz in FS Mailänder, 2006, S. 423 ff. OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09, ZIP 2010, 729; anders dann aber OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (Ls.). OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Daimler/Chrysler, AG 2011, 49. Dazu etwa Fleischer/Bong, NZG 2013, 881.

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§ 18 Rz. 18.61

Dritter Teil: Querschnittsfragen

spreche nicht dem Prinzip der vollen wirtschaftlichen Entschädigung, da die Verhandlungen der Vertretungsorgane von vielfältigen weiteren unternehmerischen Erwägungen getragen sein könnten.1 Letztlich misstraut das BVerfG somit der „Verhandlungsführung der Vorstände“.2 c) Stellungnahme zum Deinvestitionsgedanken beim merger of equals

18.62 Der Deinvestitionsgedanke passt nicht zum merger of equals, denn wie bereits dargelegt (s. Rz. 18.9) sitzen beim merger of equals auf beiden Seiten jeweils Mehrheit und Minderheit in demselben Boot. Auf keiner Seite hat die Mehrheit die Möglichkeit, der Minderheit „an ihrer Seite“ zu schaden, indem sie der Minderheit ein Vermögensopfer zumutet, das sie selbst nicht zu erbringen bereit ist. Die Minderheiten auf beiden Seiten befinden sich somit in einer identischen, symmetrischen Gefährdungslage, in der sie den Schutz der Verfassung in gleicher Weise genießen. Dieser Schutz darf insbesondere nicht von der Verschmelzungsrichtung abhängen (vgl. Rz. 18.10). Mit dieser symmetrischen Interessenlage wäre es unvereinbar, der Minderheit allein des übertragenden Rechtsträgers zu gestatten, sich für die Bewertung ihrer eigenen Gesellschaft auf die Börsenkapitalisierung als Untergrenze zu berufen (und ihr damit gegenüber der Minderheit des aufnehmenden Rechtsträgers ein asymmetrisch höheres Schutzniveau zuzugestehen). Würde man dagegen beiden beteiligten Minderheiten diese Möglichkeit einräumen, so gäbe es denknotwendig nur noch eine einzige Umtauschrelation, welche den von beiden Seiten gestellten Anforderungen gerecht wird, nämlich die Börsenwertrelation. Diese würde für den merger of equals zum allein verbindlichen Maßstab werden, was sich mit der Rechtsprechung des BVerfG nicht vereinbaren lässt.3 Dies belegt auch die Daimler/Chrysler-Entscheidung, in der es das BVerfG gerade akzeptierte, dass auf die Ertragswertrelation (und eben nicht auf die Börsenwertrelation) abgestellt wurde. Die Übertragung des Deinvestitionsgedankens auf den Fall eines merger of equals ist daher abzulehnen. Richtigerweise ist beim merger of equals allein auf die Fundamentalwertrelation abzustellen,4 wie es in dem der Daimler/Chrysler-Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt auch geschehen war.

18.63 Eine hiervon zu trennende Frage ist, inwieweit die Zivilgerichte frei sind in der Wahl der Methode für die Bestimmung der Fundamentalwerte der beiden beteiligten Rechtsträger – und inwieweit sie dabei insbesondere die Börsenkapitalisierung als Wertindikator heranziehen dürfen bzw. müssen. Hierzu wurde das Entscheidende schon unter Rz. 18.38 ff. gesagt: – Maßgeblichkeit des quotalen Gesamtunternehmenswerts: Der Fundamentalwert ist der Unternehmenswert, der bei einer Veräußerung im Ganzen als Kaufpreis erzielt werden könnte (Liquidationshypothese). Er ist zu schätzen.5 – Freiheit der Zivilgerichte in der Methodenwahl: Sämtliche für diese Schätzung zur Verfügung stehenden Methoden sind in hohem Maße unvollkommen. Sie führen allesamt zu Approximation, deren Ergebnisse sich seriös nur in Bandbreiten, nicht aber in Form einer Punktladung, zum Ausdruck bringen lassen. Die Verfassung macht den Zivilgerichten 1 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675). 2 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675). 3 Zum Ganzen eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 468 ff. 4 Siehe bereits Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 451; hierzu differenziert OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (711 ff.), für die Konzernverschmelzung. 5 Vgl. nur Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (173).

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.64 § 18

keine Vorgaben bei der Auswahl (und ggf. Kombination) dieser Methoden. Sie stellt solche Vorgaben allein an die Sorgfalt bei der Begründung der methodischen Auswahlentscheidung. Diese kann, wie es in der Vergangenheit ganz üblich war, zur Ertragswertmethode führen. Sie kann aber auch zur Bestimmung des Fundamentalwerts nach der Börsenkapitalisierung führen: „[D]ie Aussagekraft und die Tauglichkeit einer marktorientierten Bewertungsmethode auf Grundlage des Börsenkurses im konkreten Fall“ unterliegt, wie das BVerfG in der Telekom/T-Online-Entscheidung klar gestellt hat, „der fachrichterlichen Prüfung und Würdigung“.1 Somit kann der Börsenkurs auch beim merger of equals für die Bestimmung des Umtauschverhältnisses eine – und sogar die allein entscheidende – Rolle spielen. Es ist aber wichtig, sich den konzeptionellen Kontext vor Augen zu halten, in dem dies geschieht: Weil der Deinvestitionsgedanke hier nicht zur Anwendung kommt, ergibt sich die Bedeutung der Börsenkurse nicht schon aus der Veräußerungsmöglichkeit an der Börse. Der Börsenkurs ist in diesem Kontext kein Datum (anders als bei der Barabfindung bei Anwendung des Grundsatzes „Börsenkurs als Untergrenze“, s. Rz. 18.41 ff.), sondern die Börsenkapitalisierung ist ein Wertindikator für das Gesamtunternehmen, der, je nach den Umständen des Einzelfalls, einmal mehr und einmal weniger geeignet sein kann, Grundlage der Schätzung zu sein. In der hier verwendeten Terminologie (s. Rz. 18.36 ff.): Es gilt nicht die Veräußerungshypothese („Für wie viel Geld hätte sich die Aktie am Markt verkaufen lassen?“), sondern die Liquidationshypothese („Für wie viel Geld hätte sich das Unternehmen als Ganzes verkaufen lassen?“). d) Stellungnahme zum Verhandlungsmodell Nicht überzeugend – aber für die Praxis hinzunehmen – ist die Ablehnung des Verhand- 18.64 lungsmodells durch das BVerfG.2 Das OLG Stuttgart hat seine Entscheidung ausführlich und gerade mit Blick auf die besondere Interessenlage beim merger of equals begründet.3 Es hat auch dargelegt, dass das Verhandlungsergebnis vom Verschmelzungsprüfer geprüft und von den Anteilseignern mit einer Mehrheit von 75 % gebilligt werden muss.4 Der bloße Verweis auf die möglicherweise nicht stets den Interessen aller Anteilseigner entsprechende „Verhandlungsführung der Vorstände“ genügt nicht, um die Argumente des OLG zu entkräften. Zudem bestehen Widersprüche zur Moto-Meter-Entscheidung (Entfallen von Schutzinstrumenten von Minderheitsgesellschaftern bei Interessengleichlauf von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern).5

1 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 25 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 2 Ebenso Klöhn/Verse, AG 2013, 2 (4 f.), die der Ansicht sind, das Verhandlungsmodell sei auch nach Daimler/Chrysler noch vertretbar; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 39 ff. unter Hinweis auf die Privatautonomie; Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (494) bemängelt die Argumentation des BVerfG; in Richtung des BVerfG hingegen die Argumentation bei Bungert/Wettich in FS HoffmannBecking, 2013, S. 157 (186). 3 Noch immer überzeugend sind auch die Vorarbeiten bei Stilz in FS K.P. Mailänder, 2006, S. 421 (427 ff.). 4 OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Daimler/Chrysler, AG 2011, 49 (50 ff.). 5 Kritisch auch Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 42; Klöhn/Verse, AG 2013, 2 (5 f.).

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§ 18 Rz. 18.65

Dritter Teil: Querschnittsfragen

V. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Zivilgerichte 1. Abfindung in Geld

18.65 Der II. Zivilsenat des BGH musste nach der DAT-Altana-Entscheidung zur einfachgesetzlichen Umsetzung schreiten. Die Komplexität des Gesamtthemas wurde dabei weiter erhöht, vor allem weil der BGH einen vom BVerfG abweichenden gedanklichen Ausgangspunkt für die „Aufwertung“ des Börsenkurses wählte. Während das BVerfG den Deinvestitionsgedanken (und damit die Veräußerungshypothese) in den Mittelpunkt stellte, beruht nach Auffassung des BGH die Relevanz des Börsenkurses nunmehr auf (bis dahin vehement in Zweifel gezogenen, s. Rz. 18.26 f.) allokativen Effizienz des Marktes. Nach der in dieser Weise adjustierten Sichtweise des BGH beruht die „Gleichstellung von Börsen- und Verkehrswert […] auf der Annahme, dass die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Gesellschaftsunternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewertet“.1

Mit diesem gedanklichen Ausgangspunkt nur eingeschränkt vereinbar2 ist die zentrale rechtsfortbildende Schlussfolgerung des BGH, nämlich die Herausbildung des sog. Meistbegünstigungsprinzips (dazu Rz. 18.67 ff.).

18.66 In der weiteren Entwicklung bedurfte es der Rechtsfortbildung bei einer Reihe von Punkten, die das BVerfG offengelassen hatte: – Stichtag: Dabei geht es zunächst um die Frage des maßgeblichen Stichtags für die Bestimmung des Börsenkurses. Das BVerfG gibt lediglich vor, auf einen „Durchschnittskurs im Vorfeld der Bekanntgabe des Unternehmensvertrags“ zurückzugreifen.3 Dementsprechend herrschte Uneinigkeit über die richtige Methode zur Ermittlung des Verkehrswerts (hier: Deinvestitionswerts) der Aktie (dazu unter b), Rz. 18.77 ff.). – Ausnahmetatbestände: Fälle, in denen „der Börsenkurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt“, wurden vom BVerfG nur beispielhaft genannt.4 Auch hier nahmen die Zivilgerichte Konkretisierungen vor (dazu Rz. 18.82 ff.). a) Meistbegünstigungsprinzip aa) Entwicklungslinien der Rechtsprechung

18.67 Die Rechtsprechungslinie des BGH zum Meistbegünstigungsprinzip beginnt mit seinem DAT/ Altana-Urteil von 2001.5 Nach dieser Entscheidung des BGH ist die Abfindung entweder nach dem Börsenwert oder nach dem quotalen Unternehmenswert (i.d.R.: Ertragswertmethode) zu ermitteln, und zwar im Grundsatz je nach dem welcher Wert höher ist.6

1 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana, BGHZ 147, 108 (116) = AG 2001, 417. 2 Vgl. auch Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 55; Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (499) geht davon aus, dass der BGH die Begrifflichkeit und Intention des BVerfG in DAT/Altana nicht ganz richtig erfasst habe. 3 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309 f.) = AG 1999, 566. 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (309) = AG 1999, 566. 5 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417; bestätigt in BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 (1943) = AG 2010, 629. 6 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2082).

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.69 § 18

Damit ging der BGH deutlich über die Vorgaben des BVerfG in seiner DAT/Altana-Entschei- 18.68 dung hinaus,1 welches lediglich eine Barabfindung forderte, die den Börsenkurs jedenfalls nicht unterschreitet.2 In seinem Telekom/T-Online-Beschluss3 sowie nachfolgend in der Deutsche Hypothekenbank-Entscheidung4 stellte das BVerfG daraufhin explizit klar, dass der vom BGH aufgestellte Grundsatz der Meistbegünstigung verfassungsrechtlich nicht geboten sei. Vor diesem Hintergrund ist bei den Gerichten in jüngster Zeit eine deutliche Tendenz erkennbar, weniger weit zu gehen, und insbesondere ausschließlich auf Börsenkurse abzustellen: – Telekom-Entscheidung des OLG Frankfurt: Wegweisend für die Unternehmensbewertung, ausschließlich anhand des Börsenwerts, war in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zunächst die dem Telekom/T-Online-Beschluss des BVerfG vorangehende Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahr 2010,5 in der es um die Verschmelzungswertrelation nach § 305 Abs. 3 AktG i.V.m. § 15 UmwG ging. Nach der Auffassung des OLG gebietet die Verfassung keine Bewertung (vornehmlich) anhand der Ertragswerte. Einer (allein) an Börsenwerte angelehnten Bewertungsmethode stünden keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Beschränkungen entgegen.6 Auch hierbei handele es sich um einen bestimmten Ansatz zur Ermittlung des Unternehmenswerts, der von weiten Teilen der Literatur und Rechtsprechung im Grundsatz gebilligt werde. Auch auf Ebene des einfachen Rechts handele es sich um eine geeignete Schätzmethode.7 Der Börsenkurs sei durch die Einführung von § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG aufgewertet worden. Auch die Qualität des Preisbildungsprozesses unterliege keinen durchgreifenden allgemeinen Bedenken. Zwar gebe es den rationalen Investor, der über alle denkbaren Informationen verfügt, regelmäßig nicht, für die Geeignetheit des Börsenkurses zur Abbildung des Wertes eines Unternehmensanteils genüge aber eine mittelstrenge Kapitalmarkteffizienz. Schließlich vollziehe sich die Preisbildung für Aktien nicht nach grundlegend anderen Erwägungen als diejenige für das gesamte Unternehmen.8 – Telekom-Entscheidung des BVerfG: In seinem eingangs bereits erwähnten Telekom/T-Online-Beschluss vom 26.4.2011 (s. dazu eingehend bereits Rz. 18.40, 18.56) hat das BVerfG die Auffassung des OLG Frankfurt gestützt, indem es klarstellte, dass das Meistbegünstigungsprinzip verfassungsrechtlich nicht geboten ist:9 Es begegne „von Verfassungs wegen keinen Bedenken, wenn sich ein Fachgericht, wie hier das OLG, im Spruchverfahren mit sorgfältiger und ausführlicher, den Streit zur ‚richtigen‘ Bewertungsmethode reflektierender Begründung für eine Bewertung beider Rechtsträger anhand des Börsenwerts entscheidet, ohne

1 So Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (165); zustimmend Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 83. 2 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (308) = AG 1999, 566. 3 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) Rz. 24 = AG 2011, 511. 4 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, NZG 2012, 907 (909) Rz. 18 = AG 2012, 625 (626). 5 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Telekom/T-Online, AG 2010, 751. 6 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Telekom/T-Online, AG 2010, 751 (752). 7 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Telekom/T-Online, AG 2010, 751 (752 ff.). 8 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Telekom/T-Online, AG 2010, 751 (755). 9 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511; bestätigt in BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, NZG 2012, 907 (909) = AG 2012, 625 (626).

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18.69

§ 18 Rz. 18.69

Dritter Teil: Querschnittsfragen

sich dabei den Blick dafür zu verstellen, dass die Frage nach der vorzuziehenden Methode grundsätzlich von den jeweiligen Umständen des Falls abhängt“.1

18.70 – Nachfolgende Instanzgerichte und Literaturstimmen: Auf dieser Grundlage übertrug das OLG Frankfurt im Jahr 20132 seine Sichtweise auf einen reinen Barabfindungsfall (Squeeze-out) und auch in der Folgezeit hielt es hieran in ständiger Rechtsprechung3 fest. Dem folgt seither auch das OLG Stuttgart in mittlerweile ständiger Rechtsprechung,4 wobei der Beschluss vom 17.10.2011 wegweisend war: „Ein verfassungsrechtliches Gebot der Meistbegünstigung der Minderheitsaktionäre besteht […] schon nicht in Bezug auf das Verhältnis von fundamentalanalytischer Wertermittlung, etwa im Ertragswertverfahren, zu marktorientierter Wertermittlung, etwa anhand von Börsenwerten.“5 Ebenso entschied im Ergebnis wohl auch das OLG München.6 Vor diesem Hintergrund sprechen sich seither starke Stimmen in der Literatur gegen das Meistbegünstigungsprinzip7 und für die „marktorientierten Methoden“ aus.8

1 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 2 OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12 – Hoechst, NZG 2014, 464. Hier beschäftigte sich das OLG Frankfurt erneut ausführlich mit der Unternehmensbewertung ausschließlich anhand des Börsenwerts und bekräftigte seine Auffassung, die Schätzung des Unternehmenswerts anhand des Börsenwerts der Gesellschaft unterliege keinen grundsätzlichen Bedenken, und zwar auch in einem reinen Barabfindungsfall: Die marktorientierte Bewertung könne vom Grundsatz her auch im Rahmen eines Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG Anwendung finden. In casu wird diese Methode dann jedoch abgelehnt, und zwar unter Verweis auf Zweifel an der allokativen Effizienz des Kapitalmarkts für die konkreten Aktien im hierfür maßgeblichen Zeitraum. Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht genau die richtige Herangehensweise, s. dazu unten Rz. 18.83. Siehe auch OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11 – juris Rz. 42 (insoweit nicht abgedruckt in AG 2012, 513). 3 Vgl. etwa OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, NZG 2014, 464; OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 (670); OLG Frankfurt v. 8.9.2016 – 21 W 36/15, NZG 2017, 622 (623). 4 Vgl. etwa OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, NZG 2011, 1346; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 (727); OLG Stuttgart v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840 (843). 5 OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, NZG 2011, 1346 = BeckRS 2011, 24586. Von einer Gleichrangigkeit der beiden Methodenansätze geht das OLG Stuttgart auch in einer Entscheidung von 2013 aus: „Grundlage der Schätzung des Gerichts [kann] sowohl Wertermittlungen basierend auf fundamentalanalytischen Wertermittlungsmethoden wie dem Ertragswertverfahren als auch auf marktorientierten Methoden wie eine Orientierung an Börsenkursen sein“, OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/10, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897 (2. Ls.). 6 OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749; in dieser Entscheidung hält das OLG eine Schätzung des Unternehmenswerts anhand des Börsenkurses für möglich. Sofern damit auf die Wertermittlung anhand der Ertragswertmethode verzichtet wird, wird zugleich das Meistbegünstigungsprinzip aufgegeben. 7 Vgl. Rz. 22.18 ff. sowie Happ/Bednarz in FS Stilz, 2014, S. 219 (229) mit umfassenden Nachweisen; ferner Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (486 f.). 8 Vgl. Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (173); Emmerich in FS Stilz, 2014, S. 135 (142); Krieger in MünchHdb. AG, 4. Aufl. 2015, § 71 Rz. 139; Tonner in FS K. Schmidt, S. 1581 (1589); Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 54 f.; Wicke in FS Stilz, 2014, S. 707 (714). Zurückhaltender gegenüber dem Meistbegünstigungsprinzip und offen gegenüber einer stärkeren Berücksichtigung des Börsenkurses, jedenfalls als Schätzgrundlage für den quotalen Unternehmenswert, auch Fleischer, AG 2014, 97 (111); kritisch zu fundamentalanalytischen und marktorientierten Methoden gleichermaßen Happ/Bednarz in FS Stilz, 2014, S. 219 (231 f.).

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.73 § 18

– Neuere Tendenz des BGH: In den Beschlüssen des BGH vom 29.9.20151 sowie vom 18.71 12.1.20162 scheint sich die Tendenz abzuzeichnen, dass auch der 2. Senat des BGH in Zukunft – jedenfalls in Barabfindungsfällen – nicht mehr an dem Meistbegünstigungsprinzip festhalten wird, sondern grundsätzlich auch der Börsenkurs allein bewertungsrelevant sein kann. In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2015 geht der BGH davon aus, dass der Anteilswert „in der Regel dem Börsenwert der Aktien zu entnehmen ist“.3 Ferner stellt der BGH in beiden Entscheidungen nochmals klar, dass verfassungsrechtlich nicht festgelegt sei, wie der „wahre“ Wert der Beteiligung zu ermitteln sei. Vielmehr könne der Beteiligungswert als „quotaler Anteil an dem durch eine geeignete Methode der Unternehmensbewertung ermittelten Wert des Unternehmens (mittelbar) berechnet oder auf andere Weise (unmittelbar) festgestellt werden, insbesondere unter Rückgriff auf den Börsenwert der Anteile. Die eine oder andere Methode scheidet nur dann aus, wenn sie aufgrund der Umstände des konkreten Falles den „wahren“ Wert nicht zutreffend abbildet“.4 Dies sei bei der Marktbewertung auf Basis des Börsenkurses dann der Fall, wenn von der Möglichkeit einer „effektiven Informationsbewertung nicht ausgegangen werden [kann]“.5 Im Umkehrschluss deutet dies jedoch darauf hin, dass der BGH – bei Vorliegen dieser Voraussetzungen – die Bewertung allein anhand des (aussagekräftigen) Börsenkurses für ausreichend zur Bestimmung der Abfindungshöhe erachtet. – Nachfolgende Instanzgerichte und Literaturstimmen: Die ersten Entscheidungen von 18.72 Instanzgerichten nach dem BGH Beschluss aus dem Jahr 2016 deuten die Worte des BGH ebenso und gehen davon aus, dass „die Heranziehung von Börsenkursen […] legitim ist und ausreicht, wenn es keine Anhaltspunkte für eine ‚ineffektive Bewertung‘ der dem Kapitalmarkt zugänglich gemachten Informationen gibt“.6 Im jüngeren Schrifttum wird diese Auffassung geteilt.7 bb) Stellungnahme Diese Entwicklungslinie in der Rechtsprechung, insbesondere die von seiner bisherigen Recht- 18.73 sprechungslinie abweichende Tendenz des BGH, die Bewertung allein anhand des Börsenkurses für ausreichend zu erachten, ist begrüßenswert. Hierdurch kommt es zu einer erheblichen Erleichterung und Beschleunigung8 der Spruchverfahren, wenn es den Instanzgerichten frei steht, in hierfür geeigneten Fällen allein auf die Börsenkurse abzustellen. Das Meistbegünstigungsprinzip in der vom BGH in seiner DAT/Altana-Entscheidung von 2001 geprägten Form ist dagegen abzulehnen. Es beruht auf einer unstatthaften Vermischung der beiden nach der Rechtsprechung des BVerfG maßgeblichen Bewertungsperspektiven, nämlich

1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135 (139 f.). BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359 (361). BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135 (139 f.) Rz. 33. BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359 (361) Rz. 23, Hervorhebung hinzugefügt. Ebenso BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135 (139 f.) Rz. 33. BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359 (361), Rz. 23. So das LG Stuttgart v. 3.4.2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG, juris, Rz. 85 ff., 93. Ebenso das OLG Düsseldorf v. 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE), DStR 2016, 2809 (2812) = AG 2016, 864; OLG Düsseldorf v. 15.12.2016 – I-26 W 25/12 (AktE), AG 2017, 709 (710). Großfeld/Eggers/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 2016, Rz. 1244 f.; Humrich in MünchHdb. Gesellschaftsrecht, 2018, Bd. 8, Rz. 392; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 37. Ausführlich zu diesem Aspekt Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (496 f.).

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§ 18 Rz. 18.73

Dritter Teil: Querschnittsfragen

– dem Fundamentalwert (quotaler Unternehmenswert nach der Liquidationshypothese) (s. Rz. 18.36 ff.) im Gegensatz zu – dem Deinvestitionswert (Verkehrswert der einzelnen Aktie nach der Veräußerungshypothese) (s. Rz. 18.41 ff.).

18.74 Nimmt man die Unterschiedlichkeiten dieser beiden Bewertungsperspektiven klar in den Blick, so ergibt sich für die Relevanz des Börsenkurses nach dem heutigen Entwicklungsstand bezogen auf die hier erörterten Barabfindungsfälle1 das Folgende: – Auf den Börsenkurs kommt es (so gut wie) immer an: Die Minderheitsaktionäre dürfen nicht weniger erhalten als sie bei einem Verkauf an der Börse hätten erzielen können. Dies bedeutet: – Auf den (hypothetischen) Börsenkurs in seiner Eigenschaft als Indikator für den Deinvestitionswert kommt es im Grundsatz immer an. Gleichgültig welche Bewertungsmethoden von den Fachgerichten im Einzelnen gewählt werden, der „Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust“ darf jedenfalls nicht unter dem „Verkehrswert“ liegen.2 Es gilt der Grundsatz: „Deinvestitionswert der einzelnen Aktien als Untergrenze der Abfindung“. Nach demselben Grundsatz folgt der Deinvestitionswert unmittelbar aus dem Börsenkurs als Datum. Dieser Grundsatz wird durch die Freiheit der Methodenwahl, welche das BVerfG den Fachgerichten im Übrigen einräumt, nicht eingeschränkt. – Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen bei Marktenge, fehlendem Handel, Verstößen gegen Mitteilungspflichten und Marktmanipulation. Es gibt aber keine Ausnahme der allgemeinen Marktineffizienz: Dem Recht auf Abfindung mindestens zum Börsenkurs kann nicht per se ein niedrigerer Ertragswert (oder eine andere auf einen niedrigeren quotalen Unternehmenswert und damit eine „Überbewertung durch die Börse“ hindeutende Überlegung) entgegenhalten werden. – Die Ausnahmen sind eng begrenzt. Dies hat seinen Grund darin, dass hier der Börsenkurs nicht als Indiz für den Gesamtunternehmenswert herangezogen wird, sondern als Datum: Der Preis, der sich auf einem Markt bei einer Veräußerung über die Börse erzielen lässt, markiert allein wegen dieser Möglichkeit die Untergrenze der Abfindung, weil diese Deinvestitionsmöglichkeit nicht außer Betracht bleiben darf (und nicht etwa deswegen, weil der Markt mit seiner Bewertung tendenziell immer richtig liegt und die Börsenkapitalisierung somit als per se gutes Indiz für den Gesamtunternehmenswert gelten darf).3

18.75 – Auf den Ertragswert kommt es nicht immer an: Die Antwort auf die Frage, ob und inwieweit es darüber hinaus auf einen nach der Ertragswertmethode ermittelten quotalen Unternehmenswert ankommt, gibt das Recht nicht vor. Insbesondere die Vorgaben des BVerfG sind in dieser Hinsicht deutlich zurückhaltender:

1 Zur Abfindung in Aktien und zur Konzernverschmelzung s. Rz. 18.88 ff. Zum merger of equals s. Rz. 18.97 ff. 2 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Rz. 18 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (625) = NZG 2012, 907 (908). 3 Prägnant und richtig insofern OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 216 ff. – Wella.

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.76 § 18

– Zwar ist von Verfassungs wegen ein quotaler Unternehmenswert (Fundamentalwert) zu bestimmen, d.h. es ist mit dem geltenden Recht nicht vereinbar, ausschließlich auf den Verkehrswert der einzelnen Aktien (im Sinne des Deinvestitionswerts) abzustellen, und damit die Bewertungsperspektive des langfristig investierten, den Blick auf die künftigen cash flows richtenden Aktionär von vorneherein (und für alle Fälle gleichermaßen) aus der Betrachtung auszublenden.1 – In der Frage wie die Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts zu erfolgen hat (und welche rechtlichen Methodenvorgaben insofern vom Richter an die betriebswirtschaftlichen sachverständigen Gutachter zu richten sind), sind die Tatgerichte jedoch frei. Sie nehmen eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO vor, d.h. unter „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“.2 Für die Zwecke dieser Schätzung – bei welcher der Tatrichter ein „weites Schätzungsermessen“ genießt3 – ist es rechtlich zulässig, bei der Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts auf den Ertragswert zu rekurrieren. Ebenso ist es zulässig, von der Börsenkapitalisierung auszugehen.4 In letzterem Fall geschieht methodisch freilich etwas ganz anderes als das Abstellen auf den Börsenkurs bei der Bestimmung des Deinvestitionswerts der Aktie: Bei der Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts wird die Börsenkapitalisierung nämlich als Indiz herangezogen für die Schätzung des Betrags, den ein Gesamtunternehmensträger für das Gesamtunternehmen bezahlen würde. Über die Aussagekraft dieses Indizes lässt sich trefflich streiten, abhängig vor allem von der fundamentalen Allokationseffizienz der Kapitalmärkte im jeweiligen Einzelfall. – Kein Meistbegünstigungsprinzip „Börse vs. Ertragswert“: Ein Meistbegünstigungsprinzip in dem Sinne, dass sowohl ein Börsenwert als auch ein Ertragswert zu ermitteln wären, von welchen sodann der jeweils höhere die Untergrenze der Abfindung bildet, gibt es nicht.5 Vielmehr steht es dem Tatrichter frei, mit „sorgfältiger Begründung“6 den quotalen Unternehmenswert (allein) nach dem Börsenkurs zu ermitteln.7 Der so ermittelte quotale Unternehmenswert (Fundamentalwert) und der Deinvestitionswert der Aktie fallen bei dieser Vorgehensweise zusammen. Zu einer Ermittlung des quotalen Unternehmenswerts nach der Ertragswertmethode kommt es dann gar nicht mehr, und zwar weder im Zuge der Abstimmung über die Maßnahme in der Hauptversammlung noch später im Zuge des Spruchverfahrens. Aus der Eröffnung dieser Spielräume ergibt sich freilich noch nicht die

1 In diese Richtung W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 750 und W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015. A.A. (und damit wie hier) Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (610). 2 Dies bedeutet: es gilt gerade nicht das „durch § 286 Abs. 1 ZPO gebotene Beweismaß (‚volle Überzeugung des Gerichts‘)“, dazu nur Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (611) m.w.N. 3 Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (614); LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, AG 2009, 835 (838). 4 Ebenso (im Kontext derselben Überlegung) Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (610) und Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (537). 5 Eindeutig BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. In diese Richtung wohl auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135 (139 f.) Rz. 33 sowie BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359 (361) Rz. 23. 6 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 7 Anders noch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 348, 377.

Adolff/Häller

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18.76

§ 18 Rz. 18.76

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Antwort auf die Frage, inwieweit die Instanzgerichte in sachgerechter Weise von ihnen Gebrauch machen sollen (dazu Rz. 18.65 ff.). – Börsenkursbasierte Fundamentalwerte als Frage des Einzelfalls: Die angemessene Methodenwahl ist jeweils im Einzelfall zu treffen und sorgfältig zu begründen. Eine tragende Säule der Begründung wird dabei regelmäßig eine Aussage zur allokativen Effizienz sowie zur Informationseffizienz1 des jeweils konkret maßgeblichen Marktes sein müssen: Die Ertragswertmethode liefert, wie das BVerfG ausdrücklich anerkennt, keine per se richtigeren Ergebnisse als der „Markttest“.2 Unter günstigen Bedingungen (liquider Markt, keine Manipulation, keine Kursverzerrung durch die Transaktion selbst oder andere außergewöhnliche Ereignisse) kann eine börsenkursbasierte Herangehensweise die beste verfügbare Approximationsmethode auch für die Bestimmung des Gesamtunternehmenswerts im Rahmen der Liquidationshypothese sein.3 Es verkompliziert und verzögert die Spruchverfahren unnötig, in einer solchen Situation auch noch auf den Ertragswert abzustellen.4 In anderen Sachverhaltskonstellationen kann es umgekehrt geboten sein, (zusätzlich) auf den Ertragswert (oder weitere Methoden, z.B. den Net-Asset-Value bei Immobilienverwaltungsgesellschaften5) abzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe des Tatrichters, die „Vorund Nachteile der verschiedenen Bewertungsverfahren gegeneinander abzuwägen und das nach seiner Überzeugung vorzugswürdige auszuwählen oder mehrere nebeneinander anzuwenden.“6 – Insbesondere: Einzelfallbezogene Prüfung der Markt- und Informationseffizienz: Die zentrale Frage nach der Allokations- sowie der Informationseffizienz des jeweiligen Kapitalmarkts lässt sich dabei naturgemäß nicht für alle Aktienmärkte einheitlich und nicht für alle Zeiträume in derselben Weise beantworten. Erforderlich ist vielmehr, wie das BVerfG v.a. in der Telekom/T-Online-Entscheidung anschaulich dargelegt hat, eine sorgfältige, wohlbegründete Analyse der Umstände des jeweiligen Einzelfalls (ggf. unter Hinzuziehung betriebswirtschaftlicher Sachverständiger).7 Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass Kapitalmarkeffizienz in der Praxis regelmäßig nur in abgestufter Form aufzufinden sein wird und nicht sämtliche vorhandenen Informationen stets allen Marktteilnehmern vorliegen, somit auch nicht im Börsenpreis reflektiert sind.8 Diese partielle Markt- und Informationsineffizienz spricht jedoch nicht per se gegen die Legitimität der Heranziehung 1 Hierauf stellt der BGH explizit ab bei der Frage, ob der Börsenkurs eine verlässliche Aussage über den Verkehrswert der Beteiligung trifft, BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359 (361) Rz. 23. 2 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (627). 3 Ausführliche Argumentation bei OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 ff. sowie OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11 – Rz. 212 ff. – Wella. 4 So auch Gärtner/Handke, NZG 2012, 247 (249). 5 Vgl. OLG Frankfurt v. 8.9.2016 – 21 W 36/15, AG 2017, 553 (553 f.) = ZIP 2017, 772 (774 f.). 6 Fleischer, AG 2014, 97, 113. Für eine solche Methodenvielfalt sprechen sich die in den „Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ des Arbeitskreises „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA vom Dezember 2012 (http://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikatio nen/Standards/DVFA_Best_Practice_Empfehlungen_Unternehmensbewertung.pdf) aus; das LG Köln empfiehlt in seinem Beschluss vom 8.9.2014 (Az. 82 O 2/09) eine Plausibilisierung der Unternehmensbewertung anhand der Best-Practice-Empfehlungen der DVFA. 7 S. im Einzelnen Rz. 18.86 f. zu den von den OLGs bisher entschiedenen Fällen, in denen wegen einer Marktverzerrung durch ein außerordentliches Ereignis der Börsenkurs letztlich nicht zugrunde gelegt worden ist. 8 Hierauf hinweisend LG Stuttgart v. 3.4.2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG, juris, Rz. 92, Hervorhebung hinzugefügt.

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.78 § 18

des Börsenpreises. Der BGH hat bereits in der DAT/Altana-Entscheidung1 deutlich gemacht, dass für die Heranziehung von Börsenpreisen ausreichend ist, dass „die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Gesellschaftsunternehmens […] zutreffend bewertet“.2 Für die Praxis erscheint es als eine gute Richtschnur, diejenigen Bewertungsmethoden zur Anwendung zu bringen, die (gedachte) Transaktionsbeteiligte nach der Lebenserfahrung zur Anwendung bringen würden, wenn sie bei einer (gedachten) Veräußerung des Gesamtunternehmens ihre jeweiligen Grenzpreise bestimmen würden. Ein solcher kommerziell realistischer, am common sense und transaktionellen Usance orientierter Modellrahmen erscheint auch für die rechtliche Angemessenheitsprüfung als der richtige gedankliche Ausgangspunkt.3 b) Maßgeblicher Stichtag für die Bestimmung des Börsenkurses Aus der DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG ergeben sich in Bezug auf den maßgeblichen Stichtag zwei Vorgaben: Zum einen besteht die Notwendigkeit, Kursmanipulationen entgegenzuwirken.4 Zum anderen muss der Stichtag so gelegt werden, dass tatsächlich auch der Betrag abgebildet wird, der bei einer freien Deinvestitionsentscheidung als Verkaufserlös erzielbar gewesen wäre, wenn die abfindungsrelevante Konzernierungsmaßnahme unterblieben wäre.5

18.77

Der BGH entschied sich in seinem Beschluss vom 12.3.2001 zunächst, „auf einen auf den Stichtag im Sinne des § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG bezogenen Durchschnittskurs abzustellen.“6 Er hielt einen Zeitraum von drei Monaten, der unmittelbar vor der Hauptversammlung der beherrschten AG liegt, für erforderlich, aber auch ausreichend. Das Gericht war sich dabei zwar des Umstands bewusst, dass ein so bestimmter Durchschnittskurs von der Ankündigung des Unternehmensvertrags beeinflusst sein würde.7 Es verkannte aber, dass es nach der DAT/ Altana-Entscheidung des BVerfG auf die durch die Konzernierungsmaßnahme verlorengegangene Deinvestitionsmöglichkeit ankommt, nicht hingegen auf die reale Deinvestitionsmöglichkeit zu einem von der Konzernierungsmaßnahme beeinflussten Kurs.8 Es geht also um einen hypothetischen Kausalverlauf.9

18.78

1 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417, Hervorhebung hinzugefügt. 2 Hieraus zieht das LG Stuttgart v. 3.4.2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG, juris, Rz. 93 den Schluss, dass eine vollständige Freiheit des Marktes von Marktasymmetrien nicht erforderlich sei, solange keine Anhaltspunkte für eine ineffiziente Bewertung der dem Kapitalmarkt zugänglich gemachten Informationen existieren. 3 Wozu dieser Ansatz für die Methodenauswahl im Einzelnen führt, ist in den genannten DVFA„Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ zusammengefasst. 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566. 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (308) = AG 1999, 566; vgl. auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 318. 6 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2082). 7 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2082). 8 Vgl. bereits Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 319. 9 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 320.

Adolff/Häller

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§ 18 Rz. 18.79

Dritter Teil: Querschnittsfragen

18.79 Nichtsdestotrotz folgte zunächst ein Großteil der Instanzgerichte1 dieser Rechtsprechung, und auch das BVerfG2 sah keinen Grund zur Beanstandung – wenngleich es von „gute[n] Gründen“3 für die andere Auffassung auf der Ebene des einfachen Rechts sprach. Nach diesem Fingerzeig des BVerfG und anhaltender Kritik in der Literatur4 gab der BGH seine Rechtsprechung im Stollwerck-Beschluss aus dem Jahr 2010 ausdrücklich auf5 und stellt seither auf eine dreimonatige Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme ab:6 „Zur Ermittlung des Börsenwerts taugt der Stichtagswert auch unter Einbeziehung eines Referenzzeitraums aber nicht, weil mit der Ankündigung einer Strukturmaßnahme an die Stelle der Markterwartung hinsichtlich der Entwicklung des Unternehmenswertes und damit des der Aktie innewohnenden Verkehrswertes die Markterwartung an die Abfindungshöhe tritt“.7

18.80 Gegebenenfalls sei bei längeren Zeiträumen zwischen Bekanntgabe und Hauptversammlung eine Anpassung im Wege der Hochrechnung vorzunehmen.8 Der BGH9 sowie die Oberlandesgerichte10 haben diese Rechtsprechung in der Folgezeit mehrfach bestätigt.

18.81 Die Kehrtwende des BGH ist sehr zu begrüßen. Sie ist im Schrifttum zu Recht positiv aufgenommen worden.11 Weiterhin umstritten ist eine Reihe von Detailfragen: – Kritisiert wurde die Ausnahme für „längere Zeiträume“ zwischen Bekanntgabe der Maßnahme und Tag der Hauptversammlung, die mangels klarer Vorgaben zu neuer Rechtsunsicherheit und erheblichen Problemen in der Praxis führen würde.12 Nach dem Stollwerck-

1 OLG Hamburg v. 31.7.2001 – 11 W 29/94, AG 2002, 406 (407); OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00, AG 2003, 329 (331); OLG Stuttgart v. 1.10.2003 – 4 W 34/93, AG 2004, 43 (44); OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01, AG 2005, 45 (47); OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 041/05 und 31 Wx 066/05, DNotZ 2006, 946 (947); OLG Frankfurt v. 2.11.2006 – 20 W 233/93, AG 2007, 403 (404); a.A. OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 – I-26 W 13/06 (AktE), AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427 (Ls.); OLG Frankfurt v. 30.3.2010 – 5 W 32/09, NZG 2010, 664; OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (710); OLG Stuttgart v. 18.12.2009 – 20 W 2/08, AG 2010, 513; vgl. im Übrigen die Nachweise bei Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 43 f. 2 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (120). 3 BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/SNI, AG 2007, 119 (121). 4 Siehe etwa Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 319; Bungert, BB 2003, 699 (701); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 46 f.; Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 88; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 70 Rz. 136; Stephan in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 104; Veil in Spindler/Stilz, 2. Aufl. 2010, § 305 AktG Rz. 61. 5 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 (1942) = AG 2010, 629. 6 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 = AG 2010, 629 (Ls.). 7 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 (1942) = AG 2010, 629. 8 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 (1944) = AG 2010, 629. 9 BGH v. 28.6.2011 – II ZB 10/10, AG 2011, 590. 10 Etwa OLG Stuttgart v. 17.3.2010 – 20 W 9/08, AG 2010, 510 (513); OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291; OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (751); OLG Frankfurt v. 30.8.2012 – 21 W 14/11, NZG 2012, 1382; OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 (670); OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE), AG 2017, 827 (831). 11 Siehe etwa Bungert/Wettich, BB 2010, 2227 (2228); Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (162); Hasselbach/Ebbinghaus, Der Konzern 2010, 467 (471); Paschos in Henssler/ Strohn, § 305 AktG Rz. 24. 12 Bungert/Wettich, BB 2010, 2227 (2228); Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (163); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 44 m.w.N.

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.81 § 18

Beschluss kann ein „längerer Zeitraum“ jedenfalls bei siebeneinhalb1 Monaten zwischen Bekanntgabe und Tag der Hauptversammlung vorliegen. Bei dreieinhalb Monaten wurde ein „längerer Zeitraum“ vom BGH verneint.2 Nach der neueren Literatur und instanzgerichtlichen Rechtsprechung (insb. des OLG Stuttgart) zeichnet sich ab, dass ein Zeitraum von – beispielsweise – bis zu sechs Monaten als „safe harbour“ anzusehen sein könnte.3 In diesem Sinne hat auch das OLG Saarbrücken geurteilt: Im Hinblick auf Aufwand für Bewertung, Prüfung und Vorbereitung der Hauptversammlung bestehe kein Anlass für Anpassungen, wenn die Zeitspanne zwischen der öffentlichen Bekanntgabe und dem Hauptversammlungsbeschluss weniger als sieben Monate betrage.4 Darüber hinaus hat das OLG Frankfurt in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 klargestellt, dass bei einer Verschmelzung eine Hochrechnung ggf. nicht erforderlich ist, wenn sich die an einem Index orientierte Hochrechnung der Börsenkurse der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften (die beide in demselben [Branchen-]Index gelistet waren) bei der gebotenen Verhältnisbildung herauskürzen, also zu keiner Verschiebung des Umtauschverhältnisses führen würde.5 Denn – anders als bei einem Squeeze-out – kommt es bei einer Verschmelzung „nicht auf die absolute Wertentwicklung des Börsenkurses, sondern nur auf die relative Wertentwicklung beider Börsenkurse an“.6 – Diskutiert wird außerdem die Frage, was genau unter der Bekanntgabe zu verstehen ist, von der ab die Referenzperiode zurückzurechnen ist. Primär – aber nicht zwingend7 – ist auf die Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 MMVO abzustellen.8 Bei pflichtwidriger Unterlassung soll es genügen, dass Abfindungsspekulationen einsetzen.9 Bei fehlender Ad-hocPflicht bzw. -Mitteilung sei auf sonstige hinreichend deutliche Kommunikation der Gesellschaft10 abzustellen.11 Im Grunde sei auf jede Form des Bekanntwerdens abzustellen,12 und zwar unabhängig davon, ob dieses Wissen durch gezielte Bekanntgabe oder auf sonstige belastbare Weise in den Markt gelangt,13 „sofern in der Mitteilung die unbedingte Ankündigung enthalten ist, die Strukturmaßnahme durchführen zu wollen, und zusätzlich offen gelegt wird, dass die Grundlagen geschaffen sind, diese Ankündigung in absehbarer Zeit 1 Im ursprünglichen Beschluss ist fälschlich noch von neun Monaten die Rede, vgl. Paschos in Henssler/Strohn, § 305 AktG Rz. 24. 2 BGH v. 28.6.2011 – II ZB 2/10 – Rz. 7, ZIP 2011, 1708 = AG 2011, 590. 3 OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 (422); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08, AG 2011, 560 (562); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49 (53); OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, Rz. 171 – juris; Paschos in Henssler/Strohn, § 305 AktG Rz. 24; Happ/Bednarz in FS Stilz, 2014, S. 219 (226); Hasselbach/Ebbinghaus, Der Konzern 2010, 467 (473); für achtmonatigen Zeitraum bei Verschmelzungen Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 46. 4 OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, Rz. 43 – juris = AG 2014, 866. 5 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, Rz. 147 – juris = AG 2010, 751. 6 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, Rz. 147 – juris = AG 2010, 751. 7 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 (1942) = AG 2010, 629. 8 So auch Bungert/Wettich, ZIP 2012, 449 (450); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 46a; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 43. 9 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 44; Schilling/Witte, Der Konzern 2010, 477 (480): für erste öffentliche Verlautbarung, die zu nachweisbarer Kursbeeinflussung führt; a.A. in Bezug auf letzteres Bungert/Wettich, ZIP 2012, 449 (451). 10 OLG Frankfurt v. 15.1.2016 – 21 W 22/13, Rz. 67 – juris = AG 2016, 667. Die Mitteilung vager Absichtserklärungen des Hauptaktionärs soll dagegen nicht ausreichend sein, OLG Frankfurt v. 21.12.2010 – 5 W 15/10, Rz. 40 – juris. 11 OLG Frankfurt v. 21.12.2010 – 5 W 15/10, Rz. 39, juris; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 44. 12 So Hasselbach/Ebbinghaus, Der Konzern 2010, 467 (471 f.). 13 OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, Ls. 1, Rz. 29 – juris = AG 2015, 789.

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§ 18 Rz. 18.81

Dritter Teil: Querschnittsfragen

umsetzen zu können“.1 Bloße Gerüchte haben hingegen außer Betracht zu bleiben, um einer ungerechtfertigten Vorverlagerung der Referenzperiode entgegen zu wirken.2 – Daneben wird für eine längere (teils aber auch kürzere)3 Referenzperiode als drei Monate plädiert, etwa für eine sechsmonatige „Regelfrist“, die bei Vorliegen besonderer Umstände verlängert oder eingegrenzt werden kann.4 c) Konkretisierung der Ausnahmen zur Börsenkursrechtsprechung

18.82 Von der obergerichtlichen Rechtsprechung konkretisiert wurden auch die Ausnahmen zu den DAT/Altana-Grundsätzen.5 Tendenziell wird dabei restriktiv verfahren.6 Nach der DAT/ Altana-Entscheidung des BGH kommt der Börsenwert als Untergrenze der Barabfindung bzw. der Bewertung bei der Ermittlung der Verschmelzungswertrelation nicht in Betracht, „wenn über einen längeren Zeitraum mit Aktien der Gesellschaft praktisch kein Handel stattgefunden hat, auf Grund einer Marktenge der einzelne außenstehende Aktionär nicht in der Lage ist, seine Aktien zum Börsenpreis zu veräußern oder der Börsenpreis manipuliert worden ist“.7 Der BGH bezieht sich dabei zwar auf das BVerfG, konkretisiert aber zugleich dessen Fallgruppeneinteilung. Die genannte Formulierung wird von vielen Oberlandesgerichten standardmäßig zitiert.8

18.83 Basierend auf der Rechtsprechung des BGH scheidet ein Rückgriff auf die Börsenkursrechtsprechung folglich dann aus, wenn der Börsenkurs den Verkehrswert der Aktien nicht widerspiegelt.9 Dies ist der Fall, wenn keine geordnete, ausgeglichene Preisbildung unter Ausschluss marktverzerrender Sonderfaktoren erfolgt (vgl. auch § 24 Abs. 2 BörsG).10 Insofern müssen die Tatgerichte der Frage nachgehen, inwieweit ein illiquider Markt, eine geringe Streuung der Papiere oder Marktverzerrungen die ordnungsgemäße Börsenpreisbildung beeinflussen mit der Folge, dass der Börsenkurs nicht mehr „belastbar“ ist.11 Dabei können diese Sachverhalte nicht immer trennscharf unterschieden werden, sondern bedingen sich häufig gegenseitig. In jedem Fall ist eine Begutachtung der Umstände des Einzelfalls erforderlich: 1 OLG Frankfurt v. 21.12.2010 – 5 W 15/10, Rz. 40 – juris. 2 OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15, AG 2017, 827 (832); OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13, AG 2016, 667 (670). 3 Weber, ZGR 2004, 280 (290): Ökonomisch sei eine Mittelung über deutlich längere Zeiträume als 5–20 Tage nicht zu rechtfertigen. 4 So Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 62; andere Literaturstimmen befürworten hingegen – meist unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO – die dreimonatige Referenzperiode, s. etwa Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 45 („als Richtschnur“); Paschos in Henssler/Strohn, § 305 AktG Rz. 24. 5 Zur Rechtsprechung des BVerfG s. bereits Rz. 18.53. 6 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 48 („ausgesprochen restriktiv“). 7 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2082), Hervorhebung hinzugefügt. 8 Vgl. etwa OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00 AktE, AG 2003, 329 (331); OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, AG 2007, 325 (329); OLG Düsseldorf v. 13.3.2008 – I-26 W 8/07 AktE, AG 2008, 498 (501); OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (751); OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01, AG 2005, 45 (47). 9 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = NZG 2001, 603 (604) = AG 2001, 417. 10 Vgl. Häller, Kapitalmarktrecht und Unternehmenssanierung in der Insolvenz, 2016, S. 83. 11 Eingehend hierzu Häller, Kapitalmarktrecht und Unternehmenssanierung in der Insolvenz, 2016, S. 82 ff.

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.85 § 18

Maßgeblich sind nicht allein abstrakte Kennzahlen oder Prozentsätze,1 sondern ob es in einer Gesamtschau der Umstände, unter Berücksichtigung von Kennzahlen, zu einer Beeinträchtigung des ordnungsgemäßen Börsenpreisbildung kommt.2 aa) Marktenge Der BGH stellt in seiner DAT/Altana-Entscheidung darauf ab, dass das für den Handel verfüg- 18.84 bare Volumen zu keinem Zeitpunkt geringer als 5 % gewesen sei und zieht daraus den Schluss, dass keine Marktenge vorlag.3 Nach einem Beschluss des OLG Düsseldorf kommt dem Börsenkurs jedenfalls dann keine Aussagekraft zu, wenn sich nur rund 1 % der Aktien im Streubesitz befindet und auch diese nur zu einem geringen Anteil gehandelt werden.4 In einem Fall des OLG München war zwar Marktenge angesichts eines freien Aktienanteils von 0,45 % zu bejahen, das Gericht erklärte den Börsenkurs wegen der bestehenden Kaufnachfrage aber dennoch für beachtlich.5 Das OLG Stuttgart hielt eine Marktenge bei maximal 4,7 % frei handelbaren Aktien für weder ausgeschlossen noch belegt.6 Ausreichend für eine Verneinung von Marktenge sei möglicherweise die vielfache Feststellung von Geldkursen. Es komme darauf an, ob der Börsenkurs ein reales Marktgeschehen wiedergibt.7 Das OLG Karlsruhe hat in einer jüngeren Entscheidung das Vorliegen von Marktenge verneint, obwohl nur 0,12 % Stückaktien im Referenzzeitraum gehandelt wurden, weil an 62 von 63 Börsentagen, d.h. an mehr als einem Drittel der Börsentage, ein Handel stattfand.8 bb) Fehlender Handel Gerade bei Aktien, die an der Wertpapierbörse lediglich im Freiverkehr gehandelt werden, bedarf es nach dem OLG Düsseldorf des besonderen Augenmerks darauf, „ob bei ihnen gleichwohl ein so liquider Börsenhandel stattfindet, dass die dabei erzielten Börsenpreise auch den Verkehrswert widerspiegeln“.9 Das OLG München lehnte eine Ausnahme im Sinne der Fallgruppe bei einem Sachverhalt ab, in dem innerhalb der Referenzperiode nur an drei Handelstagen weniger als 100 Aktien, im Schnitt aber über 2.300 Stückaktien gehandelt wurden.10 In einem in der Folgezeit vom OLG München entschiedenen Fall wurde der Börsenkurs nicht zur Bemessung herangezogen, weil kein hinreichend liquider Handel stattgefunden hat und wertrelevante Informationen keinen Niederschlag in der Kursentwicklung gefunden haben.11 Für den Fall, dass sich zwar über 90 % der Aktien in der Hand der herrschenden Gesellschaft 1 Insofern soll als grundsätzlicher Indikator auf die Regelung in § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO zurückgegriffen werden können, so OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, Ls. 1, Rz. 36 – juris = AG 2015, 789. Das OLG Frankfurt v. 16.1.2017 – 21 W 75/15 = AG 2017, 790 (792 f.) hält das Abstellen allein auf § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO hingegen für nicht ausreichend. 2 Vgl. OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 041/05 und 31 Wx 066/05, DNotZ 2006, 946 (947), das trotz negativer Kennzahlen den Börsenkurs aufgrund der Umstände des Einzelfalls für aussagekräftig hielt. Ebenso Häller, Kapitalmarktrecht und Unternehmenssanierung in der Insolvenz, 2016, S. 89. 3 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2083). 4 OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, AG 2007, 325 (329). 5 OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 041/05 und 31 Wx 066/05, DNotZ 2006, 946 (947). 6 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (715). 7 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (715). 8 OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17 = ZIP 2018, 122 (125). 9 OLG Düsseldorf v. 13.3.2008 – I-26 W 8/07 AktE, AG 2008, 498 (501), Hervorhebung hinzugefügt. 10 OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (752). 11 OLG München v. 17.7.2014 – 31 Wx 407/13, AG 2014, 714 = AG 2014, 714.

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18.85

§ 18 Rz. 18.85

Dritter Teil: Querschnittsfragen

befinden, aber Kursschwankungen zu verzeichnen sind, die das Stattfinden von Handel belegen, verneinte das OLG Karlsruhe die Voraussetzungen der Ausnahme.1 Bejaht wurde diese hingegen vom OLG Stuttgart angesichts des im konkreten Fall „außerordentlich geringen Transaktionsvolumens“.2 In einer jüngeren Entscheidung stufte das OLG Karlsruhe den Börsenkurs trotz geringen Handels an lediglich 15 Tagen als belastbar ein, weil die Entwicklung des Börsenkurses stabil gewesen und sich eine Kursveränderung um mehr als 5 % im Referenzzeitraum lediglich an zwei, nicht aufeinander folgenden Tagen ergeben habe.3 cc) Kursanomalien und Marktverzerrung

18.86 Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf soll der Börsenkurs für die Squeeze-out-Abfindung auch dann nicht maßgebend sein, wenn er noch durch ein Abfindungsangebot aus einem Unternehmensvertrag geprägt war.4 Das OLG Stuttgart ging in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 davon aus, dass es sich beim sog. Konglomeratsabschlag um ein Kapitalmarktphänomen handele, das zu einer Unterbewertung des Unternehmens und damit auch einem insoweit ineffizienten Kapitalmarkt führe.5

18.87 Nach dem OLG Frankfurt sowie dem OLG München ist der Börsenwert im Übrigen auch dann nicht heranzuziehen, wenn sonstige „auffällige Kursanomalien“ zu beobachten sind.6 Besonders sorgfältig begründet ist in diesem Zusammenhang die Hoechst-Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahr 2013:7 In diesem Fall hielt das Gericht den Börsenkurs letztlich für nicht hinreichend aussagekräftig zum Zwecke der Schätzung des (quotalen) Unternehmenswerts, da im Jahreszeitraum vor der Bekanntgabe zwei außerordentliche Kurssprünge zu verzeichnen waren, eine Kursverzerrung durch ein vorhergehendes öffentliches Übernahmeangebot nahe lag, bei Squeeze-out-Fällen generell nur noch ein prozentual geringer Teil der Aktien dem Handel zur Verfügung steht und „jedenfalls eine extrem hohe Marktliquidität“ nicht gegeben war. In toto lagen somit so viele Anzeichen für einen „verzerrten Börsenkurs“ vor, dass dieser als Grundlage der Angemessenheitsprüfung als letztlich ungeeignet erachtet wurde. 2. Abfindung in Aktien und Konzernverschmelzung a) Entwicklung der Rechtsprechung: Methodengleichheit und Meistbegünstigung

18.88 Der BGH8 sprach in seiner DAT/Altana-Entscheidung von der „Schaffung möglichst gleiche[r] Ausgangsvoraussetzungen für die Bestimmung der Wertrelation“.9 Ein Teil der Literatur10 sowie die Instanzgerichte11 entwickelten (u.a.) hieraus den „Grundsatz der Methodengleichheit“ 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

OLG Karlsruhe v. 5.5.2004 – 12 W 12/01, AG 2005, 45 (47). OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291. OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, Ls. 1, Rz. 37 – juris = AG 2015, 789. OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – I-26 W 7/06 AktE, AG 2007, 325 (329). OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (708). OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (756); OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (752). OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12 – Hoechst, NZG 2014, 464. Zur Rechtsprechung des BVerfG s. unter Rz. 18.53. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (121) = AG 2001, 417 = NJW 2001, 2080 (2083). Etwa Hüttemann, ZGR 2001, 454 (464). Bay ObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, BayObLGZ 2002, 400 (408); OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00 AktE – Siemens/SNI, AG 2003, 329 (334); OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 –

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Adolff/Häller

Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.89 § 18

wonach beide zu bewertenden Unternehmen nach derselben Methode beurteilt werden müssen. In der Literatur ist dieser Grundsatz hoch umstritten.1 Verfassungsrechtlich ist er jedenfalls nicht gefordert.2 Die Komplexität der Rechtsentwicklung zum Aktientausch (bei der Abfindung in Aktien und 18.89 bei der Konzernverschmelzung) hat ihre Ursache vor allem in den Wechselwirkungen zwischen den Grundsätzen der Methodengleichheit und der Meistbegünstigung. Der BGH hat diese Komplexität zusätzlich dadurch gesteigert, dass er die Frage, inwieweit der börsenbasierten Bewertung (bei diesen Fallgruppen) ein Ertragswertgutachten entgegengehalten werden kann, für die Ebene der Unter- und der Obergesellschaft zunächst unterschiedlich beantwortete: – Auf der Ebene der Untergesellschaft hat ein Minderheitsgesellschafter nach der DAT/ Altana-Entscheidung des BGH die Möglichkeit, ein traditionelles Bewertungsgutachten (z.B. Ertragswertverfahren nach IDW S 1) vorzulegen und nachzuweisen, dass der so ermittelte quotale Unternehmenswert höher ist als die Börsenkapitalisierung.3 Auf dieser Ebene galt somit auch bei Tauschfällen uneingeschränkt das Meistbegünstigungsprinzip.4 – Anders entschied der BGH für die Ebene der Obergesellschaft.5 Auch hier entspreche, so das Gericht, der Börsenkurs grundsätzlich dem Verkehrswert. Jedoch soll hier ein (ertragswertbasiertes) Sachverständigengutachten über den Unternehmenswert nicht genügen, um eine Abweichung von Börsenwert und Verkehrswert nachzuweisen. Vielmehr bedürfe es der Darlegung und des Beweises von Umständen, aus denen auf die Abweichung des Börsenkurses vom Verkehrswert zu schließen ist.6 Als Beispiel wird die „schlechte Verfassung der Kapitalmärkte“ genannt, die sich nicht nur im Börsenkurs des herrschenden Unternehmens, sondern auch in den Kursen der Indizes niedergeschlagen haben muss.7 Somit war –

1

2 3 4 5 6 7

19 W 6/00 AktE – Veba, AG 2003, 688 (693); OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (752); OLG Karlsruhe v. 10.1.2006 – 12 W 136/04 – Rheinmetall/Aditron, AG 2006, 463 (464); OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2006, 420 (427); s. auch Rz. 21.119. Pro Methodengleichheit: Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 48a; Hüttemann, ZGR 2001, 454 (464); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 47; W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015 (1030); Paschos in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 305 AktG Rz. 25; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 95; Piltz, ZGR 2001, 185 (203 f.); Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 107, 109. Contra Methodengleichheit: Krieger in MünchHdb. AG, 4. Aufl. 2015, § 71 Rz. 141; Martens, AG 2003, 593; für den Fall, dass Untergesellschaft Bewertungsart vorgeben soll Wasmann in FS V. Beuthien, 2009, S. 267 (280). Zur Klarstellung: mit Methodengleichheit ist hier die Frage gemeint, ob „oben“ und „unten“ einheitlich entweder konsistent Börsenwerte oder konsistent Ertragswerte in die Verschmelzungswertrelation einzustellen sind – zu der hiervon zu trennenden Frage der Binnen-Konsistenz innerhalb derselben Methode (also bei der Ertragswertmethode beispielsweise: gleicher Stichtag, gleiche Makro-Annahmen, gleiches Bewertungskalkül, gleiche Form der Berücksichtigung von Inflation und/oder persönlicher Steuern etc.) vgl. Bungert, Rz. 22.24. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566; BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129). BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417. Siehe auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 455. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (122) = AG 2001, 417; dazu Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 455 f. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (122) = AG 2001, 417. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 (122) = AG 2001, 417.

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§ 18 Rz. 18.89

Dritter Teil: Querschnittsfragen

solange der Markt intakt ist – bei der Obergesellschaft grundsätzlich der Börsenwert anzusetzen. Das Meistbegünstigungsprinzip war auf dieser Ebene erheblich eingeschränkt.

18.90 Zu welchen Ergebnissen man gelangt, wenn man in dieser Weise den (auf die Untergesellschaft fokussierten) Meistbegünstigungsgedanken mit einem strikten Gebot der Methodengleichheit kombiniert, zeigt die darauf folgende oberlandesgerichtliche Rechtsprechung des OLG Düsseldorf: – Das OLG Düsseldorf ging in seiner Siemens/SNI-Entscheidung1 aus dem Jahr 2003 nach folgendem Muster vor: Es bewertete zuerst in Anwendung der DAT/Altana-Grundsätze die Untergesellschaft nach ihrem Börsenwert, da dieser im konkreten Fall höher lag als der nach der Ertragswertmethode ermittelte Fundamentalwert. Sodann bewertete es die Obergesellschaft ebenfalls – und obwohl deren Fundamentalwert höher gewesen wäre – nach dem Börsenwert und begründete dies mit dem Grundsatz der Methodengleichheit. Das BVerfG billigte dieses Vorgehen.2 – Dieselbe Herangehensweise wandte das OLG Düsseldorf im Fall Veba an, nur dass hier der Ertragswert der Untergesellschaft höher war als der Börsenwert, dieser damit für diese zur Anwendung kam und sodann nach dem Grundsatz der Methodengleichheit auch die Obergesellschaft nach dem Ertragswertverfahren bewertet wurde.3 Im Ergebnis wendet das OLG Düsseldorf also auf Ebene der Untergesellschaft das Meistbegünstigungsprinzip an, und sodann auf der Ebene der Obergesellschaft den Grundsatz der Methodengleichheit.4

18.91 Wie weit im Ergebnis der Schutz reicht, den diese Herangehensweise (Kombination des Meistbegünstigungsgedankens mit einem strikten Gebot der Methodengleichheit) den Aktionären der Untergesellschaft gewährt, hängt freilich vom Zufall der jeweiligen Fallkonstellation ab. Denn für den Schutz des Minderheitsaktionärs der Untergesellschaft ist letztlich nicht entscheiden, bei welcher Art der Bewertung seine Untergesellschaft stand alone mehr wert ist, sondern allein, welche Wertrelation – Fundamentalwertrelation nach Ertragswerten vs. Marktwertrelation nach Börsenkursen – für ihn günstiger ist. Das eine ergibt sich aber keineswegs aus dem anderen: Liegt beispielsweise die Börsenkapitalisierung der Untergesellschaft (geringfügig) über dem Ertragswert, und zugleich auch die Börsenkapitalisierung der Obergesellschaft (erheblich) über dem Ertragswert, so gibt man den Minderheiten nach der Herangehensweise des OLG Düsseldorf Steine statt Brot: Zwar wird ihre Gesellschaft stand alone etwas günstiger bewertet. Da die Börsenwertrelation aber in diesem Beispiel für sie im Endeffekt ungünstiger ist als die Ertragswertrelation (die Obergesellschaft wird, relativ gesehen, sehr „schwer“), bekommen sie weniger Obergesellschaftsaktien als Kompensation für den Verlust ihrer Untergesellschaftsaktien.

18.92 Einige Literaturstimmen, die dieses Dilemma erkannt haben, wollen das Meistbegünstigungsprinzip so verstanden wissen, dass bei beiden Gesellschaften der jeweils höhere Wert zugrunde zu legen sei.5 Diese Ansicht verzichtet also auf die Verknüpfung des Grundsatzes 1 OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00 AktE – Siemens/SNI, AG 2003, 329. 2 Siehe unter Rz. 18.54. 3 OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE – Veba, AG 2003, 688 (693); zustimmend Hüffer/ Koch, § 305 AktG Rz. 46. 4 Zustimmend Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 109 und wohl auch Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 69. 5 Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 161 f.; Martens, AG 2003, 593 (599).

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.94 § 18

der Methodengleichheit mit dem Meistbegünstigungsprinzip in der vom OLG Düsseldorf eingeführten Weise. Eine weitere Möglichkeit, Meistbegünstigung zu gewähren, läge darin, sowohl die Börsenkursrelation als auch die Fundamentalwertrelation zu bestimmen, und es sodann den Minderheitsgesellschaftern der Untergesellschaft zu gestatten, sich auf die günstigere Relation zu berufen. Dies entspräche einer konsequenten Übertragung des Deinvestitionsgedankens auf die Fallgruppen der Abfindung in Aktien und der Konzernverschmelzung (s. schon Rz. 18.57). In der jüngeren Rechtsprechung zeichnen sich jedoch Tendenzen ab, dass der Grundsatz der Meistbegünstigung auch bei Konzernverschmelzungen nicht mehr aufrechterhalten wird. Stattdessen wird der Börsenwert der beherrschten Gesellschaft als Untergrenze für deren Bewertung herangezogen:

18.93

– In diesem Sinne hat das OLG München in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 entschieden: „[D]as Vorliegen einer Beherrschungssituation rechtfertigt es, denjenigen, in dessen Interesse der Vertrag geschlossen wird, mit dem Risiko einer sachgerechten Bewertung zu belasten und ihm, auch wenn der Ertragswert geringer ist als der Börsenwert, zum Schutz des Eigentums derjenigen Anteilsinhaber, deren Interessen aufgrund der Beherrschungssituation durch die Maßnahme gefährdet sind, eine Abfindung zum Börsenwert im Sinne einer Untergrenze aufzuerlegen“.1 – Das OLG Frankfurt entschied im Jahr 2016 in einem Fall der Konzernverschmelzung zweier Gesellschaften auf eine neu gegründete Gesellschaft, dass der Börsenkurs der beherrschten Gesellschaft als Untergrenze für die Feststellung der Verschmelzungswertrelation maßgeblich sei.2 Das OLG Frankfurt macht dabei – unter Verweis auf die jüngeren Tendenzen in der Rechtsprechung des BGH zu Barabfindungen3 (s. dazu eingehend Rz. 18.67 ff., 18.73 ff.) – deutlich, dass der Unternehmenswert allein anhand des Börsenwerts erfolgen könne, also nicht zwingend – im Sinne einer Meistbegünstigung – auch eine Bewertung nach der Ertragswertmethode erfolgen müsse.4 b) Stellungnahme Ausgangspunkt für den sachgerechten Umgang mit dieser komplexen Fragestellung sind die bereits gewonnenen Ergebnisse zum Meistbegünstigungsprinzip bei der Barabfindung (s. Rz. 18.73 ff.). Überträgt man diese auf die Abfindung in Aktien und die Konzernverschmelzung, so ergibt sich das folgende Bild: – Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts „unten“ und „oben“: In die Relationalbewertung ist für beide beteiligten Rechtsträger der (gedachte) Preis einzustellen, der sich nach der Liquidationshypothese bei einer Veräußerung des Gesamtunternehmens (unter Modellbedingungen) ergeben hätte. Auf beiden Seiten stehen hierfür, wie dargelegt, unterschiedliche Approximationsmethoden zur Verfügung. Unter den richtigen tatsächlichen Bedingungen (liquider Markt, keine Manipulation, keine Kursverzerrung durch besondere Ereignisse) wird im Einzelfall die börsenkursbasierte Herangehensweise eine geeignete Methode sein; unter abweichenden Bedingungen wird es in einem anderen Einzelfall die Er1 OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (751). 2 OLG Frankfurt v. 15.1.2016 – 21 W 22/13, Rz. 77 ff., juris = AG 2016, 667 (671). 3 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359. 4 OLG Frankfurt v. 15.1.2016 – 21 W 22/13, Rz. 65 f., juris = AG 2016, 667 (670).

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18.94

§ 18 Rz. 18.94

Dritter Teil: Querschnittsfragen

tragswertmethode sein. In jedem Fall handelt es sich um eine betriebswirtschaftliche Frage, mit welcher dieser Approximationsmethoden man dem rechtlich vorgegebenen Modellrahmen der Liquidationshypothese an ehesten gerecht wird. Diese Frage ist zunächst stand alone sowohl für die Obergesellschaft als auch für die Untergesellschaft gesondert zu beantworten. Ist im Einzelfall auf beiden Ebenen dieselbe Approximationsmethode stand alone angemessen, so gelangt man zwanglos zur Methodengleichheit. Ist sie es nicht, gilt es eine Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen den Bewertungsunschärfen, die man sich durch die Methodenverschiedenheit einhandelt, und den Bewertungsunschärfen, die man in Kauf nimmt, wenn man im Interesse der Methodengleichheit auf der Ebene einer der beiden Gesellschaften die stand alone als inferior identifizierte Approximationsmethode akzeptiert. Auch bei dieser Abwägungsentscheidung geht es im Kern um eine betriebswirtschaftliche Frage, für die das Recht keine starren Vorgaben macht (außer der sorgfältigen Begründung der jeweiligen Methoden-Auswahlentscheidung, dazu schon Rz. 18.40). – Asymmetrische Berücksichtigung des Deinvestitionsgedankens: Wie dargelegt, würde aus dem konsequent zu Ende geführten Deinvestitionsgedanken für die Fälle der Abfindung in Aktien und der Konzernverschmelzung folgen, dass der Minderheitsaktionär der Untergesellschaft so gestellt werden muss, wie wenn er (i) seine Untergesellschaftsaktien an der Börse veräußert und an demselben Tag (ii) Obergesellschaftsaktien an der Börse erworben hätte. Aus dem konsequent zu Ende geführten Deinvestitionsgedanken würde somit für die hier erörterten Fälle der Grundsatz „Börsenwertrelation als Untergrenze für das Umtauschverhältnis“ folgen. Die Minderheitsaktionäre der Untergesellschaft könnten dann jedes Umtauschverhältnis zurückweisen, das für sie im Ergebnis ungünstiger ist als die Börsenwertrelation. Wie ebenfalls dargelegt, hat sich das BVerfG aber (wiederholt und mit großen Nachdruck) gegen diese konsequente Durchführung des Deinvestitionsgedankens entschieden. Aus dem abgeschwächten Deinvestitionsgedanken des BVerfG folgt (nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung) somit eine asymmetrische Untergrenze für die Relationalbewertung: – Zusätzliche Anforderungen ergeben sich aus dem Deinvestitionsgedanken nur für eine der beiden Komponenten der Relationalbewertung, nämlich für die Bewertung der Untergesellschaft: Diese darf nicht geringer sein als die Börsenkapitalisierung. – Für die Bewertung der Obergesellschaft ergeben sich aus dem Deinvestitionsgedanken keine Konsequenzen. Für sie kommt es allein auf den (quotalen) Gesamtunternehmenswert an. Für diesen gilt das bereits Gesagte: Es muss die nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Approximationsmethode für die Ermittlung des Gesamtunternehmenswerts ausgewählt werden, sei es die Börsenkapitalisierung, sei es der Ertragswert – und wenn dies aufgrund der Abwägung in Einzelfall geboten ist, auch einmal ohne Rücksicht auf die Methodengleichheit1.

18.95 Insgesamt steht somit die folgende Herangehensweise zurzeit am ehesten mit dem derzeit erreichten (nicht vollständig befriedigenden) Stand der Rechtsentwicklung im Einklang: – Schritt 1: Für die Untergesellschaft muss nach der im Einzelfall geeignetsten Approximationsmethode ein Gesamtunternehmenswert ermittelt werden, wobei die Börsenkapitalisierung die Untergrenze bildet.2 1 Vgl. auch Wicke in FS Stilz, 2014, S. 707 (716). 2 Dabei sollte aber beachtet werden, dass in Schritt 1 der Börsenwert lediglich eine Untergrenze ist, die sich aus der teilweisen Aufrechterhaltung des Deinvestitionsgedankens ergibt. Diese Untergrenze ist sozusagen ein vom BVerfG vorgegebener floor für die Euro-Zahl, die als Gesamtunterneh-

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Börsenkurs und Unternehmensbewertung

Rz. 18.97 § 18

– Schritt 2: Für die Obergesellschaft muss nach der im Einzelfall geeignetsten Approximationsmethode ein Gesamtunternehmenswert ermittelt werden, wobei die Börsenkapitalisierung nicht die Obergrenze bildet. Auch besteht kein Zwang, in strikter Befolgung eines Grundsatzes der Methodengleichheit die für die Untergesellschaft gewählte Bewertungsmethode „blind“ auf die Bewertung der Obergesellschaft zu übertragen. Vielmehr ist differenzierter vorzugehen: Bei der Suche nach der geeignetsten Approximationsmethode in Schritt 1 und Schritt 2 ist der Stellenwert der Zielsetzung der Methodengleichheit eine in erster Linie betriebswirtschaftliche Frage: Methodenverschiedenheit führt zu Unsicherheiten und Unschärfen, aber ebenso die Wahl einer an sich (stand alone) als inferior identifizierten Approximationsmethode für den Gesamtunternehmenswert „oben“ oder „unten“. Hier muss das kleinere Übel gewählt werden und diese Auswahlentscheidung ist sorgfältig zu begründen. – Schritt 3: Die beiden in dieser Weise ermittelten Gesamtunternehmenswerte müssen zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Aus dieser Verschmelzungswertrelation ergibt sich linear (in einer rein mechanischen Rechenoperation) das Umtauschverhältnis. Bei dieser Vorgehensweise ist selbstverständlich, dass, wenn ein beteiligter Rechtsträger nicht 18.96 börsennotiert ist, eine Berücksichtigung des Börsenkurses für diesen Rechtsträger ausscheidet. Ist nur die Untergesellschaft börsennotiert, so bleibt es allerdings dabei, dass ihre Börsenkapitalisierung die Untergrenze für den Gesamtunternehmenswert bildet, mit dem sie in die Relationalbewertung eingestellt wird. Übersteigt in diesem Fall die Börsenkapitalisierung der Untergesellschaft deren Ertragswert, dann ist im Ergebnis für die Untergesellschaft die höhere Börsenkapitalisierung maßgeblich. Dies gilt selbst dann, wenn die Obergesellschaft nicht börsennotiert und daher (nur) auf ihren Ertragswert abgestellt werden kann.1 3. Echte Fusion („merger of equals“) Die Rechtsprechung der Fachgerichte zum merger of equals ist übersichtlich, nicht zuletzt we- 18.97 gen der Seltenheit solcher echter Unternehmenszusammenschlüsse im Vergleich zu Konzernverschmelzungen.2 Das BayObLG entschied im Jahr 2002 über einen merger of equals und konstatierte den fehlenden Interessengegensatz zwischen Groß- und Minderheitsaktionären in dieser Fallgestaltung.3 Die Anwendung der Börsenkursrechtsprechung des BVerfG sei daher nicht geboten. In dieselbe Richtung geht das OLG Stuttgart mit seiner Entscheidung Wüstenrot und Württembergische: „Wegen der Interessenkongruenz unter den jeweiligen Anteilseignern eines jeden Rechtsträgers bedarf es dabei weder aus einfach- noch aus verfassungsrechtlicher Sicht eines weitergehenden Schutzes von Minderheitsaktionären, wie er gegen Maßnahmen eines herrschenden, von gegengerichteten In-

menswert der Untergesellschaft in die Verschmelzungswertrelation eingestellt werden darf. Mehr ist sie aber nicht, d.h. insbesondere ist sie kein Indikator dafür, dass im jeweiligen Einzelfall die börsenwertbasierte Bewertung für die Ermittlung des quotalen Gesamtunternehmenswerts (Fundamentalwert) methodisch angemessener ist als die ertragswertbasierte Bewertung (für die Unteroder Obergesellschaft). 1 Anders Bungert, Rz. 22.24 (Methodendivergenz nur in Ausnahmefällen). 2 Vgl. Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (183, 185). 3 BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, BayObLGZ 2002, 400 (407) = AG 2003, 569. Eingehend dazu oben Rz. 18.5 ff.

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§ 18 Rz. 18.97

Dritter Teil: Querschnittsfragen

teressen geleiteten Mehrheitsaktionärs durch Ansatz eines Mindestwerts in Form des Börsenkurses der Aktien bzw. des Börsenwerts des Unternehmens erforderlich ist“.1

Die an sich wegweisende, vom BVerfG aber letztlich verworfene Entscheidung des OLG Stuttgart Daimler/Chrysler2 wurde oben bereits eingehend erörtert (s. Rz. 18.59 ff.). Auch das OLG Frankfurt wollte dem in freier Verhandlung ermittelten Umtauschverhältnis die Vermutung der Richtigkeit beimessen.3

18.98 Das BVerfG lehnte das Verhandlungsmodell im Jahr 2012 jedoch ab und übertrug – ungeachtet des fehlenden Interessengegensatzes – mit der Daimler/Chrysler-Entscheidung die DAT/ Altana-Grundsätze ausdrücklich auf den merger of equals.4 Mangels genauer Vorgaben, wie diese Übertragung gestaltet sein soll, herrscht Rechtsunsicherheit.5 Die Aufgabe der Fachgerichte besteht seither darin, die Entscheidung des BVerfG praxistauglich umzusetzen. Das OLG München betonte bereits in einem obiter dictum – und zwar nach der Daimler/ChryslerEntscheidung des BVerfG – die Verschiedenheit der Interessenlagen bei Konzernverschmelzung und merger of equals.6 Die grundlegend verschiedenen Interessenlagen betont auch das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2016.7 Vor diesem Hintergrund hat das OLG Düsseldorf in diesem Verfahren, in dem die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses auf Grundlage der Ertragswertrelation bestimmt wurde, auch die Heranziehung der Börsenwertrelation als Untergrenze für das Umtauschverhältnis abgelehnt, ohne sich dabei jedoch explizit mit der Daimler/Chrysler-Entscheidung des BVerfG auseinanderzusetzen.8

18.99 Nach der hier vertretenen Auffassung (s. unter Rz. 18.2 f.) findet der Deinvestitionsgedanke auf den merger of equals keine Anwendung. Damit ist allein die Fundamentalwertrelation maßgeblich.9 Ob man sich bei deren Ermittlung eher an Ertragswerten oder eher an Börsenkursen zu orientieren hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Für deren Beantwortung kommt es insbesondere darauf an, wie die Allokations- und Informationseffizienz des jeweiligen konkret maßgeblichen Aktienmarkts im jeweilig relevanten Zeitraum (betriebswirtschaftlich) beurteilt wird (s. unter Rz. 18.63).

1 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Wüstenrot und Württembergische, AG 2006, 421 (427). 2 OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Daimler/Chrysler, AG 2011, 49. Zum Verhältnis von Ergebniskontrolle und Verfahrenskontrolle bei merger of equals vgl. Adolff, ZHR 173 (2009), S. 67 (72). 3 OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09, ZIP 2010, 729 (730); zur Ablehnung des Verhandlungsmodells durch das BVerfG in Daimler/Chrysler s. aber oben unter Rz. 18.61. 4 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675), dazu oben unter Rz. 18.61. 5 Kritisch auch Rz. 22.22. 6 OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (751): kein Interessengegensatz beim merger of equals. 7 OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/Krupp Rz. 62 – juris = AG 2017, 827. 8 OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/Krupp Rz. 59 – juris = AG 2017, 827. 9 Ebenso schon Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 474.

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§ 19 Vorerwerbspreise I. Abgrenzung des Begriffs „Vorerwerbspreise“ . . . . . . . . . . . II. Aussagekraft von Vorerwerbspreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr . . 2. Unveränderte Verhältnisse am Bewertungsstichtag . . . . . . . . . . . . 3. Erworbene Anteilsquote . . . . . . . . 4. Vergleich zur Bewertung zum Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vergleich mit dem Multiplikatorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vergleich mit dem Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonderfragen bei der Wertermittlung mit Vorerwerbspreisen . IV. Gesetzliche Vorschriften zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen . . . . . . . . . . . . . . 1. Mindestpreis bei Übernahmeoder Pflichtangeboten nach dem WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-out nach dem WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Delisting vom regulierten Markt nach § 39 BörsG . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeiner Wert nach dem BewG . . 5. Beizulegender Zeitwert nach § 255 Abs. 4 HGB . . . . . . . . . . . . . 6. Beizulegender Zeitwert („Fair Value“) nach IFRS 13 . . . . . V. Vorerwerbspreise in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BVerfG: Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag – DAT/Altana (1999) . . . . . . . . . b) BGH: Squeeze-out – Stollwerck (2010) . . . . . . . . . .

19.1 19.4 19.6 19.10 19.14 19.17 19.20 19.22 19.26

19.33 19.36 19.40 19.46 19.50 19.53 19.57 19.64 19.66 19.67 19.70

c) OLG-Entscheidungen (1994–2019) . . . . . . . . . . . . . . . 19.71 d) Ausgewählte LG-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.86 aa) LG Stuttgart (2018) . . . . . 19.87 bb) LG Frankfurt (2014) . . . . . 19.88 cc) LG Hannover (2011) . . . . . 19.91 dd) LG Köln (2009) . . . . . . . . . 19.94 2. Sonstige Bewertungsanlässe . . . . . 19.98 a) BGH: Pflichtteilsergänzungsanspruch (1982) . . . . . . . . . . . . 19.99 b) OLG Köln: Auskunftsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.100 c) OLG Dresden: Zugewinnausgleich (2008) . . . . . . . . . . . . 19.101 d) Ausgewählte BFH-Entscheidungen (1980–2016) . . . . . . . . 19.103 VI. Vorerwerbspreise in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorerwerbspreis ist kein Grenzpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrang von Marktpreisen . . . . . . 3. WpÜG analog anwendbar . . . . . . . VII. Thesen zur Relevanz von Vorerwerbspreisen . . . . . . . . . . . . 1. Verwendung als Mindestpreis nur im Ausnahmefall . . . . . . . . . . 2. Wichtiger Wertindikator für den Unternehmenswert . . . . . . . . . a) Sorgfältige Analyse der Umstände erforderlich . . . . . . . b) Vorrang von Marktpreisen in IFRS 13 methodisch anerkannt . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang vor Multiplikatoren . . d) Fundamentalanalytische Verfahren unverzichtbar . . . . . . e) Kalibrierung der Bewertungsannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Paketzuschlag erfordert Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . .

19.111 19.114 19.121 19.130 19.134 19.135 19.139 19.141 19.145 19.149 19.150 19.155 19.160

Schrifttum: Austmann, Der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out nach dem 3. UmwÄndG 2011, NZG 2011, 684; Behnke, BVerfG: Verfassungswidrigkeit der Nichtberücksichtigung des Börsenkurses für Abfindungs-/Ausgleichsanspruch von außenstehenden/ausgeschiedenen Aktionären, NZG 1999, 931; Bode, Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen und Paketzuschlägen bei der Ermittlung der Barabfindung, Der Konzern 2010, 529; Böttcher/Habighorst/Schulte (Hrsg.), Umwandlungsrecht, 2. Aufl.

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§ 19 Rz. 19.1

Dritter Teil: Querschnittsfragen

2019; Busse von Colbe, Der Vernunft eine Gasse: Abfindung von Minderheitsaktionären nicht unter dem Börsenkurs ihrer Aktien, FS Lutter, 2000, S. 1053; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Gei/Kiesewetter, Praxisrelevante Aspekte öffentlicher Übernahmen in Zeiten volatiler Märkte, AG 2012, 741; Götz, Entschädigung von Aktionären abseits der Kapitalmarktbewertung?, DB 1996, 259; Habersack, Auf der Suche nach dem gerechten Preis – Überlegungen zu § 31 WpÜG, ZIP 2003, 1123; Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019; Handelsrechtsausschuss des Deutscher Anwaltsverein e.V., Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins e.V. zur Ergänzung des AktG durch einen Titel „Aktienerwerb durch den Hauptaktionär“, NZG 1999, 850; Handelsrechtsausschuss des Deutscher Anwaltsverein e.V., Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins e.V. vom April 2001, NZG 2001, 420; Hachmeister/Ruthardt, Die Bedeutung von Börsenkursen und Vorerwerbspreisen im Rahmen von Unternehmensbewertungen, DB 2014, 1689; Hüttemann, Börsenkurs und Unternehmensbewertung, ZGR 2001, 454; Hüttemann, Rechtliche Vorgaben für ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; IDW (Hrsg.), WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking 2013, S. 603; Küting/Cassel, Zur Hierarchie der Unternehmensbewertungsverfahren bei der Fair Value-Bewertung, KoR 2012, 322; Krieger, Squeeze-out nach neuem Recht: Überblick und Zweifelsfragen, BB 2002, 57; Land/Hennings, Aktuelle Problem von Spruchverfahren nach gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen, AG 2005, 380; Leyendecker/Herfs, Mindestpreis- und Preisanpassungsregelungen bei Delistingangeboten, BB 2018, 643; Lutter, Materielle und förmliche Erfordernisse eines Bezugsrechtsausschlusses – Besprechung der Entscheidung BGHZ 71, 40 (Kali und Salz), ZGR 1979, 401; Luttermann, Zum Börsenkurs als gesellschaftsrechtliche Bewertungsgrundlage, ZIP 1999, 45; Möllmann, Erbschaft- und schenkungssteuerliche Unternehmensbewertung anhand von Börsenkursen und stichtagsnahen Veräußerungsfällen, BB 2010, 407; W. Müller, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, FS Bezzenberger 2000, S. 705; Petersen/Zwirner, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, 2009; Piltz, Unternehmensbewertung und Börsenkurs im aktienrechtlichen Spruchstellenverfahren, ZGR 2001, 185; Rathausky, Die Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen und Synergieeffekten bei der Abfindung von Minderheitsaktionären, FB 2008, 114; Riedel, Bewertung von Gesellschaftsanteilen im Pflichtteilsrecht, 2006; Ruthardt, Angemessene Barabfindung und Gleichbehandlung von Minderheits- und Mehrheitsaktionären, NZG 2014, 972; Seetzen, Spruchverfahren und Unternehmensbewertung im Wandel, WM 1999, 565; Schnabel/Köritz, Aktuelle Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, BewertungsPraktiker 2009, 47; Schüppen, Barabfindung gem. § 327b AktG beim Squeeze out im Vertragskonzern, ZIP 2016, 1413; Stilz, Unternehmensbewertung und angemessene Abfindung – Zur vorrangigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses, FS Goette 2011, S. 529; Theile/Pawelzik, Auswirkungen von IFRS 13 auf den Impairment-Test nach IAS 36, PiR 2012, 210; Thominski/Kuthe, Ermittlung der Mindesthöhe der Gegenleistung bei Übernahmeangeboten im Zusammenhang mit Vorerwerben, BKR 2004, 10; van Kann/Just, Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie, DStR 2006, 328; E. Vetter, Squeeze-out – Der Ausschluss von Minderheitsaktionären aus der Aktiengesellschaft nach den §§ 327a-327f AktG, AG 2002, 176; Wilm, Abfindung zum Börsenkurs – Konsequenzen der Entscheidung des BVerfG, NZG 2000, 234; Winner, Wertermittlung bei dominierten Transaktionen, in Kalss/Fleischer/Vogt (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008.

I. Abgrenzung des Begriffs „Vorerwerbspreise“ 19.1 Als Vorerwerbspreise werden hier Preise verstanden, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Bewertungsstichtag für Anteile des zu bewertenden Unternehmens außerhalb der Börse gezahlt worden sind. Im Wortsinn müsste eigentlich auch ein Börsenkurs als „Vorerwerbspreis“ verstanden werden, da – sofern es kein taxierter Kurs ohne tatsächlichen Umsatz ist – es sich dabei ebenfalls um einen Preis für einen oder mehrere Anteile des zu bewertenden Unternehmens handelt. Jedoch liegt bei Börsenkursen, im Fall eines liquiden Marktes, auch ein Preis 548

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.6 § 19

am Bewertungsstichtag oder zumindest vom letzten Handelstag vor dem Bewertungsstichtag vor. Bei Börsenkursen wäre also eher die Bezeichnung „Parallelerwerbspreis“ zutreffend. Zudem wird in der Rechtsprechung insbesondere seit dem DAT/Altana-Beschluss des BVerfG1 klar zwischen Börsenkursen und außerbörslichen Vorerwerbspreisen unterschieden, weil jeder Aktionär zur Börse jederzeit grundsätzlich einen Zugang haben kann, während (echte) außerbörsliche Transaktionen in aller Regel nur auf größere Anteilspakete beschränkt sind. Zur Frage der Bewertung von Unternehmen mit Börsenkursen wird daher auf § 18 verwiesen. Ein vergleichbares Thema sind „Nacherwerbspreise“, also Preise, die nach dem Bewertungsstichtag für Anteile des zu bewertenden Unternehmens außerhalb der Börse gezahlt worden sind. Die Berücksichtigung von Nacherwerbspreisen stellt grundsätzlich ein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip dar.2 Es kann jedoch geprüft werden, inwieweit Nacherwerbspreise in besonders gelagerten Fällen wertaufhellend3 sind. Auch wenn im Folgenden die Frage der Berücksichtigung von Nacherwerbspreisen nicht weiter thematisiert wird, sei darauf hingewiesen, dass § 31 Abs. 4 und 5 WpÜG im Übernahmerecht ein Nachbesserungsgebot bei Nacherwerben statuiert.

19.2

Sofern ein Unternehmen verschiedene Anteilsklassen hat (Stammaktien, Vorzugsaktien, 19.3 Kommanditanteile mit unterschiedlichen Rechten), betreffen Vorerwerbspreise im engeren Sinne nur Erwerbe von Anteilen der selben Klasse. Bei der Übertragung von Vorerwerbspreisen auf Anteile mit anderen Rechten sind Prämissen über die Vergleichbarkeit erforderlich oder es kommen – geschätzte – Zu- oder Abschläge zur Anwendung (vgl. zur Bewertung von Anteilen mit unterschiedlichen Rechten ausführlich § 20).

II. Aussagekraft von Vorerwerbspreisen Vorerwerbspreise können als Marktpreise für die Unternehmensbewertung verwendet werden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Die drei wesentlichen Voraussetzungen sind das Vorliegen einer Transaktion im „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“, unveränderte Verhältnisse am Bewertungsstichtag sowie die Relevanz der Anteilsquote. Bei der Verwendung von Vorerwerbspreisen für die Unternehmensbewertung ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Liegen diese Voraussetzungen nicht oder nur teilweise vor, sind Vorerwerbspreise entweder gar nicht oder allenfalls mit Anpassungen für die Unternehmensbewertung verwendbar.

19.4

Die Aussagekraft von Vorerwerbspreisen ist auch im Vergleich zu alternativen Bewertungsverfahren zu würdigen. Interessant erscheint insbesondere der Vergleich mit einer Bewertung auf Basis von Börsenkursen, mit dem Multiplikatorverfahren und dem Ertragswertverfahren.

19.5

1. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr Von einer Transaktion im „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ ist auszugehen, wenn sich der Kaufpreis durch den Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Käufer und Verkäufer am Markt gebildet hat. Bei der Veräußerung von Anteilen unter „fremden Dritten“ spricht vie1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 = NJW 1999, 3769. 2 Vgl. zum Stichtagsprinzip ausführlich § 14. 3 Vgl. zum Begriff „Wertaufhellung“ z.B. Winkeljohann/Büssow in BeckBilanzkomm., § 252 HGB Rz. 38 f.

Leverkus 549

19.6

§ 19 Rz. 19.6

Dritter Teil: Querschnittsfragen

les dafür, dass es sich um eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handelt. Weitere Indizien können aus den näheren Umständen der Transaktion abgeleitet werden. Für eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr sprechen z.B. ein Bieterwettbewerb, die professionelle Beratung von Käufer und Verkäufer, die Möglichkeit für Due Diligence-Untersuchungen1, ein Unternehmensexposé und ein der Transaktion angemessener Zeitraum zwischen Kaufanbahnung und Vertragsabschluss.

19.7 Umgekehrt liegt bei einer Transaktion zwischen nahen Angehörigen die (widerlegbare) Vermutung marktunüblicher Preisgestaltungen nahe, so dass solche Transaktionen nicht als gewöhnlicher Geschäftsverkehr bezeichnet werden können. Transaktionen im Rahmen einer Insolvenz oder ein Notverkauf zu ihrer Vermeidung sind Indizien für eine Zwangssituation, die gegen eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr spricht. Auch bei Anteilskäufen nach Streitigkeiten im Gesellschafterkreis könnte eine Transaktion außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs vorliegen, wenn ein ausscheidender Gesellschafter einen sog. Lästigkeitszuschlag durchsetzen kann.

19.8 Wird der Kaufpreis nicht sofort und vollständig als Barkaufpreis vereinbart, hängt es vom Einzelfall ab, ob trotzdem von einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr auszugehen ist. Besteht die Gegenleistung ausschließlich in einem langfristig unverzinslichen Darlehen des Verkäufers an den Käufer, spricht dies gegen eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, da dies – gemessen an der Transaktionspraxis – eine ungewöhnliche Gestaltung ist. Werden als Gegenleistung ganz oder teilweise Aktien des Käufers gewährt, kann hingegen durchaus eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vorliegen, da dies – z.B. bei Joint Ventures – eine durchaus gängige Transaktionsstruktur ist. Zu den Problemen bei der Ermittlung des Vorerwerbspreises in solchen Fällen wird auf Rz. 19.26 ff. verwiesen.

19.9 Ob die Prämisse „Gewöhnlicher Geschäftsverkehr“ für einen Vorerwerbspreis gilt, kann nur bei Würdigung aller Umstände im konkreten Einzelfall entschieden werden. Dies bedeutet bei Unternehmenstransaktionen in aller Regel die vollständige Offenlegung des Kaufvertrages, um auch unübliche Nebenbestimmungen würdigen zu können. 2. Unveränderte Verhältnisse am Bewertungsstichtag

19.10 Der Vorerwerbspreis hat, wie der Name schon sagt, die grundlegende Eigenschaft, dass er zu einem Zeitpunkt vor dem Bewertungsstichtag vereinbart wurde. Eine Übertragung dieses Preises auf die Bewertung von Anteilen am Bewertungsstichtag setzt voraus, dass sich an den Verhältnissen des Unternehmens nichts Wesentliches geändert hat. Hat sich seit der Vereinbarung des Vorerwerbspreises eine wesentliche Änderung ergeben, sei sie positiv oder negativ, wäre eine unveränderte Übertragung des Vorerwerbspreises unangemessen. Diese Voraussetzung ist nicht trivial, denn die Ertragsaussichten eines Unternehmens können sich innerhalb kurzer Zeit so dramatisch verändern, dass selbst ein wenige Wochen vor dem Bewertungsstichtag stattgefundener Veräußerungsvorgang keinerlei Aussagekraft mehr für den Wert des Unternehmens zum Bewertungsstichtag entfalten kann.

19.11 Insofern lässt sich auch kein fester Zeitraum angeben, innerhalb dessen eine Übertragbarkeit eines Vorerwerbspreises auf einen Bewertungsstichtag möglich erscheint. Sind die Verhältnisse des Unternehmens und seiner relevanten Märkte stabil, kann der Zeitraum deutlich länger sein, als bei einem Unternehmen mit instabilen Verhältnissen. Bei besonders wichtigen Ereig1 Zum Begriff Due Diligence-Untersuchungen vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kapitel D.

550

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.15 § 19

nissen (Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen, Verlust eines wichtigen Kunden, bedeutsame Rechtsstreitigkeit) kann bereits ein sehr kurzer Zeitraum dazu führen, dass ein Vorerwerbspreis für die Unternehmensbewertung allenfalls noch von nachrangiger Bedeutung ist. Verwässerungseffekte wie ein Aktiensplit, eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder Bezugsrechtsabschläge im Zeitraum zwischen der Vereinbarung des Vorerwerbspreises und dem Bewertungsstichtag müssen für eine Übertragbarkeit zwingend berücksichtigt werden.1 Dies ist jedoch in aller Regel leicht und ohne gravierende Annahmen möglich.

19.12

Zu beachten sind auch Dividenden und Ausschüttungen im Zeitraum zwischen Vorerwerb und Bewertungsstichtag. Es erscheint leicht nachvollziehbar, dass der Abfluss von Liquidität aus dem Unternehmen an die Anteilseigner einen Einfluss auf den Unternehmenswert haben muss. Wirtschaftlich betrachtet vermindert sich durch die Dividende die Substanz des Unternehmens ohne entsprechende Gegenleistung, andererseits kann in der Dividende aber auch eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals im Zeitraum zwischen Vorerwerb und Bewertungsstichtag gesehen werden. Die Bedeutung dieses Tatbestandes hängt ab von der Höhe der Dividende im Vergleich zum Unternehmenswert sowie dem Zeitraum zwischen Vorerwerbszeitpunkt und Bewertungsstichtag, da der Zeitraum die Höhe der Verzinsung des eingesetzten Kapitals beeinflusst. Ist die Dividendenrendite niedrig und der Zeitraum kurz, werden diese Tatbestände oftmals keine Rolle spielen im Vergleich zu anderen Bewertungsfragen mit deutlich höheren Wertauswirkungen. Insofern ist nachzuvollziehen, dass in der Diskussion um die zutreffende Berücksichtigung von Dividenden auch vorgeschlagen wird, zwischen regulären und vom Betrag her bedeutsameren Sonderdividenden zu unterscheiden und nur Sonderdividenden aus dem Vorerwerbspreis zu eliminieren.2

19.13

3. Erworbene Anteilsquote Ein Vorerwerbspreis kann sich auf alle Anteile des Unternehmens oder nur Teile davon beziehen. In aller Regel betreffen – außerbörsliche – Vorerwerbspreise nicht sog. Splitteranteile (sehr kleine Minderheitsanteile), sondern größere Anteile an dem zu bewertenden Unternehmen. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, wird oftmals die Frage nach einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu verneinen sein.

19.14

Wurde der Vorerwerbspreis für eine Anteilsquote vereinbart, die dem zu bewertenden Anteil entspricht, ist der Vorerwerbspreis in Bezug auf die Anteilsquote gut vergleichbar. Stimmen die Anteilsquoten nicht überein, ist zu untersuchen, ob beiden Anteilspaketen ein identischer Wert beizumessen ist. Bereits geringfügige Abweichungen der Anteilsquote können von Belang sein, wenn sich z.B. der Vorerwerbspreis auf einen Mehrheitsanteil von 51 % bezieht, zu einem späteren Zeitpunkt dann aber der Minderheitsanteil von 49 % zu bewerten ist, da kontrollvermittelnde Anteile für viele Investoren von höherem Interesse sind als Minderheitsanteile, die keine Beherrschung des Unternehmens ermöglichen. Die für ein Unternehmen besonders relevanten Anteilsquoten (z.B. satzungsändernde Mehrheit, Sperrminorität) sind anhand der gesetzlichen Vorschriften für die entsprechende Rechtsform und den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags zu ermitteln.

19.15

1 Vgl. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 18. 2 Vgl. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 WpÜG Rz. 91; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 18.

Leverkus 551

§ 19 Rz. 19.16

Dritter Teil: Querschnittsfragen

19.16 Bezieht sich der Vorerwerbspreis nur auf einen Teil der Anteile eines Unternehmens, ist eine Hochrechnung auf den Unternehmenswert für das gesamte Unternehmen nur möglich, wenn aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Erwägungen heraus die Prämisse getroffen werden kann, dass allen Anteilen ein gleicher Wert beizumessen ist. Aus rechtlicher Sicht könnte diese Prämisse z.B. aus dem Gleichheitsgebot des § 53a AktG abgeleitet werden, wirtschaftlich z.B. aus einer breiten Streuung der Anteile (vgl. ausführlich § 20 zur Anteilsbewertung). 4. Vergleich zur Bewertung zum Börsenkurs

19.17 Die Zugrundelegung von Börsenkursen für die Bewertung ist beschränkt auf die Klasse der börsennotierten Aktiengesellschaften. Vorerwerbspreise kann es hingegen für Unternehmen aller Rechtsformen geben, sowohl für Kapitalgesellschaften – unabhängig von einer Börsennotiz – als auch für Personengesellschaften. Vorerwerbspreise eröffnen somit die Möglichkeit, Unternehmenswerte auch bei nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften auf der Basis von Preisen zu ermitteln.

19.18 Der Börsenkurs kann bei börsennotierten Aktiengesellschaften immer für die Bewertung herangezogen werden, wenn die Liquidität ausreichend ist und keine Kursmanipulation vorliegt. Vorerwerbspreise wird es hingegen nur in Einzelfällen geben. Zusätzlich stellt sich dann die Frage, ob adäquate Informationen über die Vorerwerbe zu beschaffen sind, insbesondere der Anteilskaufvertrag.

19.19 Im Börsenkurs spiegeln sich grundsätzlich nur die öffentlich zugänglichen Informationen wider. Der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommene Vorerwerbspreis wird dagegen bei der Durchführung einer umfangreichen Due Diligence-Untersuchung1 auch auf Informationen beruhen, die dem Kapitalmarkt nicht zugänglich sind. Solche Informationen können beispielsweise die detaillierten Planungsrechnungen für das Folgejahr sowie mehrjährige Mittelfristplanungen, das Unternehmenskonzept mit einer Darstellung der Strategien für Unternehmensbereiche oder Produktgruppen sowie eine Analyse der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken (sog. SWOT-Analyse) umfassen. 5. Vergleich mit dem Multiplikatorverfahren

19.20 Das Multiplikatorverfahren und die Bewertung mit Vorerwerbspreisen sind gleichermaßen preisbasierte Verfahren. Der Unternehmenswert wird bei beiden Verfahren aus Marktpreisen abgeleitet.

19.21 Beim Multiplikatorverfahren werden Unternehmen anhand von marktbasierten Kennzahlen anderer Unternehmen bewertet (vgl. ausführlich Rz. 11.7 ff.). Es ist jedoch kein Unternehmen wie das andere. Daher ist beim Multiplikatorverfahren immer die problematische Annahme der Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Unternehmen erforderlich. Die Verwendung von Vorerwerbspreisen bei der Unternehmensbewertung erfordert die Prämisse der Vergleichbarkeit nicht, weil sich Vorerwerbspreise per definitionem auf das zu bewertende Unternehmen beziehen.

1 Zu den Untersuchungsschwerpunkten und weiteren Einzelthemen einer Due Diligence-Untersuchung vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kapitel D, Rz. 5.

552

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.25 § 19

6. Vergleich mit dem Ertragswertverfahren Das Ertragswertverfahren ist das in Deutschland dominierende Bewertungsverfahren, wenn 19.22 Gutachter damit beauftragt werden, Unternehmenswerte zu bestimmen. In der Regel werden mit dem Ertragswertverfahren sog. objektivierte Unternehmenswerte nach den Vorgaben des Standards „IDW S 1“ ermittelt. Der objektivierte Unternehmenswert ist ein von den individuellen Wertvorstellungen der betroffenen Parteien unabhängiger Wert.1 Bei der Ermittlung wird die Fortführung des Unternehmens auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens unterstellt.2 Beim Ertragswertverfahren werden zukünftige finanzielle Überschüsse aus Planungsrechnungen des zu bewertenden Unternehmens abgeleitet. Zur Einschätzung der Plausibilität der Planungsrechnung hat der Gutachter in aller Regel umfassenden Zugang zum Unternehmen und zu vertraulichen unternehmensinternen Informationen. Fehlen Planungsrechnungen oder erachtet der Gutachter die vorgefundenen Planungsrechnungen als unplausibel, stellt er eine eigene Planungsrechnung auf oder nimmt Anpassungen vor. Darüber hinaus sind Annahmen zur Höhe der nachhaltig erzielbaren finanziellen Überschüsse (sog. „ewige Rente“) und zu den langfristigen Wachstumserwartungen erforderlich. Weitere Annahmen trifft der Gutachter bei der Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes, mit dem die erwarteten finanziellen Überschüsse auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden. Eine grundlegende Annahme ist in diesem Zusammenhang, dass Unternehmensrisiken durch das Kapitalmarktgleichgewichtsmodell CAPM angemessen abgebildet werden können. Äußerst wertrelevant sind die Schätzung der Marktrisikoprämie und des Betafaktors, der wiederum auf einer Vielzahl weiterer Annahmen beruht (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.43 ff.). Weil die dem Ertragswert zugrunde liegenden wesentlichen wertrelevanten Annahmen durch einen Gutachter zu schätzen sind, ist es daher unvermeidbar, dass der objektivierte Unternehmenswert letztlich auf der subjektiven Einschätzung des Gutachters beruht.

19.23

Die Bewertung eines Unternehmens anhand von Vorerwerbspreisen benötigt alle diese Annahmen nicht, da der Vorerwerbspreis ein Marktpreis für das zu bewertende Unternehmen ist. Wenn es sich um eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handelt, wird der Käufer bis zum Abschluss des verbindlichen Anteilskaufvertrages eine Vielzahl unternehmensinterner Informationen erhalten haben (z.B. Planungsrechnungen, detailliertes Unternehmenskonzept). Dem Vertragsabschluss wird in der Regel eine umfangreiche Due Diligence-Prüfung vorausgegangen sein, also die sorgfältige Untersuchung und Analyse der Zielgesellschaft.3 Demgegenüber hat die Plausibilitätsprüfung im Rahmen einer objektivierten Unternehmensbewertung nach IDW S 1 in aller Regel nicht den Umfang einer umfassenden Due Diligence-Prüfung.

19.24

Der Vorerwerbspreis ermöglicht es nicht, ein Unternehmen allein auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts unter Berücksichtigung seiner finanziellen Möglichkeiten zu bewerten. Es ist eben nur der Preis bekannt, nicht aber die hinter diesem Preis stehenden kurz- und langfristigen Erwartungen von Käufer und Verkäufer, die Risikopräferenzen, die strategischen Überlegungen, die steuerliche Situation etc. So kann nicht ermittelt werden, welchen Einfluss Überlegungen des Käufers hinsichtlich einer Änderung des Unternehmenskonzeptes oder andere finanzielle Möglichkeiten des Käufers auf den Vorerwerbspreis hatten. Soll der Einfluss

19.25

1 Vgl. IDW S 1, Rz. 12. 2 Vgl. IDW S 1, Rz. 29. 3 Vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kapitel D.

Leverkus 553

§ 19 Rz. 19.25

Dritter Teil: Querschnittsfragen

von Synergien und Paketzuschlägen aus dem Vorerwerbspreis eliminiert werden, ist dies nicht ohne Schätzungen und Annahmen möglich.

III. Sonderfragen bei der Wertermittlung mit Vorerwerbspreisen 19.26 Der einfache Fall ist ein Vorerwerb, bei dem die Gegenleistung ausschließlich ein Barkaufpreis in Euro ist. In diesem Fall erfolgt die Unternehmenswertermittlung mit Vorerwerbspreisen durch einen Dreisatz: Der Kaufpreis wird durch die Zahl der erworbenen Anteile dividiert. Dies ergibt den Vorerwerbspreis pro Anteil. Der Vorerwerbspreis pro Anteil wird dann multipliziert mit der Gesamtzahl der Anteile des Unternehmens. Das Resultat ist der Unternehmenswert, abgeleitet aus dem Vorerwerbspreis. Nur in diesem einfachen Fall ist es möglich, den Unternehmenswert aus dem Vorerwerbspreis als reinem Marktpreis abzuleiten. In allen anderen Fällen sind bereits weitere Annahmen (z.B. Währungsumrechnung, Bewertung unbarer Gegenleistungen) erforderlich, um den Unternehmenswert aus dem Vorerwerbspreis zu bestimmen. Sind diese Annahmen gewichtig, kann der aus dem Vorerwerbspreis abgeleitete Unternehmenswert in allen diesen Fällen nicht mehr als reiner Marktpreis bezeichnet werden.

19.27 Vergleichsweise unproblematisch ist der Fall eines Vorerwerbspreises in Fremdwährung. Währungskurse schwanken, daher hat der Stichtag der Umrechnung Einfluss auf das Ergebnis. Bei Vorerwerbspreisen bietet sich eine Umrechnung mit dem Wechselkurs am Tag der vertraglichen Vereinbarung des Vorerwerbs an. Dieser Wechselkurs ist die Kalkulationsgrundlage des Erwerbers bei Vertragsabschluss, den er – auch bei späterem Vollzug – durch entsprechende Derivate wie Devisentermingeschäfte absichern kann. Steht der Vertrag jedoch noch unter – unsicheren – Bedingungen (z.B. kartellrechtliche Genehmigung), wird die Wahl des Stichtags der Umrechnung bereits schwieriger.

19.28 Die Gegenleistung für den Vorerwerb kann aber auch in einer Sachleistung bestehen. Nur wenn es möglich ist, die Sachleistung ihrerseits mit Marktpreisen zu bewerten, wie vor allem bei einer Sachleistung in Form börsennotierter Aktien, kann noch von einem Vorerwerbspreis als Marktpreis gesprochen werden. Ansonsten müsste diese Sachleistung nach allgemeinen Bewertungsmethoden bewertet werden. In diesen Fällen gibt es trotz Vorerwerb keinen Vorerwerbspreis, sondern allenfalls ein „Vorerwerbswert“. Dieser Aufwand ist allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn die Sachleistung leichter zu bewerten ist als Unternehmen, für dessen Anteile der Vorerwerb vereinbart wurde.

19.29 Darüber hinaus sind Mischformen denkbar, bei denen neben Barkomponenten auch variable, von bestimmten Parametern abhängige Kaufpreiselemente vereinbart werden (sog. Earn-outKlauseln). Der Kaufpreis kann durch den Verkäufer langfristig unverzinslich oder verzinslich gestundet werden (sog. Vendor-loan).1 Es sind in diesen Fällen Bewertungsannahmen erforderlich, um die mit diesen Komponenten verbundenen Unsicherheiten im Vorerwerbspreis zu berücksichtigen. Bei einem Erwerb über Call-Optionen oder Wandelschuldverschreibungen sind hingegen Annahmen zu treffen, ob und in welchem Umfang die Kosten für diese Erwerbsform Bestandteil des Vorerwerbspreises sind und zu welchem Zeitpunkt der Vorerwerb stattgefunden hat. In allen diesen Fällen müssen Bewertungsannahmen getroffen werden, um einen wertäquivalenten Barkaufpreis ermitteln zu können.

1 Vgl. Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741 (745).

554

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.34 § 19

Ebenfalls möglich ist, dass es neben dem unmittelbaren Austausch von Leistung und Gegen- 19.30 leistung im Rahmen eines Anteilserwerbs zu weiteren Leistungsbeziehungen kommt. Dann stellt sich die Frage, ob solche Leistungen zu beachten sind und wie diese bewertet werden sollen. Im Bereich des WpÜG sind nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionäre in § 3 Abs. 1 WpÜG zur Vermeidung von Umgehungen sonstige Leistungen des Bieters oder des Veräußerers von Aktien der jeweiligen Zielgesellschaft immer dann im Rahmen der Berechnung des Mindestpreises zu berücksichtigen, wenn diese mit dem Erwerb der Aktien in einem Gesamtaustauschzusammenhang stehen, der bei einer Koppelungsabrede oder bei engem zeitlichen und funktionalen Zusammenhang gegeben sein kann.1 Die bei Übernahmen durch Finanzinvestoren üblichen Anreize für das Top-Management, etwa durch eine Rückbeteiligung am Akquisitionsvehikel, werden im Rahmen des Übernahmerechts nach h.M. nicht als Koppelungsgeschäft angesehen, da darin eine Gegenleistung zu sehen ist, dass diese Personen auch nach vollzogener Übernahme für die Leitung der Zielgesellschaft zur Verfügung stehen.2 Ferner können vom Käufer oder vom Verkäufer Nebenleistungen gewährt werden. Nebenleistungen des Käufers wirken werterhöhend, Nebenleistungen des Verkäufers wertmindernd.3 Auch die Vereinbarung von Gewährleistungen oder die Stellung von Sicherheiten im Kaufvertrag können in Abhängigkeit von der Ausgestaltung bedeutsame Nebenleistungen sein.4

19.31

Sofern zu erkennen ist, dass die zuvor aufgeführten Leistungen einen relevanten Teil des Vorerwerbspreises ausmachen, ist eine Bewertung dieser Leistungen erforderlich, um den gesamten Vorerwerbspreis bestimmen zu können. Die auftretenden Bewertungsfragen und die zu treffenden Bewertungsprämissen können vergleichsweise geringfügig sein, z.B. die Annahme, dass das Verkäuferdarlehen in Bezug auf Fristigkeit und Bonität angemessen verzinst wird, sind aber oftmals nicht trivial. Mit zunehmender Bedeutung der erforderlichen Bewertungsprämissen verbietet sich es jedoch, den ermittelten Vorerwerbspreis noch als Marktpreis zu bezeichnen.

19.32

IV. Gesetzliche Vorschriften zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen Vorerwerbspreisen kommt bei verschiedenen gesetzlich vorgegebenen Bewertungsanlässen durch Vorgaben des Gesetzgebers eine bedeutende Rolle bei der Wertfindung zu. Gründe hierfür sind in der vergleichsweise einfachen Wertermittlung zu sehen, aber auch in der Verwendung von vermeintlich objektiven Marktdaten und einem gewissen Misstrauen gegenüber der Wertbestimmung mittels komplexer Unternehmensbewertungsmodelle.

19.33

Der Umfang, in dem Vorerwerbpreise zu berücksichtigen sind, kann nicht als einheitlich bezeichnet werden. In Abhängigkeit von den gesetzlichen Vorgaben ist eine Bandbreite er-

19.34

1 2 3 4

Vgl. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 115. Vgl. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 27. Vgl. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 13. Da die Parteien im Rahmen von Gewährleistungsklauseln üblicherweise zunächst davon ausgehen, dass der Gewährleistungsfall aller Voraussicht nach nicht eintreten wird, ist zumindest denkbar, allein auf den vereinbarten Kaufpreis abzustellen und die Gewährleistungsklauseln unberücksichtigt zu lassen. Allerdings kommt es in der Praxis des Unternehmenskaufs später doch häufig zu Streitigkeiten über Gewährleistungsansprüche, so dass ein Verwirklichungsrisiko immanent ist. Vgl. Thominski/Kuthe, BKR 2004, 10 (15).

Leverkus 555

§ 19 Rz. 19.34

Dritter Teil: Querschnittsfragen

kennbar, die von der zwingenden Verwendung des Vorerwerbspreises bis zur nur unverbindlichen Verpflichtung zur Würdigung der Vorerwerbspreise im Rahmen der Bewertung reicht.

19.35 Die gesetzlichen Vorgaben zur Höhe von Kompensationsleistungen bei gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierung von Unternehmen (z.B. Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, Verschmelzung, Squeeze-out; zusammen: gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen) beschränken sich im Wesentlichen darauf, dass der Wert dieser Kompensation angemessen sein muss und „die Verhältnisse der Gesellschaft“ zu berücksichtigen sind.1 Dementsprechend kann aus den gesetzlichen Vorgaben nicht abgeleitet werden, ob und in welcher Form Vorerwerbspreise bei der Bemessung der Kompensation zu berücksichtigen sind. Der Umgang mit Vorerwerbpreisen ist in diesen Fällen also der Rechtsprechung überlassen (vgl. hierzu Rz. 19.60 ff.). 1. Mindestpreis bei Übernahme- oder Pflichtangeboten nach dem WpÜG

19.36 Das WpÜG unterscheidet drei verschiedene Arten von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren: Den Grundfall bildet das einfache öffentliche Angebot zum Erwerb von Wertpapieren nach den §§ 10 bis 28 WpÜG. Ein freiwilliges Übernahmeangebot i.S.v. §§ 29 bis 34 WpÜG ist auf den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet. Kontrolle ist dabei in § 29 Abs. 2 WpÜG als das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft definiert. In den §§ 35 bis 39 WpÜG ist das Pflichtangebot geregelt, welches stets abzugeben ist, nachdem – in anderer Form als durch ein Übernahmeangebot – unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt wurde. Freiwillige Übernahmeangebote und Pflichtangebote erstrecken sich gemäß § 32 WpÜG grundsätzlich immer auf alle Aktien der Zielgesellschaft. Für eine ausführliche Darstellung der gesamten Aspekte von Unternehmensbewertungen bei Übernahme- oder Pflichtangeboten nach dem WpÜG wird auf § 23 verwiesen.

19.37 Regelungen über Art und Höhe der den Aktionären einer Zielgesellschaft anzubietenden Gegenleistung finden sich in § 31 WpÜG für freiwillige Übernahmeangebote. Diese sind kraft Verweisung in § 39 WpÜG auch bei Pflichtangeboten anwendbar, nicht hingegen bei den einfachen öffentlichen Angeboten, die nicht auf eine Kontrollerlangung gerichtet sind. Die in § 31 Abs. 1 und Abs. 4 bis 6 WpÜG normierten Bestimmungen über die Höhe der Gegenleistung werden ergänzt durch die §§ 2 bis 9 der gem. § 31 Abs. 7 WpÜG erlassenen Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten sowie die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots (WpÜG-AngebV).

19.38 Nach § 31 Abs. 1 und § 39 WpÜG hat der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft bei Übernahme- oder Pflichtangeboten eine angemessene Gegenleistung anzubieten, bei deren Bestimmung der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft (§§ 5 und 6 WpÜG-AngebV) und die Vorerwerbspreise von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, durch mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder Tochterunternehmen innerhalb von 6 Monaten vor der Veröffentlichung des Übernahmeangebots (§§ 4 ff. WpÜG-AngebV) zu berücksichtigen sind. Dabei gilt zugunsten der Aktionäre der Zielgesellschaft eine Günstigkeitsprüfung: Je nachdem welcher Wert höher ist, wird die Untergrenze der angemessenen Gegenleistung entweder durch den Börsenkurs oder die Vorerwerbe gezogen. Nach dem 1 Vgl. Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 5.

556

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.42 § 19

Wortlaut und der Intention des Gesetzgebers ist ein im Rahmen des Vorerwerbs gezahlter Paketzuschlag nicht zu eliminieren, damit die Angebotsadressaten daran auch teilhaben können.1 Nach dem Gesetzeswortlaut gelten die Vorerwerbspreise unwiderlegbar als Untergrenze2, während Börsenkursen unter bestimmten Umständen die Aussagekraft abgesprochen wird. Börsenkurse gelten danach als nicht aussagekräftig, wenn für die Aktien der Zielgesellschaft an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden und hierbei bei mehreren nacheinander festgestellten Börsenkursen Abweichungen von mehr als 5 % aufgetreten sind. Bei fehlender Aussagekraft der Börsenkurse ist die Höhe der Gegenleistung auf der Grundlage einer Unternehmensbewertung der Zielgesellschaft festzustellen (§ 5 Abs. 4, § 6 Abs. 6 WpÜG-AngebV). Für die Vorerwerbspreise ist im Übernahmerecht sogar die Frage nach dem Zustandekommen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr oder der Motivation des Erwerbers unbeachtlich. Wurden die Aktien z.B. zu einem günstigen Preis erworben, weil der Veräußerer einem faktischen Verkaufsdruck aufgrund kartellrechtlicher Vorgaben unterlag, ist der gezahlte Preis gleichwohl maßgeblich.3

19.39

2. Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-out nach dem WpÜG Das deutsche Übernahmerecht gestattet einem Bieter im Anschluss an ein freiwilliges Übernahmeangebot i.S.d. §§ 29, 32 WpÜG bzw. an ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG, die verbliebenen Minderheitsaktionäre gem. §§ 39a und 39b WpÜG gegen Gewährung einer angemessenen Abfindung per Gerichtsbeschluss aus der Zielgesellschaft auszuschließen (übernahmerechtlicher Squeeze-out).

19.40

Voraussetzungen hierfür sind insbesondere, dass dem Bieter nach dem Übernahme- oder Pflichtangebot mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören und der Antrag nach § 39a Abs. 4 WpÜG innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist eines solchen Angebots gestellt wird. Darüber hinaus müssen die Aktien der Zielgesellschaft an einem organisierten Markt i.S.d. § 1 Abs. 1 WpÜG zugelassen sein, so dass der übernahmerechtliche Squeeze-out bei nicht notierten oder ausschließlich im privatrechtlichen Freiverkehr gehandelten Aktien nicht möglich ist.

19.41

Der übernahmerechtliche Squeeze-out weicht von seinem aktienrechtlichen Pendant (§§ 327a ff. AktG) in einem entscheidenden Punkt ab. Nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG besteht eine Vermutung, dass der Vorerwerbspreis, nämlich die Höhe der Gegenleistung im Übernahme- oder Pflichtangebot, als angemessen anzusehen ist, wenn 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals das Angebot des Bieters annimmt. Aktien, die dem Bieter nach § 16 Abs. 1 und 4 AktG zuzurechnen sind und Aktien von Personen, die mit dem Bieter ge-

19.42

1 Vgl. Begr. RegE zu § 4 WpÜG-AngebV. 2 Selbst etwaige Wertverwerfungen durch gesellschafts- oder marktbezogene plötzliche Ereignisse wie z.B. Kriege oder große Rückrufaktionen seien bei der Preisbildung nicht gesondert zu berücksichtigen (vgl. Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, 2. Aufl. 2007, § 31 WpÜG Rz. 17). Nach anderer Auffassung ist es in Ausnahmefällen, in denen die Anwendung der §§ 3 ff. WpÜG-AngebV zu unangemessen hoch erscheinenden Mindestpreisen führt, denkbar, die angemessene Gegenleistung anderweitig zu ermitteln (vgl. Haarmann in Haarmann/Riehmer/Schüppen, Öffentliche Übernahmeangebote, 2002, § 31 WpÜG Rz. 22; Habersack, ZIP 2003, 1123 [1127]). Vorstellbar sei diese Problematik etwa bei Beeinflussung der Kurse oder des Unternehmenserfolgs aufgrund von Sondereinflüssen von außen (vgl. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 16). 3 Vgl. Häger/Santelmann in Steinmeyer, 2. Aufl. 2007, § 31 WpÜG Rz. 17.

Leverkus 557

§ 19 Rz. 19.42

Dritter Teil: Querschnittsfragen

meinsam handeln (§ 2 Abs. 5 WpÜG), stuft das OLG Frankfurt1 als von vorneherein nicht von dem Angebot erfasst ein, um eine Verfälschung des Markttestes zu verhindern.

19.43 Durch diese „marktorientierten Ermittlung der Abfindung“ soll ein im Vergleich zu den §§ 327a ff. AktG zügiger und kostengünstiger Ausschluss verbleibender Aktionäre ermöglicht und langjährige gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden.2 Eine Unternehmensbewertung und ein Spruchverfahren, in dem die Angemessenheit der Abfindung einer gerichtlichen Prüfung unterzogen wird, werden entbehrlich. Grundgedanke der Vermutung der Angemessenheit ist, dass die hohe Annahmequote ausreichendes Indiz für einen offensichtlich angemessenen Preis sein dürfte.3 Durch die weiteren Voraussetzungen (Handel an einem organisierten Markt, zeitliche Nähe der Antragstellung, Begrenzung auf Übernahme- oder Pflichtangebote) sind zusätzliche Hürden vor einer Unangemessenheit des Preises aufgestellt.

19.44 Das BVerfG befand, dass die vom Gesetzgeber in den §§ 39a, 39b WpÜG gewählte Methode der Anteilsbewertung mit der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist. Durch das hohe Akzeptanzquorum von 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals sei hinreichend gesichert, dass der Angebotspreis tatsächlich dem Verkehrswert entspricht, also dem Wert, der in einem funktionierenden Markt für die – im Vergleich zu anderen Formen der Unternehmensbeteiligung – durch ihre besondere Verkehrsfähigkeit geprägte Aktie gezahlt würde.4

19.45 Das OLG Frankfurt hat auch nach dieser Entscheidung des BVerfG offen gelassen, ob es sich bei der Regelung des § 39a Abs. 3 WpÜG um eine widerlegliche oder unwiderlegliche Vermutung handelt, jedoch darauf hingewiesen, dass sowohl der Wortlaut der Norm als auch der aus den Gesetzesmaterialien5 ersichtliche Wille des Gesetzgebers für eine unwiderlegliche Vermutung sprächen. Es vertritt die Auffassung, dass beim übernahmerechtlichen Squeeze-out alle betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden zur Ermittlung der angemessenen Abfindung durch den Markttest ersetzt werden. Der Gesetzgeber habe sich von der Erwägung leiten lassen, dass nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot mit einer Annahmequote von 90 % davon auszugehen ist, dass die absolute Mehrheit der Marktteilnehmer den Angebotspreis für so angemessen und vorteilhaft hält, dass sie bereit ist, die Aktie hierfür zu veräußern. Durch die hohe Akzeptanzquote würde sichergestellt, dass der Angebotspreis dem Verkehrswert entspricht und die Aktionäre somit eine dem Verkehrswert entsprechende Abfindung erhalten. Eine Widerleglichkeit der Angemessenheit kann nach der Auffassung des OLG Frankfurt nur insoweit in Betracht gezogen werden, als es um die Frage geht, ob der Markttest im Einzelfall ausnahmsweise keine Aussagekraft hat, weil die Kräfte des Marktes nicht gewirkt oder funktioniert haben. Dazu müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass das Angebotsverfahren in wesentlichen Punkten nicht korrekt abgelaufen, der dem Angebot zugrunde lie1 OLG Frankfurt v. 28.1.2014 – WpÜG 3/13, AG 2014, 410. 2 Trotz dieser vermeintlich besseren Berechenbarkeit ist der übernahmerechtliche Squeeze-out in der Praxis bisher weitgehend bedeutungslos geblieben, weil die unwiderlegliche Vermutung wegen der hohen Hürden (95 % Anteilsbesitz und 90 % Annahme des Angebots) selten einschlägig und eine Konzernierung regelmäßig bereits bei 75 %-Hauptversammlungsmehrheit möglich ist. Zudem bietet das aktienrechtliche Verfahren den Vorteil, dass der Ausschluss bereits vor Feststellung der angemessenen Abfindung im Spruchverfahren rechtswirksam wird (§§ 327e, 327f AktG). Vgl. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, Vor §§ 39a bis 39c WpÜG Rz. 3; Austmann, NZG 2011, 684 (685). 3 Vgl. van Kann/Just, DStR 2006, 328 (331). 4 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a., AG 2012, 625. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/1003, 22; BR-Drucks. 154/06, 6; BT-Drucks. 16/1342, 6.

558

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.49 § 19

gende Börsenkurs manipuliert und somit der Markttest verfälscht worden ist. In dem zu entscheidenden Fall ging das OLG Frankfurt möglichen Manipulationen der Börsenumsätze der Zielgesellschaft im Jahr 2011 angesichts des erheblichen zeitlichen Abstands zum öffentlichen Übernahmeangebot vom Oktober 2012 nicht weiter nach.1 Dies entspricht auch der herrschenden, aber nicht unumstrittenen Meinung in der Literatur.2 3. Delisting vom regulierten Markt nach § 39 BörsG Der BGH hatte in seiner Frosta-Entscheidung3 in Abkehr von der Macroton-Rechtsprechung4 entschieden, dass bei Widerruf der Zulassung einer Aktie zum Handel („Delisting“) durch den Emittenten kein Abfindungsangebot notwendig ist. Daraufhin beschloss der Gesetzgeber bereits 2015 eine Neuregelung des Anlegerschutzes beim Delisting in § 39 BörsG. Nach § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG ist Voraussetzung für ein Delisting von Aktien, die im regulierten Markt gehandelt werden, dass ein Angebot zum Erwerb aller Aktien nach den Vorschriften des WpÜG erfolgt.

19.46

Für die im Angebot anzubietende Gegenleistung verweist § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG auf § 31 WpÜG. Dadurch wird erreicht, dass die Gegenleistung grundsätzlich mindestens dem Börsenkurs des Emittenten entspricht (Regelabfindung). Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Delisting nur die Handelbarkeit der Aktien berührt, nicht aber den Bestand bzw. die Inhaberschaft.5 § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG weicht jedoch in zwei Punkten gegenüber § 31 WpÜG ab. Zum einen muss die Gegenleistung zwingend in Euro bestehen. Zum anderen gilt für die Ermittlung des durchschnittlichen Börsenkurses eine auf sechs Monate verlängerte Referenzperiode, während § 5 WpÜG-AngVO hierfür einen Zeitraum von drei Monaten vorsieht.

19.47

Durch den Verweis von § 39 Abs. 3 Satz 1 BörsG auf die Vorschriften des § 31 WpÜG sind bei Delisting-Angeboten auch Vor-, Parallel- und Nacherwerbe nach Maßgabe des § 39 Abs. 4 bis 6 WpÜG zu berücksichtigen.6 Solche Vor-, Parallel- und Nacherwerbspreise sind jedoch nur relevant, wenn sie vom Bieter oder einer im Interesse des Bieters handelnden Partei gezahlt wurden. Eine Umgehung dieser Verpflichtung durch die Möglichkeit, den Bieter des Delisting-Angebots frei zu bestimmen, wird nicht gesehen, da es sich bei den Vor-, Parallel- und Nacherwerbern regelmäßig um gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochtergesellschaften handele, so dass die Vor-, Parallel- und Nacherwerbe zu berücksichtigen sind.7

19.48

Die Ermittlung der Gegenleistung durch eine Unternehmensbewertung ist gemäß § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG nur erforderlich, wenn die Aussagekraft des Börsenkurses durch unwahre oder verzögert veröffentlichte Insiderinformationen bzw. Marktmanipulationen beeinträchtigt ist.

19.49

1 OLG Frankfurt v. 28.1.2014 – WpÜG 3/13, AG 2014, 410. 2 Umfassend zum Themenkomplex etwa Seiler in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 39a WpÜG Rz. 83 ff. 3 BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, AG 2013, 877. 4 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47 = AG 20013, 273. 5 Habersack in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, Rz. 40.22. 6 So heißt es in der Gesetzesbegründung: „Für die Berechnung der anzubietenden Gegenleistung gelten nach Absatz 3 Satz 2 [des § 39 BörsG] in Verbindung mit § 31 Absatz 7 WpÜG daher die §§ 3 bis 7 der WpÜG-Angebotsverordnung entsprechend“, vgl. BT-Drucks. 18/6220, 84. Kritisch hierzu: Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 644 ff. 7 Goslar/Klingen in Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Handbuch der AG, § 26 Rz. 17.

Leverkus 559

§ 19 Rz. 19.50

Dritter Teil: Querschnittsfragen

4. Gemeiner Wert nach dem BewG

19.50 Seit der Erbschaftsteuerreform 2009 richtet sich die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften für erbschafts- und schenkungsteuerliche Zwecke rechtsformübergreifend nach § 11 BewG, der eine Methodenhierarchie vorgibt. Nach dieser Hierarchie orientiert sich der Wert börsennotierter Kapitalgesellschaften vorrangig am Börsenkurs, während der Wert von nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften und von Personengesellschaften vorrangig aus Vorerwerbspreisen innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag abzuleiten ist. Andere Bewertungsverfahren einschließlich des sog. vereinfachten Ertragswertverfahrens gem. §§ 199 ff. BewG kommen hingegen nur subsidiär zur Anwendung. Für eine ausführliche Darstellung der Ermittlung des gemeinen Werts wird auf § 29 verwiesen.

19.51 Der Einsatz von Vorerwerbspreisen ist seitdem auf Verkäufe unter fremden Dritten beschränkt. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BFH aufgegriffen, die schon bisher nur solche Vorerwerbspreise zugelassen hat, die im „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ zustande gekommen sind.1 Von einem solchen Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ist nach Auffassung des BFH2 immer dann auszugehen, wenn sich der Verkaufspreis durch den Ausgleich widerstreitender Interessen von Käufer und Verkäufer am Markt gebildet hat. Dabei müssen Käufer und Verkäufer aber nicht zwingend „fremde Dritte“ sein, auch wenn z.B. bei nahen Angehörigen die Vermutung marktunüblicher Preisgestaltungen im Rahmen einer Veräußerung von Gesellschaftsanteilen eher naheliegt als bei „fremden Dritten“.

19.52 Die Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 deutet an, dass Vorerwerbspreise den Wert des vererbten bzw. schenkweise übertragenen Anteils stets unwiderlegbar indizieren.3 Dagegen wird eingewendet, dass durchaus Fälle vorstellbar sind, in denen der Vorerwerbspreis durch Entwicklungen seit dessen vertraglicher Fixierung den in § 11 BewG als Bewertungsziel vorgegebenen gemeinen Wert (§ 9 BewG) offensichtlich nicht mehr angemessen widerspiegelt. In diesen Fällen sei es – auch aus verfassungsrechtlicher Sicht – notwendig, die Widerlegung der Angemessenheit des Vorerwerbspreises durch Überprüfung, ob sich die Verhältnisse des Unternehmens seit der Vereinbarung des Verkaufs der Anteile grundlegend geändert haben, zuzulassen, obwohl die Indizwirkung eines stichtagsnahen Veräußerungsfalls in der Praxis nur schwer zu erschüttern sein wird.4 5. Beizulegender Zeitwert nach § 255 Abs. 4 HGB

19.53 § 255 HGB enthält die für alle Kaufleute geltenden grundlegenden Bewertungsmaßstäbe in der Handelsbilanz. Vermögensgegenstände in der Form von Beteiligungen an Unternehmen müssen nach § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB bei voraussichtlich dauernder Wertminderung auf den niedrigeren Wert, der ihnen am Abschlussstichtag beizulegen ist (beizulegender Zeitwert), außerplanmäßig abgeschrieben werden. Nach § 255 Abs. 4 HGB entspricht der beizulegende Zeitwert dem Marktpreis. Auf allgemein anerkannte Bewertungsmethoden darf nur zurückgegriffen werden, wenn kein aktiver Markt besteht, anhand dessen sich der Marktpreis ermitteln lässt. Für eine ausführliche Darstellung der Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts wird auf § 28 verwiesen.

1 2 3 4

BFH v. 28.11.1980 – III R 86/78, BStBl. II 1981, 353 = BB 1981, 718. BFH v. 8.8.2001 – II R 59/98, BFH/NV 2002, 317. Vgl. BT-Drucks. 16/7918, 38. Vgl. Möllmann, BB 2010, 407 (410).

560

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.57 § 19

Gegen die Verwendung von (außerbörslichen) Vorerwerbspreisen lässt sich in diesem Fall einwenden, dass sich diese gerade nicht durch einen aktiven Markt auszeichnen. Ein aktiver Markt wird angenommen, wenn der Marktpreis an einer Börse, von einem Händler oder Broker, von einem Preisberechnungsservice oder von einer Aufsichtsbehörde leicht und regelmäßig erhältlich ist.1 Weitere Kennzeichen sind die Homogenität der gehandelten Produkte, die Möglichkeit jederzeit potentielle Käufer und Verkäufer zu finden sowie den öffentlichen Zugang zu Preisinformationen.2 Der Marktpreis muss darüber hinaus auf aktuellen und regelmäßig auftretenden Markttransaktionen zwischen unabhängigen Dritten beruhen.3 Wenn ein aktiver Markt fehlt, ist der beizulegende Zeitwert nach § 255 Abs. 4 Satz 2 HGB mit Hilfe allgemein anerkannter Bewertungsmethoden zu bestimmen.

19.54

Den Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass öffentlich notierte Marktpreise grundsätzlich „der bestmögliche objektive Hinweis für den beizulegenden Zeitwert“ sind.4 Außerdem wird dargelegt, dass „die Anwendung von anderen Bewertungsmethoden (dazu) … dient, den beizulegenden Zeitwert angemessen an den Marktpreis anzunähern, wie er sich am Bewertungsstichtag zwischen unabhängigen Geschäftspartnern bei Vorliegen normaler Geschäftsbedingungen ergeben hätte. Denkbar ist beispielsweise der Vergleich mit dem vereinbarten Marktpreis jüngerer vergleichbarer Geschäftsvorfälle zwischen sachverständigen, vertragswilligen und unabhängigen Geschäftspartnern“.

19.55

Ein unbedingter Vorrang von Vorerwerbspreisen bei der Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts von Unternehmen oder Unternehmensanteilen ist aus dieser Vorschrift auch unter Einbeziehung der Gesetzesmaterialien nicht ableitbar. Sind jedoch Vorerwerbspreise bekannt, müssen sich nach IDW S 1 bzw. IDW RS HFA 10 ermittelte Unternehmenswerte daran messen lassen müssen, da Vorerwerbspreise – anders als kapitalwertorientiert ermittelte Unternehmenswerte – Marktpreise sind.

19.56

6. Beizulegender Zeitwert („Fair Value“) nach IFRS 13 IFRS 13 zur „Bemessung des beizulegenden Zeitwerts“ ist als Kommissionsverordnung VO (EU) 1255/2012 am 11.12.2012 veröffentlicht und damit unmittelbar geltendes Bilanzrecht in den Mitgliedstaaten der EU.5 Weil in IFRS 13 standardübergreifend die Prinzipien zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“) festgelegt sind, ist IFRS 13 der relevante Standard für die Unternehmensbewertung im bilanziellen Kontext nach den IFRS-Standards. Die Bilanzierung nach IFRS erfordert, den Fair Value von Unternehmensbeteiligungen bei der erstmaligen Bilanzierung (Zugangsbewertung) und bei der Bilanzierung an den folgenden Bilanzstichtagen (Folgebewertung) zu ermitteln (IAS 39 für nicht konsolidierte Unternehmen im Konzernabschluss, IAS 36 im Einzelabschluss). Bei der Zugangsbewertung ist zu überprüfen, ob der Transaktionspreis dem Fair Value entspricht. Bei der Folgebewertung ist der aktuelle Fair Value zu ermitteln und gegebenenfalls die Notwendigkeit von außerplanmäßigen Abschreibungen („Impairment“) bei dauernden Wertminderungen zu prüfen. Darüber hinaus ist der Fair Value auch für unternehmensartige sog. „Zahlungsmittel generierenden Einheiten“ zu ermitteln, um die Werthaltigkeit von Firmenwerten aus Unternehmenszusam-

1 2 3 4 5

Vgl. Schubert/Pastor in BeckBilanzkomm., § 255 HGB Rz. 515. Vgl. Schubert/Pastor in BeckBilanzkomm., § 255 HGB Rz. 515. Vgl. IDW RS BFA 2, Rz. 39. Vgl. Petersen/Zwirner, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, S. 214. Zur Bedeutung der IFRS im deutschen Bilanzrecht vgl. ausführlich Rz. 28.12 ff.

Leverkus 561

19.57

§ 19 Rz. 19.57

Dritter Teil: Querschnittsfragen

menschlüssen nach IAS 36 zu überprüfen. Für eine ausführliche Darstellung der Ermittlung des Fair Value nach IFRS 13 wird auf Rz. 28.44 verwiesen.

19.58 Nach IFRS 13 ist der Fair Value der Preis, welcher im Falle eines Verkaufs an einen Dritten zum Bewertungsstichtag erzielbar wäre. Dabei ist von einer bestmöglichen Verwendung durch die Marktteilnehmer auszugehen („highest and best use“). IFRS 13.72 gibt eine Hierarchie für jene Inputfaktoren vor, die bei der Fair Value-Ermittlung verwendet werden. Höchste Priorität genießt ein unmittelbar für das Bewertungsobjekt bestehender Marktpreis auf einem aktiven Markt (Level 1). Sobald nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, also entweder die gehandelten Vermögenswerte zwar identisch, aber der Markt nicht aktiv ist oder umgekehrt der Markt zwar aktiv ist, dies allerdings nur für ähnliche Vermögenswerte, wird die Bewertung insgesamt in das niedrigere Level 2 eingestuft. Werden bei der Fair Value-Ermittlung in nennenswertem Umfang unternehmensinterne Daten genutzt, die nicht auf Märkten beobachtbar sind, handelt es sich um eine Bewertung nach dem niedrigsten Level 3.

19.59 Die möglichen Bewertungsverfahren, das marktpreisorientierte Verfahren, das kapitalwertorientierte Verfahren und das kostenorientierte Verfahren, stehen nach IFRS 13 grundsätzlich gleichwertig nebeneinander. Bei der Auswahl des konkreten Verfahrens ist jedoch zu beachten, dass nach IFRS 13.67 jenes Bewertungsverfahren vorzugswürdig ist, das in größtmöglichem Umfang Marktdaten (Level 1 und Level 2) in die Bewertung einfließen lässt, in das also umgekehrt möglichst wenig subjektive und unternehmensspezifische Daten Eingang finden.1

19.60 Wie in diesem Rahmen Vorerwerbspreise einzustufen sind, ergibt sich nicht direkt aus IFRS 13. Sie sind jedenfalls kein Level 1-Inputfaktor, weil der Markt, auf dem der Vorerwerbspreis zustande kommt, üblicherweise nicht als ein aktiver Markt eingestuft werden kann. Der Börsenkurs hätte danach für eine Bilanzierung nach IFRS selbst Vorrang vor einem gerade abgeschlossenen Kaufvertrag, wenn der Börsenkurs ein beobachtbarer Marktpreis auf einem aktiven Markt ist, der am liquidesten ist. Es wird in diesem Zusammenhang jedoch vorgeschlagen, dass auch künftig ein gerade abgeschlossener Kaufvertrag, jedenfalls beim Fehlen von Anhaltspunkten für „irreguläre“ Bedingungen (Verkauf „unter Zwang“ und dergleichen), den bestmöglichen Vergleichsmaßstab bildet.2

19.61 Möglicherweise könnten Vorerwerbspreise nach IFRS 13 als Preise für einen identischen Vermögenswert auf einem inaktiven Markt angesehen werden und dementsprechend als Level 2-Inputfaktoren eingestuft werden. Dies bietet sich vor allem an, weil Bewertungsmultiplikatoren, die aus beobachtbaren Marktdaten für vergleichbare Unternehmen abgeleitet werden, in IFRS 13.B 35h als Level 2-Inputfaktor bezeichnet werden. Vorerwerbspreise benötigen anders als Bewertungsmultiplikatoren nicht die Prämisse der Vergleichbarkeit. Jedoch können die Marktdaten für vergleichbare börsennotierte Unternehmen zum Bewertungsstichtag gewonnen werden, während Vorerwerbspreise bereits vor dem Bewertungsstichtag zustande gekommen sind. Den Materialien zu IFRS 13 („Basis for Conclusions“) ist zu entnehmen, dass Preise früherer Transaktionen3 „möglicherweise“ Stufe 3 der Hierarchie zuzurechnen seien 1 In IFRS 13.67 heißt es: „Die zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts verwendeten Bewertungsverfahren haben die Verwendung von relevanten beobachtbaren Eingangsparametern zu maximieren und die Verwendung von nicht beobachtbaren Eingangsparametern zu minimieren.“ Vgl. ausführlich Küting/Cassel, KoR 2012, 322 (323) sowie IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Einzelfragen zur Ermittlung des Fair Value nach IFRS 13 (IDW RS HFA 47), Rz. 58, unter Verweis auf IFRS 13.74 i.V.m. IFRS 13.61, IFRS 13.67. 2 Vgl. Theile/Pawelzik, PiR 2012, 210 (212). 3 Als Beispiel wird die letzte Finanzierungsrunde einer Wagniskapital-Anlage angegeben.

562

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.64 § 19

(IFRS.BC195). Setzt sich diese Lesart durch, wird dem Preis am Stichtag, der bei Bewertungsmultiplikatoren – unter Einsatz einer Vielzahl weiterer Prämissen – verwendet werden kann, ein höheres Gewicht gegeben als dem Vorerwerbspreis, der zwar nur einen eingeschränkten Stichtagsbezug aufweist, aber ohne die Prämisse der Vergleichbarkeit auskommt. Für die Bedeutung von Vorerwerbspreisen relevant ist darüber hinaus der Zusammenhang zwischen Zugangsbewertung und Folgebewertung, wenn der Transaktionspreis bei erstmaliger Erfassung des Vermögenswertes dem Fair Value entspricht. Nach IFRS 13.58 ist davon zwar im Regelfall auszugehen, allerdings ist diese Annahme zu überprüfen. IFRS 13.B4 nennt beispielhaft vier Fallgruppen, in denen der Transaktionspreis nicht mit dem Fair Value im Zeitpunkt der erstmaligen bilanziellen Erfassung identisch sein könnte:

19.62

– Es handelt sich um eine Transaktion zwischen nahestehenden Personen/Unternehmen (related parties). – Die Transaktion erfolgt unter Zwang, weil der Verkäufer gezwungen ist, den Preis zu akzeptieren (z.B. aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten). – Die Rechnungslegungseinheit, auf die sich der Transaktionspreis bezieht, unterscheidet sich von der Rechnungslegungseinheit für das Bewertungsobjekt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Transaktionspreis auch Transaktionskosten enthält oder wenn sich der Transaktionspreis sowohl auf ein Finanzinstrument (z.B. ein unterverzinsliches Darlehen) als auch auf eine andere Art von Vermögenswert bezieht. – Der Markt, auf dem die Transaktion stattfindet, ist nicht der Haupt- bzw. der vorteilhafteste Markt. Dabei ist zu beachten, dass infolge unterschiedlicher Marktzugangsmöglichkeiten nicht notwendigerweise beide Vertragsparteien zu demselben Ergebnis kommen, obwohl dasselbe Rechtsgeschäft beurteilt wird. Falls der Transaktionspreis mit dem Fair Value bei Zugang identisch ist und der Fair Value im Rahmen der Folgebewertung mittels eines Bewertungsverfahrens bestimmt wird, das nicht beobachtbare Inputfaktoren verwendet, fordert IFRS 13.64 eine Kalibrierung des Bewertungsmodells für die Folgebewertung. Das Bewertungsverfahren ist in diesem Fall so zu kalibrieren, dass das Ergebnis des Bewertungsmodells, bei einer Rückrechnung auf den Zugangszeitpunkt, dem Transaktionspreis entspricht. Das bedeutet, dass bei der Folgebewertung die Parameter des Bewertungsverfahrens nicht frei gewählt werden können. Kommt es zu Abweichungen zwischen dem Bewertungsergebnis und dem auf Angemessenheit überprüften Transaktionspreis, sind entweder das Bewertungsverfahren oder die nicht beobachtbaren Inputfaktoren anzupassen. Wenn mehrere Inputfaktoren kalibrierbar sind, müssen vorrangig die signifikanten und die nicht beobachtbaren Inputfaktoren kalibriert werden.1

19.63

V. Vorerwerbspreise in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zu Vorerwerbspreisen betrifft überwiegend Bewertungsanlässe im Zu- 19.64 sammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen, also dort, wo der Gesetzgeber ohne nähere Vorgaben zur Bewertung nur die Angemessenheit der Bewertung vorgibt. Im Folgenden werden die Umstände und Begründungen wichtiger Entscheidungen im Zusammenhang mit Vorerwerbspreisen dargestellt.

1 Vgl. IDW RS HFA 47, Rz. 51.

Leverkus 563

§ 19 Rz. 19.65

Dritter Teil: Querschnittsfragen

19.65 Die Frage, ob Minderheitsaktionäre einen Anspruch auf Veräußerung ihrer Aktien an den Hauptaktionär zu dem Vorerwerbspreis des Hauptaktionärs haben, ist keine Frage der Unternehmensbewertung. Insofern wird hier auch nicht weiter auf die Entscheidung des EuGH zum Delisting der RTL Group von der Londoner Börse eingegangen, da der EuGH hierbei lediglich über diese Frage entschieden hat, nicht aber über den Einfluss der Vorerwerbspreise des Hauptaktionärs auf den angemessenen Wert der Aktien.1 1. Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen

19.66 Bei der Bewertung von Unternehmen im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen werden Vorerwerbspreise von der Rechtsprechung fast durchweg verworfen. Davon abweichend hat das BayObLG 1998 – jedoch in Ermangelung der Möglichkeit, ein nach Meinung des Gerichts tragfähiges Bewertungsgutachten einholen zu können – außerbörsliche Preise für Aktien oder Aktienpakete als Anhaltspunkt für die Bemessung einer Barabfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zugelassen.2 Als „beherzte Einzelentscheidung“3 ist die Entscheidung des LG Köln aus dem Jahr 2009 anzusehen, bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Barabfindung bei einem Delisting ausschließlich auf den Vorerwerbspreis abzustellen, weil sich dieser Preis in einer echten Marktsituation gebildet habe.4 Diese Entscheidung hat das OLG Düsseldorf 2011 aufgehoben, ohne jedoch die Verwendung von Vorerwerbspreisen generell zu verwerfen.5 Nachfolgend haben auch das LG Stuttgart6, das LG Frankfurt7 und das LG Hannover8 Vorerwerbspreise unter bestimmten Umständen zur Wertfindung verwendet. Die nachfolgende Übersicht zeigt Entwicklungstendenzen im Zeitablauf sowie Facetten in der Argumentation verschiedener Gerichte. a) BVerfG: Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag – DAT/Altana (1999)

19.67 Das BVerfG unterscheidet in seiner DAT/Altana-Entscheidung vom 27.4.1999 zwischen dem Börsenkurs einer Aktie und dem Preis, den ein Hauptaktionär für den vorhergehenden Erwerb von Aktien tatsächlich gezahlt hat.9 Nach dem durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Eigentumsschutz sei es nur geboten, den Börsenkurs zu berücksichtigen, Vorerwerbspreise könnten dagegen bei der Bewertung des Anteilseigentums unberücksichtigt bleiben.

19.68 Das BVerfG begründet seine Entscheidung damit, dass ein wesentliches Charakteristikum des Aktieneigentums in der Verkehrsfähigkeit der Aktie und der Dispositionsfreiheit des Aktionärs begründet sei. Der Vermögensverlust, den der Minderheitsaktionär durch eine Strukturmaßnahme erleide, stelle sich für ihn als Verlust des Verkehrswertes der Aktie dar. Daher müs1 EuGH v. 15.10.2009 – C-101/08, AG 2009, 821; a.A.: Popp/Ruthardt sowie Zeidler leiten aus dieser Entscheidung die Irrelevanz von Vorerwerbspreisen für die Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen ab, vgl. Popp/Ruthardt, Unternehmensbewertung im Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht in IDW (Hrsg.), WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kapitel C Rz. 53 f.; Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 35. 2 BayObLG v. 29.9.1998 – 3Z BR 159/94, AG 1999, 43. 3 Vgl. Fleischer, AG 2014, 97 (114). 4 LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, AG 2009, 835, aufgehoben durch OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – I-26 W 7/09 (AktE), juris. 5 OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – I-26 W 7/09 (AktE). 6 LG Stuttgart v. 17.9.2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG, juris, n. rkr. 7 LG Frankfurt v. 25.11.2014 – 3/5 O 43/13. 8 LG Hannover v. 27.4.2011 – 23 AktE 130/06, juris. 9 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 = NJW 1999, 3769.

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Vorerwerbspreise

Rz. 19.72 § 19

se die Abfindung so bemessen sein, dass der Minderheitsaktionär jedenfalls nicht weniger erhalte als er bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme erlangt hätte. Vorerwerbspreise könnten dagegen außer Betracht bleiben, denn der Preis, den ein Mehrheitsaktionär an die Minderheitsaktionäre für Aktien der gemeinsamen Gesellschaft zu zahlen bereit sei, habe zu dem „wahren Wert“ des Anteilseigentums in der Hand der Minderheitsaktionäre regelmäßig keine Beziehung. In ihm komme der Grenznutzen zum Ausdruck, den der Mehrheitsaktionär aus den erworbenen Aktien ziehen kann. Dieser sei vielfach dadurch bestimmt, dass der Mehrheitsaktionär mithilfe der erworbenen Aktien ein Stimmquorum erreicht, welches aktien- oder umwandlungsrechtlich für bestimmte gesellschaftsrechtliche Maßnahmen erforderlich sei. Deshalb sei der Mehrheitsaktionär zumeist bereit, für die Aktien, die ihm noch für ein bestimmtes Quorum fehlen, einen „Paketzuschlag“ zu zahlen. Auch zu dem Verkehrswert des Aktieneigentums hätten außerbörslich gezahlte Preise – so 19.69 das BVerfG – regelmäßig keine Beziehung. Im Vorfeld und zur Vorbereitung einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme akzeptiere der Mehrheitsaktionär allein deshalb einen bestimmten (überhöhten) Preis, für die ihm für ein erforderliches Quorum noch fehlenden Aktien, weil ihm sonst die beabsichtigte Konzernierungsmaßnahme unmöglich wäre. Eine solche Erwägung sei aber nur für den Mehrheitsaktionär bestimmend, während sie für Dritte keine Bedeutung habe. Aus der Sicht des Minderheitsaktionärs sei der vom Mehrheitsaktionär außerbörslich bezahlte erhöhte Preis mithin nur erzielbar, wenn es ihm gelingt, gerade seine Aktien an den Mehrheitsaktionär zu veräußern. Darauf habe er aber verfassungsrechtlich keinen Anspruch. b) BGH: Squeeze-out – Stollwerck (2010) Der BGH hat in seiner Stollwerck-Entscheidung vom 19.7.2010 befunden, dass sich die angemessene Abfindung nicht an Preisen orientieren muss, die vom Hauptaktionär an andere Aktionäre gezahlt werden oder wurden.1 In der Vorinstanz hatte das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung erwogen, die Barabfindung auf der Grundlage eines Pflichtangebots nach § 35 WpÜG festzusetzen, welches dem Squeeze-out vorangegangen war. Der BGH hat diese Erwägung verworfen und dies damit begründet, dass sich ein Pflichtangebot nach WpÜG nicht nur nach dem wesentlichen Börsenkurs errechnet, sondern darüber hinaus auch nach den vom Bieter gezahlten Vorerwerbspreisen. Der BGH verweist zur Begründung auf die DAT/ Altana-Entscheidung des BVerfG.

19.70

c) OLG-Entscheidungen (1994–2019) Die OLG haben sich bei Unternehmensbewertungen im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen bislang – soweit ersichtlich – einhellig gegen eine Pflicht zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen ausgesprochen. In einer Entscheidung aus 2011 hat das OLG Düsseldorf die Verwendung von Vorerwerbspreisen jedoch auch nicht generell verworfen; ein Käufer könne einen Paketzuschlag auch deshalb zahlen, weil er von einem über dem Marktpreis liegenden Unternehmenswert ausgeht.

19.71

Das OLG München entschied 2019 im Rahmen eines sog. verschmelzungsrechtlichen Squeeze- 19.72 Outs, dass die Vorerwerbspreise aus dem außerbörslichen Erwerb von 84 % der Aktien eines Unternehmens für die Bestimmung des „wahren“ Wertes nicht relevant seien, da diese Vor1 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 = Der Konzern 2010, 499.

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§ 19 Rz. 19.72

Dritter Teil: Querschnittsfragen

erwerbspreise einen Paketzuschlag beinhalten.1 Auch im Jahr 2018 lehnte das OLG München die Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen bei der Bemessung der Barabfindung der außenstehenden Aktionäre nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH und des BVerfG ohne nähere Begründung ab.2

19.73 Das OLG Düsseldorf hat 2018 in einem Squeeze-Out-Verfahren die Verwendung von Vorerwerbspreisen („Kaufrechts“-Ansatz) zur Festlegung einer angemessenen Entschädigung abgelehnt. Die angemessene Entschädigung habe den „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln. Die zu gewährende Abfindung sei eine Entschädigung für die Beteiligung des Aktionärs am arbeitenden Unternehmen und keine Gegenleistung für die Strukturmaßnahme. Es sei vom objektivierten Unternehmenswert auszugehen, bei dem subjektive Wertvorstellungen außer Betracht bleiben müssten. Nicht ersichtlich sei, dass die Zugrundelegung eines subjektiven Grenzpreises eine gebräuchliche und anerkannte Bewertungsmethode darstelle. Verfassungsrechtlich reiche auch die Auswahl einer im gegebenen Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode und die gerichtliche Überprüfung ihrer Anwendung. Nicht geboten sei, stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen. Preise, die am Markt von der übernehmenden Gesellschaft oder Dritten gezahlt werden, stellten in der Regel keine verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Angemessenheit der Abfindung dar, weil sie durch subjektive Wertvorstellungen und Sonderüberlegungen beeinflusst seien und daher vom objektivierten Unternehmenswert ohne weiteres abweichen könnten. In diesem Fall seien subjektive Wert- und Nutzenvorstellungen der Muttergesellschaft in Form von erwarteten Synergieeffekten eingepreist. Zudem wurde das öffentliche Übernahmeangebot bereits rd. 2,5 Jahre vor dem Bewertungsstichtag durchgeführt.3

19.74 Das OLG Düsseldorf entschied 2015 zur Bestimmung der Barabfindung nach Squeeze-Out, dass es nach ständiger Rechtsprechung nicht geboten sei, Vorerwerbspreise aus einem öffentlichen Übernahmeangebot zu berücksichtigen, da diese nichts über den objektivierten Unternehmenswert zum Bewertungsstichtag besagten. Diese gelte erst recht, da das öffentliche Übernahmeangebot am Bewertungsstichtag bereits mehr als drei Jahre zurücklag.4

19.75 Das OLG Düsseldorf hob 2011 den Beschluss des LG Köln zum Delisting „Parsytec“ auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an das LG Köln zurück.5 Dabei wird der vom LG Köln zugrundegelegte Vorerwerbspreis nicht generell verworfen. Es sei aber unzutreffend, dass ein Marktpreis grundsätzlich jeder Schätzung durch Sachverständige etwa nach der Ertragswertmethode überlegen und entsprechende Bewertungsgutachten daher regelmäßig entbehrlich seien. Gerade im Spruchverfahren komme der Tatsachenermittlung besondere Bedeutung zu, da die Minderheitsaktionäre regelmäßig die inneren Zusammenhänge des Unternehmens nicht kennen und über weit weniger Informationen als der Hauptaktionär verfügen. Es sei daher für die Minderheitsaktionäre häufig kaum möglich zu prüfen, ob wertrelevante Daten geschönt dargestellt oder weggelassen worden sind. Der Paketpreis werde zwar häufig über dem für die Barabfindung relevanten Unternehmenswert liegen. Dies 1 2 3 4 5

OLG München v. 20.3.2019 – 31 Wx 185/17. OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, AG 2018, 753. OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14 (AktE). OLG Düsseldorf v. 17.12.2015 – 26 W 22/14 (AktE), AG 2016, 504. Zur aufgehobenen Entscheidung (LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, AG 2009, 835) wird auf Rz. 19.94 ff. verwiesen. Zu einer weiteren Entscheidung des LG Köln kam es nicht, da das Delisting-Spruchverfahren im Anschluss an die „Frosta“-Rechtsprechung des BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, AG 2013, 877 gemäß Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 22.9.2014 – 26 W 20/12 (AktE), AG 2015, 270 nicht mehr statthaft war.

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Vorerwerbspreise

Rz. 19.79 § 19

sei aber nicht immer der Fall. So könne der Käufer gerade dann einen Paketzuschlag zahlen, wenn er – etwa aufgrund einer Due Diligence-Prüfung – von einem deutlich über dem Marktpreis liegenden Unternehmenswert ausgeht. Es sei jedenfalls erforderlich die Hintergründe und Zusammenhänge der Unternehmenstransaktion im Einzelnen näher zu überprüfen, um festzustellen, ob Sonder- oder Fremdinteressen den Verkaufspreis beeinflusst haben können und ob eine echte Verhandlungssituation vorgelegen habe. In diesem Fall bestehe auch eine enge personelle Verflechtung, die sich möglicherweise auf die Einschätzung des Wertes und den Verkaufsprozess ausgewirkt haben könnte. Das LG Köln habe abzuwägen, ob die Durchführung einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung und/oder die Einholung eines Gutachtens sachgerecht ist.1 Das OLG Frankfurt hatte 2011 im Falle der Bemessung einer Barabfindung nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages festgehalten, dass gezahlte Vorerwerbspreise regelmäßig keine Rolle spielen.2 Mit dieser Begründung ist es auch dem Antrag nicht nachgegangen, die innerhalb eines Jahres vor dem Übertragungsverlangen getätigten Vorerwerbe offenzulegen.

19.76

2010 hatte das OLG Frankfurt in einer Entscheidung zu einem Squeeze-out-Verfahren die Berücksichtigung von außerbörslichen Aktienerwerbe zu Preisen, die teilweise 40 bis 50 % oberhalb der am durchschnittlichen Börsenkurs orientierten Abfindung lagen und innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag stattfanden, als nicht ausschlaggebend bezeichnet.3 In der Begründung stellt das OLG Frankfurt darauf ab, dass der Wortlaut von § 327b AktG, anders als bei einem öffentlichen Angebot nach § 4 WpÜG-AngebV, keine wertunabhängige Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen vorsehe. Zudem sei die Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen nach der DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Die Frage, ob Vorerwerbspreise im Einzelfall einen Anhaltspunkt für den Unternehmenswert bieten, ließ das OLG Frankfurt offen, da die Vorerwerbpreise in diesem Fall stark voneinander abwichen und auch teilweise nicht in bar, sondern in Aktien entrichtet wurden. Darüber hinaus lag der volumengewichtete Vorerwerbspreis auch deutlich unterhalb des anteiligen Ertragswertes.

19.77

Das OLG Stuttgart hat 2007 zur Frage nach der Angemessenheit der Verschmelzungswertrela- 19.78 tion bei einer sog. Konzernverschmelzung den Unternehmenswert der übertragenden Rechtsträgerin, der sich aus außerbörslich an institutionelle Anleger im Jahr 1999 gezahlten Preise ergibt, deswegen für unmaßgeblich gehalten, weil der Zeitraum zeitlich zu weit vom Stichtag im März 2001 entfernt ist.4 Aufgrund dieser Schlussfolgerung hat das OLG Stuttgart nicht geprüft, inwieweit für die Bewertung relevant ist, dass die außerbörslichen Preise offenbar Paketaufschläge auf die damaligen Börsenkurse enthalten. 2006 hatte das OLG Stuttgart bei der Bemessung der Barabfindung in einem Squeeze-out-Fall die außerbörslich zur Ablösung von Mitarbeiter-Optionen gezahlte Preise nicht berücksichtigt.5 Unter Verweis auf diverse Fundstellen zu Paketzuschlägen6 heißt es in der Entscheidung, dass solche außerbörslichen Zahlungen durch bestimmte Erwägungen zum Grenznutzen des 1 2 3 4 5 6

OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – 26 W 7/09 (AktE). OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513. OLG Frankfurt v. 21.12.2010 – 5 W 15/10, juris. OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705. OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05, AG 2007, 128, 136. Das OLG Stuttgart verweist auf: BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = NJW 1999, 3769 (3771) = AG 1999, 566; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Kon-

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19.79

§ 19 Rz. 19.79

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Mehrheitsaktionärs motiviert seien, die nicht den Verkehrswert widerspiegelten. Der Erwerbspreis für die zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit steigenden Preisen ausübbaren Optionsrechte ließe keine Rückschlüsse auf einen Verkehrswert der Aktie zu Marktkonditionen zu.

19.80 Das OLG Düsseldorf stellte 2003 im Falle der Eingliederung einer AG unter Verweis auf die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG fest, dass der Minderheitsaktionär keinen Anspruch auf den außerbörslich gezahlten Preis hat, den ein Mehrheitsaktionär bereit ist zu zahlen, um die Aktien zu erlangen, die ihm für sein Quorum noch fehlen.1 Der Preis sei für den Minderheitsaktionär nur dann zu erzielen, wenn es ihm gelingt, gerade seine Aktien an den Mehrheitsaktionär zu veräußern.

19.81 Das OLG Hamburg berücksichtigte 2001 bei der Entscheidung über die Höhe der Abfindung nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages nicht, dass die Aktienmehrheit an der beherrschten Gesellschaft später (rd. vier Jahre) zu einem Preis, der rd. 80 % über der Abfindung lag, verkauft wurde.2 Das OLG Hamburg führt aus, dass der deutlich höhere Preis zwar nahelege, dass die Barabfindung zu niedrig festgesetzt sei. Aber der Preis bei Verkauf einer Aktienmehrheit in einem Paket könne sich am Markt nach anderen Kriterien bilden als der Börsenpreis, zu dem ein Kleinaktionär seine Aktien kauft und verkauft. Auch sei die Unternehmenspolitik des späteren Käufers nicht geeignet, als Richtschnur für den Verkehrswert der Aktien im normalen Börsenhandel zu dienen, zumal der Verkauf nicht in der Nähe des Stichtages, sondern wesentlich später stattgefunden hat.

19.82 Das BayObLG war 1998 hingegen der Auffassung, dass für die Bemessung einer Barabfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages außerbörsliche Preise für Aktien oder Aktienpakete als Anhaltspunkt verwendbar sind.3 Jedoch ist dies vor dem Hintergrund des späteren Konkurses von herrschender und beherrschter Gesellschaft zu sehen, weshalb sich das BayObLG außer Stande sah, ein tragfähiges Bewertungsgutachten einholen zu können. Außerdem lagen dem BayObLG Unterlagen über außerbörsliche Preise nicht vor, so dass sich die Frage einer konkreten Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen in diesem Fall nicht stellte.

19.83 Das OLG Celle entschied 1998, dass es auf den Preis, den das herrschende Unternehmen oder ihr nahestehende Personen in zeitlicher Nähe zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zahlen, nicht ankomme.4 Es bestehe kein Zusammenhang zwischen dem Preis einzelner Aktien oder Aktienpaketen und dem Unternehmenswert.

19.84 Das OLG Düsseldorf hielt 1997 Vorerwerbspreise für die Bemessung der Barabfindung regelmäßig ohne Belang und verweist darauf, dass dies im entschiedenen Fall erst recht gelte, da das entsprechende Erwerbsangebot unstreitig vor dem Hintergrund anhängiger Anfechtungsklagen erfolgt war.5

1 2 3 4 5

zernrecht, § 305 AktG Rz. 49 f.; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 21; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 305 AktG Rz. 95. OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00 AktE, AG 2003, 329 (331). OLG Hamburg v. 31.7.2001 – 11 W 29/94, AG 2002, 406 (408). BayObLG v. 29.9.1998 – 3Z BR 159/94, AG 1999, 43. OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (129). OLG Düsseldorf v. 20.11.1997 – 19 W 3/97 AktE, DB 1998, 462 (462) = AG 1998, 236.

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Vorerwerbspreise

Rz. 19.87 § 19

1994 entschied das OLG Düsseldorf ebenfalls gegen die Berücksichtigung außerbörslicher Aktienkäufe in erheblichem Umfang zu einem über der Abfindung liegenden Kurs.1 Das Gericht sah darin keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG, da diese Vorschrift das Verhalten der Aktiengesellschaft und ihrer Organe zum einzelnen Aktionär beträfe. § 53a AktG könne nicht, auch nicht entsprechend, auf das Verhältnis zwischen einem Mehrheitsaktionär und den Minderheitsaktionären angewendet werden. Die außerbörslichen Vorerwerbe stellten rein schuldrechtliche Verkehrsgeschäfte dar, die keinen unmittelbaren Bezug zum Gesellschaftsverhältnis aufweisen.

19.85

d) Ausgewählte LG-Entscheidungen Das Bild bei den Entscheidungen der Landgerichte ist nicht so eindeutig wie bei den höherund höchstrichterlichen Entscheidungen zu gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen. Das LG Stuttgart, das LG Frankfurt, das LG Hannover und das LG Köln berücksichtigten Vorerwerbspreise unter bestimmten Umständen in den nachfolgend dargestellten Fällen. Das LG München2 und das LG Hamburg3 lehnten dies jeweils in mehreren Fällen grundsätzlich ab.

19.86

aa) LG Stuttgart (2018) Das LG Stuttgart berücksichtigt in einer nicht rechtskräftigen Entscheidung aus 2018 die im 19.87 Rahmen eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots angebotene Gegenleistung bei der Bemessung der angemessenen Barabfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages.4 Es sieht im entschiedenen Fall übernahmerechtliche Besonderheiten, die aus vier Gründen in die Schätzung der angemessenen Abfindung nach § 287 Abs. 1 ZPO einfließen. Erstens hatte jeder Aktionär während des Übernahmeangebots das Recht, dem Mehrheitsaktionär seine Aktien zur angebotenen Gegenleistung anzudienen. Zweitens lag zwischen der Veröffentlichung des Übernahmeangebots und dem Bewertungsstichtag für die Bestimmung der Abfindung ein Zeitraum von weniger als fünf Monaten. Es gebe auch keine Anhaltspunkte für eine grundlegende Veränderung der Vermögens- und Ertragslage bis zum Bewertungsstichtag. Drittens hätte der Mehrheitsaktionär die notwendigen Schritte zum Abschluss eines wirksamen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bereits während der Phase des Übernahmeangebots durchführen können, da er bereits über eine sichere qualifizierte Hauptversammlungsmehrheit verfügte. Viertens sieht das LG Stuttgart eine Ausstrahlungswirkung der §§ 39a, 39c WpÜG. Diese Vorschriften ermöglichen dem Bieter, dem nach dem Übernahmeangebot Aktien der Zielgesellschaft von mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören, den sog. übernahmerechtlichen Squeeze-out. Erfolgt kein übernahmerechtlicher Squeeze-out, obwohl der Bieter das Recht dazu hätte, haben die Aktionäre, die das Übernahmeangebot nicht angenommen haben, gemäß § 39c Satz 1 WpÜG noch ein dreimonatiges Andienungsrecht. In diesem Fall hätten die verbliebenen Aktionäre noch über den Bewertungsstichtag hinaus das Übernahmeangebot annehmen können. Hieraus schließt das LG Stuttgart, dass die Höhe des Übernahmeangebots bei der Festlegung der Abfindung nicht unberücksichtigt bleiben darf. Das LG Stuttgart lässt jedoch über 1 OLG Düsseldorf v. 2.8.1994 – 19 W 1/93 AktE, AG 1995, 85 (86 f.). 2 LG München v. 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16; LG München v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15; LG München v. 2.12.2016 – 5 HK 5781/15; LG München v. 25.4.2016 – 5 HK 9122/14; LG München v. 31.7.2015 – 5 HKO 16371/13, AG 2016, 51. 3 LG Hamburg v. 23.2.2016 – 403 HKO 152/14; LG Hamburg v. 15.10.2015 – 403 HKO 42/14; LG Hamburg v. 21.3.2014 – 404 HKO 72/10. 4 LG Stuttgart v. 17.09.2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG, juris, n. rkr.

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§ 19 Rz. 19.87

Dritter Teil: Querschnittsfragen

diesen Sonderfall hinaus ausdrücklich die Frage offen, ob und in welchen Fällen bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen bezahlte Vorerwerbspreise bei der Bewertung des Unternehmens und bei der Bestimmung der angemessenen Abfindung zu berücksichtigen sind. bb) LG Frankfurt (2014)

19.88 Das LG Frankfurt hat in einem Spruchverfahren über die Angemessenheit der Abfindung ausgeschlossener Minderheitsaktionäre entschieden, sich bei seiner Schätzung an kurz vor Bekanntgabe der Squeeze-out-Absicht gezahlten Vorerwerbspreisen des Hauptaktionärs zu orientieren, da besondere Umstände vorlägen.1

19.89 In diesem Fall sei die Ertragswertmethode nicht geeignet, zu einer angemessenen Abfindung zu gelangen. In der ewigen Rente sei ein signifikanter Umsatz- und Gewinnrückgang geplant worden, während üblicherweise das letzte Planjahr bzw. ein Durchschnitt der konkreten Planjahre fortgeschrieben werde. Darüber hinaus seien die Parameter des Risikozuschlags umstritten. Alleine durch die Verwendung anderer Parameter beim Risikozuschlag und bei einer Ermittlung der ewigen Rente auf Basis des letzten Planjahres ergäbe sich – unter Beibelassung aller anderen Parameter – ungefähr eine Verdoppelung des Unternehmenswertes. Ein derartiges Marktversagen, bei dem der Markt nur die Hälfte des tatsächlichen Wertes einer Aktie erkennt, könne aber nicht ohne weitere Umstände, für die es keine Anhaltspunkte gäbe, angenommen werden. Daher bedürfe es auch nicht der Einholung eines weiteren Gutachtens.

19.90 Der vom LG Frankfurt als angemessen angesetzte Vorerwerbspreis betraf rd. 14 % des Grundkapitals und lag gut 10 % oberhalb des anteiligen Ertragswertes. Der Vorerwerb erfolgte ungefähr ein halbes Jahr vor dem Bewertungsstichtag Ende 2012. Mit dem Vorerwerb überschritt der Hauptaktionär die Schwelle von 95 %, die den Squeeze-out ermöglichte. Nach Auffassung des LG Frankfurt spricht nichts dagegen, einen etwaig darin enthaltenen Zuschlag auch den ausgeschlossenen Minderheitsaktionären zukommen zu lassen, da das Erreichen der 100 %-Schwelle ein vergleichbares Interesse sei. cc) LG Hannover (2011)

19.91 Das LG Hannover hatte über die angemessene Abfindung im Rahmen eines Delisting von börsennotierten Vorzugsaktien zu entscheiden. Das im Jahr 2006 erstellte Übernahmeangebot beruhte auf dem Dreimonatskurs der Vorzugsaktien vor der ad-hoc-Veröffentlichung über die Einleitung des Delistings. Der Bieter hatte ein Ertragswertgutachten eingeholt, demzufolge der Ertragswert jedoch unterhalb des Dreimonatskurses lag. Der Einleitung des Delisting ging Ende 2004 ein Erwerb der nicht börsennotierten Stammaktien dieser Gesellschaft sowie Anfang 2005 ein öffentliches Übernahmeangebot für die Vorzugsaktien voraus. Der im Übernahmeangebot offerierte Preis für die Vorzugsaktien lag fast 60 % unter dem Preis, zu dem die Stammaktien erworben wurden. Der Bieter wies in der Angebotsunterlage darauf hin, dass der erheblich höhere Kaufpreis für die Stammaktien auf der Bereitschaft des Bieters beruhte, für den Erwerb von mindestens 75 % der Stimmrechte eine strategische Prämie in Form eines sog. Paketzuschlags zu zahlen. Für die Vorzugsaktien war der Bieter nicht bereit, eine entsprechende Prämie zu zahlen.2

19.92 Nach Auffassung des LG Hannover ist die Ertragswertmethode zwar anerkannt und geeignet. Sie beruhe jedoch – trotz eines inzwischen beeindruckenden Stands des fachlichen Stan1 LG Frankfurt v. 25.11.2014 – 3/5 O 43/13. 2 LG Hannover v. 27.4.2011 – 23 AktE 130/06, juris.

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Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.96 § 19

dards – in ihren Fundamenten auf Annahmen und Prognosen und kann daher nur Schätzungen mit großen Streubreiten erreichen. Jede effektive Preisbildung für ein Unternehmen sei einer Schätzung des Verkehrswerts mittels eines von Sachverständigen berechneten Ertragswertes überlegen. Voraussetzung einer solchen Preisbildung sei eine Wettbewerbssituation zwischen gleichwertigen Vertragspartnern auf Käufer- und Verkäuferseite, um einen Ausgleich der gegenläufigen Preisvorstellungen zu gewährleisten. Es könne jedoch sein, dass die Marktpreise durch Sonderinteressen der Parteien oder besondere Marktsituationen verzerrt sind. Dann sei die indikative Bedeutung von Marktpreisen für den Verkehrswert eines Unternehmens geschwächt oder sogar vollständig entwertet. Nach Auffassung des LG Hannover handelte es sich bei den Vorerwerben um Geschäfte zwischen marktstarken und gleichwertigen Verhandlungspartnern. Es sei auch nicht erkennbar, dass außergewöhnliche Marktverhältnisse preisverzerrende Bedeutung hatten. Das LG Hannover hat daher den gesamten Unternehmenswert aus der Zahl der Stamm- und Vorzugsaktien abgeleitet, die mit den – sehr unterschiedlichen – tatsächlich gezahlten Preisen bewertet wurden. Das LG Hannover entschied, dass der durchschnittliche Preis über beide Aktiengattungen hinweg der angemessene Preis für die Vorzugsaktien sei. Im Ergebnis leitete das LG Hannover damit aus Vorerwerbspreisen einen Unternehmenswert ab, der deutlich (um rd. 70 %) über dem Unternehmenswert gemäß dem vom Bieter beauftragten Ertragswertgutachten lag. Das LG Hannover verzichtete auf die Begutachtung durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen, da dadurch zwar neue und voraussichtlich auch andere Modelle für den Unternehmenswert erreicht würden, die Aussage- und Überzeugungskraft dieser Ergebnisse aber nicht den Wert der marktpreisbezogenen Angemessenheitsentscheidung der Kammer erreichen könnten.

19.93

dd) LG Köln (2009) Das LG Köln hat 2009 in einer (durch das OLG Düsseldorf aufgehobenen) Entscheidung im Spruchverfahren anlässlich des Rückzugs der Börsennotiz („Delisting“) der Parsytec AG in Abweichung zu der gesamten höherinstanzlichen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – als erstes Gericht im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen den Vorrang der realitätsnahen Marktpreisbildung durch zeitnahe Anteilskäufe gegenüber der theoretischen Ertragswertberechnung bei der Festlegung des Unternehmenswertes betont. Zwar habe sich die für die Bestimmung der angemessenen Barabfindung notwendige Ermittlung des wahren Unternehmenswertes die Ertragswertmethode durchgesetzt, das Ertragswertverfahren sei jedoch nur ein Hilfsmittel zur Ermittlung des Verkehrswertes des Unternehmens. Soweit der Unternehmenswert aufgrund einer zeitnahen Unternehmensveräußerung bekannt sei, bedürfe es keiner schwierigen, komplexen, kostenträchtigen und mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten gutachtlichen Ertragswertberechnung.1

19.94

Das Gericht hielt die angebotene Barabfindung für angemessen, weil die für die Höhe der Barabfindung zugrunde gelegten, im zeitlichen Zusammenhang zum Bewertungsstichtag ermittelten Marktpreise für größere Aktienpakete den Verkehrswert des Unternehmens zutreffend widerspiegelten.

19.95

Voraussetzung für eine Orientierung an erzielten Marktpreisen ist nach der Auffassung des LG zum einen, dass der Erwerb der Anteile auf die Erlangung der Unternehmenskontrolle

19.96

1 LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, AG 2009, 835, aufgehoben durch OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – I-26 W 7/09 (AktE), juris.

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§ 19 Rz. 19.96

Dritter Teil: Querschnittsfragen

abzielt und das Aktienpaket die Kontrolle über das Unternehmen tatsächlich ermöglicht. Bei dem Erwerb eines über 50 % liegenden Aktienpakets sei anzunehmen, dass der pro Aktie vereinbarte Preis auch bei der Veräußerung eines noch größeren Aktienpakets oder des gesamten Unternehmens erzielt worden wäre. Die Wertermittlung für ein solches Aktienpaket basiere in einem solchen Fall auf Ertragswertgesichtspunkten und sei dann unternehmensbezogen und nicht anteilig bzw. börsenbezogen.

19.97 Zum anderen sei erforderlich, dass sich der Preis für die Unternehmenstransaktion in einer echten Marktsituation gebildet habe. Dies erfordere grundsätzlich eine Wettbewerbslage auf Käufer- und Verkäuferseite, in der sich gleichwertige Vertragspartner gegenüberstünden, die in der Lage seien, ihre gegenläufigen Interessen auszugleichen. Dies führe grundsätzlich zu einem für alle Beteiligten angemessenen Preis, der als Verkehrswert gelten könne. Ein auf diese Weise gebildeter Marktpreis sei jeder Schätzung des Marktwertes durch Sachverständige überlegen. Es handele sich schließlich um einen realisierten Wert, in den alle maßgeblichen Marktaspekte eingeflossen seien, und nicht um einen theoretischen Laborwert, der sich einseitig auf höchst unsichere Ertragswertaussichten stütze und zudem Marktaspekte völlig ausblende. 2. Sonstige Bewertungsanlässe

19.98 Bei Bewertungsanlässen, die nicht gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen betreffen, sind Vorerwerbspreise, soweit ersichtlich, nur vereinzelt Gegenstand der zivilrechtlichen Rechtsprechung geworden. Nachfolgend werden daher ergänzend auch zwei OLG-Entscheidungen aus dem Erb- und Familienrecht dargestellt, bei denen sich das Gericht mit der Frage zu befassen hatte, ob Unternehmens- und Anteilswerte aus Verkaufspreisen nach dem Stichtag („Nacherwerbspreise“) abgeleitet werden können. Der BFH hat sich aufgrund des gesetzlichen Vorrangs von Vorerwerbspreisen bei der Bestimmung des gemeinen Werts häufig mit Fragen zur Bestimmung und Verwendbarkeit von Vorerwerbspreisen auseinandergesetzt. a) BGH: Pflichtteilsergänzungsanspruch (1982)

19.99 Zur Bewertung eines kaufmännischen Unternehmens für die Berechnung eines Pflichtteilergänzungsanspruchs hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 17.3.1982 keine Bedenken, dass der Verkehrswert einer Beteiligung des Erblassers an einer GmbH nach dem Verkaufserlös bemessen wird, der etwa ein Jahr nach dem Erbfall für das Unternehmen erzielt worden ist. Bedingung dafür ist, dass in der Zeit zwischen dem Bewertungsstichtag und der Veräußerung keine wesentlichen Veränderungen des Marktes ersichtlich sind.1 b) OLG Köln: Auskunftsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten (2014)

19.100 Das OLG Köln entschied 2014 im Zusammenhang mit dem Auskunftsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten bezüglich einer zum Nachlass gehörenden Unternehmensbeteiligung, dass ein kurz nach dem Erbfall erzielter Kaufpreis grundsätzlich einen Anhaltspunkt für den Wert eines Unternehmensanteils darstellen könne. Dies gelte aber nur bei einem Verkauf auf dem freien Markt an einen unbeteiligten Dritten. Im entschiedenen Fall erfolgte der Verkauf aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Regeln an die übrigen Gesellschafter der GmbH zu einem Preis, dessen Ermittlung im Gesellschaftsvertrag festgelegt ist. Es seien daher außergewöhnliche Verhältnisse gegeben, die eine Orientierung am Kaufpreis nicht zuließen. 1 BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497.

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Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.105 § 19

c) OLG Dresden: Zugewinnausgleich (2008) Das OLG Dresden hatte im Jahr 2008 im Rahmen eines Verfahrens zur Höhe des Zugewinnausgleichs über den Wert einer Unterbeteiligung an einem Kommanditanteil zu entscheiden.1 Zu diesem Wert lag das Ertragswertgutachten eines Sachverständigen vor, der den Wert der Unterbeteiligung aus dem Ertragswert der Kommanditgesellschaft abgeleitet hat. Der Ertragswert wurde durch Prognose der Zukunftserfolge des Unternehmens auf Grundlage der Gesamtleistung in der bereinigten Vergangenheit der letzten fünf Geschäftsjahre vor dem Bewertungsstichtag ermittelt. Unmittelbar nach dem Bewertungsstichtag wurden sämtliche Anteile an der Kommanditgesellschaft veräußert. Die Vertragsverhandlungen über den Verkauf begannen schon vor dem Stichtag. Der Anteil der Unterbeteiligten am Verkaufserlös lag um rd. 45 % über dem anteiligen Ertragswert.

19.101

Für das OLG Dresden stand zwar außer Zweifel, dass der tatsächliche Kaufpreis auf den „wahren, wirklichen Wert“ hinweist, weil dieser den im Wirtschaftsverkehr erzielbaren Wert dokumentiert. Da jedoch nicht lediglich die zu bewertende Unterbeteiligung verkauft wurde, sondern das gesamte Unternehmen, enthielte der Verkaufserlös eine strategische Prämie aufgrund der Verbundvorteile der Erwerberfirma. Aus diesem Grund hat das OLG Dresden den Wert der Unterbeteiligung mit dem anteiligen Ertragswert der Kommanditgesellschaft angesetzt.2

19.102

d) Ausgewählte BFH-Entscheidungen (1980–2016) Die nachfolgenden dargestellten BFH-Entscheidungen geben Anhaltspunkte, unter welchen besonderen Umständen Vorerwerbspreise zur Ableitung von Unternehmens- und Anteilswerten nicht geeignet sind. Darüber hinaus sind den Entscheidungen auch Hinweise zu entnehmen, wie der Wert am Bewertungsstichtag aus Vorerwerbspreisen abgeleitet werden kann.

19.103

Der BFH hat 2016 dargelegt, dass Vorerwerbspreise aus außerbörslichen Verkäufen von Aktien 19.104 („auf dem freien Markt“) bei der Ableitung des gemeinen Werts zu berücksichtigen sind, wenn die Kaufpreise im gewöhnlichen Geschäftsverkehr und unter drittüblichen Bedingungen zustande gekommen sind. Keine ungewöhnlichen Verhältnisse liegen vor, wenn der Preis durch allgemeine politische Erwägungen oder durch Spekulation bestimmt wird. Denn der Einfluss solcher Umstände auf den Kaufpreis von Wertpapieren, insbesondere Aktien, ist eine Grundtatsache eines freien Marktes. Preise, die sich unter solchen Umständen gebildet haben, entsprechen der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse und im Freiverkehr.3 In einer Entscheidung aus 2013 hat der BFH dargestellt, dass der Verkauf eines Zwerganteils an einem Unternehmen für die Ableitung des gemeinen Werts der übrigen Anteile nur einen begrenzten Aussagewert hat. Ob ein Zwerganteil vorliege, lasse sich nicht allein anhand der prozentualen Höhe des verkauften Anteils beurteilen. Entscheidend sei, ob die rechtlichen Vereinbarungen und die tatsächlichen Gegebenheiten den Schluss zulassen, dass der Anteil im Hinblick auf die geringe Höhe zu einem Preis verkauft wurde, der nicht dem gemeinen Wert der restlichen Anteile entspricht. Ist der verkaufende Gesellschafter zugleich Geschäftsführer, könne dies ein Indiz dafür sein, dass auch der Verkauf eines nur geringen Anteils zu einem marktgerechten Preis erfolgt ist und damit zugleich eine Wertableitung erlaube.4 1 2 3 4

OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07. Lauber hält dies für ein „elementares Fehlverständnis“, vgl. Rz. 30.57. BFH v. 1.9.2016 – VI R 16/15, AG 2017, 75. BFH v. 16.5.2013 – II R 4/11, GmbHR 2013, 836.

Leverkus 573

19.105

§ 19 Rz. 19.106

Dritter Teil: Querschnittsfragen

19.106 In einem 2010 entschiedenen Fall repräsentierten die Vorerwerbspreise nach Auffassung des BFH nicht mehr den gemeinen Wert der Aktien zum Bewertungsstichtag, weil bereits vor dem Bewertungsstichtag ein Börsengang vorbereitet wurde, bei dem die Beteiligten von einer achtmal höheren Bewertung der Anteile im Vergleich zu den Vorerwerbspreisen ausgingen. Der betroffene Arbeitnehmer erhielt eine relativ geringe laufende Lohnzahlung, aber eine hohe Wertzuwendung in Form von Aktien.1

19.107 In einem vom BFH 2009 entschiedenen Fall wurde der ursprünglich gezahlte Kaufpreis nach dem Bewertungsstichtag um ca. 30 % gekürzt, weil der Erwerber von einem Minderungsrecht Gebrauch machte. Nach Auffassung des BFH sei das Minderungsrecht bereits am Bewertungsstichtag zu berücksichtigen, wenn nach objektiven Wertmaßstäben die Voraussetzungen für das Minderungsrecht bereits am Bewertungsstichtag vorhanden waren und die Minderung später auch tatsächlich vollzogen wurde.2

19.108 Ebenfalls 2009 hat der BFH entschieden, dass ein vereinbarter Kaufpreis auch dann vorrangig zur Ableitung des gemeinen Wertes heranzuziehen ist, wenn im Rahmen der Veräußerung zeitgleich Auslastungsgarantien abgeschlossen oder beendet werden, der Erwerber bereits vorher Gesellschafter-Geschäftsführer war, der Kaufpreis dem anteiligen Eigenkapital gemäß der im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Abfindungsregel entspricht und Vorkaufsrechte zwischen den Gesellschaftern bestanden. Für die Beurteilung der Marktüblichkeit zog der BFH die Absagen von zwei weiteren potentiellen Käufern heran, weshalb der Verkauf an den Gesellschafter-Geschäftsführer in Form eines Management Buy-Outs die alleine verbliebene Option gewesen sei. Es könne eine freie Wahrnehmung der eigenen Interessen seitens der Vertragspartner angenommen werden.3

19.109 Der BFH hat 1988 entschieden, dass der für Anteile an einer GmbH erzielte Kaufpreis nicht deshalb auf ungewöhnlichen Verhältnissen beruht, weil die Preisbemessung dadurch beeinflusst worden ist, dass ein branchenfremdes Unternehmen in die Branche der GmbH einzudringen versucht. Gleiches gelte auch, wenn ein Unternehmen desselben Geschäftszweiges ein anderes Unternehmen aufkauft, um sich in einem bestimmten Gebiet einer Konkurrenz zu entledigen.4

19.110 Der BFH befand 1980, dass ein Anteilsverkauf, durch den in erster Linie eine Neuordnung der Unternehmen des Anteilsveräußerers und des Erwerbers mit dem Ziel einer gegenseitigen engen wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit angestrebt wurde, nicht als Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr anzusehen ist, da der Preis in erheblichem Maße durch persönliche Verhältnisse von § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG beeinflusst war.5

VI. Vorerwerbspreise in der Literatur 19.111 Soweit ersichtlich, wird die Frage der Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen in der Literatur nur im Zusammenhang mit der Ermittlung von Barabfindungen bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen diskutiert, dort jedoch äußerst kontrovers.

1 2 3 4 5

BFH v. 29.7.2010 – VI R 30/07, AG 2010, 914 (916). BFH v. 22.1.2009 – II R 43/07, GmbHR 2009, 670 = ZEV 2009, 314. BFH v. 14.7.2009 – IX R 6/09, GmbHR 2010, 274. BFH v. 2.11.1988 – II R 52/85, GmbHR 1989, 178. BFH v. 28.11.1980 – III R 86/78, BB 1981, 718.

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Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.114 § 19

Die wohl herrschende Meinung sieht keine Pflicht zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen.1 Einige neuere Beiträge lassen eine differenzierte Sichtweise erkennen.2 Andere Stimmen fordern indessen die Berücksichtigung derartiger Vorerwerbspreise im Rahmen der Abfindungsermittlung.3 In eine ähnliche Richtung, wenn auch ohne direkten Bezug zu Vorerwerbspreisen, zielen Meinungen in der Literatur, die eine stärkere Marktorientierung oder gar den Vorrang marktanalytischer Methoden fordern.4 Darüber hinaus empfahlen verschiedene Autoren die Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen bei der Bemessung der Barabfindung im Squeeze-out-Verfahren gem. § 327b AktG de lege ferenda im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren.5 Eine weitere Diskussion betrifft die Frage, inwieweit Vorerwerbspreise als (weiterer) Mindestpreis einer Abfindung anzusehen sind.6

19.112

Im Folgenden werden in drei erkennbaren Kategorien die Argumente und Gegenargumente dargestellt.

19.113

1. Vorerwerbspreis ist kein Grenzpreis Die herrschende Meinung lehnt die Verwendung von Vorerwerbspreisen bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen vor allem ab, weil sich die Abfindung im Vertragskonzernrecht nach dem Grenzpreis des abgefundenen Aktionärs bestimmt, nicht aber nach dem Schiedspreis.7 Nur der Schiedspreis, der gegenläufige Interessen ausgleichen soll, ließe auch

1 Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 31; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 82; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 111; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 73 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 131; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 67; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 327b AktG Rz. 40; Austmann in MünchHdb. AG, § 75 Rz. 102 f.; Steinle/Liebert/Katzenstein in MünchHdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 34 Rz. 177 f.; Singhof in Spindler/Stilz, § 327b AktG Rz. 4; Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 35; Bode, Der Konzern 2010, 529; Land/Hennings, AG 2005, 380 (386); Vetter, AG 2002, 176 (188); Piltz, ZGR 2001, 185 (197 ff.); Wilm, NZG 2000, 234 (240); Seetzen, WM 1999, 565 (571); Popp/Ruthardt, Unternehmensbewertung im Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht in IDW (Hrsg.), WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kapitel C Rz. 53 f. 2 „Allenfalls im Rahmen der Plausibilisierung“, Jaspers/Posch in Böttcher/Habighorst/Schulte, Umwandlungsrecht, Anhang § 11 SpruchG Rz. 209 f.; „abhängig von den Umständen des Einzelfalls“, Humrich in MünchHdb. Umwandlungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rz. 367 ff.; „jedenfalls nicht im Sinne eines Mindestbetrags“, Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 327b AktG Rz. 9. 3 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 50; Hirte/ Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 145; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1271 ff.; Rathausky, FB 2008, 114 (115 ff.); Hüttemann, WPg 2007, 812 (822); Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 (1061 f.); W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (717 f.); Behnke, NZG 1999, 931 (934); Götz, DB 1996, 259 (264); Schüppen, ZIP 2016, 1413, 1418 f. 4 Vgl. Fleischer, AG 2014, 97 (114); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (537 ff.); Hüttemann, ZGR 2001, 454 (470); Luttermann, ZIP 1999, 45 (47). 5 Vgl. Krieger, BB 2002, 57; Deutscher Anwaltsverein-Handelsrechtsausschuss, NZG 2001, 420 (431); Deutscher Anwaltsverein-Handelsrechtsausschuss, NZG 1999, 850 (851). 6 Vgl. Schüppen, ZIP 2016, 1413, 1418 f.; Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 343. 7 Vgl. Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 67.

Leverkus 575

19.114

§ 19 Rz. 19.114

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Ableitungen aus Hilfsgrößen zu.1 Die Bewertung habe gedanklich darauf zu beruhen, dass das Unternehmen ohne die Strukturmaßnahme weitergeführt würde.2

19.115 Folgerichtig werden nach herrschender Meinung auch bei der Ertragswertberechnung sog. Verbundeffekte, also aus der Strukturmaßnahme resultierende Vorteile, bei der Barabfindung nicht berücksichtigt: Der Aktienkauf unter dem Gesichtspunkt, nur durch den Käufer realisierbare Synergievorteile zu realisieren, habe mit dem Wert des Unternehmens nichts zu tun.3 Dementsprechend sei auch die Berücksichtigung von Paketzuschlägen nicht geboten4, die auf solche Synergievorteile des Käufers zurückzuführen seien.5 Der einzelne Aktionär kann diesen Mehrwert gegenüber dem Börsenkurs nicht erzielen, sofern er nicht die „Gunst der Stunde“6 genutzt hat, also seine Aktien tatsächlich an den Vorerwerber veräußert hat. Die Ablehnung eines Übernahmeangebots deute zwar auf einen individuell höheren Verkäufergrenzpreis hin, welcher jedoch keine geeignete Wertindikation darstelle.7 Auch könnten die Vorerwerbspreise überhöht8 sein, weil dem Mehrheitsaktionär die Durchführung einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme sonst unmöglich wäre. Auf solche überhöhten Preise habe ein Minderheitsaktionär jedoch keinen Anspruch.9

19.116 Darüber hinaus ließe sich die Verwendung von Vorerwerbspreisen nur mit dem Postulat einer Gleichbehandlungspflicht rechtfertigen, für die eine tragfähige Grundlage nicht ersichtlich sei.10 Die gesetzliche Regelung sei nicht darauf gerichtet, allen verbleibenden Aktionären ein Ausscheiden aus der Gesellschaft zu im wesentlichen gleichen Konditionen zu ermöglichen, sondern wolle lediglich sicher stellen, dass den Minderheitsaktionären für den Verlust ihrer Beteiligung an der Gesellschaft eine deren tatsächlichem Wert entsprechende Entschädigung gewährt wird.11 Normadressat des aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes sei nur die Aktiengesellschaft als solche bzw. deren Organe, nicht aber die Aktionäre untereinander.12

19.117 Dagegen wird eingewendet, dass der Hauptaktionär, wenn er in zeitlicher Nähe zu den Vorerwerben eine Strukturmaßnahme vornimmt, sich von deren Umsetzung Synergieeffekte ver-

1 Vgl. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 31. 2 Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65; Land/Hennings, AG 2005, 380 (386); Seetzen, WM 1999, 565 (572). 3 Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 73 f.; Land/Hennings, AG 2005, 380 (386). 4 Vgl. Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 67; Land/Hennings, AG 2005, 380 (386 f.). 5 Vgl. Piltz, ZGR 2001, 185 (198). 6 Vgl. Wilm, NZG 2000, 234 (240); Piltz, ZGR 2001, 185 (198). 7 Hachmeister/Ruthardt, DB 2014, 1689 (1690). 8 Warum die Vorerwerbspreise „überhöht“ sind, wird nicht begründet. Gemeint sein könnten z.B. Knappheitspreise, die aus Strategien bestimmter Investoren (z.B. Hedge-Fonds) resultieren, bei Übernahmen von Aktiengesellschaften die verbliebenen Aktien zu bündeln, um ein bestimmtes Stimmrechtsanteil des Käufers zu verhindern. Wenn dieses Quorum für den Käufer nach den gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Vorgaben erforderlich ist, um Synergiepotentiale zu realisieren, könnte der Grenzpreis des Käufers für diese Aktien deutlich höher liegen als der durchschnittliche Erwerbspreis. 9 Vgl. Wilm, NZG 2000, 234 (240). 10 Vgl. Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 131. 11 Vgl. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 327b AktG Rz. 40. 12 Vgl. Bode, Der Konzern 2010, 529 (531).

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Vorerwerbspreise

Rz. 19.119 § 19

spricht und diese über Aufschläge zum Börsenkurs abzugelten bereit ist.1 Da für ihn nur solche Käufe wertschöpfend wirken, bei denen er nicht alle möglichen Synergieeffekte dem Verkäufer abgelten muss, ist die Höhe des Vorerwerbspreises ein Anhaltspunkt für die Untergrenze seines „wahren“ Wertes am Unternehmen. Synergien stellten auch nach dem Vorerwerb ein Teil des Unternehmenswertes dar und spiegelten die „Verhältnisse der Gesellschaft“ wider. Daher sei es irrelevant, ob Minderheitsaktionäre diese durch Verkauf an den Hauptaktionär hätten realisieren können.2 Außerdem ergebe sich die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung von Minderheits- und 19.118 Mehrheitsaktionären indirekt aus dem übergeordneten Grundsatz der Erfolgsaufteilung nach dem Verhältnis der geleisteten Einlagen, der das Aktienrecht präge.3 Danach partizipierten alle Aktionäre am finanziellen Erfolg des Unternehmens quotal entsprechend der geleisteten Einlagen. Kontrollprämien müssen nicht unbedingt auf Synergievorteilen beruhen, die zudem auch überschätzt werden könnten. Kontrollprämien können auch auf Motiven beruhen, die nach dem Grundsatz der quotalen Erfolgsaufteilung auch den Minderheitsaktionären zuzurechnen sind. Dies können zum einen Sondervorteile sein, die sich der Mehrheitsaktionär zu Lasten des Minderheitsaktionärs etwa durch nicht marktgerecht gestaltete Konzernverrechnungspreise, das Zurückhalten von Informationen oder einer Reallokation von Geschäftschancen verspricht. Zwar sehe das Aktienrecht Regeln vor, die der Ziehung von Sondervorteilen entgegenwirken sollen. Es ergeben sich aber Probleme durch Ermessensspielräume sowie bei der Identifizierung und Quantifizierung nachteiliger Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen. Zum anderen können Kontrollprämien auf der Möglichkeit beruhen, die Geschäftspolitik auf legale Weise wertoptimaler bestimmen zu können, insbesondere auch – im Gegensatz zu den Minderheitsaktionären – die unbedingte Option, eine nicht wertoptimal handelnde Geschäftsführung umgehend austauschen zu können. Insofern ergebe sich hieraus ein Grundsatz der Berücksichtigung der Kontrollprämie. Der Minderheitsaktionär habe zwar keinen Einfluss darauf, wann Ausschüttungen aus dem Unternehmen erfolgen, jedoch ist die quotale Beteiligung an den Unternehmenserfolgen (ohne Abzug von Sondervorteilen und bei Annahme einer optimalen Unternehmenspolitik der Geschäftsführung) über die Totalperiode des Unternehmens zumindest theoretisch sichergestellt.4 Darüber hinaus mache es prinzipiell keinen Unterschied, ob der Hauptaktionär die zum Quorum fehlenden Aktien solange über die Börse kauft, bis der steigende Nachfragepreis auf ausreichend Aktienangebot trifft, oder ob der Vorerwerb außerbörslich mit Paketaufschlag erfolge. Der Paketpreis gibt einen Hinweis auf den „wahren Wert“, den der Käufer nicht bezahlt hätte, würde er diesen nicht als gerechtfertigt erachten.5 Winner unterscheidet bei dieser Frage nach der Größe des erworbenen Pakets: Je größer das erworbene Paket ist, desto eher hat der Vorerwerbspreis eine Indikatorfunktion für die Angemessenheit einer Abfindung, da ein großes Paket üblicherweise nur zu einem Preis erworben wird, der neben dem StandAlone-Wert auch angemessene Synergien widerspiegelt. Ein hoher Preis für einzelne Anteile zur Überschreitung wichtiger Schwellenwerte könne hingegen Prämien enthalten, zu deren Weitergabe der Hauptgesellschafter nicht verpflichtet werden könne.6 1 2 3 4 5 6

Hierzu bereits im Zusammenhang mit dem Bezugsrechtsausschluss Lutter, ZGR 1979, 401 (418). Vgl. Rathausky, FB 2008, 114 (116). Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 361. Ruthardt, NZG 2014, 972 ff. Vgl. Rathausky, FB 2008, 114 (116). Winner, Wertermittlung bei dominierten Transaktionen, in Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, S. 126.

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19.119

§ 19 Rz. 19.120

Dritter Teil: Querschnittsfragen

19.120 Auch sei die Behauptung, dass Vorerwerbspreise überhöht seien und keine Beziehung zum Verkehrswert der Aktien hätten, nur schwer nachzuvollziehen, wenn handels- und steuerrechtlich davon ausgegangen wird, dass die Vorerwerbspreise auf rationalen Erwägungen des Großaktionärs beruhten und damit von ihm als Anschaffungskosten zu bilanzieren seien.1 Man könne die gesetzlichen Wertfindungsmodelle im WpÜG und im BewG nicht übergehen, wenn es primär darum gehe, vernünftige Grundlagen für eine Schätzung des Verkehrswertes zu finden.2 2. Vorrang von Marktpreisen

19.121 Die Hauptargumentationslinie der Befürworter der Verwendung von Vorerwerbspreisen geht jedoch gar nicht auf die Frage ein, ob nun ein Grenz- oder ein Schiedspreis zum „wahren Wert“ führt oder inwieweit Synergievorteile und Paketzuschläge zu berücksichtigen seien. Sie verweisen darauf, dass auch ein außerhalb der Börse gezahlter Preis einen Marktpreis darstelle. Wird ein Preis im Rahmen eines Verkehrsgeschäftes frei ausgehandelt, so sei damit grundsätzlich die beste Methode angewandt worden, um den Verkehrswert zu bestimmen.3 Dies wird teilweise mit dem Hinweis auf die Schwächen der kapitalwertorientierten Unternehmensbewertungsverfahren verbunden, denen angesichts ihrer Schwächen nur eine mit kritischen Vorbehalten hinzunehmende Hilfslösung zugebilligt wird, wenn marktnähere Möglichkeiten ausfallen.4

19.122 Emmerich hebt hervor, dass ein Unternehmen in einer Marktwirtschaft immer mindestens so viel wert ist, wie am Markt tatsächlich dafür gezahlt wird. Marktpreise seien grundsätzlich anderen Maßstäben überlegen. Gegenüber dem Einwand, eine sachverständige Fundamentalbewertung des Unternehmens sei besser geeignet, den „wahren“ Wert des Unternehmens zu bestimmen als ein Marktpreis, würde mit Recht erwidert, dass der „wirkliche“ Ertragswert eines Unternehmens ebenfalls eine „hoffnungslose Unbekannte“ ist und umfängliche Bewertungsgutachten eine Rationalität der Unternehmensbewertung vortäuschen, die tatsächlich, wenn man die Unsicherheit von Prognosen in Rechnung stellt, gar nicht erreichbar sei.5

19.123 Stilz ist der Auffassung, dass durch die Verwendung eines Preises, der im Rahmen eines Verkehrsgeschäftes frei ausgehandelt wird, grundsätzlich die beste Methode angewandt würde, um den Verkehrswert zu bestimmen. Wer meine, dass der Markt ein Unternehmen falsch einschätzen könne, müsse zunächst wissen, was die richtige Einschätzung ist. Es erstaune, wenn die Gefahr einer Fehleinschätzung des Marktes thematisiert wird, ohne wenigstens gleichzeitig auf die sich regelmäßig als unzutreffend erweisenden Prognosen bei der Ertragswertberechnung einzugehen. Der Glaube, mit Ertragswertmethoden den „wahren“ Wert eines Unternehmens finden zu können, sollte aufgegeben werden. Es handele sich um einen Notbehelf, mit dessen Hilfe eine große Bandbreite an Werten begründet werden könne.6

19.124 Nach Hirte/Hasselbach stellen Vorerwerbspreise einen Marktpreis dar, dessen Nicht-Berücksichtigung für die Höhe der Abfindung der Rechtfertigung bedürfe – und nicht umgekehrt.7 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 (1061). Vgl. Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (540 f.). Vgl. Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (536). Vgl. Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (541). Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 49 f. Vgl. Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (534–538). Vgl. Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 145.

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Vorerwerbspreise

Rz. 19.128 § 19

Busse von Colbe meint, es sei widersinnig, bei (nicht) börsennotierten Gesellschaften auf vorhandene Marktpreise zu verzichten und ausschließlich auf die Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode zu vertrauen.1 Nach Ansicht von Rathausky ist es keine Voraussetzung für einen Marktpreis, sich an einem organisierten Markt auszubilden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum gerade ein in zeitlicher Nähe vereinbarter Erwerbspreis, der dem Kapitalmarkt eine durch den Hauptaktionär abgegebene Beurteilung über den tatsächlichen Wert am Aktieneigentum liefert, unbeachtlich bleiben soll. Darüber hinaus könnten für Preisdifferenzen nicht nur Verbundeffekte, sondern auch unterschiedliche Bewertungsdeterminanten ursächlich sein. Neben divergierenden Ertragserwartungen oder unterschiedlichen Risikoneigungen der Parteien könne es insbesondere auch Unterschiede hinsichtlich des Informationsstands über die künftigen Erfolge des zu bewertenden Unternehmens geben.2

19.125

Großfeld verweist einschränkend darauf, dass es sich bei Vorerwerbspreisen zumindest bei Verträgen „unter Profis“ um Marktpreise handele, die so aussagekräftig wie Börsenkurse seien.3 Schnabel/Köritz halten ebenfalls die Form, wie der Vorerwerbspreis zustande gekommen ist, für eine relevante Größe und verweisen im Fall der Entscheidung des LG Köln in Sachen „Parsytec“ darauf, dass der Sachverhalt sehr stark durch den recht zeitnah vorausgegangenen Bieterwettbewerb in Form eines Auktionsverfahrens geprägt war.4

19.126

Adolff meint zwar, Vorerwerbspreise können zumindest als Indiz für den Fundamentalwert verwendet werden. Aus dem Recht ließe sich nicht ableiten, diese Preise vollständig unberücksichtigt zu lassen. Wer Vorerwerbspreise berücksichtige, schließe aber von den Grenzpreisen der Mehrheit bei einem bestimmten Paketgeschäft auf den Grenzpreis eines außenstehenden Dritten für das Unternehmen in seiner Gesamtheit. Diese Schlussfolgerung sei problematisch, weil sowohl spezielle Transaktionsmotive der Mehrheit (Erreichen eines Schwellenwerts; Auskaufen eines opponierenden Aktionärs) als auch spezielle Konditionen (Gewährleistungen, Garantien, earn-out-Klauseln und andere Instrumente der individuell ausgehandelten Risikoallokation zwischen den Parteien) nicht in das Bewertungsmodell hineingetragen werden dürften.5

19.127

Gegen die Verwendung von Vorerwerbspreisen als Marktpreise argumentiert die herrschende Meinung, dass zwischen dem Preis einzelner Aktien oder auch von Aktienpaketen und dem Wert der Gesellschaft kein unmittelbarer Zusammenhang bestehe.6 Einzelne, vom anderen Vertragsteil gezahlte Preise könnten nicht als Ausdruck von Marktverhältnissen bewertet werden. Die Preise hätten sich nicht auf einem organisierten Markt eingestellt, sodass die Markteigenschaft nicht erfüllt sei.7 Auch sage der Preis einzelner Aktien generell nichts über den objektivierten Wert8 bzw. den Gesamtwert9 des Unternehmens aus. Ein Erwerber, dem relativ wenige Anteile zum Erreichen der Schachtel- oder Mehrheitsbeiligung fehlten, könne auch bereit sein, dafür überproportional viel zu zahlen. Sofern der Mehrheitsgesellschafter die Gesell-

19.128

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 (1061). Vgl. Rathausky, FB 2008, 114 (118 ff.). Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1271 ff. Vgl. Schnabel/Köritz, BewertungsPraktiker 2009, 47 (49). Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 377. Vgl. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 31. Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DB 2014, 1689 (1690). Vgl. Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 82. Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65.

Leverkus 579

§ 19 Rz. 19.128

Dritter Teil: Querschnittsfragen

schaft bereits beherrscht, könne der Preis für weitere Anteile hingegen keine Prämie mehr enthalten, so dass eine „lineare Bewertung“ nicht möglich sei.1 Es sei zudem auch sehr unwahrscheinlich, jedenfalls aber unsicher, dass die Verhältnisse im Zeitraum zwischen Anteilskauf und Stichtag unverändert geblieben seien. Letztlich komme es nicht auf „Meinungen“ des Erwerbers, sondern auf den unabhängig davon zu ermittelnden Unternehmenswert an.2 Speziell in Bezug auf die Bestimmung des Pflichtteils wird zudem auf die Gefahr einer kollusiven Zusammenarbeit zwischen Erben und Käufer verwiesen.3

19.129 Als weiteres Argument gegen die Verwendung von Vorerwerbspreisen als Marktpreise wird die zeitliche Komponente angeführt. Es sei sehr unwahrscheinlich, jedenfalls aber unsicher, dass die Verhältnisse im Zeitraum zwischen Anteilskauf und Stichtag unverändert geblieben seien.4 Durch die Berücksichtigung von Vorerwerben würden historische Daten eine nur schwer zu rechtfertigende Aufwertung erfahren, ein konstanter Wert des Unternehmens im Vorerwerbszeitraum sei „pure Prämisse“. Vorerwerbspreise könnten allenfalls im Rahmen der Plausibilisierung eines auf anderer Grundlage gewonnenen Ergebnisses verwendet werden.5 3. WpÜG analog anwendbar

19.130 Die Befürworter einer Pflicht zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen stützen ihre Ansicht auch auf die Vorschriften des im WpÜG kodifizierten Übernahmerechts (vgl. Rz. 19.36 ff.), die zur Bemessung der Abfindung bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen entsprechend heranzuziehen seien.6 Eine rechtsvergleichende Betrachtung zeige, dass Übernahme- und Konzernrecht funktionsäquivalent seien.7

19.131 Dem wird entgegengehalten, dass eine entsprechende Anwendung des Übernahmerechts ausscheide, weil im Konzernrecht weder eine planwidrige Regelungslücke bestehe noch die Interessenlage mit derjenigen bei Übernahme- oder Pflichtangeboten vergleichbar sei.8 An der Planwidrigkeit der Regelungslücke fehle es allein deshalb, weil der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 327b AktG eine Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen in Erwägung gezogen, aber nicht umgesetzt hat.9 Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass sich der 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Hachmeister/Ruthardt, DB 2014, 1689 (1690). Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65. Vgl. Riedel, Bewertung von Gesellschaftsanteilen im Pflichtteilsrecht, 2006, S. 13. Vgl. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 65. Vgl. Jaspers/Posch in Böttcher/Habighorst/Schulte, Umwandlungsrecht, Anhang § 11 SpruchG Rz. 209, bezüglich der Plausibilisierung unter Verweis auf IDW S 1, Rz. 13. Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 50; Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 145. Vgl. Hirte/Hasselbach in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 145. Vgl. ausführlich m.w.N.: Bode, Der Konzern 2010, 529. In einem Entwurf des § 327b Abs. 1 AktG sah ein Satz drei solche Vorerwerbe als relevant an, die im Rahmen eines öffentlichen Angebots innerhalb der letzten sechs Monate vor der Fassung des Übertragungsbeschlusses erfolgten, sofern das Angebot von mindestens 90 % der Aktionäre angenommen worden ist. Vgl. Bode, Der Konzern 2010, 529. Der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins e.V. hat in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf die Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen der letzten drei Monate nach dem Vorbild von § 31 WpÜG und § 4 WpÜG-AngebVO vorgeschlagen, vgl. NZG 2001, 420 (431). Noch weitergehender war der eigene Gesetzesvorschlag des Handelsrechtsausschusses des Deutscher Anwaltsvereins e.V., der eine Berücksichtigung des höchsten Vorerwerbspreises der letzten 12 Monate vorsah, vgl. NZG 1999, 850 (851).

580

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.134 § 19

Gesetzgeber bewusst gegen eine Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen1 entschieden hat. Schließlich sei auch die Zweckrichtung des Übernahmerechts mit der Interessenlage der Minderheitsaktionäre im Konzernrecht nicht vergleichbar. Im Übernahmerecht würde der vermögensrechtliche Schutz der Aktionäre im Wesentlichen durch den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 WpÜG) sichergestellt: Im Rahmen des Kontrollerwerbs muss der Bieter allen Aktionären den gleichen Preis anbieten. Die Aktionäre haben die Wahl, ob sie das öffentliche Angebot annehmen oder ablehnen. Eine Überprüfung der angebotenen Gegenleistung im Spruchverfahren ist jedoch nicht vorgesehen. Im Konzernrecht soll hingegen sichergestellt werden, dass die Minderheitsaktionäre beim zwangsweisen Ausschluss für den Verlust ihrer Aktionärsstellung voll entschädigt werden. Hierzu eröffnet der Gesetzgeber den Minderheitsaktionären die Möglichkeit, die angebotene Barabfindung im Spruchverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Der vermögensrechtliche Schutz der Minderheitsaktionäre wird durch das Angemessenheitsgebot und das Spruchverfahren sichergestellt. Der (übernahmerechtliche) Gleichbehandlungsgedanke ist diesem Schutzkonzept jedoch fremd.2 Nach Auffassung von Schüppen war die Frage der Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen und die damit zusammenhängende Frage eines Paketabschlags beim Mindestpreis nach WpÜG ein zentraler Diskussionspunkt des Gesetzgebungsverfahrens. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Wertentscheidung in § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG, nochmals konkretisiert durch § 31 Abs. 7 WpÜG i.V.m. § 4 WpÜG-AngVO, sind Vorerwerbe im Sinne einer Preisuntergrenze zu berücksichtigen. Die Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ in § 327b AktG durch die Gerichte darf diese gesetzgeberische Wertentscheidung im WpÜG nicht außer Acht lassen. Die diesbezüglich ablehnende Rechtsprechung des BGH und der OLG stütze sich ausschließlich auf ein dies vorgebendes Diktum des BVerfG aus 1999. Das WpÜG sei jedoch erst später verabschiedet worden. Vorerwerbspreise stellten insofern eine weitere Untergrenze für die zu gewährende Abfindung dar.3

19.132

Von der herrschenden Meinung wird die Verwendung von Vorerwerbspreisen als Mindest- 19.133 preis bzw. Untergrenze einer Abfindung mit der Begründung abgelehnt, dass außerhalb von Börsen gezahlte Preise den Verkehrswert nicht widerspiegelten.4 Dagegen spricht nach Adolff auch, dass Vorerwerbspreise nicht erkennen lassen, welcher Kurs am Tag der Hauptversammlung erreicht worden wäre, wenn es nicht zur Ankündigung und Durchführung der Strukturmaßnahme gekommen wäre.5

VII. Thesen zur Relevanz von Vorerwerbspreisen Vorerwerbspreise werden von der Rechtsprechung ganz überwiegend (vgl. Rz. 19.64 ff.) und 19.134 im Schrifttum von der herrschenden Meinung (vgl. Rz. 19.111 ff.) bei der Bewertung von 1 Diese Frage könnte aber auch bewusst offen gelassen worden sein. Ein bewusstes Entscheidung gegen Vorerwerbspreise hätte die Formulierung erfordert: „Vorerwerbspreise sind nicht zu berücksichtigen“. 2 Vgl. Bode, Der Konzern 2010, 529, ähnlich Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 327b AktG Rz. 40. 3 Vgl. Schüppen, ZIP 2016, 1413, 1418 f. 4 Vgl. Steinle/Liebert/Katzenstein in MünchHdb. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, § 34 Rz. 177; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 327b AktG Rz. 40; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 82; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 327b AktG Rz. 9. 5 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 343.

Leverkus 581

§ 19 Rz. 19.134

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Unternehmen als irrelevant eingestuft. Die grundsätzliche Irrelevanz, unabhängig von den Umständen, ist nicht nachvollziehbar. Im Folgenden werden Thesen dargestellt, unter welchen Umständen eine Relevanz von Vorerwerbspreisen vorliegt und wie Vorerwerbspreise in diesen Fällen in die Bewertung einfließen können. 1. Verwendung als Mindestpreis nur im Ausnahmefall

19.135 Die Verwendung von Börsenkursen als Mindestpreis geht zurück auf die Rechtsprechung des BVerfG, nach der die Verkehrsfähigkeit der Aktie ein wesentliches Charakteristikum des Aktieneigentums ist. Die Minderheitsaktionäre müssen als Abfindung mindestens den Betrag erhalten, den sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme erlangt hätten. Eine geringere Abfindung würde der Dispositionsfreiheit über die Aktie nicht hinreichend Rechnung tragen.1

19.136 Vorerwerbspreise werden in den meisten Fallkonstellationen diesen Anspruch nicht erfüllen. Eine nähere Betrachtung verdienen allenfalls Vorerwerbspreise aufgrund von freiwilligen Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten nach dem WpÜG. Diese Angebote ermöglichen gemäß § 32 WpÜG grundsätzlich allen Minderheitsaktionären eine Desinvestitionsentscheidung zur angebotenen Gegenleistung und erfüllen somit – anders als Vorerwerbspreise aus dem außerbörslichen Erwerb ausgewählter Aktienpakete zur Erreichung gewisser Schwellenwerte – ein wichtiges Kriterium des BVerfG.

19.137 Jedoch betont das BVerfG im Zusammenhang mit der Darstellung der Verkehrsfähigkeit der Aktie auch die zeitliche Komponente. Kleinaktionäre können Aktien, jedenfalls in Zeiten eines funktionierenden Kapitalmarktes, ständig veräußern. Durch die Investition in Aktien kann Kapital praktisch jederzeit nach freiem Belieben investiert oder desinvestiert werden. Genau dies ist ein gravierender Unterschied zwischen Börsenkursen einerseits und Vorerwerbspreisen aufgrund von freiwilligen Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten nach dem WpÜG andererseits. Freiwillige Übernahmeangebote und Pflichtangebote ermöglichen zwar grundsätzlich allen Aktionären eine Desinvestition ihrer Aktien an den Anbieter, aber nur in einem ganz bestimmten Zeitraum. Wird davon ausgegangen, dass das freiwillige Übernahmeangebote bzw. Pflichtangebot zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme bereits abgelaufen ist, besteht für die Minderheitsaktionäre dann kein Anspruch mehr auf die angebotene Gegenleistung.

19.138 Vorerwerbspreise sind insofern – selbst in Form freiwilliger Übernahmeangebote und Pflichtangebote nach WpÜG – nicht als verfassungsrechtlich gebotene Mindestpreise einzustufen. Anderes kann nur für den vom LG Stuttgart in 2018 entschiedenen Sonderfall gelten.2 In diesem Fall hatte jeder Aktionär noch am Bewertungsstichtag ein Andienungsrecht zum Vorerwerbspreis. Der Vorerwerbspreis ist dann gleichzeitig Parallelerwerbspreis. 2. Wichtiger Wertindikator für den Unternehmenswert

19.139 Bei der Relevanz von Vorerwerbspreisen für die rechtsgebundene Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen ist eine erhebliche Diskrepanz erkennbar zwischen den Bewertungsanlässen. Für viele Bewertungsanlässe hat der Gesetzgeber detaillierte Vorgaben zur Wertermittlung gemacht. Bestehen solche Vorgaben, haben Vorerwerbspreise eine bedeut1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 = NJW 1999, 3769. 2 LG Stuttgart v. 17.9.2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG, juris, vgl. ausführlich Rz. 19.87.

582

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.143 § 19

same Rolle bei der Wertfindung (s. Rz. 19.33 ff.). Anders bei den Bewertungsanlässen, für die sich die gesetzlichen Vorgaben auf die Angemessenheit beschränken, wie insbesondere bei den gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen. Ist nur die Angemessenheit des Wertes vorgegeben, füllt die zivilgerichtliche Rechtsprechung diese Vorgabe ganz überwiegend so aus, dass Vorerwerbspreise faktisch irrelevant sind (s. Rz. 19.66 ff.). Im Schrifttum wird diese Auffassung von der herrschenden Meinung geteilt (s. Rz. 19.111 ff.). Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Irrelevanz der Vorerwerbspreise bei der Ermittlung einer angemessenen Abfindung bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen abzulehnen. Verfassungsrechtlich müssen Vorerwerbspreise nicht verwendet werden, ihre Verwendung ist jedoch nicht ausgeschlossen (s. Rz. 19.67 ff.). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass sie – in welcher Form auch immer – berücksichtigt werden können. Vorerwerbspreise sollten im Rahmen des Bewertungsprozesses, bei dem vom Wert des gesamten Unternehmens auf den Wert der einzelnen Anteile geschlossen wird, als wichtiger Wertindikator für den Wert des gesamten Unternehmens verwendet werden. Wichtiger Wertindikator heißt, dass bei fundamentalanalytischen Bewertungsverfahren wie dem Ertragswertverfahren die geschätzten Bewertungsannahmen im Zweifel durch Kalibrierung der Bewertungsparameter angepasst werden und dem Vorerwerbspreis somit faktisch ein Vorrang eingeräumt wird. Bedingung hierfür muss aber sein, dass der Vorerwerbspreis nach einer sorgfältigen Analyse der Umstände des Vorerwerbs als Marktpreis einzustufen ist.

19.140

a) Sorgfältige Analyse der Umstände erforderlich Vorerwerbspreise sollten nicht ungeprüft für eine Unternehmensbewertung übernommen werden. In jedem Fall ist eine sorgfältige Analyse der Aussagekraft des Vorerwerbspreises erforderlich.1

19.141

Erforderlich ist mindestens eine Kenntnis des Kaufvertrages einschließlich etwaiger wirtschaftlich relevanter Nebenabreden. Informationen über die Vertragspartner (nahestehende Personen oder fremde Dritte) sowie die Umstände und das Zustandekommen der Vereinbarung (z.B. Notverkauf) helfen bei der Würdigung, ob es sich um eine Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handelt. Für weitere Einzelheiten wird auf Rz. 19.6 ff. verwiesen.

19.142

Ein erheblicher Nachteil von Vorerwerbspreisen ist der fehlende Stichtagsbezug. Ein besonde- 19.143 res Augenmerk muss daher auf Entwicklungen zwischen dem Abschluss des Kaufvertrags und dem Bewertungsstichtag gerichtet werden. Unternehmensinterne oder -externe Entwicklungen in diesem Zeitraum können erheblichen Werteinfluss haben. Mit zunehmendem Abstand zwischen den Zeitpunkten steigt die Wahrscheinlichkeit wesentlicher Einflüsse. Werden relevante Werteinflüsse festgestellt, können Vorerwerbspreise nicht mehr ohne Anpassung verwendet werden. Handelt es sich bei den Einflüssen um Änderungen der Vermögenslage (z.B. Sonderdividende, Veräußerung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen) wird eine Eliminierung in der Regel gut möglich sein. Vorerwerbspreise können in diesem Zeitraum aber auch völlig bedeutungslos werden, wenn bspw. unerwartete Marktveränderungen gravierende Auswirkungen auf das operative Geschäft haben. Zu näheren Hinweisen auf Analyseschwerpunkte wird auf Rz. 19.10 ff. verwiesen.

1 So auch OLG Düsseldorf v. 22.3.2018 – 26 W 18/14 (AktE), ausführlich hierzu s. Rz. 19.73.

Leverkus 583

§ 19 Rz. 19.144

Dritter Teil: Querschnittsfragen

19.144 Die Aussagekraft von Vorerwerbspreisen für den Wert des gesamten Unternehmens hängt ab von der erworbenen Anteilsquote und den Umständen der Transaktion. Beispielhaft angeführt sei hier der Vergleich zwischen einerseits der Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung im Bieterwettbewerb mit ausführlichem Due Diligence-Prozess und andererseits der Veräußerung einer Splitterbeteiligung an den Hauptgesellschafter ohne professionellen Verkaufsprozess. Einem Vorerwerbspreis, der aus ersterer Transaktion stammt, ist in der Regel eine höhere Aussagekraft für den Wert des gesamten Unternehmens zuzumessen als im anderen Fall. Im Übrigen wird hierzu auf Rz. 19.14 ff. sowie die BFH-Rechtsprechung zu Zwerganteilen (vgl. Rz. 19.105) verwiesen. b) Vorrang von Marktpreisen in IFRS 13 methodisch anerkannt

19.145 Wenn ein Vorerwerbspreis nach einer sorgfältigen Analyse der Umstände als ein noch am Bewertungsstichtag relevanter Marktpreis einzustufen ist, muss diesem grundsätzlich ein Vorrang bei der Bewertung zugemessen werden. Die Argumente der Befürworter dieses Vorrangs im Schrifttum sind überzeugend (vgl. Rz. 19.121 ff.).

19.146 Dieser Vorrang ist kein Widerspruch zu den höchstrichterlichen Anforderungen an die Methodik, nach denen sich die Entscheidung des Gerichts über die Höhe der Abfindung im Spruchverfahren an in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannten Methoden orientieren muss. Dies zeigt sich am Bilanzierungsstandard IFRS 13 („Bemessung des beizulegenden Zeitwerts“), einem umfangreichen Regelwerk zur Ermittlung von Zeitwerten („Fair Value“), das von deutschen Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren müssen, seit dem Geschäftsjahr 2013 zwingend u.a. auch für die Unternehmensbewertung anzuwenden ist (vgl. hierzu ausführlich Rz. 19.57 ff.).

19.147 IFRS 13 greift auf betriebswirtschaftlich anerkannte Bewertungsmethoden zurück, gewichtet sie jedoch anders als der auch durch die deutsche Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung geprägte Bewertungsstandard IDW S 1. Ein Vergleich zwischen IFRS 13 und IDW S 1 zeigt vor allem eine grundsätzlich unterschiedliche Einstufung von Marktpreisen. IFRS 13 gibt zunächst für Eingangsparameter, die bei der Fair Value-Ermittlung verwendet werden, eine Hierarchie vor. Am Markt beobachtbare Parameter sind danach höher einzustufen als nicht beobachtbare Parameter. Die zulässigen Bewertungsverfahren stellt IFRS 13 hingegen nur dar, ohne eine Rangfolge anzugeben. Bei der Auswahl des konkreten Verfahrens ist jedoch zu beachten, dass jenes Bewertungsverfahren vorzugswürdig ist, das in größtmöglichem Umfang Marktdaten in die Bewertung einfließen lässt, in das also umgekehrt möglichst wenig subjektive Daten Eingang finden. Anders die Vorgehensweise nach IDW S 1, der zwischen Werten und Preisen unterscheidet und Marktpreisen wie Börsenkursen oder Vorerwerbspreisen nur eine nachgeordnete Funktion als Parameter für eine Plausibilitätsprüfung zuweist.

19.148 Der Bilanzierungsstandard IFRS 13 ist ein bei börsennotierten deutschen Unternehmen dauernd angewendetes Regelwerk zur Bewertung. Dieses Regelwerk gibt Unternehmenswerten auf der Basis von Marktpreisen grundsätzlich einen Vorrang vor Unternehmenswerten, die mit fundamentalanalytischen Methoden ohne Rückgriff auf Marktpreise ermittelt wurden. Ein Vorrang von Marktpreisen kann somit nicht nur auf gesetzliche Wertfindungsmodelle zurückgeführt werden (vgl. hierzu Rz. 19.33 ff.), sondern findet sich auch in einem umfassenden Regelwerk zur Bewertung. Sofern Vorerwerbspreise also nach sorgfältiger Analyse der Transaktionsumstände als relevante Marktpreise zum Bewertungsstichtag anzusehen sind, spricht vor dem Hintergrund der oben dargestellten höchstrichterlichen Anforderungen an die Methodik vieles dafür, sie jedenfalls nicht als irrelevant anzusehen, sondern ihnen grundsätzlich 584

Leverkus

Vorerwerbspreise

Rz. 19.154 § 19

einen Vorrang einzuräumen. Dieser Vorrang kann nicht absolut sein, da Marktpreise auch falsche Signale senden können, vgl. hierzu näher Rz. 19.150 ff. c) Vorrang vor Multiplikatoren Der Informationswert von wertrelevanten Vorerwerbspreisen ist höher einzuschätzen als der von Multiplikatoren vergleichbarer Unternehmen. Vorerwerbspreise beziehen sich direkt auf das zu bewertende Unternehmen, während bei Multiplikatoren die Prämisse der Vergleichbarkeit aufgrund der Einzigartigkeit von Unternehmen in der Regel Schwierigkeiten bereitet.

19.149

d) Fundamentalanalytische Verfahren unverzichtbar Der Aufwand für eine Wertermittlung mit Vorerwerbspreisen ist deutlich niedriger als beim Ertragswertverfahren. Für einen Vergleich zwischen der Wertermittlung nach der Ertragswertmethode und mit Vorerwerbspreisen wird auf Rz. 19.22 ff. verwiesen. Zu Sonderfragen der Wertermittlung mit Vorerwerbspreisen wird auf Rz. 19.26 ff. verwiesen.

19.150

Zur Einordnung des Informationsgehalts von Vorerwerbspreisen im Vergleich zu Ertragswerten darf nicht übersehen werden, dass Marktpreise viele Informationen in einem einzigen Datum, dem Preis, aggregieren. Insbesondere bei dem Kauf größerer Aktienpakete, wird die Entstehung dieses Marktpreises in aller Regel mit einer ausführlichen Fundamentalanalyse zumindest auf Seiten des Käufers verbunden sind. Diese Fundamentalanalyse umfasst in der Regel auch kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren. Käufer und Verkäufer können also im Rahmen der Kaufpreisverhandlungen, aus denen der Marktpreis hervorgeht, auf eine Vielzahl von Informationsquellen zurückgreifen.

19.151

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Vorerwerbspreise auf einer offensichtlichen Überbewertung des Käufers oder einer offensichtlichen Unterschätzung der Potentiale durch den Verkäufer beruhen. Zu solchen Über- oder Unterbewertungen kann es bspw. durch Informationsasymmetrien oder durch die Überschätzung von Synergiepotentialen kommen.1

19.152

Der Verzicht auf eine Wertermittlung nach dem Ertragswertverfahren und eine Prüfung dieser Wertermittlung durch einen unabhängigen Prüfer bedeutete den Verzicht auf eine wesentliche Informationsquelle für die Minderheitsaktionäre. Die Argumentation des OLG Düsseldorf2 ist insofern nachvollziehbar (vgl. hierzu näher Rz. 19.75). Insofern kann auch beim Vorliegen wertrelevanter Vorerwerbspreise auf eine Bewertung nach fundamentalanalytischen Verfahren nicht verzichtet werden.

19.153

Vorerwerbspreise sind in ihrer Funktion als Marktpreise aber wichtige Wertindikatoren für den Unternehmenswert. In dieser Funktion können aus den Vorerwerbspreisen nützliche Informationen für die Unternehmenswertbestimmung abgeleitet werden, insbesondere durch Kalibrierung der Bewertungsannahmen.

19.154

1 Vgl. Ruthardt, NZG 2014, 976. 2 OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – 26 W 7/09 (AktE).

Leverkus 585

§ 19 Rz. 19.155

Dritter Teil: Querschnittsfragen

e) Kalibrierung der Bewertungsannahmen

19.155 Aussagekräftige Vorerwerbspreise sollten als Wertindikator zur Überprüfung von Ergebnissen des Ertragswertverfahrens herangezogen werden. Bei Abweichungen zwischen dem Vorerwerbspreis und dem Ertragswert steigt mit zunehmender Abweichung dieser Werte der Begründungszwang. Gerade in Fällen, in denen mehrere Ertragswertermittlungen vorliegen und diese extrem voneinander abweichen, kann der Rückgriff auf marktgestützte Vorerwerbspreise eine Überprüfung der Bewertungsmodelle ermöglichen.

19.156 Eine Überprüfung der Abweichungen könnte insbesondere analog der Vorgaben des IFRS 13 für eine Folgebewertung (vgl. Rz. 19.63) durch eine Kalibrierung wesentlicher Annahmen des Bewertungsmodells erfolgen, mit dem der Ertragswert ermittelt wurde. In einem Bewertungsmodell werden regelmäßig eine Reihe kritischer Bewertungsparameter verwendet, die der Bewerter innerhalb einer Bandbreite möglicher Werte schätzt (insbesondere Marktrisikoprämie, Betafaktor, Umsatz, Marge und Wachstumsrate in der ewigen Rente). Unter Kalibrierung ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, die Werte, bei denen für den Gutachter ein erhebliches Schätzungsermessen besteht, so zu verschieben, dass sich das Bewertungsergebnis dem Vorerwerbspreis annähert. Wenn es möglich ist, die ermessensbehafteten Bewertungsparameter innerhalb der Bandbreite realistischer Werte so zu verschieben, dass der Vorerwerbspreis erreicht wird, steigt die Notwendigkeit, davon abweichende Schätzungen zu begründen. Ansonsten sollte denen in einem Vorerwerbspreis dokumentierten „marktgestützten“ Erwartungen und Einschätzungen Vorrang eingeräumt werden.

19.157 Die Technik der Kalibrierung wird nachfolgend an einem stark vereinfachten Beispiel exemplarisch dargestellt: 1) Bewertung mit Vorerwerbspreis Vorerwerbspreis (EUR je Aktie)

100

Zahl der Aktien (in Mio. Stück)

1

Abgeleiteter Unternehmenswert (100 %, in EUR Mio.)

100,0

2) Fundamentanalytische Bewertung Zwei beispielhafte Kalibrierungen auf den Wertindikator Vorerwerbspreis Bewertungsparameter Umsatz (in EUR Mio.) Ergebnismarge Ergebnis (Ewige Rente, in EUR Mio.)

586

Leverkus

unkalibriert

Variante 1

Variante 2

50,0

52,5

54,2

10,0 %

11,1 %

10,4 %

5,00

5,85

5,64

Vorerwerbspreise

Rz. 19.161 § 19

Basiszins

1,0 %

1,0 %

1,0 %

Marktrisikoprämie

7,00 %

6,50 %

6,75 %

1,00

0,90

0,85

Risikozuschlag

7,0 %

5,9 %

5,7 %

Wachstumsabschlag

0,50 %

1,00 %

1,10 %

Kapitalisierungszinssatz

7,5 %

5,9 %

5,6 %

Unternehmenswert (100 %, in EUR Mio.)

66,7

100,0

100,0

Betafaktor

In diesem Beispiel wird aus dem Vorerwerbspreis von 100 Euro je Aktie und der Gesamtzahl 19.158 der Aktien des Unternehmens (1 Mio. Stück) ein Unternehmenswert (100 %) von 100 Mio. Euro abgeleitet. Die Analyse der Transaktion zeigt, dass der Vorerwerbspreis als Marktpreis einzustufen ist. Die fundamentalanalytische Bewertung ergibt unkalibriert, also ohne Berücksichtigung des Vorerwerbspreises, jedoch einen Unternehmenswert (100 %) von nur 66,7 Mio. Euro. Wesentliche Bewertungsparameter des unkalibrierten Unternehmenswertes sind die Schätzung eines Ergebnisses als ewige Rente in Höhe von 5 Mio. Euro sowie ein Kapitalisierungszinssatz von 7,5 %. Anhand von zwei Varianten wird dargestellt, wie durch zielgerichtete Änderung („Kalibrierung“) verschiedener Bewertungsparameter, hier: Umsatz und Ergebnismarge in der ewigen Rente sowie Marktrisikoprämie, Betafaktor und Wachstumsabschlag als wichtige Bestandteile des Kapitalisierungszinssatzes, das Bewertungsergebnis der fundamentalanalytischen Bewertung auf 100 Mio. Euro erhöht werden kann. Der Vorerwerbspreis wird durch die Kalibrierung der Bewertungsparameter somit als Wertindikator für den Unternehmenswert genutzt. Theoretisch gibt es unendlich viele Varianten, wie die Bewertungsparameter geändert werden 19.159 können. Relevant davon sind aber nicht alle, sondern nur die plausiblen Bewertungsparameter. Deswegen ist in einem weiteren Schritt zu beurteilen, welche Bewertungsparameter als plausibel angesehen werden können. Gibt es auf Grundlage einer sorgfältigen Unternehmensanalyse jedoch plausible Bewertungsparameter, mit denen eine Übereinstimmung erzielt werden kann, gilt nach der hier vertretenen Auffassung der Vorrang des Vorerwerbspreises als Marktpreis. 3. Paketzuschlag erfordert Quantifizierung Differenzen zwischen einem Vorerwerbspreis und einem mit Bewertungsmodell ermittelten Unternehmenswert („Ertragswert“) werden oftmals als Paketzuschläge bezeichnet. Paketzuschläge werden auf nur durch den Käufer realisierbare Synergievorteile zurückgeführt. Der Vorerwerbspreis spiegele daher den Grenzpreis des Käufers wider, während für die angemessene Abfindung der Grenzpreis des Käufers relevant sei (vgl. Rz. 19.114 ff.). Hintergrund der Ablehnung von Vorerwerbspreisen in der Rechtsprechung ist vor allem der Gedanke, dass die abzufindenden Gesellschafter keinen Anspruch auf den Grenzpreis des Käufers haben.

19.160

Akzeptiert man, dass Vorerwerbspreise als Marktpreis ein wichtiger Wertindikator für den Unternehmenswert sind, ist ein neuer Blick auf Differenzen zwischen Vorerwerbspreisen und dem Ertragswert erforderlich. Solche Differenzen können nicht nur auf Synergien beruhen,

19.161

Leverkus 587

§ 19 Rz. 19.161

Dritter Teil: Querschnittsfragen

sondern insbesondere auch auf anderen Erwartungen bezüglich der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens oder einer anderen Einschätzung der Risiken.

19.162 Ob eine angemessene Abfindung auch Synergien umfassen sollte, ist eine eigene Rechtsfrage, zu deren Diskussion, einschließlich der Differenzierung zwischen echten und unechten Synergien, auf § 16 verwiesen wird.

19.163 Sind Differenzen nicht auf Synergien, sondern auf anderen Erwartungen bezüglich der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens oder einer anderen Risikoeinschätzung zurückzuführen, gilt nach der hier vertretenen Auffassung für diesen Fall grundsätzlich ein Vorrang von Marktpreisen. Wenn ein Vorerwerbspreis nach einer sorgfältigen Analyse der Umstände als ein noch am Bewertungsstichtag relevanter Marktpreis einzustufen ist, können solche abweichenden Erwartungen nicht als subjektive Erwartungen des Käufers abgelehnt werden, die irrelevant sind. Immerhin handelt es sich bei diesen Erwartungen um marktgestützte, durch einen Vorerwerbspreis unterlegte Erwartungen.

19.164 Der Vorrang von Vorerwerbspreisen kann jedoch nicht absolut sein. Eine Abgrenzung zwischen marktgestützten Erwartungen und offensichtlichen Fehlbewertungen kann durch die Kalibrierung des Bewertungsmodells erfolgen, vgl. hierzu Rz. 19.150 ff. und Rz. 19.155 ff.

19.165 Oftmals werden die genannten Differenzen auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein. Wenn die möglichen Quellen der Differenzen in Bezug auf ihre Einbeziehung in eine angemessene Abfindung rechtlich nicht einheitlich zu bewerten sind, also die abzufindenden Gesellschafter beispielsweise an echten Synergien des Käufers nicht beteiligt werden sollen, ist nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich eine Trennung und Quantifizierung dieser Effekte (Synergien einerseits, andere Erwartungen und Risikoeinschätzungen andererseits) erforderlich. Das Bewertungsinstrumentarium ermöglicht solche Trennungen.

19.166 Schwierigkeiten bei der Quantifizierung sind kein Grund, marktgestützte Erwartungen, die sich in Vorerwerbspreisen manifestieren, generell aus der Ableitung angemessener Barabfindung auszuklammern, indem Differenzen zwischen Vorerwerbspreisen und einem mit Bewertungsmodell ermittelten Unternehmenswert pauschal als irrelevante Paketzuschläge eingestuft werden. In Anbetracht der Anstrengungen, die in die Berechnung von Ertragswerten gesteckt werden, erscheint die Forderung nach einer quantifizierenden Überleitung zwischen relevanten Vorerwerbspreisen und Ertragswerten nicht als unangemessen, sofern die Differenzen zwischen beiden Werten so hoch sind, dass der entsprechende Aufwand verfahrensökonomisch vertretbar ist.

588

Leverkus

§ 20 Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile I. Methoden der Anteilsbewertung . . 1. Indirekte vs. direkte Anteilsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindungen im Personengesellschafts- und GmbH-Recht . . . . . . . . 3. Abfindungen im Aktienrecht . . . . . .

20.1

II. Bewertungsabschläge . . . . . . . . . . . 1. Minderheitsabschlag . . . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Personengesellschaft und GmbH . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 2. Fungibilitätsabschlag . . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebswirtschaftslehre . . . . bb) Berufsständische Bewertungspraxis . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.6 20.7

20.1 20.3 20.4

20.7 20.8 20.8 20.8 20.10 20.11 20.14 20.14 20.15 20.16 20.17 20.17 20.18 20.21 20.22

aa) Personengesellschaft und GmbH . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . (2) Rechtsvergleichung . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 3. Abschlag für Schlüsselpersonen . . . . a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . bb) Rechtsvergleichung . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . III. Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile . . . . . . . . . . . . 1. Stamm- und Vorzugsaktien . . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mehrstimmrechte . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . b) Personengesellschaft und GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Vermögensrechte . . . . . . . 4. Sonstige Sonderrechte . . . . . . . . . . . . 5. Übertragungsbeschränkungen . . . . .

20.22 20.22 20.24 20.25 20.27 20.27 20.30 20.31 20.33 20.33 20.37 20.37 20.38 20.39 20.40 20.41 20.42 20.45 20.47 20.47 20.49 20.50 20.51 20.52

Schrifttum: 1. Anteilsbewertung. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007; Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht, 2014; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 463; Brähler, Der Wertmaßstab der Unternehmensbewertung nach § 738 BGB, WPg 2008, 209; Elmendorff, Bewertung von Unternehmensanteilen im Streubesitz, WPg 1966, 548; Großfeld, Bewertung von Anteilen an Unternehmen, JZ 1981, 769; Großfeld, Die Abfindung bei der Ausschließung aus einer Personengesellschaft, ZGR 1982, 141; Hüffer, Bewertungsgegenstand und Bewertungsmethode – Überlegungen zur Berücksichtigung von Börsenkursen bei der Ermittlung von Abfindung und Ausgleich, FS Hadding, 2004, S. 461; IDW (Hrsg.), WP Handbuch 2014, Bd. II; IDW (Hrsg.), WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Knorr, Zur Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen, KTS 1962, 193; Maugeri, Partecipazione sociale, quotazioni di borsa e valutazione delle azioni, Riv. dir. comm. 2014, 93; W. Müller, Anteilswert oder anteiliger Unternehmenswert? – Zur Frage der Barabfindung bei der kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaft, FS Röhricht, 2005, S. 1015; W. Müller, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, FS Bezzenberger, 2000, S. 705; W. Müller, Unternehmenswert und börsennotierte Aktie, FS G.H. Roth, 2011, S. 517; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, 1990; Nonnenmacher, Anteilsbewer-

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§ 20

Dritter Teil: Querschnittsfragen

tung bei Personengesellschaften, 1981; Popp, Ausgewählte Aspekte der objektivierten Bewertung von Personengesellschaften, WPg 2008, 935; Wiechers, Besonderheiten bei der Bewertung von Anteilen an Unternehmen, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2016, S. 911. 2. Bewertungszu- und -abschläge. Ballwieser, Die Erfassung von Illiquidität bei der Unternehmensbewertung, FS Rudolph, 2009, S. 283; Barthel, Unternehmenswert: Berücksichtigungsfähigkeit und Ableitung von Fungibilitätsabschlägen, DB 2003, 1181; Busse von Colbe, Der Vernunft eine Gasse: Abfindung von Minderheitsaktionären nicht unter dem Börsenkurs ihrer Aktien, FS Lutter, 2000, S. 1053; Busse von Colbe, Zur Maßgeblichkeit des Börsenkurses für die Abfindung der bei einer Umwandlung ausscheidenden Aktionäre, AG 1964, 263; Cheridito/Schneller, Discounts und Premia in der Unternehmensbewertung, Schweizer Treuhänder 2008, 416; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften: Minderheitsabschlag, Fungibilitätsabschlag, Abschlag für Schlüsselpersonen, ZIP 2012, 1633; Fleischer, Unternehmensbewertung und Bewertungsabschläge beim Ausscheiden aus einer geschlossenen Kapitalgesellschaft: Deutschland – Österreich – Schweiz – Frankreich – Vereinigte Staaten, in Kalss/Fleischer/Vogt (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 2013, 2014, S. 137; Fleischer, Zu Bewertungsabschlägen bei der Anteilsbewertung im deutschen GmbH-Recht und im US-amerikanischen Recht der close corporation, FS Hommelhoff, 2012, S. 223; Fleischer, Zur Behandlung des Fungibilitätsrisikos bei der Abfindung außenstehender Aktionäre (§§ 305, 320b AktG): Aktienkonzernrecht, Betriebswirtschaftslehre, Rechtsvergleichung, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331; Gampenrieder/Behrend, Zur Sinnhaftigkeit von Fungibilitätszuschlägen, Unternehmensbewertung und Management 2004, 85; Hitchner, Financial Valuation, 3. Aufl. 2011; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b, 2002; Kropff, Rechtsfragen der Abfindung ausscheidender Aktionäre, DB 1962, 155; Miller, Discounts and Buyouts in Minority Investor LLC Valuation in Disputes Involving Oppression or Divorce, 13 U. Pa. J. Bus. L. 607 (2011); W. Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, 1975; Metz, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2007; Moll, Shareholder Oppression and „Fair Value“: Of Discounts, Dates, and Dastardly Deeds in the Close Corporation, 54 Duke L.J. 293 (2005); Pratt, Valuation Discounts and Premiums, 2. Aufl. 2009, Ruthardt, Angemessene Barabfindung und Gleichbehandlung von Minderheits- und Mehrheitsaktionären – Zur grundsätzlichen Unzulässigkeit eines Governance Abschlages, NZG 2014, 972; Ruthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer in Deutschland und den USA: Bedeutung von Prämien und Abschlägen, DStR 2016, 1127; Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU. Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung dominierter Bewertungsanlässe, 2011; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, 2009; Sigle, Gedanken zur Wirksamkeit von Abfindungsklauseln, ZGR 1999, 659; Zeidler, Die Anwendbarkeit von IDW S 1 auf kleine und mittlere Unternehmen, in Baetge/Kirsch (Hrsg.), Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, 2006, S. 41; Zieger/Schütte-Biastoch, Gelöste und ungelöste Fragen bei der Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen, FB 2008, 590. 3. Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile. Aschauer, Die Bewertung von unterschiedlich ausgestalteten Unternehmensanteilen, FS Mandl, 2010, S. 13; Baetge/Klönne/Wünsche, Berücksichtigung eines Nießbrauchsrechts bei einer Unternehmens- oder Anteilsbewertung, BewertungsPraktiker 2014, 12; Binz/Sorg, Aktuelle Fragen der Bewertung von Stamm- und Vorzugsaktien im Steuerrecht, DStR 1994, 993; Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Bemessung von familien- und erbrechtlichen Ausgleichsansprüchen, 1995; Daske/Erhardt, Kursunterschiede und Renditen deutscher Stamm- und Vorzugsaktien, Financial Markets and Portfolio Management 16 (2002), 179; Hachmeister/Ruthardt, Vom Unternehmenswert zum Anteilswert: Vorzugs- und Stammaktien im Ertragswertkalkül, BB 2014, 427; Hartmann-Wendels/v. Hinten, Marktwert von Vorzugsaktien, Zfbf 41 (1989), 263; Jung/Wachtler, Die Kursdifferenz zwischen Stamm- und Vorzugsaktien, AG 2001, 513; Karami, Unternehmensbewertung beim Squeeze-out, in Petersen/Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017, S. 533; Kalss/Probst, Was ist der Einfluss in der Gesellschaft wert?, GesRZ 2016, 178; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, 2002; Körner, Die angemessene Gegenleistung für Vorzugs- und Stammaktien nach dem WpÜG, 2006;

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.1 § 20

Krieger, Vorzugsaktie und Umstrukturierung, FS Lutter, 2000, S. 497; Kruse/Berg/Weber, Erklären unternehmensspezifische Faktoren den Kursunterschied von Stamm- und Vorzugsaktien?, ZBB 1993, 23; Lohmann, Wertermittlung für verschiedene Aktiengattungen in dominierten Konfliktsituationen, FS Matschke, 2008, S. 3; Lutter, Aktienerwerb von Rechts wegen: Aber welche Aktien?, FS Mestmäcker, 1996, S. 943; Mülbert/Uwe H. Schneider, Der außervertragliche Abfindungsanspruch im Recht der Pflichtangebote, WM 2003, 2301; Pellens/Hildebrandt, Vorzugsaktien vor dem Hintergrund der Corporate Governance-Diskussion, AG 2001, 57; Troll, Bewertung der Aktien und GmbH-Anteile bei der Vermögenssteuer, 5. Aufl. 1989; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008. 4. Bewertung von Mehrstimmrechten. Arnold, Entschädigung von Mehrstimmrechten bei Übernahmen, BB 2003, 267; Arnold, Entschädigung von Mehrstimmrechten nach § 5 EGAktG, DStR 2003, 784; Arnold, Das Unsicherheitsproblem bei der Entschädigung von Mehrstimmrechten – eine Replik, DStR 2003, 1671; Dittmann/Ulbricht, Timing and Wealth Effects of German Dual Class Stock Unifications, European Financial Management 14 (2007), 163; Hauser/Lauterbach, The Value of Voting Rights to Majority Shareholders: Evidence from Dual-Class Stock Unifications, Rev. Financial Studies 17 (2004), 1167; Hering/Olbrich, Zur Bewertung von Mehrstimmrechten, Zfbf 53 (2001), 20; Hering/Olbrich, Zur Bemessung der Abfindung nach § 5 EGAktG, WPg 2001, 809; Hering/Olbrich, Wert, Preis und Entschädigung der Mehrstimmrechte, BB 2003, 1519; Hering/Olbrich, Bewertung von Mehrstimmrechten: Zum Unsicherheitsproblem bei der Entschädigung nach § 5 EGAktG, DStR 2003, 1579; Hering/ Olbrich, Der Wert der Mehrstimmrechte und der Fall „Siemens“, ZIP 2003, 104; Löwe/Thoß, Der Ausgleich für den Entzug von Mehrstimmrechten, ZIP 2002, 2076; Henselmann, Zur Bewertung von Mehrstimmrechten, Zfbf 53 (2001), 723; Schulz, Der Ausgleichsanspruch für erloschene und beseitigte Mehrstimmrechte gem. § 5 III EGAktG, NZG 2002, 996; Wasmann, Erlöschen und Beseitigung von Mehrstimmrechten nach § 5 EGAktG: gerichtliche Prüfung des Ausgleichs im Spruchverfahren, BB 2003, 57; Zingales, The Value of the Voting Right: A Study of the Milan Stock Exchange Experience, Rev. Financial Studies 7 (1994), 125.

I. Methoden der Anteilsbewertung 1. Indirekte vs. direkte Anteilsbewertung Bei der rechtlich geprägten Unternehmensbewertung geht es sehr häufig nicht um den Unternehmenswert als solchen, sondern um die Wertfindung von Unternehmensanteilen. So verhält es sich etwa bei der Ermittlung der Abfindung eines ausscheidenden Personengesellschafters (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder eines außenstehenden Aktionärs (§ 305 Abs. 1 AktG). Für die Anteilsbewertung stehen grundsätzlich zwei verschiedene Methoden zur Verfügung. Die eine ermittelt zunächst den Gesamtwert des Unternehmens und leitet aus ihm den Wert des einzelnen Anteils ab. Man spricht deshalb von indirekter Anteilsbewertung, die zum quotalen Unternehmenswert führt.1 Rechnerisch entspricht die Summe der so ermittelten Anteilswerte dem Gesamtwert des Unternehmens.2 Alternativ kann man den Wert eines Anteils „isoliert“3 ermitteln. Das Bewertungsobjekt ist dann nicht das Unternehmen als Ganzes, sondern 1 Vgl. Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (472); Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; Brähler, WPg 2008, 209 (210); Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 53; Großfeld/Eggers/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 286, 1355; IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 13; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 61; K. Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 131 HGB Rz. 141; Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911, 914; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 430; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 35; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. E Rz. 118. 2 Vgl. Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911, 914. 3 Großfeld, JZ 1981, 769 (770); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 61.

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§ 20 Rz. 20.1

Dritter Teil: Querschnittsfragen

der einzelne Anteil als selbständig handelbares Gut.1 Sein Wert wird direkt aus dem Kurswert oder aus vergleichbaren Transaktionspreisen abgeleitet.2 Man spricht insoweit von direkter Anteilsbewertung.3 Sie berücksichtigt vor allem das betriebswirtschaftliche Subjektivitätsprinzip, wonach die jeweiligen Anteilseigner den Anteilen unterschiedliche Werte zumessen.4 Rechnerisch kann die Summe der direkt ermittelten Anteilswerte vom Gesamtwert des Unternehmens abweichen.5 Nur wenn der Kurswert dem Gesamtunternehmenswert entspricht, führen direkte und indirekte Anteilsermittlung zum selben Ergebnis.6

20.2 Beide Methoden sind in sich schlüssig und werden von der Bewertungspraxis je nach Bewertungsanlass herangezogen.7 Die betriebswirtschaftliche Freiheit der Methodenwahl endet allerdings dort, wo es um die Ermittlung von Normwerten geht. Maßgeblich sind dann die rechtlichen Methodenvorgaben, die sich ausdrücklich oder durch Auslegung aus der einschlägigen Vorschrift ergeben.8 Die Entscheidung zwischen direkter und indirekter Anteilsbewertung ist mithin eine Rechtsfrage.9 Ihre Beantwortung kann sich von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet unterscheiden. So verlangt etwa das Steuerrecht wegen des auf den Steuerpflichtigen als Anteilseigner bezogenen Grundsatzes der persönlichen Leistungsfähigkeit eine direkte Anteilsbewertung (Rz. 1.40).10 Auch im Familien- und Erbrecht wird es häufig geboten sein, die 1 Vgl. Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (472); Hüffer in FS Hadding, 2004, S. 461, 463 ff.; W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015 (1020 ff.); Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911, 913: „Das Unternehmen als Ganzes einerseits und die Anteile am Unternehmen andererseits stellen verschiedene Bewertungsobjekte dar.“ 2 Vgl. Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (472). 3 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1224) = GmbHR 1999, 712; Brähler, WPg 2008, 209 (210); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 53; IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 13; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 290; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 61; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 49; Wagner/Nonnenmacher, ZGR 1981, 674 (677); Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911, 913; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 430; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 35; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. E Rz. 119. 4 Vgl. Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (15). 5 Vgl. Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911, 914; ferner W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (715): „Es mag zwar auf den ersten Blick befremden, daß die Summe aller Anteilswerte nicht unbedingt und unter allen Umständen mit dem Gesamtunternehmenswert identisch sein müßten. De facto liegt das aber auf der Hand, wenn ein funktionierender Anteilsmarkt besteht […].“ 6 Vgl. Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (472). 7 Näher Wiechers in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911, 914 f.; sehr klar WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 36: „Ob die direkte oder die indirekte Vorgehensweise besser zur Anteilsbewertung geeignet ist, hängt von dem jeweiligen Bewertungszweck ab und kann nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden.“; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 59 und Kap. E Rz. 119. 8 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 356. 9 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 356; Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (17); Fleischer, AG 2014, 97 (109); Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); ferner der Hinweis von Hüffer in FS Hadding, 2004, S. 461 (463), wonach die Methode der Bewertung zu ihrem Gegenstand passen müsse. 10 Vgl. W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (709); eingehend zuletzt mit Blick auf das Bewertungsgesetz IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 36, Rz. 57; dazu auch Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (472 f.).

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.3 § 20

Unternehmensbeteiligung als Bestandteil des Ehegatten- oder Erblasservermögens mit dem direkten Anteilswert anzusetzen (vgl. Rz. 1.40).1 Dagegen dominiert bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, auf die sich die folgenden Ausführungen im Wesentlichen beschränken (zum Steuerrecht Rz. 29.128 ff. und Rz. 29.172 ff.), die Methode der indirekten Anteilsbewertung. 2. Abfindungen im Personengesellschafts- und GmbH-Recht Im Personengesellschaftsrecht ist die Grundnorm § 738 Abs. 1 Satz 2 AktG, wonach dem Ausscheidenden dasjenige zu zahlen ist, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre. Sie gilt für ausscheidende GmbH-Gesellschafter entsprechend (näher Rz. 24.10). Der BGH versteht diese Vorgabe in ständiger Rechtsprechung dahin, dass es nicht auf den direkten Anteilswert, sondern auf den quotalen Unternehmenswert ankommt.2 Demnach ist zunächst der Wert des gesamten Unternehmens zu ermitteln und aus dieser Zwischengröße der quotal auf den Anteil des ausscheidenden Gesellschafters entfallende Wert zu errechnen.3 Die herrschende Lehre stimmt diesem Berechnungsmodell („Theorie: Tortenschnitte“)4 zu5 und stützt sich zur Begründung auf Wortlaut und Sinn des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB.6 Außerdem verweist sie für Personenge1 Ebenso Piltz/Wissmann, NJW 1985, 2373 (2379 f.); eingehend zur Anteilsbewertung im Zugewinnausgleich und bei erbrechtlichen Ausgleichsansprüchen Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Bemessung von familien- und erbrechtlichen Ausgleichsansprüchen, S. 170 ff., 278 ff.; sehr klar auch WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 537: „Der im Rahmen der Rechtsprechung des BGH zur Abfindung im Gesellschaftsrecht entwickelte Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach der Anteilswert einem quotalen Unternehmenswert entspricht, kann für die Bewertungsanlässe im Familien- und Erbrecht nicht ohne weiteres übernommen werden. […] Im Hinblick auf die im Familien- und Erbrecht angestrebte Bewertung zum Verkehrswert ist zu prüfen, ob und ggf. inwieweit eine Mehrheits- oder Minderheitsstellung bei der Unternehmens- bzw. Anteilsbewertung zu berücksichtigen ist.“ 2 Vgl. BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH v. 22.10.1973 – II ZR 37/72, NJW 1974, 312; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370 f.) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 17.5.2011 – II ZR 285/09 – Rz. 17, NJW 2011, 2355 (2356): „Das Auseinandersetzungsguthaben berechnet sich […] auf der Basis des anteiligen Unternehmenswerts.“ 3 Vgl. OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, NZG 1998, 779 (780) = GmbHR 1998, 641; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1224 f.) = GmbHR 1999, 712; anschaulich Großfeld/ Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55: „Die Bewertung beginnt also bei dem Unternehmen als Ganzem und schwenkt dann über auf den Anteil.“ 4 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3, S. 241. 5 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 23; Brähler, WPg 2008, 209 (210); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 286 ff.; Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 208; Popp, WPg 2008, 935 (939); Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 49; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3, S. 241. 6 Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33: „Wenn der Ausscheidende danach so gestellt werden soll, als wäre die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden, folgt daraus, dass für seine Abfindung nicht der Verkehrswert seines Anteils maßgebend ist, sondern sein Anteil an dem (Verkehrs-)Wert des fortgeführten Unternehmens der Gesellschaft […].“ (Hervorhebung im Original); ferner Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 49; das Wortlautargument relativierend W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (718).

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20.3

§ 20 Rz. 20.3

Dritter Teil: Querschnittsfragen

sellschaften auf die fehlende Selbständigkeit der Anteile.1 Schließlich macht sie darauf aufmerksam, dass mangels Handelbarkeit von Personengesellschafts- und GmbH-Anteilen ein isolierter Anteilswert ohnehin kaum feststellbar sei.2 Aus diesem Grund lasse sich auch die Rechtsprechung des BVerfG zur Maßgeblichkeit eines zeitnahen Börsenwerts der Aktien für die Festsetzung der Abfindung außenstehender Aktionäre nicht auf die Abfindung von Personen- und GmbH-Gesellschaftern übertragen.3 Eine Ausnahme wird gelegentlich für den Fall erwogen, dass ein funktionierender Markt für die Anteile der Gesellschaft besteht und der Anteilswert aus den sich dort bildenden Marktpreisen abgeleitet werden kann.4 Grundsatzkritik an der indirekten Anteilsbewertung ist bei Personengesellschaft und GmbH bisher vereinzelt geblieben5 und noch seltener zu einem geschlossenen Gegenentwurf ausgearbeitet worden.6 Sie spielt eine gewisse Rolle bei der Diskussion über Bewertungsabschläge wegen geringerer Fungibilität der Anteile (näher Rz. 20.22). 3. Abfindungen im Aktienrecht

20.4 Die aktienrechtliche Basisvorschrift ist § 305 Abs. 1 AktG, wonach außenstehende Aktionäre Anspruch auf eine angemessene Abfindung haben. Eine Barabfindung nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 AktG muss gem. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag berücksichtigen. Der BGH und die obergerichtliche Spruchpraxis verste-

1 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55; Hüffer in FS Hadding, 2004, S. 461 (465); Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3, S. 241. 2 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 208; Popp, WPg 2008, 935 (939); s. auch OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, NZG 1998, 779 (780) = GmbHR 1998, 641. 3 Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2018, § 738 BGB Rz. 33. 4 So Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2018, § 738 BGB Rz. 33 („allenfalls“); ferner W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (718), wenn zeitnahe, realisierte und vergleichbare Preise vorhanden sind. 5 Vgl. die knappen Bemerkungen bei Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Sigle, ZGR 1999, 659, 669 f.; Wagner/Nonnenmacher, ZGR 1981, 674 (675 ff.); ferner Ulmer, ZIP 2010, 805 (815), der für den Vertragstypus der generationenübergreifenden Familien-Personengesellschaft auf die nachhaltig zu erwartende Gewinnausschüttung als mögliche Grundlage für die Wertermittlung abstellt; ausführlicher nur Nonnenmacher, Anteilsbewertung bei Personengesellschaften, S. 33 f.: „Es gibt aus der Sicht des einzelnen Gesellschafters keinen Wert für die Gesellschaftsunternehmung als Ganzes. […] Der Wert der ganzen Unternehmung aus der Sicht des einzelnen Gesellschafters ist ein Zwitter, da der Gesellschafter die Unternehmung der Gesellschaft weder kaufen noch verkaufen kann. Der Gesamtwert ist für den Gesellschafter stattdessen nur unter einer Fiktion denkbar, und zwar als Wert, welche die ganze Unternehmung für den betreffenden Gesellschafter als Alleineigentümer hätte. Dieser fiktive Gesamtwert ist allerdings nur nützlich, um die Fragwürdigkeit der quotalen Aufteilung eines Gesamtwertes darzustellen.“ 6 Eingehend nur Nonnenmacher, Anteilsbewertung bei Personengesellschaften, S. 35 f.: „Nach der direkten Methode ist der Anteilswert unmittelbar aus den Zahlungen von der Gesellschaft an den Gesellschafter abzuleiten, indem alle künftigen (präferenzkonform periodisierten) Einkommen aus der Gesellschaft […] mit dem individuellen Kalkulationszinsfuß des Gesellschafters auf den Entscheidungszeitpunkt diskontiert werden. Insofern handelt es sich bei der direkten Methode um die konsequente Anwendung des für ganze Unternehmen konzipierten Ertragswertverfahrens auf Unternehmensanteile.“; kritisch dazu Großfeld, ZGR 1982, 141.

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.5 § 20

hen diese Vorgabe dahin, dass eine indirekte oder abgeleitete Anteilsbewertung geboten ist1: Danach wird – wie bei der Personengesellschaft (Rz. 20.3) – zunächst der Gesamtwert des Unternehmens ermittelt und dann entsprechend den Nennbeträgen der Aktien aufgeteilt.2 Die überwiegende Lehre pflichtet dem bei3 und stützt sich zur Begründung auf den Gesetzeswortlaut („Verhältnisse der Gesellschaft“).4 Außerdem verweist sie auf § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, der einen verallgemeinerungsfähigen Bewertungsgrundsatz für das gesamte Gesellschaftsrecht aufstelle.5 In die gleiche Richtung weisen die berufsständischen Grundsätze zur Unternehmensbewertung gemäß IDW S 1 2008: Ihnen zufolge entspricht der objektivierte Wert des Unternehmensanteils dem quotalen Wertanteil am objektivierten Gesamtwert des Unternehmens.6 Der IDW Praxishinweis 1/2014 bekräftigt dies noch einmal7 und fügt hinzu, dass es nur jenseits des objektivierten Anteilswerts erforderlich sein könne, dem Anteil anhaftende Gegebenheiten zu berücksichtigen.8 Im Hinblick auf börsennotierte Gesellschaften hat sich gegen den Grundsatz der indirekten Anteilsbewertung aber zunehmender Widerstand formiert. Er stammte ursprünglich von betriebswirtschaftlicher Seite, die schon früh für die Bewertung der Aktie als selbständig handelbares Gut anhand des Börsenkurses geworben hatte.9 Im Anschluss daran und an die jüngere Rechtsprechung des BVerfG zur Bedeutung des Börsenkurses (vgl. Rz. 18.25 ff.) haben auch verschiedene juristische Stimmen vorgeschlagen, die Barabfindung bei börsennotierten Gesellschaften ausschließlich auf den Anteilswert – also den Verkehrswert der Aktien – zu beziehen.10 Die börsennotierte Aktie, so ihre These, sei ein verkehrsfähiger Gegenstand, der da1 Vgl. BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – Girmes, BGHZ 129, 136 (165) = AG 1995, 368; OLG München v. 19.10.2006 – 31 Wx 92/05, AG 2007, 287 (291): „Den Anteilswert ermittelt der Senat wie das LG, indem er den Unternehmenswert auf die Zahl aller Aktien verteilt.“ 2 Vgl. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 35; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 141. 3 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 356; Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (16); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1298, 1301; Henze in FS Lutter, 2000, S. 1101 (1105 ff.); Hüffer in FS Hadding, 2004, S. 461 (464); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 35, 40; Kuhner, WPg 2007, 825 (829); Maier-Reimer/ Kolb in FS W. Müller, 2001, S. 93 (99 f.). 4 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1356; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 40; das Wortlautargument relativierend W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (715): „Sehr viel näherliegend ist doch eine Auslegung dahin, daß zunächst der in Frage stehende Anteilswert festzustellen ist. Dieser ist allenfalls zu korrigieren, wenn er die ‚Verhältnisse der Gesellschaft‘ nicht ausreichend berücksichtigt.“ 5 Zuerst Kropff, DB 1962, 155 (156); dem folgend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 358; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 f.); Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (605); im Ergebnis auch Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 46. 6 So wörtlich IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 13. 7 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 36, Rz. 55: „Somit entspricht der objektivierte Wert eines Unternehmensanteils dem jeweiligen (quotalen) Anteil am objektivierten Gesamtwert des Unternehmens.“ 8 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 36, Rz. 56. 9 Vgl. insbesondere Busse von Colbe, AG 1964, 263; später Busse von Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053 ff. 10 Grundlegend W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (714) mit der Bemerkung: „Erstaunlicherweise ist die Richtigkeit der quotalen Zerlegung des Unternehmenswerts auf die Gesellschaftsanteile nie in Frage gestellt worden.“; vertiefend W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015

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20.5

§ 20 Rz. 20.5

Dritter Teil: Querschnittsfragen

rauf angelegt sei, als selbständiges Handelsobjekt auf einem eigenen Markt, der gerade nicht der Markt für Unternehmen und Unternehmensanteile sei, ge- und verkauft zu werden.1 Die herrschende Lehre vermisst hierfür im geltenden Recht eine gesetzliche Grundlage und hält de lege lata am anteiligen Unternehmenswert als gesetzlichem Bewertungsziel des § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG fest.2 Dies schließt allerdings nach ihrer Auffassung den Rückgriff auf den Börsenkurs bei börsennotierten Gesellschaften nicht aus: Dieser könne als Schätzungsgrundlage für den anteiligen Unternehmenswert dienen.3 De lege ferenda wäre der Gesetzgeber freilich nicht an einem Konzeptionswechsel hinsichtlich der Bewertungsobjekte gehindert.4 Diesen Schritt hat international etwa der italienische Gesetzgeber in Art. 2437-ter des Codice civile vollzogen: Während es bei nicht börsennotierten Gesellschaften gem. Abs. 2 um die Ermittlung des Beteiligungswertes an einem lebenden Gesamtunternehmen geht (partecipacione all’impresa), sieht Abs. 3 die Aktie bei börsennotierten Gesellschaften als selbständig handelbares und mit einem eigenen Marktpreis versehenes Einzelgut (azione come bene) an (näher Rz. 38.21).5

II. Bewertungsabschläge 20.6 Im Anschluss an die Ermittlung des quotalen Unternehmenswerts stellt sich die Frage, ob etwaige Besonderheiten des Anteils durch Bewertungsabschläge zu berücksichtigen sind. Sie hat in Betriebswirtschaftslehre und Bewertungspraxis bisher größere Aufmerksamkeit gefunden als im Gesellschaftsrecht.6 Zur Klarstellung sei nochmals hervorgehoben, dass im Steuerrecht, aber auch im Familien- und Erbrecht eine andere Beurteilung angezeigt sein kann (dazu bereits Rz. 20.2).7 Diskutiert werden insbesondere Abschläge für Minderheitsanteile ohne nennenswerte Einflussmöglichkeiten (Minderheitsabschläge), für nicht oder weniger fungible Anteile an Personen- und geschlossenen Kapitalgesellschaften (Fungibilitätsabschläge) und für das Ausscheiden von Gesellschaftern mit besonderen Fähigkeiten oder Kontakten (Abschläge für Schlüsselpersonen). An anderer Stelle zu erörtern ist, ob bei kleinen und mittleren Unternehmen ein genereller Bewertungsabschlag („small company discount“) geboten ist (näher Rz. 24.8).

1 2 3 4 5 6

7

(1017 ff.); W. Müller in FS G.H. Roth, 2011, S. 517 (518 ff.); ferner Mülbert in FS Hopt, 2010, S. 1039 (1067 ff.); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (537 ff.); Tonner in FS K. Schmidt, 2008, S. 1581 (1587 f.). So W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015 (1024); gleichsinnig W. Müller in FS G.H. Roth, 2011, S. 517 (531): „Bei der börsennotierten Aktie wird jedoch diese quotale Unternehmensträgerschaft durch den Kapitalmarkt dominant überlagert.“ Vgl. Hüffer in FS Hadding, 2004, S. 461 (466 ff.); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 40; Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (610 f.); alle m.w.N. Vgl. OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (755); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 40; Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (610 f.); Stilz in FS Goette, 2011, S. 529 (537 f.). Vgl. Fleischer, AG 2014, 97 (112). Eingehend Maugeri, Riv. dir. comm. 2014, 93. Grundlegend aus der internationalen Literatur Pratt, Valuation Discounts and Premiums, 2. Aufl. 2009; aus deutscher Perspektive Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 133 ff., 197 ff.; Zieger/Schütte-Biastoch, FB 2008, 590 (596 ff.); aus schweizerischer Sicht Cheridito/Schneller, Schweizer Treuhänder, 2008, 416; zuletzt Hüttche, Schweizer Treuhänder, 2012, 208 (212): „Auch die Diskussion um die Berechtigung von Zu- oder Abschlägen wird wohl vermehrt geführt werden.“ Näher am Beispiel der Erbschaftsteuer Ruthardt/Hachmeister, DStR 2016, 1127.

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Rz. 20.8 § 20

1. Minderheitsabschlag a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen Minderheitsgesellschafter in einer AG oder GmbH verfügen wegen des kapitalgesellschaftsrechtlichen Mehrheitsprinzips (§§ 133 Abs. 1, 134 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 und 2 GmbHG) über keinen nennenswerten Einfluss auf Geschäftsleitung und Gewinnverwendung; als Kleinaktionäre in großen Publikumsgesellschaften sind sie sogar gänzlich einflusslos.1 Ähnlich liegt es bei Minderheitsgesellschaftern einer Personengesellschaft, sofern der Gesellschaftsvertrag Mehrheitsbeschlüsse vorsieht (§ 119 Abs. 2 HGB). Dieser geringe Einfluss schlägt sich auch im wirtschaftlichen Wert von Minderheitsanteilen nieder. Wenn überhaupt, lassen sich Minderheitsanteile an einer geschlossenen Kapital- oder Personengesellschaft nur mit beträchtlichen Abschlägen veräußern.2 In den Vereinigten Staaten beträgt der durchschnittliche Wertabschlag zwischen 26 und 33 %.3 In Deutschland, Österreich und der Schweiz entsprechen Minderheitsabschläge bei freihändiger Anteilsveräußerung ebenfalls einer gängigen Praxis.4 Dieser betriebswirtschaftliche Befund führt zu der Rechtsfrage, ob ein ausscheidender Aktionär, GmbH-Gesellschafter oder Personengesellschafter bei der Abfindungsbemessung einen Bewertungsabschlag hinnehmen muss, wenn und weil er nur einen Minderheitsanteil ohne nennenswerte Einflussmöglichkeiten besitzt (Minderheitsabschlag, minority discount).

20.7

b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung aa) Personengesellschaft und GmbH (1) Meinungsstand Im Personengesellschafts- und GmbH-Recht ist die Diskussion um Minderheitsabschläge – anders als im Aktienrecht (Rz. 20.14) – noch kaum in Gang gekommen. Die wenigen einschlägigen Literaturstimmen lehnen einen Mehrheitsabschlag unter Hinweis auf den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz fast durchweg ab.5 Die ausführlichste Begründung findet sich in einem Urteil des OLG Köln aus dem Jahre 1999, in dem es um einen GmbH-Gesellschafter ging, der durch missbräuchliches Verhalten der Mehrheitsgesellschafterin zum Austritt aus wichtigem Grund veranlasst worden war.6 Der Senat räumte ein, dass die unterschiedlichen Herrschaftsrechte von Geschäftsanteilen bei einer rein betriebswirtschaftlichen Betrachtung deren Bewertung beeinflussen, hielt dies aber für irrelevant: Für die rechtlich zutreffende Einordnung des Anteilswerts komme es nicht auf den maßgeblichen Verkehrswert, sondern auf den sog. Einigungs- oder Normwert an, d.h. auf die Ermittlung des 1 Vgl. BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95 – Moto Meter, NJW 2001, 279 (280); dazu Fleischer, DNotZ 2000, 876. 2 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1635). 3 Dazu etwa Moll, 54 Duke L.J. 293, 316 (2004) m.w.N. 4 Vgl. für Deutschland Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Sigle, ZGR 1999, 659 (669 f.); für Österreich Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 2009, S. 166 f.; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008, S. 417; für die Schweiz Cheridito/Schneller, Schweizer Treuhänder 2008, 416 (418); Gurtner in v. Buren (Hrsg.), Aktienrecht 1992-1997: Versuch einer Bilanz, 1998, S. 115, 119: „Der Minderheitsabzug für Minderheitsbeteiligungen liegt – im Sinne einer Groborientierung – zwischen 10 und 30 %.“ 5 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1361 f.; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 87 f.; Reichert/ Weller in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 14 GmbHG Rz. 23. 6 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 1108/96, NZG 1999, 1222 (1227).

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20.8

§ 20 Rz. 20.8

Dritter Teil: Querschnittsfragen

richtigen Wertes für das zugrunde liegende Rechtsverhältnis.1 Ein GmbH-Gesellschafter, der unfreiwillig aus der Gesellschaft ausscheide, brauche sich einen derartigen, aus betriebswirtschaftlicher Sicht wertmindernden Umstand nicht entgegenhalten zu lassen. Vielmehr würde eine wertmindernde Berücksichtigung seines minderen Herrschaftsrechts im Verhältnis zur Mehrheitsgesellschafterin zu einer durch nichts zu rechtfertigenden Bereicherung der – hinausdrängenden – Mehrheitsgesellschafterin führen.2

20.9 Einzelne Autoren haben dagegen allerdings Widerspruch angemeldet.3 Sie verweisen auf die gängige Praxis von Minderheitsabschlägen bei der Veräußerung von Geschäftsanteilen an geschlossenen Gesellschaften und führen aus, dass die Ermittlung des quotalen Unternehmenswertes immer nur der erste Schritt der Prüfung sei.4 Hieran müsse sich die Frage anschließen, inwieweit der konkreten gesellschaftsrechtlichen Stellung des ausscheidenden Gesellschafters (z.B. Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung) durch pauschale Zu- oder Abschläge auf den quotalen Unternehmenswert Rechnung zu tragen sei.5 (2) Rechtsvergleichung

20.10 Die österreichische Lehre lehnt Minderheitsabschläge als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ab.6 Auch die US-amerikanische Judikatur7 und die einschlägigen Modellgesetze8 sprechen sich im Rahmen des oppression remedy, also beim gerichtlich angeordneten Zwangserwerb von Minderheitsanteilen durch den Mehrheitsgesellschafter, nahezu einhellig gegen minority discounts aus.9 Gleiches gilt in England im Rahmen des unfair prejudice-Rechtsbehelfs10: Bei einer gerichtlichen buy-out order in einer personalistischen Kapitalgesellschaft (quasi partnership) erfolgt eine pro rata-Bewertung ohne Abschläge.11 Anderes gilt allerdings bei kapitalistisch strukturierten private companies, namentlich dann, wenn der ausscheidende Gesellschafter den Minderheitsanteil durch Rechtsgeschäft erworben hat und

1 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 1108/96, NZG 1999, 1222 (1227). 2 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 1108/96, NZG 1999, 1222 (1227). 3 Vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Sigle, ZGR 1999, 659 (669 f.); s. auch Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 208: „Ggf. sind Besonderheiten der verloren gehenden Gesellschafterstellung durch Zu- oder Abschläge zu berücksichtigen. So kann etwa bei einer Mehrheitsbeteiligung ein ‚Paketzuschlag‘ gerechtfertigt sein.“ 4 So ausdrücklich Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100. 5 Vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100. 6 Vgl. Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 2009, S. 167; Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (18, 25); Leupold in Torggler, UGB, 2013, §§ 137, 138 Rz. 8; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 412 f., 466 f.; Winner in Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht, 2014, S. 59, 59 f. 7 Umfassende Nachweise bei Moll/Ragazzo, The Law of Closely Held Corporations, Loseblatt, Stand 2011, § 8.02[B][3], 8.35 mit Fn. 12. 8 Vgl. § 13.01(4) des Model Business Corporation Act (MBCA): „Fair value means the value of the corporation’s shares determined […] (iii) without discounting for lack of marketability or minority status […].“ 9 Zusammenfassend zuletzt Miller, 13 U. Pa. J. Bus. L. 607 (2011). 10 Umfassend und rechtsvergleichend Fleischer/Strothotte, RIW 2012, 2 (4 ff.). 11 Grundlegend In re Bird Precision Bellows Ltd [1984) 1 Ch. 419, 430: „In my judgment the correct course would be to fix the price pro rata according to the value of the shares as a whole and without any discount, as being the only fair method of compensating an unwilling vendor of the equivalent of a partnership share.“

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.12 § 20

ein Minderheitsabschlag im Erwerbspreis berücksichtigt wurde.1 Die italienische Lehre hält Minderheitsabschläge (sconti di minoranza), sofern sie im Rahmen des Austrittsrechts eines GmbH-Gesellschafters nach art. 2473 c.c. überhaupt erörtert werden, für unvereinbar mit dem Grundsatz anteiliger Unternehmensbewertung.2 In Frankreich werden Minderheitsabschläge (décote de minorité) fast ausschließlich bei der steuerrechtlichen Bewertung thematisiert, wo sie nach einem Leitfaden der französischen Steuerbehörden allerdings nur in Ausnahmefällen Anwendung finden sollen.3 Im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Anteilsbewertung nach art. 1843-4 C. civ. hat man sie bisher nur vereinzelt angesprochen;4 hier verfügt der Bewertungsexperte traditionell über einen größtmöglichen Bewertungsspielraum, der gerichtlich nur in engen Grenzen überprüfbar ist (näher Rz. 38.32). (3) Stellungnahme Im Ergebnis ist der h.M. beizutreten. Dass Minderheitsabschläge bei nicht dominierten Markttransaktionen gängige Praxis sind, kann die Abfindungsbemessung bei dominierten Bewertungsanlässen nicht präjudizieren: Für die rechtsgeprägte Unternehmenswert kommt es nicht auf den Markt-, sondern auf den Normwert an.5 Die Begründung der h.M., wonach Minderheitsabschläge dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen (Rz. 20.8), ist allerdings ergänzungsbedürftig. Nach allgemeiner Ansicht gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nämlich nur im Verhältnis zwischen Gesellschaftern und Organen, nicht im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. In Personengesellschaften und geschlossenen Kapitalgesellschaften werden Abfindungsstreitigkeiten aber der Sache nach zwischen den streitenden Parteien – regelmäßig Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter – ausgetragen.6

20.11

Eine argumentationsgesättigte Begründung muss breiter ansetzen und das normative Bewertungsmodell des Personengesellschafts- und GmbH-Rechts herausarbeiten. Insoweit gibt der Grundsatz der indirekten Anteilsbewertung (Rz. 20.1) einen ersten Fingerzeig: Ermittelt man zunächst den Gesamtwert des Unternehmens und verteilt ihn dann pro rata auf die einzelnen Anteile, bleibt für einen Minderheitsabschlag kein Raum.7 In dieselbe Richtung deutet zweitens das „BGB-Modell“8 der Anteilsbewertung in § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB (Rz. 20.3): Es verweist den ausscheidenden Personengesellschafter für die Abfindungsbemessung auf die Regeln der Auseinandersetzung, die nach § 734 BGB eine quotale Teilhabe am Liquidations-

20.12

1 Vgl. In re Bird Precision Bellows Ltd. [1984] 1 Ch. 419, 431 – obiter; aus der Folgerechtsprechung Strahan v. Wilcock [2006] B.C.L.C. 555, 561. 2 Vgl. Iovenitti, Riv. soc. 2005, 485; s. auch Ventoruzzo, Recesso e valore della parteciazione nella società di capitali, 2012, S. 236 ff. 3 Vgl. Direction générale des impôts, L‘évaluation des entreprises et des titres de sociétés, 2007, S. 108 f.; kritisch Charvériat, Mémento Expert Francis Lefebvre – Cession de parts et actions 2013-2014, 2012, Rz. 35902 f. 4 Grundlegend der Beitrag von Mousseron, RJDA 2006, 199; rechtsvergleichend Fleischer/Jaeger, RabelsZ 77 (2013), 694. 5 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (234); Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 467. 6 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 360; Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (234); Ruthardt, NZG 2014, 972 (978). 7 Vgl. Fleischer in Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 2013, 2014, S. 137, 147 f.; Hüttemann, WPg 2007, 812 (815); Kuhner, WPg 2007, 825 (829). 8 Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1407 (1432).

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§ 20 Rz. 20.12

Dritter Teil: Querschnittsfragen

erlös vorsehen.1 Gleiches sieht der Verteilungsschlüssel des § 72 Satz 1 GmbHG vor: Danach teilen sich GmbH-Gesellschafter den Liquidationserlös ungeachtet ihrer größeren oder geringeren Einflussnahmemöglichkeit im Verhältnis ihrer Geschäftsanteile. Betrachtet man das Ausscheiden eines GmbH-Gesellschafters als eine Art Teilauseinandersetzung, so liegt für diesen Fall ebenfalls eine pro rata-Bewertung nahe.2 Drittens spricht auch der rechtsvergleichende Befund gegen Minderheitsabschläge: Diese werden in den meisten Rechtsordnungen ausdrücklich abgelehnt (vgl. Rz. 20.10). Viertens kann im Einzelfall – wie in der erwähnten Entscheidung des OLG Köln (Rz. 20.8) – als Billigkeitsgesichtspunkt hinzutreten, dass sich der Mehrheitsgesellschafter nicht auf Kosten des Minderheitsgesellschafters bereichern darf: Nemo auditur turpitudinem suam allegans.3 Allerdings lässt sich dieser Gedanke kaum verallgemeinern4: Nicht alle Vorteile, die der Mehrheitsgesellschafter aus seiner Kontrollposition schöpft, werden rechtlich missbilligt;5 ebenso wenig gereichen sie dem Minderheitsgesellschafter notwendig zum Nachteil.6

20.13 Liegt dem Ausscheiden aus der Personengesellschaft oder GmbH kein Machtmissbrauch des Mehrheitsgesellschafters, sondern umgekehrt eine grobe Pflichtverletzung des Minderheitsgesellschafters zugrunde, könnte man unter Billigkeitsgesichtspunkten über einen Bewertungsabschlag räsonieren, wird diesen Gedanken aber sogleich wieder fallen lassen: Nach zutreffender h.M. ist der Ausschluss aus wichtigem Grund nicht mit einem Unwerturteil verbunden und darf deshalb nicht mit Strafsanktionen bewehrt sein.7 Daraus folgt, dass auch der ausgeschlossene „Störenfried“8 Anspruch auf eine Abfindung zum vollen Wert seines Geschäftsanteils hat.9 So wenig wie er einen Minderheitsabschlag hinnehmen muss, steht ihm freilich ein Minderheitszuschlag für den Lästigkeitswert seiner Beteiligung zu.10

1 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (235). 2 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (234). 3 Vgl. Großfeld, JZ 1981, 769 (772); Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56. 4 Eingehend dazu Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (235 f.) mit weiteren, auch rechtsvergleichenden Argumenten. 5 Beispiel: Drittgeschäfte des Mehrheitsgesellschafters mit der Gesellschaft zu ausgeglichenen Bedingungen. 6 Beispiel: Festlegung der Unternehmensstrategie kraft Mehrheitsbeschlusses der Gesellschafterversammlung. 7 Vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (167); Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 119. 8 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (167). 9 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (236); Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 119; s. auch BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 = NZG 2014, 820, Leitsatz: „Eine Bestimmung in der Satzung einer GmbH, nach der im Fall einer (groben) Verletzung der Interessen der Gesellschaft oder der Pflichten des Gesellschafters keine Abfindung zu leisten ist, ist sittenwidrig und nicht grundsätzlich als Vertragsstrafe zulässig.“ 10 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (236); Großfeld, JZ 1981, 769 (773); Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 57.

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.14 § 20

bb) Aktiengesellschaft (1) Meinungsstand Die Diskussion um Minderheitsabschläge hat mit der Aktienrechtsreform von 1965 begonnen. In deren Vorfeld hatte sich eine frühe Stimme für einen Minderheitsabschlag ausgesprochen, weil außenstehende Aktionäre beim unfreiwilligen Ausscheiden nicht besser stehen sollten als beim Verkauf ihrer Anteile.1 Diese Auffassung vermochte sich aber nicht durchzusetzen. Nach heute ganz h.M. ist ein Minderheitsabschlag im Rahmen des § 305 AktG abzulehnen.2 Die Begründungen variieren. Zumeist verweist man schlagwortartig auf den aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG).3 Ergänzend heißt es, der ausscheidende Aktionär sei nicht so zu stellen, wie wenn er seine Anteile unter offenen Verhandlungsbedingungen verkaufen würde (Schiedswert), sondern so, wie wenn er in der Gesellschaft verbliebe.4 Dann würde er nicht mit einem Minderheitsabschlag belastet, sondern hätte vielmehr Anspruch auf (relativ) dieselben Erträge wie der Hauptaktionär. Das entspreche auch der Billigkeit, weil er die in Rede stehende Grundlagen- oder Strukturänderung nicht verhindern könne.5 Gegen einen Minderheitsabschlag spreche außerdem der wertende Vergleich mit dem Liquidationsfall, bei dem die unterschiedliche Stimmrechtsmacht der Aktionäre nichts an der anteiligen Verteilung des Liquidationserlöses ändere.6 Schließlich dürfe man dem Mehrheitsaktionär keine Sondervorteile belassen, die er durch eigenes rechtswidriges Verhalten auf Kosten der außen stehenden Aktionäre erlangt habe.7 Auch deshalb sei Skepsis gegenüber Minderheitsabschlägen angezeigt.

1 Vgl. Busse von Colbe, AG 1964, 263 (265); s. auch Frey, WPg 1963, 146 (147), der zur Bewertung von Minderheitsanteilen das Stuttgarter Verfahren empfahl und Abschläge von Substanz und Ertrag vornahm; aus jüngerer Zeit Schenk in Bürgers/Körber, 2. Aufl. 2011, § 305 AktG Rz. 48: „Konsequenterweise würde die Zuerkennung eines höheren Werts je Aktie bei einem gegebenen GesamtUnternehmenswert einen Wertabschlag für Minderheitsbesitz verlangen. […] Die Möglichkeiten, mit entspr Mehrheiten weitergehenden Einfluss auf das Unternehmen zu gewinnen als dies den Minderheitsaktionären möglich ist, werden von § 53a nicht verboten; die Markt- (und auch Börsen-)bewertung dieser Umstände kann daher auch nicht unberücksichtigt bleiben.“ 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.6.1973 – 19 W 21/72, AG 1973, 282 (284); KG v. 28.4.1964 – 5 U 1493/63, AG 1964, 217 (219); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1362; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 32; Ränsch, AG 1984, 202 (207); Ruiz de Vargas in Bürgers/ Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 32, 54d; Ruthardt, NZG 2014, 972 (977 ff.); pointiert Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 75: „Ein Abschlag für den Minderheitsbesitz der außen stehenden Aktionäre (gleichsam als Kehrseite der Paketzuschläge für Großaktionäre) verbietet sich ebenso wie ein gelegentlich diskutierter Minderheitsaufschlag von selbst.“; eingehend Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b, S. 400 ff. 3 Vgl. Deilmann in Hölters, § 305 AktG Rz. 68; Servatius in Grigoleit, § 305 AktG Rz. 25; Hirte/Hasselbach in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 305 AktG Rz. 212; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 32; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 141. 4 So Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 305 AktG Rz. 95. 5 Vgl. Kropff, DB 1962, 155 (158). 6 Vgl. Kropff, DB 1962, 155 (158). 7 Vgl. Gansweid, AG 1977, 334 (335); Großfeld, JZ 1981, 769 (772); Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b, S. 402; Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56.

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20.14

§ 20 Rz. 20.15

Dritter Teil: Querschnittsfragen

(2) Rechtsvergleichung

20.15 Die österreichische Lehre hat sich nahezu einhellig gegen Minderheitsabschläge ausgesprochen.1 In der Schweiz hat das Bundesgericht die Frage bisher ausdrücklich offen gelassen.2 Gewichtige Literaturstimmen befürworten aus Gründen der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung eine Abfindung zum objektivierten Wert ohne Minderheitsabzüge;3 allerdings gibt es auch Befürworter eines Minderheitsabschlags,4 die sich nicht zuletzt auf die Botschaft des Bundesrates berufen können.5 In den Vereinigten Staaten lehnen die meisten Gliedstaaten Minderheitsabschläge im Rahmen ihrer appraisal-Statuten ab, weil sie mit dem Grundsatz der anteiligen Unternehmensbewertung unvereinbar seien.6 Weiter spreche gegen minority discounts, dass (a) Vergleiche mit einem freiwilligen Anteilsverkauf nicht sachgerecht seien, weil der Minderheitsaktionär ohne die Strukturänderung in der Gesellschaft geblieben wäre; (b) dem Minderheitsaktionär seine fehlende Stimmrechtsmacht nicht zum Nachteil gereichen dürfe; (c) der Mehrheitsaktionär durch das Abfindungsverfahren keine ungerechtfertigten Zufallsgewinne erhalten solle.7 (3) Stellungnahme

20.16 Der ganz h.M. ist im Ergebnis beizutreten. Wie schon im Personengesellschafts- und GmbH-Recht (Rz. 20.11 ff.) lässt sich dies aber nicht unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ableiten.8 Tragfähiger ist ein Rückgriff auf den Grundsatz der indirekten An1 Vgl. Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out. Der Gesellschafterausschluss bei AG und GmbH, 2006, Rz. 204; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 412 f., 466 f.; sehr klar auch KFS BW 1 2006, Ziff. 9 Rz. 132: „Die Berücksichtigung von Minderheitsab- oder -zuschlägen ist unzulässig.“; ebenso KFS BW 1 2014, Ziff. 8 Rz. 149; abw. Seicht, RWZ 2004, 164. 2 Vgl. BGE 120 II 259 E. 2b: „Dabei handelt es sich nach herrschender Literaturmeinung um einen objektiven Wert, der als Gesamtwert der Gesellschaft unter Einschluss von Substanz- und Ertragswert zu bestimmen ist. […] Ob darüber hinaus auch subjektive, persönliche Interessen zu berücksichtigen sind, welche die Bewertung aus der Sicht der beteiligten Parteien beeinflussen können, braucht im vorliegenden Fall nicht erörtert zu werden.“ 3 Vgl. Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 6 Rz. 224c; du Pasquier/Wolf/Oertle in Basler Kommentar OR, 5. Aufl. 2016, Art. 789 Rz. 4; ferner die Prognose von Flückiger, Schweizer Treuhänder 2003, 263 (266). 4 Vgl. etwa Gurtner in v. Buren (Hrsg.), Aktienrecht 1992-1997: Versuch einer Bilanz, 1998, S. 115, 119, 124: „Es würde allen praktischen Erfahrungen und vernünftigen Überlegungen widersprechen, Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen gleich zu bewerten, obwohl sie unterschiedliche Rechte und Einflussmöglichkeiten gewähren und die Verkäuflichkeit der Titel unterschiedlich ist.“; offen lassend Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, § 44 Rz. 164 mit Fn. 57a; differenzierend Sanwald, Austritt und Ausschluss aus AG und GmbH, 2009, S. 100: „Im Ergebnis sind Zuschläge und Abschläge grundsätzlich zulässig. Abschläge sind aber insbesondere dann nicht zulässig, wenn der Gesellschafter ausgeschlossen wird oder aus wichtigen Gründen austritt.“ 5 Vgl. Botschaft des Bundesrates über die Revision des Aktienrechts, 25.2.1983, BBl. 135 (1983), Bd. II, S. 901: „Der wirkliche Wert der Aktie ohne Kurswert ist ebenfalls ein Verkehrswert. Deshalb sind neben dem Wert des Anteils an der Gesellschaft alle weiteren Umstände zu berücksichtigen, die den Verkehrswert beeinflussen: So der Preis der Kaufofferte, der Umfang des Minderheitspakets (beispielsweise ob mit oder ohne Sperrminorität), die Zukunftsaussichten des Unternehmens etc.“ 6 Grundlegend Cavalier Oil Corp. v. Harnett, 564 A.2d 1137, 1144 (Del. 1989). 7 Vgl. Cavalier Oil Corp. v. Harnett, 564 A.2d 1137, 1144-1145 (Del. 1989); zusammenfassend Hess, 16 A.L.R. 6th 693 (2006). 8 Kritisch dazu auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 361; Ruthardt, NZG 2014, 972 (978).

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teilsbewertung, der auch im Aktienrecht gilt (Rz. 20.4) und Minderheitsabschläge von vornherein ausschließt. In dieselbe Richtung weist der Verteilungsschlüssel für den Liquidationserlös gem. § 271 Abs. 2 AktG: Danach wird der Abwicklungsüberschuss grundsätzlich (zur Ausnahme eines Liquidationsvorzugs Rz. 20.50) nach dem Anteil am Grundkapital verteilt, ohne dass es auf die unterschiedliche Stimmrechtsmacht ankommt. Hieraus folgt, dass aktionärsstrukturbedingte Grenzpreisdifferenzen nach der Wertung des Gesetzgebers für die Abfindungsbemessung unbeachtlich sind.1 Schließlich liegt eine Ablehnung von Minderheitsabschlägen auch in der Fließrichtung ausländischer Aktienrechte (Rz. 20.15). 2. Fungibilitätsabschlag a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen Unter dem Fungibilitätsrisiko versteht man die Gefahr, dass ein Gesellschafter seine Anteile bei einer Veräußerung nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung und beträchtlichem Wertabschlag verkaufen kann. Gleichsinnig spricht man vom Illiquiditäts-, Wiederverkaufs- oder Mobilitätsrisiko.2 Dieses Risiko ist bei Personengesellschaftsanteilen und Geschäftsanteilen an geschlossenen Kapitalgesellschaften von besonderer Bedeutung. Für seine Abbildung im betriebswirtschaftlichen Bewertungskalkül kommen zwei verschiedene Wege in Betracht,3 die terminologische Verwirrung stiften: Einmal kann man nach US-amerikanischem Vorbild einen Abschlag vom vorläufigen Unternehmenswert vornehmen, den man dann als Fungibilitätsabschlag (vom Zukunftserfolgswert) bezeichnet.4 Zum anderen ist eine Erhöhung des Kapitalisierungszinssatzes um einen besonderen Risikozuschlag denkbar, weshalb man häufig auch von einem Fungibilitätszuschlag (zum Kapitalisierungszins) spricht.5

20.17

aa) Betriebswirtschaftslehre Ob das Fungibilitätsrisiko bei der Wertermittlung zu berücksichtigen ist, gehört zu den altehrwürdigen Streitfragen der deutschen Betriebswirtschaftslehre. Eugen Schmalenbach, Begründer der modernen Betriebswirtschaftslehre, hatte schon während des Ersten Weltkriegs gefordert, den Kapitalisierungszins bei der Bewertung eines nicht mobilen Unternehmens

1 Eingehend dazu Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 361: „Prinzip der Erfolgsaufteilung nach dem Verhältnis der geleisteten Einlagen“; gleichsinnig Großfeld, JZ 1981, 769 (770); Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt,1996, S. 263; Ruthardt, NZG 2014, 972 (978). 2 Vgl. Metz, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 118 mit Fn. 782; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 74 mit Fn. 88; SchütteBiastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 197 mit Fn. 668. 3 Näher dazu Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 199 ff.; ausführlich auch Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 80 ff.; zusammenfassend Nicklas, Vergleich nationaler und internationaler Standards der Unternehmensbewertung. Ein kontingenztheoretischer Ansatz, 2008, S. 158: „Üblicherweise berechnen sich in den USA die Zu- und Abschläge auf den vorläufig errechneten Unternehmenswert bzw. -anteil. In der deutschsprachigen Literatur wird das Mobilitätsrisiko überwiegend als ein Bestandteil des Kapitalisierungszinssatzes angesehen und ggf. als Mobilitätszuschlag zum Basiszinssatz berücksichtigt.“ 4 So die Terminologie bei Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 63, der auf S. 177 freilich auch von einem Fungibilitätszuschlag spricht. 5 So die Terminologie bei Barthel, DB 2003, 1181; Metz, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 121 ff.; gleichsinnig spricht Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1079 von einem „Immobilitätszuschlag“.

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Dritter Teil: Querschnittsfragen

pauschal um 50 % gegenüber einem mobilen Unternehmen zu erhöhen.1 Sein Kölner Schüler Hans Münstermann, Nestor der subjektiven Bewertungslehre in Deutschland, hat sich später für einen individuell zu bemessenden Immobilitätszuschlag zum Kapitalisierungszinssatz ausgesprochen.2 Adolf Moxter, Schulhaupt der Frankfurter Bewertungslehre, ist in seinen berühmten „Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung“ ebenfalls für einen Immobilitätszuschlag eingetreten, um die Äquivalenz der extrem liquiden Mittelanlage in Staatsanleihen mit der deutlich weniger liquiden Mittelanlage in Gesellschaftsanteilen herzustellen.3 Einschränkend hat er allerdings auf die Wahrscheinlichkeit eines Wieder- oder Notverkaufs hingewiesen.4

20.19 Die heutige Betriebswirtschaftslehre ist gespalten: Zahlreiche Stimmen empfehlen eine Anpassung des Bewertungskalküls um den Aspekt geringerer Fungibilität.5 Sie tragen vor, dass ein rationaler Anleger demjenigen von zwei sonst identischen Unternehmen einen geringeren Wert beimesse, dessen Anteile er nur mit größeren Schwierigkeiten wieder veräußern könne.6 Es gibt aber auch namhafte Gegenstimmen. Sie gründen sich auf die mangelnde Objektivierbarkeit von Illiquiditätszuschlägen7 („willkürliche Zuschläge“)8 oder zweifeln an deren theoretischer Fundierung: Zwar seien marktgängige Aktien, die den Nenner der Barwertformel de-

1 Vgl. Schmalenbach, Die Beteiligungsfinanzierung, 1. Aufl. 1915, 9. Aufl. 1966, S. 50 ff.; allgemein schon Schmalenbach, Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 12 (1917/18), S. 1, 5: „Ziemlich oft sind Kapitalisierungszinsfüße aus benachbarten Gebieten herüberzuholen. Beispielsweise bilden Aktienkurse und Aktiendividenden beliebte Maßstäbe, die auf andere Unternehmensformen übertragen werden. Bei solchen Überlegungen ist darauf Rücksicht zu nehmen, daß der Zinsfuß bei mobilisierten Besitztiteln geringer ist als bei nicht mobilisierten.“ 2 Vgl. Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 3. Aufl. 1970, S. 77 f. 3 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 159 ff.; sehr klar auch Moxter, NJW 1994, 1852. 4 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 160: „Ein Zuschlag zum Kapitalzins, der das zinssteigerungsbedingte Wiederverkaufsrisiko berücksichtigen soll, wird nur vorgenommen, wenn ein in absehbarer Zeit erfolgender Wiederverkauf wahrscheinlich ist […].“; und S. 161: „Muss mit einem ‚Notverkauf‘ (einer sehr raschen Verkaufsabwicklung) gerechnet werden, dann sprechen zusätzliche Gesichtspunkte für einen Immobilitätszuschlag.“ 5 Vgl. Bamberger, BFuP 1999, 653 (655); Barthel, DB 2003, 1181; Dörschell/Franken/Schütte, WPg 2008, 444 (447); Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, S. 88 f.; Metz, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 123 ff.; Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 197 ff.; Zieger/Schütte-Biastoch, FB 2008, 590 (598). 6 Vgl. Böcking/Nowak, FB 1999, 169 (173); Metz, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 118; ferner Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, S. 88 f.: „Verfügbarkeitsäquivalenz ist etwa verletzt, wenn ein schwer handelbarer GmbH-Anteil anhand der Eigenkapitalkosten eines branchengleichen DAX-Unternehmens bewertet wird. Wiederhergestellt wird sie durch einen Verfügbarkeitszuschlag auf die Diskontierungsgröße bzw. einen pauschalen Verfügbarkeitsabschlag auf den ermittelten Unternehmenswert.“ 7 Dazu etwa Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 105: „Vor allem wenn der Unternehmenswert objektiviert im Sinne von IDW S 1 zu ermitteln ist, kann in der Konsequenz eine größenabhängige Risikoanpassung für eine fehlende Liquidität der Anteile an dem Bewertungsobjekt nur abgelehnt werden.“; kritisch auch Metz, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 125, aber mit relativierender Schlussfolgerung: „Somit bleibt es im Ergebnis dem Ermessen des fachkundigen Bewerters überlassen, einen adäquaten Fungibilitätszuschlag festzulegen.“ 8 Gampenrieder/Behrend, Unternehmensbewertung und Management 2004, 85 (89).

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

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terminierten, liquider als GmbH-Anteile; sofern der GmbH-Gesellschafter aber keinen Anlass habe, einen Wiederverkauf zu erwägen, sei die geringere Liquidität seiner Anteile irrelevant.1 US-amerikanische Standardwerke werben unter dem Motto „Illiquidity matters!“2 für eine 20.20 Berücksichtigung der fehlenden Marktgängigkeit von Gesellschaftsanteilen.3 Zur Begründung stützen sie sich zum einen auf sog. restricted stock-Studien, bei denen die Preise von nicht für den öffentlichen Handel registrierten Anteilen mit börslich handelbaren Anteilen ein und desselben Unternehmens verglichen werden.4 Zum anderen berufen sie sich auf IPO-Studien, bei denen der Preisabschlag für fehlende Marktgängigkeit durch einen Vergleich der Aktienpreise vor und nach der erstmaligen Börsennotierung ermittelt wird.5 Beide Gruppen von Studien sehen sich allerdings methodischer Kritik ausgesetzt;6 zudem bezweifelt man ihre Übertragbarkeit auf die Verhältnisse in Deutschland.7 Konzeptionell behandelt das US-amerikanische Bewertungsschrifttum Fungibilitätsabschläge ebenso wie Minderheitsabschläge nicht als Wertabschläge auf Unternehmensebene (entity level discounts), sondern als solche auf Gesellschafterebene (shareholder level discounts).8 bb) Berufsständische Bewertungspraxis Die berufsständische Bewertungspraxis in Deutschland hat sich im Zeitablauf gewandelt. Das WP-Handbuch 2002 hatte sich noch dafür ausgesprochen, einer geringeren Fungibilität im Vergleich zur alternativen Geldanlage in öffentlichen Anleihen angemessen Rechnung zu tragen;9 in der Fassung von 2008 lehnt es Liquiditätsabschläge für die Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte dagegen ausdrücklich ab.10 Der IDW Standard S 1 2008 geht im Unter1 So Ballwieser in FS Rudolph, 2009, S. 283 (295 ff.); Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 108 ff.; ferner Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 426 und 434. 2 Damodaran, Marketability and Value: Measuring the Illiquidity Discount, ssrn.com/abstract = 841484, July 2005, p. 59: „Illiquidity matters. Investors are generally willing to pay higher prices for more liquid assets than for otherwise similar liquid assets.“ 3 Vgl. etwa Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 86: „Lack of marketability, more often than not, is the largest dollar discount factor in the valuation of a business interest, particularly a minority interest.“ 4 Für einen aktuellen Überblick Hitchner, Financial Valuation, S. 391 ff. m.w.N.; ferner Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 88 ff. 5 Auch dazu Hitchner, Financial Valuation, S. 383 ff.; ferner Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 90 ff. 6 Dazu etwa Bajaj/Denis/Ferris/Sarin, 27 J. Corp. L. 89 (2001); Ballwieser in FS Rudolph, 2009, S. 283 (288 ff.). 7 Vgl. Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 93; Zieger/ Schütte-Biastoch, FB 2008, 590 (598). 8 Vgl. Hitchner, Financial Valuation, S. 370: „Although there may be isolated exceptions, strategic premiums, control premiums, and discounts for either lack of control or lack of marketability account for or measure the degree of these shareholder- or security-specific factors. These discounts and premiums pertain to specific ownership interests.“; ferner Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 3. 9 Vgl. IDW, WP-Handbuch 2002, 12. Aufl. 2002, Bd. II, S. 105 Rz. 296. 10 Vgl. IDW, WP-Handbuch 2008, Bd. II, 2007, Abschn. A Rz. 434: „In der internationalen Bewertungspraxis werden die Merkmale teilweise durch sog. ‚Small Company Discounts‘ sowohl als Abschlag von den zu diskontierenden finanziellen Überschüssen oder deren Barwert als auch als gesonderter Zuschlag im Kapitalisierungszinssatz berücksichtigt. Hierbei handelt es sich um Ansätze, deren empirische Validität noch nicht abschließend beurteilt werden kann und die den Besonderheiten des einzelnen Bewertungsobjekts nicht hinreichend Rechnung tragen können. Für

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§ 20 Rz. 20.21

Dritter Teil: Querschnittsfragen

schied zu einer früheren Version1 auf Liquiditätsaspekte nicht mehr ein. Im Fragen- und Antwortenkatalog des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft vom Dezember 2011 heißt es, dass Liquidität im Rahmen der objektivierten Bewertung eines Unternehmens keinen Werteinflussfaktor darstelle.2 Bei der Ermittlung subjektiver Unternehmenswerte könnten konkrete Transaktionskosten jedoch wertmindernd berücksichtigt werden. Der IDW-Praxishinweis 1/2014 betont noch einmal, dass mangelnde Fungibilität bei einer objektivierten Bewertung nicht in Form eines Risikozuschlags zu den Kapitalkosten berücksichtigt werden dürfe.3 b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung aa) Personengesellschaft und GmbH (1) Meinungsstand

20.22 Im Personengesellschafts- und GmbH-Recht ist die Diskussion um einen Fungibilitätsabschlag noch wenig entwickelt. Das RG hatte ihn bei der Ermittlung des Abfindungsguthabens eines ausscheidenden Kommanditisten abgelehnt;4 demgegenüber hat der BGH Abschläge bei der Bewertung unveräußerlicher Unternehmensbeteiligungen im Rahmen des ehegüterrechtlichen Zugewinnausgleichs nicht grundsätzlich ausgeschlossen;5 das OLG Köln wiederum hat sich jedenfalls beim Austritt eines GmbH-Gesellschafters aus wichtigem Grund gegen Liquiditätsabschläge ausgesprochen, weil sie den Mehrheitsgesellschafter „völlig ungerechtfertigt einseitig bevorzugen“6 würden. In der rechtsgeprägten Bewertungsliteratur wird eine gesonderte Berücksichtigung des Fungibilitätsrisikos verschiedentlich abgelehnt,7 doch gibt es auch befürwortende Stimmen.8

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die Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte kleiner und mittlerer Unternehmen ist daher die Anwendung abzulehnen.“ Vgl. IDW S 1 i.d.F. von 2000, Rz. 97, wo die Fungibilität der Unternehmensanteile als ein Einflussfaktor auf das Risiko erwähnt wird. Vgl. Fachausschuss IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards S 1 2008, Fachnachrichten IDW 2012, 323, 325; dazu auch Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (497): „Für Bewertungsanlässe, bei denen von der Übertragbarkeit abstrahiert wird, d.h. wenn keine Veräußerungsabsicht besteht oder Ausgleichsansprüche zu bemessen sind, ist ein Wertabschlag aufgrund mangelnder Fungibilität nicht sachgerecht.“ Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 35 f., Rz. 51; dazu auch Ballwieser/ Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (471). Vgl. RG v. 6.1.1940 – II 56/40, DR 1941, 1301 (1303): „Das Gutachten geht dann allerdings insofern in die Irre, als es von der errechneten Abfindungssumme von 10.2016, 61 RM 25 % mit der Begründung absetzt, daß eine Kommanditeinlage ein schwer zu veräußernder Vermögensgegenstand sei. Das würde für die Berechnung des Abfindungsguthabens ohne Belang sein.“; dazu auch Barz, DR 1941, 1303 (1304). Vgl. BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 27/00, NJW 2003, 1396: „Die eingeschränkte Verfügbarkeit der Beteiligung ist insoweit allenfalls wertmindernd zu berücksichtigen.“ OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1227) = GmbHR 1999, 712. Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1080. Vgl. Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 129: „Plausibel erscheint eigentlich die betriebswirtschaftliche Einschätzung, die mangelnde Fungibilität eines Geschäftsanteils könne einen Zuschlag rechtfertigen.“; für einen „Immobilitätszuschlag“ bei vinkulierten Geschäftsanteilen auch Ulmer in Großkomm. GmbHG, 2006, § 34 GmbHG Rz. 77; anders aber nun Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77.

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.25 § 20

Für nicht börsennotierte Anteile an Kapitalgesellschaften enthält das Bewertungsgesetz (BewG) von 2009 in §§ 199 ff. Sondervorschriften für steuerliche Zwecke. Danach ist im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens gem. § 203 Abs. 1 BewG ein Kapitalisierungszinssatz anzuwenden, der sich aus einem Basiszinssatz und einem (Risiko-)Zuschlag von 4,5 % zusammensetzt. Er berücksichtigt neben dem Unternehmerrisiko pauschal weitere Korrekturposten, zu denen ausweislich der Gesetzesbegründung auch ein Fungibilitätszuschlag gehört.1 In der steuerrechtlichen Spruchpraxis hatte sich der RFH schon im Jahre 1926 für eine Berücksichtigung des Fungibilitätsrisikos ausgesprochen.2

20.23

(2) Rechtsvergleichung International werden Fungibilitätsabschläge (marketability discounts) vor allem3 in den Vereinigten Staaten diskutiert. Die Mehrzahl der einzelstaatlichen Gerichte hält einen Fungibilitätsabschlag für unzulässig.4 Ebenso wertet der Model Business Corporation Act.5 Eine Spur vorsichtiger äußern sich die Principles of Corporate Governance6 und der Uniform Partnership Act,7 die Fungibilitätsabschläge zwar grundsätzlich ablehnen, hiervon aber beim Vorliegen besonderer Umstände Ausnahmen für möglich halten. Verschiedene Gerichtsentscheidungen aus New York,8 aber auch aus Florida9 und Oregon,10 tragen dem größeren Fungibilitätsrisiko dagegen durch einen gesonderten Bewertungsabschlag Rechnung.

20.24

(3) Stellungnahme Für eine eigene Stellungnahme empfiehlt es sich, mögliche Einzelargumente nacheinander auf ihre Überzeugungskraft abzutasten.11 Anders als ein Minderheitsabschlag (Rz. 20.8 ff.) verstößt ein Fungibilitätsabschlag nicht ohne weiteres gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz: Er knüpft an die fehlende Marktgängigkeit aller Anteile an Personengesellschaften und geschlossenen Kapitalgesellschaften an und differenziert gerade nicht

1 Vgl. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11107, 24: „Der Zuschlag berücksichtigt pauschal neben dem Unternehmerrisiko auch andere Korrekturposten, z.B. Fungibilitätszuschlag, Wachstumsabschlag oder inhaberabhängige Faktoren.“ 2 Vgl. RFHE 18, 338 (341): „Es darf ferner […] die sich aus der Art der betreffenden Gesellschaft ergebende leichtere oder schwerere Verkäuflichkeit ihrer Anteile nicht unerwogen bleiben, und es wird als zutreffend angesehen werden können, daß in dieser Hinsicht im allgemeinen Aktien günstiger dastehen als Geschäftsanteile einer Gesellschaft m.b.H.“ 3 Für einen kurzen Hinweis auf ihre Nichtberücksichtigung bei der Abfindungsbemessung in Österreich Leupold in Torggler, UGB, 2013, §§ 137, 138 Rz. 8. 4 Vgl. etwa Pueblo Bancorporation v. Lindoe, Inc., 63 P.3d 353, 369 (Col. 2003): „We hold that fair value, for the purpose of the dissenters’ right statute, means the shareholder’s proportionate ownership interest in the value of the corporation and therefore, it is inappropriate to apply a marketability discount at the shareholder level.“ 5 Vgl. § 13.01(4) MBCA; dazu noch bei Rz. 20.30. 6 Vgl. American Law Institute, Principles of Corporate Governance, 1994, § 7.22(a); dazu noch bei Rz. 30. 7 Vgl. sec. 701 UPA, comment 3: „[…] Other discounts, such as for a lack of marketability or the loss of a key partner, may be appropriate, however.“ 8 Vgl. Blake v. Blake Agency, 486 N.Y.S. 2d 341, 349 (N.Y. App. Div. 1985). 9 Vgl. Munshower v. Kolbenheyer, 732 So. 2d 385 (Fla. Dist. Ct. App. 1999). 10 Vgl. Columbia Mgmt. Co. v. Wyss, 765 P.2d 207, 213-14 (Or. Ct. App. 1988). 11 Eingehend zu Folgendem Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (240).

Fleischer 607

20.25

§ 20 Rz. 20.25

Dritter Teil: Querschnittsfragen

zwischen Mehrheits- und Minderheitsanteilen.1 Die ergänzende Erwägung des OLG Köln, ein Fungibilitätsabschlag bevorzuge einseitig den Mehrheitsgesellschafter,2 beruht auf einem Kategorienfehler: Zwar können treuwidrige Sondervorteile des Mehrheitsgesellschafters zum Nachteil der Minderheitsgesellschafter normativ keinen Bewertungsabschlag rechtfertigen (Rz. 20.12), doch richtet sich dieser Einwand nicht gegen einen Fungibilitäts-, sondern gegen einen Minderheitsabschlag. Beide Abschläge können in ein und demselben Fall zusammentreffen,3 sind aber analytisch sorgfältig zu trennen.4

20.26 Eher tragfähig erscheint der Gedanke, dass ein Personen- oder GmbH-Gesellschafter nicht mit einem fremdinduzierten Ausscheiden zu rechnen braucht und daher auch nicht mit dem Fungibilitätsrisiko bei vorzeitigem Verlust seiner Mitgliedschaft belastet werden darf: Für einen Gesellschafter, der keinen Verkauf seiner Geschäftsanteile erwägt, ist deren geringere Liquidität gegenüber marktgängigen Aktien irrelevant.5 Konzeptionell kann man das gleiche Ergebnis mit dem Grundsatz indirekter Anteilsbewertung begründen, wonach der Anteilswert quotal aus dem Gesamtunternehmenswert abzuleiten ist (Rz. 20.3). Bei dieser rechtlichen Prämisse verbieten sich Bewertungsabschläge, die an die Eigenschaften der konkreten Beteiligung anknüpfen6 – und damit auch Fungibilitätsabschläge, die nach verbreiteter (wenn auch nicht ganz zweifelsfreier) Auffassung nicht auf Unternehmens-, sondern auf Gesellschafterebene angesiedelt werden.7 Ob man zur weiteren Abstützung dieses Ergebnisses auch das Gebot der „vollen Entschädigung“8 aus Art. 14 GG heranziehen kann, bedürfte einer gesonderten Untersuchung.9 Insgesamt sprechen daher gute Gründe gegen eine Berücksichtigung des Fungibilitätsrisikos beim Ausscheiden eines Personen- oder GmbH-Gesellschafters. Dass Familien-,

1 Vgl. Blake v. Blake Agency, 486 N.Y.S. 2d 341, 349 (N.Y. App. Div. 1985): „A discount for lack of marketability is properly factored into the equation because the shares of a closely held corporation cannot be readily sold on a public market. Such a discount bears no relation to the fact that the petitioner’s shares in the corporation represent a minority interest.“ 2 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1227) = GmbHR 1999, 712. 3 Für ein Beispiel OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1227) = GmbHR 1999, 712. 4 Dazu etwa Brown v. Arp. & Hammond Hardware Co., 141 P.3d 673, 679 (Wyo. 2006): „It is important to distinguish the minority discount and another commonly discussed discount – the marketability discount, which adjusts for a lack of liquidity.“; zu einem US-amerikanischen Fall auch die Kritik von Bainbridge, Corporation Law and Economics, 2002, S. 644: „The opinion treats marketability and minority discounts as though they were one and the same, reflecting a lack of understanding of the conceptual difference between the two types of discounts. In effect, the court mixed apples and oranges.“ 5 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht Ballwieser in FS Rudolph, 2009, S. 283 (294); ferner Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 426; aus juristischer Perspektive mit Blick auf das Aktienrecht Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56 f.: „Auch ein Abschlag wegen schwerer Veräußerbarkeit des Anteils ist unzulässig, da nicht feststellbar ist, ob der ausscheidende Gesellschafter jemals hätte veräußern wollen.“ 6 So sehr klar Kuhner, WPg 2007, 825 (829). 7 Vgl. den Text zu und die Nachweise in Rz. 20.20. 8 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 (305) = AG 1999, 566. 9 Tiefer schürfende Abhandlungen zur Übertragbarkeit der Spruchpraxis des BVerfG betreffend Art. 14 GG (Aktieneigentum) auf den GmbH-Geschäftsanteil fehlen bislang, obwohl die Parallele an sich nahe liegt; für eine solche Parallele Fleischer in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, Einl. Rz. 130.

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Fleischer

Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.29 § 20

Erb- und Steuerrecht womöglich andere Wege gehen, steht dem nicht entgegen, weil sie in Bewertungsfragen ihrer eigenen Teleologie verpflichtet sind.1 bb) Aktiengesellschaft (1) Meinungsstand Im Aktienrecht zeichnet sich in der Frage des Fungibilitätsrisikos noch keine einvernehmli- 20.27 che Lösung ab. Dass hier unterschiedliche Antworten denkbar sind, zeigen die entgegen gesetzten Auffassungen von Bruno Kropff und Ernst Geßler, die im Bundesjustizministerium gemeinsam für die Aktienrechtsreform von 1965 und damit auch für die Ausgestaltung des § 305 AktG verantwortlich waren: Kropff hatte nach Veröffentlichung des Regierungsentwurfs argumentiert, dass bei fehlendem Zugang der Gesellschaft zum Kapitalmarkt ein höherer Kapitalisierungszinsfuß angemessen sei.2 Demgegenüber hatte Geßler in einem Expertengespräch aus dem Jahre 1976 über die gesetzliche Regelung des § 305 AktG ausgeführt, dass für Mobilitäts- und Fungibilitätszuschläge bei der Ermittlung der Abfindung kein Raum sei: Die Abfindung sei allein danach zu bemessen, welche Ertragserwartungen dem Ausscheidenden entgingen; sie hingen nicht von der Mobilität oder Fungibilität ihrer Anteile ab.3 Im späteren Schrifttum wird die Frage nur sporadisch behandelt. Dabei stehen sich Gegner4 20.28 und Befürworter5 eines Fungibilitätszuschlags gegenüber. Erstere stellen auf die fehlende Wiederveräußerungsabsicht der ausscheidenden Aktionäre6 sowie auf fehlende Maßstäbe für die Bemessung eines solchen Zuschlags7 ab; letztere führen an, dass Minderheitsgesellschafter bei einer Abfindung nach § 305 AktG nicht besser stehen dürften als bei einer Anteilsveräußerung an Dritte. Neuerdings hat das Lager der Gegner eines Fungibilitätszuschlags an Zulauf gewonnen.8 Auch die Spruchpraxis verfährt bisher uneinheitlich. Das LG Frankfurt hatte sich im Jahre 20.29 1983 für eine Berücksichtigung des Fungibilitätsrisikos ausgesprochen.9 Dem ist das OLG

1 Näher Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 121: „Deswegen muss z.B. der objektive Wert eines Unternehmens für Zwecke der Abfindung an ausscheidende Gesellschafter keineswegs dem objektiven Wert des Unternehmens für Zwecke der Pflichtteilsberechnung gleichkommen.“; WP-Handbuch 2014, Bd. II, A 537; aus schweizerischer Sicht auch Druey in FS Hegnauer, 1986, S. 15. 2 Vgl. Kropff, DB 1962, 155 (156 f.) unter Berufung auf Warnecke, Zeitschr. f. handelsw. Forschung 1960, 519 (523). 3 So ausdrücklich Geßler in Goetzke/Sieben (Hrsg.), Moderne Unternehmensbewertung und Grundsätze ihrer ordnungsmäßigen Durchführung. Bericht von der 1. Kölner BFuP-Tagung am 18. und 19.11.1976, 1977, S. 134. 4 Vgl. Gansweid, AG 1977, 334 (339); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1080; Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56 f.; W. Müller, JuS 1974, 424 (428). 5 Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 177; Ränsch, AG 1984, 202 (211); Steck, AG 1998, 460 (463 ff.) (zum Delisting). 6 Vgl. Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56 f. 7 Vgl. Gansweid, AG 1977, 334 (339). 8 Vgl. Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331 (341 ff.); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 32; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 40c. 9 Vgl. LG Frankfurt/M. v. 8.12.1982 – 3/3 AktE 104/79, AG 1983, 136 (138).

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§ 20 Rz. 20.29

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Düsseldorf 2006 unter Hinweis darauf beigetreten, dass eine Investition in ein nicht börsennotiertes Unternehmen eine enge Bindung von Kapital bedeute, da der Investor kurzfristig nicht auf günstigere Ausweichmöglichkeiten zurückgreifen könne.1 Demgegenüber hat sich das LG Dortmund im Jahre 2004 gegen eine Berücksichtigung des Fungibilitätsrisikos ausgesprochen, weil die „Enteignung“ der ausscheidenden Anteilsinhaber gegen ihren Willen erfolge.2 Auf der gleichen Linie liegen drei obergerichtliche Entscheidungen aus jüngerer Zeit.3 Sie bringen zum einen vor, dass die geringere Fungibilität nicht börsennotierter Anteile allenfalls einen Teilaspekt darstelle, der sich von den übrigen in die Bestimmung des Risikozuschlags maßgeblich einfließenden Gesichtspunkten nicht quantitativ abgrenzen lasse.4 Zum anderen führen sie an, dass Fungibilitätszuschläge bislang keinen Eingang in die übliche Handhabung der Ertragswertermittlung gefunden hätten und namentlich in den IDWEmpfehlungen zur Unternehmensbewertung von 2008 nicht erwähnt würden.5 (2) Rechtsvergleichung

20.30 In den Vereinigten Staaten, wo die Diskussion international am weitesten entwickelt ist, lehnt die Mehrzahl der Gerichte einen marketability discount bei der Abfindungsbemessung ab.6 Ähnlich wertet der Model Business Corporation Act (MBCA).7 Auch die Principles of Corporate Governance des American Law Institute lehnen Fungibilitätsabschläge grundsätzlich ab und machen hiervon nur beim Vorliegen besonderer Umstände eine Ausnahme.8 (3) Stellungnahme

20.31 Wie schon im Personengesellschafts- und GmbH-Recht (Rz. 20.25) sprechen auch im Aktienrecht überwiegende Gründe gegen eine Berücksichtigung des Fungibilitätsrisikos.9 Ein erstes Argument ergibt sich aus dem Grundsatz der indirekten Anteilsbewertung (Rz. 20.4), bei dessen folgerichtiger Anwendung sich Bewertungsabschläge verbieten, die an die Eigenschaft der konkreten Beteiligung anknüpfen.10 Dass dieser Grundsatz nicht nur bewertungstechnischer Natur ist, belegt die Rechtsvergleichung: Der Delaware Supreme Court hat hierauf in

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 31.3.2006 – 26 W 5/06, BeckRS 2006, 07149. 2 Vgl. LG Dortmund v. 1.4.2004 – 18 AktE 2/03, NZG 2004, 723 (726). 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.9.2006 – 26 W 8/06, BeckRS 2007, 06686; OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (704); OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (755). 4 So OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (704). 5 So OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, AG 2010, 751 (755). 6 Näher zuletzt Shawnee Telecom, Inc. v. Kathy Brown, 354 S.W.3d 542, 544 (Ky. 2011): „As for applying a marketability discount when valuing the dissenter’s shares, we join the majority of jurisdictions which, as a matter of law, reject the shareholder level discount, because it is premised on fair market value principles which overlook the primary purpose of the dissenter’s appraisal rights – the right to receive the value of their stock in the company as a going concern, not its value at a hypothetical sale to a corporate outsider.“ 7 Vgl. § 13.01(4) MBCA: „Fair value means the value of the corporation’s shares determined […] (iii) without discounting for lack of marketability or minority status […].“ 8 Vgl. § 7.22(a) ALI Principles: „The fair value of shares […] should be the value of the eligible holder’s proportionate interest in the corporation, without any discount for minority status or, absent extraordinary circumstances, lack of marketability.“ 9 Ausführlicher zu Folgendem Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331 (341 ff.). 10 Vgl. Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331 (343); Kuhner, WPg 2007, 825 (829).

610

Fleischer

Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.33 § 20

seiner Leitentscheidung zum marketability discount ebenfalls maßgeblich abgestellt,1 und die meisten anderen US-amerikanischen Gerichte folgen dem bis heute.2 Weiter abstützen lässt sich dieser Standpunkt durch eine Kombination betriebswirtschaftli- 20.32 cher und gesellschaftsrechtlicher Begründungselemente. Wie bereits erwähnt, wird Liquidität für die Anteilseigner nur wichtig, wenn sie schon beim Anteilserwerb mit spürbarer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, ihre Anteile später wieder verkaufen zu wollen oder zu müssen.3 Haben sie dagegen keinen Anlass, einen Wiederverkauf zu erwägen, so ist die geringere Liquidität ihrer Anteile gegenüber marktgängigen Aktien irrelevant.4 Scheiden außenstehende Aktionäre im Gefolge eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages oder einer Eingliederung aus der Gesellschaft aus, handelt es sich um ein fremdinduziertes Ausscheiden.5 Es ist daher sachgerecht und systemstimmig, sie in diesen Fällen nicht mit dem Fungibilitätsrisiko bei vorzeitigem Verlust ihrer Mitgliedschaft zu belasten.6 Ähnlich werten die US-amerikanischen Gerichte, wenn sie es ablehnen, das appraisal-Recht als einen Verkaufsvorgang zu rekonstruieren, weil die ausscheidenden Gesellschafter ihre Anteile ohne die Grundlagen- oder Strukturänderung vermutlich behalten hätten.7 Mit derselben Erwägung treten sie dem Einwand entgegen, dass den ausscheidenden Anteilseignern ein ungerechtfertigter Zufallsgewinn in den Schoß falle, sofern sie ihre Anteile ursprünglich zu einem Preis erworben hätten, der das erhöhte Fungibilitätsrisiko bereits reflektierte.8 3. Abschlag für Schlüsselpersonen a) Betriebswirtschaftliche Grundlagen Bei kleinen und mittleren Unternehmen, die zumeist als Personengesellschaft oder GmbH organisiert sind, hängt der Geschäftserfolg nicht selten von den besonderen Fähigkeiten oder Kontakten einzelner Schlüsselpersonen ab.9 Scheiden diese Personen aus der Gesellschaft aus, hat dies häufig einschneidende Folgen für die zukünftige Ertragskraft des Unternehmens. Dies führt zu der Frage, ob bei der Abfindungsbemessung ein Abschlag für (den Ausfall von) Schlüsselpersonen angebracht ist. 1 Vgl. Cavalier Oil Corp. v. Harnett, 564 A.2d 1137, 1144 (Del. 1989): „The dissenting shareholder’s proportionate interest is determined only after the company as an entity has been valued. In that determination the Court of Chancery is not required to apply further weighting factors at the shareholder level, such as discounts to minority shares for asserted lack of marketability.“ 2 Vgl. Shawnee Telecom, Inc. v. Kathy Brown, 354 S.W.3d 542, 564 (Ky. 2011): „Once the entire company has been valued as a going concern, however, by applying an appraisal technique that passes judicial muster, the dissenting shareholder’s interest may not be discounted to reflect either a lack of control or a lack of marketability.“ 3 Vgl. Ballwieser in FS Rudolph, 2009, S. 283 (296 f.). 4 So Ballwieser in FS Rudolph, 2009, S. 283 (294); ferner Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 426. 5 Vgl. Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331 (344). 6 Vgl. Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331 (344); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 32; Ihlau/ Duscha, WPg 2012, 489 (497); früher bereits Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56 f.: „Auch ein Abschlag wegen schwerer Veräußerbarkeit ist unzulässig, da nicht feststellbar ist, ob der ausscheidende Gesellschafter jemals hätte veräußern wollen.“ 7 Vgl. Cavalier Oil Corp. v. Harnett, 564 A.2d 1137, 1145 (Del. 1989). 8 Vgl. Shawnee Telecom, Inc. v. Kathy Brown, 354 S.W.3d 542, 560-561 (Ky. 2011). 9 Vgl. Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 260: „Many private companies are highly dependent on a single key person or a few key people.“

Fleischer 611

20.33

§ 20 Rz. 20.34

Dritter Teil: Querschnittsfragen

20.34 Die US-amerikanische Bewertungspraxis pflegt in solchen Fällen schon länger einen sog. key person discount vorzunehmen.1 Sie stützt sich dafür zum Teil auf empirische,2 zum Teil auf anekdotische Evidenz. Schwierigkeiten bereitet ihr allerdings die trennscharfe Definition einer Schlüsselperson. Nach einer bündigen Kurzumschreibung handelt es sich um eine Person, „whose individual abilities, character, efforts and relationships are critical to the success of a given business“.3 Im konkreten Zugriff werden folgende Kriterien genannt: besondere Beziehungen zu Lieferanten oder Kunden, hohe Loyalität der Arbeitnehmer gegenüber dieser Führungsfigur, einzigartige Marketingfähigkeiten, einzigartiges Gespür für technologische Fortentwicklung oder Produktinnovation, besondere Management- und Führungsqualitäten, finanzielle Leistungsfähigkeit.4

20.35 Auch in Deutschland ist die besondere Personenabhängigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen nicht unbemerkt geblieben.5 Neuere betriebswirtschaftliche Untersuchungen verweisen auf wertrelevante Faktoren wie personengebundenes Kundenvertrauen oder vorteilhafte Finanzierungskonditionen aufgrund guter Reputation.6 Sie empfehlen, Risiken aus einer fehlenden Substituierbarkeit von Schlüsselpersonen im Rahmen der Planungsrechnung angemessen zu berücksichtigen.7 Schematische Abschläge auf den vorläufigen Gesamtunternehmenswert halten sie jedoch für nicht überzeugend.8 Der IDW Standard S 1 2008 geht für die Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte grundsätzlich von zukünftig gleichbleibenden Managementfaktoren aus.9 Er weist jedoch für personenbezogene Unternehmen darauf hin, dass positive oder negative Erfolgsbeiträge in der Person des Eigentümers, die losgelöst vom bisherigen Eigentümer nicht realisiert werden können, bei der Prognose künftiger finanzieller Überschüsse außer Betracht bleiben müssen.10 Nach dem Fragen- und Antwortenkatalog vom Dezember 2011 können hierzu gehören: besondere Beziehungen zu Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern oder sonstige Beziehungen personeller oder familiärer Art, Spezialistenwissen oder eine besondere Eigenschaft des Eigentümers wie Kreativität.11 1 2 3 4 5 6 7 8

9

10 11

Vgl. Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 260 ff. Zusammenfassend Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 261 ff. Taylor, 55 Mo. L. Rev. 219, 227 (1990). So die Auflistung bei Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 260 f. Eingehend Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (491 f.); Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 133 ff. Vgl. Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 53 f.; Zieger/Schütte-Biastoch, FB 2008, 590 (596). Vgl. Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (491 f.); Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 137 f.; Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 53; Zieger/Schütte-Biastoch, FB 2008, 590 (596). Vgl. Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 139: „Diese pauschalen ‚Key Person Discounts‘ sind jedoch mangels theoretischer und empirischer Fundierung abzulehnen.“; Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 54: „Eine fundierte empirische oder theoretische Unterlegung solcher Abschläge ist nicht erkennbar und kann angesichts der zumeist kaum quantifizierbaren Einflussfaktoren der Personenabhängigkeit auch nicht erwartet werden.“ Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 39: „Das Verbleiben des Managements oder ein gleichwertiger Ersatz wird zur Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts i.d.R. unterstellt, so dass eine Eliminierung personenbezogener Einflüsse auf die finanziellen Überschüsse grundsätzlich nicht notwendig ist.“ So ausdrücklich IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, Rz. 40. So Fachausschuss IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards, Fachnachrichten IDW 2012, 323, 324; dazu auch Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (491).

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Fleischer

Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.37 § 20

Diese Überlegungen werden im IDW Praxishinweis 1/2014 unter dem Gesichtspunkt der 20.36 eingeschränkt übertragbaren Ertragskraft weiter vertieft.1 Dort heißt es, dass bei der Prognose der finanziellen Überschüsse berücksichtigt werden müsse, inwieweit sich bestimmte immaterielle Faktoren, die durch die prägende Tätigkeit eines oder mehrerer Eigentümer bedingt sind, ohne deren Mitwirken im Zeitablauf verbrauchen.2 Beispiele für eine solche Schlüsselstellung sind danach das Mitwirken der Eigentümer (1) als Hauptleistungserbringer (z.B. Anwalt, Architekt, Arzt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer), dessen Leistung entscheidend für die Kundenzufriedenheit ist, auch wenn er sich dabei Erfüllungsgehilfen bedient, (2) als Verkaufsleiter, der kontinuierlich neue Kunden gewinnt, (3) als Geschäftsleiter, der hohe Marketingeffekte erzielen kann, (4) als Vertrauensperson gegenüber den Mitarbeitern, die eine hohe Loyalität in der Belegschaft erzeugt, (5) als Träger von bestimmtem Wissen, aufgrund dessen neue Produkte und Verfahren entwickelt werden.3 b) Gesellschaftsrechtliche Beurteilung aa) Meinungsstand Hierzulande erweist sich eine Durchsicht der gesellschaftsrechtlichen Literatur als wenig er- 20.37 giebig: Abschläge für den Verlust einer Schlüsselperson werden bisher, soweit ersichtlich, nur ganz sporadisch diskutiert.4 Lediglich im Kapitalmarktrecht fragt man, ob das Ausscheiden von Schlüsselpersonen ad hoc-publizitätspflichtig ist.5 Immerhin hat der BGH in einem Urteil aus dem Jahre 1986 die Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens durch einen Wirtschaftsprüfer beim Ausscheiden eines GmbH-Gesellschafters gebilligt: Hinter diesem Verfahren, so der II. Zivilsenat, stehe die zutreffende Überlegung, dass der Mehrertrag, den das Unternehmen auf Grund der persönlichen Tüchtigkeit des ausscheidenden Gesellschafters abwerfe, sich nach dessen Ausscheiden mit der Zeit verflüchtige.6 Noch stärker präsent ist dieser Gedanke in einer dichten Kette höchstrichterlicher Entscheidungen zur Bewertung freiberuflicher Praxen im eherechtlichen Zugewinnausgleich.7 Insbesondere bei kleineren freiberuflichen Kanzleien oder Praxen, bei denen die unternehmerischen Fähigkeiten des Eigentümers Wohl und Wehe des Unternehmens bestimmten, so liest man in einer Leitent-

1 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 31 ff., Rz. 22 ff.; dazu auch Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (466 ff.). 2 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 32, Rz. 26. 3 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 36, Rz. 25. 4 Eingehend aber Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1639 ff.). 5 Näher Fleischer in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 333 (345 f.); Fleischer, NZG 2007, 401 (403); aus schweizerischer Sicht Dalla/Torre/Hasler, GesKR 2010, 186. 6 So BGH v. 14.7.1986 – II ZR 249/85, GmbHR 1986, 425 mit dem Zusatz: „Dieser Tatsache, die beim reinen Ertragswertverfahren – mit allen Risiken einer Schätzung – entweder durch Abschläge von den zu kapitalisierenden künftigen Jahreserträgen oder durch Zuschläge auf den Kapitalisierungszins berücksichtigt werden muß, trägt das Stuttgarter Verfahren dadurch Rechnung, daß es die Ertragsdauer von vornherein zeitlich begrenzt.“; dazu auch Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 244; Thiessen in Bork/Schäfer, § 34 GmbHG Rz. 80; Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77. 7 Vgl. BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548) (Arztpraxis); BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06 – Rz. 18, BGHZ 175, 207 (tierärztliche Gemeinschaftspraxis); BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 25, 29, 32, NJW 2011, 2572 (Steuerberaterpraxis); BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 24 und 25, BGHZ 188, 282 (zahnärztliche Gemeinschaftspraxis).

Fleischer 613

§ 20 Rz. 20.37

Dritter Teil: Querschnittsfragen

scheidung aus dem Jahre 2011, hänge der Erfolg in erheblichem Maße auch von der Person des Inhabers ab.1 Dessen besondere Bedeutung sei daher bei der Wertermittlung zu berücksichtigen.2 bb) Rechtsvergleichung

20.38 In Österreich und der Schweiz werden die gesellschaftsrechtlichen Implikationen eines Bewertungsabschlags für Schlüsselpersonen nur vereinzelt erörtert.3 Reiches Fallmaterial findet sich jedoch in den Vereinigten Staaten: Dort hat der key person discount über das Steuer-4 und Familienrecht5 auch Eingang in das Gesellschaftsrecht gefunden.6 In der Leitentscheidung des Delaware Court of Chancery aus dem Jahre 1992 ging es um einen Gründergesellschafter, der durch jahrelangen persönlichen Kontakt eine besondere Beziehung zu dem einzigen Großkunden der Gesellschaft aufgebaut hatte.7 Andere Entscheidungen halten einen Bewertungsabschlag zwar grundsätzlich für möglich, lehnen ihn aus tatsächlichen Gründen aber häufig ab. So liest man etwa in einer weiteren Entscheidung desselben Spruchkörpers, dass es im Hausmeistergewerbe keine Schlüsselperson geben könne.8 Eine rechtssatzförmige Billigung

1 So BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 24, BGHZ 188, 282; dazu auch Michalski/Zeidler, FamRZ 1997, 397 (400 f.); allgemein zuletzt Henssler/Michel, NZG 2012, 401 (404 f.). 2 In diesem Sinne BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 24, BGHZ 188, 282; sehr früh bereits OLG Hamburg v. 12.11.1965 – 1 U 90/65, MDR 1966, 237: „Es muß stets an die Eigenart des betreffenden Unternehmens gedacht werden. Ist ein Betrieb entscheidend von der Arbeitsleistung des oder der Unternehmer bestimmt, so hängt sein Wert maßgeblich von der Persönlichkeit des Inhabers ab. Der Geschäftswert ist daher bei einem solchen Betrieb niedriger als der einer Firma, die über eine große, gut ausgebaute Organisation verfügt, mit deren Hilfe auch ein Erwerber jedenfalls eine Zeitlang ebenso wie der Veräußerer arbeiten kann.“ 3 Für einen kurzen Hinweis aus österreichischer Sicht Leupold in Torggler, UGB, 2013, §§ 137, 138 Rz. 8: „GesAnteil wird nicht direkt bewertet, sondern nur indirekt über und als Anteil von GesamtUntWert. Daher werden nur entity-level discounts berücksichtigt, nicht aber sog shareholder-leveldiscounts (kein Minderheiten- und Fungibilitätsabschlag, sehr wohl aber sog key-person-discount).“; s. auch Rüffler in Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht und Unternehmensbewertung, 2014, S. 43, 55; aus schweizerischer Sicht für die Abfindungsbilanz bei einer Kollektivgesellschaft Handschin/Chou in Schmid (Hrsg.), Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, 4. Aufl. 2009, Art. 580 OR Rz. 50: „Ist beispielsweise der Goodwill bzw. ein quantifizierbarer Anteil desselben untrennbar mit der Person des ausscheidenden Gesellschafters verknüpft, ist für die Abschichtungsbilanz nur noch jener Wert an Goodwill aufzunehmen, der nicht in der Person des Ausscheidenden begründet ist.“ 4 Richtungsweisend bereits Newell v. Commissioner, 66 F.2d 102 (1933); aus neuerer Zeit etwa Furman v. Commissioner, T.C. Memo. 1998-157; rechtsvergleichend Wassermeyer, Das US-amerikanische Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht, 1996, Rz. 309 f. 5 Vgl. etwa Bernier v. Bernier, 873 N.E.2d 216 (Mass. 2007); aus dem Schrifttum Taylor, 55 Mo. L. Rev. 219 (1990). 6 Eingehend zuletzt Miller, 13 U. Pa. J. Bus. L. 607 (2011). 7 Vgl. Hodas v. Spectrum Tech., Inc., 18 Del. J. Corp. L. 1017, 1018 (1993): „Where an individual brings to a corporation a unique combination of skills and other assets which are not readily replaced in the event of his departure, a ‚key man‘ discount in the value of a corporation’s stock is warranted in an appraisal action.“ 8 Vgl. Cianci v. JEM Enterprise, Inc., 2000 WL 1234647 (not reported): „[Expert II] testified convincingly that it is highly unlikely that a key man discount is ever appropriate in this industry, as the level of sales and operational skills required are not personalized or unique.“

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.40 § 20

des key person discount außerhalb des Steuerrechts1 findet sich im offiziellen Kommentar des Uniform Partnership Act.2 cc) Stellungnahme Verglichen mit den beiden zuvor diskutierten Bewertungsabschlägen stehen einem Abschlag für ausscheidende Schlüsselpersonen keine gesellschaftsrechtlichen Grundwertungen entgegen: Weder verstößt er gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz noch gerät er mit dem Gebot indirekter Anteilsbewertung in Konflikt.3 Vielmehr handelt es sich bei dem key person discount um einen Abschlag auf Unternehmensebene (entity level discount)4: Er wird im Zähler des Bewertungskalküls zur Geltung gebracht, indem personenbezogene Erfolgsbeiträge des ausscheidenden Gesellschafters bei der zukünftigen Ertragsplanung unberücksichtigt bleiben.5 Von Rechts wegen ist ein Bewertungsabschlag für Schlüsselpersonen bei sorgfältiger Begründung durch den Bewertungssachverständigen daher statthaft.6 Offen erscheint, ob man beim gegenwärtigen Erkenntnisstand schon von einem rechtlichen Gebot der Eliminierung personenbezogener Erfolgsbeiträge sprechen kann. Zum einen fehlt dem Begriff der Schlüsselperson bisher eine hinreichende tatbestandliche Verfestigung; der key personStatus ist in hohem Maße einzelfallbezogen und nur schwer quantifizierbar.7 Zum anderen fällt die Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse des Unternehmens traditionell in die Domäne der berufsständischen Bewertungspraxis.8 Hat der Bewertungssachverständige allerdings grundsätzlich verkannt, dass im konkreten Einzelfall Wertabschläge sub specie Schlüsselperson in Betracht kommen, so dürfte ein rechtlich relevanter Bewertungsfehler vorliegen.9

20.39

III. Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der Anteilsbewertung, wenn die einzelnen Anteile rechtlich unterschiedlich ausgestaltet sind.

1 Die zentrale Vorschrift ist hier Revenue Ruling 59-60 (1959-1, C.B. 237), sec. 4.02(b). 2 Vgl. sec. 701 UPA comment 3: „Other discounts, such as for a lack of marketability or the loss of a key partner, may be appropriate, however.“ 3 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1641). 4 Vgl. Hitchner, Financial Valuation, S. 370: „Discounts that apply at the company or entity level include: key-person discounts […].“; ebenso Pratt, Valuation Discounts and Premiums, S. 3. 5 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1641); auch IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28, 32, Rz. 27. 6 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1641). 7 Dazu Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 54: „Eine fundierte empirische oder theoretische Unterlegung solcher Abschläge ist nicht erkennbar und kann angesichts der kaum quantifizierbaren Einflussfaktoren der Personenabhängigkeit auch nicht erwartet werden. Letztlich entzieht sich die Personenabhängigkeit im Rahmen der Unternehmensbewertung noch stärker als die beiden zuvor besprochenen Besonderheiten kleiner und mittlerer Unternehmen einer schematischen quantitativen Behandlung.“ 8 Allgemein dazu Hüttemann, WPg 2007, 825 (826); Kuhner, WPg 2007, 825 (826); speziell zu Schlüsselpersonen s. auch Rüffler in Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht und Unternehmensbewertung, 2014, S. 43, 55. 9 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1641).

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20.40

§ 20 Rz. 20.41

Dritter Teil: Querschnittsfragen

1. Stamm- und Vorzugsaktien

20.41 Die größte praktische Bedeutung hat die Bewertung von Vorzugsaktien im Vergleich zu Stammaktien derselben Gesellschaft. Gemäß § 11 Satz 1 AktG können die Aktien verschiedene Rechte gewähren, namentlich bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens. Eine besondere Aktiengattung bilden Vorzugsaktien, die nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AktG ohne Stimmrecht ausgegeben werden. Allerdings verlangt § 139 Abs. 1 AktG für die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses einen nachzuzahlenden Vorzug bei der Verteilung des Gewinns. Wird der Vorzugsbetrag in einem Jahr nicht gezahlt und der Rückstand im nächsten Jahr neben dem vollen Vorzug dieses Jahres nicht nachgezahlt, so lebt das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre nach § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG wieder auf, bis die Rückstände nachgezahlt sind. Darüber hinaus kann die Satzung für Vorzugsaktionäre auch eine Mehrdividende vorsehen, was in der Praxis häufig geschieht. a) Rechtsprechung

20.42 Gemäß der indirekten Bewertungsmethode (Rz. 20.4) ermittelt die Rechtsprechung zunächst den Gesamtunternehmenswert und verteilt ihn dann auf Stamm- und Vorzugsaktien.1 Sie betont dabei, dass eine unterschiedliche Abfindung für die Inhaber verschiedener Aktiengattungen nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, weil § 53a AktG eine Gleichbehandlung nur unter gleichen Voraussetzungen verlangt und §§ 11, 12 AktG eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Aktiengattungen ausdrücklich zulassen.2 Vielmehr sei es im Gegenteil grundsätzlich geboten, die unterschiedliche Ausstattung der Aktien zu berücksichtigen.3 Betont wird außerdem, dass die Beurteilung des Verhältnisses von Stammund Vorzugsaktien eine Rechtsfrage sei.4 Weitere Verallgemeinerungen sind kaum möglich. Ältere Entscheidungen billigten überwiegend eine geringere Barabfindung für stimmrechtslose Vorzugsaktien unter Hinweis auf das fehlende Stimmrecht der Vorzugsaktionäre.5 Demgegenüber betont die jüngere Judikatur häufig, dass es keine festen Regeln für die Wertrelation von Aktien gebe, sondern eine Einzelfallbetrachtung Platz greifen müsse.6 Hierfür seien 1 Zu diesem Vorgehen etwa OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, BeckRS 2014, 08608; OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE), WM 2009, 2220 (2227). 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, BeckRS 2014, 08608; OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (911); LG Frankfurt/M. v. 4.8.2010 – 3-5 O 73/04 – juris Rz. 116 f.; LG Dortmund v. 13.12.2006 – 20 AktE 4/94 – juris Rz. 102. 3 Vgl. BVerfG v. 8.9.1999 – 1 BvR 301/89, AG 2000, 40 (41 f.): „In bezug auf die Rüge, die Gerichte hätten bei der Bestimmung des angemessenen Ausgleichs den höheren Wert der Vorzugsaktien nicht berücksichtigt, ist der Beschwerdeführerin zwar zu konzedieren, dass es nach wohl herrschender Auffassung im aktienrechtlichen Schrifttum geboten ist, für Aktien verschiedener Gattung einen unterschiedlichen Ausgleich festzusetzen, wenn sich die Gattungsunterschiede auf die Gewinnverteilung auswirken.“; OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (911); OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603; LG Frankfurt/M. v. 4.8.2010 – 3-5 O 73/04 – juris Rz. 118. 4 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603: „Die Beurteilung des Verhältnisses von Vorzugsaktien zu Stammaktien ist eine Rechtsfrage, wobei die Sachverständigen zu dieser Frage die aus ihrer Sicht maßgeblichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte aufzeigen.“ 5 Vgl. OLG Frankfurt v. 24.1.1989 – 20 W 477/86, AG 1989, 442 (444); LG Frankfurt/M. v. 1.10.1986 – 3/3 O 145/83, AG 1987, 315 (317); OLG Köln v. 20.9.2001 – 18 U 125/01, NZG 2002, 966 (968) = AG 2002, 244; OLG Düsseldorf v. 8.6.1973 – 19 W 21/72, AG 1973, 282 (284) entgegen der Vorinstanz LG Dortmund v. 30.6.1972 – 16 Akt 5/71, AG 1972, 35 (355). 6 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603; LG Dortmund v. 19.3.2007 – 18 AktE 5/03, AG 2007, 792 (796); LG Dortmund v. 13.12.2006 – 20 AktE 4/94 – juris Rz. 104;

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.44 § 20

die konkrete Ausstattung der Aktien, und die konkreten Verhältnisse der Gesellschaft heranzuziehen.1 Außerdem könne die Börsenkursrelation zwischen Vorzugs- und Stammaktie als Anhaltspunkt für die Aufteilung des Unternehmenswertes dienen.2 Infolgedessen bietet die aktienrechtliche Kasuistik kein einheitliches Bild. Manche Ent- 20.43 scheidungen bewerten Vorzugsaktien mit einem beträchtlichen Abschlag, weil sie trotz ihres Dividendenvorrechts eine geringere Marktattraktivität aufwiesen als Stammaktien, die ein Stimmrecht in der Hauptversammlung und damit Einfluss auf das Unternehmen einräumten.3 Andere Entscheidungen lehnen eine Schlechterstellung der Vorzugs- oder Stammaktionäre grundsätzlich ab, weil davon auszugehen sei, dass beide Aktiengattungen bei ihrer Schaffung als gleichwertig betrachtet worden seien,4 oder sie verneinen einen Abschlag für Vorzugsaktien jedenfalls dann, wenn das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre wegen Nichtzahlung der Dividende gem. § 140 Abs. 2 AktG wieder aufgelebt ist.5 Wieder andere Entscheidungen gelangen zu dem Ergebnis, dass Vorzugsaktionäre im Einzelfall höher abzufinden seien.6 Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die Vorzugsaktien mit einer attraktiven Mehrdividende ausgestattet sind.7 Ebenso ist entschieden worden, wenn die Börse an den wenigen noch gehandelten Stammaktien nur ein geringes Interesse hat, weil sich die überwiegende Mehrheit der Stammaktien im Besitz institutioneller Anleger befindet.8 Die steuerrechtliche Spruchpraxis hat zu § 11 Abs. 2 BewG wiederholt entschieden, dass der gemeine Wert der nicht an der Börse notierten Stammaktien grundsätzlich vom Börsen-

1 2 3 4

5 6 7

8

OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07 AktE, AG 2009, 907 (911); LG Frankfurt/M. v. 4.8.2010 – 3-5 O 73/04 – juris Rz. 118. Vgl. LG Dortmund v. 13.12.2006 – 20 AktE 4/94 – juris Rz. 104. Vgl. OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W/1/07 AktE, AG 2009, 907 (912). Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.11.2001 – 19 W 2/00 AktE, AG 2002, 398 (402); LG Bochum v. 7.12.2004 – 12 O 136/04, AG 2005, 738 (740). Vgl. OLG München v. 19.10.2006 – 31 Wx 92/05, AG 2007, 287 (291); OLG München v. 26.10.2006 – 31 Wx 12/06, ZIP 2007, 375 (380); ferner OLG Karlsruhe v. 10.1.2006 – 12 W 136/04, AG 2006, 463 = NZG 2006, 670: „Solange aus Sicht der Beteiligten zwischen dem Vor- und dem Nachteil kein gravierendes Missverhältnis besteht, sind die Vorzugsaktien zum Zweck der Abfindungsbemessung den Aktien mit Normalausstattung gleichzusetzen, d.h. ein entsprechender Abschlag für das fehlende Stimmrecht ist unzulässig.“; s. auch OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11, AG 2011, 828: „Barabfindung für beide Aktiengattungen gleich bemessen“; kritisch zu diesem Begründungsansatz OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, BeckRS 2014, 08608, weil es für die Bewertung nicht auf die Einschätzung der Gründer und den Zeitpunkt der Schaffung der Aktiengattungen, sondern auf den Bewertungsstichtag und die Einschätzung der Marktteilnehmer ankomme. Vgl. OLG Karlsruhe v. 10.1.2006 – 12 W 136/04, AG 2006, 463 = NZG 2006, 670; s. auch OLG Karlsruhe v. 12.7.2013 – 12 W 57/10, BeckRS 2013, 13603: „Die Vor- und Nachteile für die eine wie für die andere Aktienart heben sich [im konkreten Fall] auf.“ Vgl. OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE), WM 2009, 2220 (2227); OLG Düsseldorf v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07, AG 2009, 907 (911 f.). Dazu OLG Frankfurt v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, BeckRS 2014, 08608: „Dieser Ansatz hat zwar zur Folge, dass Vorzugsaktien […] häufig höher als Stammaktien zu bewerten sind, sofern sie mit einer Mehrdividende ausgestattet sind. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund einer Bewertung nach dem Zuflussprinzip jedoch folgerichtig und konsequent.“; LG Frankfurt/M. v. 4.8.2010 – 3-5 O 73/04 – juris Rz. 122; LG Dortmund v. 13.12.2006 – 20 AktE 4/94 – juris Rz. 104. Vgl. LG Dortmund v. 19.3.2007 – 18 AktE 5/03, AG 2007, 792 (796); OLG Düsseldorf v. 27.5.2009 – I-26 W 5/07 (AktE), WM 2009, 2220 (2227).

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20.44

§ 20 Rz. 20.44

Dritter Teil: Querschnittsfragen

kurs der börsenfähigen Vorzugsaktie desselben Unternehmens abzuleiten sei.1 Dabei sei der unterschiedlichen Ausstattung der Stammaktien gegenüber Vorzugsaktien nach Maßgabe der einzelnen werterhöhenden oder wertmindernden Ausstattungsmerkmale durch Zu- und Abschläge Rechnung zu tragen.2 Die Ausstattung der Stammaktien mit dem Stimmrecht sei in der Regel ein werterhöhendes, die geringere Dividendenberechtigung ein wertminderndes Merkmal.3 b) Schrifttum

20.45 Die Kommentar- und Handbuchliteratur spricht sich überwiegend gegen pauschale Lösungen aus und will anhand der Umstände des Einzelfalls entscheiden, ob eine unterschiedliche Bewertung von Stamm- und Vorzugsaktien geboten ist.4 Dabei berücksichtigt sie bei börsennotierten Gesellschaften einen etwaigen Kursunterschied zwischen Stamm- und Vorzugsaktien, der je nach Liquidität der Aktiengattungen, Aufnahme in bestimmte Börsenindizes oder Ausstattung des Gewinnvorzugs in die eine oder andere Richtung ausschlagen kann.5 Hervorgehoben wird weiterhin, dass es häufig nicht nur „die eine“ richtige Verteilungsmöglichkeit gebe, sondern dass durchaus verschiedene Verteilungsoptionen sachgerecht sein könnten.6 Gelegentlich betont man auch die Schwierigkeiten einer Quantifizierung,7 gerade bei fehlender Börsennotiz oder wenn nur eine Aktiengattung an der Börse notiert ist.8

20.46 Es gibt aber auch eine Reihe von Alternativvorschlägen. Verschiedene Stimmen lehnen eine unterschiedliche Behandlung von Stamm- und Vorzugsaktien gänzlich ab9 oder sprechen sich jedenfalls dagegen aus, Vorzugsaktien wegen ihrer fehlenden Stimmrechte einen geringeren 1 Vgl. BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BFHE 173, 561 (Leitsatz); ferner BFH v. 28.5.1997 – II B 105/96, BFHE 183, 224; BFH v. 21.4.1999 – II R 87/97, BFHE 188, 431. 2 Vgl. BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BFHE 173, 561 (Leitsatz); BFH v. 28.5.1997 – II B 105/96, BFHE 183, 224 (228); BFH v. 21.4.1999 – II R 87/97, BFHE 188, 431 (433). 3 Vgl. BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BFHE 173, 561 (565 f.); BFH v. 28.5.1997 – II B 105/96, BFHE 183, 224 (228); BFH v. 21.4.1999 – II R 87/97, BFHE 188, 431 (433). 4 Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 75a; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1373; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 142; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber, Anh. § 305 AktG Rz. 36c, 54c; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 492; nach Art des Vorzugs differenzierend Deilmann in Hölters, § 305 AktG Rz. 68; s. aber auch Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 269, wonach die Inhaber von Stammaktien für den Verlust der Herrschaftsrechte abgefunden werden müssen; ebenso Krieger in FS Lutter, 2000, S. 497 (502). 5 Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 75b; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1373; Lohmann in FS Matschke, 2008, S. 3 (6 ff.); Paschos in Henssler/Strohn, § 305 AktG Rz. 21; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 83. Empirische Befunde bei Jung/Wachtler, AG 2001, 75. 6 Vgl. LG Frankfurt/M. v. 4.8.2010 – 3-5 O 73/04 – juris Rz. 115. 7 Vgl. Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 35; ferner Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 75a, wonach eine unterschiedliche Bewertung nur in Betracht komme, wenn sie sich am Markt nachweisen lasse. 8 Näher dazu Simon/Leverkus in Simon, Anh. § 11 SpruchG Rz. 274. 9 So Mülbert/Uwe H. Schneider, WM 2003, 2301 (2312); ähnlich Großfeld, JZ 1981, 769 (774): „Im allgemeinen wird man davon ausgehen können, daß sich Vorteil und Nachteil aus Sicht der Beteiligten aufheben, daß der Vorzug bei der Gewinnverteilung der aus Sicht der Beteiligten angemessene Preis für das fehlende Stimmrecht ist. Diese Selbsteinschätzung durch die Beteiligten ist beachtlich.“; neuerdings auch Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 84: „im Zweifel von einer einheitlichen Aufteilung auszugehen“.

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.48 § 20

quotalen Unternehmenswert zuzuweisen, weil die Stimmrechtsausstattung für den Liquidationsschlüssel ohne Belang sei und sich ihre Berücksichtigung auch nicht mit der Ablehnung von Minderheitsabschlägen (Rz. 20.14) vertrage.1 Anders könne es dagegen liegen, wenn Vorzugsaktionäre eine echte Zusatzdividende erhalten und ihnen daher über die gesamte Lebensdauer der Gesellschaft hinweg ein überquotaler Anteil am Unternehmenserfolg zugewiesen wird.2 Wieder andere Stimmen machen geltend, dass besondere Herrschaftsrechte den Erfolg des Unternehmens maßgeblich beeinflussen könnten; wegen des Prinzips der Zukunftsbezogenheit der Bewertung müssten sie daher im Rahmen der Unternehmensentwicklung und Entnahmeplanung erfasst werden.3 Schließlich stellen einzelne Autoren auf eine Schätzung der künftigen Zahlungen ab, die voraussichtlich auf die einzelnen Aktiengattungen entfallen und je nach Ausgestaltung der Vorzugsrechte und der konkreten Geschäftslage variieren.4 2. Mehrstimmrechte a) Aktiengesellschaft Im Aktienrecht sind Mehrstimmrechte nach § 12 Abs. 2 AktG unzulässig. Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 EGAktG hat die Gesellschaft einem Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien im Falle des Erlöschens und der Beseitigung einen Ausgleich zu gewähren, der den besonderen Wert der Mehrstimmrechte angemessen berücksichtigt. Diese im Jahre 1998 eingeführte Regelung hat eine lebhafte Diskussion über die Bewertung von Mehrstimmrechten ausgelöst.5 Der Gesetzgeber hat dem Rechtsanwender insoweit keine konkreten Leitlinien an die Hand gegeben: Dazu seien Entstehungsgeschichte, vermittelter Stimmrechtseinfluss, Handelbarkeit und satzungsgemäße Ausgestaltung zu vielgestaltig.6 Im Einzelfall könne der Wert sogar gegen Null tendieren. Daher erscheine es umso gebotener, dass die Beteiligten eine einvernehmliche Lösung finden und dass diese nur bei deutlicher Fehlbewertung im Spruchverfahren angegriffen und korrigiert werde.7

20.47

Rechtsprechung und Lehre habe sich mit § 5 Abs. 3 Satz 1 AktG vor allem im vielbeachteten Siemens-Fall befasst, in dem vinkulierte Namensaktien mit sechsfachem Stimmrecht in nicht vinkulierte Inhaberstammaktien ohne Stimmrechtsvorzug im Verhältnis 1 zu 1 umgewandelt wurden. Das LG München I hatte in der ersten Instanz ausgeführt, dass das Stimmrecht einer Aktie grundsätzlich einen Geldwert besitze und für dessen Verlust im konkreten

20.48

1 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 381; sympathisierend Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 480: „[…] lässt sich mit guten Gründen einwenden, dass bloß die unterschiedliche Ausstattung mit Vermögensrechten, nicht aber die mit Stimmrechten in Abfindungsfällen ausschlaggebend sein soll.“ 2 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 380; Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 134 f.; insoweit auch Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (429 f.). 3 So Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (429 f.). 4 So Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b, S. 406 mit dem erläuternden Zusatz: „So wirkt sich ein Mindestvorzug bei guter Geschäftslage nicht, wohl aber bei einer schlechten Geschäftslage aus; eine Mehrdividende wirkt sich jedoch auch bei einer guten Geschäftslage aus und ist stets zu berücksichtigen.“ 5 Vgl. Arnold, DStR 2003, 784 (787 f.); Arnold, DStR 2003, 1671; Hering/Olbrich, DStR 2003, 1579; Schulz, NZG 2002, 996. Zur internationalen Diskussion Hauser/Lauterbach, Rev. Financial Studies 17 (2004), 1167 m.w.N. 6 So Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10038, 28. 7 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10038, 28.

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§ 20 Rz. 20.48

Dritter Teil: Querschnittsfragen

Fall einen – wenn auch geringen – Ausgleich festgesetzt.1 Dem ist das BayObLG nicht gefolgt: Nach seiner Auffassung besteht eine Ausgleichspflicht nach § 5 Abs. 3 Satz 1 AktG nur dann, wenn ein besonderer Wert der beseitigten Mehrstimmrechte im Sinne einer konkreten Vermögensmehrung bei dem betroffenen Aktionär feststellbar ist.2 Dies vermochte das Gericht nicht festzustellen. Auch das sog. Vergleichswertverfahren, bei dem aus der Marktbewertung von stimmberechtigten und stimmrechtslosen Aktien anderer Gesellschaften Rückschlüsse auf den Wert des Stimmrechts der verfahrensgegenständlichen Vorzugsaktien gezogen werden, erbrachte nach Auffassung des BayObLG keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen „Mehrwert“ der Vorzugsaktien.3 b) Personengesellschaft und GmbH

20.49 Im Personengesellschafts- und GmbH-Recht können Mehrstimmrechte dagegen gesellschaftsvertraglich vereinbart werden. Ob sie bei der Abfindungsbemessung zu berücksichtigen sind, weil sie eine erhöhte Einflussmöglichkeit vermitteln, wird selten diskutiert. Folgt man der sog. Liquidationshypothese des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, nach der ein ausscheidender Gesellschafter so zu stellen ist, wie er bei der Veräußerung des gesamten Unternehmens im Auseinandersetzungsfall stünde (Rz. 20.3), so scheidet eine besondere Abgeltung von Mehrstimmrechten aus, weil die Stimmrechtsausstattung im Liquidationsfall keine Rolle spielt.4 Bei dieser Prämisse muss auch die verschiedenartig ausgestaltete Herrschaftsmacht von Komplementär und Kommanditist in einer KG unberücksichtigt bleiben.5 Es gibt aber auch Gegenstimmen, die eine Stimmrechtsprämie befürworten oder jedenfalls nicht ausschließen.6 3. Besondere Vermögensrechte

20.50 Besondere Vermögensrechte sind nach h.L. jedenfalls dann werterhöhend zu berücksichtigen, wenn sie sich auch bei der Vermögensverteilung im Liquidationsfall ausgewirkt hätten.7 Dies gilt etwa für einen Vorzug bei der Verteilung des Liquidationserlöses gem. §§ 11 Satz 1, 1 2 3 4

Vgl. LG München I v. 14.9.2001 – 5HK O 16369/99, ZIP 2001, 1959 (1960 f.) = AG 2002, 105. So BayObLG v. 31.7.2002 – 3Z BR 362/01, NZG 2002, 1016 = AG 2002, 396 (Leitsatz). Vgl. BayObLG v. 31.7.2002 – 3Z BR 362/01, NZG 2002, 1016 (1019 f.) = AG 2002, 396. Dazu – in aktienrechtlichem Zusammenhang – Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 380; Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (23); Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 234. 5 Vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 234; vorsichtige Ansätze zu einer Differenzierung aber bei LG Konstanz v. 1.10.1987 – 3 HO 69/86, NJW-RR 1988, 1184 (1187). 6 Vgl. Großfeld, JZ 1981, 769 (774); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1370: „Für den Fortführungswert ist das beachtlich, weil für mehr Stimmrechte im Verkehr ein höherer Preis gezahlt werden mag. Es ist jedoch zweifelhaft, wie sich eine Stimmrechtsprämie ermitteln lässt.“; ferner Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 481; in aktienrechtlichem Zusammenhang auch Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (429 f.), die zudem darauf verweisen, dass besondere Herrschaftsrechte auch zur Schaffung besonderer Vermögensrechte genutzt werden könnten. 7 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 380; Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (21); einschränkend auf Unternehmen mit begrenzter Lebensdauer Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 239: „Bei Unternehmen mit unbegrenzter Lebensdauer hat die Frage weniger Bedeutung, weil es der Fortführungsfiktion gemäß nie zu einem Rückfluss des Liquidationserlöses kommt.“; relativierend Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1382 unter Hinweis darauf, dass der abweichende Liquidations-

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Anteilsbewertung und Bewertung unterschiedlich ausgestalteter Anteile

Rz. 20.52 § 20

272 Abs. 2 AktG, § 72 Satz 2 GmbHG oder kraft gesellschaftsvertraglicher Abrede in Abbedingung der §§ 155 Abs. 1 HGB, 734 BGB.1 Unabhängig davon wird nach überwiegender Ansicht ein vom quotalen Anteilswert abweichender Gewinnverteilungsschlüssel als wertbildender Faktor in die Bewertung einbezogen.2 Dies gilt für Personengesellschaften, GmbH und AG gleichermaßen.3 Entschieden hat der BGH dies etwa für Kommanditbeteiligungen mit verschiedener Gewinn-, aber gleicher Verlustbeteiligung.4 Auf der gleichen Linie liegt eine Entscheidung des OLG Hamburg zu Aktien mit Dividendengarantie.5 4. Sonstige Sonderrechte Ob sonstige Sonderrechte bei einer Abfindung werterhöhend zu berücksichtigen sind, wird 20.51 selten diskutiert. In Österreich bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschafterausschlussgesetzes (GesAusG): „Werden Sonderrechte entzogen, so ist dies bei der Festlegung der Abfindung zu berücksichtigen.“ Wie solche Sonderrechte konkret bewertet werden sollen, bleibt aber unklar, zumal Vergleichswerte in aller Regel fehlen.6 Bei Sonderrechten, die Gesellschaftern nur einen verstärkten Einfluss oder eine verstärkte Kontrolle ermöglichen, z.B. Entsendungsrechte in den Aufsichtsrat, Nominierungsrechte für die Geschäftsführung oder ein Sonderrecht auf Geschäftsführung, soll eine gesonderte Abgeltung analog zur Nichtberücksichtigung von Minderheitsabschlägen ausscheiden.7 Auch hierzulande wird eine gesonderte Abgeltung für ein Entsendungsrecht zum Aufsichtsrat (§ 101 Abs. 2 AktG) abgelehnt.8 5. Übertragungsbeschränkungen Das deutsche Gesellschaftsrecht kennt Übertragungsbeschränkungen nicht nur für die grundsätzlich unübertragbaren Anteile an Personengesellschaften (§ 719 Abs. 1 BGB), sondern ebenso für GmbH-Anteile (§ 15 Abs. 5 GmbHG) und – wenn auch sehr begrenzt – für Aktien (§ 68 Abs. 2 AktG). Anders als bei den schon erörterten Fungibilitätsabschlägen (Rz. 20.17 ff.) beruhen diese Beschränkungen nicht auf faktischer, sondern auf gesetzlicher oder gesellschaftsvertraglicher Grundlage. Ob sie einen Bewertungsabschlag bei der Abfindungsbemes-

1 2

3 4 5 6 7 8

schlüssel doch in Preisverhandlungen eingehen könnte; s. auch Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 137. Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1382. Vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (430); Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997, S. 413; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 144; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 239; Riegger/Gayk in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rz. 84; Wagner/Nonnenmacher, ZGR 1981, 674 (675); Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 481. Vgl. Großfeld, JZ 1981, 769 (774); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1381 f. Vgl. BGH v. 20.11.1975 – III ZR 112/73, BeckRS 1975, 31115655; dazu auch Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 239; s. ferner BGH v. 12.2.1979 – II ZR 106/78, WM 1979, 432 (433); zustimmend Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 760 (762). Vgl. OLG Hamburg v. 17.8.1979 – 11 W 2/79, DB 1980, 77 (78) = AG 1980, 163. Dazu Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (24); Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out. Der Gesellschafterausschluss bei AG und GmbH, 2006, Rz. 208. So Kalss in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 2 öGesAusG Rz. 20; s. auch Aschauer in FS Mandl, 2010, S. 13 (24); anders aber Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 481. Vgl. Knorr, KTS 1962, 193; Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 131 mit Fn. 11; für eine Erfassung mit Hilfe eines barwertorientierten Kalküls aber Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (429 f.).

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20.52

§ 20 Rz. 20.52

Dritter Teil: Querschnittsfragen

sung rechtfertigen, wird von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet unterschiedlich beurteilt. In familien- und erbrechtlichen Zusammenhängen berücksichtigt die Rechtsprechung die eingeschränkte Verwertbarkeit regelmäßig mit einem Bewertungsabschlag, dessen Höhe sich nach der Verkehrsanschauung richtet.1 Bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen wird ein Abschlag dagegen überwiegend abgelehnt.2 Entschieden hat der BGH dies für die Bewertung vinkulierter Namensaktien.3 Eine jüngere obergerichtliche Entscheidung scheint dies für einen GmbH-Geschäftsanteil aber anders zu beurteilen.4

1 Vgl. BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 (201 f.) = AG 1980, 158 (Zugewinnausgleich, Bewertung einer unveräußerlichen Unternehmensbeteiligung an einer KG); BGH v. 1.10.1986 – IVb ZR 69/85, NJW 1987, 321 (322) = GmbHR 1987, 19 (Zugewinnausgleich bei GmbH-Anteil); Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Bemessung von familien- und erbrechtlichen Ausgleichsansprüchen, S. 90 f. 2 Vgl. Großfeld, JZ 1981, 769 (775); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1376; Mandl/Rabl in FS Loitslberger, 2001, S. 205 (216); Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, S. 56; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 242; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 481. 3 Vgl. BGH v. 1.12.1986 – II ZR 287/85, NJW 1987, 1019 (1020) = AG 1987, 155: „Da es entscheidend auf die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft ankommt, spielen […] die Höhe der in den letzten Jahren gezahlten Dividende und die Tatsache, daß über die Aktien nur mit Zustimmung der Hauptversammlung verfügt werden kann, für die Bewertung keine entscheidende Rolle.“ 4 Vgl. OLG Oldenburg v. 15.6.1995 – 1 U 126/90, GmbHR 1997, 503 (505): „Abschlag von 50 % wegen der eingeschränkten Verkehrsfähigkeit eines Geschäftsanteils“.

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Vierter Teil Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht § 21 Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht I. Bewertungsanlässe im Aktienund Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Aktienrechtlicher Squeeze-out . . . . a) Beschluss, Prüfung, Eintragung und Auszahlung . . . . . . . . . . . . . b) Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . c) „Verhältnisse der Gesellschaft“ zum Bewertungsstichtag . . . . . . 2. Aktienrechtliche Eingliederung . . . . 3. Begründung eines Vertragskonzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abschluss eines Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrages nach dem AktG . . . . . . . . . . . . . aa) Wiederkehrende Ausgleichszahlungen . . . . . . . . . (1) Fixer Ausgleich . . . . . . . . . . (2) Variabler Ausgleich . . . . . . . bb) Angebot der Abfindung . . . (1) Barabfindung . . . . . . . . . . . (2) Abfindung in Aktien . . . . . . b) Abschluss eines isolierten Beherrschungsvertrages nach dem AktG . . . . . . . . . . . . . 4. Verschmelzungsfälle (aus Sicht der aufnehmenden Aktiengesellschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiedliche Schutzsysteme „unten“ und „oben“ . . . . . . . . . . b) Verfahren der Anfechtungsklage nach § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . c) Materieller Verwässerungsschutz nach § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . d) Spielräume für eine unternehmerische Entscheidung . . . . . . . e) Gleiche Grundsätze für die Konzernverschmelzung . . . . . . .

21.1 21.4 21.4 21.7 21.9 21.12 21.16 21.16 21.17 21.18 21.22 21.23 21.24 21.25 21.30 21.32 21.32 21.37 21.41 21.44 21.46

5. Kapitalerhöhung der Bietergesellschaft beim öffentlichen Tauschangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Übrige Fälle des Verwässerungsschutzes nach § 255 Abs. 2 AktG . . . 7. Kapitalaufbringung und Werthaltigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgeblicher Schwellenwert für die Werthaltigkeitsprüfung . . b) Rechtliche Methodenvorgaben für die Werthaltigkeitsprüfung . . aa) Regelfall der Bewertung im Rahmen der Werthaltigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . bb) EU-rechtlich vorgegebene Befreiungstatbestände nach § 33a AktG . . . . . . . . . 8. Delisting und Downgrading . . . . . .

21.47 21.53 21.55 21.61 21.71 21.71 21.75 21.78

II. Rechtliche Methodenvorgaben für die Unternehmensbewertung . . . . . 21.80 1. Abfindung in Geld . . . . . . . . . . . . . . 21.80 a) Regelfall der Barabfindung bei Verlust der Teilhabe an den unternehmerischen Erträgen . . . 21.81 aa) Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts (Fundamentalwert) . . . . . . . 21.88 bb) Deinvestitionswert der einzelnen Aktie . . . . . . . . . . 21.92 cc) Kein „Meistbegünstigungsprinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . 21.95 dd) Stichtagsprinzip, Wurzeltheorie und Verbundvorteile . . . . . . . . . . . . . . . . 21.96 b) Sonderfall der Barabfindung bei bereits „verrenteten“ Aktien im Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . 21.103 2. Abfindung in Aktien . . . . . . . . . . . . 21.108

Schrifttum: Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 445 f.; Adolff, Konkurrierende Bewertungssysteme bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ZHR 173 (2009), 67; Baums, Rechtsfragen bei der Bewertung börsennotierter Gesellschaften, ILF Working Paper Series No. 104 (2009); Bungert, Umtauschverhältnis bei Ver-

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§ 21

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

schmelzung entspricht nicht den Börsenwerten, BB 2003, 699; Bungert/Eckert, Unternehmensbewertung nach Börsenwert: Zivilgerichtliche Umsetzung der BVerfG-Rechtsprechung, BB 2000, 1845; Bungert/Janson, Im Spannungsfeld von Unternehmensvertrag und Squeeze-out: Gibt es einen zeitanteiligen Ausgleichsanspruch nach § 304 AktG?, FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 159; Bungert/Leyendecker-Langner, Börsenkursrechtsprechung beim vorgeschalteten Delisting, BB 2014, 521; Bungert/ Wansleben, Dividendenanspruch bei Verschiebung der Gewinnberechtigung bei Verschmelzungen, DB 2013, 979; Bungert/Wettich, Neues zur Ermittlung des Börsenwerts bei Strukturmaßnahmen, ZIP 2012, 449; Bungert/Wettich, Die zunehmende Bedeutung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen im Wandel der Rechtsprechung, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157; Bungert/Wettich, Vorgaben aus Karlsruhe zum Referenzzeitraum des Börsenwerts für die Abfindung bei Strukturmaßnahmen, BB 2010, 2227; Burger, Keine angemessene Abfindung durch Börsenkurse bei Squeeze-out, NZG 2012, 281; Busse von Colbe, Der Vernunft eine Gasse: Abfindung von Minderheitsaktionären nicht unter dem Börsenkurs ihrer Aktien, FS Lutter, 2000, S. 1053; Butzke, Der Abfindungsanspruch nach § 305 AktG nach Squeeze-out, Formwechsel oder Verschmelzung, FS Hüffer, 2010, S. 97; Bücker, Die Berücksichtigung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen – BGH revidiert DAT/Altana, NZG 2010, 967; Decher, Die Information der Aktionäre über die Unternehmensbewertung bei Strukturmaßnahmen in der Hauptsammlungs- und Gerichtspraxis, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 295; Decher, Die Ermittlung des Börsenkurses für Zwecke der Barabfindung beim Squeeze-out, ZIP 2010, 1673; Emmerich, Kapitulation vor der Komplexität – Zur Praxis der Unternehmensbewertung in der aktuellen Rechtsprechung, FS Stilz, 2014, S. 135; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97; Fleischer, Zur Behandlung des Fungibilitätsrisikos bei der Abfindung außenstehender Aktionäre (§§ 305, 320b AktG), FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331; Fleischer, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage, AG 2016, 185; Fleischer/Bong, Unternehmensbewertung bei konzernfreien Verschmelzungen zwischen Geschäftsleiterermessen und Gerichtskontrolle, NZG 2013, 881; Fleischer/Jaeger, Gesellschaftsrechtliche Anteilsbewertung in Frankreich gemäß Art. 1843-4 Code civil, RabelsZ 77, 693; Fleischer/Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Fleischer/Schneider/ Thaten, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen in Deutschland und den vereinigten Staaten, Der Konzern 2013, 61; Gärtner/Handke, Unternehmenswertermittlung im Spruchverfahren – Schrittweiser Abschied vom Meistbegünstigungsprinzip des BGH (DAT/Altana)?, NZG 2012, 247; Groß, Die Neuregelung des Anlegerschutzes beim Delisting, AG 2015, 812; Großfeld, Europäische Unternehmensbewertung, NZG 2002, 353; Gude, Strukturänderungen und Unternehmensbewertung zum Börsenkurs, 2004; Hachmeister/Ruthardt/Gerhardt, Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Unternehmensbewertung – Theorie, Praxis und Rechtsprechung in Spruchverfahren, Der Konzern 2011, 600; Häller, Delisting von Aktien in der Insolvenz, ZIP 2016, 1903; Happ/Bednarz, Aktienrechtliche Abfindungs- und Ausgleichsansprüche – Zu offenen Fragestellungen in Sachen Ytong, DAT/Altana und Stollwerck, FS Stilz, 2014, S. 219; Hasselbach/Ebbinghaus, Auswirkungen der Stollwerck-Entscheidung des BGH auf die Transaktions- und Bewertungspraxis bei börsennotierten Gesellschaften, Der Konzern 2010, 223; Hasselbach/Jakobs, Bewertungsfragen bei der Verwendung von Aktien als Transaktionswährung, AG 2014, 217; Henselmann/Schrenker/Winkler, Berücksichtigung von Börsenkursen bei der Ermittlung von Barabfindungen im Rahmen von aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen, Der Konzern 2010, 467; Hentzen, IFRS-Werte als Grundlage der Unternehmensbewertung aus Anlass von Umstrukturierungsmaßnahmen, DB 2005, 1891; Heurung, Berücksichtigung von Ertragsteuerwirkungen in Unternehmensbewertungsmodellen im Rahmen von Verschmelzungstatbeständen, DB 1999, 1225; Heurung, Zur Anwendung und Angemessenheit verschiedener Unternehmenswertverfahren im Rahmen von Umwandlungsfällen, DB 1997, 837; Hoffmann, Möglichkeiten und Grenzen einer analogen Anwendung des Spruchverfahrens, FS Stilz, 2014, S. 267; Hüffer, Bewertungsgegenstand und Bewertungsmethode – Überlegungen zur Berücksichtigung von Börsenkursen bei der Ermittlung von Abfindung und Ausgleich, FS Hadding, 2004, S. 461; Hüffer/ Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, 2005; Hüttemann, Börsenkurs und Unternehmensbewertung, ZGR 2001, 454; Hüttemann, Die angemessene Barabfindung im Aktienrecht, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603; Krause, Die Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.1 § 21

Strukturmaßnahmen, FS Hopt, 2010, S. 1005; Knoll, Unternehmensverträge und der BGH: Volle Entschädigung der außenstehenden Aktionäre?, ZIP 2003, 2329; Knoll, Wider die Gefahr einer höheren Kompensation von Minderheitsaktionären?, ZIP 2008, 538; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß §§ 305, 327 a AktG, 2014; Luttermann, Zur Rechtspraxis internationaler Unternehmensbewertungen bei der Publikums-Aktiengesellschaft, NZG 2007, 611; Martens, Die Unternehmensbewertung nach dem Grundsatz der Methodengleichheit oder dem Grundsatz der Meistbegünstigung, AG 2003, 593; Martens, Verschmelzung, Spruchverfahren und Anfechtungsklage in Fällen eines unrichtigen Umtauschverhältnisses, AG 2000, 301; Mollnhuber, Umtauschverhältnis und Unternehmensbewertung bei der Verschmelzung, 2017; Popp/Ruthardt, Abfindung zum Börsenkurs: Hochrechnungsmethodik, WPg 2017, 1222; Puszkajler/Weber/Elsland, Der Wert von börsennotierten, potentiell abfindungsberechtigten Aktien: Ökonomische Überlegungen zu OLG Jena ZIP 2005, 525 – DEWB/Jenoptik, ZIP 2006, 692; Reichert, Eigentumsschutz und Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung des BVerfG, FS Stilz, 2014, S. 479; Reuter, Gesellschaftsrechtliche Fragen der Unternehmensbewertung mit internationalen Bezügen, AG 2007, 881; Reuter, Börsenkurs und Unternehmenswertvergleich aus Eigensicht – Gleichbehandlung der Aktionäre, Synergie und die Lage bei Verschmelzungen nach BGH-DAT/Altana, DB 2001, 2483; Riegger/Wasmann, Ausnahmen von der Berücksichtigung des Börsenkurses bei der Ermittlung gesetzlich geschuldeter Kompensationen im Rahmen von Strukturmaßnahmen, FS Stilz, 2014, S. 509; Rölike/Tonner, Der Schutz des Minderheitsaktionärs durch Art. 14 GG, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 1, 2009, S. 199; Ruthardt, Barabfindung beim Squeeze Out bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, Der Konzern 2013, 615; Schilling/Witte, Die Bestimmung des Börsenwerts einer Aktie im Lichte der aktuellen BGH-Rechtsprechung – eine Erörterung praktischer Bewertungsfragen, Der Konzern 2010, 477; Schmidbauer, Die Bewertung von Konzernen als Problem in der Theorie der Unternehmensbewertung, DStR 2002, 1542; Stilz, Die Anwendung der Business Judgement Rule auf die Feststellung des Unternehmenswerts bei Verschmelzungen, FS Mailänder, 2006, S. 423; Stilz, Unternehmensbewertung und angemessene Abfindung – Zur vorrangigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses, FS Goette, 2011, S. 529; Tonner, Die Maßgeblichkeit des Börsenkurses bei der Bewertung des Anteilseigentums – Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, FS K. Schmidt, 2009, S. 1581; Wasmann, Endlich Neuigkeiten zum Börsenkurs – Besprechung der Stollwerck-Entscheidung des BGH, ZGR 2011, 83; Weber, Börsenkursbestimmung aus ökonomischer Perspektive, ZGR 2004, 280; Weiler/Meyer, Heranziehung des Börsenkurses zur Unternehmensbewertung bei Verschmelzungen, ZIP 2001, 2153; Wicke, Verschmelzungswertrelation, FS Stilz, 2014, S. 707; Wittgens/Redeke, Zu aktuellen Fragen der Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, ZIP 2007, 1015.

I. Bewertungsanlässe im Aktien- und Konzernrecht Der folgende Abschnitt enthält eine Übersicht der aktien- bzw. konzernrechtlichen Bewertungsanlässe. Unter diesen wurde der Squeeze-out nach § 327a AktG1 vom Gesetzgeber als reiner Barabfindungsfall – und damit strukturell besonders einfach – ausgestaltet. Er steht daher als etwas ausführlicher beschriebenes „Grundmodell“ am Anfang der Darstellung (Rz. 21.4 ff.). Es folgt eine Erörterung der aktienrechtlichen Eingliederung (Rz. 21.12 ff.), bei der neben die Barabfindung die Abfindung in Aktien tritt, und weiterhin der Begründung eines Vertragskonzerns, bei der das breiteste Spektrum an Schutzinstrumenten zur Verfügung steht (Rz. 21.16 ff.), nämlich neben der Barabfindung und der Abfindung in Aktien nach § 305 AktG auch der fixe und variable Ausgleich nach § 304 AktG.

1 Zu den einzelnen Bewertungsanlässen eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 265 ff. Zum übernahmerechtlichen Squeeze-out nach § 39a WpÜG: Rz. 19.36 ff. und Rz. 18.16. Zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out: Rz. 22.64 ff.

Adolff/Häller

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21.1

§ 21 Rz. 21.1

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Ein in der Rechtsprechung und Literatur weniger prominent behandelter aktienrechtlicher Bewertungsanlass ist der Verwässerungsschutz, den § 255 Abs. 2 AktG vermittelt. Hierher gehören vor allem die kautelarjuristisch relevanten Fallgruppen des Minderheitenschutzes bei der aufnehmenden Gesellschaft einer Verschmelzung (Rz. 21.32 ff.) und bei der Bietergesellschaft eines (öffentlichen) Tauschangebots (Rz. 21.47 ff.).1 Zuletzt (ab Rz. 21.55) werden die Bewertungsprobleme dargestellt, die sich bei Gründung und Kapitalerhöhung aus dem Blickwinkel der Kapitalaufbringung bei der Bewertung eines Sacheinlagegegenstandes stellen.

21.2 In den Rz. 21.80 ff. findet sich sodann eine Zusammenfassung der rechtlichen Methodenvorgaben, welche nach dem Gesetz, vor allem aber nach dem Richterrecht, bei Barabfindungen und Abfindungen in Aktien derzeit gelten. Diese Methodenvorgaben werden in ihrer Struktur und ihren Einzelfragen an anderen Stellen des vorliegenden Handbuchs vertieft behandelt. Hinsichtlich der – Struktur sind dies vor allem – § 1 (Bewertung als Rechtsfrage) und – § 18 (verfassungsrechtliche Wertkonzeptionen; Börsenkurs vs. Fundamentalwert). Hinsichtlich der – zentralen Einzelfragen sind dies – § 9 (Liquidationswert als Untergrenze), – § 16 (Verbundvorteile/Synergieeffekte), – § 20 (unmittelbare Bewertung der einzelnen Aktie vs. quotaler Gesamtunternehmenswert nach der Liquidationshypothese) und – § 22 (Fragen der Relationalbewertung bei der Ermittlung eines Umtauschverhältnisses).

21.3 Mit Rücksicht auf die erheblichen Überschneidungen, insbesondere mit § 18, werden die jeweils relevanten Streitfragen nicht nochmals in toto aufbereitet. Vielmehr wird versucht, ihren wechselseitigen Zusammenhang innerhalb des derzeit erreichten (nicht ganz widerspruchsfreien) methodischen Gesamtgefüges der Rechtsprechung sichtbar zu machen und für die Einzelheiten den Weg zu den jeweils relevanten Stellen des vorliegenden Handbuchs zu weisen. 1. Aktienrechtlicher Squeeze-out a) Beschluss, Prüfung, Eintragung und Auszahlung

21.4 Nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG2 kann ein Hauptaktionär, dem 95 % der Aktien gehören,3 im Wege eines Hauptversammlungsbeschlusses die Übertragung der Aktien der verbleibenden 1 Nicht Gegenstand dieses § 21 (sondern des § 31) ist die Unternehmensbewertung in der Unternehmenskrise, inklusive der komplexen aktienrechtlichen Fragen eines Debt Equity Swap, bei welchen eine (notleidende) Forderung gegen die Gesellschaft als der Einlagegegenstand dient Rz. 31.44 ff.). 2 Zur rechtspolitischen Würdigung der §§ 327a ff. AktG Hüffer/Koch, § 327a AktG Rz. 7 m.w.N.; Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit steht heute außer Streit, vgl. nur BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 390/04, AG 2007, 544 und BVerfG v. 19.9.2007 – 1 BvR 2984/06, AG 2008, 27 ff. 3 Gleichgestellt sind Aktien, die dem Hauptaktionär nach §§ 327a Abs. 2, 16 Abs. 4 AktG zugerechnet werden können. Dies sind vor allem Aktien, die seinen Tochtergesellschaften gehören.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.7 § 21

Minderheit auf sich herbeiführen. Der Beschluss bedarf der Eintragung in das Handelsregister. Mit dieser gehen die Aktien der Minderheit ex lege auf den Hauptaktionär über.1 Die Aktienurkunden verbriefen ab diesem Zeitpunkt nur noch den gesetzlichen Anspruch der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre gegen den Hauptgesellschafter auf eine angemessene Barabfindung.2 Die Höhe der Barabfindung bestimmt – in einem ersten Schritt – der Hauptaktionär.3 Vor der Hauptversammlung legt er den Aktionären einen schriftlichen Bericht vor, in dem er u.a. die Angemessenheit der Barabfindung erläutert und begründet.4 Zusätzlich ist die Barabfindung von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen zu prüfen.5 Dessen Prüfungsbericht ist mit einer Erklärung darüber abzuschließen, dass die vom Hauptaktionär festgesetzte Barabfindung angemessen ist.6 Um dieses Ergebnis transparent zu machen, sind in dem Bericht die verwendeten Bewertungsmethoden, die Gründe für ihre Verwendung, die Gewichtung mit der ihre Ergebnisse in den der Barabfindung zugrunde liegenden Wertansatz eingeflossen sind sowie bei der Bewertung aufgetretene besondere Schwierigkeiten anzugeben.7

21.5

Die Abfindung wird vom Hauptaktionär bezahlt, nicht etwa von der Gesellschaft.8 Dass zur Erzielung dieses Ergebnisses der Weg über die Hauptversammlung beschritten wird, sichert der Minderheit lediglich ihre Informations- und Kontrollrechte. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich um einen Zwangsverkauf der Aktien der kleinen Rest-Minderheit an den Hauptaktionär. Die Barabfindung ist ab Bekanntgabe der Eintragung mit 5 % p.a. über dem Basiszins gem. § 247 BGB zu verzinsen9. Ein Verzug ist hierfür nicht erforderlich.

21.6

b) Spruchverfahren Ist die Barabfindung nicht angemessen, so kann jeder ausgeschiedene Minderheitsaktionär die Bestimmung einer angemessenen Barabfindung im Spruchverfahren betreiben.10 Die Anfechtungsklage ist insofern ausgeschlossen,11 und zwar auch für bewertungsbezogene Informationsmängel.12 Wird aus anderen Gründen eine Anfechtungsklage erhoben, so führt diese zur Registersperre,13 welche im Freigabeverfahren nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG überwunden werden kann. Sowohl die Registersperre als auch das Freigabeverfahren greifen aber nur im Zusammenhang mit Streitfragen, welche der Anfechtungsklage unterliegen. Für

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

§ 327e Abs. 3 Satz 1 AktG. § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG. § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG. § 327c Abs. 2 Satz 1 AktG. § 327c Abs. 2 Satz 2 AktG. § 327c Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 293e Abs. 1 Satz 2 AktG. § 327c Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 293e Abs. 1 Satz 3 AktG. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 327b AktG Rz. 4. § 327b Abs. 2 Satz 1 AktG. § 327f Satz 2 AktG. Fehlt es gänzlich an einer Barabfindung, so muss der Weg ins Spruchverfahren erst noch durch den Eintritt eines der in § 327f Satz 3 AktG angeführten Ereignisse eröffnet werden. 11 § 327f Satz 1 AktG. 12 § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG. Vgl. hierzu Hüffer/Koch, § 327a AktG Rz. 19 ff. und § 327f AktG Rz. 2; grundlegend schon BGH v. 16.3.2009 – II ZR 302/06 – Wertpapierdarlehen, BGHZ 180, 154 = AG 2009, 441. 13 § 327e Abs. 2 i.V.m. § 319 Abs. 5 AktG.

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21.7

§ 21 Rz. 21.7

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

die hier interessierende Höhe der Abfindung (und ihre Ermittlung auf der Grundlage einer angemessenen Unternehmensbewertung) haben sie dagegen keine Bedeutung.1

21.8 Bessert das Gericht die Barabfindung im Spruchverfahren auf, so wirkt die Entscheidung inter omnes.2 Demnach können alle vom Squeeze-out betroffenen Minderheitsaktionäre, auch wenn sie nicht am Spruchverfahren beteiligt waren, eine Nachzahlung verlangen, und zwar auch dann, wenn sie bereits gegen die ursprünglich angebotene Barabfindung (oder freiwillig erhöhte Abfindung) aus dem betroffenen Rechtsträger ausgeschieden sind (Abfindungsergänzungsanspruch).3 c) „Verhältnisse der Gesellschaft“ zum Bewertungsstichtag

21.9 Das Gesetz verzichtet weitgehend darauf, das Erfordernis der Angemessenheit der Barabfindung durch explizite Methodenvorgaben für die Wertermittlung zu konkretisieren. In § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG wird lediglich verlangt, dass die Höhe der Barabfindung „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen“ muss. Diese Vorschrift ist eindeutig hinsichtlich des Stichtags; hinsichtlich der rechtlichen Methodenvorgaben für die Unternehmensbewertung zur Bestimmung der angemessenen Barabfindung können ihr dagegen kaum Fingerzeige entnommen werden:

21.10 – Bewertungsstichtag: Der Tag der Hauptversammlung ist der Bewertungsstichtag.4 Dies ist der Hautzweck der Regelung.5 Das strenge Stichtagsprinzip gilt dabei auch für die Behandlung von Ausgleichsansprüchen nach § 304 AktG (dazu ab Rz. 21.17 ff.) in dem Sonderfall, dass der Squeeze-out im Vertragskonzern erfolgt, also nachdem bereits der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags vorausgegangen ist: Hier existiert keine Verpflichtung zu einer pro rata Auszahlung für die Zeitspanne bis zur Eintragung des Squeeze-out. Der Umstand, dass die Aktionäre für einen bestimmten Zeitraum noch keine Ausgleichszahlung erhalten haben, fließt aber in die Unternehmensbewertung mit ein – und kommt auf diese Weise den Minderheitsaktionären zu Gute.6 In der Praxis wird von dieser Vorgehensweise gelegentlich abgewichen und den Aktionären für die Zeit bis zur Eintragung des Squeeze-out eine Ausgleichszahlung gewährt.7 Denn im Rahmen des Squeeze-out kommt es lediglich darauf an, dass den Minderheitsaktionären insgesamt eine angemessene Abfindung gezahlt wird; die Abfindung reduziert sich dann entsprechend anteilig.8

21.11 – Keine gesetzliche Vorgabe einer bestimmten Bewertungsmethode: Darüber hinausgehende spezifische Methodenvorgaben lassen sich mit der Verwendung der Formulierung „Verhältnisse der Gesellschaft“, die ebenso in den §§ 305 Abs. 3 Satz 2, 320b Abs. 1 Satz 5 AktG,

1 Hierzu etwa Hüffer/Schäfer in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 123. 2 § 13 Satz 2 SpruchG. 3 Hierzu Hüffer/Koch, AktG, § 13 SpruchG Rz. 4; Kubis in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 13 SpruchG Rz. 3 (jeweils m.w.N.). Siehe auch Rz. 21.23. 4 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 327b AktG Rz. 9; Hüffer/ Koch, § 327b AktG Rz. 4. 5 Zur „Wurzeltheorie“ der Rechtsprechung s. Rz. 21.96. 6 BGH v. 19.4.2011 – II ZR 237/09 – Wella, BGHZ 189, 261 = AG 2011, 514 (517); Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 43 m.w.N. 7 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 43. 8 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 43.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.11 § 21

30 Abs. 1 Satz 1 UmwG auftaucht, dagegen nicht verbinden.1 Aus §§ 327c Abs. 2 Satz 4, 293e Abs. 1 Satz 3 AktG ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, der sachverständige Prüfer habe die Wahl zwischen unterschiedlichen, dem Bewertungszweck jeweils angemessenen Methoden und könne diese, wenn er den Prüfungsbericht entsprechend transparent gestalte, auch kumulativ zur Anwendung bringen.2 Im Übrigen ist der Rechtsanwender sowohl bei der Festsetzung und Prüfung der Barabfindung vor dem Hauptversammlungsbeschluss als auch bei ihrer gerichtlichen Kontrolle im Spruchverfahren darauf angewiesen, das generalklauselhaft knappe Angemessenheitserfordernis des Gesetzeswortlauts durch systematische und teleologische Auslegung handhabbar zu machen. Eine weitere Einengung dieser (letztlich den Richtern gewährten) Bewegungsfreiheit lässt sich auch nicht der Intention des historischen Gesetzgebers entnehmen: Die genannte Formulierung geht auf die Aktienrechtsreform 1965 zurück. Sie wurde erst vom Bundestagsausschuss eingefügt.3 Damals lautete sie, dass die „Vermögens- und Ertragslage“ der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung zu berücksichtigen sei. Laut Ausschussbericht wurde damit „gegenüber einer im Schrifttum zum früheren Umwandlungsgesetz [1956] vertretenen Auffassung klargestellt, dass es für die Bemessung der Abfindung nicht allein auf den Kurswert der Aktie ankommt“.4 Durch das UmwBerG 19945 wurden die Worte „Verhältnisse der Gesellschaft“ an die Stelle der Worte „Vermögens- und Ertragslage“ gesetzt. Der Grund hierfür war, dass die Worte „Vermögensund Ertragslage“ vielfach als ein Hinweis auf die Normadäquanz der Substanzwert- und der Ertragswertmethode für die Ermittlung des Unternehmenswerts verstanden worden waren. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum UmwBerG 19946 sollte mit der Neufassung erreicht werden, dass keine bestimmte Bewertungsmethode mehr als gesetzlich vorgeschrieben gelten darf. Die gesetzliche Festschreibung einer bestimmten Bewertungsmethode habe sich, so heißt es in der Gesetzesbegründung, „nicht bewährt, weil die Berücksichtigung und Gewichtung der verschiedenen Methoden je nach Natur und Gegenstand des Unternehmens verschieden sein kann. Deshalb beschränkt sich die Vorschrift darauf, den für die Bemessung der Barabfindung entscheidenden Zeitpunkt festzulegen.“ Von den §§ 305 Abs. 3 Satz 2, 320b Abs. 1 Satz 5 AktG, die u.a. von der Neufassung 1994 betroffen waren, fand die Formulierung ihren Weg sodann in § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG. Die geschilderte Offenheit und Weitmaschigkeit der im Gesetzestext enthaltenen rechtlichen Methodenvorgaben erstreckt sich somit auf alle in diesem § 21 zu erörternden aktienrechtlichen 1 Heute einhellige Meinung; vgl. nur Fleischer, ZGR 1997, 368 (392); Hüttemann in FS HoffmannBecking, 2013, S. 603 (604). 2 Eine solche Methodenvielfalt wird empfohlen von den „Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ des Arbeitskreises „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA vom Dezember 2012 (http://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Standards/DVFA_Best_Practice_ Empfehlungen_Unternehmensbewertung.pdf); das LG Köln empfiehlt in seinem Beschluss vom 8.9.2014 (Az. 82 O 2/09) eine Plausibilisierung der Unternehmensbewertung anhand der Best-Practice-Empfehlungen der DVFA; s. dazu schon Rz. 18.76. 3 § 294 des Referentenentwurfs, aus dem später § 305 AktG geworden ist, vgl. BT-Drucks. IV/3296, 164. 4 Kropff, Textausgabe (1965), S. 399, vgl. zu dieser Begründung auch Albach, AG 1966, 180 (183); zu den „im Schrifttum zum früheren Umwandlungsgesetz vertretenen“ Auffassungen vgl. Geßler, BB 1956, 1175 (1178 f.); zur DurchführungsVO zum Umwandlungsgesetz 1934, welche vor 1956 die Berücksichtigung des Börsenkurses vorsah (RGBl. I 1264, Art. 2 § 5), vgl. Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, 1975, S. 44; Kropff, DB 1962, 155. 5 Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 28.10.1994, BGBl. I 1994, 3210. 6 BT-Drucks. 12/6699, 94 f.

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§ 21 Rz. 21.11

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Bewertungsanlässe. Insgesamt handelt es sich daher um einen richterrechtlich determinierten Fragen- und Problemkreis. 2. Aktienrechtliche Eingliederung

21.12 Bei der – in der Praxis eher seltenen – Eingliederung gem. §§ 319, 320 AktG1 ist die Lage der abfindungsberechtigten Minderheit ähnlich wie beim Squeeze-out. Auch hier ist Voraussetzung für die Strukturmaßnahme das Vorhandensein einer Mehrheitsaktionärin mit einem Kapitalanteil von mindestens 95 %.2 Anders als beim Squeeze-out muss es sich dabei allerdings um eine Aktiengesellschaft oder eine SE3 handeln. Diese „Hauptgesellschaft“ i.S.d. §§ 319 Abs. 1 Satz 1, 320 Abs. 1 Satz 1 AktG muss ihren Sitz im Inland haben.4 Die Eingliederung wird in der Hauptversammlung beschlossen. Die Eintragung des Eingliederungsbeschlusses bewirkt, dass die Aktien der außenstehenden Minderheit, deren Anteil nicht größer als 5 % sein kann, auf die Hauptgesellschaft übergehen.5

21.13 Wie beim Squeeze-out verbriefen die Aktienurkunden in der Hand der Minderheitsaktionäre ab diesem Zeitpunkt nur noch deren gesetzlichen Anspruch gegen die Hauptgesellschaft auf angemessene Abfindung.6 Anders als beim Squeeze-out besteht die Abfindung bei der Eingliederung im Regelfall aus Aktien der Hauptgesellschaft.7 Regelmäßig handelt es sich also um eine Abfindung in Aktien (dazu Rz. 21.108 ff.).

21.14 Ist die Hauptgesellschaft eine abhängige Gesellschaft i.S.d. § 17 Abs. 1 AktG, so ist den aus der Gesellschaft gedrängten Minderheitsaktionären nach deren Wahl auch eine Barabfindung anzubieten.8 Weil die Minderheitsaktionäre in diesem Fall die Wahl zwischen dem Umtausch ihrer Aktien in solche der Hauptgesellschaft und dem Ausscheiden gegen Barabfindung haben, enthält das Gesetz an dieser Stelle eine „obligatorische Baralternative“9.

21.15 Hinsichtlich des vom Vorstand der Hauptgesellschaft vorzulegenden Eingliederungsberichts10 und des durch einen sachverständigen Eingliederungsprüfer anzufertigenden, die Angemessenheit der Eingliederung bestätigenden Prüfungsberichts11 gilt das zum Squeezeout Gesagte12 (Rz. 21.5). Auch die expliziten Methodenvorgaben für die Bewertung haben 1 Eingehend zum Folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 268 f. 2 § 320 Abs. 1 Satz 1 AktG. Weil es an einer § 327a Abs. 2 AktG entsprechenden Verweisung auf § 16 Abs. 4 AktG bei der Eingliederung fehlt, kommt es hier zu keiner Zurechnung fremder Anteile, vgl. Grunewald in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 319 AktG Rz. 12, § 320 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch, § 320 AktG Rz. 3. 3 Diese wird gem. Art. 10 SE-VO einer Aktiengesellschaft grundsätzlich gleichgestellt. 4 Zur Frage, ob eine Eingliederung in eine Aktiengesellschaft EU-ausländischen Rechts möglich ist, s. Grunewald in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 319 AktG Rz. 7. 5 § 320a Satz 1 AktG. 6 §§ 320a Satz 2, 320b Abs. 1 Satz 1 AktG. 7 § 320b Abs. 1 Satz 2 AktG. 8 § 320b Abs. 1 Satz 3 AktG. 9 Vgl. zum Begriff, Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 268. 10 Vgl. §§ 320 Abs. 1 Satz 3, 319 Abs. 3 Nr. 3, 320 Abs. 4 AktG. 11 Vgl. § 320 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 AktG. 12 Insbesondere verweist § 320 Abs. 3 Satz 3 AktG (wie § 327c Abs. 2 Satz 4 AktG) auf § 293e Abs. 1 AktG.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.17 § 21

denselben Umfang wie dort: Das materielle Angemessenheitskriterium wird nur in § 320b Abs. 1 Satz 5 AktG konkretisiert, wo es heißt, die Barabfindung müsse die „Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung“ berücksichtigen (eingehend Rz. 21.11). 3. Begründung eines Vertragskonzerns a) Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages nach dem AktG Bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages1 zwischen einer Mehrheitsgesellschafterin (Obergesellschaft)2 und ihrer Tochtergesellschaft (Untergesellschaft) werden den Minderheitsaktionären der Untergesellschaft deren Aktien nicht ex lege entzogen. In Reaktion auf den tiefen strukturellen Eingriff in ihre Aktionärsstellung sorgt das AktG jedoch dafür, dass sie ein Wahlrecht bekommen:3

21.16

– Sie können in der Gesellschaft verbleiben; in diesem Fall erhalten Sie eine im Vertrag festzulegende (variable oder fixe) Ausgleichszahlung (dazu sogleich Rz. 21.17 ff.). – Sie können aber auch aus der Gesellschaft ausscheiden; machen sie von dieser Exit-Möglichkeit Gebrauch, erhalten sie eine Abfindung in Aktien oder in Geld (dazu sogleich Rz. 21.23 ff.). aa) Wiederkehrende Ausgleichszahlungen Minderheitsaktionäre, die in der Untergesellschaft verbleiben, erhalten während der Geltungsdauer des Vertrages (in aller Regel)4 keine Dividenden. Stattdessen muss der Vertrag gem. § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG vorsehen, dass sie von der Obergesellschaft als dem anderen Vertragsteil5 eine wiederkehrende Geldleistung (Ausgleichszahlung) erhalten. Konzeptionell liegt dem eine „schadensrechtlich beeinflusste fiktive Betrachtung“6 zugrunde: Die Minderheitsaktionäre der Untergesellschaft sollen so gestellt werden, wie sie stünden, wenn die Be-

1 §§ 291 ff. AktG. Das Gesetz knüpft in § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG (nur) an den Gewinnabführungsvertrag an (gleichgültig, ob er in Kombination mit einem Beherrschungsvertrag abgeschlossen wird, wie es gängiger Praxis entspricht). Von § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG erfasst werden somit der (isolierte) Gewinnabführungsvertrag, der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag und der Geschäftsführungsvertrag nach § 291 Abs. 1 Satz 2 AktG, nicht aber der Teilgewinnabführungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG. Von § 304 Abs. 1 Satz 2 AktG wird der isolierte Beherrschungsvertrag erfasst, dazu Rz. 21.30 f. 2 In der Praxis stellt es den absoluten Regelfall dar, dass die Obergesellschaft zugleich die Mehrheitsgesellschafterin der Untergesellschaft ist. Gesetzlich ist das aber nicht zwingend, vgl. Altmeppen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 291 AktG Rz. 18; Hüffer/Koch, § 291 AktG Rz. 5. 3 Eingehend zum Folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 269 ff. 4 Zum Sonderfall der Auszahlung von Dividenden während der Geltung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bei Auflösung von vorvertraglich gebildeten freien Gewinnrücklagen oder eines vorvertraglichen Gewinnvortrages vgl. Krieger in MünchHdb. AG, § 72 Rz. 33. 5 Der Wortlaut des § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG identifiziert den Schuldner des Anspruchs der außenstehenden Aktionäre nicht eindeutig. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift muss dies aber die Obergesellschaft sein (so die ganz h.M., die auch von § 5 Nr. 1 SpruchG bestätigt wird). Zum Streitstand vgl. nur Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 23; Hüffer/Koch, § 304 AktG Rz. 4; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 82. 6 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 10.

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21.17

§ 21 Rz. 21.17

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

gründung des Vertragskonzerns nicht stattgefunden hätte (und sie in der Gesellschaft verblieben wären). (1) Fixer Ausgleich

21.18 Ist die Obergesellschaft keine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien, so muss der angemessene Ausgleich nach Maßgabe des § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG betragsmäßig fixiert sein. Er muss dem voraussichtlichen durchschnittlichen Gewinnanteil je Aktie entsprechen, wobei von der in § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG festgeschriebenen Hypothese der Vollausschüttung bei angemessenen Abschreibungen und Wertberichtigungen auszugehen ist. Der ausgleichsberechtigte Aktionär muss demnach mindestens den Betrag erhalten, welchen er nach dem Prognosehorizont im Zeitpunkt der Zustimmung der Hauptversammlung1 als Gewinnanteil hätte erwarten dürfen, wenn seine Gesellschaft unabhängig geblieben wäre.2 Das Gesetz sieht keine Anpassung des Ausgleichs vor, wenn sich die dieser Prognose zugrunde liegenden Umstände ändern.3

21.19 Der Ausgleich ist – auch das ergibt sich aus § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG – „nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten“ zu bestimmen. Erforderlich ist hierfür (i) eine Unternehmensbewertung auf den Stichtag und, unter Beachtung der genannten Vollausschüttungshypothese, (ii) eine Ableitung einer Ausschüttungserwartung (Verzinsung des Unternehmenswerts) aus dieser.4 Nach dem klaren Gesetzeswortlaut hat sich die Unternehmensbewertung in Schritt (i) dabei an Ertragslage und Ertragsaussichten zu orientieren. Hieraus folgt, dass für den fixen Ausgleich Börsenkurse keine ausschlaggebende Bedeutung haben, „da es um die Ermittlung des voraussichtlich verteilungsfähigen Bruttogewinnanteils je Aktie geht, der durch die Ertragskraft der Gesellschaft, nicht aber durch den Börsenkurs eines Aktienanteils bestimmt wird“.5 Allenfalls dann, wenn im Einzelfall ein Aktienmarkt aufgrund seiner hohen Allokationseffizienz als bester zur Verfügung stehender Indikator für die Ertragsaussichten (und damit für den Fundamentalwert der Gesellschaft) eingestuft wird (dazu Rz. 18.76 und Rz. 21.85 ff.), kann er in dieser Eigenschaft herangezogen werden. Die DAT/Altana-Rechtsprechung des BVerfG (dazu Rz. 18.29 ff., 18.52 und Rz. 21.111 f.) steht dieser, den Börsenkurs nicht in den Fokus rückenden Herangehensweise nicht entgegen, denn die DAT/Altana-Rechtsprechung betrifft den variablen (dazu sogleich Rz. 21.22), nicht den festen Ausgleich.6 1 Auch der maßgebliche Stichtag geht nicht eindeutig aus dem Wortlaut des § 304 AktG hervor. Nach der ganz h.M. ist aber § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG entsprechend heranzuziehen, so dass es der Tag der Hauptversammlung der Untergesellschaft ist, vgl. nur BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Asea/BBC II, BGHZ 138, 136 (139 f.) = AG 1998, 286; BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01 – Ytong, BGHZ 156, 57 (63) = AG 2003, 627 = NJW 2003, 3272; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 27; Hüffer/Koch, § 304 AktG Rz. 10; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 72. 2 Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 75. 3 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 118; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 27a, jeweils m.w.N. Zu den Vorschlägen in der Literatur, dieses Ergebnis teilweise zu korrigieren, vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 27 f., 67 ff.; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 82; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 138 ff., jeweils m.w.N. 4 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 75 m.w.N. 5 OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504 (508) Rz. 70. Ferner Hüffer/Koch, § 304 AktG Rz. 8. 6 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03 – Rz. 17 – Nullausgleich, AG 2006, 331 (333).

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.23 § 21

Bei einer Gesellschaft ohne Ertragserwartungen im Zeitpunkt der Hauptversammlung folgt aus § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG, dass ein „Nullausgleich“ zulässig ist. Insbesondere ist nicht etwa ein anteiliger Liquidationswert zu berechnen, aus dessen Verzinsung eine Untergrenze für die Ausgleichszahlung abzuleiten wäre.1 § 304 AktG enthält keine (implizite) Garantie einer bestimmten Mindestverzinsung des eingesetzten Kapitals. Nach derselben Logik ist nicht-betriebsnotwendiges Vermögen bei der Bestimmung des Ausgleichs nur in dem Maße mitzuberücksichtigen, wie es tatsächlich einen Ertrag erwirtschaftet, nicht aber insofern, als eine Versilberung zu Einnahmen führen könnte.2

21.20

Im Ergebnis führt der fixe Ausgleich zur vollständigen Verrentung der Gewinnaussichten der Minderheit für die Dauer des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages. Während dieser Zeit werden die ausgleichsberechtigten Aktionäre wirtschaftlich aus ihrer Stellung als Eigenkapitalgeber verdrängt. Ihre Rendite- und Risikoerwartungen entsprechen denjenigen eines Fremdkapitalgebers der Obergesellschaft mit einem Anspruch auf feste Verzinsung in Höhe des zu Vertragsbeginn prognostizierten Gewinnanteils (zu der Frage, ob sich hieraus besondere rechtliche Methodenvorgaben für die Bewertung ergeben, s. Rz. 21.103 ff.).

21.21

(2) Variabler Ausgleich Ist die Obergesellschaft eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien, so ha- 21.22 ben die Vertragsparteien die Wahl, statt des fixen einen variablen Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG vorzusehen. In der Praxis ist das eher selten. Ein solcher variabler Ausgleich simuliert das Ergebnis, welches sich eingestellt hätte, wenn die außenstehenden Aktionäre ihre Aktien gegen Aktien der Obergesellschaft eingetauscht hätten und bei der Berechnung des Umtauschverhältnisses die Angemessenheitserfordernisse eingehalten worden wären, die das UmwG bei einer Verschmelzung stellt:3 Als variablen Ausgleich erhält der Aktionär der Untergesellschaft den Anteil am Gewinn der Obergesellschaft, der bei Herstellung eines angemessenen Umrechnungsverhältnisses auf die Aktien der Obergesellschaft jeweils als Gewinnanteil entfällt. Er wird also so gestellt, als hätte er getauscht und würde nunmehr auf der Ebene der Obergesellschaft an den (von Jahr zu Jahr ggf. schwankenden) Dividendenauszahlungen4 beteiligt. Auch hier gilt ein gesetzliches Angemessenheitserfordernis, welches in § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG unter Verweis auf die umwandlungsrechtliche Verschmelzungswertrelation konkretisiert wird (dazu Rz. 21.108 ff.). bb) Angebot der Abfindung Um denjenigen Minderheitsaktionären, die sich mit der soeben erörterten Verrentung (Rz. 21.21) ihrer Anteile im Wege des Ausgleichs nicht abfinden wollen, eine Exit-Möglichkeit zu verschaffen, verlangt § 305 AktG, dass der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag eine Verpflichtung der Obergesellschaft enthalten muss, „auf Verlangen eines außen1 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03 – Nullausgleich, AG 2006, 331 (333); Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 79 ff., 81 m.w.N.; a.A. Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 AktG Rz. 60. 2 BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01 – Ytong, AG 2003, 627 (629). 3 § 304 Abs. 2 Satz 3 AktG. Zu diesen Anforderungen (Verschmelzungswertrelation) s. Rz. 18.53 ff. 4 Nach der h.M. ist der Begriff „Gewinnanteil“ in § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG im Sinne von „ausgeschüttete Dividende“ auszulegen, Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 93 m.w.N. Verfassungsrechtlich ist dies nicht zu beanstanden, solange hinreichender Schutz gegen eine missbräuchliche Dividendenpolitik der Mehrheit in der Obergesellschaft besteht, wegweisend insofern BVerfG v. 8.9.1999 – 1 BvR 301/89 – Hartmann & Braun, AG 2000, 40 (41).

Adolff/Häller

633

21.23

§ 21 Rz. 21.23

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

stehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Vertrag bestimmte, angemessene Abfindung zu erwerben.“1 Je nachdem, welche der in § 305 Abs. 2 AktG angeführten Fallkonstellationen vorliegt, muss diese angemessene Abfindung in einer Abfindung in Aktien, in einer Barzahlung2 oder nach Wahl der Vertragsparteien in einem von beiden bestehen. Wie beim Ausgleich liegt dem eine „schadensrechtlich beeinflusste fiktive Betrachtung“3 zugrunde: Der Exit soll so gestaltet werden, dass er sich für den ausscheidenden Aktionär mit keinem Vermögensopfer verbindet. In den Worten des BGH: Es kommt auf den „Grenzwert“ an, zu dem der außenstehende Aktionär – wenn er möchte – ausscheiden kann „ohne wirtschaftliche Nachteile zu erleiden.“4 (1) Barabfindung

21.24 Wie beim Squeeze-out muss die Barabfindung angemessen sein. Aus § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG folgt die ebenfalls vom Squeeze-out bekannte Anforderung, dass die „Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung“ zu berücksichtigen sind. Hieraus ergibt sich eine eindeutige gesetzliche Vorgabe für den maßgeblichen Stichtag, nicht aber für spezifische rechtliche Methoden für die Unternehmensbewertung (eingehend Rz. 21.11). An den Vorstands- und den Vertragsprüferbericht, die den Aktionären vor der Hauptversammlung zugänglich gemacht werden müssen (s. Rz. 21.5), werden ebenfalls dieselben Anforderungen gestellt.5 Für die gerichtliche Kontrolle steht der Weg ins Spruchverfahren offen.6 Die Anfechtungsklage ist insofern ausgeschlossen, und zwar auch hinsichtlich bewertungsrelevanter Informationsmängel (s. Rz. 21.7). Eine im Spruchverfahren getroffene Neufestsetzung der Barabfindung wirkt inter omnes.7

1 Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ist insofern ein echter Vertrag zugunsten Dritter. Nach h.M. steht „hinter“ diesem vertraglichen Anspruch jedoch stets ein gesetzliches Schuldverhältnis, grundlegend hierzu BGH v. 20.5.1997 – II ZB 9/96 – Guano, BGHZ 135, 374 (380) = AG 1997, 515: Anspruch auf Abfindung besteht „dem Grunde nach kraft Gesetz“; ebenso Röhricht, ZHR 162 (1998), 249 (257); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 6; a.A. Bilda in FS Hüffer, 2010, S. 49 (58 ff.). Hierauf kommt es außer im Falle des § 305 Abs. 5 Satz 2 Var. 1 AktG (keine vertragliche Abfindung) insbesondere dann an, wenn einer der abfindungsberechtigten Aktionäre im Spruchverfahren eine Aufbesserung der Barabfindung erfochten hat und auch diejenigen anderen Aktionäre, die schon angenommen haben, daran partizipieren wollen. Die h.M. operiert hier mit der Annahme, es bestehe ein gesetzlicher Abfindungsergänzungsanspruch, vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 13 SpruchG Rz. 4; Hüffer/Koch, AktG, § 13 SpruchG Rz. 4; Kubis in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 13 SpruchG Rz. 3. Zum Ergänzungsanspruch beim Tauschangebot: BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12, NZG 2014, 985 = AG 2014, 662. Zum Abfindungsergänzungsanspruch beim Squeeze-out s. schon oben Rz. 21.8. 2 Dabei sind die Parteien nicht gehindert, freiwillig zusätzlich Aktien anzubieten. Auch im Fall der sog. Mehrmütterorganschaft geht die h.M. von einer zwingenden Barabfindung aus, vgl. Hüffer/ Koch, § 305 AktG Rz. 16; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 124; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 46. 3 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 10. 4 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Asea Brown Boveri II, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; teilweise kritisch Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603. 5 §§ 293a bis 293e AktG. 6 § 305 Abs. 5 AktG. 7 § 13 Satz 2 SpruchG.

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Adolff/Häller

Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.29 § 21

(2) Abfindung in Aktien Besonders schwierige Bewertungsfragen stellen sich bei der Abfindung in Aktien gem. § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AktG.1 Zwei Fallgruppen sind zu unterscheiden:

21.25

– Obligatorische Abfindung in Aktien: In den Fällen des § 305 Abs. 2 Nr. 1 AktG (unabhängige Aktiengesellschaft oder KGaA mit Sitz in EU oder EWR als Obergesellschaft) ist im Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag eine Abfindung in Aktien der Obergesellschaft anzubieten. In diesen Fällen muss zumindest eine Abfindung in Aktien im Vertrag angeboten werden. Die Parteien sind hingegen nicht gehindert, darüber hinaus eine Barabfindung oder eine andere Gegenleistung für die von einem außenstehenden Aktionär aufgegebenen Aktien anzubieten.2

21.26

– Fakultative Abfindung in Aktien: In den Fällen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG (abhängige Aktiengesellschaft oder KGaA als Obergesellschaft und Aktiengesellschaft oder KGaA mit Sitz in EU oder EWR an der Konzernspitze) haben die Parteien des Unternehmensvertrages die Wahl zwischen einer Abfindung in Aktien der Gesellschaft an der Konzernspitze oder einer Barabfindung.3

21.27

Die Abfindung in Aktien muss i.S.d. § 305 Abs. 1 AktG „angemessen“ sein. Dieses Angemessenheitserfordernis wird in § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG speziell für Fälle der Abfindung in Aktien unter Verweis auf die Verschmelzungswertrelation näher konkretisiert (dazu Rz. 21.108 ff.).

21.28

Wie bei Barabfindung und Verschmelzung (dazu Rz. 22.50 ff.) kann sich ein Aktionär der Untergesellschaft gegen ein für ihn ungünstiges Umtauschverhältnis im Unternehmensvertrag nicht mit der Anfechtungsklage, sondern nur im Spruchverfahren zur Wehr setzen.4 Ein Unterschied zum Spruchverfahren bei der Verschmelzung besteht allerdings darin, dass das Gericht nicht darauf beschränkt ist, in Reaktion auf ein unangemessenes Umtauschverhältnis eine bare Zuzahlung vorzusehen (dazu Rz. 22.12 ff.), sondern durch rechtsgestaltenden Beschluss das im Unternehmensvertrag festgesetzte Umtauschverhältnis zugunsten der Aktionäre der Untergesellschaft verändern kann.5

21.29

1 Eingehend zum Folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 439 ff. 2 Vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 11; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 120, 126; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 44; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 31. 3 Für diese Fälle ist der Gesetzeswortlaut („oder“) nicht ganz eindeutig in der Frage, ob Barabfindung und Aktien im Vertrag alternativ angeboten werden müssen oder ob die Parteien die Wahl haben, nur das eine oder nur das andere anzubieten. Nach h.M. ist letzteres richtig, vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 15; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 19; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 121; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 58; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 44. 4 Dasselbe gilt für bewertungsbezogene Informationsmängel; insofern entspricht die Rechtslage der beim Squeeze-out, s. Rz. 21.7. 5 Vgl. § 305 Abs. 5 Satz 3 AktG und Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 177. Die Art der Abfindung kann das Gericht allerdings nur bestimmen, wenn die im Vertrag festgesetzte Abfindungsart falsch ist, vgl. Paschos in Henssler/Strohn, § 305 AktG Rz. 31; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 176.

Adolff/Häller

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§ 21 Rz. 21.30

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

b) Abschluss eines isolierten Beherrschungsvertrages nach dem AktG

21.30 Das AktG gestattet den Abschluss eines Beherrschungsvertrags ohne Gewinnabführungsvertrag (allerdings gleichwohl um denselben Preis der vollen Verlustübernahme nach § 302 AktG). Bei einem solchen isolierten Beherrschungsvertrag wird in der Untergesellschaft ein Bilanzgewinn festgestellt und, soweit die Obergesellschaft dies zulässt, in Form von Dividenden verteilt. Deswegen tritt an die Stelle des Ausgleichs eine Dividendengarantie der Obergesellschaft.1 Werden tatsächlich Dividenden verteilt, so muss die Obergesellschaft den außenstehenden Aktionären der Untergesellschaft nur noch die Differenz zwischen der Garantiesumme und dem bereits als Dividende verteilten Betrag zahlen. Übersteigt die tatsächlich ausbezahlte Dividende den Betrag der im Vertrag niedergelegten Garantiedividende, so werden die Aktionäre an jener voll beteiligt.2

21.31 Die Höhe der Garantiesumme bestimmt sich nach denselben Regeln wie die Höhe der Ausgleichszahlung beim Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (s. Rz. 21.17 ff.). Auch die Abfindung nach § 305 AktG folgt denselben Regeln (s. Rz. 21.23 ff.). Für die zur Anwendung der Angemessenheitserfordernisse der §§ 304, 305 AktG notwendige Unternehmensbewertung ergeben sich somit keine Besonderheiten. 4. Verschmelzungsfälle (aus Sicht der aufnehmenden Aktiengesellschaft) a) Unterschiedliche Schutzsysteme „unten“ und „oben“

21.32 In Rz. 18.7 f. wurde dargelegt, dass bei einer Verschmelzung (zumindest unter zuvor unverbundenen Gesellschaften, sog. merger of equals) die Interessen- und Gefährdungslage mit Blick auf jedwede Verschiebung des Umtauschverhältnisses für die Aktionäre der aufnehmenden Gesellschaft und der übertragenden Gesellschaft identisch ist: Was durch eine Quotenverschiebung der einen Aktionärspopulation genommen wird, erhält die andere. Risiken und Chancen einer Quotenverschiebung in die eine oder andere Richtung sind für beide Seiten gleich. Für die Interessenbewertung ist es somit unerheblich, ob man den Blick auf die (Minderheits-)Aktionäre der übertragenden oder der aufnehmenden Gesellschaft richtet: Beide Seiten werden dann angemessen behandelt, wenn sie – als Kollektiv betrachtet – diejenige Quote am künftigen Unternehmensertrag zugewiesen bekommen, welche dem Wertanteil entspricht, den sie jeweils „mitgebracht“ haben.

21.33 Nach deutschem Recht ist die Absicherung gegen diese Gefahr jedoch für die beiden Aktionärsgruppen unterschiedlich ausgestaltet (vgl. Rz. 18.8):

21.34 – Spruchverfahren für die „Aktionäre unten“: Die Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers können nach § 15 UmwG bei einem für sie zu niedrig bemessenen Umtauschverhältnis eine bare Zuzahlung verlangen.3 Erforderlichenfalls müssen sie diese im Spruchverfahren erstreiten. Der Weg in den Anfechtungsprozess ist ihnen insofern versperrt.

21.35 – Anfechtungsklage für die „Aktionäre oben“: Den Aktionären des übernehmenden Rechtsträgers hingegen ist gerade umgekehrt der Weg ins Spruchverfahren verwehrt. Sie sind darauf verwiesen, die unangemessene Verwässerung ihrer Anteile vor den ordentlichen Gerichten in einer Anfechtungsklage nach § 255 Abs. 2 AktG geltend zu machen. Dabei kommt § 255 Abs. 2 AktG zum Schutz der Aktionäre der aufnehmenden Gesell1 § 304 Abs. 1 Satz 2 AktG, vgl. dazu Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 48 ff. m.w.N. 2 Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 48 ff. 3 Zur Unternehmensbewertung in diesem Kontext eingehend Rz. 22.27 ff.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.39 § 21

schaft bei einer Verschmelzung analog zur Anwendung. Dies ist im Ergebnis unstrittig:1 Bei der Verschmelzung gibt es zwar von vornherein kein Bezugsrecht der Altaktionäre der aufnehmenden Gesellschaft, weil § 69 UmwG u.a. § 186 AktG abbedingt. Das Verwässerungspotential für die Altaktionäre ist jedoch genau dasselbe wie bei einer Barkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss nach § 186 AktG. Diese Unterscheidung zwischen dem „Weg über das Spruchverfahren“ und dem „Weg über die Anfechtungsklage“ bringt es mit sich, dass der über § 255 Abs. 2 AktG vermittelte Verwässerungsschutz für die Minderheitsaktionäre auf der Ebene des aufnehmenden Rechtsträgers dem Aktienrecht zuzurechnen ist. Dieser aktienrechtliche Teil des komplexen Schutzsystems bei der Verschmelzung wird im vorliegenden § 21 abgehandelt (während im Übrigen auf § 22 verwiesen wird).

21.36

b) Verfahren der Anfechtungsklage nach § 255 Abs. 2 AktG Als Gegenstand der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, mittels derer gegen ein unangemessenes Umtauschverhältnis „von oben her“ vorgegangen werden kann, kommen in Verschmelzungsfällen regelmäßig zwei Beschlüsse der Hauptversammlung der aufnehmenden Gesellschaft in Betracht:2

21.37

– Dies ist zum einen der Verschmelzungsbeschluss nach §§ 13, 65 UmwG, der nur dann entbehrlich ist, wenn die aufnehmende Gesellschaft 90 % des Grundkapitals der übertragenden Gesellschaft hält und ein Zustimmungsbeschluss auch nicht von einer Minderheit der aufnehmenden Gesellschaft von mindestens 5 % gefordert wird.3

21.38

– Zum anderen ist es der Kapitalerhöhungsbeschluss, der regelmäßig4 erforderlich ist, um die als „Tauschwährung“ eingesetzten, an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft im Zuge der Verschmelzung auszugebenden Aktien zu schaffen.

21.39

Dabei hat der Kläger die Wahl, gegen welchen Beschluss –Verschmelzungsbeschluss, Kapitalerhöhungsbeschluss oder beide gemeinsam – die Anfechtungsklage gerichtet wird.5 1 Vgl. nur Decher in Lutter, § 14 UmwG Rz. 19 a.E.; Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 17; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 69 UmwG Rz. 23 m.w.N. 2 Eingehend zum Folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 425 ff. 3 Vgl. § 62 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG. 4 Die Ausnahmefälle, in denen es keiner Kapitalerhöhung bedarf oder diese unzulässig ist, bestimmt § 68 UmwG. Praktisch relevant ist v.a. der Fall, dass die aufnehmende Gesellschaft die als „Tauschwährung“ zu verwendenden Aktien bereits als gem. § 71 AktG erworbene eigene Aktien in ihrem Vermögen hält (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UmwG), vgl. hierzu Diekmann in Semler/Stengel, § 68 UmwG Rz. 13; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 68 UmwG Rz. 1, 12. Weil die Verschmelzung kein Fall des § 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG ist (vgl. Hoffmann-Becking in Hommelhoff/Lutter/Schmidt/Schön/ Ulmer [Hrsg.], Corporate Governance, ZHR Sonderheft [2002], 215, 225), kommt dies praktisch nur in Betracht, wenn zuvor von einer Ermächtigung durch die Hauptversammlung gem. § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG Gebrauch gemacht worden ist, um eigene Aktien zu erwerben. Auch in diesem Fall gilt für die Wiederveräußerung dieser eigenen Aktien das im Folgenden zu § 255 Abs. 2 AktG Dargelegte seinem materiellen Kern nach entsprechend: Der Tausch der eigenen Aktien gegen solche der übernehmenden Gesellschaft wirkt als das funktionale Äquivalent einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage, was im Grundsatz zu demselben Grad an Verwässerungsschutz führen muss – eingehend dazu unten Rz. 21.41 ff. 5 So zu Recht Decher in Lutter, § 14 UmwG Rz. 19; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 14 UmwG Rz. 15 m.w.N.; a.A. OLG Hamm v. 20.6.1988 – 8 U 329/87, AG 1989, 31 = WM 1988, 1164; LG Frank-

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§ 21 Rz. 21.40

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

21.40 Die Anfechtungsklage führt zunächst zur Registersperre (vgl. für die Klage gegen den Verschmelzungsbeschluss § 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Zu ihrer Überwindung steht jedoch das Freigabeverfahrens nach § 16 Abs. 3 UmwG bzw. 246a AktG zur Verfügung. In Freigabeverfahren kann das zuständige OLG durch Beschluss feststellen, dass die Erhebung der Klage der Eintragung der Verschmelzung nicht entgegensteht, also insbesondere, wenn die Anfechtungsklage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (§ 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 UmwG bzw. § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG) bzw. das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Anfechtungskläger überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor (§ 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG bzw. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG).1 c) Materieller Verwässerungsschutz nach § 255 Abs. 2 AktG

21.41 Materiell-rechtlich ist § 255 Abs. 2 AktG ein Verwässerungsverbot2 zu entnehmen, welches die Minderheit vor einer vermögensmäßigen Schädigung durch eine Quotenverschiebung zugunsten der (alleine) junge Aktien erhaltenden Inferenten schützt. In den hier erörterten Verschmelzungsfällen kommt dieses materielle Verwässerungsverbot den Aktionären der aufnehmenden Aktiengesellschaft zugute – und schützt sie vor einer Vermögensbelastung aus der „Quersubventionierung“3 der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft, welche (alleine) junge Aktien erhalten.

21.42 Unabhängig von der rein technischen Frage, ob ein über dem Nominalbetrag liegender Ausgabebetrag festgesetzt wurde,4 ist der Bezugspunkt des materiellen Verwässerungsverbots dabei die Wertrelation zwischen dem auf jede vor der Kapitalerhöhung bereits ausgegebene Aktie quotal entfallenden Wert des Gesellschaftsunternehmens einerseits und dem auf jede junge Aktie quotal entfallenden Wert des Einlagegegenstandes andererseits.5 Für diese Wertrelati-

1

2 3 4

5

furt/M. v. 15.1.1990 – 3/11 T 62/89, WM 1990, 592 (594 f.) (Anfechtung des Verschmelzungsbeschlusses wegen Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses nur bei gleichzeitiger Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses nach § 255 Abs. 2 AktG zulässig); vgl. aber demgegenüber BGH v. 2.7.1990 – II ZB 1/90 – Hypothekenbankenschwestern, BGHZ 112, 9 (19) = AG 1990, 538. Dazu Rz. 22.43. Ausführlich zum Freigabeverfahren Schwanna in Semler/Stengel, § 16 UmwG Rz. 21 ff.; Winter in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 16 UmwG Rz. 28 ff. Zum Freigabeverfahren bei einer gegen einen Squeeze-out oder gegen eine Eingliederung gerichteten Anfechtungsklage s. oben Rz. 21.7. OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (41); Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (508); Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 2; zur Frage der Übertragung des Verhandlungsmodells auf § 255 Abs. 2 AktG s. die Nachweise bei Hüffer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 255 AktG Rz. 24. Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 260. Zu der strittigen, aber richtigerweise zu verneinenden Frage, ob es bei der Sachkapitalerhöhung unerlässlich ist, einen über den Nennbetrag der jungen Aktien hinausgehenden, dem Wert der Sacheinlage entsprechenden Ausgabebetrag festzusetzen, um so eine zusätzliche Verwässerungsprüfung (über § 255 Abs. 2 AktG hinaus) zu ermöglichen, vgl. unten Rz. 21.62 m. Fn. 2. Dass § 255 Abs. 2 AktG bei der Sachkapitalerhöhung zu einem klassischen Anwendungsfall der Relationsbewertung führt, hat der BGH schon in seiner „Kali+Salz“-Entscheidung (BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40) anerkannt. Dort heißt es: „Ist […] eine Beteiligung gegen junge Aktien einzubringen, so hängt demnach die Anfechtbarkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses nach § 255 Abs. 2 AktG davon ab, ob diese Beteiligung mit einem höheren oder die dafür ausgegebenen Aktien mit einem geringeren als ihrem wahren Wert angesetzt worden sind.“ (BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40 [51]). Bei der Verschmelzung besteht der Einlagegegenstand nicht aus einer

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.44 § 21

on – die sich durch eine Festsetzung im Kapitalerhöhungsbeschluss oder im Einbringungsvertrag nur nachvollziehen, aber nicht verändern lässt – gilt bei analoger Anwendung des § 255 Abs. 2 AktG die Anforderung, dass sie „nicht unangemessen niedrig“ sein darf.1 Das in § 255 Abs. 2 AktG enthaltene materielle Verwässerungsverbot besagt bei der Kapitalerhöhung aus Anlass einer Verschmelzung m.a.W., dass das Umtauschverhältnis im Lichte des Unternehmenswertverhältnisses für die Altaktionäre der aufnehmenden Gesellschaft nicht unangemessen sein darf.2 Einfacher gesprochen: § 255 Abs. 2 AktG ordnet an, dass das Umtauschverhältnis (auch) aus der Perspektive der Aktionäre der aufnehmenden Aktiengesellschaft angemessen sein muss. Dieses Verwässerungsverbot des § 255 Abs. 2 AktG ist stichtagsbezogen: Aus der Bezugnah- 21.43 me auf den sich „aus dem Erhöhungsbeschluss“ ergebenden Betrag in § 255 Abs. 2 AktG lässt sich schließen, dass es auf den Tag ankommt, an dem die Hauptversammlung der aufnehmenden Gesellschaft über die Kapitalerhöhung beschließt. Da das Umtauschverhältnis im Verschmelzungsvertrag für die Aktionäre beider Gesellschaften nur einheitlich festgesetzt werden kann, liegt es daher in der Verantwortung der Parteien des Verschmelzungsvertrages, dafür zu sorgen, dass die Hauptversammlungen der aufnehmenden Gesellschaft und der übertragenden Gesellschaft möglichst nahe beieinander liegen. d) Spielräume für eine unternehmerische Entscheidung Im Schrifttum zu § 255 Abs. 2 AktG ist umstritten, ob aus der im Gesetz verwendeten, im Vergleich zu §§ 305, 320b, 327a AktG, 29, 207 UmwG ungewöhnlichen Formulierung, der Ausgabebetrag dürfe „nicht […] unangemessen niedrig“ sein, geschlossen werden kann, der Verwaltung verbleibe ein unternehmerischer Spielraum, Einlagegegenstände „unter Wert“ zu akzeptieren, wenn dies durch das Gesellschaftsinteresse gedeckt sei.3 Für die BarkapitalerhöBeteiligung, sondern aus dem gesamten Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft. Dessen Wert ist zum Wert des Unternehmens der aufnehmenden Gesellschaft ins Verhältnis zu setzen. 1 Vgl. Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (520); Hoffmann-Becking in FS Wiedemann, 2002, S. 999 (1005); Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 16; Stilz in Spindler/Stilz, § 255 AktG Rz. 12. 2 Nach der ausdrücklichen Klarstellung des BGH in seiner „Siemens/Nold“-Entscheidung (BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133 [141] = AG 1997, 465) besteht dieses materielle Verwässerungsverbot auch dann, wenn die Kapitalerhöhung im Wege der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals erfolgt. In diesem Fall (s. auch unten Rz. 21.50) ist zwar die Anfechtung nach § 255 Abs. 2 AktG im Zeitpunkt der Ausnutzung des genehmigten Kapitals durch die Verwaltung nicht möglich, die Verwaltungsmitglieder sind jedoch verpflichtet, die Zahl der ausgegebenen Aktien im Verhältnis zum Wert der Sacheinlage so zu bestimmen, dass die Altaktionäre vor einer vermögensmäßigen Verwässerung ihrer Anteile geschützt werden. Ebenso gilt das materielle Verwässerungsverbot des § 255 Abs. 2 AktG bei der bedingten Kapitalerhöhung nach § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG, obwohl auch bei dieser das Bezugsrecht nicht gem. § 186 AktG ausgeschlossen werden muss, sondern bereits ex lege ausgeschlossen ist, vgl. nur Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (516); Koch in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 255 AktG Rz. 11, beide m.w.N. Bei einer bedingten Kapitalerhöhung ist zudem die Möglichkeit der Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses eröffnet und auch für den einzelnen Minderheitsaktionär von praktischem Wert, weil, anders als bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital, schon aus dem Hauptversammlungsbeschluss die Konditionen der Ausgabe ersichtlich sind. 3 Bejahend Geßler in FS Barz, 1974, S. 97 (112); Göz in Bürgers/Körber, § 255 AktG Rz. 6; Koch in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, 255 AktG Rz. 18; Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 5 ff.; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 255 AktG Rz. 3; tendenziell auch Stilz in Spindler/Stilz, § 255 AktG Rz. 19 (zwar kein förmlicher Spielraum, aber Berücksichtigung des Gesellschaftsinteresses); verneinend

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21.44

§ 21 Rz. 21.44

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

hung wird dies mit dem Argument bejaht, ohne einen „angemessenen Abschlag“ auf den „inneren Wert“1 wäre die Zeichnung der jungen Aktien für Dritte „ohne genügenden wirtschaftlichen Reiz“.2

21.45 Für die Einbringung eines Unternehmens im Wege der Sachkapitalerhöhung hat dieses Argument einiges für sich: Zudem sollte die Mehrheit ein unternehmerisches Wagnis (auch durch Aufnahme eines Unternehmens in das Gesellschaftsvermögen gegen Ausgabe junger Aktien) in Angriff nehmen können, auch wenn sie die Chancen, welche sich hieraus ergeben, teilweise – und ggf. sogar überproportional – anderen überlassen will. Schließlich mutet die Mehrheit in diesen Fällen der Minderheit immer nur ein Vermögensopfer zu, das sie auch selbst zu bringen bereit ist.3 Allerdings geht dieser Spielraum nicht so weit, dass der Minderheit dabei etwas genommen werden darf, das sie vorher hatte. Richtig erscheint daher, zu differenzieren: Zwar besteht kein unbestimmter (oder gar unbegrenzter) allgemeiner „Verwässerungsspielraum“ der Mehrheit der Obergesellschaft zur Privilegierung der neu hinzukommenden (alleinigen) Zeichner der jungen Aktien. Im dem Umfang, wie die durch die Sachkapitalerhöhung herbeigeführte Unternehmensverbindung konkrete, in der Planung sichtbare Verbundvorteile erwarten lässt, werden aber Spielräume eröffnet. Denn bei § 255 Abs. 2 AktG kommt es – anders als in den Abfindungsfällen – ausschließlich auf die Bewertungsperspektive der ihr Kapital erhöhenden Gesellschaft in der konkreten Situation an (s. auch Rz. 21.74). Aus Gesellschaftssicht handelt es sich bei solchen Verbundvorteilen um einen Wertzuwachs, welcher dem Gesamtkollektiv der durch die Verschmelzung zusammengeführten Aktionäre zugutekommt (und nicht lediglich um eine Umverteilung ex ante bestehender Werte zwischen den beiden Gruppen). Im Umfang dieses Wertzuwachses ist es aus der Sicht des aufnehmenden Rechtsträgers zulässig, diesen Zusatzvorteil überproportional den neu hinzukommenden Aktionären (des übertragenden Rechtsträgers) zuzuweisen, solange nur sichergestellt ist, dass die Minderheit (des aufnehmenden Rechtsträgers) infolge der Kapitalerhöhung wertmäßig nicht schlechter gestellt wird als vorher.4 e) Gleiche Grundsätze für die Konzernverschmelzung

21.46 Dieselben Grundsätze folgen aus § 255 Abs. 2 AktG auf der Ebene der Obergesellschaft für die Konzernverschmelzung, insbesondere im Regelfall der upstream-Verschmelzung der Tochter auf die Mutter.5 Auch hier sitzen Mehrheit und Minderheit in dem Sinne „in demselben Boot“, dass die Mehrheit der Minderheit kein Vermögensopfer zumuten kann, das sie nicht selbst zu teilen bereit ist. Dabei genießen die Minderheitsaktionäre der Obergesellschaft den Verwässerungsschutz des § 255 Abs. 2 AktG, den sie erforderlichenfalls im Wege der An-

1 2 3 4

5

Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1996, S. 262 ff.; Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (532 f.). K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 AktG Rz. 12. Koch in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 255 AktG Rz. 18; ähnlich Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 255 AktG Rz. 3. Mehrheit und Minderheit „in demselben Boot“, s. dazu schon Rz. 18.9. Eingehend Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 480 ff.; ähnlich Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (539) mit der Feststellung, es sei bei der Bewertung des Einlagegegenstandes bei § 255 Abs. 2 AktG auf die subjektspezifische Bewertungsperspektive der ihr Kapital erhöhenden Gesellschaft abzustellen, so dass es „durchaus zulässig“ sein könne, „die Einlage aufgrund erwarteter Verbundvorteile […] höher zu bewerten“. In der Tendenz ebenso Martens in FS Bezzenberger, 2000, S. 267 (287). Auch wenn hier die Interessenlage „von unten betrachtet“ etwas anders zu beurteilen ist, vgl. Rz. 18.11 f.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.50 § 21

fechtungsklage durchsetzen müssen. Dieser Schutz braucht aber nicht weiter zu gehen als bei der Verschmelzung „unter Gleichen“. Denn im Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit der Obergesellschaft ist die Interessenlage gleich. Deswegen sollte es auch bei der Konzernverschmelzung zulässig sein, den Zusatzvorteil von Verbundeffekten asymmetrisch aufzuteilen, solange nur sichergestellt ist, dass auch die Aktionäre des aufnehmenden Rechtsträgers keine wertmäßige Einbuße erleiden. 5. Kapitalerhöhung der Bietergesellschaft beim öffentlichen Tauschangebot Mit der Verschmelzung zwischen unverbundenen börsennotierten Aktiengesellschaften strukturell verwandt ist ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot,1 bei welchem die Bietergesellschaft den Aktionären der Zielgesellschaft eigene Bietergesellschaftsaktien als Gegenleistung für ihre Zielgesellschaftsaktien anbietet (öffentliches Tauschangebot).2 Wie bei der Verschmelzung muss die Bietergesellschaft die als „Akquisitionswährung“ verwendeten eigenen Aktien durch eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss neu schaffen, wenn diese nicht bereits in ihrem Vermögen vorhanden sind.

21.47

Der Verwässerungsschutz auf der Ebene der Bietergesellschaft richtet sich auch in dieser Fallkonstellation aktienrechtlich nach den Vorgaben von § 255 Abs. 2 AktG. Dabei sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:

21.48

– Reguläre Kapitalerhöhung: Werden die den Zielgesellschaftsaktionären zum Tausch angebotenen Bietergesellschaftsaktien durch eine reguläre Sachkapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre der Bietergesellschaft geschaffen, so können die Bietergesellschaftsaktionäre gegen ein für sie ungünstiges Umtauschverhältnis im Wege einer auf § 255 Abs. 2 AktG gestützten Anfechtungsklage vorgehen. Diese Vorschrift kommt dabei nach den vom BGH in seiner Kali+Salz-Entscheidung3 entwickelten Grundsätzen analog zur Anwendung. Es gilt das oben (Rz. 21.41 ff.) zum Verwässerungsschutz der Aktionäre der aufnehmenden Gesellschaft bei der Verschmelzung Gesagte: Der Schutz der Aktionäre der Bietergesellschaft erfordert eine vergleichende Bewertung des Sacheinlagegegenstandes mit dem Wert des Gesellschaftsvermögens vor der Kapitalerhöhung.4

21.49

– Ausnutzung eines genehmigten Kapitals: Ein genehmigtes Kapital eignet sich zur Schaffung der „Akquisitionswährung“ für ein öffentliches Tauschangebot, wenn das Bezugsrecht bereits in dem Hauptversammlungsbeschluss über die Schaffung des genehmigten Kapitals ausgeschlossen oder der Vorstand gem. § 203 Abs. 2 AktG zum Ausschluss des Bezugsrechts bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals ermächtigt worden ist. Spätestens seit

21.50

1 §§ 29 ff. WpÜG; zum Ergänzungsanspruch beim Tauschangebot: BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12, NZG 2014, 985 = AG 2014, 662; eingehend zum Folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 433 ff. 2 Auch beim Pflichtangebot i.S.d. § 35 WpÜG ist eine aus Aktien einer börsennotierten Bietergesellschaft bestehende Gegenleistung nicht a limine ausgeschlossen. Wegen der obligatorischen Baralternative des § 31 Abs. 3 WpÜG kommt ein reines „Pflichttauschangebot“ aber nur in Betracht, wenn die Bietergesellschaft, deren Tochterunternehmen bzw. mit ihr gemeinsam handelnde Personen, es vermieden haben, in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 WpÜG bis zum Ablauf der Annahmefrist insgesamt mindestens 5 % der Aktien oder Stimmrechte an der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung zu erwerben; dazu Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 66 ff. 3 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40 (51). 4 Siehe schon Hoffmann-Becking in FS Wiedemann, 2002, S. 999 (1003); vgl. auch Göz in Bürgers/ Körber, § 255 AktG Rz. 5.

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§ 21 Rz. 21.50

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der Siemens/Nold-Entscheidung des BGH1 ist dies eine verbreitete Gestaltungsform. In dieser Variante gibt es im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung keinen Hauptversammlungsbeschluss, gegen den ein Bietergesellschaftsaktionär im Wege einer auf § 255 Abs. 2 AktG gestützten Anfechtungsklage vorgehen könnte. Das in § 255 Abs. 2 AktG enthaltene materielle Verwässerungsverbot gilt aber dennoch: Der Vorstand handelt pflichtwidrig, wenn er bei der Sachkapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss so viele junge Aktien ausgibt, dass den vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Altaktionären eine vermögensmäßige Verwässerung zugemutet wird.2 Gegen eine solche Pflichtwidrigkeit können Bietergesellschaftsaktionäre mit einer gegen die Gesellschaft gerichteten Feststellungsklage vorgehen.3

21.51 – Verwendung vorhandener eigener Aktien: Zur Erfüllung der Verbindlichkeiten aus einem öffentlichen Tauschangebot kommt auch die Verwendung von Aktien, welche die Gesellschaft zuvor nach Maßgabe des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erworben hat, in Betracht. Mit Rücksicht auf die 10%-Schwelle des § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG unterliegt diese Möglichkeit jedoch engen Begrenzungen. Nur ein öffentliches Tauschangebot mit einem vergleichsweise kleinen Volumen kann demnach (ausschließlich) mit zurückerworbenen eigenen Aktien bedient werden. In diesem Sonderfall stellt sich die Frage, ob das materielle Verwässerungsverbot des § 255 Abs. 2 AktG auch für eine Wiederveräußerung eigener Aktien gilt, wenn die Aktionäre der Gesellschaft dabei ganz oder teilweise aus dem Kreis der potentiellen Erwerber ausgeschlossen werden. Diese nur vereinzelt aufgeworfene Frage ist mit Bezzenberger4 zu bejahen, wenn die Veräußerung (wie bei einem öffentlichen Tauschangebot) außerhalb der Börse stattfindet: Die Wiederveräußerung von nach § 71 AktG von der Gesellschaft erworbenen eigenen Aktien ist kein gewöhnliches Umsatzgeschäft, sondern „eine mitgliedschaftliche Angelegenheit und mit der Ausgabe neuer Aktien aus einer Kapitalerhöhung wesensverwandt“.5 Deshalb begründet § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG für den Fall, dass die Wiederveräußerung eigener Aktien nicht gleichmäßig an alle Aktionäre und nicht über die Börse erfolgt, eine Kompetenz der Hauptversammlung und verweist auf § 186 Abs. 3 und Abs. 4 AktG. Dieser Verweisung ist zu entnehmen, dass eine Wiederveräußerung, die nicht gleichmäßig an alle Aktionäre und nicht über die Börse erfolgt, von denselben Voraussetzungen abhängig gemacht wird wie die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss. Auf § 255 Abs. 2 AktG wird in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG nicht ausdrücklich verwiesen. Es wäre jedoch widersprüchlich, den aus dem 1 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815. 2 Unstr., vgl. nur BGH v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, AG 2009, 446; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (140) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 35; Wamser in Spindler/Stilz, § 203 AktG Rz. 87. Derselben Pflichtbindung unterliegt der Aufsichtsrat bei der Zustimmung nach § 204 Abs. 1 Satz 2 AktG (ggf. i.V.m. § 203 Abs. 2 AktG). 3 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, AG 2006, 38 = NJW 2006, 374; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (140) = AG 1997, 465 unter Verweis auf den prozessualen Teil der „Holzmüller“-Entscheidung (BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 – Holzmüller, BGHZ 83, 122 [125, 133 ff.] = AG 1982, 158). Zunächst war umstritten, ob die Aktionäre vor der Ausnutzung des genehmigten Kapitals durch den Vorstand über die Details und die Begründung eines Bezugsrechtsausschlusses analog § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG in einem Bericht informiert werden müssen. Diese Frage wurde vom BGH (BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (244 ff.) = AG 2006, 36 = NJW 2006, 371) dahingehend geklärt, dass es eines solchen Vorabberichts nicht bedarf, s. dazu Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 36 m.w.N. 4 Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, 2002, S. 129. 5 Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, 2002, S. 129.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.55 § 21

Kreis der potentiellen Erwerber ausgeschlossenen Bietergesellschaftsaktionären zwar den Verwässerungsschutz des § 186 Abs. 3 und Abs. 4 AktG zu gewähren, sie aber ausgerechnet der Gefahr einer vermögensmäßigen Verwässerung schutzlos auszusetzen.1 Unabhängig davon, wie die als „Akquisitionswährung“ gebrauchten Aktien geschaffen werden, gilt somit für das Tauschangebot auf der Ebene der Bietergesellschaft das materielle Verwässerungsverbot des § 255 Abs. 2 AktG (analog). Dieses verbietet eine vermögensmäßige Schlechterstellung der Bieteraktionäre im Vergleich zum status quo ante. Wie bei der Verwässerung ist es jedoch nicht verboten, Zusatzvorteile, die sich aus erwarteten Verbundvorteilen ergeben, disproportional zwischen den Bietergesellschaftsaktionären und den Zielgesellschaftsaktionären aufzuteilen (s. Rz. 21.45).

21.52

6. Übrige Fälle des Verwässerungsschutzes nach § 255 Abs. 2 AktG Über die bisher erörterten Fälle hinaus gilt das materielle Verwässerungsverbot des § 255 21.53 Abs. 2 AktG für jede Art der Sachkapitalerhöhung, bei der die vorhandenen Aktionäre vom Bezug der jungen Aktien ausgeschlossen sind oder werden. In allen diesen Fällen muss die Zahl der jungen Aktien so bemessen sein, dass es zu keiner Quersubventionierung der Neuaktionäre durch eine vermögensmäßige Verwässerung bei den vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Altaktionären kommt. Es gelten die soeben für die Fallkonstellation der öffentlichen Tauschangebote erörterten Grundsätze (jeweils in den drei Fallkonstellationen (i) reguläre Kapitalerhöhung; (ii) Ausnutzung eines genehmigten Kapitals und (iii) Verwendung zuvor erworbener eigener Aktien). Hierher gehört auch der Fall, dass bei der Abfindung in Aktien in den Fällen des § 305 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AktG (s. Rz. 21.25 ff.) die Obergesellschaft bzw. die Gesellschaft an der Konzernspitze Aktien als „Abfindungswährung“ benötigt, um ihren Verpflichtungen aus dem Unternehmensvertrag nachzukommen. Gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG kann sie zu diesem Zweck – in den Volumengrenzen des § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG (10 % des Grundkapitals) – Aktien von ihren Aktionären zurückerwerben, ohne dass es eines Ermächtigungsbeschlusses i.S.d. § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG bedarf. Alternativ hierzu kann sie diese Aktien durch eine Kapitalerhöhung schaffen. Dabei steht ihr neben der regulären Kapitalerhöhung und dem genehmigten Kapital auch die bedingte Kapitalerhöhung gem. § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG zur Verfügung.2 Für alle diese Maßnahmen gilt jedoch das in § 255 Abs. 2 AktG enthaltene materielle Verwässerungsverbot, wenn die Altaktionäre der Obergesellschaft bzw. der Gesellschaft an der Konzernspitze vom Bezug der jungen Aktien ausgeschlossen sind. Wie bei der Verschmelzung bestehen allerdings insoweit Spielräume, als mit Verbundvorteilen zu rechnen ist (s. Rz. 21.45).

21.54

7. Kapitalaufbringung und Werthaltigkeitsprüfung Eine weitere Gruppe von Bewertungsanlässen bei der Sachkapitalerhöhung ergibt sich aus den aktienrechtlichen Kapitalaufbringungsgrundsätzen. Diese Grundsätze greifen bei der Sachgründung und – praktisch viel wichtiger – bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage,

1 Vgl. auch OLG Hamm v. 29.8.1983 – 8 U 304/82, ZIP 1983, 1332 (1334); Saria, NZG 2000, 458 (461); a.A. bei fehlenden Vorgaben hinsichtlich des Veräußerungspreises Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 141. 2 Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 14.

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21.55

§ 21 Rz. 21.55

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

sei es im Wege des Direktbeschlusses bei der regulären Sachkapitalerhöhung gem. §§ 183, 183a AktG, sei es bei der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals gem. §§ 202, 205 AktG.

21.56 Während der soeben abgehandelte § 255 Abs. 2 AktG dem Schutz des Vermögens der außenstehenden Aktionäre vor einer vermögensmäßigen Verwässerung dient, geht es hier (ausschließlich)1 um Gläubigerschutz. Die Bewertung ist jeweils erforderlich, um im Interesse der gegenwärtigen und künftigen Gesellschaftsgläubiger sicherzustellen, dass die Vermögenswerte, welche als Sacheinlagegegenstand eingebracht werden, zumindest den in der Gründungsbzw. Kapitalerhöhungsdokumentation festgelegten Ausgabebetrag erreichen (so dass die Sachkapitalerhöhung für die Gesellschaftsgläubiger eine ebenso „sichere Sache“ ist, wie wenn es sich um eine Barkapitalerhöhung handeln würde).

21.57 Der jeweils festgelegte Ausgabebetrag darf den Nennbetrag (geringsten Ausgabebetrag) nicht unterschreiten (§ 9 Abs. 1 AktG). Er kann ihn überschreiten (§ 9 Abs. 2 AktG), muss dies aber nicht – auch dann nicht, wenn der Verkehrswert des Sacheinlagegegenstands deutlich über dem Nennbetrag (geringsten Ausgabebetrag) liegt.

21.58 Für die Zwecke des vorliegenden Handbuchs interessiert in diesem Kontext der Unterfall, dass es sich bei dem eingebrachten Sacheinlagegegenstand um ein Unternehmen handelt, und zwar entweder auf der „Asset-Ebene“ als Gesamtheit von Aktiva, Passiva, Vertragsbeziehungen usw. oder auf der „Share-Ebene“ in Form von Gesellschaftsanteilen, die eine wesentliche Beteiligung an einer Gesellschaft konstituieren, welche ihrerseits wiederum ein Unternehmen trägt. Die beiden für die rechtsgeleitete Unternehmensbewertung wesentlichen Aspekte sind in diesem Zusammenhang

21.59 – erstens der Schwellenwert (Ausgabebetrag), welchen der Wert des Sacheinlagegegenstandes mindestens erreichen muss, damit den aktienrechtlichen Anforderungen an die reale Kapitalaufbringung Genüge getan ist (dazu sogleich Rz. 21.61 ff.) und

21.60 – zweitens die rechtlichen Vorgaben für die Unternehmensbewertung, welche durchgeführt werden muss, um feststellen zu können, dass der jeweils relevante Schwellenwert im Einzelfall erreicht worden ist (dazu Rz. 21.71 ff.).2

1 Eine Mindermeinung (Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 183 AktG Rz. 85; Servatius in Spindler/Stilz, § 183 AktG Rz. 80 m.w.N.) möchte Aspekte des Schutzes der außenstehenden Aktionäre auch an dieser Stelle mit einbeziehen, so dass das System der §§ 27, 32, 33, 33a, 183a, 205 AktG bei Sachgründung und Sachkapitalerhöhung neben dasjenige des § 255 Abs. 2 AktG tritt, zugunsten der Minderheit also „doppelt genäht“ wird. Dies ist mit Verse, ZGR 2012, 875 (882 f.) abzulehnen: Das System der §§ 27, 32, 33, 33a, 183a, 205 AktG dient allein dem Gläubigerschutz. Es steht im Belieben der an einer Sachgründung oder einer Sachkapitalerhöhung Beteiligten, ob in einer Pari-Emission (lediglich) zum geringsten Ausgabebetrag Aktien begeben werden oder in einer Überpari-Emission zu einem Ausgabebetrag, welcher ein korporatives Agio mit einschließt. Entscheiden sie sich für Letzteres, so ist der Gläubigerschutz entsprechend stärker und, als Reflex, auch der zu § 255 Abs. 2 AktG hinzukommende Schutz der Minderheitsaktionäre vor einer vermögensmäßigen Verwässerung. Weder die Gläubiger noch die Aktionäre haben aber ein Recht oder einen Anspruch auf die Wahl der Gestaltungsmöglichkeit unter Einschluss des korporativen Agio. Vgl. hierzu auch Rz. 21.62 und Rz. 21.66. 2 Zu den Vereinfachungen nach § 33a AktG bei marktgängigen Wertpapieren und sachverständig bewerteten Vermögensgegenständen s. Rz. 21.75.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.64 § 21

a) Maßgeblicher Schwellenwert für die Werthaltigkeitsprüfung Die Bestimmung des für die Kapitalaufbringung maßgeblichen Schwellenwertes ist im Aktienrecht etwas weniger eindeutig als im Recht der GmbH, wo stets der Nennbetrag der übernommenen Geschäftsanteile Bezugspunkt für sachverständige Prüfung, gerichtliche Prüfung und Differenzhaftung ist (dazu Rz. 24.49 ff.). Im Aktienrecht sind dagegen zwei Fallgruppen zu unterscheiden:

21.61

– Pari-Emission: Sowohl bei der Gründung als auch bei der Kapitalerhöhung steht es den Beteiligten frei, als Ausgabebetrag den geringsten Ausgabebetrag i.S.d. § 9 Abs. 1 AktG festzusetzen. Dieser entspricht dem Nennbetrag bzw., was rechnerisch dasselbe ist, bei Stückaktien dem auf die jungen Aktien entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals. Diese Gestaltungsmöglichkeit steht bei der Sachgründung- bzw. -kapitalerhöhung ebenso zur Verfügung wie bei der Bargründung bzw. -kapitalerhöhung, und zwar bei der Sachkapitalerhöhung unabhängig davon, ob das Bezugsrecht ausgeschlossen wird oder nicht.1 Diese Gestaltung ist in der Praxis sehr verbreitet. Sie führt dazu, dass die Einlagepflicht des Inferenten gem. § 36a Abs. 2 Satz 3 Var. 1 AktG auf den (hier gewählten: geringsten) Ausgabebetrag begrenzt ist, § 54 Abs. 1 AktG. Es gibt m.a.W. kein Gebot der Festsetzung des Ausgabebetrags in Höhe des Verkehrswerts der Sacheinlage.2

21.62

Wird von dieser Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, so erreicht man ein der Rechtslage bei der GmbH vergleichbares Ergebnis:

21.63

– Prüfung: Wird bei der Sachgründung kein (korporatives) Agio (dazu sogleich Rz. 21.66) festgesetzt, so ist der Nennbetrag (geringster Ausgabebetrag) der Bezugspunkt für die Prüfung der Werthaltigkeit durch die Verwaltung und durch den Gründungsprüfer.3 Den gesetzlichen Anforderungen ist in diesem Fall Genüge getan, wenn der Wert des Sacheinlagegegenstands den Nennbetrag (geringsten Ausgabebetrag) erreicht; hierauf ist die Prüfung

21.64

1 Ganz h.M., vgl. nur Verse, ZGR 2012, 875 (882 f.); Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 4 Rz. 13 ff.; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 46; Hüffer/Koch, § 183 AktG Rz. 9; Priester in FS Lutter, 2000, S. 617 (627 ff.). Eine Mindermeinung (Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 183 AktG Rz. 85; Servatius in Spindler/Stilz, § 183 AktG Rz. 80 m.w.N.) fordert – vor allem mit Blick auf Fälle mit Bezugsrechtsausschlusses – die Festsetzung eines dem Verkehrswert des Einlagegegenstands entsprechenden Ausgabebetrags. Sie will so die Ausgangslage dafür schaffen, dass sich die sachverständige Prüfung und die registergerichtliche Prüfung ebenfalls auf diesen (hohen) Betrag beziehen, was den Minderheitsgesellschaftern zu einem zusätzlichen präventiven Verwässerungsschutz verhelfen würde. Dies ist mit den Argumenten von Verse, ZGR 2012, 875 (885) abzulehnen: Hier wird ohne Not das gläubigerschützende System der §§ 27, 32, 33, 33a, 183a, 205 AktG mit dem aktionärsschützenden System des § 255 Abs. 2 AktG vermengt. Dies erscheint systematisch falsch. Der Individualschutz wird im deutschen Recht (allein) über § 255 Abs. 2 AktG sowie über die Schadensersatzhaftung nach §§ 93, 116 AktG (i.V.m. der Möglichkeit einer Sonderprüfung) sichergestellt. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 49 Abs. 2 Gesellschaftsrechtsrichtlinie: Aus dieser Regelung des europäischen Sekundärrechts folgt allenfalls, dass als Schwellenwert für die sachverständige Prüfung das korporative Agio mitberücksichtig werden muss, wenn es denn in der Dokumentation der Sachgründung bzw. Sachkapitalerhöhung vorgesehen ist (sogleich Rz. 21.68 f.). Aus der Kapitalrichtlinie folgt aber keinesfalls ein Gebot, statt der Pari-Emission die Überpari-Emission zu wählen, also ein korporatives Agio überhaupt vorzusehen. Dies gilt auch im Falle einer Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss. 2 Treffend Baums in FS Hommelhoff, 2012, S. 61 (68). Siehe auch die in Rz. 21.62 Fn. 2 Genannten. Zur bilanziellen Behandlung bei der bloßen Pari-Emission trotz höheren Verkehrswerts der Sacheinlage Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rz. 42.29. 3 § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG.

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§ 21 Rz. 21.64

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

beschränkt.1 Dies wird sodann dem Handelsregister gegenüber versichert2 und derselbe Schwellenwert des Nennbetrags (geringster Ausgabebetrag) ist für die Prüfung durch den Registerrichter maßgeblich. Dasselbe gilt kraft Verweisung für die Sachkapitalerhöhung.3

21.65 – Differenzhaftung: Anders als im Recht der GmbH4 fehlt es im Aktienrecht an einer gesetzlichen Regelung der Differenzhaftung. Gleichwohl herrscht Einigkeit, dass den Inferenten gegenüber der Gesellschaft eine verschuldensunabhängige Haftung trifft, wenn und soweit der Wert des Sacheinlagegegenstandes hinter dem Ausgabebetrag zurückbleibt.5 In dem Grundfall, dass als Ausgabebetrag der Nennbetrag (geringster Ausgabebetrag) festgesetzt worden ist, beläuft sich die Haftung des Inferenten somit auf die Differenz zwischen dem Wert der Sacheinlage und dem Nennbetrag (geringster Ausgabebetrag). Damit ergibt sich dasselbe Bild wie bei der GmbH.

21.66 – Überpari-Emission (mit korporativem Agio): Stattdessen können die Beteiligten die maßgebliche Schwelle (signifikant) anheben, indem sie gem. § 9 Abs. 2 AktG einen höheren Ausgabebetrag festsetzen.6 In diesem Fall wird ein korporatives (mitgliedschaftliches) Agio festgesetzt, welches sodann Teil der gesellschaftsrechtlichen und damit gläubigerschützenden Einlagepflicht der Inferenten nach § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG ist:7 Das korporative Agio (Aufgeld) setzt, wenn es in der Dokumentation zu einem Teil des Ausgabebetrags gemacht wird,8 den Schwellenwert für die „Leistung der Einlage“ i.S.d. § 54 Abs. 1 AktG nach oben.

21.67 Wird von dieser Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, so gelangt man zu einem gegenüber der GmbH deutlich strengeren Regime:

21.68 – Sachverständige Prüfung: Obwohl in § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG nur von dem „geringsten Ausgabebetrag“ die Rede ist, ergibt sich aus dem korporativen Agio, wenn es in der Gründungs- oder Kapitalerhöhungsdokumentation vorgesehen ist, der für die Prüfung der Werthaltigkeit durch die Verwaltung und durch den Gründungsprüfer maßgebliche Schwellenwert. Der Wert der Sacheinlage muss also in diesem Falle nicht nur den geringsten Ausgabebetrag, sondern darüber hinaus auch das korporative Agio decken, wie es sodann auch in der Handelsregisteranmeldung erklärt wird.9 Mit Blick auf die Rolle des Gründungsprüfers ist diese weite Auslegung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG wegen Art. 49 Abs. 2 der 1 2 3 4 5 6

Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rz. 42.35. § 37a Abs. 1 Satz 3 AktG i.V.m. § 36a Abs. 2 Satz 3 Var. 1 AktG. §§ 183 Abs. 3, 205 AktG. §§ 56 Abs. 2, 9 Abs. 1 Satz 1 GmbHG; hierzu Rz. 24.50. Statt aller Verse, ZGR 2012, 875 f. Dies muss ausdrücklich geschehen (Heider in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 9 AktG Rz. 33; Hüffer/Koch, § 9 AktG Rz. 8). Wenn kein Ausgabebetrag festgesetzt wird erfolgt die Ausgabe zum geringsten Ausgabebetrag, es wird also kein Gebrauch von der Gestaltungsvariante mit dem korporativen Agio gemacht (vgl. Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 32). Keinen Gebrauch von der Gestaltungmöglichkeit der Festsetzung eines korporativen Agio machen die Beteiligten auch dann, wenn sie lediglich ein schuldrechtliches Agio vereinbaren; dazu Baums in FS Hommelhoff, 2012, S. 61 (74 ff.) (81 f. zum Verhältnis zu § 255 Abs. 2 AktG). Ebenso wenig wird ein korporatives Agio vereinbart, wenn gesagt wird, dass (die Aktien zum geringsten Ausgabebetrag ausgegeben werden, während Einigkeit darüber besteht, dass) der übersteigende Wert des Sacheinlagegegenstandes in die Kapitalrücklage zu buchen ist. 7 Plastisch Verse, ZGR 2012, 875 (880). 8 Zu den Gründen dafür, die Gestaltungsvariante mit einem korporativen Agio zu wählen, Baums in FS Hommelhoff, 2012, S. 61 (62 f.). 9 §§ 37 Abs. 1 Satz 1, 36a Abs. 2 Satz 3 AktG.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.71 § 21

Gesellschaftsrechtsrichtlinie1 die einzig europarechtskonforme.2 Die Beschränkung der Prüfung durch den Sachverständigen auf den geringsten Ausgabebetrag würde den europarechtlichen Vorgaben wiedersprechen.3 Dasselbe gilt für die Sachkapitalerhöhung.4 – Registergerichtliche Prüfung: Es ist ferner umstritten, ob die registergerichtliche Prüfung sich darauf erstreckt, dass ein korporatives Agio vom Wert des Sacheinlagegegenstands gedeckt ist, obwohl in § 38 Abs. 2 Satz 2 AktG nur vom geringsten Ausgabebetrag die Rede ist.5

21.69

– Differenzhaftung: Lange war zudem umstritten, ob sich die Differenzhaftung bei der Aktiengesellschaft auch auf das korporative Agio erstreckt.6 In seiner Babcock-Entscheidung von 2011 hat der BGH dies bejaht.7 Damit hat der BGH aber nicht der oben beschriebenen Gestaltungsvariante der bloßen Pari-Emission den Weg abgeschnitten; die an einer Sachgründung oder Sachkapitalerhöhung Beteiligten können nach wie vor auf ein korporatives Agio verzichten.8 In diesem Fall beschränkt sich die Haftung lediglich auf die Differenz zwischen dem tatsächlichem Wert und dem geringstem Ausgabebetrag (Rz. 21.65).

21.70

b) Rechtliche Methodenvorgaben für die Werthaltigkeitsprüfung aa) Regelfall der Bewertung im Rahmen der Werthaltigkeitsprüfung Rechtlich vorgegebener Zweck der Bewertung im Rahmen der Werthaltigkeitsprüfung bei einer Sacheinlage ist es, die Gesellschaftsgläubiger mit Blick auf ihr (gedachtes) Vertrauen in die reale Kapitalaufbringung so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn es zu einer Bargründung bzw. Barkapitalerhöhung gekommen wäre.9 Feste Bezugsgröße der Bewertung ist dabei der Ausgabebetrag (mit oder ohne korporatives Agio). Ihn muss der Wert des Sacheinlagegegenstands erreichen oder übersteigen. Der Sachverständige hat bei der Werthaltigkeitsprüfung keine besonderen Prognose- oder Bewertungsspielräume; seine Stellung entspricht insofern der eines Verschmelzungsprüfers oder Prüfers einer angemessenen Abfindung beim Squeezeout, bei der Begründung eines Vertragskonzerns oder bei der Eingliederung, nicht hingegen der eines Schiedsgutachters.10 1 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts. 2 Hüffer/Koch, § 34 AktG Rz. 3. 3 Eindeutig nunmehr BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 – Rz. 19 – Babcock, BGHZ 191, 364 = AG 2012, 87 = NZG 2012, 69. 4 Verweisung in § 183 Abs. 3 AktG, für die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals i.V.m. 205 Abs. 5 AktG. Dazu Baums in FS Hommelhoff, 2012, S. 61 (69). 5 Dafür die wohl h.M., s. etwa Bayer in K. Schmidt/Lutter, § 34 AktG Rz. 7 sowie Hüffer/Koch, § 38 AktG Rz. 9. Kritisch Baums in FS Hommelhoff, 2012, S. 61 (65 f.). Art. 49 Abs. 2 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie spielt hier jedenfalls keine Rolle, da diese Vorschrift sich auf die sachverständige Prüfung bezieht, nicht aber auf die Prüfung durch den Registerrichter. 6 Umfassende Nachweise bei Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rz. 42.39. 7 BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 – Babcock, BGHZ 191, 364 = AG 2012, 87 = NZG 2012, 69. 8 Etwas anderes kann auch nicht aus der in ihrem konkreten Gehalt unklar bleibenden Bezugnahme auf § 255 Abs. 2 AktG am Ende von Rz. 18 der „Babcock“-Entscheidung geschlossen werden, so zu Recht Verse, ZGR 2012, 875 (883 f.). Siehe im Übrigen schon Rz. 21.66. 9 Zu der hier nicht erörterten Frage der Rechnungslegung, mit welchem Wert der Sacheinlagegegenstand maximal in der Bilanz der Gesellschaft aktiviert werden darf vgl. Busch in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rz. 42.29 ff. 10 BGH v. 21.6.2011 – II ZR 22/10, AG 2011, 823 (824).

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21.71

§ 21 Rz. 21.72

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

21.72 Anders als bei § 255 Abs. 2 AktG bedarf es keiner Relationalbewertung, sondern (nur) der Bewertung des als Sacheinlagegegenstand eingebrachten Unternehmens,1 wobei es auch hier keine Punktlandung geben kann, sondern „wie bei der Ermittlung der Abfindung des ausscheidenden Aktionärs in den Fällen der §§ 305 Abs. 1, 327a AktG auch bei der Bewertung einer Sacheinlage […] letztlich nur [die] Ermittlung eines angemessenen – in der Betriebswirtschaftslehre auch als „fair value“ bezeichneten – Unternehmenswerts“.2 Wie in den Fällen der §§ 305 Abs. 1, 327a AktG schreibt das Recht keine bestimmte Bewertungsmethode vor. Die Ertragswertmethode ist regelmäßig angemessen, daneben kommen aber auch andere Ansätze in Betracht, wie die Discounted Cash Flow Methode (dazu § 10), oder die Orientierung an Preisen, welche für den betreffenden Sacheinlagegegenstand in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang in einer unverzerrten Markttransaktion bezahlt worden sind.3

21.73 Bei der Pari-Emission ist die Werthaltigkeitsprüfung unproblematisch, wenn der Nennbetrag (geringster Ausgabebetrag) offensichtlich unter dem Wert des eingebrachten Unternehmens liegt, unabhängig von der gewählten Bewertungsmethode. Bei der Überpari-Emission kann es sein, dass der Ausgabebetrag in der Nähe des Verkehrswerts festgelegt wird; in diesem Fall ist die Werthaltigkeitsprüfung anspruchsvoller. Zur Reduktion von Komplexität empfiehlt es sich daher auch bei der Überpari-Emission, das korporative Agio so festzulegen, dass zum Verkehrswert ein gewisser „Puffer“ verbleibt. Dies ist, genau wie die Pari-Emission, auch dann zulässig, wenn die Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss erfolgt (s. Rz. 21.62). Der Schutz der außenstehenden Aktionäre nach § 255 Abs. 2 AktG wird hierdurch nicht beeinträchtigt, denn für § 255 Abs. 2 AktG kommt es auf die relativen, tatsächlichen Wertverhältnisse an, unabhängig davon, wie der Ausgabebetrag festgelegt worden ist (s. Rz. 21.62).

21.74 Die Bewertungsperspektive ist für diesen Bewertungsanlass vergleichsweise einfach zu bestimmen: Es kommt auf die Sicht der konkreten Gesellschaft in der konkreten Situation der jeweiligen Sachgründung oder Sachkapitalerhöhung an. Zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger muss die Mehrung des Gesellschaftsvermögens, zu der es aufgrund der Sacheinlage kommt, den Ausgabebetrag erreichen oder überschreiten. Aus diesem Grund sind Verbundvorteile (soweit sie der Gesellschaft zugutekommen) ebenso werterhöhend zu berücksichtigen4 wie nicht betriebsnotwendiges Vermögen. Auch für die übrigen bewertungsrelevanten Attribute des Bewertungssubjekts (wie etwa das anwendbare Steuerregime) kann auf die Verhältnisse der Gesellschaft in der konkreten Situation abgestellt werden. Auf dieser Grundlage hat die Bewertung objektiv zu erfolgen, insbesondere in dem Sinne, dass Zukunftserfolgswerte ihre Basis in einer hinreichend sicheren Planung haben müssen (und nicht lediglich in unsubstantiierten Hoffnungen, die sich für die Mehrheit oder die Verwaltung mit der Unternehmensakquisition verbinden). Wegen des Normzwecks des Gläubigerschutzes kann hier (anders als bei § 255 Abs. 2 AktG, dazu Rz. 21.44 f.) von einem unternehmerischen Bewer-

1 OLG Frankfurt v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, AG 1999, 231 = NZG 1999, 119 (212) (unter 7.). 2 BGH v. 21.6.2011 – II ZR 22/10, AG 2011, 823 (824). Für die Zwecke der Differenzhaftung wird allerdings am Ende doch ein genauer Euro-Betrag zu bestimmen sein. Dies erfolgt im Wege der gerichtlichen Schätzung nach § 287 ZPO (BGH v. 21.6.2011 – II ZR 22/10, AG 2011, 823 [824]); s. auch Rz. 24.52. 3 Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (496). Zu den Vereinfachungen nach § 33a AktG bei marktgängigen Wertpapieren und sachverständig bewerteten Vermögensgegenständen s. unten Rz. 21.75. 4 Ebenso für die GmbH Rz. 24.53.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.78 § 21

tungsspielraum keine Rede sein. Der Liquidationswert bildet die Wertuntergrenze,1 denn der Betrag, welcher sich im Wege der Liquidation erlösen ließe, steht den Gläubigern in jedem Falle als Haftungsfonds zur Verfügung. bb) EU-rechtlich vorgegebene Befreiungstatbestände nach § 33a AktG In Umsetzung der Gesellschaftsrechtsrichtlinie2 (als Nachfolgerin der Kapitalrichtlinie3) sieht § 33a AktG für bestimmte Konstellationen Erleichterungen der sachverständigen Werthaltigkeitsprüfung vor, und zwar für den Fall der Einbringung (i) von Wertpapieren, die an einem organisierten Markt gehandelt werden oder (ii) von Vermögensgegenständen, für die in den letzten sechs Monaten durch einen hinreichend qualifizierten und unabhängigen Sachverständigen der beizulegende Zeitwert (fair value) ermittelt worden ist. Diese Erleichterungen stellen eine Option dar: Die Beteiligten können, müssen aber nicht von ihr Gebrauch machen. Die Option steht nicht zur Verfügung unter den Voraussetzungen des § 33a Abs. 2 AktG (verzerrte Märkte; Wertverlust aufgrund neuer Umstände seit der sachverständigen Begutachtung). Wird von ihr Gebrauch gemacht, so findet eine externe Gründungsprüfung nicht statt.4 Gleiches gilt (als Ausnahme von § 183 Abs. 3 AktG) auch für die Sachkapitalerhöhung.5

21.75

Entscheiden sich die Beteiligten für diese Erleichterungsmöglichkeit, so ist eine Reihe zusätzlicher Verfahrensschritte erforderlich. Bei der praktisch am relevantesten Kapitalerhöhung sind dies:6

21.76

– Zusätzliche Versicherung nach § 37a Abs. 2 AktG; – Bekanntmachung nach § 183a Abs. 2 Satz 1 AktG; und – vierwöchige Registersperre nach § 183a Abs. 2 Satz 2 AktG. Zudem können bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 33a Abs. 2 AktG (s.o.) Aktionäre mit einer Kapitalmehrheit von mindestens 5 % nach § 183 Abs. 3 AktG verlangen, dass doch noch ein Prüfer bestellt wird. All dies erschwert es der Praxis, von den EU-Vereinfachungen verlässlich Gebrauch zu machen.

21.77

8. Delisting und Downgrading In Folge der Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie7 und der hiermit erfolgten Einführung eines gesetzlichen Pflichtangebots in § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG (dazu 1 Für die GmbH ebenso Rz. 24.52; Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (492). 2 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, früher Kapitalrichtlinie 77/91/EWG des Rates vom 12.13.1976; geändert durch Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006 sowie Richtlinie 2006/99/EG vom 20.11.2006 und Richtlinie 2009/109/EG vom 16.9.2009; nunmehr konsolidierte Fassung Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012 (zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/24/EU vom 13.5.2013). 3 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 12.13.1976; geändert durch Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006 sowie Richtlinie 2006/99/EG vom 20.11.2006 und Richtlinie 2009/109/EG vom 16.9.2009; nunmehr konsolidierte Fassung Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012 (zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/24/EU vom 13.5.2013). 4 Hüffer/Koch, § 33a AktG Rz. 1. 5 Pentz in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 33a Rz. 12. 6 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rz. 42.33. 7 Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22. Oktober 2013 vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und

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21.78

§ 21 Rz. 21.78

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Rz. 18.17 ff.) können sich nunmehr auch in Delisting- bzw. Downgrading-Sachverhalten Bewertungsanlässe ergeben. Im Grundsatz bildet zwar der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Ankündigung des Erwerbsangebots die Grundlage für die Berechnung der Gegenleistung (vgl. § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). In den Fällen des § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG (dazu Rz. 18.20) hat sich die Gegenleistung jedoch nicht am Börsenkurs der letzten sechs Monate zu orientieren.

21.79 Soweit die in § 39 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 BörsG aufgezählten Sachverhalte nicht bloß unwesentliche Auswirkungen auf den errechneten Börsendurchschnittskurs haben bzw. im Fall des § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG, hat die Gegenleistung in diesen Fällen „dem anhand einer Bewertung des Emittenten ermittelten Wert des Unternehmens“ zu entsprechen (§ 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG). Weder das BörsG noch das in § 39 BörsG in Bezug genommene WpÜG bzw. die WpÜG-AngebotsVO enthalten jedoch gesetzliche Vorgaben dazu, nach welchen Methoden die Unternehmensbewertung erfolgen muss. In den relevanten Sachverhalten dürfte dem tatsächlich ermittelten Börsenkurs wegen dessen mangelnder Aussagekraft bzw. Verfälschung nur noch eine allenfalls untergeordnete Bedeutung zukommen (dazu Rz. 18.19). Stattdessen hat die Bewertung mit Hilfe der in der Betriebswirtschaftslehre allgemein anerkannten Verfahren zur Unternehmensbewertung zu erfolgen,1 wobei der quotale Unternehmenswert (Fundamentalwert) zu ermitteln ist (dazu Rz. 18.35 ff.), der die Verhältnisse der Zielgesellschaft zur Zeit der Veröffentlichung der Ankündigung des Erwerbsangebots zu berücksichtigt.2 Die gewählte Methode der Unternehmensbewertung muss im der Angebotsunterlage offengelegt und dahingehend erläutert werden, warum die Anwendung der gewählten Methode angemessen ist (§ 2 Nr. 3 WpÜG-AngebotsVO).3

II. Rechtliche Methodenvorgaben für die Unternehmensbewertung 1. Abfindung in Geld

21.80 Die rechtlichen Methodenvorgaben, welche für die Angemessenheitsprüfung bei aktienrechtlichen Barabfindungsansprüchen gelten, sind in § 18 eingehend erörtert worden (Rz. 18.34 ff. und Rz. 18.65 ff.). Sie sind dieselben wie für die Angemessenheitsprüfung bei umwandlungsrechtlichen Barabfindungsansprüchen, etwa nach § 29 UmwG (dazu Rz. 22.50 ff.). Zur Vermeidung von Wiederholungen werden sie in diesem § 21 nur noch einmal kurz zusammengefasst. Dabei wird zwischen dem Regelfall der Barabfindung bei Verlust der Teilhabe an den unternehmerischen Erträgen (sogleich Rz. 21.81 ff.) und dem Sonderfall der Barabfindung des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG, umgesetzt durch Gesetz v. 20.11.2015, BGBl. I 2015, S. 2029. 1 Ebenso für Fälle des regulären Pflichtangebots im Falle eines Kontrollerwerbs nach §§ 29, 35 WpÜG Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 46, der – unter Verweis auf die Auffassung der BaFin sowie der Rechtsprechung – das Ertragswert- oder das Discounted-Cash-Flow-Verfahren präferiert. 2 Ebenso für Fälle des regulären Pflichtangebots im Falle eines Kontrollerwerbs nach §§ 29, 35 WpÜG Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 45. 3 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 32; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 84.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.87 § 21

bei bereits „verrenteten Aktien“ im Vertragskonzern (Rz. 21.103 ff.) unterschieden. Zuletzt wird die Abfindung in Aktien (Rz. 21.108 ff.) behandelt. a) Regelfall der Barabfindung bei Verlust der Teilhabe an den unternehmerischen Erträgen Bei der Barabfindung muss (nur) ein einziges Unternehmen bewertet werden, nämlich dasje- 21.81 nige der Gesellschaft, aus welcher der betroffene Minderheitsgesellschafter ausscheidet. Hierfür gibt die Rechtsprechung nach ihrem heute erreichten Stand zwei gedanklich scharf zu trennende Bewertungsperspektiven (vgl. Rz. 18.35) vor, nämlich: – erstens die Bewertung des Gesamtunternehmens mit dem Ziel der Ermittlung des („wahren“) quotalen Unternehmenswerts im Sinne eines nach der Liquidationshypothese ermittelten Fundamentalwerts des von der Aktiengesellschaft getragenen Unternehmens, welcher sodann anteilig auf die einzelnen Aktien umgelegt wird, und

21.82

– zweitens die Bewertung der einzelnen Aktien mit dem Ziel der Ermittlung desjenigen Betrags, der bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ an der Börse zu erlösen gewesen wäre (Veräußerungshypothese). In § 18 wurde dieser Wert als Deinvestitionswert definiert (Rz. 18.35, 18.41).

21.83

Die Barabfindung ist angemessen, wenn sie den quotalen Unternehmenswert erreicht oder überschreitet, wobei die Schwelle des Deinvestitionswerts nicht unterschritten werden darf. Beide Werte sind (ggf. unter Hinzuziehung betriebswirtschaftlicher Sachverständiger) zu schätzen:

21.84

– Ob man sich bei der Schätzung des quotalen Unternehmenswerts besser an den Börsenkursen (markbasierte Bewertung) oder an aus der Planung abgeleiteten Zukunftserfolgserwartungen (Ertragswertmethode) oder einem angemessenen Methodenmix orientiert, ist eine Frage des Einzelfalls – weswegen in jedem Einzelfall die Methodenauswahl transparent und sorgfältig durchzuführen und zu begründen ist.

21.85

– Bei der Schätzung des Deinvestitionswerts hat man sich grundsätzlich an den Börsenkursen zu orientieren. Eng auszulegende Ausnahmen existieren bei Marktenge, fehlendem Handel und Marktmanipulation. In diesen Fällen wird gar kein Deinvestitionswert ermittelt (weil es an der realistischen Veräußerungsmöglichkeit fehlt, die der Deinvestitionswert abbildet).

21.86

– Im praktischen Ergebnis zerfallen die Einzelfälle somit in zwei Kategorien:

21.87

– Abfindung zum Börsenkurs: Kann man im Einzelfall den quotalen Unternehmenswert nach den Börsenkursen bestimmen, so fallen beide Wertkonzeptionen zusammen; die Abfindung zum Börsenkurs genügt dann den rechtlichen Methodenvorgaben in ihrer Gesamtheit. – Börsenkurs als Untergrenze: Erweist es sich – etwa wegen ungenügender allokativer Effizienz des betreffenden Aktienmarktes in dem betreffenden Zeitraum – als erforderlich, auf andere Methoden zur Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts zurückzugreifen, so bildet der Börsenkurs (genauer: der Deinvestitionswert) nach der DAT/ Altana-Rechtsprechung des BVerfG gleichwohl die Untergrenze. Liegt der Ertragswert unter dem Börsenkurs, so muss der abfindungsberechtigte außenstehende Aktionär zumindest den Börsenkurs erhalten. Denn er darf nicht schlechter gestellt werden, als er

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§ 21 Rz. 21.87

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

bei einer (in casu möglichen) freien Deinvestition seiner Aktien am Markt gestanden hätte. Im Einzelnen: aa) Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts (Fundamentalwert)

21.88 Zur Ermittlung des quotalen Unternehmenswerts muss das Gesamtunternehmen bewertet werden, nicht etwa der einzelne Anteil.1 Dies ist nur aus der (gedachten) Perspektive eines (gedachten) Gesamtunternehmensträgers möglich.2 Der aus der Gesellschaft gedrängte Minderheitsaktionär wird somit im Ergebnis ebenso gestellt, wie wenn die Gesellschaft im Zuge ihrer Liquidation das von ihr getragene Unternehmen transaktionskostenfrei veräußert hätte – und er sodann seinen quotalen Anteil am Liquidationserlös hätte einstreichen können (Gedanke des § 738 BGB)3. Es kommt mithin darauf an, welcher Preis bei der Veräußerung des Unternehmens als Ganzes erzielt würde.4 Diese Liquidationshypothese ist eine rechtliche Methodenvorgabe, an die der Richter und der betriebswirtschaftliche Sachverständige gleichermaßen gebunden sind.

21.89 Darüber hinaus gehende rechtliche Vorgaben, die den Gebrauch einer bestimmten Bewertungsmethode gebieten, gibt es nicht (und solche würden auch nicht den Intentionen des historischen Gesetzgebers entsprechen, s. Rz. 21.11). Rechtliche Anforderungen bestehen allerdings hinsichtlich des Verfahrens der Methodenauswahl. Insofern fordert bereits die Verfassung die Einhaltung „bestimmter Mindeststandards“5. Dabei ist nicht erforderlich, dass alle zur Verfügung stehenden Bewertungsmethoden kumulativ herangezogen werden.6 Verfassungsrechtlich erforderlich ist allerdings eine sorgfältige Begründung der methodischen Auswahlentscheidung,7 die zur Anwendung einer „im gegebenen Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode“ führen muss.8 Dabei ist klar – und wird von den Gerichten inzwischen durchgängig anerkannt9 – dass es allein um eine Approximation unter Gebrauch eines insgesamt höchst 1 Rz. 18.36; jüngst Wicke in FS Stilz, 2014, S. 706 (710). 2 Vgl. Rz. 20.4 ff.; Rz. 1.40 ff.; grundlegend Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (605) (Perspektive eines gedachten Erwerbers des Gesamtunternehmens); ebenso schon Hüttemann, ZHR 162 (1998), S. 563 (528 ff.). Dem folgen die „Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ des Arbeitskreises „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA vom Dezember 2012, S. 10, Abschnitt B (http://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Standards/DVFA_Best_ Practice_Empfehlungen_Unternehmensbewertung.pdf); das LG Köln empfiehlt in seinem Beschluss vom 8.9.2014 (Az. 82 O 2/09) eine Plausibilisierung der Unternehmensbewertung anhand der BestPractice-Empfehlungen der DVFA. 3 Zur Vorbildfunktion des § 738 BGB für den historischen Gesetzgeber im Aktienrecht s. Hüttemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 603 (605). 4 Siehe Rz. 18.24 mit umfassenden Nachweisen sowie Rz. 1.26. 5 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 6 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 117/09, 118/09, 128/09 – Rz. 18 – Deutsche Hypothekenbank, NZG 2012, 907 (908) = AG 2012, 625, betrifft übernahmerechtlichen Squeeze-out. Zu den Empfehlungen der Expertengruppe der DVFA s. Rz. 21.11, Rz. 21.88, Rz. 21.90. 7 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 8 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 117/09, 118/09, 128/09 – Rz. 18 – Deutsche Hypothekenbank, NZG 2012, 907 (908) = AG 2012, 625. 9 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Rz. 30 – Daimler/Chrysler, ZIP 2012, 1656 (1658) = AG 2012, 674; OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, AG 2012, 49.

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Adolff/Häller

Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.93 § 21

unvollkommenen Arsenals von Bewertungsinstrumenten gehen kann, eine Punktlandung also unmöglich ist.1 Die approximative Ermittlung des Fundamentalwerts erfolgt nach § 287 Abs. 2 ZPO im Wege der Schätzung durch das Gericht (eingehend § 34). In aller Regel unbedenklich ist die Approximation nach der Ertragswertmethode. Aber auch marktorientierte Methoden auf Grundlage des Börsenkurses sind akzeptabel, wenn diese Herangehensweise hinreichend begründet wird. Mit einer solchen Begründung kann auf die Bewertung nach der Ertragswertmethode auch einmal gänzlich verzichtet werden,2 beispielsweise wegen der erhöhten Transparenz- und Publizitätsanforderungen in einem regulierten Markt sowie zur Vermeidung überlanger Verfahrensdauern.3 Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe des Tatrichters, die „Vor- und Nachteile der verschiedenen Bewertungsverfahren gegeneinander abzuwägen und das nach seiner Überzeugung vorzugswürdige auszuwählen oder mehrere nebeneinander anzuwenden“4. Häufig wird es sich empfehlen, unterschiedliche Methoden nebeneinander zur Anwendung zu bringen, um so zu einem möglichst breit abgesicherten Gesamtbild – und damit zu einer Bandbreite angemessener Abfindungsbeträge – zu gelangen.5

21.90

Von dieser Frage nach den (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben bei der Methodenauswahl zu trennen ist die Frage, ob der anteilige Liquidationswert für die Barabfindung die Untergrenze bildet (hierzu eingehend Rz. 9.15 bis Rz. 9.42). Wer die Liquidationshypothese ernst nimmt (eingehend Rz. 18.36 ff.; Rz. 2.38 ff.), wird dies bejahen müssen.6

21.91

bb) Deinvestitionswert der einzelnen Aktie Die (verfassungs-)rechtlichen Methodenvorgaben für die Bestimmung des Deinvestitionswerts der einzelnen Aktie sind deutlich präziser als diejenigen für die Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts:

21.92

Wie bei der Ermittlung des quotalen Fundamentalwerts handelt es sich um eine Schätzung des Gerichts nach § 287 Abs. 2 ZPO. Diese erfolgt hier auf der Grundlage einer Veräußerungshypothese (im Einzelnen Rz. 18.41 ff.) die sich auf die Aktie, nicht etwa auf das Gesamtunternehmen bezieht. Gegenstand der Veräußerungshypothese ist, genau genommen, gar keine Unternehmensbewertung Rz. 18.49), sondern die möglichst realistische Simulation eines Verkaufs einzelner Aktien an der Börse (am Stichtag und in einer „ungestörten Welt mit unver-

21.93

1 Eingehend Rz. 18.40 und Rz. 22.16; jüngst ebenso Wicke in FS Stilz, 2014, S. 706 (712). 2 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511: verfassungsrechtlich akzeptiert, dass die Börsenkursrelation für die Konzernverschmelzung herangezogen wurde. 3 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 117/09, 118/09, 128/09 – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 (627) = NZG 2012, 907. 4 Fleischer, AG 2014, 97 (113). 5 Für eine solche Methodenvielfalt sprechen sich die „Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung“ des Arbeitskreises „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA vom Dezember 2012 aus (http://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Standards/DVFA_Best_Practice_ Empfehlungen_Unternehmensbewertung.pdf); das LG Köln empfiehlt in seinem Beschluss vom 8.9.2014 (Az. 82 O 2/09) eine Plausibilisierung der Unternehmensbewertung anhand der Best-Practice-Empfehlungen der DVFA. 6 Rz. 9.15 ff., ebenso Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 373, jeweils m.w.N. Für die Gegenauffassung Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 305 AktG Rz. 80 f., ebenfalls mit umfassenden Nachweisen.

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§ 21 Rz. 21.93

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

zerrten Märkten“).1 Dieser Deinvestitionswert ist mit dem Börsenkurs identisch – allerdings nur, solange es vom Sachverhalt her realistisch ist, dass der Börsenkurs bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ als Verkaufspreis hätte erlöst werden können. Dies ist möglicherweise zu verneinen bei Marktenge, fehlendem Handel oder Marktmanipulation (eingehend Rz. 18.82 ff.); in diesen Ausnahmefällen kommt es auf den Deinvestitionswert der einzelnen Aktie nicht an.

21.94 Im Regelfall eines (nicht notwendig allokationseffizienten aber jedenfalls) liquiden Markts ist der Kurs zu schätzen, zu dem sich am Tag der Hauptversammlung eine einzelne Aktie hätte veräußern lassen, wenn eine Strukturmaßnahme der Gesellschaft weder angekündigt noch beschlossen worden wäre. Dabei ist eine Durchschnittsbetrachtung zugrunde zu legen, und zwar – nach der Stollwerk-Entscheidung des BGH2 – im Grundsatz für den Drei-Monatszeitraum vor der Bekanntgabe der Maßnahme (eingehend dazu Rz. 18.77 ff.). cc) Kein „Meistbegünstigungsprinzip“

21.95 Nach dem heute erreichten Stand der Rechtsprechung gibt es kein Meistbegünstigungsprinzip in dem Sinne, dass in jedem Falle sowohl ein Börsenwert als auch ein Ertragswert zu ermitteln wären, von welchen sodann der jeweils höhere die Untergrenze der Abfindung bildet.3 Vielmehr steht es dem Fachrichter frei, mit sorgfältiger Begründung den quotalen Unternehmenswert (allein) nach dem Börsenkurs zu ermitteln.4 Der so ermittelte quotale Unternehmenswert (Fundamentalwert) und der Deinvestitionswert der Aktie fallen bei dieser Vorgehensweise zusammen (eingehend Rz. 18.76). Diese Herangehensweise ist verlockend, entlastet und verkürzt sie die Spruchverfahren doch ganz erheblich. Sie setzt jedoch voraus, dass der betreffende konkrete Aktienmarkt in hohem Maß allokativ effizient ist. Dies lässt sich naturgemäß nicht für alle Aktienmärkte einheitlich und nicht für alle Zeiträume in derselben Weise beantworten. Erforderlich ist vielmehr eine wohlbegründete Analyse der Umstände des jeweiligen Einzelfalls Rz. 18.76 a.E.). dd) Stichtagsprinzip, Wurzeltheorie und Verbundvorteile

21.96 Nach dem Stichtagsprinzip ist der Bewertung (im Kontext der jeweils gewählten Bewertungsmethode) der ex ante Prognose-Horizont des jeweils durch das Gesetz bestimmten Stichtags (Rz. 21.10 und 21.24) zugrunde zu legen. Entwicklungen, die am Stichtag bereits „in der Wurzel“ angelegt gewesen sind, können dabei nach der Rechtsprechung berücksichtigt werden – nicht aber Entwicklungen, bei denen es hieran fehlt (sog. Wurzeltheorie).5 1 In diese Richtung auch Reichert in FS Stilz, 2014, S. 479 (487). 2 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BB 2010, 1941 = AG 2010, 629. 3 Eindeutig BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511; in diese Richtung nunmehr wohl auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 = AG 2016, 135; BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359. Eingehend Rz. 18.67 ff., 18.73 ff. 4 Anders (aber von der Entwicklung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung inzwischen überholt) noch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 348, 377. 5 Siehe Rz. 2.34. Aus der Rechtsprechung vgl. nur BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Asea Brown Boveri II, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; aber auch schon BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (511) (betrifft Pflichtteil). Dort wird gesagt, es sei trotz Geltung des Stichtagsprinzips „nicht unzulässig und, um die Unsicherheit der Bewertung des Zukunftsertrages möglichst einzuschränken, sogar angebracht, auch noch während des Bewertungszeitraums [d.h. der Zeitraum zwischen Stichtag und gerichtlicher Entscheidung] erkennbare Entwicklungen des Unterneh-

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Adolff/Häller

Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.100 § 21

Die Wurzeltheorie wird zuweilen in einem Atemzug mit der Streitfrage erörtert, ob (erwar- 21.97 tete) Verbundvorteile in die Bewertung zur Bestimmung einer angemessenen Barabfindung mit einfließen sollen.1 Der Zusammenhang ist aber sehr lose: Denn nicht nur erwartete Verbundeffekte, sondern die gesamte (stand-alone) Unternehmensbewertung beruht auf der Planung und damit auf Annahmen über unsichere künftige Entwicklungen. Insofern besteht in der Prognoseverlässlichkeit bei stand-alone Planung und der Planung unter Einbeziehung des künftigen Erfolgsbeitrags von Verbundeffekten allenfalls ein gradueller, aber kein kategorialer Unterschied:2 Nach beiden Modellen (stand-alone-Planung und Planung auf der Basis der tatsächlich intendierten Maßnahme) beruht die Bewertung auf einer Prognose der Zukunft. In beiden Modellen ist diese Zukunft unsicher und in beiden Modellen dürfen Vergangenheitsdaten nur insofern herangezogen werden als sie Indizien für die Plausibilisierung der Prognose enthalten. Die Prognosen, auf die es aus der Bewertungsperspektive des in der Gesellschaft verbleibenden Mehrheitsaktionärs ankommt, sind dabei Gegenstand von dessen tatsächlicher unternehmerischer Planung. Überlegungen darüber, wie sich die Zukunft des Gesellschaftsunternehmens ohne die Strukturmaßnahme stand-alone gestaltet hätte, sind dagegen spätestens ab dem Tag der Hauptversammlung rein hypothetischer Natur. Lassen die Mehrheitsverhältnisse eine Zustimmung der Hauptversammlung als wahrscheinlich erscheinen, so wird sich in den beteiligten Unternehmensleitungen schon geraume Zeit vor diesem Tag – für kaufmännische Zwecke – niemand mehr Gedanken darüber machen, wie die stand-alone Zukunft der unverbundenen Unternehmen zu planen wäre. Handelt es sich bei der Strukturmaßnahme nicht um die Begründung, sondern um die Verfestigung eines Unternehmensverbundes – z.B. um den Übergang vom faktischen Konzern in den Vertragskonzern – so entspricht es dem Regelfall, dass sich seit vielen Jahren weder in der Unternehmenswirklichkeit noch in der tatsächlich vorhandenen Planung verlässliche Anhaltspunkte für die Unternehmenszukunft in einem hypothetischen stand-alone-Szenario finden lassen. Eine generelle Aussage darüber, ob die Prognosen der Zukunft des Gesellschaftsunternehmens im Modell der verbundabhängigen oder der verbundunabhängigen (stand-alone) Bewertung einfacher ist, lässt sich daher nicht treffen. Richtig erscheint allein, dass bei Strukturmaßnahmen, die eine Unternehmensverbindung erstmalig begründen – zu denken wäre etwa an eine Verschmelzung unter zuvor unverbundenen Gesellschaften – im stand-alone-Modell die Extrapolation der Vergangenheitsergebnisse in die Zukunft leichter fällt.3

21.98

Mit dieser Bewertungslogik vor Augen nähert man sich der Problematik der Berücksichtigung von Verbundvorteilen am einfachsten, wenn man sich die Unterschiede ihrer Zuweisung bei Tausch- und bei Barabfindungsfällen in Erinnerung ruft:

21.99

Bei Tauschfällen – inklusive der in diesem § 21 behandelten Fälle der Abfindung in Aktien (Rz. 21.108 ff.) – folgt aus der unternehmenswertanteiligen Allokation sämtlicher künftiger Unternehmenserfolge, dass die Gläubiger des Abfindungsanspruchs (Minderheitsaktionäre)

21.100

mens […]. mit zu berücksichtigen […]. Dagegen müssen spätere Entwicklungen, deren Wurzeln nach dem Bewertungsstichtag liegen, außer Betracht bleiben“. Kritisch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 396. 1 Kort, ZGR 1999, 402 (416); ähnlich Werner in FS Steindorff, 1990, S. 303 (318). 2 Eingehend zum folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 402 ff. 3 Diesen Aspekt betont insbesondere Mertens, AG 1992, 321 (325); dagegen Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (600 f.).

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§ 21 Rz. 21.100

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

selbst dann an künftigen Verbundvorteilen beteiligt bleiben, wenn diese nach den stand-alone Einzel-Unternehmenswerten erfolgen (dazu Rz. 22.34). In dem Maße, wie sich die mit einem Unternehmenszusammenschluss (oder Vertragskonzern) verbundenen Hoffnungen erfüllen, dass der (festere) Zusammenschluss dazu führt, dass das Ganze mehr wert ist, als die Summe seiner Teile, profitieren die Aktionäre sämtlicher beteiligter Gesellschaften. Hierzu kommt es einfach deshalb, weil sie weiterhin am Ertragsstrom der Gruppe teilhaben. Dies soll am Beispiel der Abfindung nach § 305 AktG verdeutlicht werden: Werden die Aktionäre der Untergesellschaft in Aktien der Obergesellschaft abgefunden und erwirtschaftet die Unternehmensgruppe insgesamt in den Folgejahren Erträge, die ihre Ursache in Verbundvorteilen aus der Begründung des Vertragskonzerns haben, profitieren die abgefundenen Aktionäre hiervon so lang, wie sie an der (als Abfindung erhaltenen) Obergesellschafts-Aktie festhalten. Denn in diesem Umfang steigt der Wert ihrer Beteiligung an der Gesamtgruppe (bzw. erhalten sie mehr Dividenden).

21.101 Anders liegt es in Barabfindungsfällen: Hier scheiden die mit Geld abgefundenen Aktionäre aus. Wird ihnen nicht ex ante bei der Bestimmung des „angemessenen“ Betrags für die Barabfindung im Geiste ein Bruchteil dieses Betrages als vorweggenommene Partizipation erwarteter Verbundvorteile zugesprochen, so gehen sie ex post leer aus, wenn sich solche Verbundvorteile später tatsächlich realisieren und in höhere Erträge der zusammengeführten Gruppe ummünzen lassen.

21.102 Vor diesem Hintergrund ist die alte Streitfrage nach der Berücksichtigung von Verbundvorteilen bei der Barabfindung – der in diesem Handbuch der gesamte § 16 gewidmet wurde – nach wie vor unentschieden. Sie stellt sich im Aktienrecht in genau derselben Weise wie im Umwandlungsrecht (dazu Rz. 22.61 f.). Die h.M.1 differenziert: Verbundvorteile, die nicht nur bei Zusammenschluss der konkreten Fusions- bzw. Vertragspartner erwartetet werden, sondern mit jedem Partner (derselben Branche) verwirklich werden könnten (sog. unechte Synergieeffekte) sollen berücksichtig werden. Andere Verbundvorteile (sog. echte Synergieeffekte) bleiben dagegen unberücksichtigt.2 Eine starke Mindermeinung3 geht weiter und will auch die echten Synergieeffekte berücksichtigen. Dieser ist zu folgen, wenn auch mit der wichtigen Präzisierung, dass (i) sich die Verbundvorteile aus einer konkreten Planung ergeben müssen (wie jede andere Erwartung künftiger Erträge auch) und (ii) immer nur diejenigen Verbundvorteile aus der jeweiligen für die Abfindung den Anlass gebenden konkreten Maßnahme in den Blick zu nehmen sind, bei § 305 AktG somit nur die zusätzlichen Vorteile der Begründung eines Vertragskonzerns (und nicht diejenigen der vorhergehenden Begründung eines faktischen Konzerns durch den Erwerb der Mehrheit an der Untergesellschaft).4

1 Leitentscheidung BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Asea Brown Boveri II, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; weitere Nachweise bei Rz. 16.20 ff. 2 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Asea Brown Boveri II, BGHZ 138, 136 (140) = AG 1998, 286; aus neuerer Zeit etwa OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05 – Rz. 62, AG 2007, 128 (135). Eingehend zum Streitstand Rz. 16.41. 3 Nachweise bei Rz. 16.25. 4 Im Einzelnen Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 400 ff.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.106 § 21

b) Sonderfall der Barabfindung bei bereits „verrenteten“ Aktien im Vertragskonzern Ein lange Zeit stark umstrittener, jedenfalls für die Praxis aber nunmehr durch die Rechtsprechung des BGH1 geklärter, Sonderfall2 ist die Abfindung bei einem Squeeze-out oder einer Eingliederung für den Fall einer Gesellschaft, die zuvor schon Untergesellschaft im Vertragskonzern gewesen ist. Der Unterschied zwischen dem Ergebnis einer unmittelbaren und einer abgeleiteten Anteilsbewertung tritt in diesem Sonderfall sehr deutlich hervor. Insbesondere Minderheitsaktionäre, die im Vertragskonzern einen fixen Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG erhalten, sind von der Teilhabe am künftigen Unternehmenserfolg de jure und de facto bereits abgeschnitten (zu dieser Verrentung der Aktien im Vertragskonzern schon Rz. 21.18 ff.). Die Aktien dieser Minderheitsgesellschaft sind bei kaufmännischer Betrachtung nicht anders zu beurteilen als ein von der Obergesellschaft begebenes oder durch Garantie abgesichertes Rentenpapier, wobei allerdings die Möglichkeit zu berücksichtigen ist, dass der Unternehmensvertrag beendet und dadurch die Stellung der außenstehenden Aktionäre als Eigenkapitalgeber wiederhergestellt werden könnte.

21.103

Sind zur Ermittlung einer „angemessenen“ Barabfindung i.S.d. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG oder einer „angemessenen“ Baralternative i.S.d. § 320b Abs. 1 Satz 3 AktG die Anteile der außenstehenden Aktionäre der Untergesellschaft in einem Vertragskonzern zu bewerten und sieht der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag einen fixen Ausgleich vor, so wären folglich bei unmittelbarer Anteilsbewertung nach einem überschussorientierten Bewertungsverfahren die wiederkehrenden Ausgleichszahlungen wie ein Fremdkapitalinstrument (etwa eine ungesicherte Schuldverschreibung) mit einem Kapitalisierungszinssatz zu diskontieren, in dem das Risiko eines Ausfalls der Obergesellschaft, nicht aber das unternehmerische Risiko der Untergesellschaft zu berücksichtigen ist.3

21.104

Sieht der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag einen variablen Ausgleich vor, wäre 21.105 die Aktie der Untergesellschaft bei unmittelbarer Anteilsbewertung wie ein von der Obergesellschaft begebenes Dividendenbezugsrecht zu beurteilen. Dies würde vor allem bedeuten, dass die in das Kapitalwertkalkül einzustellenden Überschüsse nach Maßgabe der Ertragsaussichten und erwarteten Thesaurierungspolitik der Obergesellschaft prognostiziert und mit einem deren Risiko widerspiegelnden Kapitalisierungszinssatz diskontiert werden müssten. Bei der aus dem Fundamentalwert abgeleiteten quotalen Anteilsbewertung nach der Liquidationshypothese müsste die mit dem Übergang zum Vertragskonzern eingetretene Verrentung der Aktien der außenstehenden Aktionäre dagegen unbeachtet bleiben: Würde die Untergesellschaft im Vertragskonzern in der Weise abgewickelt, dass ihr gesamtes Vermögen im Zuge der Liquidation als Einheit verkauft und der Erlös nach Maßgabe des § 271 Abs. 2 AktG unter den Aktionären verteilt wird, so würden die außenstehenden Aktionäre im Verhältnis ihrer Anteile am Grundkapital am Abwicklungsüberschuss partizipieren. Bei abgeleiteter Anteilsbewertung haben somit auch die außenstehenden Aktionäre eines Vertragskonzerns im Falle eines Squeeze-out oder einer Eingliederung Anspruch auf eine Barabfindung, die jeden-

1 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359. 2 Eingehend zum Folgenden Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 382 ff. 3 Austmann in MünchHdb. AG, § 75 Rz. 104 f.; Leyendecker, NZG 2010, 927 ff.; a.A. Hüffer/Koch, § 327b AktG Rz. 5 m.w.N.

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21.106

§ 21 Rz. 21.106

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

falls dem auf sie entfallenden quotalen Unternehmenswert (ohne Berücksichtigung der Einbindung der Untergesellschaft in den Vertragskonzern) entspricht.1

21.107 Es handelt sich um einen echten Grenzfall, der in der Rechtsprechung der Instanzgerichte lange unterschiedlich behandelt wurde.2 Je nachdem, ob ein Ende des Vertragskonzerns in Aussicht ist, oder dessen Fortbestand auf unabsehbare Zeit realistischer Weise angenommen werden muss, erscheint die aus dem Fundamentalwert abgeleitete quotale Anteilsbewertung oder die unmittelbare Anteilsbewertung als angemessener zur Bestimmung des Vermögensopfers des ausscheidenden Minderheitsaktionärs.3 Unabhängig von dieser Differenzierung hat sich der BGH in seiner Entscheidung vom 12.1.2016 – auf Vorlage des OLG Frankfurt4 – nunmehr jedoch dahingehend positioniert, dass für die Angemessenheit der Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären bei Vorliegen eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts jedenfalls dann maßgeblich sei, wenn dieser höher ist als der Barwert der aufgrund des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen.5 Der BGH begründet dies damit, dass eine mittels der Ausgleichszahlungen berechnete Abfindung unter Umständen nicht den vollständigen, „wahren“ Wert der Beteiligung abdecke.6 Denn die Beteiligung eines Aktionärs gehe trotz Vorliegens eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags über den rein schuldrechtlichen Anspruch auf Ausgleichszahlungen hinaus, weshalb der Verlust dieser weitergehenden Beteiligungsrechte7 bei der Bestimmung des „wahren“ Werts der Beteiligung zu berücksichtigen sei.8 Für die Praxis bedeutet dies, dass in Fällen des Squeeze-out trotz Vorliegens eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags ein Mehraufwand durch die zur Feststellung des anteiligen Unternehmenswerts erforderliche Unternehmensbewertung entsteht.9 Bewusst offen gelassen hat der BGH dagegen die Frage, ob ein über dem anteiligen Unterneh-

1 So noch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 383. 2 Die Rechtsprechung ist derzeit uneinheitlich, vgl. nur OLG Düsseldorf v. 4.7.2012 – I-26 W 11/11, AG 2012, 716 (718 f.) einerseits und OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513 (516 f.); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 7/08, AG 2012, 135 (136) sowie OLG Frankfurt v. 15.4.2014 – 21 W 64/13, AG 2015, 205 andererseits. 3 In diese Richtung auch OLG Frankfurt v. 5.2.2016 – 21 W 69/14, AG 2016, 588 (589 f.). 4 Zugrunde lag die Entscheidung des OLG Frankfurt v. 15.4.2014 – 21 W 64/13, AG 2015, 205, in der das OLG Frankfurt davon ausging, dass die in § 327b AktG für einen zwangsweisen Ausschluss der Minderheitsaktionäre vorgesehene angemessene Barabfindung sich bei einer fortbestehenden vertraglichen Pflicht der Gesellschaft zur Gewinnabführung allein anhand des Barwertes der im Unternehmensvertrag vorgesehenen Ausgleichszahlungen zum Bewertungsstichtag bestimme; der sich aus den zukünftigen Erträgen ergebende Unternehmenswert spiele hingegen für den Wert des dem Minderheitsaktionär entzogenen Anteils grundsätzlich keine Rolle. 5 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 (hierzu Bungert, EWiR 2016, 293). Für eine konsequente Behandlung der außenstehenden Aktionäre auch im Vertragskonzern als quotale Träger des Gesellschaftsunternehmens auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 382 ff. 6 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 (361 f.). 7 Der BGH verweist u.a. auf die Wahrnehmung des Rechts auf Teilnahme an der Hauptversammlung, das Auskunftsrecht nach § 131 AktG und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 243 AktG, BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 (362). 8 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 (361 f.). Dem folgend OLG Düsseldorf v. 15.11.2016 – I-26 W 2/16, AG 2017, 672, das zugleich die Heranziehung des Barwerts der Ausgleichszahlungen als Mindestwert ablehnt. 9 Bungert, EWiR 2016, 293 (294); Lorenz, GWR 2016, 163.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.111 § 21

menswert liegender Barwert der Ausgleichszahlungen als Wertuntergrenze der angemessenen Abfindung zugrunde zu legen ist.1 2. Abfindung in Aktien Zur Abfindung in Aktien kommt es bei der Begründung eines Vertragskonzerns (Rz. 21.16 ff.) und bei der aktienrechtlichen Eingliederung (Rz. 21.12 ff.). Maßgeblich ist in beiden Fällen die Verschmelzungswertrelation. Demnach ist die Abfindung in Aktien angemessen, wenn für die Aktien an der Untergesellschaft, die ein Abfindungsberechtigter aufgibt, Aktien der Obergesellschaft oder Aktien der Gesellschaft an der Konzernspitze „in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der anderen Gesellschaft zu gewähren wären.“2 Auf dieselbe Wertrelation kommt es konzeptionell für den variablen Ausgleich an.3 In jedem dieser Fälle müssen zwei Gesellschaften bewertet werden; letztlich entscheidend ist immer das Wertverhältnis, nicht hingegen, welcher Wert absolut für die jeweiligen Gesellschaften ermittelt wird (eingehend Rz. 18.5 ff.).

21.108

Die Rechtsregeln für die Ermittlung eines angemessenen Ausgleichs in Aktien sind somit ein 21.109 Derivat der Rechtsregeln für die Ermittlung eines angemessenen Umtauschverhältnisses bei der Verschmelzung (eingehend dazu Rz. 22.5 ff.). Eine Orientierungshilfe für die – gesetzlich zwingend vorgegebene – verschmelzungsrechtliche Betrachtung (vgl. Rz. 18.5 ff. und Rz. 22.5 ff.) enthalten die verfahrensrechtlichen Vorgaben des § 12 UmwG. In dessen Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 wird vorausgesetzt, dass sich das Umtauschverhältnis aus einer „Bewertung der Rechtsträger“ ergibt. Diese Formulierung findet in § 293e Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG seine Entsprechung, wo von der „Bewertung der vertragschließenden Unternehmen“ die Rede ist. Das angemessene Umtauschverhältnis ist somit nach der gesetzlichen Anordnung aus dem Verhältnis der Unternehmenswerte der am Tausch beteiligten Gesellschaften abzuleiten. Diese somit erforderliche Relationalbewertung (vgl. Rz. 18.7) ist stichtagsbezogen. Zur Bestimmung des Stichtags ist nach nahezu einhelliger Meinung § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG analog heranzuziehen.4 Es kommt somit auf die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung der Untergesellschaft an.

21.110

Damit ist freilich noch (so gut wie) nichts zu den rechtlichen Methodenvorgaben für die Re- 21.111 lationalbewertung bei der Abfindung in Aktien gesagt, die insbesondere von der Entwicklung des Richterrechts seit der DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG im Jahr 19995 geprägt ist. Diese Entwicklung ist in § 18 im Einzelnen nachgezeichnet worden. Im Folgenden wird sie noch einmal kurz zusammengefasst. Wegen der Einzelheiten wird auf Rz. 18.53 ff. und Rz. 18.88 ff. verwiesen:

1 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 (362). Ablehnend OLG Düsseldorf v. 15.11.2016 – I-26 W 2/16, AG 2017, 672 sowie Bungert, EWiR 2016, 293 (294); Popp, AG 2010, 1 (8 f.). 2 § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG (für die Begründung eines Vertragskonzerns); § 320b Abs. 1 Satz 4 AktG (für die Eingliederung). 3 § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG. Dazu schon Rz. 21.22. 4 Vgl. nur BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – Asea Brown Boveri II, BGHZ 138, 136 (139 f.) = AG 1998, 286; Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (115); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 34; Krieger in MünchHdb. AG, § 71 Rz. 92, 129; Paulsen in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 305 AktG Rz. 84. 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566, dazu oben Rz. 21.87 und Rz. 18.53.

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§ 21 Rz. 21.112

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

21.112 – DAT/Altana: Nach der genannten Leitentscheidung des BVerfG von 1999 gelten die darin für die Barabfindung entwickelten Grundsätze (Methodenfreiheit; Börsenkurs als Untergrenze; s. Rz. 21.87) ebenso für die Bestimmung der Verschmelzungswertrelationen bei der Abfindung in Aktien:1 Auch hier gibt die Verfassung keine konkrete Bewertungsmethode vor; und auch hier markiere bei der Untergesellschaft der Börsenwert die Untergrenze der Bewertung. Asymmetrisch hierzu ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, einen etwa existierenden Börsenwert der herrschenden Gesellschaft oder Hauptgesellschaft als Obergrenze der Bewertung dieser Gesellschaft heranzuziehen, und zwar auch und gerade soweit es um den Schutz der Aktionäre der Untergesellschaft (im Wege der Abfindung in Aktien) geht.2

21.113 – Kuka: Im Fall Kuka3 bestätigte das BVerfG diese asymmetrische Auffassung zum Stellenwert des Börsenkurses als Wertdeterminante bei der Unter- und Obergesellschaft. Das Gericht stellte klar, dass es für den Fall des Aktientausches (inklusive der Abfindung in Aktien) keinen Grundsatz „Börsenwertrelation als Untergrenze“ gibt: Was bei der Untergesellschaft verboten ist (für den betroffenen Minderheitsaktionär ungünstige Abweichung vom Börsenkurs), ist bei der Obergesellschaft erlaubt: Die Zivilgerichte sind „frei, der herrschenden Gesellschaft […]. einen höheren Wert beizumessen als den Börsenwert.“4

21.114 – Telekom/T-Online: In diesem Fall bestätigte das BVerfG das LG und OLG Frankfurt in deren Ansatz, für die Bestimmung der Verschmelzungswertrelation allein auf das Verhältnis der Börsenkurse abzustellen (nicht aber auf dasjenige der Ertragswerte).5 Das Gericht bekräftigte damit den Grundsatz der Methodenfreiheit.6 Zugleich bestätigte es (nochmals) den Grundsatz, dass der Börsenwert die Untergrenze für die Bewertung der Untergesellschaft bildet7 (nicht aber die Obergrenze für die Bewertung der Obergesellschaft).

21.115 Wie in Rz. 18.57 im Einzelnen ausgeführt, hat das BVerfG somit seinen Deinvestitionsgedanken (s. Rz. 21.83) für die Fälle der Abfindung in Aktien (und der von der Interessenlage her gleich gelagerten Konzernverschmelzung, dazu Rz. 18.11 f., 18.55 f.) nicht konsequent zu Ende geführt. Der Minderheitsaktionär darf schlechter gestellt werden, als wenn er seine Untergesellschaftsaktie am relevanten Stichtag an der Börse zu Geld gemacht hätte. Diese Inkonsequenz ist als inzwischen gefestigte Rechtsprechung des BVerfG hinzunehmen (für die Tauschfälle abgeschwächter Deinvestitionsgedanke).

21.116 Wie in Rz. 18.88 ff., 18.94 ff. ausgeführt, ergeben sich demnach für die derzeit gebotene Herangehensweise bei der Angemessenheitsprüfung einer Abfindung in Aktien die folgenden richterrechtlich vorgegebenen Maximen:

21.117 – Kein Meistbegünstigungsprinzip: Ebenso wie bei der Barabfindung (Rz. 21.95) gilt auch bei der Abfindung in Aktien kein Meistbegünstigungsprinzip: In die Relationalbewertung sind für beide beteiligten Rechtsträger vielmehr die Fundamentalwerte nach der Liqui1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566. 2 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289 (310) = AG 1999, 566. 3 BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128, betrifft eine upstream Verschmelzung, s. im Einzelnen Rz. 18.55. 4 BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07 – Kuka, AG 2011, 128 (129). 5 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511, betrifft ebenfalls eine upstream Verschmelzung. 6 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511. 7 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 24 – Telekom/T-Online, NJW 2011, 2497 (2498) = AG 2011, 511.

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Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht

Rz. 21.119 § 21

dationshypothese einzustellen (Rz. 21.82, 21.88 und Rz. 18.94). Auf beiden Seiten – bei der Ober- und der Untergesellschaft – handelt es sich dabei um eine Schätzung (Rz. 21.90 und Rz. 18.94). Für diese Schätzung stehen unterschiedliche (und allesamt unvollkommene) Approximationsmethoden zur Verfügung. Unter den richtigen tatsächlichen Bedingungen (liquider Markt, keine Manipulation, keine Kursverzerrung durch besondere Ereignisse) wird im Einzelfall die börsenkursbasierte Herangehensweise die geeignete Methode sein. Unter abweichenden Bedingungen wird es in einem anderen Einzelfall die Ertragswertmethode sein oder eine Kombination. Entscheidend ist nicht, ob die eine oder die andere Methode gewählt wird, sondern dass die Auswahl aus den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls abgeleitet und entsprechend begründet wird. – Keine strikte Methodengleichheit: Diese Frage der im Einzelfall angemessenen Methodenauswahl ist zunächst stand-alone sowohl für die Obergesellschaft als auch für die Untergesellschaft gesondert zu beantworten. Ist im Einzelfall auf beiden Ebenen dieselbe Approximationsmethode stand-alone angemessen, so gelangt man zwanglos zur Methodengleichheit. Ist sie es nicht, gilt es eine Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen den Bewertungsunschärfen, die man sich durch die Methodenverschiedenheit einhandelt, und den Bewertungsunschärfen, die man in Kauf nimmt, wenn man im Interesse der Methodengleichheit auf der Ebene einer der beiden Gesellschaften die stand-alone als inferior identifizierte Approximationsmethode akzeptiert (eingehend Rz. 18.94).

21.118

– Zusatzkorrektur nach dem abgeschwächten Deinvestitionsgedanken: Die so ermittelte 21.119 Fundamentalwertrelation ist sodann, je nach den Umständen des Einzelfalls, nach dem abgeschwächten Deinvestitionsgedanken des BVerfG einer Zusatzkorrektur zu unterwerfen: Der für die Zwecke der Relationalbewertung herangezogene Wertansatz für die Untergesellschaft (und nur für diese), darf, außer im Fall der Marktenge,1 nicht geringer sein als deren Börsenkapitalisierung zum maßgeblichen Stichtag. Wurde für die Ermittlung der Fundamentalwertrelation (auf der Ebene der Untergesellschaft) ohnehin der Börsenwert herangezogen, so bleibt diese Zusatzanforderung folgenlos. Dasselbe gilt, wenn für die Untergesellschaft zwar der Ertragswert herangezogen worden ist, dieser aber über der Börsenkapitalisierung liegt. Nur in dem Sonderfall, dass für die Untergesellschaft der Ertragswert herangezogen wurde und dieser unter der Börsenkapitalisierung liegt, ist auf der Seite der Untergesellschaft die (höhere) Börsenkapitalisierung in die (im Übrigen unveränderte) Relationalbewertung einzustellen. Es wird also, bildlich gesprochen, lediglich in der Waagschale für die Untergesellschaft das Gewicht ausgetauscht, was ceteris paribus zu einer im Vergleich höheren Abfindung in Aktien führt.

1 Also nicht hinreichend liquider Markt, Marktmanipulation, Kursverzerrung durch besondere Ereignisse, dazu Rz. 18.52, 18.82 ff.

Adolff/Häller

661

§ 22 Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.1

II. Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines Umtauschverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Umtauschverhältnis . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . bb) Ermittlung des Umtauschverhältnisses . . . . . . . . . . . . cc) Angemessenheit . . . . . . . . . dd) Problem des „krummen“ Umtauschverhältnisses . . . . ee) Auswahl der Bewertungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . ff) Grundsätze der Ermittlung des Unternehmenswertes . . gg) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . hh) Verschmelzungsprüfung . . . b) Schutz von Sonderrechten, § 23 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsbehelfe gegen die Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . 2. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Barabfindungsanspruch . . . . . . . b) Kernregelung, § 29 UmwG . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . bb) Angemessenheit . . . . . . . . . cc) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung . . c) Rechtsbehelfe gegen die Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . d) Sonderfall: Barabfindung beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . b) Sonderfall: Verschmelzung zur Societas Europaea . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . d) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung . .

22.3

662

Bungert

22.5 22.5 22.5 22.10 22.11 22.12 22.16 22.27 22.36 22.37 22.40 22.43 22.50 22.51 22.53 22.53 22.56 22.60 22.63 22.64 22.68 22.68 22.73 22.77 22.78

e) Geplante Änderungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . III. Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines Umtauschverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Umtauschverhältnis . . . . . . b) Auf- und Abspaltung . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . bb) Anwendungsbereich der Unternehmensbewertung . . cc) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . dd) Spaltungsprüfung . . . . . . . . c) Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . bb) Anwendungsbereich der Unternehmensbewertung . . cc) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . d) Schutz von Sonderrechten, §§ 133, 23 UmwG . . . . . . . . . . . e) Rechtsmittel gegen die Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . 2. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auf- und Abspaltung . . . . . . . . . b) Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzüberschreitende Spaltung . . . IV. Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . 2. Bestimmung eines (Umtausch-) Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensbewertung als Ausnahmefall . . . . . . . . . . . . b) Bare Zuzahlung gem. § 196 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . c) Besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung . . . . . . . . . . .

22.79 22.84 22.89 22.89 22.95 22.95 22.96 22.101 22.102 22.104 22.104 22.105 22.106 22.107 22.108 22.109 22.110 22.111 22.112 22.116 22.119 22.119 22.123 22.127 22.128 22.128 22.130 22.131

Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

d) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 22.132 aa) Schutz von Sonderrechten . 22.132 bb) Bestimmung des Geschäftsguthabens gem. § 256 UmwG bei Genossenschaft . 22.134

§ 22

3. Grenzüberschreitender Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.135 V. Vermögensübertragung . . . . . . . . . 22.138

Schrifttum: Austmann, Der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out nach dem 3. UmwÄndG 2011, NZG 2011, 684; Austmann/Frost, Vorwirkungen von Verschmelzungen, ZHR 169 (2005), 431; Baums, Rechtsfragen der Bewertung bei Verschmelzung börsennotierter Gesellschaften, GS Schindhelm, 2009, S. 63; Benz/Hübner/Zimmermann, Gesellschafterschutz in der grenzüberschreitenden Verschmelzung, ZIP 2018, 2254 (2256 f.); Bormann/Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel nach dem EU-Company Law Package, ZIP 2019, 353; Bungert, Umtauschverhältnis bei Verschmelzung entspricht nicht den Börsenwerten, BB 2003, 699; Bungert/Eckert, Unternehmensbewertung nach Börsenwert: Zivilgerichtliche Umsetzung der BVerfG-Rechtsprechung, BB 2000, 1845; Bungert/Leyendecker-Langner, Börsenkursrechtsprechung beim vorgeschalteten Delisting, BB 2014, 521; Bungert/ Wansleben, Dividendenanspruch bei Verschiebung der Gewinnberechtigung bei Verschmelzungen, DB 2013, 979; Bungert/Wansleben, Grenzüberschreitende Spaltungen nach dem Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission, DB 2018, 2094; Bungert/Wansleben, Die grenzüberschreitende Verschmelzung auf Personengesellschaften ist Wirklichkeit, DB 2019, 49; Bungert/Wettich, Die zunehmende Bedeutung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen im Wandel der Rechtsprechung, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157; Bungert/Wettich, Neues zur Ermittlung des Börsenwerts bei Strukturmaßnahmen, ZIP 2012, 449; Bungert/Wettich, Der neue verschmelzungsspezifische Squeeze-out nach § 62 Abs. 5 UmwG n.F., DB 2011, 1500; Bungert/Wettich, Vorgaben aus Karlsruhe zum Referenzzeitraum des Börsenwerts für die Abfindung bei Strukturmaßnahmen, BB 2010, 2227; Bücker, Die Berücksichtigung des Börsenkurses bei Strukturmaßnahmen – BGH revidiert DAT/Altana, NZG 2010, 967; Fink, Anforderungen und Ausgestaltung von Unternehmensbewertungen bei der Verschmelzung von Genossenschaften, ZfgG 60 (2010), 191; Decher, Die Ermittlung des Börsenkurses für Zwecke der Barabfindung beim Squeeze out, ZIP 2010, 1673; Fleischer/Bong, Unternehmensbewertung bei konzernfreien Verschmelzungen zwischen Geschäftsleiterermessen und Gerichtskontrolle, NZG 2013, 881; Florstedt, Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out, NZG 2015, 1212; Friese-Dormann/Rothenfußer, Selbstfinanzierungseffekt und Bagatellgrenze als Frage der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen, AG 2008, 243; Göthel, Der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out, ZIP 2011, 1541; Großfeld, Europäische Unternehmensbewertung, NZG 2002, 353; Hasselbach/Jakobs, Bewertungsfragen bei der Verwendung von Aktien als Transaktionswährung, AG 2014, 217; Heckschen, Umstrukturierungen unter Beteiligung der öffentlichen Hand in private Rechtsformen und umgekehrt – Ausgliederung, Verschmelzung, Vermögensübertragung, GmbHR 2018, 779; Heckschen/Weitbrecht, Formwechsel öffentlicher Rechtsträger in private Rechtsformen, NZG 2018, 761; Heurung, Berücksichtigung von Ertragsteuerwirkungen in Unternehmensbewertungsmodellen im Rahmen von Verschmelzungstatbeständen, DB 1999, 1225; Heurung, Zur Anwendung und Angemessenheit verschiedener Unternehmenswertverfahren im Rahmen von Umwandlungsfällen, DB 1997, 837; Heurung, Zur Unternehmensbewertung bei Umtauschverhältnissen im Rahmen der Spaltung, DStR 1997, 1302 und 1341; Heurung/Kurtz/Wagener, Zur Berücksichtigung unterschiedlicher Kapitalstrukturen im Rahmen der Unternehmensbewertung bei Verschmelzungstatbeständen, WPg 1999, 797; Hofmeister, Der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out: Wichtige Aspekte und Besonderheiten der Verschmelzung, NZG 2012, 688; Katzenstein, Schätzung des Unternehmenswerts nach Maßgabe von § 287 Abs. 2 ZPO im Spruchverfahren, AG 2018, 739; Kiem, Die Ermittlung der Verschmelzungswertrelation bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung, ZGR 2007, 542; Klöhn, Das Verhandlungsmodell bei konzerninternen Verschmelzungen. Rechtsvergleichende Erfahrungen aus Delaware und ihre Implikationen für das deutsche Recht, FS Stilz, 2014, S. 365; Klöhn/Verse, Ist das „Verhandlungsmodell“ zur Bestimmung der Verschmelzungswertrelation verfassungswidrig?, AG 2013, 2; Klose, Zur Frage des angemessenen Umtauschverhältnisses von Anteilen bei einer Verschmelzung von zwei Aktiengesellschaften, WuB II P § 15 UmwG 1.07; Knoll, Wider die Gefahr einer höheren Kompensation von Minderheitsaktionären?, ZIP 2008, 538; Martens,

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§ 22 Rz. 22.1

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Verschmelzung, Spruchverfahren und Anfechtungsklage in Fällen eines unrichtigen Umtauschverhältnisses, AG 2000, 301; Mayer, Praxisfragen des verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out-Verfahrens, NZG 2012, 561; Mollnhuber, Umtauschverhältnis und Unternehmensbewertung bei der Verschmelzung, 2017; Noack/Kraft, Grenzüberschreitende Unternehmensmobilität – der Richtlinenvorschlag im Company Law Package, DB 2018, 1577; Popp/Ruthardt, Abfindung zum Börsenkurs: Hochrechnungsmethodik, WPg 2017, 1222; Puszkajler, Verschmelzungen zum Börsenkurs? – Verwirklichung der BVerfG-Rechtsprechung, BB 2003, 1692; Reichert, Eigentumsschutz und Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, FS Stilz, 2014, S. 479; Reuter, Gesellschaftsrechtliche Fragen der Unternehmensbewertung mit internationalen Bezügen, AG 2007, 881; Reuter, Börsenkurs und Unternehmenswertvergleich aus Eigensicht – Gleichbehandlung der Aktionäre, Synergie und die Lage bei Verschmelzungen nach BGH-DAT/Altana, DB 2001, 2483; Riegger/Wasmann, Ausnahmen von der Berücksichtigung des Börsenkurses bei der Ermittlung gesetzlich geschuldeter Kompensationen im Rahmen von Strukturmaßnahmen, FS Stilz, 2014, S. 509; Rölike/Tonner, Der Schutz des Minderheitsaktionärs durch Art. 14 GG, in Rensen/Brink, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 1, 2009, S. 199; Ruthardt/Hachmeister, Börsenkurs, Ertragswert, Liquidationswert und fester Ausgleich – Zur methodenbezogenen Meistbegünstigung bei der Ermittlung der angemessenen Barabfindung im Gesellschaftsrecht –, WM 2014, 725; Ruthardt/Hachmeister, Börsenkurs und/oder Ertragswert in Squeeze Out Fällen – Der Fall Hoechst-AG, NZG 2014, 455; J. Schmidt, EU Company Law Package 2018 – Mehr Digitalisierung und Mobilität von Gesellschaften (1) und (2), Der Konzern 2018, 229 und 273; Schockenhoff/Lumpp, Der verschmelzungsrechtliche Squeeze out in der Praxis, ZIP 2013, 749; Schulte/Köller/Luksch, Eignung des Börsenkurses und des Ertragswerts als Methoden zur Ermittlung von Unternehmenswerten für die Bestimmung eines angemessenen Umtauschverhältnisses bei (Konzern-)Verschmelzungen, WPg 2012, 380; Siepelt, Zur Unternehmensbewertung im Rahmen einer Verschmelzung, EWiR § 16 UmwG 1/06, 27; Stilz, Die Anwendung der Business Judgement Rule auf die Feststellung des Unternehmenswerts bei Verschmelzungen, FS Mailänder, 2006, S. 423; Terlau/Strese, Verschmelzungsbericht und Verschmelzungsprüfung rein vorsorglich? – Der verschmelzungsrechtliche Squeeze-out in der Praxis, AG 2014, R78; Tonner, Die Maßgeblichkeit des Börsenkurses bei der Bewertung des Anteilseigentums – Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, FS K. Schmidt, 2009, S. 1581; J. Vetter, Die Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung im UmwG?, AG 2006, 613; Weiler/Meyer, Heranziehung des Börsenkurses zur Unternehmensbewertung bei Verschmelzungen, ZIP 2001, 2153; Wicke, Der Grundsatz der Anteilsgewährung bei der Verschmelzung und seine Ausnahmen, ZGR 2017, 527; Wicke, Verschmelzungswertrelation, FS Stilz, 2014, S. 707; Wittgens/Redeke, Zu aktuellen Fragen der Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, ZIP 2007, 1015.

I. Einführung 22.1 Im Umwandlungsrecht sind grundsätzlich zwei Anlässe für eine Unternehmensbewertung denkbar: Zum einen ist ein Umtauschverhältnis zu bestimmen, zu dem Anteile am übertragenden Rechtsträger in solche am übernehmenden Rechtsträger umgetauscht werden. Zum anderen ist ein Barabfindungsanspruch zugunsten derjenigen Anteilsinhaber zu bestimmen, die der jeweiligen Umwandlung widersprechen und aus der Gesellschaft ausscheiden.

22.2 Die folgenden Ausführungen behandeln die Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz. Insbesondere werden die Verschmelzung (§§ 2 bis 122 UmwG, II. – Rz. 22.3 ff.), die Spaltung (§§ 123 bis 173 UmwG, III. – Rz. 22.84 ff.) und der Formwechsel (§§ 190 bis 304 UmwG, IV. – Rz. 22.116 ff.) thematisiert. Eine Vermögensübertragung nach den §§ 174 bis 189 UmwG findet in der Praxis nur äußerst selten statt,1 so dass hierzu einige kurze Hinweise genügen sollen (V. – Rz. 22.138). Umwandlungen auf andere Art und Weise, die nicht im Umwandlungsgesetz geregelt sind – wie insbesondere die Anwachsung bei Personengesellschaften (§ 738 1 Vgl. Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 10 („Schattendasein“).

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.5 § 22

BGB)1 –, bleiben nach § 1 Abs. 2 UmwG grundsätzlich möglich, spielen in der Bewertungspraxis jedoch keine größere Rolle.

II. Verschmelzung § 2 UmwG nennt zwei mögliche Arten einer Verschmelzung: Verschmelzung im Wege der Aufnahme durch Übertragung des Vermögens eines oder mehrerer Rechtsträger als Ganzes auf einen anderen bestehenden Rechtsträger (Nr. 1) und Verschmelzung im Wege der Neugründung durch Übertragung der Vermögen zweier oder mehrerer Rechtsträger jeweils als Ganzes auf einen neuen, von ihnen dadurch gegründeten Rechtsträger (Nr. 2). Die Gegenleistung besteht dabei in der Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers an die Anteilsinhaber des bzw. der übertragenden Rechtsträger (§ 2 UmwG a.E.).2

22.3

Eine Unternehmensbewertung ist regelmäßig bereits in der Vorbereitungsphase einer Verschmelzung erforderlich, um ein angemessenes Umtauschverhältnis bzw. die Höhe einer gegebenenfalls anzubietenden Barabfindung zu bestimmen.3 Denn sowohl bei einer Verschmelzung im Wege der Aufnahme (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) als auch bei einer Verschmelzung im Wege der Neugründung (§ 36 Abs. 1 UmwG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) sind Angaben über das Umtauschverhältnis und eine gegebenenfalls anzubietende Barabfindung – den beiden möglichen Bewertungsanlässen – schon im Verschmelzungsvertrag bzw. in dessen Entwurf erforderlich (§§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 29 UmwG).

22.4

1. Bestimmung eines Umtauschverhältnisses a) Das Umtauschverhältnis aa) Grundsätzliches Anlass für eine Unternehmensbewertung gibt bei der Verschmelzung zunächst die erforderliche Bestimmung eines Umtauschverhältnisses. Das Umtauschverhältnis i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG bestimmt, wie viele Anteile am übernehmenden Rechtsträger die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers als Gegenleistung für ihre Anteile erhalten sollen.4 Charakteristisch für eine Verschmelzung ist, dass das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers im Wege der Universalsukzession, also „als Ganzes“, auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht.5 Vollzogen wird die Verschmelzung durch Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister. Der übertragende Rechtsträger erlischt dadurch ohne Liquidation und dessen Anteilsinhaber verlieren ihre Anteile am übertragenden Rechtsträger. Die Anteilsinhaber des übertragen-

1 Näher dazu Stengel in Semler/Stengel, Einl. A Rz. 88; Stengel in Semler/Stengel, § 1 UmwG Rz. 57, 59; Drygala in Lutter, § 1 UmwG Rz. 51, sowie Rz. 24.9. 2 Ausführlich dazu Wicke, ZGR 2017, 527. 3 Drygala in Lutter, § 2 UmwG Rz. 36; s. dort auch ausführlich Rz. 34 ff. zum Ablauf einer Verschmelzung; kritisch Stengel in Semler/Stengel, § 2 UmwG Rz. 57 mit Fn. 116. 4 Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 25; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 25; Lanfermann in Kallmeyer, § 5 UmwG Rz. 19; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 94. 5 Vgl. dazu und zum folgenden nur Drygala in Lutter, § 2 UmwG Rz. 29; Stengel in Semler/Stengel, § 2 UmwG Rz. 34 ff.

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22.5

§ 22 Rz. 22.5

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

den Rechtsträgers werden kraft Gesetzes Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers. Sie sind dann jeweils in ihrer Gesamtheit in dem Verhältnis an dem übernehmenden Rechtsträger beteiligt, das dem ehemaligen Wertverhältnis der beiden Rechtsträger zueinander entspricht.1

22.6 Das Umtauschverhältnis muss gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG zwingend im Verschmelzungsvertrag angegeben werden. Bei Kapitalgesellschaften wird das Umtauschverhältnis üblicherweise in einem zahlenmäßigen Verhältnis dargestellt (z.B. 1:3). Bei Personengesellschaften erfolgt die Festlegung dagegen anhand der Gesellschafterkonten.2 Besonderheiten gelten nach § 80 Abs. 1 UmwG bei einer Verschmelzung im Wege der Aufnahme durch eine Genossenschaft. Anstelle von Angaben zum Umtauschverhältnis sind Angaben über die Mitgliedschaft (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG a.E.) erforderlich, wenn der übernehmende Rechtsträger ein eingetragener Verein oder ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist.3 Befinden sich alle Anteile eines übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers, ist die Angabe dagegen nach § 5 Abs. 2 UmwG entbehrlich (sog. upstream merger), da hier kein Anteilstausch stattfindet.4 In diesem Fall ist nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 68 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwG auch eine Kapitalerhöhung nicht erforderlich. Zudem kann nach §§ 54 Abs. 1 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 3 UmwG von der Gewährung von Anteilen abgesehen werden, wenn alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers in notarieller Form hierauf verzichten.5 Gemäß § 110 UmwG sind Angaben zum Umtauschverhältnis entbehrlich, wenn nur Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit an der Verschmelzung beteiligt sind.

22.7 Im Verschmelzungsbericht ist das Umtauschverhältnis (sowie eine gegebenenfalls anzubietende Barabfindung, dazu Rz. 22.50 ff.) zu erläutern und zu begründen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Der Wortlaut des Gesetzes schreibt dabei rechtliche und wirtschaftliche Ausführungen vor. Die Erläuterungen müssen so ausführlich sein, dass die Anteilsinhaber diese auf ihre Plausibilität hin überprüfen können.6 Anzugeben ist dabei auch, wie das Umtauschverhältnis ermittelt wurde, etwa ob Bewertungsgutachten eingeholt wurden oder die Festsetzung auf eigenen Feststellungen der Vertretungsorgane beruht.7 Ferner ist die jeweils angewendete Methode der Unternehmensbewertung darzustellen.8 Dabei sind Ausführungen dazu erforderlich, warum die ausgewählte Bewertungsmethode angemessen ist, soweit nicht die gängige 1 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05, DStR 2006, 626; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 25. 2 Ausführlich Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 26 f.; vgl. aber auch Mayer in Widmann/ Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 94: Angabe eines zahlenmäßigen Verhältnisses nicht zwingend erforderlich. 3 Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 34; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 94; näher Lanfermann in Kallmeyer, § 5 UmwG Rz. 21. 4 Ausführlich dazu Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 139 ff.; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 128 ff.; Wicke, ZGR 2017, 527 (530 f.). 5 Näher dazu Wicke, ZGR 2017, 527 (529 f.). 6 OLG Karlsruhe v. 30.6.1989 – 15 U 76/88, AG 1990, 35 (36 f.); OLG Hamm v. 4.3.1999 – 8 W 11/99, NZG 1999, 560 (561) = AG 1999, 422 (424); OLG Düsseldorf v. 11.8.2006 – I-15 W 110/05, AG 2007, 363 (365); Mayer in Widmann/Mayer, 88. Erg.-Lfg. Mai 2006, § 8 UmwG Rz. 25; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 11; Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 22; Lutter/Drygala in Lutter, § 8 UmwG Rz. 18. 7 Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 23. 8 Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 24; Lutter/Drygala in Lutter, § 8 UmwG Rz. 19; Mayer in Widmann/Mayer, 88. Erg.-Lfg. Mai 2006, § 8 UmwG Rz. 25; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 11.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.10 § 22

Ertragswertmethode angewandt wurde.1 Abweichungen von der Ertragswertmethode als „Standardbewertungsmethode“2 sowie von den Grundsätzen des IDW S 1 sind ebenfalls im Verschmelzungsbericht zu begründen.3 In der Praxis erfolgt die Darstellung häufig dergestalt, dass die Darstellungen zum Umtauschverhältnis im Text des Verschmelzungsberichts kurz gehalten werden, indem sich der Vorstand nur dem Bewertungsgutachten des mit der Bewertung beauftragten Wirtschaftsprüfers anschließt. Das gesamte, von dem Wirtschaftsprüfer unterzeichnete Bewertungsgutachten wird dann in einer Anlage zum Verschmelzungsbericht abgedruckt. Seltener werden heute die Ausführungen aus dem Bewertungsgutachten in den entsprechenden Teil des Verschmelzungsberichtes vollständig integriert. In jedem Fall machen die Ausführungen zur Unternehmensbewertung einen erheblichen Teil des Verschmelzungsberichtes aus.

22.8

Gemäß § 8 Abs. 2 UmwG ist die Angabe von solchen Tatsachen im Bericht nicht erforderlich, deren Bekanntwerden geeignet ist, einem der beteiligten Rechtsträger oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen. Dabei ist konkret zu begründen, warum bestimmte Angaben nicht in den Bericht aufgenommen wurden.4 So ist etwa bei der Nichtaufnahme bestimmter Planungen oder Prognosen darauf hinzuweisen, in wie fern diese ansonsten von Mitbewerbern zum Schaden des Unternehmens verwendet werden könnten.5 In den Fällen des § 8 Abs. 3 UmwG, also bei Verzicht aller Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger oder beim sog. upstream merger (dazu bereits Rz. 22.6 a.E.), ist sogar der gesamte Verschmelzungsbericht entbehrlich.

22.9

bb) Ermittlung des Umtauschverhältnisses Im UmwG ist nicht geregelt, wie das Umtauschverhältnis im Einzelnen zu ermitteln ist. Grundsätzlich ist hierzu eine Unternehmensbewertung für jeden der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger notwendig.6 Dafür sprechen auch die Anforderungen, die § 12 UmwG an den Prüfungsbericht stellt. Denn dort ist u.a. anzugeben, nach welchen Methoden das vorgeschlagene Umtauschverhältnis ermittelt worden ist und aus welchen Gründen die Anwendung dieser Methoden angemessen ist (§ 12 Abs. 2 Satz 2 UmwG).7 Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht kann eine Unternehmensbewertung aber bei „überschaubaren

1 LG Mannheim v. 3.3.1988 – 24 O 75/87, AG 1988, 248 (249); Drygala in Lutter, § 8 UmwG Rz. 19; Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 25; Mayer in Widmann/Mayer, 108. Erg.-Lfg. Juni 2009, § 8 UmwG Rz. 30; Hoger/Hoger in MünchHdb. UmwR, § 9 Rz. 28. 2 So wörtlich Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 99. 3 Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 25; Drygala in Lutter, § 8 UmwG Rz. 19; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 13. 4 BGH v. 29.10.1990 – II ZR 146/89, WM 1990, 2073 (2075 f.) = AG 1991, 102; OLG Hamm v. 20.6.1988 – 8 U 329/87, DB 1988, 1842 (1843) = AG 1989, 31; Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 65; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 32. 5 Beispiel nach Winter in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 8 UmwG Rz. 30. Die Grundsätze zu § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG lassen sich übertragen, Winter in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 8 UmwG Rz. 31; s. dazu statt vieler Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 24 ff. 6 Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 96; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 12; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 33. 7 Daran ändert nichts, dass die genaue Bedeutung des Begriffs „Methoden“ im Einzelnen umstritten ist, da alle Ansichten von Methoden der Unternehmensbewertung ausgehen und sich nur hinsichtlich der erforderlichen Darstellungstiefe im Prüfungsbericht unterscheiden; vgl. zum Meinungsstand etwa Zeidler in Semler/Stengel, § 12 UmwG Rz. 8.

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22.10

§ 22 Rz. 22.10

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Verhältnissen“ verzichtbar sein, etwa wenn das Umtauschverhältnis anhand der Jahresabschlüsse bestimmbar ist.1 Dies ist in der Praxis jedoch nur äußerst selten der Fall. cc) Angemessenheit

22.11 Zielvorstellung des Gesetzes ist ein angemessenes Umtauschverhältnis: Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwG soll das vorgeschlagene Umtauschverhältnis (bzw. gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung oder die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger) als Gegenwert für den Anteilsverlust angemessen sein.2 Dies bedeutet, dass der Wert der Anteile am übertragenden Rechtsträger dem Wert der neuen Anteile am übernehmenden Rechtsträger entsprechen muss.3 Gleichzeitig lässt sich aus dem Begriff „Angemessenheit“ aber auch folgern, dass es innerhalb einer gewissen Bandbreite mehrere angemessene Umtauschverhältnisse geben kann, und nicht nur ein einziges „richtiges“ Umtauschverhältnis existiert.4 Die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses ist entbehrlich, wenn alle Anteilsinhaber zustimmen.5 dd) Problem des „krummen“ Umtauschverhältnisses

22.12 Wenn sich aus den Unternehmensbewertungen der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger ein Umtauschverhältnis ergibt, das sich nicht in ganzen Zahlen ausdrücken lässt (sog. „krummes“ Umtauschverhältnis), führt dies zu Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Verschmelzung.6 Ein Umtausch von Bruchteilen an Aktien ist nicht möglich (§ 8 Abs. 5 AktG). Auch halten die Aktionäre in der Regel nicht zufällig ein Vielfaches an Aktien, das sich wiederum zu einer geraden Anzahl von Aktien umtauschen lässt.7 Diese Schwierigkeiten können durch bare Zuzahlungen vermieden werden. Diese dürfen jedoch nach dem Gesetz maximal 10 % des Gesamtnennbetrags der gewährten Anteile der übernehmenden Gesellschaft betragen.8

22.13 Hierzu kann entweder das Umtauschverhältnis zu Lasten der Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers gerundet und der dadurch entstehende Nachteil durch eine bare Zuzahlung je Aktie des übertragenden Rechtsträgers kompensiert werden.9 Dies kann unter Umständen allerdings zu beträchtlichen Liquiditätsabflüssen – unterhalb der 10 %-Grenze – führen. Um hohe Barzahlungen zu vermeiden, wird im Verschmelzungsvertrag in der Regel das „krumme“ Umtauschverhältnis festgelegt. Der Umtausch erfolgt dann anhand dieses Umtauschverhältnisses so, dass die Anteile des Aktionärs des übertragenden Rechtsträgers in die größtmögliche 1 Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 12. 2 Ausführlich Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 27. 3 BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, AG 2003, 569 (570); OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 33, AG 2006, 420 (422) m.w.N.; OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (702); OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 38/09 – Rz. 11; OLG Frankfurt v. 20.4.2012 – 21 W 31/11 – Rz. 12, AG 2012, 919 (920); OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (750); OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13 – Rz. 55, AG 2016, 667 (669); Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 27. 4 Vgl. nur Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 27, § 9 UmwG Rz. 11. 5 Näher Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 94 a.E.; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 27. 6 Siehe etwa das Beispiel bei Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 31; auch Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 62. 7 Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 31. 8 §§ 54 Abs. 4, 68 Abs. 3, 87 Abs. 2 Satz 2 UmwG. Bei Personenhandelsgesellschaften gibt es keine solche Begrenzung, vgl. Lanfermann in Kallmeyer, § 5 UmwG Rz. 22. 9 Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 31; Simon in KölnKomm. UmwG, § 2 UmwG Rz. 128.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.16 § 22

ganzzahlige Anzahl von Aktien am übernehmenden Rechtsträger umgetauscht werden.1 Verbleibende, sich dadurch in der Spitze je Aktionär möglicherweise ergebende Aktienbruchteile2 werden ausgeglichen, indem die Gesamtheit der Bruchteile aller Aktionäre in Aktien des übernehmenden Rechtsträgers umgetauscht wird. Diese Aktien des übernehmenden Rechtsträgers werden dann für Rechnung der betroffenen Aktionäre zum Börsenpreis – bzw. bei Fehlen eines Börsenpreises durch öffentliche Versteigerung – verwertet und der Erlös an die betroffenen Aktionäre ausgekehrt.3 Bare Zuzahlungen an die Anteilseigner des übernehmenden Rechtsträgers sind hingegen nicht möglich.4 Eine Rundung zu ihren Lasten könnte aber bspw. durch Zahlung einer Dividende vor Wirksamwerden der Verschmelzung oder durch Verschiebung der Gewinnberechtigung5 ausgeglichen werden.6

22.14

Darüber hinaus kann dann, wenn Stamm- und Vorzugsaktien des übertragenden Rechtsträgers in Stammaktien des übernehmenden Rechtsträgers getauscht werden sollen, der Verlust von Vorzügen bei nur diesem Teil der Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers mit barer Zuzahlung kompensiert werden. Auch in anderen Fällen kann so für die Anteilsinhaber von „wertvolleren“ Aktien ein relativer Verlust durch bare Zuzahlung kompensiert werden.7

22.15

ee) Auswahl der Bewertungsmethode Das UmwG ordnet nicht an, mithilfe welcher Bewertungsmethode das Umtauschverhältnis zu bestimmen ist.8 Auch aus Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich insoweit keine Vorgabe ableiten. Die Auswahl der Bewertungsmethode liegt daher im pflichtgemäßen Ermessen des Vertretungsorgans der jeweiligen Gesellschaft.9 Aus § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwG ergibt sich lediglich, dass das Vertretungsorgan eine angemessene Methode auswählen muss.10 In der Praxis wird für eine Unternehmensbewertung meist die Ertragswertmethode (dazu Rz. 4.30 ff.) verwandt, die von der Rechtsprechung akzeptiert wird und jedenfalls „verfassungsrechtlich unbedenk-

1 Vgl. Simon in KölnKomm. UmwG, § 2 UmwG Rz. 128; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 31. 2 Beispiel: Auf eine „Restaktie“ verbleibt bei einem Umtauschverhältnis von 4:1 ein Bruchteil von 1/4 Aktie. 3 Simon in KölnKomm. UmwG, § 72 UmwG Rz. 19; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 72 UmwG Rz. 3. Weitere Maßnahmen, um ein krummes Umtauschverhältnis auszugleichen, erläutert Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 128 f. 4 Lanfermann in Kallmeyer, § 5 UmwG Rz. 22; näher Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 32. 5 Zur Verschiebung der Gewinnberechtigung auch Bungert/Wansleben, DB 2013, 979. 6 Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 32; Lanfermann in Kallmeyer, § 5 UmwG Rz. 22; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 130. 7 Zum ganzen Marsch-Barner in Kallmeyer, § 23 UmwG Rz. 8; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 33. 8 BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06 u. 1280/06, AG 2007, 697 (699); BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, AG 2011, 511; OLG Düsseldorf v. 11.8.2006 – I-15 W 110/05, AG 2007, 363 (365); BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675); Gehling in Semler/ Stengel, § 8 UmwG Rz. 24; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 34; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 9 Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14; ausführlich Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 24. 10 Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 24.

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22.16

§ 22 Rz. 22.16

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

lich“ ist.1 Dabei wird in der Praxis auf die anerkannten Bewertungsstandards des IDW S 1 i.d.F. 20082 zurückgegriffen.3 Daneben ist auch die Anwendung der Discounted Cash FlowMethode (dazu ausführlich § 10) zulässig.4 Hingegen ist die früher häufig verwendete Substanzwertmethode zur Ermittlung des Unternehmenswertes heute in der Regel nicht mehr als angemessen anzusehen.5

22.17 Bei börsennotierten Gesellschaften ist problematisch, ob anstelle der Ertragswertmethode auch oder ausschließlich der Börsenkurs berücksichtigt werden kann. Für aktienrechtliche Strukturmaßnahmen hat das BVerfG eine umfassende Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Börsenkurses – die sog. Börsenkursrechtsprechung – entwickelt.6 Ausgangspunkt der Entwicklungen ist die DAT/Altana-Entscheidung aus dem Jahr 1999, in der das BVerfG feststellte, dass im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG der Börsenwert einer Aktie jedenfalls für die Bestimmung der Abfindung und des Ausgleichs bei Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen sowie bei der Mehrheitseingliederung die Untergrenze der festzulegenden angemessenen Abfindung bildet.7 Wie der Börsenkurs zu ermitteln ist, hat das BVerfG dabei den Fachgerichten überlassen.8 Daran anknüpfend hat der BGH im Jahr 2010 beschlossen, dass für die Ermittlung des Börsenwertes einer Aktie grundsätzlich auf die dreimonatige Referenzperiode vor Bekanntmachung der Strukturmaßnahme abzustellen ist.9 Dabei ist ein volumengewichteter Durchschnittskurs zu bilden.10

22.18 Im Anschluss an die DAT/Altana-Entscheidung des BVerfG und die dort entwickelte Untergrenze-Rechtsprechung hat der BGH für aktienrechtliche Strukturmaßnahmen das sog. Meistbegünstigungsprinzip entwickelt (dazu ausführlich Rz. 18.67 ff.). Danach sind jedenfalls für die isolierte („absolute“) Bewertung zur Ermittlung einer Abfindung beim Unterneh1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 (568); BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06, AG 2007, 697 (699); BVerfG v. 20.12.2010 – 1 BvR 2323/07, AG 2011, 128 (130); BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – Rz. 23, AG 2011, 511; BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, ZIP 2012, 1656 = AG 2012, 674 (675); aus der neueren Instanzrechtsprechung etwa BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 (114 ff.) = AG 2016, 135 (zur Barabfindung nach Squeezeout); BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, AG 2003, 627 (628) (zur Barabfindung gem. § 305 AktG); BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, AG 2003, 569 (570); OLG Karlsruhe v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47 (49); OLG München v. 14.7.2009 – 31 Wx 121/06, WM 2009, 1848 (1849); OLG Stuttgart v. 22.9.2009 – 20 W 20/06, AG 2010, 42 (43); OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 38/09 – Rz. 12; weitere Nachweise bei Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 52 Fn. 1, 2. 2 IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), Stand: 2.4.2008. 3 Vgl. Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 24; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 13; IDW, Assurance (WPH Edition) 2017, Kap. E Rz. 291; Fleischer, AG 2014, 97 (99) (in concreto zu aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen). 4 Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 99, 100.3; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14. 5 Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 98; Zeidler in Semler/Stengel, § 12 UmwG Rz. 10; anders offenbar Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14. 6 Dazu ausführlich Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 ff. 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 = NJW 1999, 3769. 8 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 = NJW 1999, 3769 (3772); BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 – Siemens/Nixdorf, AG 2007, 119 = NJW 2007, 828 ff. 9 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BGHZ 186, 229 = BB 2010, 1941 = AG 2010, 629; dazu Decher ZIP 2010, 1673; Bungert/Wettich BB 2010, 2227. 10 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 = BB 2010, 1941 f. Näher dazu Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (162 f.).

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.19 § 22

mensvertrag und bei der Eingliederung sowohl Börsenwert als auch anteiliger Unternehmenswert zu ermitteln. Die Abfindung hat dann dem höheren der beiden Werte zu entsprechen.1 Damit geht der BGH über die Vorgaben des BVerfG hinaus. Neuerdings lässt sich eine Tendenz dahingehend erkennen, dass Gerichte jedenfalls bei einer absoluten Bewertung zunehmend allein eine Bewertung nach dem (aussagekräftigen) Börsenwert für zulässig halten.2 Im Hinblick auf das Umtauschverhältnis bei Verschmelzungen ist die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung uneinheitlich. Zum Teil wird ein Meistbegünstigungsprinzip ausdrücklich anerkannt, zum Teil ausdrücklich abgelehnt (aber dann dennoch faktisch gewahrt).3 Einen Vorlagebeschluss an den BGH hat es dazu bislang nicht gegeben. In seinem Beschluss T-Online/Deutsche Telekom, der eine Verschmelzung von zwei Publi- 22.19 kumsaktiengesellschaften im Konzern zum Gegenstand hatte, hat das BVerfG das Meistbegünstigungsprinzip ausdrücklich für verfassungsrechtlich nicht geboten erklärt und die alleinige Berücksichtigung des Börsenkurses als eine im Grundsatz unbedenkliche Wertermittlungsmethode anerkannt.4 Letzteres sei aber in Fällen der Marktenge, bei Anzeichen einer gezielten Pflege des Aktienkurses in Ansehung der bevorstehenden Strukturmaßnahmen oder bei unzureichender Information des Marktes wegen eines Verstoßes gegen Mitteilungspflichten nicht der Fall.5 Aufgrund dieser neueren Entscheidungen erhält die bereits zuvor sowohl im Schrifttum als auch in der Instanzrechtsprechung lebhaft diskutierte Frage, ob diese sog. Börsenkursrechtsprechung auch auf die („relative“) Bewertung in Verschmelzungssituationen übertragen werden kann, neue Brisanz.6 Dabei muss aber weiterhin zwischen Konzernverschmelzungen und Verschmelzungen unverbundener Gesellschaften differenziert werden, da die Börsenkursrechtsprechung ursprünglich für Konzernierungsfälle entwickelt wurde.7 1 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana, BGHZ 147, 108 = BB 2001, 1053 (1055 f.) = AG 2001, 417; bestätigt in BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Stollwerck, BGHZ 186, 229 = BB 2010, 1941 (1943) = AG 2010, 629; ausführlich dazu Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 317 ff. 2 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, ZIP 2016, 666 (668 f.) = AG 2016, 359; ebenso OLG Düsseldorf v. 15.12.2016 – I-26 W 25/12, AG 2017, 709 (710); LG Stuttgart v. 3.4.2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG – Rz. 88 ff., juris. Allgemein dazu bereits Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (173 f.). 3 Siehe dazu die detaillierte Auswertung der Rechtsprechung von OLG Düsseldorf, OLG Frankfurt, OLG München und OLG Stuttgart bei Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725 (727 f.). 4 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, NZG 2011 869 (870 f.) = AG 2011, 511; dazu Bungert, BB 2011, 1521; ebenso für den Fall des übernahmerechtlichen Squeeze-out BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09 u.a. – Deutsche Hypothekenbank, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907; näher dazu sowie zu den Folgen der Entscheidung Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (170 ff.). Zustimmend Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 26. Siehe auch zum umgekehrten Fall, in dem der Börsenkurs höher ist, als der mit der Ertragswertmethode ermittelte Unternehmenswert OLG Frankfurt v. 20.12.2013 – 21 W 40/11, S. 17 f., nach dem auch ein solches Meistbegünstigungsprinzip nicht besteht. 5 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, NZG 2011, 869 = AG 2011, 511; vgl. auch OLG Frankfurt v. 26.01.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790 (792); ausführlich zu Ausnahmen von der Berücksichtigung des Börsenkurses Riegger/Wasmann in FS Stilz, 2014, S. 509 ff. 6 Die bisherige Diskussion zusammenfassend Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (182 ff.) m.w.N. Aus der neueren Literatur s. Luttermann, EWiR § 15 UmwG 1/12, 571 (572); Jahn, AG 2012, R239; Klöhn/Verse, AG 2013, 2 (9); zu den Details der Rechtsprechung der Fachgerichte vgl. Mollnhuber, Umtauschverhältnis und Unternehmensbewertung bei der Verschmelzung, 2017, S. 110-115, zur vertieften Analyse S. 115-148. 7 Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (183, 185).

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§ 22 Rz. 22.20

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

22.20 Bei Konzernverschmelzungen besteht im Ausgangspunkt ein Interessengegensatz zwischen Großaktionär und Minderheitsaktionären, der als Rechtfertigung für einen Minderheitenschutz in Betracht kommt.1 Dementsprechend entschied das BVerfG in Sachen T-Online/ Deutsche Telekom für einen Fall des upstream merger, dass die von ihm in der Börsenkursrechtsprechung entwickelten Maßgaben „sich auf den hier gegebenen Fall einer Verschmelzung durch Aufnahme übertragen“ lassen.2 Das OLG Frankfurt ging in einer neueren Entscheidung bei einer Konzernverschmelzung zweier börsennotierter Gesellschaften auf eine NewCo entsprechend davon aus, dass der Börsenkurs als Untergrenze heranzuziehen sei. An das vertraglich vereinbarte Ertragswertverfahren sei das Gericht nicht gebunden. Allerdings gebe es keine generelle Vorzugswürdigkeit der einen oder anderen Bewertungsmethode. Vielmehr habe eine gesonderte Entscheidung von Fall zu Fall zu erfolgen, mit der den jeweiligen Besonderheiten Rechnung getragen werden könne.3

22.21 Ohne Bedeutung für das Umtauschverhältnis bleiben im Vorfeld der Verschmelzung von einem Großaktionär gezahlte Vorerwerbspreise. Für Barabfindungsfälle ist dies herrschende Rechtsprechung:4 Zahlt ein Großaktionär für Aktien einer Tochtergesellschaft mit einem Paketzuschlag versehene Vorerwerbspreise, orientieren sich diese Vorerwerbspreise ausschließlich am individuellen Grenznutzen des Großaktionärs. Sie stellen nicht zwingend den wahren Anteilswert dar, auf den es für die Ermittlung der Barabfindung aber gerade ankommt.5 Bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses kann ebenfalls nichts anderes gelten. Für den Sonderfall, dass der Großaktionär als börsennotierte Aktiengesellschaft selbst übernehmender Rechtsträger ist (sog. upstream merger), steht der Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen für das Umtauschverhältnis sogar darüber hinaus auch der Grundsatz der Methodengleichheit (s. Rz. 22.24) entgegen. Für die Bewertung des Großaktionärs als übernehmendem Rechtsträgers würde es nämlich kein Pendant zu den bei der Bewertung des übertragenden Rechtsträgers berücksichtigten Vorerwerbspreisen geben.

22.22 Bei der Verschmelzung zweier oder mehrerer unabhängiger Gesellschaften fehlt es anders als bei Konzernverschmelzungen grundsätzlich an dem bei Konzernierungsfällen typischen 1 Ausführlich Baums in GS Schindhelm, 2009, S. 63 (105 ff.); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 442 ff.; Bungert/Wettich in FS HoffmannBecking, 2013, S. 157 (184); Rölike/Tonner in Linien der Rechtsprechung des BVerfG – Band 1, 2009, S. 199 (204). 2 BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10 – T-Online/Deutsche Telekom, NZG 2011, 869 (870 f.) = AG 2011, 511; näher Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (184 f.); vgl. auch die Besprechungen von Bungert, BB 2011, 1521 (1522); von der Linden, EWiR § 5 UmwG 1/11, 515; Verannemann, GWR 2011, 256; H.-F. Müller, WuB 2011, 547; ebenso Rölike/Tonner in Linien der Rechtsprechung des BVerfG – Band 1, 2009, S. 199 (215). 3 OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13 – Rz. 55, 66, 78 f., AG 2016, 667 (669 f.). 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 (568); BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09 – Rz. 31 (obiter) – Stollwerck, AG 2010, 629 (632); OLG Düsseldorf v. 12.11.2015 – 26 W 9/14 – Rz. 44, AG 2016, 329 (330 f.); OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15 – Rz. 39, AG 2015, 789 (793); OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11 – Rz. 30, AG 2012, 513 (514); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 98, AG 2011, 560 (562); OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 2/07, AG 2011, 420 (422 f.); LG München I v. 21.6.2013 – 5HK O 19183/09, AG 2014, 168 (174 f.); OLG München v. 26.6.2018 – 31 Wx 382/15, BeckRS 2018, 13298, Rz. 34; LG München I v. 10.12.2010 – 5 HK O 11403/09; LG München v. 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16 – Rz. 199, juris; a.A. Schüppen, ZIP 2016, 1413 (1418 f.), wonach Vorerwerbspreise jedenfalls eine Untergrenze für die zu gewährende Abfindung darstellen sollen. 5 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 (568); LG München I v. 21.6.2013 – 5HK O 19183/09, AG 2014, 168 (174 f.); LG München I v. 10.12.2010 – 5 HK O 11403/09.

672

Bungert

Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.22 § 22

Interessengegensatz im Aktionärskreis einer Gesellschaft. Vielmehr sind sowohl Groß- als auch Kleinaktionäre derselben Gesellschaft an einem für sie möglichst günstigen Umtauschverhältnis interessiert.1 Dennoch hat das BVerfG in Sachen Daimler/Chrysler, einem sog. merger of equals, festgestellt, dass seine für die Fallgestaltungen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags sowie einer Eingliederung entwickelten Maßgaben „auf den hier gegebenen Fall einer Verschmelzung durch Aufnahme zu übertragen“ seien, jedoch ohne einen einzigen Satz der Begründung.2 Angesichts des fehlenden strukturellen Interessengegensatzes hätte man zumindest eine Stellungnahme dazu erwartet, dass hiermit die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Börsenkursrechtsprechung geändert wurden, waren diese doch ursprünglich als Schutz der Minderheitsaktionäre in Konzernierungsfällen konzipiert gewesen.3 Das BVerfG lässt darüber hinaus auch völlig offen, wie die Börsenkursrechtsprechung in der Praxis insbesondere mit dem Grundsatz der Methodengleichheit (s. Rz. 22.24) zu vereinbaren ist.4 Hinzu kommt, dass es in der Entscheidung auf die Berücksichtigung des Börsenkurses des übertragenden Rechtsträgers auch gar nicht ankam, denn dies hätte für den Beschwerdeführer zu einem ungünstigeren Umtauschverhältnis geführt. Demgegenüber hat das OLG Düsseldorf jüngst im Spruchverfahren zur Verschmelzung Thyssen/Krupp festgestellt, dass die Heranziehung der Börsenwertrelation als Untergrenze im Fall der Verschmelzung zweier unabhängiger Gesellschaften verfassungsrechtlich nicht geboten ist und dies zutreffend mit der in diesem Fall grundlegend verschiedenen Interessenlage gegenüber einer Verschmelzung im Konzern begründet. Insbesondere gehe jede Verschiebung des Umtauschverhältnisses zugunsten der ehemaligen Anteilseigner der einen übertragenden Gesellschaft zu Lasten der ehemaligen Anteilseigner der anderen übertragenden Gesellschaft (es handelte sich um einen Fall der Verschmelzung von zwei Publikumsaktiengesellschaften auf eine NewCo). Beide Gruppen könnten sich gleichermaßen auf das Eigentumsgrundrecht berufen.5 Die in der Argumentation zutreffende Entscheidung geht erstaunlicherweise auf die Daimler/Chrysler-Entscheidung des BVerfG nicht ein. In der Praxis wird man künftig aber wohl bei allen Formen der Verschmelzung durch Aufnahme auf die Börsenkursrechtsprechung eingehen und eine Lösung im Einzelfall finden müssen. Gerade bei einem merger of equals ist in der Praxis regelmäßig der (von Zusammenschlussgerüchten) unverfälschte Börsenkurs ohnehin Ausgangspunkt für die Zusammenschlussüberlegungen.

1 Näher Adolff Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 442 ff.; Baums in GS Schindhelm, 2009, S. 63 (85 ff.); Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (186 f.); Rölike/Tonner in Linien der Rechtsprechung des BVerfG – Band 1, 2009, S. 199 (204). 2 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, AG 2012, 674 = ZIP 2012, 1656 f. m. abl. Anm. Drygala, WuB II P. § 15 UmwG 1.13, S. 418 (420). Ebenso bereits Tonner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1581 (1595 f.); a.A. Rölike/Tonner in Linien der Rechtsprechung des BVerfG, 2009, S. 199 (215). 3 Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (187 f.). 4 Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (187 f.); vgl. auch OLG Frankfurt v. 5.12.2013 – 21 W 36/12, NZG 2014, 464 (464 ff.) (Im Laufe des Verfahrens hatten 7 (!) Ertragswertgutachten zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen geführt) m. abl. Anm. Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 455; Luttermann, EWiR § 15 UmwG 1/12, 571 (572); Jahn, AG 2012, R 239; a.A. Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14 sowie Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 100.1, der die grundsätzliche Übertragbarkeit nach wie vor für ungeklärt hält. Auch Klöhn/Verse, AG 2013, 2 (9) halten die Frage für offen. 5 OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/Krupp, AG 2017, 827 (830 f.).

Bungert

673

§ 22 Rz. 22.23

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

22.23 In der Rechtsprechung wird die Börsenkursrechtsprechung zur Unternehmensbewertung bisweilen auch bei lediglich im Freiverkehr gehandelten Aktien angewandt.1 Richtigerweise stellen im einfachen Freiverkehr gebildete Preise keinen verlässlichen Börsenkurs dar und müssen für die Unternehmensbewertung unberücksichtigt bleiben.2 Allerdings könnten die Grundsätze der Börsenkursrechtsprechung zumindest auf den sog. qualifizierten Freiverkehr übertragen werden, soweit eine ordnungsgemäße Preisbildung und hinreichende Verkehrsfähigkeit gewährleistet ist.3

22.24 Eine Unternehmensbewertung nach einer angemessenen Bewertungsmethode ist für jeden Rechtsträger, der an der Verschmelzung beteiligt ist, erforderlich (s. schon Rz. 22.10). In der Praxis wird eine Bewertung durch einen neutralen Wirtschaftsprüfer für beide Rechtsträger oder eine gemeinsame Bewertung durch jeweils einen zu diesem Zweck beauftragten Wirtschaftsprüfer der betroffenen Gesellschaften vor Abschluss des Verschmelzungsvertrages vorgenommen.4 Zu beachten ist der sog. Grundsatz der Methodengleichheit (dazu ausführlich Rz. 18.88 ff.).5 Demnach müssen alle beteiligten Gesellschaften anhand derselben Bewertungsmethode beurteilt werden.6 Dies bedeutet insbesondere auch, dass ein einheitlicher Bewertungsstichtag (näher Rz. 22.28) zu wählen ist.7 Aber auch innerhalb derselben Bewertungsmethode müssen den Bewertungen der jeweiligen Unternehmen dieselben Annahmen zugrunde gelegt werden, um zur richtigen Unternehmenswertrelation zu gelangen. Außerdem scheidet wegen dieses Grundsatzes eine Berücksichtigung des Börsenkurses (Rz. 22.17 ff.) aus, wenn nicht alle der beteiligten Rechtsträger börsennotiert sind.8 Die Auswahl unterschiedli1 OLG Düsseldorf v. 11.5.2015 – I-26 W 2/13, AG 2015, 573 (574); LG Stuttgart v. 3.4.2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG – Rz. 88, juris; OLG Zweibrücken v. 14.8.2018 – 9 W 4/14, jeweils zum aktienrechtlichen Squeeze-out. 2 Singhof in Spindler/Stilz, § 327b AktG Rz. 5; Stephan in K.Schmidt/Lutter, § 327b AktG Rz. 100; Riegger/Wassmann in FS Stilz, 2014, S. 509 (510 f.); zum aktienrechtlichen Squeeze-out s. LG München I v. 29.12.2011 – 5 HK O 2417/03. Unklar Veil/Preisser in Spindler/Stilz, § 305 AktG Rz. 57, die wegen der Anwendbarkeit der Ad-Hoc Publizität auf den Freiverkehr seit Juli 2016 gem. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 3 MAR die Anwendbarkeit der Börsenkursrechtsprechung auch für im Freiverkehr gebildete Preise in Erwägung ziehen. 3 Eingehend Bungert/Leyendecker BB 2014, 521 (523 f.); Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 41; ebenso OLG München v. 17.7.2014 – 31 Wx 407/13, NZG 2014, 1230 (1231) = AG 2014, 714. 4 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 33. 5 BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, ZIP 2003, 253 (257) = AG 2003, 569 (571); OLG Karlsruhe v. 10.1.2006 – 12 W 136/04, NZG 2006, 670 (671) = AG 2006, 463 (464); OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (704 f.); OLG Frankfurt v. 17.11.2009 – 20 W 412/07 – Rz. 42 f.; OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Rz. 126, AG 2010, 751 (Teilabdruck); OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Rz. 410 f., AG 2011, 49 (Teilabdruck); OLG Frankfurt v. 4.3.2011 – 21 W 1/11 – Rz. 32; OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749 (752); Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 28 m.w.N.; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14. 6 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 43; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 101; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 56. 7 Bula/Thees in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 9 Rz. 81; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 131; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 32; Wicke in FS Stilz, 2014, S. 707 (719). 8 OLG Karlsruhe v. 10.1.2006 – 12 W 136/04, NZG 2006, 670 (671) = AG 2006, 463 (464); OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05, AG 2006, 420 (427); OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (705); OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Rz. 410 f., AG 2011, 49 (Teilabdruck). Ebenso Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 43; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14b; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 100.1.; a.A. Tonner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1581 (1594); Puszkajler, BB 2003, 1692 (1694).

674

Bungert

Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.26 § 22

cher Bewertungsmethoden kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn ansonsten keine angemessene Unternehmenswertrelation erreicht werden könnte.1 Die Vergleichbarkeit beider Bewertungsergebnisse ist dann im Verschmelzungsbericht besonders zu erläutern.2 Bei der Verschmelzung von zwei voneinander unabhängigen Gesellschaften (sog. merger of equals) stellt sich die Sonderfrage, ob das sog. Verhandlungsmodell als eine Art besonderer Bewertungsmethode angewandt werden kann. Ausgangspunkt dieser Frage ist die Überlegung, dass sich bei einer Verschmelzung konzernunabhängiger, also selbständiger Rechtsträger zwei gleichberechtigte Verhandlungspartner begegnen, so dass man hier von einer tatsächlichen Verhandlungssituation sprechen kann.3 Dabei gelangen die Parteien zu einem Umtauschverhältnis, das aus Sicht beider beteiligter Rechtsträger angemessen ist. Einfluss auf ein solches für angemessen befundenes Umtauschverhältnis können und haben in der Praxis in der Verhandlungssituation nicht allein die üblichen Parameter zur Bestimmung des Unternehmenswertes, sondern auch andere Umstände der Verschmelzung, wie etwa künftige strategische Ausrichtung und nicht zuletzt die geplante Besetzung der Ämter der Vertretungsorgane im übernehmenden Rechtsträger.

22.25

Vor diesem Hintergrund hat das OLG Stuttgart in mehreren Entscheidungen das sog. Ver- 22.26 handlungsmodell vertreten, das den gerichtlichen Prüfungsmaßstab bezüglich des angemessenen Umtauschverhältnisses einengt.4 Danach ist der „in einer marktkonformen Verhandlung gefundene Preis […] grundsätzlich als angemessen zu betrachten“. Ein Eingriff in das von den Parteien vereinbarte Umtauschverhältnis soll dann nicht stattfinden, wenn die Vertretungsorgane der beteiligten Rechtsträger die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers angewendet haben.5 Demnach soll hier der Maßstab der Business Judgement Rule6 gelten. Dieses Verhandlungsmodell war Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG (Daimler/Chrysler).7 Nach Ansicht des BVerfG genügt es nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG, wenn „bei der Verschmelzung zweier wirtschaftlich und rechtlich unabhängiger Unternehmen […] die gerichtliche Kontrolle im Spruchverfahren auf die Prüfung eines ordnungsgemäßen Verhandlungsprozesses der Vorstände beschränkt“ wird. Vielmehr hat das Gericht auch in diesen Fällen umfassend zu prüfen, ob durch das Verhandlungsergebnis ein voller wirtschaftlicher Wertausgleich für den Verlust

1 Beispiel bei Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 29 (Verschmelzung eines ertragreichen Unternehmens ohne nennenswerte Vermögensgegenstände mit einem ertragsarmen Unternehmen, welches über erhebliche Vermögensgegenstände verfügt); s. auch Bermel/Hannappel in Goutier/Knopf/Tulloch, § 5 UmwG Rz. 23; Wicke in FS Stilz, 2014, S. 707 (716 f.). 2 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 29, § 8 UmwG Rz. 19; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 11; Wicke in FS Stilz, 2014, S. 707 (717). 3 Vgl. Klöhn/Verse, AG 2013, 2; Fleischer/Bong, NZG 2013, 881 (883); Hasselbach/Jakobs, AG 2014, 217 (222); Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 14a. Zur Übertragbarkeit der Verhandlungsmethode auch auf konzerninterne Verschmelzungen Klöhn in FS Stilz, 2014, S. 365 (366 ff.). 4 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Wüstenrot/Württembergische, AG 2006, 420; OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06 – Daimler/Chrysler, AG 2011, 49; zustimmend OLG Frankfurt v. 9.2.2010 – 5 W 33/09, ZIP 2010, 729 (730 f.); LG Frankfurt/M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 57/06, AG 2009, 749 (752); Brandi/Wilhelm, NZG 2009, 1408 (1412); Habersack, AG 2009, 1 (13). S. auch Stilz in FS Mailänder, 2006, S. 423 (433 ff.). 5 OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06, AG 2011, 49 (2. LS). 6 Dazu statt vieler Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 43 ff. 7 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, AG 2012, 674 ff. – Nichtannahmebeschluss. Siehe dazu auch die Stellungnahme von Adolff/Häller, Rz. 21.60.

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§ 22 Rz. 22.26

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

der Anteile am übertragenden Rechtsträger geschaffen wird.1 Es wird allerdings in der Literatur vertreten, dass der Prüfungsansatz des OLG Stuttgart dieser Auffassung nicht zu wider läuft.2 Ob dies tatsächlich der Fall ist, bleibt abzuwarten. ff) Grundsätze der Ermittlung des Unternehmenswertes

22.27 Ausgangspunkt für die Ermittlung des Unternehmenswertes ist jeweils der derzeitige Verkehrswert („wahrer Wert“)3 des an der Verschmelzung beteiligten Unternehmens, wie er sich ohne die geplante Verschmelzung darstellt.4 Es ist dabei jeweils das Unternehmen als Ganzes zu bewerten, nicht die einzelnen Anteile am Unternehmen.5 Jedoch kommt es nicht auf die richtige Ermittlung des einzelnen Unternehmenswertes in seiner absoluten Höhe an, sondern allein darauf, ob die Unternehmenswertrelation der beiden (mehreren) Unternehmen angemessen ist.6

22.28 Der für die Unternehmensbewertung maßgebliche Bewertungsstichtag ist bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses – anders als bei der Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs (dazu Rz. 22.57) – gesetzlich nicht normiert.7 Aus § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG sowie § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG schließt die herrschende Ansicht jedoch, dass auch für das Umtauschverhältnis die Wertverhältnisse am Tag der Hauptversammlung der übertragenden Gesellschaft maßgeblich sind.8 Dies entspricht auch der herrschenden Rechtsprechung.9 In der Praxis bezieht sich die Bewertung technisch regelmäßig auf den Stichtag des letzten Jahresabschlusses. Die so ermittelten Werte werden dann auf den Tag der Hauptversammlung aufgezinst, wobei auch etwaige positive oder negative Entwicklungen bis zum Bewertungsstichtag berücksichtigt werden, ggf. mittels einer sog. Aktualitäts- bzw. Stichtagserklärung.10 Bei Aktiengesellschaften ist die Informationspflicht gegenüber der Hauptversammlung nach § 64

1 BVerfG v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10 – Daimler/Chrysler, AG 2012, 674 (675). 2 So Klöhn/Verse, AG 2013, 2 (5). 3 Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 96; wohl auch Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 26. 4 OLG Düsseldorf v. 20.10.2005 – 19 W 11/04 AktE, AG 2006, 287 (288); Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 56. 5 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05, AG 2006, 420 (421 f.); OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (706); OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (702); OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Rz. 27, AG 2010, 751; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 57. 6 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 28; Kiem, ZGR 2007, 542 (550). 7 Bula/Thees in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 9 Rz. 81; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 32; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 21; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. 2013, § 5 UmwG Rz. 131; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 59. 8 Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 59; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 131; 108. Erg.-Lfg. Juni 2009, § 8 UmwG Rz. 30; Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (980) m.w.N. 9 OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09, WM 2010, 1841 (1857) = AG 2010, 751; vgl. auch BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, DB 2013, 334 (337) = AG 2013, 165: Dieser Bewertungsstichtag würde sich „anbieten“. 10 Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (980); Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 131; 108. Erg.-Lfg. Juni 2009, § 8 UmwG Rz. 30; vgl. auch Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 59; Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 42; Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (117); IDW, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition) 2018, Kap. A 74 f. und C Rz. 81 f.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.30 § 22

Abs. 1 Satz 2 UmwG zu beachten.1 Eine andere Möglichkeit, erheblichen Wertänderungen zu begegnen, wäre die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung.2 Nach anderer Ansicht kann der Bewertungsstichtag hingegen durch die Parteien des Verschmelzungsvertrags frei bestimmt werden, muss aber vor dem Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Anteilseigner liegen.3 In den Fällen, in denen auf den Börsenkurs abgestellt wird (dazu Rz. 22.17 ff.), ist dagegen 22.29 nicht der Kurs an einem bestimmten Stichtag maßgeblich, sondern ein Durchschnittskurs. Im Rahmen der „Stollwerck“-Entscheidung hat der BGH für die Ermittlung der Barabfindung in Squeeze-out-Fällen unter Abkehr seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass der maßgebliche Referenzzeitraum für die Berechnung eines solchen Durchschnittskurses dem Dreimonatszeitraum vor der (erstmaligen) Bekanntgabe der Strukturmaßnahme durch die Gesellschaft entspricht. Dadurch bleiben Kursbeeinflussungen durch (Abfindungs-)Spekulationen in Folge der Ankündigung einer Maßnahme unberücksichtigt, da solche rein spekulativen Preisausschläge nicht den wahren Unternehmenswert widerspiegeln.4 Auch in Verschmelzungssituationen spiegeln derart beeinflusste Börsenkurse nicht den wahren Unternehmenswert wieder, so dass auch für die Ermittlung der Verschmelzungswertrelation anhand von Börsenkursen Referenzzeitraum der Dreimonatszeitraum vor Bekanntgabe der Verschmelzungsabsicht ist.5 Der so gefundene Durchschnittskurs muss nach Auffassung des BGH möglicherweise bei einem längeren Zeitraum zwischen der Bekanntgabe der Verschmelzungsabsicht und dem Hauptversammlungsbeschluss über die Maßnahme korrigiert werden. Soweit ein geeigneter Branchenindex vorhanden ist, könnte dieser zur Hochrechnung der theoretischen Entwicklung der Aktie in diesem Zeitraum „unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung“ heranzuziehen sein.6 Wie das in der Praxis konkret auszusehen hat, ist bislang bis auf ganz wenige Gerichtsentscheidungen offen geblieben, so dass eine Hochrechnung nicht unerhebliche Probleme bereitet und der hochgerechnete Unternehmenswert mit Unsicherheiten behaftet ist.7 Je nachdem, ob ein Branchenindex, ein Marktindex oder eine Peer Group (wie für den Betafaktor verwendet) zugrundegelegt wird, ob eine proportionale Hochrechnung oder Hoch1 Näher dazu Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 132. 2 Vgl. Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 32 a.E.; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 30, 113. 3 Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 32; Bula/Thees in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 9 Rz. 82; ähnlich Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 21. 4 BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, ZIP 2010, 1487 = AG 2010, 629. 5 Bücker, NZG 2010, 967 (971); Bungert/Wettich, BB 2010, 2227 (2231); Decher, ZIP 2010, 1673 (1676); Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 44; Rieder, Minderheitenschutz bei der Verschmelzung unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften, 2012, S. 190 f.; Schilling/Witte, Der Konzern 2010, 477 (479 f.). 6 Jeweils zum Squeeze-out BGH v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, AG 2010, 629 (632); OLG Frankfurt v. 21.12.2010 – 5 W 15/10; zur Verschmelzung OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/Krupp, AG 2017, 827 (832); ebenso Decher, ZIP 2010, 1673 (1676). 7 Ausführlich zu den praktischen Schwierigkeiten einer Hochrechnung Bungert/Wettich, BB 2010, 2227 (2230 f.); nunmehr im Detail Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/Krupp, AG 2017, 827 (831 f.), wo in einem seit 17 Jahren laufenden Spruchverfahren wegen des damit verbundenen zeitlichen Aufwands von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Hochrechnung anhand der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung abgesehen wurde. Zur spärlichen gerichtlichen Praxis vgl. OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13 – Rz. 55, 66, 78 f., AG 2016, 667 (672); OLG Karlsruhe v. 22.6.2015 – 12a W 5/15, AG 2015, 789 (791 f.).

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§ 22 Rz. 22.30

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

rechnung unter Rückgriff auf den eigenen Betafaktor der Aktie1 verwendet wird, variieren die Ergebnisse.2 Allerdings kommt es für die Ermittlung des Umtauschverhältnisses nur auf die Wertrelation der beteiligten Unternehmen an, welche sich durch die Hochrechnung beider Börsenkurse dann nicht verändern würde, solange die Unternehmen aus derselben Branche stammen und deshalb derselbe Branchenindex herangezogen wird.3 Wann genau ein solcher längerer Zeitraum überhaupt erreicht ist, ist für Verschmelzungen höchstrichterlich noch nicht geklärt. Eine Frist von bis zu sieben Monaten dürfte jedoch noch kein solcher längerer Zeitraum sein.4 Jedenfalls bei einem merger of equals könnte wegen des großen Vorbereitungsbedarfs einerseits und des aus Sicht der BaFin unter der Geltung der MMVO frühen Vorliegens einer ad-hoc-pflichtigen Insiderinformation und damit einer frühen Bekanntgabe der Verschmelzungsabsicht andererseits möglicherweise ein längerer Zeitraum von der Rechtsprechung anerkannt werden.5

22.31 Problematisch ist aber, dass sich zwischen der Festlegung des Umtauschverhältnisses im Verschmelzungsvertrag und dem Wirksamwerden der Verschmelzung durch Eintragung in das Handelsregister der übernehmenden Gesellschaft (§ 20 Abs. 1 UmwG) Wertverschiebungen ergeben können.6 Nachträgliche Veränderungen der Unternehmenswerte können die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses jedoch nicht unrichtig machen, da nach der Wurzeltheorie des BGH (dazu Rz. 14.41 ff.) Entwicklungen und Umstände, die erst nach dem Bewertungsstichtag eintreten, bei der Bewertung nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie in den am Stichtag bestehenden Verhältnisses bereits angelegt waren.7 Das Gesetz weist das Risiko, dass sich die Umstände und Verhältnisse und damit auch wertbildende Faktoren zwischen der Zustimmung der Hauptversammlung(en) zum Verschmelzungsvertrag und dem Wirksamwerden der Verschmelzung ändern, den beteiligten Gesellschaften und ihren Anteilsinhabern zu.8 Der Verschmelzungsvertrag mit dem vereinbarten Umtauschverhältnis ist daher grundsätzlich auch dann bindend, wenn sich nach dem Bewertungsstichtag Umstände oder Verhältnisse ergeben haben, die Auswirkungen auf das angemessene vereinbarte Umtauschverhältnis haben.9 Nur ganz ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen kann 1 Etwa wenn Kursbewegungen z.B: aufgrund geringen Handelsvolumens der Aktie von der Bewegung des Marktes und damit des Vergleichsindex oder der Peer Group abgekoppelt sind, dazu Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1227 f.). 2 Siehe im Detail etwa Popp/Ruthardt, WPg 2017, 1222 (1224-1228). 3 Bungert/Wettich, ZIP 2012, 449 (455). 4 Ausführlich Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 46 ff.; Bungert/Wettich, ZIP 2012, 449 (454); auch OLG Saarbrücken v. 11.6.2014 – 1 W 18/13, Rz. 43 ff. juris (weniger als sieben Monate kein „längerer Zeitraum“ bei Squeeze-out); OLG Stuttgart v. 4.5.2011 – 20 W 11/08 – Rz. 97, AG 2011, 560 (562) (bis zu sechs Monate kein „längerer Zeitraum“ bei Squeeze-out); OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 6/08, Rz. 212, AG 2012, 49 (52 f.) (jedenfalls bis zu sechs Monate kein „längerer Zeitraum“ bei Squeeze-out); OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE) – Thyssen/ Krupp – Rz. 67, AG 2017, 827 (832) („längerer Zeitraum“ bei mehr als einem Jahr jedenfalls erreicht bei Verschmelzung). 5 Bungert/Wettich, ZIP 2012, 449 (453 f.). 6 Ausführlich dazu Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (981 980 ff.) m.w.N.; Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 69 f.; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 5 UmwG Rz. 29; Schröer in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 62. 7 Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (982) m.w.N.; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, DB 1973, 563 (565); BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, DB 1998, 872 (873) = AG 1998, 286; OLG Karlsruhe v. 4.2.1998 – 15 W 25/97, AG 1998, 288 (289). 8 Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (983). 9 Austmann/Frost, ZHR 169 (2005), 431 (456); Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 44.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.34 § 22

bei gravierenden Wertabweichungen im Verschmelzungsverfahren eine Störung der Geschäftsgrundlage anzunehmen sein.1 In der Praxis wird im Verschmelzungsvertrag in der Regel ein sog. rollierender Stichtag vorgesehen. Danach verschiebt sich der Verschmelzungsstichtag um je ein ganzes Jahr, falls sich die Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister aufgrund von Anfechtungsklagen (s. § 16 Abs. 2 und 3 UmwG) verzögert.2 Der Bewertungsstichtag bleibt dabei jedoch unverändert. Auch dieser Unterfall lässt die Angemessenheit des im Verschmelzungsvertrag festgelegten Umtauschverhältnisses wegen Wertverschiebungen zwischen Bewertungsstichtag und Wirksamwerden der Verschmelzung grundsätzlich nicht entfallen.

22.32

Eine generelle Besonderheit bei Unternehmensbewertungen besteht darin, dass es sich bei der Bewertung stets um eine Prognoseentscheidung handelt. Nach der Rechtsprechung kommt es auf die Richtigkeit der Bewertung nur hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen wie etwa Umsätze, Jahresergebnisse oder Börsenkurse an.3 Hingegen müssen die Prognoseentscheidungen lediglich plausibel sein. D.h. sie müssen als unternehmerische Entscheidungen auf zutreffenden Informationen und realistischen Annahmen beruhen und in sich widerspruchsfrei sein. Eine solche Planung wird dann – im Spruchverfahren – nicht durch eine eigene Planung des Gerichts ersetzt.4 Wenn bestimmte Planungen nicht wie erwartet eintreten, macht dies die Unternehmensbewertung nicht unrichtig.5

22.33

Insbesondere bei Verschmelzungen stellt sich die Frage, ob Verbundvorteile (sog. Synergieeffekte), auf deren Realisierung Verschmelzungen aus unternehmerischer Sicht in der Regel abzielen, bei der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen sind. So sind etwa die wirtschaftlichen Vorteile größerer Marktmacht und damit einer verbesserten Verhandlungsposition im Einkauf und Absatz oder der gemeinsamen Nutzung von Produktionsmitteln, Verwaltungsapparat und Mitarbeitern (s. dazu allgemein § 16) häufige Motive für eine Verschmelzung. Gemäß der Definition in IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 33 ist unter Synergieeffekten „die Veränderung der finanziellen Überschüsse, die durch den wirtschaftlichen Verbund zweier oder mehrerer Unternehmen entstehen und von der Summe der isoliert entstehenden Überschüsse abweichen“, zu verstehen. Nach herrschender Meinung bleiben (echte) Synergieeffekte der Verschmelzung, also solche, die einzig durch das Zusammenwirken zweier bestimmter Unternehmen aufgrund der spezifischen Gegebenheiten erreicht werden können, bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses außer Betracht.6 Verbundvorteile, die

22.34

1 Näher Austmann/Frost, ZHR 169 (2005), 431 (456 f.) m.w.N.; Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (983) m.w.N.; Simon in KölnKomm. UmwG, § 5 UmwG Rz. 48; offen gelassen von BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12 – Rz. 30, AG 2013, 165 (168), da dies die Bindung der Rechtsträger an den Verschmelzungsvertrag betreffe und sich daraus kein Zahlungsanspruch der Anteilsinhaber ergebe. 2 So auch in dem Verschmelzungsvertrag, der BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, AG 2013, 165 = NZG 2013, 233 zugrunde liegt. Ausführlich dazu Bungert/Wansleben, DB 2013, 979 (980 ff.) m.w.N. und schon Hoffmann-Becking in FS Fleck, 1988, S. 105 (117 ff.). 3 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 64, AG 2006, 420 (425). 4 OLG Frankfurt v. 8.10.2009 – 20 W 210/05 – Rz. 34 f.; OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 65, AG 2006, 420 (425); LG München I v. 21.6.2013 – 5HK O 19183/09, AG 2014, 168 (170). 5 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12 – Rz. 28, AG 2013, 165. 6 BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90, WM 1996, 526 = AG 1996, 127 (128); Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 17; Drygala in Lutter, § 8 UmwG Rz. 23; Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 48; Bula/Thees in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 9 Rz. 94 ff.; a.A Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (607).

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nicht nur bei der konkreten Verschmelzung auftreten, sondern grundsätzlich mit jedem anderen Unternehmen (derselben Branche) verwirklicht und somit unabhängig vom konkreten Bewertungsanlass realisiert werden können (sog. unechte Synergieeffekte), sind hingegen zu berücksichtigen, soweit die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.1

22.35 Sind Synergien nach diesen Grundsätzen zu berücksichtigen, schließt sich die Frage an, wie sie konkret in die Unternehmensbewertung einzustellen sind, insbesondere bei welchem der beteiligten Rechtsträger die Synergien bei der Bewertung zu berücksichtigen sind. Eine solche Verteilung ist vor allem deshalb problematisch, weil Synergien definitionsgemäß ihre Ursache im Verbund haben und von keiner Seite allein verursacht werden. Eine feste Regel hierzu existiert nicht. Entsprechend besteht weder in Rechtsprechung und Schrifttum noch in der Bewertungspraxis eine einheitliche Auffassung zur Verteilung der Synergien.2 In der Literatur äußert eine Vielzahl von Autoren eine Präferenz für die pragmatische hälftige Teilung.3 Demgegenüber halten andere Autoren die ertragswertanteilige Aufteilung für die vor dem Hintergrund des verfügbaren betriebswirtschaftlichen Erfahrungswissens als das derzeit für die Praxis am besten geeignete Verfahren.4 Insgesamt spricht vieles dafür, dass den Geschäftsführungsorganen der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bei der Zurechnung von Synergien ein Spielraum zuzubilligen ist. In der Praxis wird dieser auch häufig im Wege der Verhandlungen ausgefüllt.5 Auch das OLG Stuttgart nimmt hinsichtlich der Wahl des Verteilungsmodells einen Ermessensspielraum an.6 gg) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung

22.36 Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 UmwG ist im Verschmelzungsbericht auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung der Rechtsträger hinzuweisen. Ungewöhnliche Unsicherheiten bei der Prognose, wie sie etwa bei Sanierungsbemühungen, jungen Unternehmen, besonderen Risiken des Marktes oder einer kritischen Liquiditätslage bestehen, müssen berichtet werden.7 In der Praxis sind solche Hinweise im Verschmelzungsbericht allerdings in der Regel nicht zu finden, da die Bewerter einerseits, aber auch die Verschmelzungsprüfer andererseits, den Begriff der „besonderen“ Schwierigkeiten eng definieren.8 1 OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – I-26 W 14/13 – Rz. 51, AG 2017, 712 (714); OLG Stuttgart v. 26.10.2006 – 20 W 14/05 – Rz. 62, AG 2007, 128 (135); offen gelassen von BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90, WM 1996, 526 = AG 1996, 127 (128); Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 47; Mayer in Widmann/Mayer, 136. Erg.-Lfg. April 2013, § 5 UmwG Rz. 107; vgl. auch IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 34. Siehe auch Rz. 16.1 ff. 2 Ausführlich dazu Decher in FS Hommelhoff, 2012, S. 115 (122 ff.); IDW, Assurance (WPH Edition) 2017, Kap. E Rz. 306-311. 3 Böcking in FS Moxter, 1994, S. 1408 (1427); Dirrigl, WPg 1989, 617 (620); Klocke, JbFfSt 1987/88, S. 192 (229); Küting, BFuP 1981, 175 (189); Reuter, DB 2001, 2483 (2488). 4 Heurung, DB 1997, 841; Ossadnik, ZfB 1995, 69 (76, 83); vgl. auch IDW, Assurance (WPH Edition) 2017, Kap. E Rz. 307 und 310. 5 Vgl. IDW, Assurance (WPH Edition) 2017, Kap. E Rz. 307. 6 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705 (707); OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05, AG 2006, 420 (426 f.); vgl. auch schon OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, ZIP 1984, 586 (590). 7 Drygala in Lutter, § 8 UmwG Rz. 32; Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 51; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 24. 8 Siehe etwa die Verschmelzungsberichte der Vorstände Deutsche Telekom/T-Online International v. 8.3.2005, S. 253; RWE/VEW/RWE Gesellschaft für Beteiligungen v. 5.5.2000, S. 140; Daimler-Benz/ Chrysler v. 5.8.1998, S. 93.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.40 § 22

hh) Verschmelzungsprüfung Die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses ist im Rahmen der Prüfung der Verschmelzung nach § 9 UmwG zu überprüfen. Zu beachten ist, dass der Verschmelzungsprüfer keine eigene Bewertung vornimmt, sondern lediglich die vorgelegte Bewertung überprüft.1 Insbesondere ist zu prüfen, ob die Bewertung ordnungsgemäß durchgeführt wurde und ob Umtauschverhältnis sowie – soweit angeboten – die Höhe der baren Zuzahlung und der Barabfindung vollständig und richtig auf der Bewertung beruhen.2 Die Überprüfung erfolgt durch einen oder mehrere Verschmelzungsprüfer.

22.37

Der oder die Verschmelzungsprüfer werden auf Antrag des Vertretungsorgans der jeweiligen 22.38 beteiligten Gesellschaft vom nach § 10 Abs. 2 UmwG zuständigen Landgerichts ausgewählt und bestellt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UmwG ist es auch möglich, dass mehrere oder alle beteiligten Rechtsträger einen gemeinsamen Antrag stellen, woraufhin eine gemeinsame Bestellung erfolgt. In der Praxis einigen sich die Vertragsparteien der Verschmelzung häufig auf einen Prüfer und schlagen diesen dem Gericht als Anregung für die Auswahl vor. Bei einigen Landgerichten hat sich die Praxis entwickelt, dem Verschmelzungsprüfer im Bestellungsbeschluss „Auflagen“ über Inhalt und Umstände der Prüfung zu machen. Den Prüfern wird etwa auferlegt, zu Ort, Zeit sowie Art und Weise der Prüfung, zu von dem Bewertungsgutachten abweichenden Prüfungsergebnissen, zu den Quellen der für die Bewertung verwendeten Parametern, zu nach Auffassung des Prüfers geringst- und höchstmöglichem vertretbarem Unternehmenswert und Ähnlichem Stellung zu nehmen. Außerdem wird dem Prüfer häufig aufgegeben, eine bestimmte Anzahl von Exemplaren des Prüfberichts zu den Akten des Gerichts zu reichen, ebenso eine Kopie der Datei seines verwendeten Rechenprogramms. 2015 hat das OLG Düsseldorf es für unzulässig erklärt, dass das bestellende Gericht dem Prüfer inhaltliche Anweisungen für die Durchführung der Prüfung erteilt, da es damit die ihm gesetzlich eingeräumte Prüfungskompetenz überschreite. Zulässig seien jedoch bloße Hinweise und Anregungen etwa zum Inhalt des Berichts (Angaben zu Prüfungszeitraum, Detailtiefe einzelner Bewertungsparameter etc.), insbesondere da sie der Effizienz des nachfolgenden Spruchverfahrens dienten.3 Verzichten alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger auf die Prüfung oder befinden 22.39 sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers, ist gem. § 9 Abs. 3 UmwG i.V.m. § 8 Abs. 3 UmwG keine Verschmelzungsprüfung notwendig. Die Verzichtserklärungen sind notariell zu beurkunden. b) Schutz von Sonderrechten, § 23 UmwG Gemäß § 23 UmwG sind bei einer Verschmelzung den Inhabern von Rechten in einem übertragenden Rechtsträger, die kein Stimmrecht gewähren, gleichwertige Rechte in dem übernehmenden Rechtsträger zu gewähren. Erfasste Rechte sind nach dem Wortlaut der Norm „insbesondere“ Anteile ohne Stimmrecht, Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte. Daraus wird geschlossen, dass nur solche Vermögensrechte 1 Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 57; Drygala in Lutter, § 9 UmwG Rz. 11; Müller in Kallmeyer, § 9 UmwG Rz. 23; Zeidler in Semler/Stengel, § 9 UmwG Rz. 30. 2 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, AG 1989, 399; Mayer in Widmann/Mayer, 108. Erg.-Lfg. Juni 2009, § 9 UmwG Rz. 27. 3 OLG Düsseldorf v. 24.9.2015 – I-26 W 13/15 (AktE) – Abspaltung E.ON/Uniper, AG 2016, 142 (143 f.): dem Prüfer wurden inhaltliche Anweisungen zur Bewertung der Rückstellungen für die atomare Endlagerung gegeben; M. Noack, NZG 2016, 1259.

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22.40

§ 22 Rz. 22.40

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

gemeint sind, die eine mitgliedschaftsähnliche Rechtsposition vermitteln, nicht aber rein schuldrechtliche Gläubigerrechte.1 Sinn und Zweck der Vorschrift ist der Schutz dieser Rechtsinhaber vor einer Verwässerung.2

22.41 § 23 UmwG schreibt die Gewährung gleichwertiger Rechte vor. Dabei kommt es auf eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit an.3 Um die Gleichwertigkeit näher zu bestimmen, kann das – mit Hilfe einer Unternehmensbewertung ermittelte – Umtauschverhältnis herangezogen werden, da dieses in der Regel die Wertrelation zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger am besten wiedergibt.4 Beispielsweise beziehen sich dann Wandelschuldverschreibungen auf eine entsprechend des Umtauschverhältnisses errechnete Zahl von Anteilen am neuen Rechtsträger. Gewinnschuldverschreibungen könnten so ausgestaltet werden, dass sie sich nach der Verschmelzung auf einen entsprechend des Umtauschverhältnisses umgerechneten Gewinnanteil des übernehmenden Rechtsträgers beziehen.

22.42 Problematisch ist die Gewährung gleichwertiger Rechte bei sog. Mischverschmelzungen. In diesen Fällen kann der übernehmende Rechtsträger rechtsformbedingt möglicherweise keine gleichwertigen Rechte gewähren. In der Literatur wird für diese Fälle die Gewährung einer angemessenen Barabfindung analog § 29 UmwG (dazu Rz. 22.50 ff.) vorgeschlagen.5 c) Rechtsbehelfe gegen die Unternehmensbewertung

22.43 Bei der Strukturierung einer Verschmelzung wird in der Beratungspraxis in der Regel auch darauf geachtet, mit welchen Rechtsbehelfen gegen eine Unternehmensbewertung vorgegangen werden kann. Eine Anfechtungsklage gegen den Verschmelzungsbeschluss hat insofern aufschiebende Wirkung, als eine Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister wegen der nach § 16 Abs. 2 UmwG abzugebenden Negativerklärung bis zum Abschluss des Anfechtungsverfahrens grundsätzlich nicht möglich ist. Der Rechtsträger, gegen dessen Verschmelzungsbeschluss sich die Klage richtet, kann jedoch ein Freigabeverfahren einleiten, in dem das Gericht feststellen kann, dass die Erhebung der Klage der Eintragung der Verschmelzung nicht entgegensteht (§ 16 Abs. 3 UmwG). Ein solcher Gerichtsbeschluss durch das zuständige Oberlandesgericht ergeht, wenn (1) die Klage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist oder (2) der Kläger nicht nachweist, dass er seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Nennbetrag von mindestens 1.000 Euro hält, oder (3) das alsbaldige Wirksamwerden der Verschmelzung bei Abwägung der von der Gesellschaft dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre die Nachteile der Antragsgegner, d.h. der 1 Ausführlich Marsch-Barner in Kallmeyer, § 23 UmwG Rz. 2 ff.; Grunewald in Lutter, § 23 UmwG Rz. 2 ff.; Kalss in Semler/Stengel, § 23 UmwG Rz. 4 ff., 8; Vossius in Widmann/Mayer, 151. Erg.-Lfg. Mai 2016, § 23 UmwG Rz. 8 ff. 2 Marsch-Barner in Kallmeyer, § 23 UmwG Rz. 1; Grunewald in Lutter, § 23 UmwG Rz. 1; Kalss in Semler/Stengel, § 23 UmwG Rz. 1; Vossius in Widmann/Mayer, 151. Erg.-Lfg. Mai 2016, § 23 UmwG Rz. 1. 3 Näher Marsch-Barner in Kallmeyer, § 23 UmwG Rz. 8; Kalss in Semler/Stengel, § 23 UmwG Rz. 12; Vossius in Widmann/Mayer, 157. Erg.-Lfg. Mai 2016, § 23 UmwG Rz. 29 ff.; vgl. auch Grunewald in Lutter, § 23 Rz. 15. 4 Grunewald in Lutter, § 23 UmwG Rz. 14 ff.; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 23 UmwG Rz. 12, Kalss in Semler/Stengel, § 23 UmwG Rz. 14; Vossius in Widmann/Mayer, 157. Erg.-Lfg. Mai 2016, § 23 UmwG Rz. 29. Dies gilt aber nicht für Anwartschaften auf Anteile, vgl. Vossius in Widmann/Mayer, 157. Erg.-Lfg. Mai 2016, § 23 UmwG Rz. 1.3 ff. 5 Marsch-Barner in Kallmeyer, § 23 UmwG Rz. 11; Grunewald in Lutter, § 23 UmwG Rz. 17 a.E., 18; Kalss in Semler/Stengel, § 23 UmwG Rz. 15.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.45 § 22

Anfechtungskläger, überwiegt, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor. Nach § 14 Abs. 2 UmwG kann eine (Anfechtungs-)Klage gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses eines übertragenden Rechtsträgers jedoch nicht darauf gestützt werden, dass das Umtauschverhältnis der Anteile zu niedrig bemessen ist oder dass die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger kein ausreichender Gegenwert für die Anteile oder die Mitgliedschaft bei dem übertragenden Rechtsträger ist. Die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses und die ihr zugrunde liegende(n) Unternehmensbewertung(en) können daher nicht mit der Anfechtungsklage angegriffen werden. Rügen gegen das Umtauschverhältnis sind von den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers vielmehr im Spruchverfahren geltend zu machen.1 Einwendungen gegen die Unternehmensbewertung(en) blockieren daher die Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister nicht, so dass hinsichtlich der Wirksamkeit der Verschmelzung Rechtssicherheit besteht. § 15 Abs. 1 UmwG gewährt den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers einen Ausgleich durch bare Zuzahlung, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Umtauschverhältnis nicht angemessen war.2 Eine Anpassung des ursprünglich bestimmten Umtauschverhältnisses findet daher nur mittelbar – im Wege der baren Zuzahlung – statt.3 Um die Höhe der baren Zuzahlung zu bestimmen, wird das Gericht in der Regel den Verschmelzungsprüfer anhören (§ 8 Abs. 2 SpruchG). Ergänzend kann es einen Sachverständigen für die Überprüfung von Fragen der Unternehmensberatung bestellen.4 Das Gericht hat hier allerdings effizient und ressourcenschonend vorzugehen. Grundsätzlich wird es daher nicht in Betracht kommen, den gerichtlich bestellten Sachverständigen mit einer vollständigen Neubewertung zu beauftragen. Stattdessen wird das Gericht den gerichtlich bestellten Sachverständigen regelmäßig nur mit einzelnen konkreten Bewertungsfragen beauftragen, die im Verfahren im Streit stehen (zu den Grenzen der Überprüfung im Spruchverfahren s. auch Rz. 22.49).

22.44

Der Ausschluss der Anfechtungsklage gilt jedoch schon nach dem Wortlaut von §§ 14, 15 22.45 UmwG nur für die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers, nicht aber für die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers. Diese können also die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses – und damit die Unternehmensbewertung – im Rahmen der Anfechtungsklage angreifen.5 Gegen diese Anfechtungsklage wird in der Regel der übernehmende Rechtsträger ein Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG einleiten. In diesem Freigabeverfahren mag es je nach Komplexität der erhobenen Bewertungsrügen für das Oberlandesgericht schwierig sein, eine offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungsklage gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3, 1. Alt. UmwG anzunehmen. Eine Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen wird wegen der gesetzlichen Vorgabe, das Verfahren innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung zu erledigen, kaum gelingen. In der Praxis sind solche Freigabeverfahren aber gestützt auf die Interessenabwägung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3, 3. Alt. UmwG erfolgreich gewesen. 1 Gehling in Semler/Stengel, § 14 UmwG Rz. 30, § 15 UmwG Rz. 1; Decher in Lutter, § 14 UmwG Rz. 15; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 14 UmwG Rz. 12, § 15 UmwG Rz. 4. 2 Vgl. nur OLG Frankfurt v. 20.4.2012 – 21 W 31/11 – Rz. 12, AG 2012, 919 (920); OLG Frankfurt v. 1.3.2016 – 21 W 22/13 – Rz. 55, AG 2016, 667 (669). 3 Gehling in Semler/Stengel, § 14 UmwG Rz. 25; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 15 UmwG Rz. 6. 4 Vgl. auch OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11, AG 2011, 828 (829); OLG Stuttgart v. 19.1.2011 – 20 W 3/09, AG 2011, 205 (206); Mennicke in Lutter, UmwG, Anhang I, § 8 SpruchG Rz. 6 a.E. 5 Gehling in Semler/Stengel, § 15 UmwG Rz. 6; Decher in Lutter, § 15 UmwG Rz. 2; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 14 UmwG Rz. 15, § 15 UmwG Rz. 3.

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§ 22 Rz. 22.46

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

22.46 Vor diesem Hintergrund sprechen gute Argumente dafür, eine Verschmelzung so zu strukturieren, dass sie zur Aufnahme durch eine neu gegründete Aktiengesellschaft (sog. „NewCo“) geschieht. Beide Publikumsgesellschaften werden also auf eine „leere“ Aktiengesellschaft verschmolzen. In diesem Fall gibt es keine aufnehmende Gesellschaft mit Publikumsaktionären, so dass gerade die Bewertungsrüge der Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers im Anfechtungsverfahren vermieden wird. Nachteil dieser Gestaltung ist, dass auf diese Weise für beide Gesellschaften Grunderwerbsteuer anfällt, da beide Gesellschaften übertragender Rechtsträger sind. Außerdem kann es zwei Spruchverfahren geben, da es zwei übertragende Rechtsträger mit Anteilsinhabern mit diesem Rechtsbehelf gibt. Diese stehen jedoch in einem engen sachlichen Zusammenhang, sodass zur Vermeidung sich widersprechender Ergebnisse gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 SpruchG die Zuständigkeit auf das zuerst angerufene Gericht konzentriert wird.1 Zutreffenderweise sind die Verfahren entsprechend § 20 FamFG zu verbinden,2 andernfalls bestünde die (theoretische) Möglichkeit, dass die Anteilsinhaber beider beteiligter Rechtsträger bare Zuzahlungen nach § 15 Abs. 1 UmwG erhalten.

22.47 Eine andere Möglichkeit zur Vermeidung von Bewertungsrügen im Anfechtungsverfahren besteht darin, ein freiwilliges Spruchverfahren zu vereinbaren. Hierzu wird in einer Schiedsvereinbarung mit dem übernehmenden Rechtsträger ein Verfahren festgeschrieben, das dem Spruchverfahren nachgebildet ist. Diese Vorgehensweise kommt nur dann in Betracht, wenn es einen oder mehrere Hauptaktionäre beim übernehmenden Rechtsträger gibt, die bereit sind, den Minderheitsaktionären im Falle einer festgestellten Verwässerung eine in diesem Spruchverfahren festgestellte Barabfindung bzw. Zusatzaktien zu gewähren. Es handelt sich hierbei um einen Vertrag zugunsten Dritter, durch den die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft die Möglichkeit erhalten, von dem Schiedsverfahren Gebrauch zu machen. Die Existenz einer solchen Möglichkeit führt regelmäßig dazu, dass wegen des Wegfalls von Vermögensnachteilen auf Klägerseite gem. § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG das Vollzugsinteresse der Gesellschaft überwiegt.3 Eigentliches Ziel eines solchen freiwilligen Angebots ist, dass – wie qua Gesetzes beim übertragenden Rechtsträger – die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers darauf verzichten, die Bewertungsrüge im Anfechtungsverfahren zu erheben und das sachnähere Rechtsmittel wählen, damit die Eintragung der Verschmelzung nicht verzögert wird.

22.48 Der Umfang der gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit ist im Spruchverfahren eingeschränkt (s. dazu Rz. 22.33). Auf die Richtigkeit der Bewertung kommt es nur hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen wie etwa Umsätze, Jahresergebnisse oder Börsenkurse an.4 Prognoseentscheidungen müssen als unternehmerische Entscheidungen auf zutreffenden Informationen und realistischen Annahmen beruhen und in sich widerspruchsfrei sein.5 Wenn bestimmte Prognosen nicht eintreten, macht dies die Unternehmensbewertung nicht unrichtig.6

22.49 Wegen der Streubreite der möglichen Ergebnisse einer Unternehmensbewertung stellt sich die Frage, ab wann ein ermitteltes Umtauschverhältnis gem. § 15 Abs. 1 UmwG zu niedrig 1 Hüffer/Koch, § 2 SpruchG Rz. 4; Mennicke in Lutter, UmwG, Anhang I, § 2 SpruchG Rz. 5 ff.; Wälzholz in Widmann/Mayer, § 2 SpruchG Rz. 14. 2 So auch Drescher in Spindler/Stilz, AktG, § 2 SpruchG Rz. 15. 3 Vgl. J. Vetter, AG 2006, 613 (624). 4 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 64, AG 2006, 420 (425). 5 OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 – Rz. 65, AG 2006, 420 (425). 6 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 17/12 – Rz. 28, AG 2013, 165.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.51 § 22

bemessen ist. Innerhalb der Grenzen der Angemessenheit wäre es nicht sinnvoll, wenn das Gericht ein naturgemäß „unscharfes“ Bewertungsergebnis durch eine andere, ebenso wenig exakte Bewertung ersetzen würde.1 Aus diesem Grunde geht die Rechtsprechung dazu über, das Umtauschverhältnis im Spruchverfahren nicht zu korrigieren, solange es nach Überzeugung des Gerichts von einer den Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung entsprechenden Unternehmensbewertung nur innerhalb einer Bagatellgrenze, die z.B. auf bis zu 10 % festgelegt wird, abweicht.2 2. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs Zweiter Bewertungsanlass bei einer Verschmelzung ist die Bestimmung eines angemessenen Barabfindungsanspruchs nach § 29 UmwG. In der Praxis spielt dieser Bewertungsanlass insbesondere bei Aktiengesellschaften eine Rolle, da der Hauptanwendungsfall des § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG die Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft ist (näher zum Anwendungsbereich des § 29 UmwG Rz. 22.53 ff.).

22.50

a) Barabfindungsanspruch Der Abfindungsanspruch gem. § 29 UmwG als „Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts“ dient dem Minderheitenschutz.3 Es handelt sich hierbei um einen vermögensrechtlichen Anspruch zur Kompensation der Änderungen, die durch einen Mehrheitsbeschluss herbeigeführt werden.4 Die Abfindung muss in bar angeboten werden.5 Das Abfindungsangebot kann gemäß § 31 UmwG nur binnen zwei Monaten nach Eintragung der Verschmelzung in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers angenommen werden. Allerdings verlängert sich diese Frist im Falle eines Spruchverfahrens (§ 34 UmwG) auf zwei Monate nach dem 1 Vgl. dazu etwa LG München I v. 21.6.2013 – 5HK O 19183/09; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 060/06, BB 2007, 2395 (2396); OLG Frankfurt v. 11.1.2007 – 20 W 323/04, AG 2007, 449 (45); Friese-Dormann/Rothenfußer, AG 2008, 243 (246 f.); Wicke in FS Stilz, 2014, S. 707 (712 f.). 2 LG Frankfurt/M. v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Rz. 151, 181; LG Frankfurt/M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 57/06 – Rz. 36, AG 2009, 749; LG Frankfurt/M. v. 8.8.2001 – 3/8 O 69/97, AG 2002, 357 (358); LG München I v. 27.3.2000 – 5HK O 19156/98, AG 2001, 99 (100) (jeweils ausdrücklich 10 %); OLG Stuttgart v. 8.7.2011 – 20 W 14/08 – Rz. 333 ff., AG 2011, 795 (800) (Abweichung um 4,76 % irrelevant) (Squeeze-out); LG München v. 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16 – Rz. 180, juris (Abweichung von 9,42 % nicht mehr angemessen) (Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out); LG München v. 8.2.2017 – 5 HK 7347/15 – Rz. 162, juris (Abweichung von 7,12 % nicht mehr angemessen) (Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out); OLG Frankfurt v. 15.1.2016 – 21 W 22/13 – Rz. 83, AG 2016, 667 (671 f.) (Abweichung von 8 % nicht mehr angemessen); OLG Düsseldorf v. 18.8.2016 – 26 W 12/15 – Rz. 69, 71, AG 2017, 827 (832); LG München I v. 21.6.2013 – 5 HK O 19183/09 (Squeezeout); OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, AG 2007, 701 (703 f.); BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, AG 2003, 569 (571) (jeweils ohne konkrete Prozentzahl). Eingehend zu Bagatellgrenzen auch Friese-Dormann/Rothenfußer, AG 2008, 243 (246 ff.) m.w.N.; Bungert, BB 2003, 699 (701); Humrich in MünchHdb. UmwR, § 14 Rz. 425 ff.; Mollnhuber, Umtauschverhältnis und Unternehmensbewertung bei der Verschmelzung, 2017, S. 341-344. 3 Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 1; Wälzholz in Widmann/Mayer, 169. Erg.-Lfg. Januar 2018, § 29 UmwG Rz. 1 ff. 4 Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 2. 5 Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 5; Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 24; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 29 UmwG Rz. 18; Grunewald in Lutter, § 30 UmwG Rz. 2.

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22.51

§ 22 Rz. 22.51

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Tag, an dem die Entscheidung im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden ist. Ein Recht, den Ausgang eines bis zu diesem Tag noch nicht beendeten Spruchverfahrens zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses (s. dazu Rz. 22.44) abzuwarten, besteht nicht.

22.52 Die Barabfindung ist nach § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG im Verschmelzungsvertrag anzubieten. Die Höhe dieser Barabfindung und insbesondere ihre Angemessenheit müssen im Verschmelzungsbericht rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden, (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UmwG).1 Die Erläuterung und Begründung der Barabfindung im Verschmelzungsbericht unterliegt denselben Anforderungen wie die des Umtauschverhältnisses und wird regelmäßig ebenso umfassend und ausführlich ausfallen müssen (Rz. 22.7).2 b) Kernregelung, § 29 UmwG aa) Allgemeines

22.53 § 29 UmwG ist nach seiner systematischen Stellung unmittelbar bei der Verschmelzung durch Aufnahme anwendbar. Über § 36 Abs. 1 UmwG gilt er ebenfalls für die Verschmelzung durch Neugründung. Eine sehr ähnliche Regelung gibt es bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in § 122i UmwG, der in Abs. 1 Satz 3 für die Einzelheiten des Abfindungsanspruchs auf die §§ 29 ff. UmwG verweist. Hintergrund der Regelung ist die Annahme, dass in den im Gesetz aufgeführten Anwendungsfällen (näher dazu sogleich Rz. 22.54) durch die Verschmelzung eine so wesentliche Veränderung für die Anteilsinhaber eintritt, dass sie nicht zum Verbleib in der Gesellschaft gezwungen werden sollen. Das berechtigte Interesse der Anteilsinhaber, dass ihre Mitgliedschaft weitestgehend unverändert bleibt, soll durch ein Austrittsrecht kompensiert werden.3

22.54 § 29 UmwG nennt drei Anwendungsfälle für einen Barabfindungsanspruch: (i) Die Verschmelzung eines in § 3 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsträgers im Wege der Aufnahme durch einen Rechtsträger einer anderen dort genannten Rechtsform (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 UmwG) ist der erste Anwendungsfall. Einzig bei der Verschmelzung einer AG mit einer KGaA findet § 29 UmwG gem. § 78 Satz 4 UmwG keine Anwendung. (ii) Zweitens ist § 29 UmwG auf die Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 UmwG, sog. „kaltes“ Delisting)4 anzuwenden. (iii) Dritter Anwendungsfall ist die Verschmelzung von Rechtsträgern derselben Rechtsform, wenn die Anteile oder Mitgliedschaften an dem übernehmenden Rechtsträger kraft Satzung bzw. Gesellschaftsvertrag oder kraft Gesetzes Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind (§ 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Praktischer Anwendungsfall sind insbesondere Vinkulierungen.5 Sind nur bestimmte Anteile verfügungsbeschränkt, betrifft das Recht zum Austritt gegen Barabfindung auch nur ebendiese.6

22.55 Da beim upstream merger (dazu Rz. 22.6) kein Anteilstausch stattfindet, ist dabei entgegen des Wortlauts und trotz fehlender ausdrücklicher Ausnahmeregelung ein Abfindungsange1 2 3 4 5

Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 49. Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 49; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 8 UmwG Rz. 23. Grunewald in Lutter, § 29 UmwG Rz. 1 f.; Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 2. Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 6a, 16. Näher zu den Anwendungsfällen des § 29 UmwG etwa Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 6 ff.; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 29 UmwG Rz. 2 ff.; Wälzholz in Widmann/Mayer, 169. Erg.-Lfg. Januar 2018, § 29 UmwG Rz. 12 ff. 6 Grunewald in Lutter, § 29 UmwG Rz. 5; Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 9.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.58 § 22

bot nicht erforderlich.1 Nicht anwendbar sind die §§ 29 ff. UmwG hingegen auf die Mitglieder einer übertragenden Genossenschaft, § 90 Abs. 1 UmwG. Diesen steht stattdessen ein Ausschlagungsrecht (§ 90 Abs. 2, 3 UmwG) sowie die Auszahlung des Geschäftsguthabens (§§ 93, 94 UmwG) zu.2 Auch bei der Verschmelzung eines eingetragenen Vereins, der nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit ist (gemeinnütziger Verein), gibt es gem. § 104a UmwG keinen Anspruch auf Barabfindung. bb) Angemessenheit Aus § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG folgt, dass die Barabfindung angemessen sein muss. Dies ist – ähnlich wie beim Umtauschverhältnis (dazu Rz. 22.11) – dann der Fall, wenn die Abfindung dem vollen wirtschaftlichen Wert der Anteile entspricht.3 Zu ersetzen ist wiederum der Verkehrswert,4 der aus dem objektivierten Unternehmenswert des übertragenden Rechtsträgers ermittelt wird.5 Hierzu ist grundsätzlich eine Unternehmensbewertung erforderlich.6

22.56

§ 29 UmwG wird von § 30 Abs. 1 UmwG dahingehend konkretisiert, dass die Barabfindung die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verschmelzung berücksichtigen muss.7 Damit ist der Bewertungsstichtag auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung der Anteilseignerversammlung des übertragenden Rechtsträgers über die Verschmelzung festgelegt.8 Die Stichtage für die Ermittlung der Barabfindung und des Umtauschverhältnisses (nach oben vertretener Ansicht, s. Rz. 22.28) sind somit identisch und eine zur Ermittlung des Umtauschverhältnisses durchgeführte Unternehmensbewertung kann ohne weiteres auch zur Ermittlung der Barabfindung herangezogen werden. Hier kommt es dann aber anders als bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses entscheidend auf die absolute Höhe des Werts eines Anteils des übertragenden Rechtsträgers an.9

22.57

Die Wertermittlung erfolgt nach den anerkannten Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung.10 Meist wird – wie bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses – die Ertragswertmethode angewendet (dazu Rz. 4.30 ff.).11 Auch die Anwendung anderer Bewer-

22.58

1 Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 23; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 29 UmwG Rz. 17; Grunewald in Lutter, § 29 UmwG Rz. 20. 2 Näher dazu die Kommentierung zu den §§ 90 ff. UmwG von Scholderer in Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl. 2017. 3 Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 25; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 5; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 6. 4 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, AG 1999, 566 (567 f.); Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 25; Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 8; Grunewald in Lutter, § 30 UmwG Rz. 2; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 6. 5 Gehling in Semler/Stengel, § 8 UmwG Rz. 49. 6 Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 7. 7 Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 25; Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 18; Grunewald in Lutter, § 30 UmwG Rz. 2. 8 Ebenso Kalss in Semler/Stengel, § 29 UmwG Rz. 25; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 2, 11; Grunewald in Lutter, § 30 UmwG Rz. 2; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 9. 9 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 – Feldmühle, NJW 1962, 1667 (1668 f.); Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 2a ff.; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 6. 10 Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 7; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 4. 11 Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 7; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 5; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 30.

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§ 22 Rz. 22.58

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

tungsmethoden wie der Discounted Cash Flow-Methode ist zulässig1 (s. zur Methodenauswahl bereits Rz. 22.16). Im Einzelfall kann bei Immobilienverwaltungsgesellschaften oder rein vermögensverwaltenden Gesellschaften ausnahmsweise auch auf die Net Asset Value (NAV)-Methode als Bewertungsmethode zurückgegriffen werden.2

22.59 Für den Barabfindungsanspruch nach § 29 UmwG ist anerkannt, dass die vom BVerfG entwickelte Börsenkursrechtsprechung Anwendung findet.3 Bei börsennotierten Gesellschaften wäre es daher nach der aktuellen Rechtsprechung jedenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn ausschließlich auf den Börsenkurs zur Bestimmung des Barabfindungsanspruchs abgestellt würde (s. schon Rz. 22.19). Für die Ermittlung des Börsenkurses ist nach der Rechtsprechung im Regelfall auf einen volumengewichteten Durchschnittskurs innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor Bekanntmachung der Verschmelzung abzustellen (s. die Nachweise in Rz. 22.17). Da allerdings der Barabfindungsanspruch nach § 29 UmwG regelmäßig neben der Festlegung des Umtauschverhältnisses i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG steht, wird man bei der Unternehmensbewertung gleichzeitig auch die Vorgaben der Börsenkursrechtsprechung zum Umtauschverhältnis bei Verschmelzungen zu beachten haben (dazu Rz. 22.17 ff.). cc) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung

22.60 Zu beachten ist, dass nach § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG nur die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verschmelzung zu berücksichtigen sind. Daraus folgt, dass für die Bestimmung der Barabfindung eine Unternehmensbewertung des übernehmenden Rechtsträgers nicht erforderlich ist. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zur Bestimmung des Umtauschverhältnisses.4

22.61 Ebenso wie bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses ist auch bei der Bestimmung des Barabfindungsanspruchs umstritten, ob und inwieweit Synergieeffekte bei der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen sind. Bei der Barabfindung geht die ganz herrschende Meinung davon aus, dass echte (nachvertragliche) Synergieeffekte außer Betracht bleiben müssen, da die ausscheidenden Anteilsinhaber nicht an Vorteilen beteiligt werden sollen, die erst durch die Verschmelzung selbst entstehen.5 Das Unternehmen ist vielmehr nach dem sog. stand-alone-Prinzip zu bewerten.6 Unechte Synergieeffekte dürfen dagegen – wie bei der Er1 Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 5; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 32. 2 OLG Frankfurt v. 8.9.2016 – 21 W 36/15, ZIP 2017, 772 (774 f.) (verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out); LG Hannover v. 1.11.2018 – 23 AktE 73/17 (Squeeze-out), dazu Wasmann, DB 2018, 3042. 3 Vgl. Bungert/Wettich in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 157 (177 f.); Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 8 ff.; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 6, 12. 4 Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 8. 5 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, AG 1998, 286 (287); OLG Stuttgart v. 4.2.2000 – 4 W 15/98, NZG 2000, 744 (745) = AG 2000, 428 (429); OLG Düsseldorf v. 19.10.1999 – 19 W 1/96 AktE, AG 2000, 323 f.; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 W 128/97, AG 1999, 128 (130) m. insoweit zust. Anm. Bungert, NZG 1998, 990 (jeweils zum Beherrschungsvertrag); Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 16 m.w.N.; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 9; Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 34.38; Ruthardt, NZG 2015, 1387 (1391 f.); IDW, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition) 2018, Kap. A Rz. 270. 6 Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 16; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 8 f.; IDW, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition) 2018, Kap. C Rz. 120; s. auch Wälzholz in Widmann/Mayer, 155. Erg.-Lfg. März 2016, § 30 UmwG Rz. 9.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.65 § 22

mittlung des Umtauschverhältnisses (Rz. 22.34) – in die Unternehmensbewertung einfließen.1 Zu Schwierigkeiten bei Prognoseentscheidungen kann auf die Ausführungen zum Umtauschverhältnis (Rz. 22.33) verwiesen werden.

22.62

c) Rechtsbehelfe gegen die Unternehmensbewertung Ähnlich wie §§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 1 Satz 2 UmwG bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses (dazu Rz. 22.43) regeln §§ 32, 34 UmwG die gerichtliche Nachprüfung des Barabfindungsangebots. Nach § 32 UmwG kann eine Klage gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses eines übertragenden Rechtsträgers nicht darauf gestützt werden, dass das Angebot nach § 29 UmwG zu niedrig bemessen oder dass die Barabfindung im Verschmelzungsvertrag nicht oder nicht ordnungsgemäß angeboten worden ist. Rügen gegen den Barabfindungsanspruch können also ebenfalls nicht mit der Anfechtungsklage, sondern nur im Spruchverfahren geltend gemacht werden (§ 34 UmwG).2 Nach ihrem Wortlaut schließt die Norm wiederum nur die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers aus.3

22.63

d) Sonderfall: Barabfindung beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out Einen Sonderfall stellt die Barabfindung bei dem im Jahre 2011 eingeführten sog. verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out (§ 62 Abs. 5 UmwG) dar. In den Fällen einer Konzernverschmelzung nach § 62 Abs. 1 UmwG (upstream merger) kann die Hauptversammlung einer übertragenden Aktiengesellschaft innerhalb von drei Monaten nach Abschluss des Verschmelzungsvertrages einen Squeeze-out Beschluss nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG fassen, wenn der übernehmenden Gesellschaft Aktien i.H.v. mindestens 90 % des Grundkapitals gehören (§ 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG). Die erforderliche Beteiligungsquote von 90 % stellt dabei den wesentlichen Unterschied zum aktienrechtlichen (§§ 327a ff. AktG) und übernahmerechtlichen (§ 39a f. WpÜG) Squeeze-out dar (Beteiligungsquote jeweils mindestens 95 %).

22.64

Beteiligte Rechtsträger können sowohl auf Seiten der übertragenden Gesellschaft (§ 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG) als auch auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft (§ 62 Abs. 5 Satz 7 UmwG) nur Aktiengesellschaften sein. Nach § 78 UmwG ist zudem die Beteiligung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien sowie nach Art. 10 SE-VO die Beteiligung einer Societas Europaea möglich. Eine GmbH kann hingegen nach dem Wortlaut der Norm einen verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out nicht unmittelbar durchführen. Jedoch stellt es eine zulässige Gestaltungsmöglichkeit dar, wenn eine GmbH zunächst einen Rechtsformwechsel in eine Aktiengesellschaft vollzieht und anschließend den verschmelzungsrechtlichen Squeezeout betreibt oder wenn eine GmbH auf eine Zwischenholding in der Rechtsform der AG verschmolzen wird.4 Das OLG Hamburg hat inzwischen bestätigt, dass es sich bei einem

22.65

1 Zeidler in Semler/Stengel, § 30 UmwG Rz. 17; Lanfermann in Kallmeyer, § 30 UmwG Rz. 9; IDW, Bewertung und Transaktionsberatung (WPH Edition) 2018, Kap. A Rz. 271. 2 Marsch-Barner in Kallmeyer, § 32 UmwG Rz. 1, § 34 UmwG Rz. 1; Gehling in Semler/Stengel, § 32 UmwG Rz. 1, 3, § 34 UmwG Rz. 4 ff.; Grunewald in Lutter, § 32 UmwG Rz. 1, § 34 UmwG Rz. 1. 3 Marsch-Barner in Kallmeyer, § 32 UmwG Rz. 1; Grunewald in Lutter, § 32 Rz. 2; Gehling in Semler/ Stengel, § 32 UmwG Rz. 4, 8 f. m.w.N. Siehe aber auch BGH v. 18.12.2000 – II ZR 1/99 – MEZ, BGHZ 146, 179, 189 = AG 2001, 301 = GmbHR 2001, 200. 4 So schon Bungert/Wettich, DB 2011, 1500 (1501); ausführlich Mayer, NZG 2012, 561 (563 f.); Marsch-Barner in Kallmeyer, § 62 UmwG Rz. 36; Kiefner/Seibel in MünchHdb. UmwR, § 17 Rz. 20

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§ 22 Rz. 22.65

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

vorhergehenden Rechtsformwechsel nicht um ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen handelt.1 Schließlich ist ein verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out auch bei einer grenzüberschreitender Verschmelzung nach den §§ 122a ff. UmwG möglich.2

22.66 Ein Verschmelzungsbericht sowie eine Verschmelzungsprüfung sind nach übereinstimmender Ansicht in der Literatur beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out nicht erforderlich.3 Sinn und Zweck von Verschmelzungsbericht und Verschmelzungsprüfung ist nämlich die Information der Anteilsinhaber, damit diese ihr Stimmrecht ausüben können. Bei einer Konzernverschmelzung mit Squeeze-out findet aber eine Beschlussfassung über die Verschmelzung nicht statt.4 Da diese Frage noch nicht gerichtlich geklärt ist, wird in der Praxis bislang dennoch nicht auf Verschmelzungsbericht und Verschmelzungsprüfung verzichtet:5 Das Erstellen eines Verschmelzungsberichts und die Durchführung einer Verschmelzungsprüfung ist verbreitet, um eine Verweigerung der Eintragung der Verschmelzung durch das Registergericht6 oder erfolgreiche Anfechtungsklagen durch Minderheitsaktionäre sicher auszuschließen.7

22.67 Die Höhe der zu zahlenden Barabfindung richtet sich nach § 327b AktG (§ 62 Abs. 5 Satz 8 UmwG). Für die Bestimmung der angemessenen Barabfindung ist eine Unternehmensbewertung der Tochtergesellschaft erforderlich.8

1 2 3

4 5

6 7 8

u. 23; Rieger in Widmann/Mayer, 135. Erg.-Lfg. Februar 2013, § 62 UmwG Rz. 107 ff.; Stephanblome, AG 2012, 814 ff.; Heckschen, NJW 2011, 2390 (2393); kritisch zu letzterem Austmann, NZG 2011, 684 (690); Florstedt, NZG 2015, 1212 ff. OLG Hamburg v. 14.6.2012 – 11 AktG 1/12, AG 2012, 639; dazu Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749 (750 f.). Mayer, NZG 2012, 561 (564); Marsch-Barner in Kallmeyer, § 62 UmwG Rz. 37; Rieger in Widmann/Mayer, 135. Erg.-Lfg. Februar 2013, § 62 UmwG Rz. 112; Diekmann in Semler/Stengel, § 62 UmwG Rz. 32e; Kiefner/Seibel in MünchHdb. UmwR, § 17 Rz. 8. Bungert/Wettich, DB 2011, 1500 (1503); Göthel, ZIP 2011, 1541 (1546); Hofmeister, NZG 2012, 688 (693); Mayer, NZG 2012, 561 (573); Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749 (757); Terlau/Strese, AG 2014, R78 f.; Diekmann in Semler/Stengel, § 62 UmwG Rz. 32g; Kiefner/Seibel in MünchHdb. UmwR, § 17 Rz. 31 u. 40. Göthel, ZIP 2011, 1541 (1547); Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749 (757); Terlau/Strese, AG 2014, R78 (R79). Ausführlich Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749 (757 f.); Terlau/Strese, AG 2014, R78 (R79). Siehe aus der Praxis etwa die gemeinsamen Verschmelzungsberichte der Vorstände deutsche internet versicherung/Mannheimer Holding v. 24.10.2012; PROCON MultiMedia/MHG Media Holdings v. 3.11.2011 und Global Entertainment/Advanced Inflight Alliance v. 19.12.2013; WMF AG/FINEDINING CAPITAL AG v. 4.12.2014; BNP Paribas Beteiligungsholding AG/DAB Bank AG v. 13.4.2015. Ebenso Mayer, NZG 2012, 561 (573 f.); Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749 (757 f.); Terlau/Strese, AG 2014, R78 (R79). Ebenso Schockenhoff/Lumpp, ZIP 2013, 749 (757 f.); Terlau/Strese, AG 2014, R78 (R79). Bungert/Wettich, DB 2011, 1500 (1501); Mayer, NZG 2012, 561 (568). Zur Ermittlung des Unternehmenswerts beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out s. etwa OLG München v. 20.3.2019 – 31 Wx 185/17, juris; LG Frankfurt v. 27.5.2014 – 3-05 O 34/13, NZG 2015, 1028; OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 21 W 75/15, AG 2017, 790, m. Anm. Rölike, DB 2017, 713; OLG Frankfurt v. 8.9.2016 – 21 W 36/15, ZIP 2017, 772 = AG 2017, 553.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.70 § 22

3. Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften a) Grundsätzliches Die Regelungen über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in 22.68 § 122a ff. UmwG setzen die EU-Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften1 um. Mit der Umsetzung durch Bulgarien im Dezember 2016 haben nunmehr alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Richtlinie umgesetzt.2 Eine grenzüberschreitende Verschmelzung ist nach der Legaldefinition des § 122a Abs. 1 UmwG eine Verschmelzung, bei der mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt.3 Verschmelzungsfähige Gesellschaften sind nach § 122b Abs. 1 UmwG nur Kapitalgesellschaften i.S.v. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften. Ausgenommen sind hingegen nach § 122b Abs. 2 UmwG Genossenschaften und sog. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), also Wertpapierfonds.4 Praktische Bedeutung haben die Regelungen über die grenzüberschreitenden Verschmelzung gem. §§ 122a ff. UmwG bislang nur bei konzerninternen Verschmelzungen erlangt. Soweit ersichtlich hat hingegen bislang keine grenzüberschreitende Verschmelzung stattgefunden, an der Publikumsaktiengesellschaften beteiligt waren. Dies liegt insbesondere daran, dass im Vorhinein nicht absehbar ist, wie viele Aktionäre von dem von Gesetzes wegen vorzusehenden Barabfindungsangebot Gebrauch machen und sich für ein Ausscheiden aus der Gesellschaft entscheiden. Dadurch droht ein hoher Abfluss an Liquidität.

22.69

Aus Anlass des BREXIT hat das BMJV am 3.9.2018 den Referentenentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vorgelegt, welches nach zügigem Gesetzgebungsverfahren am 1.1.2019 in Kraft getreten ist.5 Danach ist u.a. in § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG ergänzt worden, dass übernehmende oder neue Gesellschaften aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Personenhandelsgesellschaften sein können. Während das Gesetz hauptsächlich motiviert ist, eine Übergangsfrist für Maßnahmen bei einer UK Ltd. mit Verwaltungssitz in Deutschland zu schaffen, wird diese Änderung künftig für Kapitalgesellschaften aus allen EU-Mitgliedsstaaten gelten. Infolge der neu eingefügten Verweisung in § 122a Abs. 2 Satz 2 UmwG auf die allgemeinen Vorschriften bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer Personenhandelsgesellschaft, ergeben sich hieraus für bewertungsrechtliche Fragen keine Besonderheiten.6 Auch dürfte der Anwendungsbereich gering sein, da aufgrund weiterhin bestehender Rechtsunsicherheiten und dem mit Gründung einer Limited zum Ausdruck gebrachten Bedürfnis nach einer Kapitalgesellschaft,

22.70

1 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 310, S. 1, jetzt kodifiziert in den Art. 118–134 der Gesellschaftsrechts-RL (Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. EU Nr. L 169/46, S. 1). 2 Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/NIM/?uri=CELEX:32005L0056. 3 Einführend zur grenzüberschreitenden Verschmelzung J. Vetter, AG 2006, 613 ff. 4 Näher zum persönlichen Anwendungsbereich der §§ 122a ff. UmwG etwa Marsch-Barner in Kallmeyer, § 122b UmwG Rz. 2 ff.; Bayer in Lutter, § 122b UmwG Rz. 2 ff. 5 BGBl. I 2018, 2694 v. 31.12.2018; ausführlich hierzu Bungert/Wansleben, DB 2019, 49 ff.; Stiegler, ZIP 2018, 2351 ff. 6 Bungert/Wansleben, DB 2019, 49 (51).

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§ 22 Rz. 22.70

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine zuvor gegründete deutsche GmbH die erste Wahl bleiben dürfte.1

22.71 Anstelle des Verschmelzungsvertrages bei einer nationalen Verschmelzung ist bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung der sog. Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG aufzustellen.2 Dort müssen gem. § 122c Abs. 2 Nr. 2 UmwG das Umtauschverhältnis der Gesellschaftsanteile und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlungen angegeben werden. Wenn sich alle Anteile an der übertragenden Gesellschaft in der Hand der übernehmenden Gesellschaft befinden (upstream merger, dazu für nationale Verschmelzungen schon Rz. 22.6), entfällt wiederum die Angabe des Umtauschverhältnisses im Verschmelzungsplan (§ 122c Abs. 3 UmwG). Ist der übernehmende Rechtsträger keine deutsche Gesellschaft, hat die übertragende Gesellschaft im Verschmelzungsplan jedem Anteilsinhaber, der gegen den Verschmelzungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner Anteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten (§ 122i UmwG, s. dazu auch Rz. 22.53 ff.).

22.72 Die detaillierte Erläuterung des Umtauschverhältnisses erfolgt auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung im Verschmelzungsbericht (§ 122e i.V.m. § 8 UmwG, s. dazu für nationale Verschmelzungen Rz. 22.7).3 § 8 Abs. 3 UmwG ist jedoch gem. § 122e Satz 3 UmwG nicht anzuwenden. Daher ist – anders als bei den nationalen Verschmelzungen – auch in Fällen des upstream merger ein Verschmelzungsbericht erforderlich. Auch ein Verzicht sämtlicher Anteilsinhaber ist grundsätzlich nicht möglich.4 b) Sonderfall: Verschmelzung zur Societas Europaea

22.73 Die grenzüberschreitende Verschmelzung zur Societas Europaea (SE) ist nicht in den §§ 122a ff. UmwG, sondern unmittelbar in der SE-VO5 geregelt. Aktiengesellschaften im Sinne des Anhang I der SE-VO, der sämtliche Aktiengesellschaften in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auflistet, können gem. Art. 2 Abs. 1 SE-VO durch Verschmelzung eine SE gründen. Die deutsche KGaA wird im Anhang I der SE-VO nicht aufgeführt, kann also nicht auf diesem Wege zur SE verschmolzen werden.6 Die grenzüberschreitende Verschmelzung zur SE kann – wie bei der nationalen Verschmelzung auch – durch Aufnahme (Art. 17 Abs. 2 lit. a SE-VO) oder durch Gründung einer neuen Gesellschaft (Art. 17 Abs. 2 lit. b SE-VO) erfolgen.

22.74 Die rechtlichen Folgen der grenzüberschreitenden Verschmelzung zur SE sind in Art. 29 SE-VO ausdrücklich aufgezählt: Bei der Verschmelzung zur Aufnahme (Art. 29 Abs. 1 SE-VO) geht das Vermögen jeder übertragenden Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf

1 Stiegler, ZIP 2018, 2351 (2352); J. Schmidt, GmbHR 2018, R292 (R293); Behme, ZRP 2018, 204 (205); Bungert/Wansleben, DB 2019, 49 (51 f.). 2 Näher J. Vetter, AG 2006, 613 (617 ff.); Marsch-Barner in Kallmeyer, § 122c UmwG Rz. 1; Bayer in Lutter, § 122c UmwG Rz. 3; Drinhausen in Semler/Stengel, § 122c UmwG Rz. 1. 3 Drinhausen in Semler/Stengel, § 122c UmwG Rz. 15; Mayer in Widmann/Mayer, 143. Erg.-Lfg. August 2014, § 122c UmwG Rz. 84, 87. 4 Vgl. zu Möglichkeiten einer teleologischen Reduktion Bayer in Lutter, § 122e Rz. 12 ff.; MarschBarner in Kallmeyer, § 122e UmwG Rz. 11 f.; Drinhausen in Semler/Stengel, § 122e UmwG Rz. 12 ff. 5 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294, 1. 6 Sagasser/Clasen in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 14 Rz. 20.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.77 § 22

die übernehmende Gesellschaft über. Die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft werden Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft. Zugleich erlischt die übertragende Gesellschaft, während die übernehmende Gesellschaft die Rechtsform einer SE annimmt. Rechtstechnisch findet hier also sowohl eine Verschmelzung als auch ein Formwechsel statt.1 Bei der Verschmelzung zur Neugründung (Art. 29 Abs. 2 SE-VO) wird hingegen die SE selbst neu gegründet. Auf diese geht wiederum im Wege der Gesamtrechtsnachfolge das Vermögen der sich verschmelzenden Gesellschaften über. Die Aktionäre der sich verschmelzenden Gesellschaften werden zu Aktionären der SE. Gleichzeitig erlöschen alle übertragenden Gesellschaften. Wie nach § 122c UmwG bei der im UmwG geregelten „normalen“ grenzüberschreitenden Verschmelzung muss auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung zur SE gem. Art. 20 SE-VO ein Verschmelzungsplan aufgestellt werden. Dieser muss wiederum Angaben zum Umtauschverhältnis der Aktien und gegebenenfalls zur Höhe der Ausgleichsleistung (entspricht der baren Zuzahlung) enthalten (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 lit. b SE-VO).

22.75

Hingegen stellt die SE-VO selbst keine Verpflichtung auf, einen Verschmelzungsbericht zu 22.76 erstatten. Gemäß der Verweisungsnorm des Art. 18 SE-VO sind für jede an der Verschmelzung beteiligte Gesellschaft die nationalen Rechtsvorschriften über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften anzuwenden. Eine an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte deutsche Aktiengesellschaft ist daher nach Art. 18 SE-VO i.V.m. § 8 UmwG verpflichtet, einen Verschmelzungsbericht zu erstellen.2 c) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung Für die Unternehmensbewertung der beteiligten Rechtsträger an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gelten dieselben Grundsätze wie bei einer innerstaatlichen Verschmelzung (dazu Rz. 22.16 ff.). Jedoch ist hier eine Einigung der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger auf eine einheitliche, von der jeweils betroffenen Rechtsordnung gebilligte Bewertungsmethode erforderlich.3 Empfohlen wird daher, die anzuwendende Bewertungsmethode im Verschmelzungsplan festzulegen.4 Die beteiligten Rechtsträger sollten sich auch auf den maßgeblichen Bewertungsstichtag einigen.5 Zudem tritt bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung die Besonderheit auf, dass die in Deutschland gängige Ertragswertmethode im Ausland überwiegend unbekannt ist.6 Bei der Verschmelzung börsennotierter Gesellschaften ist dies ein weiteres Argument für die ausschließliche Berücksichtigung des

1 Sagasser/Clasen in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 14 Rz. 219; MarschBarner in Kallmeyer, Anhang I Rz. 14. 2 Sagasser/Clasen in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 14 Rz. 68; Marsch-Barner in Kallmeyer, Anhang I Rz. 48 m.w.N.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 20 SE-VO Rz. 29. 3 Drinhausen in Semler/Stengel, § 122c UmwG Rz. 16; Lanfermann in Kallmeyer, § 122c UmwG Rz. 11; Bayer in Lutter, § 122c Rz. 15; Sagasser/Clasen in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017, § 14 Rz. 48 (zur SE); näher Reuter, AG 2007, 881 (891 f.). 4 Drinhausen in Semler/Stengel, § 122c UmwG Rz. 16; Lanfermann in Kallmeyer, § 122c UmwG Rz. 11; Großfeld, NZG 2002, 353 (354). 5 Mayer in Widmann/Mayer, 143. Erg.-Lfg. April 2014, § 122c UmwG Rz. 86. 6 Lanfermann in Kallmeyer, § 122c UmwG Rz. 11.

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22.77

§ 22 Rz. 22.77

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Börsenkurses bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses.1 Bei fehlender Börsennotierung bietet sich für die Praxis ein Rückgriff auf die Discounted Cash Flow-Methode (dazu § 10) an.2 d) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung

22.78 Besondere Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung sind insbesondere bei der Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes denkbar. Problematisch ist die Bestimmung dann, wenn die Zinssätze in den an der Verschmelzung beteiligten Staaten unterschiedlich sind.3 e) Geplante Änderungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung

22.79 Im April 2018 hat die EU Kommission den Vorschlag für die Überarbeitung der Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung zusammen mit einer erstmaligen Regelung von grenzüberschreitenden Spaltungen und Rechtsformwechseln vorgelegt.4 Neuerungen ergeben sich für die Verschmelzung im Bereich des Schutzes von Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern, des Verschmelzungsstichtages, des Verschmelzungsberichts und der Konzernverschmelzung. Für den Gläubigerschutz müssen zum einen im Verschmelzungsplan Einzelheiten zu den den Gläubigern angebotenen Sicherheiten aufgenommen werden (Art. 122 lit. n) Richtlinienentwurf). Die Mitgliedstaaten können zum zweiten zum Gläubigerschutz vorsehen, dass das Leitungsorgan der Gesellschaft eine Art „Solvenzerklärung“ als Teil des Verschmelzungsplans abgeben muss (Art. 126b Abs. 1 Richtlinienvorschlag).5 Der Verschmelzungsplan kann fortan bilingual, d.h. sowohl in den Amtssprachen der Mitgliedstaaten der sich verschmelzenden Gesellschaften als auch in einer fachlich gebräuchlichen Verkehrssprache abgefasst werden (Art. 122 Abs. 2 Richtlinienentwurf). Allerdings könnte nach der gegenwärtigen Fassung jeder Mitgliedstaat seine Landessprache als bindend bezeichnen, womit wenig gewonnen wäre.

22.80 Es wird eine einheitliche Regelung zur Bestimmung des Verschmelzungsstichtages eingeführt (Art. 122a Richtlinienentwurf). Sofern die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft nach IFRS bilanziert, soll der Stichtag nach IFRS bestimmt werden. Anderenfalls verbleibt den zu verschmelzenden Gesellschaften die Möglichkeit, einen Stichtag zu vereinbaren, welcher jedoch nicht vor dem Bilanzstichtag des letzten Jahresabschlusses einer der beteiligten Gesellschaften liegen darf.6 Eine gänzliche Neuerung hat die Ausgestaltung 1 Ausführlich Kiem, ZGR 2007, 542 (564 f.). 2 Kiem, ZGR 2007, 542 (562). Vgl. auch I-ADVISE, Studie zur Bewertungspraxis bei gesellschaftsrechtlichen Anlässen, 5. Aufl. 2010-2018, abrufbar unter http://www.i-advise.de/de/aktualisierte-stu die-zur-unternehmensbewertung-bei-gesetzlichen-bewertungsanlassen/ S. 3, wonach nur in vier Praxisfällen zwischen 2010 bis 2018 die Discounted Cash Flow-Methode in der Form des WACCAnsatzes neben dem Ertragswertverfahren angewandt wurde, und nur in zwei Fällen dies ausschließlich geschah (ein Fall davon mit Auslandsberührung). 3 Mayer in Widmann/Mayer, 143. Erg.-Lfg. April 2014, § 122c UmwG Rz. 86; näher Großfeld, NZG 2002, 353 (356); Reuter, AG 2007, 881 (894 ff.). 4 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, 25.4.2018, COM(2018) 241 final; dazu auch Noack/Kraft, DB 2018, 1577; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (236 ff.) und 273. 5 Näher J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (239). 6 Näher dazu J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (240 f.).

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.83 § 22

des Verschmelzungsberichts erfahren. Künftig soll es zwei separate Berichte geben, einen an die Gesellschafter (Art. 124 Richtlinienentwurf) und einen an die Arbeitnehmer1 (Art. 124a Richtlinienentwurf). Als Erleichterungen für Konzernverschmelzungen wird in Art. 119 Nr. 2 lit. d) Richtlinienentwurf der sog. side-step merger als ausdrücklich als erfasste Verschmelzungsvariante definiert und zudem bestimmt, dass die übernehmende Gesellschaft in diesen Fällen keine neuen Anteile ausgibt. In Art. 132 Abs. 1 Richtlinienentwurf werden zwei weitere Privilegierungen für upstream-merger einer 100%-Tochter sowie nun auch für sidestep merger ergänzt, nämlich keine Angaben zum Barabfindungsangebot und die Entbehrlichkeit des Verschmelzungsberichts.2 § 122i UmwG normiert im deutschen Recht bereits heute ein Austrittsrecht gegen Barabfindung für Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers, die gegen den Verschmelzungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben (s. Rz. 22.71). Art. 126a Richtlinienvorschlag sieht einen solchen Barabfindungsanspruch künftig für alle stimmberechtigten Anteilsinhaber vor, die „nicht für die Zustimmung zum [Verschmelzungsplan] gestimmt haben“, sowie für Anteilsinhaber mit stimmrechtslosen Anteilen.3 Die Formulierung ist unsauber. Gemeint sind wohl – wie in Art. 126a Abs. 8 Richtlinienentwurf – die Anteilsinhaber, die abgelehnt haben. Wer also an der Anteilsinhaberversammlung nicht teilgenommen hat oder sich der Stimme enthalten hat, ist nicht abfindungsberechtigt. Neu ist jedoch, dass auch die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers die Barabfindung wählen können. Dies scheint allerdings nicht gerechtfertigt, da die Rechtsform sich für diese nicht ändert und das Umtauschverhältnis von ihnen gerichtlich überprüft werden kann (s. sogleich Rz. 22.83).4

22.81

Ebenso wie im deutschen Recht wird eine Prüfung der Angemessenheit der Barabfindung 22.82 durch den Verschmelzungsprüfer vorgeschrieben (Art. 126a Abs. 5 Richtlinienvorschlag). Zudem soll jedem Anteilsinhaber, der das Barabfindungsangebot angenommen hat und dieses nicht für angemessen hält, das Recht zustehen, bei einem nationalen Gericht „eine Neuberechnung“ zu verlangen (Art. 126a Abs. 6 Richtlinienvorschlag).5 International-privatrechtlich findet das Recht des Mitgliedstaats der jeweiligen sich verschmelzenden Gesellschaft Anwendung. Dessen Gerichte sind für dieses „Spruchverfahren“ zuständig (Art. 126a Abs. 7 Richtlinienvorschlag).6 Dies kann dann aber dazu führen, dass in zwei Mitgliedstaaten widersprüchliche Entscheidungen zur angemessenen Höhe der jeweiligen Barabfindung gefällt werden, die ggf. zusätzlich im Widerspruch zum Spruchverfahren zum Umtauschverhältnis stehen (s. sogleich Rz. 22.83). Neu ist im Richtlinienentwurf, dass das Spruchverfahren für die Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses auch für Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers vorgesehen werden soll (Art. 126a Abs. 8 und 9 Richtlinienentwurf), die bislang mit der Bewertungsrüge auf die Anfechtungsklage angewiesen waren. Rechtsfolge eines Spruchverfahrens, das insoweit ein unangemessen hohes Umtauschverhältnis feststellen würde, wäre dann eine Sonderdividende oder eine Aktiengewährung aus einer Kapitalerhöhung aus Gesell-

1 Zu den Informationsrechten für die Arbeitnehmer ausführlich Mückl/Götte, BB 2018, 2036 (2036-2038). 2 Näher dazu J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (243 f.). 3 J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (237 f.); Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254 (2256 f.). 4 Positiv dagegen J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (237). 5 Näher dazu Noack/Kraft, DB 2018, 1577 (1581); J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (237 f.). 6 Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254 (2257 f.).

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§ 22 Rz. 22.83

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

schaftsmitteln allein zugunsten der Alt-Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft.1 Internationalprivatrechtlich findet für die Korrekturverpflichtung das Recht der übernehmenden Gesellschaft Anwendung (Art. 126a Abs. 10 Richtlinienentwurf). Regelungen zur Bewertung enthält der Richtlinienentwurf dagegen nicht.

III. Spaltung 22.84 Eine Spaltung kann nach § 123 UmwG in drei verschiedenen Arten vorkommen: Bei der sog. Aufspaltung gem. § 123 Abs. 1 UmwG wird das ganze Vermögen des übertragenden Rechtsträgers im Wege einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge auf wenigstens zwei2 andere Rechtsträger übertragen. Der übertragende Rechtsträger wird aufgelöst. Ähnlich wie bei der Verschmelzung kann dies entweder zur Aufnahme (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) oder zur Neugründung (§ 123 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) geschehen. Die Gegenleistung besteht bei der Aufspaltung darin, dass Anteile oder Mitgliedschaften der aufnehmenden bzw. neu gegründeten Rechtsträger an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers gewährt werden.

22.85 Die Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG zeichnet sich dadurch aus, dass hier ein Teil oder mehrere Teile des Vermögens eines Rechtsträgers im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge auf einen oder mehrere andere Rechtsträger übertragen wird bzw. werden. Auch hier ist entweder eine Aufnahme (§ 123 Abs. 2 Nr. 1 UmwG) oder eine Neugründung (§ 123 Abs. 2 Nr. 2 UmwG) möglich. Die Gegenleistung besteht wie bei der Aufspaltung darin, dass Anteile oder Mitgliedschaften an dem oder den Zielrechtsträgern an die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers gewährt werden.

22.86 Bei Auf- und Abspaltung ist nicht nur eine sog. verhältniswahrende Spaltung möglich, bei der die Anteile oder Mitgliedschaften an dem oder den übernehmenden Rechtsträger(n) den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers in dem Verhältnis zugeteilt werden, das ihrer Beteiligung an dem übertragenden Rechtsträger entspricht. Vielmehr ergibt sich aus § 128 UmwG, dass die Spaltung auch als sog. nicht-verhältniswahrende Spaltung, also unter Änderung der Beteiligungsverhältnisse, vorgenommen werden kann. Als Sonderfall der nicht-verhältniswahrenden Spaltung ist auch eine sog. Spaltung „zu Null“ zulässig.3 Eine solche liegt vor, wenn mindestens einem Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft keinerlei Anteile an dem oder den übernehmenden Rechtsträger(n) gewährt werden. Die Zulässigkeit der Spaltung „zu Null“ entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der mit der nicht-verhältniswahrenden Spaltung die Auseinandersetzung von Gesellschaftergruppen und Familienstämmen ermöglichen wollte.4 Dies geschieht typischerweise im Wege einer Spaltung „zu Null“.5

1 Näher dazu DAV Ausschuss Handelsrecht, Stellungnahme Nr. 31/2018, Juli 2018, S. 29 f.; Knaier, GmbHR 2018, 607 (613 f.); Noack/Kraft, DB 2018, 1577 (1581); J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 (238). 2 Teichmann in Lutter, § 123 UmwG Rz. 19; Schwanna in Semler/Stengel, § 123 UmwG Rz. 12. 3 OLG München v. 10.7.2013 – 31 Wx 131/13, AG 2013, 688 = NZG 2013, 951 m. zust. Anm. Kunkel, jurisPR-HaGesR 9/2013, Anm. 3 und Trendelenburg, BB 2013, 1940; LG Konstanz v. 13.2.1998 – 1 HTH 6/97, GmbHR 1998, 837 = ZIP 1998, 1226 m. Anm. Katschinski; LG Essen v. 15.3.2002 – 42 T 1/02, NZG 2002, 736 (737); aus der Literatur vgl. Sickinger in Kallmeyer, § 123 UmwG Rz. 5 m.w.N.; ausführlich dazu Weiler, NZG 2013, 1326. 4 BR-Drucks. 75/94, 120. 5 Priester in Lutter, § 128 UmwG Rz. 13; auf die Gesetzesbegründung stellt auch bereits das LG Essen v. 15.3.2002 – 42 T 1/02, NZG 2002, 736 (737) ab.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.91 § 22

Auch bei einer Ausgliederung wird gem. § 123 Abs. 3 UmwG einer oder mehrere Teile des Vermögens eines Rechtsträgers auf einen oder mehrere andere Rechtsträger im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge übertragen. Dabei ist auch die Übertragung des ganzen Vermögens zulässig (sog. Totalausgliederung).1 Dies hat zur Folge, dass der übertragende Rechtsträger als bloße Holding fortbesteht.2 Die Ausgliederung kann – ebenso wie die beiden anderen Spaltungsarten – zur Aufnahme (§ 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG) oder zur Neugründung (§ 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG) erfolgen. Der entscheidende Unterschied liegt hier in der Gegenleistung: Die Anteile oder Mitgliedschaften an dem oder den Zielrechtsträgern werden an den übertragenden Rechtsträger selbst gewährt, nicht an dessen Anteilsinhaber.3

22.87

Auch bei der Spaltung sind wiederum zwei Bewertungsanlässe denkbar, nämlich die Bestimmung des Umtauschverhältnisses sowie die Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs.

22.88

1. Bestimmung eines Umtauschverhältnisses a) Das Umtauschverhältnis Aus § 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG folgt, dass nur bei der Auf- und Abspaltung ein Umtauschverhältnis zu bestimmen ist. Streng genommen handelt es sich jedoch nur bei der Aufspaltung tatsächlich um ein Umtauschverhältnis.4 Denn hier wird festgelegt, wie viele Anteile (bzw. Mitgliedschaften) am übertragenden Rechtsträger in Anteile am übernehmenden Rechtsträger umgetauscht werden.5 Der übertragende Rechtsträger geht bei Eintragung der Aufspaltung im Handelsregister unter.

22.89

Dagegen findet bei der Abspaltung kein Umtausch der Anteile statt. Vielmehr behalten die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers ihre Anteile, welche durch die Abspaltung aufgrund des teilweisen Vermögensabgangs jedoch an Wert verlieren. Diese Einbuße wird durch die zusätzliche Gewährung von Anteilen am übernehmenden Rechtsträger kompensiert.6 Auch insofern ist also ein Verhältnis zu bestimmen, das als „Zuteilungsverhältnis“ zu bezeichnen wäre.7 Im Folgenden soll zusammenfassend insoweit von „Umtauschverhältnis“ gesprochen werden.

22.90

Bei der Ausgliederung müssen hingegen nach dem Wortlaut des § 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG im Spaltungs- und Übernahmevertrag keine Angaben zum Umtauschverhältnis gemacht werden. Dies ist dadurch bedingt, dass bei der Ausgliederung die Anteile bzw. Mitgliedschaften nicht an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers gewährt werden, sondern an diesen selbst (s. bereits Rz. 22.87).8 Von daher ist im Folgenden zwischen der Auf- und Abspaltung einerseits sowie der Ausgliederung andererseits zu differenzieren.

22.91

1 Schwanna in Semler/Stengel, § 123 UmwG Rz. 17; Teichmann in Lutter, § 123 UmwG Rz. 25; Sickinger in Kallmeyer, § 123 UmwG Rz. 12. 2 Schwanna in Semler/Stengel, § 123 UmwG Rz. 17; Sickinger in Kallmeyer, § 123 UmwG Rz. 12. 3 Sickinger in Kallmeyer, § 123 UmwG Rz. 11; Teichmann in Lutter, § 123 UmwG Rz. 26. 4 Darauf weisen zu Recht Lanfermann in Kallmeyer, § 126 UmwG Rz. 9 und Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 33 hin. 5 Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 35; Lanfermann in Kallmeyer, § 126 UmwG Rz. 8. 6 So ausführlich Lanfermann in Kallmeyer, § 126 UmwG Rz. 9; vgl. auch Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 31 f.; Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 37. 7 Ebenso Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 33. 8 Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 34; Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 36.

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§ 22 Rz. 22.92

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

22.92 Das Umtauschverhältnis muss gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG bei Auf- und Abspaltung zwingend im Spaltungs- und Übernahmevertrag angegeben werden. Bei der Ausgliederung sind hingegen nach dem Wortlaut der Norm Angaben zum Umtauschverhältnis entbehrlich (s. soeben Rz. 22.91). Nach zutreffender ganz herrschender Ansicht ist hier jedoch anzugeben, welche und wie viele Anteile der übernehmende Rechtsträger am übertragenden Rechtsträger erhalten soll.1 Die Darstellung des Umtauschverhältnisses im Spaltungs- und Übernahmevertrag erfolgt bei Kapitalgesellschaften in der Praxis in einem zahlenmäßigen Verhältnis.2 Bei Personengesellschaften erfolgt die Festlegung dagegen meistens anhand der Gesellschafterkonten.3 Anstelle von Angaben zum Umtauschverhältnis sind Angaben zur Mitgliedschaft erforderlich, wenn ein eingetragener Verein oder ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit übernehmender Rechtsträger ist.4 Angaben zum Umtauschverhältnis sind entbehrlich, wenn sich sämtliche Anteile am übertragenden Rechtsträger in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden oder wenn die beteiligten Anteilsinhaber auf Anteilsgewährung verzichten.5

22.93 Gemäß § 127 UmwG muss bei der Auf- und Abspaltung das Umtauschverhältnis der Anteile bzw. die Angaben über die Mitgliedschaften bei den übernehmenden Rechtsträgern (sowie eine gegebenenfalls anzubietende Barabfindung, dazu Rz. 22.94) im Spaltungsbericht rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden. Wie auch beim Verschmelzungsbericht müssen die Erläuterungen so ausführlich sein, dass die Anteilsinhaber sie auf ihre Plausibilität hin überprüfen können.6 Auch die angewandte Methode der Unternehmensbewertung und die Grundlagen der Bewertung sind im Spaltungsbericht darzustellen, soweit eine Unternehmensbewertung im Einzelfall erforderlich ist (dazu Rz. 22.96 ff.).7 Bei der Spaltung kann der erforderliche Umfang der Erläuterungen im Spaltungsbericht unterschiedlich ausfallen. Dies richtet sich danach, ob die Spaltung verhältniswahrend ist oder nicht.8 Ferner ist zu beachten, dass § 127 Satz 2 UmwG auf § 8 Abs. 1 Satz 2 bis 4, Abs. 2 und 3 UmwG verweist. Dadurch ist insbesondere kein Bericht erforderlich in Fällen des Verzichts aller Anteilsinhaber oder wenn sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden (dazu für die Verschmelzung Rz. 22.7). Die Ausgliederung hingegen wird in § 127 UmwG nicht genannt, dennoch sind in Ausnahmefällen auch hier Erläuterungen im Spaltungsbericht erforderlich (dazu Rz. 22.105).

22.94 Das Problem des sog. „krummen“ Umtauschverhältnisses entspricht dem bei der Verschmelzung (dazu Rz. 22.12). Auch bei der Spaltung können Schwierigkeiten, ein ganzzahliges Umtauschverhältnis festzulegen, durch bare Zuzahlungen vermieden werden (vgl. § 127 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). In der Praxis werden „krumme“ Umtauschverhältnisse vermieden oder kommen nur selten vor, da jedenfalls bei der verhältniswahrenden Spaltung das Umtauschverhältnis relativ frei festgelegt werden kann. 1 Lanfermann in Kallmeyer, § 126 UmwG Rz. 10; Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 36; Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 34. 2 Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 38; Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 33. 3 Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 33; ausführlich Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 39. 4 Siehe Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 43; Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 31. 5 Vgl. Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 37, 40. 6 OLG Düsseldorf v. 22.6.2017 – I-6 AktG 1/17, AG 2017, 900 (908 f.); Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 8; Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 26; Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 33. 7 Vgl. Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 35; Gehling in Semler/Stengel, § 127 Rz. 26, 28; Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 33; Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 8. 8 Vgl. Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 27 ff.; Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 30 ff.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.97 § 22

b) Auf- und Abspaltung aa) Grundsätzliches Wie bei der Verschmelzung muss auch bei der Spaltung das Umtauschverhältnis angemessen sein.1 Aus Sicht der Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers soll die Aufgabe ihrer Anteile im Rahmen einer Aufspaltung bzw. der Wertverlust der unveränderten Anteile bei einer Abspaltung hinreichend ausgeglichen werden.2 Demgegenüber sollen die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers vor einer Verwässerung ihrer Anteile geschützt werden.3

22.95

bb) Anwendungsbereich der Unternehmensbewertung Bei der sog. verhältniswahrenden Spaltung zur Neugründung oder bei der verhältniswahrenden Spaltung zur Aufnahme durch eine „leere“ Gesellschaft, bei der die Anteilsverhältnisse am übertragenden Rechtsträger denen beim übernehmenden Rechtsträger entsprechen, ist keine Unternehmensbewertung erforderlich.4 Hier erschließt sich die Angemessenheit sozusagen „von selbst“. Denn die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers werden am übernehmenden Rechtsträger mit derselben Quote beteiligt, so dass eine Benachteiligung ausgeschlossen ist.5 Daher sind in diesem Fall auch keine umfangreichen Erläuterungen im Spaltungsbericht erforderlich.6 Keine verhältniswahrende Spaltung liegt vor, wenn beim übernehmenden Rechtsträger die Beteiligungsquoten der Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers untereinander nicht mit ihrer Beteiligungsquote am übertragenden Rechtsträger identisch sind (§ 128 UmwG) – d.h., das Umtauschverhältnis ist nicht für alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers identisch.

22.96

Bei der nicht-verhältniswahrenden Spaltung zur Neugründung oder zur Aufnahme durch eine „leere“ Gesellschaft kann das Umtauschverhältnis für jeden Anteil einzeln frei festgelegt werden, so dass zur Bestimmung des Umtauschverhältnisses keine Unternehmensbewertung erforderlich ist. Allerdings wird man die für eine nicht-verhältniswahrende Spaltung notwendige Zustimmung sämtlicher Aktionäre (§ 128 Satz 1 UmwG) von den Aktionären in der Regel nur erhalten, wenn im Ergebnis keiner der beteiligten Aktionäre eine aus seiner Sicht unangemessene Benachteiligung erfährt. Zur Gestaltung einer nicht-verhältniswahrenden Spaltung wird also im Vorfeld im Regelfall eine Bewertung des gesamten Unternehmens sowie einzelner auf- bzw. abzuspaltender Teilunternehmen nötig werden, um anhand der so ermittelten Werte zu einer konsensfähigen Aufteilung des Unternehmenswertes zu gelangen. Einzelnen Aktionären kann eine durch eine nicht-verhältniswahrende Spaltung eintretende Verwässerung ihrer Mitgliedschaft auch durch Geldleistung kompensiert werden, deren angemessene Höhe ebenfalls mit Hilfe einer Unternehmensbewertung zu ermitteln wäre. Solche Geldleis-

22.97

1 Vgl. Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 32 f.; Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 8. 2 Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 37; Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 32. 3 Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 32; Schröer in Semler/Stengel, § 126 UmwG Rz. 37. 4 OLG Düsseldorf v. 22.6.2017 – I-6 AktG 1/17, AG 2017, 900 (909); Mayer in Widmann/Mayer, 150. Erg.-Lfg. Mai 2015, § 128 UmwG Rz. 43; Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 30; Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 7; Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 29. 5 So ausdrücklich Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 33. 6 Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 30; Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 7; Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 29.

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§ 22 Rz. 22.97

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

tungen stellen jedoch keine baren Zuzahlungen i.S.d. § 125 Satz 1 UmwG i.V.m. §§ 54 Abs. 4, 68 Abs. 3 UmwG dar.1

22.98 Bloß rechtsqualitative Änderungen bei den Anteilen – etwa dergestalt, dass Sonderrechte untergehen oder Stammaktien in Vorzugsaktien getauscht werden – führen nicht dazu, dass die Spaltung nicht-verhältniswahrend ist. Die Einbeziehung derartiger Fälle in § 128 UmwG ist im Gesetzeswortlaut nicht angelegt und würde ohne sachlichen Grund von dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz abweichen, dass zum Entzug mitgliedschaftlicher Rechte die Zustimmung allein des Betroffenen ausreichend ist.2

22.99 Bei der Spaltung zur Aufnahme durch eine bestehende, „nicht-leere“ Gesellschaft muss hingegen ein angemessenes Umtauschverhältnis bestimmt werden. Durch die Unternehmensbewertung muss die für die Spaltung maßgebliche Unternehmenswertrelation zwischen dem auf- bzw. abgespaltenen Unternehmensteil und dem übernehmenden Rechtsträger bestimmt werden.3 Dies gilt für die verhältniswahrende wie für die nicht-verhältniswahrende Spaltung zur Aufnahme gleichermaßen: Auch bei der nicht-verhältniswahrenden Spaltung sind jedenfalls die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers vor einer unzulässig hohen Verwässerung ihrer Mitgliedschaft durch die Gewährung einer überhöhten, den tatsächlichen Wert des aufgenommenen Unternehmensteils übersteigenden Gegenleistung zu schützen. Die Unternehmenswertrelation ergibt sich aus dem tatsächlichen Wert (Verkehrswert) des auf- bzw. abgespaltenen Unternehmensteils, zu dem der Verkehrswert des aufnehmenden Rechtsträgers ins Verhältnis gesetzt wird.4

22.100 Für die Ermittlung des Unternehmenswertes gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie bei der Verschmelzung (s. Rz. 22.16 ff.). Allerdings ist die Börsenkursrechtsprechung des BVerfG (s. Rz. 22.17 ff.) denklogisch nicht anwendbar, da jedenfalls die übertragenen Unternehmensteile des übertragenden Rechtsträgers keinen eigenständigen Börsenkurs haben und der Grundsatz der Methodengleichheit (s. Rz. 22.24) schon deshalb nicht gewahrt werden könnte. Im Übrigen liegt die Auswahl der Bewertungsmethode auch bei der Spaltung im pflichtgemäßen Ermessen der Vertretungsorgane der beteiligten Gesellschaften. In der Praxis findet daher regelmäßig die Ertragswertmethode Anwendung. cc) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung

22.101 Bei der Erläuterung des Umtauschverhältnisses der Anteile bzw. der Angaben über die Mitgliedschaften bei den übernehmenden Rechtsträgern im Spaltungsbericht ist nach § 127 Satz 2 UmwG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 UmwG wie beim Verschmelzungsbericht auch auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung der Rechtsträger hinzuweisen. Mögliche Schwierigkeiten sind dabei zum einen die gleichen, wie sie bei der Bewertung der Rechtsträger für den Verschmelzungsfall auftreten können (dazu Rz. 22.36 ff.), insbesondere ungewöhnliche Unsicherheiten bei der Prognose, wie sie etwa bei Sanierungsbemühungen, jungen Unternehmen, besonderen Risiken des Marktes oder einer kritischen Liquiditätslage bestehen. Zum an1 Mayer in Widmann/Mayer, 150. Erg.-Lfg. Mai 2015, § 128 UmwG Rz. 34; Schröer in Semler/Stengel, § 128 UmwG Rz. 10. 2 Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 128 UmwG Rz. 3. Vgl. auch Sickinger in Kallmeyer, § 128 UmwG Rz. 3; Mayer in Widmann/Mayer, 150. Erg.-Lfg. Mai 2015, § 128 UmwG Rz. 38; Priester in Lutter, § 128 UmwG Rz. 10; Simon in KölnKomm. UmwG, § 128 UmwG Rz. 42; Schröer in Semler/Stengel, § 128 UmwG Rz. 8. A.A. Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 31. 3 Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 28; Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 32. 4 Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 32.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.103 § 22

deren können besondere Schwierigkeiten auch in der Spaltung als solcher begründet sein. Letzteres kann bspw. der Fall sein, wenn ein isolierter Ertragswert übertragener Unternehmensteile nur schwer zu beziffern ist oder gar nur einzelne Vermögensgegenstände ganz ohne eigenen Ertragswert übertragen werden sollen.1 dd) Spaltungsprüfung Die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses ist im Rahmen der Spaltungsprüfung nach § 125 Satz 1 UmwG i.V.m. § 9 UmwG zu überprüfen. Das Verfahren entspricht dem der Verschmelzungsprüfung (s. Rz. 22.37).2 Insbesondere ist daher bei Verzicht aller Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger auf die Prüfung gem. §§ 125 Satz 1, 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 UmwG keine Spaltungsprüfung notwendig.

22.102

Durch den Gesetzeswortlaut von dem Generalverweis des § 125 Satz 1 UmwG ausdrücklich ausgenommen ist § 9 Abs. 2 UmwG. Damit scheint das Gesetz eine solche Spaltungsprüfung selbst für Fälle der Spaltung einer 100%igen Tochtergesellschaft auf die Mutter vorzusehen, bei denen eine Anteilsgewährung gesetzlich ausgeschlossen ist. In diesen Fallkonstellationen ist die Spaltungsprüfung auch nicht gemäß §§ 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 UmwG entbehrlich, da nach gewichtigen Stimmen in der Literatur nur auf § 8 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 UmwG verwiesen wird. Denn für § 8 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 UmwG enthält § 9 Abs. 2 UmwG eine abschließende ausdrückliche Spezialregelung.3 Die in § 8 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 UmwG vorgesehene Entbehrlichkeit einer Spaltungsprüfung bei Zustimmung sämtlicher Anteilsinhaber kommt dann faktisch nicht in Betracht, wenn die Muttergesellschaft eine Publikumsgesellschaft ist. Zentraler Gegenstand der Spaltungsprüfung ist jedoch die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses (s. für die Verschmelzungsprüfung Rz. 22.37). Gibt es ein solches Umtauschverhältnis mangels Anteilsgewährung – wie im angesprochenen Fall der Tochter-Mutter-Spaltung – nicht, macht eine Spaltungsprüfung keinen Sinn mehr. In solchen Fällen sollte § 9 Abs. 2 UmwG trotz des Wortlauts von § 125 Satz 1 UmwG aufgrund teleologischer Erwägungen analog zur Anwendung kommen und somit eine Spaltungsprüfung nicht erforderlich sein.4

22.103

1 Vgl. Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 127 UmwG Rz. 17; Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 11. 2 Siehe auch OLG Düsseldorf v. 24.9.2015 – I-26 W 13/15 (AktE), AG 2016, 142 (143 f.) zum Umfang der Vorgaben, die das LG bei Bestellung dem Spaltungsprüfer machen darf – näher dazu oben Rz. 25.38. 3 Fronhöfer in Widmann/Mayer, 126. Erg.-Lfg. November 2011, § 125 UmwG Rz. 43; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 125 UmwG Rz. 14; Sickinger in Kallmeyer, § 125 UmwG Rz. 9. 4 Ebenso Fronhöfer in Widmann/Mayer, 126. Erg.-Lfg. November 2011, § 125 UmwG Rz. 45; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 125 UmwG Rz. 14; Mayer in Widmann/Mayer, 88. Erg.-Lfg. Mai 2006, § 9 UmwG Rz. 7; Klaaßen-Kaiser in MünchHdb. UmwR, § 24 Rz. 14; Sagasser in Sagasser/ Bula/Brünger, Umwandlungen, § 18 Rz. 164; i.E. ähnlich auch Sickinger in Kallmeyer, § 125 UmwG Rz. 9 (mit anderer Argumentation und mit dem Hinweis darauf, dass die Aktionäre in dieser Fallkonstellation in der Bekanntmachung nach § 62 Abs. 3 Sätze 2 u. 3 UmwG auf ihr Recht, eine Spaltungsprüfung zu verlangen, hingewiesen werden müssten); a.A. Simon in KölnKomm. UmwG, § 125 UmwG Rz. 9. Vgl. auch Freytag, BB 2010, 2839, der eine gesetzliche Klarstellung für diese Konstellation empfiehlt.

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§ 22 Rz. 22.104

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

c) Ausgliederung aa) Grundsätzliches

22.104 Die Ausgliederung wird in §§ 126 Abs. 1 Nr. 3, 127 UmwG nicht genannt. Schon nach dem Wortlaut sind hier also grundsätzlich keine Angaben zum Umtauschverhältnis notwendig (s. schon Rz. 22.90). Hintergrund dieser Regelung ist, dass bei der Ausgliederung die Gegenleistung nicht an die Anteilsinhaber des Ausgangsrechtsträgers gewährt wird, sondern an diesen selbst.1 Daher werden keine Anteile auf die Anteilsinhaber aufgeteilt, so dass kein Umtauschverhältnis bestimmt werden muss.2 Nach h.M. ist aber im Spaltungs- und Übernahmevertrag festzusetzen, welche und wie viele Anteile der übertragende Rechtsträger erhält.3 bb) Anwendungsbereich der Unternehmensbewertung

22.105 Da für die Anteilsinhaber kein Umtauschverhältnis bestimmt werden muss, das „angemessen“ sein muss, ist im Grundsatz keine Unternehmensbewertung erforderlich. Etwas anderes gilt aber nach h.M. – entgegen dem Wortlaut – wenn eine Ausgliederung zur Aufnahme vorgenommen wird, bei der weder die ausgliedernde Gesellschaft Alleingesellschafterin der aufnehmenden Gesellschaft ist noch die Anteilsinhaber der ausgliedernden Gesellschaft an der aufnehmenden Gesellschaft im gleichen Verhältnis beteiligt sind, wenn also Dritte an der aufnehmenden Gesellschaft beteiligt sind.4 Typischer Anwendungsfall hierfür ist die Bildung von sog. Joint Ventures, für die mit Hilfe einer Unternehmensbewertung ermittelt werden muss, zu welchen Anteilen die (beiden oder mehreren) übertragenden Rechtsträger am gemeinsamen Unternehmen zu beteiligen sind. Ausnahmsweise müssen dann Angaben zur Gegenleistung im Ausgliederungsbericht (§ 127 UmwG analog) gemacht werden, da in diesem Fall ein Wertverhältnis zwischen dem auszugliedernden Unternehmensteil und den als Gegenleistung an den übertragenden Rechtsträger zu gewährenden Anteilen am übernehmenden Rechtsträger existiert.5 Insoweit soll ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers vorliegen.6 Im Ausgliederungsbericht muss in diesem Fall die Angemessenheit der Gegenleistung erläutert werden.7 Für die Bemessung der Angemessenheit ist in diesem Fall ausnahmsweise doch eine Unternehmensbewertung erforderlich. cc) Besondere Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung

22.106 Bei der Erläuterung des Wertverhältnisses des auszugliedernden Unternehmensteils und den als Gegenleistung an den übertragenden Rechtsträger zu gewährenden Anteilen am übernehmenden Rechtsträger im Ausgliederungsbericht ist nach § 127 Satz 2 UmwG analog i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 UmwG wie beim Verschmelzungs- oder Spaltungsbericht ebenfalls auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung der Rechtsträger hinzuweisen. Mögliche Schwierigkeiten entsprechen dabei denen bei der Auf- und Abspaltung zur Aufnahme (s. Rz. 22.99), wobei zu beachten ist, dass auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers nicht der überneh1 Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 25. 2 Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 34. 3 Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 34; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 126 UmwG Rz. 36 ff.; Lanfermann in Kallmeyer, § 126 UmwG Rz. 10; Mayer in Widmann/Mayer, 142. Erg.Lfg. Juni 2014, § 126 UmwG Rz. 130. 4 Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 35; Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 7; Schwab in Lutter, § 127 Rz. 29. 5 Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 35; Schwab in Lutter, § 127 UmwG Rz. 29. 6 Sickinger in Kallmeyer, § 127 UmwG Rz. 7. 7 Gehling in Semler/Stengel, § 127 UmwG Rz. 35.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.110 § 22

mende Rechtsträger als solcher zu bewerten ist, sondern dessen im Austausch gewährten Anteile. d) Schutz von Sonderrechten, §§ 133, 23 UmwG Für den Schutz von Sonderrechten gilt auch bei der Spaltung § 23 UmwG entsprechend über § 125 UmwG (zu § 23 UmwG s. bei der Verschmelzung, Rz. 22.40 ff.). Für mögliche Ansprüche aus § 23 UmwG haften die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger als Gesamtschuldner (§ 133 Abs. 2 Satz 1 UmwG). § 133 Abs. 2 Satz 2 UmwG modifiziert § 23 UmwG in den Rechtsfolgen insoweit, dass die gleichwertigen Rechte auch in dem übertragenden Rechtsträger gewährt werden können. Um die Verwässerung von Sonderrechten zu vermeiden besteht die Möglichkeit, diese Sonderrechte im Ergebnis auf die beteiligten Rechtsträger „aufzuteilen“.1 Dazu können im Falle der Abspaltung zur Neugründung den Inhabern von Sonderrechten gleichwertige Rechte am neuen Rechtsträger in dem Verhältnis gewährt werden, das dem Verhältnis des Eigenkapitals der beteiligten Rechtsträger entspricht. Zugleich wird das Sonderrecht am übertragenden Rechtsträger wertmäßig in demselben Verhältnis angepasst.2 Im Falle der Abspaltung zur Aufnahme könnten gleichwertige Rechte am übernehmenden Rechtsträger dementsprechend anhand des Umtauschverhältnisses gewährt werden und die Sonderrechte am übertragenden Rechtsträger anhand des Umtauschverhältnisses angepasst werden.

22.107

e) Rechtsmittel gegen die Unternehmensbewertung Bei der Spaltung sind – wegen § 125 Satz 1 UmwG – die gleichen Rechtsmittel gegeben wie 22.108 bei der Verschmelzung. Insbesondere können bei der Auf- sowie der Abspaltung Rügen der Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers gegen das Umtauschverhältnis nicht mit der Anfechtungsklage geltend gemacht werden. Zu beachten ist allerdings, dass nach § 125 UmwG bei der Ausgliederung dieser Ausschluss von Bewertungsrügen im Anfechtungsverfahren (§ 14 Abs. 2 UmwG) gerade nicht gilt. Bei der verhältniswahrenden Spaltung ist ein Spruchverfahren in der Praxis noch nicht vorgekommen, da das Umtauschverhältnis denklogisch immer angemessen ist.3 2. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs Für den zweiten Bewertungsanlass, die Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs, muss wiederum zwischen den einzelnen Arten der Spaltung differenziert werden.

22.109

a) Auf- und Abspaltung Für die Auf- und Abspaltung gelten die §§ 29 ff. UmwG entsprechend (§ 125 Satz 1 UmwG). In den in § 29 UmwG genannten Fällen (s. dazu im Einzelnen Rz. 22.54) ist daher jedem Anteilsinhaber, der gegen den Spaltungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers Widerspruch zur Niederschrift erklärt, eine angemessene Barabfindung anzubieten. Der Barabfindungsanspruch errechnet sich bei der Abspaltung allein anhand des Unternehmenswertes des abgespaltenen Teils und kompensiert dadurch die Wertminderung der Anteile am übertragenden 1 Sickinger in Kallmeyer, § 125 UmwG Rz. 34; Larisch in MünchHdb. UmwR, § 27 Rz. 207; s. auch LAG Baden-Württemberg v. 9.4.2015 – 16 Sa 36/14 – Rz. 102, juris. 2 Vgl. Spaltungsbericht des Vorstands der HVB AG v. März 2003 (in Sachen Abspaltung der Hypo Real Estate Group), S. 81. 3 Vgl. LG Köln v. 19.12.2003 – 82 O 95/03, ZIP 2004, 220 (221).

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22.110

§ 22 Rz. 22.110

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Rechtsträger durch den Verlust dieses abgespaltenen Teils. Die Gesellschafterstellung beim übertragenden Rechtsträger bleibt unberührt.1 Im Übrigen gelten für die Spaltung die obigen Ausführungen zur Verschmelzung entsprechend (Rz. 22.65 ff.). b) Ausgliederung

22.111 Bei der Ausgliederung ist hingegen zu beachten, dass nach § 125 Satz 1 UmwG die §§ 29 ff. UmwG nicht entsprechend anzuwenden sind. Daher gibt es bei der Ausgliederung keinen Barabfindungsanspruch. Dies findet seine Rechtfertigung in der Struktur der Ausgliederung: Die Anteilsinhaber am übertragenden Rechtsträger tauschen – anders als bei Auf- oder Abspaltung – ihre Anteile nicht in solche am übernehmenden Rechtsträger. Vielmehr werden die Anteile am übernehmenden Rechtsträger an den übertragenden Rechtsträger als solchen gewährt (s. schon Rz. 22.87). 3. Grenzüberschreitende Spaltung

22.112 Im April 2018 hat die EU Kommission erstmals ein Regelwerk für grenzüberschreitende Spaltungen in einem Entwurf für eine Richtlinie vorgelegt, der auch grenzüberschreitende Formwechsel erstmals regelt und die Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen ändert2 (s. bereits Rz. 22.79 ff. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung sowie Rz. 22.133 ff. zum grenzüberschreitenden Formwechsel). Es wird grundsätzlich erwartet, dass der Richtlinienvorschlag zügig verabschiedet wird, allerdings scheint gerade die grenzüberschreitende Spaltung auf Diskussionsbedarf zu stoßen.3 Geregelt wird nur die Aufspaltung und Abspaltung, und zwar jeweils nur zur Neugründung. Es fehlen also Ausgliederung und Ab-/Aufspaltung zur Aufnahme. Grundlage des Verfahrens ist der Spaltungsplan (Art. 160e Richtlinienentwurf). Das Leitungsorgan des übertragenden Rechtsträgers hat zwei Berichte zu erstatten, einen an die Anteilseigner (Art. 160g Richtlinienentwurf) und einen an die Arbeitnehmer4 (Art. 160h Richtlinienentwurf). Ein Spaltungsprüfer wird bestellt, der nicht nur den Spaltungsplan, sondern auch die beiden Spaltungsberichte prüft und darüber einen Bericht erstattet (Art. 160i Richtlinienentwurf). Eher praxisfern scheinen die Regelungen, dass der Prüfer in seinen Bericht alle Sachverhaltselemente aufnehmen muss, die die Behörde für ihre Prüfung benötigt, ob die geplante Spaltung eine „künstliche Gestaltung“ darstellt (dazu sogleich), sowie die materielle Richtigkeit der von der Gesellschaft übermittelten Berichte und Informationen prüfen soll (Art. 160i Abs. 3 Richtlinienentwurf).5 Beschlossen wird die grenzüberschreitende Spaltung – nach einer entsprechenden Offenlegung (Art. 160j Richtlinienentwurf) –

1 Sickinger in Kallmeyer, § 125 UmwG Rz. 37. 2 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, 25.4.2018, COM(2018) 241 final; dazu Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094; Noack/Kraft, DB 2018, 1577; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 273; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353. 3 Siehe jetzt Entwurf des Berichts des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments, 2018/0114 (COD) – PE625.524v02-00, der den Abschnitt grenzüberschreitende Spaltungen vollständig streichen will, da mit einer nationalen Spaltung und einem anschließenden grenzüberschreitenden Formwechsel das gleiche Ergebnis erreicht werden könne. 4 Zu den Informationsrechten für die Arbeitnehmer ausführlich Mückl/Götte, BB 2018, 2036 (2036-2038). 5 Ausführlich kritisch dazu Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094 (2098).

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.115 § 22

von der Anteilseignerversammlung des übertragenden Rechtsträgers (Art. 160k Richtlinienentwurf). Die Spaltung kann erst eingetragen und damit wirksam werden, nachdem Rechtmäßig- 22.113 keitsprüfungen durch die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten durchgeführt wurden (Art. 160o/160p Richtlinienentwurf einerseits und Art. 160r und 160s Richtlinienentwurf andererseits), die intensiver als bei einer innerstaatlichen Spaltung sind. Insbesondere prüft die Behörde im Land des übertragenden Rechtsträgers, ob eine „künstliche Gestaltung“1 vorliegt, d.h. die Gestaltung das Ziel hat, „unrechtmäßige Steuervorteile zu erlangen oder die gesetzlichen oder vertraglichen Rechte der Arbeitnehmer, Gläubiger oder Gesellschafter unrechtmäßig zu beschneiden“ (Art. 160d Abs. 3 Richtlinienentwurf). Diese Regelung gibt es bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung nicht. Der Richtlinienentwurf enthält zudem spezielle Schutzvorschriften für Anteilsinhaber und Gläubiger Art. 160l und 160m Richtlinienentwurf) und sieht für die Arbeitnehmermitbestimmung ein Verhandlungsverfahren (Art. 160n Richtlinienentwurf) – ähnlich wie bei der SE – vor.2 Wie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung gibt es zwei Bewertungsanlässe, nämlich die Festlegung des Umtauschverhältnisses sowie die Festlegung der Höhe des Barabfindungsangebots. Die Barabfindung ist denjenigen Anteilsinhabern anzubieten, die nicht für den Spaltungsplan gestimmt haben oder die stimmrechtlose Anteile halten (Art. 160l Richtlinienentwurf). Die Formulierung für die Abfindungsberechtigten ist im Entwurf ähnlich unscharf wie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung (s. Rz. 22.81). Bislang sieht der Richtlinienentwurf lediglich vor, dass die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses vom Spaltungsprüfer zu prüfen ist und im Spaltungsprüfungsbericht dazu berichtet wird, nicht dagegen das Barabfindungsangebot. Auch im Spaltungsbericht der Verwaltung ist allein das Umtauschverhältnis zu erläutern, nicht aber die Barabfindung (Art. 160g Abs. 2 Richtlinienentwurf). Eine Verzichtsmöglichkeit der Gesellschafter auf Prüfung und Prüfungsbericht für Konzernkonstellationen gibt es – anders als bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung – unverständlicherweise nicht,3 wohl aber können die Anteilsinhaber einvernehmlich auf die Erstellung des Spaltungsberichts verzichten (Art. 160g Abs. 4 Richtlinienentwurf).

22.114

Die betroffenen Anteilseigner haben das Recht, die Angemessenheit der Barabfindung ebenso wie die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses gerichtlich überprüfen zu lassen (Art. 160l Abs. 5 und 7 Richtlinienentwurf). Anders als für die grenzüberschreitende Verschmelzung (dazu Rz. 22.79 ff.) sieht der Richtlinienentwurf – wie das deutsche Recht für innerstaatliche Spaltungen – keine Zahlungsverpflichtung des übertragenden Rechtsträgers bei einer Wertverschiebung zugunsten der Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers vor. Bei einer verhältniswahrenden Spaltung kommt ein Anlass für eine Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses logisch nicht in Betracht4 (vgl. auch oben zur verhältniswahrenden innerstaatlichen Spaltung Rz. 22.96).

22.115

1 2 3 4

Kritisch dazu Schollmeyer, NZG 2018, 977. Im Einzelnen zum gesamten Verfahren Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094. Kritisch dazu Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094 (2098). Dazu Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094 (2102).

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§ 22 Rz. 22.116

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

IV. Formwechsel 22.116 Der Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG unterscheidet sich wesentlich von der Verschmelzung und der Spaltung. Denn hier gibt es keine Vermögensübertragung.1 Kernelement eines Formwechsels ist vielmehr, dass die rechtliche und wirtschaftliche Identität des Rechtsträgers gewahrt wird.2 Darüber hinaus bleibt auch der Kreis der Anteilsinhaber identisch.3

22.117 An einem Formwechsel können nur die in § 191 UmwG enumerativ aufgezählten Rechtsträger beteiligt sein. Danach kommen als formwechselnde Rechtsträger Personenhandelsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften (§ 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG), Kapitalgesellschaften (§ 191 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), eingetragene Genossenschaften (§ 191 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), rechtsfähige Vereine (§ 191 Abs. 1 Nr. 4 UmwG), Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (§ 191 Abs. 1 Nr. 5 UmwG) sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (§ 191 Abs. 1 Nr. 6 UmwG)4 in Betracht. Rechtsträger neuer Rechtsform können hingegen nur Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (§ 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG), Personenhandelsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften (§ 191 Abs. 2 Nr. 2 UmwG), Kapitalgesellschaften (§ 191 Abs. 2 Nr. 3 UmwG) und eingetragene Genossenschaften (§ 191 Abs. 2 Nr. 4 UmwG) sein. Auch eine Societas Europaea (SE) kann gem. Art. 10 SE-VO nach Ablauf der Sperrfrist des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 SE-VO ihre Rechtsform nach dem UmwG wechseln.5 Für die Renationalisierung einer SE bietet Art. 66 SE-VO die Möglichkeit der Rückumwandlung in eine nationale AG. Das UmwG ist auf diesen Fall nicht anwendbar.6

22.118 Beim Formwechsel ist grundsätzlich gem. § 207 UmwG jedem Anteilsinhaber, der gegen den Umwandlungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, eine Barabfindung anzubieten. Die Ermittlung der Höhe dieser Barabfindung setzt typischerweise eine Unternehmensbewertung voraus. Da grundsätzlich gerade keine Vermögensübertragung stattfindet, sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine Unternehmensbewertung zur Bestimmung eines Umtauschverhältnisses nur im Ausnahmefall erforderlich ist. Im Folgenden wird daher zunächst der Barabfindungsanspruch dargestellt. 1. Bestimmung eines Barabfindungsanspruchs a) Grundsätzliches

22.119 § 207 UmwG entspricht § 29 UmwG bei der Verschmelzung. Die Parallelität zeigt sich insbesondere im Verweis von § 207 Abs. 2 UmwG auf § 29 Abs. 2 UmwG. Zudem verweist § 208 UmwG wegen des Inhalts des Anspruchs auf § 30 UmwG.

22.120 § 207 UmwG ist für alle Fälle des Rechtsformwechsels anwendbar, mit Ausnahme des Formwechsels von Kapitalgesellschaften in eine GbR oder OHG. Hier werden die Interessen der An1 Schwanna in Semler/Stengel, § 190 UmwG Rz. 1, 4; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 190 UmwG Rz. 6; Decher/Hoger in Lutter, § 190 UmwG Rz. 1. 2 Schwanna in Semler/Stengel, § 190 UmwG Rz. 3, 4. 3 Decher/Hoger in Lutter, § 190 UmwG Rz. 1. 4 Ausführlich hierzu Heckschen/Weitbrecht, NZG 2018, 761. 5 Bayer/Vetter in Lutter, Vor § 190 UmwG Rz. 32; Decher/Hoger in Lutter, § 191 UmwG Rz. 2; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 191 UmwG Rz. 5; Vossius in Widmann/Mayer, 168. Erg.-Lfg. November 2017, § 191 UmwG Rz. 14.1. 6 Drinhausen in Semler/Stengel, Einl. C Rz. 63; Drinhausen in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 66 SE-VO Rz. 9; Weiler in MünchHdb. UmwR, § 38 Rz. 10.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.123 § 22

teilsinhaber schon durch das Erfordernis der Einstimmigkeit des Umwandlungsbeschlusses (§ 233 Abs. 1 UmwG) gewahrt.1 Gleiches gilt beim Formwechsel von Personenhandelsgesellschaften, wenn der Gesellschaftsvertrag keine Mehrheitsentscheidung vorsieht.2 Ausgeschlossen ist die Anwendung von § 207 UmwG kraft spezieller gesetzlicher Anord- 22.121 nung auch in folgenden Fällen: Nach § 227 UmwG sind die §§ 207 ff. UmwG beim Formwechsel einer Kommanditgesellschaft auf Aktien nicht auf deren persönlich haftende Gesellschafter anzuwenden. Nach § 250 UmwG gelten die §§ 207 ff. UmwG für den Formwechsel einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien in eine Aktiengesellschaft nicht. Nach § 282 Abs. 2 UmwG sind die §§ 207 ff. UmwG nicht beim Formwechsel von gemeinnützigen Vereinen (die nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit sind) anzuwenden. Gemäß § 302 Satz 1 UmwG gelten die §§ 207 ff. UmwG für den Formwechsel von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nur dann, wenn sich aus dem maßgeblichen Bundes- oder Landesrecht nichts anderes ergibt.3 Folgende Vorschriften nehmen auf § 207 UmwG Bezug und modifizieren diesen: Nach § 225 UmwG i.V.m. § 217 Abs. 1 Satz 2 UmwG ist die Angemessenheit der Barabfindung beim Formwechsel von Personenhandelsgesellschaften nur auf Verlangen eines Gesellschafters zu prüfen, wenn der Gesellschaftsvertrag der formwechselnden Gesellschaft eine Mehrheitsentscheidung der Gesellschafter für den Umwandlungsbeschluss vorsieht. Gleiches gilt nach § 225c UmwG auch für den Formwechsel einer Partnerschaftsgesellschaft. Beim Formwechsel eingetragener Genossenschaften erweitert § 270 Abs. 1 UmwG den Empfängerkreis, nach § 270 Abs. 2 Satz 1 UmwG ist eine gutachtliche Äußerung des Prüfungsverbandes einzuholen. Nach § 270 Abs. 2 Satz 2 UmwG gelten § 30 Abs. 2 Satz 2, 3 UmwG nicht. Gemäß § 282 Abs. 1 UmwG gilt § 270 Abs. 1 UmwG i.V.m. § 207 Abs. 1 Satz 1 UmwG entsprechend beim Formwechsel eines rechtsfähigen Vereins in eine Kapitalgesellschaft; ebenso beim Formwechsel eines rechtsfähigen Vereins in eine eingetragene Genossenschaft gem. § 290 UmwG sowie beim Formwechsel von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit gem. § 300 UmwG.

22.122

b) Angemessenheit Die Höhe der angebotenen Barabfindung muss angemessen sein.4 Für die Bemessung der Angemessenheit ist eine Unternehmensbewertung erforderlich (§ 208 UmwG i.V.m. § 30 Abs. 2 UmwG).5 Bewertungsstichtag ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Formwechsel (§ 208 UmwG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Dieser ist ebenfalls im Umwandlungsbericht anzugeben. Die Verhältnisse des formwechselnden Rechtsträgers zum Zeitpunkt des Beschlusses über den Formwechsel sind bei der Bemessung der Barabfindung zu beachten (z.B. unterschiedlicher Kapitalisierungszinsfuß wegen unterschiedlicher Fungibilität der Anteile bei Personengesellschaften im Vergleich zu Kapitalgesellschaften).6 Angemessen ist nur der volle

1 2 3 4

Kalss in Semler/Stengel, § 207 UmwG Rz. 3; Decher/Hoger in Lutter, § 207 UmwG Rz. 4. Decher/Hoger in Lutter, § 207 UmwG Rz. 4. Vgl. auch Heckschen/Weitbrecht, NZG 2018, 761 (764 f.). Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 207 UmwG Rz. 26; Decher/Hoger in Lutter, § 208 UmwG Rz. 3; Zeidler in Semler/Stengel, § 208 UmwG Rz. 4. 5 Zeidler in Semler/Stengel, § 208 UmwG Rz. 5; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 192 UmwG Rz. 9; Decher/Hoger in Lutter, § 208 UmwG Rz. 5. 6 Zeidler in Semler/Stengel, § 208 UmwG Rz. 3; Lanfermann in Kallmeyer, § 208 UmwG Rz. 2.

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22.123

§ 22 Rz. 22.123

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

wirtschaftliche Wert der Anteile („Verkehrswert“).1 Die Unternehmensbewertung ist nach den allgemein anerkannten Methoden vorzunehmen. Üblicherweise wird die Bewertung anhand der Ertragswertmethode vorgenommen.2 Bei börsennotierten Aktiengesellschaften ist wie bei der Verschmelzung (s. Rz. 22.59) der Börsenkurs zu berücksichtigen („Börsenkursrechtsprechung“).3

22.124 Die Angemessenheit der angebotenen Barabfindung kann nur im Spruchverfahren, nicht aber mit der Anfechtungsklage überprüft werden, vgl. §§ 210, 212 UmwG.

22.125 Im Übrigen gilt für Inhalt und Prüfung des Barabfindungsanspruchs § 30 UmwG entsprechend, so dass die Ausführungen bei der Verschmelzung auch hier entsprechend gelten (§ 208 UmwG; s. Rz. 22.57 ff.).

22.126 Die Angemessenheit der Barabfindung muss nach allgemeiner Meinung im Umwandlungsbericht (§ 192 UmwG) erläutert und begründet werden, auch wenn sich dies nicht direkt aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt.4 Schwierigkeiten bei der Bewertung sind als solche zu erläutern, § 192 Abs. 1 Satz 2 UmwG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 UmwG. c) Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung

22.127 Treten bei den Anteilsrechten etwaige Besonderheiten auf, wie etwa Mehrstimmrechte oder Vorzugsgewinnanteile, so ist bei der Bewertung derjenige Wert zugrunde zu legen, den die Rechte in der alten Rechtsform hatten.5 Zudem sind eventuell im Gesellschaftsvertrag vorhandene Abfindungsklauseln bei der Bestimmung des Barabfindungsanspruchs außer Betracht zu lassen.6 2. Bestimmung eines (Umtausch-)Verhältnisses a) Unternehmensbewertung als Ausnahmefall

22.128 Grundsätzlich findet beim Formwechsel keine Vermögensübertragung statt. Daher gibt es in der Regel keine quantitativen Veränderungen bei den Beteiligungen der Anteilsinhaber, sondern allenfalls qualitative.7 Es muss also kein (Umtausch-) Verhältnis bestimmt werden, so dass in diesen Fällen grundsätzlich keine Unternehmensbewertung erforderlich ist.

22.129 Etwas anderes gilt nur dann, wenn ausnahmsweise eine quantitative Änderung der Beteiligungen stattfindet. In diesem Fall ist eine Unternehmensbewertung erforderlich. Als wichtigster Fall ist hier der sog. nicht-verhältniswahrende Formwechsel zu nennen, bei dem das Verhältnis 1 Decher/Hoger in Lutter, § 208 UmwG Rz. 3; Zeidler in Semler/Stengel, § 208 UmwG Rz. 4. 2 Decher/Hoger in Lutter, § 208 UmwG Rz. 6; vgl. bspw. OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), DB 2018, 2108 (2110 ff.). 3 OLG Stuttgart v. 19.3.2008 – 20 W 3/06, AG 2008, 510 (516); OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), DB 2018, 2108 (2110). 4 Bärwaldt in Semler/Stengel, § 192 UmwG Rz. 12; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 192 UmwG Rz. 9; Decher/Hoger in Lutter, § 192 UmwG Rz. 29; Klaaßen-Kaiser in MünchHdb. UmwR, § 33 Rz. 19. 5 Lanfermann in Kallmeyer, § 208 UmwG Rz. 3; Humrich in MünchHdb. UmwR, § 37 Rz. 82; Zeidler in Semler/Stengel, § 208 UmwG Rz. 6; Decher/Hoger in Lutter, § 208 UmwG Rz. 10. 6 Zeidler in Semler/Stengel, § 208 UmwG Rz. 4; Decher/Hoger in Lutter, § 208 UmwG Rz. 4; Wälzholz in Widmann/Mayer, 159. Erg.-Lfg. August 2016, § 208 UmwG Rz. 5. 7 Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 196 UmwG Rz. 7; vgl. auch Decher/Hoger in Lutter, § 192 UmwG Rz. 21 f.

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Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.133 § 22

der Anteile zueinander vor dem Formwechsel nicht mit dem Verhältnis nach dem Formwechsel übereinstimmt.1 Beispiele für solche quantitative Änderungen der Beteiligungsverhältnisse sind etwa: (i) Ein Anteilsinhaber scheidet aus und das Gesellschaftsvermögen wird durch einen Abfindungsanspruch gemindert. (ii) Ein Anteilsinhaber tritt bei und das Vermögen des Rechtsträgers vergrößert sich. (iii) Sonderrechte können im neuen Rechtsträger nicht gewährt werden und müssen durch eine Erhöhung der Anteilsquote ausgeglichen werden.2 b) Bare Zuzahlung gem. § 196 UmwG Bei zu niedriger Bemessung des Beteiligungsverhältnisses am Rechtsträger neuer Rechtsform besteht ein Anspruch auf bare Zuzahlung nach § 196 UmwG. Ein Widerspruch zur Niederschrift wie bei § 207 Abs. 1 UmwG ist nicht erforderlich. Vielmehr besteht der Anspruch grundsätzlich sogar bei ausdrücklicher Zustimmung zum Formwechsel.3 Die Höhe der Zuzahlung wird durch eine Unternehmensbewertung bestimmt. Auch der Verlust von Sonderrechten kann durch bare Zuzahlung kompensiert werden (s. dazu Rz. 22.133).

22.130

c) Besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung Soweit ein Umwandlungsbericht erforderlich ist, ist in diesem auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung hinzuweisen (§ 192 Abs. 1 Satz 2 UmwG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Dabei müssen Probleme und deren Lösung konkret erläutert werden; ein pauschaler Verweis genügt nicht.4 Da grundsätzlich aber keine Vermögensübertragung stattfindet, gibt es normalerweise auch keine besonderen Schwierigkeiten. Anders kann dies etwa beim nichtverhältniswahrenden Formwechsel sein.5

22.131

d) Sonderfälle aa) Schutz von Sonderrechten Für den Schutz der Inhaber von Sonderrechten gilt gem. § 204 UmwG § 23 UmwG entsprechend (s. dazu bei der Verschmelzung, Rz. 22.40 ff.).

22.132

Kann die Mitgliedschaft am Rechtsträger neuer Rechtsform keinen ausreichenden Gegen- 22.133 wert für die Anteile am formwechselnden Rechtsträger bieten, besteht – wie bei zu niedriger Bemessung des Beteiligungsverhältnisses – ein Anspruch auf bare Zuzahlung nach § 196 UmwG. Dies ist der Fall bei einer qualitativen Schlechterstellung, also etwa dann, wenn den Inhabern von Sonderrechten i.S.v. § 23 UmwG (etwa Anteile ohne Stimmrecht, Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte) oder i.S.v. § 35 BGB (etwa Rechte auf Bestellung eines Organs, erhöhte Stimmrechte, Zustimmungs- und Vetorechte) mit der neuen Rechtsform keine Rechtsposition gewährt werden kann, die mit den aufgegebenen Sonderrechten vergleichbar ist.6 Zu beachten ist, dass bei der Bewertung von 1 Bärwaldt in Semler/Stengel, § 192 UmwG Rz. 11; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 194 UmwG Rz. 34; vgl. auch Decher/Hoger in Lutter, § 202 UmwG Rz. 14 f. 2 Ausführlich Decher/Hoger in Lutter, § 192 UmwG Rz. 22 f. 3 Bärwaldt in Semler/Stengel, § 196 UmwG Rz. 8; Decher/Hoger in Lutter, § 196 UmwG Rz. 6; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 196 UmwG Rz. 11; Winter in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 196 UmwG Rz. 4. 4 Bärwaldt in Semler/Stengel, § 192 UmwG Rz. 15. 5 Bärwaldt in Semler/Stengel, § 192 UmwG Rz. 15; Decher/Hoger in Lutter, § 192 UmwG Rz. 36. 6 Decher/Hoger in Lutter, § 196 UmwG Rz. 10; Bärwaldt in Semler/Stengel, § 196 UmwG Rz. 13.

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§ 22 Rz. 22.133

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Sonderrechten, wenn gegebenenfalls kein ausreichender Gegenwert besteht, ein Rückgriff auf anerkannte Bewertungsgrundsätze nicht möglich ist.1 bb) Bestimmung des Geschäftsguthabens gem. § 256 UmwG bei Genossenschaft

22.134 Beim Formwechsel von Kapitalgesellschaften in eine eingetragene Genossenschaft ist § 256 UmwG anwendbar. Durch den Formwechsel dürfen die Anteilsinhaber keine Vermögenseinbuße erleiden.2 Für den Wert der Beteiligung sind nicht die zugeordneten Geschäftsanteile maßgeblich, sondern nur das Geschäftsguthaben.3 Daher muss dieses bestimmt werden. Die Bestimmung des Wertes der umzuwandelnden Kapitalanteile erfolgt anhand des Verkehrswertes, der mit Hilfe einer Unternehmensbewertung ermittelt wird.4 Etwaige überschießende Beträge müssen durch bare Zuzahlungen ausgeglichen werden.5 3. Grenzüberschreitender Formwechsel

22.135 Im Entwurf einer Richtlinie in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen vom April 2018 hat die EU Kommission erstmals den grenzüberschreitenden Formwechsel innerhalb der EU geregelt6 (s. bereits Rz. 22.79 ff. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und Rz. 22.112 ff. zur grenzüberschreitenden Spaltung). Mehrere jüngere Entscheidungen deutscher Gerichte zeugen von der praktischen Bedeutsamkeit dieses Themas. Die Praxis hatte sich in diesen Fällen mit der entsprechenden Anwendung des Rechts zum innerstaatlichen Formwechsel in eine andere inländische Rechtsform beholfen. Es handelte sich stets um konzerninterne Fälle.7 Der Richtlinienentwurf regelt den grenzüberschreitenden Formwechsel nunmehr sehr detailliert und verfahrensmäßig sehr ähnlich zu der grenzüberschreitenden Spaltung (s. dazu Rz. 22.112 ff.).

22.136 Grundlage des Verfahrens ist der Umwandlungsplan (Art. 86d Richtlinienentwurf), dessen Erstellung nunmehr in bilingualer Form gestattet werden soll (Art. 86d Abs. 2 Richtlinienentwurf). Auch sind zwei separate, vom Leitungsorgan der beteiligten Gesellschaft zu erstattende Umwandlungsberichte zu erstellen, die wiederum zum einen an die Gesellschafter (Art. 86e Richtlinienentwurf) und zum anderen an die Arbeitnehmer (Art. 86f Richtlinienentwurf) zu richten sind. Die Regelungen des Art. 86g Richtlinienentwurf zur Prüfung des Formwechsels durch einen zu bestellenden Umwandlungsprüfer und des Art. 86i Richtlinienentwurf zum Umwandlungsbeschluss korrespondieren mit denjenigen zur Spaltungsprüfung (Art. 160i Richtlinienentwurf) und zum Spaltungsbeschluss (Art. 160k Richtlinienentwurf) (s. dazu 1 2 3 4 5 6

Decher/Hoger in Lutter, § 196 UmwG Rz. 14. Bonow in Semler/Stengel, § 256 UmwG Rz. 1. Bonow in Semler/Stengel, § 256 UmwG Rz. 1. Bonow in Semler/Stengel, § 256 UmwG Rz. 6. Bonow in Semler/Stengel, § 256 UmwG Rz. 11. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, 25.4.2018, COM(2018) 241 final; dazu auch Noack/Kraft, DB 2018, 1577; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 273 (282 ff.); Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353. 7 OLG Nürnberg v. 13.2.2012 – 12 W 2361/11 – Moor Park I, DB 2012, 853 (Hereinformwechsel); v. 19.6.2013 – 12 W 520/13 – Moor Park II, RS1209999 = NZG 2014, 349 (Hereinformwechsel); KG Berlin v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, DB 2016, 1627 (Hereinformwechsel); OLG Frankfurt/M. v. 3.1.2017 – 20 W 88/15, DB 2017, 779 (Herausformwechsel); OLG Düsseldorf v. 19.7.2017 – 3 Wx 171/16, DB 2017, 2539 (Hereinformwechsel).

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Bungert

Unternehmensbewertung im Umwandlungsrecht

Rz. 22.138 § 22

Rz. 22.112 u. Rz. 22.114). Die zur Wirksamkeit des Formwechsels erforderliche behördliche Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 86m-86p Richtlinienentwurf) entspricht derjenigen zur grenzüberschreitenden Spaltung. Es wird auch wiederum geprüft, dass keine „künstliche Gestaltung“ vorliegt.1 Bewertungsanlass beim grenzüberschreitenden Formwechsel ist die Festlegung der Höhe der Barabfindung. Die Barabfindung ist demjenigen Anteilsinhaber anzubieten, der nicht für die Zustimmung zu dem Plan für die grenzüberschreitende Umwandlung gestimmt hat oder stimmrechtslose Anteile hält (Art. 86j Abs. 1 Richtlinienentwurf).2 Die Formulierung für die Abfindungsberechtigen ist im Entwurf ähnlich unscharf wie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung (s. Rz. 22.81). Wie bei der Abspaltung ist im Richtlinienentwurf nicht vorgesehen, dass die Angemessenheit der Barabfindung vom Umwandlungsprüfer zu prüfen ist.3 Gesonderte Regelungen zum Bewertungsverfahren sind wie bei grenzüberschreitender Verschmelzung und grenzüberschreitender Spaltung nicht vorgesehen. Nach Art. 86j Abs. 5 Richtlinienentwurf hat jeder Mitgliedstaat die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung für den Anteilsinhaber vorzusehen, der das Barabfindungsangebot angenommen hat, und zwar nachdem der Formwechsel wirksam geworden ist. Zuständig sind die Gerichte des Wegzugsstaats, anwendbar das Recht des Wegzugsstaats.4

22.137

V. Vermögensübertragung Die Vermögensübertragung spielt in der Praxis keine nennenswerte Rolle.5 Möglich ist nach § 174 UmwG eine Voll- oder Teilübertragung. Die potentiell beteiligten Rechtsträger sind in § 175 UmwG abschließend6 aufgezählt: Hierunter fallen Übertragungen von Kapitalgesellschaften auf die öffentliche Hand (Rückgängigmachung einer Privatisierung)7 sowie Übertragungen unter Beteiligung von Versicherungsaktiengesellschaften als übertragende oder aufnehmende Gesellschaften. Im Wesentlichen sind nach § 176 Abs. 1 UmwG die Vorschriften über die Verschmelzung anwendbar. An die Stelle des Umtauschverhältnisses treten Art und Höhe der Gegenleistung (§ 176 Abs. 2 Satz 3 UmwG). Die Gegenleistung darf nicht in Anteilen oder Mitgliedschaften bestehen (§ 174 Abs. 1 UmwG). Stattdessen werden in der Regel eine Barabfindung oder andersartige Wirtschaftsgüter geleistet.8 Die Gegenleistung muss angemessen sein.9 Dies ergibt sich hier (außer bei § 181 Abs. 1 UmwG) nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern aus den wesentlichen Grundsätzen des Umwandlungsrechts.10 Für die Bestimmung der Angemessenheit ist wiederum eine Unternehmensbewertung erforderlich.11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Dazu im einzelnen Noack/Kraft, DB 2018, 1577; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 273 (282 ff.). Dazu Noack/Kraft, DB 2018, 1577 (1580); J. Schmidt, Der Konzern 2018, 273 (283). J. Schmidt, Der Konzern 2018, 273 (284). Zum Ganzen näher Noack/Kraft, DB 2018, 1577 (1581); J. Schmidt, Der Konzern 2018, 273 (284) u. 229 (237). Vgl. Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 10. H. Schmidt in Lutter, § 175 UmwG Rz. 1, 5; Stengel in Semler/Stengel, § 175 UmwG Rz. 1. Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 10; H. Schmidt in Lutter, Vor § 174 UmwG Rz. 1; ausführlich hierzu Heckschen, GmbHR 2018, 779 (793 f.). Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 21. H. Schmidt in Lutter, § 174 UmwG Rz. 9; Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 22, § 181 UmwG Rz. 6. Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 22. Wilm in Lutter, § 181 UmwG Rz. 7 f.; Stengel in Semler/Stengel, § 174 UmwG Rz. 22, § 181 UmwG Rz. 7.

Bungert

711

22.138

§ 23 Unternehmensbewertung im Übernahmerecht I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Themenüberblick und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfasste Gesellschaften . . . . . . . . . . II. Unternehmensbewertung durch den Bieter . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungswert . . . . . . . . . . . . . 2. Information in der Angebotsunterlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . b) Barangebot . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tauschangebot . . . . . . . . . . . . . .

23.1 23.1 23.4 23.7 23.10 23.10 23.12 23.12 23.15 23.23

III. Unternehmensbewertung durch die Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . 1. Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Stellungnahme . . . . . . . . 3. Sorgfaltspflichten und externer Rat 4. Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . .

23.25 23.27 23.34 23.41

IV. Fairness Opinion . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff, Funktion und Methoden . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführende Berater . . . . . . . c) Bestandteile und Inhalt . . . . . . .

23.42 23.42 23.42 23.47 23.51

23.25

d) Vorgehen und Methoden . . . . . . 2. Fairness Opinion für die Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fairness Opinion i.e.S. . . . . . . . . b) Inadequacy Opinion . . . . . . . . . c) Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . 3. Fairness Opinion für den Bieter . . .

23.54 23.59 23.59 23.64 23.68 23.71

V. Gegenleistung bei Übernahmeund Pflichtangeboten . . . . . . . . . . 23.77 1. „Angemessene“ Gegenleistung . . . . 23.77 2. Abweichender Unternehmenswert grundsätzlich unbeachtlich . . . . . . . 23.80 3. Unternehmenswert maßgeblich bei Illiquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.84 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.84 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . 23.85 c) Durchführung der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . 23.86 4. Unternehmenswert in anderen Konstellationen maßgeblich? . . . . . 23.90 5. Bewertung von Gegenleistungen . . . 23.94 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 23.94 b) Tauschangebote . . . . . . . . . . . . . 23.95 c) Bewertung erbrachter Gegenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.105

Schrifttum: Aders/Schwetzler, HHL/D&P Fairness Opinion Monitor: Jahresreport Deutschland 2010, CF biz 2011, 208; Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007; Bachmann, Vorstandspflichten bei freundlichen Übernahmeangeboten, in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109; Baums/Thoma/Verse, WpÜG, Loseblatt; Bicker/Parameswaran, Die Angemessenheit der Gegenleistung nach dem WpÜG im Falle negativer Abweichung des Unternehmenswerts vom Börsenkurs, ZIP 2007, 1787; Brandt, Fairness Opinion, in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, S. 2220; Cannivé/Suerbaum, Die Fairness Opinion bei Sachkapitalerhöhungen in Aktiengesellschaften: Rechtliche Anforderungen und Ausgestaltung nach IDW S 8, AG 2011, 317; Decher, Die Fairness Opinion in der aktien- und übernahmerechtlichen Praxis, Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99; Dewitz, Die Bestimmung der Gegenleistung gem. § 31 WpÜG, in Forum Unternehmenskauf 2006, S. 11; Diregger/Winner, Deutsches und österreichisches Übernahmerecht aus Anlegersicht, WM 2002, 1583; Drinkuth, Pflichten der Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft bei öffentlichen Erwerbsangeboten, in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 59; Drinkuth, Öffentliche Übernahme börsennotierter Unternehmen, in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2017, S. 1999; v. Falkenhausen, Flexibilität beim Preis des Pflichtangebots, NZG 2012, 409; Fleischer, Die Fairness Opinion bei M&A-Transaktionen zwischen Markt und Recht, FS Hopt, 2010, S. 2753; Fleischer, Zur rechtlichen Bedeutung der Fairness Opinion im deutschen Aktien- und Übernahmerecht, ZIP 2011, 201; Fleischer/Kalss, Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2002; Franken/Schulte, Multiplikatorbewertung, in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, S. 339; Gei/Kiesewetter, Praxisrelevante Aspekte öffentlicher Übernahmen in Zeiten volatiler Märkte, AG 2012, 741; Graser/Klüwer/Nestler, Fairness Opinions nach

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.2 § 23

IDW ES 8: Mehrwert durch Standardisierung?, BB 2010, 1587; Grün/Salcher/Fecher/Kupke, Fairness Opinions: Regelungsbereiche gemäß IDW ES 8, WPg 2010, 645; Habersack, Auf der Suche nach dem gerechten Preis – Überlegungen zu § 31 WpÜG, ZIP 2003, 1123; Herfs/Wyen, Aktien statt Cash – Offene Fragen beim Tauschangebot unter dem WpÜG, FS Hopt, 2010, S. 1955; Hippeli/Hofmann, Die Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft nach § 27 WpÜG in der Anwendungspraxis der BaFin, NZG 2014, 850; Hopt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, FS Lutter, 2000, S. 1361; Kossmann, Bewertungspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 27 WpÜG unter Berücksichtigung von IDW ES 8, NZG 2011, 46; Krieger, Das neue Übernahmegesetz: Preisfindung beim Übernahmeangebot und Neutralitätspflicht des Vorstands der Zielgesellschaft, in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289; Lappe/Stafflage, Unternehmensbewertungen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2002, 2185; Lappe/Stafflage, Fairness Opinions im Transaktionsgeschäft, CFL 2010, 312; Leyendecker/Kleinhenz, Keine Wertindikation im Rahmen der Stellungnahme nach § 27 WpÜG, BB 2011, 2952; Leyendecker-Langner, Die Stellungnahme nach § 27 WpÜG bei Interessenkonflikten von Organmitgliedern, NZG 2016, 1213; Paschos/ Fleischer, Handbuch Übernahmerecht nach WpÜG, 2017; Rodewald/Siems, Der Preis ist heiß – Zur Angemessenheit der Gegenleistung bei Übernahmeangeboten, ZIP 2002, 926; Seibt, Übernahmerecht: Update 2010/2011, CFL 2011, 213; Seibt, Verhaltenspflichten und Handlungsoptionen der Leitungsund Aufsichtsorgane in Übernahmesituationen, in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148; Schiessl, Fairness Opinions im Übernahme- und Gesellschaftsrecht, ZGR 2003, 814; Schieszl, Fairness Opinions, in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, S. 505; Strunk/Salomon/ Holst, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht, in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht, Teil II, DZWiR 2002, 397; Tyrolt/Cascante, Pflichtangebotsbefreiung durch Übernahmeangebot und Mindestpreisregelungen, in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110; Westhoff, Die Fairness Opinion, 2006.

I. Einleitung 1. Allgemeines Bewertungsfragen sind für Unternehmensübernahmen äußerst bedeutend; das gilt noch verstärkt für die großvolumigen Übernahmen börsennotierter Unternehmen. Dabei geht es zunächst um die Ermittlung von Grenzpreisen für Käufer und Verkäufer; das ist nicht Gegenstand des folgenden Beitrags. Dieser nimmt vielmehr jene Bewertungsanlässe in den Blick, die durch das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG)1 gesetzlich vorgeprägt sind.

23.1

Das WpÜG beruht in weiten Teilen auf der Übernahme-Richtlinie der Europäischen Union,2 geht aber auch über diese hinaus. Es regelt zunächst öffentliche Kauf- und Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren,3 die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 WpÜG). Dabei enthält das Gesetz Spielregeln für solche Angebote. Zusätzlich regelt das WpÜG allerdings auch eine Verpflichtung,4 ein Angebot für alle Aktien einer Zielgesellschaft abzugeben,

23.2

1 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3822, zuletzt geändert durch Art. 9 G v. 23.6.2017, BGBl. I 2017, S. 1693. 2 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12. 3 Das sind im Wesentlichen Aktien und Wertpapiere, die den Erwerb von Aktien zum Gegenstand haben; vgl. § 2 Abs. 2 WpÜG. 4 Daraus folgen nach der Rspr. freilich keine zivilrechtlichen Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche der Aktionäre bei Nichtabgabe eines Pflichtangebotes; vgl. BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, AG 2013, 877. Allerdings haben Aktionäre einen zivilrechtlichen Anspruch auf Zahlung des Diffe-

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§ 23 Rz. 23.2

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

wenn ein Bieter unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt (§ 35 Abs. 1 und 2 WpÜG); Kontrolle ist das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft (§ 29 Abs. 2 Satz 1 WpÜG). Dieses Pflichtangebot gibt den Aktionären eine Ausstiegschance, wenn eine Kontrollposition erstmals entsteht oder in der Folge wechselt.

23.3 Somit gibt es drei Angebotstypen: Zunächst sind Pflichtangebote Rechtsfolge der Kontrollerlangung. (Freiwillige) Übernahmeangebote i.S.v. § 29 Abs. 1 WpÜG haben die Kontrollerlangung als Ziel. Daneben gibt es auch einfache Erwerbsangebote, die ohne Kontrollbezug freiwillig abgegeben werden, entweder weil der Bieter bei einem bloßen Teilangebot die Kontrolle gar nicht anstrebt oder weil er sie schon hält. Pflicht- und Übernahmeangebote unterliegen strengeren Regeln als einfache Erwerbsangebote. Insbes. gelten die unter V. geschilderten Mindestpreisregelungen nur für Pflicht- und Übernahmeangebote; wichtige Vorgaben dafür finden sich in der sog. WpÜG-Angebotsverordnung (WpÜG-AngVO).1 Hingegen ist der Bieter bei einfachen Erwerbsangeboten in der Preisfindung frei. 2. Themenüberblick und Abgrenzung

23.4 Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei Angeboten nach dem WpÜG stellen sich zunächst in Zusammenhang mit der Information der Angebotsadressaten; denn der Unternehmenswert ist ein wesentlicher Faktor für die Entscheidung über die Annahme des Angebots. Deswegen sind bereits in der vom Bieter erstellten Angebotsunterlage (bescheidene) Angaben über vorgenommene Unternehmensbewertungen zu machen; zu diesen sogleich unten II. Stärker in die Pflicht nimmt das WpÜG Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft; denn diese müssen eine Stellungnahme zum Angebot abgeben, die insb. auch auf die Höhe der Gegenleistung einzugehen hat. Auch das erfordert im Regelfall einen Vergleich mit dem Wert des Unternehmens; dazu unten III. Vor allem in diesem Zusammenhang hat sich auch die Verwendung von Fairness Opinions eingebürgert, die unter IV. näher untersucht werden.

23.5 Abseits von Informationspflichten ist der Bieter bei Übernahme- und Pflichtangeboten an bestimmte Mindestpreisregelungen gebunden (dazu Rz. 23.77 ff.). Diese setzen zwar nicht unmittelbar am Unternehmenswert an, sondern verwenden am Markt beobachtbare Preise (Börsenkurse, Transaktionen durch den Bieter). Allerdings stellen sich Bewertungsfragen immer dann, wenn für den Mindestpreis des Pflichtangebotes relevante Gegenleistungen nicht in bar erbracht wurden oder werden sollen; denn hier muss für einen Vergleich der Geldwert dieser Leistung ermittelt werden. Ebenso muss nach der WpÜG-AngVO die Unternehmensbewertung hilfsweise herangezogen werden, wenn es an verlässlichen Börsenkursen fehlt.

23.6 Ausgeklammert bleibt in der Folge ein Fragenkomplex der am Rande mit Bewertungsfragen zu tun hat: § 9 WpÜG-AngVO enthält verschiedene Tatbestände für die Befreiung von der Angebotspflicht. Insbes. bei der Sanierung der Zielgesellschaft (§ 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜGAngVO) und beim mittelbaren Kontrollerwerb (§ 9 Satz 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO) spielen Bewertungsfragen in der Praxis eine gewisse Rolle. Bei der Sanierung sind der Sanierungsbedarf renzbetrags, wenn ein Angebot zwar abgegeben wird, dabei aber die Regeln über den Mindestpreis (vgl. unten Rz. 23.77 ff.) verletzt werden; vgl. BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12, AG 2014, 662. 1 Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, S. 4263, zuletzt geändert durch Art. 18 G v. 23.6.2017, BGBl. I 2017, S. 1693.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.9 § 23

und die Sanierungsfähigkeit eng mit bilanziellen Gesichtspunkten verknüpft. Bei der Ausnahme wegen mittelbaren Kontrollerwerbs ist zu prüfen, ob der Buchwert der Beteiligung an der Zielgesellschaft in der Bilanz der (erworbenen) Obergesellschaft weniger als 20 % des buchmäßigen Aktivvermögens dieser Gesellschaft beträgt. Beide Aspekte betreffen allerdings im Kern Bilanz- und nicht Bewertungsfragen. 3. Erfasste Gesellschaften § 1 Abs. 1 WpÜG hält zunächst fest, dass das Gesetz auf Angebote für Wertpapiere von Zielge- 23.7 sellschaften anwendbar ist, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Aus dem Zusammenspiel von § 2 Abs. 3 Nr. 1 mit § 2 Abs. 7 WpÜG erhellt, dass es zunächst um AGs oder KGaAs1 mit Sitz im Inland geht, die zum Handel auf dem regulierten Markt einer inländischen Börse zugelassen sind. Wegen Art. 10 SE-Verordnung2 ist auch die inländische SE mit entsprechender Zulassung erfasst.3 Erfasst sind darüber hinaus einerseits Übernahme- und Pflichtangebote zum Erwerb von 23.8 Wertpapieren einer inländischen Gesellschaft, deren stimmberechtigte Aktien nicht in Deutschland, aber in einem anderen Mitgliedstaat des EWR zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 1 Abs. 2 WpÜG). Allerdings findet das WpÜG auf solche Sachverhalte in Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Übernahme-RL nur für gesellschaftsrechtliche Fragen Anwendung, insb. für die Definition von Kontrolle für Zwecke der Angebotspflicht, für Ausnahmen von der Angebotspflicht sowie für die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen; alle anderen Fragen, insb. soweit sie die Gegenleistung, die Angebotsunterlage oder das Angebotsverfahren betreffen, richten sich hingegen nach dem Recht des Marktstaates. Weithin spiegelbildlich findet das WpÜG auf Übernahme- und Pflichtangebote4 zum Erwerb einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat des EWR, deren stimmberechtigte Wertpapiere zum Handel an einem inländischen organisierten Markt zugelassen sind,5 nur Anwendung, soweit es die Gegenleistung, die Angebotsunterlage oder das Angebotsverfahren betrifft; die gesellschaftsrechtlichen Fragen richten sich hingegen nach dem Recht des Sitzstaates. Die folgende Untersuchung behandelt den Inhalt der Angebotsunterlage, die Stellungnahme 23.9 von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sowie die Höhe der Gegenleistung. Diese Fragen richten sich nach dem Recht des Marktstaates. I.E. gelten die Ausführungen somit für inländische Gesellschaften sowie für Gesellschaften aus dem EWR-Ausland, jeweils unter der Voraussetzung einer inländischen Börsennotierung. Angebote für inländische Gesellschaften mit Notierung im EWR-Ausland richten sich hingegen hinsichtlich der hier behandelten Fragen nach den einschlägigen Regeln des Marktstaates.

1 Zur Anwendbarkeit auf REIT-Aktiengesellschaften vgl. § 1 Abs. 3 REITG; zur Nichtanwendbarkeit auf Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital § 108 Abs. 5 KAGB. Zu Scheinauslandsgesellschaften Pötzsch/Favoccia in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG Rz. 67 m.w.N. 2 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) v. 8.10.2001, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. 3 Vgl. Pötzsch/Favoccia in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG Rz. 66. 4 Vgl. die Definition des „Europäischen Angebots“ in § 2 Abs. 1a WpÜG. 5 Zu Sonderfragen der Mehrfachnotierung vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 2 b) WpÜG.

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§ 23 Rz. 23.10

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

II. Unternehmensbewertung durch den Bieter 1. Entscheidungswert

23.10 Wie der Bieter seinen Entscheidungswert und damit die Obergrenze für die von ihm zu bietende Gegenleistung ermittelt, ist übernahmerechtlich nicht determiniert. Das kann durch eine Unternehmensbewertung nach IDW S 1, durch ein Multiplikatorverfahren oder auch auf andere Weise erfolgen. Nur in Ausnahmefällen ist er verpflichtet, für die Ermittlung der bei Pflicht- und Übernahmeangeboten mindestens zu gewährenden Gegenleistung eine Unternehmensbewertung vorzunehmen (dazu Rz. 23.80 ff.). Begrenzungen können allenfalls das auf den Bieter anwendbare Gesellschaftsrecht und hier insb. der Sorgfaltsmaßstab für den Vorstand enthalten; das bleibt in der Folge ausgeklammert (zu Fairness Opinions im Auftrag des Bieters aber noch Rz. 23.71 ff.).

23.11 Freilich ist der Unternehmenswert nicht nur für den Bieter, sondern auch für die Adressaten des Angebots von Interesse. Denn sie werden ihre Entscheidung über die Annahme zumindest verhandlungstaktisch u.a. daran ausrichten, in welchem Verhältnis die gebotene Gegenleistung zu diesem liegt. Der Bieter wiederum hat kein Interesse daran, seinen subjektiven Entscheidungswert offenzulegen. Diesen Interessenkonflikt versucht das WpÜG durch Offenlegungsvorschriften zu lösen. 2. Information in der Angebotsunterlage a) Allgemeines

23.12 Der Bieter hat gem. § 10 WpÜG eine Angebotsunterlage zu veröffentlichen, die verschiedene Pflichtangaben zu enthalten hat. Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung weitere ergänzende Angaben vorschreiben, soweit dies notwendig ist, um den Empfängern ein zutreffendes Bild und vollständiges Urteil über Bieter und Angebot zu ermöglichen (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 WpÜG). Auf dieser Basis wurde § 2 WpÜG-AngVO erlassen, nach dessen Nr. 3 Angaben zu den angewandten Bewertungsmethoden zu machen sind. Die Norm gilt für alle Arten von Erwerbsangeboten und entspricht weitgehend § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwG bzw. § 293e Abs. 1 Satz 3 AktG – freilich weicht der Regelungszusammenhang ab, weswegen die zu jenen Normen entwickelten Grundsätze nicht unbesehen übernommen werden können.1

23.13 Diese Informationen sollen den Angebotsadressaten nach der Begründung des RegE2 die Beurteilung erleichtern, inwieweit die gebotene Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zum Wert der angebotsgegenständlichen Wertpapiere steht. Damit wird auf die wirtschaftliche Angemessenheit Bezug genommen. Nach einer engeren Auslegung soll die Vorschrift den Aktionären die Möglichkeit einräumen, die Angemessenheit der Gegenleistung anhand des gesetzlichen Mindestpreises i.S.v. § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜGAngVO zu überprüfen.3 Das ist zwar sicher auch ein Ziel, greift aber zu kurz, was sich schon daraus ergibt, dass § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO auch auf einfache Erwerbsangebote ohne Kontrollbezug Anwendung findet, für welche die Mindestpreisvorschriften nicht gelten. Im Übrigen verstellt der Ansatz den Blick darauf, dass die Angebotsunterlage den Aktionären eine

1 A.A. z.B. Thoma in Baums/Thoma/Verse, § 11 WpÜG Rz. 112. 2 RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 78. 3 Meyer in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 18.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.16 § 23

Basis für ihre Entscheidung geben soll; diese orientiert sich aber primär an der wirtschaftlichen Angemessenheit des Angebots und weniger an gesetzlichen Preisbildungsregeln. Worauf sich die Bewertung zu erstrecken hat, hängt von der Art der angebotenen Gegenleistung ab. Bei einer Bargegenleistung genügt die Bewertung des Unternehmens der Zielgesellschaft (vgl. sogleich Rz. 23.15 ff.). Werden hingegen Unternehmensanteile im Tausch angeboten, so tritt die Bewertung jenes Unternehmens hinzu (vgl. Rz. 23.23 f.).1

23.14

b) Barangebot Der Wortlaut von § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO legt nahe, dass die vom Bieter tatsächlich angewandten Bewertungsmethoden bei der Ermittlung seines Entscheidungswerts offenzulegen sind. So werden auch die gesellschafts- bzw. umwandlungsrechtlichen Parallelnormen weitgehend verstanden.2 Freilich unterscheidet sich die übernahmerechtliche Rechtslage zumindest bei Pflicht- und Übernahmeangeboten gegenüber dem Umwandlungs- bzw. Vertragskonzernrecht dadurch, dass die Angemessenheit der Gegenleistung durch die Vorschriften in § 31 WpÜG bzw. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO näher determiniert wird. Eine Unternehmensbewertung wird nach diesen Vorschriften dem Bieter im Regelfall (näher Rz. 23.80 ff.) gerade nicht abverlangt.

23.15

Die h.A.3 geht davon aus, dass die Erläuterung der angewandten Bewertungsmethode nicht 23.16 bedeutet, dass der Bieter eine intern vorgenommene Unternehmensbewertung bzw. ihre Ergebnisse offenzulegen hat. Denn dadurch könnten konkurrierende Bieter die Entscheidungsgrundlage des Bieters als free rider in Erfahrung bringen, ohne selbst Mittel für die Informationsgewinnung aufwenden zu müssen.4 Vielmehr genügt nach dieser Ansicht die Angabe, ob und inwiefern die gebotene Gegenleistung den übernahmerechtlichen Preisbildungsvorschriften gem. § 31 WpÜG entspricht (Rz. 23.77 ff.). Daher sei die gebotene Gegenleistung mit dem von der BaFin ermittelten5 durchschnittlichen Börsenkurs und den relevanten Vorerwerben (s. auch § 2 Nr. 7 WpÜG-AngVO) zu vergleichen; das beinhalte auch Angaben zur Bewertung etwaiger Sachgegenleistungen bei Vorerwerben.6 Nur wenn nach § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO eine Unternehmensbewertung erforderlich ist, müsse auch die Angebotsunterlage nähere Angaben zu ihr enthalten.7 Unterliegt ein einfaches Erwerbsangebot überhaupt keinen Preisbildungsvorschriften, so soll nach dieser Ansicht ein Vergleich mit dem

1 So ausdrückl. RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 78. 2 Vgl. Hüffer/Koch, § 293e AktG Rz. 4; Veil in Spindler/Stilz, § 293e AktG Rz. 8; Zeidler in Semler/ Stengel, § 12 UmwG Rz. 8. 3 Geibel/Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, § 11 WpÜG Rz. 58 ff.; Meyer in Assmann/Pötzsch/ Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 16 ff.; Paschos/Goslar in Paschos/Fleischer, § 14 Rz. 80; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 WpÜG Rz. 59; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 12; Steinhardt/Nestler in Steinmeyer, § 11 WpÜG Rz. 54 ff.; Thoma in Baums/ Thoma/Verse, § 11 WpÜG Rz. 113; Anders für freundliche Übernahmen Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 11 WpÜG Rz. 70 ff. 4 Für feindliche Übernahmen Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 11 WpÜG Rz. 68 f. 5 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 12. 6 Meyer in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 32. 7 Geibel/Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, § 11 WpÜG Rz. 62; Meyer in Assmann/Pötzsch/ Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 19 f.; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 13; Thoma in Baums/Thoma/Verse, § 11 WpÜG Rz. 114.

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§ 23 Rz. 23.16

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

aktuellen1 oder durchschnittlichen2 Börsenkurs der Zielgesellschaft genügen. Zur Begründung führen die Vertreter dieser Ansicht u.a. an, dass die gegenüber dem gesetzlichen Mindestpreis oder gegenüber dem Börsenkurs gewährten Aufschläge nicht näher begründet werden könnten.3 Zusätzliche Angaben zur Erläuterung der Angemessenheit sind jedenfalls zulässig, dürfen aber nicht zur Irreführung der Angebotsadressaten geeignet sein.4

23.17 Diese Ansicht steht ersichtlich in einem Spannungsverhältnis mit der Anordnung in § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO, nach der auch die Angemessenheit der Anwendung der gewählten Methoden zu erläutern ist; genauso wenig passen die im Normtext daran anschließenden Ausführungen über die Angaben bei Anwendung verschiedener Methoden (Rz. 23.20 f.). Denn wenn es nur um die Erläuterung der gesetzlichen Vorgaben geht, dann macht es wenig Sinn, dass der Bieter die Wahl der Methode begründen soll.5 Wenn man der h.A. folgen möchte, wäre auch § 2 Nr. 7 WpÜG-AngVO überflüssig, wonach getätigte Vorerwerbe offenzulegen sind. Diese Überlegungen sprechen an sich dafür, dass mit dem Normtext die tatsächlich angewandten Bewertungsmethoden offenzulegen sind. Andererseits ist der Bieter nach § 2 Nr. 3 WpÜGAngVO zur Angabe verpflichtet, welches Umtauschverhältnis oder welcher Gegenwert sich bei der Anwendung verschiedener Methoden ergeben würde; wäre er verpflichtet, die interne Unternehmensbewertung in die Angebotsunterlage aufzunehmen, so würde dies zu einer Offenlegung seines Entscheidungswerts führen. Das wäre untunlich und nicht nur bei feindlichen Übernahmen6 kontraproduktiv.7

23.18 Richtig dürfte daher folgende Lösung sein: Der Bieter ist nicht verpflichtet, eine Unternehmensbewertung vorzunehmen; er hat die Nicht-Anwendung einer Bewertungsmethode auch nicht gesondert zu begründen. In diesen Fällen genügt ganz mit der h.L. der Vergleich mit den Vorgaben für den Mindestpreis gem. § 7 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO bzw. den Börsenkursen bei einfachen Erwerbsangeboten. Auch bei Letzteren ist somit eine eigene Unternehmensbewertung trotz fehlender gesetzlicher Preisuntergrenzen nicht zwingend. Ebenso wenig ist der Bieter verpflichtet, seine intern vorgenommene Unternehmensbewertung zur Ermittlung seines Entscheidungswerts offenzulegen – weder bei feindlichen noch bei freundlichen8 Angeboten.

23.19 Führt allerdings der Bieter eine Unternehmensbewertung auf objektivierter Basis durch (zum Begriff Rz. 1.7), sei es, weil dies nach § 5 Abs. 4 WpÜG verpflichtend vorgeschrieben ist (dazu und zur Methode Rz. 23.84 ff.),9 sei es freiwillig, um die Preisfindung zu stützen, so ist diese Bewertung samt ihrem Ergebnis zusätzlich zu den für die Ermittlung des Mindestpreises erforderlichen Angaben offenzulegen; eine Offenlegung des subjektiven Entscheidungswerts ist damit nicht verbunden. Offenzulegen ist auch das Ergebnis einer zeitnah, für einen anderen Zweck vorgenommenen Unternehmensbewertung auf objektivierter Basis.10 1 OLG Frankfurt v. 18.4.2007 – 21 U 72/06 – Rz. 64, AG 2007, 749 (750); Meyer in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 16. 2 So Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 12. 3 Meyer in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 16. 4 Für alle Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 12. 5 Vgl. auch RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 78. 6 Diesbzgl. abl. auch Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 11 WpÜG Rz. 68 f. 7 Daher diesbzgl. richtig die Bedenken bei Geibel/Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, § 11 WpÜG Rz. 63; Meyer in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 18. 8 Diesbzgl. abw. Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 11 WpÜG Rz. 70. 9 Paschos/Goslar in Paschos/Fleischer, § 14 Rz. 82. 10 Ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 12.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.22 § 23

§ 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO enthält bei dieser Auslegung somit keine grundsätzliche Pflicht zur Offenlegung jeder vorgenommenen Unternehmensbewertung, sondern vor allem Aussagen dazu, wie eine Unternehmensbewertung offenzulegen ist, wenn sie in die Angebotsunterlage aufgenommen werden soll. In diesem Fall ist zunächst die angemessene Auswahl der Methoden zu begründen.1 Damit ist m.E. nicht nur die Methodenwahl per se gemeint, sondern auch, warum die der Bewertung zugrunde liegenden zentralen Prämissen (z.B. erwartete Geschäftsentwicklung, gewählter Zinssatz) angemessen sind; diese sind darzustellen, eine umfassende Offenlegung aller Parameter ist jedenfalls nicht erforderlich.2 Daneben muss aber auch das Bewertungsergebnis enthalten sein – und zwar über den Wortlaut der Norm hinaus auch dann, wenn nicht mehrere, sondern nur eine Methode angewandt wurde. Im Übrigen hat sich der Detaillierungsgrad der Angaben am Ziel der Offenlegung zu orientieren: den Aktionären eine Entscheidungshilfe zu geben.

23.20

Werden mehrere Methoden offengelegt, so sind zunächst ihre unterschiedlichen Ergebnisse anzugeben, ebenso ihre Gewichtung bei der Festlegung der Gegenleistung und die Begründung der Gewichtung. Die Vorschrift wird nur geringe Bedeutung haben. Es besteht jedenfalls kein Zwang, mehrere Methoden anzuwenden.3 Vgl. im Übrigen zur Fairness Opinion im Auftrag des Bieters Rz. 23.71 ff.

23.21

Strittig ist darüber hinaus, ob der Bieter auch Vorerwerbe offenlegen muss, die außerhalb des sechsmonatigen Referenzzeitraums getätigt wurden.4 Das wird teilweise bejaht, wenn noch ein relativ enger zeitlicher Zusammenhang zum Angebot besteht und ein Paketerwerb vorliegt.5 Dafür spricht, dass diese Information für die Beurteilung durch die Aktionäre, ob das Angebot wirtschaftlich angemessen ist, von Bedeutung ist, auch wenn der Erwerb für den Mindestpreis nach WpÜG nicht relevant ist. Dagegen spricht der Gesetzeswortlaut; denn eine Gegenleistung für nicht preisrelevante Vorerwerbe lässt sich nicht unter den Begriff der Bewertungsmethode subsumieren, wie ihn § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO verwendet. Letztlich läuft dies somit auf die Frage hinaus, ob § 11 WpÜG und § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO eine taxative Aufzählung von Inhalten der Angebotsunterlage enthalten6 oder ob aus § 11 Abs. 1 Satz 2 WpÜG abzuleiten ist, dass auch zusätzliche Angaben zu machen sind, wenn sie notwendig sind, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot zu entscheiden.7 Nach richtiger Ansicht sind ergänzende Angaben erforderlich, wenn sonst ein irreführender Gesamteindruck entsteht.8 Ein solcher entsteht m.E., wenn der Bieter unmittelbar vor Beginn der sechsmonatigen Frist zu einer wertmäßig merkbar über dem Mindestpreis liegenden Gegenleistung Aktien der Zielgesell-

23.22

1 Vgl. Thoma in Baums/Thoma/Verse, § 11 WpÜG Rz. 115. 2 Vgl. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 13. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 WpÜG Rz. 38; Thoma in Baums/Thoma/Verse, § 11 WpÜG Rz. 114. 4 Abl. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 13. 5 Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 11 WpÜG Rz. 65. 6 So Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 WpÜG Rz. 27, § 12 WpÜG Rz. 41 ff.; Meyer in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 44 f.; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 11 WpÜG Rz. 14 (bloß in Evidenzfällen). 7 So Assmann in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 12 WpÜG Rz. 26 f.; Paschos/Goslar in Paschos/Fleischer, § 14 Rz. 11; wohl auch Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.83. 8 OLG Frankfurt v. 18.4.2007 – 21 U 72/06 – Rz. 67, AG 2007, 749 (750); Meyer in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 44 f.

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§ 23 Rz. 23.22

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

schaft erworben hat. Die Offenlegung von Vorerwerben innerhalb des Referenzzeitraums bei schlichten Erwerbsangeboten ist im Übrigen schon gem. § 2 Nr. 7 WpÜG-AngVO erforderlich. c) Tauschangebot

23.23 § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO ist von zentraler Bedeutung, wenn als Gegenleistung Wertpapiere angeboten werden.1 Denn in diesem Fall muss auch deren Wert festgestellt werden. Soweit ausnahmsweise eine Bewertung jener Papiere nach IDW S 1 für Zwecke von § 31 Abs. 1 WpÜG bei Übernahme- und Pflichtangeboten erforderlich ist, ist diese aufzunehmen, sonst genügt der Verweis auf den nach § 5 WpÜG-AngVO ermittelten Börsenkurs (dazu Rz. 23.77 ff.).

23.24 Bei einfachen Erwerbsangeboten oder für Wahlgegenleistungen bei Pflicht- und Übernahmeangeboten2 finden die Vorschriften über den Mindestpreis keine Anwendung. Werden bei diesen Angeboten Aktien (oder sonstige Gesellschaftsanteile) im Tausch angeboten, so ist die Frage der Offenlegung ihres Werts schon deswegen von besonderer Bedeutung, weil die Angemessenheit der Gegenleistung nicht von der BaFin überprüft wird. Richtigerweise ist daher auch bei börsennotierten liquiden Wertpapieren der Referenzkurs i.S.v. § 5 WpÜGAngVO anzugeben. Fehlt es an aussagekräftigen Börsenkursen, so ist es unstrittig, dass der Bieter die Unternehmensbewertung gem. § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO offenzulegen hat, wenn er eine solche durchgeführt hat.3 M.E. hat der Bieter in solchen Fällen aber auch bei freiwilligen Erwerbsangeboten eine Unternehmensbewertung vorzunehmen und diese in der Angebotsunterlage nach den in Rz. 23.20 f. dargestellten Grundsätzen offenzulegen; das ist zumutbar, weil es in der Regel um die eigenen Wertpapiere der Bietergesellschaft geht, die als Gegenleistung geboten werden. Besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung der Gegenleistung4 sind gem. § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO darzustellen.

III. Unternehmensbewertung durch die Zielgesellschaft 1. Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat

23.25 § 27 Abs. 1 WpÜG5 verpflichtet Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft eine begründete Stellungnahme zum Angebot abzugeben (oder allenfalls auch zwei getrennte Stellungnahmen). Sie ist gem. § 27 Abs. 3 WpÜG unverzüglich nach der Übermittlung der Angebotsunterlage zu veröffentlichen. Bei Änderungen des Angebots ist auch die Stellungnahme zu aktualisieren. Die Vorschrift findet bei allen Angebotstypen, also auch bei einfachen Erwerbsangeboten,6 Anwendung.

1 Vgl. RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 78. 2 Näher dazu Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 62. 3 Meyer in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG-AngVO Rz. 19; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Anh. – § 2 AngebVO Rz. 13. 4 Nach dem Wortlaut der Norm geht es nicht um die Bewertung der Zielgesellschaft selbst; a.A. anscheinend Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 WpÜG Rz. 39. 5 Eine vergleichbare Pflicht wird von der h.L. auch schon aus dem Aktienrecht abgeleitet; vgl. Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361 (1380 ff.) m.w.N. Zum Zusammenhang von aktien- und kapitalmarktrechtlichen Pflichten vgl. z.B. Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 6 f. 6 Zur diesbzgl. Kritik vgl. Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 27.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.28 § 23

§ 27 Abs. 1 WpÜG setzt das in § 3 Abs. 2 WpÜG verankerte Transparenzprinzip um,1 nach dem die Angebotsadressaten über ausreichende Information verfügen sollen, um in Kenntnis der Sachlage ihre Annahmeentscheidung zu treffen. Dieser Grundsatz gilt ebenfalls für die Organe der Zielgesellschaft. Die Stellungnahme der Zielgesellschaft soll in diesem Sinne als Gegengewicht zur Information durch den Bieter dienen und eine möglichst ausgewogene Basis für die Entscheidung gewährleisten. Diesem Gesetzeszweck kann bei feindlichen Übernahmen gut entsprochen werden; bei freundlichen Übernahmen geht es meistens darum, dass die Organe der Zielgesellschaft bestimmte, allenfalls auch für den Bieter nachteilige Informationen offenlegen müssen.2

23.26

2. Inhalt der Stellungnahme In der Stellungnahme haben die Organe der Zielgesellschaft das Angebot zu beurteilen; 23.27 grundsätzlich genügt die Wiedergabe von Pro- und Contra-Argumenten nicht.3 I.E. sollen sie somit eine Meinung zum Angebot abgeben, nach h.M. auch eine begründete Handlungsempfehlung für die Angebotsadressaten,4 was eine Gewichtung gegenläufiger Argumente voraussetzt. Ob die (in der Praxis häufige5) bloße Darstellung der Argumente ausreichend ist, wird teilweise bejaht,6 sollte aber nur für Ausnahmefälle zulässig sein, so bei Interessenkonflikten aller Organmitglieder7 oder bei gleichgewichtigen Argumenten für und wider.8 Beurteilungsmaßstab ist gem. § 3 Abs. 3 WpÜG das Interesse der Zielgesellschaft,9 womit auch die Interessen von Arbeitnehmern, von Gläubigern oder das Gemeinwohl einfließen können. Somit kann die Handlungsempfehlung auch dann die Ablehnung des Angebotes befürworten, wenn dieses aus Sicht der Aktionäre wegen des gebotenen Preises günstig ist.10 Allerdings ist aus Transparenzgründen die Motivation für die ablehnende Handlungsempfeh1 Vgl. RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 52. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 16. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 16; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 30; Hippeli/Hofmann, NZG 2014, 850 (852 f.). 4 Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 99; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 82; Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 17, 91; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 31; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 49; Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, § 27 WpÜG Rz. 3; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 30; grundsätzlich auch Hippeli/Hofmann, NZG 2014, 850 (854). Abl. Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.162; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 50; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 10. 5 Vgl. Seibt, CFL 2011, 213 (236). 6 Tendenziell Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 WpÜG Rz. 12; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 8; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 10; Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (130); Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (111); Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.162. 7 Zum Umgang mit Interessenkonflikten näher Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.154; Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 39 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 22 f.; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 37; Leyendecker-Langner, NZG 2016, 1213 (insb. auch 1217 bei Fn. 54). 8 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 82; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 90; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 31. 9 Für alle Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 16. 10 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 75, 85; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 31; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 92; Röh

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23.28

§ 23 Rz. 23.28

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

lung offenzulegen1 und (wohl auch) eine positive Beurteilung der Gegenleistung an sich vorzunehmen.2 Insgesamt kommt den Organen der Zielgesellschaft ein weiter Ermessensspielraum bei der Abgabe der wertenden Handlungsempfehlung zu. Wertung und Fakten sind jedenfalls deutlich zu trennen.

23.29 Alle den Organen bekannten und für die Entscheidung der Angebotsadressaten wesentlichen Faktoren sind in die Stellungnahme aufzunehmen.3 Das ergibt sich schon aus dem Vollständigkeitsgebot,4 nach dem die Stellungnahme gem. § 27 Abs. 1 WpÜG alle Angaben enthalten muss, die aus der Perspektive des Angebotsadressaten für die Beurteilung des Angebots von Interesse sein können.5 Ausnahmen davon bestehen nur, soweit die Verschwiegenheitspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG oder eine vergleichbare Verpflichtung die Geheimhaltung fordert; zu Recht wird daraus abgeleitet, dass die internen Planungsdaten der Zielgesellschaft nicht offengelegt werden müssen.6

23.30 Die Stellungnahme hat neben der Beurteilung des Angebotes an sich auch bestimmte Aspekte gesondert zu behandeln (vgl. die demonstrative Aufzählung in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 WpÜG). Dazu gehören die vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Ziele, die Folgen der Übernahme für die Zielgesellschaft und das beabsichtigte Annahmeverhalten von Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat. Letzteres ist aus Sicht der Angebotsadressaten eine wesentliche Information, da es Rückschlüsse auf die Attraktivität des Angebots zulässt. Über die Aufzählung hinaus sind auch alle weiteren, für die Annahmeentscheidung wesentlichen Aspekte aufzugreifen,7 wie z.B. Interessenskonflikte einzelner Organmitglieder.8

23.31 Die Stellungnahme hat sich insb. auch auf Art und Höhe der Gegenleistung zu erstrecken (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WpÜG). Dies ist aus Sicht der Aktionäre der Zielgesellschaft der wichtigste Punkt und somit auch Kern der Stellungnahme. In der Sache müssen die Organe der Zielgesellschaft somit erklären, ob und aus welchen Gründen sie die gebotene Gegenleistung für angemessen halten.9 Dabei geht es nicht nur darum, ob die Mindestgrenzen gem. § 31 WpÜG eingehalten wurden.10 Vielmehr müssen die Organe nach h.L. eine Aussage darüber

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 49; i.E. auch Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, § 27 WpÜG Rz. 3; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 30. Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 75, 85; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/ Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 92. Abw. vielleicht Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 31. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 32. Das aus dem Transparenzgebot (§ 3 Abs. 2 WpÜG) abgeleitet wird. Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 20; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 54. Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 49; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 32; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 73. Für alle Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 11; Hippeli/Hofmann, NZG 2014, 850 (853). Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 98; Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 20, 43, 85; Leyendecker-Langner, NZG 2016, 1213 (1217). Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 41, 48; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 39; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 64. Wie hier z.B. Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.157; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 42; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 39; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 31; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 38. Abw. Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (125).

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.33 § 23

treffen, wie sich die Gegenleistung zum Fundamentalwert der Aktie verhält.1 Ein Vergleich allein mit dem Börsenkurs ist nicht ausreichend; allerdings ist es denkbar, dass die Organe eine Handlungsempfehlung für die Annahme eines unter dem Wert, aber über dem Börsenkurs liegenden Angebots abgeben, weil wegen einer dauerhaften Unterbewertung eine Veräußerung zum Fundamentalwert auch in Zukunft unwahrscheinlich ist.2 Basis für die Beurteilung muss aber grundsätzlich der Vergleich mit dem Fundamentalwert auf Basis einer stand-alone-Bewertung sein. Strittig ist, ob die Aussage genügt, dass der Unternehmenswert aus in der Stellungnahme näher zu spezifizierenden Gründen höher ist,3 oder ob eine „Anhaltsziffer“ anzugeben ist.4 Ein konkreter Wert muss m.E. nicht ermittelt werden, weil es nur um die Angemessenheit der vorgeschlagenen Gegenleistung und nicht um eine eigene Bewertung geht; sofern er bekannt ist, ist er aber offenzulegen. Jedenfalls sollte die Größenordnung der nach Einschätzung der Organe bestehenden Abweichung erkenntlich gemacht werden.

23.32

Strittig ist, ob darüber hinaus auch Synergieeffekte zu berücksichtigen sind.5 Zunächst ist die 23.33 Ausgangslage nicht mit den Abfindungsfällen zu vergleichen (dazu Rz. 16.16 ff.). Denn es geht nicht darum, ob die Aktionäre Verbundvorteile ersetzt bekommen müssen, sondern darum, ob eine rechtsgeschäftlich gebotene Gegenleistung aus Sicht der Angebotsadressaten angemessen ist. Dafür ist es von Bedeutung, ob und inwieweit der Bieter Vorteile aus der Transaktion für sich vereinnahmen oder abgeben möchte. Deswegen müssen entsprechende Angaben aufgenommen werden, soweit sie den Organen der Zielgesellschaft bekannt sind (Rz. 23.29); eine Pflicht, entsprechende Informationen zu beschaffen, besteht aber ebenso wenig wie eine korrespondierende Auskunftspflicht des Bieters.6 In vergleichbarer Weise ist es für die Adressaten des Angebots von Bedeutung, ob allenfalls ein anderer (potentieller) Interessent zu einer höheren Gegenleistung bereit wäre. Obwohl die Organe der Zielgesellschaft nach geltendem Recht nicht zur Durchführung eines Auktionsverfahrens verpflichtet sind,7 dürfen sie entsprechende Informationen in ihre Stellungnahme einfließen lassen;8 haben sie Kenntnis von weite1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 39; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 65, 70; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 38. In Nuancen anders Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 9 (Vergleich von Börsenkurs der Zielgesellschaft und ihrem Unternehmenswert). Abl. Leyendecker/ Kleinhenz, BB 2011, 2952 (2953 f.). 2 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 48; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 65, 71; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 35; vgl. zu weiteren Gründen auch Hippeli/Hofmann, NZG 2014, 850 (854). 3 So Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 WpÜG Rz. 14; Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 75; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 73; Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, § 27 WpÜG Rz. 14; Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (125); Leyendecker/Kleinhenz, BB 2011, 2952. 4 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 49; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 40. 5 Dafür Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 67; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 46; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 39; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 67; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 32; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 39. Dagegen Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 9; Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, § 27 WpÜG Rz. 14; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 20. 6 Wohl wie hier Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 67. 7 Für alle Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (133 f.). 8 Vgl. Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 73a.

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§ 23 Rz. 23.33

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

ren Interessenten und von ins Auge gefassten Konditionen, so müssen sie dies m.E. auch,1 weil nur so dem Ziel von § 3 Abs. 2 WpÜG entsprochen werden kann. 3. Sorgfaltspflichten und externer Rat

23.34 Die Abgabe der Stellungnahme ist nach einhelliger Meinung2 eine Organpflicht, keine Pflicht der einzelnen Funktionsträger. Damit richtet sich die Beschlussfassung nach den jeweils einschlägigen Geschäftsführungsregelungen,3 wobei strittig ist, inwieweit Sondervoten offengelegt werden dürfen bzw. müssen.4 Stimmenthaltungen sind nicht zulässig;5 Interessenskonflikte sind aber offenzulegen. Für den Aufsichtsrat ist die Übertragung an einen Ausschuss möglich6 und wegen der gebotenen Eile oft vorzugswürdig. Die Stellungnahme wird in der Praxis überwiegend von beiden Organen gemeinsam abgegeben,7 dies ist allerdings nicht zwingend; jedes Organ kann eine eigene Stellungnahme unabhängig8 von dem anderen abgeben. Eine gesonderte Stellungnahme des Aufsichtsrats ist insb. bei Management Buy-outs erforderlich.9

23.35 Der Sorgfaltsmaßstab für Organpflichten und damit auch für die Abgabe der Stellungnahme10 richtet sich nach der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers i.S.v. § 93 Abs. 1 AktG, für den Aufsichtsrat i.V.m. § 116 AktG. Daraus resultiert, dass die Funktionsträger vernünftigerweise annehmen müssen, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; sog. business 1 Ähnlich Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 40. 2 Für alle Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 18, 20; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 13. 3 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.154; Harbarth in Baums/ Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 22 ff.; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 36; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 25; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 16. 4 Näher Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 44 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 20; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 14. 5 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.154; Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 41; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 22. Abw. Harbarth in Baums/ Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 31; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 63; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 19; abw. für erhebliche Interessenkonflikte auch LeyendeckerLangner, NZG 2016, 1213 (1216 f.) m.w.N. aus der Praxis. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 21; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 40; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 20. 7 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.154; Seibt, CFL 2011, 213 (236). 8 Deswegen ist auch ein Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unzulässig; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 28; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 42; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 17. 9 Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 14. 10 Ganz überwiegende Meinung: Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 46; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 7; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 22; Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, § 27 WpÜG Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 12; Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (126); Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.168; Kossmann, NZG 2011, 46 (48 f.). Anders vielleicht Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 27 f., 32 f. Ähnlich auch OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-16 W 63/03 – Rz. 51, AG 2004, 207.

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Winner

Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.37 § 23

judgment rule). Damit rücken drei miteinander zusammenhängende Fragen ins Zentrum: (1) Welche Informationsbasis brauchen die Organe für die Abgabe ihrer Stellungnahme? (2) Unter welchen Voraussetzungen müssen sie externen Rat einholen? (3) Unter welchen Bedingungen dürfen sie sich auf externen Rat verlassen? (1) Grundsätzlich genügt es, wenn die Organe der Zielgesellschaft die Angaben des Bieters in der Angebotsunterlage untersuchen, wobei wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit auch eine Plausibilitätsprüfung genügen kann.1 Für die Angemessenheit der Gegenleistung ist jedoch zu beachten, dass den Organen der Zielgesellschaft hinsichtlich des Werts ihres Unternehmens eine zumindest gleichgute, unter Umständen auch bessere Tatsachenbasis als dem Bieter zur Verfügung steht und dass die Organe eine eigene Aussage zur Angemessenheit machen müssen, die von Angaben des Bieters grundsätzlich unabhängig sein muss. Dennoch ist eine Unternehmensbewertung nach IDW S 1 wegen der knappen Zeit im Regelfall nicht durchführbar; es genügt auch die Anwendung anderer, rascher durchführbarer Verfahren, insb. eine Schätzung mittels Multiplikatoren.2 Dies gilt insb. auch für die Bewertung der Gegenleistung, wenn die Bieterin eigene Wertpapiere anbietet;3 in diesem Fall wird der Zugang zu den für eine Bewertung nach IDW S 1 erforderlichen Daten im Regelfall ohnehin fehlen. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn wegen einer lang bekannten Übernahmeabsicht die Pflicht, eine Stellungnahme abzugeben, bereits im Vorfeld des Angebots ersichtlich ist; in diesem Fall hat insb. der Vorstand die Informationsbasis für die Abgabe der Stellungnahme vorzubereiten,4 wozu auch eine Unternehmensbewertung zumindest für die eigene Gesellschaft gehört. Soweit allerdings die Ergebnisse einer Unternehmensbewertung vorliegen, sind sie jedenfalls offenzulegen (Rz. 23.29).

23.36

(2) Grundsätzlich sind die Organe der Zielgesellschaft nicht verpflichtet, externen Rat vor 23.37 der Abgabe der Stellungnahme nach § 27 Abs. 1 WpÜG einzuholen.5 Das ergibt sich aus dem Lauf der Gesetzgebung; eine entsprechende Pflicht war im Diskussionsentwurf des WpÜG6 noch vorgesehen, wurde aber letztlich nicht Gesetz. Freilich ist der Umkehrschluss, wonach

1 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 46. 2 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 43; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 39; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 66; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 32; Schwennike in Angerer/Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 14; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 38; Drinkuth in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 59 (70). Abl. aber Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (125), nach dem der Vergleich mit dem zu bietenden Mindestpreis genügt (dazu oben Rz. 23.31). 3 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 47; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 68. 4 So dem Grundsatz nach auch Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (115 f., 124); Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 32, 66; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 70. Zurückhaltend Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 21. 5 OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-16 W 63/03 – Rz. 51, AG 2004, 207; OLG Stuttgart v. 25.10.2018 – 20 W 6/18 – Rz. 210, BB 2019, 129; Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (124); Fleischer, ZIP 2011, 201 (206); Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 4, 33; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 49; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 13; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.207. 6 Vgl. § 14 DiskE; zu finden bei Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 237 ff.

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§ 23 Rz. 23.37

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

unabhängig von der konkreten Situation externer Rat jedenfalls nicht einzuholen ist,1 ebenso unzutreffend. Wenn die Organe nicht in der Lage sind, die Informationsbasis für die Angemessenheitsprüfung im oben (Rz. 23.36) dargelegten Sinn zu ermitteln, müssen sie nach h.L. externen Sachverstand beiziehen;2 die bloße Abgabe der Stellungnahme unter dem Hinweis bzw. Vorbehalt, dass kein sachverständiger Rat beigezogen wurde, genügt nicht.3 Das gilt wohl auch, wenn den Organen eine unabhängige Beurteilung wegen umfassender Interessenkonflikte nicht möglich ist. Wurde sachverständiger Rat eingeholt, so ist dessen Substanz jedenfalls mitzuteilen.4

23.38 Der Aufsichtsrat wird (anders als der Vorstand) in der Regel nicht in der Lage sein, die Angemessenheit der Gegenleistung selbständig zu beurteilen.5 Daraus ist aber nicht zu folgern, dass er jedenfalls einen externen Berater beiziehen muss. Er kann sich m.E. im Regelfall auf die Beurteilung der Angemessenheit durch den Vorstand verlassen und muss diese bloß einer Plausibilitätsprüfung unterziehen.6 Anderes gilt allerdings in den (häufigen7) Fällen, in denen der Vorstand bzw. maßgebliche Vorstandsmitglieder sich in einem Interessenkonflikt befinden; dabei ist einerseits an Management Buy-outs zu denken, andererseits aber auch an Zusagen oder (gegenläufig) Abberufungsabsichten des Bieters. Da sich der Aufsichtsrat in diesen Situationen nicht mehr auf die Beurteilung durch den Vorstand verlassen kann, muss er externen Rat einholen, soweit er nicht ausnahmsweise selbst zur Beurteilung der Gegenleistung in der Lage ist.8

23.39 (3) Die Organe der Zielgesellschaft dürfen sich grundsätzlich auf den eingeholten Rat verlassen, wenn die Voraussetzungen für ein berechtigtes Vertrauen auf Expertenrat vorliegen.9 Im Einzelnen muss der gewählte Berater sachkundig und unabhängig sein (dazu noch Rz. 23.48 ff.), der Vorstand muss ihn zutreffend und vollständig informiert und zumindest eine Plausibilitätskontrolle des Rates10 vorgenommen haben.11 Unter diesen Bedingungen indiziert die Einholung und Befolgung des Rates pflichtgemäßes Handeln, auch wenn sie die

1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 33; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148 (182); Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109 (125). 2 Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 97; Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 33; Harbarth in Baums/Thoma/ Verse, § 27 WpÜG Rz. 72; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 49; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 7; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 29; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (105 f.); Fleischer, ZIP 2011, 201 (206); Kossmann, NZG 2011, 46 (51 f.); Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (316); Schiessl, ZGR 2003, 814 (827 f.); i.E. auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 53 in Fn. 97. Vor dem WpÜG auch Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361 (1381). 3 A.M. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 33. Wie hier Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 29. 4 Allg.M.; für alle Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 33; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 29. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 17. 6 Wie hier Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 71. 7 Siehe Leyendecker-Langner, NZG 2016, 1213 (1214): 2015 Interessenkonflikte bei 13 von 19 Übernahmeangeboten. 8 Vgl. auch Fleischer, ZIP 2011, 201 (207); Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 70; Schiessl, ZGR 2003, 814 (829); Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 28. 9 Vgl. BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757 m. Anm. Schröder = AG 2007, 548. 10 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.158. 11 Näher Fleischer, ZIP 2011, 201 (208 ff.).

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.42 § 23

eigenverantwortliche Beurteilung nicht völlig ersetzen kann.1 Im Regelfall wird es jedoch genügen, das Ergebnis des solcherart mit der Überprüfung des Verhältnisses von Gegenleistung und Aktienwert beauftragten Sachverständigen kritisch zu hinterfragen. Soweit die Organe diesen Sorgfaltspflichten nachkommen, haften sie der Gesellschaft gegen- 23.40 über aus § 93 AktG nicht, selbst wenn die Stellungnahme i.E. unzutreffend sein sollte;2 freilich ist bei der Gesellschaft durch eine inhaltlich falsche oder in der Bewertung unvertretbare Stellungnahme zumeist ohnehin kein Schaden eingetreten. Die im Regelfall geschädigten Aktionäre haben nach überwiegender Ansicht bei bloß fahrlässig unrichtig abgegebenen Stellungnahmen keinen Anspruch;3 Gegenmeinungen lassen Ansprüche in Analogie zu § 12 WpÜG bei grober Fahrlässigkeit zu4 bzw. bejahen die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB und der zivilrechtlichen Prospekthaftung.5 Jedenfalls können die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder gem. § 826 BGB haften, wenn sie die Angebotsadressaten durch eine wissentlich unrichtige Stellungnahme zur Ablehnung oder Annahme des Angebots verleiten.6 Daraus ergibt sich letztlich die mehrmals erwähnte Verpflichtung, bekannte und für die Adressaten wesentliche Informationen in die Stellungnahme aufzunehmen (vgl. Rz. 23.29).7 4. Handlungsoptionen Damit haben die Organe der Zielgesellschaft verschiedene Handlungsoptionen: Sie können 23.41 erstens die überschlagsmäßige Überprüfung der Gegenleistung am Aktienwert selbst vornehmen. Zweitens können die Organe entweder gemeinsam oder getrennt (hier vor allem der Aufsichtsrat) sachverständigen Rat einholen, mit dem das Urteil über die Angemessenheit der Gegenleistung untermauert wird; in der Praxis geschieht dies durch sog. Fairness Opinions (Rz. 23.42 ff.). Drittens können die Organe darüber hinausgehen, indem sie einen externen Berater auch mit der Untersuchung beauftragen, ob für die Aktionäre der Zielgesellschaft nicht auch ein besserer Preis erreichbar wäre; dies ist die sog. Inadequacy Opinion (Rz. 23.64 ff.).

IV. Fairness Opinion 1. Begriff, Funktion und Methoden a) Grundlagen Unter einer Fairness Opinion versteht man die Stellungnahme eines Sachverständigen zur finanziellen Angemessenheit einer Transaktion und hier insb. zum Transaktionspreis aus der 1 Fleischer, ZIP 2011, 201 (210); Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 49; Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (317); Schiessl, ZGR 2003, 814 (825). 2 Für alle Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 33. 3 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.167; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, § 27 WpÜG Rz. 134 ff.; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 141 ff. m.w.N.; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 76 ff. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 27; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 16. 5 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 WpÜG Rz. 44; Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 99; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 27 WpÜG Rz. 34 f.; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 86 ff. 6 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 153 f. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 32.

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23.42

§ 23 Rz. 23.42

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Perspektive des Käufers oder des Verkäufers.1 Anders als bei einer Unternehmensbewertung geht es somit nicht um die Ermittlung des (Grenz-)Preises, sondern um die Überprüfung einer tatsächlich gebotenen Gegenleistung.2 Typisch sind zeitliche Restriktionen bei der Ausarbeitung und/oder eingeschränkter Zugang zu Information.

23.43 Im gegebenen Zusammenhang geht es erstens um die Beurteilung des Angebotspreises aus Sicht der Aktionäre der Zielgesellschaft (Rz. 23.59 ff.). Dies ist das wichtigste Einsatzgebiet; Fairness Opinions dürften der überwiegenden Zahl der Stellungnahmen nach § 27 WpÜG zugrunde liegen.3 Hinzu kommen zweitens im Auftrag des Bieters erstellte Fairness Opinions (Rz. 23.71 ff.).4 Daneben werden sie auch bei zahlreichen anderen Transaktionen (z.B. Kapitalerhöhungen, Management Buy-outs oder Rechtsgeschäften mit Konzerngesellschaften bzw. ganz generell bei related party transactions) abgegeben.5 Ihren Ursprung haben sie in der USamerikanischen M&A-Praxis, wo in Folge der Leitentscheidung des Supreme Court Smith v. Van Gorkom6 regelmäßig Fairness Opinions zur Entlastung der Mitglieder des Verwaltungsrats eingeholt werden.7

23.44 Mit der Einholung der Fairness Opinion können verschiedene Ziele verfolgt werden. Erstens geht es um die Information von Bieter und Zielgesellschaft über die Angemessenheit der Transaktionsbedingungen, insb. angesichts der erhöhten Erfahrung der Berater mit marktorientierten Bewertungsmethoden wie multiples.8 Darüber hinaus kann die Fairness Opinion auch den Aktionären von Bieter oder Zielgesellschaft zur Verfügung gestellt werden; dann stehen die Ersteller mit ihrem Ruf für die Angemessenheit der Transaktionsbedingungen bei einer positiven Fairness Opinion ein.9 Deswegen kann die Fairness Opinion auch dazu beitragen, die Aktionäre vor unangemessenen Transaktionsbedingungen zu schützen.10 Letztlich geht es auch um Haftungsvermeidung,11 zunächst aus Sicht des Bieters, aber insb. auch für die

1 Für alle Fleischer, ZIP 2011, 201 (202). 2 Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 13; Brandt in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 16.213. 3 2015 stützte sich die Stellungnahme der Zielgesellschaft bei 13 von 19 Übernahmeangeboten auf eine Fairness Opinion; Leyendecker-Langner, NZG 2016, 1213 (1217). Vgl. auch Fleischer, ZIP 2011, 201 (210); Seibt, CFL 2011, 213 (236 f.). 4 Vgl. Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (103). 5 Für andere Anwendungsbereiche vgl. Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 16 ff.; Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317; Fleischer, ZIP 2011, 201 (203); Grün/Salcher/Fecher/ Kupke, WPg 2010, 645 (646 f.); Schiessl, ZGR 2003, 814 (834 ff.). Siehe auch Art. 9c Abs. 3 Aktionärsrechte-RL. 6 488 A.2d 858 (Del. 1985); dazu Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, Rz. 938 ff. m.w.N. 7 Fleischer, ZIP 2011, 201 (203); Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.203. 8 Fleischer, ZIP 2011, 201 (203); Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (648). Mit ihr kann wie erwähnt insb. den Informationsnachteilen des Aufsichtsrats abgeholfen werden; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.212. 9 Fleischer, ZIP 2011, 201 (203); Kossmann, NZG 2011, 46 (52); Schiessl, ZGR 2003, 814 (822 f.); Westhoff, Die Fairness Opinion, S. 6 ff.; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.212. 10 Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 29 f. 11 Zu dieser z.B. Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (647); Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (312); Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.206.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.48 § 23

Organe der Zielgesellschaft, wenn sich Organwalter bei Abgabe der Stellungnahme nach § 27 WpÜG in Interessenkonflikten (z.B. Aktienbeteiligung oder -optionen, Abfindungen) befinden.1 Derzeit gibt es zwei Standardisierungen für Fairness Opinions. Wirtschaftsprüfer sind seit 2011 berufsrechtlich verpflichtet, den einschlägigen IDW S 82 zu beachten, der auf alle Arten von Fairness Opinions Anwendung findet. Der Standard beansprucht allerdings auch Geltung für andere Ersteller von Fairness Opinions, wie insb. Investmentbanken. Bereits seit 2008 gibt es „Grundsätze für Fairness Opinions“ der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management.3 Diese finden nur auf Fairness Opinions im Zusammenhang mit Angeboten nach dem WpÜG Anwendung, sowohl seitens des Bieters als auch seitens der Zielgesellschaft. Ob IDW S 8 sich im Sinne einer best practice-Empfehlung auch außerhalb seines eigentlichen Anwendungsbereichs durchsetzen wird,4 ist derzeit noch offen.

23.45

Adressat der Fairness Opinion ist grundsätzlich der jeweilige Auftraggeber.5 Sie dient der Information des Bieters oder von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei der Vorbereitung der Stellungnahme nach § 27 WpÜG, ersetzt aber nicht die eigenverantwortliche Würdigung durch die Organe.6 Das schließt eine Drittverwendung nicht aus. Auf Seite des Bieters geht es um die Information seiner Aktionäre; auf Seite der Zielgesellschaft kann die Fairness Opinion den Angebotsadressaten zugänglich gemacht oder es kann zumindest auf sie in der Stellungnahme gem. § 27 WpÜG verwiesen werden.7

23.46

b) Durchführende Berater Fairness Opinions werden von Investmentbanken, Corporate Finance Beratern und (insb. bei kleineren Transaktionen8) Wirtschaftsprüfern erstellt. Diese Berater weisen im Regelfall die erforderliche Sachkunde auf, womit ihr Rat haftungsbefreiend wirken kann (Rz. 23.39).

23.47

Die Opinion soll grundsätzlich durch einen unparteiischen Dritten erstellt werden.9 Sonst besteht die Gefahr, dass der Sachverständige dem Auftraggeber jedenfalls das gewünschte Ergebnis bietet. Deswegen mahnt IDW S 8 auch, dass die Tätigkeit als Berater und die Erstellung einer Fairness Opinion bei derselben Transaktion durch denselben Wirtschaftsprüfer mit den berufsrechtlichen Grundsätzen zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in einem Spannungsverhältnis steht, weswegen die Zulässigkeit sorgfältig und einzelfallbezogen zu prüfen ist.10 Ebenso ist die Vereinbarkeit mit der Position als Abschlussprüfer gesondert zu unter-

23.48

1 Vgl. Schiessl, ZGR 2003, 814 (831 ff.); Aders/Arnold/Schwetzler, Duff & Phelps Fairness Opinion Monitor 2013: Summary 2005-2012, 11.11.2013, S. 17 ff. 2 Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW Fachnachrichten 3/2011, S. 151 ff.). 3 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions (http://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikatio nen/DVFA-Finanzschriften/grundsaetze_fairness_opinions.pdf). 4 So Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (313). 5 IDW S 8 Rz. 15; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 4. 6 IDW S 8 Rz. 58; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 4 f. 7 Näher IDW S 8 Rz. 19 f. 8 Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (646); Aders/Arnold/Schwetzler, Duff & Phelps Fairness Opinion Monitor 2013: Summary 2005-2012, S. 11 ff. 9 Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (648 f.); Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (313). 10 IDW S 8 Rz. 10.

Winner 729

§ 23 Rz. 23.48

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

suchen.1 Ergebnisabhängige Vergütungen für Sachverständigentätigkeiten sind Wirtschaftsprüfern schon berufsrechtlich verboten (§ 55 Abs. 1 Satz 1 WPO).2 Die DVFA-Grundsätze3 verlangen die Offenlegung von Interessenkonflikten in dem Opinion Letter (zu diesem Rz. 23.51), wobei sich diese auf andere langfristige Geschäftsbeziehungen von wesentlicher Bedeutung ebenso wie auf erfolgsabhängige Vergütungskomponenten4 beziehen. Die Ansätze sind daher unterschiedlich: eigenverantwortliche Beurteilung des Einflusses eines Interessenskonflikts auf die Auftragsannahme durch den Ersteller gegenüber Zulässigkeit der Beratung, aber grundsätzlich zwingende Offenlegung.5

23.49 Aus übernahmerechtlicher Sicht ist die Offenlegung potentieller Interessenskonflikte des Erstellers der Fairness Opinion jedenfalls dann erforderlich, wenn die Fairness Opinion ihrer Substanz nach im Rahmen einer Drittverwendung offengelegt wird (dazu Rz. 23.68 ff.).6 Zumindest die Stellungnahme gem. § 27 Abs. 1 WpÜG muss alle Angaben enthalten, die aus der Perspektive des Angebotsadressaten für die Beurteilung des Angebots von Interesse sein können (Rz. 23.29). Danach sind Interessenkonflikte der Organmitglieder offenzulegen; nichts anderes kann für die von ihnen Beauftragten gelten. Das gilt m.E. auch für erfolgsabhängige Vergütungen, wie sie bei Investmentbanken regelmäßig vereinbart werden, und zwar auch dann, wenn der vereinbarte Erfolg nicht in der positiven Fairness Opinion, sondern im Zustandekommen der Transaktion liegt.7

23.50 Soll die Fairness Opinion die Organe von Bieter oder Zielgesellschaft von ihrer Haftung entlasten, ist die Unabhängigkeit des Erstellers vom jeweiligen Auftraggeber nach der Rspr. des BGH Voraussetzung.8 Die erforderliche Unabhängigkeit ist m.E. zu verneinen, wenn die Entlohnung erfolgsabhängig vorgenommen wird.9 Hier ist m.E. eine „Second Opinion“ erforderlich.10 Befangenheit liegt aber nicht vor, wenn auch weitere transaktionsbezogene Leistungen (ohne Erfolgshonorar) erbracht werden,11 ebenso wenig per se für den Abschlussprüfer, dessen Informationsvorsprung nicht leichtfertig aus der Hand gegeben werden sollte.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

IDW S 8 Rz. 13. Abl. Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317 (318). Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 35. DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 5, 10 f. Vgl. auch Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.225: Erfolgshonorar der Investmentbank für Erfolg der Transaktion marktüblich und deswegen nicht unzulässig, unzulässig aber Erfolgshonorar für positive Fairness Opinion. Vgl. auch Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 (1591); Aders/Schwetzler, CF biz 2011, 208 (209). Wie hier Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (109); Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.224. Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.242. BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757 m. Anm. Schröder = AG 2007, 548; dazu Fleischer, ZIP 2011, 208 f. Vorsichtiger Fleischer, ZIP 2011, 209 m.w.N. („Anlass zu besonders kritischer Würdigung“); offen lassend Schiessl, ZGR 2003, 814 (849 f.); a.A. Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (108). Zu dieser Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (313); grds. eher abl. Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753 (2769); zur Häufigkeit Aders/Arnold/Schwetzler, Duff & Phelps Fairness Opinion Monitor 2013: Summary 2005-2012, S. 9. Wie hier Fleischer, ZIP 2011, 209; vgl. auch Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753 (2761 ff., 2769) mit Darstellung empirischer Studien.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.53 § 23

c) Bestandteile und Inhalt Die Fairness Opinion besteht mindestens aus zwei, zuweilen aus drei Dokumenten. Der (im Regelfall knappe) Opinion Letter1 enthält einerseits nähere Angaben über Auftragserteilung (samt Aussagen zur Unabhängigkeit des Erstellers2) und Auftragsdurchführung,3 darunter auch eine kurze Erläuterung der angewandten Methoden. Andererseits findet sich die Erklärung des Sachverständigen darüber, ob der Transaktionspreis finanziell angemessen, also „fair“, ist.4 Die Darstellung ist stark aggregiert5 und nennt keine Vergleichspreise bzw. Bandbreiten.6

23.51

Ausführlichere Angaben zu den informationellen Grundlagen der Opinion (also den für die Bewertung wesentlichen Annahmen), zu den angewandten Verfahren und zu den Ergebnissen enthält das Valuation Memorandum (auch Board Book).7 Es enthält die Bandbreiten und häufig auch vertrauliche Daten;8 es ist deswegen für das Verständnis der abgegebenen Meinung besonders zentral,9 wird aber im Regelfall nicht veröffentlicht.10 Allerdings sollte es den Organen physisch zur Verfügung stehen, schon allein, um eine ausreichende Dokumentation für Haftungsfragen vornehmen zu können.11 Im manchmal erstellten, vor allem der internen Dokumentation des Sachverständigen dienenden12 Factual Memorandum werden alle wesentlichen, der Beurteilung zugrunde gelegten Informationen und Unterlagen zusammengestellt.13

23.52

Inhaltlich beurteilt eine Fairness Opinion das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung 23.53 bei einem Übernahmeangebot aus finanzieller Sicht des Bieters oder der Zielgesellschaft.14 Die Gegenleistung soll zumindest innerhalb einer Bandbreite von kapitalwertorientiert ermittelten Werten und zum Vergleich herangezogenen Transaktionspreisen liegen. Allenfalls wird auch eine gebotene Sachgegenleistung bewertet.15

1 Vgl. IDW S 8 Rz. 50; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 3. 2 Vgl. auch DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 5. 3 Dadurch sollen Haftungsrisiken minimiert werden; näher Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (102). 4 S. den Formulierungsvorschlag für eine abschließende Bestätigung in IDW S 8 Anhang: „Auf Grundlage … sind wir der Ansicht, dass die angebotene Gegenleistung i.H.v. … je Aktie der … finanziell angemessen i.S.d. IDW S 8 ist.“ 5 Fleischer, ZIP 2011, 201 (204). 6 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 8; Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (653). 7 Vgl. IDW S 8 Rz. 51 ff.; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 3, 9. 8 Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (314). 9 Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 101. 10 Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (103). 11 Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (107 f.). 12 Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (103). 13 Vgl. IDW S 8 Rz. 54 f. 14 Eine umfassende unternehmerische Bewertung wird nicht vorgenommen; tlw. kritisch Lappe/ Stafflage, CFL 2010, 312 (315). 15 IDW S 8 Rz. 31.

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§ 23 Rz. 23.54

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

d) Vorgehen und Methoden

23.54 Die vom Auftraggeber vorgelegten Unterlagen werden nach IDW S 8 nicht auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft.1 Dies ist sowohl im Auftrag anzukündigen,2 weswegen die Verantwortung für die Informationsvorlage vor allem den Vorstand trifft,3 als auch im abschließenden Opinion Letter offenzulegen.4 Auch die erhaltenen Informationen sind im Opinion Letter anzuführen.5 Allerdings muss der Ersteller die unternehmensinternen Planungsrechnungen plausibilisieren.6 Die DVFA-Grundsätze enthalten keine vergleichbaren detaillierten Festlegungen; der Opinion Letter soll lediglich angeben, ob und welche Informationen bei der Erstellung verifiziert wurden.7

23.55 Eine Fairness Opinion weist im Vergleich zu einer Unternehmensbewertung i.S.v. IDW S 1 eine größere Methodenvielfalt auf. Die Beurteilung erfolgt nach IDW S 8 über kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren (Ertragswert-, DCF-Methode) und/oder marktpreisorientierte Verfahren (insb. Analyse der Börsenkurse und Multiplikatoren).8 Zusätzlich (aber nicht ausschließlich) sind ergänzende kapitalmarkt- und transaktionsmarktbezogene Informationen zu berücksichtigen (Analysen, Prämien auf den Börsenkurs bei vergleichbaren Transaktionen, etc.).9 Multiplikatormethoden werden somit nicht bloß zur Plausibilisierung eingesetzt, sondern stehen der Ermittlung des Kapitalwerts gleichrangig gegenüber (vgl. Rz. 11.3).10 Im Regelfall werden mehrere Methoden nebeneinander eingesetzt11 (zur Gewichtung der Ergebnisse noch Rz. 23.58). In der Praxis spielen Analysen auf Basis von Multiplikatoren zumindest bei Übernahmeangeboten eine große Rolle; freilich werden ebenso häufig DCF-orientierte Verfahren eingesetzt.12 Die in der Anwendung auf Übernahmeangebote beschränkten DVFAGrundsätze unterscheiden für die Methoden strikt zwischen Bewertungen für die Zielgesellschaft und für den Bieter (Rz. 23.61 und Rz. 23.73); generell haben auch hier die Methodenvielfalt13 und Multiplikatormethoden hohe Bedeutung. Als marktpreisorientiertes Verfahren tritt üblicherweise auch die direkte Analyse der Börsenkurse der Zielgesellschaft hinzu.14

1 IDW S 8 Rz. 14; Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 76; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.239. 2 IDW S 8 Rz. 16, 24. 3 Vgl. aus haftungsrechtlicher Sicht Fleischer, ZIP 2011, 201 (209). 4 IDW S 8 Anhang. 5 IDW S 8 Rz. 50. 6 IDW S 8 Rz. 44; IDW, Praxishinweis: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierungen, Due Diligence und Fairness Opinions, IDW-Life 2017, S. 343; Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 15; Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (652). A.M. Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.254. 7 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 5. 8 IDW S 8 Rz. 26. 9 IDW S 8 Rz. 28. So auch DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 7. 10 Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 56, 67. 11 Vgl. z.B. Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 56; Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (315). 12 Aders/Arnold/Schwetzler, Duff & Phelps Fairness Opinion Monitor 2013: Summary 2005-2012, S. 14; Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317 (322 f.) m.w.N. 13 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 6. 14 IDW S 8 Rz. 26; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 7.

732

Winner

Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.57 § 23

Wird ein Kapitalwert ermittelt, so erfolgt dies im Regelfall über die international übliche DCF-Bewertung;1 Ertragswertberechnungen werden hingegen nicht häufig vorgenommen. Sofern eine Unternehmensbewertung nach IDW S 1 vorliegt, ist sie jedenfalls heranzuziehen.2 Wird eine gesonderte Bewertung vorgenommen, so sind nach IDW S 8 „unter Berücksichtigung der gegebenen Rahmenbedingungen […] die methodischen Grundsätze des IDW S 1 zu beachten“.3 Somit geht es nicht um die Beachtung aller Vorgaben von IDW S 1, was angesichts der geringeren Analysetiefe bei einer Fairness Opinion auch nicht möglich wäre.4 Die entsprechenden Grundsätze finden sich in Rz. 101 bis 141 des IDW S 1.5 Ermittelt wird mit einer Bewertung stand alone die Preisuntergrenze aus Sicht der Aktionäre, an die das Angebot adressiert ist;6 echte Verbundvorteile aus der Transaktion werden bei Anwendung von IDW S 8 somit nicht berücksichtigt.7

23.56

Die Bewertung mit Multiplikatormethoden (zu diesen näher Rz. 11.7 ff.)8 setzt am Markt beobachtete Preise in Bezug zu einer für den zukünftigen Cash Flow bedeutsamen Kennzahl eines bestimmten Referenzunternehmens oder einer peer group von Referenzunternehmen; als Kennzahl werden in der Praxis häufig EBIT oder EBITDA bzw. entsprechende Bandbreiten verwendet.9 Dabei sollen vorrangig nicht Vergangenheitsdaten, sondern Prognosewerte herangezogen werden; diese sind durch Blick auf mehrere Planperioden zu glätten, um Sondereffekte zu bereinigen und generell zu plausibilisieren.10 Ohne eine gewisse qualitative Analyse der erwarteten Ergebnisse kommt auch eine ordnungsgemäße Bewertung mit der Multiplikatormethode somit nicht aus; für Zwecke einer Fairness Opinion wäre es nicht ausreichend, als Datenbasis bloß die von Informationsdienstleistern bereit gestellten Werte ohne nähere Analyse zu verwenden.11 Der solcherart ermittelte Quotient (bzw. die Bandbreite von Quotienten bei einer peer group) wird hernach mit der entsprechenden Kennzahl der Zielgesellschaft multipliziert, um einen Wert oder (regelmäßig) eine Wertbandbreite zu ermitteln. Als Preise, die als Referenzgröße herangezogen werden, können einerseits Marktpreise, d.h. Börsenkurse, herangezogen werden (trading multiples), andererseits aber auch Preise bei Transaktionen (transaction multiples).12 In beiden Fällen ist es eine Hauptaufgabe des Bewerters, vergleich-

23.57

1 Aders, Taking Private: Aktuelle Trends und Herausforderungen der Bewertungspraxis, S. 14 (http://www.rwp.bwl.uni-muenchen.de/lehre/veranstaltungen/aders_ws1314/01_ma_forum_2013. pdf). Siehe auch Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (652 f.). 2 Siehe auch IDW S 1 Rz. 8; Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317 (322). 3 IDW S 8 Rz. 32. 4 Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317 (322). 5 Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (651). 6 IDW S 8 Rz. 41 ff.; Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 72. 7 Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 (1588 f.). Zur diesbzgl. weiteren Inadequacy Opinion unten Rz. 23.64 ff., zu den DVFA-Grundsätzen bei Fairness Opinions für die Zielgesellschaften unten Rz. 23.61. 8 Im Detail z.B. Franken/Schulte in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung S. 339 ff.; Überblick in DVFA-Leitfaden für Unternehmensbewertung im Aktienresearch (http://www.dvfa.de/filead min/downloads/Publikationen/Standards/leitfaden_unternehmensbewertungen_aktienresearch.pdf). 9 Vgl. IDW S 8 Rz. 35. 10 IDW S 8 Rz. 36; Franken/Schulte in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. G 97 ff. 11 Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (652). 12 IDW S 8 Rz. 34; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 6 f. und 9, sowie DVFA-Leitfaden für Unternehmensbewertung im Aktienresearch (Fn. 170).

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§ 23 Rz. 23.57

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

bare Unternehmen(-sgruppen)1 bzw. Transaktionen2 zu identifizieren.3 Der Bewerter muss in diesem Zusammenhang die erforderlichen Anpassungen an Besonderheiten des Transaktionsobjekts vornehmen.

23.58 Da im Regelfall mehrere Methoden angewendet werden, werden unterschiedliche Ergebnisbandbreiten resultieren. Aufgabe des Bewerters ist es in der Folge, die Aussagekraft der verschiedenen Ergebnisse zu begründen und sie zu gewichten, um in der Folge eine verdichtete Kernbandbreite zu ermitteln.4 Diese liegt dann der Angemessenheitsbeurteilung zugrunde. Es ist somit unschädlich, wenn der Angebotspreis nicht die höchsten ermittelten Wertbereiche erreicht, wenn dieses Extrem aufgrund einer sorgfältigen Plausibilisierung ausgeschieden werden kann;5 zur Offenlegung vgl. Rz. 23.69 f. 2. Fairness Opinion für die Zielgesellschaft a) Fairness Opinion i.e.S.

23.59 Die Organe der Zielgesellschaft können für die Vorbereitung ihrer Stellungnahmen nach § 27 WpÜG eine Fairness Opinion in Auftrag geben. Dies geschieht in der Praxis häufig.6 Unter bestimmten Umständen kann sich diese Option nach der hier vertretenen Auffassung für den Vorstand, aber verstärkt noch für den Aufsichtsrat zu einer Rechtspflicht verdichten (Rz. 23.37 f.).

23.60 Zu beurteilen ist die Angemessenheit der Transaktion aus Sicht der Aktionäre der Zielgesellschaft.7 Dabei geht es nicht nur (aber auch8) um die Vorgaben von § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO.9 Im Zentrum steht, ob der Angebotspreis innerhalb der ermittelten Wertbandbreiten liegt. Nach IDW S 8 steht der Wert der Zielgesellschaft stand alone unter Einbeziehung unechter Synergien im Zentrum;10 der Wert ist mit kapitalwertorientierten und marktpreisorientierten Verfahren unter Berücksichtigung sonstiger kapitalmarkt- und transaktionsbezogener Informationen zu ermitteln (näher schon Rz. 23.55 ff.).11

23.61 Die DVFA-Grundsätze weisen eine noch größere Methodenvielfalt für die Fairness Opinion aus Sicht der Zielgesellschaft auf.12 Zunächst räumen sie der multiplikatorgestützten Marktbewertung unter Berücksichtigung der Börsenkurse der Zielgesellschaft Vorrang ein; eine Be1 Z.B. hinsichtlich Geschäftsfeldern, Regionen, Wachstumsaussichten, Finanzierungsstruktur; vgl. IDW S 8 Rz. 37. 2 Neben den in der vorigen Fn. genannten Faktoren zum Transaktionsobjekt z.B. hinsichtlich Zeitnähe, Anteilsgröße; vgl. IDW S 8 Rz. 38. 3 Franken/Schulte in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. G 61 ff. 4 IDW S 8 Rz. 29 f.; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S 9 f.; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (102); Franken/Schulte in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. G 112 ff. 5 Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 60 ff.; Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317 (324). 6 Siehe Leyendecker-Langner, NZG 2016, 1213 (1217); vgl. auch Fleischer, ZIP 2011, 201 (210); Seibt, CFL 2011, 213 (236 f.). 7 IDW S 8 Rz. 57; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 6. 8 Schieszl in IDW, Bewertung und Transaktionsberatung Rz. J 110. 9 IDW S 8 Rz. 57; Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (654). 10 IDW S 8 Rz. 41 ff. 11 IDW S 8 Rz. 26. 12 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 6 f.

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Winner

Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.65 § 23

wertung stand alone ist nach ihnen sinnvoll, wenn Zweifel an der korrekten Bewertung durch den Kapitalmarkt bestehen. Daneben werden noch andere Vergleichsmaßstäbe genannt, die das Angemessenheitsurteil beeinflussen können, so z.B. die Spekulation auf eine Angebotserhöhung oder auf ein höheres Angebot eines anderen Bieters. Letztlich sollen aber auch nach den DVFA-Grundsätzen diese besonders spekulativen Alternativen nicht allein ein Urteil über die (Un-)Angemessenheit der Gegenleistung begründen. I.E. können Fairness Opinions nach DVFA somit auch als Inadequacy Opinion (Rz. 23.64 ff.) abgegeben werden. Die Analyse der Börsenkurse der Zielgesellschaft aus Sicht ihrer Aktionäre ist nach beiden Standards von besonderer Bedeutung. Freilich kann der Fokus unterschiedlich sein. IDW S 8 sieht die Börsenkurse als Indikator für den Unternehmenswert bzw. als Maßstab für die Erwartungen des Marktes zur Zielgesellschaft; dann ist es naheliegend Minderheitenabschläge etc. werterhöhend zu berücksichtigen und auch sonst erforderliche Berichtigungen vorzunehmen.1 Hingegen stellen die DVFA-Grundsätze auf die Angemessenheit der auf den Börsenkurs gewährten Prämie durch Vergleich mit anderen Transaktionen ab;2 auch dieser Aspekt ist m.E. für die Beurteilung der Angemessenheit von Bedeutung, wobei wie in allen Fällen die Schwierigkeit bei der Auswahl der Vergleichstransaktionen liegt.

23.62

Beurteilungsstichtag ist nach IDW S 8 der Tag, an dem die Organe der Zielgesellschaft die 23.63 Stellungnahme abgeben.3 Die DVFA-Grundsätze stellen hingegen auf den Tag ab, an dem die Bieterin die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gem. § 10 WpÜG veröffentlicht;4 allerdings können spätere Veränderungen im Rahmen der Wertaufhellung berücksichtigt werden. Die Stellungnahme nach § 27 WpÜG muss das Angebot im Zeitpunkt beurteilen, zu dem sie abgegeben wird; deswegen sollte auch die Fairness Opinion auf diesen bzw. einen möglichst zeitnahen Tag5 abstellen. b) Inadequacy Opinion Fairness Opinions nach IDW S 8 treffen keine Aussage darüber, ob ein vorteilhafterer Transaktionspreis mit einer anderen Partei zu erzielen wäre.6 Ebenso wenig ist zu fragen, ob der Bieter fairerweise eine höhere Gegenleistung hätte bieten können; denn die für die Beantwortung dieser Frage zu ermittelnden echten Verbundvorteile bleiben ausgeblendet.7 Die DVFAGrundsätze8 gehen teilweise darüber hinaus und beziehen auch diese Faktoren mit ein (näher Rz. 23.61).

23.64

In der Praxis tritt deswegen neben der Fairness Opinion i.e.S. eine weitere Art der gutachterlichen Stellungnahme auf:9 die Inadequacy Opinion. Sie wird insb. dann abgegeben, wenn das

23.65

1 2 3 4 5 6 7 8 9

IDW S 8 Rz. 33. DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 7. IDW S 8 Rz. 59. Vgl. auch Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.235. DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 6, 8. Die Fairness Opinion sollte den Organen bereits bei der Entscheidung über ihre Stellungnahme vorliegen; vgl. Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (317). Vgl. auch allg. IDW S 8 Rz. 8. IDW S 8 Rz. 4. IDS S 8 Rz. 42. DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 7. Vgl. OLG Stuttgart v. 25.10.2018 – 20 W 6/18 – Rz. 236 ff., BB 2019, 129; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 73a; Seibt, CFL 2011, 213 (237); Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 148 (183); Aders/Arnold/Schwetzler, Duff & Phelps Fairness Opinion Monitor 2013: Summary 2005-2012, S. 10, 16.

Winner 735

§ 23 Rz. 23.65

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

Management der Zielgesellschaft eine ablehnende Stellungnahme abgeben möchte;1 Ziel ist häufig eine Erhöhung der Gegenleistung. Eine Inadequacy Opinion untersucht neben dem Wert der Aktien der Zielgesellschaft mit den in Rz. 23.60 f. geschilderten Methoden auch zwei weitere Aspekte: (1) Ist der Bieter in der Lage, für die Aktien der Zielgesellschaft eine höhere Gegenleistung oder günstigere Transaktionsbedingungen (z.B. weniger oder leichter erfüllbare Bedingungen) zu bieten? Dabei müssen die Vorteile des Bieters aus der Transaktion in den Blick genommen werden. (2) Gibt es einen hinreichend identifizierten Dritten, der ein Angebot mit einer höheren Gegenleistung oder günstigeren Transaktionsbedingungen abgeben könnte? Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist nicht jede Gegenleistung, die den Wert der Anteile erreicht, auch angemessen.

23.66 Nach der hier vertretenen Rechtsansicht sind die Organe der Zielgesellschaft berechtigt, aber nicht verpflichtet, diese Maßstäbe bei der Erstellung ihrer Stellungnahme zu berücksichtigen (Rz. 23.33). Soweit sie ihnen aber bekannt oder bessere Angebote wahrscheinlich sind, müssen sie auch offengelegt werden. Sonst wurde aus Sicht der Organe der Zielgesellschaft m.E. ein falscher Auftrag erteilt und eine Haftungsbefreiung tritt nicht ein. Die Entscheidung, ob die Erstellung einer Fairness Opinion aus Sicht der Angebotsadressaten ausreichend ist oder ob eine Inadequacy Opinion zielführender wäre, ist nach IDW S 8 nicht Gegenstand der Sachverständigentätigkeit bei der Erstellung einer Fairness Opinion;2 m.a.W. wird der Auftrag nicht hinterfragt. Der diesbezüglich breitere Ansatz der DVFA-Grundsätze (Rz. 23.61) verlagert letztlich die Entscheidung über die Berücksichtigung dieser zusätzlichen Aspekte einer Inadequacy Opinion auf den Bewerter.

23.67 Somit muss eine Inadequacy Opinion von Rechts wegen nicht eingeholt werden, sehr wohl aber müssen ihre Ergebnisse veröffentlicht werden, wenn sie vorliegt. Ausnahmsweise dürfte aber doch eine diesbezügliche Verpflichtung anzunehmen sein, wenn die Organe der Zielgesellschaft deutliche Hinweise haben, dass entweder besonders hohe Transaktionsvorteile vom Bieter vereinnahmt werden oder dass ein anderes Angebot eines konkreten Interessenten möglich ist. Für die Erstellung der Inadequacy Opinion gelten im Übrigen die Ausführungen unter Rz. 23.54 ff. c) Veröffentlichung

23.68 Die Fairness bzw. Inadequacy Opinion3 richtet sich grundsätzlich an Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft (Rz. 23.46). Das verhindert freilich nicht, dass in der Stellungnahme der Organe der Zielgesellschaft auf sie Bezug genommen wird bzw. dass sie der Stellungnahme angeschlossen wird (Drittverwendung). In der Praxis nimmt der überwiegende Teil der Stellungnahmen auf eine Fairness Opinion Bezug; im Regelfall wird in jüngerer Zeit auch der Opinion Letter veröffentlicht.4

1 Die Beauftragung des Gutachters, eine Inadequacy Opinion abzugeben, legt aber für sich genommen noch keine Voreingenommenheit des Vorstands der Zielgesellschaft nahe; vgl. OLG Stuttgart v. 25.10.2018 – 20 W 6/18 – Rz. 229 ff., BB 2019, 129. 2 IDW S 8 Rz. 14. 3 Im Folgenden wieder verkürzt als Fairness Opinion bezeichnet. 4 Siehe Aders/Arnold/Schwetzler, Duff & Phelps Fairness Opinion Monitor 2013: Summary 2005-2012, S. 7 f. Vgl. auch Fleischer, ZIP 2011, 201 (210); Seibt, CFL 2011, 213 (236 f.).

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Winner

Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.70 § 23

Zunächst ist fraglich, ob die Einholung einer Fairness Opinion überhaupt in Zusammenhang mit der Stellungnahme der Zielgesellschaft zu veröffentlichen ist. IDW S 8 meint,1 dass die Drittverwendung der Fairness Opinion grundsätzlich der Vertragsautonomie überlassen bleibt, während die für Übernahmeverfahren nach WpÜG konzipierten DVFA-Grundsätze festhalten, dass in der Stellungnahme kenntlich zu machen ist, wenn sie auf einer Fairness Opinion beruht.2 Richtig ist, dass in der Stellungnahme alle für die Entscheidung der Angebotsadressaten wesentlichen Faktoren offenzulegen sind; dazu gehören jedenfalls auch die zentralen Inhalte der Fairness Opinion.3 Auch aus dem Aktienrecht lassen sich Auskunftsansprüche der Aktionäre ableiten (§ 131 Abs. 1 AktG).4 Jedenfalls muss die geplante Bezugnahme auf die Fairness Opinion vertraglich mit dem Gutachter abgesichert werden. IDW S 8 enthält diesbezüglich nähere Vorgaben.5 Insbes. soll der Gutachter sicherstellen, dass in der Bezugnahme auf die Fairness Opinion ihr Zweck offengelegt wird, die Informationsgrundlage der Organe bei Abgabe ihrer Stellungnahme transparent zu machen, dass die Informationsbasis nicht geprüft wird und dass die Fairness Opinion keine Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung des Angebots enthält.

23.69

Bejaht man eine grundsätzliche Pflicht zur Offenlegung der Fairness Opinion, so stellt sich die Frage, was konkret preiszugeben ist. Die überwiegende Meinung lässt es genügen, wenn das Ergebnis und die wesentlichen Grundlagen offengelegt werden.6 Ähnlich hält IDW S 8 bloß fest, dass der Gutachter einer Veröffentlichung des Opinion Letter nur zustimmen soll, wenn sichergestellt ist, dass dieser den Stellungnahmen ungekürzt beigefügt wird.7 Die DVFAGrundsätze8 und die Gegenmeinung9 fordern die Offenlegung des Opinion Letter und der wesentlichen Ergebnisse des Valuation Memorandum; dem folgt die Praxis weitgehend (Rz. 23.68). In der Sache ist Publizität vor allem erforderlich für die Grundzüge der angewandten Bewertungsverfahren und ihre Gewichtung,10 daneben aber auch für die Offenlegung von Interessenkonflikten und Anreizstrukturen (Rz. 23.49) des Bewerters.11 Eine Offenlegung des gesamten Valuation Memorandum oder des (noch vertraulicheren) fakultativen Factual Memorandum ist hingegen nicht erforderlich.12

23.70

1 IDW S 8 Rz. 20. Deutlich zurückhaltend z.B. IDW S 8 Rz. 58. 2 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 12. 3 Siehe OLG Stuttgart v. 25.10.2018 – 20 W 6/18 – Rz. 246 ff., BB 2019, 129; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (111); Goslar in Paschos/Fleischer, § 22 Rz. 76; Fleischer, ZIP 2011, 201 (210); Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361 (1381); Krause/Pötzsch in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 49; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 33; Steinmeyer in Steinmeyer, § 27 WpÜG Rz. 79; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 27 WpÜG Rz. 13. Zurückhaltender Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 33; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.246. 4 Fleischer, ZIP 2011, 201 (211); Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (316). 5 Vgl. IDW S 8 Rz. 19, 62. 6 OLG Stuttgart v. 25.10.2018 – 20 W 6/18 – Rz. 211, BB 2019, 129; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (111); Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 49; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 WpÜG Rz. 33. Abl. aber Brandt in Kümpel/ Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.246. 7 IDW S 8 Rz. 62. 8 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 12, 13 f. 9 Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753 (2773); Fleischer, ZIP 2011, 201 (211). 10 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 13 f. 11 Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753 (2773 ff.). 12 OLG Stuttgart v. 25.10.2018 – 20 W 6/18 – Rz. 250 ff., BB 2019, 129; Krause/Pötzsch in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 27 WpÜG Rz. 49.

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§ 23 Rz. 23.71

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

3. Fairness Opinion für den Bieter

23.71 Der Bieter ist nach deutschem Aktienrecht grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Fairness Opinion in Auftrag zu geben.1 Tut er dies dennoch, so kann dies einerseits dazu dienen, sein Haftungsrisiko zu minimieren;2 das OLG Frankfurt/M hat bereits in diese Richtung entschieden.3 Andererseits kann bezweckt sein, negative Reaktionen des eigenen Börsenkurses bei der Ankündigung des Übernahmeangebotes zu verhindern, indem die Angemessenheit des Angebots durch einen renommierten Berater bestätigt wird, um die Aktionäre des Bieters von der Vorteilhaftigkeit der Transaktion zu überzeugen.4 Damit geht indirekt auch eine Kontrolle der Organe des Bieters einher, die tendenziell eher davon abgehalten werden, überhöhte Prämien zu bezahlen.5

23.72 Deswegen erfolgt die Bewertung aus Sicht des Bieters bzw. seiner Aktionäre:6 Sie sollen wertmäßig nach der Transaktion nicht schlechter gestellt sein, weswegen es um die Messung an der Preisobergrenze geht, d.h. dass derjenige Preis Vergleichsmaßstab ist, den der Bieter maximal zahlen darf. Wegen des schlechteren Zugangs zu den unternehmensinternen Informationen ist die Verlässlichkeit der ermittelten Wertbandbreite geringer als bei einer für die Zielgesellschaft erstellten Fairness Opinion.7 Damit sind weitgehend öffentlich verfügbare Daten und Planungsrechnungen des Erwerbers die Basis, ebenso wie allenfalls im Rahmen einer Due Diligence erhaltene Informationen. Deswegen kommt der Plausibilisierung der Daten besondere Bedeutung zu; insb. müssen potentiell übertriebene Ertragshoffnungen des Managements hinterfragt werden.8

23.73 Nach den DVFA-Grundsätzen steht methodisch die Unternehmensbewertung nach klassischen DCF- und Ertragswertmethoden im Vordergrund;9 IDW S 8 legt sich nicht fest, sondern betont den Grundsatz der Methodenvielfalt.10 Die Bedeutung kapitalwertorientierter Verfahren ist auf den ersten Blick wegen der dünneren Informationsbasis zwar überraschend, erklärt sich aber vor allem daraus, dass bei dieser Methode die vom Bieter erwarteten Synergien besonders gut erfasst werden können; denn diese sind für die Ermittlung der Preisobergrenze von Bedeutung.11 Daneben sind freilich nach beiden Standards auch die üblichen Multiplikatormethoden anzuwenden. Gemäß den DVFA-Grundsätzen sind für die Beurteilung des Angebots auch seine Erfolgswahrscheinlichkeit und das Kapitalmarktumfeld zu berücksichtigen.12

23.74 Der Stichtag für die Unternehmensbewertung ist nach beiden Standards nahe zur Entscheidung über die Abgabe des Angebots gem. § 10 Abs. 1 WpÜG festzusetzen.13 Anders als bei 1 Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (105 f.); Fleischer ZIP 2011, 201 (206). 2 Zur Haftungsreduktion aus Sicht des Bieters Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99 (104 ff.); Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753 (2758 f.). 3 Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 7.12.2010 – 5 U 29/10 – Dresdner Bank/Commerzbank – Rz. 148, AG 2011, 173. 4 Vgl. DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 4 f. 5 Vgl. Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753 (2762 f.) m.w.N. 6 IDW S 8 Rz. 45; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 8. 7 IDW S 8 Rz. 48; Grün/Salcher/Fecher/Kupke, CFL 2010, 645 (650). 8 Vgl. IDW S 8 Rz. 46. 9 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 9. 10 IDW S 8 Rz. 47. 11 Gleichsinnig IDW S 8 Rz. 45 f.; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 9. 12 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 9. 13 IDW S 8 Rz. 8; DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 8, 14.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.78 § 23

der Fairness Opinion in Zusammenhang mit der Stellungnahme gem. § 27 WpÜG ist das im gegebenen Zusammenhang sachgerecht. Das WpÜG hat nicht als Ziel, die Aktionäre des Bieters zu schützen. Ob eine Veröffentlichung erforderlich ist und in welcher Form sie geschehen muss, ist somit an den jeweils einschlägigen gesellschafts- oder kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zu messen. Eine deutsche Aktiengesellschaft als Bieterin trifft keine solche Verpflichtung. Wenn eine Veröffentlichung erfolgen soll, so sehen die DVFA-Grundsätze auch in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung der Opinion Letter vor.1 Eine Publikation von Details der Bewertung ist in den DVFAGrundsätzen aber nicht vorgesehen, weil dies die Verhandlungssituation der Bieterin schwächen könnte; zu nennen sind die angewandten Bewertungsverfahren ohne die wesentlichen Ergebnisse des Valuation Memorandum.

23.75

Allerdings besteht nach § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO die Verpflichtung des Bieters, die für die 23.76 Festsetzung der Gegenleistung angewandten Bewertungsmethoden offenzulegen. Jedoch wird mit einer Fairness Opinion nicht die Gegenleistung festgesetzt, sondern die bereits festgesetzte Gegenleistung überprüft. § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO ist daher nicht einschlägig; eine abweichende Auslegung würde im Übrigen zu einem Zwang führen, die Ergebnisse der einzelnen Bewertungsmethoden offenzulegen (vgl. Rz. 23.21), womit nicht einmal die Angabe der Kernbandbreite genügen würde. Die Offenlegung ist daher allenfalls als freiwillige Angabe möglich und unterliegt nicht den Vorgaben der WpÜG-AngVO; in Einklang mit den DVFAGrundsätzen ist die bloße Veröffentlichung des Opinion Letter samt der Nennung des angewandten Bewertungsverfahrens zulässig. Freilich ist bei einer solcherart verkürzten Offenlegung besonders darauf zu achten, dass ausreichend offengelegt ist, dass die Fairness Opinion aus Sicht der Aktionäre der Bieterin abgegeben wurde; sollte bei den Aktionären der Zielgesellschaft der Eindruck entstehen, dass die Angemessenheit aus ihrer Sicht bestätigt würde, wäre dies irreführend. Insgesamt dürfte es besser sein, die Offenlegung gegenüber den Aktionären nicht vorzunehmen.

V. Gegenleistung bei Übernahme- und Pflichtangeboten 1. „Angemessene“ Gegenleistung § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG fordert für Übernahme- und (wegen § 39 WpÜG) für Pflichtangebote, dass der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung zu bieten hat. Satz 2 fährt fort, dass bei der Bestimmung grundsätzlich der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft und Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen zu berücksichtigen sind.2

23.77

Auf Basis der Verordnungsermächtigung in § 31 Abs. 7 WpÜG enthalten §§ 3 bis 6 WpÜGAngVO nähere Vorschriften für die Berechnung des Mindestpreises. Eine Untergrenze bildet insb. die höchste Gegenleistung, die der Bieter oder mit ihm gemeinsam vorgehende Per-

23.78

1 DVFA, Grundsätze für Fairness Opinions, S. 15. 2 Art. 5 Abs. 4 Übernahme-RL stellt hingegen nur auf den höchsten Preis ab, den der Bieter oder mit ihm gemeinsam vorgehende Rechtsträger in einem bestimmten Zeitraum vor dem Angebot gezahlt haben. Die Berücksichtigung des Börsenkurses lässt sich allerdings mit den Ausnahmebestimmungen in Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 bzw. Art. 3 Abs. 2 Buchst. b) Übernahme-RL vereinbaren. Vgl. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 22 m.w.N.

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§ 23 Rz. 23.78

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

sonen innerhalb der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsabsicht oder der Kontrollerlangung gewährt oder vereinbart haben. § 31 Abs. 4 und 5 WpÜG halten fest, dass das Angebot nachzubessern ist, wenn der Bieter parallel zum Angebot oder im Jahr nach der Ergebnisveröffentlichung zu besseren Bedingungen erwirbt. Daneben bildet der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs während der letzten drei Monate vor dieser Veröffentlichung eine zweite, kumulativ zu beachtende Untergrenze. Die sich aus den Börsenkursen ergebenden Mindestpreise können schriftlich bei der BaFin erfragt werden, allerdings erst, wenn der Bieter die Absicht, ein Übernahmeangebot abzugeben, oder die Kontrollerlangung nach § 35 WpÜG veröffentlicht hat.1

23.79 Somit stellt die Mindestpreisregelung grundsätzlich nicht auf fundamentale Werte, sondern auf am Markt beobachtete Preise ab, sei es auf einzelne (Paket-)Transaktionen des Bieters, sei es auf aggregierte Markttransaktionen. Damit dient die Preisfindungsregel einerseits der Gleichbehandlung: Was der Bieter einem Aktionär gewährt, hat er auch den anderen zu geben. Andererseits sind im Vorfeld einer Übernahme erzielte Preise zumeist auch ein Wertindikator aus Sicht des Bieters. Damit spielen bei der Festlegung der Mindestpreise der Unternehmenswert der Zielgesellschaft und damit auch die Unternehmensbewertung auf einer ersten Ebene keine Rolle. 2. Abweichender Unternehmenswert grundsätzlich unbeachtlich

23.80 Dennoch lässt die gewählte Regelungstechnik zumindest grundsätzlich die Frage offen, ob neben den Vorerwerben des Bieters bzw. den Börsenkursen auch andere Faktoren für die Angemessenheit der Gegenleistung i.S.v. § 31 Abs. 1 WpÜG ausschlaggebend sein können; denn die genannten Anhaltspunkte sind nach dem Wortlaut der Norm bloß „grundsätzlich“ „zu berücksichtigen“. Deswegen wurde zum Teil vertreten, dass ein niedrigerer Fundamentalwert eine Unterschreitung der nach §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelten Gegenleistung rechtfertigen bzw. ein höherer Fundamentalwert auch einen höheren Mindestpreis nach sich ziehen kann.2 Das ist mit der h.M.3 dem Grundsatz nach abzulehnen. Die nach §§ 3 ff. WpÜGAngVO ermittelte Gegenleistung ist grundsätzlich angemessen; § 31 Abs. 1 WpÜG kann ebenso wenig wie § 3 Satz 1 WpÜG-AngVO entnommen werden, dass ein abweichender Unternehmenswert beachtlich sein soll. Eine Unternehmensbewertung ist damit nicht erforderlich.4

23.81 Zwar ist es richtig, dass die RegBegr. zum WpÜG die umwandlungsrechtlichen Regeln zur Barabfindung als Regelungsvorbild nennt, bei denen eine Bewertung erforderlich ist.5 Aller1 http://www.bafin.de/SharedDocs/Standardartikel/DE/Datenbanken/db_Mindestpreise.html?nn=26 96594. 2 Mit Unterschieden im Detail Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 24; Kremer/ Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 16; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 35 ff.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 8; Tröger, DZWiR 2002, 397 (399). 3 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 34 ff.; Marsch-Barner in Baums/ Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 15 ff.; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 60; Santelmann/ Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 9; Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, § 31 WpÜG Rz. 5; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 19; Diregger/Winner, WM 2002, 1583 (1588); Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.251 f.; Habersack, ZIP 2003, 1123 (1124 ff.); Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185 (2186); Rodewald/Siems, ZIP 2002, 926 (928); jetzt auch Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 16. 4 Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 35. 5 RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 55.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.84 § 23

dings spricht der mit der Regelung angestrebte Vereinfachungszweck1 klar gegen die Maßgeblichkeit des Unternehmenswerts – sowohl den Marktteilnehmern als auch der Aufsicht sollen angesichts der Zeitknappheit in Übernahmesituationen möglichst einfache Kriterien in die Hand gegeben werden, um die mindestens zu bietende Gegenleistung zu ermitteln. Im Übrigen ist die Situation insb. mit der Lage beim Squeeze-out nicht vergleichbar, geht es dort doch um einen zwangsweisen Entzug der Beteiligung, hier aber um die gesetzlich festgelegten Bedingungen eines letztlich rechtsgeschäftlichen Angebots.2 Schließlich zeigt § 5 WpÜGAngVO – wenn auch auf untergesetzlicher Ebene –, in welchen Fällen Börsenkurse die Angemessenheit nicht ausreichend gewährleisten (Rz. 23.84 ff.); zu Einzelfällen denkbarer teleologischer Reduktion vgl. noch Rz. 23.90 ff. Unterstützt wird diese Sichtweise auch durch das Urteil des EFTA-Gerichtshofs zum norwegischen Übernahmerecht.3 Der norwegische Gesetzestext forderte ein Angebot zum „Marktpreis“, wenn aufgrund klar bestimmbarer Umstände festgestellt ist, dass dieser höher als der höchste Vorerwerb ist. Dies ist nach dem Gerichtshof wegen mangelnder Bestimmtheit angesichts Art. 5 Abs. 4 Übernahme-RL unzulässig;4 denn diese Norm fordert eindeutig feststellbare Kriterien für eine Abweichung von der Maßgeblichkeit der Vorerwerbe. Eine generelle Maßgeblichkeit des (höheren oder niedrigeren) Unternehmenswerts im WpÜG wäre demselben Einwand ausgesetzt.5

23.82

Dieses Abstellen auf Preise setzt sich beim übernahmerechtlichen Squeeze-out nach §§ 39a ff. WpÜG als Folge eines Pflicht- oder Übernahmeangebots fort. Denn auch der Ausschluss der Minderheitsaktionäre ist ohne eine Unternehmensbewertung zulässig, wenn der Bieter auf Grund des Angebots Aktien i.H.v. mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat; dann kann die im Angebot vorgesehene Gegenleistung auch dem Gesellschafterausschluss zugrunde gelegt werden. Damit muss der Bieter sein Angebot möglichst attraktiv gestalten, wenn er in den Genuss dieser Privilegierung kommen will; sein Angebot muss einen Markttest bestehen. Das Gesetz geht davon aus, dass in dieser Situation durch eine Unternehmensbewertung, wie sie nach §§ 327a ff. AktG erforderlich ist, wenig gewonnen wird. Deswegen kann die Angemessenheit des Ausschlusses zum Angebotspreis durch eine höhere Unternehmensbewertung jedenfalls nicht widerlegt werden.6

23.83

3. Unternehmenswert maßgeblich bei Illiquidität a) Grundsatz § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO verlangt für den Sonderfall von Marktilliquidität der Aktien der Zielgesellschaft, dass die Höhe der Gegenleistung dem anhand einer Bewertung der Zielgesellschaft ermittelten Unternehmenswert entspricht. Denn Börsenkurse einer illiquiden Aktie sind stark durch einzelne Trades und auch durch die Marktenge geprägt; sie können da1 RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 55. 2 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.251. 3 EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010 – Rs. E-1/10 – Periscopus AS/Oslo Bors ASA und Erik Must AS, ZIP 2011, 332. 4 Vgl. Seibt, CFL 2011, 213 (224). 5 Vgl. auch Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 21a, jeweils m.w.N. 6 Wie hier mit Nachweisen zum Meinungsstand zur Widerleglichkeit der Vermutung Seiler in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 39a WpÜG Rz. 83 ff.; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 39a WpÜG Rz. 78.

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23.84

§ 23 Rz. 23.84

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

her keine sachgerechte Grundlage für die Preisbildung sein.1 Der Gesetzgeber verlässt sich in solchen Konstellationen nicht allein auf Vorerwerbe des Bieters als Indikator für einen angemessenen Preis.2 Das ist rechtspolitisch wenig überzeugend; denn gerade in solchen Fällen konzentrierten Anteilsbesitzes wird die Angebotsschwelle nach einem Paketerwerb überschritten, bei dem die Gegenleistung zwischen informierten Parteien ausgehandelt wurde und ihr daher eine erhöhte Richtigkeitschance zukommt.3 Rechtspolitisch richtig ist allerdings, dass das WpÜG eine Unternehmensbewertung fordert, wenn es weder einen aussagekräftigen Börsenkurs noch einen relevanten Vorerwerb gibt wie nach der Konzeption des WpÜG beim mittelbaren Kontrollerwerb und illiquiden Aktien. b) Voraussetzungen

23.85 Die Aktie gilt als illiquide i.S.v. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO, wenn während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsabsicht oder der Kontrollerlangung an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden und wenn mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abweichen. Die Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein.4 Für beide muss grundsätzlich auf die inländischen Börsenkurse abgestellt werden; Liquidität bloß im Ausland hilft de lege lata nicht.5 Die nach h.M. erforderlichen (mindestens) zwei6 Kurssprünge sind anhand gewichteter Durchschnittsbörsenkurse pro Handelstag festzustellen und müssen nach richtiger Ansicht unmittelbar nacheinander auftreten.7 Strittig ist, ob die Abweichung bloß gegenüber dem Vorkurs genügt oder ob sie zusätzlich auch 5 % vom ermittelten Durchschnittskurs betragen muss;8 obwohl dies 1 RegBegr., BT-Drucks. 14/7034, 80. 2 Vgl. die grds. andere Herangehensweise der österreichischen Übernahmekommission in ÜbK v. 6.11.2012 – GZ 2012/1/4-24 (https://www.takeover.at/uploads/u/pxe/A2_Entscheidungen/Stellung nahmen/GZ_2012-1-4-24_Allgemeine_Baugesellschaft_-_A._Porr_Aktiengesellschaft_-_6.11.2012 .pdf); dazu v. Falkenhausen, NZG 2012, 409. Zum Problem s. auch Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 42. 3 Deswegen auch krit. DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2001, 420 (428); Krieger in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289 (298); Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜGAngVO Rz. 21; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 17; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 38; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 16. Antikritisch Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 33. 4 Für alle OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17 – Rz. 40, Der Konzern 2017, 540; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 49. 5 Zu Recht krit. die h.L.; vgl. z.B. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 36; MarschBarner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 43; Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, § 31 WpÜG Rz. 101. 6 Krit. Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 49: Zahl auf Basis von Einzelfallbeurteilung zu bestimmen, um bloßes Hin- und Herspringen („Schaukelbörse“) nicht zu erfassen. Für mindestens drei Kurssprünge Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 16. 7 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 25 f.; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 22 f.; Marsch-Barner in Baums/Thoma/ Verse, § 31 WpÜG Rz. 44; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 40; Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 36; Süßmann in Angerer/Geibel/ Süßmann, § 31 WpÜG Rz. 102. 8 Für beide Kriterien z.B. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 27; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 23; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 44.

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Rz. 23.87 § 23

rechtspolitisch wünschenswert wäre, stellt der Verordnungstext nur darauf ab, dass die einzelnen Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abweichen.1 c) Durchführung der Unternehmensbewertung Unter diesen Voraussetzungen muss die Gegenleistung gem. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO dem 23.86 anhand einer Bewertung der Zielgesellschaft ermittelten Wert des Unternehmens entsprechen. Wie dieser Unternehmenswert zu ermitteln ist, lässt die Verordnung allerdings offen.2 Es geht mit der h.L. um den objektivierten Unternehmenswert, bei dem das Unternehmen stand alone bewertet wird.3 Denn die Bewertung soll den sonst maßgeblichen durchschnittlichen Börsenkurs während der Referenzperiode ersetzen; diese endet aber zu jenem Zeitpunkt, zu dem die geplante Transaktion aufgrund einer Veröffentlichung des Bieters bekannt wurde, weswegen die maßgeblichen Börsenkurse die Vorteile aus der Übernahme noch nicht eingepreist haben.4 Synergien und andere Transaktionsgewinne (dazu allgemein § 16) werden daher nicht eingepreist; diese und ähnliche Faktoren fließen allerdings indirekt dadurch ein, dass der höchste vom Bieter bezahlte Preis als Mindestgegenleistung maßgeblich ist – dieser wurde wiederum unter Berücksichtigung der vom Bieter erwarteten Synergien geleistet. Das Gesetz schweigt zur anzuwendenden Bewertungsmethode. Der Meinungsstand ist jedoch relativ einhellig: Sofern der Bieter Zugang zu den internen Plandaten der Zielgesellschaft hat, muss er die Unternehmensbewertung nach IDW S 1 vornehmen, d.h. nach dem Ertragswert- bzw. DCF-Verfahren.5 Der Vorstand der Zielgesellschaft muss diese Daten zwar nicht zur Verfügung stellen,6 verletzt seine Verschwiegenheitspflicht nach h.L. aber nicht, wenn er dies doch tut, weil die Übernahme im Interesse der Zielgesellschaft liegt.7 Die Praxis der BaFin akzeptiert Bewertungen nach diesen Methoden jedenfalls. Eine Plausibilisierung der Ergebnisse durch andere Methoden ist nicht erforderlich.8 Bekommt der Bieter keinen Zugang, so genügt die Bewertung aufgrund aktueller öffentlich zugänglicher Daten;9 denn das WpÜG will 1 Abl. auch Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 40; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 16; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 92. 2 Für alle Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 50. 3 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 287; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 39; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 31; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 45; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 112; Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 51b. 4 Zumindest, sofern die Information über das Angebot nicht ungleichmäßig auf den Markt kommt. 5 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 55; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 34; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 24; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 46, 48; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 50. Abw. Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 47: nicht notwendig, aber empfehlenswert. 6 Einhellige Meinung; vgl. Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 46. 7 Str.; vgl. für Nachweise zum Diskussionsstand Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 160 ff.; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 137 ff. 8 Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 47. 9 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 33; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 24; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse,

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23.87

§ 23 Rz. 23.87

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

feindliche Übernahmen nicht verhindern. In der Praxis kann dies nach manchen auf eine Bewertung mit Multiplikatorverfahren (häufig EBIT- bzw. EBITDA-Multiples auf Basis von Kursen und/oder beobachteten Transaktionspreisen) hinauslaufen,1 die ohne die Plandaten der Zielgesellschaft durchführbar sind.2 Damit soll in solchen Fällen eine Bewertung genügen, die bloß einen Indikator für den Unternehmenswert abgibt.3

23.88 Richtig ist aber eine deutlich liberalere Herangehensweise.4 Die Bewertung soll bloß der fehlenden Belastbarkeit der beobachteten Börsenkurse abhelfen; auch diese basieren nur auf den öffentlich verfügbaren Informationen über die Zielgesellschaft. Einen darüber hinausgehenden, auf den inneren Plandaten basierenden Unternehmenswert bekommen die Aktionäre der Zielgesellschaft nicht ersetzt, sofern er sich nicht im Preis des Paketerwerbs widerspiegelt. Warum dies anders sein soll, wenn der Börsenkurs fehlt, ist nicht ersichtlich. Deswegen sollte es auch bei einer freundlichen Übernahme genügen, dass der Bieter mit Methoden arbeitet, die auf öffentlich-verfügbaren Daten basieren, also insb. mit transaction und trading multiples. Nur wenn dieses Herangehen wegen des Fehlens einer tauglichen peer group scheitert, muss man auf eine Bewertung nach IDW S 1 zurückgreifen.

23.89 Jedenfalls ist die gewählte Bewertungsmethode gem. § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO in der Angebotsunterlage darzustellen und zu begründen; näher dazu Rz. 23.12 ff. Diese Begründungspflicht betrifft insb. auch die Angemessenheit des gewählten Verfahrens.5 4. Unternehmenswert in anderen Konstellationen maßgeblich?

23.90 Die h.M. hält § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO nicht für analogiefähig;6 Rspr. oder Verwaltungspraxis fehlt soweit ersichtlich. Insbes. ist eine Unternehmensbewertung zur Bestimmung des Mindestpreises nicht erforderlich, wenn Kurse vor der Veröffentlichung wegen Übernahmespekulationen ansteigen7 oder umgekehrt wegen einer Verschlechterung der Verhältnisse der

1

2 3 4 5 6

7

§ 31 WpÜG Rz. 46; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 46; Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 59; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741 (744); Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185 (2187). Vgl. das Pflichtangebot der D.E.I.N. Haus Holding GmbH an die Aktionäre der Bien-Zenker AG v. 24.12.2009, S. 19 (http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Angebotsunterlage/dein_haus _holding_gmbh.pdf?__blob=publicationFile&v=5); Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 113 f. Bejahend Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 42 ff.; Krause in Assmann/Pötzsch/ Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 35; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 47. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 24. I.E. ähnl. Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 47; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 114; wohl auch Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, § 31 WpÜG Rz. 103. Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185 (2187). Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 28; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 18; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 62; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 60.252. A.M. Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 41 ff. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 28; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 18. So wohl auch Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 42 (abw. aber für andere nicht bekannte, aber werterhöhende Ereignisse in Rz. 44). Vgl. auch OLG Karlsruhe v. 12.9.2017 – 12 W 1/17 – Rz. 40, Der Konzern 2017, 540.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.92 § 23

Zielgesellschaft im Beobachtungszeitraum sinken.1 Besonders strittig ist die Frage allerdings für Sanierungsfälle2 und für Angebote für nicht notierte Aktien.3 Das WpÜG kennt grundsätzlich keine Regelung, nach der geänderte Verhältnisse im Referenzzeitraum für Vorerwerbe oder für den durchschnittlichen Börsenkurs preisändernd zu berücksichtigen wären. Das ist beim Börsenkurs wegen des relativ kurzen Beobachtungszeitraums von drei Monaten auch nicht unbedingt erforderlich; hier zeigt § 5 Abs. 4 WpÜGAngVO abschließend, in welchen Fällen die Börsenkurse nicht berücksichtigt werden und eine Bewertung erforderlich ist. Insofern ist der h.M. zu folgen. Eine Unternehmensbewertung ist insb. auch nicht erforderlich, wenn es an einem maßgeblichen Vorerwerb fehlt, wie vor allem in Fällen des mittelbaren Kontrollerwerbs.

23.91

Eine analoge Anwendung ist allerdings rechtsrichtig, wenn es überhaupt keinen Börsenkurs gibt, der herangezogen werden könnte, weil die vom Angebot betroffenen Aktien nicht börsennotiert sind.4 Nach der Verwaltungspraxis der BaFin betrifft dies insb.5 Fälle, in denen zwar die Vorzugsaktien der Gesellschaft notieren, nicht aber die Stammaktien; wird die Kontrolle erlangt, so muss sich das Pflichtangebot auch auf die Stammaktien erstrecken,6 ebenso muss ein Übernahmeangebot nicht notierte (Stamm)Aktien erfassen.7 Diese Erstreckung der Angebotspflicht auf kapitalmarktferne Wertpapiere wird unter Berufung auf § 32 WpÜG und die Übernahme-RL zum Teil gebilligt,8 zum Teil insb. wegen der kapitalmarktrechtlichen Zielsetzung des WpÜG m.E. zu Recht abgelehnt.9 Folgt man allerdings der Ansicht der BaFin, so ergibt sich m.E. aus § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO, dass jedenfalls eine Unternehmensbewertung er-

23.92

1 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 36. 2 Vgl. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 24; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 43; Bicker/Parameswaran, ZIP 2007, 1787; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, S. 11 (14) (für Abweichen von Börsenkursen und Vorerwerbspreisen); abl. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 36. 3 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 29; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 19; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 110 (133 ff.). 4 Vgl. z.B. Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 95. 5 Vgl. auch den Überblick bei Pötzsch/Favoccia in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 1 WpÜG Rz. 34 ff. 6 Vgl. das Pflichtangebot der ANWR Zweite Beteiligungsgesellschaft mbH an die Aktionäre der GARANT SCHUH + MODE AKTIENGESELLSCHAFT v. 10.6.2010 (http://www.bafin.de/Shared Docs/Downloads/DE/Angebotsunterlage/anwr_zweite_bet.ges..pdf?__blob=publicationFile&v=5); s. auch BaFin, Jahresbericht 2003, S. 208 (http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Jahres bericht/dl_jb_2003_a.pdf?__blob=publicationFile&v=8). 7 Vgl. das Übernahmeangebot der Lavena Holding 4 GmbH an die Aktionäre der ProSiebenSat.1 Media AG v. 30.1.2007 (http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Angebotsunterlage/lavena. pdf?__blob=publicationFile&v=5); Übernahmeangebot der AURELIUS Opportunity Development GmbH an die Aktionäre der Berentzen-Gruppe AG v. 8.9.2008 (http://www.bafin.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Angebotsunterlage/aurelius.pdf?__blob=publicationFile&v=5). 8 Favoccia in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 32 WpÜG Rz. 12; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 35 WpÜG Rz. 52 ff.; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 35 WpÜG Rz. 221 i.V.m. Rz. 28; Schlitt in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 35 WpÜG Rz. 193; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 32 WpÜG Rz. 12. 9 v. Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 39 WpÜG Rz. 26; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 29; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 WpÜG Rz. 12 ff. (mit zutreffendem europarechtl. Argumenten); Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 110 (135).

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§ 23 Rz. 23.92

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

forderlich ist: Wenn diese schon bei stark schwankenden und sporadischen Kursen vorzunehmen ist, muss dies umso mehr gelten, wenn es mangels Börsennotierung überhaupt keine Kursbildung gibt.1 Die in der Literatur teilweise vorgebrachte2 Kompromissvariante, wonach von einer Unternehmensbewertung Abstand genommen werden kann, wenn der Kaufpreis für ein wesentliches Paket durch ein kompetitives Bieterverfahren bestimmt worden ist, findet de lege lata keine Stütze im WpÜG; denn ein kompetitives Bieterverfahren beseitigt auch nicht die Maßgeblichkeit des Börsenkurses als zweite Untergrenze.

23.93 Eine § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO entsprechende Vorschrift fehlt für die maßgeblichen, durch den Bieter innerhalb der letzten sechs Monate vor der relevanten Veröffentlichung gewährten Gegenleistungen völlig. Insofern geht es nicht um eine analoge Anwendung von § 5 Abs. 4, sondern um eine teleologische Reduktion von § 4 WpÜG-AngVO; diese ist – wenn überhaupt – nur sehr zurückhaltend zu bejahen. In der Praxis dürfte es zumeist um Sanierungskonstellationen gehen, in denen der Wertverfall der Zielgesellschaft bei dem relevanten Vorerwerb noch nicht erkennbar gewesen ist. Jedoch besteht in solchen Situationen die Möglichkeit, bei der BaFin eine Befreiung von der Angebotspflicht gem. § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜGAngVO zu erlangen (Ermessensentscheidung). Damit zeigt das Übernahmerecht zwei Alternativen auf: Befreiung von der Angebotspflicht oder Legung des Angebots unter Beachtung der Preisgrenzen. Für eine Außerachtlassung von Vorerwerben und eine Berücksichtigung des niedrigeren Unternehmenswerts ist weder Platz noch besteht Bedarf.3 Fraglich ist aber, ob der Bieter nach einer Befreiung ein freiwilliges Angebot abgeben darf, bei dem er nicht an die Preisuntergrenzen gebunden wäre.4 5. Bewertung von Gegenleistungen a) Allgemeines

23.94 Bewertungsprobleme stellen sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Wert der Zielgesellschaft selbst. Vielmehr ist tlw. auch der Wert einer anderen Gesellschaft festzustellen, wenn es um Gegenleistungen geht – und zwar in zwei Zusammenhängen: Erstens können unter bestimmten Voraussetzungen den Angebotsadressaten bei einem Pflicht- oder Übernahmeangebot Aktien als Gegenleistung geboten werden; dann muss festgestellt werden, ob der Wert der Aktien dem gem. § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelten Mindestpreis entspricht (Rz. 23.95 ff.). Zweitens kann ein im Rahmen von § 4 WpÜG-AngVO relevanter Vorerwerb durch den Bieter nicht nur gegen bar, sondern auch als Aktientausch erfolgen; in diesem Fall ist der Wert der Aktie zu ermitteln, um die Höhe des Mindestpreises für das Übernahme- bzw. Pflichtangebot festzusetzen (Rz. 23.105 ff.). Der erste Fall ist in § 7 WpÜGAngVO ausdrücklich geregelt, der zweite nicht.

1 Abw. allerdings Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 29; Kremer/ Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 19. 2 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 110 (135 f.). 3 Wie hier Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 36; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 20; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 62. Abw. Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 43. 4 Abl. für Österreich Übernahmekommission v. 14.6.2006 – GZ 2006/3/3-42 (https://www.takeove r.at/uploads/u/pxe/A2_Entscheidungen/Stellungnahmen/GZ_2006-3-3-42_Anonym_-_14.6.2006 .pdf). Vgl. auch zum Squeeze-out nach Sanierung Krause/Pötzsch/Seiler in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 9 WpÜG-AngVO Rz. 45.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.97 § 23

b) Tauschangebote Bei Übernahme- und Pflichtangeboten (vgl. § 39 WpÜG) richtet sich die Art der zu bietenden Gegenleistung nach § 31 Abs. 2 und 3 WpÜG. Der Bieter hat entweder eine Barleistung oder liquide Aktien, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind („Pflichtgegenleistung“), anzubieten; ein reines Tauschangebot ist somit grundsätzlich zulässig. Nach richtiger Ansicht können auch beide Gegenleistungsarten alternativ angeboten werden, ebenso wie auch neben einer Pflichtgegenleistung eine andere Art von Gegenleistung als die in § 31 Abs. 2 WpÜG genannten („Wahlgegenleistung“) angeboten werden kann.1 Nur wenn der Bieter2 in den letzten sechs Monaten vor der Veröffentlichung der Entscheidung, ein Angebot abzugeben, und bis zum Ablauf der Annahmefrist mindestens 5 % der Aktien der Zielgesellschaft gegen Barzahlung erworben hat, muss das Angebot zumindest eine Baralternative3 enthalten. Somit können liquide, börsenzugelassene Aktien immer angeboten werden, entweder ausschließlich oder alternativ. In jedem Fall muss der Wert der Wertpapiere aber der nach § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelten Mindestgegenleistung (Rz. 23.77 ff.) entsprechen.4 Damit stellt sich die Frage, wie der Wert der Aktien ermittelt werden soll.

23.95

§ 7 WpÜG-AngVO hält fest, dass für die Wertermittlung §§ 5 und 6 der Verordnung entspre- 23.96 chend angewendet werden müssen. Damit ist für den Regelfall keine Unternehmensbewertung erforderlich, um den Wert der Aktien festzustellen. Denn ausschlaggebend ist für den Wert der Aktien der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs während der letzten drei Monate vor Veröffentlichung der Übernahmeabsicht bzw. des die Angebotspflicht auslösenden Tatbestandes (§ 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO). Notieren die Aktien ausschließlich an einem nicht-inländischen geregelten Markt im EWR, so ist auf den durchschnittlichen (allerdings ungewichteten) Börsenkurs während derselben Referenzperiode auf dem Markt mit den höchsten Umsätzen im EWR abzustellen (§ 6 Abs. 1 WpÜG-AngVO). Spätere Wertschwankungen, vor allem während der Angebotsfrist, sind nicht mehr beachtlich, es sei denn, dass der Bieter ein variables Umtauschverhältnis vorgesehen hat, bei dem die Anzahl der angebotenen Aktien mit Änderungen des Wertverhältnisses von Börsenkursen der Zielgesellschaft und der Gegenleistung angepasst wird.5 Hingegen erfasst der Verweis § 4 WpÜG-AngVO nicht; die Norm wird nicht angewendet.6 Somit ist es unerheblich, zu welchem Wert der Bieter die entsprechenden Aktien – seien es wie häufig eigene Aktien, seien es Aktien einer anderen Gesellschaft, die als Gegenleistung angeboten werden – selbst erworben hat. Nach der RegBegr.7 bestünde sonst die Gefahr, dass der Bieter den Wert durch einzelne überhöhte Transaktionen in die Höhe treiben könnte. Ein Erwerb 1 Für alle Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 52. 2 § 31 Abs. 3 WpÜG legt fest, dass Erwerbe durch mit dem Bieter gemeinsam vorgehende Personen oder Tochtergesellschaften bei der Berechnung des Schwellenwerts zu berücksichtigen sind. 3 Str.; wie hier z.B. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 68, 96 m.N. zur Gegenmeinung, nach der nur eine Barleistung geboten werden darf. 4 Ganz überwiegende Ansicht; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 5 AngebVO Rz. 17; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955 (1972); a.A. nur Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 32. 5 Für Gestaltungsvarianten und Zulässigkeitsgrenzen vgl. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 10 ff. 6 Allg.M.; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 54; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 7 AngebVO Rz. 6; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 106. 7 BT-Drucks. 14/7034, 80.

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23.97

§ 23 Rz. 23.97

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

unter dem Börsenkurs, der vom Telos des Ausschlusses an und für sich nicht erfasst ist, wird nur ausnahmsweise vorkommen, wenn große Pakete mangels ausreichender Liquidität über die Börse nicht verkauft werden können; aber auch hier scheidet die Berücksichtigung aufgrund des klaren Wortlauts aus und die Aktien sind zum höheren Durchschnittskurs zu bewerten.

23.98 Bei der Anwendung von §§ 5 f. WpÜG-AngVO ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Zweck der Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang ein anderer ist als in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich: Geht es im Rahmen der Festlegung der Gegenleistung darum, dass der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft eine Untergrenze für die zu bietende Gegenleistung darstellt, so ist hier der durchschnittliche Börsenkurs eine Höchstgrenze für den Wert, der den als Gegenleistung gebotenen Wertpapieren beigemessen wird.1 Insbes. darf daher bei ausreichender Liquidität vom Bieter nicht vorgebracht werden, dass der Unternehmenswert höher als dieser Börsenkurs sei, genauso wenig wie die Aktionäre der Zielgesellschaft mit dem Argument, dass der Börsenkurs über dem Unternehmenswert liegt, eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses erreichen können.

23.99 Berechnungsprobleme stellen sich, wenn junge Aktien als Gegenleistung angeboten werden. Wenn Aktien der gleichen Gattung bereits bisher notiert waren,2 ist grundsätzlich auch hier der Börsenkurs vor der Veröffentlichung der Angebotsabsicht bzw. des Pflichtangebotstatbestandes und damit vor der Kapitalerhöhung heranzuziehen.3 Allerdings kann sich durch die Ausgabe eine Verwässerung des Kurses ergeben, die finanzmathematisch vom Umtauschverhältnis unter Berücksichtigung der jeweiligen Kurse vor der Bekanntmachung determiniert wird, wobei auch hier sinnvollerweise auf die Durchschnittskurse der letzten drei Monate abzustellen ist.4 Freilich hängt dieser Verwässerungseffekt auch von der Annahmequote ab und ist daher ex ante nur mit einer Prognose festzustellen. Die h.L. will diese Verwässerung bei der Wertfeststellung (dennoch) zu Recht einbeziehen;5 die BaFin hat aber auch Angebote zugelassen, bei denen nur auf die historischen Kurse abgestellt wurde.6

23.100 Sind die Aktien illiquide i.S.v. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO, allenfalls i.V.m. § 6 Abs. 6 WpÜGAngVO, so ist für die Wertfeststellung eine Unternehmensbewertung vorzunehmen. Auf den ersten Blick ist es schwer verständlich, welche Bedeutung diese Vorschrift haben kann; denn nur liquide börsennotierte Aktien sind gem. § 31 Abs. 2 WpÜG als Pflichtgegenleistung zulässig. Allerdings ist die Liquidität im Sinne dieser Norm nicht rückwärtsgerichtet zu beurteilen, sondern eine Prognoseentscheidung:7 Auch bisher nicht börsennotierte Aktien können liqui-

1 Für alle Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 48; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 106. 2 Für die fehlende Börsennotierung vgl. Rz. 23.100. 3 Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 49. 4 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 64; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 8. 5 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 8. Wohl auch Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 49. Abl. Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 108. 6 Vgl. das Übernahmeangebot der ACS, Actividades de Construcción y Servicios, S.A., an die Aktionäre der HOCHTIEF Aktiengesellschaft v. 1.12.2010 (http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Angebotsunterlage/ACS.pdf?__blob=publicationFile&v=5). 7 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 31; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 50 f.

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.103 § 23

de i.S.v. § 31 Abs. 2 WpÜG sein, wenn nach der angestrebten Börsenzulassung und der Abwicklung des Angebots aus Sicht eines objektiven Marktteilnehmers zu erwarten ist, dass ein ausreichender Börsenhandel entstehen wird.1 Die „entsprechende“2 Anwendung der §§ 5 f. WpÜG-AngVO soll diesen Fall erfassen. Das kann z.B. eintreten, wenn die Aktien bisher überhaupt nicht börsennotiert waren oder wenn die Aktien bisher nicht an einem organisierten Markt im EWR notierten, ebenso wenn die Aktien bisher nicht liquide i.S.v. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO waren (aber eine positive Liquiditätsprognose besteht). Das gilt in der Sache auch, wenn die Aktien nicht drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 oder § 35 Abs. 1 WpÜG notiert waren; denn obwohl § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 WpÜG-AngVO stipulieren, dass bei kürzerer Zulassung der gesamte Zulassungszeitraum heranzuziehen ist, kann diese Vorschrift im Rahmen von § 7 WpÜG-AngVO keine Anwendung finden, weil der Wert der Gegenleistung sonst durch relativ wenige Transaktionen determiniert werden könnte, ohne dass es ein Korrektiv über Vorerwerbe des Bieters gibt.3 Die (objektivierte4) Unternehmensbewertung muss sich grundsätzlich nach IDW S 1 richten.5 Offeriert der Bieter wie zumeist eigene Aktien, so befindet er sich auch im Besitz aller für eine Bewertung nach Ertragswert- bzw. DCF-Verfahren erforderlichen Informationen.

23.101

Nach dem Wortlaut der Norm ist eine Unternehmensbewertung auch vorzunehmen, wenn die Aktien an einem liquiden und anerkannten Markt außerhalb des EWR notieren, wie an der NYSE. Das Ergebnis ist unbillig. Vielmehr sollte die Preisbildung an diesen Märkten anerkannt werden. Ob man dies bewerkstelligt, indem man den (sinngemäßen) Verweis in § 7 auf § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO teleologisch reduziert6 oder eine tatsächliche Vermutung aufstellt, dass der so ermittelte Börsenkurs dem Unternehmenswert entspricht,7 ist letztlich nicht entscheidend, auch wenn die erste Lösung dogmatisch sauberer erscheint, insb. angesichts der Tatsache, dass § 6 WpÜG-AngVO sich in seinem ursprünglichen8 Anwendungsbereich mit einer Notierung im EWR-Ausland überhaupt nicht beschäftigen muss.

23.102

Wahlweise können auch nicht liquide oder auch zukünftig nicht (im EWR) börsennotierte Aktien, aber auch GmbH-Geschäftsanteile angeboten werden (Wahlgegenleistung), solange das Übernahme- oder Pflichtangebot eine Pflichtgegenleistung enthält (Rz. 23.95). Eine Unternehmensbewertung nach den soeben entwickelten Grundsätzen ist nicht erforderlich, da

23.103

1 Mit Unterschieden im Detail Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 47 ff.; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 30. Vgl. das Angebot der Alpha Beta Netherlands Holding an die Aktionäre der Deutschen Börse AG v. 4.5.2001. 2 Der Wortlaut allein genügt nicht, da §§ 5 f. WpÜG-AngVO nur anwendbar sind, wenn die Aktien überhaupt börsennotiert sind. 3 I.E. wie hier Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 7. 4 Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 112. 5 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 18; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 57. Vgl. Angebot der Alpha Beta Netherlands Holding an die Aktionäre der Deutschen Börse AG v. 4.5.2001, S. 58 ff. 6 So wohl Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 6. 7 So Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 7 AngebVO Rz. 14; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 56; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 107. 8 Die Norm hat seit der Umsetzung der Übernahme-RL für die Festlegung der Mindestgegenleistung selbst keine Bedeutung mehr; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 6 AngebVO Rz. 1.

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§ 23 Rz. 23.103

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

§ 31 WpÜG i.V.m. § 7 WpÜG-AngVO nur für Pflichtgegenleistungen gilt.1 Zur Frage der richtigen Darstellung des Werts in der Angebotsunterlage vgl. Rz. 23.23 f.

23.104 Daneben ist der Wert der Aktien auch aus Sicht der Aktionäre einer (deutschen) Bietergesellschaft relevant. Denn wenn junge Aktien als Akquisitionswährung verwendet werden sollen, darf der Ausgabebetrag gem. § 255 AktG nicht unangemessen niedrig festgelegt werden. Vgl. dazu allg. Rz. 21.41 ff. Besonders relevant ist im übernahmerechtlichen Zusammenhang die Frage des ausschlaggebenden Bewertungszeitpunkts. Stellt man dazu auf die Ausgabe der Aktien und die Durchführung des Aktientausches ab, so können Wertschwankungen zu einer unangemessen niedrigen Festlegung führen, da der Bieter das einmal gestellte Angebot nicht mehr ändern darf. Abhilfe können dann nur Anpassungsklauseln bereits im ursprünglichen Angebot schaffen, die zulässig sind.2 Richtig ist es aber, für die Bewertung auch aus Sicht der Bieterin auf die Angebotslegung und damit auf die Festlegung des Umtauschverhältnisses abzustellen,3 wie es im Übrigen auch der Rechtslage bei der Verschmelzung entspricht.4 c) Bewertung erbrachter Gegenleistungen

23.105 Eine verwandte Frage regelt das WpÜG hingegen nicht ausdrücklich: Wie sind preisrelevante Sachleistungen zu bewerten, die vor, parallel zu oder nach dem Übernahme- oder Pflichtangebot erbracht werden?5 § 4 WpÜG-AngVO stellt nur auf die höchste Gegenleistung ab, die der Bieter für den Erwerb der Aktien innerhalb der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung gewährt oder vereinbart hat, ohne die Berechnung bei Sachgegenleistung zu präzisieren; vergleichbar offen sind § 31 Abs. 6 und Abs. 5 WpÜG („wertmäßig eine höhere […] Gegenleistung“). Grundsätzlich können als Gegenleistung beliebige Sachen erbracht werden. Der praktisch bedeutendste Fall dürfte darin liegen, dass der Bieter Aktien der Zielgesellschaft im Tausch gegen eigene Aktien erworben und damit die Schwelle für die Angebotspflicht überschritten hat. Denn dann bestimmt sich der dem Pflichtangebot zugrunde zu legende Mindestpreis nach dem Wert der Aktien, den der Bieter pro Aktie der Zielgesellschaft hingegeben hat.6

23.106 Ein Teil der Lehre will auch in diesem Zusammenhang § 7 WpÜG-AngVO sinngemäß anwenden.7 Danach wäre vor allem der durchschnittliche Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsabsicht oder des maßgeblichen Aktienerwerbs

1 Allg.M.; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 62; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 37. 2 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 10 ff. 3 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 7 WpÜG-AngVO Rz. 16; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 7 AngebVO Rz. 10; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 51. 4 Vgl. BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00, AG 2003, 569. 5 Für alle Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 30; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 149. 6 Instruktiv Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955 (1973 ff.). 7 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 75; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 31; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 30 f.; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 149; Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 22; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, S. 11 (19); Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955 (1975 f.).

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.108 § 23

maßgeblich. Das ist indes nicht zutreffend.1 Zunächst kann die sinngemäße Anwendung nicht auf den Durchschnittskurs vor der Veröffentlichung des Angebots abstellen, sondern allenfalls auf denjenigen vor dem Erwerb. Vor allem kommt es für § 4 WpÜG-AngVO aber darauf an, was zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart oder gewährt wurde, nicht aber auf Durchschnittswerte. Denn mit dem Wert zu diesem Zeitpunkt haben Veräußerer und Erwerber ihre Wertindikation abgegeben. Die BaFin zieht demgegenüber grundsätzlich Werte zu einem Stichtag hinzu. Da es gem. § 4 WpÜG-AngVO sowohl auf die vereinbarte als auch auf die gewährte Gegenleistung ankommt, ist nach ihrer Ansicht der Wert der Aktien sowohl zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vorerwerbsverträge als auch zum späteren Zeitpunkt ihres Vollzugs zu ermitteln und in der Angebotsunterlage mitzuteilen; der höhere der beiden Werte bestimmt die Mindestgegenleistung.2 Demgegenüber will eine andere Meinung in der Lehre nur auf den Wert zum Zeitpunkt der Vereinbarung abstellen.3 Dieser Meinung ist zuzustimmen. Denn es kommt darauf an, was der Bieter zu geben bereit ist; dafür ist der Zeitpunkt der schuldrechtlichen Verpflichtung ausschlaggebend. Die Wendung „gewährte oder vereinbarte Gegenleistung“ in § 4 WpÜGAngVO soll vor allem jene Fälle erfassen, in denen die Abwicklung des Geschäfts erst nach Ende der Referenzperiode erfolgt, und hat für den Bewertungszeitpunkt selbst keine Bedeutung. Die Gegenmeinung müsste dann wohl auch dazu führen, dass eine den Angebotspreis erhöhende Paralleltransaktion i.S.v. § 31 Abs. 4 WpÜG vorliegt, wenn die im Vorfeld des Übernahmeangebots vereinbarte Sachgegenleistung während des laufenden Übernahmeangebots gewährt wird und der Aktienkurs der Bieterin zwischenzeitlich gestiegen ist.

23.107

Die Praxis der BaFin4 und die h.L.5 ziehen für die Bewertung der erbrachten Gegenleistung bei börsennotierten Wertpapieren die Börsenkurse an dem ausschlaggebenden Stichtag bzw. den Stichtagen heran; nach der BaFin geht es um den Höchstkurs an diesen Tagen. Das ist richtig, soweit es sich nicht um eine unternehmerische Beteiligung handelt. Dann können auch die Börsenkurse auf vergleichbaren Märkten außerhalb des EWR6 herangezogen werden. Besteht ein Verdacht auf manipulierte Kurse, sollte m.E. eine Unternehmensbewertung verlangt werden, da eine Glättung über Durchschnittskurse nicht in Betracht kommt. Ebenso sind bei einer sofortigen Weiterveräußerung zu höheren Preisen jedenfalls diese heranzuziehen.7

23.108

1 Abl. auch die Praxis der BaFin; vgl. Jahresbericht 2011, S. 226 (http://www.bafin.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Jahresbericht/dl_jb_2011.pdf?__blob=publicationFile&v=6); aus dem Schrifttum z.B. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 35; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741 (745). 2 BaFin, Jahresbericht 2011 (Fn. 303), S. 226. Für Ausnahmesituationen vgl. a.a.O., S. 227. 3 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 19; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 31; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 157; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 35. 4 BaFin, Jahresbericht 2011 (Fn. 303), S. 226. 5 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 19; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 32; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 31 WpÜG Rz. 35. Auf Basis von Durchschnittskursen auch Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 30; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741 (745); Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 1 (8). 6 Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 31. 7 Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741 (745 f.); Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 2 (8); für Umgehungsfälle auch Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 149.

Winner 751

§ 23 Rz. 23.109

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

23.109 Soweit allerdings die übereigneten Wertpapiere eine unternehmerische Beteiligung vermitteln, erscheint es nicht richtig, schematisch nur auf den Börsenkurs abzustellen.1 Denn hier kommt zu einem etwaigen Börsenkurs auch noch ein Paketzuschlag hinzu, selbst wenn eine Kontrollprämie i.e.S. ausscheidet, weil die Gesellschaft entweder selbst dem Pflichtangebotsregime mit Gleichbehandlung unterliegt oder das Paket nicht kontrollierend ist. M.E. ist in diesen Fällen jedenfalls eine Unternehmensbewertung vorzunehmen. Dies gilt natürlich umso mehr, wenn nicht börsennotierte Aktien oder Geschäftsanteile als Sachleistung gewährt werden.2

23.110 Besteht die Gegenleistung wie im Regelfall aus Aktien der Bieterin selbst oder einer ihrer Konzerngesellschaften, so ist die Unternehmensbewertung nach IDW S 1 auch praktisch durchführbar, weil die Bieterin Zugang zu den entsprechenden Daten hat bzw. erlangen kann.3 Eine solche Bewertung sollte daher auch vorgenommen werden.4 Freilich genügt nach mancher Ansicht auch in diesem Zusammenhang eine Methode, die auf öffentlich zugänglichen Daten beruht und einen ungefähren Indikator für den Unternehmenswert bietet, konkret also wohl Multiplikatorverfahren, entweder generell5 oder doch dann, wenn ausnahmsweise andere Wertpapiere als solche des Bieters oder seines Konzerns gewährt werden6. Dem ist nicht zuzustimmen, da es nicht um ein Substitut für Börsenkurse geht (Rz. 23.84 ff.), sondern um die Bewertung einer tatsächlich erbrachten Gegenleistung im Rahmen von § 4 WpÜG-AngVO; soweit eine Unternehmensbewertung erforderlich ist (soeben Rz. 23.109), ist in diesem Zusammenhang der nach den einschlägigen Standards und unter Berücksichtigung aller Informationen ermittelte Fundamentalwert ausschlaggebend. Im Übrigen hat es der Bieter in der Hand, welche Aktien er als Gegenleistung gewährt, und kann daher (anders als bei der Bewertung der Zielgesellschaft) schon durch Auswahl der Wertpapiere dafür sorgen, dass auch die Basisdaten für eine Bewertung verfügbar sind.

23.111 Fraglich könnte allenfalls sein, ob eine Bewertung der Gegenleistung wirklich erforderlich ist, wenn der Bieter im Vorfeld des Angebots eigene Aktien gewährt hat und im Übernahmeoder Pflichtangebot gegen Aktien (ohne Baralternative)7 genau das gleiche Umtauschverhältnis gewährt. Denn dann ist zumindest prima facie die Gleichbehandlung gewährleistet. Allerdings lässt dies den zeitlichen Aspekt außer Acht; denn die Aktien müssen zum Zeitpunkt des Angebots nicht gleich viel wert sein wie zum (bis zu sechs Monate zurückliegenden) Zeitpunkt des maßgeblichen Vorerwerbs.8 Auch in dieser Situation ist daher im Regelfall eine Be-

1 Wie hier Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17. 2 Insofern allg.M.; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 19; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 31; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 150; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741 (745). 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17. 4 Für die Berücksichtigung des subjektiven Werts der Gegenleistung aus Sicht des Bieters Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 21. 5 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 19; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, § 31 WpÜG Rz. 31; Reinhardt/Koch in Paschos/Fleischer, § 15 Rz. 150. 6 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm/WpÜG, § 31 Anh. – § 4 AngebVO Rz. 17. 7 Vgl. zur Zulässigkeit § 31 Abs. 3 WpÜG. Muss eine Baralternative gewährt werden oder wird sie freiwillig gewährt, so ist eine Bewertung jedenfalls erforderlich, weil die Barleistung als Pflichtgegenleistung den Regeln gem. § 4 WpÜG-AngVO entsprechen muss, was ohne Monetarisierung nicht überprüft werden kann. 8 In der Analyse ähnl. Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955 (1974).

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Unternehmensbewertung im Übernahmerecht

Rz. 23.112 § 23

wertung erforderlich.1 M.E. kann der Aufwand einer Bewertung nur vermieden werden, wenn sämtliche Verträge über einen Aktientausch im unmittelbaren Vorfeld der Übernahme abgeschlossen worden sind; denn dann ist wegen der zeitlichen Nähe die Wertgleichheit ausreichend sichergestellt. Freilich wird es sich in solchen Fällen meist ohnehin empfehlen, vom Abschluss von Kaufverträgen Abstand zu nehmen und Einlieferungsverpflichtungen (irrevocables) im Angebot zu vereinbaren.2 Diese Überlegungen gelten nicht nur für Vorerwerbe, sondern auch für Parallel- oder Nacherwerbe.3

1 So auch Santelmann/Nestler in Steinmeyer, § 31 WpÜG Rz. 22. 2 Diese stellen bei normaler Ausgestaltung keinen Vorerwerb i.S.v. § 4 WpÜG-AngVO dar; vgl. Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 1 (8 f.). 3 Aus dem Schrifttum z.B. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 126 f.; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 31 WpÜG Rz. 110, 139; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31 WpÜG Rz. 81.

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23.112

§ 24 Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Bewertungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebswirtschaftliche Grundlagen . a) Kleine und mittlere Unternehmen als „Stiefkinder der Bewertungslehre“ . . . . . . . . . . . . b) Bewertungsrelevante Merkmale kleiner und mittlerer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein allgemeiner Bewertungsabschlag für kleine und mittlere Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . II. Abfindung ausscheidender Personen- oder GmbH-Gesellschafter . . . 1. § 738 BGB als bewertungsrechtliche Basisnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personengesellschaften . . . . . . . . b) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . 2. Bewertungsziel bei der Abfindungsbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geeignete und ungeeignete Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . a) Rechts- oder Tatfrage? . . . . . . . . . b) Keine Bindung an eine bestimmte Wertermittlungsmethode . . . . . c) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . d) Discounted Cash FlowVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24.1 24.1 24.4 24.4

4. 5.

24.5

6. 7.

24.6 24.8 24.9 24.9 24.9 24.10 24.11 24.12 24.14 24.14 24.18 24.19 24.21

e) Liquidationswertverfahren . . . . . . f) Substanzwertverfahren . . . . . . . . . g) Misch- oder Kombinationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Vereinfachte Preisfindungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit einer Schätzung . . . . . . . Grundsatz der indirekten Anteilsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertungszu- oder -abschläge . . . . . Abfindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . a) Abdingbarkeit des § 738 BGB . . . b) Grenzen gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . aa) Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . bb) Einzelne Klauseln . . . . . . . . . (1) Abfindungsausschluss . . . . . . (2) Buchwertklauseln . . . . . . . . . (3) Stuttgarter Verfahren . . . . . . (4) Auszahlungsvereinbarungen .

24.22 24.23 24.26 24.28 24.31 24.32 24.33 24.36 24.36 24.38 24.39 24.44 24.44 24.45 24.48 24.48

III. Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.49 1. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . 24.50 2. Bewertung des eingebrachten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.52 IV. Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . 2. Bewertung einer unternehmerisch tätigen Organisationseinheit . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . .

24.55 24.55 24.56 24.56 24.58

Schrifttum: Arens, Abfindung nach Stuttgarter Verfahren im Gesellschaftsvertrag, GWR 2017, 193; Artmann, Abfindungsklauseln im Gesellschaftsvertrag – Gestaltungsmöglichkeiten, Inhalts- und Ausübungskontrolle, in Artmann/Rüffler/Torggler (Hrsg.), Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht, 2014, S. 77; Aurnhammer, Die Abfindung von BGB-Gesellschaftern im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Rechtsprechung und Betriebswirtschaftslehre, 1996; Baetge/Kirsch/Koelen/Schulz, On the myth of size premiums in corporate valuation: some empirical evidence from the German stock market, Journal of Applied Research in Accounting and Finance 5 (2010), 10; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 463; Bayer/Lieder, Vorbelastungshaftung und Vorbelastungsbilanz, insbesondere bei späterer Auffüllung des Haftungsfonds, ZGR 2006, 875; Behringer, Unternehmensbewertung der Mittel- und Kleinbetriebe, 4. Aufl. 2009; Brähler, Der Wertmaßstab der Unternehmensbewertung nach § 738 BGB, WPg 2008, 209; Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Bemessung von familien- und erb-

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Fleischer

Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

§ 24

rechtlichen Ausgleichsansprüchen, 1995; Bunk, Vermögenszuordnung, Auseinandersetzung und Ausscheiden in Sozietät und Gemeinschaftspraxis, 2007; Dörschell/Franken/Schulte, Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts für Personengesellschaften nach der Unternehmensteuerreform 2008, WPg 2008, 444; Fischer-Winkelmann/Busch, Die praktische Anwendung der verschiedenen Unternehmensbewertungsverfahren – Empirische Untersuchung im steuerberatenden Berufsstand. Teil 2: Bewertung von KMU, FB 2009, 715; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften: Minderheitsabschlag, Fungibilitätsabschlag, Abschlag für Schlüsselpersonen, ZIP 2012, 1633; Fleischer, Unterbilanzhaftung und Unternehmensbewertung, GmbHR 1999, 752; Fleischer, Zu Bewertungsabschlägen bei der Anteilsbewertung im deutschen GmbH-Recht und im US-amerikanischen Recht der close corporation, FS Hommelhoff, 2012, S. 223; Fleischer/Bong, Gradmesser gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsfreiheit: Abfindungsklauseln in Personengesellschaft und GmbH, WM 2017, 1957; Franken/Koelen, Besonderheiten bei der Bewertung von Personengesellschaften, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1007; Gleißner/Knoll, Konsistente Bewertung von Eigen- und Fremdkapital durch ratingabhängige Risikozuschläge: ein Vorschlag für KMU, BB 2011, 2283; Großfeld, Bewertung von Anteilen an Unternehmen, JZ 1981, 769; Großfeld, Die Abfindung bei der Ausschließung aus einer Personengesellschaft, ZGR 1982, 141; Habersack/Lüssow, Vorbelastungshaftung, Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung – Plädoyer für ein zweistufiges Vorbelastungskonzept, NZG 1999, 629; Hachmeister/Ruthardt, Herausforderungen bei der Bewertung von KMU – auch eine Stellungnahme zu den Hinweisen der BStBK zur Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte für KMU, DStR 2014, 1299; Hachmeister/ Ruthardt, Herausforderungen bei der Bewertung von KMU: Entnahmeplanung, DStR 2014, 158; Hachmeister/Ruthardt, Herausforderungen bei der Bewertung von KMU: Risikozuschlag, DStR 2014, 488; Hachmeister/Ruthardt, Herausforderungen bei der Bewertung von KMU: Sonderprobleme, DStR 2014, 760; Helbling, Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. 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§ 24 Rz. 24.1

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

jektivierten Bewertung von Unternehmen, WPg 2008, 935; Pratt, Valuing a Business. The Analysis and Appraisal of Closely Held Companies, 5. Aufl. 2008; Priester, Die Festsetzung im GmbH-Vertrag bei Einbringung von Unternehmen, BB 1980, 19; Puscher, Abfindungsregelungen in GmbH-Satzungen. Eine empirische Untersuchung zur Gestaltungs- und Abfindungspraxis in Deutschland, 2018; A. Reuter, Unternehmensbewertung bei Sacheinlagen: Der neue IDW Standard S 1 auf dem Prüfstand des Kapitalaufbringungsrechts, BB 2000, 2298; B. Richter, Die Abfindung ausscheidender Gesellschafter unter Beschränkung auf den Buchwert, 2002; Schulze-Osterloh, Das Auseinandersetzungsguthaben des ausscheidenden Gesellschafters einer Personengesellschaft nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, ZGR 1986, 545; Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU. Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung dominierter Bewertungsanlässe, 2011; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, 2009; Schulze-Osterloh, Die Vorbelastungsbilanz der GmbH auf den Eintragungszeitpunkt und der Ausweis des Anspruchs aus der Vorbelastungshaftung im Jahresabschluss, FS Goerdeler, 1987, S. 757; Wagner, Der Einfluss der Besteuerung auf zivilrechtliche Abfindungs- und Ausgleichsansprüche bei Personengesellschaften, WPg 2007, 929; Wagner/Nonnenmacher, Die Abfindung bei der Ausschließung aus einer Personengesellschaft, ZGR 1981, 674; Weitemeyer, Die Unterbilanzhaftung bei „Start-up-Unternehmen“, NZG 2006, 648; Werner, Die Bewertung von Personengesellschaften, 2009; Wüstemann, BB-Rechtsprechungsreport Unternehmensbewertung 2013/2014, BB 2014, 1707; Urban, Die Differenzhaftung des GmbH-Gesellschafters im Zusammenhang mit der Überbewertung von Sacheinlagen in FS Stiefel, 1995, S. 305; Wangler, Einfluss des neuen Bewertungs- und Erbschaftsteuerrechts auf Abfindungsregelungen in Gesellschaftsverträgen, DStR 2009, 1501; Wolfsteiner, Für welche Differenz haften die Gründer?, FS Helmrich, 1994, S. 755; Zeidler, Die Anwendbarkeit von IDW S 1 auf kleine und mittlere Unternehmen, in Baetge/Kirsch (Hrsg.), Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, 2006, S. 41; Zieger/Schütte-Biastoch, Gelöste und ungelöste Fragen bei der Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen, FB 2008, 590; Zwirner, Unternehmensbewertung von KMU, DB 2013, 1797; Zwirner/Zimny, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, in Petersen/Zwirny (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017, S. 1233; Zwirner/Zimny, Unternehmensbewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU), BOARD 2015, 135.

I. Einführung 1. Gesellschaftsrechtliche Bewertungsanlässe

24.1 Fragen der Unternehmens- und Anteilsbewertung stellen sich im Personengesellschaftsrecht vor allem beim Ausscheiden eines Gesellschafters. Für diese Fälle bestimmt § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass dem Ausscheidenden dasjenige zu zahlen ist, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre. Kraft gesetzlicher Verweisung gilt die Vorschrift auch für Abfindungsansprüche des ausscheidenden Gesellschafters einer OHG (§ 105 Abs. 3 HGB), KG (§ 161 Abs. 2 HGB) oder PartG (§ 1 Abs. 4 PartG).1 Sie erfasst gleichermaßen Fälle des freiwilligen und unfreiwilligen Ausscheidens (näher Rz. 24.9 ff.).2

24.2 Auch im GmbH-Recht werden Bewertungsfragen beim Ausscheiden eines GmbH-Gesellschafters virulent. Dabei kann es sich um die Einziehung eines Geschäftsanteils (§ 34 Abs. 1 1 Näher Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 10; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 2. 2 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 5 I 3 e bb, S. 416: „Das Gesetz regelt die vermögensmäßige Auseinandersetzung zwischen Gesamthand und früherem Gesellschafter unabhängig vom Grund des jeweiligen Ausscheidens. Für den Ausschluß gelten daher grundsätzlich dieselben Regeln wie für das freiwillige oder gesetzliche Ausscheiden.“

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.4 § 24

GmbHG) oder den Ausschluss oder Austritt eines Gesellschafters aus wichtigem Grund handeln. In Ermangelung einer gesellschaftsvertraglichen Abfindungsregelung gilt für alle diese Fälle § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend (näher Rz. 24.10).1 Jenseits der Abfindungsfälle sind Unternehmen im GmbH-Recht dann zu bewerten, wenn sie als Sacheinlage in eine GmbH eingebracht werden. Dies kann bei der Gesellschaftsgründung (§ 5 Abs. 4 GmbHG) oder einer späteren Kapitalerhöhung (§ 56 Abs. 4 GmbHG) geschehen (näher Rz. 24.49 ff.). Schließlich kann eine Unternehmensbewertung auch im Zuge einer Unternehmensneugründung geboten sein, um eine etwaige Vorbelastungshaftung der Gesellschaftsgründer zu ermitteln (näher Rz. 24.55 ff.).

24.3

2. Betriebswirtschaftliche Grundlagen a) Kleine und mittlere Unternehmen als „Stiefkinder der Bewertungslehre“ Unternehmen, die als Personengesellschaft oder GmbH organisiert sind, zählen in aller Regel zu den kleinen oder mittelgroßen Unternehmen (KMU). Deren Bewertung hat in Betriebswirtschaftslehre und berufsständischer Bewertungspraxis lange Zeit wenig Beachtung gefunden. KMU wurden daher anschaulich als „Stiefkinder der Bewertungslehre“2 bezeichnet.3 Das Hauptinteresse der Unternehmensbewertung galt seit jeher der großen, börsennotierten Aktiengesellschaft.4 Auf sie sind auch die Grundsätze des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) zur Durchführung von Unternehmensbewertungen zugeschnitten.5 Für KMU gelten zwar im Ausgangspunkt dieselben Grundsätze6: Ihre Bewertung erfolgt ebenfalls durch Diskontierung künftiger finanzieller Überschüsse mit einem Kapitalisierungszinssatz, der die Rendite einer risikoäquivalenten Alternativanlage abbildet. Jedoch beginnt sich allmählich die Einsicht durchzusetzen, dass man dieses Bewertungskalkül an die Besonderheiten kleiner und mittlerer Unternehmen anpassen muss: „A small business is not a little big business.“7

1 Näher Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 60; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, Einl. Rz. 185. 2 Popp, WPg 2008, 935 (944). 3 Vgl. auch Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 3: „Trotz ihrer wesentlichen Bedeutung in der Praxis der Unternehmensbewertung wurden KMU in der betriebswirtschaftlichen Theorie lange Zeit als Forschungsschwerpunkt vernachlässigt, da ihnen keine Besonderheiten im Vergleich zu Großunternehmen beigemessen wurden.“ 4 Gleichsinnig aus betriebswirtschaftlicher Sicht Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 1: „Die Bewertung von Unternehmen zählt zu den ‚Dauerbrennern der Betriebswirtschaftslehre‘. Dabei dominiert allerdings regelmäßig das Bewertungsobjekt einer großen Aktiengesellschaft als Forschungsgegenstand.“; aus juristischer Sicht Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 6: „Die Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft ist derzeit wohl der am heftigsten umstrittene Ausschnitt der rechtlichen Bewertungslehre.“ 5 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff. 6 Vgl. IDW S 1 2008, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 85, Rz. 145: „Grundsätzlich ist die Ermittlung von Unternehmenswerten unabhängig von Art und Größe des Unternehmens nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Abschn. 4.) vorzunehmen.“; gleichsinnig WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 425; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 7; aus dem Schrifttum Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1324. 7 So der Aufsatztitel von Welsh/White, Harv. Bus. Rev. 59, July/August 1981, 18, der allerdings auf Fragen der Unternehmensführung gemünzt ist; dies für Fragen der Unternehmensbewertung aufgreifend Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 1; ferner

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24.4

§ 24 Rz. 24.5

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

b) Bewertungsrelevante Merkmale kleiner und mittlerer Unternehmen

24.5 Passgenaue Leitlinien für die Bewertung von KMU lassen sich nur entwickeln, wenn man sich zunächst ihrer bewertungsrelevanten Merkmale vergewissert. Eine allgemeingültige Abgrenzung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) gibt es nicht; sie ist vielmehr zweckabhängig vorzunehmen. Für Zwecke der Unternehmensbewertung hebt die berufsständische Praxis hervor, dass KMU typischerweise durch eine Verknüpfung von Management und Eigentümerschaft, eine unzureichende Abgrenzung zwischen privatem und betrieblichem Vermögen, eine geringe Eigenkapitalausstattung und eine limitierte Informationsbasis gekennzeichnet sind.1 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass KMU ihren Hauptumsatz häufig mit einigen wenigen Großkunden erzielen und dass ihr Unternehmenserfolg in besonderem Maße von der Person der Eigentümer abhängt.2 Schließlich ist eine Beteiligungsveräußerung mangels liquider Sekundärmärkte mit weitaus größerem Kosten- und Zeitaufwand verbunden als eine Veräußerung börsennotierter Titel.3 c) Besonderheiten bei der Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen

24.6 Es liegt auf der Hand, dass die geschilderten Besonderheiten von KMU potentiell wertbeeinflussend sind. Um ihnen Rechnung zu tragen, kann die US-amerikanische Bewertungspraxis schon seit längerem auf ein gut eingeführtes Standardwerk zurückgreifen, das der Bewertung von closely held companies auf nahezu 1.100 Seiten nachgeht.4 Hierzulande herrschte insoweit bis zuletzt Nachholbedarf. Die IDW-Standards widmen den KMU zwar einen eigenen Abschnitt,5 halten sich aber mit Auslegungs- und Anwendungshinweisen zurück. Erst neuerdings finden sich in der deutschsprachigen Bewertungstheorie gehaltvollere Spezialuntersuchungen,6 deren Einsichten der Fachausschuss des IDW für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) in einem Fragen- und Antwortenkatalog vom Dezember 2011 zum

1

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Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1634); Zwirner/Zimny in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, Kap. G 3 Rz. 5. Vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 423; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 2; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490); Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 44. Vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 424, A 432; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 4; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490); Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 45. Vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 438; Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 45; allgemein auch Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 2. Aufl. 2010, S. 426: „Tatsächlich werden jedoch für KMU in der Regel geringere Kaufpreise realisiert, als sie nach dem ‚Ertragswertverfahren‘ ermittelt werden.“ Vgl. Pratt, Valuing a Business. The Analysis and Appraisal of Closely Held Companies, 5. Aufl. 2008; aus englischer Sicht auch Long/Bryant, Valuing the Closely Held Firm, 2008. Vgl. IDW S 1, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 86 ff., Rz. 154 ff.: „Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen“. Vgl. Behringer, Unternehmensbewertung der Klein- und Mittelbetriebe, 5. Aufl. 2012; Ihlau/Duscha/ Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, 2013; Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU: Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung dominierter Bewertungsanlässe, 2011; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, 2009.

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.7 § 24

Teil aufgegriffen hat1 und die mittlerweile auch Eingang in das WP-Handbuch und den Themenband „Bewertung und Transaktionsberatung gefunden haben.2 Hierauf aufbauend hat der FAUB im Februar 2014 den IDW Praxishinweis 1/2014 zu den „Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittlerer Unternehmen“ vorgelegt.3 Dieser betont zunächst, dass bei der Abgrenzung des Bewertungsobjekts große Sorgfalt geboten ist, weil sich die betriebliche und private Sphäre bei KMU häufig überschneiden.4 Sodann mahnt er bei der Vergangenheitsanalyse einen vorsichtigen Umgang mit vorhandenen Informationsquellen an, wenn und weil für KMU keine geprüften bzw. weniger informative Jahresabschlüsse vorliegen als für kapitalmarktorientierte Unternehmen.5 Hinzu kommt, dass bei vielen KMU eine integrierte Planungsrechnung fehlt oder nicht hinreichend dokumentiert ist, so dass der Bewerter die Geschäftsleitung auffordern muss, eine entsprechende Planung für die nächsten ein bis fünf Jahre zu erstellen.6 Vor allem aber ist ein sachgerechter Umgang mit der „übertragbaren Ertragskraft“ geboten.7 Der Bewertungsstandard IDW S 1 2008 geht davon aus, dass das bisherige Management im Unternehmen bleibt und damit keine Eliminierung der personenbezogenen Einflüsse auf die finanziellen Ertragsströme erfolgen muss.8 Diese Annahme ist bei der Bewertung von KMU kritisch zu hinterfragen, da deren Ertragskraft in besonderem Maße von den bisherigen Eigentümern abhängen kann.9 Ist die bisherige Ertragskraft aus diesem Grund nur teil- oder zeitweise übertragbar, müssen die bewertungsrelevanten Überschüsse dem neuen Praxishinweis zufolge sofort oder nach einer gewissen Zeit abgeschmolzen werden.10 Der jeweilige Abschmelzungszeitraum

1 Vgl. FAUB IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 id.F. 2008), Fachnachrichten IDW 2012, 323; dazu auch Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489. 2 Vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 423 ff., A 438 ff.; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 1 ff. 3 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28 ff.; dazu Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299; König/Möller, BB 2014, 983; Peemöller, BB 2014, 1963. 4 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 30, Rz. 13 f.; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 4 und 14; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/ Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (464); Peemöller, BB 2014, 1963 (1964); WPHandbuch 2014, Bd. II, Rz. A 427. 5 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 31, Rz. 16 ff.; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (465); WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 424; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 5. 6 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 31, Rz. 20; Peemöller, BB 2014, 1963 (1964); WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 435; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 6 und 22 ff. 7 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 31 ff., Rz. 22 ff.; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (466); Peemöller, BB 2014, 1963 (1965); IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 34 ff. 8 Vgl. IDW S 1, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 74, Rz. 39. 9 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 32, Rz. 24; Ballwieser/Franken/ Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (466); Peemöller, BB 2014, 1963 (1965). 10 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 32, Rz. 25 ff.; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 38; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/ Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (467); König/Möller, BB 2014, 983.

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24.7

§ 24 Rz. 24.7

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

hängt von den Verhältnissen des zu bewertenden Unternehmens und dem Branchenumfeld ab.1 Als Indikatoren für die Prognose der Abschmelzungsdauer werden genannt: Vertragslaufzeiten und erwartete Vertragsverlängerungen, typische Produktlebenszyklen, voraussichtliche Handlungen von Wettbewerbern und potentiellen Konkurrenten, Zeitraum der Abhängigkeit des Kunden (wirtschaftlich, rechtlich, technisch), demographische/biometrische Aspekte hinsichtlich der bestehenden Kundenstruktur.2 Außerdem können die steuerlichen Abschreibungsregeln Anhaltspunkte zur Ermittlung der Abschmelzungsdauer bieten.3 d) Kein allgemeiner Bewertungsabschlag für kleine und mittlere Unternehmen

24.8 In den Vereinigten Staaten wird unter dem Stichwort „Small Company Discount“ häufig ein genereller Bewertungsabschlag bzw. eine höhere Risikoprämie für KMU befürwortet, weil sie aus verschiedenen Gründen einem höheren Risiko ausgesetzt seien als größere, namentlich börsennotierte Unternehmen.4 Zur Begründung beruft man sich auf Studien zum US-amerikanischen Kapitalmarkt, die einen umgekehrten Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und realisierten Renditen vermuten lassen.5 Auch hierzulande gibt es einige Studien zum sog. Size-Effekt, die allerdings weniger eindeutig ausfallen oder sogar zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangen.6 Die berufsständischen Standards sehen daher keine Notwendigkeit für eine größenabhängige Risikoprämie7: Zum einen seien die hierzulande vorliegenden Daten empirisch nicht belastbar; zum anderen fehle für eine Size-Prämie eine schlüssige theoretische Begründung.8 Auch die deutsche Betriebswirtschaftslehre lehnt eine größenabhängige Risikoprämie ganz überwiegend ab.9

1 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 33, Rz. 30; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 41. 2 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 33, Rz. 30; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 41. 3 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 33, Rz. 31; IDW, WPH Edition, Bewertung und Transaktionsberatung, Kap. B Rz. 41; Peemöller, BB 2014, 1963 (1965). 4 Vgl. Pratt, Valuing a Business, S. 193 ff. 5 Näher Pratt, Valuing a Business, S. 194 f. m.w.N. 6 Vgl. Baetge/Kirsch/Koelen/Schulz, Journal of Applied Research in Accounting and Finance 5 (2010), 10; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 255; Ihlau/ Duscha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 232. 7 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 35, Rz. 47. 8 Vgl. WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 441 mit dem erläuternden Zusatz: „Ungeachtet der empirischen Belegbarkeit bliebe aber jedem nicht börsennotierten Unternehmen grundsätzlich die Möglichkeit, durch einen Börsengang eine niedrigere Bewertung zu vermeiden. Die Tatsache, dass dies nicht zu beobachten ist, spricht dafür, dass es andere vorteilhafte Aspekte einer fehlenden Börsennotierung gibt.“ 9 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 116 ff.; Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/ Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463 (470); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492); Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 231 ff.; SchütteBiastoch, Unternehmensbewertung von KMU, S. 106; Zeidler in Baetge/Kirsch, Besonderheiten der Bewertung von Unternehmensteilen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen, S. 41, 49; Zwirner, DB 2013, 61 (73).

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.10 § 24

II. Abfindung ausscheidender Personen- oder GmbH-Gesellschafter 1. § 738 BGB als bewertungsrechtliche Basisnorm a) Personengesellschaften Wie eingangs erläutert, bildet § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB (i.V.m. §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB, 24.9 § 1 Abs. 4 PartG) den Ausgangspunkt für die Abfindungsbemessung beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer GbR, OHG, KG oder PartG sowie bei der Abfindung eines atypisch stillen Gesellschafters.1 Er billigt dem ausscheidenden Personengesellschafter einen gesetzlichen Abfindungsanspruch zu (dazu auch Rz. 1.9),2 der aus dem Gesellschaftsverhältnis entspringt und sich in erster Linie gegen die Gesellschaft richtet.3 Die Höhe des Abfindungsanspruchs bemisst sich nach dem fiktiven Auseinandersetzungsguthaben des ausscheidenden Gesellschafters zum Abfindungsstichtag.4 Konzeptionell behandelt § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB das Ausscheiden damit als eine Art Teilauseinandersetzung5 und nähert die Rechtsstellung des Ausgeschiedenen derjenigen bei einer Liquidation so weit wie möglich an.6 Ihm dürfen aus der Fortführung der Gesellschaft ohne seine Beteiligung grundsätzlich keine vermögensmäßigen Nachteile entstehen.7 In der Literatur spricht man von einem sog. „Schlechterstellungsverbot“.8 b) GmbH Das GmbH-Gesetz enthält keine eigenständigen Regeln zur Gesellschafterabfindung.9 Gleichwohl ist heute allgemein anerkannt, dass ein ausgeschiedener GmbH-Gesellschafter auch ohne

1 Dazu BGH v. 13.4.1995 – II ZR 132/94, NJW-RR 1995, 1061 f.: „Der atypische stille Gesellschafter wird also nicht mit dem gegebenenfalls berichtigten Buchwert seiner Einlage abgefunden, sondern erhält ein Auseinandersetzungsguthaben, das sich von dem eines Gesellschafters einer offenen Handelsgesellschaft nicht unterscheidet und dessen Wert sich nach dem Geschäftswert bestimmt.“ 2 Unrichtig WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 13, wo die Vorschrift den „Bewertungen auf vertraglicher Grundlage“ zugeordnet wird. 3 Vgl. BGH v. 17.5.2011 – II ZR 285/09 – Rz. 11, NJW 2011, 2355; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 16. 4 Vgl. BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 198/10 – Rz. 17, NJW 2014, 305 (307); Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (577). 5 Vgl. Fleischer in FS Hommelhoff, 2012, S. 223 (234); gleichsinnig Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 1: „partielle Auseinandersetzung“; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 13: „Teilliquidation“. 6 So ausdrücklich Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 1; s. auch BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 198/10 – Rz. 17, NJW 2014, 305 (307): „Für die Zusammensetzung [des Abfindungsanspruchs] gelten die gleichen Grundsätze wie für die Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens bei Auflösung der Gesellschaft.“; ferner Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 13: „[D]aher entsprechen sich die jeweiligen Verfahren weitgehend.“ 7 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 358; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 1. 8 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 358. 9 Vgl. OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, NZG 1998, 779 (780) = GmbHR 1998, 641; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 205: „Das Gesetz bietet dafür keine Anspruchsgrundlage. In Abs. 3 wird der Abfindungsanspruch lediglich vorausgesetzt.“

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§ 24 Rz. 24.10

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

besondere Abrede einen Abfindungsanspruch hat, der sich gegen die Gesellschaft richtet.1 Die Begründungen variieren. Eine verbreitete Schrifttumsauffassung stützt sich auf eine Analogie zu § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB;2 andere stellen auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz ab, wie er in § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Ausdruck kommt.3 Wieder andere Autoren operieren stattdessen mit einer ergänzenden Vertragsauslegung4 oder Gewohnheitsrecht.5 Der BGH hat sich zur methodischen Herleitung bisher nicht geäußert. § 209 Abs. 1 RegE GmbHG 1973 sah ausdrücklich eine Abfindung zum Verkehrswert vor.6 Wegen des Charakters der GmbH als Kapitalgesellschaft darf die Zahlung der Abfindung allerdings nur unter Beachtung des § 30 Abs. 1 GmbHG erfolgen, wie § 34 Abs. 3 GmbHG ausdrücklich klarstellt.7 c) Aktiengesellschaft

24.11 Noch weitergehend wird die Vorgabe des § 738 BGB, wonach der ausscheidende Gesellschafter bei der Abfindungsbemessung nicht schlechter stehen darf als bei einer gedachten Auseinandersetzung (sog. Liquidationshypothese), auch an das Aktienrecht herangetragen.8 Danach enthält diese Vorschrift einen „allgemeinen Rechtsgedanken“,9 der nicht nur beim Ausscheiden aus der Personengesellschaft gilt, sondern wegen der Gleichheit der Interessenla-

1 Vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (172, 176); BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 (322); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257 (Leitsatz c)). 2 Vgl. Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 98; Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 72 und Anh. § 34 GmbHG Rz. 41; Wiedemann, ZGR 1978, 477 (495); Zeilinger, GmbHR 2002, 772 (776); für eine Doppelbegründung Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 22: allgemeiner Rechtsgrundsatz und Analogie zu § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB. 3 Vgl. Sosnitza in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, § 34 GmbHG Rz. 47; ähnlich Gehrlein, Ausschluss und Abfindung von GmbH-Gesellschaftern, 1997, Rz. 529; ferner Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 205: Grundgedanke des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach die Gesellschafterstellung nicht ohne Wertausgleich verloren gehen darf. 4 Vgl. Kesselmeier, Ausschließungs- und Nachfolgeregelung in der GmbH-Satzung, 1989, S. 116 ff. 5 Vgl. Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 205; ferner Westermann in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 34 GmbHG Rz. 25: „Nahe liegt auch, den Abfindungsanspruch des gegen seinen Willen aus seiner Stellung verdrängten Anteilseigners als allgemeine Institution zu entwickeln, wie sie etwa vom BVerfG in der Feldmühle-Entscheidung angedeutet wurde.“ 6 Wörtlich hieß es dort: „Der Gesellschafter kann von der Gesellschaft als Abfindung den Betrag verlangen, den ein Dritter für den Geschäftsanteil aufwenden würde (Verkehrswert). Der Verkehrswert des Geschäftsanteils bemißt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Erhebung der Ausschlußklage. Die endgültige und die vorläufige Abfindung sind gegeneinander aufzurechnen.“; dazu Begr. RegE zu § 209, BT-Drucks. VI/3088, 200: „In Übereinstimmung mit der zum geltenden Recht ganz überwiegend vertretenen Auffassung bestimmt Absatz 1 Satz 1 […]. Die Ausschließung trägt keinen Strafcharakter. Die Bemessung der Abfindung nach dem Verkehrswert soll aber auch ermöglichen, die eventuell schwere Verkäuflichkeit des Geschäftsanteils, seine Vinkulierung, die Ertragskraft des fortbestehenden Unternehmens sowie seine eventuelle Kapitalschwächung durch den Ausschluß eines Gesellschafters angemessen berücksichtigen zu können.“ 7 Vgl. statt aller Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 74. 8 Grundlegend Kropff, DB 1962, 155 (156); ihm folgend etwa Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 358 f.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 f.); im Ergebnis auch Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter, 1975, S. 46. 9 Kropff, DB 1962, 155 (156).

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Rz. 24.12 § 24

ge ebenso angewendet werden muss, wenn Minderheitsaktionäre aus der AG ausgeschlossen werden. In dieser Lesart sind § 738 BGB und § 305 AktG Holz vom gleichen Stamme.1 2. Bewertungsziel bei der Abfindungsbemessung Nach ständiger Rechtsprechung hat der ausscheidende Gesellschafter nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Abfindungsanspruch in Höhe des vollen wirtschaftlichen Werts (Verkehrswerts) seines Anteils,2 sofern der Gesellschaftsvertrag keine andere Regelung enthält (zu solchen Abfindungsklauseln Rz. 24.36 ff.). Entgegen dem missverständlichen Wortlaut der Vorschrift ist bei der Wertermittlung grundsätzlich nicht der Liquidationswert, sondern der Fortführungswert zugrunde zu legen. Dies hat das RG schon im Jahre 1922 entschieden: „In der Bestimmung des § 738 BGB, der Ausscheidende habe das zu fordern, was er erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre, ist nicht der Wert gemeint, der sich bei einer allgemeinen Versilberung der einzelnen Vermögensgegenstände ergibt, sondern der Erlös, der sich bei einer der Sachlage entsprechenden, möglichst vorteilhaften Verwertung des Gesellschaftsvermögens […] durch Veräußerung im ganzen ergeben würde“.3 Der BGH hat diese Rechtsprechung fortgeführt4 und wiederholt ausgesprochen, dass bei einem lebensfähigen Unternehmen im Allgemeinen der Wert anzusetzen ist, der sich bei einem Verkauf des Unternehmens als Einheit ergeben würde.5 Infolgedessen ist der ausscheidende Gesellschafter auch an den stillen Reserven und einem etwaigen Geschäftswert zu beteiligen.6

1 Zur Entstehungsgeschichte des § 305 AktG Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (578 f.); vgl. auch Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gem. § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327a AktG, 2013, S. 60: „Genau genommen geht es auch gar nicht um eine entsprechende Anwendung des § 738 BGB auf die Abfindung nach den §§ 305, 320b, 327a AktG. Vielmehr geht es um die Anwendung des gesellschaftsübergreifenden Grundsatzes, den der Bundesgerichtshof zu § 738 BGB – abweichend vom Wortlaut der Vorschrift – entwickelt hat.“ 2 Vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168); BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 (322); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (364 ff.) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 342/03, BGHZ 164, 107 (115) = GmbHR 2005, 1561; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, GmbHR 2002, 265 = NZG 2002, 176. 3 RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); zuvor bereits RG v. 12.5.1899 – III 31/99, JW 1899, 395; v. 4.10.1902 – I 134/1902 & I 306/1902, JW 1902, 590. 4 Vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (364 ff.) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2102) = GmbHR 1993, 505; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, GmbHR 2002, 265 = NZG 2002, 176; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 342/03, BGHZ 164, 107 (115) = GmbHR 2005, 1561: „Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, sei es durch Ausschließung, sei es – wie hier – als Folge einer satzungsgemäßen Abtretungspflicht, hat er allerdings grundsätzlich einen Anspruch auf Abfindung in Höhe des Verkehrswerts seines Geschäftsanteils.“ 5 Vgl. BGH v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH v. 22.10.1973 – II ZR 37/72, WM 1974, 129 (130); BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113; s. auch schon BGH v. 8.12.1960 – II ZR 234/59, WM 1961, 323 (324). 6 Vgl. bereits RG v. 5.11.1918 – II 243/18, RGZ 94, 106 (108); RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); aus der BGH-Rechtsprechung grundlegend BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136) mit dem Zusatz: „Das folgt ohne weiteres daraus, daß der Beklagte bis zu seinem Ausscheiden an dem tatsächlichen Wert des lebenden Unternehmens beteiligt war und daß nunmehr sein Anteil an dem gesamten Gesellschaftsvermögen den verbleibenden Gesellschaftern zugewachsen ist. Daher ist es in dieser Hinsicht auch ohne Bedeutung, ob der Beklagte an der

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24.12

§ 24 Rz. 24.13

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

24.13 Die Literatur stimmt der Bewertung auf der Grundlage von Fortführungswerten nahezu ausnahmslos zu.1 Sie weist nach, dass eine solche Lesart mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift durchaus vereinbar ist2 und auch deren Wortlaut nur scheinbar widerspricht: § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB spricht nämlich nicht von der Liquidation des „Unternehmens“, sondern von der Auflösung der „Gesellschaft“,3 bei der zunächst versucht werden muss, das Unternehmen als Ganzes zu veräußern.4 3. Geeignete und ungeeignete Bewertungsmethoden a) Rechts- oder Tatfrage?

24.14 Hinsichtlich der Bewertungsmethoden zur Ermittlung des vollen wirtschaftlichen Werts bedarf zunächst der Klärung, ob es sich um eine Rechts- oder Tatfrage handelt. Von Belang ist dies zum einen für die Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Sachverständigem, zum anderen für die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Tat- und Revisionsgericht (näher Rz. 34.5).

24.15 Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1978 ausgesprochen, es handle sich nicht um eine Rechtsfrage; vielmehr unterliege es dem pflichtgemäßen Urteil der mit der Bewertung befassten Fachleute, unter den in der Betriebswirtschaftslehre und der betriebswirtschaftlichen Praxis vertretenen Verfahren das im Einzelfall geeignet erscheinende auszuwählen.5 Das von ihnen gefundene Ergebnis habe der Tatrichter dann frei zu würdigen.6 Diese Formel variierend heißt es in einer langen Kette von Folgeentscheidungen zum Familien- und Gesellschaftsrecht, dass die sachverhaltsspezifische Auswahl und Anwendung der Bewertungsmethode Sache des – sachverständig beratenen – Tatrichters sei.7 Die von diesem vorgenommene Unternehmensbewertung könne vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße oder sonst auf rechts-

1

2 3 4 5 6 7

Schaffung oder der Erhaltung der stillen Reserven und des good will des Unternehmens durch tätige Mitarbeit oder auf sonstige Weise beteiligt war.“ Grundlegend und von der frühen BGH-Rechtsprechung in Bezug genommen A. Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, S. 458; aus neuerer Zeit Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 56; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 565 (577); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 32; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 20; Hadding/ Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 20; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 c aa, S. 242; abw. nur Schönle, DB 1959, 1427 (1428). Eingehende Analyse bei Schulze-Osterloh, ZGR 1986, 545 (548 f.); knapper Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 c aa, S. 242. Vgl. K. Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 131 HGB Rz. 138; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 20. Dazu Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. I/1, 1977, S. 170; A. Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, S. 458 mit Fn. 58. Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, NJW 1978, 1316 (1319) (insoweit nicht in BGHZ 71, 40 abgedruckt) zur Bewertung der beiderseitigen Leistungen bei einer Kapitalerhöhung mit Sacheinlage in einer AG. Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, NJW 1978, 1316 (1319). Vgl. BGH v. 23.10.1985 – IVb ZR 62/84, NJW-RR 1986, 226 (228); BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, NJW-RR 1986, 1066 (1068); BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548); BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (382); BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425 (426); BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 (396) = GmbHR 2006, 482; BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06 – Rz. 18, BGHZ 175, 207; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 16, BGHZ 188, 282 (288); BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 24, BGHZ 188, 249 (255).

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.17 § 24

fehlerhaften Erwägungen beruhe.1 Es gibt allerdings auch einzelne gesellschaftsrechtliche Entscheidungen, in denen die rechtliche Überformung der Wertermittlung stärker betont wird.2 Demgegenüber hat die Literatur die Formel des BGH aus der Kali und Salz-Entscheidung schon früh kritisiert3 und auf die Normprägung der Unternehmensbewertung hingewiesen.4 Vor diesem Hintergrund heißt es häufig, dass die Ermittlung der Abfindung „Rechts- und nicht Tatfrage“5 sei und dass man sehr wohl „zwischen ‚richtigen‘ und ‚falschen‘ Methoden unterscheiden“6 könne.

24.16

Richtigerweise ist zu differenzieren: Außer Streit stehen sollte heute, dass die Festlegung des gesetzlichen Bewertungsziels eine Rechtsfrage darstellt, deren Entscheidung ausschließlich den Gerichten vorbehalten ist (dazu auch Rz. 1.25 ff.).7 Dies erkennt auch der BGH inzwischen an.8 Dagegen können und dürfen die Einzelheiten der Wertermittlung nicht der richterlichen Intuition überlassen bleiben;9 hierzu bedürfen die Gerichte vielmehr in aller Regel sachverständiger Hilfe durch Einholung eines Bewertungsgutachtens. In diesem Sinne ist die Ermittlung des Unternehmenswerts eine Tatfrage, die mit den Mitteln des Beweisrechts zu

24.17

1 Vgl. BGH v. 23.10.1985 – IVb ZR 62/84, NJW-RR 1986, 226 (228); BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, NJW-RR 1986, 1066 (1068); BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (382); BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 16, BGHZ 188, 282 (288); BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 24, BGHZ 188, 249 (255). 2 In diese Richtung etwa BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122: „[…] ist der Unternehmenswert, der von dem Barwert der zukünftigen Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben gebildet wird und theoretisch den richtigen Wert eines Unternehmens darstellt […].“; ferner BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425 (426): „Ohne Bedeutung ist auch, dass nach der Rechtsprechung des Senats die Entscheidung, nach welcher betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethode die Höhe des Unternehmenswerts zu ermitteln ist, grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten ist. Denn im vorliegenden Fall ist es jedenfalls rechtsfehlerhaft, bei der Berechnung der Abfindung allein auf den Ertragswert abzustellen.“ 3 Vgl. bereits die Entscheidungsrezension von Lutter, ZGR 1979, 401 (416 f.): „Diese Überlegungen können mich nicht recht befriedigen. […] Diese zweckgerichtete Auswahl unter den Bewertungsmethoden aber ist eine Rechtsfrage. Die Betriebswirtschaftslehre kann nur Hilfen bei der technischen Durchführung der Wertschätzung geben; an welchen zweckbestimmten Grundsätzen die Schätzung auszurichten ist, hat hingegen die Rechtswissenschaft zu klären. […] Aber auch die weitere Grundfrage jeder Unternehmensbewertung, ob nämlich der Ertrags-, der Substanz- oder ein Mittelwert der Schätzung zugrundezulegen sei, kann mitnichten rechtlicher Überprüfung entzogen sein.“ 4 Eindringlich Großfeld, JZ 1981, 769 (771 f.). 5 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 e aa, S. 243. 6 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV 1 d, S. 1477. 7 Vgl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (375); Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1389; Hüttemann, WPg 2007, 812; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 23; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008, S. 417, s. auch Aurnhammer, Die Abfindung von BGB-Gesellschaftern im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Rechtsprechung und Betriebswirtschaftslehre, S. 49 ff.; Richter, Die Abfindung ausscheidender Gesellschafter unter Beschränkung auf den Buchwert, 2002, S. 22 ff. 8 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 12 = AG 2016, 135: „Dagegen ist es eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht.“; bestätigt durch BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rz. 14 = AG 2016, 359. 9 Treffend Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 132.

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§ 24 Rz. 24.17

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

klären ist (dazu auch Rz. 1.44 f.).1 Hiervon unberührt bleibt die Pflicht der Gerichte, sich eingehend mit dem Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen und zu prüfen, ob die im Einzelfall angewendete Bewertungsmethode mit dem gesetzlichen Bewertungsziel vereinbar ist.2 Dies unterliegt auch der revisionsgerichtlichen Kontrolle,3 was manche zu der Bemerkung veranlasst, dass die Grenzen zwischen Rechts- und Tatfrage in der Praxis verschwimmen.4 b) Keine Bindung an eine bestimmte Wertermittlungsmethode

24.18 Was die Methodenauswahl anbelangt, betont der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass das Gesetz – von Ausnahmefällen abgesehen – keine bestimmte Methode vorschreibe5 und dass es in der Betriebswirtschaftslehre keine einhellig gebilligte Bewertungsmethode gebe.6 Bei der Schätzung des Wertes der Gesellschaftsvermögens (dazu Rz. 24.31) sei der Tatrichter daher nicht an eine bestimmte Wertermittlungsmethode gebunden.7 Dessen ungeachtet heben jüngere Entscheidungen hervor, dass die Bewertung auf der Grundlage des Ertragswertverfahrens seit einiger Zeit eindeutig vorherrsche.8 In vielen, wenn nicht in den meisten Fällen laufe die Ermittlung des Unternehmenswerts daher auf eine Ertragswertermittlung hinaus.9 Dies müsse aber nicht in jeden Fall so sein.10 Insbesondere könne bei überdurchschnittlich hohem 1 So ausdrücklich Hüttemann, WPg 2007, 812 (813); gleichsinnig Hopt in Baumbach/Hopt, Einl. vor § 1 HGB Rz. 37; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1389; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 23; ferner Fleischer, ZGR 1997, 368 (375): „Was auf die Gerechtigkeitswaage zu legen ist, entscheidet das Gesellschaftsrecht; wie die einzelnen Gewichte zu wägen sind, obliegt der Betriebswirtschaftslehre.“; s. auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 12 = AG 2016, 135; BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rz. 14 = AG 2016, 359: „Die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode ist keine Rechtsfrage, sondern Teil der Tatsachenfeststellung und beurteilt sich nach der wirtschaftswissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie und -praxis.“ 2 Ebenso Hüttemann, WPg 2007, 812 (813, 817 f.): „Keine Einschränkungen gelten hingegen für die richterliche ‚Rechtskontrolle‘ von Sachverständigengutachten, d.h. der Richter muss stets überprüfen, ob die Annahmen und Bewertungsmodelle des Sachverständigen mit der gesetzlichen Bewertungsvorgabe übereinstimmen.“; gleichsinnig Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 23. 3 So nunmehr auch BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 12 = AG 2016, 135; bestätigt durch BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rz. 14 = AG 2016, 359; aus dem Schrifttum Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 24. 4 So etwa Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1389; ähnlich Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 23. 5 Vgl. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 16, BGHZ 188, 282 (288); BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (382); BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 24, BGHZ 188, 249 (255). 6 Vgl. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2421; BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548). 7 Vgl. BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548); BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 = GmbHR 1993, 505 (Leitsatz 2). 8 Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370 f.) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) = GmbHR 1993, 505. 9 So ausdrücklich BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) = GmbHR 1993, 505; ähnlich BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113. 10 Vgl. BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) = GmbHR 1993, 505; ferner BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 19, BGHZ 188, 282 (288): „Die Bewertung einer freiberuflichen Praxis erfolgt grundsätzlich auch nicht nach dem reinen Ertragswertverfahren.“

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.20 § 24

Anteil des nicht betriebsnotwendigen Vermögens dem Substanzwert eine erhöhte Bedeutung zukommen.1 In der Literatur findet diese vorsichtig-differenzierende Linie bei regelmäßigem Vorrang des Ertragswertverfahrens verbreitet Zustimmung (dazu auch Rz. 1.52 ff.).2 c) Ertragswertverfahren Bei unternehmenstragenden Gesellschaften legt die Rechtsprechung ganz überwiegend das sog. Ertragswertverfahren (näher Rz. 4.30 ff.) zugrunde.3 Der BGH hat es als „heute herrschende Auffassung“4 und „seit längerem eindeutig vorherrschende Berechnungsweise“5 bezeichnet, die „sich in der Unternehmensbewertung grundsätzlich durchgesetzt“6 habe, und den Ertragswert als „theoretisch […] richtigen Wert eines Unternehmens“7 eingeordnet. Die herrschende Lehre pflichtet dem nahezu ausnahmslos bei.8 Auch in der berufsständischen Praxis dominiert das Ertragswertverfahren gemäß IDW S 1 2008.9

24.19

Allerdings werden im Personengesellschafts- und GmbH-Recht auch einzelne Ausnahmen oder gewisse Modifikationen des Ertragswertverfahrens erwogen.10 Dies gilt zunächst für Gesellschaften mit regelmäßig hohen stillen Reserven oder stichtagsbedingten stillen Las-

24.20

1 Vgl. BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) = GmbHR 1993, 505. 2 Vgl. Fleischer, ZGR 1997, 368 (375); Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1390; Hüttemann, WPg 2007, 812 (819); Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 23; nicht eindeutig K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 Rz. 22: „So richtig es aber ist, dass der auf unterschiedliche Methoden gestützte gutachterliche Sachverstand auf der Tatfragenebene respektiert werden muss, so notwendig ist doch die Herausarbeitung der rechtlichen Vorgaben.“ 3 Vgl. BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 = GmbHR 1985, 113; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) = GmbHR 1993, 505; BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, NJW 1999, 283 = GmbHR 1999, 31; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (371) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (383); BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38); BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 33 = AG 2016, 135; OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, NZG 1998, 779 (780) = GmbHR 1998, 641; OLG Koblenz v. 20.2.2009 – 10 U 57/05, OLGR 2009, 608; OLG Hamburg v. 3.8.2000 – 11 W 36/95, AG 2001, 479 = NZG 2001, 471; OLG Düsseldorf v. 14.4.2000 – 19 W 6/98, NZG 2000, 1079. 4 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (371) = GmbHR 1992, 257. 5 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) GmbHR 1993, 505. 6 BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (383). 7 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = GmbHR 1999, 31. 8 Vgl. Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1390; Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Hülsmann, ZIP 2001, 450 (451 ff.); W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (706 ff.); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 24, 35; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 131 ff., 136 ff.; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 32; Ulmer in FS Quack, 1991, S. 477 (479); Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 e aa, S. 243. 9 Vgl. IDW S 1, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 70, Rz. 5; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 7: „Der Unternehmenswert wird grundsätzlich als Zukunftserfolgswert ermittelt. In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich als gängige und anerkannte Verfahren das Ertragswertverfahren und die DCF-Verfahren herausgebildet.“ 10 Vgl. Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34, wonach das „Abstellen auf den Ertrag oder den Einnahmeüberschuss [in bestimmten Fällen] versagt“; ähnlich Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10: „Modifikationen der Bewertungsmaßstäbe sind dort notwendig, wo die Ertragswertmethode strukturell versagen muss […].“

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§ 24 Rz. 24.20

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

ten, typischerweise Immobilien- oder Beteiligungsgesellschaften.1 Besonderheiten sind außerdem bei unrentablen oder ertragsschwachen Unternehmen zu beachten, bei denen der Liquidationswert nach richtiger Auffassung die Wertuntergrenze bildet (näher Rz. 9.15 ff., Rz. 9.29 ff.).2 Größere Ungenauigkeiten können sich ferner bei Freiberufler-Gesellschaften ergeben, bei denen sich der Ertragswert kaum von der konkreten Person des Freiberuflers trennen lässt.3 Schließlich kann das Ertragswertverfahren wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls ungeeignet sein, z.B. weil die Gesellschaft nach dem Ausscheiden eines Mitgesellschafters nur noch zur Abwicklung schwebender Geschäfte fortgesetzt wird.4 d) Discounted Cash Flow-Verfahren

24.21 Die Discounted Cash Flow-Verfahren (näher Rz. 10.6 ff.) haben in der Rechtsprechung bisher kaum Fuß gefasst,5 obwohl sie auf den gleichen konzeptionellen Grundlagen beruhen wie das Ertragswertverfahren.6 Beide Verfahren ermitteln den Zukunftserfolgswert und führen bei gleichen Annahmen zu gleichen Ergebnissen.7 Sie sind auch in der berufsständischen Bewertungspraxis gleichermaßen anerkannt.8 Daher wird man die Discounted Cash Flow-Verfahren grundsätzlich als geeignete Methoden im Rahmen der rechtsgeprägten Unternehmensbewertung ansehen können (wie hier Rz. 1.52).9 e) Liquidationswertverfahren

24.22 Der Liquidationswert steht bei der Abfindungsbemessung im Schatten des Ertragswerts (vgl. Rz. 9.7). Eine gewisse Rolle spielt er aber bei der Bewertung ertragsschwacher Unternehmen (vgl. Rz. 9.14). Nach zutreffender herrschender Lehre bildet die Liquidationswert nämlich 1 Vgl. BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425; Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 10 Rz. 82; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 35 mit Fn. 76; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. 2 Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 24. 3 Vgl. BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548); BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 19, BGHZ 188, 282 (288); Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 35 mit Fn. 76; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. 4 Vgl. OLG Hamm v. 3.6.2004 – 27 U 224/03, NZG 2005, 175; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. 5 Gleicher Befund bei Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 36; Hadding/ Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 33; s. aber LG Freiburg v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106. 6 Vgl. IDW S 1, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 81, Rz. 101; Fleischer, GmbHR 1999, 752 (757 f.); Habersack/Lüssow, NZG 1999, 629 (633). 7 Vgl. IDW S 1, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 81, Rz. 101. 8 Vgl. IDW S 1, WPg Supplement 3/2008, S. 68, 81, Rz. 101; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 7: „In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich als gängige und anerkannte Verfahren das Ertragswertverfahren und die DCF-Verfahren herausgebildet.“ 9 Vgl. bereits Fleischer, GmbHR 1999, 752 (757); vorsichtig in diese Richtung auch Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 38: „Die DCF-Verfahren waren früher auf börsennotierte Unternehmen ausgerichtet, dürften aber nunmehr auch für sonstige Unternehmen an Gewicht gewinnen.“; ferner Habersack/Lüssow, NZG 1999, 629 (633): „Angesichts dieser Entwicklungen ist zu betonen, dass der Ertragswertmethode weder unter betriebswirtschaftlichen noch unter rechtlichen Gesichtspunkten der Vorrang vor den DCF-Verfahren gebührt.“; Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (772) mit Fn. 98; Hüttemann, WPg 2008, 812 (819).

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.23 § 24

die Abfindungsuntergrenze für ausscheidende Personen- oder GmbH-Gesellschafter (näher Rz. 9.29 ff.).1 Die Rechtsprechung ist uneinheitlich (vgl. Rz. 9.17 ff.). Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH hatte im Jahre 2006 über die Abfindung eines Gesellschafters beim Ausscheiden aus einer GbR zu befinden, die ein wenig rentables Feriendorf betrieb.2 Der Gesellschaftsvertrag sah eine Abfindung zum Ertragswert vor. Der Liquidationswert des Feriendorfs belief sich – bei Parzellierung des Grundstücks und Verkauf der einzelnen Ferienhausparzellen – auf das Dreieinhalbfache des Ertragswerts. Aufgrund dieser Diskrepanz war die Abfindungsklausel nach Auffassung des Senats gem. § 723 Abs. 3 BGB unwirksam (zu diesem Kontrollmaßstab auch Rz. 24.41). Daher sei es jedenfalls rechtsfehlerhaft gewesen, bei der Berechnung der Abfindung allein auf den Ertragswert abzustellen, zumal die Parzellierung des Feriendorfs dem verbleibenden Gesellschafter zumutbar gewesen sei.3 Offen ließ der II. Zivilsenat, ob der Liquidationswert stets oder unter bestimmten Voraussetzungen die Untergrenze des für die Abfindung maßgeblichen Unternehmenswerts bilde.4 f) Substanzwertverfahren Der Substanzwert, verstanden als Rekonstruktions- oder Wiederbeschaffungswert aller materiellen und immateriellen Werte im Unternehmen (näher Rz. 2.40 ff. und Rz. 11.75 ff.), spielte in der früheren Bewertungs- und Spruchpraxis eine große Rolle.5 Heute ist die Substanzwertmethode zumindest bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen überholt, weil sie sich nicht am Zukunftserfolg des Unternehmens orientiert, sondern an den Aufwendungen, die nötig wären, um das Unternehmen „nachzubauen“.6 Damit ist sie regelmäßig nicht geeignet, den vollen wirtschaftlichen Wert i.S.d. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB sachgerecht zu ermitteln (ebenso Rz. 1.57).7 Dieses Manko wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass die Rechtsprechung seit jeher einen Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) in die Wertermittlung einbezogen hat,8 den ein potentieller Erwerber über den Wert aller materiellen und immateriellen Vermögensgegenstände hinaus unter Berücksichtigung zukünftiger Gewinnchancen zu zahlen bereit wäre.9 1 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 14 GmbHG Rz. 6; Hopt in Baumbach/Hopt, Einl. vor § 1 HGB Rz. 36 f.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (585); Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 88; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 75 Rz. 26; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 148; Wiedemann, WM 1992, Sonderbeilage 7, S. 3, 39; abw. Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 214. 2 Vgl. BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425. 3 Vgl. BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425. 4 Vgl. BGH v. 13.3.2006 – II ZR 295/04, NZG 2006, 425 f. 5 Rückblickend Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 23; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 e aa, S. 243. 6 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 318; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 203. 7 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 319, 1299; Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1391; Henssler/Michel, NZG 2012, 401 (404); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 24; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 Rz. 22. 8 Vgl. RG v. 5.11.1918 – II 243/18, RGZ 94, 106 (108); RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); RG v. 9.10.1941 – II 88/41, DR 1942, 140. 9 Dazu auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 e aa, S. 243: „In Wahrheit handelt es sich dabei nicht um ein fiktives Aktivum, sondern um die Berücksichtigung des Ertragswertes, also bereits um eine gemischte Bewertungsmethode.“; ferner Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 24: „Auch wenn sich die Differenz zwischen Substanz- und Ertrags-

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24.23

§ 24 Rz. 24.24

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

24.24 In Sonderfällen wird das Substanzwertverfahren aber nach wie vor herangezogen.1 So hat der BGH etwa hervorgehoben, dass dem Substanzwert der einzelnen Vermögensgegenstände bei landwirtschaftlichen Betrieben eine weit größere Bedeutung zukomme als bei der Bewertung industrieller Wirtschaftsunternehmen.2 Im Wertdenken der Landwirte stünden Sachwerte im Vordergrund,3 so dass hier auch eine Bewertung nach dem Sachwertverfahren in Betracht komme.4 Darüber hinaus wird der Substanzwert zur Bewertung gemeinnütziger Unternehmen herangezogen.5

24.25 Findet die Substanzwertmethode ausnahmsweise Anwendung, so ist der Wert aller Einzelgegenstände des Gesellschaftsvermögens zu ermitteln.6 Hierzu gehören neben den materiellen auch die immateriellen Vermögensgegenstände7 sowie der Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill).8 Maßgeblich sind nicht die Anschaffungs- oder Herstellungs-, sondern die Wiederbeschaffungskosten.9 Stille Reserven sind zu berücksichtigen.10 g) Misch- oder Kombinationsverfahren

24.26 Mischverfahren beruhen auf der Annahme, dass der Wert eines Unternehmens nicht allein durch seine Substanz, sondern auch durch seine Ertragskraft bestimmt wird (vgl. Rz. 2.53). Sie kombinieren daher Elemente beider Bewertungsmethoden. Am bekanntesten ist das sog. Mittelwertverfahren, das den Unternehmenswert als Mittelwert aus Substanz- und Ertragswert ermittelt (näher Rz. 11.80 ff.).11 Es wurde in der früheren Rechtsprechung gebilligt oder sogar als vorherrschend bezeichnet. So hieß es noch in einem Urteil des BGH aus dem

1

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

wert mit Hilfe des Firmen- oder Geschäftswerts ausgleichen ließe, bedarf es des Umwegs über die vorgeschaltete Ermittlung des Substanzwerts aus zutreffender neuerer Sicht doch nicht.“ Eingehend, wenn auch nicht mehr in jeder Hinsicht aktuell, Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 203 ff.; s. auch noch BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (371) = GmbHR 1992, 257: „Das Berufungsgericht wird dabei auch darüber zu befinden haben, ob der Ermittlung des Unternehmenswerts mit der heute herrschenden Auffassung die Ertragswertmethode zugrunde zu legen ist oder ob es geboten erscheint, im vorliegenden Fall von der Substanzwertmethode auszugehen.“ Vgl. BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (384). So ausdrücklich BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (384); dazu auch Großfeld/Egger/ Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 320 mit dem Zusatz: „[D]as mag sich inzwischen geändert haben.“ In diesem Sinne BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (372) (Leitsatz g)). Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 320; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 443; IDW, WPH Edition Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. A Rz. 162. Vgl. Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. Vgl. Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. Vgl. BGH v. 6.3.1995 – II ZR 97/94, NJW 1995, 1551; BGH v. 3.5.1999 – II ZR 32/98, NJW 1999, 2438 (2439); Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. Vgl. Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. Vgl. BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371 (383); RG v. 22.12.1922 – II 621/22, RGZ 106, 128 (132); Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 10; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34. Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1383, 1391.

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.27 § 24

Jahre 1973: „Vorherrschend ist ein Bewertungsverfahren, das sowohl den Substanzwert (Reproduktionswert) wie den Ertragswert berücksichtigt und den End- oder Gesamtwert des Unternehmens auf dem Wege einer Verbindung beider Werte oder der Berichtigung des Substanzwertes nach Maßgabe der Ertragsfähigkeit des Unternehmens ermittelt.“1 Ein Folgeurteil aus dem Jahre 1978 hielt daran ausdrücklich fest,2 doch deutete sich bereits kurz darauf eine Korrektur der Rechtsprechung an.3 Heute sind Mischverfahren nach h.M. in Betriebswirtschaftslehre, berufsständischer Praxis und Rechtswissenschaft keine geeigneten Bewertungsverfahren mehr.4 Zum einen beziehen sie den Substanzwert mit ein und führen damit zu systematischen Wertverzerrungen (vgl. Rz. 1.58). Zum anderen verbindet eine Kombination von Substanz und Ertrag Werte verschiedener Natur und ist daher nicht schlüssig zu begründen. Gleiches gilt für das sog. Stuttgarter Verfahren, das den Unternehmenswert ebenfalls als eine 24.27 Kombination aus Ertrags- und Substanzwertkomponenten ermittelt (näher Rz. 11.89 ff.).5 Es wurde früher vom BFH als geeignetes Schätzungsverfahren zur Bewertung nicht börsennotierter Anteile von Kapitalgesellschaften gebilligt6 und ist vom BGH im Jahre 1986 als nicht schlechthin ungeeignet bezeichnet worden, wenn es ein Unternehmen zu bewerten gilt, das seine Erträge weniger mit der Vermögenssubstanz als durch persönlichen Einsatz seiner Geschäftsführer erwirtschaftet.7 Aus steuerlicher Sicht ist es jedoch vom BVerfG 2006 für verfassungswidrig erklärt worden, weil es nicht geeignet sei, den gemeinen Wert der Anteile an Kapitalgesellschaften realitätsgerecht zu ermitteln.8 Auch aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive ist das Stuttgarter Verfahren heute im Rahmen des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB untauglich, weil es die Ertragsaussichten des Unternehmens nur teilweise erfasst (vgl. auch Rz. 1.58).9

1 Vgl. BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509. 2 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, NJW 1978, 1316 (1319) (insoweit in BGHZ 71, 40 nicht abgedruckt): „Nach einer in der Betriebswirtschaftslehre bislang vorherrschenden Auffassung ist der Unternehmenswert in der Regel durch eine Verbindung von Substanz- und Ertragswert zu ermitteln, wobei teils der eine, teils der andere Faktor zum Ausgangspunkt genommen oder als der wichtigere betrachtet wird.“ 3 Vgl. die billigende Feststellung in BGH v. 8.2.1979 – III ZR 2/77, WM 1979, 432: „Der Sachverständige folgt allerdings nicht dem in der Betriebswirtschaftslehre vorzugsweise empfohlenen Verfahren, den Wert eines Unternehmens durch eine Verbindung von Substanz- und Ertragswert zu ermitteln […]. Er beschränkt sich demgegenüber auf die Ermittlung des Zukunftserfolgswerts […].“ 4 Ablehnend etwa Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 34; wohl auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 3 III 3 e aa, S. 243; ferner die Bemerkung von Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 221: „Daß das Mittelwertverfahren nicht mehr Gegenstand jüngster Entscheidungen ist, liegt wohl daran, daß die Sachverständigen es nicht mehr verwenden.“; zuletzt Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1390: „in der gerichtlichen Praxis ‚ausgestorben‘“; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 Rz. 22: „weitgehend außer Gebrauch“. 5 Näher Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 39 f. 6 Vgl. etwa BFH v. 6.3.1991 – II R 18/88, BStBl. II 1991, 558 (559). 7 Vgl. BGH v. 14.7.1986 – II ZR 249/85, NJW-RR 1987, 21 (23) = GmbHR 1986, 425. 8 Vgl. BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, NJW 2007, 573 Rz. 175 ff. 9 Wie hier Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 79; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 211; zurückhaltend auch Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1381, 1390; ferner OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, GmbHR 1998, 641 = NZG 1998, 779.

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§ 24 Rz. 24.28

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

h) Vereinfachte Preisfindungsverfahren

24.28 Schließlich erfreuen sich bei der Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen vereinfachte Preisfindungen nach wie vor einer gewissen Beliebtheit.1 Hierzu gehören insbesondere die sog. Multiplikatorverfahren, die den Unternehmenswert durch ergebnis-, umsatz- oder produktmengenorientierte Multiplikatoren ermitteln (näher Rz. 11.7 ff.).2

24.29 Die berufsständische Praxis steht solchen Verfahren mit großer Reserve gegenüber. Sie gesteht ihnen lediglich zu, im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Plausibilitätskontrolle der Ergebnisse des Ertragswertverfahrens bieten zu können.3 Bei dominierten Bewertungsanlässen dürften sie jedoch nicht an die Stelle einer Unternehmensbewertung treten.4 Diese Einschätzung trifft sich mit derjenigen der modernen Betriebswirtschaftslehre, die hervorhebt, dass Multiplikatorverfahren Ungenauigkeiten und Zufallsergebnisse in Kauf nähmen, weil ihnen eine unmittelbare theoretische Verbindung zur Ermittlung des Zukunftserfolgswerts fehle.5

24.30 Der BGH hat es im Jahre 2008 bei freiberuflichen Praxen als sachgerecht angesehen, dass eine Bewertungsmethode herangezogen wird, die von der zuständigen Standesorganisation als Richtlinie empfohlen und verbreitet angewendet wird.6 Entschieden worden ist dies für eine Arztpraxis, bei deren Bewertung die sog. Umsatzmethode angewendet wurde. Diese ermittelt zunächst den Substanzwert und erhöht ihn dann um den Goodwill des Unternehmens, der durch den Jahresumsatz – multipliziert mit einem Berechnungsfaktor – bestimmt wird.7 In einem Urteil aus dem Jahre 2011 hat derselbe Senat für eine Steuerberaterpraxis allerdings ein modifiziertes Ertragswertverfahren für die Bewertung freiberuflicher Praxen als „generell vorzugswürdig“8 bezeichnet, weil es gegenüber dem Umsatzverfahren eine genauere Wertermittlung erlaube.9 Beide Entscheidungen betrafen familienrechtliche Fragen des Zugewinnausgleichs. Auch in der Literatur hat man die Wertermittlung nach dem Umsatzverfahren als zu ungenau kritisiert: Sie könne allenfalls Anhaltspunkte für Plausibilitätsüberlegungen bieten.10 Dem ist beizupflichten.11 Das bei freiberuflichen Sozietäten besonders ausgeprägte Phänomen einer nur eingeschränkt übertragbaren Ertragskraft lässt sich in Übereinstimmung mit den jüngeren berufsständischen Empfehlungen sachgerecht durch ein Abschmelzungsmodell berücksichtigen (vgl. Rz. 24.7).

1 Empirische Belege bei Fischer-Winkelmann/Busch, FB 2009, 715. 2 Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 28 ff. 3 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 37, Rz. 62; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 436; IDW, WPH Edition Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, Kap. G Rz. 36 f. 4 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 37, Rz. 60; WP-Handbuch 2014, Bd. II, Rz. A 436. 5 Vgl. Ballwieser in FS Loitslberger, 1991, S. 47, 54 ff. 6 Vgl. BGH v. 6.2.1008 – XII ZR 45/06 – Rz. 19, BGHZ 175, 207 (213). 7 Näher dazu Henssler/Michel, NZG 2012, 401 (405). 8 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 – Rz. 28, BGHZ 188, 249; s. auch OLG Hamm v. 15.1.2009 – 1 UF 119/07 – Rz. 26 ff., OLGReport Hamm 2009, 540. 9 Zu diesem Urteil auch Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1390; Grün/Grote in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1053, 1063 mit dem Zusatz: „Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung bleibt hier abzuwarten.“ 10 Vgl. Dauner-Lieb, FuR 2009, 215; Kuckenburg, FPR 2009, 290 (292); Michalski/Zeidler, FamRZ 1997, 397 (400); Olbrich/Olbrich, DB 2008, 1483 (1485); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 249 ff. 11 Vgl. Fleischer, GmbHR 1999, 752 (758); Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (772) mit Fn. 98.

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Fleischer

Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.32 § 24

4. Zulässigkeit einer Schätzung Gemäß § 738 Abs. 2 BGB ist der Wert des Gesellschaftsvermögens, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung zu ermitteln. Diese Möglichkeit wird in Rechtsprechung und Lehre häufig hervorgehoben.1 Allerdings hat die Schätzung aufgrund konkreter Unterlagen zu erfolgen, so dass im Allgemeinen ein Sachverständigengutachten erforderlich sein wird.2 Einzelheiten sind an anderer Stelle zu erörtern (vgl. Rz. 34.25 ff.).

24.31

5. Grundsatz der indirekten Anteilsbewertung Beim Ausscheiden eines Personen- oder GmbH-Gesellschafters geht es nicht um den Unternehmenswert als solchen, sondern um eine Anteilsbewertung. Für sie stehen grundsätzlich zwei verschiedene Methoden zur Verfügung: die direkte und die indirekte Anteilsbewertung (näher Rz. 20.1 f.). Der BGH versteht die Vorgabe des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB in ständiger Rechtsprechung dahin, dass es nicht auf den direkten Anteilswert, sondern auf den quotalen Unternehmenswert ankommt.3 Demnach ist zunächst der Wert des gesamten Unternehmens zu ermitteln und aus dieser Zwischengröße der quotal auf den Anteil des ausscheidenden Gesellschafters entfallende Wert zu errechnen.4 Die herrschende Lehre stimmt diesem Berechnungsmodell („Theorie: Tortenschnitte“)5 zu6 und stützt sich zur Begründung auf Wortlaut und Sinn des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB.7 Außerdem verweist sie für Personengesellschaften auf

1 Vgl. BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rz. 33 = AG 2016, 135; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 58; Hüttemann, WPg 2007, 812 (813, 818); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 32; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 31. 2 Vgl. BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113. 3 Vgl. BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH v. 22.10.1973 – II ZR 37/72, NJW 1974, 312; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = WM 1984, 1506; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370 f.) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 17.5.2011 – II ZR 285/09 – Rz. 17, NJW 2011, 2355 (2356): „Das Auseinandersetzungsguthaben berechnet sich […] auf der Basis des anteiligen Unternehmenswerts.“ 4 Vgl. OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, NZG 1998, 779 (780) = GmbHR 1998, 641; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1224 f.) = GmbHR 1999, 712; anschaulich Großfeld/ Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55: „Die Bewertung beginnt also bei dem Unternehmen als Ganzem und schwenkt dann über auf den Anteil.“ 5 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3, S. 241. 6 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 23; Brähler, WPg 2008, 209 (210); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55; Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 208; Popp, WPg 2008, 935 (939); Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 49; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3, S. 241. 7 Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33: „Wenn der Ausscheidende danach so gestellt werden soll, als wäre die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden, folgt daraus, dass für seine Abfindung nicht der Verkehrswert seines Anteils maßgebend ist, sondern sein Anteil an dem (Verkehrs-)Wert des fortgeführten Unternehmens der Gesellschaft […].“ (Hervorhebung im Original); ferner Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 49; das Wortlautargument relativierend W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (718).

Fleischer 773

24.32

§ 24 Rz. 24.32

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

die fehlende Selbständigkeit der Anteile.1 Schließlich macht sie darauf aufmerksam, dass mangels Handelbarkeit von Personengesellschafts- und GmbH-Anteilen ein isolierter Anteilswert ohnehin kaum feststellbar sei.2 Aus diesem Grund lasse sich auch die Rechtsprechung des BVerfG zur Maßgeblichkeit eines zeitnahen Börsenwerts der Aktien für die Festsetzung der Abfindung außenstehender Aktionäre nicht auf die Abfindung von Personen- und GmbHGesellschaftern übertragen.3 Eine Ausnahme wird gelegentlich für den Fall erwogen, dass ein funktionierender Markt für die Anteile der Gesellschaft besteht und der Anteilswert aus den sich dort bildenden Marktpreisen abgeleitet werden kann.4 Grundsatzkritik an der indirekten Anteilsbewertung ist bei Personengesellschaft und GmbH bisher vereinzelt geblieben5 und noch seltener zu einem geschlossenen Gegenentwurf ausgearbeitet worden.6 6. Bewertungszu- oder -abschläge

24.33 Im Anschluss an die Ermittlung des quotalen Unternehmenswerts stellt sich die Frage, ob etwaige Besonderheiten des Anteils durch Bewertungszu- oder -abschläge zu berücksichtigen sind. Sie hat in Betriebswirtschaftslehre und Bewertungspraxis bisher größere Aufmerksamkeit gefunden als im Gesellschaftsrecht (näher Rz. 20.6 ff.).

24.34 In der US-amerikanischen Spruchpraxis wird im Anschluss an entsprechende Überlegungen in der Bewertungspraxis gelegentlich ein sog. „small company discount“ bzw. ein „size premium“ befürwortet, weil kleine und mittlere Unternehmen einem höheren Risiko ausgesetzt seien als große, börsennotierte Unternehmen (vgl. Rz. 24.8).7 Dem ist für das deutsche Personengesellschafts- und GmbH-Recht nicht zu folgen.8 In Übereinstimmung mit der hiesigen Bewertungspraxis und Betriebswirtschaftslehre (Rz. 24.8) kommt ein allgemeiner Bewertungsabschlag für kleine und mittlere Unternehmen nicht in Betracht.9 Vielmehr ist differenziert darzulegen, warum und inwieweit sich ihre einzelnen Merkmalsausprägungen auf den 1 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55; Hüffer in FS Hadding, 2004, S. 461 (465); Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3, S. 241. 2 Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 55; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 208; Popp, WPg 2008, 935 (939); s. auch OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, NZG 1998, 779 (780) = GmbHR 1998, 641. 3 Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33. 4 So Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 GmbHG Rz. 77; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 33 („allenfalls“); ferner W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705 (718), wenn zeitnahe, realisierte und vergleichbare Preise vorhanden sind. 5 Vgl. die knappen Bemerkungen bei Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Sigle, ZGR 1999, 659 (669 f.); Wagner/Nonnenmacher, ZGR 1981, 674 (675 ff.); ferner Ulmer, ZIP 2010, 805 (815), der für den Vertragstypus der generationenübergreifenden Familien-Personengesellschaft auf die nachhaltig zu erwartende Gewinnausschüttung als mögliche Grundlage für die Wertermittlung abstellt; ausführlicher allein Nonnenmacher, Anteilsbewertung bei Personengesellschaften, S. 33 f. 6 Eingehend nur Nonnenmacher, Anteilsbewertung bei Personengesellschaften, S. 35 f. 7 Vgl. etwa In re Appraisal of the Orchard Enterprises, Inc., 2012 WL 2923305 (Del. Ch.), *18: „A size premium is a generally acceptable addition to the CAPM formula in the valuation of smaller companies to account for the higher rate of return that investors demand as compensation for the greater risk associated with with small company equity.“ 8 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1634). 9 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1634); Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1324.

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Fleischer

Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.36 § 24

Unternehmens- und Anteilswert auswirken.1 Dies ist für verschiedene Bewertungsabschläge schon an anderer Stelle eingehend dargestellt worden (näher Rz. 20.6 ff.) und hier nur in Stichworten zu wiederholen: Rechtsprechung und herrschende Lehre lehnen einen Abschlag für Minderheitsanteile an einer Personengesellschaft oder GmbH im Rahmen des § 738 BGB nahezu einhellig ab (näher Rz. 20.8 f.).2 Dem ist im Ergebnis beizutreten (vgl. Rz. 20.11 f.).3 Auch für einen Fungibilitätsabschlag ist nach zutreffender h.M. bei der Abfindungsbemessung kein Raum (vgl. Rz. 20.22 ff.).4 In Betracht kommt jedoch ein Abschlag beim Ausscheiden von Schlüsselpersonen, die für den Erfolg des Unternehmens von herausragender Bedeutung sind (näher Rz. 20.37 ff.).5 Eine Rolle spielt dies namentlich bei kleineren freiberuflichen Kanzleien und Praxen, bei denen die unternehmerischen Fähigkeiten des (Mit-)Eigentümers Wohl und Wehe des Unternehmens bestimmen (dazu auch Rz. 24.7).6

24.35

7. Abfindungsklauseln a) Abdingbarkeit des § 738 BGB § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB ist nach allgemeiner Ansicht dispositives Recht.7 Die Gesellschafter können etwas anderes vereinbaren. In der Rechtspraxis weit verbreitet sind insbesondere Abfindungsbeschränkungen im Gesellschaftsvertrag oder in einer schuldrechtlichen Nebenabrede.8 Sie begegnen in vielfältigen Formen9 und sollen den Bestand des Unternehmens 1 Näher Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1634); gleicher Ansatz aus betriebswirtschaftlicher Sicht bei Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 4: „Stattdessen wird der Fokus gezielt auf einzelne, im Schrifttum angeregte größenabhängige Risikoanpassungen des Bewertungskalküls gerichtet, mit denen unterschiedlichen bewertungsrelevanten Eigenschaften kleiner Unternehmen Rechnung getragen werden soll und die insofern von der Größe des Bewertungsobjektes abhängen.“ 2 Vgl. OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1227) = GmbHR 1999, 712; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 49; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1324, 1304 f.; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 87; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 14 GmbHG Rz. 23; abw. Sigle, ZGR 1999, 659 (669 f.). 3 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1635 f.). 4 Vgl. RG v. 6.1.1940 – II 56/40, DR 1941, 1301 (1303); OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222 (1227) = GmbHR 1999, 712; Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1637 f.); abw. Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 29. 5 Vgl. Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1639 f.). 6 Vgl. BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 – Rz. 24, BGHZ 188, 282 (290); Henssler/Michel, NZG 2012, 401 (404 f.). 7 Vgl. BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, BGHZ 65, 22 (24 ff.); BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2102) = GmbHR 1993, 505; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, GmbHR 2002, 265 = NZG 2002, 176; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (389) = GmbHR 1997, 939; Fleischer/Bong, WM 2017, 1957; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 58; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 25; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1470; Piehler/ Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 10 Rz. 95; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 42. 8 Zu diesem Sonderfall Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 25. 9 Vgl. BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (389 f.) = GmbHR 1997, 939; Leitzen, RNotZ 2009, 315; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 10 Rz. 95; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 221; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738

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24.36

§ 24 Rz. 24.36

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

durch Einschränkung des Kapitalabflusses sichern und die Berechnung des Abfindungsanspruchs vereinfachen.1 Häufig anzutreffen sind etwa Buchwert-, Ertragswert- oder Substanzwertklauseln.2 Bei Freiberuflern wird mitunter auch eine Realteilung des Gesellschaftsvermögens (Mandantenstamm) vereinbart.3 Solche Abfindungsbeschränkungen sind aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit grundsätzlich zulässig, und zwar nicht nur in der Personengesellschaft,4 sondern auch in der GmbH.5

24.37 Bei der Abfassung von Abfindungsklauseln sind die Gesellschafter grundsätzlich nicht an die berufsständischen oder betriebswirtschaftlichen Grundsätze der Unternehmensbewertung gebunden.6 Sie können daher – in gewissen Grenzen (dazu Rz. 24.38 ff.) – alle heute oder früher vertretenen Methoden der Unternehmensbewertung vereinbaren7 oder sich darauf beschränken, einzelne bewertungsrelevante Aspekte verbindlich festzulegen.8 Dazu gehören etwa die maßgebliche Überschussgröße, der Kapitalisierungszinssatz oder die Zahlungsmodalitäten.9 In Betracht kommen ferner Verfahrensregeln, etwa die Vereinbarung eines Schiedsgerichts (näher Rz. 37.8 ff.) oder eines Schiedsgutachtens (näher Rz. 36.15 ff.).10 b) Grenzen gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsfreiheit

24.38 Nach ständiger Rechtsprechung stößt die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter an äußere Grenzen. Der BGH unterzieht Inhalt und Schranken von Abfindungsvereinbarungen einer

1

2

3 4 5

6 7

8 9 10

BGB Rz. 43; monographisch jüngst Puscher, Abfindungsregelungen in GmbH-Satzungen. Eine empirische Untersuchung zur Gestaltungs- und Abfindungspraxis in Deutschland, 2018. Vgl. BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103) = GmbHR 1993, 505; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368) = GmbHR 1992, 257; Fleischer/Bong, WM 2017, 1957; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 58; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1470; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 39; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 42. Vgl. Fleischer/Bong, WM 2017, 1957; Piehler/Schulte in MünchHdb. GesR, Bd. 1, § 10 Rz. 95; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 43; empirische Befunde bei Binge/ May, NJW 1988, 2761 (2766) mit Fn. 43; Rasner, ZHR 158 (194), 292 (293); zuletzt Wangler, DStR 2009, 1501 (1504 f.). Vgl. Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 f.; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 43. Vgl. BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (389) = GmbHR 1997, 939 (GbR). Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368) = GmbHR 1992, 257: „Gesellschaftsvertragliche Beschränkungen des Abfindungsrechts eines GmbH-Gesellschafters sind aufgrund der Satzungsautonomie grundsätzlich zulässig.“; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 25. Vgl. Hannes in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1383, 1406; Ihlau/ Dusha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 24. Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 277; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 43; eingehend Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1479 ff.; Leitzen, RNotZ 2009, 315 (321 f.) m.w.N. zur kautelarjuristischen Literatur. Vgl. Heidel/Hanke in Heidel/Schall, Anh. § 131 HGB Rz. 28; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 24. Vgl. Heidel/Hanke in Heidel/Schall, Anh. § 131 HGB Rz. 28; Ihlau/Dusch/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 24. Vgl. Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1497; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 43.

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.41 § 24

eingehenden Prüfung.1 Allerdings ist der Diskussionsstand hinsichtlich der dogmatischen Grundlagen und materiellen Beurteilungskriterien einer richterlichen Kontrolle sehr unübersichtlich.2 Er kann hier nicht in seinen Einzelheiten entfaltet werden,3 zumal er die Unternehmens- und Anteilsbewertung selbst nur mittelbar berührt. Die berufsständische Praxis hebt in ihren jüngsten Empfehlungen zur Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen hervor, dass es nicht dem Wirtschaftsprüfer obliegt, den rechtlichen Bestand der gesellschaftsvertraglichen Abfindungsklauseln abschließend zu beurteilen.4 Ihm wird jedoch geraten, den Auftraggeber in diesen Fällen frühzeitig über erkannte potentielle rechtliche Risiken zu informieren und dies in den Arbeitspapieren zu dokumentieren.5 aa) Kontrollmaßstäbe Die Rechtsprechung hat im Laufe der Zeit verschiedene dogmatische Ansätze zur Überprüfung von Abfindungsklauseln entwickelt, die bis heute nebeneinander bestehen.6

24.39

Eine erste Schranke bildet das Verbot sittenwidriger Geschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB.7 Dieses greift allerdings nur in den seltenen Fällen ein, in denen von vornherein ein grobes Missverhältnis zwischen vertraglichem Abfindungswert und tatsächlichem Anteilswert besteht.8 Außerdem wird Sittenwidrigkeit angenommen, wenn die Abfindungsbeschränkung nicht den Gesellschafter, sondern nur seine Gläubiger betrifft oder aus sonstigen Gründen das gesellschaftsrechtliche Gläubigerschutzprinzip verletzt.9

24.40

Darüber hinaus werden Abfindungsklauseln am Maßstab der §§ 723 Abs. 3 BGB, 133 Abs. 3 24.41 HGB gemessen, wonach eine Vereinbarung nichtig ist, durch welche das Kündigungsrecht ausgeschlossen oder unzulässig beschränkt wird.10 Diese Vorschrift greift nach ihrem Rechts1 Sehr klar BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (389 f.) = GmbHR 1997, 939: „Im Hinblick auf den dispositiven Charakter des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB und die dadurch anzutreffende Vielfalt gesellschaftsvertraglicher Abfindungsbestimmungen unterwirft er [= der Senat] dabei den Inhalt und die Schranken solcher Abfindungsbestimmungen einer eingehenden Prüfung.“ 2 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 60: „Das Problem der Abfindungsklauseln ist das ihrer Grenzen.“; ähnlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV 2 c, S. 1484: „Aus dieser Sachlage ergibt sich auch das Zentralproblem der Abfindungsklauseln: das Problem ihrer Zulässigkeit und Wirksamkeit.“ 3 Eingehende Darstellungen in der Kommentarliteratur bei Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 58 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 25 ff.; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 44 ff.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 226 ff. 4 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 37, Rz. 59. 5 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28, 37, Rz. 59. 6 Eingehende Darstellung der Entwicklungslinien bei Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1958 ff.); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV 2, S. 1481 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3 e, S. 246 ff. 7 Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368) = GmbHR 1992, 257; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 45 f.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 227. 8 Vgl. BGH v. 19.9.2005 – II ZR 342/03, BGHZ 164, 107 (115) = GmbHR 2005, 1561. 9 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 60; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 47 f. 10 Vgl. BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113; BGH v. 17.4.1989 – II ZR 258/88, NJW 1989, 3272; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (369) = GmbHR 1992, 257; BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (230 ff.) = GmbHR

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§ 24 Rz. 24.41

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

gedanken auch dann ein, wenn dem Gesellschafter, der aus der Gesellschaft ausscheiden möchte, für den Fall seiner Kündigung in dem Gesellschaftsvertrag vermögensrechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, die zwar formal sein Kündigungsrecht nicht tangieren, im Ergebnis aber dazu führen, dass er nicht mehr frei entscheiden kann, ob er von dem Kündigungsrecht Gebrauch macht oder nicht.1 Eine solche Sachlage kommt faktisch einem Ausschluss des Kündigungsrechts gleich.

24.42 Ist ein grobes Missverhältnis zwischen vertraglichem Abfindungswert und tatsächlichen Anteilswert erst nachträglich eingetreten, so arbeitet die neuere Rechtsprechung mit einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 157, 242 BGB.2 In einem solchen Fall sind Abfindungsmaßstab und Abfindungsbetrag nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entsprechend den veränderten Verhältnissen neu zu ermitteln.3 Dabei kann der von den Parteien bei Vertragsschluss der Bemessung zugrunde gelegte Maßstab ein wesentlicher Anhaltspunkt sein.4

24.43 Schließlich ist an eine Ausübungskontrolle nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung zu denken, die man vor allem im Schrifttum einer ergänzenden Vertragsauslegung vorzieht.5 bb) Einzelne Klauseln (1) Abfindungsausschluss

24.44 Klauseln, die einen Ausschluss des Abfindungsanspruchs vorsehen, sind in aller Regel unzulässig, weil sie die Interessen des ausgeschiedenen Gesellschafters außer Acht lassen.6 Dies ergibt sich für den Kündigungsfall aus § 723 Abs. 3 BGB, im Übrigen aus § 138 Abs. 1 BGB.7 Eng begrenzte Ausnahmen kommen bei Gesellschaften mit einem ideellen Zweck8 und bei Vereinbarungen auf den Todesfall9 in Betracht. Gleiches gilt für sog. Mitarbeitermodelle, bei denen einem verdienten Mitarbeiter des Gesellschaftsunternehmens eine Minderheitsbetei-

1 2

3 4 5 6

7 8 9

1994, 871; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 49 ff.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 232. So ausdrücklich BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (231) = GmbHR 1994, 871. Vgl. BGH 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (283 ff.); BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (242 f.) = GmbHR 1994, 871; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 (369) = GmbHR 2000, 822; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 53 f.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 241. Vgl. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (242) = GmbHR 1994, 871. Vgl. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (242) = GmbHR 1994, 871. Näher Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 55 ff.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 242; Wiedemann in FS Canaris, 2007, S. 1281 (1288 f.); ferner Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 69. Vgl. BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (390) = GmbHR 1997, 939; Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1966 f.); Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 63; Fastrich in Baumbach/ Hueck, § 34 GmbHG Rz. 34a; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 45; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 227; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 52. Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 60. Vgl. BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 = GmbHR 1997, 939. Vgl. BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (194 ff.); BGH v. 20.12.1965 – II ZR 145/64, WM 1966, 367 (368).

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.46 § 24

ligung eingeräumt wird, die er bei seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen zurückzuübertragen hat.1 (2) Buchwertklauseln Buchwertklauseln sind nach Rechtsprechung und herrschender Lehre regelmäßig wirksam, wenn und weil vertraglicher Abfindungswert und tatsächlicher Anteilswert zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung noch nicht wesentlich auseinanderklaffen.2 Sie tragen dem Interesse der Gesellschaft Rechnung, Liquidität und Fortbestand des Unternehmens nicht durch unerträglich hohe Abfindungen zu gefährden.3 Die Verwirklichung dieses Anliegens findet dem BGH zufolge jedoch dort ihre Grenze, wo es dem ausscheidenden Gesellschafter nach den Maßstäben von Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist, sich mit der gesellschaftsvertraglichen Regelung zufriedenzugeben.4 Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt danach nicht allein vom Ausmaß des nachträglich entstandenen Missverhältnisses zwischen vertraglichem Abfindungs- und tatsächlichem Anteilswert, sondern auch von den gesamten sonstigen Umständen des konkreten Falles ab.5 Hierzu gehören insbesondere die Dauer der Mitgliedschaft des Ausgeschiedenen in der Gesellschaft, sein Anteil am Aufbau und Erfolg des Unternehmens und der Anlass des Ausscheidens.6

24.45

Ab welchem Verhältnis zwischen vereinbartem Abfindungsbetrag und tatsächlichem Anteilswert die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist, hat die Spruchpraxis bisher noch nicht verallgemeinernd entschieden. Eine Auswertung der einzelnen Urteile scheint darauf hinzudeuten, dass die Abfindung nicht unter 50 % des wirklichen Anteilswerts liegen darf.7 Im Schrifttum zieht man die kritische Grenze dagegen häufig schon bei zwei Drittel des wirklichen Anteilswerts.8 Feste Prozentsätze zu benennen, ist und bleibt aber problematisch.9 Liegt der Buchwert ausnahmsweise über dem wahren Wert, wird teils eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs,10 teils aber auch ein Festhalten an der vertraglichen Abfindung11 befürwortet.

24.46

1 Vgl. BGH v. 19.9.2005 – II ZR 342/03, BGHZ 164, 107 (108) = GmbHR 2005, 1561 (Leitsatz b). 2 Vgl. Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1967); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 64; Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 257; Hadding/ Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 48. 3 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (286). 4 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (286). 5 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (286). 6 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (286). 7 Umfassende Rechtsprechungsnachweise mit Prozentangaben bei Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 47 mit Fn. 136. 8 So etwa Kort, DStR 1995, 1966 f.; Mecklenbrauck, BB 2000, 2001; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2018, § 738 BGB Rz. 52; Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (153). 9 Vgl. Fleischer/Bong, WM 2017, 1957, 1966; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 64; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 27. 10 So Leitzen, RNotZ 2009, 315 (319). 11 So OLG München v. 23.3.2006 – 23 U 4425/04, NJOZ 2006, 2198 (Leitsatz): „Eine Abfindungsregelung im Gesellschaftsvertrag einer KG ist nicht bereits deshalb nach § 138 I BGB nichtig, weil der danach an den ausscheidenden Gesellschafter zu zahlende Abfindungsbetrag den tatsächlichen Wert des Anteils deutlich übersteigt. Der Rechtsgedanke des § 723 III BGB ist auf diesen Fall nicht übertragbar.“

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§ 24 Rz. 24.47

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

(3) Stuttgarter Verfahren

24.47 Verweist der Gesellschaftsvertrag für die Zwecke der Abfindungsbemessung auf das sog. Stuttgarter Verfahren (dazu bereits Rz. 24.27), so ist eine solche Klausel ungeachtet ihrer steuerlichen Unzulässigkeit von der gesellschaftsrechtlichen Vertragsfreiheit grundsätzlich gedeckt.1 Anders liegt es aber dann, wenn ihre Anwendung nach allgemeinen Grundsätzen zu einem groben Missverhältnis zwischen dem so ermittelten Wert und dem Verkehrswert führt.2 Die Praxis rät von einer Vereinbarung des Stuttgarter Verfahrens im Gesellschaftsvertrag überwiegend ab.3 (4) Auszahlungsvereinbarungen

24.48 Hinausgeschobene Fälligkeitstermine und Ratenzahlungen sind nach Rechtsprechung und herrschender Lehre grundsätzlich nicht zu beanstanden, sofern eine angemessene Verzinsung vorgesehen ist.4 Eine Ratenzahlungsvereinbarung von 15 Jahren ist aber vom BGH als unzulässig angesehen worden.5 Im Schrifttum neigt man zu einer Höchstfrist von 56 oder 107 Jahren.

III. Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage 24.49 Bewertungsprobleme stellen sich weiterhin bei der Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage in eine Kapitalgesellschaft. Zur Sicherung des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung unterwirft der GmbH-Gesetzgeber Sacheinlagen einer besonderen Kontrolle, die allerdings hinter den noch schärferen Sachgründungsregeln des Aktienrechts (dazu Rz. 21.55 ff.) zurückbleibt. Im Personengesellschaftsrecht stellen sich Bewertungsfragen demgegenüber nicht mit gleicher Schärfe, weil dort wegen des andersartigen Gläubigerschutzes im Innenverhältnis Bewertungsfreiheit hinsichtlich der Sacheinlagen besteht.8 1. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen

24.50 Die Sacheinlagefähigkeit eines Unternehmens ist allgemein anerkannt9 und in § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG vorausgesetzt. Für jede Sachgründung gilt, dass der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sie sich bezieht, gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG im Gesellschaftsvertrag festgesetzt werden muss. Außerdem haben die Gesellschafter gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG in einem Sachgründungsbericht die für die An-

1 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.3.2017 – 14 U 3/14, BeckRS 2017, 105546 = GmbHR 2017, 913; dazu Arens, GWR 2017, 193; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2018, 655. 2 Vgl. Leuering/Rubner, NJW-Spezial, 2018, 655 (656). 3 Vgl. Arens, GWR 2017, 193 (195) m.w.N. 4 Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 68; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 56. 5 Vgl. BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685 (2686) (AG). 6 So etwa Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 65. 7 So etwa Strohn in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 GmbHG Rz. 229; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 738 BGB Rz. 56. 8 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 120 HGB Rz. 17; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 67. 9 Vgl. nur RG v. 26.1.1909 – VII 124/08, RGZ 70, 220 (223 f.); BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338 (342 f.); Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 5 GmbHG Rz. 101 ff.

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.51 § 24

gemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen wesentlichen Umstände darzulegen und beim Übergang eines Unternehmens auf die Gesellschaft die Jahresergebnisse der beiden letzten Geschäftsjahre anzugeben. Darüber hinaus sieht das Gesetz weitere Kautelen vor, um eine effektive Kapitalaufbringung sicherzustellen: Gemäß § 7 Abs. 3 GmbHG sind Sacheinlagen vor der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister so an die Gesellschaft zu bewirken, dass sie endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen. Beizufügen sind der Handelsregisteranmeldung bei Sacheinlagen nach § 8 Abs. 1 GmbHG die Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind, und der Sachgründungsbericht (Nr. 4) sowie Unterlagen darüber, dass der Wert der Sacheinlagen den Nennbetrag der dafür übernommenen Geschäftsanteile erreicht (Nr. 5).1 Anhand der eingereichten Unterlagen prüft das Registergericht, ob die Sacheinlagen ordnungsgemäß erbracht worden sind. Es hat die Eintragung der Gesellschaft nach § 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG abzulehnen, wenn die Sacheinlagen nicht unwesentlich überbewertet worden sind.2 Erreicht der Wert einer Sacheinlage im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister nicht den Nennbetrag des dafür übernommenen Geschäftsanteils, hat der Gesellschafter gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 GmbHG in Höhe des Fehlbetrags eine Einlage in Geld zu leisten (sog. Differenzhaftung). Ähnliche Vorschriften gelten für eine Sachkapitalerhöhung in der GmbH. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 GmbHG muss der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sie sich bezieht, im Beschluss über die Erhöhung des Stammkapitals festgesetzt werden. Ob es auch eines Sachkapitalerhöhungsberichts bedarf, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden.3 Die herrschende Lehre verneint dies, billigt dem Registergericht aber das Recht zu, entsprechende Darlegungen und die Nachreichung von Unterlagen zu verlangen.4 So soll das Gericht etwa bei der Einbringung von Unternehmen eine testierte Einbringungsbilanz verlangen können.5 Bleibt der Wert der Sacheinlage hinter dem Nennbetrag des dafür übernommenen Geschäftsanteils zurück, trifft den Übernehmer nach § 56 Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eine Differenzhaftung.

1 Dazu LG Freiburg v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106: „Wird bei Gründung einer GmbH eine Sacheinlage in Form der Einbringung von Gesellschaftsanteilen an einer werbenden Gesellschaft vereinbart, kann es nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG ausreichen, wenn die Bilanz der genannten Gesellschaft für ein Geschäftsjahr, die Gewinn- und Verlustrechnungen für mehrere Jahre und die Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers zum Wert der übernommenen Geschäftsanteile vorgelegt werden, die den Wert ausgehend von den über 3 Jahre erzielten durchschnittlichen Gewinnen anhand eines sog. vereinfachten Ertragswertverfahrens bestimmt.“ 2 Näher LG Freiburg v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106 (1107 f.); dazu Wachter, GmbHR 2009, 1108: „Als unbedenklich dürfte es daher anzusehen sein, wenn der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sich die Sacheinlage bezieht, deren gemeinen Wert um höchstens 20 % überschreitet“ unter Hinweis auf BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02 – Rz. 167 und 137, GmbHR 2007, 320 zur Erbschaft- und Schenkungsteuer. 3 Offenlassend BGH v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, NZG 2004, 910 (911) = GmbHR 2004, 1219 („zweifelhaft“). 4 Vgl. Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 56 GmbHG Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 56 GmbHG Rz. 7; Lieder in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 56 GmbHG Rz. 111 f. 5 Vgl. Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 57a GmbHG Rz. 10.

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24.51

§ 24 Rz. 24.52

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

2. Bewertung des eingebrachten Unternehmens

24.52 Die Bewertung einer Sacheinlage hat nach objektiven Kriterien zu erfolgen.1 Einen Freiraum der Gesellschaft(er) für Überbewertungen gibt es so wenig wie einen Beurteilungsspielraum für die mit der Sache befassten Sachverständigen.2 Maßgeblich ist die objektive Mehrung des Gesellschaftsvermögens der GmbH.3 Wie der objektive Wert eines Unternehmens bei einer Sachgründung oder Sachkapitalerhöhung bestimmt wird, ist im Gesetz allerdings nicht näher geregelt. Auch höchstrichterliche Rechtsprechung zum GmbH-Recht fehlt bislang. Für eine Sachkapitalerhöhung in der AG hatte der BGH im Jahre 1978 ausgesprochen, dass eine Ermittlung des Unternehmenswerts durch eine Verbindung von Substanz- und Ertragswert nicht zu beanstanden sei.4 Nach einem Urteil des OLG Düsseldorf aus dem Jahre 2011 ist für die Wertermittlung eingebrachter Aktien an einer nicht börsennotierten Gesellschaft von dem Ertragswertverfahren auszugehen.5 Dieses Urteil schlägt zugleich die Brücke zur Unternehmensbewertung bei der Abfindung außenstehender Aktionäre: „Selbst wenn sich dies aus den der aktienrechtlichen Differenzhaftung bei der Einbringung einer nicht vollwertigen Sacheinlage zugrunde liegenden Vorschriften nicht unmittelbar ergibt, besteht der Ansatzpunkt der Bewertung daher wie bei der Ermittlung der Abfindung des ausscheidenden Aktionärs in den Fällen der §§ 305 Abs. 1, 327a AktG auch bei der Bewertung einer Sacheinlage im Rahmen der Differenzhaftung letztlich nur in der Ermittlung eines angemessenen – in der Betriebswirtschaftslehre auch als ‚fair value‘ bezeichneten – Unternehmenswertes.“6 Die herrschende Lehre befürwortet ebenfalls eine Bewertung des eingebrachten Unternehmens nach der Ertragswertmethode zzgl. des Veräußerungswerts des nicht betriebsnotwendigen Vermögens.7 Geeignet sind aber auch die Discounted Cash Flow-Verfahren.8

1 Vgl. OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712; de la Paix in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, D.8 Rz. 14; Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 9 GmbHG Rz. 13; Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (492); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9 GmbHG Rz. 4; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 70; s. auch OLG Frankfurt v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, NZG 1999, 119 (121) = AG 1999, 231. 2 Vgl. Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 9 GmbHG Rz. 13; Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (492); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 5 GmbHG Rz. 24; A. Reuter, BB 2000, 2298 (2299); dezidiert auch OLG Düsseldorf v. 5.5.2011 – I-6 U 70/10, AG 2011, 823 (824): „Entgegen der Ansicht der Beklagten kann daher ein Bewertungs- oder Prognosespielraum des zuvor mit der Sache befassten Sachverständigen, wie er etwa bei einem Schiedsgutachten besteht, auch bei der Bewertung der Sacheinlage in einer Kapitalgesellschaft nicht anerkannt werden.“; abw. Urban in FS Sandrock, 1995, S. 305 (307 f.). 3 Vgl. Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (492); A. Reuter, BB 2000, 2298 (2299). 4 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, NJW 1978, 1316 (1318 f.) (insoweit nicht in BGHZ 71, 40) mit abgedruckt; s. auch OLG Frankfurt v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, NZG 1999, 119 (121) = AG 1999, 231. 5 So ausdrücklich OLG Düsseldorf v. 5.5.2011 – I-6 U 70/10, AG 2011, 823 (823 f.). 6 OLG Düsseldorf v. 5.5.2011 – I-6 U 70/10, AG 2011, 823 (824). 7 Vgl. Angermeyer, Die aktienrechtliche Prüfung von Sacheinlagen, 1994, S. 283 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 5 GmbHG Rz. 34; Schäfer in Henssler/Strohn, § 9 GmbHG Rz. 6; Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (764); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9 GmbHG Rz. 4; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 5 GmbHG Rz. 149; Roth in Roth/Altmeppen, § 9 GmbHG Rz. 3; Veil in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 5 GmbHG Rz. 57; Urban in FS Sandrock 1995, S. 305 (314 f.). 8 Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 5 GmbHG Rz. 34; s. auch LG Freiburg v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106.

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Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.55 § 24

Verbundvorteile durch Einbringung eines Unternehmens in die GmbH sind bei der Bewertung der Sacheinlage zu berücksichtigen,1 nicht aber Synergieeffekte, die bei einer anderen Konzerngesellschaft entstehen (dazu auch Rz. 16.71).2 Übersteigt der Liquidationswert den Ertragswert, ist nach herrschender Lehre der Liquidationswert anzusetzen.3 Ist die Fortführungsprognose des als Sacheinlage eingebrachten Unternehmens negativ, so muss das eingebrachte Vermögen für Zwecke der Differenzhaftung nach § 9 GmbHG zu Liquidationswerten angesetzt werden.4 Wenig diskutiert wird die Bedeutung zeitnah erzielter Marktpreise für ein als Sacheinlage in die GmbH eingebrachten Unternehmen.5

24.53

Die gleichen Bewertungsgrundsätze gelten, wenn als Sacheinlage kein Unternehmen, sondern Gesellschaftsanteile eingebracht werden.6

24.54

IV. Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung 1. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen Zu den zentralen Bausteinen der Gründerhaftung im GmbH-Recht gehört die sog. Vorbelas- 24.55 tungshaftung, die vom BGH im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden ist.7 Danach haften die Gesellschafter gegenüber der GmbH anteilig auf die volle Differenz, wenn das Gesellschaftsvermögen zum Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister hinter der Stammkapitalziffer zurückbleibt und sie der vorherigen Geschäftsaufnahme durch die Vor-GmbH zugestimmt haben.8 Zur Ermittlung einer etwaigen Vorbelastungshaftung ist auf den Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft eine sog. Vorbelastungsbilanz aufzustellen.9 Dabei handelt es sich nicht um eine Eröffnungs- oder Zwischenbilanz i.S.d. § 242 HGB, sondern um eine Vermögensbilanz mit zum Teil eigenständigen Ansatz- und Bewertungsgrundsätzen.10 Sie soll die wertmäßige Unversehrtheit des Stammkapitals im Eintragungszeit-

1 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9 GmbHG Rz. 4; A. Reuter, BB 2000, 2298 (2303 f.); begrenzt auf unechte Verbundvorteile de la Paix in Petersen/Zwirner, Handbuch Unternehmensbewertung, D.8 Rz. 15; Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (494); abw. Urban in FS Sandrock, 1995, S. 305 (314 f.). 2 Vgl. Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (493 f.); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9 GmbHG Rz. 4. 3 Vgl. Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (492); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 5 GmbHG Rz. 25 mit Fn. 6. 4 Vgl. Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (494). 5 Ansätze dazu bei Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489 (496 f.). 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.5.2011 – I-6 U 70/10, AG 2011, 823 (823 f.) (nicht börsennotierte AG); LG Freiburg v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106; Nestler, GWR 2014, 121 (122); Pataki, GmbHR 2003, 404; Roth in Roth/Altmeppen, § 5 GmbHG Rz. 49. 7 Grundlegend BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 (133 ff.) = GmbHR 1981, 114; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 (302 ff.) = GmbHR 1989, 74; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 (338) = GmbHR 1996, 279. 8 Eingehend Merkt in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 11 GmbHG Rz. 156 ff. 9 Vgl. BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 (286) = GmbHR 1994, 176; BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = GmbHR 1999, 31; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 (396 f.) = GmbHR 2006, 482. 10 Vgl. Winkeljohann/Hermesmeier in Winkeljohann/Förschle/Deibert, Sonderbilanzen, 5. Aufl. 2016, D 58; Merkt in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 11 GmbHG Rz. 164.

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§ 24 Rz. 24.55

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

punkt aufzeigen, indem sie das Nettovermögen der GmbH dokumentiert, oder über eine etwaige Unterdeckung informieren, die eine Vorbelastungshaftung auslöst.1 2. Bewertung einer unternehmerisch tätigen Organisationseinheit a) Rechtsprechung

24.56 Nach einem Urteil des BGH aus dem Jahre 1998 hat die Bewertung des Gesellschaftsvermögens in der Vorbelastungsbilanz nach der Ertragswertmethode zu erfolgen, wenn die Ingangsetzung der Vor-GmbH in der Zeit zwischen Aufnahme der Geschäftstätigkeit und Eintragung der Gesellschaft zu einer Organisationseinheit geführt hat, die als Unternehmen anzusehen ist, das über seine einzelnen Vermögensgegenstände hinaus einen eigenen Vermögensgegenstand repräsentiert.2 Auf künftige Erfolgschancen darf die Bewertung der Ertragskraft einer solchen unternehmerisch tätigen Organisationseinheit im Regelfall allerdings nur dann gestützt werden, wenn die Voraussetzungen für die Nutzung der Chancen am Bewertungsstichtag bereits im Ansatz geschaffen sind.3 Entschieden worden ist dies für eine VorGmbH, die vier Monate lang bis zu ihrer Eintragung in das Handelsregister eine Gaststätte betrieben hatte. Der BGH billigte die Berücksichtigung des Ertragswerts, rügte aber, dass der Sachverständige bei dessen Berechnung vom Abbau eines offensichtlichen Personalüberhangs ausgegangen war, obwohl diese Maßnahmen am Bewertungsstichtag noch nicht eingeleitet worden waren.4 Zwei weitere Urteile des BGH aus dem Jahre 2002 haben diese Rechtsprechung bestätigt.5

24.57 Das jüngste Urteil des BGH aus dem Jahre 2006 hat zu einer gewissen Akzentverschiebung geführt.6 Danach kommt die Berücksichtigung eines Unternehmenswerts in der Vorbelastungsbilanz nur noch unter wesentlich engeren Voraussetzungen in Betracht: „Im Rahmen der Ermittlung der Unterbilanzhaftung kann auch bei einem sog. ‚Start-up‘-Unternehmen von einer als bewertbares Unternehmen anzusehenden strukturierten Organisationseinheit während des Stadiums der Vor-GmbH nur in engen Ausnahmefällen und erst dann ausgegangen werden, wenn das von den Gründergesellschaftern verfolgte innovative Ge-

1 Vgl. Winkeljohann/Hermesmeier in Winkeljohann/Förschle/Deibert, Sonderbilanzen, 5. Aufl. 2016, D 58. 2 So die – etwas gewundene – Formulierung in BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = GmbHR 1999, 31 (Leitsatz 1) im Anschluss an Überlegungen von Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, 1987, S. 531 (536, 541 f.); ansatzweise schon Priester, ZIP 1982, 1141 (1143). 3 Vgl. BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = GmbHR 1999, 31 (Leitsatz 2). 4 Vgl. BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38 f.) = GmbHR 1999, 31; kritisch zu diesem Punkt Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (776); zustimmend aber Hennrichs, ZGR 1999, 837 (855). 5 Vgl. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, NZG 2002, 524 (525) = GmbHR 2002, 545, wo es um eine Vor-GmbH ging, die von ihrer Gründung im Dezember 1991 bis zu ihrer Eintragung im Oktober 1992 bereits geschäftlich tätig war und 30 Arbeitnehmer beschäftigte: „Das hätte dem Berufungsgericht Veranlassung zu der Prüfung der Frage geben müssen, ob die Vor-GmbH bereits als selbstständiges Unternehmen zu werten war.“; gleichsinnig BGH v. 18.3.2002 – II ZR 369/00, NZG 2002, 636 (637). 6 Für eine ähnliche Einschätzung Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875 (895); aus der Binnensicht des BGH auch Goette, DStR 2006, 714 (715).

784

Fleischer

Unternehmensbewertung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht

Rz. 24.59 § 24

schäftskonzept seine Bestätigung am Markt gefunden hat.“1 Ein solcher Sonderfall lag nach Auffassung des BGH im konkreten Fall nicht vor, weil sich sämtliche Aktivitäten des VorGmbH – wie Präsentationen des Unternehmenskonzepts und Bemühungen um Kooperationspartner – noch im Vorstadium werbender Tätigkeit bewegten und letztlich erst die Basis dafür schaffen sollten, dass in Zukunft das operative Geschäft aufgenommen werden konnte.2 Die erforderliche Bewährung des Geschäftsmodells anhand eines sog. Markttests stand damit noch aus.3 b) Rechtslehre In der Literatur ist die Berücksichtigung eines während der Gründungsphase geschaffenen originären Geschäfts- oder Firmenwerts wegen der Bewertungsunsicherheiten der Ertragswertmethode zum Teil heftig kritisiert worden.4 Vorgeschlagen wurde stattdessen, es bei einer „substanzorientierten Sichtweise“ zu belassen.5 Die herrschende Lehre hält dagegen mit Recht daran fest, dass die Ertragswertmethode auch bei einem im Aufbau befindlichen Unternehmen anzuwenden ist, wenn eine unternehmerisch tätige Organisationseinheit vorliegt.6 Hierfür spricht nicht zuletzt die Parallele zur Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage, deren Einlagewert ebenfalls mittels Unternehmensbewertung festgestellt wird (Rz. 24.59).7 Zudem wird durch eine Bewertung des Gesellschaftsvermögens nach der Ertragswertmethode verhindert, dass die Gesellschaftsgläubiger bei einer vorzeitigen Geschäftsaufnahme besser stehen, als wenn die GmbH ihre Geschäftstätigkeit erst mit der Eintragung begonnen hätte.8 Bei neuartigen Geschäftsideen mag man zur korrekten Risikoabbildung gegebenenfalls einen höheren Risikozuschlag ansetzen.9

24.58

Unterschiedlich beurteilt wird innerhalb der herrschenden Lehre lediglich, ob zur Wertermittlung ein gesonderter Geschäfts- oder Firmenwert in der Vorbelastungsbilanz anzusetzen ist10 oder ob Vorbelastungsbilanz und Ertragswertverfahren alternative Bewertungsverfahren dar-

24.59

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10

BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = GmbHR 2006, 482 (Leitsatz 1). Vgl. BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 (396 f.) = GmbHR 2006, 482. Vgl. BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 (397) = GmbHR 2006, 482. Vgl. namentlich Hennrichs, ZGR 1999, 837 (843 ff.); Wolf, StuB 1999, 412 (420); zuvor bereits Wolfsteiner in FS Helmrich, 1994, S. 755 (761 f.); stark einschränkend auch Winkeljohann/Hermesmeier in Winkeljohann/Förschle/Deibert, Sonderbilanzen, 5. Aufl. 2016, D 61. So Hennrichs, ZGR 1999, 837 (856). Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 11 GmbHG Rz. 64; Fleischer, GmbHR 1999, 752 (755 ff.); Ulmer/Habersack in Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 11 GmbHG Rz. 109; Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (773 ff.); Bayer in Lutter/Hommelhoff § 11 GmbHG Rz. 34; Luttermann/ Lingl, NZG 2006, 454 (455); Merkt in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 11 GmbHG Rz. 164; K. Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 11 GmbHG Rz. 144; einschränkend Weitemeyer, NZG 2006, 648 (650): Berücksichtigung des Ertragswerts nur, wenn Realisierung eines Formenwerts durch Veräußerung wahrscheinlich ist. Vgl. Fleischer, GmbHR 1999, 752 (757); Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (764 f.). Vgl. KG v. 14.2.1997 – 5 U 3967/96, GmbHR 1997, 1066 (1067); Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (765). Dafür Habersack/Lüssow, NZG 1999, 629 (634); ferner Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (774); allgemein auch Fleischer, GmbHR 1999, 752 (757); Weitemeyer, NZG 2006, 648 (650). So BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = AG 1999, 122; Fleischer, GmbHR 1999, 752 (755).

Fleischer 785

§ 24 Rz. 24.59

Vierter Teil: Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht

stellen.1 Im praktischen Ergebnis dürfte sich dieser Meinungsstreit relativieren;2 theoretisch spricht vieles dafür, dass eine Bewertung nach der Ertragswertmethode genügt.3 Fehlt es an einer unternehmerisch tätigen Organisationseinheit, bleibt es bei einer Einzelbewertung des Gesellschaftsvermögens mittels Vorbelastungsbilanz.4

1 Vgl. Winkeljohann/Hermesmeier in Winkeljohann/Förschle/Deibert, Sonderbilanzen, 5. Aufl. 2016, D 61; Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (770); K. Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 11 GmbHG Rz. 144; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, 1987, S. 536 (542). 2 Dazu bereits Fleischer, GmbHR 1999, 752 (755); ähnlich Hennrichs, ZGR 1999, 837 (844): „Das sind Fragen der Technik.“ 3 Überzeugend Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (770); abw. noch Fleischer, GmbHR 1999, 752 (755). 4 Vgl. Winkeljohann/Hermesmeier in Winkeljohann/Förschle/Deibert, Sonderbilanzen, 5. Aufl. 2016, D 61; Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (778).

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Fünfter Teil Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien- und Erbrecht § 25 Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht I. Schaden, Unternehmensbewertung und Schadensersatz . . . . . . . . II. Grundlagen des Schadensrechts . . 1. Anspruchsgrundlage und Höhe des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsberechtigung des Geschädigten – wer ist Gläubiger des Schadensersatzes? . . . . . . . . . . . 3. Schadensbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine gesetzliche Definition . . . b) Naturalrestitution oder Schadensersatz in Geld . . . . . . . c) Differenzhypothese und normativer Schadensbegriff . . . . d) Positives und negatives Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Totalreparation – unmittelbarer und mittelbarer Schaden . . . . . . f) Ersatz des entgangenen Gewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entgangener Gewinn als Vermögensschaden . . . . . . . bb) Beweis des entgangenen Gewinns – abstrakte vs. konkrete Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . cc) Wahrscheinlichkeit des entgangenen Gewinns . . . . g) Stichtage für die Schadensbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitlicher Rahmen des Schadensverlaufs . . . . . . . . bb) Verletztes Interesse und Informationsstichtag . . . . . cc) Entgangener Gewinn und Informationsstichtag . . . . . h) Dispositives Recht . . . . . . . . . . . III. Unternehmensbewertung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schadensberechnung durch Unternehmensbewertung . . . . . . . .

25.1 25.7 25.7 25.10 25.12 25.12 25.13 25.15 25.17 25.20 25.22 25.22

25.23 25.29 25.30 25.30 25.35 25.38 25.41 25.42 25.42

2. Subjektive Unternehmensbewertung zur Schadensermittlung . . . . . 3. Bewertungsverfahren zur subjektiven Unternehmensbewertung . . . . 4. Kaufpreise und Multiplikatorverfahren als Grundlage der Ermittlung des Schadensersatzes? . . . . . . . 5. Schaden am Unternehmenswert und Zielgruppe der Bewertung . . . . 6. Unternehmensbewertung in Abhängigkeit vom Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Direktes oder indirektes Verfahren . 8. Berechnungsweg des indirekten Verfahrens – entgangener Gewinn und entgangener Unternehmenswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Unternehmenswertschädigung als Vermögensschaden . . . . . . . . . . . 10. Einfluss des positiven und negativen Interesses auf Unternehmensplanung und Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Vergangenheitsanalyse . . . . . . . . . . . 12. Subjektive Unternehmensplanung . a) Intersubjektive Nachprüfbarkeit der Planung – Objektivierte Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wachstumsfaktoren und Unternehmensplanung . . . . . . . c) Planungszeitraum und Erkenntniszeitpunkt . . . . . . . . . d) Schädigungszeitraum – endliche oder unendliche Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . e) Szenarien und subjektive Wahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . f) Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . g) Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . . . h) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . .

25.46 25.51 25.54 25.60 25.62 25.65

25.68 25.71

25.72 25.75 25.77 25.77 25.80 25.82 25.84 25.87 25.89 25.93 25.95

Wollny 787

§ 25

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

13. Wahrscheinlicher Gewinn vs. Erwartungswert des Gewinns . . . . . 25.96 14. Subjektiver Kalkulationszinssatz . . . 25.98 a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . 25.98 b) Überprüfung des subjektiven Kalkulationszinssatzes . . . . . . . . 25.102 15. Stichtage zur Bewertung des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . 25.105

16. Vergleich von Teil-Unternehmenswerten oder Gesamt-Unternehmenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Abzinsung und Aufzinsung . . . . . . . 18. Kaufpreisanpassung bei culpa in contrahendo durch Täuschung . . . . 19. Exkurs Eigenkapitalgarantie . . . . . . 20. Schadensersatz und Steuern . . . . . .

25.117 25.118 25.120 25.127 25.128

Schrifttum: Baetge/Celik, Total Beta in der Unternehmensbewertung, in Tönnes (Hrsg.), FS Großfeld, 2019; Bamberg/Baur/Krapp, Statistik, 17. Aufl. 2012; Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015; Brösel/Wasmuth, Zur Anwendbarkeit der funktionalen Lehre bei Unternehmensbewertungen im Erkenntnisverfahren, in Tönnes (Hrsg.), FS Großfeld, 2019; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019; Creifelds, Rechtswörterbuch, 22. Aufl. 2017; Damodaran, Investment Valuation, 2012; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016; Duys/Henrich in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2010; Ekkenga/Kuntz in Soergel, 13. Aufl. 2014; Elsing/Kramer, Die Rolle des Unternehmenswertes bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes in post M&A-Streitigkeiten, in Tönnes (Hrsg.), FS Großfeld, 2019; Franken/Schulte, Multiplikatorbewertung, in IDW (Hrsg.) Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016; Gebhardt, Verfahren vor staatlichen Gerichten, in Hölters (Hrsg.), 9. Aufl. 2019; Giesen, Schadensschätzung bei Beeinträchtigung unternehmerischer Tätigkeit, in Festschrift für Wulf-Henning Roth, 2015; Gleißner, Preis ist nicht Wert und Bewertung nicht Preisschätzung – verdeutlicht an der Kritik am Total Beta, CF 2015, 167; Gleißner/Wolfrum, Eigenkapitalkosten und die Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen: Relevanz von Risikomaß und Diversifikationsgrad, FB 2008, 603; Graham/Buffet, Berkshire Hathaway Inc. Annual Reports 2008, S. 5; Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Delikts- und Schadensrecht, 2. Aufl. 2017; Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018; Hachmeister, Der Discounted Cash Flow als Maß der Unternehmenswertsteigerung, 1998; Halfpap, Der entgangene Gewinn, 1998; Hering, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2006; Hilgard, Berechnung des Schadens bei Verletzung einer Eigenkapitalgarantie beim Unternehmenskauf, BB 2013, 938; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 15. Aufl. 2017; Hübner, Schadensersatz wegen Täuschung beim Unternehmenskauf, BB, 2010; Hütte/Hütte, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2012; Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2015; Kniest, Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen, in Königsmaier/ Rabel (Hrsg.), FS Mandl, 2010; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003; Laux/Schabel, Subjektive Investitionsbewertung, Marktbewertung und Risikoteilung, 2009; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997; Marboe, Calculation of compensation and damages in international investment law, 2017; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2013; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994; Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf Unternehmensverkauf, 2003; Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Schultze, Methoden der Unternehmensbewertung, 2003; Semler in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2010; Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017; Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018, 94; Wächter/Wollny, Schadensersatz post M&A bei c.i.c. oder Delikt und Garantieverletzung, NZG 2019; Wasmuth, Funktionale Schadensbewertung, 2017; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018; Wollny, Wer den Schaden hat, muss für die Bewertung sorgen – Unternehmensbewertung zur Ermittlung von Schadensersatzansprüchen, DStR 2013, 2133; Wollny in Drygala/Wächter, Bilanzgarantien bei M&A-Transaktionen, 2015, S. 120; Wollny in Drygala/Wächter, Kaufpreisanpassungs- und Earnout-Klauseln, 2016; Wollny, „Führt der objektivierte Unternehmenswert zum Verkehrswert?“ – eine Begriffsbestimmung, BewP 2010; Wollny, Substanzwert reloaded – Renaissance eines wertlosen Bewertungsverfahrens (Teil I), DStR 2012, 718; Wollny, Der Bewertungsstichtag für Unternehmenswerte bei aktienrechtlichen Abfindungen, M&A-Transaktionen und Schadensersatz, DStR 2017, 955.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.4 § 25

I. Schaden, Unternehmensbewertung und Schadensersatz Wer ein Unternehmen beschädigt, hat Schadensersatz zu leisten.1 Die „Beschädigung“ kann 25.1 z.B. durch Rufschädigung, die Lieferung schadhafter Bauteile, die Zerstörung von Produktionsanlagen oder die Verletzung von Patentrechten erfolgen. Schadensersatzpflichtig macht sich auch ein Unternehmensverkäufer, wenn er falsche Vorstellungen über Eigenschaften des Unternehmens beim Käufer erzeugt. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes macht den Einsatz einer Unternehmensbewertung erforderlich, wenn der Schaden komplexe Folgen hat, die sich nicht auf einer isolierten Ebene identifizieren und quantifizieren lassen. Der Schaden am Unternehmen drückt sich in einem Schaden am Unternehmenswert aus. Der Begriff des „beschädigten Unternehmens“ wird nachfolgend als Sammelbegriff für all die untersuchten Situationen verwendet, bei denen es zu einer Schädigung des Unternehmenswertes oder der Vorstellung über diesen Unternehmenswert kommt, unabhängig davon, ob die Anteile am Unternehmen oder das Unternehmen betroffen sind. Die Besonderheit des Einsatzgebietes der Unternehmensbewertung für die Schadensberech- 25.2 nung liegt zunächst darin, dass, obwohl ein normengelenkter Bewertungsanlass vorliegt, nicht ein objektivierter, sondern ein subjektiver Unternehmenswert zu ermitteln ist. Dabei sind zur Schadensermittlung immer zwei Werte eines Unternehmens zu ermitteln. Zum einen der Wert des realen, d.h. geschädigten Unternehmens und zum anderen der Wert des hypothetischen Unternehmens, der vorliegen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Vergleich der beiden Unternehmenswerte zeigt die Werteinbuße bzw. die Vermögensminderung auf, die grundsätzlich durch den zum Schadensersatz verpflichteten Schädiger auszugleichen ist. Der Vergleich von Unternehmenswerten zur Schadensermittlung kann aber nicht nur bei einer Beschädigung des Unternehmens erforderlich werden, sondern auch dann, wenn gegenüber dem Unternehmenskäufer über das Unternehmen unzutreffende Angaben gemacht wurden, also getäuscht wurde (culpa in contrahendo durch Täuschung), und der Unternehmenskäufer deshalb einen überhöhten Kaufpreis für die Beteiligung am Unternehmen oder dessen Betriebsvermögen gezahlt hat. Beschädigt wurde in dieser Fallkonstellation nicht das Unternehmen, sondern das Vermögen des Unternehmenskäufers. Um seinen Schaden zu ermitteln, ist zu klären, welchen Kaufpreis er gezahlt hätte, wenn er auf zutreffender Informationsgrundlage einen Unternehmenswert ermittelt hätte. Die Problematik ist hier gegenüber dem oben genannten Fall komplexer, da sich an die Ermittlung der Unternehmenswertdifferenz noch eine wie auch immer geartete Anpassung des Kaufpreises anschließt.

25.3

Wird vom Unternehmensverkäufer über eine Eigenschaft des Unternehmens nicht getäuscht, sondern die Garantie über diese Eigenschaft nicht eingehalten, besteht der Schaden ebenso auf der Ebene des Unternehmenskäufers und der Schadensersatz ist, wie im Falle der culpa in contrahendo durch Täuschung, anhand der Unternehmenswertdifferenz zu ermitteln. Der Perspektivenwechsel, weg von der fiktiven Entscheidung einer Kaufpreisbemessung bei veränderten Verhältnissen, hin zur nachträglichen Beurteilung einer nicht eingehaltenen Garan-

25.4

1 „Wenn jemand in einem Acker oder Weinberg Schaden anrichtet, weil er sein Vieh das Feldeines andern abweiden lässt, so soll er’s mit dem Besten seines Ackers und Weinberges erstatten“, Luther Bibel 1912, 2. Buch Mose Kapitel 22, S. 4; die Bücher Mose wurden im 5. Jahrhundert vor Christus verfasst.

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§ 25 Rz. 25.4

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

tie, führt nicht nur zur Ermittlung einer verhältnismäßigen Kaufpreisanpassung, sondern einer vollständigen Kompensation in Höhe der Unternehmenswertdifferenz.1

25.5 Der Einsatz der Unternehmensbewertung im Schadensrecht führt zu Fragestellungen, die den Umfang der Schadenswirkung, die Planung des realen und hypothetischen Unternehmens, den berücksichtigungsfähigen Umfang des Schadens, die Differenzierung zwischen der Schädigung des Unternehmenswerts und des Anteilswerts, die Definition des Bewertungsstichtages, unterschiedliche Informationsstichtage, die Bestimmung der zu bewertenden Zahlungsströme, die Wahl des Bewertungsverfahrens, die Ermittlung des Kalkulationszinssatzes und ganz allgemein, die Festlegung der Grenzen der Subjektivität betreffen. Die Ausführungen in den Rz. 25.42 ff. versuchen die Antworten auf diese Fragestellungen zu liefern.

25.6 Um Antworten zu den Fragen der normengelenkten Schadensberechnung geben zu können, ist zunächst u.a. zu klären, welcher Umfang des Schadensersatzes durch das Gesetz geregelt ist, welchen Einfluss die jeweiligen Schadenskategorien auf die Berechnung des Schadensersatzes haben, welche Erkenntniszeitpunkte zu berücksichtigen sind und wer Gläubiger des Schadensersatzanspruchs ist. Diese juristischen Fragestellungen werden als Grundlage in den folgenden Rz. 25.7 bis 25.41 behandelt.

II. Grundlagen des Schadensrechts 1. Anspruchsgrundlage und Höhe des Schadensersatzes

25.7 Das Schadensersatzrecht kodifiziert in den §§ 249 bis 254 BGB nicht, ob jemand einen Schadensersatzanspruch hat, sondern setzt diesen Anspruch voraus.2 Die Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz findet sich somit nicht in den §§ 249 bis 254 BGB, sondern im Vertragsrecht oder Deliktsrecht. Hier wird geregelt, ob ein schädigendes Ereignis dem Grunde nach zum Schadensersatz berechtigt und eine Haftungsbegründung vorliegt.3 Die §§ 249 bis 254 BGB, auch als Schadensrecht bezeichnet4, regeln ausschließlich den Umfang und die Art und Weise des Schadensersatzes und damit die Haftungsausfüllung. Ziel des Schadensersatzes ist, dass der Geschädigte so gestellt wird, wie er ohne das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis stehen würde.5 Damit ist ein Zustand hypothetischer Schadensfreiheit herzustellen.6

25.8 Die schadensrechtlichen Normen zur Bestimmung des Schadensersatzumfangs sind unabhängig davon anzuwenden, ob sich die Anspruchsgrundlage z.B. aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten § 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 und Abs. 3, § 280 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo durch Täuschung7), der Verletzung von vertraglichen Ansprüchen § 280 Abs. 1, § 281

1 Elsing/Kramer, Die Rolle des Unternehmenswertes bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes in post M&A-Streitigkeiten, in FS Großfeld, 2019, S. 116. 2 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 4. 3 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 1 Rz. 1. 4 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 11 und 12; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 3. 5 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, S. 377, § 31 Rz. 13. 6 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 3. 7 Die c.i.c. durch Täuschung umfasst alle Einwirkungsmöglichkeiten der einen Verhandlungspartei auf die Rechts- und Interessenssphäre der anderen Verhandlungspartei. Daraus ergeben sich Obhutspflichten, Aufklärungs- und Informationspflichten, sowie generell die Pflicht zu loyalem Verhalten gegenüber der anderen Verhandlungspartei. Kern der c.i.c. durch Täuschung ist jedoch die

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.11 § 25

Abs. 1, § 437 Nr. 3 BGB (z.B. Garantieverletzung) oder aus unerlaubter Handlung §§ 823 ff. BGB (Deliktsrecht) oder aus Anspruchsgrundlagen außerhalb des BGB ergibt.1 Nicht einschlägig sind die Normen des Schadensrechts für die Bestimmung der Abfindung aus einer Enteignung Art. 14 GG.2 Schadensersatzansprüche setzen eine rechtswidrige Rechtsgutverletzung voraus. Abfindungen sind dagegen die Folge von Maßnahmen, die auf der Grundlage vertraglicher oder gesetzlicher und damit zulässiger Regelungen vollzogen werden. Die §§ 249 bis 254 BGB stellen die normative Grundlage für eine rechtsgeleitete Unternehmensbewertung dar, wenn es um die Bemessung des Schadens an einem Unternehmen bzw. Unternehmenswert geht. Die nachfolgend untersuchte Fragestellung lautet somit nicht „ob“, sondern „wieviel“.

25.9

2. Anspruchsberechtigung des Geschädigten – wer ist Gläubiger des Schadensersatzes? Der Schadensersatz soll (nur) dem Geschädigten ein Surrogat für seinen Verlust gewähren.3 Zu unterscheiden sind demnach der unmittelbar Geschädigte, dem ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht und der ggf. nur mittelbar Geschädigte, dem dieser Anspruch versagt bleibt.4 Diese Beschränkung des Kreises der Ersatzberechtigten, auf der Grundlage des Dogmas vom Gläubigerinteresse, lässt sich nicht aus § 249 BGB ableiten, aber aus § 251 BGB, in dem auf den zu entschädigenden Gläubiger abgestellt wird.5 Im Schadensrecht gilt damit eine strenge Bindung der Ersatzberechtigung an die Person des Gläubigers, der damit Bewertungssubjekt ist. Dies dient der Risikobegrenzung für den Schuldner. Bedeutung gewinnt dieser Themenkomplex, wenn zwischen dem Schaden des Unternehmers i.S.d. § 14 BGB und dem Schaden des Gesellschafters zu unterscheiden ist (s. dazu Rz. 25.60 ff.).

25.10

Gemäß § 14 BGB ist Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft6, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Unternehmer treten damit in der rechtlichen Organisation als Einzelunternehmer, Personenhandelsgesellschaft oder Kapitalgesellschaft auf. Das vom Unternehmer in Verfolgung seiner gewerblichen Tätigkeit eingesetzte Vermögen stellt als organisatorischer Verbund das Unternehmen dar.

25.11

1 2 3 4 5 6

Informationspflichtverletzung bei Vertragsverhandlungen. Siehe Emmerich in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 311 BGB Rz. 50, Rz. 64. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 2; Schiemann in Staudinger, 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 6. Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 3, Rz. 10; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 5. Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 3. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 285. Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 49. OHG § 124 HGB oder KG § 161 HGB sind keine juristischen Personen, aber Träger von Rechten und Pflichten und insbesondere Träger des Gesellschaftsvermögens, Roth in Baumbach/Hopt, 38. Aufl. 2018, § 124 HGB Rz. 1 und 2.

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§ 25 Rz. 25.12

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

3. Schadensbegriffe a) Keine gesetzliche Definition

25.12 Der Begriff des Schadens wird im Gesetz nicht definiert.1 Damit bleibt das Gesetz die Antwort schuldig, was ein Schaden ist. Der natürliche Schadensbegriff, der auf dem allgemeinen Sprachgebrauch beruht, versteht unter dem Schaden jede unfreiwillige Vermögenseinbuße an materiellen und immateriellen Gütern, in Folge eines bestimmten Ereignisses.2 Eine auf das Interesse fokussierte Definition beschreibt den Schaden als Beeinträchtigung eines vermögensmäßigen oder ideellen Interesses.3 Der Ersatz des Schadens hat aber in jedem Fall die Folgen des haftungsbegründenden Ereignisses zu neutralisieren. Die Differenzhypothese greift die Formulierung in § 249 Abs. 1 BGB auf und definiert den Schaden als Differenz zwischen einem realen und einem hypothetischen Rechtsgüterstand.4 Damit wird nicht nur der Schaden bestimmt, sondern auch dessen Höhe. b) Naturalrestitution oder Schadensersatz in Geld

25.13 Das Schadensrecht geht vorrangig von einer Entschädigung durch Naturalrestitution oder Naturalherstellung5, also einer Entschädigung in natura aus.6 Dieser Weg erscheint dem Gesetzgeber als praktikabel. „Zwangsverkäufe“ auf Grundlage einer Entschädigung in Geld sollen so verhindert werden.7 Ein Schadensersatz in Geld, d.h. eine Wertentschädigung, ist damit nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen der §§ 250, 251 und 253 BGB möglich, es sei denn die Vertragspartner haben vertraglich einen Schadensersatz in Geld vereinbart.8 Als Naturalrestitution gilt, neben dem zentralen Ziel der Reparatur, auch die Beschaffung einer Ersatzsache.9

25.14 Die Naturalrestitution ist nicht auf körperliche Dinge beschränkt, sondern umfasst auch die Herstellung von Rechtslagen. So gilt auch die Änderung von Verträgen, der Rücktritt vom Vertrag oder die Rückerstattung eines zu viel gezahlten Kaufpreises im Rahmen der culpa in contrahendo durch Täuschung als Naturalrestitution.10 Der Ersatz des entgangenen Gewinns stellt dagegen immer eine Wertentschädigung in Geld dar.11

1 Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Delikts- und Schadensrecht, 2. Aufl. 2017, S. 154, Rz. 532; Brand, Schadensersatzrecht, 2010, S. 5, Rz. 1; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 2. 2 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 5, Rz. 1; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 379. 3 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 16; Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.13. 4 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 18 und Rz. 19. 5 Wächter verwendet den Begriff der Naturalherstellung, Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.7. 6 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 21, Rz. 38; s. Wächter, der den Begriff Naturalherstellung verwendet, Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.60. 7 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 21, Rz. 38. 8 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.75. 9 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.61. 10 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.63 und Rz. 12.116. 11 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.69.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.17 § 25

c) Differenzhypothese und normativer Schadensbegriff Kommt die Differenzhypothese zur Anwendung, wird die Kompensationsebene der Naturalrestitution verlassen.1 Die in § 249 Abs. 1 BGB formulierte Differenzhypothese zielt durch einen Rechtsgütervergleich darauf ab, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht passiert. Die Differenz bzw. der Schaden wird durch den Vergleich der realen Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage des Geschädigten ermittelt.2 Der Vergleich der Vermögenslagen zielt von vornherein auf eine Wertdifferenz ab, die durch Entschädigung in Geld zu kompensieren ist.3 Die reale Lage stellt dabei den aktuellen Bestand an materiellen und immateriellen Gütern des Geschädigten dar, der sich unter Berücksichtigung des schadensstiftenden Ereignisses eingestellt hat. Die hypothetische Lage stellt den Bestand an materiellen und immateriellen Gütern des Geschädigten dar, der aktuell bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Die Ermittlung der Vermögensveränderung setzt zum einen eine Kausalitätsbetrachtung voraus, denn es sollen nur die Veränderungen Berücksichtigung finden, für die das schädigende Ereignis conditio sine qua non war.4 Zum anderen ist der Umfang der materiellen und immateriellen Güter zu bestimmen, die in diesen Rechtsgütervergleich einbezogen werden.

25.15

Hier setzt eine Kritik an der Differenzhypothese an. Die Differenzhypothese gebe keine Kriterien dafür an die Hand, welche Positionen in den Vergleich einzubeziehen sind.5 Deshalb sei es unerlässlich, dass diese „kühle Rechnung“ anhand eines normativen Schadensbegriffes um Wertungen ergänzt wird, um zu vermeiden, dass der Geschädigte ohne sachlichen Grund Nachteile erleidet oder Vorteile erhält.6 Der BGH formuliert: „Die Differenzhypothese muß nämlich stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt.“7 Im Ergebnis führt dies zu einem dualistischen Schadensbegriff.8 Die Kritik an der Differenzhypothese, wonach keine Antwort auf die Frage nach dem Umfang der in den Vergleich einzubeziehenden Positionen gegeben wird, trifft auch für den Schaden am Unternehmen zu. Das wird deutlich, wenn in den Schaden auch wegfallende Synergievorteile bei dem erwerbenden Unternehmen einzubeziehen sind. Der Umfang der in den Vergleich der Differenzhypothese einzubeziehenden Positionen ist in diesem Fall nicht durch das Vermögen des Zielunternehmens (s. dazu Rz. 25.60 ff.) beschränkt.

25.16

d) Positives und negatives Interesse Der Schadensersatz und damit die Kompensation des verletzten Interesses soll den Geschädigten so stellen, wie er stünde, wenn sich der Schädiger ordnungsgemäß verhalten hätte. Positives Interesse und negatives Interesse sind Unterbegriffe des Interesses und präzisieren, welches Interesse verletzt worden ist.9 Das negative Interesse wird auch als Vertrauensinteresse10 oder 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.76. BGH v. 21.12.2004 – VI ZR 306/03, juris Rz. 16. Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.76. Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Delikts- und Schadensrecht, 2. Aufl. 2017, S. 155, Rz. 539. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 21; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 381. Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 8, Rz. 10; s. auch Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 23. BGH v. 21.12.2004 – VI ZR 306/03, juris Rz. 16. Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 249 BGB Rz. 14. Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.3. Creifelds, Rechtswörterbuch, 22. Aufl. 2017, Schadensersatz, S. 1140, 2b).

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25.17

§ 25 Rz. 25.17

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Vertrauensschaden1 oder Bestandsinteresse2 oder Integritätsinteresse3 bezeichnet, im Zusammenhang mit dessen Berechnung wird vom Restvertrauensschaden4 gesprochen. Das positive Interesse wird auch als Erfüllungsinteresse5 oder Erfüllungsschaden6 oder Leistungsinteresse7 bezeichnet. Die Verwendung des Begriffspaares positives Interesse und negatives Interesse erfolgt in der Literatur nicht einheitlich. Nach einer weiten Auslegung lassen sich damit Schadensersatzansprüche nicht nur aus Vertrag, sondern auch aus Delikt klassifizieren.8 Dafür spricht das Synonym Bestandsinteresse, welches auch durch deliktische Eingriffe verletzt werden kann. Der deliktische Eingriff verletzt danach das negative Interesse. Nach einer engen Auslegung soll das Begriffspaar nur auf Schadensersatzansprüche aus Vertrag Anwendung finden, da das Leistungsinteresse einen Vertrag voraussetzt und das negative Interesse, als Gegenbegriff, an diese Voraussetzung gebunden ist.9

25.18 Ob ein Schadensersatzanspruch auf das positive oder negative Interesse abzielt, wird durch die haftungsbegründende Norm und deren Schutzzweck bestimmt.10 Auf Basis dieser Differenzierung wird auch die Schadensberechnung bestimmt. D.h., je nach Inhalt der verletzten Norm folgen unterschiedlich ausgestaltete Schadensersatzansprüche. Diese Normen gehen den §§ 249 ff. BGB und der Differenzhypothese vor.11 Greift der Schädiger in einen vorhandenen Bestand an Rechtsgütern oder Vermögen ein, so liegt eine Verletzung des Bestandsinteresses oder negativen Interesses vor.12 Wird ein Leistungsversprechen nicht erfüllt, wird das Leistungsinteresse oder positive Interesse verletzt.13 Für die Anwendung der §§ 249 ff. BGB ist es ohne Bedeutung, ob der Schädiger auf das positive oder das negative Interesse haftet.14

25.19 Die dargestellte Differenzierung in das positive oder negative Interesse bzw. in vertragliche und deliktische Ansprüche sagt nichts darüber aus, ob der sich daraus ergebende Schadensersatz auch den entgangenen Gewinn umfasst.15 Vielmehr gilt, dass alle kausalen Folgen des haftungsbegründenden Ereignisses auszugleichen sind. Damit kann ein entgangener Gewinn Teil des Schadensersatzes beim zu ersetzenden positiven wie auch negativen Interesse sein.16 Anders formuliert ist aus dem Umstand, dass ein Ersatz des entgangenen Gewinns gewährt

1 Elsing/Kramer, Die Rolle des Unternehmenswertes bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes in post M&A-Streitigkeiten, in FS Großfeld, 2019, S. 113. 2 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.13. 3 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.110. 4 BGH 19.5.2006 – V ZR 264/05, NJW 2006, 3139. 5 Creifelds Rechtswörterbuch, 22. Aufl. 2017, Schadensersatz, S. 1140, 2b). 6 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 37. Aufl. 2013, S. 323, Rz. 8; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 382. 7 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.13. 8 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.41. 9 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 11, Rz. 15; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 130. 10 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 11, Rz. 15; Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.13. 11 Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 383. 12 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.13. 13 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.13. 14 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 3. 15 Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.15. 16 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 4; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 7.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.22 § 25

wird, kein Rückschluss darauf möglich, ob der Schadensfall die Kategorie positives oder negatives Interesse betrifft. e) Totalreparation – unmittelbarer und mittelbarer Schaden Der unmittelbare oder direkte Schaden ist der, welcher am verletzten Rechtsgut oder Recht entsteht. Dieser Schaden wird deshalb auch als Verletzungsschaden bezeichnet.1 Der mittelbare oder indirekte Schaden umfasst die sonstigen Einbußen, die auch als Folgeschaden beschrieben werden.2 Bei der Berechnung des Schadens ist somit zu berücksichtigen, ob das schadensstiftende Ereignis beim Geschädigten zusätzlich noch eine Vergrößerung des Vermögens verhindert hat.3

25.20

Die sich z.B. aus der Sachbeschädigung an der Produktionsanlage eines Unternehmens ergebenden Reparaturkosten stellen den unmittelbaren Schaden dar. Die sich während der Reparaturphase ergebenden Produktionsausfälle führen zu entgangenem Gewinn und stellen den mittelbaren Schaden oder Folgeschaden dar. Nach dem Grundsatz der Totalreparation sind unmittelbare Schäden und mittelbare Schäden gleichermaßen zu ersetzen.4 Der Schadensersatz wird damit ohne Differenzierung nach dem Grad der Verkettung mit dem schädigenden Ereignis gewährt.5

25.21

f) Ersatz des entgangenen Gewinns aa) Entgangener Gewinn als Vermögensschaden Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der Schädiger bei dem Geschädigten den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hat das schadensstiftende Ereignis dazu geführt, dass beim Geschädigten eine Vergrößerung des Vermögens verhindert wurde – weil erwartete Gewinne nicht gemacht wurden – ist durch Ersatz des entgangenen Gewinns der von § 249 Abs. 1 BGB geforderte Zustand herzustellen.6 Auch der entgangene Gewinn stellt damit einen – wenn nicht sogar den entscheidenden7 – Vermögensschaden dar, obwohl dieser Gewinn zum Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses noch nicht zum Vermögen des Geschädigten gehörte, ihm diese Gewinne aber ohne das schädigende Ereignis zugeflossen wären.8 Erreicht wird dies, indem für den Vergleich durch die Differenzhypothese nicht auf den Zeitpunkt des Schadens, sondern den aktuellen Zeitpunkt der Beurteilung des Schadens abgestellt wird.

1 2 3 4 5 6 7

Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 44. Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 384. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 37. Aufl. 2013, S. 353, Rz. 15. Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 384. Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 43. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 37. Aufl. 2013, S. 353, Rz. 15. Wächter/Wollny, Schadensersatz post M&A bei c.i.c. oder Delikt und Garantieverletzung, NZG 2019, 801. 8 Hütte/Hütte, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2012, S. 358, Rz. 932; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 9. Aufl. 2016, S. 440; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 1.

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25.22

§ 25 Rz. 25.23

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

bb) Beweis des entgangenen Gewinns – abstrakte vs. konkrete Schadensberechnung

25.23 Die Klarstellung in § 252 Satz 1 BGB, dass der entgangene Gewinn zu ersetzen ist, wird nach herrschender Meinung nicht als rechtliche Grundlage zum Ersatz des entgangenen Gewinns betrachtet, da dieser schon gem. § 249 Abs. 1 BGB ersatzfähig ist.1 Die besondere Bedeutung des § 252 BGB ergibt sich vielmehr aus § 252 Satz 2 BGB, der eine Beweiserleichterung – allerdings nur für den Geschädigten – darstellt.2 Eine Beweiserleichterung wird für den Ersatz des entgangenen Gewinns als erforderlich angesehen, da sich der Beweis einer Prognose zukünftiger Entwicklungen als schwierig gestalten kann. § 252 Satz 2 BGB wird deshalb als „… Mahnung an den Richter …“3 verstanden, die Beweiserfordernisse gering zu halten.4 Hinsichtlich der Beweislage und Erstattungsfähigkeit des entgangenen Gewinns ist damit wie folgt zu differenzieren.

25.24 Auch ein unwahrscheinlicher entgangener Gewinn ist gem. § 249 Abs. 1, § 252 Satz 1 BGB zu ersetzen, wenn dem Geschädigten der Beweis im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO gelingt.5 Begrenzt ist die Ersatzfähigkeit dieses unwahrscheinlichen entgangenen Gewinns durch die Adäquanztheorie. Damit ist ein Schaden und in diesem Falle der entgangene Gewinn dann nicht ersatzfähig, wenn er außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt.6

25.25 Für den wahrscheinlichen Gewinn gilt die Beweiserleichterung durch die Typisierung7, die § 252 Satz 2 BGB formuliert.8 Es genügt damit die bloße Wahrscheinlichkeit des entgangenen Gewinns, ohne dass dieser zu beweisen wäre. Nachzuweisen sind aber die Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen, aus denen sich die Vermutung des § 252 Satz 2 BGB ableiten lässt.9 D.h. erforderlich ist der Nachweis der Voraussetzungen, bei deren Vorliegen nach dem „gewöhnlichen Lauf der Dinge“ oder den „besonderen Umständen“ und „getroffenen Anstalten und Vorkehrungen“ mit Wahrscheinlichkeit der Gewinn eintritt.10 Der Nachweis der Ausgangsbzw. Anknüpfungstatsachen für die Anwendung des § 252 Satz 2 BGB ist in den Grenzen des § 287 Abs. 1 ZPO zu führen. Ist dieser Nachweis geführt, kann die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts beurteilt werden.11 Was als Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen bewiesen werden muss und was als gewöhnlicher Lauf der Dinge gilt und nicht bewiesen werden muss, bleibt der Entscheidung des Tatrichters vorbehalten.12

1 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 1. 2 BGH v. 24.4.2012 – XI ZR 360/11, juris Rz. 13; BGH v. 24.4.1979 – VI ZR 204/76, juris Rz. 14; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 45; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 4. 3 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 18. 4 BGH v. 12.1.2016 – VI ZR 491/14, juris Rz. 18. 5 Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 252 BGB Rz. 4; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 4. 6 BGH v. 15.6.1983 – IVa ZR 209/81, juris Rz. 12; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 249 BGB Rz. 12, 13, 15 und 16. 7 Die Ebene des subjektiven Schadens wird durch diese abstrakte Schadensberechnung, die auf einen Typus abzielt, verlassen. Siehe Halfpap, Der entgangene Gewinn, 1998, S. 65. 8 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 21. 9 BGH v. 23.2.2010 – VI ZR 331/08, juris Rz. 13. 10 OLG Braunschweig v. 11.5.2018 – 9 U 18/17, juris Rz. 41. 11 BGH v. 8.5.2018 – VI ZR 295/17, juris Rz. 37; BGH v. 16.7.2015 – IX ZR 197/14, juris Rz. 49; BGH v. 24.4.2012 – XI ZR 360/11, juris Rz. 13; BGH v. 17.12.1963 – V ZR 186/61, juris Rz. 11. 12 BGH v. 17.12.1963 – V ZR 186/61, juris Rz. 14.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.29 § 25

Ob die Beurteilung anhand des gewöhnlichen Laufs der Dinge i.S.d. § 252 Satz 2 BGB eine abstrakte Schadensberechnung darstellt, wird in der Literatur nicht einheitlich beurteilt.1 Ebenso wenig herrscht Einigkeit dazu, ob die abstrakte Schadensberechnung nur von Kaufleuten in Anspruch genommen werden kann.2 Die abstrakte Schadensberechnung ist auf marktgängige Güter beschränkt.3 Der BGH folgt der Linie, § 252 Satz 2 BGB als abstrakte Schadensberechnung zu qualifizieren. Der Nachweis einer konkreten Berechnung des zu ersetzenden entgangenen Gewinns ist damit nicht verbunden.

25.26

Die abstrakte Schadensberechnung steht dem Geschädigten als Alternative zur konkreten Schadensberechnung offen, um ihm die Möglichkeit zu geben, auf die Offenlegung von Geschäftsinterna wie die Namen von Kunden und Lieferanten bzw. Kalkulationen zu verzichten.4 Grundsätzlich kann der Schaden anhand einer konkreten Schadensberechnung, d.h. unter Verwendung der Differenzhypothese, nachgewiesen werden.5 Für eine konkrete Schadensberechnung kann § 287 Abs. 1 ZPO in Anspruch genommen werden.6

25.27

§ 252 Satz 2 BGB, als Beweiserleichterung für eine abstrakte Schadensberechnung, steht damit neben § 287 Abs. 1 ZPO, der die Beweiserleichterung für die konkrete Schadensberechnung regelt.

25.28

cc) Wahrscheinlichkeit des entgangenen Gewinns Gemäß § 252 Satz 2 BGB gilt der Gewinn als „entgangen“, der „mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte“. Die im Gesetz formulierte Betrachtungsperspektive ist damit eine doppelte. Zum einen soll der Gewinn entgangen sein. Wenn ein Umstand nicht eingetreten ist, etwa in der Gestalt eines Gewinns, der „entgangen“ ist, dann kann dies nur im Rückblick beurteilt werden. Der Zeitpunkt hierfür ist, wie erwähnt, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Gleichzeitig wird der Gewinn mit „Wahrscheinlichkeit erwartet“, womit eine Erwartungshaltung in Kombination mit einer erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit vorausgesetzt wird, die nur aus einer Prognoseperspektive denkbar ist. Danach ist für die Entstehung und die Höhe der entgangenen Gewinne eine Prognose für den einschlägigen Zeitraum zwischen Schadensereignis und letzter mündlicher Verhandlung vorzunehmen und dabei der Kenntnisstand zu verwenden, der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorlag. Da für den in Rede stehenden Zeitraum eine hypothetische Situation des nicht geschädigten Unternehmens unterstellt wird, führt das Gesetz das Wahrscheinlichkeitsmaß „mit Wahrscheinlichkeit“ ein. Dieser Hinweis kann z.B. so verstanden werden, dass für das Eintreten dieser Gewinnsituation mehr dafür als dagegen sprechen soll.7 D.h., die Eintrittswahrscheinlichkeit muss größer 50 % sein.8 Dies ist jedoch nicht als starre Vorgabe in dem Sinne zu 1 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 45; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 21, 22 und 23; Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 252 BGB Rz. 6; Giesen in FS Roth, 2015, S. 167 f. 2 Ablehnend Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 47 und Rz. 48. 3 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 47 und Rz. 48. 4 Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 281 BGB Rz. 30; BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 64. 5 Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 281 BGB Rz. 25, Rz. 30; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 41; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, vor § 281 BGB Rz. 39. 6 BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 67 und Rz. 68. 7 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 31; a.A. Halfpap, Der entgangene Gewinn, 1998, S. 129. 8 BGH v. 27.9.2001 – IX ZR 281/00, juris Rz. 15.

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25.29

§ 25 Rz. 25.29

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

verstehen, dass für den Fall, dass dieser Nachweis nicht geführt werden kann, kein entgangener Gewinn zuzugestehen wäre.1 g) Stichtage für die Schadensbestimmung aa) Zeitlicher Rahmen des Schadensverlaufs

25.30 Der Schadensersatzanspruch entsteht eine logische Sekunde nach dem Eintritt des schadensstiftenden Ereignisses. Dies ist die reale Situation, in der sich der Schadensumfang und die Schadenshöhe zunächst manifestieren.2 Das schadensstiftende Ereignis definiert den Ausgangspunkt der Schadensanalyse. Die vertragliche Anspruchsgrundlage, etwa der Unternehmenskaufvertrag, ist ggf. zeitlich vorgelagert.

25.31 Im Rahmen der Totalreparation sind auch die Schäden zu kompensieren, die als Folgewirkung des schadensstiftenden Ereignisses im weiteren zeitlichen Verlauf entstehen, wie etwa entgehende Gewinne.3 Der Umstand der Berücksichtigung von Folgeschäden und der Umstand, dass zwischen Schadensereignis und dem Zeitpunkt des Schadensersatzes zwangsläufig eine mehr oder weniger lange Zeitphase liegt, führt zu zwei weiteren schadensrechtlich relevanten Zeitpunkten. Dem Zeitpunkt der materiell-rechtlichen Schadensermittlung und dem prozessual maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Schadenshöhe.4

25.32 Materiell-rechtlich ist für die Berechnung des Schadens der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Schädiger seine Schadensersatzpflicht erfüllt.5 Prozessual wird zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über die Höhe der Schadensersatzpflicht und damit den Erfüllungsbetrag entschieden.6 Die reale Lage des Schadens, ausgehend vom Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses, ist deshalb hinsichtlich möglicher Veränderungen der Schadenshöhe bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu verfolgen.7

25.33 Ist zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits absehbar, dass sich, auf Basis einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO, der Schaden bis zum Zeitpunkt der Erfüllung noch verändern wird, dann kann dies im Urteil berücksichtigt werden, muss es aber nicht.8 Allerdings wird auch die Meinung vertreten, dass dann, wenn der Geschädigte in einem gem. § 287 Abs. 1 ZPO genügenden Maße zur weiteren Schadensentwicklung vorgetragen hat, die Schadensbestimmung in der letzten mündlichen Verhandlung dies auch zu berücksichtigen hat.9

25.34 Eine Wirkung des Zeitpunkts der Schadensbestimmung im Rahmen der letzten mündlichen Verhandlung besteht somit darin, dass die weitere Entwicklung der Schadenshöhe ab diesem Zeitpunkt unter Umständen in dem anhängigen Verfahren unberücksichtigt bleibt.10 Mate1 BGH v. 26.7.2005 – X ZR 134/04, juris Rz. 15. 2 Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Delikts- und Schadensrecht, 2. Aufl. 2017, S. 154, Rz. 534. 3 Das Gesetz spricht von dem entgangenen Gewinn und verweist damit auf eine Rückschau. Siehe dazu auch Rz. 25.29. 4 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 310. 5 Brand, Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2015, S. 8, Rz. 9; BGH v. 7.11.1996 – VII ZR 23/95, juris Rz. 10. 6 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 317. 7 BGH v. 23.1.1981 – V ZR 200/79, juris Rz. 27. 8 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 317; Ekkenga/Kuntz in Soergel, 13. Aufl. 2014, Vor § 249 BGB Rz. 405 bis 408. 9 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 79. 10 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 318.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.38 § 25

riell-rechtliche Bedeutung hat das nicht. Treten nach der letzten mündlichen Verhandlung weitere, noch nicht kompensierte Schäden auf, können diese in einem neuen Verfahren geltend gemacht werden.1 Der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn entgangener Gewinn und damit ein auf das Schadensereignis nachfolgender weiterfressender Schaden zu beurteilen ist. bb) Verletztes Interesse und Informationsstichtag Die bisherigen Ausführungen zu relevanten Stichtagen geben noch keine Auskunft über die Erkenntnisperspektive, die für die Schadensberechnung einzunehmen ist. D.h. bis zu welchem Zeitpunkt sind Informationen kausal verursacht bzw. erkennbar, damit sie zur Schadensberechnung genutzt werden dürfen.2 Für die Verletzung des positiven Interesses aus Garantieverletzung und für die Verletzung des negativen Interesses aus Delikt, ist jeweils die letzte mündliche Verhandlung der Zeitpunkt, zu dem der entstandene Schaden und der Schadensersatz beurteilt werden kann.3 Dabei geht es um den bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Schaden und darüber hinaus, um die Beurteilung des ab diesem Zeitpunkt erwartungsgemäß noch entstehenden Schadens. Alle im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung verfügbaren Informationen sind zur Beurteilung des Gesamtschadens heranzuziehen. Die letzte mündliche Verhandlung legt den Informationsstichtag fest.

25.35

Beim Verschulden im Rahmen der Vertragsanbahnung, der culpa in contrahendo durch Täuschung, ist das negative Interesse zu ersetzen. Der Geschädigte hat Anspruch auf die Anpassung des Kaufpreises auf das Niveau, welches er ohne die Täuschung bezahlt hätte. Die Erkenntnisperspektive ist damit nicht die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern diejenige des Käufers bei Vertragsunterzeichnung, wenn über die Verhältnisse des Unternehmens nicht getäuscht worden wäre. Nur der zu diesem Zeitpunkt verfügbare Kenntnisstand ist für die Bemessung des Schadensersatzes heranzuziehen.4

25.36

Wird der Informationsstichtag im Kontext der Art des verletzten Interesses untersucht, gilt Folgendes. Nur bei Verletzung des positiven Interesses folgt daraus ein eindeutig bestimmter Informationsstichtag. Bei der Verletzung des negativen Interesses bestimmt sich der Informationsstichtag nach der Art des Schadensersatzanspruchs.

25.37

cc) Entgangener Gewinn und Informationsstichtag Eine Prognose zum Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses anzustellen, wie sich der entgehende Gewinn in der Zukunft entwickeln wird, führt zu den üblichen Prognoseproblemen. Das Gesetz stellt auf den „entgangenen“ Gewinn ab, welcher „erwartet“ werden konnte. Diese Formulierung eröffnet Interpretationsspielräume, aus welchem Kenntnisstand heraus der Umfang des nicht erzielten Gewinns beurteilt werden soll. Die herrschende Meinung legt „korrigierend“ den Prognosezeitpunkt und damit Wissensstand mit dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung fest.5

1 Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Delikts- und Schadensrecht, 2. Aufl. 2017, S. 154, Rz. 534. 2 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 174. 3 BGH v. 2.4.2001 – II ZR 331/99, juris Rz. 15; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 41. 4 BGH v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, juris Rz. 19. 5 Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 19; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 37. Aufl. 2013, S. 354, Rz. 17.

Wollny 799

25.38

§ 25 Rz. 25.39

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

25.39 Damit ist es irrelevant, ob zum Zeitpunkt des Schadensereignisses eine Chance bestand, dass „zukünftig“ Gewinne erwirtschaftet werden können.1 Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist festzustellen, ob ggf. auch erst nach dem Zeitpunkt des Schadensereignisses die Wahrscheinlichkeit bestand, dass Gewinne eingetreten wären, hätte es das Schadensereignis nicht gegeben.2 Das können sogar Gewinne sein, die aus der Perspektive des Schadenseintritts zunächst nicht zu erwarten waren.3 Dabei können auch Maßnahmen des Geschädigten Berücksichtigung finden, die dieser erst nach dem Eintritt des Schadensereignisses ergriffen hat, allerdings nur dann, wenn die Maßnahmen nicht nur darauf gerichtet sind, höheren Schadensersatz zu erreichen.4 Auf der anderen Seite sind Gewinne dann nicht zu ersetzen, wenn diese zwar zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zu erwarten waren, sich aus dem Kenntnisstand der letzten mündlichen Verhandlung aber ableiten lässt, dass sich diese Gewinnchancen nicht verwirklicht hätten.5

25.40 Wird der Informationsstichtag im Kontext mit dem Anspruch auf entgangenen Gewinn untersucht, gilt Folgendes. Im Fall des deliktischen Eingriffs und im Fall der Garantieverletzung umfasst der Anspruch auf Schadensersatz auch den entgangenen Gewinn. In beiden Fällen bestimmt sich der Informationsstichtag durch den Tag der letzten mündlichen Verhandlung. Bei der culpa in contrahendo durch Täuschung besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns.6 Informationsstichtag und Bewertungsstichtag sind identisch und sind durch den Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung definiert. Der Zeitpunkt des Informationsstichtags steht insofern im Zusammenhang mit dem Bestehen eines Anspruchs auf entgangenen Gewinn. h) Dispositives Recht

25.41 Die Regelungen zur Bestimmung des Umfangs des Schadensersatzes in den §§ 249 ff. BGB sind dispositives Recht. Im Rahmen eines Vertrages kann der Schadensersatz damit nach den Vereinbarungen zwischen den Parteien geregelt werden und diese Vereinbarungen können von den §§ 249 ff. BGB abweichen.7 In Verträgen kann der Ersatz des Folge- oder mittelbaren Schadens in Form des entgangenen Gewinns somit auch abbedungen werden, womit nur der unmittelbare Schaden zu ersetzen ist oder ein pauschalierter Schadensersatz vereinbart werden.8 Ebenso ist vertraglich regelbar, ob ein Schadensersatz auf der Ebene des Gesellschafters oder der Gesellschaft festgestellt werden soll.9 Die Unternehmensbewertung zur Bestimmung des Schadens am Unternehmen hat sich nach diesen Vereinbarungen zu richten. Für den Fall der vorsätzlichen Täuschung gilt nach § 276 Abs. 3 BGB nicht die vertragliche Regelung zum 1 2 3 4 5 6

Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 6. BGH v. 17.12.1963 – V ZR 186/61, juris Rz. 11. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 42. BGH v. 24.4.1979 – VI ZR 204/76, juris Rz. 14 und Rz. 15. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 43. Im Falle der culpa in contrahendo durch Täuschung besteht ein Anspruch auf den entgangenen Gewinn nur hinsichtlich einer Alternativinvestition, die nicht wahrgenommen werden konnte, weil die zum Schadensersatz führend Investition gewählt wurde; BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 64; BGH v. 15.11.2011 – VI ZR 4/11, juris Rz. 10; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, § 252 BGB Rz. 7; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 129; Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.117. 7 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 6. 8 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 2; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 15. Aufl. 2017, Rz. 1181; s. auch Rz. 25.20 ff. 9 Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 15. Aufl. 2017, Rz. 923.

800

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.44 § 25

Schadensersatz, sondern das gesetzliche Schadensrecht §§ 249 ff. BGB kommt für die Ermittlung des Schadensersatzes wieder zum Tragen.1

III. Unternehmensbewertung und Schadensersatz 1. Schadensberechnung durch Unternehmensbewertung Unternehmensbewertungen, als indirekter Verfahrensweg, werden dann für eine Schadens- 25.42 ermittlung zum Einsatz kommen, wenn der Nachweis über einen Schaden am Unternehmenswert geführt werden soll, der auf komplexe Zusammenhänge zurückzuführen ist. Der Nachweis für einen entgangenen Gewinn erschöpft sich für diesen Fall nicht in einer Darstellung von Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen, sondern die Unternehmensbewertung ist als konkrete Schadensberechnung zu verstehen, mit der der individuelle Schaden unter Rückgriff auf die Differenzhypothese und im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO nachgewiesen wird.2 Die konkrete Schadensberechnung stellt die Regel dar.3 Das Schadensrecht differenziert bei der Anwendung einer Unternehmensbewertung zur 25.43 Schadensermittlung nach börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen (zur Bewertung anhand des Börsenkurses s. § 18). Ein Schaden an börsennotierten Anteilen wird auf der Grundlage des Börsenkurses beurteilt und nicht anhand eines ermittelten Unternehmenswertes.4 Entscheidend ist der Stichtagskurs5 und kein Drei-Monats-Durchschnitt.6 Die Mindestwertrechtsprechung, die im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen ergangen ist7, kann somit nicht auf schadensrechtliche Bewertungen übertragen werden.8 Abweichungen vom Informationsstichtag „letzte mündliche Verhandlung“, als relevantem Tag der Erhebung von Kapitalmarktdaten, ergeben sich abhängig vom konkreten Schadensfall.9 Der Grundsatz der Bewertung zum Börsenkurs erfährt auch im Schadensrecht eine Einschränkung, wenn sich aufgrund der Höhe der Beteiligung an der börsennotierten Gesellschaft Paketzuschläge bzw. Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsstrategie begründen lassen.10 Zur Bewertung des Schadens an solchen Aktienpaketen ist meines Erachtens auch bei börsennotierten Aktien zwangsläufig auf eine Unternehmensbewertung zurückzugreifen. Nichts anderes kann gelten, wenn Geschädigter die börsennotierte Aktiengesellschaft selbst ist und nicht ein Aktionär. Als Grundsatz ist festzuhalten, dass eine Unternehmensbewertung im Schadensrecht grundsätzlich nur bei nicht börsennotierten Unternehmen ohne weitere Einschränkungen zur Anwendung kommt. Die Besonderheit bei der Berechnung des Schadens am Unternehmen ist die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns. Entgegen der Kompensation z.B. für einen verbrannten Picas1 Zur Garantieverletzung siehe Elsing/Kramer, Die Rolle des Unternehmenswertes bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes in post M&A-Streitigkeiten, in FS Großfeld, 2019, S. 112. 2 Zur Thematik der abstrakten Schadensberechnung s. Rz. 25.23 ff. 3 BGH v. 12.1.2016 – VI ZR 491/14, juris Rz. 20; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, S. 353. 4 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, AG 1995, 368 = juris Rz. 63; Ekkenga/Kuntz in Soergel, 13. Aufl. 2014, § 252 BGB Rz. 57. 5 LG München I v. 22.2.2011 – 33 O 9550/07, juris Rz. 159. 6 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana, AG 2001, 417 = juris Rz. 24. 7 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94. 8 LG München I v. 22.2.2011 – 33 O 9550/07, juris Rz. 159. 9 LG München I v. 22.2.2011 – 33 O 9550/07, juris Rz. 163. 10 LG München I v. 22.2.2011 – 33 O 9550/07, juris Rz. 159.

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25.44

§ 25 Rz. 25.44

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

so1, die zum Gegenwartswert und ohne Berücksichtigung möglicher künftiger Wertsteigerungen erfolgt, erfordert die Schadensberechnung bei Unternehmenswertschäden die Betrachtung von Zeiträumen. Wird der Schaden in der letzten mündlichen Verhandlung berechnet, ist der vergangene Zeitraum entgangener Gewinne ab dem Schadensereignis ebenso in die Berechnung einzubeziehen, wie die Prognose zukünftig noch entgehender Gewinne. Was unter dem Zeitpunkt der Berechnung zu verstehen ist, bedarf deshalb einer Klärung (s. dazu Rz. 25.105).

25.45 Wird das Unternehmen im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrages nicht vertragsgemäß „geliefert“, ist der Rücktritt vom Kaufvertrag regelmäßig keine glückliche Lösung, da hiermit im Rahmen des „großen Schadensersatzes“ eine Rückgabe des Unternehmens einhergeht.2 Unternehmen unterliegen aber einem steten Entwicklungs- und Veränderungsprozess, weswegen in der Praxis das Recht des Käufers auf Rückgabe meist ausgeschlossen wird.3 Für die Fragen der Bemessung des Schadensersatzes wird nachfolgend deshalb vom „kleinen Schadensersatz“, d.h. der Quantifizierung des Mangelschadens ausgegangen.4 2. Subjektive Unternehmensbewertung zur Schadensermittlung

25.46 Im Schadensrecht ist der unmittelbar Geschädigte der Anspruchsberechtigte und Gläubiger. Er ist in Verfolgung des Ziels einer Totalreparation in einen hypothetisch schadensfreien Zustand zu versetzen. D.h. bei der Auswahl an subjektiven Unternehmenswerten, die der Schädiger (z.B. Unternehmensverkäufer) und der Geschädigte (z.B. Unternehmenskäufer) ermittelt hatten, ist auf die Position des Geschädigten abzustellen.5 Um „seinen“ Schaden zu ermitteln liegt es somit nahe, dass die Unternehmenswerte des realen und hypothetischen Unternehmens als subjektive Unternehmenswerte für den Geschädigten zu ermitteln sind.6 Der schadensrechtliche Bewertungsfall stellt insofern eine Besonderheit normenbasierter Bewertungen dar, da diese in aller Regel nach dem Bewertungskonzept des objektivierten Unternehmenswertes vorgenommen werden.7 Der BGH formuliert zur Subjektivität des Schadensersatzanspuchs:

25.47 „Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen.“8

1 Beispiel s. Ekkenga/Kuntz in Soergel, 13. Aufl. 2014, Vor § 249 BGB S. 50, Fn. 136. 2 Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf Unternehmensverkauf, 2003, S. 276, Rz. 57. 3 Siehe z.B. BGH v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, juris Rz. 18; Semler in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2010, S. 800, Rz. 253. 4 Semler in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2010, S. 785, Rz. 210. 5 BGH v. 20.12.2016 – VI ZR 612/15, juris Rz. 9 und 12. 6 Wollny, Wer den Schaden hat, muss für die Bewertung sorgen – Unternehmensbewertung zur Ermittlung von Schadensersatzansprüchen, DStR 2013, 2133; Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018, 94. 7 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 71 ff.; OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I 26 W 4/17 (AktE), AG 2019, 92 = juris Rz. 36. 8 BGH v. 21.12.2004 – VI ZR 206/03, juris Rz. 16; s. entsprechend BGH v. 29.2.1984 – IVaZR 188/82, juris Rz. 21; BGH v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, juris Rz. 28 und Rz. 29; BGH v. 28.10.2014 – VI ZR 15/14, juris Rz. 18; BGH v. 20.12.2016 – VI ZR 612/15, juris Rz. 9.

802

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.49 § 25

Subjektive Unternehmenswerte sind entscheidend von den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Bewertungssubjekts und den verfügbaren Alternativen geprägt.1 Die Fähigkeiten und Möglichkeiten spiegeln sich in der Unternehmensplanung des Geschädigten wieder.2 Stehen dem Geschädigten allerdings aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Konstellation gar keine Möglichkeiten offen, um Einfluss auf die Geschäftspolitik zu nehmen, dann wird eine objektivierte Betrachtung zwangsläufig in den Vordergrund treten.3 Der subjektive Aspekt der Bewertung kann sich in diesem Fall nur noch auf die Ableitung des Kalkulationszinssatzes beziehen. Das Investitionsumfeld4 bzw. die Investitionsalternativen, die dem Bewertungssubjekt offenstehen, bestimmen den für ihn relevanten individuellen Kalkulationszinssatz.5 Die Bewertungslogik subjektiver Unternehmenswerte deckt sich somit mit den Zielen des Schadensrechts, den individuellen Schaden zu kompensieren. Danach ist der subjektbezogene Wert eines Vermögensgegenstandes, der sich aus den besonderen Fähigkeiten zur Nutzung dieses Vermögensgegenstandes durch den Geschädigten ableitet, als zu entschädigender Vermögenswert zu berücksichtigen, auch wenn dieser den für jedermann verfügbaren Marktwert übersteigt.6 Der Ermittlung eines subjektiven Unternehmenswertes steht die Verwendung des IDW S1 nicht im Wege, da IDW S1 ganz allgemein Empfehlungen zur Ermittlung von Unternehmenswerten formuliert und dabei nach objektivierten und subjektiven Werten unterscheidet, wobei letztere zugestandenermaßen nur am Rande thematisiert werden.7

25.48

Bei der Ermittlung des Schadensersatzes auf der Grundlage einer rechtsgeleiteten bzw. normativen Unternehmensbewertung ist es erforderlich, dass die Ermittlung der subjektiven Unternehmenswerte intersubjektiv nachprüfbar ist. Das ist ein entscheidender Unterschied zu der Situation, wo subjektive Unternehmenswerte üblicherweise zum Einsatz kommen, nämlich als Entscheidungswerte bei M&A-Vorhaben. Subjektive Unternehmenswerte stellen beim Unternehmenskauf grundsätzlich ein gut gehütetes Geheimnis des Investors dar. Der subjektive Unternehmenswert ist hier als Entscheidungswert bzw. Grenzpreis bzw. Maximalpreis (nur) die Grundlage, von der aus Argumente vorgetragen werden, die einen geringeren Kaufpreis, den Argumentationswert, zum Ziel haben.8 Im Schadensersatzfall müssen diese Informationen zur Bewertung und ggf. Kaufpreisbildung gegenüber dem Gericht bzw. dem Schadensersatzverpflichteten zwangsläufig offengelegt und die relevanten Entscheidungswerte detailliert erläutert werden. Der subjektive Unternehmenswert im Schadensrecht muss deshalb einer faktenbasierten Analyse zugänglich sein. Die subjektive Unternehmensbewertung bewegt sich damit im Spannungsfeld der individuellen Möglichkeiten, Ziele, Pläne und Hoffnungen des Geschädigten und der Notwendigkeit, diese individuell geprägten Optionen einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Für diese Prüfung ist die abgeschwächte Beweiserfordernis des § 287 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legen.

25.49

1 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994, S. 104. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 49. 3 Wollny in Drygala/Wächter, Bilanzgarantien bei M&A-Transaktionen, 2015, S. 120; BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, juris Rz. 59 und 60. 4 Börsennotierte Unternehmen haben sich an den Renditeforderungen der Aktionäre zu orientieren. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 123. 6 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 25. 7 IDW S1 bei subjektiven Werten ablehnend, Brösel/Wasmuth, Zur Anwendbarkeit der funktionalen Lehre bei Unternehmensbewertungen im Erkenntnisverfahren, in FS Großfeld, 2019, S. 64. 8 Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2013, S. 622.

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§ 25 Rz. 25.50

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

25.50 Die zielorientierte Analyse der Angaben des Geschädigten zu seinem Unternehmenswert und Schaden erfordert einen Beurteilungsmaßstab. Im Ergebnis kann subjektive Bewertung nicht so verstanden werden, das jeder Einschätzung des Geschädigten zu folgen wäre, da diese seiner subjektiven Sichtweise entspringt.1 D.h. das Gericht wird jedweden Fehler des Geschädigten hinsichtlich Annahmen, Verfahrenswahl, Berechnung und Schlussfolgerung korrigieren, da zwar der subjektive Schaden ermittelt werden soll, dieser aber auch richtig zu ermitteln ist. Der Hinweis, die Lösung hierfür bestehe in der funktionalen Bewertungslehre und der theoretischen Trennung zwischen Entscheidungswerten und Argumentationswerten schafft zwar Problembewusstsein, löst aber nicht das Nachweisproblem.2 3. Bewertungsverfahren zur subjektiven Unternehmensbewertung

25.51 Ertragswertverfahren sind konzeptionell individualistische Bewertungsverfahren (s. dazu Rz. 2.11 und Rz. 4.33).3 Ihre originäre Zielstellung ist die Ermittlung von Entscheidungswerten bzw. Grenzpreisen und damit von subjektiven Unternehmenswerten.4 Damit sind Ertragswertverfahren für die Ermittlung von Schadensersatzansprüchen in hohem Maße geeignet.5

25.52 Eine Kombination des Ertragswertverfahrens mit den regulatorischen Vorgaben des IDW S 1 zur Informationsabgrenzung (Stichtag, Investitionen bzw. Desinvestitionen, Synergien)6 und der marktmäßig objektivierten Berechnung des Kalkulationszinssatzes anhand des Capital Asset Pricing Model (CAPM bzw. Tax-CAPM), machen das entscheidungswertorientierte Ertragswertverfahren zu einem Bewertungsverfahren für objektivierte Unternehmenswerte und damit Markt- bzw. Verkehrswerte.7 Ein Unterschied des Ertragswertverfahrens dieser Prägung gegenüber Discounted Cashflow-Verfahren, deren Ziel die Ermittlung von Marktwerten ist8, besteht dann nicht mehr.9 Objektivierte Unternehmenswerte, ob anhand eines marktmäßig objektivierten Ertragswertes oder anhand eines Discounted Cashflow-Verfahrens ermittelt, sind somit für die Berechnung von individuellen Schadensersatzansprüchen grund-

1 Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018, 91; Wächter/Wollny, Schadensersatz post M&A bei c.i.c. oder Delikt und Garantieverletzung, NZG 2019, 802; Hübner, Schadensersatz wegen Täuschung beim Unternehmenskauf, BB 2010, 1489. 2 Siehe zu dem Vorschlag Wasmuth, Funktionale Schadensbewertung, 2017, S. 69. Zum Nachweisproblem siehe bereits Drukarczyk, Zum Problem der angemessenen Barabfindung bei zwangsweise ausscheidenden Anteilseignern, AG 1973, 357 f. 3 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 235. 4 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 9; Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016, S. 8. 5 Zur Verwendung bei internationalen Schadensersatzverfahren s. Marboe, Calculation of compensation and damages in international investment law, 2017, S. 41, Rz. 2.120. 6 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 23, 32 und 34. 7 Wollny, „Führt der objektivierte Unternehmenswert zum Verkehrswert?“ – eine Begriffsbestimmung, BewP 2010, 15 f.; WP-Handbuch, Band II, 2008, S. 45, Rz. 139 und S. 103, Rz. 284. 8 Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997, S. 285; Hachmeister, Der Discounted Cash Flow als Maß der Unternehmenswertsteigerung, 1998, S. 285; Hering, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2006, S. 153. 9 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016, S. 230; IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 101 und 124.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.56 § 25

sätzlich nicht geeignet, da sie Marktwerte ermitteln, die für jedermann Gültigkeit haben sollen.1 Marktwerte für jedermann sind aber nicht identisch mit subjektiven Grenzpreisen.2 Liquidationswertverfahren können situationsabhängig zur Ermittlung eines Mindestwertes 25.53 im Rahmen der Kaufpreisanpassung sinnvoll zum Einsatz kommen (s. Rz. 25.125). Auch Substanzwerte können grundsätzlich subjektiv ermittelt werden.3 Substanzwertverfahren haben jedoch keinen Bezug zur Intention unternehmerischen Handelns, mit Unternehmen Gewinne zu erwirtschaften.4 Damit sind sie für die Ermittlung von Schadensersatzansprüchen, die bei Unternehmenswertschäden ganz wesentlich auf den entgangenen Gewinn abzielen, ungeeignet. 4. Kaufpreise und Multiplikatorverfahren als Grundlage der Ermittlung des Schadensersatzes? Unternehmenskaufverträge enthalten häufig Hinweise darauf, wie der Kaufpreis des Unternehmens- bzw. der Beteiligung vom Käufer bestimmt wurde. Hierbei kommen regelmäßig Multiplikatorverfahren auf der Basis EBITDA oder EBIT zur Anwendung. Der verwendete Multiplikator wird entweder ausdrücklich genannt oder kann aus dem vereinbarten Kaufpreis ermittelt werden. Im Schadensersatzfall aufgrund einer Unternehmenswertschädigung stellt sich die Frage, ob der Schaden ebenfalls anhand einer Multiplikatorbewertung bestimmt werden kann.

25.54

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Multiplikatorverfahren keine Wertermittlung anstreben, sondern die Bestimmung eines Kaufpreises.5 Dabei werden grundsätzlich Marktinformationen über gezahlte Unternehmenskaufpreise auf das zu bepreisende Zielunternehmen übertragen. Die verfügbaren Marktinformationen zeichnen sich regelmäßig durch hohe Intransparenz aus. D.h. im Idealfall wird der Kaufpreis einer Transaktion im Markt bekannt, die Beweggründe der Parteien für diese Preissetzung, mögliche Nebenvereinbarungen oder strategische Ziele der Beteiligten bleiben im Dunkeln. Der Umstand, dass der im Markt identifizierte Preis für ein Unternehmen der gleichen Branche wie dem des Zielunternehmens bezahlt wurde, besagt somit noch nicht, ob dieser Preis tatsächlich sinnvoll zur Bepreisung des Zielunternehmens herangezogen werden kann.

25.55

Im einfachsten Fall verwendet der Käufer, ohne Bezug zu konkreten Transaktionen, einen „üblichen“ Multiplikator von 4 bis 7 mal EBIT. Der Berechnungsgang unterstellt eine unendliche Rente in Form der zum Ansatz kommenden EBIT-Größe.6 Der Ursprung des zum Ansatz kommenden Multiplikators wird von den Parteien nicht hinterfragt. Der Verkäufer ist nicht an den Berechnungen des Käufers interessiert, sondern nur an der letztlich erzielbaren Kaufpreishöhe. Für den Verkäufer ist der Verhandlungsansatz somit denkbar einfach

25.56

1 Siehe auch Marboe, Calculation of compensation and damages in international investment law, 2. Aufl. 2017, S. 40, Rz. 2.119. 2 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016, S. 10; Hering, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2006, S. 153. 3 Wollny, Substanzwert reloaded – Renaissance eines wertlosen Bewertungsverfahrens (Teil I), DStR 2012, 718; IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 172 i.V.m. Rz. 17. 4 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 171. 5 Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997, S. 43. 6 Multiplikatoren können durch die Division 1/Multiplikator in einen Kalkulationszinssatz überführt werden, womit die Multiplikator-Bewertung eine verkappte Rentenbarwertberechnung darstellt.

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§ 25 Rz. 25.56

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

konzipiert, je mehr, umso besser. Die Interessen des Käufers verlaufen diametral dazu und Erkenntnisse der Due Diligence führen nicht nur zu angepassten EBIT- oder EBITDA-Werten, sondern werden herangezogen, um gegenüber dem Verkäufer zusätzlich eine Absenkung des ursprünglich angebotenen Multiplikators durchzusetzen. Insofern ist der zwischen den Parteien vorgenommene Austausch von Rahmenparametern zur Multiplikatorbewertung nicht als Bewertungsmaßnahme, sondern als taktisches Manöver zur Kaufpreisverhandlung zu verstehen. Offen bleibt, inwieweit die Parteien parallel dazu Unternehmensbewertungen vornehmen, um die Zielrichtung der Multiplikatorbepreisung zu steuern. Hinweise dazu ergeben sich zuweilen aus Schriftsätzen und Anlagen, die dem Gutachter im Streitfall zur Verfügung gestellt werden.

25.57 Die im Rahmen der Multiplikatorbewertung verwendete einwertige Größe Umsatz, EBITDA, EBIT oder Jahresüberschuss sollte eine nachhaltige Größe sein. Ob sich in einer einwertigen Größe Wachstumsentwicklungen realistisch abbilden lassen, wird hier in Abrede gestellt. Der Käufer wird regelmäßig darauf dringen, eine aktuelle Größe als Grundlage der Multiplikatorbewertung zu verwenden. Inwiefern der Verkäufer hier Aufschläge durchsetzen kann, ist eine Machtfrage. Aber bereits die Eindimensionalität des Berechnungsganges, weit entfernt von der komplexen Unternehmensdarstellung in einem Gesamtbewertungsverfahren zeigt, dass eine Multiplikatorbewertung keine Grundlage für die Abbildung der vielschichtigen schadensrechtlichen Problemstellungen darstellen kann.

25.58 Die von den Parteien vorgenommene Multiplikatorbewertung und Preisvereinbarung treffen keine Aussage darüber, welche Wertvorstellungen die Parteien mit dem Unternehmen verbunden haben.1 Insbesondere für die Käuferseite ist es leicht nachvollziehbar, dass die Chancen einer erfolgreichen Wertentwicklung beim Zielunternehmen nicht vorab eins zu eins an den Verkäufer bezahlt werden sollen. D.h., zwischen der Preisbildung anhand der Multiplikatorbewertung und einer bei den Parteien anhand der Unternehmensbewertung gebildeten Wertvorstellung muss ein Unterschied bestehen, wenn rationales Verhalten unterstellt wird. Werte und Preise stellen unterschiedliche Kategorien dar und dürfen nicht gleichgesetzt werden.2 Es gilt: „Price is what you pay, value is what you get.“3

25.59 Multiplikatorverfahren sind somit keine Bewertungsverfahren. Sie ermitteln weder objektivierte Unternehmenswerte noch subjektive Entscheidungswerte. Das Ziel von Multiplikatorverfahren besteht in der Ableitung eines überschlägigen fiktiven Marktpreises.4 Vom Anspruchsniveau eines individuellen Grenzpreiskalküls sind sie weit entfernt.5 Multiplikatorbewertungen sind damit vollkommen ungeeignet, um im schadensrechtlichen Verfahren zum Einsatz zu kommen. 5. Schaden am Unternehmenswert und Zielgruppe der Bewertung

25.60 In den Fällen der culpa in contrahendo durch Täuschung und der Garantieverletzung ist Geschädigter und damit Anspruchsberechtigter der Gesellschafter als Käufer von Gesellschafts-

1 2 3 4

Laux/Schabel, Subjektive Investitionsbewertung, Marktbewertung und Risikoteilung, 2009, S. 48. Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, 2008, S. 7. Graham/Buffet, Berkshire Hathaway Inc. Annual Reports 2008, S. 5. Franken/Schulte, Multiplikatorbewertung, in IDW (Hrsg.) Bewertung und Transaktionsberatung, 2018, S. 350, Rz. 35. 5 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016, S. 10.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.64 § 25

anteilen bzw. Unternehmen.1 Bei einem deliktischen Eingriff in das Unternehmen ist zunächst zu fragen, wer Unternehmer bzw. Eigentümer des Unternehmens ist, welches geschädigt wurde. Bei Einzelunternehmern wird steuerlich zwischen einer betrieblichen und einer privaten Vermögenssphäre unterschieden. Eigentümer des Betriebsvermögens und damit des Unternehmens ist unmittelbar der Einzelunternehmer als natürliche Person. Personenhandelsgesellschaften sind rechtsfähig gem. § 124 HGB und damit Eigentümer des Unternehmensvermögens. Gleiches gilt für Kapitalgesellschaften, etwa für die GmbH gem. § 13 Abs. 1 GmbHG. Wird ein Unternehmen im Sinne des bilanzierten und nicht bilanzierten Unternehmensvermögens (z.B. originärer Geschäftswert) durch einen deliktischen Eingriff beschädigt, dann sind in den genannten Fällen der Einzelunternehmer, die Personengesellschaft oder die Kapitalgesellschaft als Unternehmer bzw. Rechtsträger2 Geschädigte und damit Anspruchsberechtigte. Eine Bewertung der Einflüsse des schadensstiftenden Ereignisses auf der Ebene des Gesellschafters wäre in diesem Falle verfehlt, da dieser nur mittelbar Geschädigter ist.3 Diese Zusammenhänge zwischen Gesellschafter, Unternehmer und Unternehmen sind in den Kontext der Schadensermittlung durch das Verfahren der Unternehmensbewertung zu stellen.

25.61

6. Unternehmensbewertung in Abhängigkeit vom Anspruchsberechtigten Die grundlegende These der modernen Bewertungslehre lautet: Der Wert eines Unternehmens (bzw. des Unternehmers i.S.v. § 14 BGB) ergibt sich aus den zukünftig erwarteten Ausschüttungen bzw. Entnahmen, die dem Anteilseigner zufließen. Bei den üblichen Bewertungsanlässen (z.B. aktienrechtliche Strukturmaßnahmen, Pflichtteilsbewertung, Zugewinn, Gesellschafterausschluss, Anteilsverkauf) stellt diese Handlungsanleitung zur Wertermittlung keinen Gegenstand vertiefter Überlegungen dar. Das Bewertungsverfahren trennt gewissermaßen automatisch die Ebenen Bewertungssubjekt und Bewertungsobjekt, da der Gesellschafter Empfänger der Entnahmen bzw. Ausschüttungen und damit Bewertungssubjekt ist. Bewertungsdogma und Bewertungsanlass sind harmonisiert.

25.62

Eine besondere Aufmerksamkeit erfordert die Bestimmung des Bewertungssubjekts im Rahmen des Schadensrechts. Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Garantieverletzungen oder einer culpa in contrahendo durch Täuschung beim Unternehmenskauf folgen im Bewertungsablauf ebenfalls der dargestellten Systematik. Das Unternehmen ist das Bewertungsobjekt und der schadensersatzberechtigte Unternehmenskäufer bzw. Gesellschafter ist das Bewertungssubjekt.

25.63

Anders stellt sich die Situation dar, wenn nicht der Gesellschafter, sondern der Unternehmer – etwa im Zusammenhang mit einem deliktischen Eingriff – Geschädigter und damit Anspruchsberechtigter ist. Dann betreiben der Vorstand oder die Geschäftsführer, als recht-

25.64

1 Ein Schaden am Unternehmen muss nicht notwendigerweise mit der Höhe des Schadens an den Anteilen übereinstimmen; s. Duys/Henrich in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2010, S. 1416; BGH v. 6.10.1988 – III ZR 143/87, AG 1989, 170 = juris Rz. 15; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 15. Aufl. 2017, S. 228, Rz. 923, schlagen ein vertragliches Wahlrecht zur Bestimmung der Schadensersatzebene vor. 2 Der Rechtsträger, wie z.B. die natürliche oder die juristische Person, ist der Träger von Rechten und Pflichten. Personen- bzw. Gesamthandsgesellschaften sind zwar keine juristischen Personen, gelten allerdings als rechtsfähig (§ 14 Abs. 2 BGB) und sind damit Träger des gesamthänderisch gebundenen Vermögens; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 48. 3 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, AG 1995, 368 = juris Rz. 66.

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§ 25 Rz. 25.64

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

liche Vertreter des Unternehmers, die Durchsetzung des Anspruchs für den Unternehmer. Der Unternehmer ist hier gleichzeitig Bewertungsobjekt und Bewertungssubjekt. Aus diesem Grund sind Anpassungen im Bewertungsverfahren notwendig (s. Rz. 25.62 ff.). Eindeutig gesellschafterbezogene Aspekte, wie die subjektive Ausschüttungspolitik oder der subjektive Einkommensteuersatz (z.B. bei Personengesellschaften), können für die Unternehmensbewertung keine Rolle spielen. So reduziert die Unternehmenswertschädigung den gesamten durch den Unternehmer generierten Cashflow, der zum einen für Ausschüttungen und zum anderen für Thesaurierungen vorgesehen ist. Der Kalkulationszinssatz ist an die veränderte Konstellation des zu bewertenden Zahlungsstromes, etwa hinsichtlich der Steuerkomponente, anzupassen. 7. Direktes oder indirektes Verfahren

25.65 Um den Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Unternehmenswertschädigung zu bestimmen, stehen zwei Verfahren zur Verfügung. Das direkte Verfahren und das indirekte Verfahren. Das indirekte Verfahren stellt auf den Einfluss des schadensstiftenden Ereignisses auf den Unternehmenswert ab. Der Schaden besteht in der Differenz der Unternehmenswerte, die sich für das reale Unternehmen mit Wertbeeinträchtigung und für das hypothetische Unternehmen ohne Wertbeeinträchtigung ermitteln lassen.1 Das direkte Verfahren nutzt nicht den Vergleich von Unternehmenswerten, um den Schadensumfang zu bestimmen, sondern identifiziert das Schadensereignis und den beschädigten Vermögenswert und bestimmt die Wertminderung des Vermögenswertes und damit den Schaden auf direktem Wege.

25.66 Die Frage, wann welches Verfahren zum Einsatz kommt, ist damit an sich schon beantwortet. Wenn sich der Schaden an einem Vermögenswert auf diesen Vermögenswert beschränkt und keine Ausstrahlungswirkung auf den Unternehmensbetrieb entfaltet, dann wird grundsätzlich kein (aufwendiger) Unternehmenswertvergleich angestellt werden. Allerdings ergeben sich bereits in diesem einfachen Fall Notwendigkeiten, die steuerlichen Wirkungen des Vermögensschadens auf der Unternehmensebene einzubeziehen und diese Wirkungen, etwa im Fall der Täuschung im Rahmen einer culpa in contrahendo oder einer Garantieverletzung, bis auf die Ebene des Anteilseigners auch in steuerlicher Hinsicht durchzurechnen. Auf der Unternehmensebene kann im einfachsten Fall angenommen werden, dass der steuerwirksame Aufwand, durch die Abschreibung des beschädigten Vermögenswertes, dem steuerlichen Ertrag des Schadensersatzes entspricht. Der Steuereffekt wäre damit ohne Bedeutung. Was aber, wenn der Restbuchwert kleiner als der Schadensersatz in Höhe des Marktwertes des Vermögenswertes ist oder zwischen Abschreibung und Schadensersatz eine zeitliche Differenz besteht und Finanzierungswirkungen entstehen? Die direkte Methode ist deshalb nur mit großen Einschränkungen zu empfehlen, da das vollständige „Einfangen“, selbst vermeintlich überschaubarer Ausstrahlungswirkungen, möglicherweise unterschätzt wird.

25.67 Strahlt der Schaden auf den operativen Betrieb des Unternehmens aus, etwa weil in Folge des Schadens an einem einzelnen Vermögenswert des Unternehmensvermögens ein Absinken der Gewinne zu beobachten ist, dann übersteigt der Schaden am Unternehmenswert den Schaden am einzelnen Vermögenswert unter Umständen erheblich. Als Faustregel kann somit gelten, dass Beeinträchtigungen des betriebsnotwendigen Vermögens tendenziell für den Einsatz des indirekten Verfahrens sprechen, da das Schadensereignis die operative Gewinnentstehung beeinträchtigen wird. Für den Schaden am nicht betriebsnotwendigen Vermögen kann, unter Vorbehalt, das direkte Verfahren herangezogen werden. 1 OLG Frankfurt v. 7.5.2015 – 26 U 35/12, juris Rz. 48.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.71 § 25

8. Berechnungsweg des indirekten Verfahrens – entgangener Gewinn und entgangener Unternehmenswert Der im BGB verwendete Begriff „entgangener Gewinn“ stellt sich bei Unternehmen als entgangener Jahresüberschuss und daraus folgend, als entgangene Entnahme- oder Ausschüttungsmöglichkeiten bzw. Wertzurechnungen1 dar. Um den „Entgang“ dieser Größen im Sinne einer Differenz zu ermitteln, sind zwei integrierte Unternehmensplanungen (bestehend aus GuV-Planung, Finanzplanung und Bilanzplanung) – hypothetisch und real – zu entwickeln. Deren Ergebnisse sind jährliche Jahresüberschüsse bzw. Entnahme- oder Ausschüttungspotentiale, einmal real und einmal hypothetisch. Die Differenz aus den realen und den hypothetischen Entnahme- oder Ausschüttungspotentialen stellen den „entgangenen Gewinn“ dar. Der entgangene Gewinn wird bei einer Unternehmenswertschädigung somit nicht dergestalt ermittelt, dass (nur) alternative Gewinnhöhen – real und hypothetisch – direkt geplant und miteinander verglichen werden, erforderlich ist vielmehr der Zwischenschritt der Unternehmensplanungen.

25.68

Da der Zeitwert des Geldes zu berücksichtigen ist, verbietet sich eine schlichte Addition der „entgangenen Gewinne“. Vielmehr sind dem Schadensersatzanspruch Barwerte zugrunde zu legen. Damit eröffnen sich theoretisch zwei Berechnungswege, um den Schaden am Unternehmenswert zu ermitteln. Der Berechnungsweg 1 diskontiert die beschriebene Differenz der entgangenen Gewinne und ermittelt so den Schadensersatzanspruch unmittelbar in einem Betrag. Der Berechnungsweg 2 leitet dagegen den Schadensersatz aus der Differenz der Unternehmenswerte ab. Dem Berechnungsweg 2 wird im weiteren der Vorzug gegeben.

25.69

Das lässt sich damit begründen, dass die Transparenz des Berechnungsweges hier höher ist, da der Blick auf die jeweilige Unternehmenskonstellation immer unmittelbar erhalten bleibt und nicht in Differenzrechnungen verschwindet. Zum anderen repräsentieren die hypothetische und die reale Unternehmenskonstellation ggf. unterschiedliche Finanzierungssituationen des Unternehmens und damit unterschiedliche Finanzierungsrisiken. Diese Finanzierungsrisiken führen über das „Levern“ des Betafaktors zu unterschiedlichen Kalkulationszinssätzen für den realen und den hypothetischen Fall. Die Diskontierung nach dem Berechnungsweg 1 unterstellt jedoch einen einheitlichen Kalkulationszinssatz, der für beide Unternehmenskonstellationen Gültigkeit besitzen soll. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn das Unternehmen in beiden Unternehmenskonstellationen vollständig eigenfinanziert ist und Finanzierungsrisiken somit keine Rolle spielen. Abgesehen von diesen bewertungstechnischen Gründen, wird bei der Kaufpreisanpassung im Zusammenhang mit der culpa in contrahendo durch Täuschung ohnehin noch der Blick auf den realen und den hypothetischen Unternehmenswert erforderlich. Es ist damit empfehlenswert, durchgängig dem Berechnungsweg 2 zu folgen.

25.70

9. Unternehmenswertschädigung als Vermögensschaden Die §§ 249 ff. BGB unterscheiden den Vermögensschaden und den Nichtvermögensschaden. Die in § 253 Abs. 2 BGB aufgezählten Nichtvermögensschäden sind für Unternehmen nicht einschlägig. Der Schaden am Unternehmen ist somit im Ergebnis immer ein Vermögensschaden. Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der Geschädigte eine in Geld messbare Ein1 Nachfolgend werden die direkten Wertzurechnungen nicht mehr explizit erwähnt, sondern es wird nur noch von Ausschüttungs- bzw. Entnahmepotentialen gesprochen, wobei Effekte aus Wertzurechnungen damit umfasst sein sollen.

Wollny 809

25.71

§ 25 Rz. 25.71

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

buße erlitten hat.1 Ob eine in Geld messbare Einbuße vorliegt bestimmt sich danach, ob für das Gut, welches die Einbuße erlitten hat, ein Markt existiert. Ein Markt in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn das Gut durch einzelne Austauschbewegungen erworben oder veräußert werden kann. Vielmehr wird ein funktionsfähiger Markt im Sinne einer Vielzahl von Transaktionen vorausgesetzt, d.h. dass der Preis als Maßstab der Einbuße durch Angebot und Nachfrage gebildet wird.2 Liegt kein Markt in diesem Sinne für das von einer Einbuße betroffene Gut vor, ist jedoch auch dann von einem Vermögensschaden auszugehen, wenn die Verkehrsauffassung dem Gut einen Geldwert beimisst. D.h. es kann darauf abgestellt werden, ob der Erwerb des Gutes einen Betrag an Geld kosten würde. Ein Vermögensschaden kann damit bei börsennotierten Anteilen als auch bei nicht börsennotierten Anteilen und generell Unternehmen vorliegen. 10. Einfluss des positiven und negativen Interesses auf Unternehmensplanung und Unternehmensbewertung

25.72 Für die culpa in contrahendo durch Täuschung wird im ersten Schritt eine Planung der realen Entwicklung des Unternehmens seit dem Signing bzw. Closing vorgenommen und daraus der reale Wert des Unternehmens abgeleitet. Verglichen wird dieser Wert mit der Bewertung der Planung des hypothetischen Unternehmens, welches der Käufer bei seiner Kaufpreisbemessung unzutreffender Weise unterstellt hatte, da er getäuscht wurde. Bei der Garantieverletzung und der Berechnung der Kompensation des positiven Interesses wird nicht anders verfahren. Garantien wurden verletzt und die reale Situation des Unternehmens ist schlechter als die Situation, die bestand hätte, wenn die Garantien eingehalten worden wären. Die Basisplanung des realen Unternehmens ist somit ebenso die „schlechte“ Planung, wie bei der culpa in contrahendo durch Täuschung. Die hypothetische Planung ist die Planung des „besseren“ Unternehmens, so wie es sich dargestellt hätte, wenn sich die Garantien so erfüllt hätten, wie sie garantiert wurden. Wir sehen anhand der Planungen keinen Unterschied zwischen negativem und positivem Interesse. Im Falle der culpa in contrahendo durch Täuschung wurde die bessere hypothetische Situation vorgetäuscht. Im Fall der Garantieverletzung wurde die bessere hypothetische Situation garantiert, aber nicht eingehalten. Ein und dieselbe Gegenüberstellung von Planungen kann somit einmal als Grundlage zur Kompensation des negativen Interesses bei der culpa in contrahendo durch Täuschung und einmal als Grundlage zu Kompensation des positiven Interesses bei Garantieverletzung interpretiert werden. Für den deliktischen Eingriff gilt nichts anderes.

25.73 Anhand der Unternehmensplanungen für eine reale und eine hypothetische Unternehmenssituation lässt sich somit nicht ablesen, ob hier eine Kompensation für eine culpa in contrahendo durch Täuschung, eine Garantieverletzung oder einen deliktischen Eingriff ermittelt werden soll, bzw. ob eine Verletzung des positiven oder negativen Interesses vorliegt. Es lassen sich allerdings drei Unterschiede bei der Planung und Bewertung des Schadensersatzes identifizieren.

25.74 Unterschied Nr. 1 ist die Informationsabgrenzung, d.h. Geltung der Wurzeltheorie (s. Rz. 14.41) bei der culpa in contrahendo durch Täuschung vs. Maßgeblichkeit der letzten mündlichen Verhandlung bei der Garantieverletzung oder dem deliktischen Eingriff. Unterschied Nr. 2 ist der Schadensumfang. Während bei der Garantieverletzung und dem deliktischen Eingriff das gesamte Unternehmenswertdelta als Schaden gilt, kommt es bei der culpa 1 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 28. 2 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 42.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.78 § 25

in contrahendo durch Täuschung nur zu einer verhältnismäßigen Kaufpreisanpassung. Unterschied Nr. 3 ist die Identität von Bewertungssubjekt und Bewertungsobjekt beim deliktischen Eingriff. 11. Vergangenheitsanalyse Auch für die Unternehmensbewertung im Schadensersatzfall baut die Prüfung der Unternehmensplanung im ersten Schritt auf der Vergangenheitsanalyse auf (s. Rz. 5.79). Dies dient der Absicherung der vorgelegten Prognose, da durch die Beschäftigung mit der Vergangenheitsanalyse ein Verständnis des Geschäftsmodells sichergestellt wird. Die Vergangenheitsanalyse stellt aber auch im Bewertungsanlass „Schadensersatz“ nur den Ausgangspunkt einer Prognose dar und ersetzt nicht die Unternehmensplanung. Die Planung wird darüber hinaus Änderungen im Branchen- und Wettbewerbsumfeld, neue Produktsortimente und Änderungen des Vertriebskonzepts, Faktorpreistrends, Kursentwicklungen, Gesetzesänderungen, gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, etc. berücksichtigen.

25.75

Im Fall des deliktischen Eingriffs kommt der Vergangenheitsanalyse eine vergleichsweise höhere Bedeutung für die Planungsprüfung zu, da hier kein Eigentümerwechsel zu berücksichtigen ist und insofern grundsätzlich eine Kontinuität der Geschäftspolitik gewahrt ist. Bei der culpa in contrahendo durch Täuschung und der Garantieverletzung, im Nachgang des Eigentümerwechsels, ist zu berücksichtigen, dass der neue Eigentümer unter Umständen eine grundsätzliche Änderung der Unternehmensstrategie verfolgt. Die Planung kann darüber hinaus von Synergieeffekten und Reorganisationseffekten geprägt sein, die keinerlei Bezug zu den Vergangenheitsdaten aufweisen.

25.76

12. Subjektive Unternehmensplanung a) Intersubjektive Nachprüfbarkeit der Planung – Objektivierte Subjektivität Die subjektive Unternehmensplanung stellt die Datenbasis zur Ermittlung eines subjektiven Unternehmenswertes dar und bestimmt damit maßgeblich die Höhe des Schadensersatzanspruchs. Da über den Anspruch vor einem ordentlichen Gericht oder einem Schiedsgericht entschieden wird, muss die Unternehmensplanung intersubjektiv nachprüfbar sein. Da Unternehmensplanungen Prognosen darstellen, sind deren Ergebnisse nur hinsichtlich der Schlüssigkeit ihrer Herleitung überprüfbar (s. auch Rz. 7.29 ff.). Damit stellt der Begriff einer subjektiven Planung und Bewertung keine Einladung zur Berechnung von Phantasiewerten dar, vielmehr müssen alle gesetzten Annahmen und Berechnungen und die Verfahrenswahl zur Planung und Bewertung einer logischen Verprobung standhalten.1 Die allgemeine Unsicherheit einer Prognose kann nicht als Begründung dafür herangezogen werden, auf eine konkrete Schadensberechnung zu verzichten.2

25.77

Mögliche Ansatzpunkte zur Verprobung und Überprüfung können eine Vergangenheitsanalyse, die bisherige Planungskultur (top-down, bottom-up, etc.) und Planungstreue im Unternehmen, nicht anlassbezogene Unternehmensplanungen, Beratergutachten aus der Akquisitionsphase, Branchen-, Markt- und Wettbewerbsanalysen und Protokolle der Gesellschafterversammlungen, Vorstands- oder Beiratssitzungen sein. Bei den Protokollen der Organe können insbesondere die Strategiepapiere Aufschluss geben, die zum Beschluss bzw. der

25.78

1 BGH v. 12.1.2016 – VI ZR 491/14, juris Rz. 5. 2 BGH v. 12.1.2016 – VI ZR 491/14, juris Rz. 18.

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§ 25 Rz. 25.78

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Bestätigung einer geplanten Akquisition geführt haben. Informativ können auch Planungen für das Zielunternehmen sein, welche die Grundlage für Finanzierungsanfragen darstellten.1 Insbesondere den Möglichkeiten des Unternehmens, das planerisch in der hypothetischen Unternehmensentwicklung dargestellte Unternehmenswachstum zu finanzieren, wird eine erhebliche Beweis- und Plausibilisierungsfunktion der Schlüssigkeit der Planung zukommen.2

25.79 Der Rückgriff auf den vom Geschädigten gezahlten Kaufpreis, ggf. unterlegt mit einer vertraglich geregelten Multiplikatorbewertung3, stellt noch keine Lösung zur Analyse der hypothetischen Unternehmensplanung dar. Das Ergebnis der Multiplikator-„Bewertung“ bestimmt oder kommuniziert (nur) den Kaufpreis. Es ist aber auszuschließen, dass der Käufer das bezahlen wollte, was ihm das Unternehmen wert ist. D.h. es ist eine Konsequenz der ökonomischen Logik davon auszugehen, dass sich der Käufer von dem Unternehmen einen höheren Wert verspricht, als den, den er in Form des Kaufpreises bezahlt (s. dazu Rz. 25.54 ff.). Die einer Multiplikatorbewertung zugrunde gelegten „nachhaltigen“ einwertigen EBIT- oder EBITDA-Größen werden zur tatsächlichen Unternehmensplanung der angestrebten Unternehmensentwicklung nur in einer tendenziell konservativen Beziehung stehen. b) Wachstumsfaktoren und Unternehmensplanung

25.80 Die Entwicklung einer Unternehmensplanung erschöpft sich nicht in einer Fortschreibung der Ergebnisse, die aus der Analyse der bisherigen Unternehmensentwicklung, d.h. der Vergangenheitsanalyse ableitbar sind.4 Eine schlichte Trendextrapolation der Vergangenheitsdaten verbietet sich ebenfalls, da solch einer Hochrechnung nur eine mathematische, aber keine ökonomische Logik zugrunde liegt.5 Eine Planung ist damit immer Ausdruck der Erwartungen des oder der Planungsverantwortlichen. Tendenziell werden neue Eigentümer auch andere Erwartungen an das Unternehmen und den relevanten Markt haben als die bisherigen Eigner. Die Planung der hypothetischen Unternehmensentwicklung, als Planung ohne Schadensereignis, wird damit bei der culpa in contrahendo durch Täuschung und der Garantieverletzung gegenüber der Vergangenheit immer mit der Veränderung von Wachstumsentwicklungen einhergehen, die sich in der Planung niederschlagen. Dieser Umstand ist bei den dargestellten Schadensersatzfällen zu berücksichtigen.

25.81 Wachstum von Umsätzen und Gewinnen in der hypothetischen Unternehmensplanung setzen immer konkurrenzfähige Produkte als Folge von Wettbewerbsvorteilen, freie bzw. entwicklungsfähige Kapazitäten, aufnahmefähige und -willige Märkte und die erforderlichen Zugänge zu Vertriebswegen und der notwendigen Wachstumsfinanzierung voraus. Je nachdem, ob mit einem Eigentümerwechsel auch ein Managementwechsel vollzogen wurde, ist dessen Befähigung ein neues Wachstumsniveau theoretisch realisieren zu können besondere Beachtung zu schenken. Reales Wachstum im Sinne preisbereinigter Steigerungen des Outputs sind grundsätzlich von inflationsbedingten Wachstumseffekten zu unterscheiden. 1 Siehe zur Planungsprüfung Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 751. 2 Zum Nachweis der Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen in Form der Finanzierungsspielräume bei der abstrakten Schadensberechnung s. BGH v. 17.12.1963 – V ZR 186/61, juris Rz. 14. 3 Derartige Multiplikatorbewertungen sind regelmäßig Teil des Unternehmenskaufvertrages, wenn ein Zeitversatz zwischen Signing und Closing besteht und Anpassungen an den zu zahlenden Kaufpreis vorgenommen werden müssen, die sich aus den im Zeitversatz vollzogenen Veränderungen im Unternehmen ergeben. 4 WP-Handbuch 2014, Band II, 2014, S. 72, Rz. 232. 5 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 277.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.84 § 25

c) Planungszeitraum und Erkenntniszeitpunkt In der Unternehmensbewertung wird der Planungszeitraum, ausgehend vom Bewertungsstichtag, in zwei oder drei Planungsphasen (Detail- und Fortführungsplanung, bzw. Detail-, Konvergenz- und Fortführungsplanung) unterteilt, um dem Umstand abnehmender Prognosefähigkeit Rechnung zu tragen (s. Rz. 7.2). Diese Einteilung kann für den Fall der culpa in contrahendo durch Täuschung entsprechend Verwendung finden, da Bewertungsstichtag und Informationsstichtag zusammenfallen. Damit liegt ein Anwendungsfall für die Wurzeltheorie vor. Die Restriktionen der Wurzeltheorie führen zu den Einschränkungen der Prognosetiefe, die sich in der genannten Planungseinteilung ausdrücken. Diesen Einschränkungen ist auch die Planung der realen Entwicklung unterworfen, wenn ein weiterfressender Schaden zu berücksichtigen ist. Wird im Rahmen der Schadensbemessung bei der culpa in contrahendo durch Täuschung auch entgangener Gewinn aus einer nicht wahrgenommenen Alternativinvestition beurteilt, soll hierfür auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden.1

25.82

Beim deliktischen Eingriff und der Garantieverletzung führt der veränderte Erkenntniszeitpunkt zu einer Änderung der Planungssegmente. D.h., die Planung ist einzuteilen zum einen in den Zeitraum zwischen Bewertungsstichtag und der letzten mündlichen Verhandlung und den nachfolgenden Zeitraum. Für den Planungsabschnitt der realen Entwicklung bis zur letzten mündlichen Verhandlung können Ist-Daten verwendet werden, für die hypothetische Entwicklung können alle bis dahin verfügbaren Informationen Verwendung finden, um die „entgangenen Gewinne“ darzustellen. Der folgende Planungsabschnitt ab der letzten mündlichen Verhandlung erfordert für beide Entwicklungen, die reale und die hypothetische, eine echte Prognose. Zu prognostizieren sind somit „entgehende Gewinne“. Abhängig vom Schadensverlauf – weiterfressend ja oder nein – und der Überzeugung des Gerichts, kann dieses Planungssegment noch im Schadensersatz berücksichtigt werden.2

25.83

d) Schädigungszeitraum – endliche oder unendliche Unternehmensplanung In der Unternehmensbewertung werden endliche Planungszeiträume und unendliche Planungszeiträume unterschieden.3 Endet die Lebensdauer eines Unternehmens zu einem vorbestimmten Zeitpunkt, z.B. aufgrund von endlich verfügbaren Bodenschätzen, mit dessen Förderung das Unternehmen beschäftigt ist oder weil das Unternehmen nur für die Realisierung eines Projektes gegründet wurde, dann liegt der Unternehmensbewertung auch nur dieser endliche Planungszeitraum bis zur Unternehmensbeendigung zugrunde. Ganz überwiegend liegen für Unternehmen jedoch keine erkennbaren Gründe für deren Beendigung zu einem bestimmten Zeitpunkt vor. Die Unternehmensplanung geht dann von einem unendlichen Planungszeitraum aus und erstreckt sich bis zur Unendlichkeit.4 Diese Vorgehensweise stellt eine Konvention dar, die planungstechnisch durch die Verwendung der Barwertformel der ewigen Rente umgesetzt wird. Die Barwertformel repräsentiert die Fortführungsphase, die sich an den detailliert geplanten Zeitraum anschließt. Die Planung der Unendlichkeit verliert ihre Dimension, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass nur ein Planungszeitraum von ca. 60 Jahren, je nach Kalkulationszinssatz, tatsächlich Wertrelevanz besitzt.5 1 2 3 4 5

BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 64. BGH v. 2.4.2001 – II ZR 331/99, juris Rz. 15 und 16; s. auch Rz. 25.33. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 98. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 304. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 319.

Wollny 813

25.84

§ 25 Rz. 25.85

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

25.85 In der schadensrechtlichen Bewertung ist der Planungszeitraum durch die kausale Veranlassung des schadensstiftenden Ereignisses und das Ende der Schadensfolgen bestimmt. Lässt sich das Ende der Schadensfolgen in Form entgehenden Gewinns prognostizieren, dann wird die Unternehmensplanung zur Schadensermittlung für einen endlichen Zeitraum durchgeführt. Lässt sich ein Ende dieser Schadensfolgen nicht prognostizieren, da der Schaden nachhaltig auf den Unternehmenswert einwirkt, dann ist die Unternehmensplanung für einen unendlichen Zeitraum vorzunehmen.

25.86 Die Folgen des schadensstiftenden Ereignisses zeigen sich planungstechnisch in der Unternehmensplanung des realen Unternehmens. Damit ist auf der Ebene der Planung des realen Unternehmens darüber zu entscheiden, ob das Ende der Schädigung erkennbar ist und eine endliche Planung vorgenommen wird, oder ob die Schädigung von Dauer ist und für einen unendlichen Planungszeitraum zu planen ist. Die hypothetische Unternehmensplanung des fiktiv nicht geschädigten Unternehmenswertes folgt dieser Feststellung der realen Planung und wird entsprechend entweder endlich oder unendlich vorgenommen. Der Differenzhypothese liegen damit entweder eine endliche reale und hypothetische Unternehmensplanung oder eine unendliche reale und hypothetische Unternehmensplanung zugrunde. e) Szenarien und subjektive Wahrscheinlichkeiten

25.87 Die Verwendung des Erwartungswertes setzt zum einen die Entwicklung von Unternehmensplanungen in Szenarien und zum anderen die Festlegung subjektiver Eintrittswahrscheinlichkeiten für diese Szenarien voraus. An der Prognose von Eintrittswahrscheinlichkeiten für unsichere zukünftige Entwicklungen, in diesem Fall von Szenarien-Unternehmensplanungen, führt kein Weg vorbei. Bereits § 252 Satz 2 BGB fordert im Rahmen der abstrakten Schadensberechnung die Identifikation des entgangenen Gewinns, welcher für sich eine Eintrittswahrscheinlichkeit von größer 50 % in Anspruch nehmen kann (s. Rz. 25.29 ff.). Die Bestimmung der Rahmenbedingungen zur Plausibilisierung dieses Gewinns stellt ein Szenario dar. Wenn dieses Szenario identifizierbar ist, dann muss zumindest ein Gegen-Szenario bestimmbar sein und mit einer Rest-Eintrittswahrscheinlichkeit versehen werden können.

25.88 Subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten sind intersubjektiv nicht überprüfbar. Dies stellt die Normalsituation im Rahmen von Entscheidungsproblemen dar.1 Die Bestimmung von Eintrittswahrscheinlichkeiten teilt das Schicksal von Prognosen ganz allgemein. Unter Rückgriff auf die Beweiserleichterungsfunktion in § 287 Abs. 1 ZPO ist auch die Bestimmung von Eintrittswahrscheinlichkeiten anhand der Plausibilitätskriterien zu beurteilen, die für den entgangenen Gewinn als Maßstab anzulegen sind. Zu plausibilisieren sind die Prognosen des Geschädigten. f) Investitionen

25.89 Investitionen können in Ersatzinvestitionen und Erweiterungsinvestitionen unterteilt werden. Erweiterungsinvestitionen erhöhen im einfachsten Fall die Kapazitäten des Unternehmens. Soll das Unternehmen in dem Zustand bewertet werden, wie es sich am Bewertungsstichtag darstellt, dann können nur die Erweiterungsinvestitionen berücksichtigt werden, die am Bewertungsstichtag zumindest nachweisbar geplant waren.2 Derartige Restriktionen

1 Bamberg/Baur/Krapp, Statistik, 17. Aufl. 2012, S. 85. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 32.

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Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.93 § 25

ergeben sich in der Systematik des IDW S 1 für objektivierte Unternehmenswerte.1 Für subjektive Unternehmenswerte bestehen im Rahmen des IDW S 1 keine Restriktionen dieser Art. IDW S 1 berücksichtigt bei dieser Unterteilung jedoch nicht die Besonderheiten schadensrechtlicher Bewertungsanlässe und regelt subjektive Unternehmensbewertungen diesbezüglich einheitlich.2 Für schadensrechtliche Bewertungsanlässe sind generell subjektive Unternehmenswerte zu ermitteln.3 Hinsichtlich der Informationsabgrenzung und hier konkret im Fall der Berücksichtigung von Erweiterungsinvestitionen ist zwischen der culpa in contrahendo durch Täuschung auf der einen Seite und der Garantieverletzung bzw. dem deliktischen Eingriff auf der anderen Seite zu unterscheiden.

25.90

Bei der culpa in contrahendo durch Täuschung gilt die Informationsabgrenzung der Wurzeltheorie. Damit können Erweiterungsinvestitionen nur insoweit für die Unternehmensplanungen des geschädigten Käufers berücksichtigt werden, wie diese bis zum Zeitpunkt des Signings oder Closings dokumentiert waren. Ausdruck finden diese Investitionspläne letztlich in der Planung des hypothetischen Zustands, die der Käufer seiner Unternehmensplanung zur Bewertung zugrunde gelegt hat.

25.91

Bei der Garantieverletzung bzw. dem deliktischen Eingriff wird die Informationsabgren- 25.92 zung durch den Stichtag der letzten mündlichen Verhandlung vollzogen. Damit hat der Geschädigte auch in diesem Fall den Beweis zu führen, dass er ohne das schädigende Ereignis ggf. Erweiterungsinvestitionen vorgenommen hätte, die zu der Entwicklung geführt hätte, die sich in Form der hypothetischen Planung manifestiert. Im Gegensatz zur culpa in contrahendo durch Täuschung kann der Geschädigte in diesen Fällen jedoch auf die Entwicklungen des Zeitraums zwischen Signing bzw. Closing und dem Stichtag der letzten mündlichen Verhandlung reagieren und seine Pläne zu Erweiterungsinvestitionen entsprechend adjustieren. Zum Ausdruck kommt diese „Investitionspolitik“ durch die Planung des hypothetischen Unternehmenszustands, allerdings darf das Ziel der „Investitionspolitik“ nicht nur in der Erhöhung des Schadens liegen. Grenzen werden der Planung nur im Rahmen der Vorschriften zur Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 1 ZPO gesetzt. g) Synergieeffekte Echte Synergieeffekte stellen Kombinationseffekte dar. In diesem Sinne führen Synergieeffekte aus der Kombination von Unternehmen somit zu einem Gesamtgewinn, der über die Addition der Einzelgewinne der kombinierten Unternehmen hinausgeht. IDW S 1 differenziert hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit von echten Synergien im Sinne des unter dem vorhergehenden Gliederungspunkt „Investitionen“ (s. Rz. 25.89 ff.) Ausgeführten. D.h. für objektivierte Unternehmenswerte dürfen echte Synergien nicht berücksichtigt werden, soweit sie erst durch die Maßnahmen ausgelöst werden, die am Bewertungsstichtag beschlossen werden.4 Für subjektive Unternehmenswerte entfällt diese Beschränkung einheitlich.5 Synergie-

1 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 22 und Rz. 23. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 49. 3 Es sei denn, im Rahmen der culpa in contrahendo durch Täuschung kommt im Rahmen der Kaufpreisanpassung ein objektivierter Unternehmenswert als Mindestwert zum Tragen. 4 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 34. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 50.

Wollny 815

25.93

§ 25 Rz. 25.93

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

effekte sind daher bei der Ermittlung des Schadens zu berücksichtigen.1 IDW S 1 differenziert allerdings wiederum nicht nach den schadensrechtlichen Besonderheiten.

25.94 Bei der culpa in contrahendo durch Täuschung müssen mögliche Synergieeffekte in der hypothetischen Planung berücksichtigt sein, die der Kaufpreisbemessung des Käufers am Tag des Signings oder Closings zugrunde lag. Bei der Garantieverletzung bzw. dem deliktischen Eingriff können die Entwicklungen und Erkenntnisse zwischen Signing bzw. Closing bzw. dem Schadensereignis und dem Stichtag der letzten mündlichen Verhandlung auch hinsichtlich der Entstehung von echten Synergieeffekten in der hypothetischen Planung berücksichtigt werden. h) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

25.95 Nicht betriebsnotwendig zu sein (s. Rz. 8.7), ist keine Eigenschaft von Vermögensgegenständen und Schulden, sondern eine individuelle und wertende Entscheidung des Unternehmers.2 Je nach den Möglichkeiten des Bewertungssubjekts, auf diese Zuordnung kraft der Beteiligungsverhältnisse Einfluss zu nehmen, ist der subjektiven Zuordnung bei der Ermittlung von Schadensersatzansprüchen Rechnung zu tragen. Bei objektivierten Unternehmenswerten wird eine Typisierung der Zuordnung in betriebsnotwendige und nicht betriebsnotwendige Vermögensgegenstände durch den Verweis auf das zum Bewertungsstichtag maßgebliche Unternehmenskonzept erreicht.3 Dieses Bewertungskonzept kann nur für den Fall der culpa in contrahendo durch Täuschung Bedeutung entfalten (s. Rz. 25.111). 13. Wahrscheinlicher Gewinn vs. Erwartungswert des Gewinns

25.96 Das Gesetz spricht in § 252 Satz 2 BGB im Rahmen der abstrakten Schadensberechnung nur davon, dass der Gewinn als entgangen gilt, der „mit Wahrscheinlichkeit“ erwartet werden konnte. Der BGH fordert „eine gewisse Wahrscheinlichkeit“ bzw. eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“.4 Einen Hinweis auf die Höhe der Eintrittswahrscheinlichkeit gibt der BGH in einer Entscheidung, in der er das Entstehen eines entgangenen Gewinns deshalb befürwortet, weil der Gewinn ohne das schadensstiftende Ereignis wahrscheinlicher gewesen wäre, als dass der Gewinn ausgeblieben wäre.5 Entscheidend für die Plausibilisierung eines entgangenen Gewinns ist damit eine Eintrittswahrscheinlichkeit von mehr als 50 %. Der Schadensberechnung liegt damit eine einwertige Prognose im Sinne nur des Szenarios zugrunde, welches für sich die höchste Eintrittswahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen kann.6 Dass Entscheidungen, die prognostizierte Entwicklungen berücksichtigen müssen, auf der Grundlage der Entwicklung getroffen werden, die als am wahrscheinlichsten angesehen wird, ist im Wirtschaftsleben häufig anzutreffen und intuitiv nachvollziehbar.

25.97 Der konkreten Schadensberechnung und damit der Verwendung der Differenzhypothese unter Rückgriff auf Unternehmenswerte werden dagegen alternative Szenarien zugrunde gelegt. Zum Beweis der Plausibilität dieser Szenarien sind, in den Grenzen des § 287 Abs. 1 ZPO, alle

1 2 3 4 5 6

Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994, S. 105. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 41. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 29. BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 64 und Rz. 73. BGH v. 27.9.2001 – IX ZR 281/00, juris Rz. 15. Siehe z.B. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 31.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.100 § 25

Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die eine Prüfung möglich machen.1 Ein Szenario stellt dabei eine Variation bestimmter Prämissen dar, deren Auswirkungen in einer Szenario-Unternehmensplanung dargestellt sind. Die Szenarien-Unternehmenswerte auf Basis der Szenarienplanungen werden anhand der Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien zu einem Erwartungswert zusammengefasst. Eine Schadensberechnung auf dieser Basis beruht im Ergebnis somit nicht nur auf der Bewertung des wahrscheinlichsten entgangenen Gewinns, sondern auf dessen Erwartungswert. D.h., zur Ermittlung des Schadensersatzes wird der Erwartungswert des Unternehmenswertes der realen Unternehmensentwicklung mit dem Erwartungswert des Unternehmenswertes der hypothetischen Unternehmensentwicklung verglichen. 14. Subjektiver Kalkulationszinssatz a) Problemstellung Der Ersatz für einen Schaden am Unternehmenswert soll den individuellen Schaden des Geschädigten kompensieren. Da für diesen Fall subjektive Unternehmenswerte zu ermitteln sind, ist auch ein subjektiver Kalkulationszinssatz nach individuellen Kriterien zu bestimmen. Die Individualität des subjektiven Kalkulationszinssatzes des Geschädigten drückt sich insbesondere in dem von ihm als adäquat festgelegten Risikozuschlag aus. Der Risikozuschlag ergibt sich aus der von dem Bewertungsobjekt erzeugten Risikomenge, gemessen anhand der Volatilität der Ergebnisströme, und der Beurteilung dieser Risikomenge durch die individuelle Risikoaversion des Geschädigten. Die subjektorientierte Risikobeurteilung steht damit in einer diametralen Position zur marktinduzierten Risikobeurteilung des CAPM.2

25.98

Auch wenn der Geschädigte seinen Kalkulationszinssatz ohne Theoriebezug als Hurdlerate „gegriffen“ und nicht in systematischen Schritten errechnet hat, lässt sich die Hurdlerate in einen risikofreien Basiszins und einen Risikozuschlag aufspalten. Für das ordentliche Gericht und das Schiedsgericht, die einen Schadensersatzanspruch zu würdigen haben oder den Schädiger, der den Gegenbeweis zum Schadensersatzanspruch des Geschädigten antritt, stellt sich das übliche Problem der Beweiswürdigung, wenn gefragt wird, ob sich der angeführte Kalkulationszinssatz widerspruchsfrei in die Gesamtargumentation des Geschädigten einfügen lässt. Bei der Beurteilung des vom Geschädigten angeführten subjektiven Kalkulationszinssatzes geht es somit nicht darum, einen „ausreichenden“ Kalkulationszinssatz zu bestimmen, er muss vielmehr logisch konsistent im Verhältnis zum ökonomischen Handeln des Geschädigten sein.3

25.99

Der Geschädigte wird zur Überprüfung seines beanspruchten Schadensersatzes seine Schadensberechnung offenlegen müssen. Damit liegt zur Beurteilung des geforderten Schadensersatzanspruchs, neben den Unternehmensplanungen für den realen und den hypothetischen Fall, auch der Kalkulationszinssatz vor. Die Glaubwürdigkeit dieses Kalkulationszinssatzes ist zu hinterfragen, da er einen äußerst wirkungsvollen Hebel der Schadensersatzmaximierung darstellt. Das Kalkulationszinssatzmodell ist grundsätzlich einheitlich auf beide Unterneh-

25.100

1 OLG Braunschweig v. 11.5.2018 – 9 U 18/17, juris Rz. 41. 2 Gleißner/Wolfrum, Eigenkapitalkosten und die Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen: Relevanz von Risikomaß und Diversifikationsgrad, FB 2008, 603. 3 Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018, 96.

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§ 25 Rz. 25.100

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

mensplanungen, die des realen geschädigten Unternehmens und die des hypothetisch schadensfreien Unternehmens anzuwenden.1

25.101 Wird der Kalkulationszinssatz vom Schadensersatzberechtigten interessengeleitet adjustiert, dann ist das Ergebnis nicht nur eine Parallelverschiebung der Unternehmenswerte, mit dem Ergebnis einer gleichbleibenden Differenz zwischen den Unternehmenswerten. Vielmehr ändert sich mit dem Kalkulationszinssatz auch die absolute Wertdifferenz und damit der geltend gemachte Schadensersatzanspruch. Mit der Erhöhung des Kalkulationszinssatzes sinken die zu vergleichenden Unternehmenswerte und auch das Delta bzw. der reklamierte Schaden. Mit dem Absenken des Kalkulationszinssatzes steigen die zu vergleichenden Unternehmenswerte und auch das absolute Delta bzw. der reklamierte Schaden. Es wäre deshalb nachvollziehbar, dass der Geschädigte dazu tendiert, einen möglichst niedrigen Kalkulationszinssatz vorzulegen, um den Schadensersatzanspruch zu maximieren. b) Überprüfung des subjektiven Kalkulationszinssatzes

25.102 Wenn der Geschädigte bzw. Unternehmenskäufer eine börsennotierte Gesellschaft ist, dann werden Investitionsentscheidungen des Vorstands auf der Grundlage des CAPM gefällt, um eine risikoäquivalente Bewertung sicherzustellen und keine negativen Kapitalmarktreaktionen auszulösen. Die Beurteilung des Risikozuschlags kann dann ebenfalls anhand des CAPM erfolgen, da die Beurteilung des Schadensersatzes grundsätzlich den subjektiven Risikoeinschätzungen folgen sollte, die Grundlage der Investitionsentscheidung waren. Die Berechnung und Überprüfung des Kalkulationszinssatzes folgt damit dem bekannten Verfahrensablauf zur Ermittlung des Risikozuschlags im CAPM bzw. Tax-CAPM.2 Bei der Auswahl der verwendbaren Kapitalmarktdaten ist zwischen der culpa in contrahendo durch Täuschung auf der einen Seite und der Garantieverletzung bzw. dem deliktischen Eingriff auf der anderen Seite zu unterscheiden. D.h., auch die Berechnung des Kalkulationszinssatzes folgt den Vorgaben des Informationsstichtages.

25.103 Schwieriger gestaltet sich der Nachvollzug, wenn der Käufer bzw. Geschädigte nicht börsennotiert ist, da hier das CAPM nicht einschlägig ist. Hier kann der Geschädigte zunächst am Multiplikator festgehalten werden, wenn eine Multiplikatorbewertung Teil des Kaufvertrages ist. Ein niedriger Multiplikator führt als Kehrwert zu einem hohen Gesamtkapitalkostensatz. Aus diesem kann der Eigenkapitalkostensatz abgeleitet werden. Der aus dem Multiplikator abgeleitete Eigenkapitalkostensatz stellt allerdings nur die obere Grenze dar. Entscheidend ist die untere logische Grenze des Kalkulationszinssatzes, da mit der Absenkung des Kalkulationszinssatzes der Schadensersatzanspruch steigt. Hier können Branchenbetas und daraus abgeleitet das Risiko einer Branche einen ersten Hinweis geben.

25.104 Eine weitere Möglichkeit der Prüfung des Eigenkapitalkostensatzes des Geschädigten eröffnet der Total Beta-Ansatz. Hierbei wird von den Diversifikationsannahmen des CAPM abstrahiert und das volle Risiko berücksichtigt, dass das Bewertungssubjekt zu tragen hat. Ein vom Geschädigten bzw. Unternehmenskäufer vorgetragener Kalkulationszinssatz unterhalb des über den Total-Beta-Ansatz ermittelten Kalkulationszinssatzes ist erklärungsbedürftig, da dann nicht alle Risiken bei der Bewertung berücksichtigt werden. Diese Vorgehensweise bzw. dieses Argument steht und fällt natürlich mit dem Vertrauen in die Theorie des CAPM, dessen 1 Einflüsse des Verschuldungsgrades des realen und des hypothetischen Unternehmens sind dabei noch nicht berücksichtigt. 2 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 504 ff.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.110 § 25

fehlerfreier Umsetzung im Anwendungsfall und der Akzeptanz der Modifikation des CAPM in Form des Total Beta-Ansatzes.1 Der Total Beta-Ansatz stellt keine Theorie, sondern eine Heuristik dar, mit der die Schätzung des Eigenkapitalkostensatzes auch bei der Diversifikationssituation der Gesellschafter nicht börsennotierter Unternehmen intersubjektiv überprüfbar wird. 15. Stichtage zur Bewertung des Schadensersatzes In der Unternehmensbewertung ist der Bewertungsstichtag der Tag, an dem über künftige Gewinnansprüche des Bewertungssubjekts disponiert wird, etwa durch einen Unternehmenskaufvertrag. Bei normengeleiteten Bewertungen ist der Bewertungsstichtag gesetzlich festgelegt (s. Rz. 14.25), z.B. durch den Tag des Hauptversammlungsbeschlusses über eine Strukturmaßnahme oder den Todestag des Erblassers. Die ab diesem Zeitpunkt für das Bewertungssubjekt zu erwartenden künftigen – ggf. quotalen – Gewinnansprüche werden auf den Bewertungsstichtag diskontiert und repräsentieren z.B. einen Entscheidungswert oder Abfindungsbetrag oder eine steuerliche Bemessungsgrundlage.

25.105

Das Schadensrecht enthält keine Kodifizierung des Bewertungsstichtages, auf den sich die Berechnung des Schadens bezieht. Aus den § 249 Abs. 1 i.V.m. § 252 Satz 1 BGB lassen sich allerdings indirekt zeitliche Bezüge zur praktischen Schadensbestimmung ableiten. Danach gilt:

25.106

§ 249 Abs. 1 BGB:

25.107

„Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“2

25.108

§ 252 Satz 1 BGB: „Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn.“

Aus dem Blickwinkel der Schadensberechnung sind damit zwei Zeitpunkte von Bedeutung. 25.109 Der Zeitpunkt 1, in dem die Schädigung in Form des „zum Ersatz verpflichtenden Umstandes“ eingetreten ist und aufgrund dessen ein Rechtsgüterbestand verschlechtert wurde. Ein nachfolgender Zeitpunkt 2, zu dem der schädigende Einfluss beendet ist und insbesondere keine Gewinne mehr entgehen. Die zwischen den Zeitpunkten 1 und 2 entstandenen bzw. entstehenden Schäden sind zu bewerten. Der Maßstab zur Bestimmung des „zu ersetzenden Schadens“ ist die Herstellung des Zustandes, als ob der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Im Schadensrecht, und hier im Zusammenhang mit der Berechnung von Unternehmenswertschäden, ist somit zunächst zu klären, welche Funktion der „Tag der Bewertung des Schadens“ bzw. der Bewertungsstichtag haben soll. Als Startpunkt der Schadenswirkung, auf den der reale und der hypothetische Unternehmenswert zu diskontieren ist? Als Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, in dem alle Informationen zur Schadensberechnung vorliegen? Es bieten sich damit grundsätzlich mehrere Zeitpunkte als Bewertungsstichtag an, die sich rechentechnisch mehr oder weniger gut zur Ermittlung des Unternehmenswertschadens 1 Siehe dazu Damodaran, Investment Valuation, 2012, S. 673; Gleißner, Preis ist nicht Wert und Bewertung nicht Preisschätzung – verdeutlicht an der Kritik am Total Beta, CF 2015, 167 ff.; Kniest, Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen, in FS Mandl, 2010, S. 318; das Total Beta ablehnend zuletzt Baetge/Celik, Total Beta in der Unternehmensbewertung, in FS Großfeld, 2019, S. 19. 2 § 249 Abs. 1 BGB.

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25.110

§ 25 Rz. 25.110

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

eignen. Als frühester Bewertungsstichtag kann die vertragliche Anspruchsgrundlage (z.B. Unternehmenskaufvertrag) oder der Vorgang des deliktischen Eingriffs in das Unternehmen herangezogen werden. Zu diesen Zeitpunkten muss allerdings noch kein Schaden entstanden sein. Z.B. laufen Lizenzen, deren dauerhafter Bestand garantiert wurde oder über die getäuscht wurde, erst zwei Jahre nach Vertragsabschluss aus und sorgen dann für einen Umsatzeinbruch oder eine erfolgte Rufschädigung führt erst mit Verzögerung zur Kündigung eines Großauftrags. Alternativ kann der Bewertungsstichtag deshalb durch den Beginn der Schadensentstehung bestimmt werden und nicht durch den vertraglichen Rahmen, als Ausgangspunkt eines Schadensersatzanspruchs. Als noch späterer Bewertungsstichtag ist der Tag der letzten mündlichen Verhandlung denkbar.

25.111 Der Bewertungsstichtag ist im Schadensrecht somit grundsätzlich eine Definitionsfrage. Bei der Schadensberechnung muss allerdings unter Berücksichtigung der zugrunde gelegten Definition des Bewertungsstichtages sichergestellt sein, dass alle Schadenswirkungen rechentechnisch korrekt, d.h. vollständig, und zeitadäquat, d.h. zutreffend diskontiert und aufgezinst, erfasst werden. Die Varianten zur Positionierung des Bewertungsstichtages dürfen damit keinen Einfluss auf die Höhe des berechneten Schadensersatzes haben. In der vorliegenden Untersuchung wird vom Zeitpunkt der vertraglichen Anspruchsgrundlage bzw. der kausalen Veranlassung des Schadens als Bewertungsstichtag ausgegangen, d.h. vom Vertragsstichtag bzw. dem Zeitpunkt des deliktischen Eingriffs. Die definitorische Flexibilität des Bewertungsstichtages erfährt im Falle der culpa in contrahendo durch Täuschung eine Einschränkung. Hier ist als Bewertungsstichtag und auch als Informationsstichtag zwingend der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu verwenden.

25.112 Die Entscheidung über die Höhe des Schadensersatzes fällt in der letzten mündlichen Verhandlung und damit weder zum Zeitpunkt 1 noch zum Zeitpunkt 2, sondern entweder zwischen den Zeitpunkten 1 und 2 oder nach dem Zeitpunkt 2. Für den Fall der letzten mündlichen Verhandlung vor Erreichen des Zeitpunktes 2, dem Ende der Schadenswirkung, ist ggf. eine Prognose über den weiteren Schadensverlauf erforderlich (s. Rz. 25.30 ff.). Alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung verfügbaren Informationen können für die Planung des realen bzw. hypothetischen Unternehmens, die Bestimmung der Alternativrendite und die Unternehmens- bzw. Schadensbewertung Verwendung finden. Der Informationsstichtag ist damit durch den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung festgelegt.1 Die Wurzeltheorie und damit die Informationsabgrenzung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist nur für die culpa in contrahendo durch Täuschung zu berücksichtigen.

25.113 Für den Fall, dass ein Sachverständiger mit der Berechnung des Schadensersatzes betraut wurde, ergibt sich noch ein Gutachtenstichtag der Unternehmensbewertung bzw. Schadensbestimmung.2 Dieser Bearbeitungszeitpunkt liegt vor der letzten mündlichen Verhandlung, da das Gutachtenergebnis das Gericht bei der Entscheidung über den Umfang des Schadensersatzes unterstützen soll.

25.114 Das Ende der schädigenden Wirkung lässt sich in dieser Chronologie nicht eindeutig zuordnen. Im Extremfall endet die schädigende Wirkung erst nach dem Zeitpunkt der Leistung des Schadensersatzes bzw. ist von einer nicht endenden Dauerschädigung auszugehen. 1 Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018, 98. 2 Zur Notwendigkeit einen Sachverständigen hinzuzuziehen s. BGH v. 12.1.2016 – VI ZR 491/14, juris Rz. 19; Gebhardt, Verfahren vor staatlichen Gerichten, in Hölters, Rz. 19.139, S. 1499.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.117 § 25

Soll die Leistung des Schadensersatzes den Schaden vollständig kompensieren, ist in der letzten mündlichen Verhandlung über eine Prognose zum weiteren Schadensverlauf zu entscheiden. Diese Prognose ist bereits im Rahmen der Schadensermittlung vorzunehmen. Der Schadensersatzzeitpunkt liegt, je nach Verfahrensdauer, unter Umständen viele Jahre 25.115 nach dem Zeitpunkt der Schädigung bzw. dem Bewertungsstichtag. Das gesetzliche Ziel der Totalreparation erfordert damit nicht nur eine Kompensation in Höhe der Unternehmenswertdifferenz zum Bewertungsstichtag. Vielmehr müssen auch die Erträge kompensiert werden, die sich aus der Wiederanlage der ausgeschütteten entgangenen Gewinne bis zum Schadensersatzzeitpunkt hätten erzielen lassen. Der Schadensersatzzeitpunkt repräsentiert damit auch den Aufzinsungsstichtag. Daraus ergibt sich folgende Chronologie der relevanten Stichtage, von der Schadensentstehung bis zum Ende der Schädigung: – Schadensverursachung/Vertrag

Bewertungsstichtag

– Schadensersatzgutachten

Gutachtenstichtag

– Letzte mündliche Verhandlung

Informationsstichtag

– Leistung des Schadensersatzes

Aufzinsungsstichtag

– Ende der schädigenden Wirkung

Prognosehorizont

25.116

16. Vergleich von Teil-Unternehmenswerten oder Gesamt-Unternehmenswerten Die begriffliche Differenzierung der Gegenüberstellung von Teil-Unternehmenswerten oder 25.117 Gesamt-Unternehmenswerten1 folgt der Unternehmensplanung (s. Rz. 25.84), die entweder für einen endlichen Zeitraum erstellt wird, da die Schädigung nicht dauerhaft ist oder für einen unendlichen Zeitraum, da die Schädigung des Unternehmenswertes dauerhaft ist. Für den Fall, in dem das Ende der weiterfressenden Schäden prognostiziert werden kann, werden somit nur Teil-Unternehmenswerte ermittelt, die im Rahmen der Differenzhypothese durch Vergleich zur Schadensermittlung herangezogen werden. Das Schadensrecht benötigt für diese Fälle somit nicht vollständige Unternehmenswerte, sondern nur den Teil der Unternehmenswerte, anhand derer der Schaden ermittelt werden kann. Verglichen wird dann der Teil-Unternehmenswert des realen Unternehmens mit dem Teil-Unternehmenswert, der die hypothetisch schadensfreie Wertentwicklung repräsentiert und der – zu Vergleichszwecken – ebenfalls nur den Zeitraum bis zum Ende der schädigenden Einflüsse umfasst. Nur für den Fall, dass das schädigende Ereignis die Unternehmensentwicklung insgesamt und bezogen auf die Totallebensdauer beeinflusst, sind Unternehmenswerte wie üblich für den unendlichen Zeitraum zu ermitteln und der reale Gesamtunternehmenswert mit dem hypothetischen Gesamtunternehmenswert zu vergleichen.

1 Der Begriff Gesamt-Unternehmenswert bezieht sich in diesem Zusammenhang auf einen unendlichen Unternehmensplanungszeitraum. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff des Gesamtunternehmenswertes, der im Sinne des Enterprisevalues den Wert für Eigenkapitalgeber und Fremdkapitalgeber repräsentiert.

Wollny 821

§ 25 Rz. 25.118

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

17. Abzinsung und Aufzinsung

25.118 Wird als Bewertungsstichtag das Datum des Unternehmenskaufvertrages oder des deliktischen Eingriffs definiert, dann werden auf diesen Zeitpunkt die prognostizierten Ausschüttungsbeträge diskontiert, die sich aus den Unternehmensplanungen für das reale geschädigte Unternehmen und das hypothetisch schadensfreie Unternehmen ergeben. Unter der Maßgabe, den Geschädigten als Anspruchsberechtigten in einen schadensfreien Zustand zu versetzen, ist ein Barwert der Ausschüttungsbeträge, der für einen möglicherweise sehr weit zurückliegenden Bewertungsstichtag ermittelt wurde, auf den Tag des Schadensersatzes aufzuzinsen.1 Die Aufzinsung lässt sich damit begründen, dass Eigenkapital – hier die entgangenen Gewinne bzw. Ausschüttungen – erfahrungsgemäß angelegt wird.2

25.119 Die Diskontierung bzw. Abzinsung der geplanten Ausschüttungsbeträge erfolgt mit dem im relevanten Fall ermittelten Kalkulationszinssatz (s. Rz. 6.8). Die Aufzinsung sollte dagegen nicht mit dem Kalkulationszinssatz, sondern mit der Alternativrendite vorgenommen worden, die dem Geschädigten im Zeitraum zwischen Schadensfall bzw. Signing oder Closing und dem Tag des Schadensersatzes als Anlagemöglichkeit zur Verfügung gestanden hätte. Dies lässt sich mit dem im Kalkulationszinssatz enthaltenen Risikozuschlag begründen, der für die Vermögensanlage in dieser Höhe nicht zwingend erforderlich ist, wenn die Anlage in einer risikoärmeren Anlage erfolgt wäre. Für die Bestimmung der Anlagerendite nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gelten die Beweiserleichterungen.3 Begehrt der Geschädigte den Ersatz seines konkreten entgangenen Anlageerfolgs, muss er dies beweisen.4 18. Kaufpreisanpassung bei culpa in contrahendo durch Täuschung

25.120 Die Besonderheit bei der Schadensermittlung im Falle der culpa in contrahendo durch Täuschung besteht darin, dass nicht nur die Differenz der Unternehmenswerte zu ermitteln ist, sondern darüber hinaus noch der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis anhand der Unternehmenswertdifferenz nach unten zu korrigieren ist. Der Geschädigte soll nämlich so gestellt werden, als sei es ihm unter Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, einen niedrigeren Kaufpreis zu vereinbaren.5 Für nicht notierte Unternehmen gibt es keinen Markt, deshalb kommen Unternehmenskaufpreise nicht durch Angebot und Anfrage, sondern durch Verhandlungen zwischen den Parteien zustande.6 Die Parteien bestimmen den Verhandlungspreis innerhalb der Bandbreite, die sich zwischen den individuellen Unternehmenswerten bzw. Grenzpreisen aufspannt. Die Position des Verhandlungspreises innerhalb der Wertbandbreite ist Ausdruck der Verhandlungsmacht der Parteien. Der Unternehmenskäufer gibt durch einen Kaufpreis, soweit er nicht nur dem Unternehmenswert des Verkäufers entspricht, einen Teil seiner Synergie- oder Reorganisationseffekte an den Verkäufer ab.

1 Wollny, Der Bewertungsstichtag für Unternehmenswerte bei aktienrechtlichen Abfindungen, M&A-Transaktionen und Schadensersatz, DStR 2017, 955. 2 BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 64. 3 BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 64; zur Kritik an der Verwendung des Begriffs der abstrakten Schadensberechnung im Rahmen des „gewöhnlichen Laufs der Dinge“ s. Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 252 BGB Rz. 45; s. hierzu Rz. 25.25. 4 BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, juris Rz. 67. 5 BGH v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, juris Rz. 17; BGH v. 8.12.2000 – V ZR 484/99, juris Rz. 24; BGH v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, juris Rz. 19. 6 Schultze, Methoden der Unternehmensbewertung, 2003, S. 17.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.124 § 25

Im Falle der Kaufpreisanpassung wegen einer culpa in contrahendo durch Täuschung ist deswegen der nach unten korrigierte Kaufpreis nicht in Höhe des niedrigeren Unternehmenswertes festzulegen, der sich anhand der Unternehmensplanung des realen geschädigten Unternehmens ergibt. Vielmehr erfordert die Kaufpreisanpassung eine differenzierte Behandlung der Unternehmenswertdifferenz.1 Es ergeben sich unterschiedliche Anpassungswege.2 Im einfachsten Falle wird der ursprünglich vereinbarte Unternehmenskaufpreis tatsächlich um die Unternehmenswertdifferenz reduziert. Diese Lösung ist sinnvoll, wenn z.B. nicht betriebsnotwendiges Vermögen nicht in der zugesagten Höhe vorhanden ist.

25.121

Sind dagegen niedrigere Ertragspotentiale Gegenstand einer Kaufpreisanpassung, dann entspricht es der Verhandlungslogik, die neue Wertkonstellation wiederum in eine, diesmal fiktive, Verhandlungsrunde zu überführen. Eine verhältnismäßige Kaufpreisanpassung in analoger Anwendung3 des § 441 Abs. 3 BGB entspricht dieser Vorgehensweise.4 Die Synergieeffekte oder Reorganisationsvorteile des Käufers werden damit, jetzt auf einem niedrigeren Niveau, im ursprünglich verhandelten Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer verteilt.

25.122

Diese Automatik der Kaufpreisanpassung kann im Einzelfall jedoch zu unangemessenen Ergebnissen führen. Als unangemessen kann ein angepasster Kaufpreis bezeichnet werden, der unterhalb eines Mindestwertes liegt.

25.123

Dem Marktwert5, als „objektivem Wert“, wird für den Schadensersatz in der Literatur die Funktion eines zu ersetzenden Mindestwertes zugewiesen.6 Der Marktwert stellt den Wert dar, der für jedermann gilt. Die Begriffe Marktwert, gemeiner Wert und Verkehrswert stellen Marktpreise dar und können synonym verwendet werden.7 Der Marktpreis als Mindestpreis kann dann von Bedeutung sein, wenn im Rahmen der Kaufpreisherabschleusung ein angepasster Kaufpreis resultiert, der unterhalb des Marktpreises liegt. Eine derartige Kaufpreisanpassung würde zu einer Überkompensation des Geschädigten führen, da ein Verkauf des Unternehmens zum Marktpreis definitionsgemäß jederzeit möglich ist. Der Gedanke eines Marktpreises für Unternehmen bzw. Unternehmensanteile ist allerdings eine Wunschvorstellung, da hierfür – ausgenommen börsennotierte Anteile – kein Markt existiert, auf dem sich

25.124

1 Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018 S. 97. 2 Elsing/Kramer, Die Rolle des Unternehmenswertes bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes in post M&A-Streitigkeiten, in FS Großfeld, 2019, S. 114. 3 § 441 BGB gilt für die Sachmängelhaftung und setzt einen Kaufvertrag und die Übergabe einer mangelhaften Sache voraus. Die culpa in contrahendo durch Täuschung setzt eine Informationspflichtverletzung im Vorfeld eines Vertrages voraus. Damit liegen zwei unterschiedliche Haftungsregime vor. § 441 BGB wird damit im Schadensrecht nur analog angewendet. Das Gericht entscheidet über diese analoge Anwendung oder eine andere Form der Anpassung. Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 6.5. 4 Wächter in Drygala/Wächter, Kaufpreisanpassungs- und Earnout-Klauseln, 2016, S. 22. 5 Nicht börsennotierte Unternehmen oder Beteiligungen haben keinen Marktwert, da es dafür keinen Markt gibt. Preise werden bei M&A-Transaktionen in diesen Fällen in Abhängigkeit von der Marktmacht der Parteien verhandelt. Ein Rückgriff auf das Zusammentreffen eines auf einem aktiven Markt organisierten Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage ist nicht möglich. 6 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 37. Aufl. 2013, S. 352; Schiemann in Staudinger, 12. Aufl. 2017, Vorbem. zu §§ 249 BGB Rz. 37; Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 25. 7 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, juris Rz. 5.

Wollny 823

§ 25 Rz. 25.124

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Preise durch Angebot und Nachfrage bilden würden.1 Anders formuliert, wird die Suche nach einem Marktpreis als Mindestpreis in der konkreten Situation zu keiner Lösung führen.

25.125 Als Mindestwert ist allerdings der Liquidationswert2 (s. § 9) eines Unternehmens vorstellbar, oder im Falle einer Börsennotierung, der Börsenkurs der Anteile. Als letzte Rückfallposition für einen Mindestwert ist die Verwendung des objektivierten Unternehmenswertes denkbar. Für die Unternehmensplanung wird in diesem Fall von echten Synergien und Reorganisationspotentialen abstrahiert, bei der Bestimmung des Kalkulationszinssatzes ist (abweichend von der üblichen Routine) die Verwendung des Total Beta-Ansatzes zu erwägen. Ermittelt wird dann ein Unternehmenswert, nicht für einen typisierten Kleinaktionär, sondern für einen Unternehmenskäufer, dem nicht besondere Synergien oder Reorganisationseffekte, sondern (nur) die Optionen eines Jedermann offen stehen. Das Unternehmen wie es steht und liegt. Die Objektivierung stellt somit einen Vorgang der Ent-Subjektivierung dar, womit dem Wunsch einen für jedermann gültigen Mindestwert zu ermitteln entsprochen wird.

25.126 Ein so abgebildeter Unternehmenswert kann als Näherung zu einem Marktwert im Sinne eines jederzeit erzielbaren Mindest-Verkaufspreises interpretiert werden. Es wäre deshalb nicht nachvollziehbar, warum ein angepasster Kaufpreis des Schadensersatzberechtigten diesen Mindestpreis unterschreiten sollte, da er diesen durch Weiterverkauf des Unternehmens jederzeit erzielen kann.3 19. Exkurs Eigenkapitalgarantie

25.127 Die Eigenkapitalgarantie stellt einen Unterfall einer Bilanzgarantie dar. Im Schadensersatzfall unterschreitet die zu einem Stichtag ermittelte Eigenkapitalgröße den vertraglich garantierten Betrag. Zielgröße ist in der Regel aber nicht zwangsläufig das bilanzielle Eigenkapital i.S.d. § 266 HGB.4 Wird die Eigenkapitalgarantie verletzt, stellt sich die Frage, ob der Schadensersatz in Höhe der Eigenkapitaldifferenz zu bemessen ist. Der BGH hat die Thematik erstmals in der Entscheidung vom 25.5.1977 unter dem Begriff des „Bilanzauffüllungsbetrages“ behandelt.5 Danach ist der Schaden nicht mit der Differenz der Eigenkapitalbeträge gleichzusetzen, sondern anhand einer Unternehmensbewertung zu ermitteln.6 Der Wert eines Unternehmens leitet sich aus dessen Fähigkeit ab, ausschüttbare Gewinne zu produzieren. Der Saldo bilanzieller Buchwerte der Aktiva abzgl. der Schulden zu Buchwerten steht dazu nur in einer mittelbaren Beziehung.7

1 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509; BFH v. 5.3.1986 – II R 232/82, HaufeIndex 61409. 2 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994, S. 192. 3 Wächter/Wollny, A Proposal for the Calculation of Damages in Post-M&A Disputes over Deception and Breaches of Guaranties, SchiedsVZ 2018, 94. 4 Kiem in Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2015, S. 266 und S. 271; Hilgard, Berechnung des Schadens bei Verletzung einer Eigenkapitalgarantie beim Unternehmenskauf, BB 2013, 938. 5 BGH v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, juris Rz. 14. 6 BGH v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, juris Rz. 20. 7 Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf Unternehmensverkauf, 2003, S. 277, Rz. 61; Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rz. 12.372; Wollny in Drygala/Wächter, Kaufpreisanpassungs- und Earnout-Klauseln, 2016, S. 23 ff.

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Wollny

Unternehmensbewertung im Schadensersatzrecht

Rz. 25.129 § 25

20. Schadensersatz und Steuern Die zu vergleichenden Unternehmenswerte, zum einen für das reale geschädigte Unternehmen und zum anderen für das hypothetisch schadensfreie Unternehmen, werden unter der Berücksichtigung von Steuerwirkungen ermittelt (s. Rz. 17.1). D.h., die in den Unternehmensplanungen ermittelten Jahresüberschüsse, aus denen die zu diskontierenden Ausschüttungen abgeleitet werden, sind entsprechend der handelsrechtlichen Definition als Werte nach Unternehmenssteuern zu verstehen. Soweit wegen einer culpa in contrahendo durch Täuschung oder Garantieverletzung die Gesellschafterebene zu betrachten ist, wird in den der Anteilsbewertung zugrunde liegenden Ausschüttungsbeträgen auch die einschlägige Einkommensteuerbelastung berücksichtigt. Zur Wahrung der Besteuerungs- bzw. Verfügbarkeitsäquivalenz wird auch der Kalkulationszinssatz um die korrespondierenden Steuerbelastungen gekürzt.1

25.128

Das Delta zwischen den Unternehmenswerten stellt nach der Differenzhypothese den Scha- 25.129 den am Anteils- bzw. Unternehmenswert dar. Wird ein Schadensersatzanspruch in dieser Höhe dem Geschädigten durch Urteil oder Schiedsspruch zugebilligt, dann unterstellt dies die Steuerfreiheit des Schadensersatzanspruchs. Ist der Schadensersatzanspruch beim Geschädigten dagegen zu versteuern, womit dem Geschädigten nur der Nachsteuerwert verbleibt, dann erfüllt der Schadensersatz in Höhe der Unternehmenswertdifferenz nicht den Anspruch der Totalreparation. Der Geschädigte wird nicht in den Zustand versetzt, “ … der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“2 Der Schadensersatzanspruch ist deshalb für den Fall, dass dieser der Steuerpflicht unterliegt, in einen Vorsteuerwert hochzurechnen.3 Der Schadensersatz besteht somit aus der Unternehmenswertdifferenz zzgl. einer Wertkompensation die sicherstellt, dass der dem Geschädigte verbleibende Schadensersatz nach Steuern genau die Unternehmenswertdifferenz ausgleicht. Dem Geschädigten sind somit die durch den Schadensersatz ausgelösten Steuerbelastungen auszugleichen.4 D.h., dass Progressionsnachteile, die durch den viele Schadensjahre in einer Summe kompensierenden Schadensersatz ausgelöst werden, ebenfalls auszugleichen sind.5 Nur dann führt die Addition Unternehmenswert real, plus hochgerechneter Schadensersatz, minus Steuern auf den hochgerechneten Schadensersatz, zu dem fiktiven Unternehmenswert, über den der Geschädigte ohne die Schädigung hypothetisch verfügen könnte. Die Umsatzsteuer ist gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nur dann Teil des Schadensersatzes, wenn sie geschuldet wird.

1 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 183. 2 Siehe § 249 Abs. 1 BGB. 3 Rechnerisch erfolgt dies durch die Division der Unternehmenswertdifferenz durch den Term (1-s), wobei s den einschlägigen Steuersatz darstellt (z.B. den Unternehmenssteuersatz bestehend aus Körperschaftsteuersatz, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuersatz). 4 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 505 und § 252 BGB Rz. 13 und 14. 5 Oetker in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB Rz. 505.

Wollny 825

§ 26 Unternehmensbewertung im Familienrecht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen und Systematik des gesetzlichen Güterrechts . . . 1. Gütergemeinschaft und Gütertrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzlicher Güterstand . . . . . c) Ehetypen und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilungsposten . . . . . . . . . . . . c) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Indexierung . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3.

26.1 26.2 26.2 26.2 26.3 26.5 26.7 26.7 26.8 26.12 26.14 26.15

Stichtage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfangsvermögen . . . . . . . . . . . . Endvermögen . . . . . . . . . . . . . . . Trennungsvermögen . . . . . . . . . .

26.16 26.16 26.17 26.19

IV. Allgemeine Grundsätze der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektiver Wert . . . . . . . . . . . b) Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatrichter . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertformen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verkehrswert . . . . . . . . . . . . . b) Liquidationswert . . . . . . . . . . c) Latente Ertragssteuern . . . . . .

26.21 26.21 26.22 26.23 26.25 26.26 26.27 26.28 26.29 26.31

V. Bewertung von Unternehmen . . 1. Wertformen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Substanzwert . . . . . . . . . . . . . c) Ertragswert . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung der Bewertung . . . a) Substanzwert . . . . . . . . . . . . . b) Ertragswert . . . . . . . . . . . . . . . c) Spekulationssteuern . . . . . . . .

26.33 26.33 26.33 26.34 26.36 26.37 26.37 26.38 26.40

VI. Bewertung von Unternehmensbeteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindungs- und Ausschlussklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfall: Abschreibungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . .

826

Born

26.41 26.41 26.42 26.45

VII. Bewertung freiberuflicher Praxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wertformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Empfehlungen der Standesorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung der Bewertung . . . 4. Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . .

26.46 26.46 26.48 26.49 26.51

VIII. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 1. Aktuelle Entscheidungen des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14 (Putenmastbetrieb) . . . e) BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16 (Unternehmensbeteiligung) . . . . . . . . . . . . . . f) BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17 (Beschwer) . . . . . . . . . 2. Weitere Rechtsprechung nach Branchen und Berufsgruppen . . . a) Aktenvernichtungsbetrieb . . . b) Anwaltspraxis . . . . . . . . . . . . c) Architekt . . . . . . . . . . . . . . . . d) Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bäckerei . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Druckerei . . . . . . . . . . . . . . . g) Handelsvertreter . . . . . . . . . . h) Handwerksbetrieb . . . . . . . . . i) KG-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . j) Landwirtschaftlicher Betrieb . k) Steuerberater . . . . . . . . . . . . . l) Tierarzt . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Vermessungsingenieur . . . . . . n) Versicherungsagentur . . . . . . o) Zahnarzt . . . . . . . . . . . . . . . .

26.52

26.65 26.65 26.66 26.69 26.70 26.71 26.72 26.73 26.74 26.75 26.76 26.77 26.79 26.80 26.81 26.83

IX. Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Darlegungs- und Beweislast . . . . . a) Anfangsvermögen . . . . . . . . . . aa) Vermutungswirkung . . . . bb) Negatives Vermögen . . . . cc) Privilegiertes Vermögen . . dd) Substantiierung . . . . . . . .

26.85 26.86 26.90 26.90 26.90 26.92 26.94 26.95

26.52 26.53 26.55 26.57 26.59 26.61 26.63

Unternehmensbewertung im Familienrecht

b) Endvermögen . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Grundsätze . . bb) Illoyale Vermögensminderungen (§ 1375 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögensbewertung . . . . . . . . . a) Ermittlung des Vermögenswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbständiges Beweisverfahren (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26.96 26.96 26.100 26.103 26.103

Rz. 26.1 § 26

c) Überprüfung des Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . . . 4. Vorzeitiger Zugewinnausgleich (§§ 1385, 1386 BGB) . . . . . . . . . . a) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgleich nach § 1385 BGB . . c) Ausgleich nach § 1386 BGB . . d) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . bb) Wert . . . . . . . . . . . . . . . .

26.110 26.112 26.112 26.114 26.117 26.118 26.118 26.120

26.106

Schrifttum: Ballhorn/König, Die Berücksichtigung latenter Ertragssteuern bei Unternehmensbewertungen im Zugewinnausgleich, FuR 2016, 383; Ballhorn/König, Unternehmensbewertung nach dem IDW S13, FamRZ 2018, 161; Ballhorn/König, Die modifizierte Ertragswertmethode im Zugewinnausgleich – „Narrenfreiheit“ für die Sachverständigen?, NJW 2018, 1911; Borth, Die Bewertung von Unternehmen im Familien- und Erbrecht nach IDW S13 – Eine gezielte Umdeutung der Bewertungsgrundsätze des BGH?, FamRZ 2017, 1739; Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, 5. Aufl. 2017; Englert, Die Bewertung von freiberuflichen Praxen mit Hilfe branchentypischer Wertfindungsmethoden, BB 1997, 142; Frielingsdorf, Überblick zur BGH-gemäßen Festlegung des individuellen Arztlohnes bei der Bewertung von Arzt-/Zahnarztpraxen im Ehescheidungsverfahren, FamRZ 2011, 1911; Heiß/ Born, Unterhaltsrecht, Loseblatt (Stand 52. EL Juli 2017); Hoppenz, Die latente Einkommensteuer im Zugewinnausgleich: Ein Rettungsversuch, FamRZ 2012, 1618; Hoppenz, Der BGH und die Halbteilung bei der Bewertung im Zugewinnausgleich, FS Brudermüller, 2014, S. 345; Hoppenz, Familiensachen, 9. Aufl. 2009; Horn, Kriterien für den Goodwill bei Praxen von Freiberuflern, FPR 2006, 317; Janssen, Die Bewertung von Anwaltskanzleien, NJW 2003, 3387; Kleinle, Die Bewertung von Personengesellschaften im Zugewinnausgleich, FamRZ 1997, 1133; Klingelhöffer, Zugewinnausgleich und freiberufliche Praxis, FamRZ 1991, 882; Koch, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Zugewinnausgleich, FamRZ 2012, 1521; Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, 2016; Kohl/Ballhorn/König, Unternehmensbewertung bei familien- und erbrechtlichen Anlässen nach IDW S13, DB 2016, 2428; Kotzur, Goodwill freiberuflicher Praxen und Zugewinnausgleich, NJW 1988, 3239; Kuckenburg, Unternehmensbewertung versus Immobilienbewertung, FuR 2017, 595; Kuckenburg, Unternehmenswertgutachten im Zugewinnausgleich, NZFam 2015, 319; Kuckenburg, Unternehmensbewertung – IDW versus BGH, FuR 2018, 78; Leuner, Sind Arzt- und Zahnarztpraxen aus Erwerber- oder Veräußerersicht zu bewerten?, Praxis Freiberufler-Beratung 2013, 250; Michalski/Zeidler, Die Bewertung von Personengesellschaften im Zugewinnausgleich, FamRZ 1997, 397; Münch, Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich, DStR 2014, 806; Muscheler, Familienrecht, 3. Aufl. 2013; Piltz/Wissmann, Unternehmensbewertung beim Zugewinnausgleich nach Scheidung, NJW 1985, 2673; Römermann/Schröder, Die Bewertung von Anwaltskanzleien, NJW 2003, 2709; Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, 6. Aufl. 2015; Stabenow, Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Bewertung von freiberuflichen Praxen im Zugewinnausgleich, FamRZ 2012, 682.

I. Einführung Was hat ein familienrechtliches Kapitel in einem Rechtshandbuch zur Unternehmensbewertung zu suchen? Die Antwort lautet: Einiges, wenn man sich vergegenwärtigt, wie häufig Ansprüche auf Zugewinnausgleich im Rahmen von Scheidungsverfahren oder auch noch danach1 in gesonderten familiengerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden. 1 Der Anspruch auf Zugewinnausgleich entsteht mit Rechtskraft der Scheidung, § 1564 Satz 2 BGB; für ihn gilt die regelmäßige 3-jährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB. Gerade im Hinblick auf die regelmäßig hälftige Kostentragung im Verbundverfahren (§ 150 Abs. 1 FamFG) kann es sinn-

Born 827

26.1

§ 26 Rz. 26.1

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Der Grund hierfür ist die Notwendigkeit, bei Auflösung einer Ehe das während der Ehe gemeinsam erwirtschaftete Vermögen festzustellen und hälftig aufzuteilen. Die – der Aufteilung vorangehende – Feststellung dieses Vermögens ist mehr oder weniger schwierig. Sie gestaltet sich relativ einfach, wenn es um Bargeld, Bankguthaben, Bausparverträge oder ähnliche Positionen geht, deren Wert ohne weiteres feststellbar ist. Sie ist deutlich schwieriger, wenn der Vermögensgegenstand bewertet werden muss; dies ist etwa bei Aktien, Unternehmen oder Praxen von Freiberuflern erforderlich. Mit den nachstehenden Ausführungen soll dafür eine Hilfestellung gegeben werden.

II. Grundlagen und Systematik des gesetzlichen Güterrechts 1. Gütergemeinschaft und Gütertrennung a) Allgemeines

26.2 Typologisch ist zu unterscheiden: Bei Gütertrennung liegt kein gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten vor, wobei diesen die Befugnis bleibt, ebenso wie nicht miteinander verbundene Personen ein solches Vermögen zu begründen. Bei Gütergemeinschaft stellt gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten dagegen ein konstitutives Element dar.1 Das BGB versteht unter dem gesetzlichen Güterrecht die Ordnung der güterrechtlichen Verhältnisse unter den Ehegatten, die mangels anderweitiger (ehevertraglicher) Vereinbarung kraft Gesetzes eintritt; seit 1.7.19582 ist das die Zugewinngemeinschaft. b) Gesetzlicher Güterstand

26.3 Für den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft besteht eine Vermutung; demgemäß trägt für die gegenteilige Behauptung derjenige die Beweislast, der sich darauf beruft.3 Die Grundgedanken für den Ausgleich des Zugewinns sind folgende: – Nach dem Mitverursachungsgedanken wird angenommen, dass der von einem Ehegatten während des Zusammenlebens erzielte Vermögenserwerb vom anderen Ehepartner ebenfalls verursacht und unterstützt worden ist, woraus sich eine Teilhabe an dem erzielten Vermögenszuwachs rechtfertigt; – dem liegt die Vorstellung eines Erwerbsverzichts zugrunde, wonach in arbeitsteiliger Ehe ein Ehegatte (meist die Ehefrau) aufgrund von Haushaltsführung und Kindesbetreuung die eigene berufliche Karriere zurückstellt.4

26.4 Sofern man die Berufstätigkeit des einen und die Haushaltführung des anderen Ehegatten als gleichwertige Beiträge zum ehelichen Zusammenleben ansehen kann, erscheint die gleichmäßige Beteiligung an dem während der Ehe Erwirtschafteten sachgerecht.5

1 2 3 4 5

voll sein, eine Forderung auf Zugewinnausgleich erst nach Abschluss des Scheidungsverfahrens geltend zu machen, vgl. Kogel, Strategien, Rz. 561. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Einleitung zu §§ 1363 bis 1563, Rz. 6. Zur Rechtsentwicklung seit 1900 s. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Einleitung zu §§ 1363 bis 1563, Rz. 15 ff. Brudermüller in Palandt, vor § 1363 BGB Rz. 1. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 11. Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 1.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.7 § 26

c) Ehetypen und Vertragsfreiheit Die (schematisch) hälftige Teilung des Vermögenszuwachses zwischen den Ehegatten wird 26.5 Abweichungen der Gleichwertigkeit von Berufstätigkeit und Haushaltsführung nicht gerecht; gerechtfertigt wird die schematisch hälftige Teilung aber allgemein mit der Annahme der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Berufs- und Haushaltstätigkeit.1 Es ist zu konstatieren, dass sich die gesellschaftliche Entwicklung von dem geschilderten Ehetyp inzwischen weit entfernt hat mit der Folge, dass die Zugewinngemeinschaft z.B. nicht für Ehen von kinderlosen Doppelverdienern passt; hier kann sich der Zugewinnausgleich nur auf einen Ausgleich eines unterschiedlichen beruflichen Einkommens richten.2 Allgemein werden sich die Ehetypen je nach ökonomischer Situation und persönlichem Lebensstil der Ehegatten sehr unterscheiden; von daher bestünde Bedarf dafür, für diese verschiedenen Güterstände auch jeweils unterschiedliche Teilungslösungen vorzusehen. Der BGB-Gesetzgeber von 1900 ging von der Hausfrauenehe aus; die vollschichtig tätige Ehefrau von heute stellt das andere Ende der Skala dar. Dazwischen liegen Ehen, die z.B. durch die Mitarbeit der Ehefrau im Geschäft des Ehemannes oder auch durch wechselnde berufliche Phasen gekennzeichnet sind. Wenn gleichwohl – schematisch und pauschal – die hälftige Teilung des Vermögenszuwachses einheitlich für alle Ehen vorgesehen ist, lässt sich das nur mit dem Vereinfachungsgedanken rechtfertigen.3 Die dargestellten Disparitäten zwischen dem gesetzlichen Güterstand und den verschiedenen Ehetypen führen vielfach dazu, dass den unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen der Eheleute individuell durch einen Ehevertrag Rechnung getragen wird.4 Obwohl die Vertragsfreiheit im ehelichen Güterrecht gesetzlich verankert ist (vgl. §§ 1408 ff. BGB), wird von ihr nur relativ selten Gebrauch gemacht, selbst in Fällen von Selbständigkeit oder Situationen, in denen bei Scheitern der Ehe der Wert eines Unternehmens oder einer Gesellschaftsbeteiligung eine Rolle spielt. Der BGH hat seit 2004 in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass der vertragliche Ausschluss des Zugewinnausgleichs nicht einmal einer Rechtfertigung bedarf, weil dort beim Anspruch auf Zugewinnausgleich der Teilhabegedanke aufgrund Familienarbeit (s. Rz. 26.3) keine entscheidende Rolle spielt.5

26.6

2. Zugewinngemeinschaft a) Grundsätze Zugewinngemeinschaft bedeutet, dass während der Ehe Gütertrennung vorliegt und am Ende der Ehe ein wirtschaftlicher Ausgleich stattfindet.6 Die maßgeblichen Grundsätze bestehen darin, dass – die Eigentumsverhältnisse durch die Heirat nicht verändert werden; es gibt kein gemeinschaftliches Vermögen (§ 1363 Abs. 2 BGB), und es besteht auch keine gesetzliche Haftung des einen Ehegatten für Schulden des anderen.

1 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 11 unter Hinweis auf die Kritik von Muscheler, Rz. 336. Kritisch auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 34 Rz. 3. 2 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 5. 3 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 11. 4 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 2. 5 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = NJW 2004, 930. 6 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 9; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 6.

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26.7

§ 26 Rz. 26.7

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

– jeder Ehegatte sein Vermögen selbständig verwaltet (§ 1364 BGB) und er die Einwilligung des anderen Ehegatten nur bei Verfügungen über sein Vermögen im Ganzen (und über Haushaltsgegenstände) benötigt (§§ 1365 Abs. 1, 1369 Abs. 1 BGB). Kein Ehegatte muss in Richtung eines möglichst hohen Zugewinns wirtschaften. – bei Auflösung der Ehe das gemeinsam erwirtschaftete Vermögen festgestellt und anschließend hälftig aufgeteilt wird, ohne dass es darauf ankäme, wer in welchem Umfang zu diesem Vermögenserwerb beigetragen hat.1 b) Teilungsposten

26.8 Mit dem Grundgedanken, wonach der in gemeinschaftlicher Lebensleistung erarbeitete Gewinn geteilt werden soll, lässt sich nicht vereinbaren, dass nach geltendem Recht grundsätzlich das gesamte während der Ehe erworbene Vermögen auszugleichen ist ohne Rücksicht darauf, welcher Ehegatte in welchem Umfang dazu beigetragen hat; auf die verschiedenen Ehetypen wurde unter 1. c) (Rz. 26.5) bereits hingewiesen. Ein gewisses (sicherlich nicht ausreichendes) Korrektiv liegt in der Herausnahme des „privilegierten“ Vermögens nach § 1374 Abs. 2 BGB; danach werden solche Vermögensgegenstände von der Teilung ausgenommen, die im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, durch Schenkung oder durch Erbfall vom Ehegatten erworben worden sind. Unzureichend ist das Korrektiv u.a. auch deshalb, weil andere Vermögensgegenstände wie Schmerzensgeld oder ein Lottogewinn2 nicht unter die Vorschrift fallen sollen, obwohl sie zweifellos nicht auf einer gemeinschaftlichen Anstrengung der Eheleute beruhen.3 Demgemäß wurde vom 16. Deutschen Familiengerichtstag 20054 eine Ergänzung des § 1374 Abs. 2 BGB dahin empfohlen, dass dem Anfangsvermögen auch solches Vermögen zugerechnet wird, dessen Erwerb „nach seiner Zweckbestimmung in keiner Beziehung zur ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft steht“.

26.9 Da aber inzwischen mehr als 13 Jahre vergangen sind, wird man auf den Gesetzgeber nicht warten können. Sachgerecht erscheint eine analoge Anwendung des § 1374 Abs. 2 BGB unter Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke, weil der Vorschrift Regelungen fehlen, die nach dem Leitgedanken des privilegierten Erwerbs in ihr enthalten sein sollten.5 Während man beim Lottogewinn eine Nichtanwendung der Privilegierung durchaus begründen kann mit dem Hinweis darauf, dass der andere Ehegatte auch die Verluste mittragen muss, erscheint dagegen das Schmerzensgeld so personenbezogen, dass eine Teilung der entsprechenden Entschädigung im Zugewinnausgleich nicht sachgerecht ist. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass es Fälle geben kann, in denen der Anspruch erst nach Trennung der Eheleute entsteht.

26.10 Die vier Rechnungsgrößen bestehen in den – von beiden Eheleuten zu fertigenden – Aufstellungen zum Anfangs- und Endvermögen, fixiert jeweils auf zwei Bilanzstichtage. – Beim Anfangsvermögen geht es um das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten beim Eintritt des Güterstandes gehört (§ 1374 Abs. 1 BGB); Stichtag 1 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 6. 2 So BGH v. 16.10.2013 – XII ZB 277/12, MDR 2014, 33 = NJW 2013, 3645; s. dazu Herr, NZFam 2014, 1. 3 Grundlegend dazu Schwab in FS Söllner, S. 1079 (1084), zitiert nach Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 12. 4 Arbeitskreis 21, Brühler Schriften zum Familienrecht Band 14. 5 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 47.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.13 § 26

ist der Tag der Heirat (§ 1363 Abs. 1 BGB). Sofern die Ehegatten – entgegen der „Wunschvorstellung“ des Gesetzgebers (§ 1377 Abs. 1 BGB) – kein Verzeichnis des Anfangsvermögens gefertigt haben, wird gem. § 1377 Abs. 3 BGB vermutet, dass ein Anfangsvermögen nicht vorhanden war. – Das Endvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstandes gehört (§ 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB). Es umfasst – ebenso wie das Anfangsvermögen – alle rechtlich geschützten Positionen mit wirtschaftlichem Wert. Art und Grund von Vermögenszuwächsen spielen bei der Feststellung der einzelnen Rechnungsposten ebenso wenig eine Rolle wie die Ursachen von Vermögensverlusten. Wenn bspw. ein Ehegatte durch tatkräftige Hilfe einen bestimmten Teil des Vermögens seines Ehepartners (z.B. in dessen Unternehmen) mehrt, kann er seinen eigenen Ausgleichsanspruch verlieren und umgekehrt selbst ausgleichspflichtig werden, sofern in anderen Teilen des Vermögens des Ehegatten Verluste eintreten, etwa bei einem Rückgang von Aktienkursen. Umgekehrt kann auch ein Ehegatte ohne jeden Beitrag zur Vermögensentwicklung beim Partner in den Genuss einer eigenen Ausgleichsforderung kommen. Beides macht deutlich, dass die Zugewinngemeinschaft kein Güterstand ist, der den tatsächlichen Beitrag eines Ehegatten am Zugewinn des anderen widerspiegelt.1

26.11

c) Reform Der Gesetzgeber hat jedenfalls in Ansätzen auf die Kritik reagiert. Er hat zwar auf eine grundsätzliche Strukturreform der Zugewinngemeinschaft verzichtet, sondern sich mit punktuellen Änderungen des Ausgleichsanspruchs begnügt.2 Die wichtigsten Änderungen als Folge der Gesetzesreform3 sind folgende:

26.12

– Einführung des negativen Anfangs- und Endvermögens, – Vorverlegung des für die Höhe der Ausgleichsforderung maßgebenden Zeitpunktes auf den Tag der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, – Einräumung des Ausgleichsanspruchs auch bei vorzeitiger Aufhebung der Zugewinngemeinschaft, – Erweiterung der Auskunftsrechte. Unverändert geblieben ist dagegen der Schematismus der erbrechtlichen Lösung (§ 1371 26.13 BGB). Danach wird der Zugewinn völlig unabhängig von der Frage ausgeglichen, ob und von wem ein Zugewinn erzielt worden ist. Durch die – generell vorgesehene – Verstärkung des Ehegattenerbrechts partizipiert auch ein an sich selbst ausgleichspflichtiger Ehegatte mit dem höheren Zugewinn am Vermögen des Verstorbenen; seine Vermögensteilhabe entsteht also – ganz unabhängig von der Frage eines Beitrags bei der Erwirtschaftung – allein durch den Um-

1 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 13. 2 Zur Gesetzesreform im Einzelnen Brudermüller, NJW 2010, 401; Brudermüller, FamRZ 2009, 1185; Rakete-Dombeck, FPR 2009, 270; Büte, NJW 2009, 2776; Büte, FF 2010, 279; Weinreich, FuR 2009, 497; zum Regierungsentwurf Hoppenz, FamRZ 2008, 1889; Koch, FamRZ 2008, 1124; Röthel, FPR 2009, 273. 3 Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts v. 6.7.2009, BGBl. I 1696.

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§ 26 Rz. 26.13

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

stand, dass er länger lebt.1 Unverändert geblieben ist auch eine Ausgleichspflicht bei „eheneutralem“ Erwerb, denn der Katalog der – abschließend aufgezählten – Privilegierungstatbestände des § 1374 Abs. 2 BGB ist nicht erweitert worden. Schließlich ist die gewünschte Vorverlegung des Stichtags (§ 1384 BGB) auf den Zeitpunkt der Trennung, um Manipulationen nach Möglichkeit auszuschließen, nicht Gesetz geworden.2 Von Anfang an in der Kritik stand die Tatsache, dass aufgrund entsprechender Vorgabe des Gesetzes Anfangs- und Endvermögen selbst bei Verschuldung der Ehegatten niemals negativ sein konnten, sondern immer mindestens mit Null anzusetzen waren (§ 1374 Abs. 1 BGB a.F., § 1375 Abs. 1 BGB a.F.). Dieses Verbot des negativen Anfangs- und Endvermögens hatte zur Konsequenz, dass ein Ehegatte, der im Falle von Verschuldung bei Heirat durch Tilgung seiner Verbindlichkeiten in der Ehe einen Gewinn erzielte, diesen nicht als Zugewinn verbuchen konnte mit der Folge, dass der Ehepartner von einer Beteiligung an diesem „Schuldentilgungsgewinn“ ausgeschlossen wurde, obwohl er dazu beigetragen hatte. Die Zulassung des negativen Anfangs- und Endvermögens hat der Kritik Rechnung getragen, sie ermöglicht seit dem 1.9.2009 den Ausgleich der entsprechenden Beteiligung des Ehegatten am Abbau der Schulden des anderen.3 Zur Darlegungs- und Beweislast s. unten unter IX. 2. a) (Rz. 26.90). d) Indexierung

26.14 Aussagekräftig ist ein Vergleich des Anfangsvermögens mit dem Endvermögen nur, wenn der Kaufkraftschwund des Geldes ausgeglichen wird. Aus diesem Grund muss das gesamte Anfangsvermögen im Hinblick auf die Geldentwertung „inflationsbedingt“ hochgerechnet (indexiert) werden. Für die Umrechnung wird der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Verbraucherpreisindex für Deutschland herangezogen.4 Auch negatives Anfangsvermögen ist zu indexieren.5 Hintergrund ist der Umstand, dass Schulden zum Zeitpunkt der Heirat eine höhere Belastung dargestellt haben als lange Zeit später bei Rechtshängigkeit der Scheidung. Da die Indexierung nicht auf die einzelnen Vermögensgegenstände und ihre Veränderung abstellt, sondern Anfangs- und Endvermögen vergleichbar machen soll,6 ist aufgrund der zwischenzeitlichen Geldentwertung der für die Abtragung der Schulden notwendige Konsumverzicht geringer geworden; deshalb ist eine Auswirkung des inflationsbedingten Kaufkraftschwundes auch auf Schulden erforderlich.7 3. Vertragsgestaltung

26.15 Die Auswirkungen des Anspruchs auf Zugewinnausgleich auf den Geschäftsverkehr liegen auf der Hand. So gefährdet der Ausgleichsanspruch die Gläubiger eines Ehegatten schon dadurch, dass die Forderung des ausgleichsberechtigten Ehegatten damit konkurriert; es kommt hinzu, dass die Höhe des Anspruchs kaum kalkulierbar erscheint. Liquiditätsschwierigkeiten entstehen dadurch, dass die Ausgleichsforderung sofort fällig wird (§ 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB) und die Stundungsmöglichkeit (§ 1382 BGB) nur einen eingeschränkten Schutz bietet, weil sie er1 2 3 4

Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 15. Brudermüller in Palandt, vor § 1363 BGB Rz. 6. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 16. Abdruck der Tabelle bei Schulz/Hauß, Kap. 13 Rz. 2355. In der Praxis ist eine Berechnung unter Verwendung einschlägiger Computer-Berechnungsprogramme üblich. 5 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1373 BGB Rz. 11; Büte, NJW 2009, 2776; Heiß, FamFR 2009, 1; Gutdeutsch, FPR 2009, 277; a.A. Klein, FuR 2010, 122. 6 Gutdeutsch, FPR 2009, 277. 7 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 63 mit Berechnungsbeispiel unter Rz. 64.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.18 § 26

fordert, dass die sofortige Zahlung nach Interessenabwägung zwischen Schuldner und Gläubiger1 „zur Unzeit“ erfolgen würde. Denn auch wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht gefährdet werden soll, insbesondere wenn er die wirtschaftliche Grundlage von Unterhaltszahlungen bildet, so müssen andererseits die Interessen des Gläubigers ernst genommen werden, der den Zugewinn – jedenfalls nach gesetzlicher Annahme – mit erwirtschaftet hat und das Geld oft dringend zur finanziellen Bewältigung seiner Scheidungssituation benötigt.2 Diese Liquiditätsschwierigkeiten des Ausgleichsschuldners können Dritte gefährden, die ein berechtigtes Interesse an der Erhaltung seiner Vermögenslage haben.3 Eine Reaktion des Geschäftsverkehrs besteht darin, dass – bei Belastungen von Grundstücken regelmäßig vorsorgliche Zustimmungserklärungen eingeholt und fast immer eine gesamtschuldnerische Haftung beider Ehegatten vereinbart wird; – im Gesellschaftsrecht spezielle Regelungen getroffen werden, z.B. in der Form, dass bei Eintritt in die Gesellschaft der Ausschluss der Zugewinngemeinschaft verlangt oder jedenfalls die gesellschaftsrechtliche Position in Bezug auf Entnahmerecht oder Höhe und Fälligkeit des Auseinandersetzungsguthabens so ausgestaltet werden, dass im Zugewinnausgleichsfall keine Existenzbedrohung für die Gesellschaft eintritt.4

III. Stichtage 1. Anfangsvermögen Gemäß § 1374 Abs. 1 BGB ist Anfangsvermögen dasjenige Vermögen, dass einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten beim Eintritt des Güterstandes gehört; Stichtag für die Berechnung ist im Regelfall der Tag der Heirat (§ 1363 Abs. 1 BGB).

26.16

2. Endvermögen Gemäß § 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB ist Endvermögen dasjenige Vermögen, welches einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstandes gehört. Stichtag (s. dazu allgemein Rz. 1.33) ist hier grundsätzlich die Beendigung des Güterstandes (§ 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB). Beendet ist der Güterstand

26.17

– im Falle der Scheidung der Ehe mit Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses, – gemäß § 1384 BGB aber – vorverlagernd – zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags. Kommt es anschließend zu Vermögensminderungen, sind diese ohne Bedeutung.5 Selbst bei längerem Ruhen des Scheidungsverfahrens bleibt die Zustellung des Scheidungsantrags als Stichtag maßgebend;6 eine Ausnahme ist nur dann gerechtfertigt, wenn der durch den frühen Stichtag benachteiligte Ehegatte keine rechtliche Möglichkeit mehr hat, das rechtshängige

1 2 3 4 5 6

Dazu im Einzelnen Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1382 BGB Rz. 5 ff. Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 893. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 17. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, vor § 1363 BGB Rz. 17. BT-Drucks. 16/10798, 27 zu Nr. 9; Schwab, FamRZ 2009, 1445, 1446. BGH v. 23.6.2004 – XII ZB 212/01, MDR 2004, 1298 = FamRZ 2004, 1364.

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26.18

§ 26 Rz. 26.18

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Scheidungsverfahren allein zu beenden,1 also etwa dann, wenn schon mündlich verhandelt worden ist und er seinen Scheidungsantrag nicht mehr ohne Zustimmung des anderen Ehegatten zurücknehmen kann (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 269 Abs. 1 ZPO) oder der Antragsgegner ebenfalls die Scheidung beantragt hatte.2 Bei Rücknahme des Scheidungsantrags und anschließender Antragstellung durch den anderen Ehegatten ergibt sich ein neuer Stichtag in einem neuen Scheidungsverfahren.3 3. Trennungsvermögen

26.19 Nach früherer Rechtslage bestand vor Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags nur eine allgemeine, aus der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) hergeleitete Pflicht, den Ehepartner „in groben Zügen“ über die Vermögensverhältnisse zu unterrichten.4 Vor dem Hintergrund einer andauernden Kritik an Versuchen, zwischen Trennung und Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags – im Regelfall ist das Trennungsjahr abzuwarten – Manipulationen vorzunehmen, wurde zum 1.9.2009 zusätzlich eine Auskunftspflicht über das Vermögen zum Zeitpunkt der Trennung (§ 1379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB) eingeführt. Tritt zwischen diesem Stichtag und demjenigen, der für das Endvermögen maßgebend ist, eine Verringerung des Vermögens ein, dann wird nach § 1375 Abs. 2 Satz 2 BGB vermutet, dass diese Vermögensminderung auf illoyale Handlungen i.S.v. § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB zurückzuführen ist.

26.20 Die Auskunft ist auf die Angabe des Vermögensstandes zum Zeitpunkt der Trennung beschränkt. Geschuldet ist ein – nach Aktiva und Passiva gegliedertes schriftliches Bestandsverzeichnis; auch die Vorlage von Belegen kann gefordert werden (§ 1379 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 BGB), ebenfalls Wertangaben (§ 1379 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BGB). Aus dem Umstand, dass der Ausgleichsberechtigte einen bestimmten Tag angeben muss, zu dem er Auskunft verlangt, ergeben sich Schwierigkeiten in Fällen, in denen sich das Scheitern der Ehe über einen längeren Zeitraum hinzieht.5

IV. Allgemeine Grundsätze der Bewertung 1. Grundsätze

26.21 Der Begriff des Zugewinns wird in § 1373 BGB festgelegt; die §§ 1374, 1375 BGB geben an, wie die für den Zugewinnausgleich maßgebenden Rechnungsgrößen (Anfangs- und Endvermögen) gebildet werden. Die Bewertung richtet sich nach § 1376 BGB. Nach Abs. 2 der Vorschrift wird der Berechnung des Endvermögens der Wert zugrunde gelegt, den das bei Beendigung des Güterstands vorhandene Vermögen in diesem Zeitpunkt und eine dem Endvermögen hinzuzurechnende Vermögensminderung in dem Zeitpunkt hatte, in dem sie eingetreten ist.

1 BGH v. 23.6.2004 – XII ZB 212/01, MDR 2004, 1298 = FamRZ 2004, 1364. 2 OLG Bremen v. 29.10.1997 – 4 WF 75/97, FamRZ 1998, 1516; Jaeger in Johannsen/Henrich, § 1384 BGB Rz. 5; a.A. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1384 BGB Rz. 5. 3 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 89. 4 BGH v. 25.6.1976 – IV ZR 125/75, FamRZ 1978, 677; OLG Karlsruhe v. 1.8.1989 – 2 WF 65/89, FamRZ 1990, 161. 5 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 86.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.26 § 26

a) Objektiver Wert Im Anfangs- und Endvermögen müssen alle Gegenstände, Rechte und Verbindlichkeiten mit 26.22 einem bestimmten Wert angegeben werden; nach gefestigter Rechtsprechung ist der volle, wahre und wirkliche Wert zu ermitteln.1 Das Gesetz sagt nicht, nach welcher Methode das im Einzelnen festzustellen ist.2 Die Maßgeblichkeit des „wahren vollen Wertes“ soll Unterbewertungen ausschließen, wie sie z.B. bei Erhaltung des Familienheims oder zum Schutz eines Unternehmens sowie freiberuflicher Einrichtungen zulässig sind.3 Zu den verschiedenen Wertkonzepten s. Rz. 1.5 ff. b) Methoden Die Bewertungsmethode ist sachverhaltsspezifisch auszuwählen.4 Dabei darf man sich nicht nur auf die sofortige Verfügbarkeit und Erzielbarkeit von Werten beschränken; diese liquidationsrechtliche Bewertung ist nur dann vorzunehmen, wenn die Zugewinnausgleichsforderung nicht aus anderweitigen Mitteln beglichen und auch nicht gem. § 1382 Abs. 1 BGB gestundet werden kann.5 Sofern der Gegenstand zur Nutzung durch den Inhaber bestimmt ist, kann nicht ein möglicherweise unter dem wahren Wert liegender Veräußerungswert in Ansatz gebracht werden.6 Zu den verschiedenen Wertformen s. Rz. 26.27.

26.23

Ansonsten entscheidet aber der Verkehrswert (s. unter 2. a), Rz. 26.28), also derjenige Preis, der bei einer Veräußerung voraussichtlich erzielbar ist.

26.24

c) Tatrichter Da das Gesetz keine Bewertungsmethode vorschreibt, ist es dem – u.U. sachverständig berate- 26.25 nen – Tatrichter überlassen, im Einzelfall die Bewertungsart auszusuchen, die von Sachverhalt und Bewertungsgegenstand her geboten ist.7 S. dazu auch Rz. 1.44 ff. d) Verfahren Im Regelfall ist vom Gericht ein Sachverständigengutachten über den Wert einzuholen. Als Alternative kommt ein Vorgehen in Form des selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO in Betracht.8 Sofern Wertangaben insoweit einseitig sind, als der Gegner da-

1 2 3 4 5

BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, MDR 2005, 276 = FamRZ 2005, 99. Eine Ausnahme gilt nur für landwirtschaftliche Betriebe, § 1376 Abs. 4 BGB. Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 118. Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 42. BGH v. 12.7.1995 – XII ZR 109/94, MDR 1995, 1140 = NJW 1995, 2781; BGH v. 7.7.1993 – XII ZR 35/92, MDR 1993, 1085 = NJW 1993, 2804; BGH v. 15.1.1992 – XII ZR 247/90, MDR 1992, 488 = NJW 1992, 1103. 6 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, AG 1980, 158 = GmbHR 1980, 200 = FamRZ 1980, 37. 7 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, MDR 2011, 1042 = FamRZ 2011, 1367 m. Anm. Borth; BGH v. 12.7.1995 – XII ZR 109/94, MDR 1995, 1140 = NJW 1995, 2781; Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 42; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 9. 8 OLG Koblenz v. 17.10.2008 – 7 WF 867/08, FamRZ 2009, 804; OLG Köln v. 25.2.2010 – 10 WF 216/09, FamRZ 2010, 1585; Kogel, FF 2009, 195; Born, FPR 2009, 305.

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26.26

§ 26 Rz. 26.26

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

zu nur unsubstantiiert Stellung nimmt, darf das Gericht diese Angaben nur im Falle eigener Sachkunde zugrunde legen.1 2. Wertformen

26.27 Es liegt nicht ohne weiteres auf der Hand, was den „wahren vollen Wert“ darstellt. Hier kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht. a) Verkehrswert

26.28 In unserem Wirtschaftssystem wird der Wert eines Gegenstandes generell vom Markt bestimmt; der Verkehrswert wird von daher als Erlös einer Veräußerung unter Ausnutzung aller Marktchancen angesehen.2 Korrekturen des Verkehrswertes sind dennoch nicht ausgeschlossen, weil der „wahre volle Wert“ auch von anderen Faktoren bestimmt sein kann. b) Liquidationswert

26.29 Es handelt sich um den Verkaufswert, der sich bei unmittelbarer Veräußerung sogleich realisieren lässt; er liegt regelmäßig unter dem üblichen Verkaufswert, was sich schon aus der zeitlichen Komponente ergibt. Dieser kann nur für solche Gegenstände angesetzt werden, die ohnehin zur Veräußerung bestimmt sind; Gleiches gilt für die Gegenstände, die als Folge des Zugewinnausgleichs veräußert werden müssen.3 Insoweit liegt eine familienrechtliche Besonderheit vor, weil ansonsten mit „Liquidationswert“ der Erlös aus einer „Einzelveräußerung“ der Bestandteile einer Sachgesamtheit gemeint ist, der durchaus mit einer längeren Vorbereitungszeit erzielt werden kann (vgl. Rz. 2.37 ff.). Sofern am Bewertungsstichtag abzusehen ist, dass die Notwendigkeit der (unwirtschaftlichen) Liquidierung besteht, weil in anderer Weise die für die Erfüllung der Ausgleichsforderung erforderlichen Mittel nicht aufgebracht werden können, sind liquidationsrechtliche Abschläge bei der Bewertung der Vermögensgegenstände zu machen.4 Vorrangig ist aber die Prüfung, ob diese unwirtschaftliche Liquidierung nicht durch einen Antrag auf Stundung der Ausgleichsforderung (§ 1382 BGB) vermieden werden kann.5 S. zum Liquidationswert auch Rz. 1.38; Rz. 2.37; Rz. 4.27; Rz. 9.4–9.6.

26.30 Der Ansatz des Liquidationswertes kommt in Betracht, wenn das Unternehmen von einem Dritten nicht betrieben werden kann; denn zu berücksichtigen ist nicht der subjektive Wert, den das Unternehmen für den gegenwärtigen Unternehmer hat, sondern der objektive Marktwert, also der Wert, den es in den Händen eines jeden Dritten hat.6 c) Latente Ertragssteuern

26.31 Da der Wert des Gegenstandes (neben der Nutzungsmöglichkeit) auch danach zu ermitteln ist, was bei einer Veräußerung erzielt werden kann, sind Veräußerungskosten abzuziehen. 1 BGH v. 26.4.1989 – IVb ZR 48/88, MDR 1989, 895 = NJW 1989, 2821; Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 42. 2 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 8. 3 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 10. 4 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 10. 5 BGH v. 7.7.1993 – XII ZR 35/92, MDR 1993, 1085 = NJW 1993, 2804; BGH v. 12.7.1995 – XII ZR 109/94, MDR 1995, 1140 = NJW 1995, 2781. 6 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 32.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.34 § 26

Dieser Abzug wird nach h.M. in Rechtsprechung und Literatur auch dann vorgenommen, wenn die Veräußerung des Unternehmens nicht beabsichtigt und von daher mit einer Realisierung der Steuerlast nicht zu rechnen ist.1 Der dagegen vorgebrachten Kritik2 ist insofern Recht zu geben, als auch ansonsten Entstehenswahrscheinlichkeit und Realisierungschance einer Forderung oder Verbindlichkeit im Rahmen der Bewertung beim Zugewinnausgleich immer von Bedeutung sind und von daher wenig einsichtig ist, warum die Wahrscheinlichkeit des Anfalls der Steuer keine Rolle spielen soll.3 Eingehend zu Steuern in der Bewertung § 17. Diese – zunächst nur bei der Ermittlung des Wertes von Unternehmen und freiberuflichen Praxen vorgenommene – Berücksichtigung der latenten Steuerlast hat der BGH inzwischen aus Gründen der Gleichbehandlung auf die Wertermittlung sämtlicher steuerpflichtiger Gegenstände (z.B. Grundstücke, Wertpapiere, Lebensversicherungen) ausgedehnt.4

26.32

V. Bewertung von Unternehmen 1. Wertformen a) Allgemeines Die Wertermittlung ist im Falle einer Einzelfirma ebenso erforderlich wie dann, wenn es um eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft geht. Der „volle wirkliche Wert“ des Unternehmens entspricht regelmäßig dem Verkehrswert (s. unter III. 2. a), Rz. 26.28). Von wertbestimmender Bedeutung sind die Substanz der Firma (dazu Rz. 2.40) und der Geschäftswert als Wert des zukünftigen Erfolgs;5 damit spielen u.a. Substanzwert und Goodwill eine Rolle.6 Insgesamt geht es um den Ertragswert (s. unter 1. c), Rz. 26.36) als denjenigen Wert, den ein potentieller Erwerber für das Unternehmen am Markt bezahlen würde.7

26.33

b) Substanzwert Hierbei handelt es sich um den Wiederbeschaffungswert aller Güter, die zum Unternehmen gehören; von Bedeutung ist die Summe der Kosten, die man einsetzen müsste, um das Unternehmen in seiner Gesamtheit (einschließlich von Patenten, Lizenzen, Urheber- und Verlagsrechten, behördlichen Konzessionen usw.) zu rekonstruieren oder zu reproduzieren. Deshalb spricht man auch vom Reproduktions- oder Rekonstruktionswert.8 Bei der Wertermittlung sind die Bestandteile in ihrer Gesamtheit zu betrachten; das schließt aus, einzelne Gegenstände selbst bei Betriebsnotwendigkeit (z.B. Werkhalle) gesondert mit ihrem Verkehrswert zu be-

1 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490 = FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch, 627 und Borth, 705; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, MDR 2011, 1042 = FamRZ 2011, 1367 m. Anm. Borth, 1373; OLG Düsseldorf v. 20.9.2007 – II-7 UF 98/07, MDR 2008, 571 = FamRZ 2008, 516 m. Anm. Schröder; OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, FamRZ 2008, 1857. Eingehend zu latenten Steuern in der Unternehmensbewertung s. Münch, DStR 2014, 806 (810). 2 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 28, 35. 3 So Hoppenz, FamRZ 2006, 449. 4 Was Hoppenz, FamRZ 2012, 1618 als „Katastrophe“ bezeichnet. 5 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 30. 6 Schröder, Rz. 93 f.; Thiele in Staudinger, 2007, § 1376 BGB Rz. 28. 7 OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, FamRZ 2008, 1857. 8 Schröder, Rz. 93; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1367 BGB Rz. 31.

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§ 26 Rz. 26.34

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

rücksichtigen. Etwas anderes gilt nur bei fehlender Betriebsnotwendigkeit; hier können Einzelveräußerungspreis bzw. Liquidationswert (s. unter III. 2. b), Rz. 26.29) in Ansatz gebracht werden.1

26.35 In der betriebswirtschaftlichen Lehre wird dem Substanzwert heute keine eigenständige Bedeutung mehr zuerkannt. Man muss den Wert der betrieblichen Substanz zwar kennen, um den zukünftigen finanziellen Nutzen des Unternehmens für einen Erwerber zu ermitteln; es führt aber im Regelfall nicht weiter, sie zu einer selbständigen Rechengröße zusammenzufassen. Der Ertragswert wird von daher lediglich als Korrektur des Substanzwertes angesehen.2 Die betriebswirtschaftliche Unternehmensbewertungslehre lehnt Mittelwertverfahren (s. dazu Rz. 1.57, 1.58), welche Ertrags- und Substanzwert kombinieren, indem die Summe beider Größen halbiert wird,3 ab.4 Auch in der Rechtsprechung wird aktuell darauf nicht mehr zurückgegriffen.5 c) Ertragswert

26.36 Hierbei handelt es sich um die Erfolgs- und Gewinnaussicht des Unternehmens; man findet auch den Begriff des „inneren“ Unternehmenswertes als Form des für den Zukunftserfolg anzusetzenden Barwertes.6 Zu Einzelheiten s. Rz. 26.38. In vielen Fällen werden aktueller Erfolg und Ertrag des Unternehmens – maßgeblich oder sogar ausschließlich – auf den persönlichen Fähigkeiten und Beziehungen des Firmeninhabers beruhen, jedenfalls bei kleineren Unternehmen; in diesen Fällen liegt kein Goodwill vor, der übertragbar und von daher mit einem Verkehrswert anzusetzen wäre.7 In derartigen Fällen kann nur der Substanzwert angesetzt werden, unter Umständen sogar nur der (niedriger liegende) Liquidationswert jedenfalls in Fällen, in denen das Unternehmen von einem Dritten nicht betrieben werden kann.8 Das Gesetz gibt dagegen keine Bestandsgarantie in Form einer Unternehmensbewertung zugunsten des Inhabers; dagegen spricht schon die Möglichkeit der Stundung (§ 1382 BGB), außerdem das argumentum e contrario aus § 1376 Abs. 4 BGB.9 2. Durchführung der Bewertung a) Substanzwert

26.37 Auch für Unternehmen wird vom Gesetz (§ 1376 BGB) keine bestimmte Bewertungsmethode vorgeschrieben mit der Folge, dass der Tatrichter (s. unter III. 1. c), Rz. 26.25) eine Methode

1 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, MDR 2005, 276 = FamRZ 2005, 99 m. Anm. Schröder; Piltz/ Wissmann, NJW 1985, 2673. 2 Vgl. BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441. 3 OLG Düsseldorf v. 27.1.1984 – 3 UF 50/83, FamRZ 1984, 699; OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, FamRZ 1995, 607. 4 Meyer, FuR 1996, 94; Kuckenburg, FuR 2009, 316. 5 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 34. 6 BGH v. 23.11.1977 – IV ZR 131/76, NJW 1978, 884 (Handwerksbetrieb). 7 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, NJW 1977, 949 (Handelsvertretung); AG Münster v. 9.1.2007 – 46 F 858/05, NJW 2007, 2645 (Software-GmbH); Goodwill bejaht dagegen von BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, MDR 2005, 276 = FamRZ 2005, 99 (Maschinenbauunternehmen). 8 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 32. 9 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 32.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.39 § 26

auszuwählen hat.1 Bei der Ermittlung des Substanzwertes (s. unter 1. b), Rz. 26.34) kann man nicht die in Handels- und Steuerbilanz ausgewiesenen Werte übernehmen, weil ihnen (zulässige) Unterbewertungen zugrunde liegen, die spezifischen Zwecken dienen und beim Zugewinnausgleich keine Rolle spielen können. b) Ertragswert Der Ertragswert als Ausdruck des „inneren“ Unternehmenswertes (s. Rz. 26.36) wird definiert als

26.38

– der kapitalisierte, in eine Geldsumme umgerechnete Wert der mit dem Unternehmen erzielbaren Nutzungen und Erträge, – der Barwert der zukünftigen Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben („ewige Rente“), – der Barwert aller künftigen entnahmefähigen Erträge, – die Summe aller auf den Bewertungsstichtag abgezinsten künftigen Erfolge (Barwerte), die man mit dem Unternehmen im Laufe seiner Existenz noch erwirtschaften kann.2 Da es um die Chance geht, künftig weitere Erträge zu erzielen, sind hier – im Gegensatz zum Sachwert – nicht Anlagegüter oder die einem Unternehmen gehörenden Grundstücke für den Wert bedeutsam, sondern nur der zu erwartende Gewinn. Für die Bewertung ist der Ertragswert immer dann aussagekräftig, wenn das Unternehmen nicht mit dem derzeitigen Inhaber „steht und fällt“ (s. dazu Rz. 26.46), sondern wenn es Aussichten auf einen zukünftigen Ertrag unabhängig davon bietet, wer die Firma leitet.3 Ist die Firma wenig rentabel, kann der Ertragswert deutlich unter dem Sachwert liegen, z.B. bei Vorhandensein wertvoller Grundstücke; in diesen Fällen ist der Substanzwert maßgebend.4 Die (zukünftige) Ertragskraft richtet sich nach den Ertragsaussichten, konkret nach einem Vergleich der Rendite aus dieser Firma mit einer Rendite aus einer anderen Geldanlage. Auf der Basis der in der Vergangenheit erzielten Erträge werden geschätzte Zukunftserträge zum jeweiligen Stichtag kapitalisiert.5 Wertmindernd zu berücksichtigen sind im Einzelfall besondere Geschäftsrisiken, z.B. bei unmittelbarer Abhängigkeit des Betriebsergebnisses von der Marktstrategie eines anderen Unternehmens.6 Zu weiteren Einzelheiten s. VII. 3., Rz. 26.49 ff. Das DCF-Verfahren7 (s. dazu Rz. 1.52; Rz. 27.39) stellt nicht auf den Ertragsüberschuss, sondern auf die zukünftigen Einnahme-Überschüsse ab; es ist in der familiengerichtlichen Bewertungspraxis bisher nicht gebräuchlich. Ertragswert- und DCF-Verfahren sollten bei gleichen Bewertungsannahmen und Vereinfachungen aber grundsätzlich zum gleichen Ergebnis kom1 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, MDR 2005, 276 = FamRZ 2005, 99 m. Anm. Schröder (Maschinenbauunternehmen); OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, FamRZ 1995, 607, 610 (Handwerksbetrieb). 2 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 125. 3 OLG Hamm v. 13.6.1997 – 12 UF 223/95, FamRZ 1998, 235. 4 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 129; differenzierend BGH v. 6.5.1982 – IX ZR 36/81, FamRZ 1982, 682 = NJW 1982, 1643. 5 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, FamRZ 1995, 607; OLG Düsseldorf v. 27.1.1984 – 3 UF 50/83, FamRZ 1984, 699; OLG Koblenz v. 29.11.1982 – 13 UF 282/82, FamRZ 1983, 166. 6 OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, FamRZ 2009, 2006 bei halbjährlich kündbarem Exklusiv-Liefervertrag. 7 Discounted-Cash-Flow.

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26.39

§ 26 Rz. 26.39

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

men.1 Ein Goodwill darf nur angesetzt werden, wenn im konkreten Fall von seinem Vorhandensein ausgegangen werden darf (s. unter 1. c), Rz. 26.36). Standort, Art und Zusammensetzung der Auftragsgeber und die konkrete Lage des Unternehmens sind ebenso von Bedeutung wie die Größe der Firma. Die modifizierte Ertragswertmethode (zu Einzelheiten s. unter VI. 3., Rz. 26.49) richtet sich am Ertragswert aus und zieht davon einen – nach den individuellen Verhältnissen zu bemessenden – Unternehmerlohn ab.2 c) Spekulationssteuern

26.40 Neben den latenten Ertragssteuern (s. III. 2. c), Rz. 26.31) sind auch Spekulationssteuern bei künftiger Veräußerung innerhalb der Haltefrist (§ 23 EStG) wertmindernd zu berücksichtigen.3

VI. Bewertung von Unternehmensbeteiligungen 1. Übertragbarkeit

26.41 Sofern Beteiligungen an einer BGB-Gesellschaft, einer oHG oder einer KG übertragbar sind, ist eine Bewertung auf der Grundlage des Markt- bzw. Verkehrswertes vorzunehmen.4 Bei fehlender Übertragbarkeit ist die Beteiligung mit dem quotalen Unternehmenswert zu berücksichtigen, der im Falle wertrelevanter gesellschaftsrechtlicher Besonderheiten zu korrigieren ist; hier ist besonders darauf zu achten, ob größere oder geringere Teilhabe am Gewinn vorliegt, die dann entsprechende Zu- oder Abschläge rechtfertigt.5 2. Abfindungs- und Ausschlussklauseln

26.42 Die Ermittlung des Anteilswertes, die im Grundsatz eindeutig und im Detail der Bewertung von Unternehmen (s. dazu unter IV., Rz. 26.33) entspricht, wird durch Abfindungs- und Ausschlussklauseln in Gesellschaftsverträgen in Frage gestellt, die zu einer Beschränkung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben führen; dies geschieht z.B. durch Ausklammerung von stillen Reserven oder des Goodwill, aber auch bei Totalausschluss für den Fall des Todes des Gesellschafters, schließlich durch zeitliches Hinausschieben der Fälligkeit des Anspruchs durch Stundung oder Ratenvereinbarung.6 Auch wenn derartige Klauseln einer Wirksamkeitskontrolle nach § 138 BGB unterliegen, sind sie grundsätzlich zulässig7 und können 1 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 33. 2 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490 = FamRZ 2011, 622; BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, MDR 2008, 508 = FamRZ 2008, 761. 3 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, MDR 2011, 1042 = FamRZ 2011, 1367; a.A. Kogel, FamRZ 2003, 808; Kogel, FamRZ 2004, 1337; Hauß, FPR 2007, 190. 4 BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, MDR 1999, 362 = FamRZ 1999, 361; BGH v. 17.11.2010 – XII ZR 170/09, MDR 2011, 228 = FamRZ 2011, 183 m. Anm. Schröder, 360 = NJW 2011, 601 m. Anm. Hauß. 5 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 36; Jaeger in Johannsen/Henrich, § 1376 BGB Rz. 22. Für das Auseinandersetzungsguthaben generell OLG Jena v. 8.11.2004 – 1 WF 309/02, FamRZ 2005, 1186; Piltz/Wissmann, NJW 1985, 2673; beschränkt auf den geschilderten Fall Michalski/Zeidler, FamRZ 1997, 397. 6 S. dazu Sprau in Palandt, § 738 BGB Rz. 7. 7 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368) = GmbHR 1992, 257 zum Abfindungsrecht eines GmbH-Gesellschafters.

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Rz. 26.44 § 26

auch güterrechtlich nicht nach § 1375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB als unentgeltliche Zuwendungen ausgeschlossen werden; denn sofern die Abfindungsregelung für alle Gesellschafter gilt, also nicht ohne besonderen rechtfertigenden Grund nur einzelne Gesellschafter betrifft, ist keine Schenkung an die Gesellschaft anzunehmen.1 Die Klauseln sind für den Wert des Anteils jedenfalls dann maßgeblich, wenn das Ausscheiden des Gesellschafter-Ehegatten wegen Kündigung am Stichtag feststeht.2 Gleiches gilt für den Fall, dass im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung die Notwendigkeit der Veräußerung des Gesellschaftsanteils besteht; in diesem Fall ist der Wert der Beteiligung nur nach dem Betrag des Abfindungsanspruchs zu bemessen.3 In Abgrenzung zur Abfindung ausscheidender Aktionäre ist eine Anteilsbewertung (also keine quotale Unternehmensbewertung) durchzuführen mit der Folge, dass entsprechende Klauseln wertrelevant sind (vgl. auch Rz. 1.40). Ist dagegen offen, ob überhaupt (und wann zukünftig) eine Wirkung der Abfindungsklausel eintritt, ist die Frage der Bewertung nicht eindeutig:

26.43

– Nach der vorläufigen Lösung ist der volle Wert der Beteiligung – mit der Möglichkeit einer späteren Korrektur – unter Bezugnahme auf § 2313 BGB oder § 242 BGB anzusetzen; – nach der endgültigen Lösung ist zunächst der volle Wert der Beteiligung anzusetzen. Anschließend wird differenziert: – Zum Teil wird der Abfindungsklausel keine Bedeutung zuerkannt mit der Begründung, das Risiko des Gesellschafter-Ehegatten, beim Ausscheiden weniger zu erhalten, werde kompensiert durch die Chance auf Werterhöhung der Gesellschaftsbeteiligung im Hinblick auf das Ausscheiden anderer Gesellschafter nur zum Klauselwert;4 – Von anderer Seite wird die Abfindungsklausel generell wertmindernd berücksichtigt, oder man geht zunächst vom Klauselwert aus, versieht diesen aber in bestimmten Fällen mit prozentualen Zuschlägen.5 Die endgültigen Lösungen sind vorzugswürdig. Die – von den Befürwortern der vorläufigen Lösung angeführte – Vorschrift des § 2313 BGB wendet der BGH beim rechnerischen Zugewinnausgleich ohnehin nicht an; außerdem sind Gegenstand der Vorschrift die bedingten, unsicheren und ungewissen Rechte, nicht aber unsichere Wirkungen eines wertbildenden Faktors eines Rechtes, welches unbedingt und mit Gewissheit besteht.6 Auszugehen ist somit vom vollen Wert der Unternehmensbeteiligungen; das Risiko der geringeren Abfindung beim Ausscheiden ist wertmindernd zu berücksichtigen.7 Das entspricht auch den allgemeinen Grundsätzen der Bewertung (s. unter III. 1., Rz. 26.21): Der Anteil wird mit seinem vollen wirklichen Wert am Bewertungsstichtag erfasst; die Möglichkeit der späteren Abfindung nur mit dem Klauselwert gehört zu den gegenwärtigen Eigenschaften, sie stellt ein – auch sonst bei 1 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, NJW 1957, 180 (für § 2301 BGB). 2 BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, MDR 1999, 362 = NJW 1999, 784. 3 Jaeger in Johannsen/Henrich, § 1376 BGB Rz. 22; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 37. 4 Piltz/Wissmann, NJW 1985, 2673; Mayer in Bamberger/Roth, § 1376 BGB Rz. 23. 5 Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 218; Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 347. 6 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 39. 7 BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 27/00, MDR 2003, 334 = FamRZ 2003, 432 m. Anm. Schröder; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, MDR 1999, 362 = NJW 1999, 784; ebenso OLG Hamm v. 13.6.1997 – 12 UF 223/95, FamRZ 1998, 235 (Abschlag nur bei naheliegender Veräußerung zum Stichtag).

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26.44

§ 26 Rz. 26.44

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

risikobehafteten Vermögensanlagen zu berücksichtigendes – Risiko dar.1 Die Schätzungskriterien müssen allerdings nachvollziehbar dargelegt werden; ohne Begründung vorgenommene Abschläge vom Vollwert sind deshalb nicht zulässig.2 3. Sonderfall: Abschreibungsgesellschaften

26.45 Wenn Anteile an solchen Gesellschaften bestehen, sind regelmäßig besondere Schwierigkeiten gegeben. Die Gesellschaften werden im Regelfall als Kommanditgesellschaften gegründet; ihr Ziel ist die Erwirtschaftung von Verlusten, die dann den einzelnen Gesellschaftern zwecks dortiger Reduzierung der individuellen Steuerlast zugewiesen werden. Die Frage, ob ein Aktivwert eines solchen Gesellschaftsanteils vorliegt, ist anhand von zu erwartenden Steuervorteilen, Einzahlungsverpflichtungen, Erlösen bei Ende der Mitgliedschaft und Nachsteuern für diesen Fall zu ermitteln.3 Hieraus ist aber wenig mehr zu erwarten als ein Anhaltspunkt. Das negative Kapitalkonto der Gesellschafter kann jedenfalls nicht als Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft angesehen werden, weil es sich um eine „Verlusthaftung mit künftigen Gewinnen“ handelt;4 der Verlustanteil des Ehegatten kann somit auch nicht als Verbindlichkeit nach § 1375 Abs. 1 BGB angesehen werden.5 Lediglich noch nicht einbezahlte Einlagen oder wirksam vereinbarte Nachschusspflichten können als Verbindlichkeiten anerkannt werden.6

VII. Bewertung freiberuflicher Praxen 1. Wertformen

26.46 Auch freiberufliche Praxen sind mit ihrem „vollen wahren Wert“ bei der Ausgleichsrechnung zu berücksichtigen; zu diesem Wert gehört der Substanzwert (s. unter IV. 1. b), 2. a), Rz. 26.34, 26.37) ebenso wie der immaterielle Geschäftswert oder Goodwill (dazu s. unter IV. 1. c), 2. b), Rz. 26.36, 26.38). Der Sachwert bestimmt sich nach den für die Wiederbeschaffung aller Güter der Praxis erforderlichen Kosten; dazu zählen alle Einrichtungsgegenstände und Arbeitsmittel ebenso wie Guthaben und Forderungen, weshalb auch von „Reproduktions- oder Rekonstruktionswert“ (s. unter IV. 1. b), Rz. 26.34) gesprochen wird. Der Goodwill stellt dagegen den ideellen Wert der Praxis dar; er folgt aus dem geschäftlichen Ansehen der Praxis, maßgebend sind Standort und Lage, Mandanten- bzw. Patientenstamm, der „Ruf“ des Inhabers und die Konkurrenzsituation. Der Goodwill schlägt sich im Veräußerungswert nieder; er bestimmt sich auf der Grundlage der „Testfrage“, wie viel der Erwerber – über den Substanzwert hinaus – für die Praxis zu zahlen bereit ist, weil er auch nach der Übertragung auf den weiterbestehenden Ruf der Praxis vertraut.7 Der höhere Stellenwert dieser „Inhaber-Komponente“ stellt einen wichtigen Unterschied gegenüber der „normalen“ Bewertung mit dem Ertragswert (s. dazu Rz. 26.38) dar. 1 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 39. 2 So aber OLG Hamm v. 28.10.1982 – 1 UF 87/82, FamRZ 1983, 918 (Abschlag von 20 %); OLG Schleswig v. 1.9.1986 – 15 UF 297/85, FamRZ 1986, 1208 m. Anm. Fröhlich (Abschlag von 15.000 DM von dem mit 40.000 DM festgestellten Goodwill). 3 Arens/Spieker, FamRZ 1985, 121. 4 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 40. 5 BGH v. 23.10.1985 – IVb ZR 62/84, MDR 1986, 297 = FamRZ 1986, 37; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 424. 6 Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, 3. Aufl. 2006, Rz. 62. 7 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490 = FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch 627 und Borth 705.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.49 § 26

Es ist von besonderer Bedeutung, dass der Goodwill einer freiberuflichen Praxis in großem 26.47 Umfang inhaberbezogen ist.1 Denn bei einer freiberuflichen Praxis hängt der Geschäftserfolg – anders als bei gewerblichen Unternehmen – in deutlich größerem Umfang von der Person des Inhabers ab.2 Das kann – z.B. im Fall eines „Star-Architekten“ – im Einzelfall dazu führen, dass ein vom Inhaber unabhängiger (und damit übertragbarer und den Wert steigernder) immaterieller Wert der Praxis gänzlich fehlt, weil der unternehmerische Erfolg praktisch allein von den speziellen Fähigkeiten und dem individuellen Können des bisherigen Inhabers abhängt.3 Gleiches kann für eine Versicherungsagentur gelten (s. unter VII. 2. n), Rz. 26.81),4 ebenso bspw. für einen „Star-Anwalt“, der als Strafverteidiger einen überragenden Ruf genießt und in dessen Praxis – da regelmäßig einzelfallbezogen gearbeitet wird – kein dauerhafter Mandantenstamm vorhanden ist. In derartigen Fällen liegt kein marktwerterhöhender Goodwill vor mit der Folge, dass die Praxis im Zugewinnausgleich nur mit ihrem Substanzwert (dazu s. unter IV. 1. b), Rz. 26.34) anzusetzen ist. Allein eine fehlende Veräußerungsabsicht macht die Praxis aber nicht unveräußerlich, so dass keine Reduzierung des Geschäftswertes vorzunehmen ist.5 2. Empfehlungen der Standesorganisationen Wegen fehlender Vorgabe bestimmter Bewertungsmethoden durch § 1376 BGB (s. unter III. 1. b), Rz. 26.23) ist der Tatrichter (s. unter III. 1. c), Rz. 26.35) frei in der Wahl, mit welcher Methode er den Wert der Praxis bestimmt. Beim Goodwill wird allgemein auf die von den zuständigen Standesorganisationen entwickelten Richtlinien (dazu Rz. 34.44) zurückgegriffen,6 konkret auf Richtlinien und Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen,7 von Anwaltskanzleien8 oder für Steuerberaterpraxen.9

26.48

3. Durchführung der Bewertung Auf der Basis der (unter 2., Rz. 26.48 genannten) Empfehlungen der Standesorganisationen wird in der Praxis, insbesondere seit den einschlägigen Entscheidungen des BGH,10 regelmäßig im Wege des modifizierten Ertragswertverfahrens vorgegangen, und zwar konkret in drei Schritten:

1 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490 = FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch 627 und Borth 705. S. dazu auch Münch, DStR 2014, 806 (808). 2 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 25. 3 BGH v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, NJW 2014, 625 m. Anm. Hoppenz für einen Handelsvertreter; s. dazu Münch, DStR 2014, 806 (808); OLG München v. 13.3.1984 – 4 UF 195/83, FamRZ 1984, 1096; OLG Celle v. 24.11.1976 – 3 UF 4/76, Anwaltsblatt 1977, 216 für nur kurz bestehende Anwaltspraxis mit personengebundener Klientel. 4 OLG Stuttgart v. 2.5.1995 – 18 UF 362/94, FamRZ 1995, 1585; OLG Hamm v. 9.3.2011 – 8 UF 207/10, FamFR 2011, 297; Meyer, FuR 1996, 94. 5 OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – II-1 UF 115/03, FamRZ 2004, 1106; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 26 a.E. 6 Allgemein dazu Englert, BB 1997, 142. 7 Deutsches Ärzteblatt 2008, Heft 51/52, A4. 8 BRAK-Mitteilungen 2009, 268. 9 S. dazu Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rz. 300; Schröder, Rz. 247. 10 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, MDR 2011, 1042 = FamRZ 2011, 1367 m. Anm. Borth 1373; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490 = FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch 627 und Borth 705.

Born 843

26.49

§ 26 Rz. 26.49

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

– Im ersten Schritt wird der durchschnittliche Umsatz der letzten drei Jahre als Ausgangspunkt genommen, davon wird eine Quote (meist 90 %) als nachhaltig erzielbar zugrunde gelegt; – im zweiten Schritt wird der Ertrag der Praxis festgestellt (vom Umsatz werden die anfallenden Betriebskosten, Ausgaben und sonstige betrieblichen Belastungen abgezogen); – im dritten Schritt ist der so ermittelte Gewinn der Praxis um einen individuellen Unternehmerlohn zu bereinigen.

26.50 Maßgebend dafür sind folgende Überlegungen: Der Umsatz allein lässt keine Rückschlüsse auf die – für den Goodwill entscheidende – künftige Gewinnerwartung zu; denn einem sehr hohen Umsatz können auch sehr hohe Kosten gegenüberstehen, der Gewinn fällt entsprechend niedrig aus. Aus diesem Grunde wird die Wertbestimmung allein auf der Grundlage des Umsatzes für nicht sachgerecht gehalten. Die Bereinigung des Gewinns um den – individuell zu ermittelnden – Unternehmerlohn ist deshalb erforderlich, weil nur dadurch eine doppelte Begünstigung des ausgleichsberechtigten Ehegatten (einmal im Zugewinn, einmal im Unterhalt) vermieden wird. Würde nämlich der Wert des Goodwill im Zugewinnausgleich unter Ausschluss der individuellen Arbeitsleistung des bisherigen Inhabers ermittelt, dann würde der Wert der künftigen Arbeitsleistung güterrechtlich nicht erfasst. Dieser Wert ist herauszurechnen, weil er ja im Falle des Praxisverkaufs beim neuen Inhaber keine Rolle mehr spielt; dessen individuelle Verhältnisse können ganz anders sein als diejenigen des bisherigen Praxisinhabers. Nur dann, wenn der individuelle Unternehmerlohn abgesetzt wird, kann der auf den derzeitigen Praxisinhaber bezogene Wert ausgeschieden werden, der auf seinem persönlichen Einsatz beruht und somit nicht auf den Übernehmer übertragbar ist.1 Umgekehrt steht dieser Wert für den Unterhalt zur Verfügung. Der Goodwill ist regelmäßig höher, wenn der Übernehmer den Ertrag mit einem relativ geringen zeitlichen Aufwand aufrechterhalten kann, und er ist niedriger, wenn der Übernehmer einen höheren Einsatz zum Erhalt des bisherigen Praxisertrages aufbringen muss.2 4. Beteiligungen

26.51 Sofern ein Ehegatte an einer freiberuflichen Praxis beteiligt ist, sind die für Beteiligungen an Personengesellschaften geltenden Regeln (s. unter V., Rz. 26.41) entsprechend anzuwenden.3

VIII. Rechtsprechung 1. Aktuelle Entscheidungen des BGH

26.52 Im Februar 2011 hat der BGH – zum einen für eine Steuerberaterpraxis, zum anderen für eine Zahnarztpraxis – zwei grundlegende Entscheidungen getroffen, die beide für die amtliche Sammlung vorgesehen sind. Sie werden nachfolgend dargestellt, ebenso eine aktuelle Entscheidung von Ende 2013, in der auf die Anwendung des Ertragswertverfahrens eingegangen 1 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, MDR 2008, 508 = FamRZ 2008, 761 zu Rz. 23; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, MDR 1999, 362 = FamRZ 1999, 361, 364. Eingehend zum Unternehmerlohn Münch, DStR 2014, 806 (809). 2 Von daher ist folgerichtig, dass die überarbeiteten Hinweise der Bundesärztekammer zur Bewertung von Arztpraxen seit 2008 mehr als die früheren Richtlinien von dem individuellen Einsatz des Praxisinhabers ausgehen, s. Deutsches Ärzteblatt 2008, A-2778. 3 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 29; vgl. Kotzur, NJW 1988, 3239.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.54 § 26

wird. Hinzugekommen sind Entscheidungen zur Bewertung eines landwirtschaftlichen Betriebs und bei Unternehmensbeteiligung. a) BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 Die Leitsätze dieser Entscheidung1 lauten:

26.53

1. Im Zugewinnausgleich ist grundsätzlich auch der Vermögenswert einer freiberuflichen Praxis zu berücksichtigen. 2. Bei der Bewertung des Goodwill ist ein Unternehmerlohn abzusetzen, der den individuellen Verhältnissen des Praxisinhabers entspricht. Der Unternehmerlohn hat insbesondere der beruflichen Erfahrung und der unternehmerischen Verantwortung Rechnung zu tragen sowie die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung zu berücksichtigen. 3. Von dem ermittelten Wert der Praxis sind unabhängig von einer Veräußerungsabsicht latente Ertragsteuern in Abzug zu bringen. Diese sind nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zu bemessen, die am Stichtag vorlagen. Es ging um die Bewertung einer freiberuflichen Praxis eines Steuerberaters. Die wesentlichen Ergebnisse und Aussagen der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Der BGH billigt die Verwendung der modifizierten Ertragswertmethode durch das Berufungsgericht. Nach § 1376 Abs. 2 BGB ist der objektive (Verkehrs-)Wert der Vermögensgegenstände maßgebend; Ziel der Wertermittlung ist ein Ansatz mit dem „vollen, wirklichen“ Wert. Das Gesetz gibt keine Vorgabe in Bezug auf die anzuwendende Methode; der Tatrichter kann sachverhaltsspezifisch auswählen (Rz. 24). – Im Umsatzverfahren können Wertkorrekturen vorgenommen werden, z.B. in Form einer Ausgliederung von Umsatzteilen, die rein personengebunden und deshalb nicht auf einen Nachfolger übertragbar sind; darüber hinaus ist regionalen, unternehmensspezifischen und marktmäßigen Besonderheiten Rechnung zu tragen (Rz. 25). – Es ist sachgerecht, wenn eine von der jeweiligen Standesorganisation empfohlene Bewertungsmethode ausgewählt wird. In den aktuellen Hinweisen der Bundessteuerberaterkammer wird (deutlicher als früher) auf die unterschiedlichen Bewertungsanlässe eingegangen (Rz. 26 f.). Nach IDW-Standard S1 ist der Unternehmenswert grundsätzlich als Zukunftserfolgswert zu ermitteln, als gängige Wertermittlungsmethode wird das Ertragswertverfahren genannt (Rz. 28). – Der ideelle Wert der Praxis gründet sich auf immaterielle Faktoren wie Mitarbeiterstamm, günstigen Standort, Art und Zusammensetzung der Mandanten, Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren, die regelmäßig auf einen Nachfolger übertragbar sind, aber auch auf Faktoren wie Ruf und Ansehen des Praxisinhabers, die mit dessen Person verknüpft und deshalb grundsätzlich nicht übertragbar sind. Der Goodwill – als der übertragbare Teil des ideellen Wertes – wird nur dann zutreffend ermittelt, wenn vom durchschnittlichen Jahresüberschuss ein individueller Unternehmerlohn in Abzug gebracht wird (Rz. 29). Die Notwendigkeit der Bereinigung des Wertes um diese Position hängt nicht von einer Konkurrenz von Zugewinnausgleichs- und Unterhaltsanspruch im Einzelfall ab, sondern besteht generell; denn zu bewerten sind nur die übertragbaren Bestandteile, wozu der auf die persönliche Leistung des Inhabers entfallende Teil des Ertragswertes nicht gehört (Rz. 32). 1 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, FamRZ 2011, 1367 m. Anm. Borth 1373 = NJW 2011, 2572.

Born 845

26.54

§ 26 Rz. 26.54

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

– Die Höhe des Unternehmerlohns hat der (sachverständig beratene) Tatrichter zu ermitteln. Er kann nicht mit dem Gewinn des bisherigen Praxisinhabers bemessen werden, weil dieser nicht allein auf den Leistungen des Inhabers, sondern auch auf denjenigen der Mitarbeiter beruht (Rz. 35). Auch Privatentnahmen lassen keinen Rückschluss auf die Höhe des individuellen Unternehmerlohns zu (Rz. 36). Abzustellen ist auf den Bruttolohn für einen angestellten Steuerberater mit 10-jähriger Berufserfahrung; dieser Betrag ist anschließend zu individualisieren (Rz. 37). Für die soziale Absicherung eines Selbständigen können 20 % des Bruttoeinkommens für primäre Altersversorgung sowie zusätzlich bis zu 4 % des Bruttoeinkommens für zusätzliche Altersversorgung angesetzt werden (Rz. 41). – Von dem festgestellten Wert der Praxis sind latente Ertragssteuern in Abzug zu bringen, und zwar generell und nicht nur in Fällen einer tatsächlich beabsichtigten Veräußerung (Rz. 47). Dies ist Konsequenz der Bewertungsmethode, die stichtagsbezogen – und somit losgelöst von einer beabsichtigten Veräußerung – vorzunehmen ist. Entscheidend ist die Prämisse der Verwertbarkeit (Rz. 49). Aus Gründen der Gleichbehandlung ist es geboten, eine latente Steuerlast auch bei der Bewertung anderer Vermögensgegenstände (z.B. Grundstücke, Wertpapiere, Lebensversicherungen) dann zu berücksichtigen, wenn deren Veräußerung (ungeachtet einer bestehenden Veräußerungsabsicht) eine Steuerpflicht auslösen würde (Rz. 50). b) BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09

26.55 Die Leitsätze dieser Entscheidung1 lauten: 1. Der Goodwill einer freiberuflichen Praxis ist als immaterieller Vermögenswert grundsätzlich in den Zugewinnausgleich einzubeziehen. 2. Bei der Bemessung eines solchen Goodwill ist im Rahmen der modifizierten Ertragswertmethode ein Unternehmerlohn abzusetzen, der sich an den individuellen Verhältnissen des Inhabers orientiert. 3. Die stichtagsbezogene Bewertung einer Inhaberpraxis im Zugewinnausgleich setzt eine Verwertbarkeit der Praxis voraus. Deswegen sind bereits bei der stichtagsbezogenen Bewertung dieses Endvermögens latente Ertragsteuern abzusetzen, und zwar unabhängig davon, ob eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist. 4. Die Berücksichtigung eines Goodwills im Zugewinnausgleich verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, weil er den am Stichtag vorhandenen immateriellen Vermögenswert unter Ausschluss der konkreten Arbeitsleistung des Inhabers betrifft, während der Unterhaltsanspruch auf der Arbeitsleistung des Inhabers und weiteren Vermögenserträgen beruht.

26.56 Im entschiedenen Fall ging es um die Bewertung einer Zahnarztpraxis. Die wesentlichen Aussagen dieser Entscheidung sind folgende: – Maßgebend ist der objektive (Verkehrs-)Wert zum Stichtag; die Bewertungsmethode wird vom Gesetz nicht vorgegeben. Der (sachverständig beratende) Tatrichter kann sie auswählen (Rz. 16). Der Umsatz lässt keine sicheren Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung und damit auch nicht auf den am Stichtag realisierbaren Wert zu. Ein besonders hoher Umsatz kann den Wert einer freiberuflichen Praxis sogar verringern, wenn den Einnahmen sehr 1 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch 627 und Borth 705 = NJW 2011, 999.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.56 § 26

hohe Kosten gegenüberstehen und der Ertrag aus diesem Grund mit einem hohen Unternehmerrisiko verbunden ist (Rz. 18). Auch das reine Ertragswertverfahren ist für die Bewertung einer freiberuflichen Praxis grundsätzlich nicht geeignet, weil sich eine Ertragsprognose kaum von der Person des derzeitigen Inhabers trennen lässt und der Ertrag von ihm durch unternehmerische Entscheidungen beeinflusst werden kann. Außerdem kann die Erwartung künftigen Einkommens, die der individuellen Arbeitskraft des Inhabers zuzurechnen ist, nicht maßgebend sein, weil es beim Zugewinnausgleich nur auf das am Stichtag vorhandene Vermögen ankommt (Rz. 19). Vorzugswürdig ist die modifizierte Ertragswertmethode, die sich an den durchschnittlichen Erträgen orientiert und davon einen individuellen Unternehmerlohn des Inhabers absetzt. – Der Substanzwert ist mit dem Wert zu bemessen, der bei Praxisverkauf auf den Rechtsnachfolger übergeht; daneben kommt es auf den Geschäftswert an, der sich darin äußert, dass das Unternehmen im Verkehr höher eingeschätzt wird, als es dem reinen Substanzwert entspricht. Auf eine tatsächliche Veräußerung kommt es nicht an (Rz. 21, 22). – Diese Bewertungsgrundsätze sind auch auf einen – über den Substanzwert hinausgehenden – immateriellen Wert in Form eines Goodwill anzuwenden (Rz. 23). Er gründet sich auf immaterielle Faktoren wie Standort, Art und Zusammensetzung der Mandanten/Patienten, Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren, soweit sie auf einen Nachfolger übertragbar sind. Der Käufer bezahlt für die Chance, die Mandanten des bisherigen Praxisinhabers zu übernehmen und darauf aufbauen zu können (Rz. 25). Insbesondere bei kleineren freiberuflichen Kanzleien oder Praxen bestimmen die unternehmerischen Fähigkeiten des bisherigen Eigentümers das „Wohl und Wehe“ der Praxis, schon aufgrund der höchstpersönlichen Leistung (Rz. 24). Auch Ruf und Ansehen sind hier von Bedeutung; sie sind grundsätzlich mit der Person des bisherigen Inhabers verknüpft und deswegen grundsätzlich nicht übertragbar (Rz. 25). Es kann sogar Fälle geben, in denen Ruf und Ansehen eine so überwiegende Bedeutung haben, dass dies einen Goodwill vollständig ausschließt oder jedenfalls deutlich herabsetzt (Rz. 25). – Für die Bewertung maßgebend ist nur der am Stichtag nachhaltig vorhandene Wert der Praxis, der sich in der bis dahin aufgebauten und zum Stichtag vorhandenen Nutzungsmöglichkeit niederschlägt (Rz. 26). Bei der Bemessung des Goodwill ist zunächst im Wege der modifizierten Ertragswertmethode vorzugehen; von den danach ermittelten durchschnittlichen Erträgen ist ein individueller Unternehmerlohn abzusetzen (Rz. 27). Nur auf diese Weise kann der auf dem derzeitigen Praxisinhaber bezogene Wert ausgeschieden werden, der auf dessen persönlichem Einsatz beruht und nicht auf einen Übernehmer übertragbar ist. Hier spielt auch der Einsatz eine Rolle, mit dem der zugrunde gelegte Ertrag zu erzielen ist: Ist er nur gering, ist ein höherer Goodwill anzunehmen, während bei einem erheblich höheren Einsatz des Inhabers ein niedrigerer Goodwill zugrunde zu legen ist (Rz. 28). – Von dem durchschnittlichen Praxisrohgewinn sind latente Ertragssteuern abzusetzen, und zwar unabhängig von der Frage, ob eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist oder nicht (Rz. 29). Der am Stichtag vorhandene Wert birgt auch für den Inhaber selbst weiterhin die Nutzungsmöglichkeit in sich;1 die entsprechende Bewertung setzt aber voraus, dass die Praxis zu dem ermittelten Wert auch frei verwertbar ist. Der Wert muss zum Stichtag am Markt erzielbar sein; die Berücksichtigung latenter Ertragssteuern erfolgt damit aus der

1 Ausführlich dazu Hoppenz in FS Brudermüller, 2014, S. 345 unter II. 4.

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§ 26 Rz. 26.56

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Prämisse der Verwertbarkeit und ist von daher eine Konsequenz der Bewertungsmethode (Rz. 30). – Die vorstehenden Grundsätze verstoßen nicht gegen das Verbot der zweifachen Teilhabe ein und desselben Vermögenswertes (im Zugewinnausgleich und im Unterhalt). Eine solche doppelte Teilhabe kann nur bei Ausgleich derselben Vermögensposition eintreten; das ist immer dann ausgeschlossen, wenn der Unterhalt nur aus Vermögenseinkünften bemessen wird und sich der Zugewinnausgleich auf den Vermögensstamm beschränkt (Rz. 34).1 Doppelte Teilhabe wäre gegeben, wenn der Vermögensstamm – ausnahmsweise – auch unterhaltsrechtlich berücksichtigt wird.2 Eine Doppelverwertung ist dagegen auch bei Berücksichtigung des Goodwills einer freiberuflichen Praxis ausgeschlossen, wenn der nach den individuellen Verhältnissen konkret gerechtfertigte Unternehmerlohn in Abzug gebracht wird (Rz. 36). – Die Einbeziehung des Goodwill führt nicht ohne weiteres zur Notwendigkeit einer Liquidierung der Praxis. Zum einen beläuft sich die Ausgleichspflicht nur auf die Hälfte des Zugewinnüberschusses (§ 1378 Abs. 1 BGB), so dass die erforderlichen liquiden Mittel häufig schon aus einem anderen liquiden Teil des vorhandenen Vermögens aufgebracht werden können. Zum anderen sieht das Gesetz (auf Antrag) die Möglichkeit von Stundung und Ratenzahlung vor (§ 1382 BGB), was dem Schuldner ermöglicht, den Zugewinnausgleich ratenweise aus seinem künftigen laufenden Einkommen zu leisten (Rz. 44). c) BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12

26.57 Die Leitsätze dieser Entscheidung3 lauten: 1. Besteht bei einem Zuwendungsgeschäft zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis, besteht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer gemischten Schenkung; diese Vermutung gilt aber nur zugunsten Dritter, deren schutzwürdige Interessen durch das Vorliegen einer gemischten Schenkung tangiert würden, nicht dagegen zugunsten der Vertragsparteien des Rechtsgeschäftes selbst. 2. Mit der Regelung, dass eine „den Umständen nach zu den Einkünften“ zu rechnende Zuwendung nach § 1374 Abs. 2 BGB dem Anfangsvermögen nicht hinzugerechnet wird, soll Verzerrungen der Zugewinnaus-gleichsbilanz entgegengewirkt werden, die sich aus der künstlichen Erhöhung des Anfangsvermögens durch die zum Verbrauch bestimmten Zuwendungen ergeben können; maßgebliches Abgrenzungskriterium ist daher, ob die Zuwendung zur Deckung des laufenden Lebensbedarfes dienen oder die Vermögensbildung des begünstigten Ehegatten fördern soll (im Anschluss an BGH v. 1.7.1987 – IVb ZR 70/86, BGHZ 101, 229 = FamRZ 1987, 910).

1 Konkreter Fall: Die Zinseinkünfte werden beim Unterhalt berücksichtigt, das Bankguthaben als Vermögensstamm bei Zugewinnausgleich. 2 Beispiel: Abfindungen nach Aufgabe einer Erwerbstätigkeit haben Lohnersatzfunktion, sie werden als ergänzendes Einkommen auf die Zeit der geminderten Erwerbstätigkeit aufgeteilt. Im Umfang dieser unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung ist dann ein zusätzlicher güterrechtlicher Ausgleich ausgeschlossen, BGH v. 21.4.2004 – XII ZR 185/01, MDR 2004, 1120 = FamRZ 2004, 1352 m. Anm. Bergschneider. 3 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 = NZFam 2014, 20 m. Anm. Hoppenz.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.58 § 26

3. Zur Anwendung des Ertragswertverfahrens bei der Bewertung gewerblicher Unternehmen im Zugewinnausgleich. (amtlicher Leitsatz) Im entschiedenen Fall ging es um die Bewertung von Geschäftsanteilen an einem Sanitätshaus. Die wesentlichen Ergebnisse und Aussagen der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Zwar entspricht es ständiger BGH-Rechtsprechung, dass demjenigen, der sich auf das Vorliegen einer gemischten Schenkung beruft, grundsätzlich eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung zuzubilligen ist, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht.1 Eine solche Beweiserleichterung hat der BGH bislang allerdings nur Dritten gewährt, deren schutzwürdige Interessen durch das Vorliegen einer Schenkung tangiert wurden, z.B. bei Pflichtteilsberechtigten, Vertrags- oder Schlusserben oder bei Sozialhilfeträgern nach der Überleitung von Rückforderungsansprüchen. Dagegen besteht keine Veranlassung, eine tatsächliche Vermutung dieser Art auch zugunsten eines Zuwendungsempfängers zuzulassen, der – wie hier aufgrund der Beweislastregeln zu § 1374 Abs. 2 BGB – ausnahmsweise die Unentgeltlichkeit der Zuwendung in seinem Interesse beweisen muss. Denn der Zuwendungsempfänger hat es bei einer gemischten Schenkung als Vertragsbeteiligter selbst in der Hand, dem von den Parteien des Zuwendungsgeschäftes tatsächlich zugrunde gelegten Wertverständnis im Vertrag einen hinreichenden Ausdruck zu verleihen. – Die vergünstigte Überlassung der Geschäftsanteile war – in einer die (teilweise) Unentgeltlichkeit ausschließenden Weise – damit verknüpft, dass der Antragsteller als Geschäftsführer (wieder) in die Gesellschaft eintrat. Die Übertragung konnte auch nicht teilweise als unentgeltliche Zweckschenkung angesehen werden. Der Witwe war in besonderem Maße daran gelegen, den Bestand der Gesellschaft als Lebenswerk ihres Ehemannes durch den Aufbau von Unternehmensnachfolgern auch über den Tod der Eheleute hinaus zu sichern. Ihr Interesse an einem dauerhaften persönlichen Einsatz des Antragstellers bei der Führung der Gesellschaft ging daher noch über das allgemeine wirtschaftliche Interesse hinaus, das sie als Inhaberin (restlicher) Geschäftsanteile an einer gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft ohnehin hatte. – Ziel der Wertermittlung ist es, die Unternehmensbeteiligung des Antragstellers mit ihrem „vollen, wirklichen“ Wert anzusetzen. Das Gesetz enthält keine Grundsätze darüber, nach welcher Methode das zu geschehen hat. Die sachverhaltsspezifische Auswahl aus der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Methoden und deren Anwendung ist Aufgabe des (sachverständig beratenen) Tatrichters. Es ist nicht zu beanstanden, dass das OLG den Wert der Gesellschaft grundsätzlich nach dem Ertragswertverfahren ermittelt hat. Nach diesem Verfahren ist grundsätzlich von der Annahme auszugehen, dass das Unternehmen mit unverändertem Konzept sowie mit allen realistischen Zukunftserwartungen fortgeführt werden kann, die sich aus den Marktverhältnissen und den sonstigen Einflussfaktoren des Unternehmens zum Bewertungsstichtag ergeben. Beim „klassischen“ Ertragswertverfahren in seiner Grundform wird eine unbegrenzte Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens unterstellt und als Regelfall angenommen; der Alternativberechnung liegt die Annahme eines begrenzten Ergebnishorizonts zugrunde.

1 BGH v. 18.10.2011 – X ZR 45/10, MDR 2012, 204 = FamRZ 2012, 207.

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26.58

§ 26 Rz. 26.58

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

– Ein solches Vorgehen ist vom BGH für die Bewertung von freiberuflichen Praxen im Rahmen des sog. modifizierten Ertragswertverfahrens grundsätzlich gebilligt worden.1 Die Begrenzung des Ergebnishorizonts trägt bei Freiberuflern in erster Linie der starken Inhaberbezogenheit ihrer Tätigkeit Rechnung; diese führt dazu, dass einerseits der Einfluss des bisherigen Praxisinhabers auf seinen Nachfolger nur eine begrenzte Zeit nachwirken kann und andererseits ein Praxiserwerber mit gleicher Qualifikation nach einer entsprechenden Aufbauphase eine vergleichbare Praxis aufbauen (reproduzieren) könnte.2 Demgegenüber wird es bei mittleren oder größeren gewerblichen Unternehmen an einer auf der Inhaberbezogenheit beruhenden Reproduktionsmöglichkeit regelmäßig fehlen, ohne dass hier von vornherein ausgeschlossen werden könnte, dass der Tatrichter in besonderen Bewertungssituationen eine Begrenzung des Ergebnishorizonts für sachgerecht erachtet. Im entschiedenen Fall beanstandet der BGH, dass das OLG bei seinen Erwägungen zum Standortrisiko möglicherweise entscheidungserheblichen Sachvortrag der Antragsgegnerin außer Betracht gelassen und nicht in seine Würdigung einbezogen hat. Der Einfluss dieses Faktors auf die Fortführungsperspektive eines Unternehmens hängt von einzelfallbezogenen Umständen ab; hat der Standort keinen oder keinen nennenswerten Einfluss auf den Geschäftsbetrieb und lässt er sich im Bedarfsfall ohne weiteres verlegen, wird die Annahme, dass das Unternehmen nur wegen einer fehlenden mietvertraglichen Absicherung des gegenwärtigen Standorts künftig nur noch für einen begrenzten Zeitraum finanzielle Überschüsse erwirtschaften kann, keine realistische Zukunftserwartung darstellen. d) BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14 (Putenmastbetrieb)

26.59 Die Leitsätze dieser Entscheidung3 lauten: 1. Der Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns gemäß § 1378 BGB kann als Teilantrag geltend gemacht werden. Die Zulässigkeit eines solchen Teilantrags hängt nicht davon ab, dass der – teilweise – geltend gemachte Anspruch bereits aus unstreitigen Vermögenspositionen folgt. 2. Lasten auf dem gemäß § 1376 Abs. 4 BGB nach der Ertragswertmethode zu bewertenden landwirtschaftlichen Betrieb Fremdverbindlichkeiten, ist bei der Ermittlung des Ertragswerts nur die hierauf entfallende Zinsbelastung zu berücksichtigen. 3. Der Nominalwert der Fremdverbindlichkeiten ist allerdings bei der Verkehrswertmethode in Abzug zu bringen, die regelmäßig im Rahmen des § 1376 Abs. 4 BGB zur Kontrolle des Ergebnisses durchzuführen ist. Sollte der sich hieraus ergebende Wert unter dem Ertragswert liegen, so ist im Wege der teleologischen Reduktion des § 1376 Abs. 4 BGB der niedrigere Verkehrswert in Ansatz zu bringen.

26.60 Im entschiedenen Fall ging es um die Bewertung eines Putenmastbetriebs. Die wesentlichen Aussagen dieser Entscheidung sind folgende: – Der BGH bestätigt die Richtigkeit des Ausgangspunktes der Vorinstanzen, wonach die Wertermittlung des Putenmastbetriebs am Maßstab des § 1376 Abs. 4 BGB vorzunehmen ist. Obwohl der Betrieb schwerpunktmäßig die Putenzucht zum Gegenstand hat und Betriebe, die ausschließlich Massentierhaltung betreiben, nicht unter den Begriff des land-

1 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490 = FamRZ 2011, 622 = NJW 2011, 999. 2 Kuckenburg, FuR 2011, 512 (513). 3 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, FamRZ 2016, 1044 m. Anm. Koch = NJW-RR 2016, 1217.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.62 § 26

wirtschaftlichen Betriebs nach § 1376 Abs. 4 BGB fallen, greift die Vorschrift hier ein, weil der Betrieb in der Gesamtschau sein landwirtschaftliches Gepräge nicht verloren hat. – Im Rahmen der Ertragswertmethode ist nur der Zinsaufwand für die betriebsbedingten Verbindlichkeiten maßgeblich. Es ist streitig, wie das auf einen landwirtschaftlichen Betrieb bezogene Fremdkapital bei der Ermittlung des Ertragswertes zu berücksichtigen ist. Der BGH folgt der Ansicht, dass nur der Zinsaufwand berücksichtigt wird. Allerdings muss über eine vorsorgliche Ermittlung des Verkehrswertes sichergestellt werden, dass dieser – der auch den Nominalwert der Verbindlichkeiten berücksichtigt – nicht geringer ausfällt als der Ertragswert. Anderenfalls würde die (vom Gesetzgeber gewollte) Privilegierung in eine Benachteiligung des Betriebsfortführers umschlagen, weil dieser gezwungen wäre, seinen Betrieb zugunsten seines Ehegatten zu einem über dem Substanzwert des Unternehmens liegenden Wertes abzurechnen. Der Zweck der Erhaltung eines landwirtschaftlichen Betriebs für den Eigentümer oder einen Abkömmling werde dadurch aber in sein Gegenteil verkehrt. e) BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16 (Unternehmensbeteiligung) Die Leitsätze dieser Entscheidung1 lauten:

26.61

1. Zur Anwendung des Ertragswertverfahrens bei der Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich. 2. Bei der Bemessung des im Rahmen der modifizierten Ertragswertmethode von den Erträgen abzusetzenden Unternehmerlohns ist auch eine nicht unternehmensleitende Tätigkeit zu berücksichtigen, die der Unternehmer für das Unternehmen erbringt. 3. Zur sekundären Darlegungslast des Ausgleichsschuldners für in die Wertermittlung einzubeziehende Umstände, wenn der Ausgleichsgläubiger außerhalb des insoweit maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den rechtserheblichen Sachverhalt nicht von sich aus ermitteln kann. Im entschiedenen Fall ging es um Bewertungsfragen im Zusammenhang mit einer Unternehmensbeteiligung. Die wesentlichen Ergebnisse und Aussagen der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Im Rahmen der Ertragswertmethode wird der „Zukunftserfolgswert“ durch eine Rückschau auf die Erträge des Unternehmens in den letzten Jahren ermitteln, sodann wird auf dieser Grundlage eine Prognose zur Ertragslage der nächsten Jahre erstellt. Der Durchschnittsertrag wird in der Regel auf der Basis der letzten drei bis fünf Jahre ermittelt, wobei die jüngeren Erträge stärker gewichtet werden können als die älteren. – Für freiberufliche Praxen und inhabergeführte Unternehmen kann nicht nach dem reinen Ertragswertverfahren vorgegangen werden, weil sich die Ertragsprognose kaum von der Person des Inhabers trennen lässt und der Ertrag von ihm durch unternehmerische Entscheidungen beeinflusst werden kann. Deshalb ist hier eine modifizierte Ertragswertmethode sachgerecht, die sich an den durchschnittlichen Erträgen orientiert und davon einen Unternehmerlohn des Inhabers absetzt, der sich an den individuellen Verhältnissen des Inhabers orientiert. 1 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, FamRZ 2018, 93 m. Anm. Borth, FamRZ 2018, 173 = NJW 2018, 61 m. Anm. Münch.

Born 851

26.62

§ 26 Rz. 26.62

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

– Für die Ertragskraft eines Unternehmens ist der betriebene Personalaufwand maßgeblich. Soweit der Gesellschafter selbst – ohne Vergütung – Tätigkeiten jedweder Art für das Unternehmen erbringt und dadurch Personalkosten erspart, ist hierfür ein kalkulatorischer Unternehmerlohn anzusetzen, weil dem potentiellen Erwerber des Unternehmens die „kostenlose“ Arbeitskraft des Unternehmers nicht mehr zur Verfügung stünde; deshalb kann nicht nur das angesetzt werden, was eine Fremdgeschäftsführung erhalten würde. – Zwar ist für die Bewertung von Gegenständen des Endvermögens grundsätzlich der Ausgleichsgläubiger darlegungs- und beweisbelastet. Macht aber der Ausgleichsschuldner nach erfolgter sachverständiger Wertermittlung geltend, diese sei unzutreffend, so trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast für die nach seiner Ansicht in die Wertermittlung noch einzubeziehenden Umstände, wenn der Ausgleichsgläubiger außerhalb des insoweit maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den rechtserheblichen Sachverhalt nicht von sich aus ermitteln kann. Vorliegend hatte der Ausgleichsschuldner dieser sekundären Darlegungslast nicht genügt, weil der Umfang der nicht unternehmensleitenden Tätigkeiten der vier Gesellschafter unklar geblieben war und deshalb bei der Ermittlung des Unternehmerlohns keine Berücksichtigung finden konnte. f) BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17 (Beschwer)

26.63 Der Leitsatz dieser Entscheidung1 lautet: Der Bewertung einer freiberuflichen Praxis zum Stichtag kann im Rahmen des Zugewinnausgleichs regelmäßig der Zeitraum der letzten drei bis fünf Jahre zugrunde gelegt werden. Eine Zwischenbilanz zum Stichtag ist grundsätzlich nicht erforderlich.

26.64 Im entschiedenen Fall ging es um die für die Rechtsmittelinstanz erforderliche Beschwer des Auskunftsschuldners. Die wesentlichen Ergebnisse der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Die Beschwer eines zur Auskunft verpflichteten Beteiligten richtet sich nach seinem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen; dabei bleibt unberücksichtigt, wenn daneben auch das Ziel verfolgt wird, den Hauptanspruch zu verhindern. – Zur Bewertung des vom Auskunftsschuldner aufzubringenden Zeitaufwands ist grundsätzlich auf die Stundensätze zurückzugreifen, die der Auskunftspflichtige als Zeuge in einem Zivilprozess erhalten würde. Die Kosten für die Hinzuziehung einer sachkundigen Hilfsperson können nur berücksichtigt werden, wenn sie zwangsläufig deshalb entstehen, weil der Auskunftsschuldner zu einer sachgerechten Auskunftserteilung nicht in der Lage ist. – Für die Bewertung freiberuflicher Praxen ist das modifizierte Ertragswertverfahren generell vorzugswürdig. Dabei wird – über den Substanzwert am Stichtag hinaus – auch der übertragbare Teil des ideellen Wertes (Goodwill) berücksichtigt. Für die Bewertung sind in der Regel die letzten drei bis fünf Jahre maßgebend. Die Erstellung einer Zwischenbilanz zum Stichtag ist nicht erforderlich.

1 BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, FamRZ 2018, 174 = BeckRS 2017, 135102.

852

Born

Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.68 § 26

2. Weitere Rechtsprechung nach Branchen und Berufsgruppen a) Aktenvernichtungsbetrieb Einschlägig ist hier eine Entscheidung des OLG Hamm.1 Das Gericht hat dort den Wert eines Anteils an einem in Form einer oHG betriebenen Aktenvernichtungsbetrieb mit 50 Mitarbeitern nach der Ertragswertmethode bestimmt. Untersucht wurde die Bedeutung einer Abfindungsklausel im Gesellschaftsvertrag im Rahmen der zugewinnausgleichsrechtlichen Wertbemessung, des Weiteren die Besonderheit, dass nach dem Endstichtag noch im selben Jahr ein Gesellschaftsdarlehen gegeben wurde. Das Gericht weist darauf hin, dass erst nach dem Stichtag gewonnene Erkenntnisse nicht ex post für die Werbemessung zum Stichtag berücksichtigt werden dürfen.

26.65

b) Anwaltspraxis Das OLG Frankfurt2 hat sich mit der Berechnung des Goodwill einer Rechtsanwaltspraxis befasst. Das Gericht untersucht die Variante, dass ein jüngerer Kollege in die Praxis als Sozius eintritt und ein Entgelt für die ihm dadurch eingeräumte Chance entrichtet. Ein Goodwill wird verneint für den Fall, dass der Inhaber aus der Praxis kein höheres Renteneinkommen erzielt als dies einem Unternehmerlohn entspricht. Zugrunde gelegt wurden die Gewinne der Praxis in den Jahren 1980 und 1981, angesetzt wurde dann ein Kapitalisierungsfaktor von 1,8 entsprechend einer Aussage des Sachverständigen. Hingewiesen wird auf den Umstand, dass es sich um eine alteingesessene Praxis im Zentrum gegenüber dem Gericht mit guten Parkmöglichkeiten sowie eine Kombination zwischen Notariat und Anwaltsbüro und die einzige Sozietät am Ort handelt.

26.66

In einer älteren Entscheidung aus dem Jahr 1984 hat das OLG Saarbrücken3 für die Bewertung 26.67 des Goodwill einer Anwaltssozietät allein auf den Sozietätsvertrag abgestellt. Aus dem Vertrag ergab sich, dass – über die in § 717 BGB normierte Unübertragbarkeit des Gesellschafterrechts hinaus – auch jeder Ausgleichsanspruch des einzelnen Sozius ausgeschlossen war. Der innere Wert der Sozietät war nach Ansicht des Gerichts auch nicht durch Hereinnahme eines weiteren Sozius verwertbar. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1976 wurde vom OLG Celle4 für eine erst seit gut zwei 26.68 Jahren betriebene Großstadt-Anwaltspraxis mit einem Jahresumsatz von 100.000 DM ein Goodwill abgelehnt. Zwar ist der Senat – in Übereinstimmung mit der Ansicht der Rechtsanwaltskammer – der Auffassung, dass Anwaltspraxen im Allgemeinen einen Goodwill haben, was schon aus dem Umstand folgt, dass sie tatsächlich gehandelt und hierbei Preise erzielt werden, die über den reinen Sachwert erheblich hinausgehen. Der Gegenwert für den den Sachwert übersteigenden Preis bildet die Chance, die Klienten des seine Praxis veräußernden Anwalts zu übernehmen und den vorhandenen Bestand als Grundlage für den weiteren Ausbau der Praxis zu verwenden. Andererseits ist nach Ansicht des Gerichts nicht zu verkennen, dass der innere Wert einer Anwaltspraxis je nach Lage, Art und Umfang unterschiedlich groß sein und im Einzelfall sogar völlig fehlen kann. Letzteres wird hier bejaht unter Hinweis auf den Umstand, dass der Beklagte seine Praxis erst zwei bis drei Jahre betrieben hatte und vorher im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig war. Entscheidend war für das Gericht auch der 1 2 3 4

OLG Hamm v. 13.6.1997 – 12 UF 223/95, FamRZ 1998, 235. OLG Frankfurt v. 18.11.1986 – 4 UF 296/85, FamRZ 1987, 485. OLG Saarbrücken v. 28.6.1984 – 6 UF 181/82 GÜR, FamRZ 1984, 794. OLG Celle v. 24.11.1976 – 3 U 4/76, Anwaltsblatt 1977, 216.

Born 853

§ 26 Rz. 26.68

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Umstand, dass es sich um eine Großstadtpraxis mit einem vergleichsweise geringen Umsatz und einer weitgehend an die Person des Beklagten gebundenen Klientel handelte, ohne dass man von Dauermandanten hätte sprechen können. c) Architekt

26.69 Nach einer älteren Entscheidung des OLG München1 ist für ein Architekturbüro in der Regel kein Goodwill in Ansatz zu bringen. Für einen entsprechenden Ansatz ist immer Voraussetzung, dass der unternehmerische Erfolg „nicht ganz von den individuellen, nur dem Wirtschaftenden eigenen Fähigkeiten abhängt“. Das Gericht geht davon aus, dass ein Architekt im Regelfall wegen der ihm eigenen speziellen Fähigkeiten mit Aufträgen betraut wird und er insoweit einem Künstler nahesteht, weil der Auftraggeber eine schöpferische, persönliche Leistung des Architekten erwartet. Es ist allein sein Ruf, der dem Architekten Aufträge einbringt; diesen Ruf hat er sich im Regelfall im Laufe der Jahre aufgrund eigener Tüchtigkeit erarbeitet. Das Gericht verweist auf eine Auskunft der Architektenkammer, wonach der Erfolg des Büros unmittelbar von der Person des Inhabers abhängt und bei einem Wechsel des Inhabers Bauherren oft von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen. d) Arzt

26.70 Der BGH hat sich Ende 1990 mit der Bewertung einer Arztpraxis befasst.2 Der BGH hat seinerzeit den – vom AG abweichenden – Ansatz des OLG gebilligt, wonach nicht nach der Ertragswertmethode vorzugehen sei, sondern stattdessen Substanzwert und Goodwill gesondert festgestellt werden müssten. Die Einkommensteuer als personenbezogene Steuerlast wurde nicht berücksichtigt unter Hinweis auf das Stichtagsprinzip. e) Bäckerei

26.71 In einer schon sehr alten Entscheidung des BGH3 ging es um die Berücksichtigung des Goodwill einer Bäckerei. Der BGH weist darauf hin, dass für einen kleineren Handwerksbetrieb ein solcher Goodwill nur dann angesetzt werden kann, wenn nach Ansicht des Tatrichters Betriebe dieser Art als Ganzes veräußert und dabei Preise erzielt werden, die über den reinen Substanzwert hinausgehen. f) Druckerei

26.72 In einer älteren Entscheidung des OLG Düsseldorf4 wird zunächst auf die verschiedenen, in der Betriebswirtschaftslehre verbreiteten Bewertungsmethoden eingegangen. Es wird ausgeführt, dass bei einem gewerblichen Unternehmen der Verkehrswert grundsätzlich nicht auf den Substanzwert beschränkt, sondern zusätzlich der Geschäftswert zu berücksichtigen ist (Ertragswert einschließlich des Goodwill). Eine Beschränkung auf den Substanzwert hat dann stattzufinden, wenn – ausnahmsweise – das Unternehmen mit der Person des Inhabers steht und fällt, so dass auch ein fachkundiger Dritter nicht in der Lage ist, aus dem Unternehmen Erträge zu erzielen. Bei einer Druckerei beruht die gewerbliche Produktion nach Ansicht des 1 2 3 4

OLG München v. 13.3.1984 – 4 UF 195/83, FamRZ 1984, 1096. BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, MDR 1991, 343 = NJW 1991, 1547. BGH v. 23.11.1977 – IV ZR 131/76, NJW 1978, 884. OLG Düsseldorf v. 27.1.1984 – 3 UF 50/83, FamRZ 1984, 699.

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Born

Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.75 § 26

Gerichts im Regelfall aber auf einer Gemeinschaftsleistung von Unternehmer und Arbeitnehmern, während Angehörige eines freien Berufs eine höchstpersönliche Leistung erbringen und sich in diesem Rahmen nur für untergeordnete Tätigkeiten eines Einsatzes von Hilfskräften bedienen. g) Handelsvertreter In einer schon sehr alten Entscheidung hat der BGH1 bei einer Handelsvertretung darauf ab- 26.73 gestellt, dass diese allein von ihrem Inhaber aufgrund seiner Fähigkeiten genutzt werden konnte; der Ertrag war ausschließlich auf den Inhaber ausgerichtet, also subjektbezogen, eine Veräußerung der Handelsvertretung war nicht möglich. Siehe dazu unter Versicherungsagentur (s. Rz. 26.81). Das hat der BGH jetzt bestätigt.2 h) Handwerksbetrieb Nach einer einschlägigen Entscheidung des OLG Bamberg3 spielen die Besonderheiten des 26.74 Betriebes eine entscheidende Rolle. Zugrunde gelegt wurde hier bei einem kleinen Handwerksbetrieb mit nur 3-4 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz unter 1.000.000 DM ein Mittel aus Ertrags- und Substanzwert. Vorhanden waren hohe Verbindlichkeiten, ein negativer Substanz- und ein hoher Ertragswert, des Weiteren eine große Abhängigkeit des Ertrages von den persönlichen Fähigkeiten des Betriebsinhabers. Die Wertsteigerung eines Grundstücks fiel aufgrund absinkenden Wertes eines Leibgedinges unter die Vorschrift des § 1374 Abs. 2 BGB; beim Anfangs- und Endvermögen wurde jeweils der durch die Belastung verminderte Wert angesetzt. Dem allmählichen Vermögenserwerb wurde dadurch Rechnung getragen, dass zum einen der rechnerische Wertzuwachs, der sich aus einem Vergleich der hochgerechneten Anfangsbelastung mit der Belastung am Ende der Ehezeit ergibt, dem Anfangsvermögen zugerechnet wird. Zum anderen wurde der Kaufkraftschwund durch Erhöhung des Anfangsvermögens berücksichtigt, und zwar in der Weise, dass dem Anfangsvermögen die Hälfte des Betrages hinzugefügt wurde, der dem Nominalwert zum Ausgleich des Kaufkraftschwundes dann hinzuzurechnen wäre, wenn der gesamte Wertzuwachs schon zu Beginn der Ehezeit eingetreten wäre. i) KG-Anteil Wie das OLG Schleswig4 entschieden hat, ist bei der Bewertung einer zum Endvermögen ge- 26.75 hörenden Unternehmensbeteiligung auch der Goodwill regelmäßig Bestandteil des Verkehrswertes dieser Beteiligung. Der Goodwill wurde im entschiedenen Fall vom Sachverständigen dadurch festgestellt, dass der Übergewinn ermittelt und mit der voraussichtlichen Wirkungsdauer der Firma (4 Jahre) vervielfältigt wurde. Als Übergewinn wurde der Gewinn angenommen, der über die normale Verzinsung des bilanzmäßig erfassten Kapitals hinausging. Er errechnete sich aus dem um die Fremdkapitalzinsen gekürzten Betriebskapitalgewinn abzgl. des Eigenkapitals, multipliziert mit Normalverzinsung. Von dem errechneten Übergewinn wurde vor der Vervielfältigung noch ein Abschlag von 30 % vorgenommen, um dem allgemeinen wirtschaftlichen Risiko Rechnung zu tragen. Eine Besonderheit des Falles besteht noch darin, 1 2 3 4

BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, NJW 1977, 949. BGH v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, NJW 2014, 625 m. Anm. Hoppenz. OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, FamRZ 1995, 607. OLG Schleswig v. 1.9.1986 – 15 UF 297/85, FamRZ 1986, 1208.

Born 855

§ 26 Rz. 26.75

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

dass der Ehemann die Ehefrau mit einem anderen Mann im ehelichen Schlafzimmer „in flagranti“ ertappt und dann bis zur Zustellung des Scheidungsantrags aus Verärgerung über diesen Vorfall rund 15.600 DM „auf den Kopf gehauen und verbraucht“ hatte. Das OLG lehnte es ab, dem Endvermögen des Ehemannes diesen Betrag hinzuzurechnen; denn die Reaktion aus Enttäuschung, Wut und Verärgerung sei menschlich verständlich. j) Landwirtschaftlicher Betrieb

26.76 In einer schon alten Entscheidung hatte sich der BGH mit der Bewertung eines landwirtschaftlichen Betriebes (dazu ausführlich Rz. 27.73 ff.) zu befassen.1 Der BGH hat eine entsprechende Anwendung des § 1376 Abs. 4 BGB abgelehnt, denn es ging um die Bewertung von Gegenständen, die ein Ehegatte nach der Beendigung der Gütergemeinschaft gem. § 1477 Abs. 2 BGB übernimmt oder deren Wert er gem. § 1478 BGB erstattet verlangt. Der Verkehrswert für ein landwirtschaftliches Anwesen sei nach den gleichen Grundsätzen zu bestimmen wie bei der Bewertung von Betrieben; erfasst werden müsse das Unternehmen mit seinem „vollen, wirklichen Wert“. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde schon deshalb beanstandet, weil das OLG den Liquidationswert zugrunde gelegt hatte, aber gleichzeitig feststellte, dass weder Absicht noch finanzielle Notwendigkeit einer auch nur teilweisen Auflösung des Betriebes bestehe. k) Steuerberater

26.77 Hier ist zunächst auf die (unter 1. a), Rz. 26.53, 26.54 ausführlich dargestellte) Entscheidung des BGH vom 2.2.2011 hinzuweisen.

26.78 In einer schon älteren Entscheidung hatte sich der BGH ebenfalls mit der Bewertung des Anteils an einer Steuerberaterpraxis im Zugewinnausgleich zu befassen.2 Abgelehnt wird dort zunächst die Ansicht des Ehemannes, sein Anteil habe keinen Marktwert, weil er ihn nicht veräußern könne. Nach Ansicht des BGH bezieht sich die Vorschrift des § 717 BGB nicht auf das Mitgliedschaftsrecht als Ganzes, das heißt auf den Gesellschaftsanteil. Die in § 719 BGB für diesen Anteil bestimmte Unübertragbarkeit kann durch Gesellschaftsvertrag oder Vereinbarung jederzeit abgeändert werden. Entscheidend ist nach Ansicht des Gerichts allein die Tatsache, dass aus Rechtsgründen keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Bewertung des Praxisanteils nach seinem Markt- bzw. Verkehrswert bestehen. Angenommen wird ein erheblicher Goodwill unter Hinweis auf nennenswerten Kundenstamm. l) Tierarzt

26.79 Einschlägig ist hier eine Entscheidung des BGH aus dem Frühjahr 2008.3 Der BGH hat auch in dieser Entscheidung zur Vermeidung einer zweifachen Teilhabe am Vermögenswert der Praxis darauf hingewiesen, dass (neben dem Substanzwert) der Goodwill dadurch zu ermitteln ist, dass von dem Ausgangswert nicht ein pauschal angesetzter kalkulatorischer Unternehmerlohn, sondern der nach den individuellen Verhältnissen konkret gerechtfertigte Unternehmerlohn in Abzug gebracht wird.

1 BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, MDR 1986, 919 = FamRZ 1986, 776. 2 BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, MDR 1999, 362 = FamRZ 1999, 361. 3 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, MDR 2008, 508 = FamRZ 2008, 761 m. Anm. Hoppenz 765.

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Born

Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.84 § 26

m) Vermessungsingenieur Die entsprechende Entscheidung des BGH stammt bereits aus dem Jahre 1976.1 Dass die Entscheidung noch vor der (das Schuldprinzip abschaffenden) Familienrechtsreform ergangen ist, wird am Leitsatz 1 deutlich.2 Es wird festgehalten, dass beim Zugewinnausgleich auch der Goodwill einer freiberuflichen Praxis zu berücksichtigen ist. Die Entscheidung ist ansonsten für diesen Bereich wenig ergiebig.

26.80

n) Versicherungsagentur Nach einer einschlägigen Entscheidung des OLG Stuttgart3 umfasst der Auskunftsanspruch gem. § 1379 Abs. 1 Satz 2 BGB bei einer vom zugewinnausgleichspflichtigen Ehegatten betriebenen Versicherungsagentur nur den Substanzwert und nicht einen darüber hinausgehenden Goodwill. Nach Ansicht des Gerichts gibt es einen solchen Wert bei einer Versicherungsagentur – im Gegensatz zu Kapitalbeteiligungen an Unternehmen – in der Regel nicht. Zur Begründung wird Bezug genommen auf eine ältere Entscheidung des BGH zum Gewerbe eines selbständigen Handelsvertreters;4 dort wird ausgeführt, dass dieses Gewerbe nur in besonders gelagerten Fällen einen Goodwill besitze.

26.81

Diesen Ansatz hat das OLG Hamm in einer jüngeren Entscheidung bestätigt.5 Danach ist der Unternehmenswert einer Versicherungsagentur grundsätzlich nach dem Substanzwert zu bestimmen, und ein Goodwill ist für eine derartige Agentur am Markt nicht zu realisieren, da die persönliche Leistung des Versicherungskaufmanns im Vordergrund steht.

26.82

o) Zahnarzt Hier ist zunächst auf die (unter 1. b), Rz. 26.55, 26.56 eingehend dargestellte) Entscheidung des BGH v. 9.2.2011 hinzuweisen.

26.83

Bereits vor mehr als 30 Jahren hat das OLG Koblenz6 entschieden, dass auch eine Zahnarztpraxis einen inneren Wert (Goodwill) haben kann. Im entschiedenen Fall wurde das bejaht unter Hinweis darauf, dass ein großer Teil des Patientenstammes selbst nach einer Praxisübergabe (zunächst) „den Lauf“ in die vertraute Praxis vornimmt und dem Übernehmer die Chance geboten wird, dadurch die Patienten seines Vorgängers für sich zu gewinnen und sich bei einem weiteren Ausbau der Praxis auf den vorhandenen Patientenstamm zu stützen. Bei Bejahung eines Goodwill umfasst der Auskunftsanspruch des anderen Ehegatten im Rahmen des Zugewinnausgleichsverfahrens auch die Vorlage der Einnahmen-Überschuss-Rechnungen des Praxisinhabers für die letzten 5 Jahre vor dem Stichtag, um anhand der darin angegebenen Jahresumsätze den inneren Wert der Praxis selbst ermitteln zu können.

26.84

1 BGH v. 13.10.1976 – IV ZR 104/74, NJW 1977, 378. 2 Zugrunde lag damals eine Scheidung aus beiderseitiger gleicher Schuld. Nach Ansicht des BGH konnte der Schuldner der Zugewinnausgleichsforderung die Zahlung nicht wegen angeblicher Eheverfehlungen der Ehefrau verweigern. 3 OLG Stuttgart v. 2.5.1995 – 18 UF 362/94, FamRZ 1995, 1585. 4 BGH v. 28.2.1962 – IV ZR 239/61, DB 1962, 501. 5 OLG Hamm v. 9.3.2011 – 8 UF 207/10, FamFR 2011, 297, bespr. v. Kuckenburg in FamFR 2011, 297. 6 OLG Koblenz v. 14.12.1981 – 13 UF 584/81, FamRZ 1982, 280.

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§ 26 Rz. 26.85

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

IX. Verfahrensrecht 26.85 Zu den verfahrensrechtlichen Fragen der Unternehmensbewertung wird zunächst auf Rz. 1.68 sowie den 8. Teil des Handbuchs (§§ 33 bis 37) verwiesen. Nachfolgend werden nur die wesentlichen familienrechtlichen Besonderheiten dargestellt. 1. Zuständigkeit

26.86 Aus dem ehelichen Güterrecht stammende Ansprüche sind Familiensachen, für die das Familiengericht ausschließlich zuständig ist (§§ 23b Abs. 1, 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG, § 111 Nr. 9 FamFG). Es handelt sich um Familienstreitsachen (§ 112 Nr. 2 FamFG), auf welche die allgemeinen Vorschriften der ZPO (nicht die des FamFG) anzuwenden sind; das ergibt sich aus § 113 Abs. 1 FamFG.

26.87 Die Frage, ob Ansprüche auf Zugewinnausgleich als Verbundsache im Scheidungsverfahren geltend gemacht werden sollten, lässt sich nicht einfach beantworten. Für eine Einbeziehung spricht der Gesichtspunkt der Kostendegression (ein separates Verfahren auf Zugewinnausgleich löst höhere Gebühren aus als im Falle der Einbeziehung in das Verbundverfahren), und aus der Sicht des Ausgleichsschuldners ist die Grundregel des § 150 Abs. 1 FamFG attraktiv, wonach die Kosten des Verbundverfahrens insgesamt im Regelfall gegeneinander aufgehoben werden. Die Gläubigerin ist in solchen Fällen bei überwiegendem Obsiegen in der Folgesache Zugewinnausgleich darauf angewiesen, dass das Gericht eine anderweitige Kostenverteilung nach § 150 Abs. 4 Satz 1 FamFG vornimmt.

26.88 Die Gebühren sind nach dem zusammengerechneten Wert der einzelnen Gegenstände zu berechnen (§ 44 Abs. 2 FamGKG), weil Scheidungssache und Folgesache kostenrechtlich als ein Verfahren gelten.1

26.89 Hieraus ergibt sich spiegelbildlich die für ein separates Verfahren auf Zugewinnausgleich sprechende Interessenlage. Die Gläubigerin des Zugewinnausgleichsanspruchs, die angesichts der Sach- und Rechtslage von einem überwiegenden Obsiegen ausgeht, wird sich eher für ein separates Verfahren entscheiden, welches sie gem. §§ 1564 Satz 2, 195 BGB noch drei Jahre nach Rechtskraft der Ehescheidung einleiten kann.2 Für das Verfahren einschlägig sind die §§ 113 ff., 261 bis 265 FamFG. 2. Darlegungs- und Beweislast a) Anfangsvermögen aa) Vermutungswirkung

26.90 Mit der Einführung eines negativen Anfangsvermögens (s. unter I. 2. c), Rz. 26.13) haben sich die Auswirkungen des § 1377 Abs. 3 BGB auf die Darlegungs- und Beweislast für Bestand und Höhe des Anfangsvermögens geändert. Nach der Vorschrift wird für den Fall, dass kein Verzeichnis des Anfangsvermögens aufgenommen worden ist, das Nichtbestehen eines solchen Anfangsvermögens vermutet mit der Konsequenz, dass das Endvermögen des Ehegatten

1 N. Schneider, Gebühren in Familiensachen, 2010, § 3 Rz. 1055. 2 Kogel, Strategien, Rz. 1383.

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Born

Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.94 § 26

seinen Zugewinn darstellt. Beweisbelastet für die – davon abweichende – Behauptung, es sei doch ein Anfangsvermögen vorhanden gewesen, ist derjenige, der sich darauf beruft.1 Sofern das Anfangsvermögen insgesamt positiv ist, hat der Inhaber die Vermutung zu widerlegen, er trägt dementsprechend die Darlegungs- und Beweislast. Sie umgreift die Existenz und die Höhe von positivem Vermögen wie das Fehlen oder die Höhe von Verbindlichkeiten, jeweils einschließlich werterhöhender Faktoren2 und des Fehlens wertmindernder Umstände. Dasselbe gilt für Umstände, die eine Hinzurechnung nach § 1374 Abs. 2 BGB ergeben,3 einschließlich der Nichtzurechnung zu den Einkünften.4

26.91

bb) Negatives Vermögen Nach früherer Rechtslage hatte der sich auf ein Anfangsvermögen berufende Ehegatte auch das Fehlen von Schulden zu beweisen.5 Der andere Ehegatte musste die von ihm behaupteten Schulden im Einzelnen genau darlegen, um dem Ehepartner diesen Nachweis zu ermöglichen. Nach neuer Rechtslage, die ein negatives Anfangsvermögen eingeführt hat (s. unter I. 2. c), Rz. 26.13), hat sich die Darlegungs- und Beweislast geändert. Sofern jetzt ein Ehegatte behauptet, sein Ehepartner habe bei Heirat nur Schulden gehabt, muss er die Vermutung des § 1377 Abs. 3 BGB, dass das Anfangsvermögen Null war, widerlegen. Im Ergebnis ist er also für ein negatives Anfangsvermögen seines Ehepartners darlegungs- und beweispflichtig.6 Für das eigene positive Anfangsvermögen bleibt die Darlegungs- und Beweislast dagegen unverändert.7 Sofern es vom Beweis einzelner Vermögenswerte abhängt, ob das Anfangsvermögen positiv oder negativ ist, trifft nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen die Darlegungs- und Beweislast den Vermögensinhaber für Aktiv- und den anderen Ehegatten für Passivposten. Der Grund liegt darin, dass die Behauptung eines einzelnen aktiven oder passiven Vermögensbestandteils auf eine – der Vermutung des § 1377 Abs. 3 widersprechende – Sachlage abzielt.8

26.92

Die Negativvermutung verliert ihre Wirkung immer nur partiell; sie bleibt also insoweit bestehen, als weiterhin vermutet wird, dass anderes als das nachgewiesene Vermögen nicht vorhanden war mit der Folge, dass die Negativvermutung des § 1377 Abs. 3 BGB niemals alle Kraft einbüßt.9

26.93

cc) Privilegiertes Vermögen Für privilegiertes Vermögen gem. § 1374 Abs. 2 BGB gelten die gleichen Grundsätze.10 Es besteht weder ein Erfahrungssatz noch eine tatsächliche Vermutung, dass eine privilegierte Zuwendung nach § 1374 Abs. 2 BGB nur an den Verwandten oder näherstehenden Ehegatten

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Brudermüller in Palandt, § 1377 BGB Rz. 7; Hoppenz in Hoppenz, § 1376 BGB Rz. 96. BGH v. 6.2.1991 – XII ZR 57/90, MDR 1991, 1068 = NJW 1991, 1741. BGH v. 20.7.2005 – XII ZR 301/02, MDR 2006, 94 = FamRZ 2005, 1660. OLG Koblenz v. 10.8.2006 – 7 UF 850/85, FuR 2006, 474. OLG Karlsruhe v. 29.8.1986 – 2 WF 124/86, FamRZ 1986, 1105. Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 19; Hoppenz in Hoppenz, § 1376 BGB Rz. 96; Schulz/ Hauß, Kap. 1 Rz. 71. Hoppenz, FamRZ 2008, 1889 (1891). Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 19 a.E.; Hoppenz, FamRZ 2008, 1889 (1891); Brudermüller, NJW 2010, 401 (404); Klein, FuR 2009, 654. Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1377 BGB Rz. 23. BGH v. 20.7.2005 – XII ZR 301/02, MDR 2006, 94 = FamRZ 2005, 1660; Hoppenz in Hoppenz, § 1376 BGB Rz. 97.

Born 859

26.94

§ 26 Rz. 26.94

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

vorgenommen worden ist.1 Ein Ehegatte, der sich auf die Privilegierung beruft, muss den privilegierten Erwerb darlegen und beweisen.2 Dazu gehört auch der Nachweis, dass die Zuwendungen keine Einkünfte waren.3 dd) Substantiierung

26.95 Für die Substantiierung des Vortrags reichen Rechtsbehauptungen (z.B. die einer Schenkung) aus; Zweifel am Wahrheitsgehalt sind durch Beweisaufnahme zu klären.4 Der Zuwendungsempfänger hat darzulegen und zu beweisen, dass die Zuwendung an ihn allein vorgenommen wurde; dabei sprechen weder ein Erfahrungssatz noch eine tatsächliche Vermutung dafür, bei einem größeren Geldbetrag sei Empfänger nur derjenige Ehegatte, der dem Leistenden nahe steht.5 Geht es um Haushaltsgegenstände oder um Geld für deren Anschaffung, spricht eine Vermutung für eine Zuwendung an beide Ehegatten.6 b) Endvermögen aa) Allgemeine Grundsätze

26.96 Der Antragsteller trägt die Beweislast für das Endvermögen beider Ehegatten, auch in Bezug auf wertbildende Faktoren;7 das gilt auch für Negativtatsachen.8 Aufgrund seiner Verpflichtung zu einem substantiierten Bestreiten hat der (nicht beweisbelastete) Ausgleichsschuldner die Obliegenheit, sich über den Verbleib von Vermögen zu erklären, welches in zeitlicher Nähe zum Stichtag nachweislich vorhanden war; kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, kann dieser Teil des Vermögens – als noch vorhanden oder illoyal ausgegeben – zum Endvermögen gezählt werden.9 Beim Endvermögen des Gegners muss der Anspruchsteller nicht nur das Vorhandensein von bestimmten Vermögensgegenständen (Aktiva), sondern auch das Fehlen von Schulden (Passiva) darlegen und beweisen.10 Dadurch wird dem Antragsteller im Ergebnis ein Negativbeweis aufgebürdet.11 Allerdings wird seine Beweisnot durch die verschärfte Darlegungslast des Antragsgegners abgemildert12 in der Weise, dass der Schulden behaupten1 BGH v. 12.4.1995 – XII ZR 58/94, MDR 1995, 820 = NJW 1995, 1889. 2 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 75. 3 BGH v. 20.7.2005 – XII ZR 301/02, MDR 2006, 94 = FamRZ 2005, 1660; OLG Koblenz v. 10.8.2006 – 7 UF 850/85, FuR 2006, 474. 4 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1374 BGB Rz. 33 m. kritischem Hinweis auf OLG Celle v. 20.4.2011 – 15 UF 251/10, FamRZ 2011, 1671, welches genaue Angaben fordert. Dazu zu Recht kritisch auch Schmid, FamRZ 2012, 17. 5 BGH v. 12.4.1995 – XII ZR 58/94, MDR 1995, 820 = NJW 1995, 1889. 6 OLG Düsseldorf v. 9.2.1994 – 5 UF 17/91, FamRZ 1994, 1384. 7 BGH v. 26.4.1989 – IVb ZR 48/88, MDR 1989, 895 = FamRZ 1989, 954; BGH v. 1.10.1986 – IVb ZR 69/85, MDR 1987, 217 = NJW 1987, 321. 8 OLG Stuttgart v. 26.11.1991 – 18 UF 202/91, FamRZ 1993, 192; OLG Hamm v. 11.4.1996 – 4 UF 454/95, FamRZ 1997, 87; OLG Köln v. 1.7.1998 – 27 UF 12/98, FamRZ 1999, 657 = NJW-RR 1999, 229; a.A. OLG Karlsruhe v. 29.11.1978 – 5 UF 17/78, FamRZ 1979, 432 zur Berufung auf nur treuhänderische Verwaltung. 9 OLG Frankfurt v. 8.6.2005 – 2 UF 119/05, FamRZ 2006, 416; OLG Düsseldorf v. 28.11.2007 – II-8 UF 94/07, FamRZ 2008, 1858. 10 OLG Brandenburg v. 29.9.2003 – 9 UF 225/02, FamRZ 2004, 1029 (1031); OLG Hamm v. 11.4.1996 – 4 UF 454/95, FamRZ 1997, 87; OLG Hamm v. 13.5.1997 – 7 UF 22/97, FamRZ 1998, 237. 11 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 104. 12 OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – II-8 UF 55/05, FamRZ 2009, 1068.

860

Born

Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.101 § 26

de Antragsgegner die dafür sprechenden Tatsachen darlegen1 und der Anspruchsteller diesen Vortrag dann widerlegen muss.2 Dem Antragsgegner obliegt eine „sekundäre Behauptungslast“, wenn der Antragsteller – als 26.97 darlegungspflichtige Partei – außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und in Bezug auf die maßgebenden Tatsachen keine näheren Kenntnisse hat, während diese beim Verfahrensgegner vorhanden sind und ihm deshalb nähere Angaben zugemutet werden können.3 Sofern sich der ausgleichspflichtige Ehegatte weigert, Umstände aus seiner Lebenssphäre aufzuklären, kann das Gericht – zugunsten des Antragstellers – aus diesem Verhalten die entsprechenden Schlüsse ziehen.4 Im Ergebnis hat jeder Ehegatte – unabhängig von der Beweislastverteilung – die Aktiva im Endvermögen des anderen Ehegatten und die Passiva im eigenen Endvermögen darzulegen und zu beweisen.5

26.98

Eine Beweislastumkehr ist anzunehmen, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte im Rahmen 26.99 der Auskunftserteilung keine Schulden erwähnt hatte, dann aber später solche Verbindlichkeiten behauptet. Hier wird eine Beweispflicht dafür angenommen, dass Passiva – entgegen seinen früheren Angaben – doch vorhanden sind.6 bb) Illoyale Vermögensminderungen (§ 1375 Abs. 2 BGB) Es handelt sich um anspruchsbegründende Tatsachen, die der sie behauptende Ehegatte substantiiert darlegen und beweisen muss.7 Eine konkrete Darlegung und Bewertung der – ihm nur schwer oder gar nicht zugänglichen – Motive seines Ehepartners ist dem Ehegatten allerdings nicht möglich, woran auch der Auskunftsanspruch aus § 1379 BGB kaum etwas ändert. Von daher reicht ein Vortrag entsprechender Anhaltspunkte aus mit der Folge, dass dem anderen Ehegatten die Möglichkeit einer Entlastung bleibt.8

26.100

Eine Umkehr der Beweislast ist anzunehmen, wenn das Endvermögen geringer ist als das Trennungsvermögen gem. § 1379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB; dies ergibt sich aus § 1375 Abs. 2 Satz 2 BGB. In diesem Fall besteht die Vermutung, dass die zwischen Trennungszeitpunkt und dem für das Endvermögen maßgebenden Stichtag eingetretenen Vermögensverluste auf einem unlauteren Verhalten des betreffenden Ehegatten beruhen. Deshalb hat dieser Ehegatte nachvollziehbar darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass die – unstreitig vorliegende – Vermögensminderung nicht auf illoyale Handlungen seinerseits zurückzuführen ist.9

26.101

1 OLG Brandenburg v. 29.9.2003 – 9 UF 225/02, FamRZ 2004, 1029; FamRZ 2004, 1031. 2 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 104 a.E. 3 BGH v. 18.2.2009 – XII ZR 163/07, FamRZ 2009, 849 (851) = MDR 2009, 693; BGH v. 14.7.2003 – II ZR 335/00, NJW-RR 2004, 556. 4 OLG Köln v. 1.7.1998 – 27 UF 12/98, NJW-RR 1999, 229; Koch, FamRZ 2003, 197, 202. 5 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 105. 6 OLG Koblenz v. 6.6.1988 – 13 UF 82/87, FamRZ 1988, 1273; Mayer in Bamberger/Roth, § 1375 BGB Rz. 46; a.A. Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 106 unter Hinweis darauf, widersprüchliche Auskünfte seien lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. 7 OLG Köln v. 7.11.2006 – 4 WF 169/06, FamRZ 2007, 1327; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1375 BGB Rz. 54. 8 OLG Köln v. 7.11.2006 – 4 WF 169/06, FamRZ 2007, 1327; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1375 BGB Rz. 44 a.E. 9 Brudermüller, FamRZ 2009, 1185 (1186); Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1375 BGB Rz. 57 a.E.; Hoppenz in Hoppenz, § 1376 BGB Rz. 100.

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§ 26 Rz. 26.101

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Sofern ihm dieser Nachweis nicht gelingt, wird der Unterschiedsbetrag seinem Endvermögen hinzugerechnet, wodurch sich sein Zugewinn erhöht.1 Es wird als nicht ausreichend angesehen, wenn der betreffende Ehegatte den Verlust des einzelnen Gegenstandes erläutert.2

26.102 Da die Vermutung an den Wert des Vermögens (und nicht an die Existenz einzelner Vermögensgegenstände) anknüpft, kommt sie nicht zum Zuge, wenn sich die Zusammensetzung des Vermögens geändert hat, ohne dass der Wert abgenommen hätte.3 Die Vermutung ist aus diesem Grunde nicht geeignet, solche illoyalen Vermögensminderungen zu erfassen, die durch einen anderweitigen Vermögenserwerb neutralisiert werden.4 Allerdings bleibt dem anderen Ehegatten die – durch § 1375 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht ausgeschlossene und schon nach bisherigem Recht mögliche – Berufung auf die illoyale Vermögensminderung, also unabhängig von der Auskunft über das Trennungsvermögen; hierfür trägt er allerdings die Darlegungs- und Beweislast.5 Er kann in diesem Zusammenhang auf den – schon bisher aus § 242 BGB hergeleiteten – Auskunftsanspruch zurückgreifen.6 3. Vermögensbewertung a) Ermittlung des Vermögenswertes

26.103 Jeder einzelne Vermögensgegenstand muss in den „Bilanzen“, die jeder Ehegatte zum Anfangs- und Endvermögen zu fertigen hat, mit einem bestimmten Wert angegeben werden. Der „wahre, wirkliche Wert“ ist zu nennen, was in der Praxis naturgemäß auf Schwierigkeiten stößt, wenn es etwa um Grundstücke, ein Unternehmen oder eine freiberufliche Praxis geht. Aus dem Erfordernis, den Wert in der Antragsschrift zu beziffern, ergibt sich, dass der Wert nicht offengelassen und die Einholung eines Gutachtens beantragt werden kann; denn das wäre ein unzulässiger Beweisermittlungsantrag.7

26.104 In der Praxis wird vorprozessual zunächst Auskunft über das Vermögen zum Zeitpunkt der Trennung gem. § 1379 Abs. 2 Satz 1 BGB verlangt. Nach neuer Rechtslage (s. unter I. 2. c), Rz. 26.12, 26.13) kann sich der Auskunftsschuldner nicht mehr auf eine Auskunft „in groben Zügen“ beschränken; vielmehr ist – wie zum Anfangs- und Endvermögen – ein nach Aktiva und Passiva gegliedertes Bestandsverzeichnis vorzulegen, in welchem die zum Vermögen gehörenden Positionen nach Anzahl, Art und wertbildenden Faktoren einzeln aufgeführt sind.8 Gleichzeitig sollten Belege angefordert werden, konkret alle Unterlagen, ohne die eine Berechnung des Zugewinnausgleichs (als Zweck der Auskunft) nicht zu erreichen ist.9

26.105 Gesondert geltend zu machen ist der Anspruch auf Wertermittlung nach § 1379 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB, aus dem sich weitere Anhaltspunkte für die Bewertung des Vermögens herleiten lassen. Es ist danach Sache des auskunftspflichtigen Ehegatten, den Wert der Vermögens1 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 109. 2 Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 33 unter Hinweis auf Braeuer, Der Zugewinnausgleich, 2011, Rz. 265. 3 Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 33. 4 Brudermüller in Palandt, § 1376 BGB Rz. 33; a.A. Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 110; vgl. dazu OLG Frankfurt v. 8.6.2005 – 2 UF 119/05, FamRZ 2006, 416. 5 Hoppenz, FamRZ 2010, 16, 19. 6 S. dazu Brudermüller in Palandt, § 1379 BGB Rz. 2. 7 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 172. 8 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 173, 775 f. 9 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 173, 778 f.

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Unternehmensbewertung im Familienrecht

Rz. 26.110 § 26

gegenstände und Verbindlichkeiten – auf seine Kosten – zu ermitteln und anzugeben. Dadurch gewinnt der Berechtigte zumindest erste Anhaltspunkte; sofern er eine zuverlässigere Beurteilung wünscht, muss er – auf seine Kosten – den Wert des jeweiligen Vermögensgegenstandes durch einen Sachverständigen feststellen lassen. Ein Nachteil liegt darin, dass diese Bewertung – als Parteigutachten (dazu Rz. 34.78) – für die Gegenseite (und damit für die Vermögensauseinandersetzung insgesamt) nicht verbindlich ist. Hier bietet sich insbesondere zwecks Vermeidung zusätzlicher Kosten eine Einigung über die Beauftragung eines Schiedsgutachters (dazu Rz. 1.72; Rz. 36.15 ff.) an.1 b) Selbständiges Beweisverfahren (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) An Stelle eines Schiedsgutachters (s. Rz. 26.105) kommt das selbständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Betracht. Diese Möglichkeit fristet zu Unrecht ein „Schattendasein“, denn das selbständige Beweisverfahren stellt in vielen Fällen eine geeignete Alternative für die Beteiligten dar.2 Vorausgesetzt wird lediglich, dass

26.106

– ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist – und ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Wertes einer Sache besteht. Ein solches Interesse ist immer schon dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Wertermittlung muss objektiv geeignet sein, eine einvernehmliche Streitbeilegung über die Höhe des Zugewinnausgleichs herbeizuführen.3

26.107

Die Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens steht dem Vorgehen im Wege des selbständigen Beweisverfahrens nicht entgegen. Das Verfahren kommt allerdings nicht in Betracht, sofern die Ausgleichsforderung im Scheidungsverbund, im vorzeitigen Zugewinnausgleichsverfahren oder nach rechtskräftiger Scheidung selbständig geltend gemacht wird.4

26.108

Die Vorteile des selbständigen Beweisverfahrens bestehen darin, dass

26.109

– ein (als Grundlage für eine Einigung geeignetes) Wertgutachten relativ schnell erstellt wird, – eine Bewertung über Verfahrenskostenhilfe oder Verfahrenskostenvorschuss günstig zu bekommen ist.5 c) Überprüfung des Sachverständigengutachtens Allein schon vor dem Hintergrund des entsprechenden Regressrisikos6 sollte man als – insoweit nicht sachkundiger – anwaltlicher Interessenvertreter des Ehegatten keine eigene Bewertung von Unternehmen, Gesellschaftsbeteiligungen oder freiberuflichen Praxen vornehmen,7

1 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 175, 720, 237. 2 Kogel, FamRB 2010, 155 (157); Born, FPR 2009, 305; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 177. 3 OLG Koblenz v. 17.10.2008 – 7 WF 867/08, FamRZ 2009, 804; vgl. auch OLG Köln v. 25.2.2010 – 10 WF 216/09, FamRZ 2010, 1585 = FamRB 2010, 133 m. Anm. Kogel. 4 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 178. 5 Kogel, FamRB 2010, 155 (159); Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 181. 6 Kogel, Strategien, Rz. 495, Fn. 416. 7 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 186.

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§ 26 Rz. 26.110

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

zumal für die Wertermittlung nach Ansicht des BGH regelmäßig ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist.1

26.111 Andererseits dürfen weder anwaltlicher Vertreter noch Familiengericht das Ergebnis der Sachverständigenbewertung „blind“ übernehmen.2 Neben der Notwendigkeit der Überprüfung der angewandten Bewertungsmethode darauf, ob es sich um das richtige Verfahren zur Ermittlung des „wahren, wirklichen Wertes“ handelt (s. dazu Rz. 26.22), müssen die vom Gutachter zugrunde gelegten Daten auf Richtigkeit kontrolliert werden.3 Dazu zählt bei Grundstücken die Überprüfung auf richtige Vermessung und Höhe der zum Stichtag noch valutierenden eingetragenen Belastungen. Im Falle einer sachverständigen Bewertung eines Unternehmens sollte sich die anwaltliche Überprüfung zumindest auf Kapitalisierungszinssatz, konkreten Unternehmerlohn, latente Ertragssteuer, Zeitdauer der Abschreibungen und die Gewichtung des Durchschnittsgewinns der letzten Jahre erstrecken.4 4. Vorzeitiger Zugewinnausgleich (§§ 1385, 1386 BGB) a) Reform

26.112 Im Zuge der Reformierung des Zugewinnausgleichs (s. unter I. 2. c), Rz. 26.12, 26.13) wurde für den ausgleichsberechtigten Ehegatten die Möglichkeit geschaffen, gleichzeitig eine Aufhebung der Zugewinngemeinschaft und unmittelbar eine Zahlung des Zugewinnausgleichs nach § 1385 BGB zu verlangen. Dagegen kann der ausgleichspflichtige Ehegatte nur die Aufhebung der Zugewinngemeinschaft nach § 1386 BGB beantragen, womit sich im Übrigen aber auch der ausgleichsberechtigte Ehegatte begnügen kann.

26.113 Trotz leichter Lockerung der Tatbestandsvoraussetzungen (vermögensmindernde Handlungen nach § 1385 Nr. 2 BGB müssen nicht mehr eingetreten, sondern nur noch zu befürchten sein), sind die Voraussetzungen auch weiterhin nur schwer darzulegen und zu begründen mit der Folge, dass der Stellenwert des vorzeitigen Zugewinnausgleichs relativ gering geblieben ist.5 Nach der – dem § 1384 BGB angepassten – Vorschrift des § 1387 BGB tritt bei vorzeitigem Zugewinnausgleich für die Berechnung des Zugewinns und für die Höhe der Ausgleichsforderung an die Stelle der Beendigung des Güterstandes der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Antrags auf vorzeitigem Zugewinnausgleich.6 b) Ausgleich nach § 1385 BGB

26.114 Die Vorschrift nennt vier Fälle, in denen der Zugewinn vorzeitig ausgeglichen werden kann: – § 1385 Nr. 1: Der Begriff des Getrenntlebens ergibt sich aus § 1567 BGB; die 3-jährige Trennungszeit muss erst zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgelaufen sein. – § 1385 Nr. 2: Der Anspruch ergibt sich bei Gefährdung der künftigen Zugewinnausgleichsforderung. Eine Gefährdung des Vermögens durch Handlungen nach § 1365 BGB (Verfügung über das Vermögen im Ganzen) und nach § 1375 Abs. 2 BGB („illoyale Ver1 BGH v. 9.5.1985 – I ZR 52/83, MDR 1986, 121 = NJW 1986, 192. 2 Piltz/Wissmann, NJW 1985, 2673. 3 OLG Düsseldorf v. 20.3.2006 – I-24 U 161/05, FamRZ 2007, 644 (LS); Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 166. 4 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 186. 5 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 914. 6 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 915.

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mögensminderungen“) müssen lediglich zu befürchten sein. Die Erheblichkeit der Gefährdung beurteilt sich nach dem Umfang der Vermögensinteressen und dem Grad der Gefährdung, beides zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.1 – § 1385 Nr. 3: Der Anspruch ergibt sich bei Verletzung der Unterhaltspflicht. Im Falle der Verweigerung von Unterhaltszahlungen zum Zeitpunkt eines schon laufenden gerichtlichen Verfahrens kann das Verhalten des Schuldners nicht als schuldhafte Verletzung von wirtschaftlichen Pflichten gewertet werden, was sich schon daraus ergibt, dass erst nach Beendigung dieses Verfahrens feststeht, ob tatsächlich gezahlt werden muss.2 – § 1385 Nr. 4: Aus der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) ergibt sich – während des ehelichen Zusammenlebens – die Verpflichtung, den Ehepartner „in groben Zügen“ über die Vermögensverhältnisse zu unterrichten. Eine beharrliche Verweigerung i.S.v. § 1385 Nr. 4 BGB liegt vor, wenn ein Ehegatte – trotz wiederholter Aufforderung – keine Auskunft über sein Vermögen erteilt. Es ist in der Praxis empfehlenswert, jedenfalls bei der 3. Aufforderung darauf hinzuweisen, dass im Falle erneuter Ablehnung von einer endgültigen Verweigerung der Auskunftserteilung ausgegangen und dann – nach fruchtlosem Fristablauf – Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich gestellt wird.3

26.115

Gleiches gilt für den Fall, dass zum Trennungsvermögen die Auskunft beharrlich verweigert 26.116 wird; denn auf dieses Verhalten ist § 1385 Nr. 4 BGB entsprechend anzuwenden. Insoweit greift das Erst-Recht-Argument: Wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte den vorzeitigen Zugewinnausgleich schon bei Verletzung der schwächeren Verpflichtung zur allgemeinen Unterrichtung verlangen kann, dann erst recht bei Verletzung des gesetzlich geregelten Auskunftsanspruchs.4 c) Ausgleich nach § 1386 BGB In erster Linie wird der (voraussichtlich) ausgleichspflichtige Ehegatte die vorzeitige Aufhebung der Zugewinngemeinschaft nach § 1386 BGB beantragen. Er kann diesen Gestaltungsantrag „aus Gründen der Waffengleichheit“5 auf die Fälle des § 1375 BGB, dort auch auf die Tatbestände Nr. 2 und 3, stützen.6

26.117

d) Verfahren aa) Grundsätze Der vorzeitige Zugewinnausgleich muss in einem selbständigen Verfahren geltend gemacht werden; dagegen kommt eine Geltendmachung als Folgesache im Scheidungsverbund nicht 1 OLG Köln v. 29.10.2001 – 21 UF 17/01, FamRZ 2003, 539. 2 OLG Hamm v. 10.3.1999 – 6 UF 190/98, MDR 1999, 1329 = FamRZ 2000, 228. 3 OLG Frankfurt v. 1.7.2009 – 2 UF 16/09, FamRZ 2010, 563; Kogel, FamRZ 2008, 1297 (1299); Großmann, FamRB 2004, 346; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 593. 4 Bergschneider, FamRZ 2009, 1713 (1716); Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, §§ 1385, 1386 BGB Rz. 26; Jaeger in Johannsen/Henrich, § 1385 BGB Rz. 5; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 918; a.A. Brudermüller, NJW 2010, 401 (402); Götz, FamRZ 2009, 1907 in der Anm. zu OLG Bamberg v. 20.8.2009 – 2 UF 133/09, FamRZ 2009, 1906; Kogel, FF 2010, 164, 166. 5 So BT-Drucks. 16/10798, 20. 6 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 920.

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in Betracht.1 Auch in dem Fall, dass der Scheidungsantrag schon rechtshängig ist, kann der vorzeitige Zugewinnausgleich noch durchgeführt werden.2 Dies gilt selbst dann, wenn im Verbund bereits Zugewinnausgleich beantragt worden ist.3 Demnach kann die Beendigung des Güterstandes zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten.4 Sofern der Scheidungsbeschluss vor Entscheidung über den vorzeitigen Zugewinnausgleich rechtskräftig wird, ist zu differenzieren: – Das Verfahren nach § 1386 BGB ist in der Hauptsache erledigt aufgrund des Umstandes, dass der Güterstand mit Rechtskraft der Scheidung beendet ist.5 – Im Verfahren nach § 1385 BGB ist lediglich der (auf Aufhebung der Zugewinngemeinschaft gerichtete) Gestaltungsantrag erledigt, während über den Zahlungsantrag noch entschieden werden muss.6

26.119 Im Falle der Rücknahme des Scheidungsantrags kann die Folgesache Zugewinnausgleich dadurch weitergeführt werden, dass eine Umstellung des Antrags dahin vorgenommen wird, dass nunmehr vorzeitiger Zugewinnausgleich verlangt wird.7 Sofern zu einem späteren Zeitpunkt ein neuer Scheidungsantrag gestellt wird, bleibt für die Berechnung des Zugewinnausgleichs der frühere Stichtag maßgebend.8 bb) Wert

26.120 Maßgebend für den Streitwert eines Antrags auf Aufhebung der Zugewinngemeinschaft ist das Interesse des Antragstellers an der vorzeitigen Beendigung des gesetzlichen Güterstandes; dieses Interesse muss geschätzt werden (§ 42 Abs. 1, Abs. 3 FamFG). Es wird im Regelfall auf ein Viertel der zu erwartenden Ausgleichsforderung festgesetzt.9 Im Falle eines Verfahrens nach § 1385 BGB ist dieser Wert demjenigen des Zahlungsantrags hinzuzurechnen.10

1 OLG Düsseldorf v. 4.2.2002 – 2 UF 211/01, FamRZ 2002, 1572 (1573) m. Anm. Leidinger; KG v. 21.6.2000 – 13 UF 9188/99, FamRZ 2001, 166 m. Anm. Gottwald. 2 OLG Köln v. 1.7.2008 – 4 UF 8/08, FamRZ 2009, 605; OLG Karlsruhe v. 25.4.2003 – 16 WF 6/03, FamRZ 2004, 466; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 923. 3 Mayer in Bamberger/Roth, § 1385 BGB Rz. 5. 4 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 923 a.E. 5 OLG Karlsruhe v. 25.4.2003 – 16 WF 6/03, FamRZ 2004, 466; OLG Düsseldorf v. 4.2.2002 – 2 UF 211/01, FamRZ 2002, 1572. 6 Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 924. 7 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, §§ 1385, 1386 BGB Rz. 36. 8 OLG Köln v. 27.5.2008 – 21 UF 43/08, FamRZ 2008, 2043; Schulz/Hauß, Kap. 1 Rz. 925. 9 BGH v. 29.11.1972 – IV ZR 107/72, FamRZ 1973, 133; OLG Nürnberg v. 24.11.1997 – 7 WF 3549/97, FamRZ 1998, 685. 10 Brudermüller in Palandt, §§ 1385, 1386 BGB Rz. 13; Hoppenz in Hoppenz, §§ 1385, 1386 BGB Rz. 20.

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§ 27 Unternehmensbewertung im Erbrecht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfordernis der Nachlassbewertung für erbrechtliche Zwecke . . . . . . . . . 2. Rückgriff auf Recht des Zugewinnausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. IDW S 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmensbewertung im Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze der Nachlassbewertung und der Pflichtteilsberechnung . . . . a) Pflichtteilsanspruch als Geldsummenanspruch . . . . . . . . . . . b) Ziele der Ermittlung des Nachlasswertes im Pflichtteilsrecht . . c) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . bb) Wertaufhellungsprinzip . . . d) Vom Erblasser getroffene Wertbestimmungen . . . . . . . . . . 2. Der Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unsichere Rechte und Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der zu ermittelnde Wert . . . . . . . . . a) Bewertungsziel . . . . . . . . . . . . . . b) Wirklicher Wert . . . . . . . . . . . . . c) Liquidationswert als Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelne Wertermittlungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitnah erzielter Verkaufserlös . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertungsmethoden . . . . . e) Latente Steuern . . . . . . . . . . . . . 4. Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Pflichtteilsberechnung . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Handelsgeschäft . . . . . . . . . bb) Freiberufliche Praxis . . . . . . cc) GmbH-Geschäftsanteil . . . . dd) Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Anteil an einer Personenoder Partnerschaftsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . (1) Nachfolge in Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . . .

27.1 27.1 27.4 27.5 27.6 27.6 27.6 27.8 27.12 27.12 27.16 27.17 27.18 27.18 27.23 27.27 27.28 27.28 27.29 27.34 27.35 27.35 27.38 27.41 27.45 27.45 27.48 27.48 27.49 27.52 27.54 27.56 27.56

(2) Ausscheiden des Erben und Abfindungsklausel . . . . ff) Bewertung eines Landguts . 5. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . a) Darlegungs- und Beweislast . . . . b) Wertermittlungsanspruch . . . . . c) Aufgabe des Tatrichters . . . . . . . III. Bewertung eines landwirtschaftlichen Unternehmens . . . . . . . . . . 1. Das Landguterbrecht des BGB . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung des Wertes . . . . . . . aa) Ertragswertberechnung nach § 2049 BGB . . . . . . . . (1) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . (2) Voraussetzungen . . . . . . . . . bb) Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . . . . . cc) Berechnung der Abfindung . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff des Ertragswertes . . . (2) Grundlagen des Ertragswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ermittlung des Ertragswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtliche Grundlagen . . . . (b) Praxis der Ermittlung des Reinertrags . . . . . . . . . . . . . dd) Ertragswert und Abfindung . . . . . . . . . . . . . ee) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Landgutbewertung im Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen für die Ertragswertberechnung . . . . (1) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Ertragswertberechnung . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten nach dem GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Landgutbewertung nach Höferecht . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriff des Hofes . . . . . . . . . . . .

27.59 27.63 27.64 27.64 27.66 27.71 27.73 27.73 27.73 27.74 27.74 27.74 27.77 27.82 27.84 27.84 27.86 27.88 27.88 27.91 27.99 27.100 27.101 27.101 27.103 27.103 27.108 27.109 27.111 27.114 27.114 27.115

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§ 27

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

c) Bestimmung des Hoferbens . . . . d) Abfindungsansprüche weichender Miterben . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abfindungsanspruch . . . . . bb) Nachabfindungsanspruch . . e) Wert des Abfindungsanspruchs . aa) Hofeswert . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachlassverbindlichkeiten . cc) Berechnung des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . . f) Nachweis- und Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unternehmens- und Anteilsbewertung bei Ausgleichsansprüchen unter Miterben . . . . . 1. Die Rechtsnatur der Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . a) Anordnungen des Erblassers zur Auseinandersetzung . . . . . . b) Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . .

27.119 27.122 27.122 27.125 27.128 27.128 27.132 27.133 27.134

27.138 27.138 27.140 27.140 27.142

c) Teilungsanordnung als Ausgangspunkt einer Unternehmens- bzw. Anteilsberechnung . d) Grundsätze der Bewertung . . . . aa) Bewertungsziel . . . . . . . . . . bb) Bewertungsstichtag . . . . . . . 3. Die Ausgleichung als Ausgangspunkt einer Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung der Ausgleichungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Ausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . c) Art und Weise der Ausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . d) Wertbestimmung durch den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . e) Auskunftsansprüche . . . . . . . . . 4. Qualifizierte Nachfolgeklauseln . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . .

27.143 27.144 27.144 27.147 27.149 27.149 27.150 27.152 27.156 27.158 27.161 27.161 27.164

Schrifttum: Ballhorn/König, Unternehmensbewertung nach dem IDW S 13: Eine konsequente Umsetzung der BGH Vorgaben, FamRZ 2018, 161; Benk, Teilungsanordnung, Vorausvermächtnis, Übernahmerecht, MittRhNotK 1979, 53; Bewer, Bewertungsfragen bei Lösung der Hofnachfolgeprobleme, AgrarR 1976, 273; Borth, Die Bewertung von Unternehmen im Familien- und Erbrecht nach IDW S 13 – eine gezielte Umdeutung der Bewertungsgrundsätze des BGH?, FamRZ 2017, 1739; Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Bemessung von familien- und erbrechtlichen Ansprüchen, 1995; Brügmann, Der Ausgleichsanspruch in der Erbengemeinschaft. Eine Untersuchung zur Nachfolge einzelner Miterben in die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 2013; Daragan, Pflichtteil und latente Einkommensteuer, ZErb 2015, 329; Deckert, Vererbung von Anteilen an Personengesellschaften, NZG 1998, 43; Ebenroth/Bacher, Geldwertänderungen bei Vorempfängen, BB 1990, 2053; Ebenroth/Bacher/ Lorz, Dispositive Wertbestimmungen und Gestaltungswirkungen bei Vorempfängen, JZ 1991, 277; Eiselt, Buchwertabfindung in Personalgesellschaften und Pflichtteil, NJW 1981, 2447; Ernst, Die Abfindung nach dem Hofeswert (§ 12 Abs. 2 HöfeO) – ein Problem für die weichenden Erben, RdL 2007, 260; Fleischer/Schneider, Der Liquidationswert als Untergrenze der Unternehmensbewertung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen, DStR 2013, 1736; Franken/Schulte/Rowoldt, Bewertung von KMU und übertragbare Ertragskraft: ein Anwendungsbeispiel, WPg 2018, 38; Haegele, Der Pflichtteil im Handels- und Gesellschaftsrecht, BWNotZ 1976, 25; Hagedorn, Der Unternehmenswert bei Erb- und Vermögensnachfolge, FS Mailänder, 2006, S. 347; Hartwig, Die Beteiligung des Hoferben am hoffreien Nachlass, AgrarR 1997, 363; Hartwig, Richterliche Rechtsfortbildung zum Hofeswert, AgrarR 2002, 169; Holl, Zur Umsetzung des Urteils des BGH vom 17.11.2000 – V ZR 334/99, AgrarR 2002, 13; v. Hoyenberg, Ausgewählte Fragen zum Unternehmertestament, RNotZ 2007, 377; Hülsmann, Buchwertabfindungen des GmbH-Gesellschafters im Lichte der aktuellen Rechtsprechung, GmbHR 2001, 409; v. Jeinsen, Mehr als 60 Jahre Höfeordnung – Rück- und Ausblick, RdL 2008, 85; Kegel, Zum Pflichtteil vom Großgrundbesitz, FS Ernst J. Cohn, 1975, S. 85; Keller, Die Problematik des § 2306 BGB bei der Sondererbfolge in Anteile an Personengesellschaften, ZEV 2001, 297; Kempfler, Die Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe im Hinblick auf pflichtteilsrechtliche Ansprüche, ZEV 2011, 337; Klingelhöffer, Zugewinnausgleich und freiberufliche Praxis, FamRZ 1991, 882; Köhne, Einzelfragen der Ertragswertermittlung, AgrarR 1982, 29; Köhne, Der Ertragswert landwirtschaftlicher Betriebe, AgarR 1984, 57; Köhne, Zur Bemessung der Abfindung gemäß § 12 Abs. 2 HöfeO, AgrarR 2001, 165; Kronthaler, Landgut, Ertragswert und Bewertung im Bürgerlichen Recht, 1991; Krug, Die Kauf-

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.1 § 27

kraftproblematik bei ausgleichspflichtigen Vorempfängen in der Erbteilung, ZEV 2000, 41; Lange, Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsentziehung, ZErb 2005, 205; Lange, Vererbung von GmbH-Anteilen und Gesellschafterliste, GmbHR 2012, 986; Lange, Erbengemeinschaft an einem GmbH-Geschäftsanteil, GmbHR 2013, 113; Loritz, Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, NJW 1988, 2697; Lorz, Latente Steuern und Pflichtteilsrechte, ZErb 2003, 302; Marotzke, „Höferechtliche Tendenzen“ und dogmatische Lösungen bei der Beerbung des Mitglieds der offenen Handelsgesellschaft, AcP 184 (1984), 541; J. Mayer, Wertermittlung des Pflichtteilsanspruchs: Von gemeinen, inneren und anderen Werten, ZEV 1994, 331; J. Mayer, Pflichtteil und Ertragswertprivileg, MittBayNot 2004, 334; J. Mayer, Teilung bricht Gesamthand – praktische Fälle der Erbauseinandersetzung, MittBayNot 2010, 345; U. Mayer, Der Abfindungsanspruch im Gesellschaftsrecht: pflichtteilsfester Vermögenstransfer am Nachlass vorbei?, ZEV 2003, 355; Mayer-Klenk, Unternehmensbewertung im Erbrecht, ErbR 2008, 311; Müller-Feldhammer, Das Ertragswertverfahren bei der Hofübergabe, ZEV 1995, 161; Pabsch, Leitfaden für die Ermittlung des Ertragswertes landwirtschaftlicher Betriebe, AgrarR 1994, 5; Peter, Zuwendungen im Wege vorweggenommener Erbfolgen – Fragen zur Ausgleichung und zur Anrechnung, BWNotZ 1986, 28; W. Reimann, Gesellschaftsvertragliche Abfindung und erbrechtlicher Anspruch, ZEV 1994, 7; W. Reimann, Gesellschaftsvertragliche Bewertungsvorschriften in der notariellen Praxis, DNotZ 1992, 472; Riedel, Das ABC des § 2311 BGB – Zum Wert des Nachlasses, ErbR 2018, 362; Riedel, Gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelungen – Auswirkungen auf Pflichtteil und Erbschaftsteuer, ZErb 2003, 212; Rinck, Zum Abfindungswert nach § 12 HöfeO, AgrarR 2001, 111; Rittner, Handelsrecht und Zugewinngemeinschaft (III): Der Zugewinnausgleich, FamRZ 1961, 505; Ruby, Das Landwirtschaftserbrecht: Ein Überblick, ZEV 2006, 351; Ruby, Landwirtschaftserbrecht: Das Landgut im BGB, ZEV 2007, 263; Rüthers, Die privatautonome Gestaltung der Vererbung des Anteils an einer Offenen Handelsgesellschaft durch eine beschränkte Nachfolgeklausel, AcP 168 (1968), 263; Sarres, Auskunftspflichten zwischen Miterben über lebzeitige Zuwendungen gem. § 2057 BGB, ZEV 2000, 349; Schlichting, Bewertung von Aktien aus Anlass von Pflichtteilsansprüchen, ZEV 2006, 197; Schmid, Die latente Steuer im Pflichtteilsrecht – Berücksichtigung latenter Steuern bei der Ermittlung des Nachlasswerts, ZErb 2015, 133; Siebert, Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln und Pflichtteilsrecht, NJW 1960, 1033; Siegmann, „Überquotale“ Teilungsanordnung und Teilungsversteigerung, ZEV 1996, 47; Söbbeke, Landwirtschaftserbrecht: Die Nordwestdeutsche HöfeO, ZEV 2006, 395; Steffen, Ertragswert eines Landgutes, RdL 1980, 143; Steffen, Die Feststellung des Hofeswertes, RdL 2001, 88; Stötter, Pflichtteil und Zugewinnausgleich bei der Gesellschafternachfolge, DB 1970, 573; Tanck, Pflichtteil bei unternehmerisch gebundenem Vermögen, BB 2004 Beil. 9, 19; Thubauville, Die Anordnung lebzeitiger Leistungen auf Erb- und Pflichtteilsrechte, MittRhNotK 1992, 289; Ulmer, Gesellschafternachfolge und Erbrecht, ZGR 1972, 324; Weidlich, Ertragswertanordnung und Ehegattenbeteiligung an einem Landgut, ZEV 1996, 380; Wellmann, Landwirtschaftserbrecht – die tatsächliche Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe im Spiegel des Erbrechts und des neuen Erbschaftsteuergesetzes, ZErb 2010, 12; Werner, Werterhöhung als ausgleichspflichtiger Zugewinn und erbrechtlicher Vorempfang, DNotZ 1978, 68; C. Winkler, Reduzierung der Ansprüche der bei der GesellschafterNachfolge übergangenen Pflichtteilsberechtigten durch gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln?, BB 1997, 1697; C. Winkler, Unternehmensnachfolge und Pflichtteilsrecht – Wege zur Minimierung des Störfaktors „Pflichtteilsansprüche“, ZEV 2005, 89.

I. Einführung 1. Erfordernis der Nachlassbewertung für erbrechtliche Zwecke Das Erbrecht soll die vermögensrechtlichen Folgen des Todes eines Menschen, mithin die Verteilung seines Nachlasses regeln.1 Regelmäßig sind mehrere Personen auf Erwerberseite beteiligt, deren teilweise widerstreitende Interessen (Erben, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigte etc.) auszugleichen sind, weshalb die zu verteilenden Gegenstände und die bestehenden Forderungen bewertet werden müssen. Der Nachlassbewertung kommt daher im 1 Ebenroth, § 1 Rz. 7; Lange, Kap. 2 Rz. 1.

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27.1

§ 27 Rz. 27.1

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

materiellen Erbrecht eine gewichtige Rolle zu. Befindet sich ein Unternehmen oder ein Anteil an einer Unternehmung im Nachlass, hat regelmäßig eine Unternehmens- bzw. Anteilsbewertung zu erfolgen, zumal dieser Vermögenswert wirtschaftlich betrachtet häufig den maßgeblichen Anteil des Nachlasses ausmachen dürfte. Diese Bewertung muss stets mit Blick auf den konkreten erbrechtlichen Kontext erfolgen. So kann sie dazu dienen, unterschiedliche schuldrechtliche Ansprüche durchzusetzen, etwa denjenigen des Pflichtteilsberechtigten (§ 2317 BGB) oder denjenigen des Vermächtnisnehmers (§ 2174 BGB). Der Nachlasswert kann als Bemessungsgrundlage für Vergütungsansprüche von Testamentsvollstrecker oder Nachlasspfleger oder zur Beantwortung der Frage herangezogen werden, ob eine Erbeinsetzung oder eine Vermächtniszuwendung vorliegt (vgl. § 2087 BGB).1 Bewertungsfragen spielen zudem bei der Auseinandersetzung von Miterben eine Rolle. So erfordert eine Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) dann eine Unternehmens- oder Anteilsbewertung, wenn dadurch Ausgleichsansprüche der Miterben entstehen, etwa weil der durch die Anordnung Begünstigte einen seine Erbquote übersteigenden Mehrwert in Form des Unternehmens bzw. eines Anteils daran erhalten hat. Vergleichbar ist die Situation, in der ein Miterbe durch eine qualifizierte Nachfolgeklausel mit dem Unternehmen bzw. dem Anteil daran eine Vermögensposition im Wege der Sondererbfolge zugewandt erhält, die wertmäßig seine Erbquote übersteigt.

27.2 Regelmäßig handelt es sich bei den genannten Beispielen um schuldrechtliche Ansprüche, nicht jedoch um dingliche Beteiligungen am Nachlass. Sie setzen sich also nicht in der unternehmerischen Beteiligung selbst fort, sondern sind auf Geld gerichtete Abfindungs-, Ausgleichs- oder Teilhaberechte.2 Da sie durch die Bewertung besonders berührt werden, unterliegen sie grundsätzlich nicht der Parteidisposition. Jede Unternehmensbewertung muss vielmehr die gesetzlich niedergelegten Vorgaben und Wertungen beachten. Auch schiedsgutachterliche Vorgaben des Erblassers sind nur eingeschränkt zulässig.

27.3 In der erbrechtlichen Praxis sind viele Konstellationen denkbar, in denen sich die Frage nach einem Unternehmenswert bzw. nach dem Wert einer Unternehmensbeteiligung stellt. Die mit Abstand größte Bedeutung kommt dabei der Bewertung aus Anlass der Pflichtteils(ergänzungs)berechnung zu, weshalb diese im Zentrum der Darstellung steht. 2. Rückgriff auf Recht des Zugewinnausgleichs

27.4 Hinsichtlich der Bewertung von Unternehmen oder Unternehmensanteilen für erbrechtliche Fragestellungen bestehen viele Unklarheiten, was schon daran liegt, dass den einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen zumeist über den Einzelfall hinausreichende, verallgemeinerungsfähige Aussagen nicht zu entnehmen sind. In Ermangelung von Fallmaterial wird gelegentlich ein Rückgriff auf die umfangreichere Judikatur zum Zugewinnausgleich (§ 26) in Erwägung gezogen.3 Dabei sollte man jedoch stets genau prüfen, ob sich aus dem Tod des bisherigen Unternehmers/Gesellschafters maßgebliche Unterschiede mit Blick auf die zu erfolgende Bewertung ergeben oder nicht. Hinsichtlich des Bewertungszieles dürfte noch recht weitgehende Übereinstimmung bestehen, da es auch im Zugewinnausgleichsrecht darum geht, den wahren Wert zu ermitteln (vgl. Rz. 26.22). Eine gewisse Gleichheit besteht ferner bei der Anwendung des Stichtagsprinzips.4 Allerdings kann seine Auslegung weder im 1 Kipp/Coing, § 44, 6; Lange, Kap. 6 Rz. 8 f. 2 Hagedorn in FS Mailänder, 2006, S. 347; vgl. auch Horn in MAH/ErbR § 46 Rn. 1. 3 So auch vom BGH, vgl. BGH v. 9.3.1977 – II ZR 166/75, BGHZ 68, 163 ff.; BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 (199). 4 So IDW S 13 Rz. 16 ff.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.6 § 27

Familien- noch im Erbrecht dem Gesetz entnommen werden und muss daher der Interpretation durch die Rechtsprechung vorbehalten bleiben, die je nach Rechtsgebiet unterschiedlich ausfallen kann. Zudem fehlt es an Vorgaben, welche Prämissen aus dem Stichtagsprinzip abzuleiten sind. Bedeutsam wird dies für die Bewertung eines Unternehmens anhand seiner Ertragskraft. Beim Zugewinnausgleich geht es um eine gerechte Verteilung des gemeinsamen Erwirtschafteten unter den Eheleuten. Durch die Ehescheidung und den sich anschließenden Zugewinnausgleich ändert sich regelmäßig an der Person des Unternehmers nichts. Für die Bewertung kann und muss grundsätzlich von einer mehr oder weniger unveränderten Fortsetzung seiner unternehmerischen Tätigkeit ausgegangen werden. Damit handelt sich um eine Unternehmensbewertung unter Lebenden. Der Stichtag stellt hier lediglich einen Bewertungszeitpunkt dar. Darin unterscheidet sich die erbrechtliche Unternehmensbewertung signifikant: Denn durch den Erbfall kommt es regelmäßig zu einer Nachfolge in der Person des Unternehmers; es tritt somit eine Zäsur ein. Der Stichtag (Todeszeitpunkt) bildet nicht nur ein Bewertungsdatum, sondern ist ein tatsächliches Ereignis mit erheblichem Einfluss auf das Schicksal der Unternehmen und damit auf die Bewertung. Vor einer unbesehenen Übertragung der Rechtsprechung und der Grundsätze aus dem Familienrecht muss stets geprüft werden, ob und inwieweit sich aus dem Tod des bisherigen Unternehmers zu berücksichtigende Unterschiede hinsichtlich des verfolgten Bewertungszieles ergeben.1 3. IDW S 13 Den Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung zur Bestimmung von Ansprüchen im Familien- und im Erbrecht möchte der IDW S 13 vom 6.4.2016 Rechnung tragen. Dabei soll insbesondere die Rechtsprechung des BGH angemessen berücksichtigt werden. Die erbrechtliche Perspektive wird in dem Standard zumeist neben der familienrechtlichen betrachtet, die ersichtlich den Schwer- und Ausgangspunkt der Erörterungen bildet. Mit Blick auf die obigen Ausführungen (Rz. 27.4) ist dies nicht unproblematisch. Auch ist in der Literatur umstritten, ob der Standard die Rechtsprechung in Bezug auf die Bewertung kleinerer und mittlerer Betriebe sowie freiberuflicher Praxen tatsächlich korrekt darstellt.2 Wenig überzeugend ist jedenfalls die Forderung nach der grundsätzlichen Verwendung der stets aktuellen und allgemein anerkannten Bewertungsmethode zum Zeitpunkt der Durchführung der Bewertung, unabhängig von den zum Stichtag geltenden Regelungen. Besonders bedeutsam erscheint der IDW S 13 schließlich bei der Berücksichtigung latenter Steuerlasten, weshalb an dieser Stelle auf ihn gesondert eingegangen wird (Rz. 27.41).

27.5

II. Unternehmensbewertung im Pflichtteilsrecht 1. Grundsätze der Nachlassbewertung und der Pflichtteilsberechnung a) Pflichtteilsanspruch als Geldsummenanspruch Die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie gestattet es dem Erblasser, einen von 27.6 der gesetzlichen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens von Todes wegen anzuordnen. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, seinen nächsten Angehörigen etwas zuzuwenden.3 Im Gegenzug sichert das Pflichtteilsrecht der §§ 2303 bis 2338 BGB den nächsten Angehörigen des Erblassers einen Mindestwertanteil am Nachlass. Der Berechtigte erhält aber nur 1 Ebenso Riedel, ErbR 2018, 362 (367 f.). 2 Zweifelnd: Borth, FamRZ 2017, 1739; dagegen Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161. 3 Ebenroth, § 3 Rz. 179; Lange, Kap. 3 Rz. 1 ff.; Riedel in Damrau/Tanck, § 2303 BGB Rz. 1.

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§ 27 Rz. 27.6

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

einen Geldanspruch, nicht jedoch ein echtes Noterbrecht. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Testierfreiheit auf der einen und demjenigen des Verwandtenerbrechts auf der anderen Seite, in dem sich das Pflichtteilsrecht bewegt, hat eine verfassungsrechtliche Dimension. Das Pflichtteilsrecht begrenzt die grundrechtlich garantierte Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG), indem es den nächsten Angehörigen des Erblassers einen Mindestwertanteil am Nachlass sichert. Das BVerfG hat dazu klargestellt, dass die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass verfassungsrechtlich gewährleistet wird.1

27.7 Ein Anspruch auf Zahlung des Pflichtteils ist gem. §§ 2303, 2317 BGB nur gegeben, wenn beim Erbfall ein Pflichtteilsberechtigter durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.2 Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Pflichtteilsberechtigte die Zahlung der den Pflichtteil darstellenden Geldsumme verlangen. Schuldner des Pflichtteilsanspruchs im Außenverhältnis ist nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB der Erbe bzw. die Erbengemeinschaft. Im Innenverhältnis ist die Pflichtteilslast nach den §§ 2318 bis 2324 BGB von den Erben, den Vermächtnisnehmern und den durch eine Auflage Begünstigten anteilig im Verhältnis ihrer Beteiligung am Nachlass zu tragen. Auf diese Weise gleicht das Gesetz die fehlende Abzugsfähigkeit von Vermächtnissen und Auflagen bei der Berechnung der Höhe des Pflichtteils aus. b) Ziele der Ermittlung des Nachlasswertes im Pflichtteilsrecht

27.8 Schon die Definition des Pflichtteils verdeutlicht, weshalb mit Blick auf den Anspruch regelmäßig eine Nachlassbewertung zu erfolgen hat: „Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.“ (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Pflichtteilsberechtigte ist danach wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Zur Ermittlung des Nachlasswertes enthalten die §§ 2311 bis 2313 BGB einige wichtige gesetzliche Vorgaben. § 2311 BGB gibt Aufschluss darüber, wie der Wert der für die Pflichtteilsberechnung maßgebenden Erbquote zu bestimmen ist. § 2312 BGB enthält eine Sonderregel zur Bewertung eines sog. Landguts und § 2313 BGB legt fest, wie bedingte, ungewisse oder unsichere Rechte zu behandeln sind. Bewertungsprobleme entstehen somit weniger aus einer Interessendivergenz zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten als vielmehr aus der Tatsache, dass der Pflichtteilsanspruch als Geldzahlungsanspruch konzipiert ist.

27.9 Zur Bewertung von Unternehmen finden sich im Pflichtteilsrecht keine klaren gesetzlichen Vorgaben. Es sind auch nur sehr wenige höchstrichterliche Entscheidungen ergangen. Grundsätzlich sind bei der Ermittlung des Nachlasswertes zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs folgende Schritte auseinanderzuhalten:3 – die Feststellung des Bestandes des Nachlasses („Was gehört zum Nachlass?“) in Form einer Art Nachlassbilanz4 und – die Ermittlung des Wertes der einzelnen Aktiv- und Passivposten („Was sind die einzelnen Posten wert?“). 1 BVerfG v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00, 1 BvR 188/03, BVerfGE 112, 332; Lange, ZErb 2005, 205. 2 Der Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft wird pflichtteilsrechtlich wie ein Ehegatte behandelt (§ 10 Abs. 6 Satz 2 LPartG). 3 Riedel, Rz. 29, 34 ff. 4 Vgl. dazu Riedel in Damrau/Tanck, § 2311 BGB Rz. 17; Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 5 Rz. 30.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.13 § 27

Es sind somit sämtliche Aktiv- und Passivposten des Erblasservermögens festzustellen und mit ihrem Wert zur Zeit des Erbfalls (Stichtagsprinzip, § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu veranschlagen. Aus der Differenz der so ermittelten Aktiva und Passiva ergibt sich der Wert des Nachlassbestandes. Eine Schätzung ist nur vorzunehmen, wenn dies erforderlich ist (§ 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB). Wertbestimmungen des Erblassers sind wegen des zwingenden Charakters des Pflichtteilsrechts unerheblich (§ 2311 Abs. 2 Satz 2 BGB). § 2325 BGB ergänzt den Pflichtteilsanspruch mit Blick auf lebzeitige Schenkungen des Erblassers. Auch hier muss eine Bewertung des verschenkten Gegenstandes erfolgen, der dem Nachlass „hinzugerechnet“ wird (§ 2325 Abs. 1 BGB).

27.10

Das BGB kennt keine Definition des Wertbegriffs. Der BGH bezeichnet das pflichtteilsrechtliche Bewertungsziel wie folgt: „Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden“.1 Ausführlich wird hierzu weiter unten Stellung genommen (Rz. 27.28).

27.11

c) Stichtagsprinzip aa) Grundsatz Sowohl der für die Pflichtteilsberechnung maßgebende Bestand als auch der für die Pflichtteilsberechnung entscheidende Wert des Nachlasses bestimmen sich starr nach dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers (Stichtagsprinzip, § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB).2 Die Todeserklärung gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 VerschG begründet die für das Erbrecht widerlegbare Vermutung, dass der Verschollene in dem im Beschluss festgestellten Zeitpunkt gestorben ist.3 Damit wird der für tot Erklärte als tot behandelt, sein Vermögen gelangt in den Erbgang und wird nach Erbrecht vergeben. Allerdings haben weder Todeserklärung noch gerichtliche Feststellung der Todeszeit konstitutive Wirkung. Taucht der für tot Erklärte lebend wieder auf, hat in Wahrheit kein Erbfall stattgefunden und die vermeintlichen Erben waren nicht Berechtigte hinsichtlich des Nachlasses.4

27.12

Das (strenge) Stichtagsprinzip schafft zwar eine eindeutige Risikoverteilung, kann aber gleich- 27.13 wohl im Einzelfall zu Härten führen.5 Unbilligkeiten sind etwa dann möglich, wenn zum Nachlass Gegenstände gehören, die raschen und großen Wertschwankungen unterliegen (z.B. Aktien) und die am Stichtag (zufällig) außergewöhnlich hohe oder niedrige Kurswerte besitzen. Einerseits kommen Wertsteigerungen nach dem Tod des Erblassers dem Pflichtteilsberechtigten nicht zugute; andererseits drohen ihm aber auch keine Nachteile, wenn Nachlass1 BGH v. 8.4.2015 – IV ZR 150/14, ZEV 2015, 349 Rz. 4; v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, ZEV 2011, 29 Rz. 5. 2 BGH v. 14.7.1952 – IV ZR 74/52, BGHZ 7, 134 (138); BGH v. 23.5.2001 – IV ZR 62/00, NJW 2001, 2713 (2714) = FamRZ 2001, 1296; BGH v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, MDR 2011, 108 = ZErb 2011, 83; v. Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (390). Zum Stichtagsprinzip s. Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 269 ff.; Rz. 13.8. 3 Steht nur der Tod, aber nicht dessen Zeitpunkt fest, so ist eine gerichtliche Feststellung des Todes und der Todeszeit nach den §§ 39 ff. VerschG möglich, die ebenfalls eine Vermutung für den festgestellten Todeszeitpunkt begründet, § 44 Abs. 2 Satz 1 VerschG. 4 Dem zu Unrecht für tot Erklärten steht dann der Herausgabeanspruch nach § 2031 BGB zu, während hingegen der rechtsgeschäftliche Erwerb durch den gutgläubigen Dritten gem. § 2370 Abs. 1 BGB geschützt wird. 5 Vgl. Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 5 f.; Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 2.

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§ 27 Rz. 27.13

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

gegenstände untergehen, sich verschlechtern oder sonst an Wert verlieren.1 Aufgrund der Regelung von § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB trägt der Pflichtteilsberechtigte das Risiko der Geldentwertung. Da der mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) als Geldsummen- und nicht etwa als Geldwertanspruch2 entstehende Anspruch auf den Pflichtteil nicht selten erst nach langwierigen Ermittlungen von Bestand und Wert des Nachlasses endgültig festgestellt werden kann, ist dieses Risiko nicht ganz unerheblich. Gleichwohl sollte man wegen der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht versuchen, die unmissverständliche Regelung des § 2311 BGB, die den Vorteil der Einfachheit und Klarheit für sich hat, vorschnell mit Billigkeitserwägungen im Einzelfall infrage zu stellen.3

27.14 Anders als bei der Inventarerrichtung nach den §§ 1993 ff. BGB ist auch für die Feststellung der Nachlassverbindlichkeiten auf den Erbfall abzustellen. Das Gesetz kennt wenige Ausnahmen vom Stichtagsprinzip, so in den §§ 2315, 2316 BGB für die Fälle der Anrechnung und Ausgleichung oder nach §§ 2325 ff. BGB für die Pflichtteilsergänzung. § 2313 BGB enthält zwar Regelungen für bestimmte nach dem Erbfall liegende Bestandsänderungen,4 ändert aber nichts am für die Wertermittlung maßgeblichen Zeitpunkt.

27.15 Der BGH hält für die Bewertung von (einzelnen) Miteigentumsanteilen an Immobilien eine Abkehr vom Stichtagsprinzip dann für geboten, wenn dem Erben bereits die eine Miteigentumshälfte gehört und er durch den Erbfall die zweite ideelle Mithälfte an dem Grundstück erwirbt, wodurch sich beide Miteigentumshälften in seiner Hand vereinigen. Einen Abschlag bei der Bewertung des durch den Erbfall erworbenen Anteils hält der BGH nicht für geboten, obwohl der Anteil zum Stichtag in der Hand des Erblassers kaum wirtschaftlich verwertbar gewesen war. Dem BGH ist weder im Ergebnis noch in der Begründung zu folgen. Seine Entscheidung widerspricht sämtlichen Grundsätzen, die er bis dahin selbst seiner Judikatur zugrunde gelegt hatte.5 So stellt er regelmäßig auf den objektiven Erben ab und fragt, welchen Wert ein einzelner Nachlassgegenstand in der Hand „eines jeden Erben“ haben würde. bb) Wertaufhellungsprinzip

27.16 Aus dem Stichtagsprinzip folgt, dass Wertveränderungen nach Eintritt des Erbfalls in der Regel nicht zu berücksichtigen sind. Der Pflichtteilsberechtigte ist grundsätzlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Trotz dieses Grundsatzes können Zukunftserwartungen in gewissem Umfang berücksichtigt werden. Nach dem sog. Wertaufhellungsprinzip sind diejenigen im Zeitpunkt des Erbfalls naheliegenden und wirtschaftlich fassbaren Entwicklungen zu berücksichtigen, deren Entwicklung bereits angelegt war.6 Denn das Stichtagsprinzip besagt nur, dass die notwendigen Bezugsdaten zu einem bestimmten Datum zu ermitteln sind. Die Ermittlung des Verkehrs- oder Normalverkaufswertes bereitet bei auf Geld gerichteten Forderungen oder bei Bargeld keine Schwierigkeiten. Bei ihnen ist auf den Nennwert zum Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen.7 Bei standardisierten Gütern 1 BGH v. 14.7.1952 – IV ZR 74/52, BGHZ 7, 134; RG v. 7.2.1910 – 216/09 IV, JW 1910, 238 Nr. 20. 2 BGH v. 24.7.1952 – IV ZR 74/52, BGHZ 7, 134 (137 f.). 3 Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 5. 4 BGH v. 23.6.1993 – IV ZR 205/92, BGHZ 123, 76 (78, 90) = MDR 1993, 988. 5 BGH v. 13.5.2015 – IV ZR 138/14 ZEV 2015, 483 mit abl. Anm. Lange. 6 Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 17; Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 22; vgl. auch Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 5 Rz. 88. 7 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43 (45) = MDR 1991, 343; Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 16; J. Mayer, ZEV 1994, 331.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.19 § 27

kann zumeist auf ihren allgemeinen Kurs- oder Marktwert zurückgegriffen werden.1 Bei Bewertungen im Unternehmensbereich hingegen sind ggf. absehbare Veränderungen zu berücksichtigen, wobei nicht abschließend geklärt ist, wie stark durch das Wertaufhellungs- vom Stichtagsprinzip im Einzelfall abgewichen werden kann. d) Vom Erblasser getroffene Wertbestimmungen Da die Höhe des Pflichtteils vom Erblasserwillen unabhängig ist, sind für den Pflichtteilsbe- 27.17 rechtigten nachteilige Wertbestimmungen nicht verbindlich (§ 2311 Abs. 2 Satz 2 BGB).2 Der Erblasser kann wegen der zwingenden Natur des Pflichtteilsrechts auch kein konkretes Bewertungsverfahren vorschreiben oder einen bestimmten Schätzer bestimmen.3 Etwas anderes gilt nur dann, wenn in der Wertbestimmung eine zulässige teilweise Entziehung des Pflichtteils (§ 2333 BGB) liegt, wobei dann allerdings zusätzlich die Voraussetzungen des § 2336 BGB erfüllt sein müssen. Eine Vereinbarung zwischen Pflichtteilsberechtigtem und Erblasser über eine abweichende Bewertung muss der Form des § 2348 BGB entsprechen. Eine Einigung zwischen Pflichtteilsberechtigtem und Pflichtteilsschuldner über die Bewertung ist nach dem Erbfall formlos möglich; vor dem Erbfall ist § 311b Abs. 5 BGB zu beachten.4 2. Der Nachlass a) Aktiva Unter dem Aktivbestand sind grundsätzlich alle vererblichen Vermögensgegenstände des Erblassers zu verstehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Fall der Universalsukzession oder der Sondererbfolge vorliegt. Neben den zum Stichtag begründeten vermögensrechtlichen (Rechts-)Beziehungen und Positionen zählen zu den Vermögenswerten auch sog. unfertige Rechtsbeziehungen, die der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten eingeleitet hat, die aber erst nach seinem Tod endgültige Rechtswirkung entwickeln.5 Nicht zu berücksichtigen sind Rechtsbeziehungen, die aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder kraft Gesetzes nicht vererblich sind bzw. beim Tod des Erblassers erlöschen.6 Vermögenspositionen, die an Dritte außerhalb der Erbfolge kraft Gesetzes oder rechtsgeschäftlich (etwa Nachfolge- oder Eintrittsklausel in Personengesellschaften) übergehen, sind ebenso wenig zu berücksichtigen wie solche Vermögenswerte, hinsichtlich derer ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht (etwa auf das Unternehmen oder die Unternehmensbeteiligung) vereinbart wurde (§ 2346 BGB).

27.18

Das Handelsgeschäft des Erblassers fällt mit dem Erbfall als wirtschaftliche Einheit in den Nachlass. Trotz der besonderen Zweckbestimmung der in ihm zusammengefassten Vermögenswerte nimmt der einzelkaufmännische Betrieb an der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge teil.7 Mit dem Tod auch nur eines ihrer Gesellschafter wird die GbR grundsätzlich aufgelöst (vgl. § 727 BGB); die Erben treten als Erbengemeinschaft in die Liquidationsgesellschaft ein. Der Wert des in den Nachlass fallenden Liquidationsanteils orientiert sich am Li-

27.19

1 Schlichting, ZEV 2006, 197 (198). 2 Vorteilhafte Wertbestimmungen sind selbstverständlich zulässig; vgl. Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 94. 3 Dies gilt auch für eine schiedsgerichtliche Anordnung. 4 Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 95. 5 BGH v. 9.6.1960 – VII ZR 229/58, BGHZ 32, 367 (369); OLG Düsseldorf v. 19.4.1996 – 7 U 64/95, FamRZ 1996, 1440 (1441); Blum in Schlitt/Müller, § 3 Rz. 4. 6 Vgl. BGH v. 15.10.2003 – XII ZR 23/01, NJW 2004, 1321 (1322) = MDR 2004, 512. 7 Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 48.

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§ 27 Rz. 27.19

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

quidationserlös.1 Zu einer Nachfolge mit dem oder den Erben kann es daher nur kommen, wenn eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag enthalten ist (vgl. § 727 Abs. 1 Halbs. 2 BGB).

27.20 Der Anteil an einer OHG, an einer PartG und derjenige eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KG gehen ebenfalls nur im Falle des Vorliegens entsprechender Nachfolgeklauseln auf den oder die Erben über, obwohl der Tod hier lediglich einen Ausscheidensgrund darstellt (§ 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB; § 9 PartGG). Wird die Gesellschaft mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt, wächst der Gesellschaftsanteil des Erblassers den übrigen Gesellschaftern an. Der gesellschaftsrechtliche Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB; §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB; § 1 Abs. 4 PartGG i.V.m. § 738 BGB) fällt in den Nachlass und ist als Aktivposten bei der Pflichtteilsberechnung in Ansatz zu bringen.2 Es ist grundsätzlich der wirkliche Wert der Erblasserbeteiligung unter Berücksichtigung der offenen und stillen Reserven zum Stichtag anzusetzen.3 Viele Gesellschaftsverträge sehen jedoch abweichende Regelungen vor.

27.21 Liegt eine rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel vor, fällt der Gesellschaftsanteil nicht in den Nachlass.4 Auch bei der Eintrittsklausel vollzieht sich die Nachfolge außerhalb des Erbrechts; in den Nachlass fallen ggf. Abfindungsansprüche. (Nur) die erbrechtlichen Gestaltungslösungen der Nachfolge in Personengesellschaftsanteilen führen zu einer Fortsetzung der Gesellschaft mit dem nachrückenden Erben, der mit dem Erbfall automatisch Gesellschafter wird. Sind mehrere Erben berufen, geht der Gesellschaftsanteil im Wege der Sondererbfolge (Singularsukzession) auf jeden einzelnen Miterben über; eine Erbengemeinschaft am Gesellschaftsanteil entsteht nicht.5 Trotz dieser Sondererbfolge fallen die Mitgliedschaftsrechte in den Nachlass. Der Kommanditanteil an einer KG ist grundsätzlich vererblich (§ 177 HGB). Anteile an einer GmbH (§ 15 Abs. 1 GmbHG) sind stets vererblich, ebenso Anteile an einer AG. Sowohl an einem GmbH-Geschäftsanteil (vgl. § 18 GmbHG)6 als auch an einer Aktie (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 2 AktG) ist eine Erbengemeinschaft denkbar.

27.22 Wird der Wert eines Gesellschaftsanteils am Nachlass vorbeigesteuert, so kann er nicht bei der Berechnung des ordentlichen Pflichtteils veranschlagt werden. Ein solcher Fall liegt u.a. vor, wenn der Erblasser seinen Gesellschaftsanteil einem Eintrittsberechtigten durch Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall (§ 2301 Abs. 2 BGB) zugewandt hat7 oder wenn bei Fortsetzung der Gesellschaft unter den Mitgesellschaftern Abfindungsansprüche ausgeschlossen sind. Hier wird jedoch der Pflichtteilsberechtigte durch die §§ 2325 ff. BGB geschützt.8

1 Deckert, NZG 1998, 43 (44); Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 1301; J. Mayer, ZEV 1994, 331 (335). 2 BGH v. 25.5.1987 – II ZR 195/86, MDR 1987, 1001 = NJW-RR 1987, 989; weiterführend Lange, Kap. 22 Rz. 50 ff. 3 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (234); Ebenroth, Rz. 882; Riedel, ZErb 2003, 212 (213); Tanck, BB 2004 Beil. 9, 19 (22). 4 BayObLG v. 21.6.2000 – 3Z BR 108/00, FamRZ 2001, 300 = ZEV 2001, 74. 5 BGH v. 20.4.1972 – II ZR 143/69, BGHZ 58, 316 (316 f.); BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, NJW 1999, 571 (572) = MDR 1999, 240; Keller, ZEV 2001, 297; Lange, Kap. 22 Rz. 80 ff. 6 Siehe dazu Lange, GmbHR 2013, 113 (114 ff.). 7 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (234); BayObLG v. 21.6.2000 – 3Z BR 108/00, FamRZ 2001, 300 = ZEV 2001, 74. 8 U. Mayer, ZEV 2003, 355 (356); näheres bei Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2325 BGB Rz. 31 ff.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.27 § 27

b) Passiva Vom Aktivbestand sind nicht sämtliche vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten abziehbar. Da der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils besteht (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB), gehören zu den Passiva lediglich diejenigen Nachlassverbindlichkeiten und Lasten, die vorliegen würden, legte man allein die gesetzliche Erbfolge zugrunde (Erbersatzfunktion des Pflichtteilsrechts). Damit bleiben solche Verbindlichkeiten unberücksichtigt, die auf einer Verfügung des Erblassers von Todes wegen beruhen (etwa Vermächtnis,1 Auflage, Kosten der Testamentsvollstreckung)2.3 Ferner sind diejenigen Verbindlichkeiten nicht abzugsfähig, die im Falle eines Nachlassinsolvenzverfahrens erst nach dem Pflichtteilsanspruch zu befriedigen wären (§ 327 InsO).

27.23

Zu den Passiva sind die im Zeitpunkt des Erbfalls entstandenen Nachlassverbindlichkeiten zu zählen.4 Abzuziehen vom Wert des Aktivbestandes des Nachlasses sind daher die „vom Erblasser herrührenden Schulden“ i.S.v. § 1967 Abs. 2 BGB (= Erblasserschulden), die vererbbar, nicht aufschiebend bedingt und nicht zweifelhaft (§ 2313 BGB) sind. Abzuziehen sind weiter die „den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten“ i.S.v. § 1967 Abs. 2 BGB (= Erbfallschulden). Bei ihnen gehen entweder Rechtsgrund und Notwendigkeit der Erfüllung auf den Erbfall zurück oder ihre Erfüllung erfolgt auch im Interesse des Pflichtteilsberechtigten bzw. hätte den Pflichtteilsberechtigten getroffen, wenn er gesetzlicher Erbe geworden wäre.5

27.24

Stets ist zu beachten, dass sich die Verbindlichkeit gegen den Nachlass richten muss. Es reicht daher nicht aus, wenn sie nur zu einem einzelnen Vermögensgegenstand, einer Wirtschaftsoder Sacheinheit (z.B. Geschäftsschulden eines zum Nachlass gehörenden Unternehmens) gehört.6

27.25

Rückständige Steuerschulden des Erblassers sind einzustellen, soweit sie zu Lasten des Erblassers (befristet oder unbefristet) entstanden sind, selbst wenn sie noch nicht fällig oder auch noch nicht veranlagt sind.7 Die Kosten der Steuerberatung sind abzuziehen, soweit sie sich auf die rückständigen Steuerschulden des Erblassers beziehen. Nicht abzugsfähig sind demgegenüber die den Erben treffende Erbschaftsteuerschuld und die hierauf entfallenden Steuerberatungskosten, da sie nur den Erben und nicht den Nachlass als solchen treffen.8

27.26

c) Unsichere Rechte und Verbindlichkeiten Die stichtagsbezogene Bewertung gestaltet sich insbesondere dann als schwierig, wenn der Bestand des Nachlasses von künftigen ungewissen Ereignissen abhängt. § 2313 BGB bestimmt 1 BGH v. 27.8.2014 – XII ZB 133/12, ErbR 2015, 86 (87) mit Anm. Wendt. 2 Soweit sie nicht auch dem Pflichtteilsberechtigten zugute kommt; vgl. dazu BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 97/86, ZEV 2009, 77. 3 BGH v. 16.9.1987 – IVa ZR 97/86, NJW 1988, 136 (137) = MDR 1988, 128. 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 7.11.2002 – 16 U 10/02, ZEV 2003, 364. 5 Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 13; Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 48. 6 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, FamRZ 1995, 607 (609) (zum Zugewinnausgleich); zur Berücksichtigung von Kosten einer Veräußerung des Unternehmens vgl. BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498). 7 BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 (132) = MDR 1993, 245; Klingelhöffer, Rz. 467. 8 OLG Düsseldorf v. 18.12.1998 – 7 U 72/98, FamRZ 1999, 1465.

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27.27

§ 27 Rz. 27.27

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

daher, dass bei der Feststellung des Wertes des Nachlasses Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind, ebenso außer Ansatz bleiben (Abs. 1 Satz 1) wie ungewisse oder unsichere Rechte sowie zweifelhafte Verbindlichkeiten (Abs. 2 Satz 1). Dagegen sollen auflösend bedingte Rechte und Verbindlichkeiten zunächst wie unbedingte zum Ansatz kommen (Abs. 1 Satz 2). Wird die Ungewissheit behoben, so hat eine der geänderten Lage entsprechende Ausgleichung zu erfolgen (Abs. 1 Satz 3). § 2313 BGB ist nicht anzuwenden, wenn nicht das Bestehen oder die Durchsetzung eines Wertes, sondern nur dessen Höhe bzw. dessen Berechnung zweifelhaft ist,1 wie etwa der good will oder der Ertragswert eines Unternehmens. In solchen Fällen ist vielmehr nach § 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB zu schätzen. 3. Der zu ermittelnde Wert a) Bewertungsziel

27.28 Die Nachlassbewertung will den einzelnen in den Nachlass einzustellenden Positionen jeweils einen Geldbetrag zuordnen, der ihrem Wert entspricht. Der Wert ist eine relative Größe, da er nicht wie eine Eigenschaft dem Vermögensgegenstand anhaftet, sondern durch Verwendungsart, Umweltbeziehung, Inhaberschaft etc. geprägt ist. Der Wert ist im Hinblick auf das Bewertungsziel zu ermitteln: Der Pflichtteilsberechtigte soll so gestellt werden, als wenn er mit seinem halben gesetzlichen Erbteil am Nachlass beteiligt und dieser Nachlass im Erbfall in Geld umgesetzt worden wäre.2 Der Pflichtteilsergänzungsberechtigte soll so gestellt werden, als befände sich der vom Erblasser weggeschenkte Gegenstand noch im Nachlass. Darüber hinaus sind allerdings weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur allgemeine Bewertungsgrundsätze auszumachen, die sich zu einer Systematik zusammenführen ließen. Auch die in den §§ 2311 ff. BGB kodifizierten Grundsätze sind unvollständig geblieben. Die folgende Darstellung muss sich daher auf einige mehr oder weniger gesicherte Grundaussagen beschränken. b) Wirklicher Wert

27.29 Der nach § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Pflichtteilsberechnung maßgebende Wert des Nachlasses ist nach dem oben Gesagten der wirkliche Wert, den es zu ermitteln gilt. Mit diesem Begriff ist derjenige Wert gemeint, den der Nachlassgegenstand in der Hand eines jeden Erben, mithin für jedermann und nicht für den ganz konkreten hat.3 Der „ideale“ Erbe lässt sich bei seinen wirtschaftlichen Entscheidungen und Bewertungen ausschließlich von rationalen Sacherwägungen leiten. Dieser Wert ist zumeist, aber nicht immer (vgl. Rz. 27.33) der „gemeine Wert“, der regelmäßig unter Rückgriff auf § 9 Abs. 2 BewG definiert wird.4 Danach ist

1 BGH v. 28.4.2004 – IV ZR 85/03, ZEV 2004, 377 (378) = MDR 2004, 1060; Riedel in Mayer/Süß/ Tanck/Bittler, § 5 Rz. 208. 2 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900 (901); OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – 7 U 136/93, ZEV 1994, 361; Horn in MAH/ ErbR § 46 Rn. 5; v. Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (389); krit. zu diesem Ansatz Riedel, ErbR 2018, 362 ff., der zu Recht die historischen und dogmatischen Grundlagen in Zweifel zieht. 3 BGH v. 30.10.1954 – IV ZR 43/54, BGHZ 14, 368 (376); BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, NJWRR 1991, 900 (900 f.); BGH v. 25.10.2010 – IV ZR 124/09, ZErb 2011, 83 = MDR 2011, 108; OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – 7 U 136/93, ZEV 1994, 361. 4 BGH v. 30.10.1954 – IV ZR 43/54, BGHZ 14, 368 (376); Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 25; Riedel, Rz. 84 f.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.32 § 27

als gemeiner Wert grundsätzlich der Verkehrs- oder Normalverkaufswert anzusehen.1 Unter dem Normalverkaufswert wird dabei derjenige Preis verstanden, der sich im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unter normalen Marktbedingungen erzielen lässt.2 Dieser Ansatz gilt selbst dann, wenn der Gegenstand unter dem Wert verkauft wird, der von einem Sachverständigen zuvor geschätzt worden ist.3 Angefallene Veräußerungskosten (Maklercourtage, Beurkundungskosten etc.) sind in Abzug zu bringen.4 Durch die Festlegung auf den gemeinen Wert scheiden die nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) ermittelten sog. Buchwerte ebenso aus, wie die steuerlichen Einheitswerte.5 Deutlich unterscheidet sich die erbrechtliche Bewertung auch von derjenigen des Erbschaftsteuerrechts, wo Bewertungsprivilegien vorhanden sind, die in gewisser Weise auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens Rücksicht nehmen.6 Das Abstellen auf den allgemeinen Markt- oder Kurswert ist zumeist dann unproblematisch, wenn ein solcher Markt vorhanden ist. Die Ermittlung des gemeinen Werts, verstanden als der (fiktiven) Normalverkaufspreis, ist in der Praxis aber nicht ohne weiteres und in jedem Fall möglich. Selbst wenn es kurz nach dem Erbfall zu einer Veräußerung durch den Erben kommt, ist keineswegs sicher, dass es sich bei dem erzielten Erlös tatsächlich um den Normalverkaufspreis handelt.7

27.30

Liegen keine „normalen“ Verkaufsbedingungen vor und kann sich der Preis nicht am Markt bilden, stellt die (ältere) Rechtsprechung vereinzelt nicht auf den Verkehrs- oder Normalverkaufswert, sondern auf den sog. inneren Wert ab.8 Damit soll zum einen der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich ein Marktwert nur dort bilden kann, wo ein entsprechender Markt existiert. Zum anderen soll so zum Ausdruck gebracht werden, dass vor allem dann, wenn am Bewertungsstichtag (Tod des Erblassers) außergewöhnliche Verhältnisse herrschen, deren baldige Änderung ohne weiteres vorhersehbar ist, der maßgebende „innere“ Wert ausnahmsweise über dem Verkaufswert liegen kann. Die Frage, wann keine Normalverkaufsbedingungen vorliegen, sodass ein Abweichen vom aktuellen Verkaufspreis als Bewertungsgrundlage gerechtfertigt werden kann, wird von der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet.

27.31

Immerhin hat der BGH9 klargestellt, dass es sich bei dem inneren Wert um eine „Denkfigur“ handelt, die verhindern soll, dass bei außergewöhnlichen Preisverhältnissen unter Aus-

27.32

1 BGH v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, ZEV 2011, 29; OLG Frankfurt v. 7.11.2002 – 16 U 10/02, ZEV 2003, 364; OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – 7 U 136/93, ZEV 1994, 361; J. Mayer, ZEV 1994, 331; Riedel, ErbR 2018, 362 (364). 2 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132; OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – 7 U 136/93, ZEV 1994, 361. 3 BGH v. 25.10.2010 – IV ZR 124/09, MDR 2011, 108 = ZErb 2011, 83; Riedel in Damrau/Tanck, § 2311 BGB Rz. 83. 4 BGH v. 7.5.1986 – IVb 42/85, FamRZ 1986, 776 (779); BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497, 2498. 5 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132; Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 17. 6 Hagedorn in FS Mailänder, S. 347 (348). 7 BGH v. 25.3.1954 – IV ZR 146/53, BGHZ 13, 45 (47); Riedel, Rz. 60. 8 BGH v. 25.3.1954 – IV ZR 146/53, BGHZ 13, 45 (47); BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900 (901); BGH v. 1.4.1992 – XII ZR 146/91, FamRZ 1992, 918 (Zugewinn); Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 9. 9 BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900 (901).

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§ 27 Rz. 27.32

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

nahmebedingungen unangemessene Ergebnisse entstehen. Da dieser „Denkfigur“ normative Wertungen zugrunde liegen, darf auf einen vom Verkaufswert abweichenden inneren Wert nur in Sondersituationen abgestellt werden. Unter gewöhnlichen Markt- und Wirtschaftsverhältnissen ist für die Anwendung des inneren oder wahren Wertes kein Raum.1

27.33 Das Abstellen auf ein Veräußerungsszenario darf m.E. nicht reflexartig erfolgen. Da es darum geht, den Pflichtteilsberechtigten am „wahren“ Wert des Nachlasses zu beteiligten, ist richtigerweise die wirtschaftlich sinnvollste Verwertungsvariante der Bewertung zugrunde zu legen. Die im Rahmen des IDW S 13 (vgl. dort Tz. 38) zur Bewertung steuerlicher Effekte bei der Unternehmensbewertung niedergelegten Grundsätze (werterhöhender abschreibungsbedingter Steuervorteil des Erwerbers) dürfen daher nur dann angewandt werden, wenn tatsächlich ein Verkaufsszenario zugrunde gelegt wird. c) Liquidationswert als Untergrenze

27.34 Der Liquidationswert (auch Zerschlagungswert) ist bei Unternehmen heranzuziehen, die tatsächlich liquidiert werden und bildet ansonsten die Wertuntergrenze.2 Er wird ermittelt durch Addition aller Einzelverkaufspreise, die man für die im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände erzielen kann, abzgl. der Verbindlichkeiten und der Kosten der Liquidation. Er bildet also ab, was erforderlich wäre, um das Unternehmen „nachzubauen“.3 Nach einer Entscheidung des BGH4 soll auch dann der niedrigere Ertragswert und nicht der höhere Liquidationswert maßgebend sein, wenn das Unternehmen tatsächlich fortgeführt wird.5 Nur für den Fall, dass der das Unternehmen fortführende Erbe zur Liquidation verpflichtet ist, sei der Liquidationswert anzusetzen. Diese Rechtsprechung kann nicht überzeugen, da so die Höhe des Pflichtteilsanspruchs von der subjektiven unternehmerischen Entscheidung des Erben und nicht von objektiven Kriterien abhängig gemacht wird.6 Der BGH hat seine Ansicht später dahingehend eingeschränkt, dass bei einem ertraglosen Unternehmen doch wieder auf den Liquidationswert abgestellt werden müsse, wenn das Unternehmen am Bewertungsstichtag auch unter Berücksichtigung der Zukunftsaussichten keinen positiven Ertragswert hatte.7 Richtigerweise sollte man bei Fortführung eines Unternehmens von dem Grundsatz, dass der Liquidationswert die Wertuntergrenze bildet, nur dann eine Ausnahme zulassen, wenn der Erbe zur Fortführung verpflichtet ist.8 Darüber hinaus ist der Rechtsprechung des BGH in diesem Punkt nicht zu folgen, zumal es sich ganz offensichtlich um eine bewertungsrechtliche Sonderentwicklung handelt.

1 J. Mayer, ZEV 1994, 331 (336); Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 21; wohl auch Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 9. 2 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40 (52) (aktienrechtliche Bewertung); BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498); Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 21; v. Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (389); Mayer-Klenk, ErbR 2008, 311 (315); Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 58; Riedel, ErbR 2018, 362 (367). 3 So instruktiv Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 f. 4 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509. 5 Ebenso BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441 (Zugewinnausgleich). 6 Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 21; J. Mayer, ZEV 1994, 331 (335). 7 BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498). 8 Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 21; Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736 f. (1742 f.); MüllerEngels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 38; a.A. Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 124.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.36 § 27

d) Einzelne Wertermittlungsgrundsätze aa) Zeitnah erzielter Verkaufserlös In den Fällen, in denen es sich nicht um marktgängige Vermögenswerte, standardisierte Nachlasspositionen oder um Güter handelt, für die es einen klar definierten Markt gibt, orientiert sich die Rechtsprechung regelmäßig am tatsächlich zeitnah erzielten Verkaufspreis, abzgl. der verkaufsbedingten Kosten. Dies gilt selbst dann, wenn dieser Verkaufspreis stark von den individuellen Verhältnissen abhängt.1 Von Ausnahmen abgesehen, hält es der BGH nicht für gerechtfertigt, die aus seiner Sicht relativ gesicherte Ebene der tatsächlich zeitnah erzielten Verkaufserlöse zu verlassen, unabhängig davon, ob der erzielte Erlös unter- oder oberhalb des Schätzwertes liegt.2 Lediglich das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, wie etwa das kollusive Zusammenwirken von Erbe und Käufer zum Nachteil des Pflichtteilsberechtigten oder erhebliche Marktveränderungen seit dem Erbfall, können dazu führen, dass der tatsächlich erzielte Verkaufspreis nicht als Bewertungsgrundlage heranzuziehen ist.3 Die in der Rechtsprechung zum Ausdruck kommende Tendenz, Verkaufserlöse de facto zum Bewertungsmaßstab zu erheben, ist problematisch, weil sie Nachabfindungsmöglichkeiten schafft, die das Stichtagsprinzip des § 2311 BGB gerade vermeiden will.4 Zudem ist die Gleichsetzung eines im Einzelfall erzielten Verkaufserlöses mit dem Normalverkaufspreis häufig unzutreffend, weshalb von einer „relativ gesicherten Ebene“ oft nicht gesprochen werden kann. Jedenfalls ist es nicht zutreffend, den konkreten Verkauf in jedem Fall einer Schätzung vorzuziehen.5

27.35

Für die Höhe des Verkaufserlöses kann der Zeitpunkt des Verkaufs eine wichtige Rolle spielen. Eine feste zeitliche Grenze ist bislang von der Rechtsprechung nicht gezogen worden, zumal diese nur in Relation zu den jeweiligen Marktverhältnissen ermittelt werden kann. Von einer zeitnahen Veräußerung geht der BGH bei Betriebs- und Grundstücksveräußerungen aber selbst dann noch aus, wenn seit dem Erbfall bis zu fünf Jahre vergangen sind.6 Diese Frist ist in der Literatur zu Recht sehr kritisch aufgenommen worden, erweist sie sich doch für die Mehrzahl der Fälle als ungeeignet.7 Bei einem größeren zeitlichen Abstand sind ggf. Korrekturen am erzielten Preis vorzunehmen, etwa wenn es zu einer Veränderung der Marktverhältnisse gekommen ist. Immerhin hat der BGH anerkannt, dass eine Bindung an den tatsächlich erzielten Verkaufspreis dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn der darlegungs- und beweispflichtige Pflichtteilsberechtigte Tatsachen vorträgt, nach denen der Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbfalls entspricht.8

27.36

1 BGH v. 25.10.2010 – IV ZR 124/09, MDR 2011, 108 = ZErb 2011, 83; BGH v. 24.3.1993 – IV ZR 291/91, NJW-RR 1993, 834; BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 (131 f.) = MDR 1993, 245; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900 (900 f.); OLG Frankfurt v. 7.11.2002 – 16 U 10/02, ZEV 2003, 364; Riedel, ErbR 2018, 362 (364); Tanck, BB 2004 Beil. 9, 19. 2 BGH v. 25.10.2010 – IV ZR 124/09, MDR 2011, 108 = ZErb 2011, 83; OLG Frankfurt v. 7.11.2002 – 16 U 10/02, ZEV 2003, 364; Blum in BeckOGK, 15.9.2017, § 2311 BGB Rz. 164. 3 BGH v. 24.3.1993 – IV ZR 291/91, NJW-RR 1993, 834; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900 (900 f.); OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – 7 U 136/93, ZEV 1994, 361 (362). 4 Krit. J. Mayer, ZEV 1994, 331 (332); vgl. dazu auch BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, MDR 1993, 245 = NJW-RR 1993, 131. 5 So aber BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, MDR 1993, 245 = NJW-RR 1993, 131; zu Recht zurückhaltend hingegen Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 5 Rz. 81. 6 BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, MDR 1993, 245 = NJW-RR 1993, 131. 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 23.9.1994 – 7 U 198/93, FamRZ 1995, 1236 (1237 f.) (weniger als drei Jahre); vgl. auch OLG Frankfurt v. 7.11.2002 – 16 U 10/02, ZEV 2003, 364 (28 Monate); J. Mayer, ZEV 1994, 331 (332 f.); Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 5 Rz. 97. 8 BGH v. 8.4.2015 – IV ZR 150/14, ZEV 2015, 349 LS 1.

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§ 27 Rz. 27.37

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

27.37 Bei der Bewertung eines ganzen Unternehmens ist die von der Rechtsprechung favorisierte Methode der Orientierung am zeitnahen Veräußerungserlös ohnehin nur sehr eingeschränkt nutzbar. Es fehlt am Vergleichswert, da kein Unternehmen dem anderen gleicht und ein zeitnaher Verkaufspreis regelmäßig nicht vorhanden ist.1 bb) Bewertungsmethoden

27.38 Fehlt es an einem gängigen Marktpreis für den Nachlassgegenstand und liegt auch kein tatsächlicher Verkaufspreis vor, muss der Nachlasswert ggf. durch Schätzung ermittelt werden (§ 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bezüglich der Bewertung von Unternehmen findet sich im Pflichtteilsrecht keine Vorgabe. Grundsätzlich sieht es die Rechtsprechung als eine Aufgabe des – ggf. sachverständig beratenen – Tatrichters an, darüber zu befinden, welche der in der Betriebswirtschaftslehre anerkannten Bewertungsmethoden im konkreten Einzelfall zu einem angemessenen Ergebnis führt.2 Für die Unternehmensbewertung kann dabei grundsätzlich auf vier verschiedene Faktoren abgestellt werden: erstens den Ertragswert, zweitens den Substanz- oder Reproduktionswert, verstanden als die Summe der selbstständig veräußerungsfähigen Vermögensgegenstände des Unternehmens zu Wiederbeschaffungspreisen, drittens den Geschäfts- oder Firmenwert oder viertens den Liquidationswert als Barwert der Nettoerlöse, der sich aus der Veräußerung aller Vermögenswerte abzgl. der Schulden und Kosten ergibt. In der Regel wird der Unternehmenswert durch die Ertragswertmethode bestimmt.3 Sie berücksichtigt, dass sich die Preisvorstellungen eines potentiellen Käufers im Wesentlichen an dem zu erwartenden Nutzen in Relation zum eingesetzten Kapital orientieren.4 Die früher anzutreffende Verbindung von Substanzwert (Reproduktionswert) und Ertragswert,5 wobei teils der eine, teils der andere Faktor hervorgehoben wurde, aber auch eine anteilige Mischung denkbar war,6 ist überholt.7

27.39 Die aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Bewertungsmethoden werden zumeist unter dem Stichwort Discounted-Cash-Flow-(DCF-)Methode zusammengefasst. Danach werden die entnahmefähigen Überschüsse des Unternehmens, der free cash flow, auf den Bewertungsstichtag abgezinst.8 Sie haben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch kei1 Tanck, BB 2004 Beil. 9, 19. 2 BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269; BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, NJW 1982, 575 (576) = MDR 1982, 300; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441 (Zugewinnausgleich); BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, MDR 1993, 245 = NJW-RR 1993, 131; Blum in BeckOGK, 15.9.2017, § 2311 BGB Rz. 169. Weiterführend zu den Bewertungsmethoden bei Personengesellschaften § 24. 3 Vgl. v. Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (390); Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 72; Riedel in Damrau/Tanck, § 2311 BGB Rz. 174. Der BGH hatte im Jahr 1984 die Ertragswertmethode als maßgeblich angesehen, BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) = GmbHR 1985, 113, auch wenn diese Entscheidung nicht zum Pflichtteilsrecht ergangen ist. 4 Zur Problematik des vereinfachten Ertragswertverfahrens bei personalistischen KMU vgl. Franken/ Schulte/Rowoldt, WPg 2018, 38 (42 ff.). 5 Zur Ermittlung von Substanz- und Ertragswert im Einzelnen vgl. BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, MDR 1982, 300 = NJW 1982, 575. 6 BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441 (Zugewinnausgleich); OLG Düsseldorf v. 27.1.1984 – 3 UF 50/83, FamRZ 1984, 699 (701) (Zugewinnausgleich). 7 Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 72; Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 32; Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 15 Rz. 13; krit. zum Substanzwert auch Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 318 ff. 8 Ausführlich zu den einzelnen Spielarten der DCF-Methoden: § 10.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.42 § 27

nen Niederschlag gefunden, gewinnen in der Praxis aber zunehmend an Bedeutung.1 Ohnehin ist festzuhalten, dass sich in der Rechtsprechung des BGH und der OLGe nur sehr wenige Hinweise zur Anwendung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse für die Bemessung von Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen finden lassen. Zurückhaltung sollte man zudem bei einem unkritischen Rückgriff auf die ältere Judikatur üben, da sich die Erkenntnisse in der Unternehmensbewertung in den letzten Jahrzehnten sehr stark weiterentwickelt haben.2 So gelten heute ertrags- bzw. cash-flow-orientierte Bewertungsverfahren als üblich. Zu beachten ist, dass für die Unternehmensbewertung im Erbrecht das aus der Buchführung und Bilanzierung stammende Vorsichtsprinzip nicht gilt, da auf den wirklichen Wert abzustellen ist. Darüber hinaus ist eine bestimmte Bewertungsmethode durch die Rechtsprechung nicht vorgeschrieben.

27.40

e) Latente Steuern Besonderheiten sind bei der Berücksichtigung von Steuerschulden zu beachten, die zwar vom 27.41 Erblasser herrühren, aber erst in der Person des Erben entstehen.3 Veräußert der Erbe nach der Annahme der Erbschaft ein zum Nachlass gehörendes Unternehmen bzw. Anteile daran oder gibt er den Gewerbebetrieb später auf, ist die auf einen Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG entfallende Ertragsteuer keine Nachlassverbindlichkeit, die bei der Berechnung des Pflichtteils zu beachten wäre.4 Der BGH hat aber stets deutlich gemacht, dass die latente Einkommensteuerbelastung für die der Berechnung des Pflichtteils zugrunde liegende Unternehmensbewertung (möglicherweise) zu berücksichtigen ist.5 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Wert der betroffenen Nachlassgegenstände nur durch einen Verkauf realisiert werden kann. Aber auch bei einem Verkaufsszenario kann es zu Unbilligkeiten kommen, etwa wenn die Steuersituation des Erben und diejenige des Pflichtteilsberechtigten nicht identisch sind. Neben diesen „realen“ Verkaufsszenarien stellt sich die Frage nach dem zutreffenden Umgang mit Konstellationen, in denen die Veräußerung nicht erfolgt, die Steuern also „latent“ sind. Die mit dem Vorhandensein stiller Reserven latent vorhandene Ertragsteuerlast des § 16 EStG kann nach dieser Rechtsprechung dann nicht außer Betracht bleiben, wenn abzusehen ist, dass die stillen Reserven zur Auflösung kommen werden.6 Darüber hinaus wird zumeist hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der latenten Ertragsteuern darauf abgestellt, welches Verwertungsszenario der Wertberechnung zugrunde gelegt wird. Wird von einer Fortführung des Unternehmens ausgegangen (Ertragswertmethode), scheidet demnach eine Berücksichtigung der Steuer für die Ermittlung des Pflichtteils aus, da nicht abzusehen ist, ob und wann die stillen

1 Horn in MAH/ErbR § 46 Rn. 40. 2 Riedel, ErbR 2018, 362 (366). 3 Vgl. dazu BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 (132) = MDR 1993, 245. Weiterführend zu latenten Steuern s. § 17. 4 BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269; s. aber auch BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 (132) = MDR 1993, 245. 5 BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498); BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, MDR 1986, 919 = FamRZ 1986, 776; BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 (389) = MDR 1987, 389; OLG München v. 14.1.2003 – 23 U 1830/02, NJW-RR 2003, 1518 (1519). 6 BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269; BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498); vgl. auch BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 (389) = MDR 1987, 389 und BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1551) = MDR 1991, 343.

Lange 883

27.42

§ 27 Rz. 27.42

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Reserven zur Auflösung kommen.1 Bei einer Bewertung nach dem Liquidations- oder Substanzwert hingegen sind die latenten Ertragsteuern zu berücksichtigen.2 Es mehren sich jedoch Stimmen, die die latenten Steuerlasten unabhängig davon berücksichtigen wollen, ob eine Veräußerung bevorsteht oder nicht oder welche Bewertungsmethode angewandt wird.3

27.43 Will man die latenten Ertragsteuern berücksichtigen, so stellt sich die noch ungeklärte Folgefrage, mit welchem Steuersatz dies zu erfolgen hat. So hängt der individuelle Steuersatz ggf. von den Familien- und den Einkommensverhältnissen oder von Änderungen der Steuergesetzgebung ab.4 Allgemeingültige Regeln sind hier derzeit nicht auszumachen, denn zum Bewertungsstichtag ist es manchmal noch nicht klar, ob es zu einer Veräußerung kommen wird und falls ja, wann.

27.44 Entscheidend ist m.E. auch hier die Frage, von welchem Szenario auszugehen ist.5 Geht man, wie zumeist die Rechtsprechung, davon aus, dass der Nachlass (zumindest fiktiv) im Zeitpunkt des Erbfalls zu veräußern ist, muss man konsequenterweise die Besteuerungsfolgen in eine solche Betrachtung einbeziehen. Unter der Prämisse, dass der Pflichtteilsberechtigte so zu stellen ist, als ob er mit seiner Pflichtteilsquote Erbe geworden ist, kann es nur noch darum gehen zu klären, welche konkreten steuerlichen Verhältnisse für ihn maßgeblich sind. Geht man demgegenüber von der wirtschaftlich sinnvollsten Verwertungsmöglichkeit aus, kommt es zur Beantwortung der Frage nach den (latenten) Steuern darauf an, ob danach eine Veräußerung tatsächlich in Betracht kommt, weil sie sich wirtschaftlich als sinnvollste Verwertungsform erweist. Ist dies, wie bei Unternehmen häufig, nicht der Fall, spielt die Steuerfrage keine Rolle und es gibt auch keinen werterhöhenden abschreibungsbedingten Steuervorteil des Erwerbers (tax amortisation benefit).6 4. Unternehmens- und Anteilsbewertung zur Pflichtteilsberechnung a) Grundsätze

27.45 Wird ein Unternehmen als Ganzes vererbt, handelt es sich nicht nur um eine Ansammlung einzelner Vermögensgegenstände und Schulden. Nur die ziel- und zweckgerichtete Verbindung von materiellen wie immateriellen Werten lässt eine Organisation entstehen, die in der Lage ist, finanzielle Überschüsse zu erwirtschaften. Daher kann eine Unternehmensbewertung nicht durch die Addition der einzelnen Aktiva und den anschließenden Abzug der Schulden erfolgen. Einheitlichkeit besteht aber nur hinsichtlich des Bewertungsziels, den vermeintlich „wahren“ Wert zu ermitteln (vgl. Rz. 27.29 ff.). Das lebende Unternehmen soll als wirtschaftliche Einheit unter Berücksichtigung der stillen Reserven und unter Aktivierung des

1 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43 (48) = MDR 1991, 343; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 (510); BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269 (1269 f.); Horn in MAH/ErbR § 46 Rn. 20. 2 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43 (48) = MDR 1991, 343; BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269 (1270); Klingelhöffer, FamRZ 1991, 882 (885) (Zugewinnausgleich). 3 Lorz, ZErb 2003, 302 (303 f.); Schmid, ZErb 2015, 133; Winkler, ZEV 2005, 89 (91); dagegen Daragan, ZErb 2015, 329. 4 Vgl. dazu BGH v. 25.11. – XII ZR 84/97, NJW 1999, 784 (788) (Zugewinnausgleich). 5 Ebenso Riedel, ErbR 2018, 362 (368 f.). 6 So im Ergebnis zutreffend OLG Hamm v. 27.10.2016 – 10 U 61/07, BeckRS 2016, 11727 Rz. 127 (Nachlassbewertung von Grundstücken); weiterführend Riedel, ErbR 2018, 362 (367 f.).

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.48 § 27

Firmenwertes bewertet werden.1 In der Praxis sind damit zahlreiche Probleme aufgeworfen, die – nicht zuletzt wegen der großen Bewertungsspielräume und einer nicht gefestigten Rechtsprechung – erhebliche Einschätzungsrisiken bergen. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht möglich ist, den „wahren“ Unternehmenswert stichtagsbezogen festzustellen, zumal jedem betriebswirtschaftlichen Bewertungsverfahren subjektive Einschätzungen und Prognoseentscheidungen innewohnen. Nach allgemeiner Ansicht gibt es daher keine verbindlichen oder auch nur allgemein anerkannten Grundsätze für die Ermittlung des Wertes eines lebenden Unternehmens.2

27.46

Geht nicht ein ganzes einzelkaufmännisches Unternehmen oder eine Freiberuflerpraxis auf 27.47 den bzw. die Erben über, so ist das Bewertungsobjekt für den Pflichtteilsanspruch die in den Nachlass gefallene gesellschaftsrechtliche Beteiligung. Dabei ist zu beachten, dass sich der Unternehmenswert, verstanden als der Gesamtwert des Unternehmens, auf die Gesamtheit aller Unternehmenseigner bezieht. Der Wert eines Anteils entspricht demgegenüber dem Anteil des konkreten Gesellschafters am Unternehmen, der grundsätzlich mit dem quotalen Anteil des jeweiligen Gesellschafters am objektivierten Unternehmenswert übereinstimmt. Mit Blick auf das Pflichtteilsrecht, bei dem es grundsätzlich nicht auf die persönlichen Umstände des Erben ankommt, ist der Anteilswert für einen typisierten Dritten festzustellen.3 Bei Personengesellschaften ergibt sich der Verteilungsschlüssel für den Anteilswert grundsätzlich aus dem Gewinnverteilungsschlüssel (vgl. § 734 BGB; § 155 HGB). Bei einer GmbH folgt er aus dem Geschäftsanteil (§ 72 GmbHG) und bei einer AG aus dem Aktiennennbetrag (§ 60 Abs. 1 AktG). Überwiegend wird auch für die Anteilsbewertung auf die Veräußerung als die regelmäßig objektiv günstigste Verwertungsmöglichkeit abgestellt, wenn ein funktionierender Markt vorhanden ist. M.E. ist hier mit Blick auf die zahlreichen, gesellschaftsrechtlich zulässigen Methoden, bestimmte Anteile mit besonderen Rechten auszustatten oder aber mit Verpflichtungen zu belasten, Zurückhaltung angebracht.4 Grundsätzlich kann der Wertermittlung im Erbrecht eine direkte oder eine indirekte Anteilsbewertung zugrunde gelegt werden. b) Einzelfragen aa) Handelsgeschäft Bei der Bewertung eines Handelsgeschäfts ist grundsätzlich nicht der in der Bilanz ausgewiesene Wert der einzelnen Wirtschaftsgüter, also der Buchwert, maßgebend, sondern der wirkliche Wert des Unternehmens als wirtschaftliche Einheit unter Berücksichtigung stiller Reserven und unter Aktivierung des Firmenwerts.5 Aus diesem Grundsatz der Bewertungseinheit folgt, dass der Unternehmenswert nicht mit der Summe der Werte der einzelnen Wirtschaftsgüter gleichzusetzen ist. Im Einzelnen bereitet die Bewertung Schwierigkeiten: Für 1 BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, BGHZ 150, 319 (323 f.) = MDR 2002, 1064; Hagedorn in FS Mailänder, 2006, S. 347 (352); Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 38. 2 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547 (1548) = MDR 1991, 343; OLG München v. 15.1.1988 – 14 U 572/87, MDR 1988, 408 = BB 1988, 429; Kipp/Coing, § 9, 2 a; Ebenroth, Rz. 950; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 361; Reimann, DNotZ 1992, 472. 3 Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 147. 4 Weiterführend: Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 149 ff.; Riedel in Damrau/Tanck, § 2311 BGB Rz. 272 ff. 5 Vgl. BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, MDR 1982, 300 = NJW 1982, 575; BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, BGHZ 68, 163 (164 f.) (Zugewinnausgleich); BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509; BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136).

Lange 885

27.48

§ 27 Rz. 27.48

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Handelsunternehmen existiert in der Regel kein Markt, auf dem sich ein Preis bilden könnte, weshalb eine Wertermittlung nach der Vergleichswertmethode zumeist scheitert.1 Auch mangelt es an der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Unternehmen. Zudem existiert keine einhellig gebilligte Bewertungsmethode; die Anwendung der Ertragswertmethode nach IDW S 1 führt zu nur eingeschränkt verwertbaren Ergebnissen (siehe zum IDW S 1: Rz. 1.3 und Rz. 3.22). Ist ein kaufmännisches Unternehmen allerdings nach dem Bewertungsstichtag veräußert worden und sind wesentliche Veränderungen in der Zwischenzeit nicht ersichtlich, so kann sich nach Ansicht des BGH die Bewertung am Verkaufserlös orientieren, selbst wenn inzwischen ein Jahr vergangen ist.2 bb) Freiberufliche Praxis

27.49 Befindet sich eine freiberufliche Praxis im Nachlass, besteht für die pflichtteilsrechtliche Bewertung häufig die Schwierigkeit darin, dass eine Ermittlung des Unternehmenswertes anhand von Ertragswert gemäß IDW S 1 oder der DCF-Methode zu unrealistischen Ergebnissen führt. Da bei Freiberuflern die persönliche Beziehung des Inhabers zu seinen Kunden, Mandanten bzw. Patienten besondere Bedeutung genießt, kann das Ertragswertverfahren nicht angewandt werden.3 Mangels ausreichendem internen Rechnungswesen ist es ferner oft nicht möglich, aussagekräftige Vergangenheitsanalysen und darauf aufbauende Ertragsprognosen zu erstellen.4 Soll gleichwohl eine Bewertung unter Ertragswertgesichtspunkten erfolgen, muss berücksichtigt werden, was ein gedachter Erwerber an Überschüssen entnehmen darf; eine bloße Fortschreibung der Vergangenheit reicht nicht aus.

27.50 Vor diesem Hintergrund wird häufig vom Sachwertverfahren ausgehend ein besonderer Geschäftswert (good will) berücksichtigt.5 Ein solcher good will, verstanden als der Mehrwert, der sich über den Wert der selbstständig bewerteten Vermögensbestandteile hinaus ergibt, setzt sich aus dem guten Ruf des Inhabers, dem Kunden-, Mandanten- bzw. Patientenstamm, dem Standort etc. zusammen und wird zumeist aus einem Prozentsatz der bereinigten Durchschnittsumsätze der Vorjahre ermittelt. Wegen des besonderen persönlichen Einsatzes des Erblassers gestaltet sich eine Bewertung häufig als schwierig und damit streitanfällig. Die Gerichte greifen dabei auch auf die Bewertungsgrundsätze der entsprechenden Berufsvertretungen zurück.6 Wird die freiberufliche Praxis etc. im Ganzen verkauft, kommt dem Veräußerungserlös erhebliche Bedeutung zu. Hinsichtlich der Bewertung einer freiberuflichen Praxis gelten ansonsten im Wesentlichen die zu Handelsunternehmen entwickelten Grundsätze.

27.51 Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze umfasst der Wert einer Freiberuflerpraxis grundsätzlich die Gesamtheit von Ausstattung, Einrichtung, Personal, Material, Kunden-, Mandanten- bzw. Patientenstamm und Gewinnaussichten. Der wirtschaftlichen Einheit „Kanzlei“, 1 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509; OLG Düsseldorf v. 27.1.1984 – 3 UF 50/83, FamRZ 1984, 699 (701) (Zugewinnausgleich); Tanck, BB 2004 Beil. 9, 19. 2 Vgl. BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497 (2498). 3 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43 (43 f.) = MDR 1991, 343 (Arztpraxis im Zugewinnausgleich). 4 Zu den Prognoseverfahren s. Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 517 ff. 5 Vgl. dazu BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43 (43 f.) = MDR 1991, 343 (Arztpraxis im Zugewinnausgleich); Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 132; Riedel in Damrau/ Tanck, § 2311 BGB Rz. 212 u. 218. 6 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, MDR 1991, 343 = FamRZ 1991, 43; OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – II-1 UF 115/03, FamRZ 2004, 1106 (Zugewinnausgleich); Überblick bei Mayer-Klenk, ErbR 2008, 311 (319).

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.53 § 27

„Praxis“ oder „Büro“ ist somit das gesamte Unternehmen mit seiner gesamten Tätigkeit zuzuordnen. Der Wert wird unter der Annahme der Fortführung aus Substanz- und ideellem Wert (Kanzlei- oder Praxiswert) ermittelt. Während für Ersteren in der Regel ein Anlageverzeichnis zu erstellen ist, aus dem sämtliche Wirtschaftsgüter und Schulden mit ihrem Verkehrswert ersichtlich sind, muss für den ideellen Wert der Kunden-, Mandanten- bzw- Patientenstamm wirtschaftlich erfasst werden. Bei einer Arztpraxis wird man regelmäßig die Patientenzahl und die Leistungsfähigkeit der Praxis zugrunde legen. Bei einer Rechtsanwaltskanzlei wird man sich am Umsatz orientieren. Individuelle Sonderfunktionen des Verstorbenen (Gutachtertätigkeit, betriebsärztliche Tätigkeit, Beiratsmandate etc.) sind dabei in Abzug zu bringen. Bei einem reinen Architekturbüro ist von der Rechtsprechung der Ansatz von good will verneint worden, da es allein sein Ruf sei, der dem Architekten seine Aufträge einbringe.1 cc) GmbH-Geschäftsanteil Anders als Anteile an einer Personengesellschaft sind GmbH-Anteile aufgrund gesetzlicher Bestimmung vererblich (§ 15 Abs. 1 GmbHG). Sie gehen mit dem Tod des Gesellschafters auf den oder die Erben über. Die Vererblichkeit des GmbH-Anteils kann nicht ausgeschlossen werden, auch nicht durch eine mit dem Tod automatisch wirkende Einziehung.2 Der Anteil an einer GmbH fällt in den Nachlass und ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu bewerten. Dabei wird nicht der Buchwert, sondern – ausgehend vom gemeinen Wert – der volle Wert des Geschäftsanteils (Verkehrswert) angesetzt.3 Er entspricht regelmäßig dem Preis, den ein Außenstehender für die Anteile gezahlt hätte, wenn er sie unter üblichen Bedingungen gekauft hätte. Damit richtet sich der Anteilswert nach dem gemeinen Wert der GmbH.

27.52

Mit Blick auf die Möglichkeit, in der GmbH-Satzung disquotale Gewinnbezugsrechte zu vereinbaren (vgl. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) hat der BGH entschieden, dass für den Wert des Anteils die Entnahmen entscheidend sind. Anhand der indirekten Methode ist daher zu ermitteln, mit welcher Quote der Anteil am Gewinn der Gesellschaft teilnimmt.4 Vor allem in der personalistisch geprägten GmbH finden sich in den Satzungen häufig Einzie- 27.53 hungsklauseln, Verpflichtungen zur Abtretung an Dritte oder andere Regelungen, die mittelbar die Vererbbarkeit des Anteils einschränken.5 Die Vererblichkeit des Geschäftsanteils wird dadurch wegen § 15 Abs. 1 GmbHG nicht berührt; allerdings verbleibt der Anteil nur bis zur wirksamen Einziehung oder Abtretung im Nachlass. Wird davon Gebrauch gemacht und im Gegenzug eine geringere Abfindung geleistet, ist umstritten, was dieser Schritt für die Bemessung des Pflichtteilsanspruchs bedeutet. Wegen der Erbersatzfunktion des Pflichtteils kann nur maßgeblich sein, was der Erbe letztlich behalten kann und nicht dasjenige, was sich – von Anfang an mit der drohenden Einziehung oder Abtretung behaftet – zunächst im Nachlass befunden hatte. Ist bspw. der Erbe kraft Satzung zur Abtretung rechtswirksam verpflichtet und tritt er seinen Geschäftsanteil daraufhin ab, so ist der Abfindungswert maßgeblich und nicht

1 OLG München v. 13.3.1984 – 4 UF 195/83, FamRZ 1984, 1096 f. (zum Zugewinnausgleich). 2 Lange, GmbHR 2012, 986 (986). 3 Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 19; Horn in MAH/ErbR, § 46 Rz. 53; Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 65. 4 BGH v. 12.2.1979 – II ZR 106/78, WM 1979, 432; Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 16 Rz. 82. 5 Siehe dazu etwa BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, BGHZ 92, 386 (390) = GmbHR 1985, 150; OLG Hamm v. 20.9.1999 – 8 U 12/99, NZG 2000, 433; Lange, Kap. 22 Rz. 145 ff.

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§ 27 Rz. 27.53

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

etwa der gemeine Wert des Geschäftsanteils.1 Der Schutz des Pflichtteilsberechtigten ist nur nach § 2325 BGB möglich. dd) Aktien

27.54 Aktien fallen in den Nachlass und sind vererblich, unabhängig davon, ob es sich um Inhaberoder Namensaktien handelt. Ihre Vererblichkeit kann nicht ausgeschlossen werden. Handelt es sich um börsennotierte Anteile, werden sie mit ihrem Kurswert am Stichtag angesetzt.2 Bei einer nicht börsennotierten AG orientiert sich der Wert der Beteiligung am Wert des Unternehmens (Ertragswert). Der Kurswert, der durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, entspricht dem mittleren Tageskurs an dem Börsenplatz, der dem letzten Wohnsitz des Erblassers am nächsten liegt. Er kann allerdings bei großen Stückzahlen nicht mehr der allein maßgebende Wertmesser sein. Das Gleiche gilt, wenn Wertpapiere gerade in ihrer Zusammenfassung einen besonderen Wert repräsentieren (sog. Paketzuschlag).3 Umstritten ist, ob der mittlere Kurswert auch dann gilt, wenn er ungewöhnlich hoch oder niedrig lag.4 Wenn der BGH bei Grundstücken davon ausgeht, dass sich deren wahrer innerer Wert in extremen Situationen vom Verkaufswert zur Zeit des Erbfalls unterscheiden könne,5 so lässt sich diese Rechtsprechung auf Wertpapiere, bei denen starke Kursschwankungen keineswegs atypisch sind, nicht übertragen. Im Übrigen ist auch die vom BGH geforderte Vorhersehbarkeit der Normalisierung der Verhältnisse bei Kursschwankungen in der Regel gerade nicht gegeben. Grundsätzlich sind stärkere Kursschwankungen daher hinzunehmen.6

27.55 Der Börsenkurs von Wertpapieren ist nicht allein maßgebend, wenn mit dem Papier Gewinnbezugsrechte verbunden sind, wie etwa bei Rentenpapieren. Die aufgelaufenen Erträgnisse stellen dort einen Vermögenswert dar, auch wenn auf sie noch kein Anspruch besteht. Vergleichbares gilt, wenn in der Satzung ein vom Nennbetrag abweichender Gewinnverteilungsschlüssel geregelt ist (vgl. § 60 Abs. 3 AktG). ee) Anteil an einer Personen- oder Partnerschaftsgesellschaft (1) Nachfolge in Gesellschafterstellung

27.56 War der Verstorbene Mitglied einer Personen- oder Partnerschaftsgesellschaft, richtet sich die Frage, ob und in welcher Höhe aus der Gesellschaftsbeteiligung ein Pflichtteilsanspruch entsteht, nach dem rechtlichen Schicksal der Gesellschaftsbeteiligung (zur Bewertung von Gesellschaftsanteilen weiterführend § 24).

1 Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 150 ff.; Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2311 BGB Rz. 47; Tanck, BB 2004 Beil. 9, 19 (22). A.A. Hülsmann, GmbHR 2001, 409 (414). Anders auch Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 19 (Schutz des Erben über § 2318 BGB). 2 BGH v. 29.11.2000 – XII ZR 165/98, BGHZ 146, 114 (118); Ebenroth, Rz. 950; Hagedorn in FS Mailänder, 2006, S. 347 (351); Schlichting, ZEV 2006, 197 (198). Nach IDW S 1 Rz. 14 f. wird der Börsenkurs demgegenüber nur zur Plausibilitätsbeurteilung herangezogen. 3 Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 234; Riedel in Damrau/Tanck, § 2311 BGB Rz. 247 ff. 4 Grds. dafür: Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 18; Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 156; Klingelhöffer, Rz. 404 (mit der Möglichkeit der Korrektur im Einzelfall in Rz. 406); Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 56. 5 Vgl. zu dieser Thematik Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 35 m.w.N. 6 Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 5 Rz. 174.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.60 § 27

Wird die Gesellschaft aufgrund einer (einfachen oder qualifizierten) erbrechtlichen Nachfol- 27.57 geklausel mit einem, mehreren oder allen Erben fortgesetzt, so gehört die Beteiligung des Erblassers zum Nachlass1 und ist mit ihrem vollen Wert bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen. Liegt ein tatsächlicher oder zeitnaher Kaufpreis nicht vor, stellt sich die Frage nach der Bewertung des Gesellschaftsanteils, die uneinheitlich beantwortet wird. Als geklärt kann angesehen werden, dass die Vergleichswertmethode grundsätzlich ausscheidet.2 Vielmehr ist der Preis zu ermitteln, den ein potentieller Käufer für den Anteil zahlen würde. Zu diesem Zweck ist der Wert des Unternehmens – einschließlich offener und verdeckter Reserven – zu erfassen, was überwiegend anhand der Ertragswertmethode erfolgt;3 in der Literatur wird zunehmend auch auf das DCF-Verfahren abgestellt (s. dazu § 10). Aus dem so ermittelten Gesamtwert des Unternehmens ist der Anteilswert abzuleiten (indirekte Methode), indem grundsätzlich der quotale Wert, also der aus dem Gesamtwert errechnete Anteil, ermittelt wird.4 Der Wert ist ggf. zu korrigieren, wenn die mit diesem Anteil verbundenen Herrschaftsrechte unterschiedlich ausgestaltet sind. Dann ist auf die Gewinn-, Entnahme- und Herrschaftsrechte abzustellen, die mit dem betroffenen Anteil verbunden sind. Eine nur eingeschränkte Veräußerlichkeit des Anteils führt dementsprechend zu einem Abschlag vom Ertragswert.5

27.58

(2) Ausscheiden des Erben und Abfindungsklausel Wird die Personengesellschaft aufgrund einer erbrechtlichen Nachfolgeklausel mit einem, mehreren oder allen Erben fortgesetzt, fällt der Gesellschaftsanteil in den Nachlass. Es sind nun Konstellationen denkbar, in denen der Erbe als Nachfolger zwar in die Gesellschaft zunächst einrückt, dort aber nicht verbleiben kann, etwa weil er zur Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen die Beteiligung im Wege der Kündigung aufgeben muss oder weil seinem Antrag nach § 139 HGB nicht entsprochen worden ist und er daher sein Ausscheiden aus der Gesellschaft erklärt.6

27.59

Klauseln in Gesellschaftsverträgen sehen für den Fall des Ausscheidens häufig vor, dass der Erbe unter dem Wert seiner Beteiligung abgefunden wird. Wird hier der Pflichtteilsanspruch entsprechend dem Stichtagsprinzip des § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB unter Zugrundelegung des Vollwertes der Mitgliedschaft7 berechnet, bedeutet das für den Gesellschaftererben eine Härte, weil dieser selbst, etwa zwecks Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs, nur den Klauselwert realisieren kann. Wird aber wegen dieser Benachteiligung des Erben nur der Klauselwert in Ansatz

27.60

1 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225; BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 29/81, NJW 1983, 2376; BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 = MDR 1986, 829; BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, ZIP 1996, 327 (329) = GmbHR 1996, 362; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 31/00, FamRZ 2002, 543 = DNotZ 2002, 801; Deckert, NZG 1998, 43 (46). 2 Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 138; J. Mayer, ZEV 1994, 331 (335); Winkler, BB 1997, 1697 (1700). 3 BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = NJW 1985, 192; Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 61; Reimann, ZEV 1994, 7 (8). 4 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 (199) = AG 1980, 158; Mayer-Klenk, ErbR 2009, 311 (314). 5 Klingelhöffer, Rz. 375. 6 Weiterführend Lange, Kap. 22 Rz. 96 ff. 7 So Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 30; Ebenroth, Rz. 950; Haegele, BWNotZ 1976, 25 (28).

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§ 27 Rz. 27.60

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

gebracht, so werden effektiv vorhandene Nachlasswerte unzulässigerweise dem Pflichtteilsberechtigten entzogen.

27.61 Der BGH hat zu diesem Problemkreis nicht abschließend Stellung genommen. Im Rahmen der Berechnung des Zugewinns nach § 1376 BGB hat er jedoch festgestellt, dass die eingeschränkte Verwertbarkeit nach der Verkehrsanschauung zu einer Minderung des Beteiligungswertes führen kann. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Erbe in der Gesellschaft verbleibt. Vom BGH offengelassen wurde die Frage, ob nicht in einem Fall, in dem der Erbe den Gesellschaftsvertrag kündigt, nur auf den konkreten Wert abzustellen ist, den der Erbe von der Gesellschaft erhält. Die Bewertungsthematik hat er letztlich dem erkennenden Gericht überlassen.1

27.62 In der Literatur werden zumeist Kompromisslösungen angestrebt:2 Ein Teil der Lehre versucht, die Diskrepanz zwischen Voll- und Abfindungswert durch die Festlegung eines Zwischenwertes zu überwinden, der die Risiken des Abfindungsfalles einbezieht.3 Ältere Stimmen gehen bei der Pflichtteilsberechnung zwar vom Vollwert aus, betrachten diesen aber im Hinblick auf den möglichen Abfindungsfall entsprechend § 2313 Abs. 1 Satz 2 BGB nur als auflösend bedingt.4 Wieder andere Stimmen orientieren sich am Klauselwert und lassen die Differenz zum Vollwert wie ein aufschiebend bedingtes Recht entsprechend § 2313 Abs. 1 Satz 1 BGB zunächst (vgl. § 2313 Abs. 1 Satz 3 BGB) außer Ansatz.5 Ferner wird vorgeschlagen, die Härte des Vollwertprinzips durch ein über § 2331a BGB hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht des Erben zu mildern.6 Wieder andere möchten die Zulässigkeit vertraglicher Abfindungsklauseln eingeschränkt sehen.7 Schließlich wird zum Teil ohne Rücksicht auf die Wertermittlung der Beteiligung im Übrigen der Klauselwert jedenfalls dann als maßgeblich angesehen, wenn der Erbe wegen Verweigerung der Kommanditistenstellung nach § 139 HGB oder (aus welchen Gründen auch immer) wenigstens innerhalb der Frist des § 139 Abs. 3 HGB ausscheidet.8 M.E. sollte beachtet werden, dass die Zugrundelegung des Vollwertes für den Erben eine Härte darstellt, auch wenn ansonsten dem Pflichtteilsberechtigten Nachlasswerte entzogen werden. Dies ist aber konsequente Folge des Gesellschaftsvertrags und nicht einer Gestaltung von Todes wegen. Daher sollte es in diesen Konstellationen zu einem Abschlag bei der Bewertung kommen. ff) Bewertung eines Landguts

27.63 Die agrarpolitische Schutzvorschrift des § 2312 BGB soll dem Übernehmer eines Landgutes, der selbst zum Kreis pflichtteilsberechtigter Personen gehört (Abs. 3), die Fortführung des Betriebs erleichtern. Dazu sind gegen ihn gerichtete Pflichtteilsansprüche nicht auf der Grundlage des am Verkaufswert orientierten Schätzungswertes, sondern des in der Regel niedrigeren Ertragswertes zu berechnen. Auf diese Weise soll im Interesse der Allgemeinheit eine gesunde 1 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 (195 ff.) = AG 1980, 158; bestätigt durch BGH v. 1.10.1986 – IVb ZR 69/85, NJW 1987, 321 (322) = GmbHR 1987, 19; vgl. auch Hagedorn in FS Mailänder, 2006, S. 347 (356). 2 Überblick bei Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 164. 3 Reimann, ZEV 1994, 7 (10); Überblick über den Meinungsstand bei Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 146. 4 Rittner, FamRZ 1961, 505 (515); Stötter, DB 1970, 573 (575); Ulmer, ZGR 1972, 324 (342). 5 Siebert, NJW 1960, 1033 (1036). 6 Siebert, NJW 1960, 1033 (1036 ff.); Winkler, BB 1997, 1697 (1702). 7 Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 146. 8 Eiselt, NJW 1981, 2447 (2448 ff.); Haegele, BWNotZ 1976, 25 (28); Ulmer, ZGR 1972, 324 (343).

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.66 § 27

Agrarstruktur erhalten bleiben. Anders als bei der Pflichtteilsberechnung sonst üblich, bildet der Liquidationswert nicht die untere Grenze. Aufgrund des bewertungsrechtlichen Sachzusammenhangs wird hierzu ausführlich unten Stellung genommen (vgl. Rz. 27.73 ff.). 5. Verfahrensfragen a) Darlegungs- und Beweislast Der Pflichtteilsberechtigte trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für den Wert des seinem Anspruch aus § 2303 BGB zugrunde liegenden Nachlasses und damit für den Wert der Nachlassgegenstände im Zeitpunkt des Erbfalls.1 Er hat das Nichtbestehen einer von ihm bestrittenen, vom Erben aber substantiiert dargelegten Nachlassverbindlichkeit ebenso zu beweisen2 wie die Tatsache, dass der bei einer Veräußerung erzielte Preis nicht dem gemeinen Wert beim Erbfall entspricht. Eine objektiv unrichtige Auskunft des Erben im Vorfeld der Klageerhebung führt nach Auffassung der Rechtsprechung im Regelfall nicht zu einer Beweislastumkehr dahin gehend, dass der Erbe beweispflichtig für die von ihm geltend gemachte Überschuldung des Nachlasses wäre.3 Dies verschärft die ohnehin schon unvorteilhafte Beweissituation des Pflichtteilsberechtigten (vgl. auch § 36).

27.64

Solange Bestand und Wert des Nachlasses nicht bekannt sind, ist es für den Pflichtteilsberechtigten auch nicht möglich, den Erben mit einer unbezifferten Mahnung in Verzug zu setzen und (Verzugs-) Zinsen zu beanspruchen. Anders als die bloße Leistungsklage auf Auskunftserteilung hemmt aber die auf Auskunft und Zahlung gerichtete Stufenklage gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung nach § 2332 BGB4 und löst Verzug wegen des Zahlungsanspruchs aus.5 Der auskunftspflichtige Schuldner kommt auch durch eine unbefristete, einem zulässigen Antrag in einer Stufenklage entsprechende Mahnung in Verzug.6

27.65

b) Wertermittlungsanspruch § 2314 BGB räumt dem Anspruchsberechtigten mehrere Möglichkeiten ein, die benötigten Informationen zu erhalten. So kann der Pflichtteilsberechtigte vom Erben erstens Auskunft über die Nachlassgegenstände verlangen. Da der Pflichtteilsanspruch ein reiner Geldanspruch ist, hängt dessen Höhe vom Wert der Nachlassmasse ab. Daher wird der Auskunftsanspruch zweitens ergänzt durch einen vom Wissen des Pflichtteilsschuldners unabhängigen Anspruch auf Ermittlung des Wertes (Wertermittlungsanspruch) der Nachlassgegenstände. Der Wertermittlungsanspruch als selbstständiger Anspruch setzt grundsätzlich nur ein Pflichtteilsrecht

1 BGH v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, ZErb 2011, 83 (83 f.) = MDR 2011, 108. 2 BGH v. 14.7.1952 – IV ZR 74/52, BGHZ 7, 134 (136); OLG Brandenburg v. 5.11.2008 – 13 U 111/07, ZErb 2009, 187 (188); OLG Frankfurt v. 7.11.2002 – 16 U 10/02, ZEV 2003, 364. 3 BGH v. 10.3.2010 – IV ZR 264/08, MDR 2010, 874 = ZEV 2010, 312; OLG Brandenburg v. 5.11.2008 – 13 U 111/07, ZEV 2009, 36 (37). 4 BGH v. 6.5.1981 – IVa ZR 170/80, BGHZ 80, 269 (277) = MDR 1981, 735; Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2314 BGB Rz. 45. 5 BGH v. 6.5.1981 – IVa ZR 170/80, BGHZ 80, 269 (277) = MDR 1981, 735; BGH v. 22.3.2006 – IV ZR 93/05, ZEV 2006, 263 (264) = MDR 2006, 1248; OLG Koblenz v. 6.5.2002 – 5 U 1287/01, FamRZ 2003, 193 (194). Zur Unkenntnis bei § 286 Abs. 4 BGB und zur Zurechnung der Kenntnisse des Erblassers s. OLG Naumburg v. 23.12.2011 – 10 U 12/11, FamRZ 2012, 1674. 6 BGH v. 6.5.1981 – IVa ZR 170/80, BGHZ 80, 269 (277) = MDR 1981, 735; BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, ZEV 2009, 77 (79) m. Anm. Schindler = MDR 2009, 384.

Lange 891

27.66

§ 27 Rz. 27.66

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

voraus, nicht aber schon das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs, zu dessen Beurteilung die Auskunft dienen soll.1

27.67 Obwohl sich die Höhe des Pflichtteilsanspruchs aus dem Wert des Nachlasses ergibt (§ 2311 BGB), muss dem Bestandsverzeichnis keine Wertangabe beigefügt werden. Das Gesetz gewährt dem Pflichtteilsberechtigten vielmehr einen selbstständigen Anspruch auf Wertermittlung (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB),2 der vom Berechtigten gesondert geltend zu machen und vom Auskunftsanspruch zu unterscheiden ist. Anders als der Auskunftsanspruch ist der Wertermittlungsanspruch vom Wissen und den Vorstellungen der Verpflichteten unabhängig.3 Er soll dem Pflichtteilsberechtigten ein umfassendes Bild über den Nachlass und damit über seinen Pflichtteilsanspruch verschaffen. Der Pflichtteilsschuldner ist zur Mitwirkung verpflichtet, insbesondere durch Veranlassung oder Duldung der Wertermittlung durch einen Sachverständigen. Der Umfang des Wertermittlungsanspruchs korrespondiert mit dem Pflichtteilsanspruch, da er dessen Bemessungsgrundlage schaffen soll, und erfasst den realen wie den fiktiven Nachlass. Er setzt voraus, dass die Gegenstände, deren Wert ermittelt werden soll, unstreitig zum Nachlass gehören. Ist die Nachlasszugehörigkeit bestritten, trägt der Pflichtteilsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast.4 Nur wenn feststeht, welche Gegenstände zu dem für die Pflichtteilsberechnung relevanten (realen oder fiktiven) Nachlass gehören und wenn die Auskünfte des Erben zur Wertermittlung nicht ausreichen, kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Wert der Nachlassgegenstände durch ein Sachverständigengutachten ermittelt wird (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB),5 und zwar auf Kosten des Nachlasses (§ 2314 Abs. 2 BGB).

27.68 Der Wertermittlungsanspruch ist auf die Vorlage von Unterlagen und die Abgabe eines Bewertungsgutachtens gerichtet. Der Verpflichtete muss dem Berechtigten diejenigen Informationen zukommen lassen, die diesen in die Lage versetzen, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, seinen Pflichtteilsanspruch berechnen zu können. So hängt die Beantwortung der Frage, welche Informationen und Unterlagen vorzulegen sind, wenn ein Unternehmen zu bewerten ist, entscheidend von der gewählten Bewertungsmethode ab. Wird der Wert eines Unternehmens bspw. anhand der Ertragswertmethode berechnet, reicht die Vorlage einer Bilanz auf den Todesfall nicht aus. Vielmehr muss der zur Wertermittlung Verpflichtete sämtliche Unterlagen vollständig vorlegen, die zur Berechnung erforderlich sind (GuV, Bilanzen, Umsatzzahlen, Geschäftsbücher etc.).6 Man wird die Informationen für den

1 BGH v. 1.10.1958 – V ZR 53/58, BGHZ 28, 177 (179 f.); BGH v. 4.12.1980 – IVa ZR 46/80, NJW 1981, 2051 (2052) = MDR 1981, 475; BGH v. 17.4.2002 – IV ZR 259/01, MDR 2002, 1069 = ZEV 2002, 282 m. Anm. Kummer. 2 OLG Brandenburg v. 7.1.2004 – 13 U 25/03, ZErb 2004, 132 (133); OLG Frankfurt v. 16.9.1993 – 15 W 59/93, NJW-RR 1994, 9; OLG Schleswig v. 15.8.2006 – 3 U 63/05, ZErb 2006, 417 (418). 3 BGH v. 9.11.1983 – IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24 (29) = MDR 1984, 297; BGH v. 4.10.1989 – IVa ZR 198/88, BGHZ 108, 393 (395) = MDR 1990, 138. 4 BGH v. 14.7.1952 – IV ZR 74/52, BGHZ 7, 134 (136); BGH v. 9.11.1983 – IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24 (29 f.) = MDR 1984, 297; Tanck in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 14 Rz. 194. 5 BGH v. 9.11.1983 – IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24 (29) = MDR 1984, 297; BGH v. 19.4.1989 – IVa ZR 85/88, BGHZ 107, 200 (201 f.) = MDR 1989, 800; Riedel in Damrau/Tanck, § 2314 BGB Rz. 35. 6 BGH v. 10.7.1975 – II ZR 154/72, NJW 1975, 1774 (1776 f.) m. Anm. Blunck 2191; OLG Zweibrücken v. 17.9.1986 – 2 U 58/81, FamRZ 1987, 1197 (1198); OLG Köln v. 4.3.1998 – 13 U 152/97, ZEV 1999, 110 (110 f.); OLG Köln v. 10.1.2014 – 1 U 56/13, ErbR 2014 290 m. krit. Anm. Knauss.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.70 § 27

Zeitraum von fünf Jahren fordern müssen, um auf eine realistische Entwicklung schließen zu können.1 Neben dem Anspruch auf Vorlage der relevanten Unterlagen besteht ein Anspruch auf Ausarbeitung und Vorlage eines Bewertungsgutachtens, wenn die dargelegten Informationen kein hinreichendes Bild über den Wert des Nachlasses ermöglichen.2 Die sachlichen Anforderungen an das Gutachten richten sich unter Berücksichtigung der in Rede stehenden Nachlassgegenstände nach § 2311 BGB.3 Der Pflichtteilsberechtigte soll sich ein möglichst umfassendes Bild über den Nachlass und seinen Pflichtteilsanspruch machen können. Maßgebender Bewertungszeitpunkt ist der Erbfall; bei ergänzungspflichtigen Zuwendungen ist § 2325 Abs. 2 BGB zu beachten. Ein Anspruch auf Feststellung des Nachlasswertes anhand einer ganz bestimmten Bewertungsmethode besteht nicht. Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen muss der Auskunftsberechtigte die Bewertung jedoch anhand einer anderen Methode durchführen können.4 Der Sachverständige hat den Pflichtteilsberechtigten in Bezug auf die Wertermittlung möglichst umfassend, zumindest aber ausreichend ins Bild zu setzen.5 Der Berechtigte hat aber keinen Anspruch auf ein bestimmtes, seinen Vorstellungen entsprechendes Gutachten, sondern nur auf eine Begutachtung, die den an die Tätigkeit von Sachverständigen zu stellenden Anforderungen genügt.6 Da der Wertermittlungsanspruch die Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs lediglich vorbereitet, ist das Wertgutachten des Sachverständigen im Falle einer gerichtlichen Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs für die Parteien nicht bindend.7

27.69

Vor diesem Hintergrund sind Mindestanforderungen an die Person des Sachverständigen zu stellen. Das Gutachten ist durch einen unparteiischen Sachverständigen zu erstellen, der allein vom Erben auszuwählen ist.8 Der Pflichtteilsberechtigte kann nicht eigenmächtig ein Gutachten in Auftrag geben und die Kosten sodann auf den Nachlass abwälzen. Befangen ist der Sachverständige, wenn ein Grund vorliegt, der bei vernünftiger Würdigung ein Misstrauen der Partei von ihrem Standpunkt aus rechtfertigen kann.9 Da die Qualifikation im Gesetz nicht

27.70

1 OLG Düsseldorf v. 17.5.1996 – 7 U 126/95, FamRZ 1997, 58 = NJW-RR 1997, 454; OLG Köln v. 10.1.2014 – I-1 U 56/13, 1 U 56/13, ErbR 2014, 290 m. krit. Anm. Knauss; OLG Köln v. 4.3.1998 – 13 U 152/97, ZEV 1999, 110. 2 BGH v. 30.10.1974 – IV ZR 41/73, NJW 1975, 258; OLG Brandenburg v. 7.1.2004 – 13 U 25/03, ZErb 2004, 132 (133); OLG Köln v. 5.10.2005 – 2 U 153/04, ZEV 2006, 77 (78) m. zust. Anm. v. Oertzen. 3 OLG Köln v. 5.10.2005 – 2 U 153/04, ZEV 2006, 77 (78) m. zust. Anm. v. Oertzen; OLG Düsseldorf v. 28.4.1995 – 7 U 113/94, FamRZ 1995, 1299 (1301); Herzog in Staudinger, 2015, § 2314 BGB Rz. 134. 4 OLG Celle v. 21.10.1994 – 7 W 37/94, OLG-Rp 1995, 103; OLG München v. 15.1.1988 – 14 U 572/87, NJW-RR 1988, 390 (391) = MDR 1988, 408 zum notwendigen Inhalt eines Sachverständigengutachtens im Falle einer Unternehmensbewertung. 5 OLG Brandenburg v. 7.1.2004 – 13 U 25/03, ZErb 2004, 132 (133 f.); OLG Köln v. 5.10.2005 – 2 U 153/04, ZEV 2006, 77 (78) m. zust. Anm. v. Oertzen und OLG Köln v. 4.3.1998 – 13 U 152/97, ZEV 1999, 110 (111). 6 OLG Oldenburg v. 23.6.1998 – 5 U 19/98, FamRZ 1999, 1099. 7 OLG Karlsruhe v. 9.7.2004 – 1 U 206/03, ZEV 2004, 468 (469) m. krit. Anm. Fiedler; OLG Köln v. 5.10.2005 – 2 U 153/04, ZEV 2006, 77 (78 f.) m. zust. Anm. v. Oertzen; Bittler in Mayer/Süß/Tanck/ Bittler, § 9 Rz. 83, 85. 8 BGH v. 9.11.1983 – IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24 = MDR 1984, 297; OLG Düsseldorf v. 28.4.1995 – 7 U 113/94, FamRZ 1995, 1299 = ZEV 1995, 410 (412). 9 OLG Karlsruhe v. 9.7.2004 – 1 U 206/03, ZEV 2004, 468 (469) m. krit. Anm. Fiedler; Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2314 BGB Rz. 20.

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§ 27 Rz. 27.70

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

ausdrücklich geregelt ist, muss der Sachverständige nicht öffentlich bestellt oder vereidigt sein.1 c) Aufgabe des Tatrichters

27.71 Häufig stellt das Wertgutachten die zentrale Weichenstellung im Rahmen einer Pflichtteilsauseinandersetzung dar. Es ist daher Aufgabe des Tatrichters, zu entscheiden, welche von mehreren in Betracht kommenden Bewertungsmethoden im konkreten Einzelfall zu einem angemessenen Ergebnis führt. Seine Entscheidung ist als Tatfrage im Rahmen eines Revisionsverfahrens nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die Tatsacheninstanz von rechtsfehlerhaften Erwägungen ausgegangen ist und gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat.

27.72 Wenn es den Wert des Nachlasses bzw. einzelner Nachlassgegenstände nicht selbst ermittelt, so ist es die Aufgabe des Gerichts, einen Sachverständigen mit der Wertermittlung zu beauftragen und seine Arbeit hinsichtlich der angewandten Bewertungsmethode im konkreten Fall und hinsichtlich ihrer richtigen Anwendung zu überprüfen.2

III. Bewertung eines landwirtschaftlichen Unternehmens 1. Das Landguterbrecht des BGB a) Bedeutung

27.73 Aus historischen Gründen existieren in Deutschland auch heute noch von §§ 1922 ff. BGB abweichende Sondervorschriften zum Landwirtschaftserbrecht. Zwar kennt das BGB lediglich zwei Paragraphen, die sich ausdrücklich mit der Nachfolge in landwirtschaftliche Betriebe befassen (§§ 2049 u. 2312 BGB; auch „Landguterbrecht“ genannt). Allerdings gelten in vielen Landesteilen Deutschlands anerbenrechtliche Vorschriften (vgl. Art. 64 EGBGB). Daneben besteht in einigen Teilen der alten Bundesrepublik mit der HöfeO ein partikulares Bundesrecht. Das bundeseinheitliche Erbrecht wird zudem ergänzt durch den bewertungsrechtlichen Vorbehalt in Art. 137 EGBGB. Schließlich sind mit dem Zuweisungsverfahren nach dem GrdstVG auch verfahrensrechtliche Besonderheiten zu beachten. Ziel dieser Sonderregelungen ist es, vor allem eine geschlossene Vererbung von wirtschaftlich lebensfähigen Landgütern innerhalb der bäuerlichen Familie sicherzustellen,3 weshalb es sich mehr oder weniger um agrarpolitische Schutzvorschriften handelt, durch die entweder die Erbteilung eingeschränkt oder die Pflichtteilsansprüche reduziert werden bzw. eine für den Hofübernehmer günstigere Bewertung vorgeschrieben wird. Im Ergebnis soll der Hoferbe den Betrieb ohne Angst vor Schulden durch zu hohe Abfindungszahlungen übernehmen können und nicht wegen der Erbauseinandersetzung zum Verkauf des Hofs gezwungen werden. Auf

1 OLG Düsseldorf v. 17.5.1996 – 7 U 126/95, FamRZ 1997, 58 = NJW-RR 1997, 454; OLG Köln v. 26.10.2011 – 2 U 53/11, FamRZ 2012, 483 (484); Riedel in Damrau/Tanck, § 2314 BGB Rz. 36. 2 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, MDR 1991, 343 = FamRZ 1991, 43; BGH v. 28.3.2001 – VIII ZR 183/00, WM 2001, 1309; OLG München v. 15.1.1988 – 14 U 572/87, BB 1988, 429 (430) = MDR 1988, 408; Riedel, Rz. 72 f. 3 Ebenroth, Rz. 43; Lange, Kap. 21 Rz. 1-5; Leipold in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Einl. ErbR Rz. 146.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.77 § 27

diese Weise will man letztlich dem Übernehmer eines landwirtschaftlichen Hofs die Fortführung des Betriebs erleichtern.1 b) Bestimmung des Wertes aa) Ertragswertberechnung nach § 2049 BGB (1) Bedeutung Die agrarpolitisch motivierte Sonderregel des § 2049 BGB versucht, eine übermäßige, den Ertrag des Betriebs übersteigende finanzielle Belastung desjenigen zu verhindern, der als Erbe den landwirtschaftlichen Betrieb fortführt.2 Zu diesem Zweck werden die Rechte der Miterben in der Erbauseinandersetzung eingeschränkt. Der das Landgut übernehmende Erbe soll zudem bei der Auseinandersetzung nicht gezwungen sein, Teile des Betriebes zu veräußern oder mit hohen Zahlungsverpflichtungen zu belasten, die eine Betriebsfortführung wirtschaftlich unrentabel machen.3 § 2049 BGB ist gegenüber den im Einzelfall einschlägigen landesrechtlichen Sondererbrechten subsidiär (Art. 64 Abs. 1 EGBGB), greift also nur ein, wenn das in Rede stehende Landgut nicht einer landesrechtlichen Anerbenregelung unterliegt.4

27.74

§ 2049 Abs. 1 BGB enthält eine Auslegungsregel. Danach ist die Anordnung des Erblassers, 27.75 dass ein Miterbe das Recht haben soll, ein Landgut zu übernehmen, im Zweifel zugleich so zu verstehen, dass das Gut bei Übernahme mit dem Ertragswert auf den Erbteil anzurechnen ist.5 Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn kein anderer Wille des Erblassers feststellbar ist. Greift die Auslegungsregel ein, erfolgt die Bewertung des Landguts für die Berechnung von Ausgleichsansprüchen unter Miterben nicht unter Zugrundelegung des Verkehrs-, sondern des Ertragswertes.6 Die praktische Bedeutung der Privilegierung ist groß, da in der Landwirtschaft der Ertragswert regelmäßig unter dem Substanz- bzw. Liquidationswert liegt. Zwar entspricht die Ertragswertmethode durchaus dem bei der Bewertung von Betrieben und Unternehmen im Erbrecht Üblichen (s. dazu Rz. 27.38 ff.). Die Bedeutung der Wertprivilegierung der Landwirtschaft liegt aber darin, dass hier – anders als bei Unternehmen – der Liquidationswert nicht die Untergrenze bildet.7

27.76

(2) Voraussetzungen § 2049 BGB setzt voraus, dass sich im Nachlass ein Landgut befindet, dieses Landgut den Miterben durch Anordnung des Erblassers zugewandt worden ist und keine landesgesetzlichen Sonderregeln Anwendung finden. Liegen diese Voraussetzungen vor, besteht die Privi-

1 Zur Statistik s. Wellmann, ZErb 2010, 12 (12 f.). 2 Hähn in Damrau/Tanck, § 2049 BGB Rz. 1; Weidlich, ZEV 1996, 380; Wolf in Soergel, § 2049 BGB Rz. 1. 3 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 = MDR 1987, 212. 4 Überblick über die Rechtslage in den einzelnen Bundesländern bei J. Mayer in Staudinger, 2013, Art. 64 EGBGB Rz. 103 ff.; Wöhrmann/Graß, 11. Aufl. 2018, Einl. HöfeO Rz. 29-47. 5 Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2049 BGB Rz. 7; Lohmann in BeckOK-BGB, § 2049 BGB Rz. 3; Löhnig in Staudinger, 2016, § 2049 BGB Rz. 1. 6 OLG Celle v. 23.1.1961 – 7 Wlw 100/60, RdL 1961, 103; Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2049 BGB Rz. 9; Kipp/Coing, § 44 II. 2; Lange, Kap. 21 Rz. 42. 7 Kronthaler, S. 103.

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27.77

§ 27 Rz. 27.77

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

legierung darin, dass der Ertragswert anzusetzen ist, soweit er den Verkehrswert unterschreitet.

27.78 Unter einem Landgut i.S.v. § 2049 BGB ist eine Besitzung zu verstehen, die „eine zum selbstständigen dauerhaften Betrieb der Landwirtschaft einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit darstellt und mit den notwendigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist. Sie muss eine gewisse Größe erreichen und für den Inhaber eine selbstständige Nahrungsquelle darstellen. Dass eine Ackernahrung vorliegt, ist jedoch nicht erforderlich; eine Besitzung kann auch dann ein Landgut sein, wenn der Inhaber neben der Landwirtschaft einen anderen Beruf ausübt“.1 Damit entspricht der Begriff demjenigen in § 585 BGB; zum Landgut gehört stets auch das ihm dienende Zubehör (§§ 97, 98 BGB). Zur Konkretisierung des Zubehörbegriffs kann auf § 33 Abs. 2 BewG zurückgegriffen werden.

27.79 Weitere Voraussetzungen, wie etwa eine bestimmte Mindestgröße oder eine Mindestertragskraft werden vom BGB nicht gefordert.2 Auch braucht das Landgut eine Familie nicht unabhängig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage zu ernähren (sog. Ackernahrung).3 Allerdings muss ein erheblicher oder wesentlicher Teil des Einkommens aus der Landwirtschaft fließen;4 dies ist im Zweifelsfall durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln.5 Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen muss der Betrieb leistungsfähig sein. Dabei ist nicht endgültig geklärt, welche quantitativen Mindestgrößen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit herangezogen werden sollen.6 Der Betrieb kann jedenfalls grundsätzlich nebenberuflich geführt werden.7 Zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse muss es sich in jedem Fall um einen leistungsfähigen Betrieb handeln, der am Markt überlebensfähig ist.8 Am Merkmal der Selbstständigkeit fehlt es, wenn ein Landgut einem anderen landwirtschaftlichen Besitztum derart zugeordnet ist, dass die Bewirtschaftung ausschließlich von dem anderen Hof aus erfolgt und eine Änderung in der Bewirtschaftung mit dem Ziel einer eigenständigen Bewirtschaftung des zugeordneten Besitzes nicht beabsichtigt ist. Nicht abschließend geklärt ist 1 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414 (1416); BGH v. 12.1.1972 – IV ZR 124/70, MDR 1972, 496; BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (377) = MDR 1987, 212; BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 2 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (378) = MDR 1987, 212. Nach Wöhrmann/ Graß, § 2049 BGB Rz. 10 stößt die Privilegierung von Kleinstbetrieben unter 5.000 t auf verfassungsrechtliche Bedenken. Ausführlich zur Betriebsgröße: Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 137 EGBGB Rz. 26-33. 3 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414 (1416). 4 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770 (Bewirtschaftung von 5,6 ha Ackerland und 2,9 ha Wald als Nebentätigkeit genügt trotz teilweiser Verpachtung des Grundbesitzes und hohen Alters der Maschinen); BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (377 f.) = MDR 1987, 212; BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414 (1416) („selbstständige Nahrungsquelle“ nötig, „Ackernahrung“ nicht nötig; Bewirtschaftung als Nebentätigkeit genügt); OLG Stuttgart v. 30.12.1985 – 2 U 42/85, AgrarR 1986, 233 (Bewirtschaftung als Nebentätigkeit genügt, aber „selbstständige Nahrungsquelle“ nötig; 1,4 ha reichen nicht). 5 BGH v. 26.9.2007 – IV ZR 207/06, FamRZ 2008, 140. 6 Überblick über den Streitstand bei Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 137 EGBGB Rz. 34-47. 7 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (377) = MDR 1987, 212; BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770; OLG München v. 21.6.2006 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2006, 322. 8 OLG München v. 21.6.2006 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2006, 322; Pabsch, AgrarR 1994, 5; ähnlich Riedel in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, § 5 Rz. 251.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.84 § 27

jedoch, inwieweit das Merkmal der Leistungsfähigkeit anhand betriebswirtschaftlicher Kriterien bzw. Kennzahlen zu ermitteln ist. Kein Landgut im Sinne dieser Vorschrift ist jedenfalls derjenige Betrieb, der nicht auf der wesentlichen Betriebsgrundlage Grund und Boden bewirtschaftet, wie etwa ein Tierzuchtbetrieb im Sinne einer Agrarfarm, der Massentierhaltung betreibt und sein Futter weitestgehend zukauft. Hierbei handelt es sich um einen Gewerbebetrieb, der den allgemeinen rechtlichen Vorschriften unterliegt. Ebenso wenig stellen einzelne landwirtschaftliche Grundstücke ohne Verbund mit der Hofstelle ein Landgut dar. Verpachtete Betriebe fallen regelmäßig ebenfalls aus dem Bewertungssystem für die Landwirtschaft heraus.1

27.80

§ 2049 BGB verlangt, dass es zu einer Übernahme des Landguts durch den Erben gekommen ist. Dazu ist unerheblich, ob zum Zeitpunkt der Übernahme tatsächlich eine Bewirtschaftung stattfindet.2 Ausgeschlossen ist die Übernahme aber, wenn der Betrieb vollständig eingestellt wurde und eine Wiederaufnahme nicht ernsthaft geplant ist.3

27.81

bb) Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft Beim Wertausgleich zwischen den Miterben wird für das Landgut der Ertragswert in Ansatz gebracht. Das Landgut fällt mithin zunächst – anders als bei der Hoferbfolge – der Erbengemeinschaft an. Der übernahmeberechtigte Erbe kann sodann von der Erbengemeinschaft die Einräumung des Alleineigentums am Landgut verlangen. Inhaltlich kann die Anordnung nach § 2049 Abs. 1 BGB den Rechtscharakter einer Teilungsanordnung, eines Vorausvermächtnisses oder auch einer Erbeinsetzung besitzen. Letzteres dürfte der Fall sein, wenn das Landgut den wesentlichen Nachlassgegenstand darstellt; zumeist handelt es sich aber wohl um eine Teilungsanordnung.4 Ein bloßes Vermächtnis reicht nicht aus.

27.82

Die Ermittlung des Ertragswertes führt zum einen dazu, dass das Landgut insgesamt bewer- 27.83 tet wird und nicht etwa seine einzelnen Bestandteile. Zum anderen gelangen Arbeitseinkommen nicht zur Verteilung, da der Lohnanspruch des Landwirts vorweg zuerkannt wird. Wird dann noch, wie in der Praxis durchaus üblich, die Abfindung in Raten abgegolten, kommt es zu einer erheblichen Besserstellung des das Landgut übernehmenden Miterben. cc) Berechnung der Abfindung (1) Begriff des Ertragswertes Zur Berechnung der Abfindung der Miterben und zur Bewertung des Erbteils des Übernehmers ist der Ertragswert zugrunde zu legen, solange nicht der Verkehrswert ausnahmsweise niedriger als der Ertragswert ist. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass der „wirkliche Wert“ eines Landguts nur im Ertragswert liegen könne, da der Hoferbe das Landgut weiterbetreibt. Entsprechend dem Gedanken des Familienerbrechts des BGB soll das Landgut grundsätzlich in der Familie erhalten bleiben. Der Ertragswert ist daher vom wirklichen Wert 1 Kronthaler, S. 105 f.; vgl. auch Kegel in FS Cohn, S. 85 (111) zu § 2312 BGB. 2 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770 (770 f.); Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2312 BGB Rz. 15 (zum Pflichtteilsrecht). 3 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (378) = MDR 1987, 212; OLG München v. 14.1.2003 – 23 U 1830/02, NJW-RR 2003, 1518 (1519); Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 137 EGBGB Rz. 50. 4 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (169 ff.); Hähn in Damrau/Tanck, § 2049 BGB Rz. 21; Lange, Kap. 21 Rz. 41 f.

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27.84

§ 27 Rz. 27.84

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

zu unterscheiden, der ansonsten im Erbrecht maßgeblich ist und sich grundsätzlich nach dem Verkaufserlös richtet (s. dazu Rz. 27.35 ff.).

27.85 Nach den dürftigen Aussagen des § 2049 Abs. 2 BGB1 richtet sich der Ertragswert an dem bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung des konkreten Landguts in seiner bisherigen Bestimmung nachhaltig erzielbaren Reinertrag aus. Da auf die bisherige wirtschaftliche Bestimmung abgestellt wird, darf eine mögliche Veränderung der Bewirtschaftungsweise nicht berücksichtigt werden. Mit dem Begriff der Nachhaltigkeit ist gemeint, dass sowohl ein Raubbau als auch eine Misswirtschaft unberücksichtigt bleiben. (2) Grundlagen des Ertragswertes

27.86 Damit der Ertragswert eines Landguts errechnet werden kann, muss unterstellt werden, dass der Betrieb künftig Erträge erwirtschaftet. Der Ertragswert wird durch Abdiskontierung der zukünftig zu erwartenden Reinerträge ermittelt. Gleichwohl handelt es sich um einen (nur teilweise definierten) Rechtsbegriff.

27.87 Nicht selten weist ein landwirtschaftlicher Betrieb einen negativen Reinertrag auf.2 Würde man in einem solchen Fall strenge Anforderungen an das Kriterium der Lebensfähigkeit stellen, schiede die Ertragswertermittlung ohnehin schon aus, da der Betrieb aus dem landwirtschaftlichen Sondererbrecht herauszunehmen ist. Dies ist jedoch in der Literatur sehr umstritten.3 In der Rechtsprechung sind bislang keine Kriterien entwickelt worden, anhand derer die Frage beantwortet werden kann, welche Erträge ein Betrieb erwirtschaften muss, um als leistungsfähig zu gelten.4 Zu beachten ist auch, dass nicht selten der negative Reinertrag allein daraus resultiert, dass beträchtliche Lohnansprüche angesetzt werden.5 Letztlich entstehen durch den großzügigen Ansatz des Reinertrags negative Folgen für die weichenden Erben, die verfassungsrechtlich zu legitimieren sind.6 (3) Ermittlung des Ertragswertes (a) Rechtliche Grundlagen

27.88 § 2049 BGB enthält lediglich eine gesetzliche Umschreibung derjenigen Merkmale, die den Ertragswert kennzeichnen sollen: die bisherige wirtschaftliche Bestimmung des Landguts, seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung und der daraus nachhaltig erzielbare Reinertrag. Die Vorschrift schreibt jedoch weder vor, wie sich der Reinertrag im Einzelnen anhand dieser Merkmale beurteilt, noch wie der Ertragswert auf der Grundlage eines jährlichen Reinertrags genau errechnet werden soll. Festzuhalten ist allerdings, dass es für die Ermittlung des Reinertrags auf eine objektivierte ordnungsgemäße Bewirtschaftung ankommt.7 Ferner hat die Bewer1 Vgl. Rißmann in BeckOGK, 1.11.2018, § 2049 BGB Rz. 16. 2 Pabsch, AgrarR 1994, 5 (10). 3 Vgl. die Nachweise bei Kempfler, ZEV 2011, 337 (339 f.). Teilweise behilft man sich bei negativem Reinertrag mit dem Ansatz des Pachtzinses, der zu erzielen wäre, wenn der Betrieb und das Wohnhaus verpachtet würden. 4 Wöhrmann/Graß, § 2049 BGB Rz. 9 f.; weiterführend Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 137 EGBGB Rz. 26 ff. 5 Blum in BeckOGK, 15.9.2017, § 2312 BGB Rz. 17.3 schlägt daher vor, den Lohnanspruch des Übernehmers auf das Sozialhilfeniveau zu reduzieren. 6 Vgl. Bewer, AgrarR 1976, 273 (275): „Reinertragslose Höfe werden durch rechnerische Gewalttat in Ertragswertimage versetzt.“ 7 Rißmann in BeckOGK, 1.11.2018, § 2049 BGB Rz. 18; Ruby, ZEV 2007, 263 (265).

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.92 § 27

tung sachgerecht zu erfolgen. Da mit der Anwendung des § 2049 BGB eine Benachteiligung der übrigen Erben einhergeht, müssen die tatsächlichen Verhältnisse bestmöglich und aktuell erfasst werden.1 Das BVerfG hat diesbezüglich ausgeführt: „§ 2049 Abs. 2 BGB stellt sich (…) als unvollkommene Bewertungsanweisung dar, die im Bereich der Feststellung des Reinertrags Streitfragen zur Berücksichtigung bestimmter Faktoren entstehen läßt (…). Vor allem aber läßt § 2049 Abs. 2 BGB offen, welcher Vervielfältiger für die Festsetzung des Ertragswertes anzuwenden ist. Ohne eine solche gesetzliche Regelung ist bei jeder einzelnen Wertfestsetzung der nach den örtlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in Betracht kommende Kapitalisierungsfaktor zu ermitteln; dies kann divergierende Entscheidungen und Rechtsunsicherheit auslösen. Es ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber Raum für eine normative Ergänzung des § 2049 Abs. 2 BGB gelassen hat; Art. 137 EGBGB ist somit dahin zu verstehen, daß er diese den Ländern vorbehält.“2

27.89

Dieser Aufgabe sind die Länder allerdings nicht gerecht geworden. Die besagten landesrechtlichen Vorschriften schweigen vielmehr zu der Frage, wie der Ertragswert im Einzelnen festzustellen ist. Sie legen lediglich den Kapitalisierungsfaktor fest, um den der Reinertrag zu vervielfältigen ist. Auf diesem Wege gelangt man zu dem Ertragswert. Vom Vorbehalt zugunsten des Landesrechts (Art. 137 EGBGB) nicht mehr gedeckt sind solche Regelungen, die den Ertragswert von Landgütern auf der Grundlage des steuerlichen Einheitswertes errechnen, auch wenn dieser sich letztlich wieder am Reinertrag orientiert. So ist nach dem BVerfG § 23 SchlHAGBGB a.F. mit Art. 137 EGBGB und § 2049 Abs. 2 BGB nicht vereinbar, weil die steuerliche Einheitsbewertung eine von der erbrechtlichen Nachlassbewertung grundsätzlich abweichende Zielsetzung hat.3

27.90

(b) Praxis der Ermittlung des Reinertrags Da somit rechtliche Kategorien nur unvollständig existieren, haben sich in der Praxis betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden weitgehend durchgesetzt.4 Der Ertragswert ist nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags. Die Feststellung des Ertragswertes basiert auf einer Zukunftsprognose, die allerdings zur Ermittlung auf die Datenlage zur bisherigen Bewirtschaftung zurückgreifen muss.5 Kommt es also auf die bisherige Bestimmung als Landgut an, ermittelt sich der Ertragswert aus einem Mehrfachen desjenigen Reinertrags, den das konkrete Landgut bei objektiv ordnungsgemäßer Bewirtschaftung nachhaltig gewähren kann, wobei auch naheliegende zukünftige Entwicklungen einbezogen werden dürfen. Dies gilt selbst dann, wenn eine solche objektiv ordnungsgemäße Bewirtschaftung bislang nicht erfolgt ist.

27.91

Grundsätzlich kann der Reinertrag im Wege der Ertrags-Aufwands-Rechnung, mittels Durch- 27.92 führung einer Deckungsbeitragsrechnung oder durch Ableitung aus dem Durchschnitt von Vergleichsbetrieben ermittelt werden. Die steuerlichen Bewertungsgrundsätze sind allenfalls 1 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132 (149); OLG Düsseldorf v. 27.9.1985 – 7 UF 12/85, FamRZ 1986, 168 = AgrarR 1986, 168. 2 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132 (146); vgl. auch BVerfG v. 16.10.1984 – 1 BvL 17/80, BVerfGE 67, 348 (362 ff.) = MDR 1985, 642 zum Zugewinnausgleich. 3 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132. 4 Dazu sehr krit. Wöhrmann/Graß, § 2049 BGB Rz. 77: „willkürlich anmutende, kaum vorhersehbare und unterschiedliche Ergebnisse.“ 5 Köhne, AgrarR 1984, 57.

Lange 899

§ 27 Rz. 27.92

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

ergänzend heranzuziehen; eine Ermittlung rein nach den steuerlichen Bewertungsvorschriften wäre verfassungswidrig.1 Nicht ausreichend ist es ferner, den steuerlichen Betriebsabschluss heranzuziehen, da dieser infolge steuerlicher Verzerrungen keine hinreichende Grundlage bietet.2 Zur Bestimmung des Reinertrags findet sich in der einschlägigen Literatur nur Weniges;3 eine gewisse Bedeutung hat in der jüngeren Vergangenheit der Leitfaden der Deutschen Gesellschaft für Agrarrecht (DGAR) aus dem Jahr 1994 erlangt.4

27.93 Unter dem Reinertrag ist eine Erfolgskennziffer für landwirtschaftliche Betriebe zu verstehen, in dessen Ermittlung nur diejenigen Erträge und Aufwendungen eingehen, die mit dem Betrieb in Zusammenhang stehen. Da der Reinertrag als Entlohnung der eingesetzten Produktionsfaktoren verstanden wird, ist er von den Eigentumsverhältnissen losgelöst (Pacht, Leasing). § 2049 BGB spricht vom Reinertrag, weshalb die entsprechenden Kosten und Betriebsausgaben ebenso vorab abzuziehen sind, wie die Rücklagen für künftig erforderliche Reparaturen bzw. die Anschaffung von notwendigem Inventar.

27.94 Zumeist wird ausgeführt, der Reinertrag sei durch Abzug des betrieblichen Aufwands vom Rohertrag zu ermitteln.5 In jedem Fall ist gesetzlich gefordert, dass vom nachhaltigen Ertrag in Form eines Zukunftsertrags auszugehen ist, dem üblicherweise der Durchschnitt der Erträge der letzten Jahre zugrunde gelegt wird. Da es auf die „ordnungsgemäße“ Bewirtschaftung ankommt, ist ein gänzlich individuelles Verfahren abzulehnen. Zu ermitteln ist vielmehr der Reinertrag, der nach Produktionskapazität und Faktorausstattung des Betriebs objektiv erzielbar ist.6 In die Ermittlung des Reinertrags sind staatliche Subventionen jedenfalls dann einzubeziehen, wenn sie betriebs- und/oder produktionsbezogen gewährt werden.7

27.95 Ist der Rohertrag ermittelt, ist der betriebliche Aufwand zu erfassen und in Abzug zu bringen. Betrieblicher Aufwand sind sämtliche betriebliche Kosten, einschließlich der Abschreibungen.8 Abzusetzen sind neben den tatsächlich anfallenden Löhnen auch die Lohnansprüche des Betriebsinhabers und seiner mitarbeitenden Familienangehörigen, selbst wenn diese im konkreten Fall nicht entlohnt werden.9 Wirtschaftet das Landgut mit Fremdkapital, sind Fremdzinsen nicht vom Reinertrag in Abzug zu bringen. Fremdkapital wird im Rahmen der

1 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132 (150 ff.) zu § 36 BewG (keine schematische Ermittlung nach Durchschnitts- oder Vergleichswerten); OLG Düsseldorf v. 27.9.1985 – 7 UF 12/85, FamRZ 1986, 168 = AgrarR 1986, 168; Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 137 EGBGB Rz. 36; Wolf in Soergel, § 2049 BGB Rz. 1. Für eine Orientierung an bewertungsrechtlichen Grundsätzen tendenziell Wöhrmann/Graß, § 2049 BGB Rz. 85. Unzutreffend daher Lohmann in BeckOK-BGB, § 2049 BGB Rz. 4, wonach bei Fehlen einer landesgesetzlichen Regelung auf § 36 Abs. 2 S. 3 BewG zurückzugreifen sei. 2 Köhne, AgrarR 1984, 57 (58). 3 Vgl. aber Köhne, AgrarR 1982, 29 (30 f.); Müller-Feldhammer, ZEV 1995, 161 (163); Wöhrmann/ Graß, § 2049 BGB Rz. 78 ff. 4 Siehe dazu Pabsch, AgrarR 1994, 5. 5 Kempfler, ZEV 2011, 337 (338); Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 220 ff.; Müller-Feldhammer, ZEV 1995, 161 (163 f.). 6 Bewer, AgrarR 1967, 273 (275). 7 OLG Celle v. 3.7.2003 – 6 U 46/03, FamRZ 2004, 1823 (1825); Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2049 BGB Rz. 11; Kronthaler, S. 174 f.; Pabsch, AgrarR 1994, 5 (8). 8 OLG Celle v. 10.10.2007 – 7 U 62/06, ZEV 2009, 141 (142). 9 OLG Celle v. 10.10.2007 – 7 U 62/06, ZEV 2009, 141 (142).

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.99 § 27

Erbauseinandersetzung als Teil der Nachlassschulden betrachtet, die gesondert berücksichtigt werden.1 Um den Kapitalisierungsfaktor nicht in jedem Einzelfall nach den örtlichen Verhältnissen ermitteln zu müssen, kann § 2049 Abs. 2 BGB nach Art. 137 EGBGB landesrechtlich dahin ergänzt werden, wie vom Reinertrag der Ertragswert errechnet wird.2 Dies ist in zahlreichen Bundesländern geschehen, die zur Berechnung des Ertragswertes unterschiedliche Multiplikatoren für den Reinertrag vorsehen, aus denen sich der für die Bewertung zugrunde zu legende Ertragswert errechnet. Je nach Bundesland wird teilweise das 25-fache, teilweise das 18-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert angenommen.3 Aufgrund der landesrechtlichen Multiplikatoren potenziert sich jeder Fehler zwangsläufig nach unten oder nach oben.

27.96

Darüber hinaus fehlen gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der konkreten Berechnung. Einigkeit besteht darin, dass die örtlichen und individuellen Verhältnisse des konkreten Landguts zugrunde zu legen sind. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Auseinandersetzung.4 Zwar spricht § 2049 BGB davon, dass der Ertragswert nachhaltig zu erzielen ist. Umstritten ist aber, wie groß der Zeitraum sein muss, um Extrem- und Zufallswerte ausschließen zu können. Teilweise wird auf die letzten zehn Jahre vor dem Erbfall abgestellt; andere Stimmen lassen schon drei Jahre für eine hinreichende Datenfundierung ausreichen.5

27.97

Vereinzelt finden sich in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung weitere Hinweise zur Ermittlung des Reinertrags, wobei allerdings Zurückhaltung mit vorschnellen Verallgemeinerungen angebracht ist. So hat das OLG Celle ausgeführt: „Der Ertragswert bestimmt sich nach dem Reinertrag. Der Reinertrag wird durch Abzug des betrieblichen Aufwands vom Rohertrag ermittelt, wobei die Ermittlungsgrundlagen der bisherigen Bewirtschaftung zu entnehmen sind. Zum Aufwand zählen insbesondere alle betrieblichen Kosten (z. B. Löhne und Abschreibungen für betrieblich genutzte Wirtschaftsgüter). In Abzug zu bringen ist auch ein Lohnanspruch des Betriebsinhabers und seiner nicht entlohnten, mitarbeitenden Familienangehörigen“.6 Das OLG Koblenz hat in einer Entscheidung die Anwendung der Deckungsbeitragsrechnung zur Ermittlung des Reinertrags als „realistisch“ gebilligt.7

27.98

dd) Ertragswert und Abfindung Zu beachten ist, dass im Falle der Anwendbarkeit des § 2049 BGB nur diejenigen Vermögenspositionen mit dem Ertragswert in Ansatz gebracht werden können, die dem Landgut zuzurechnen sind. Weitere Posten, die der Erwerber ebenfalls geerbt hat und die nicht zum Landgut zählen, sind nach den allgemeinen Vorschriften mit dem Verkehrswert zu bewerten

1 Köhne, AgrarR 1984, 57 (59). 2 Übersicht bei Mayer-Klenk, ErbR 2008, 311 (313); Ruby, ZEV 2007, 263 (265 f.). 3 Dazu Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 137 EGBGB Rz. 55 ff.; Mayer-Klenk, ErbR 2008, 311 (313); Wöhrmann/Graß, § 2049 Rz. 87-103; in Niedersachsen ist es das 17-fache. 4 Stein in Soergel, § 2049 BGB Rz. 4. 5 Etwa Mayer-Klenk, ErbR 2008, 311 (312): 3-5 Jahre. 6 OLG Celle v. 10.10.2007 – 7 U 62/06, ZEV 2009, 141 (142). 7 OLG Koblenz v. 21.7.1987 – 3 WLw 6/86, AgrarR 1988, 45; vgl. auch OLG München v. 18.3.2009 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZEV 2009, 301 m. Anm. Kempfler, ZEV 2010, 415; dort wurde ein Sachverständigengutachten vorgelegt, das auf der Deckungsbeitragsrechnung beruhte.

Lange 901

27.99

§ 27 Rz. 27.99

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

(Wertpapiere, fremdvermietete Immobilien, Bauland,1 nicht betriebsnotwendiges Vermögen etc.). Dies gilt auch für solche Vermögensbestandteile, die sich ohne Gefahr für die dauernde Lebensfähigkeit des Landguts herauslösen lassen.2 Es ist daher unverzichtbar, dass eine Bestandsaufnahme und eine Abgrenzung der Vermögensposten vorgenommen werden, bevor bewertet wird.3 Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang die Abgrenzung zu anderen Einkunftsquellen. Während Nebenbetriebe (Hofladen etc.) in den Ertragswert des landwirtschaftlichen Betriebs einbezogen werden, sind Einkünfte aus abtrennbaren oder Zusatzbetrieben (Campingplatz) nicht der Landwirtschaft hinzuzurechnen.4 Zu beachten ist, dass insoweit eine rechtliche Betrachtungsweise anzuwenden ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob eine Vermögensposition nach den GoB üblicherweise dem Betrieb zuzurechnen ist, sondern darauf, ob sie rechtlich zum Betriebsvermögen i.S.v. § 2049 BGB zählt. Anders als die HöfeO kennt das BGB keinen Nachabfindungsanspruch; er kann allerdings vertraglich vereinbart werden.5 ee) Darlegungs- und Beweislast

27.100 Die Erfassung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Landguteigenschaft ist nicht selten zwischen den Parteien umstritten. Vergleichbares gilt für die Grundlagen der Landgutbewertung. Dabei ist von dem prozessualen Grundsatz auszugehen, dass der Anspruchsteller sämtliche tatsächlichen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen hat. Allerdings wird es bei § 2049 BGB häufig so sein, dass ein weichender Miterbe die Klägerrolle einnimmt, etwa weil er eine Abfindung zum Verkehrswert begehrt. Der das Landgut übernehmende Miterbe wird sich auf die Landguteigenschaft und auf die sonstigen Voraussetzungen des § 2049 BGB berufen und eine Abfindung zum Ertragswert anbieten. § 2049 BGB stellt daher eine Ausnahmevorschrift im System der Miterbenauseinandersetzung dar, da ohne das Landgut die Ausgleichung zum Verkehrswert oder die Realteilung vorzunehmen wäre. Daher muss derjenige, der sich auf die Begünstigungen der Vorschrift beruft, deren tatsächliche Voraussetzungen darlegen und beweisen.6 Sodann obliegt es dem Tatrichter festzustellen, ob im Einzelfall ein zur Fortführung geeigneter landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden und ob die Fortführung durch den Übernehmer gesichert ist.7 c) Landgutbewertung im Pflichtteilsrecht aa) Bedeutung

27.101 Eine wichtige agrarpolitische Schutzvorschrift im Rahmen des Pflichtteilsrechts findet sich in § 2312 BGB. Die Norm soll demjenigen Übernehmer eines Landguts, der selbst zum Kreis pflichtteilsberechtigter Personen gehören muss (vgl. § 2312 Abs. 3 BGB), die Fortführung des ererbten Betriebs dadurch erleichtern, dass gegen ihn gerichtete Pflichtteilsansprüche 1 Baureife Grundstücke sind nicht mit dem Ertragswert, sondern mit ihrem Normalverkaufswert anzusetzen, wenn sie nicht betriebsnotwendig sind; BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 (388 f.) = MDR 1987, 389. 2 BGH v. 9.10.1991 – IV ZR 259/90, FamRZ 1992, 172 (173) = MDR 1992, 56; Lohr/Prettl in Schlitt/ Müller, § 4 Rz. 207. 3 Köhne, AgrarR 1982, 29 (29 f.). 4 Pabsch, AgrarR 1994, 5 (7 f.). 5 Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2049 BGB Rz. 6. 6 Hähn in Damrau/Tanck, § 2049 BGB Rz. 42; Kipp/Coing, § 44 II. 2; Kronthaler, S. 116 f. 7 BGH v. 27.9.1989 – IVb ZR 75/88, NJW-RR 1990, 68 (69) = MDR 1990, 227; BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.104 § 27

nicht auf der Grundlage des am Verkaufswert orientierten Schätzungswertes, sondern des in der Regel niedrigeren Ertragswertes berechnet werden. Auf diese Weise soll im Interesse der Allgemeinheit eine gesunde Agrarstruktur erhalten bleiben.1 Anders als bei der Pflichtteilsberechnung sonst üblich, bildet der Liquidationswert nicht die untere Grenze der Wertermittlung (vgl. dazu Rz. 27.34). § 2312 BGB ist auch dann anzuwenden, wenn das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers übergeben wurde und gegen den Übernehmer Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. §§ 2325 ff. BGB geltend gemacht werden.2 Für den Geltungsbereich der höferechtlichen Sondererbfolge enthalten die HöfeO sowie die Anerbengesetze einzelner Bundesländer noch weitergehende Schutzbestimmungen zugunsten des Hoferben.3 Im Anwendungsbereich der landwirtschaftlichen Sondererbfolge nach diesen Bestimmungen i.S.v. Art. 64 EGBGB findet § 2312 BGB keine Anwendung. Der Hofeigentümer kann jedoch durch negative Hoferklärung die Löschung des Hofvermerks bewirken mit der Folge, dass dann das Landguterbrecht des BGB zur Anwendung gelangt.4

27.102

bb) Voraussetzungen für die Ertragswertberechnung (1) Persönlicher Anwendungsbereich Damit für die Pflichtteilsberechnung das Ertragswertverfahren herangezogen werden kann, muss der das Landgut erwerbende Erbe zu dem Kreis der in § 2303 BGB bezeichneten, grundsätzlich pflichtteilsberechtigten Personen zählen (§ 2312 Abs. 3 BGB).5 Die persönlichen Voraussetzungen des § 2312 Abs. 3 BGB sind daher namentlich nicht erfüllt, wenn dem Übernehmer das Landgut in Form eines Vermächtnisses zugewandt wird6 oder wenn es sich bei dem Erben um den Bruder oder die Schwester des Erblassers handelt.

27.103

§ 2312 BGB ist nicht anwendbar, wenn mehrere Pflichtteilsberechtigte das Landgut zu Bruchteilen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erhalten, da die Vorschrift weder vom Wortlaut noch nach dem Zweck auf den Fall anwendbar ist, dass mehrere das Landgut übernehmen.7 Gehört zum Nachlass ein gütergemeinschaftlicher Anteil an einem Landgut, ist § 2312 BGB hingegen anwendbar.8 Gleiches gilt für den Fall, dass bei einer Übergabe an ein Kind dessen Ehegatte nach § 1416 Abs. 1 Satz 2 BGB Miteigentum kraft Gesetzes erwirbt.9

27.104

1 Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2312 BGB Rz. 1; Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 203; Ruby, ZEV 2006, 351. 2 BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 113/94, MDR 1995, 288 = NJW 1995, 1352; BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414 (1415); BGH v. 15.4.1964 – V ZR 105/62, NJW 1964, 1323; OLG Jena 8.3.2006 – 2 U 762/05, NJW-RR 2006, 951 (952); Weidlich, ZEV 1996, 380 (381). 3 Söbbeke, ZEV 2006, 395 (395 ff.); zur HöfeO s. unten Rz. 27.114 ff. 4 Kempfler, ZEV 2011, 337 (338); Ruby, ZEV 2006, 351 (352). 5 Nicht erforderlich ist, dass der Übernehmer gem. § 2309 BGB in concreto auch wirklich pflichtteilsberechtigt ist, vgl. BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414 (1415); Dieckmann in Soergel, § 2312 BGB Rz. 4. 6 Herzog in Staudinger, 2015, § 2312 BGB Rz. 8; Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2312 BGB Rz. 10. Für eine analoge Anwendung, wenn das Vermächtnis zum Ausgleich des gesetzlichen Pflichtteils ausgesprochen wurde: OLG München v. 18.3.2009 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2009, 182. 7 BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157/71, NJW 1973, 995 (995 f.); BGH 15.12.1976 – IV ZR 27/75, FamRZ 1977, 195; Dieckmann in Soergel, § 2312 BGB Rz. 8. 8 BGH v. 5.5.1983 – III ZR 57/82, FamRZ 1983, 1220 (1221) = MDR 1984, 204. 9 Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2312 BGB Rz. 6; Weidlich, ZEV 1996, 380 (382).

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§ 27 Rz. 27.105

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

27.105 § 2312 Abs. 1 BGB betrifft den Fall, dass der Erblasser mehrere Erben hinterlässt und die Anordnung getroffen hat, dass ein Miterbe das Recht haben soll, ein zum Nachlass gehörendes Landgut zu übernehmen. In diesem Falle ist nach § 2049 Abs. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, dass bei der Erbteilung das Landgut zum Ertragswert angesetzt werden soll. Macht der Erbe von seinem Übernahmerecht Gebrauch und gehört er außerdem selbst zum Kreis pflichtteilsberechtigter Personen, so ist der Ertragswert auch für die Berechnung des Pflichtteils (des Übernehmers selbst und der übrigen Pflichtteilsberechtigten) heranzuziehen.

27.106 § 2312 Abs. 2 BGB erfasst die Konstellation, in der der Erblasser nur einen Alleinerben hinterlässt. In diesem Fall kann er anordnen, dass an die Stelle des Schätzungswertes (§ 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB) der Ertragswert für die Pflichtteilsberechnung tritt.1 Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Anordnung des Erblassers sind auch hier, dass der Erbe erstens zum Kreis pflichtteilsberechtigter Personen gehört und zweitens dass er das Landgut übernimmt (§ 2312 Abs. 3 BGB).

27.107 Ist der Übernehmer des Landguts nicht Erbe geworden, stellt sich die Frage, ob der Ergänzungspflichtteil „gespalten“ zu berechnen ist, also nach dem Verkehrswert des Landguts, soweit der Erbe nach § 2325 BGB auf Ergänzung in Anspruch genommen wird und nach dem Ertragswert, soweit der Übernehmer als Beschenkter nach § 2329 BGB haftet. Es erscheint von der ratio legis her überzeugender, wenn bei der Berechnung des Ergänzungsanspruchs einheitlich der Ertragswert angesetzt wird.2 (2) Sachlicher Anwendungsbereich

27.108 Das BGB, welches den Begriff „Landgut“ u.a. auch in den §§ 98, 585 ff., 1515 u. 2049 BGB verwendet, bestimmt den Begriff nicht; zur Begriffsbestimmung ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen (s. Rz. 27.77 ff.). Für die Einordnung als Landgut kommt es auf die Verhältnisse zur Zeit des Erbfalls an.3 Voraussetzung ist daher, dass das Landgut nicht vor dem Erbfall aufgegeben wurde. Befindet sich im Nachlass eine landwirtschaftliche Besitzung, die kein Hof gem. HöfeO und auch kein Landgut gem. § 2312 BGB ist, dann ist für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen der Verkehrswert zu ermitteln.4 Zur Übernahme des Landguts ist erforderlich, dass die Wirtschaftseinheit fortgeführt wird. Darunter ist eine Fortführungsabsicht oder wenigstens der Wille zu verstehen, die Betriebsausübung wieder aufzunehmen. Keine Übernahme liegt daher vor, wenn der Erbe in absehbarer Zeit plant, das Landgut insgesamt oder in seinen wesentlichen Teilen zu veräußern bzw. die Landwirtschaft endgültig aufzugeben. Der auf den Pflichtteil in Anspruch genommene Erbe hat darzulegen und zu beweisen, dass die Bewirtschaftung möglich und beabsichtigt ist.5

1 Die Anordnung muss sich aus dem Testament ergeben, BGH v. 4.7.1975 – IV ZR 3/74, NJW 1975, 1831 (1832); OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410 (2410 f.). 2 OLG Jena v. 8.3.2006 – 2 U 762/05, ZEV 2007, 531 m. krit. Anm. Ruby; Dieckmann in Soergel, § 2312 BGB Rz. 6; Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2312 BGB Rz. 11. 3 BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 113/94, MDR 1995, 288 = ZEV 1995, 74; OLG München v. 18.3.2009 – 20 U 2160/06, ZErb 2009, 182 (183) = FamRZ 2007, 507; OLG München v. 21.6.2006 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2006, 322. 4 OLG Hamm v. 10.4.2014 – 10 U 35/13, ZEV 2014, 387 (nur LS). 5 BGH v. 27.9.1989 – IVb ZR 75/88, NJW-RR 1990, 68 (69) = MDR 1990, 227; OLG München v. 21.6.2006 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2006, 322; OLG Oldenburg v. 12.1.1999 – 5 U 129/98, RdL 2000, 12.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.111 § 27

Dazu ist stets objektiv das Vorhandensein eines geeigneten landwirtschaftlichen Betriebs nachzuweisen.1 cc) Die Ertragswertberechnung Nach § 2312 Abs. 1 BGB ist bei der Berechnung des Landguts für die Pflichtteilsermittlung auf § 2049 BGB zurückzugreifen. Der Ertragswert errechnet sich daher aus der angemessenen Kapitalisierung desjenigen Reinertrags, den das Landgut unter Zugrundelegung seiner bisherigen Nutzung bei einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung nachhaltig gewähren kann (§ 2049 Abs. 2 BGB).2 Der Reinertrag wird durch Abzug des betrieblichen Aufwands vom Rohertrag ermittelt, wobei vom nachhaltigen Ertrag (Zukunftsertrag) auszugehen ist, der sich aus dem Durchschnitt der letzten Jahre errechnet.3 Zur Ermittlung des Reinertrags kann auch hier die Deckungsbeitragsrechnung herangezogen werden.4 Einen Mindestertragswert kennt § 2312 BGB nicht; Näheres (vgl. Art. 137 EGBGB) bleibt dem Landesrecht vorbehalten (s. Rz. 27.96).

27.109

Hat der Erblasser im Falle von § 2312 Abs. 1 BGB einen anderen Übernahmepreis bestimmt, ist dieser maßgebend, wenn er den Ertragswert erreicht und den Schätzungswert nicht übersteigt.5 Ein Unterschreiten des Ertragswertes würde den Pflichtteilsberechtigten unzulässigerweise benachteiligen, während ein Überschreiten des Schätzungswertes entgegen dem mutmaßlichen Willen des Erblassers (der ja lediglich den Übernahmepreis festgelegt hat) den Nachfolger im Landgut benachteiligt. Gleiches gilt grundsätzlich auch im Falle von § 2312 Abs. 2 BGB. Hat hier allerdings der Erblasser für die Pflichtteilsberechnung einen Wert festgesetzt, der den Schätzungswert übersteigt, so kann in dieser Bestimmung eine zulässige vermächtnisweise Bedenkung liegen.

27.110

2. Besonderheiten nach dem GrdstVG Erbt eine Erbengemeinschaft aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen landwirtschaftlichen Betrieb, kann unter den Voraussetzungen der §§ 13 ff. GrdstVG eine gerichtliche Zuweisung des ungeteilten Hofs an einen Miterben erfolgen. Die Zuweisung ist nur zulässig, wenn der Betrieb mit einer zur Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle versehen ist und seine Erträge im Wesentlichen zum Unterhalt einer bäuerlichen Familie ausreichen (§ 14 Abs. 1 GrdstVG), was eine gewisse Mindestgröße voraussetzt. Den weichenden Miterben steht ein von Amts wegen festzusetzender Abfindungsanspruch in Geld zu. Zur Höhe wird auf den Ertragswert nach § 2049 Abs. 2 BGB verwiesen (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 GrdstVG).6 Soweit also die §§ 13 ff. GrdstVG keine Sondervorschriften enthalten, gilt das oben zu § 2049 BGB Ausgeführte (s. Rz. 27.88 ff.). Damit entsteht für die Miterben ein Abfindungsanspruch in Geld, der dem Wert ihres Anteils am Betrieb entspricht und der sich nach dem Ertragswert bemisst. Das Zuweisungsverfahren kennt zudem mit § 17 GrdstVG einen Nachabfindungsanspruch. 1 Kempfler, ZEV 2011, 337 (341); auch J. Mayer, MittBayNot 2004, 334 (338) unter Berufung auf BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 2 Lohr/Prettl in Schlitt/Müller, § 4 Rz. 213 ff.; Müller-Feldhammer, ZEV 1995, 161 (163). Zum Umgang mit einem negativen Reinertrag OLG München v. 18.3.2009 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2009, 182; Kempfler, ZEV 2011, 337 (339 f.). 3 OLG Celle v. 10.10.2007 – 7 U 62/06, ZEV 2009, 141; vgl. auch BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 548/14, NJW-RR 2016, 1217 zur Ertragswertberechnung bei Zugewinnausgleich. 4 OLG Koblenz v. 21.7.1987 – 3 WLw 6/86, AgrarR 1988, 45; OLG München v. 18.3.2009 – 20 U 2160/06, FamRZ 2007, 507 = ZErb 2009, 182. 5 Blum in BeckOGK, 15.9.2017, § 2312 BGB Rz. 20. 6 Lange, Kap. 21 Rz. 38-40; Steffen, RdL 1980, 143.

Lange 905

27.111

§ 27 Rz. 27.112

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

27.112 Im Rahmen des Zuweisungsverfahrens erfolgt die ungeteilte Zuweisung einschließlich sämtlicher für den Betrieb erforderlicher Grundstücke an den Miterben. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GrdstVG sind davon solche Grundstücke auszuklammern, von denen nach Lage und Beschaffenheit anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werden. Sie sind dem hoffreien Nachlass zuzuordnen.

27.113 Bei der Gewinnermittlung ist zu beachten, dass Zinsen für Fremdkapital, das im Zeitpunkt der Zuweisung auf dem Hof lastet, nicht als Aufwand abgesetzt werden dürfen, denn § 14 Abs. 1 Satz 1 GrdstVG verlangt, dass privatrechtliche Belastungen unberücksichtigt bleiben. Entsprechendes gilt für Tilgungen für das mitübernommene Fremdkapital.1 Erträge aus zugepachtetem Land sind nur dann als Erträge des Betriebs anzusehen, solange als gesichert erscheint, dass das zugepachtete Land oder anderes gleichwertiges Pachtland dem Erwerber zur Bewirtschaftung zur Verfügung stehen wird (§ 14 Abs. 1 Satz 2 GrdstVG). 3. Landgutbewertung nach Höferecht a) Bedeutung

27.114 In den Gebieten der Bundesrepublik, in denen die HöfeO gilt (Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein), vererbt sich der Hof nach diesem Sonderrecht. Nur für die Nachfolge in das gesamte übrige Vermögen gilt das Erbrecht des BGB. Es kommt daher zur höferechtlichen Nachlassspaltung.2 Ist ihr Anwendungsbereich eröffnet, ist die HöfeO anwendbar und nicht das Erbrecht des BGB. Anders als nach dem Anerbenrecht einzelner Länder gilt die HöfeO dann unmittelbar und nicht erst auf Antrag oder aufgrund einer Eintragung. Die Rechtsübertragung kraft (dinglich wirkender) Sondererbfolge nach § 4 Satz 1 HöfeO erstreckt sich auf den Hof und das Zubehör gem. §§ 2 u. 3 HöfeO. Hof und Zubehör gehen in das Alleineigentum des gesetzlichen oder gewillkürten Hoferben über, ohne zuvor in das Gesamthandseigentum der Erbengemeinschaft zu fallen. An die Stelle des Hofes tritt innerhalb der Erbengemeinschaft der Hofeswert (§ 4 Satz 2 HöfeO); den weichenden Erben steht ein Abfindungs- und ggf. auch ein Nachabfindungsanspruch zu. Die enorme Privilegierung des Hoferben besteht darin, dass das Gesetz ihm zum einen den Hof allein zuweist und damit eine Teilung vermeidet und zum anderen den weichenden Miterben nur einen sehr niedrigen Abfindungswert zuspricht. b) Begriff des Hofes

27.115 Nach § 1 HöfeO liegt eine land- und forstwirtschaftliche Besitzung vor, wenn:3 – es sich um eine land- oder forstwirtschaftliche Wirtschaftseinheit i.S.d. steuerlichen Bewertungsvorschriften mit einem Wirtschaftswert von mindestens 10.000 t handelt („Ist-Hof“) oder

1 Bewer, AgrarR 1976, 273. 2 Söbbeke, ZEV 2006, 395 (396); Steffen/Ernst, § 4 Rz. 1; Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 71; vgl. auch OLG Rostock v. 3.8.2015 – 3 W 101/15, BeckRS 2016, 01710. 3 Lange, Kap. 21 Rz. 9; zu den landwirtschaftlichen Besitzungen i.S.v. § 1 Abs. 1 HöfeO gehört auch der erwerbsgärtnerische Anbau von Blumen und Pflanzen, selbst wenn er überwiegend in Gewächshäusern betrieben wird, vgl. BGH v. 29.11.1996 – BLw 12/96, BGHZ 134, 146 = FamRZ 1997, 351.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.118 § 27

– der Besitzer eines Hofes mit einem Wirtschaftswert von 5.000 bis 10.000 t erklärt (sog. Hoferklärung), dass der Hof die Hofeigenschaft erhalten und den Bestimmungen der HöfeO unterliegen soll („Kann-Hof“) und für den der Hofvermerk im Grundbuch eingetragen ist1 und – der Hof im Alleineigentum einer natürlichen Person oder im Eigentum von Ehegatten steht und – eine zur Bewirtschaftung geeignete Hofstelle vorhanden ist. Ein Hof, dessen Wirtschaftswert weniger als 5.000 t beträgt und der im Eigentum von Ehegatten steht, wird nach § 1 Abs. 2 HöfeO mit der Eintragung des Hofvermerks im Grundbuch zum Ehegattenhof. Die Eintragung des Hofvermerks begründet stets lediglich die Vermutung der dadurch ausgewiesenen Eigenschaft (§ 5 HöfeVfO).2 Diese Vermutung ist widerlegbar; der Hofvermerk im Grundbuch ist nicht vom öffentlichen Glauben des Grundbuchs erfasst.

27.116

Die Hofeigenschaft entfällt, wenn eine landwirtschaftliche Besitzung nicht mehr besteht, die Hoffähigkeit also wegfällt (§ 1 Abs. 3 HöfeO)3 oder aber wenn der Eigentümer eine Hofaufhebungserklärung abgibt und der Hofvermerk daraufhin im Grundbuch gelöscht wird (§ 1 Abs. 4 HöfeO). Im Falle einer Betriebseinstellung muss genau geprüft werden, ob es sich um einen dauerhaften Wegfall der landwirtschaftlichen Betriebseinheit handelt.4 Indizien sind insbesondere der Wegfall einer geeigneten Hofstelle, eine parzellierte Verpachtung, fehlendes Inventar oder eine Zweckentfremdung der Wirtschaftsgebäude.

27.117

Unter einem Hof versteht man einen der Gewinnung tierischer und pflanzlicher Erzeugnisse dienenden Betrieb der Bodenbewirtschaftung. Die Bodennutzung muss die wesentliche und darf keine lediglich untergeordnete Wirtschaftsgrundlage darstellen. Neben dem Hof erfasst die Rechtsübertragung gem. §§ 2 u. 3 HöfeO auch das gesamte Zubehör, namentlich die Grundstücke, die vom Hof aus bewirtschaftet werden, und die dem Hof dienenden Rechte. Der Begriff des Zubehörs ist in § 3 HöfeO definiert; die §§ 97, 98 BGB gelten nicht. Für die Hofzugehörigkeit eines Grundstücks ist maßgeblich, ob die landwirtschaftliche oder aber die nicht landwirtschaftliche Nutzung überwiegt, denn höferechtlich kann die Eigenschaft eines Grundstücks nur einheitlich beurteilt werden.5 Geldvermögen kann Hofzubehör sein, wenn es zu den Betriebsmitteln zählt.6 Grundsätzlich muss der Hof im Alleineigentum einer natürlichen Person stehen.

27.118

1 Höfe mit einem Wirtschaftswert zwischen 5.000 und 10.000 t erhalten die Hofeigenschaft durch entsprechende, öffentlich beglaubigte Erklärung gegenüber dem Landwirtschaftsgericht und mit der Eintragung des Hofvermerks im Grundbuch (§ 1 Abs. 1 HöfeO). 2 OLG Köln v. 28.7.1999 – 2 Wx 25/99, MittRhNotK 1999, 282. 3 Die Hofeigenschaft kann auch ohne Löschung des Hofvermerks aus tatsächlichen Gründen entfallen sein, vgl. BGH v. 29.11.2013 – BLw 4/12, ZEV 2014, 548; BGH v. 26.10.1999 – BLw 2/99, ZEV 2000, 72; BGH v. 28.4.1995 – BLw 73/94, MDR 1996, 214 = ZEV 1996, 74; BGH v. 13.5.1982 – V BLw 20/81, BGHZ 84, 78 = MDR 1982, 837. 4 Vgl. dazu OLG Oldenburg v. 30.4.2009 – 10 W 17/09, FamRZ 2010, 1274. 5 OLG Köln v. 2.8.2007 – 23 WLw 5/07, ZFE 2008, 38; die langfristige Vermietung eines Landarbeiterhauses führt nicht dazu, dass das Grundstück seine Hofzugehörigkeit verliert, BGH v. 24.11.1993 – BLw 28/93, BGHZ 124, 217 (220) = MDR 1994, 1255. 6 OLG Hamm v. 16.6.2009 – 10 W 156/07, RNotZ 2010, 340 m. Anm. Gehse.

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§ 27 Rz. 27.119

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

c) Bestimmung des Hoferbens

27.119 Abweichend von der in § 1922 BGB angeordneten Gesamtrechtsnachfolge sieht § 4 HöfeO bei der Nachfolge in einen Hof i.S.d. Gesetzes eine Sondererbfolge vor. Der Hof geht mit dem Erbfall kraft Gesetzes auf einen einzigen Erben, den Hoferben, über. Wer Hoferbe wird, bestimmt der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 HöfeO), durch Hofübergabevertrag (§ 17 HöfeO), Übergabevorvertrag oder durch eine sog. formlose Hoferbenbestimmung.1 Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft im Höferecht ist zulässig;2 auch beim Nacherbfall muss die Wirtschaftsfähigkeit des Hoferben gegeben sein (§ 7 Abs. 1 Satz 2 HöfeO).

27.120 Hat der Eigentümer den Hofnachfolger nicht selbst bestimmt, was ihm nach § 7 HöfeO ohne Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis möglich ist, fällt der Hof nebst allem, was zu seiner Wirtschaftseinheit gehört, als Teil der Erbschaft kraft Gesetzes nur einem Erben (dem Hoferben) zu (§ 4 HöfeO). Die §§ 5 u. 6 HöfeO enthalten recht umfangreiche Kautelen zur Bestimmung des gesetzlichen Hoferben. Unter den in § 14 Abs. 3 HöfeO genannten Voraussetzungen kann dem längerlebenden Ehegatten das Recht zur Bestimmung des Hoferben unter den Abkömmlingen des Erblassers übertragen werden. Diese Hoferbenbestimmung durch Dritte verlangt aber, dass der Hoferbe aus einem eng begrenzten Personenkreis auszuwählen ist und die Auswahlkriterien festgelegt sind. Die Auswahlerklärung des Dritten bedarf der notariellen Beurkundung. Nur wenn kein gesetzlicher Hoferbe vorhanden und keine wirksame Hoferbenbestimmung durch den Erblasser (sog. verwaister Hof) erfolgt ist, richtet sich die Vererbung nach den Vorschriften des BGB (§ 10 HöfeO).

27.121 Die Berufung nach der HöfeO greift aber stets nur ein, wenn der so ermittelte Hoferbe „wirtschaftsfähig“ ist (§ 6 Abs. 6 u. 7 HöfeO). Eine Ausnahme von dieser Forderung besteht allein für den Anteil des Erblassers an einem Ehegattenhof (§ 8 HöfeO).3 Gemeint mit dem Begriff der Wirtschaftsfähigkeit ist diejenige Person, die nach ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten, ihren Kenntnissen und aufgrund ihrer Persönlichkeit in der Lage ist, den Hof selbstständig zu bewirtschaften (§ 6 Abs. 7 HöfeO). Scheidet der zunächst Berufene wegen fehlender Wirtschaftsfähigkeit aus, so fällt der Hof demjenigen zu, der berufen wäre, wenn der Ausscheidende im Zeitpunkt des Erbfalls nicht gelebt hätte (§ 6 Abs. 6 HöfeO). d) Abfindungsansprüche weichender Miterben aa) Abfindungsanspruch

27.122 Die gerade geschilderte Erbfolge betrifft nur die Wirtschaftseinheit Hof. Die Erbfolge in das übrige, hoffreie Vermögen hingegen bestimmt sich ausschließlich nach dem BGB. Hof und hoffreies Vermögen gehören zu einem Nachlass. Der Hoferbe bildet mit den übrigen Erben eine Miterbengemeinschaft, die jedoch, wegen der Vorgaben der HöfeO, atypischen Charakter hat:4 Der Hof ist zwar Teil des Nachlasses, fällt aber zu keinem Zeitpunkt in das Gesamthandseigentum aller Miterben. Vielmehr wird er mit dem Erbfall kraft Gesetzes Alleineigentum des Hoferben. 1 OLG Celle v. 21.1.2008 – 7 W 93/07, RdL 2009, 298 (299); OLG Hamm v. 24.8.2014 – 10 W 5/15, RNotZ 2016, 46 (49); weiterführend: Söbbeke, ZEV 2006, 493 (493 ff.). 2 Steffen/Ernst, § 4 Rz. 2; OLG Oldenburg v. 12.8.1993 – 10 W 14/93, NJW-RR 1994, 272. 3 OLG Oldenburg v. 30.1.1997 – 5 W 12/97, ZEV 1997, 128; Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 3 Rz. 90; Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 75. 4 Ebenroth, Rz. 42 f.; Lange, Kap. 21 Rz. 12 ff.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.126 § 27

Denjenigen „Miterben, die nicht Hoferben geworden sind“, steht ein Anspruch auf Abfindung in Geld zu (§ 12 HöfeO). Mit dieser Formulierung sind diejenigen Personen gemeint, die durch die Hoferbfolge benachteiligt sind,1 also diejenigen gesetzlichen Erben des Hofeigentümers, denen bei Eintritt der Erbfolge der Gesamtnachlass (einschließlich des Hofes) angefallen wäre, die, mit anderen Worten, Miteigentümer des Hofes geworden wären. § 12 Abs. 10 HöfeO erweitert den Kreis der Anspruchsberechtigten um Pflichtteilsberechtigte, Vermächtnisnehmer und um den nach § 1371 Abs. 2 u. 3 BGB ausgleichsberechtigten Ehegatten.

27.123

Der Abfindungsanspruch entsteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 HöfeO kraft Gesetzes, ist mit dem Erbfall fällig und sodann vererblich.2 Der Erblasser kann den Anspruch in einer Verfügung von Todes wegen modifizieren. Da im Rahmen der HöfeO die lebzeitige Übertragung wirtschaftlich betrachtet einen vorgezogenen Erbfall darstellen kann, können die Abfindungsansprüche auch mit lebzeitiger Eigentumsübertragung auf den Hofübernehmer fällig sein; die vermögensrechtlichen Folgen werden hier vorverlegt. Anspruchsberechtigter ist jeder gesetzliche Miterbe, der dem Hoferben aufgrund der Sondererbfolge weichen muss, sofern er keinen Erbverzicht erklärt hat.3 Schuldner des Anspruchs ist der Hoferbe. Die Abfindungsschuld stellt eine den Hoferben bzw. Hofübernehmer persönlich treffende Verpflichtung dar und ist keine auf dem Hof ruhende dingliche Last.4

27.124

bb) Nachabfindungsanspruch Das Gesetz will die Fortführung des lebensfähigen Betriebs in der Hand des Hoferben sicherstellen. Veräußert aber der Hoferbe den ererbten Hof innerhalb einer Frist von zwanzig Jahren nach dem Erbfall ganz oder teilweise, ist es nur gerecht, wenn die zuvor benachteiligten Miterben eine Ergänzung der seinerzeitigen niedrigen Abfindung verlangen können.5 Daher enthält das Gesetz mit § 13 Abs. 1 HöfeO einen Nachabfindungsanspruch der Miterben. Anders als § 12 HöfeO schützt § 13 HöfeO den Bestand des Hofes nicht mehr. Wegen des Fortfalls des Grundes, der die Privilegierung des Hoferben (bislang) gerechtfertigt hat, geht es nunmehr darum, die Miterben an den vom Hof erzielten Gewinnen teilhaben zu lassen. Von diesem Grundsatz stellt § 13 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 HöfeO ein eng auszulegende Ausnahme auf, die nur dann eingreift, wenn die Existenz des Hofes nachweislich auf dem Spiel seht und die Grundstücksveräußerung als das letzte Mittel zu seiner Erhaltung angesehen werden kann, denn dem weichenden Erben wird unter diesen Umständen ein endgültiger Rechtsverlust zugemutet.6 Verlangt wird daher, dass drückende, die Existenz des Hofes in Frage stellende Schulden abgelöst werden müssen und dass diese weder aus den laufenden Erträgen noch durch eine zumutbare Kreditaufnahme beglichen werden können. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn der Hof wegen der dauernden Schuldenlast ohnehin auf Dauer nicht gehalten werden kann.

27.125

Der Nachabfindungsanspruch aus § 13 Abs. 1 HöfeO ist nicht auf den Fall der vollständigen oder teilweisen Veräußerung des Hofes bzw. der Hofgrundstücke beschränkt. Auch die Ver-

27.126

1 BGH v. 7.10.1958 – V BLw 27/58, BGHZ 28, 194 (198 ff.); BGH v. 15.5.1962 – V BLw 21/61, BGHZ 37, 122 (123 f.); Lange, Kap. 21 Rz. 22 ff.; Wöhrmann/Graß, § 12 HöfeO Rz. 13. 2 OLG Koblenz v. 27.10.2005 – 2 U 1415/04, OLGR 2006, 307. 3 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = MDR 1997, 258. 4 OLG Oldenburg v. 11.2.1993 – 10 W 28/92, AgrarR 1993, 250. 5 Die Befristung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, BVerfG v. 21.3.2006 – 1 BvR 2495/05, RdL 2007, 100. 6 BGH, 10.5.1984 – BLw 2/83, BGHZ 91, 154 (166 ff.) = MDR 1984, 841; OLG Hamm v. 9.7.2013 – 10 W 77/12, ErbR 2013, 356 (358).

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§ 27 Rz. 27.126

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

äußerung eines zum Hofvermögen gehörenden Milchkontingents kann bspw. den Nachabfindungsanspruch auslösen.1 Ebenfalls besteht die Möglichkeit der Abfindungsergänzung bspw. dann, wenn der Hoferbe auf andere Art und Weise aus der Erbschaft erhebliche Gewinne erzielt, etwa in Form von Versicherungsleistungen für ein zerstörtes Hofgebäude. Auch die Belastung eines Hofes mit Grundpfandrechten kann einen solchen Nachabfindungsanspruch auslösen.2 Der Nachabfindungsanspruch entsteht ferner, wenn der Hof einer anderweitigen Nutzung zugeführt wird (§ 13 Abs. 4 lit. b HöfeO). Zu solchen Gewinnen durch eine nicht landwirtschaftliche Nutzung, die Nachabfindungsansprüche auslösen, gehören auch Pachtund Nutzungsentgelte für auf Grundstücken des Hofes errichtete Windanlagen3 oder Solarparks.4 Der Nachabfindungsanspruch besteht selbst dann, wenn die Eigentumsumschreibung bewusst auf einen Zeitpunkt nach Fristablauf hinausgeschoben, die Veräußerung wirtschaftlich aber bereits vor Fristablauf vollzogen wird.5

27.127 Die Höhe der Nachabfindung ist vom Zeitpunkt des Eintritts der den Anspruch auslösenden Voraussetzungen abhängig. Anzurechnen sind Abfindungen, die der Berechtigte bereits erhalten hat (§§ 13 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 4 HöfeO). Der Ergänzungsanspruch verjährt nach Ablauf des dritten Jahres nach dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte Kenntnis von dem Vorgang erlangt hat, spätestens aber in dreißig Jahren vom Erbfall an (§ 13 Abs. 9 HöfeO). Der Hoferbe ist verpflichtet, seinen ehemaligen Miterben die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und sie über derartige, den Ergänzungsanspruch auslösende Verwertungen zu verständigen (§ 13 Abs. 10 HöfeO). Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, hat der Nachabfindungsberechtigte einen Auskunftsanspruch, der im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) geltend gemacht werden kann. Zu beachten ist schließlich, dass der Hoferbe die Möglichkeit hat, innerhalb von zwei Jahren nach der Veräußerung des Hofes einen sog. Ersatzbetrieb zu erwerben (§ 13 Abs. 2 u. 6 HöfeO) mit der Folge, dass dann ein Nachabfindungsanspruch ausscheidet. e) Wert des Abfindungsanspruchs aa) Hofeswert

27.128 Der Abfindungsanspruch soll zu einer gewissen Gleichberechtigung unter sämtlichen Miterben führen. Allerdings muss er naturgemäß relativ niedrig ausfallen, da ansonsten das gesetzgeberische Ziel der Sicherung wirtschaftlich stabiler Höfe nicht erreicht werden kann.6 Als Bemessungsgrundlage stellt das Gesetz auf den „Hofeswert“ ab, der nicht etwa mit dem Verkehrswert gleichzusetzen ist, sondern sich (lediglich) nach dem 1,5-fachen des zuletzt festgesetzten steuerlichen Einheitswertes bemisst (§ 12 Abs. 2 Satz 1 u. 2 HöfeO). Zu- oder Abschläge sind nach § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO bei Vorliegen besonderer Umstände möglich.7 Vom so ermittelten Wert sind die Nachlassverbindlichkeiten, die im Verhältnis der Erben zueinander den Hof treffen und die der Hoferbe allein zu tragen hat, abzuziehen. Der Abfindungsanspruch berechnet sich nach dem Anteil bzw. der Erbquote der weichenden Erben.

1 BGH v. 25.4.1997 – BLw 1/97, BGHZ 135, 292. 2 BGH v. 22.11.2000 – BLw 11/00, BGHZ 146, 94. 3 OLG Oldenburg v. 15.8.2008 – 10 W 2/08, FamRZ 2009, 251; Mittelstädt in Staudinger, 2018, Art. 64 EGBGB Rz. 94a. 4 Steffen/Ernst, § 13 Rz. 61. 5 BGH v. 27.5.2004 – III ZR 302/03, ZEV 2004, 334. 6 Zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung: Hartwig, AgrarR 1997, 363. 7 Etwa wenn Grundstücke mit Baulandqualität zum Hof gehören, vgl. BGH v. 3.5.1996 – BLw 39/95, BGHZ 132, 362 = MDR 1996, 1110.

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Rz. 27.131 § 27

Nicht berücksichtigt wird der Hoferbe selbst.1 Für den Nachabfindungsanspruch hat das OLG Hamm entschieden, dass Verbindlichkeiten anzurechnen sind, die im Zeitpunkt der Übertragung zwar nicht vom Hofeigentümer, aber vom Pächter als betriebliche Schulden begründet worden sind und zu deren Übernahme der Hofübernehmer verpflichtet ist.2 Der Hofeswert ist zum Stichtag des Erbfalls zu ermitteln. Anders als bei § 2049 BGB wird dazu nicht auf den Ertragswert, sondern auf den Einheitswert abgestellt. Als Hofeswert gilt das 1,5-fachen des zuletzt nach dem BewG festgestellten Einheitswertes (§ 12 Abs. 2 Satz 2 HöfeO). Dieser Wert ist weitgehend fiktiv und wird aus Gründen der Praktikabilität vorwiegend im Steuerrecht verwandt. Diese Bemessungsgrundlage war fragwürdig geworden, nachdem der Gesetzgeber es unterlassen hatte, die Einheitswerte regelmäßig einer Neubewertung zu unterziehen. Dieser Umstand war allerdings schon bei der Reform der HöfeO im Jahr 1976 offensichtlich gewesen. Der BGH hat gleichwohl in seiner Entscheidung vom November 2000 festgestellt, dass im Grundsatz an der Hofwertberechnung des § 12 HöfeO festzuhalten sei, der Hofeswert ab 1976 aber angepasst werden müsse, da seit dem Inkrafttreten der Neufassung der HöfeO eine Neufeststellung des Einheitswertes durch den Gesetzgeber unterblieben sei.3 Die an die Einheitswertfeststellung geknüpfte Abfindungsregelung des § 12 HöfeO sei „lückenhaft geworden, soweit sich die seinerzeit zugrunde gelegte Wertrelation zwischen Einheitswert und Ertragswert des Hofes infolge der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse erheblich verschoben“ habe. Diese Lücke sei, so der BGH weiter, durch eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO zu schließen.

27.129

Seither ist der zu ermittelnde neue Hofeswert zum Abfindungsstichtag der alte Hofeswert per 1.1.1976, multipliziert mit dem neuen Ertragswert am Abfindungsstichtag und dividiert durch den alten Ertragswert per 1.1.1976. In einer Formel ausgedrückt:

27.130

Dabei steht H für den Hofeswert und E für den Ertragswert. Zugleich hat der BGH ausgeführt, dass in rechtsanaloger Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO der Hofeswert nicht mehr auf Grundlage der alten steuerlichen Einheitswerte, sondern auf der Grundlage der seit 1996 eingeführten §§ 138 ff. BewG vorgenommen werden könne; dies stelle eine „Konkretisierung“ des „billigen Ermessens“ dar, das die Norm eröffne.4 Weicht der so errechnete neue Hofeswert vom alten „erheblich“ ab, hat ein entsprechender Zu- oder Abschlag den Unterschied auszugleichen.5 Die Vorgehensweise des BGH wird regelmäßig kritisiert und abgelehnt.6 Sieht man einmal von der mangelnden Praktikabilität ab (wer ist heute noch in der Lage, Buchführungsunterlagen aus dem Wirtschaftsjahr 1975/76 vorzulegen),7 arbeitet der BGH mit fiktiven

27.131

1 Dies gilt selbst dann, wenn er nur Hoferbe ist, OLG Oldenburg v. 12.8.1993 – 10 W 14/93, NJWRR 1994, 272; Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 74. 2 OLG Hamm v. 9.7.2013 – 10 W 77/12, ErbR 2013, 356 (359 f.). 3 BGH v. 17.11.2000 – V ZR 334/99, BGHZ 146, 74 (78 ff.) = FamRZ 2001, 353. 4 BGH v. 17.11.2000 – V ZR 334/99, BGHZ 146, 74 (78 ff., 81) = FamRZ 2001, 353; Holl, AgrarR 2002, 13 (14). 5 Weiterführend: Wöhrmann/Graß, § 12 HöfeO Rz. 28 ff. 6 Vgl. etwa Hartwig, AgrarR 2002, 169 (170 ff.); v. Jeinsen, RdL 2008, 85 (86); Rinck, AgrarR 2001, 111; Steffen/Ernst, § 12 Rz. 17; Wöhrmann/Graß, § 12 HöfeO Rz. 25 ff. 7 Siehe auch Ernst, RdL 2007, 260: „kaum lösbare Aufgabe“.

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§ 27 Rz. 27.131

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

Werten; seine Rechtsprechung führt ferner wegen des Ermessensspielraums (wann ist die Abweichung erheblich; Zu- oder Abschläge in welcher Höhe?) zu erheblichen Unsicherheiten.1 bb) Nachlassverbindlichkeiten

27.132 Vom so ermittelten Wert sind zunächst diejenigen Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen, die im Verhältnis der Miterben zueinander den Hof betreffen und daher vom Hoferben allein zu tragen sind (§ 15 Abs. 3 HöfeO). Da die unmittelbare Nachfolge in den Hof als Teil des Nachlasses rechtssystematisch Erbfolge ist, haftet der Hoferbe wie jeder andere Miterbe unbeschränkt, aber beschränkbar für alle Nachlassverbindlichkeiten im Außenverhältnis, auch wenn er am übrigen Nachlass nicht beteiligt ist (§ 15 HöfeO; §§ 2058, 1967 Abs. 1 BGB).2 Im Innenverhältnis der Miterben ist allerdings zur Deckung der Nachlassverbindlichkeiten in erster Linie das hoffreie Vermögen heranzuziehen, selbst wenn einzelne Nachlassverbindlichkeiten durch Grundpfandrechte auf dem Hof gesichert sind (§ 15 Abs. 2 HöfeO). Die Vorschrift stellt eine Begünstigung dar, um die Bewirtschaftung des Hofes zu sichern. Im Ergebnis kann die Anwendung von § 15 Abs. 2 HöfeO dazu führen, dass das gesamte hoffreie Vermögen aufgebraucht wird. cc) Berechnung des Abfindungsanspruchs

27.133 Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 HöfeO sind für die Berechnung der Abfindung vom Hofeswert diejenigen Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen, die „im Verhältnis der Erben zueinander den Hof treffen und die der Hoferbe allein zu tragen hat“. Da der Begriff der Nachlassverbindlichkeiten demjenigen des § 1967 Abs. 2 BGB entspricht, sind Pflichtteilsansprüche und Vermächtnisse nicht abzuziehen;3 sie unterliegen § 12 Abs. 10, Abs. 3 Satz 2 HöfeO. Abzuziehen sind aber Altenteile und andere lebenslängliche Nutzungsrechte, die zu kapitalisieren sind. Wichtig ist, dass der Abfindungsanspruch der Höhe nach beschränkt sein kann. Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 HöfeO gebührt mindestens ein Drittel des Hofeswertes „den Erben des Erblassers einschließlich des Hoferben, falls er zu ihnen gehört, zu dem Teil, der ihrem Anteil am Nachlass nach dem allgemeinen Recht entspricht“. Zählt der Hoferbe zum Kreis der gesetzlichen Erben, kann er also das Drittel, das er auszahlen muss, um seinen Anteil am Nachlass kürzen.4 Auf seine Abfindung hat sich der Erbe dasjenige anzurechnen, was er oder sein vor dem Erbfall weggefallener Eltern- oder Großelternteil vom Erblasser als Abfindung aus dem Hof erhalten hat (§ 12 Abs. 4 HöfeO); die §§ 2050 ff. BGB sind anwendbar. f) Nachweis- und Verfahrensfragen

27.134 Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 HöfeO ist Hof eine im Gebiet der Bundesländer Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein gelegene land- oder forstwirtschaftliche Besitzung, soweit sie einen Wirtschaftswert von mindestens 10.000 t hat. Wirtschaftswert ist der nach den steuerlichen Bewertungsvorschriften festgestellte Wirtschaftswert gem. § 46 BewG. Eine Besitzung, die einen Wirtschaftswert von weniger als 10.000 t, mindestens jedoch 5.000 t hat, wird dann Hof, wenn der Eigentümer erklärt, dass sie Hof sein soll und wenn der 1 Köhne, AgrarR 2001, 165 (168 f.); Steffen, RdL 2001, 88 (89): „Praktisch wird die Lösung des BGH dazu führen, dass künftig in allen Verfahren, in denen über Abfindungen gestritten wird, nicht ohne Zuziehung eines Sachverständigen entschieden werden kann (…)“. 2 Daher haftet der Hoferbe als Gesamtschuldner neben den anderen Miterben, Kipp/Coing, § 131 VI. 2. 3 Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 3 Rz. 95. 4 Steffen/Ernst, § 12 Rz. 36 ff.; Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 74.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.138 § 27

Hofvermerk im Grundbuch eingetragen wird. Ob ein Hof im Sinne der höferechtlichen Bestimmungen vorliegt, kann in einem besonderen Feststellungsverfahren geklärt werden (vgl. § 11 HöfeVfO). Der in einem förmlichen Einheitswertbescheid des Finanzamts zunächst festgestellte Wirtschaftswert des Hofes ist im Höfefeststellungsverfahren nicht uneingeschränkt verbindlich. Vielmehr ist im Verfahren nach § 11 HöfeVfO zur Beurteilung des festgestellten Wirtschaftswertes auf eine von den Landwirtschaftsgerichten im Lauf des Feststellungsverfahrens eingeholte Auskunft des Finanzamts abzustellen, die den Wirtschaftswert bezogen auf den entscheidungsrelevanten Zeitraum unter Berücksichtigung relevanter Veränderungen neu feststellt.1 Hinterlässt ein Erblasser einen Hof i.S.d. HöfeO, besteht eine besondere sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts in Abweichung von §§ 342 Abs. 1 Nr. 6, 343 FamFG. Nach § 18 Abs. 2 HöfeO besteht eine ausschließliche Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts für die dort genannten Sachverhalte. Das Verfahren selbst ist im LwVfG geregelt. Es regelt neben dem Verfahren über die gerichtliche Zuweisung eines Betriebs nach dem GrdstVG Verfahren aufgrund der Vorschriften über das Anerbenrecht einschließlich der Versorgungsansprüche bei Höfen, Hofgütern, Landgütern und Anerbengütern. § 1 Nr. 5 LwVfG korrespondiert mit § 18 Abs. 2 HöfeO, in dem die sachliche Zuständigkeit ebenfalls ausschließlich für die dort aufgeführten Fälle bestimmt wird. Landwirtschaftsgericht ist nach § 2 LwVfG das AG. Entscheidend für die Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts ist das Vorhandensein eines Hofvermerks. Ist dieser gelöscht worden, entfällt auch die Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts; es greifen die allgemeinen Regeln über die Zuständigkeit nach §§ 342 ff. FamFG.

27.135

Die örtliche Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts bestimmt sich nicht nach dem letzten Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Erblassers, sondern danach, in welchem Bezirk die Hofstelle liegt (§ 10 Satz 1 LwVfG). Ist keine Hofstelle mehr vorhanden, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Grundstücke ganz oder zum größten Teil liegen oder die Rechte im Wesentlichen ausgeübt werden (§ 10 Satz 2 LwVfG).

27.136

Die Berechnung der Abfindung wird nach dem oben Gesagten ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht gelingen. Das Landwirtschaftsgericht wird, da für das Verfahren nach § 1 HöfeVfO; §§ 1 Nr. 5, 9 LwVfG; § 26 FamFG der Grundsatz der Amtsermittlung gilt,2 für die Ermittlung des „neuen“ Hofeswertes ein entsprechendes Gutachten einholen müssen.3 Kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass alter und neuer Hofeswert voneinander abweichen, muss das Gericht die Frage beantworten, ob die Differenz „erheblich“ i.S.v. § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO ist, wobei bislang keine Mindestgrenze vorgelegt worden ist.

27.137

IV. Unternehmens- und Anteilsbewertung bei Ausgleichsansprüchen unter Miterben 1. Die Rechtsnatur der Erbengemeinschaft Eine Erbengemeinschaft entsteht, wenn der Erblasser mehrere Erben hinterlässt, § 2032 Abs. 1 BGB. Der Erbteil des einzelnen Miterben besteht in seinem Anteil am Nachlass in ge1 BGH v. 15.4.2011 – BLw 9/10, BGHZ 189, 245 (250) = FamRZ 2011, 1052; OLG Hamm v. 19.6.2012 – 10 W 6/12, NJOZ 2012, 1945. 2 Prütting in Prütting/Helms, § 26 FamFG Rz. 7. 3 Ernst, RdL 2007, 260 (261).

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27.138

§ 27 Rz. 27.138

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

samthänderischer Bindung. Der Nachlass wird ohne weiteres Zutun der Erben zum Gesamthandsvermögen der kraft Gesetzes entstehenden Erbengemeinschaft und stellt ein vom Privatvermögen des einzelnen Erben getrenntes Sondervermögen dar. Inhaber der Nachlassforderungen ist die Gemeinschaft der Erben. Jeder Miterbe wird Mitbesitzer, §§ 857, 866 BGB. Durch den Erbfall erlangt der einzelne Erbe also keine unmittelbare gegenständliche Beziehung zu einem konkreten Nachlassgegenstand. Dies gilt selbst dann, wenn der Nachlass nur aus einer einzigen Sache bestehen sollte.1 Auch die „Verteilung“ einzelner Nachlassgegenstände im Testament des Erblassers ändert hieran nichts, da der Erbe lediglich entweder einen schuldrechtlichen Anspruch gegen seine Miterben auf Erfüllung der Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) oder des Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) erlangt. Eine Vorschrift, aus der sich die Rechtsnatur der Erbengemeinschaft ermitteln lassen könnte, existiert nicht. Aus § 2033 Abs. 2 BGB wird allerdings auf die Anordnung der gesamthänderischen Bindung zum Schutz der Nachlassgläubiger geschlossen. Um den Nachlass in ihrem Interesse möglichst ungeschmälert zu erhalten, kann kein Miterbe über seinen Anteil an den einzelnen Nachlassgegenständen verfügen, § 2033 Abs. 2 BGB. Vielmehr können über die einzelnen Nachlassgegenstände nur die Miterben gemeinsam verfügen, § 2040 Abs. 1 BGB. Jeder Miterbe ist zwar am Nachlass berechtigt, aber gleichzeitig durch die Rechte der übrigen Miterben eingeschränkt.

27.139 Das Gesetz kennt nur einige wenige Ausnahmen vom Grundsatz der Gesamtnachfolge in Form der Sonderrechtsnachfolge (Singularsukzession). Die Wichtigsten stellen die Sonderregeln des Landwirtschaftserbrechts und die Nachfolge in Anteile an werbend tätigen Personengesellschaften (GbR, OHG, KG, PartG) dar. Ist im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft bestimmt, dass die Gesellschaft mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters fortgesetzt wird (erbrechtliche Nachfolgeklausel), fällt der Gesellschaftsanteil nicht an die Erbengemeinschaft. Vielmehr wird er sofort aufgespalten und fällt im Wege der Sonderrechtsnachfolge direkt jedem einzelnen Erben an. Dies ist die Konsequenz des Grundsatzes, wonach eine Erbengemeinschaft nicht Gesellschafterin einer Personengesellschaft sein kann. Die Grundprinzipien der auf Auseinandersetzung gerichteten Erbengemeinschaft sind mit denjenigen einer Gesellschafterstellung in einer Personengesellschaft unvereinbar.2 Jeder Erbe erwirbt daher einen gesonderten Gesellschaftsanteil im Verhältnis seines Erbteils. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine qualifizierte Nachfolgeklausel und wird die Gesellschaft daher nur mit einem einzigen Erben fortgesetzt, erwirbt der Miterbe, dem der Erblasser den Anteil zugewandt hat, seinen Anteil unmittelbar in demjenigen Umfang, der dem Erblasser zustand. Eines besonderen Übertragungsaktes bedarf es nicht.3 2. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft a) Anordnungen des Erblassers zur Auseinandersetzung

27.140 Anders als die Verwaltung der Erbengemeinschaft wurde deren Beendigung vom Gesetzgeber in den §§ 2042 bis 2057a BGB recht umfassend geregelt. Die Erbengemeinschaft ist 1 BGH v. 24.1.2001 – IV ZB 24/00, BGHZ 146, 310 (315) = MDR 2001, 816; Rißmann in Damrau/ Tanck, § 2032 BGB Rz. 1. 2 BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, NJW 1983, 2376; OLG Hamm v. 11.1.1999 – 8 U 207/97, ZEV 1999, 318 (319) m. Anm. Keller; Lohmann in BeckOK-BGB, § 2032 BGB Rz. 14; Wolf in Soergel, § 2032 BGB Rz. 20. 3 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 = MDR 1986, 829; BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, NJW 1983, 2376; Ebenroth, Rz. 866; Lange, Kap. 22 Rz. 84 ff.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.142 § 27

danach keine Dauergemeinschaft, sondern grundsätzlich auf Liquidation angelegt, wird doch jedem Miterben, und sei er auch nur mit einer Minimalquote beteiligt, das Recht gewährt, jederzeit die Auseinandersetzung zu verlangen (§ 2042 Abs. 1 BGB). Dazu fordert das Gesetz keinen Auflösungsgrund.1 Die Vorschrift des § 2042 Abs. 1 BGB gibt zwar dem einzelnen Miterben das Recht, jederzeit die Auseinandersetzung zu verlangen. Sie sagt aber nichts darüber aus, wie geteilt werden muss. Insbesondere gewährt sie dem einzelnen Miterben keinen Anspruch auf die Zuteilung eines bestimmten Nachlassgegenstandes. Ein solcher Anspruch kann sich vielmehr insbesondere aus einer Teilungsanordnung des Erblassers ergeben (§ 2048 Satz 1 BGB). Die Auseinandersetzung des Nachlasses nach den gesetzlichen Regeln der Bruchteilsgemeinschaft (§§ 2042 Abs. 2, 752 ff. BGB) führt häufig zu einer Zerschlagung langfristig gewachsener Vermögenswerte, wie namentlich Unternehmen. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, kann der Erblasser durch letztwillige Verfügung bestimmen, wie die Auseinandersetzung vorgenommen werden soll, sog. Teilungsanordnungen i.S.v. § 2048 BGB. Sie betrifft die Art und Weise der Teilung des Nachlasses bei der Auseinandersetzung; mit ihr ist kein unmittelbarer Rechtsübergang verbunden. Dazu kann der Erblasser einem Erben einen Gegenstand oder eine Verbindlichkeit konkret zuweisen oder anordnen, dass einzelne Nachlassverbindlichkeiten im Innenverhältnis bestimmten Miterben zur Last fallen sollen. Er kann auch Übernahmerechte formulieren, wonach dem Miterben freigestellt wird, ob er den zugewiesenen Gegenstand gegen Wertausgleich übernimmt. In jedem Fall wirkt die Anordnung des Erblassers nur schuldrechtlich im Verhältnis der Miterben zueinander. Von einer Teilungsanordnung geht keine dingliche Wirkung aus, weshalb es durch sie nicht zu einem unmittelbaren, mit dem Erbfall eintretenden Übergang des Eigentums an den zugewiesenen Gegenständen auf den begünstigten Miterben kommt.2 Die Teilungsanordnung des Erblassers ist allein für die Nachlassauseinandersetzung von Bedeutung. Sie ersetzt in ihrem Umfang die gesetzlichen Teilungsregelungen.3 Aufgrund ihres obligatorischen Charakters sind die Auseinandersetzungsanordnungen des Erblassers für die Miterben zwar verbindlich, die Miterben können sich aber einvernehmlich darüber hinwegsetzen.4

27.141

b) Abgrenzungsfragen Vielfach ist der wirkliche Wille des Erblassers aus der letztwilligen Verfügung nicht ohne Weiteres erkennbar. Dann bedarf es der Auslegung und Abgrenzung der getroffenen Auseinandersetzungsanordnungen zu anderen Gestaltungsformen und hier namentlich der Teilungsanordnung (§ 2048 Satz 1 BGB) und dem Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB).5 Sowohl mit einem Vorausvermächtnis als auch mit einer Teilungsanordnung kann der Erblasser die Zuweisung eines bestimmten Einzelgegenstands vornehmen. Beide Zuweisungsformen haben jedoch un1 Grenzen werden insoweit nur durch den Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) gezogen; vgl. RG v. 10.12.1906 – IV 94/06, RGZ 65, 5 (10). 2 RG v. 16.3.1925 – IV 118/24, RGZ 110, 270 (274); RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (170); BGH v. 17.4.2002 – IV ZR 226/00, DNotZ 2003, 56 (57) = MDR 2002, 1012; Kipp/Coing, § 117 IV. 3 c. 3 BGH v. 17.4.2002 – IV ZR 226/00, MDR 2002, 1012 = NJW 2002, 2712; BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, NJW 1985, 51 (52) = MDR 1984, 917. 4 Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2048 BGB Rz. 9; Bayer in Erman, § 2048 BGB Rz. 9; Löhnig in Staudinger, 2016, § 2048 BGB Rz. 8. 5 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475; BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = NJW 1985, 51.

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27.142

§ 27 Rz. 27.142

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

terschiedliche Wirkungen.1 Teilungsanordnungen des Erblassers dienen der Durchführung der Erbauseinandersetzung, indem sie die gesetzlich vorgegebenen Auseinandersetzungsregeln modifizieren.2 Entscheidend ist dabei, dass der zugewiesene Gegenstand bei der Teilungsanordnung auf den Erbteilswert anzurechnen ist, während beim Vorausvermächtnis der Bedachte zusätzlich zu seinem Erbteil einen Vorteil erhält. Das Vorausvermächtnis ist eine Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 1967 BGB, die im Zweifel sofort fällig ist (§ 271 BGB).3 Daher ist zu fragen, ob erstens objektiv eine Vermögensverschiebung vorliegt und zweitens, ob subjektiv der Erblasser einen Begünstigungswillen hatte. Allein der Umstand, dass der Erblasser einzelnen Miterben Nachlassgegenstände zuweist, die wertvoller sind als der ihnen zustehende Erbteil, begründet noch keine Vermutung für das Vorliegen eines Vorausvermächtnisses.4 Vielmehr liegt eine Teilungsanordnung vor, wenn die Höhe des Erbteils bzw. der Wert der Beteiligung des Miterben am Nachlass unberührt bleiben soll. In diesem Fall ist ein etwaiger Mehrwert des zugewiesenen Gegenstands auszugleichen. Ein Vorausvermächtnis ist demgegenüber gegeben, wenn und soweit dem Bedachten gegenüber seinem Erbteil ein nicht ausgleichungspflichtiger Mehrwert – also ein besonderer Vermögensvorteil – zugewendet werden soll.5 c) Teilungsanordnung als Ausgangspunkt einer Unternehmens- bzw. Anteilsberechnung

27.143 Bei der Teilungsanordnung findet somit keine Wertverschiebung unter den Miterben statt;6 die Erbquoten werden nicht beeinflusst.7 Insbesondere vermag sie nicht zu bewirken, dass ein Miterbe mehr oder weniger als seinen Erbteil erhält.8 Ein Miterbe kann also nach der Befolgung der Teilungsanordnung gegenüber den anderen Miterben ausgleichspflichtig sein. Der durch die Teilungsanordnung Bedachte hat in diesem Fall den höheren Wert der Zuwendung durch Geldzahlung an die Miterben auszugleichen.9 Im Gegensatz zu einem Vermächtnisanspruch wird der durch die Teilungsanordnung eingeräumte Anspruch erst im Zeitpunkt der Gesamtauseinandersetzung fällig. Erst anlässlich der Auseinandersetzung, deren Durchführung überdies nach Maßgabe der §§ 2043 bis 2046 BGB beschränkt sein kann, darf der bedachte Miterbe verlangen, in der vom Erblasser vorgesehenen Art und Weise berücksichtigt zu werden. Zur Beantwortung der Frage, ob der zugewiesene Gegenstand den entsprechenden Wert des Erbteils am Gesamtnachlass übersteigt, ist eine Bewertung sowohl des gesamten Nachlasses als auch des zugewiesenen Gegenstands erforderlich. Übersteigt der zugewiesene 1 Siehe dazu Benk, MittRhNotK 1979, 53 (55 ff.); Horn in Horn/Kroiß, § 6 Rz. 2 ff.; Loritz, NJW 1988, 2697 (2699). 2 Lange, Kap. 7 Rz. 12 f. 3 OLG Saarbrücken v. 12.7.2007 – 8 U 515/06 – 136, 8 U 515/06, ZErb 2007, 418. 4 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475; BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = NJW 1985, 51; BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 = MDR 1982, 124. 5 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476); BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, NJW 1985, 51 (52) = MDR 1984, 917; BGH v. 23.5.1984 – IVa ZR 185/82, FamRZ 1985, 62 (63) m. Anm. Rudolf; OLG Koblenz v. 13.10.2005 – 5 U 451/05, FamRZ 2006, 292 = NJW-RR 2005, 1601. 6 Die einzige Ausnahme einer „wertverschiebenden Teilungsanordnung“ bildet die Auslegungsregel des § 2049 BGB, vgl. BGH v. 27.6.1990 – IV ZR 104/89, NJW-RR 1990, 1220 (1221) = MDR 1991, 135. 7 OLG Braunschweig v. 11.11.1994 – 5 U 13/94, ZEV 1996, 69 m. zust. Anm. Kummer. 8 Horn in Horn/Kroiß, § 6 Rz. 13; Löhnig in Staudinger, 2016, § 2048 BGB Rz. 5. 9 BGH v. 25.10.1995 – IV ZR 362/94, ZEV 1996, 70 m. Anm. Kummer; Benk, MittRhNotK 1979, 53 (54); Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2048 BGB Rz. 20; Rißmann in Damrau/Tanck, § 2048 BGB Rz. 18; Siegmann, ZEV 1996, 47.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.146 § 27

Nachlassgegenstand den Wert des Erbteils, steht den übrigen Miterben ein Ausgleichsanspruch zu. Handelt es sich bei dem zugewiesenen Gegenstand um ein Unternehmen oder um einen Unternehmensanteil, ist daher regelmäßig eine Unternehmens- bzw. Anteilsbewertung erforderlich, um das Wertverhältnis zwischen Erbquote und Unternehmen festzustellen. d) Grundsätze der Bewertung aa) Bewertungsziel Für die Bewertung zur Ermittlung eines Ausgleichsanspruchs aufgrund einer Teilungsanordnung enthält das Gesetz leider keine Vorgaben. Jede Bewertung muss sich daher an den der Teilungsanordnung zugrundeliegenden Grundsätzen und den sich aus dem Gesamtzusammenhang der Erbengemeinschaft ergebenden Wertungen orientieren. Dies gilt zunächst für das Bewertungsziel. Der Ausgleichsanspruch der Übrigen gegen den durch die Teilungsanordnung begünstigten Miterben dient der Verwirklichung des in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck kommenden Erblasserwillens, da der Anspruch nur entsteht, wenn der Erblasser demjenigen Erben, dem er einen bestimmten Gegenstand zuweist, gerade keinen über seinen Erbteil hinausgehenden Vorteil verschaffen will. Dieser Wille bildet die Grundlage für die Bewertung des Nachlasses mit der Folge, dass stets der volle, wirkliche Wert des zugewiesenen Nachlassgegenstands zu ermitteln ist,1 da nur so eine Begünstigung des mit der Teilungsanordnung bedachten Miterben vermieden wird. Die Bewertung muss also den Erblasserwillen verwirklichen.2 Ihr Ergebnis kann nur sein, dass nach Bewertung und Erfüllung des Auseinandersetzungsanspruchs jeder Erbe einen Anteil am Nachlass erhalten hat, der wertmäßig der vom Erblasser festgelegten Quote am Wert des Gesamtnachlasses entspricht.

27.144

Im Rahmen einer Entscheidung zur Bewertung eines Landguts hat das BVerfG ausgeführt: „Die gleichen Bewertungsregeln [gemeint sind diejenigen des Pflichtteilsrechts, der Verf.] kommen zur Anwendung, wenn Miterben sich auseinandersetzen und der Wert des von einem der Miterben übernommenen Nachlassgegenstands aufgrund einer in den §§ 2048, 2049 Abs. 1 BGB vorgesehenen Teilungsanordnung des Erblassers auszugleichen ist“.3 Daher ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen (s. Rz. 27.88 ff.). Es ist eine Unternehmensbewertung vorzunehmen, die sich am „wirklichen Wert“ auszurichten hat. Jede Über- oder Unterbewertung eines Unternehmens bzw. Unternehmensanteils hat zu unterbleiben, da sie, als nicht dem Erblasserwillen entsprechend (voller wirklicher Wert), keine rechtmäßige Bewertung darstellt.

27.145

Von der Ausnahme des Landguts einmal abgesehen (vgl. § 2049 BGB) ist daher für die Bewertung des Unternehmens bzw. des Unternehmensanteils zum Zwecke des Ausgleichs bei Teilungsanordnung der objektive Verkehrswert maßgeblich. Rechtsprechung findet sich zu diesem Punkt leider kaum. Im Jahr 1981 hat der BGH entschieden: „Das BerGer. hat den Wert des Unternehmens des Erblassers in der Weise ermittelt, daß es Substanz- und Ertragswert addiert und die Summe halbiert hat. Diese Berechnungsmethode ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden“.4

27.146

1 Wolf in Soergel, § 2048 BGB Rz. 13; Horn in Horn/Kroiß, § 6 Rz. 16 (Verkehrswert); wohl auch Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2048 BGB Rz. 2. 2 Braunhofer, S. 206 f. 3 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13/86, 2 BvL 14/86, BVerfGE 78, 132 (149). 4 BGH v. 3.12.1980 – IVb ZR 537/80, MDR 1981, 301 = NJW 1981, 575; vgl. auch BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509.

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§ 27 Rz. 27.147

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bb) Bewertungsstichtag

27.147 Auch hinsichtlich des Bewertungsstichtages schweigt sich das Gesetz aus. Der Termin ist daher nach Sinn und Zweck des Bewertungsanlasses zu ermitteln, zumal dem Erbrecht kein einheitlicher Bewertungsstichtag zu entnehmen ist. Grundsätzlich sind zwei zeitliche Bezugspunkte denkbar: der Erbfall und der Zeitpunkt der Teilung. Dahinter steht die Frage, wem Wertveränderungen zugeordnet werden, die zwischen beiden Terminen eintreten, zumal diese Zeitspanne gerade bei Unternehmensbewertungen recht lange ausfallen kann. Rechtsprechung zur Thematik ist kaum vorhanden. Wenn man darauf abstellt, dass Ausgangspunkt der in der Teilungsanordnung zum Ausdruck kommende Erblasserwille ist, muss die Frage nach dem Bewertungsstichtag vorrangig durch Auslegung der letztwilligen Verfügung beantwortet werden. Regelmäßig soll eine Teilungsanordnung die im BGB nicht zugelassene Sondererbfolge in einzelne Gegenstände (Unternehmen bzw. Unternehmensanteil) ersetzen. Im Falle einer Sondererbfolge fiele dem Berechtigten der Gegenstand aber unmittelbar mit dem Erbfall an. Dies legt es nahe, von einem Erblasserwillen auszugehen, wonach der begünstigte Miterbe so gestellt sein soll, als gehörte der ihm mittels Teilungsanordnung zugewandte Gegenstand bereits mit dem Erbfall zu dessen Vermögen. Eine Partizipation der Miterben an den nach dem Erbfall eingetretenen Wertveränderungen ist dann konsequenterweise vom Erblasserwillen nicht gedeckt. Folgt man dem, so ist auf den Erbfall als Bewertungsstichtag abzustellen und der Wert des durch die Teilungsanordnung zugewiesenen Gegenstandes zu diesem Zeitpunkt zu ermitteln.1 Keine Rolle spielt es demgegenüber, wer für das Unternehmen bzw. den Unternehmensanteil in der Phase zwischen Erbfall und Teilungszeitpunkt verantwortlich gewesen war oder ob ein Miterbe gar persönlich dort tätig gewesen ist. Eine solche Betrachtungsweise hinge zu sehr von Zufälligkeiten ab und wäre nicht vom Erblasserwillen gedeckt.

27.148 Umstritten ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Erblasser einem Miterben durch die Anordnung eines Übernahmerechts freigestellt hat, das Unternehmen bzw. den Unternehmensanteil zu übernehmen. Teilweise wird die Auffassung vertreten, in diesem Falle sei auf die Ausübung des Übernahmerechts und das damit verbundene Entstehen des Anspruchs auf Übertragung abzustellen.2 Eine solche Vorgehensweise widerspricht jedoch dem Erblasserwillen. Mangels anderer letztwilliger Anordnungen wird man davon ausgehen müssen, dass der Erblasser ausschließlich dem Begünstigten das Unternehmen bzw. den Anteil zuweisen und nur ihn davon wirtschaftlich partizipieren lassen möchte. Keineswegs will er die Miterben an etwaigen zwischen Erbfall und Ausübung des Übernahmerechts eintretenden Wertsteigerungen teilhaben lassen; diese sollen allein dem Unternehmenserben zugutekommen. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Ausübung des Übernahmerechts enthielte zudem eine gewisse Manipulationsgefahr. Auch in der Konstellation des Übernahmerechts ist der Bewertungsstichtag daher der Erbfall.3

1 Ebenso Horn in Horn/Kroiß, § 6 Rz. 16; vgl. auch OLG Braunschweig v. 11.11.1994 – 5 U 13/94, ZEV 1996, 69 (70): „unter diesen Umständen hat die Verfügung in ergänzender Auslegung des Erblasserwillens den Inhalt, dass der Kläger (…) eine entsprechende Ausgleichszahlung zu erbringen hat, wenn er durch die Anordnungen (…) zur Zeit des Erbfalls einen zusätzlichen Vermögensvorteil erhalten würde“. 2 So OLG Köln v. 14.11.2006 – 24 U 83/06, ErbR 2008, 20 (21) m. Anm. Rogler; Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2048 BGB Rz. 10; Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2048 Rz. 22; Wolf in Soergel, § 2048 BGB Rz. 13, allerdings ohne Begründung. 3 Ebenso Braunhofer, S. 209.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.151 § 27

3. Die Ausgleichung als Ausgangspunkt einer Unternehmensbewertung a) Bedeutung der Ausgleichungspflichten Gemäß § 1924 Abs. 4 BGB erben Kinder in der gesetzlichen Erbfolge zu gleichen Teilen. Das 27.149 damit verfolgte Ziel der Gleichbehandlung aller Abkömmlinge kann nicht vollständig erreicht werden, wenn man allein den Nachlass, nicht aber auch diejenigen Vermögenswerte berücksichtigt, die der Erblasser seinen Kindern Zeit seines Lebens zugewendet hat. Tritt die gesetzliche Erbfolge ein, müssen daher gesetzliche Ausgleichungsbestimmungen vorhanden sein, damit der mutmaßliche Erblasserwille der Gleichbehandlung der Abkömmlinge verwirklicht werden kann. Den §§ 2050 ff. BGB liegt also die Vorstellung zugrunde, dass der Erblasser seine Abkömmlinge gleichmäßig an seiner gesamten wirtschaftlichen Lebensleistung teilhaben lassen möchte.1 Der Gesetzgeber geht bei den Ausgleichungsregeln vom Eintritt der gesetzlichen Erbfolge aus. Bei letztwilligen Verfügungen gelten sie, mit Ausnahme des § 2052 BGB, daher grundsätzlich nicht. Bestimmte Vorempfänge, die ein Abkömmling des Erblassers bereits zu Lebzeiten erhalten hat, werden gem. §§ 2050 ff. BGB ausgeglichen. Die Ausgleichung ist Bestandteil des Auseinandersetzungsverfahrens der Erbengemeinschaft.2 Dabei wird der Wert der Zuwendung dem Nachlass hinzugerechnet und dann auf den Anteil, der dem Zuwendungsempfänger zusteht, angerechnet (vgl. § 2055 BGB). Es erfolgt somit ein rechnerischer Ausgleich, da die Zuwendung selbst endgültig in das Vermögen des Empfängers übergegangen ist. Der Ausgleichungsberechtigte enthält zunächst auch keinen Zahlungsanspruch, weshalb man nicht von einem Vermächtnis zu seinen Gunsten und zu Lasten des Ausgleichungspflichtigen sprechen kann.3 b) Voraussetzungen der Ausgleichung Ausgleichungspflichtig sind sämtliche Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel, Urenkel usw.), die zur gesetzlichen Erbfolge berufen oder durch letztwillige Verfügung auf ihre gesetzlichen Erbteile oder im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile gesetzt worden sind (vgl. § 2052 BGB). Die Ausgleichungspflichten kraft gesetzlicher Erbfolge beruhen auf der Annahme, dass der Erblasser seine Abkömmlinge im Zweifel gleich behandeln will, was das Vorhandensein wenigstens zweier Abkömmlinge voraussetzt.4 Bei letztwilligen Verfügungen geht das Gesetz umgekehrt davon aus, dass die Ungleichbehandlung gewollt ist. Ausgleichungsberechtigt sind ebenfalls nur Abkömmlinge des Erblassers, die gesetzliche Erben geworden sind (§ 2050 Abs. 1 BGB) oder auf ihre gesetzlichen Erbteile oder im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile eingesetzt worden sind (§ 2052 BGB).

27.150

Zuwendung i.S.v. § 2050 BGB ist jede Maßnahme, durch die dem Abkömmling ein Ver- 27.151 mögensvorteil auf Kosten des künftigen Nachlasses zufließt.5 Da nur eine lebzeitige Zuwendung ausgleichungspflichtig sein kann, muss der zugewandte Vermögensgegenstand schon zu Lebzeiten des Erblassers endgültig aus dessen Vermögen ausgeschieden sein. Keine Zu1 BGH v. 4.7.1975 – IV ZR 3/74, BGHZ 65, 75 (77); Bothe in Damrau/Tanck, § 2050 BGB Rz. 1; Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 211. 2 Klagen wegen der Ausgleichung nach den §§ 2050 ff. BGB können im besonderen Gerichtsstand der Erbschaft nach § 27 ZPO erhoben werden; vgl. BGH v. 22.10.1991 – X ARZ 11/91, MDR 1992, 587 = NJW 1992, 364. 3 Ann in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2050 BGB Rz. 17; Lohmann in BeckOK-BGB, § 2050 BGB Rz. 2; Bayer in Erman, § 2050 BGB Rz. 3. 4 Ebenroth, Rz. 779; Kipp/Coing, § 120 III; Thubauville, MittRhNotK 1992, 289 (290). 5 RG v. 29.8.1938 – IV 27/38, JW 1938, 2971; Bothe in Damrau/Tanck, § 2050 BGB Rz. 6.

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§ 27 Rz. 27.151

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

wendung liegt vor, wenn der Erblasser eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat. Das Gesetz unterscheidet in § 2050 BGB vier Arten ausgleichspflichtiger Zuwendungen, bei denen der Erblasser durch Anordnung gestalten kann, ob und in welchem Umfang Ausgleichungspflichten bestehen sollen.1 c) Art und Weise der Ausgleichung

27.152 Ausgleichspflichtige Vorempfänge der Kinder werden rechnerisch zum Nachlassteil hinzugerechnet und nicht durch die Rückgewähr der Zuwendungen in Natur (Natural- oder Realkollation) ausgeglichen.2 Die konkrete Berechnung erfolgt in mehreren Schritten.3 Zunächst ist die vorhandene Teilungsmasse zu bewerten. Damit ist der Überschuss i.S.d. § 2047 Abs. 1 BGB gemeint. Die Wertbestimmung (Geldwert) erfolgt auf den Stichtag des Erbfalls.4 Der Nachlass selbst wird zum Verkehrswert geschätzt. In einem zweiten Schritt sind die Anteile der Ausgleichsbeteiligten an der Teilungsmasse zu bestimmen. Dazu sind ihre jeweiligen Quoten zu ermitteln und der Geldbetrag zu beziffern, der sich als Anteil aller Ausgleichungsbeteiligten an der Teilungsmasse ergibt. Sodann muss drittens der Wert des Vorempfangs zum Stichtag der Zuwendung ermittelt werden (§ 2055 Abs. 2 BGB). Dies ist der Zeitpunkt des Rechtsübergangs, bei Grundstücksrechten also die Eintragung im Grundbuch. Fehlt es an einer Wertbestimmung durch den Erblasser, so gilt der objektive Verkehrswert;5 ggf. ist der Wert der Zuwendung durch Schätzung zu ermitteln.

27.153 Um den allgemeinen Kaufkraftschwund zu berücksichtigen, wird viertens der so ermittelte, in Geld ausgedrückte Wert auf den Zeitpunkt des Erbfalls indexiert.6 Dazu verwendet die Rechtsprechung den Lebenshaltungskostenindex eines Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalts und korrigiert den Wert zum Zuwendungszeitpunkt in dem Verhältnis, in dem die Indexzahl zum Zeitpunkt des Erbfalls und diejenige zum Zeitpunkt der Zuwendung Veränderungen unterliegen.7 In einer Formel ausgedrückt:8

27.154 W steht für den indexierten Wert der Zuwendung; ZW ist die zugewendete Summe. P(T) ist die für das Todesjahr des Erblassers geltende Preisindexzahl und P(Z) steht für die Preisindexzahl des Zuwendungsjahrs. Diese Vorgehensweise führt bei solchen Zuwendungen, die zwischenzeitlich deutlich im Wert gestiegen sind, zu einer doppelten Bevorzugung des Empfän1 Weiterführend Lange, Kap. 14 Rz. 151-160; Löhnig in Staudinger, 2016, § 2050 BGB Rz. 21-36. 2 Krug, ZEV 2000, 41 (42). Den beteiligten Miterben steht es selbstverständlich frei, sich über eine tatsächliche Rückgewähr der Vorempfänge zu verständigen, um die Ausgleichung im Wege der Realkollation zu vollziehen. 3 Rechenbeispiel bei J. Mayer, MittBayNot 2010, 345 (351 f.). 4 So BGH v. 30.10.1985 – IVa ZR 26/84, BGHZ 96, 174 (180 f.) = MDR 1986, 208; Ebenroth/Bacher/ Lorz, JZ 1991, 277; a.A. Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2055 BGB Rz. 11. 5 Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2055 BGB Rz. 12; Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 244; Wolf in Soergel, § 2055 BGB Rz. 3. 6 BGH v. 20.4.1983 – IVa ZR 222/81, WM 1983, 823 (824); BGH v. 10.11.1982 – IVa ZR 29/81, BGHZ 85, 274 (282); BGH v. 4.7.1975 – IV ZR 3/74, BGHZ 65, 75; FG Niedersachsen v. 2.9.2015 – 3 K 388/14, BeckRS 2016, 94027; zustimmend u.a. Ebenroth/Bacher, BB 1990, 2053 (2061); Bayer in Erman, § 2055 BGB Rz. 4. 7 Ausführlich: Ebenroth/Bacher, BB 1990, 2053. 8 Vgl. Werner, DNotZ 1978, 68 (70); Löhnig in Staudinger, 2016, § 2055 BGB Rz. 7.

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Unternehmensbewertung im Erbrecht

Rz. 27.157 § 27

gers, die auch durch die Indexierung nicht ausgeglichen wird: Neben den Nutzungsvorteil tritt der Vorteil der Werterhöhung. In dieser praktisch bedeutsamen Fallgruppe wird das Ziel der Ausgleichung, eine gleichmäßige wirtschaftliche Beteiligung der Kinder zu gewährleisten, häufig verfehlt.1 In einem fünften Schritt sind alle auszugleichenden Zuwendungen zum Wert der Teilungsmasse hinzuzurechnen, soweit diese den Miterben zukommen, unter denen die Ausgleichung stattfindet, § 2055 Abs. 1 Satz 2 BGB. Damit wird die Nachlassmasse fingiert, die sich zur Aufteilung unter den Abkömmlingen ergäbe, wenn die zugewandten Gegenstände noch vorhanden wären. Sodann ist in einem letzten Schritt der betragsmäßige Anteil des einzelnen Abkömmlings am Ergebnis dieses Rechenschrittes zu ermitteln. Der Begünstigte muss sich sodann den erhaltenen Vorempfang auf sein Auseinandersetzungsguthaben anrechnen lassen, § 2055 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Ausgleichung findet demnach nur unter den ausgleichsbeteiligten Miterben statt, nachdem zuvor die Erbteile der nicht beteiligten Miterben nach dem vorhandenen Nachlass berechnet wurden. Daher erfolgt die Verrechnung des Wertes der ausgleichungspflichtigen Zuwendung mit dem „Erbteil“ des jeweiligen Empfängers. Das Ergebnis dieses Berechnungsschrittes drückt wertmäßig dasjenige aus, was dem betreffenden Abkömmling von der Teilungsmasse zusteht. Das Verfahren zur Berechnung dessen, was auf die Miterben bei der Teilung entfällt, ist so- 27.155 mit durch §§ 2055, 2056 BGB modifiziert. Da die Zuwendungen dem Nachlass nicht real zugeführt werden, ergeben sich bei der Aufteilung des so erhöhten Nachlasses nach dem Verhältnis der Erbteile überhöhte Rechnungsgrößen. Diese sind bei den mit der Ausgleichung belasteten Miterben durch Kürzung um die auszugleichenden Zuwendungen (die sie bereits erhalten haben) wieder zu vermindern. Diese Vorgehensweise führt regelmäßig zu einer Teilungsquote (Teilungsverhältnis), die von dem Quotienten der Erbteile (Erbschaftsquoten) abweicht und im Gegensatz zu diesen die davon verschiedene wirtschaftliche (finanzielle) Beteiligung der einzelnen Miterben am Nachlass genauer widerspiegelt. d) Wertbestimmung durch den Erblasser Wie alle Vorschriften der §§ 2050 ff. BGB ist auch § 2055 Abs. 2 BGB nicht zwingender Natur. Hat der Erblasser bei der Zuwendung des Vorempfangs eine Wertbestimmung getroffen, so geht seine subjektive Bewertung dem Gesetz vor;2 es gelten die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB. Soweit keine weiteren Bestimmungen oder Umstände hinzutreten, ist im Rahmen einer solchen dispositiven Wertbestimmung von einer nominellen Bewertung auszugehen; eine Indexierung findet grundsätzlich nicht statt.

27.156

Liegt der dispositive Wert über dem Verkehrswert, so ist eine entsprechende Wertbestimmung zulässig, soweit sie vom Erblasser spätestens beim Vollzug des Vorempfangs getroffen wurde und der Begünstigte den Vorempfang in Kenntnis der Wertbestimmung angenommen hat. Der begünstigte Vorempfänger, dessen Pflichtteilsrecht durch die Wertbestimmung negativ betroffen werden könnte, ist nicht schutzbedürftig, da er die Verrechnungsmethode kannte und es selbst in der Hand hatte, den Vorempfang zu diesen Bedingungen entgegenzunehmen

27.157

1 Daher halten den Zeitpunkt der Auseinandersetzung, also der Erbteilung, für relevant: Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2055 BGB Rz. 10; Krug, ZEV 2000, 41 (42); Löhnig in Staudinger, 2016, § 2055 BGB Rz. 8; Wolf in Soergel, § 2055 BGB Rz. 1. Nach dieser Meinung müsste also der Kaufkraftschwund bis zur Auseinandersetzung berücksichtigt werden. 2 Löhnig in Staudinger, 2016, § 2055 BGB Rz. 12; Lohmann in BeckOK-BGB, § 2050 BGB Rz. 11.

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§ 27 Rz. 27.157

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

oder abzulehnen.1 Eine unter dem wahren Wert des Vorempfangs liegende Wertfestsetzung kann demgegenüber nicht nur Erbteile, sondern auch Pflichtteile Dritter betreffen. Hier bestimmt § 2316 Abs. 3 BGB, dass Ausstattungen im Rahmen der Berechnung der Pflichtteile selbst bei einer entgegenstehenden Bestimmung des Erblassers zur Ausgleichung zu bringen sind. Unter dem wahren Wert liegende Festsetzungen des Erblassers sind insoweit also hinfällig.2 e) Auskunftsansprüche

27.158 Die Miterben sehen sich häufig vor die Schwierigkeit gestellt, dass sie über bestimmte Vermögenstransaktionen des Erblassers nicht hinreichend im Klaren sind. Jeder materiell-rechtliche Anspruchsinhaber muss aber bei Zahlungsklagen seinen Anspruch beziffern bzw. bei Herausgabeklagen die verlangten Gegenstände exakt bezeichnen können, weil im Hinblick auf die spätere Zwangsvollstreckung ein bestimmter Klageantrag zu stellen ist (vgl. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Um das Ausgleichungsverfahren zu vereinfachen und es ordnungsgemäß durchführen zu können, ist mit § 2057 BGB ein besonderer Auskunftsanspruch geschaffen worden. Er steht jedem Miterben zu, soweit er zu den Ausgleichsberechtigten zählt.3 Der Anspruch steht auch enterbten pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen zur Bezifferung ihres Pflichtteils auf der Grundlage des § 2316 BGB zu. Dem Testamentsvollstrecker steht ebenfalls ein Auskunftsrecht zu, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Zur Auskunft verpflichtet ist jeder Miterbe, der zum Kreis der Ausgleichsverpflichteten nach §§ 2050, 2052 BGB gehört und auch der enterbte Abkömmling.

27.159 Der Verpflichtete hat gem. § 2057 BGB Auskunft über sämtliche Zuwendungen zu erteilen, die er selbst erhalten hat. Früher wurde noch die Auffassung vertreten, die Verpflichtung erstrecke sich auf schlechthin sämtliche Zuwendungen, die der Miterbe jeweils vom Erblasser erhalten hat.4 Heute wird allerdings zumeist betont, diese Pflicht finde ihre Grenzen darin, dass „nicht jede Kleinigkeit“ zu offenbaren sei.5 Der Anspruch geht auf Darlegung sämtlicher ausgleichungsrelevanter Eigenschaften der Zuwendung, des Zeitpunkts der Zuwendung, aller wertbildenden Faktoren, der für und gegen eine Ausgleichungspflicht sprechenden Umstände und des Sachverhalts zu etwaigen Anordnungen des Erblassers. Soweit der Begünstigte eine Gegenleistung erbracht hat und somit eine Teilschenkung in Betracht kommt, sind die näheren Umstände dieser Gegenleistung darzulegen.

27.160 Ein Anspruch auf Erstellung eines Wertgutachtens betreffend den Gegenstand der Zuwendung besteht insoweit nicht, als der Auskunftspflichtige es in keinem Fall auf eigene Kosten einzuholen hat. Der Auskunftsschuldner kann jedoch verpflichtet sein, die Wertermittlung durch einen vom Gläubiger beauftragten Gutachter zu dulden. Zur Urkundenvorlage ist der Schuldner weder aus § 2057 BGB noch aus § 260 BGB verpflichtet. Aus dem Gesetz ergibt sich keine Formvorgabe für die Auskunftserteilung. Aus Praktikabilitätsgründen kann aber regelmäßig die Schriftform verlangt werden.6 Aufgrund des Verweises in § 2057 Satz 2 auf § 260 1 Vgl. Peter, BWNotZ 1986, 28 (30); a.A. Thubauville, MittRhNotK 1992, 289 (305). 2 Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2316 BGB Rz. 6 ff.; Müller-Engels in BeckOK-BGB, § 2316 BGB Rz. 8; Thubauville, MittRhNotK 1992, 289 (305). 3 Jeder Miterbe kann selbstständig handeln, die §§ 2038, 2039 BGB greifen nicht (Individualanspruch). 4 Vgl. RG v. 28.4.1904 – IV 169/04, RGZ 58, 88 (91); Sarres, ZEV 2000, 349: Totalaufklärung. 5 Bothe in Damrau/Tanck, § 2057 BGB Rz. 3; Lohmann in BeckOK-BGB, § 2057 BGB Rz. 4. 6 Eberl-Borges in NomosKomm. BGB, § 2057 BGB Rz. 7; Wolf in Soergel, § 2057 BGB Rz. 6.

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Rz. 27.164 § 27

Abs. 2 BGB kann der Auskunftsverpflichtete zur eidesstattlichen Versicherung verpflichtet sein. 4. Qualifizierte Nachfolgeklauseln a) Bedeutung Sind nach dem Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft nicht alle, sondern nur ein oder einzelne Miterben als Nachfolger eines persönlich haftenden Gesellschafters vorgesehen, handelt es sich um eine sog. qualifizierte erbrechtliche Nachfolgeklausel.1 Da die übrigen Miterben von der Nachfolge in den Personengesellschaftsanteil ausgeschlossen werden, will die qualifizierte Nachfolgeklausel einer Zersplitterung des Gesellschaftsanteils entgegenwirken. In ihr drückt sich letztlich der Wunsch der Gesellschafter aus, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie auf die Mitgliedschaft in ihrer Personengesellschaft über den Tod hinaus Einfluss nehmen wollen. Auch bei einer qualifizierten Nachfolgeklausel vollzieht sich die Nachfolge kraft Erbrechts. Die Nachfolgeklausel führt daher nur dort zur automatischen, unmittelbaren Nachfolge, wo die in der Klausel genannte oder später bestimmte Person kraft Gesetzes oder letztwilliger Verfügung wenigstens Miterbe des verstorbenen Gesellschafters wird und bleibt.2

27.161

Kommt es zur Nachfolge in die Gesellschafterstellung aufgrund einer qualifizierten Nachfolgeklausel, rückt der benannte Erbe unmittelbar und direkt in die volle Gesellschafterstellung des Gesellschafters/Erblassers ein. Dessen Mitgliedschaft geht grundsätzlich in vollem Umfang und nicht etwa nur entsprechend einer Miterbenquote über. Dies gilt auch dann, wenn der Nachfolger nur zu einem bestimmten Bruchteil Erbe geworden ist. Ist im Gesellschaftsvertrag aber eine der Erbquote entsprechende qualifizierte Nachfolge vorgesehen, tritt der Nachfolgererbe auch nur insoweit in diese Rechtsposition des verstorbenen Gesellschafters ein; es gilt das Prinzip der Sondererbfolge.3

27.162

Der BGH hatte dazu im Jahr 1977 ausgeführt: „Zweifellos darf auch der Gesellschafter-Erbe nicht mehr erhalten bzw. behalten, als ihm aufgrund Erbrechts zusteht. Aber die Erbquote, die sein Recht umreißt, ist keine gegenständliche Begrenzung seines Erwerbs in dem Sinne, dass er keinen über diese Quote hinausgehenden Teil des Gesellschaftsanteils erwerben könnte. Sie bestimmt nur zwingend den Anteil am Wert des Gesamtnachlasses, der ihm im Endergebnis zufließen darf und soll.“4 Ferner heißt es: „Die Erbquote behält die volle ihr nach Erbrecht zukommende Bedeutung für die Ansprüche der Miterben untereinander – einschließlich des Gesellschafter-Erben – auf Wertausgleich.“5

27.163

b) Ausgleichsanspruch Der Nachfolger des verstorbenen Gesellschafters darf erbrechtlich nicht mehr erhalten, als ihm aufgrund seiner Erbquote zusteht. Dieser Grundsatz hat aber nicht zur Folge, dass er keinen über die Erbquote hinausgehenden Anteil an der Mitgliedschaft des Erblassers erwerben darf. Auf der Grundlage einer qualifizierten Nachfolgeklausel kommt es vielmehr dazu, dass 1 Hadding/Kießling in Soergel, § 727 BGB Rz. 25; Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 65. 2 Ebenroth, Rz. 871; Kroiß in NomosKomm. BGB, § 1922 BGB Rz. 26; Lange, Kap. 22 Rz. 88. 3 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (237 f.); BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, NJW 1983, 2376. 4 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, NJW 1977, 1339 (1342). 5 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, NJW 1977, 1339 (1343).

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27.164

§ 27 Rz. 27.164

Fünfter Teil: Unternehmensbewertung im Schadensersatz-, Familien-/Erbrecht

nur einer der Erben Gesellschafter wird. Die übrigen Miterben gehen diesbezüglich leer aus. Sie erhalten auch keinen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft, da der Wert des Anteils grundsätzlich zum Nachlass gehört. Erst im Rahmen der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft muss sich der Gesellschaftererbe den Wert seines Gesellschaftsanteils anrechnen lassen. Er ist seinen Miterben zum Ausgleich verpflichtet, sofern der Wert seiner Mitgliedschaft den Betrag übersteigt, der ihm nach seiner Erbquote zustehen würde.1 Eine gesetzliche Grundlage für diesen Ausgleich fehlt. Die Notwendigkeit der Ausgleichung ist nach richtiger Ansicht zwingende Folge der Achtung des Willens des Gesellschafter-Erblassers, wonach ohne abweichende letztwillige Verfügung die Erbquoten das Maß der Nachlassteilhabe bestimmen.2 Damit ist aber lediglich festgestellt, dass es eines solchen Ausgleichs bedarf;3 offen ist hingegen seine dogmatische Einordnung. Während Stimmen in der Literatur eine Analogie zu § 1978 BGB befürworten,4 findet sich auch die Auffassung, man solle eine Analogie zu §§ 2050 ff. BGB bilden.5 Die Rechtsprechung hatte den Ausgleichsanspruch in einem Fall auf § 242 BGB gestützt.6 Wiederum andere halten einen bereichungsrechtlichen Anspruch für gegeben.7 Zuzustimmen ist der Ansicht, die in der qualifizierten Nachfolgeklausel eine mit dem Erbfall vollzogene Teilungsanordnung sieht, denn anders als im Erbrecht ist im Gesellschaftsrecht die direkte dinglich wirkende Sondernachfolge möglich.8

27.165 Allen Positionen ist gemeinsam, dass der Gesellschaftererbe einen über seine Erbquote hinausgehenden Gesellschaftsanteil erwirbt. Die Erbquoten dienen allein als Grundlage für die Berechnung der erbrechtlichen Ansprüche auf Wertausgleich unter den Miterben. Ist daher die Erbquote des in die Gesellschaft eintretenden Miterben höher, scheidet der Wertausgleich aus. Letztlich werden die Folgen der Sondererbfolge im Wesentlichen auf die gesellschaftsrechtliche Zuordnung beschränkt. Folgt man diesem Ansatz, weil eine qualifizierte Nachfolgeklausel wie eine mit dem Erbfall vollzogene Teilungsanordnung funktioniert9 und in der Absicht des Erblassers kein Unterschied erkennbar ist, so hat dies Auswirkungen auf die Frage der Anteilsbewertung. Da hierfür das Erbrecht gilt,10 ergeben sich gegenüber der Bemessung von Ausgleichsansprüchen bei einer Teilungsanordnung keine Besonderheiten. Auch bei der qualifizierten Nachfolgeklausel ist daher für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs der wirkliche Wert des Unternehmens bzw. des Anteils das Bewertungsziel und der Erbfall der Bewertungsstichtag.11 1 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (238); Gergen in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2032 BGB Rz. 60b. Diese Ausgleichspflicht kann der Erblasser aber im Wege eines Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) ausschließen. 2 Brügmann, S. 306 f. 3 Der Ausgleichsanspruch der weichenden Miterben ist erbrechtlicher Natur, BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (196 f.); Westermann in Erman, § 727 BGB Rz. 12. 4 Habermeier in Staudinger, 2003, § 727 BGB Rz. 20; Rüthers, AcP 168 (1968), 263 (268 f.); Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 727 BGB Rz. 45. 5 Wolf in Soergel, § 2032 BGB Rz. 25; a.A. Marotzke, AcP 184 (1984), 541 (562 ff.). 6 Vgl. BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (197). Fraglich ist, ob die Rechtsprechung heute noch Gültigkeit besitzt, geht sie doch von einer mittlerweile überholten Konstruktion der qualifizierten Nachfolge aus. In BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (238 f.) wurde auf die Bedeutung der Erbquoten abgestellt. 7 Brügmann, S. 362 ff. 8 Lange, Kap. 22 Rz. 92; K. Schmidt, GesR, § 45 V 5c; Schöne in BeckOK-BGB, § 727 BGB Rz. 18; Tanck in Damrau/Tanck, § 1922 BGB Rz. 65. 9 K. Schmidt, GesR, § 45 V 4 b. 10 Schöne in BeckOK-BGB, § 727 BGB Rz. 18; Westermann in Erman, § 727 BGB Rz. 12. 11 Braunhofer, S. 211; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 727 BGB Rz. 45.

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Sechster Teil Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht § 28 Unternehmensbewertung im Bilanzrecht I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . .

28.1

II. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . .

28.7

III. Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach IFRS . . . . . . . . . . 1. Stellung der IFRS im deutschen Bilanzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anlässe für Unternehmensbewertungen im IFRS-Bilanzrecht . . . . . . a) Bewertungsauslösende Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugangsbewertung . . . . . . . . . . c) Folgebewertung . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Bewertungsanlässe . . . . 3. Wertkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzeption des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“) . . . . . . c) Konzeption des Nutzungswerts (IAS 36) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“) . . . . . . . . . a) Eingangsparameter . . . . . . . . . . b) Bewertungsverfahren . . . . . . . . . aa) Marktorientierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . bb) Kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren . . . . . cc) Kostenorientierte Bewertungsverfahren (cost approach) . . . . . . . . . . . . . . c) Lösungsansätze für ausgewählte Anwendungsfragen . . . . . . . . . .

28.12 28.12 28.17 28.17 28.19 28.23 28.27 28.30 28.30 28.34 28.41 28.44 28.45 28.57 28.60 28.61 28.67

5. Ermittlung des Nutzungswerts („Value in use“) . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . b) Bewertungsverfahren . . . . . . . . . c) Schätzung der zukünftigen Zahlungsströme . . . . . . . . . . . . . d) Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . e) Äquivalenz zwischen Nutzungswert und Buchwert . . . . . . . . . . IV. Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach HGB . . . . . . . . . . 1. Bilanzierung von Unternehmensanteilen im HGB-Bilanzrecht . . . . . 2. Anlässe für Unternehmensbewertungen im HGB-Bilanzrecht . . . . . . a) Zugangsbewertung . . . . . . . . . . . b) Folgebewertung . . . . . . . . . . . . . 3. Wertkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung des beizulegenden Werts nach § 253 Abs. 3 HGB . . . . . a) Dauerhafte Beteiligungsabsicht . b) Veräußerungsabsicht . . . . . . . . . 5. Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts nach § 255 Abs. 4 HGB . . . . . a) Marktpreis auf einem aktiven Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemein anerkannte Bewertungsmethoden . . . . . . . . c) Fortgeführte Anschaffungsoder Herstellungskosten . . . . . .

28.74 28.74 28.77 28.81 28.88 28.94 28.99 28.99 28.103 28.103 28.106 28.110 28.116 28.119 28.123 28.125 28.127 28.131 28.134

28.69

Schrifttum: Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller (Hrsg.), Haufe HGB Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2018; Cassel, Unternehmensbewertung im IFRS-Abschluss, 2012; Deloitte (Hrsg.), iGAAP 2017, A guide to IFRS reporting, 10. Aufl. 2016; Ernst & Young (Hrsg.), International GAAP 2018, 2018; Goldschmidt/Weigl, Die Bewertung von Finanzinstrumenten bei Kreditinstituten in illiquiden Märkten nach IAS 39 und HGB, WPg 2009, 192; Großfeld/Tönnes, Bilanzen als Elemente der Unternehmensbewertung, NZG 2010, 921; Hachmeister/Glaser, Finanzanlagevermögen nach HGB und EStG, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses (HdJ); Hachmeister/Ruthardt, Bestimmung der Kapitalkosten beim Impairment-Test, IRZ 2012, 233; Hayn/Ehsen, Impairment Test im HGB. Beteiligungsbewertung gemäß IDW ERS HFA 10, FB 2003, 205; Henkel/Heller, Glossar zur Rechnungslegung von Finanzinstrumenten nach IFRS (und HGB), KoR 2009, 279; Hitz,

Leverkus 925

§ 28 Rz. 28.1

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Zeitbewertung nach IFRS, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses (HdJ); Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 9. Aufl. 2018; IDW (Hrsg.), WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; IDW (Hrsg.), WPH Edition: Assurance, 2017; KPMG (Hrsg.), Insights into IFRS, 14. Aufl. 2017/18; Küting/Cassel, Zur Hierarchie der Unternehmensbewertungsverfahren bei der Fair Value-Bewertung, KoR 2012, 322; Küting/Hayn, Anwendungsgrenzen des Gesamtbewertungskonzepts in der IFRS-Rechnungslegung, BB 2006, 1211; Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, 2. Aufl. 2009; Küting/Trappmann/Ranker, Gegenüberstellung der Bewertungskonzeption von beizulegendem Wert und Fair Value im Sachanlagevermögen, DB 2007, 1709; Kupke/Nestler, Bewertung von Beteiligungen und sonstigen Unternehmensanteilen in der Handelsbilanz gemäß IDW RS HFA 10, BB 2003, 2671; Laas, Werthaltigkeitsprüfungen für Unternehmensanteile in der Rechnungslegung, DB 2006, 457; Löw/Scharpf/Weigel, Auswirkungen des Regierungsentwurfs zur Modernisierung des Bilanzrechts auf die Bilanzierung von Finanzinstrumenten, WPg 2008, 1011; Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), Haufe IFRS-Kommentar (OnlineVersion); Müller/Reinke, Entwicklung der Parameter im Rahmen von Werthaltigkeitsprüfungen, PiR 2010, 241; Mujkanovic, Die Bewertung von Anteilen an nachhaltig ertragsschwachen Unternehmen im handelsrechtlichen Jahresabschluss, WPg 2010, 294; Pawelzik, Impairment-Test nach IAS 36, PiR 2011, 317; Pilhofer/Bösser, Der Einfluss unternehmensspezifischer Parameter zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes beim impairment-Test gem. IAS 36, PiR 2011, 219; Pottgießer/Velte/Weber, Ermessensspielräume im Rahmen des Impairment-Only-Approach, DStR 2005, 1748; PWC (Hrsg.), Manual of accounting – IFRS 2017, 2017; Reinke, Praktische Herausforderungen bei der Bestimmung des Diskontierungszinssatzes zur Ermittlung des Nutzungswerts, PiR 2012, 283; Schildbach, Fair Value, Subprime-Krise und Destabilisierung der Wirtschaft, DStR 2012, 474; Theile/Pawelzik, Auswirkungen von IFRS 13 auf den impairment-Test nach IAS 36, PiR 2012, 210; Zwirner/Vodermeier, Impairmentzinssätze nach IFRS – Empirische Befunde und Hinweise zum 31.12.2017, IRZ 2018, 58.

I. Vorbemerkung 28.1 Das Handelsrecht kennt eine Vielzahl von Anlässen, die eine Unternehmensbewertung für Zwecke der Bilanzierung erfordern. Im Folgenden wird erläutert, nach welchen Normen und Grundsätzen die Bewertung eines ganzen Unternehmens, von Unternehmensanteilen oder eines unternehmensähnlichen Gebildes im Bilanzrecht zu erfolgen hat. Fälle, in denen der bilanzierte Wert auf einer gesetzlichen Fiktion beruht, insbesondere die Bilanzierung erworbener Unternehmensanteile zu Anschaffungskosten, erfordern keine Unternehmensbewertung und werden hier nicht weiter betrachtet.

28.2 Dementsprechend ist bei der erstmaligen Bilanzierung von Unternehmensanteilen nach Erwerb (Zugangsbewertung) in der Regel keine Unternehmensbewertung erforderlich, da die in Deutschland relevanten Bilanzierungsregeln (HGB, IFRS) für die Zugangsbewertung eine Bilanzierung mit dem Kaufpreis vorsehen. In einigen Fällen, wie dem Anteilstausch oder der Sacheinlage, liegt beim Zugang von Unternehmen oder Unternehmensanteilen jedoch kein Kaufpreis vor. Dann ist eine Unternehmensbewertung auch im Rahmen der Zugangsbewertung erforderlich.

28.3 Die Folgebewertung von Unternehmensanteilen an Bilanzstichtagen nach dem Erwerb erfordert Unternehmensbewertungen vor allem im Zusammenhang mit Werthaltigkeitstests. Mit einem Werthaltigkeitstest wird überprüft, ob die Bilanzierung von Unternehmensanteilen zu Anschaffungskosten weiterhin gerechtfertigt oder eine außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren Wert am Bilanzstichtag erforderlich ist. In den Jahren nach der außerplanmäßigen Abschreibung kann dann auch zu prüfen sein, ob für die Unternehmensanteile eine Wertaufholung bis zu den Anschaffungskosten als Obergrenze vorzunehmen ist. Daneben kennt das neuere Bilanzrecht in bestimmten Fällen für bilanzierte Unternehmensanteile die 926

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.8 § 28

generelle Verpflichtung, den am Bilanzstichtag aktuellen Wert zu bilanzieren, ohne dabei auf die Anschaffungskosten als Obergrenze begrenzt zu sein. Bei der Frage nach der Notwendigkeit einer außerplanmäßigen Abschreibung eines aktivierten Firmenwertes ist in bestimmten Fällen eine Gesamtbewertung unternehmensähnlicher Gebilde sinnvoll. Sofern fragwürdige Erlöszurechnungen zu dem bilanzierten Firmenwert vermieden werden sollen, kann der Wert eines bilanzierten Firmenwertes am Bilanzstichtag aufgrund seiner Eigenschaft als Residualgröße faktisch nur bestimmt werden, indem die gesamten Vermögenswerte, mit denen der Firmenwert realisiert wird, aus der Perspektive der tatsächlichen Nutzung im wirtschaftlichen Zusammenhang bewertet werden.1 Dann ist in einem ersten Schritt der Wert dieses unternehmensähnlichen Gebildes zu bestimmen und in einem zweiten Schritt, wenn dieser Wert den Buchwert nicht deckt, kann der geminderte Firmenwert wiederum als Residualgröße ermittelt werden.

28.4

Nicht weiter thematisiert werden möglicherweise erforderliche Unternehmensbewertungen 28.5 im Zusammenhang mit derivativen Finanzinstrumenten wie Optionen, die auf den Erwerb oder die Veräußerung von Unternehmensanteilen als Basiswerte gerichtet sind, sowie im Zusammenhang mit Optionen auf Unternehmensanteile, die Mitarbeitern oder Dritten als Entgelt für Güter oder Dienstleistungen eingeräumt werden. Im deutschen Bilanzrecht ist grundlegend zu unterscheiden zwischen der Rechnungslegung nach den direkt im HGB verankerten Normen und der Rechnungslegung nach IFRS, die nach HGB vorgeschrieben ist, deren Fundament jedoch im europäischen Rechtsraum liegt. Aufgrund der großen Unterschiede erfolgt eine getrennte Darstellung beider Normen. Die HGBund IFRS-Vorschriften werden nur erläutert, soweit dies für ein Verständnis der Normen, Wertkonzeptionen und Auslegungen erforderlich erscheint. Im Vergleich weisen die IFRSNormen eine weitaus stärkere Regelungsdichte auf und werden daher zunächst dargestellt.

28.6

II. Rechtsprechung In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung gibt es bisher – soweit ersichtlich – keine nennenswerte Zahl von Entscheidungen, die sich mit der Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach HGB und IFRS befassen. Die ergangenen Entscheidungen befassen sich mit der Frage nach der Nichtigkeit eines Jahresabschlusses gem. § 256 Abs. 5 AktG aufgrund eines Verstoßes gegen Bewertungsvorschriften durch die Überbewertung von Beteiligungen.2 Die geringe Zahl der Entscheidungen mag darauf zurückzuführen sein, dass die strittigen Fragen des Bilanzrechts in der Regel im Rahmen der gesetzlichen Abschlussprüfung gem. §§ 316 ff. HGB zwischen dem bilanzierenden Unternehmen und seinem Abschussprüfer ohne Einbeziehung der Rechtsprechung geklärt werden. Bezüglich der umfangreicheren Rechtsprechung zum Bilanzsteuerrecht wird auf § 29 verwiesen.

28.7

Auch die Einführung des sog. Enforcement-Verfahrens hat bisher nicht zu einer weiteren Befassung der Rechtsprechung mit den bilanzrechtlichen Regelungen zur Unternehmensbewertung geführt. Das mit dem Bilanzkontrollgesetz vom 15.12.2004 eingeführte EnforcementVerfahren soll die Jahres- und Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen einer zusätzlichen Überprüfung unterziehen. Es sieht in einem ersten Schritt eine Nachprüfung

28.8

1 Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 253 Rz. 183 ff. 2 OLG München v. 12.11.1993 – 7 U 3165/93, GmbHR 1994, 633 = AG 1994, 375; LG München I v. 22.12.2011 – 5 HK O 12398/08, AG 2012, 386.

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§ 28 Rz. 28.8

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

bereits testierter Abschlüsse durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. (DPR) vor.

28.9 Die DPR ist vom Bundesministerium der Justiz nach § 342b HGB anerkannt, jedoch nicht hoheitlich beliehen.1 Nach § 108 WpHG kann die DPR aber im Falle von Verstößen oder fehlender Mitwirkung der betroffenen Unternehmen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) einschalten, die dann die Möglichkeit hat, nach § 107 WpHG die Prüfung und nach § 109 WpHG die Veröffentlichung von Bilanzierungsfehlern mit hoheitlichen Mitteln durchzusetzen. Gegen Prüfungsanordnungen, Fehlerfeststellungen oder Veröffentlichungsanordnungen der BaFin steht den betroffenen Unternehmen der Rechtsweg beim gem. §§ 113 Abs. 2 WpHG, 48 Abs. 4, 51 WpÜG allein zuständigen OLG Frankfurt offen.

28.10 Obwohl die jährlich bekannt gegebenen Prüfungsschwerpunkte der DPR bisher sehr oft auch die Werthaltigkeit von Beteiligungen und Firmenwerten betrafen,2 hat sich der zuständige Wertpapiererwerbs- und Übernahmesenat des OLG Frankfurt, gemessen an seinen bislang veröffentlichten Entscheidungen zum Enforcement-Verfahren, derzeit noch nicht mit materiellen Fragen der Unternehmensbewertung im Bilanzrecht befasst.

28.11 Im Beschluss vom 7.1.2016 hatte sich das OLG Frankfurt in einem Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Fehlerfeststellung der DPR u.a. mit der Frage zu befassen, ob eine als Finanzanlage ausgewiesene Beteiligung fehlerhaft zu Anschaffungskosten statt zum beizulegenden Zeitwert bewertet wurde. Zwischen dem bilanzierenden Unternehmen und der DPR war in diesem Zusammenhang strittig, inwieweit nach verschiedenen Bewertungsverfahren ermittelte Unternehmenswerte „verlässlich“ sind oder ob vielmehr eine „signifikante“ Schwankungsbreite vorliegt, die nach IAS 39 eine Bilanzierung zu Anschaffungskosten erfordert. Dies beinhaltete auch die Frage, welche Bewertungsverfahren „vernünftige“ bzw. „sachgerechte“ Schätzungen im Sinne von IAS 39 darstellen. Weiterhin war strittig, ob das bilanzierende Unternehmen vertretbare, in sich widerspruchsfreie Bewertungsannahmen verwendet hatte. Das OLG Frankfurt ließ diese Fragen in seinem Beschluss jedoch offen mit der Begründung, dass Fülle und Komplexität der vielfältigen und streitigen, weitgehend miteinander zusammenhängenden Rechts-, Bewertungs- und Tatsachenfragen nicht festgestellt werden kann, dass die Verfügung der DPR in diesem Punkt mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgehoben werden wird.3

III. Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach IFRS 1. Stellung der IFRS im deutschen Bilanzrecht

28.12 Nach Art. 4 der Verordnung (EG) 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 („VO 1606/2002“) haben kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen, die dem Recht eines Mitgliedstaats der EU unterliegen, ihren Konzernabschluss nach den von der EU übernommenen IFRS aufzustellen. Diese Vorschrift stellt für betroffene Unternehmen unmittelbar anwendbares Recht dar. Nach § 315e Abs. 1 HGB sind solche Unternehmen von den Vorschriften zur Erstellung eines Konzernabschlusses nach den §§ 290 ff. HGB mit Ausnahme einiger Einzelvorschriften vollständig befreit, so dass sie nur einen Konzernabschluss aufstellen müssen, diesen jedoch nach den von der EU übernommenen IFRS. 1 Vgl. Grottel in BeckBilanzkomm., § 342b HGB Rz. 7. 2 Vgl. Grottel in BeckBilanzkomm., § 342b HGB Rz. 174 f. 3 OLG Frankfurt a.M. v. 7.1.2016 – WpÜG 2/15 = AG 2016, 824.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.17 § 28

Ein Mutterunternehmen ist kapitalmarktorientiert i.S.d. VO 1606/2002, wenn es Wertpapiere ausgegeben hat, die am Abschlussstichtag zum Handel an einem geregelten Markt in irgendeinem Mitgliedstaat der EU zugelassen sind. Ob ein Unternehmen „Mutterunternehmen“ ist, richtet sich nach den §§ 290 ff. HGB.1

28.13

Die Übernahme der IFRS durch die EU erfolgt im Rahmen eines sog. Komitologieverfahrens. 28.14 Im Rahmen dieses Verfahrens wird geprüft, ob die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 VO 1606/2002 gegeben sind. Nach Art. 3 Abs. 2 VO 1606/2002 setzt die Übernahme eines IFRSStandards durch die EU voraus, dass der Standard ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einer Gesellschaft vermittelt, dass er dem europäischen öffentlichen Interesse entspricht und dass er den Kriterien Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügt, damit die Abschlüsse für die Adressaten von Nutzen sind. Die von der EU übernommenen IFRS werden als Kommissionsverordnung veröffentlicht und sind damit unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten der EU. Weitere, freiwillige Anwendungsmöglichkeiten der IFRS im deutschen Bilanzrecht ergeben sich nach § 315e Abs. 3 HGB auch für die Konzernabschlüsse nicht kapitalmarktorientierter Mutterunternehmen sowie nach § 325 Abs. 2a HGB, der es Kapitalgesellschaften ermöglicht, statt eines HGB-Jahresabschlusses einen IFRS-Jahresabschluss im elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen.

28.15

Die IFRS setzen sich zusammen aus den IFRS („International Financial Reporting Standards“) und den älteren, noch gültigen IAS („International Accounting Standards“) sowie den Interpretationen des IFRIC („International Financial Interpretations Committee“) und den noch gültigen Interpretationen des ehemaligen SIC („Standing Interpretations Committee“).2 Mit der Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 der Kommission vom 3.11.2008 („VO 1126/2008“) wurde zunächst das Grundgerüst der zu dieser Zeit bestehenden IFRS, IAS, IFRIC und SIC übernommen und nachfolgend durch eine Vielzahl weiterer Verordnungen ergänzt bzw. geändert.3

28.16

2. Anlässe für Unternehmensbewertungen im IFRS-Bilanzrecht a) Bewertungsauslösende Standards Unternehmensanteile können im IFRS-Bilanzrecht nach ganz unterschiedlichen Standards 28.17 zu bewerten sein; IFRS 13, der nur die Ermittlung des Fair Value regelt, gehört nicht dazu. Im Konzernabschluss, dem Hauptanwendungsfall der IFRS in Deutschland, richten sich die relevanten Standards nach dem Status der Beteiligung: Anteile an Tochtergesellschaften werden nach IFRS 3 („Unternehmenszusammenschlüsse“) und nach IFRS 10 („Konzernabschlüsse“) bilanziert. Anteile an gemeinschaftlich geführten Unternehmen und Unternehmen, auf die ein maßgeblicher Einfluss besteht, werden nach IAS 28 („Anteile an assoziierten Unternehmen und Gemeinschaftsunternehmen“) bilanziert. Die übrigen Unternehmensanteile werden nach IFRS 9 („Finanzinstrumente“) bilanziert. Die Bilanzierung von Unternehmensanteilen im Einzelabschluss richtet sich nach IAS 27 („Einzelabschlüsse“).

1 Vgl. WPH Edition: WP Handbuch, Teil K Rz. 2. 2 Vgl. IAS 1.7, Definition „International Financial Reporting Standards“. 3 Vgl. IDW Textausgabe, International Financial Reporting Standards IFRS, 11. Aufl. 2018, S. 12137.

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§ 28 Rz. 28.18

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

28.18 Der Standard IAS 36 („Wertminderung von Vermögenswerten“) enthält Vorschriften zur Überprüfung des Wertansatzes von Unternehmensanteilen („Impairment Test“), die nach der Equity-Methode in den Konzernabschluss einbezogen werden, und von Unternehmensanteilen, die im IFRS-Einzelabschluss zu Anschaffungskosten bewertet werden. Der Firmenwert im Konzernabschluss wird nach IAS 36 nicht auf der Ebene der erworbenen Tochtergesellschaft auf Wertminderung überprüft, sondern auf der Ebene sog. zahlungsmittelgenerierender Einheiten („cash generating units“). Die zahlungsmittelgenerierende Einheit kann als wirtschaftliche Abgrenzung eines Teilunternehmens innerhalb eines Konzerns verstanden werden. Abgrenzungskriterium ist die Möglichkeit, dieser Einheit Zahlungsströme zuordnen zu können, die unabhängig von den Zahlungsströmen anderer Vermögensgegenstände sind. Diese wirtschaftliche Einheit kann, muss aber nicht, mit einem oder mehreren Rechtsträgern übereinstimmen. Sofern die zahlungsmittelgenerierende Einheit einen Firmenwert enthält und nicht identisch mit einem Rechtsträger abgegrenzt wird, wird es sich jedoch um ein unternehmensähnliches Gebilde handeln. b) Zugangsbewertung

28.19 Im IFRS-Bilanzrecht gibt es eine Vielzahl von Anlässen, die beim Zugang von Vermögenswerten eine Unternehmensbewertung erfordern. Nachfolgend werden die wichtigsten Anwendungsfälle dargestellt.

28.20 Im Rahmen der Bilanzierung von Unternehmenszusammenschlüssen („Business Combinations“) nach IFRS 3 bestehen mehrere Anwendungsfälle: – Zunächst verpflichtet die Erwerbsmethode den Erwerber, die erworbenen Vermögenswerte vom Erwerber einzeln zu bewerten. Hierzu zählen u.a. auch im Vermögen des erworbenen Unternehmens gehaltene Unternehmensanteile, die nicht vollkonsolidiert werden. Dazu zählen Anteile an assoziierten Unternehmen, die nach der Equity-Methode in den Konzernabschluss einbezogen werden, sowie Unternehmensanteile, bei denen weder Beherrschung noch maßgeblicher Einfluss besteht. – Sofern Minderheitsanteile an dem erworbenen Unternehmensvermögen bestehen, kann dieses Vermögen gemäß IFRS 3.19 anteilig zum beizulegenden Zeitwert bilanziert werden. – Sofern die Gegenleistung für das erworbene Unternehmensvermögen ganz oder teilweise in Unternehmensanteilen des Erwerbers besteht, sind zur Ermittlung des Firmenwerts die hingegebenen Unternehmensanteile nach IFRS 3.37 zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten. – Sofern der Unternehmenszusammenschluss in mehreren Schritten erfolgte (z.B. Erwerb von zunächst 25 % der Unternehmensanteile und später dann Erwerb von weiteren Anteilen über die Beherrschungsschwelle hinaus), sind die zuerst erworbenen Anteile im Zeitpunkt der Erlangung der Beherrschungsmacht gemäß IFRS 3.42 erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten, unabhängig davon, ob die Anteile zuvor als Finanzinstrumente oder nach der Equity-Methode bilanziert wurden.

28.21 Weitere Anwendungsfälle ergeben sich aus der Bilanzierung von Unternehmen, auf die ein maßgeblicher Einfluss ausgeübt wird (assoziierte Unternehmen), und von Unternehmen, die gemeinschaftlich geführt werden (Gemeinschaftsunternehmen) nach der sog. Equity-Methode (IAS 28). Eine Beteiligung an assoziierten Unternehmen ist zunächst zu Anschaffungskosten zu bilanzieren. Der Bewertungsmaßstab für die Anschaffungskosten im Falle der Hin-

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.25 § 28

gabe eigener Anteile oder durch die Sacheinlage von Unternehmensanteilen ist in IAS 28 nicht definiert. In diesen Fällen sind nach der einhelligen Meinung in der Kommentierung zu IAS 28 – wie bei nahezu allen Tauschvorgängen – die Anschaffungskosten nach dem beizulegenden Zeitwert der hingegebenen eigenen Anteile oder der eingebrachten Unternehmensanteile zu bestimmen.1 Die nach IFRS 9 zu bilanzierenden Unternehmensanteile sind bei Erwerb grundsätzlich zum 28.22 beizulegenden Zeitwert zu bilanzieren.2 Die Anwendungsleitlinien zu IFRS 9 stellen klar, dass der beizulegende Zeitwert bei Erwerb im Normalfall dem Transaktionspreis entspricht.3 Eine Unternehmensbewertung kann jedoch bereits im Erwerbszeitpunkt erforderlich werden, wenn die Unternehmensanteile im Wege des Tauschs erworben wurden. c) Folgebewertung Die wichtigsten Anwendungsfälle für eine Unternehmensbewertung im IFRS-Bilanzrecht im Rahmen der Folgebewertung sind in den Standards IAS 36, IFRS 9 und IFRS 5 geregelt:

28.23

Nach IAS 36 sind Unternehmensanteile, die nach der Equity-Methode in den Konzernabschluss einbezogen werden, und Unternehmensanteile, die im IFRS-Einzelabschluss zu Anschaffungskosten bewertet werden, bei dem Vorliegen von Indikatoren auf eine Wertminderung zu überprüfen. Zahlungsmittelgenerierende Einheiten einschließlich Firmenwert, die als unternehmensähnliche Gebilde zu betrachten sind, müssen hingegen zwingend jährlich auf eine mögliche Wertminderung überprüft werden. Die Überprüfung erfolgt nach IAS 36.1 durch Ermittlung des erzielbaren Betrages, der den Buchwert nicht unterschreiten darf. Der erzielbare Betrag ist nach IAS 36.18 definiert als der höhere Betrag aus dem beizulegenden Zeitwert abzüglich Verkaufskosten („fair value less costs of disposal“) und dem Nutzungswert („value in use“).

28.24

Die nach IFRS 9 zu bilanzierenden Unternehmensanteile sind gemäß IFRS 9.4.1.4 – nicht begrenzt durch die Höhe der Anschaffungskosten – auch im Rahmen der Folgebewertung immer zum beizulegenden Zeitwert zu bilanzieren. Differenzen zwischen altem und neuem beizulegenden Zeitwert sind grundsätzlich erfolgswirksam zu bilanzieren. Beim erstmaligen Ansatz der Unternehmensanteile besteht jedoch – sofern die Anteile nicht zu Handelszwecken gehalten werden – ein Wahlrecht, unwiderruflich festzulegen, dass solche Differenzen erfolgsneutral im sonstigen Ergebnis erfasst werden (IFRS 9.5.7.5). In diesem Fall werden dauerhaft lediglich Dividenden erfolgswirksam erfasst (IFRS 9.5.7.1A), während erfolgsneutral erfasste Differenzen zwischen dem beizulegenden Zeitwert auch bei Abgang der Unter-

28.25

1 Vgl. z.B. Hoffmann/Lüdenbach/Freiberg in Haufe IFRS-Kommentar Online, § 33 Rz. 52 (Stand: 1.1.2018). 2 Nach IFRS 9 kann die Zugangsbewertung von Unternehmensanteilen auch zum beizulegenden Zeitwert zuzüglich Transaktionskosten erfolgen. Die Behandlung etwaiger Transaktionskosten ist abhängig von der Ausübung des Wahlrechts zwischen erfolgswirksamer und erfolgsneutraler Erfassung der Änderungen des beizulegenden Zeitwertes. Werden Änderungen erfolgswirksam erfasst, sind Transaktionskosten bereits im Zugangszeitpunkt ergebniswirksam zu erfassen (IFRS 9.IG.E.1.1). Werden Änderungen erfolgsneutral erfasst, sind die Transaktionskosten zunächst in den Zugangswert einzubeziehen (IFRS 9.5.1.1). 3 Vgl. IFRS 9.B5.1.1. Zur Frage der Abweichung des Transaktionspreises vom beizulegenden Zeitwert vgl. Rz. 19.57 ff.

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§ 28 Rz. 28.25

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

nehmensanteile nicht aus dem sonstigen Ergebnis in die Gewinn- und Verlustrechnung umgegliedert werden.1

28.26 IFRS 5 regelt die Bilanzierung von zur Veräußerung bestimmten Vermögenswerten und Veräußerungsgruppen. Hierzu zählen bei entsprechender Veräußerungsabsicht Unternehmensanteile, die im Konzernabschluss nach der Equity-Methode sowie Unternehmensanteile, die im Einzelabschluss zu Anschaffungskosten bilanziert werden. Eine Veräußerungsgruppe ist eine Gruppe von Vermögensgegenständen, die gemeinsam veräußert werden sollen, ggf. unter Einbeziehung von Schulden. Wenn eine Veräußerungsgruppe einen Firmenwert enthält, wird es sich dabei in der Regel um ein unternehmensähnliches Gebilde handeln. Nach IFRS 5.15 sind zur Veräußerung bestimmte Vermögenswerte und Veräußerungsgruppen zum niedrigeren Wert aus Buchwert und beizulegendem Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten zu bilanzieren. d) Weitere Bewertungsanlässe

28.27 Nachfolgend werden einige ausgewählte Sonderfälle dargestellt, die im IFRS-Bilanzrecht zu Unternehmensbewertungen führen können. – IFRIC 17 („Sachdividenden an Eigentümer“) behandelt die Bilanzierung von Sachdividenden einschließlich Auf- und Abspaltungen nach § 123 UmwG beim ausschüttenden Unternehmen, sofern nicht die Kontrolle über den Ausschüttungsgegenstand vor und nach der Ausschüttung bei der gleichen Partei liegt. Nach IFRIC 17.11 bemisst sich die beim ausschüttenden Unternehmen zu bilanzierende Ausschüttungsverbindlichkeit nach dem beizulegenden Zeitwert der ausgeschütteten Vermögenswerte, so dass für Unternehmensanteile bzw. unternehmensähnliche Gebilde eine Unternehmensbewertung erforderlich ist. – In IFRIC 19 („Tilgung finanzieller Verbindlichkeiten durch Eigenkapitalinstrumente“) ist die Bilanzierung des sog. Debt-to-Equity-Swap aus Sicht des Schuldners geregelt, sofern der Verzicht auf die Rückzahlung durch den Gläubiger nicht im Gesellschaftsverhältnis begründet ist. Nach IFRIC 19.6 sind die ausgegebenen Unternehmensanteile mit dem beizulegenden Zeitwert im Zeitpunkt der Tilgung der finanziellen Verbindlichkeit zu bewerten.

28.28 Die Notwendigkeit einer Unternehmensbewertung ergibt sich auch, wenn Unternehmensanteile ihren Konsolidierungsstatus wechseln: – Nach IFRS 10.25b sind bei einem Verlust der Beherrschung über eine Tochtergesellschaft die verbleibenden Anteile erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten. – Bei Unternehmensanteilen, die nach der Equity-Methode bilanziert werden, sind nach IAS 28.22 bei Verkauf eines Teils der Beteiligung mit Verlust des maßgeblichen Einflusses die verbleibenden Unternehmensanteile erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten.

28.29 Nicht weiter thematisiert werden möglicherweise erforderliche Unternehmensbewertungen im Zusammenhang mit derivativen Finanzinstrumenten wie Optionen, die auf den Erwerb oder die Veräußerung von Unternehmensanteilen als Basiswerte gerichtet sind (IFRS 9), sowie im Zusammenhang mit Optionen auf Unternehmensanteile, die Mitarbeitern oder Dritten als Entgelt für Güter oder Dienstleistungen eingeräumt werden (IFRS 2). 1 Vgl. Hoffmann/Lüdenbach/Freiberg in Haufe IFRS-Kommentar Online, § 28 Rz. 392 (Stand: 1.1.2018).

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.34 § 28

3. Wertkonzeptionen a) Überblick Für die Vielzahl der unterschiedlichen Bewertungsanlässe zur Bewertung von Unternehmensanteilen kennt das IFRS-Bilanzrecht zwei unterschiedliche Wertkonzepte, den beizulegenden Zeitwert und den Nutzungswert. Die Vorschriften zur Ermittlung von Unternehmenswerten nach diesen beiden Wertkonzeptionen befinden sich entweder im Standard IFRS 13 oder im Standard IAS 36.

28.30

IFRS 13 („Bemessung des beizulegenden Zeitwerts“) wurde mit Verordnung (EU) 1255/ 2012 der Kommission vom 11.12.2012 in den Anhang von VO 1126/2008 eingefügt und wurde zuletzt durch Verordnung (EU) Nr. 2017/1986 der Kommission vom 31.10.2017 geändert. IAS 36 („Wertminderung von Vermögenswerten“) gehört zum Grundgerüst der VO 1126/2008 und wurde zuletzt durch Verordnung (EU) Nr. 2016/2067 der Kommission vom 22.11.2016 geändert. Beide Standards sind damit unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten der EU, die bei Konzernabschlüssen von kapitalmarktorientierten Unternehmen verpflichtend anzuwenden sind. IFRS 13 ist grundsätzlich bei jeder Bewertung anzuwenden, wenn nach Vorschriften der IFRS der beizulegende Zeitwert („Fair Value“) zu ermitteln ist. Explizit ausgeschlossen vom Geltungsbereich des IFRS 13 sind gemäß IFRS 13.6 der Nutzungswert nach IAS 36, Transaktionen im Zusammenhang mit anteilsbasierten Vergütungen nach IFRS 2, Leasingtransaktionen, die in den Anwendungsbereich von IFRS 16 fallen, sowie der Nettoveräußerungswert („Net realizable value“) im Zusammenhang mit der Bewertung von Vorräten nach IAS 2.

28.31

Das Konzept des Fair Value erfährt in der Literatur teils heftige Kritik: Die Bewertung zum Fair Value leiste einer Aushöhlung des Objektivierungsgrundsatzes der Rechnungslegung durch die Verdrängung des Prinzips der Einzelbewertung Vorschub.1 Zudem biete es Anreize, spekulative Engagements einzugehen, wenn bloße Fair Value-Steigerungen als vollwertige Gewinne behandelt werden können.2

28.32

Der Nutzungswert ist ausschließlich im Rahmen von IAS 36 zu ermitteln, um Vermögenswerte auf eine mögliche Wertminderung zu prüfen. Die Vorschriften zur Ermittlung des Nutzungswertes befinden sich – ohne Verweise auf IFRS 13 – ausschließlich in IAS 36. Es handelt sich um eine eigene Wertkonzeption, die neben dem beizulegenden Zeitwert steht, weil IAS 36 grundsätzlich die Ermittlung beider Werte fordert. Eine Wertminderung nach IAS 36 liegt nur vor, wenn der Buchwert des auf Wertminderung geprüften Vermögenswerts sowohl niedriger als der beizulegende Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten als auch niedriger als der Nutzungswert ist.

28.33

b) Konzeption des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“) IFRS 13.9 definiert den Fair Value als hypothetischen Preis, der erzielt würde, wenn man einen Vermögenswert in einer geordneten Transaktion zwischen Marktteilnehmern zum Bewertungszeitpunkt verkaufen würde. Beim Fair Value handelt es sich also konzeptionell um eine marktorientierte Bewertung, der die Einschätzung der repräsentativen Marktteilnehmer zum Wert des Vermögenswerts zugrunde liegt. Der Fair Value darf somit nicht allein auf den

1 Küting/Hayn, BB 2006, 1211 (1216). 2 Schildbach, DStR 2012, 474 (477).

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28.34

§ 28 Rz. 28.34

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Einschätzungen eines einzelnen Marktteilnehmers beruhen, der aufgrund höherer spezifischer Synergien bereit wäre, einen höheren Preis als die typischen Marktteilnehmer zu zahlen.1

28.35 Nach IFRS 13.11 sind die spezifischen Eigenschaften des Vermögenswertes immer dann zu berücksichtigen, wenn andere Marktteilnehmer diese Charakteristika zum Bewertungszeitpunkt einpreisen würden. Als Beispiele werden Zustand, Standort und Beschränkungen für den Verkauf oder Gebrauch der Vermögenswerte genannt.

28.36 Wenn der Vermögenswert an mehreren Marktplätzen gehandelt wird, ist nach IFRS 13.16 der bedeutendste Markt („principal market“) für die Fair Value-Bestimmung heranzuziehen. Der bedeutendste Markt zeichnet sich dadurch aus, dass er aus Unternehmenssicht die höchste Liquidität aufweist. Lässt sich der bedeutendste Markt nicht feststellen, ist stattdessen derjenige Markt zu wählen, an dem aus Unternehmenssicht die vorteilhaftesten Konditionen gelten („most advantageous market“).

28.37 Nach IFRS 13.22 sind bei der Ermittlung des Fair Value diejenigen Annahmen zugrunde zu legen, die ökonomisch rational handelnde Marktteilnehmer bei der Bewertung treffen würden. Diese hypothetischen Transaktionspartner sind Käufer und Verkäufer im bedeutendsten Markt, die unabhängig voneinander sind und alle öffentlich verfügbaren Informationen berücksichtigen einschließlich solcher, die sich im Rahmen üblicher Due Diligence Prüfungen ergäben.2 Transaktionen, die unter Druck eines Transaktionsbeteiligten zustande gekommen sind, können nicht als Grundlage der Bestimmung des Fair Value dienen, so dass Veräußerungen zwischen abhängigen Konzernunternehmen oder im Rahmen einer Unternehmensliquidation als Ermittlungsgrundlage ausgeschlossen sind.3

28.38 Für Vermögenswerte ist nach IFRS 13.24 von dem Abgangspreis („exit price“) am Bewertungsstichtag auszugehen. Der IASB begründet die Festlegung auf den Abgangspreis damit, dass dieser die zukünftigen Erwartungen bezüglich Zahlungsmittelzuflüsse und -abflüsse der Marktteilnehmer zum Zeitpunkt der Bewertung adäquat widerspiegele. Unerheblich sei, dass ein Unternehmen nicht nur durch den Verkauf des Vermögenswertes Zahlungsmittel generieren, sondern den Vermögenswert auch im betrieblichen Wertschöpfungsprozess nutzen kann, weil der Veräußerungspreis auch die Erwartungen der Marktteilnehmer repräsentiere, die den Vermögenswert in der gleichen Art wie das bilanzierende Unternehmen einsetzen.4

28.39 Der Fair Value ist gemäß IFRS 13.25 nicht um Transaktionskosten zu korrigieren, da diese nicht charakteristisch für einen Vermögenswert sind, sondern lediglich für die spezifische Transaktion. Im Falle des Impairment Tests nach IAS 36 wird der Fair Value im Rahmen der Ermittlung des erzielbaren Betrags jedoch in einem weiteren Schritt um Transaktionskosten reduziert („Fair Value less cost of disposal“). IAS 36.28 benennt beispielhaft typische Transaktionskosten wie Gerichts- und Anwaltskosten, bestimmte Verkehrssteuern und einzeln zurechenbare Aufwendungen, um den Vermögenswert in einen verkaufsbereiten Zustand zu versetzen. Abfindungs-, Stilllegungs- und Restrukturierungsaufwendungen dürfen hingegen nicht im Rahmen der Verkaufskosten einbezogen werden, da es an einer direkten Zurechenbarkeit mangelt.

1 2 3 4

Vgl. Ernst & Young, International GAAP 2018, Band 1, S. 963. Vgl. IFRS 13.BC56, 59. Vgl. ausführlich IFRS 13.B43 f. Vgl. IFRS 13.BC39.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.42 § 28

Gemäß IFRS 13.27 ist bei der Ermittlung des Fair Value eines nicht finanziellen Vermögenswerts,1 wie einem Firmenwert, zu unterstellen, dass der Marktteilnehmer entweder den Vermögenswert selbst wertmaximierend nutzt („highest and best use“) oder diesen an einen anderen Marktteilnehmer veräußert, der den Wert anschließend optimal nutzt. Dabei gilt gemäß IFRS 13.28 die Voraussetzung, dass die Nutzung physisch möglich sowie gesetzlich erlaubt sein muss und eine aus Sicht der Marktteilnehmer angemessene Rendite erbringt. Hintergrund der Einschränkung auf nicht finanzielle Vermögenswerten ist, dass das Konzept des „highest and best use“ aus der Bewertung von Immobilien übernommen wurde (vgl. IFRS 13.BC63c). Zudem reflektiere der Preis finanzieller Vermögenswerte nach Auffassung des IASB bereits den optimalen Nutzen, der in einem diversifizierten Portfolio erzielbar ist und daher können in einem effizienten Markt hierfür keine Überrenditen erzielt werden.2 Der IASB stellt jedoch in den Materialien zum Standard klar, dass der Fair Value auch bei finanziellen Vermögenswerten, wie Tochterunternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und assoziierten Unternehmen, eine Wertmaximierung durch die Marktteilnehmer unterstellt.3 Die wertmaximierende Nutzung kann entweder durch alleinige Nutzung des Vermögenswerts („stand-alone“) oder durch Nutzung in Kombination mit anderen Vermögenswerten als Gruppe erzielt werden (IFRS 13.13). Im zweiten Fall muss bei der Wertermittlung davon ausgegangen werden, dass die Marktteilnehmer auch über die anderen Vermögenswerte der Gruppe verfügen (IFRS 13.31ai).

28.40

c) Konzeption des Nutzungswerts (IAS 36) Der Nutzungswert wird in IAS 36.6 definiert als Barwert der künftigen Cash Flows, der vo- 28.41 raussichtlich aus einem Vermögenswert (oder einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit) abgeleitet werden kann. Während sich der beizulegende Zeitwert an repräsentativen Marktteilnehmern orientiert, stehen bei der Berechnung des Nutzungswerts vernünftige und vertretbare Annahmen des Managements im Vordergrund, so dass die unternehmensindividuellen Annahmen im Vordergrund stehen.4 Der Nutzungswert soll den internen, unternehmensspezifischen Wertbeitrag widerspiegeln, den der Vermögenswert unter Berücksichtigung der individuelle Wettbewerbssituation sowie der spezifischen Faktorkombinationen im Leistungsprozess des bilanzierenden Unternehmens generiert.5 IAS 36.53a betont, dass der beizulegende Zeitwert vom Nutzungswert abweicht. Der Nutzungswert spiegelt die Auswirkungen von Faktoren wider, die nur für das bilanzierende Unternehmen gegeben sein können, nicht aber im Allgemeinen für Unternehmen anwendbar sind, während der beizulegende Zeitwert die Annahmen widerspiegelt, die Marktteilnehmer bei der Preisfestlegung des Vermögenswerts verwenden würden. Danach berücksichtigt der Nutzungswert im Gegensatz zum beizulegenden Zeitwert bspw. die folgenden Faktoren, soweit sie Marktteilnehmern nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen würden:

1 Bei Unternehmensanteilen ist die Abgrenzung zwischen finanziellen und nicht finanziellen Vermögenswerten nicht eindeutig. IAS 32, in dem der Begriff „finanzieller Vermögenswert“ definiert ist, gibt vor, dass Unternehmensanteile finanzielle Vermögenswerte sind (vgl. IAS 32.11). Andererseits sind Anteile an Tochterunternehmen, assoziierten Unternehmen oder Gemeinschaftsunternehmen nicht im Anwendungsbereich von IAS 32 enthalten (vgl. IAS 32.4(a)). 2 Vgl. IFRS 13.BC67. 3 Vgl. IFRS 13.BC67. 4 Vgl. IDW RS HFA 40, Tz. 5. 5 Vgl. Hitz, Zeitbewertung nach IFRS, in HdJ, Abt. I/12 (Dezember 2017), Rz. 58.

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28.42

§ 28 Rz. 28.42

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

– den zusätzlichen Wert, der sich aus der Gruppierung von Vermögenswerten ergibt, – Synergien zwischen dem zu bewertenden Vermögenswert und anderen Vermögenswerten, – Rechtsansprüche oder rechtliche Einschränkungen, die lediglich für den gegenwärtigen Eigentümer des Vermögenswerts gelten, – Steuervorteile oder Steuerbelastungen, die nur für den gegenwärtigen Eigentümer des Vermögenswerts bestehen.

28.43 In IAS 36.BCZ17 werden die Gründe für das Nebeneinander zweier Wertkonzeptionen dargestellt. Danach ist der Erwartung des Marktes kein Vorzug gegenüber einer angemessenen Schätzung des bilanzierenden Unternehmens einzuräumen. So könnten einem Unternehmen Informationen über künftige Zahlungsströme vorliegen, die den im Markt verfügbaren Informationen überlegen sind. Außerdem könnte ein Unternehmen beabsichtigen, einen Vermögenswert auf eine andere Weise zu nutzen, die nicht der nach Ansicht des Marktes bestmöglichen Nutzung entspricht. Wenn ein Unternehmen durch die Nutzung eines Vermögenswerts höhere Cash Flows als durch dessen Verkauf generieren kann, sei es irreführend, den Marktpreis des Vermögenswerts als erzielbaren Betrag heranzuziehen, weil ein rational handelndes Unternehmen den Vermögenswert nicht verkaufen würde. Der erzielbare Betrag solle sich deshalb nicht nur auf einen Geschäftsvorfall zwischen zwei Parteien beziehen, sondern auch das Leistungspotential des Vermögenswerts im bilanzierenden Unternehmen berücksichtigen. Auch sei es bei der Beurteilung des erzielbaren Betrags eines Vermögenswerts relevant, welchen Betrag ein Unternehmen mit diesem Vermögenswert – unter Berücksichtigung der Auswirkung von Synergien mit anderen Vermögenswerten – voraussichtlich erzielen kann. 4. Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts („Fair Value“)

28.44 In IFRS 13 wird im Hinblick auf die Ermittlung des Fair Value zwischen den verwendeten Eingangsparameter und den Bewertungsverfahren unterschieden. IFRS 13 macht zu den Eingangsparametern wertende Vorgaben, während bei den Bewertungsverfahren weitgehende Freiheiten gelassen werden. Beide Bereiche sind von der Zielsetzung geprägt, den Fair Value als marktorientierten Wertmaßstab auszugestalten. a) Eingangsparameter

28.45 Kern der marktpreisorientierten Ermittlung des Fair Value ist die Generalnorm in IFRS 13.67, die für die Wahl der Eingangsparameter vorgibt, den Einsatz beobachtbarer Eingangsparameter auf ein Maximum zu erhöhen und die Verwendung nicht beobachtbarer Eingangsparameter auf ein Minimum zu reduzieren. Eingangsparameter können auf Märkten beobachtet werden. Als Beispiele für mögliche Märkte werden in IFRS 13.B34 Börsen, Händlermärkte, Brokermärkte und Direktmärkte erläutert. Der Begriff des Marktes ist damit weit gefasst und beinhaltet neben Börsen auch nicht organisierte Märkte und nicht datenmäßig aggregierte bilaterale Einzeltransaktionen, wie sie etwa auf dem Immobilienmarkt anzutreffen sind.1

28.46 Konkretisiert wird die Generalnorm durch die Vorgabe einer dreistufigen, hierarchischen Struktur („Fair Value-Hierarchie“). Beobachtbaren Eingangsparameter der Stufe 1 („Le1 Vgl. Hitz, Zeitbewertung nach IFRS, in HdJ, Abt. I/12 (Dezember 2017), Rz. 58.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.51 § 28

vel 1“) wird gemäß IFRS 13.72 die höchste Priorität eingeräumt, während nicht beobachtbare Eingangsparameter der Stufe 3 („Level 3“) die niedrigste Priorität erhalten. Werden Eingangsparameter verschiedener Stufen bei der Ermittlung des Fair Value verwendet, wird die Ermittlung in ihrer Gesamtheit auf die Stufe eingeordnet, die dem niedrigstrangigen Eingangsparameter entspricht, der für die Bewertung insgesamt wesentlich ist.1 Level 1-Eingangsparameter sind an einem aktiven Markt festgestellte Preise für im Vergleich zum Bewertungsobjekt identische Vermögenswerte. Solche Marktpreise stellen nach IFRS 13.77 die verlässlichste Form der Fair Value-Ermittlung dar. Als aktiv gilt ein Markt, wenn dort die zu bewertende Position mit ausreichender Häufigkeit und in ausreichendem Umfang gehandelt wird, um eine Preisfeststellung zu ermöglichen.2 Hierbei ist es unerheblich, ob der Markt ausreichend liquide ist, um den Umfang der Position, die das bilanzierende Unternehmen hält, ohne wesentliche Preiswirkung in angemessener Zeit zu absorbieren. Beispielsweise ist es für größere Aktienpakete nicht erforderlich, dass diese im Laufe eines Handelstages zum geschätzten Preis liquidierbar sind.3

28.47

Eine Modifikation solcher Preisdaten ist in Ausnahmefällen vorgesehen, beispielweise wenn sich zwischen Schließung des Marktes und Bewertungszeitpunkt Ereignisse zutragen, die einen wesentlichen Einfluss auf die Höhe des Fair Value haben. Die in diesem Fall erforderliche Anpassung des zuletzt beobachtbaren Marktpreises hat zur Folge, dass die Ermittlung des Fair Value als Ganzes auf Level 2 der Fair Value-Hierarchie herabgestuft wird.4

28.48

Level 2-Eingangsparameter sind sämtliche beobachtbaren Daten, bei denen mindestens eine Anforderung für die Einstufung in Level 1 nicht erfüllt ist. Dies sind u.a. Preise für identische Vermögenswerte auf nicht aktiven Märkten, Preisquotierungen für identische Vermögenswerte auf aktiven Märkten, Preise für ähnliche Vermögenswerte auf aktiven Märkten. Daneben werden nach IFRS 13.82 (c) und (d) auch alle beobachtbaren Eingangsparameter in Level 2 eingestuft, durch die der Fair Value eines Vermögenswertes indirekt, aber marktgestützt abgeleitet werden kann.5 Erwartungen und Meinungsäußerungen von Marktteilnehmern (Analystenschätzungen, Branchenstudien etc.) stellen keine Level 2-Eingangsparameter dar.6

28.49

Level 3-Eingangsparameter sind alle Eingangsparameter, die nicht beobachtbar sind. Dabei handelt es sich um unternehmensinterne (z.B. Planungsrechnungen) oder öffentlich zugängliche Informationen (z.B. Analystenschätzungen oder Marktstudien). Aus IFRS 13.87 ergibt sich, dass nicht beobachtbare Eingangsparameter der dritten Stufe die Erwartungen der Marktteilnehmer widerspiegeln sollen, die diese bei der Preisbildung zugrunde legen würden. Es werden jedoch keine übermäßigen Anstrengungen erwartet, um Informationen über die Annahmen der Marktteilnehmer zu erlangen.7

28.50

Nach IFRS 13.89 kann ein Unternehmen bei der Ableitung nicht beobachtbarer Eingangsparameter mit den eigenen Daten des Unternehmens beginnen, wenn diese die unter den Umständen am besten verfügbaren Informationen sind. Diese sind aber ganz oder teilweise

28.51

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. IFRS 13.73. Vgl. IFRS 13.A. Vgl. IFRS 13.80. Vgl. IFRS 13.79b. Vgl. die Beispiele in IFRS 13.B35. Vgl. IDW RS HFA 47 Rz. 85. Vgl. IFRS 13.89.

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§ 28 Rz. 28.51

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

anzupassen, falls Informationen darauf hindeuten, dass andere Marktteilnehmer davon abweichende Daten verwenden würden. Anpassungen sind ebenfalls notwendig, falls unternehmensspezifische Synergien bestehen, die anderen Marktteilnehmern nicht zur Verfügung stehen. Der Grundsatz der bestmöglichen Verwendung gebietet aber, auch strategische Investoren als Käufergruppe in Betracht zu ziehen, die u.U. bereit sind, vergleichbare Synergievorteile abzugelten.1

28.52 Dementsprechend können unternehmenseigene Planungsrechnungen grundsätzlich verwendet werden, die aber anzupassen sind, falls Hinweise über abweichende Schätzungen von Marktteilnehmern vorliegen. Hierunter ist nicht zu verstehen, dass Planungsrechnungen zwingend angepasst werden müssen, wenn eine Analystenschätzung oder eine Marktstudie von anderen Annahmen ausgeht. Es besteht ein weiter Ermessenspielraum bei der Beurteilung, ob diese (abweichenden) Annahmen bei der Preisbildung auch tatsächlich berücksichtigt würden. Jedoch steigt der Begründungszwang mit der Quantität und der Qualität der abweichenden Annahmen in öffentlich zugänglichen Informationen.

28.53 Vor allem für die Unternehmensbewertung wichtig sind Fragen einer Berücksichtigung unterschiedlicher Beteiligungshöhen. Da es keine Preisnotierungen für unterschiedliche Beteiligungshöhen gibt, handelt es sich um nicht beobachtbare Eingangsparameter der Stufe 3.

28.54 Für unterschiedliche Beteiligungshöhen gilt der Grundsatz, dass sich die Ermittlung des Fair Value an den Charakteristika der zu bewertenden Positionen orientieren soll, nicht aber an deren Umfang. Anpassungen für größere Unternehmensbeteiligungen sind damit grundsätzlich zulässig, wenn sie Eigenschaften und Ausstattungsmerkmale des Bewertungsobjektes reflektieren, nicht aber dessen Umfang. Dementsprechend ermöglicht IFRS 13.69 bei der Ermittlung des Fair Value eines Aktienpakets die Anpassung des Level 1-Eingangsparameters in Form des beobachteten Börsenkurses für einen Anteil, wenn dadurch die im Aktienpaket verkörperten Kontrollmöglichkeiten („blockage factor“) berücksichtigt werden. Unzulässig ist demgegenüber die Minderung des Fair Value allein durch den Umfang des Aktienpakets, z.B. durch die Annahme, dass der Markt das gesamte Paket nicht zum quotierten Preis aufnehmen könnte und um entsprechende Preisabschläge bereits bei der Bemessung des Fair Value zu antizipieren.

28.55 Mit Ausnahme dieser Vorgaben zur Berücksichtigung von Kontrollmöglichkeiten bei Aktienpaketen findet sich in IFRS 13 keine weitere, detaillierte Beschreibung, inwiefern Preisaufschläge und -abschläge in der Fair Value-Ermittlung zu berücksichtigen sind. Der IASB begründet dies damit, dass die Anwendung von Preisaufschlägen und Preisabschlägen stark von der speziellen Situation, von den Eigenschaften und Ausstattungsmerkmalen des Vermögenswerts sowie den zum Bewertungszeitpunkt herrschenden Marktbedingungen abhängig sei.2

28.56 Speziell für die Bewertung von Anteilen an Tochter-, Gemeinschafts- und assoziierten Unternehmen hat der IASB im Jahr 2014 den Standardentwurf ED/2014/4 vorgelegt, nach dem bei solchen Unternehmensanteilen im Falle von an einem aktiven Markt notierten Anteilen (Eingangsparameter der Stufe 1) der beizulegende Zeitwert durch Multiplikation des Börsenkurses eines einzelnen Anteils mit der Menge der gehaltenen Anteile ohne Anpassungen zu ermitteln ist, d.h. ohne Berücksichtigung von Kontrollprämien bzw. Paketzuschlägen. Im Januar 2015 hat der IASB beschlossen, die bisherigen Erkenntnisse aus dem Projekt in die 1 Vgl. Theile/Pawelzik, PiR 2012, 210 (214). 2 Vgl. IFRS 13.BC159.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.61 § 28

geplante Überprüfung von IFRS 13 einfließen zu lassen. Hieraus hat sich in der Praxis eine unterschiedliche Vorgehensweise herausgebildet, bei der Anteile an Tochter-, Gemeinschaftsund assoziierten Unternehmen zum Teil mit und zum Teil ohne Kontrollprämien bzw. Paketzuschläge bewertet werden.1 b) Bewertungsverfahren Für die Ermittlung des Fair Value stehen gemäß IFRS 13.62 grundsätzlich drei Gruppen von 28.57 Bewertungsverfahren zur Verfügung: die marktorientierten (IFRS 13.B5-7), die kostenorientierten (IFRS 13.B8-9) und die kapitalwertorientierten (IFRS 13.B10-30) Bewertungsverfahren. IFRS 13 sieht keine Hierarchie hinsichtlich dieser drei Bewertungsverfahren mit ihren sehr 28.58 unterschiedlichen Bewertungsansätzen vor, vielmehr ist je nach Umständen und spezifischen Eigenschaften der zu bewertenden Vermögenswerte das geeignetste Verfahren zu wählen (IFRS 13.BC142). Bei der Auswahl des geeigneten Bewertungsverfahren ist jedoch die Verfügbarkeit relevanter Eingangsparameter zu beachten, da möglichst viele beobachtbare Eingangsparameter und möglichst wenige nicht beobachtbare Eingangsparameter verwendet werden müssen (IFRS 13.74 i.V.m. IFRS 13.61, IFRS 13.67). Insofern ist die vermeintlich fehlende Hierarchie eigentlich nicht zutreffend. Denn bei Vorliegen z. B. von Marktpreisen, die für die Markteilnehmer bei ihrer Bewertung einen relevanten Parameter darstellen, hat über die Ebene der Eingangsparameter der marktorientierte Ansatz den Vorrang.2 Es gilt ein schwaches Stetigkeitsprinzip, das zwar die konsistente Verwendung von Bewertungsverfahren in Bezug auf Art, auf die Gewichtung mehrerer Bewertungsverfahren und auf Anpassungen im Zeitablauf gebietet, jedoch eine Änderung bereits zulässt, wenn die Änderung zu einer Bewertung führt, die den beizulegenden Zeitwert gleich gut repräsentiert (IFRS 13.65-66).

28.59

aa) Marktorientierte Bewertungsverfahren Marktorientierte Bewertungsverfahren („market approach“) nutzen die in Markttransaktionen beobachteten Preise für identische oder vergleichbare Unternehmen für die Unternehmensbewertung. Marktpreisorientierte Verfahren sind die Börsenkursbewertung (vgl. § 18), die Bewertung zu Vorerwerbspreisen (vgl. § 19) sowie das Multiplikatorverfahren (vgl. Rz. 11.7 ff.). Besonderheiten bei der Anwendung ergeben sich allein aus den im vorherigen Abschnitt dargestellten Eingangsparameter.

28.60

bb) Kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren Gemäß IFRS 13.62 sind die Hauptaspekte der kapitalwertorientierten Bewertungsverfahren („income approach“) in IFRS 13.B10-11 beschrieben. Nach IFRS 13.B10 werden bei der Kapitalwertmethode künftige Zahlungsströme („Cash Flows“) oder Erträge und Aufwendungen durch Abzinsung in einen einzigen, aktuellen Betrag umgerechnet. Auch wenn in den weiteren Erläuterungen nur noch auf Zahlungsströme Bezug genommen wird, sind insofern nicht nur die Discounted Cash Flow-Verfahren, sondern auch das Ertragswertverfahren anwendbar, sofern die Marktteilnehmer dieses zur Ableitung von Preisen nutzten. 1 Vgl. PWC, Manual of accounting – IFRS 2017, Band 1, Fair Value, FAQ 5.87.7, S. 5070. 2 Vgl. PWC, Manual of accounting – IFRS 2017, Band 1, Fair Value, Selection of valuation techniques, S. 5016.

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28.61

§ 28 Rz. 28.62

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

28.62 In IFRS 13.B11 werden als Beispiele für Kapitalwertmethoden die Barwertverfahren, Optionspreismodelle sowie Residualwertmethode („multi-period excess earnings method“) genannt. Auch hier zeigt sich die Methodenoffenheit der Vorschriften: Sofern die Marktteilnehmer oder die Betriebswirtschaftstheorie neue Bewertungsverfahren entwickeln würden, wäre der Anwendung solcher neuen Methoden nicht ausgeschlossen, sofern diese von den Marktteilnehmern zu Ableitung von Preisen angewandt würden. Dessen ungeachtet haben derzeit unter den beispielhaft angegebenen kapitalwertorientierten Bewertungsverfahren jedoch nur die Barwertverfahren eine praktische Bedeutung für Unternehmensbewertungen. Die Barwertverfahren werden weitergehend in IFRS 13.B12-30 erläutert.

28.63 IFRS 13 konzentriert sich bei der Darstellung der Barwertverfahren auf die Methode der Anpassung des Abzinsungssatzes („discount rate adjustment technique“) und dem Verfahren des erwarteten Barwerts („expected present value technique“). In IFRS 13.B12 wird klargestellt, dass damit keine Beschränkung bei der Verwendung anderer Barwertverfahren verbunden ist. Das in einem konkreten Anwendungsfall verwendbare Verfahren wird jedoch durch die Verfügbarkeit ausreichender Daten und von beobachtbaren Marktpreisen beeinflusst.

28.64 In IFRS 13.B14 werden allgemeine Grundsätze angegeben, die – ohne Beschränkungen auf die beiden dargestellten Barwertverfahren – bei allen Barwertverfahren immer zu beachten sind: – Cash Flows und Abzinsungssätze haben die Annahmen widerzuspiegeln, die Marktteilnehmer bei der Preisfestlegung verwenden würden. – Cash Flows und Abzinsungssätze müssen nur die Faktoren berücksichtigen, die dem zu bewertenden Vermögenswert zurechenbar sind. – Bei der Bemessung von Cash Flows und Abzinsungssätzen darf das Risiko nur einmal berücksichtigt werden. Die doppelte Berücksichtigung oder das Weglassen von Risikofaktoren ist unzulässig. – Bei den Annahmen über Cash Flows und Abzinsungssätze ist die Äquivalenz dieser Annahmen zueinander zu beachten. Als Beispiele werden die Berücksichtigung der Inflation, der Besteuerung und der Währung genannt.

28.65 Mit der Methode der Anpassung des Abzinsungssatzes (IFRS 13.B18-22) wird ein einziger Zahlungsstrom mit einem Zinsfuß diskontiert, der die ökonomisch relevanten Bewertungsfaktoren beinhaltet. Dies kann entweder ein vertraglich vereinbarter Zahlungsstrom sein oder der wahrscheinlichste Zahlungsstrom aus einer Bandbreite möglicher geschätzter Werte. Aus den Erläuterungen lässt sich ableiten, dass der Anwendungsbereich vorrangig bei der Bewertung von Darlehen und Forderungen mit vertraglich fixierten Zahlungsströmen gesehen wird, eine Anwendung auf die Unternehmensbewertung erscheint jedoch auch möglich, wenn übliche Marktteilnehmer ebenfalls nur den wahrscheinlichsten Zahlungsstrom diskontieren.

28.66 Die Verfahren des erwarteten Barwerts (IFRS 13.B23-30) werden in zwei Ausprägungen dargestellt. Beide erfordern mehrere Szenarien zur geschätzten Entwicklung der Zahlungsströme. Nähere Vorgaben zur Zahl der notwendigen Szenarien werden nicht gemacht. Jedenfalls ist es nicht (immer) notwendig, die gesamte mögliche Verteilung der Zahlungsströme mit komplexen Modellen zu berücksichtigen (IFRS 13.B28). Die Szenarien werden dann mit geschätzten Wahrscheinlichkeitsverteilungen gewichtet und auf den Bewertungsstichtag diskontiert. Die beiden Ausprägungen unterscheiden sich in der Art der Berücksichtigung des Risi940

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.70 § 28

kos: Das Risiko kann entweder durch eine Risikoadjustierung der Zahlungsströme (Sicherheitsäquivalentmethode) oder durch eine Risikoadjustierung des risikolosen Zinssatzes (Risikozuschlagsmethode) berücksichtigt werden. Es wird dargestellt, dass beide Ausprägungen, bei Anwendung identischer Prämissen zum Risiko – z.B. der Bemessung mithilfe des CAPM –, zum selben Ergebnis führen. cc) Kostenorientierte Bewertungsverfahren (cost approach) Bei der Unternehmensbewertung mittels eines kostenorientierten Bewertungsverfahrens („cost approach“) werden die Ausgaben ermittelt, die zum Bewertungsstichtag für die Beschaffung eines Unternehmens mit identischen Leistungsmerkmalen zu tätigen wären (Wiederbeschaffungskosten). Bei der Ermittlung der Wiederbeschaffungskosten sind die Kosten relevant, die für die Duplizierung der vorhandenen Kapazität erforderlich wären. Dabei ist der Neuwert der wiederzubeschaffenden Vermögenswerte um den bereits eingetretenen Wertverzehr durch physischen Verschleiß und technische sowie wirtschaftliche Überalterung zu korrigieren.1

28.67

In der Unternehmensbewertung werden kostenorientierte Ansätze in der Regel nicht ange- 28.68 wendet, weil die Marktteilnehmer Unternehmen in der Regel nach ihrer Ertragskraft bewerten. Für die Verwendung kostenorientierter Ansätze ist nach IFRS 13 erforderlich, dass auf dem relevanten Markt eine Transaktion zwischen dem hypothetischen Erwerber und dem hypothetischen (verkaufswilligen) Verkäufer zu Wiederbeschaffungskosten abgewickelt würde. Die Wiederbeschaffungskosten reflektieren in diesen Fällen somit die Grenzzahlungsbereitschaft repräsentativer Marktteilnehmer für den in Frage stehenden Vermögenswert.2 Dies wird in der Praxis der Unternehmensbewertung die Ausnahme sein, ist jedoch denkbar bei kleinen Unternehmen, deren Ertragskraft den kalkulatorischen Unternehmerlohn nicht übersteigt, bei Unternehmen ohne eigenen Marktauftritt (z.B. Unternehmen mit Dienstleistungsfunktion innerhalb eines Konzerns), bei gemeinnützigen Unternehmen oder bei vermögensverwaltenden Unternehmen. c) Lösungsansätze für ausgewählte Anwendungsfragen Der in der deutschen Rechtsprechung bei Unternehmensbewertungsfragen oft zitierte Stan- 28.69 dard IDW S 1 (vgl. Rz. 3.22 ff.) kann bei der Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts von Unternehmensanteilen nach IFRS 13 zumindest konzeptionell nicht verwendet werden. Zur Anwendung des IFRS 13 besteht ein gesonderter Standard IDW RS HFA 47, der keinen Verweis auf IDW S 1 enthält. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da insbesondere die Bedeutung von Marktpreisen zwischen IFRS 13 (unbedingter Vorrang) und IDW S 1 (Verwendung zur Plausibilisierung, jedoch grundsätzlich nachrangig) unvereinbar ist. Darüber hinaus kann auch ein betriebswirtschaftlich fundiertes Bewertungsverfahren mit persönlichen Steuern, die nach IDW S 1 grundsätzlich zu berücksichtigen sind, nicht zum Einsatz kommen, wenn es von repräsentativen Marktteilnehmern nicht verwendet wird. Ertragsteuern sind in dem Maße zu berücksichtigen, wie sie von repräsentativen Marktteilnehmern bei der Preisfindung im Rahmen einer hypothetischen Transaktion berücksichtigt würden.3 Da repräsentative Marktteilnehmer Unternehmenssteuern berücksichtigen, sind 1 Vgl. Cassel, Unternehmensbewertung im IFRS-Abschluss, S. 260. 2 Vgl. Theile/Pawelzik, PiR 2012, 210 (212). 3 Vgl. IDW RS HFA 47.63.

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28.70

§ 28 Rz. 28.70

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

diese in Abzug zu bringen. Relevant sind die Steuern, die in dem Land anfallen, in dem auch die Zahlungsströme erwirtschaftet werden. Unternehmensspezifische steuerliche Synergiepotentiale, etwa aus einer individuellen Steuerbefreiung oder durch Verlustvorträge, die einem Erwerber nicht zur Verfügung stünden, dürfen demgegenüber nicht einbezogen werden.1

28.71 Bei der Bewertung deutscher Personengesellschaften ist die Berücksichtigung eines abschreibungsbedingten Steuervorteils („tax amortisation benefit“) zu prüfen.2

28.72 Zur konkreten Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes bei Anwendung der kapitalwertorientierten Bewertungsverfahren gibt IFRS 13 keine konkreten Hinweise. Dementsprechend sparsam sind auch die Ausführungen im Standard IDW RS HFA 47, der lediglich darauf verweist, dass die Ableitung des angemessenen Kapitalisierungszinssatzes kapitalmarktorientiert erfolgt unter Verwendung von Daten vergleichbarer Vermögenswerte bzw. unter Verwendung von Daten solcher Unternehmen, die derartige Vermögenswerte typischerweise halten.3 In der Praxis wird der Kapitalisierungszinssatz überwiegend in Form der gewogenen Gesamtkapitalkosten (vgl. Rz. 10.24 ff.) verwendet und die entsprechenden Eingangsparameter marktbezogen ermittelt. Besonderheiten aus IFRS 13 sind nicht erkennbar, insbesondere besteht kein Hinderungsgrund, wenn Daten des bilanzierenden Unternehmens zur Ableitung der Eingangsparameter herangezogen werden sollen. Relevant ist nur die Perspektive repräsentativer Marktteilnehmer. Sofern die Vergleichbarkeit von dem Bewertungsobjekt zum bilanzierenden Unternehmen besser ist als zu anderen Unternehmen, erscheint es wahrscheinlich, dass z.B. der Betafaktor des bilanzierenden Unternehmens von den Marktteilnehmern vorrangig zur Risikomessung verwendet wird.

28.73 Bestehen verschiedene Aktiengattungen (Stammaktien, Vorzugsaktien) und ist nur eine dieser Gattungen börsennotiert, ist davon auszugehen, dass die Börsennotierung der einen Gattung den marktnächsten, am besten vergleichbaren Eingangsparameter darstellt. 5. Ermittlung des Nutzungswerts („Value in use“) a) Allgemeine Grundsätze

28.74 Der Nutzungswert kann gemäß IAS 36.31 nur mit Hilfe von Barwertmethoden bestimmt werden, die grundsätzlich eine hohe Ähnlichkeit mit den Barwertmethoden des IFRS 13 aufweisen. Im Umkehrschluss sind markt- und kostenorientierte Bewertungsverfahren bei der Ermittlung des Nutzungswerts nicht zugelassen. IAS 36.30 gibt an, welche grundlegenden Elemente die Barwertverfahren zur Ermittlung des Nutzungswertes zu berücksichtigen haben: – Eine Schätzung der künftigen Zahlungsströme (Cash Flows) aufgrund der weiteren Nutzung des Vermögenswertes, – Annahmen über eventuelle wertmäßige oder zeitliche Veränderungen dieser Zahlungsströme, – der Zinseffekt, der sich durch den aktuellen, risikolosen Zinssatz ergibt, – der Preis, der für die Unsicherheit der künftigen Zahlungsströme zu entrichten ist, sowie – andere Faktoren, die von den Marktteilnehmern bei der Preisfindung beachtet würden. 1 Vgl. Hitz, Zeitbewertung nach IFRS, in HdJ, Abt. I/12 (Dezember 2017), Rz. 50. 2 Vgl. IDW RS HFA 47.64. 3 Vgl. IDW RS HFA 47.65.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.77 § 28

Die folgenden allgemeinen Prinzipien sind nach IAS 36.A3 bei dem Einsatz der Barwertverfahren immer zu beachten:

28.75

– Die zur Abzinsung der Cash Flows verwendeten Zinssätze müssen Annahmen widerspiegeln, die mit denen der geschätzten Cash Flows übereinstimmen, damit die Auswirkungen der getroffenen Annahmen weder doppelt berücksichtigt noch ignoriert werden (Äquivalenzprinzip). – Die Cash Flows und Abzinsungssätze müssen unvoreingenommen und ohne Berücksichtigung irrelevanter Faktoren geschätzt werden. Allgemeine Abschläge nach dem Vorsichtsprinzip oder rein bilanzpolitisch motivierte Anpassungen sind insoweit unzulässig. – Die geschätzten Cash Flows oder Abzinsungssätze müssen die Bandbreite möglicher Ergebnisse widerspiegeln, nicht nur den höchstwahrscheinlichen, den Mindest- oder den Höchstbetrag. Einige Äquivalenzprinzipien werden an verschiedenen anderen Stellen des Standards konkretisiert1:

28.76

– Kaufkraftäquivalenz: Nach IAS 36.40 müssen Annahmen über künftige Preissteigerungen (Inflation) konsistent berücksichtigt werden. Wenn der Diskontierungszinssatz die Wirkungen künftiger Preissteigerungen berücksichtigt, sind auch die Zahlungsströme nominal, also unter Berücksichtigung von Preissteigerungen zu schätzen. Umgekehrt ist bei der Verwendung von um Geldentwertung bereinigten Zahlungsgrößen ein realer Zinsfuß anzusetzen. – Besteuerungsäquivalenz: Nach IAS 36.51 ist bei der Bestimmung der Cash Flows mit Vorsteuergrößen zu rechnen, da der Kapitalisierungszinssatz auf Vorsteuerbasis zu ermitteln ist. – Währungsäquivalenz: Nach IAS 36.54 sind in Fremdwährung anfallende Zahlungsüberschüsse mit einem für diesen Währungsraum angemessenen Zins zu diskontieren. – Risikoäquivalenz: Nach IAS 36.56 darf der Marktpreis für die Übernahme der Unsicherheit künftiger Zahlungen lediglich einmal, d.h. entweder bei der Schätzung der Zahlungsströme oder bei der Bemessung des Diskontierungszinssatzes berücksichtigt werden. b) Bewertungsverfahren Gemäß IAS36.A3 variieren die Verfahren, die zur Schätzung künftiger Cash Flows und Zinssätze verwendet werden, je nach den Umständen, nach denen zu bewerten ist. Im Einzelnen werden, bei einem grundsätzlich hohen Deckungsgrad zu IFRS 13, mit dem sog. „traditionellen Ansatz“ und dem „erwarteten Cash Flow-Ansatz“ zwei Arten der Barwertermittlung dargestellt und als grundsätzlich gleichwertige Alternativen bezeichnet. Der wesentliche Unterschied dieser Ansätze liegt gemäß IAS 36.A2 in der Art der Berücksichtigung des Risikos. Während im traditionellen Ansatz die Risiken im Abzinsungssatz berücksichtigt werden, erfolgt dies im erwarteten Cash Flow-Ansatz durch Anpassung der erwarteten Cash Flows. Daher werden diese Ansätze auch als Risikozuschlagsmethode (traditioneller Ansatz) und als Sicherheitsäquivalenzmethode (erwarteter Cash Flow-Ansatz) bezeichnet.2

1 Vgl. Hitz, Zeitbewertung nach IFRS, in HdJ, Abt. I/12 (Dezember 2017), Rz. 78. 2 Vgl. IDW RS HFA 16, Rz. 27.

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28.77

§ 28 Rz. 28.78

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

28.78 Bei der Risikozuschlagsmethode (IAS 36.A4-6) wird der Barwert aus einer einwertigen Reihe von Cash Flows gebildet.1 Nach IAS 36.A6 kann der traditionelle Ansatz jedoch bspw. die Bewertung von nicht-finanziellen Vermögenswerten, für die es keinen Markt oder keinen vergleichbaren Posten gibt, nicht angemessen behandeln. Voraussetzung für die Anwendung des traditionellen Ansatzes ist daher die Verfügbarkeit von Marktpreisen ähnlicher Positionen zur Bestimmung des zugrunde zu legenden Zinssatzes (IAS 36.A6b).

28.79 Die Sicherheitsäquivalentmethode (IAS 36.A7-14) basiert hingegen auf den Cash FlowSchätzungen in mehreren Szenarien mit einer Wahrscheinlichkeitsgewichtung als wesentlichem Element. Die Szenarien sollen den möglichen Mindest- und Höchstbetrag enthalten (IAS 36.A2c). Eine grobe Schätzung der Eintrittswahrscheinlichkeiten wird einem Verzicht auf Szenarien vorgezogen. Selbst bei Szenarien mit weit auseinanderliegenden Alternativwerten wird die Erwartungswertbildung als bestmögliche Lösung eingestuft (IAS 36.A13-14).

28.80 Es ist davon auszugehen, dass die Risikozuschlagsmethode das in der Praxis dominierende Verfahren darstellt und regelmäßig angewendet wird.2 c) Schätzung der zukünftigen Zahlungsströme

28.81 Zur Schätzung der Zahlungsströme für den Nutzungswert befinden sich in IAS 36, anders als in IFRS 13, umfangreiche, teils detaillierte und restriktive Vorgaben (IAS 36.33-54):

28.82 Die Prognose erfordert ein Zweiphasenmodell mit Detailplanungsphase sowie einer weiteren Phase, die den Zeitraum zwischen Detailplanungsphase bis hin zum voraussichtlichen Ende der Nutzungsdauer bzw. dem geplanten Veräußerungszeitpunkt umfasst (IAS 36.33c). Für die Detailplanungsphase wird ein maximaler Zeithorizont von fünf Jahren zugelassen (IAS 36.33b), sofern nicht belastbare, verlässliche Daten für spätere Perioden in Verbindung mit einer nachgewiesenen Prognoseexpertise des Managements vorliegen (IAS 36.35).

28.83 Grundlage der Prognose für die Detailplanungsphase ist nach IAS 36.33b die aktuellste, vom Management genehmigte Finanzplanung. Als Schätzgrundlage heranzuziehen sind vernünftige und vertretbare Annahmen, die die beste vom Management vorgegebene Einschätzung der voraussichtlichen ökonomischen Rahmenbedingungen repräsentieren, wobei ein größeres Gewicht auf externe Indikatoren zu legen ist (IAS 36.33a).

28.84 Für die zweite Phase ist eine Prognose auf Grundlage einer Wachstumsannahme vorgesehen (IAS 36.36). Dabei ist im Regelfall eine konstante oder sinkende Wachstumsrate zugrunde zu legen. Eine steigende Rate ist allenfalls bei Vorhandensein besonderer objektiver Informationen über den Verlauf eines Lebenszyklus eines Produktes oder einer Branche begründet werden. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Wachstumsrate auch gleich Null oder negativ sein kann.

28.85 Ausdrücklich in die prognostizierten Zahlungsströme nicht einzubeziehen sind Cash Flows aus der Finanzierung (allgemein: IAS 36.50a sowie für Pensionsrückstellungen: IAS 36.43) und Cash Flows aus Ertragsteuern (IAS 36.50b). Dies kann jedoch nur für die Ebene des bilanzierenden Unternehmens gelten, nicht aber beim Wertminderungstest von Unternehmens1 Aus IAS 36.A10 und 15 ist jedoch zu folgern, dass der Cash Flow auch bei dem traditionellen Ansatz unter Anwendung von Szenarien als einwertige Größe zugrunde gelegt wird. Vgl. IDW RS HFA 16, Rz. 27. 2 Vgl. IDW RS HFA 16, Rz. 30.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.88 § 28

beteiligungen im Einzelabschluss, die zu fortgeführten Anschaffungskosten bilanziert werden. In diesem Fall kann die Ermittlung des Nutzungswerts sinnvoll nur unter Berücksichtigung dieser Zahlungsströme des Bewertungsobjekts erfolgen; ansonsten wäre die Verschuldung des Bewertungsobjekts nicht angemessen berücksichtigt.1 Die zukünftigen Zahlungsströme aus dem betreffenden Vermögenswert sollen auf Basis des Zustands im Bewertungszeitpunkt geschätzt werden, also ohne zukünftige Restrukturierungen (IAS 36.33b, 44a) und Erweiterungsinvestitionen (IAS 36.44b, 48). Investitionen dürfen das gegenwärtige Niveau des wirtschaftlichen Nutzens nicht erhöhen (IAS 36.49). Sind solche Cash Flows in den aktuellsten, vom Management genehmigten Planungsrechnungen enthalten, müssen sie nach dem Wortlaut der Vorschrift eliminiert werden. Für den Impairment Test von unternehmensähnlichen Gebilden, also zahlungsmittelgenerierenden Einheiten unter Einbeziehung eines Firmenwertes, wird vor dem Hintergrund des Zwecks des grundsätzlich subjektiv ausgerichteten Nutzungswertes vorgeschlagen, dass zukünftige Erweiterungsinvestitionen dennoch zu berücksichtigen seien, sofern diese im Zusammenhang mit der beabsichtigten strategischen Ausrichtung stehen, weil auch daraus resultierende zukünftige Zahlungsströme im Nutzungswert abgegolten werden.2 Zudem käme es bei einer Auslegung streng nach dem Wortlaut dann in einigen Fällen sogar zu ökonomisch unsinnigen Ergebnissen.3

28.86

Anders als die Erweiterungsinvestitionen sind nach IAS 36.41 die Zahlungsmittelabflüsse für die regelmäßige Wartung und Instandhaltung ausdrücklich zu berücksichtigen. Die Abgrenzung von Erweiterungs- und Erhaltungsinvestitionen kann oftmals nicht trennscharf vorgenommen werden.4 Investitionen aus Gründen der Sicherheit und des Umweltschutzes, die nicht unmittelbar zur Erhöhung der erwarteten Zahlungsüberschüsse führen, sowie auch Großinspektionen werden wohl als einzubeziehende Erhaltungsinvestitionen zu behandeln sein.5 Zudem sind Auszahlungen für Erweiterungsinvestitionen für die Fertigstellung von Anlagen im Bau zulässig (IAS 36.42). Zukünftige Änderungen der Zahlungsströme durch Restrukturierungen (Kosteneinsparungen und sonstigen Nutzen einerseits, Kosten der Restrukturierung andererseits) dürfen nur berücksichtigt werden, wenn nach den Kriterien des IAS 37 am Bewertungsstichtag hierfür Rückstellungen zu bilden wären (IAS 36.46-47).

28.87

d) Kapitalisierungszinssatz Die Vorschriften zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes befinden sich in IAS 36.55-57 sowie IAS 36.A15-A21. IAS 36.55 fordert einen Zinssatz vor Steuern, der den Zeitwert des Geldes (IAS 36.55a) und die spezifischen Risiken des zu bewertenden Vermögenswerts erfasst, 1 Folgendes (stark vereinfachte) Zahlenbeispiel erläutert den Hintergrund dieser Aussage: Beteiligungsbuchwert 1.000 Geldeinheiten (GE), Ergebnis vor Zinsen und Steuern der Tochtergesellschaft (ewige Rente) 100 GE, Diskontierungszins vor Steuern 10 %, Verschuldung der Tochtergesellschaft 900 GE. Eine Diskontierung des Ergebnisses vor Zinsen und Steuern ergibt einen Nutzungswert von 1.000 GE (100/10 %). Dadurch bliebe jedoch die Verschuldung der Tochtergesellschaft in unangemessener Weise unberücksichtigt. 2 Vgl. Laas, DB 2006, 457 (460); Heuser/Theile in IFRS-Handbuch – Einzel- und Konzernabschluss, Rz. 1561. 3 Vgl. ausführlich Hoffmann/Lüdenbach/Freiberg in Haufe IFRS-Kommentar Online, § 11 Rz. 162-164 (Stand: 1.1.2018). 4 Vgl. Hitz, Zeitbewertung nach IFRS, in HdJ, Abt. I/12 (Dezember 2017), Rz. 92. 5 Vgl. Hitz, Zeitbewertung nach IFRS, in HdJ, Abt. I/12 (Dezember 2017), Rz. 92; IDW RS HFA 40, Rz. 28.

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28.88

§ 28 Rz. 28.88

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

soweit sie nicht in den Zahlungsströmen berücksichtigt sind (IAS 36.55b). Dabei sind die Markteinschätzungen für vergleichbare Bewertungsobjekte zu berücksichtigen. Die Vergleichbarkeit muss gegeben sein in Bezug auf die Höhe, die zeitliche Verteilung und das Risiko der Zahlungsströme (IAS 36.56). Wenn entsprechende Kapitalmarktdaten nicht verfügbar sind, werden durch IAS 36.57 i.V.m. IAS 36.A17 als Ausgangspunkt für die Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes – die durchschnittlichen gewichteten Gesamtkapitalkosten („Weighted Average Cost of Capital“; „WACC“; vgl. Rz. 10.27) des bilanzierenden Unternehmens unter Berücksichtigung eines Verfahrens wie bspw. dem Capital Asset Pricing Model (vgl. Rz. 10.28 ff.), – der für das bilanzierende Unternehmen geltende Fremdkapitalzinssatz für Neukredite sowie – andere marktübliche Fremdkapitalzinssätze vorgeschlagen, die jedoch gemäß IAS 36.A18 so anzupassen sind, dass die Risiken – als Beispiele werden Länder-, Währungs- und Preisrisiken angegeben – der zu bewertenden Zahlungsströme aus einer Sichtweise des Marktes angemessen berücksichtigt werden.1

28.89 Die gewichteten Gesamtkapitalkosten sind gemäß IAS 36.A19 unabhängig von der Kapitalstruktur des bilanzierenden Unternehmens zu wählen. Dies erscheint als Widerspruch zu IAS 36.A17, wo die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten als eine mögliche Grundlage genannt werden. Dieser Widerspruch löst sich vor dem Hintergrund der Wertkonzeption des Nutzungswerts auf, wonach unternehmensindividuelle Erwartungen der Zahlungsströme mit marktüblichen Zinsätzen diskontiert werden, also in diesem Fall bei unüblichen Verschuldungsgrad des bilanzierenden Unternehmens in Bezug auf den zu bewertenden“ Vermögenswert auf marktübliche Kapitalstrukturen abgestellt wird.2 Zur Ermittlung des Nutzungswertes von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten einschließlich Firmenwert, die als unternehmensähnliche Gebilde einzustufen sind, kann dementsprechend auf eine für die Geschäftstätigkeit übliche, bei Fremdkapitalgebern langfristig durch die Gewährung adäquater Sicherheiten aufrechtzuerhaltende Kapitalstruktur abgestellt werden, die aus der durchschnittlichen Kapitalstruktur von börsennotierten Unternehmen im gleichen Geschäftsfeld abgeleitet werden kann. Aus empirischer Sicht zeigt sich bei der Frage nach der Verwendung von unternehmensindividuellen oder marktbasierten Parametern jedoch ein uneinheitliches Verständnis.3

28.90 Auch die Fremdkapitalkosten als ein weiteres Element der gewichteten Gesamtkapitalkosten sind ohne Rückgriff auf die unternehmensspezifischen Fremdkapitalkosten des bilanzierenden Unternehmens zu ermitteln, da sonst ein Verstoß gegen IAS 36.56 vorläge, der die Verpflichtung zur Berücksichtigung der aktuellen Markteinschätzungen in der Ableitung des Diskontierungszinssatzes fordert. Eine Ableitung der Fremdkapitalkosten aus dem tatsächlichen Zinsaufwand der Periode verstieße gemäß IAS 36.BCZ53a zudem gegen das Stichtagsprinzip.4 1 Vgl. zum Ansatz von Prämien für Länderrisiken und für eine geringe Unternehmensgröße Hachmeister/Ungemach/Ruthardt, IRZ 2012, 233. 2 Vgl. IDW RS HFA 47, Rz. 44; PWC (Hrsg.), Manual of accounting – IFRS 2017, Volume 1, Impairment of Assets, Discount Rate, 24.016, S. 24025; KPMG (Hrsg.), Insights into IFRS, 14. Aufl. 2017/18, Volume 1, Impairment of non-financial assets, Discount Rate, 3.10.300.70, S. 648; a.A. Pawelzik, PiR 2011, 317 (322). 3 Vgl. Pilhofer/Bösser, PiR 2011, 219 (223). 4 Vgl. Hoffmann/Lüdenbach/Freiberg in Haufe IFRS-Kommentar Online, § 11 Rz. 72 (Stand: 1.1.2018).

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.94 § 28

Die Höhe der Fremdkapitalkosten ist aber dennoch abhängig von der Bonität der zahlungsmittelgenerierenden Einheit zu ermitteln. Jedoch ist die Bonität abzuleiten aus der Sicht typischer Fremdkapitalgeber, die die relevanten Marktteilnehmer sind. Fremdkapitalgeber berücksichtigen dabei üblicherweise den Zinsdeckungsgrad und die Schuldendeckungsfähigkeit der zahlungsmittelgenerierenden Einheit. Wenn diese individuelle Bonität der zahlungsmittelgenerierenden Einheit nicht übereinstimmt mit der Bonität der börsennotierten Unternehmen, aus deren Daten die durchschnittliche Kapitalstruktur abgeleitet wurde, können die angemessenen Fremdkapitalkosten für Zwecke des Nutzungswertes und die Fremdkapitalkosten der vergleichbaren Unternehmen voneinander abweichen. Nach IAS 36.A20 sind Bereinigungen notwendig, wenn der Kapitalisierungszinssatz auf Grundlage einer Nachsteuerrate geschätzt wird, um zu der geforderten Vorsteuerrate zu gelangen. Da die am Kapitalmarkt beobachtbaren Renditen von Unternehmensanteilen regelmäßig Steuereffekte enthalten, ist dies der Regelfall. Die Umrechnung des Nachsteuer-Zinssatzes in eine Vorsteuerrate könnte durch bloßes „Hochschleusen“ (grossing-up) erfolgen. Dies ist allerdings nur vertretbar bei gleichbleibenden Zahlungsströmen, d.h. im einfachen Rentenfall.1 Bei unterschiedlichen Zahlungsströmen in den Planungsperioden kann der NachsteuerZinssatz in einer Überleitungsrechnung iterativ in einen impliziten Vorsteuer-Zinssatz übergeleitet werden.2 IAS 36.A21 fordert, dass periodenübergreifend ein einheitlicher Zinssatz zu bestimmen ist. Nur wenn der Nutzungswert stark auf Änderungen der Zinsstruktur oder unterschiedliche Risiken in verschiedenen Perioden reagiert, sind periodenspezifische Kapitalisierungssätze zugelassen.

28.91

Trotz dieser detaillierten Vorgaben zeigen empirische Untersuchungen der im Konzernan- 28.92 hang offenzulegenden Kapitalisierungszinssätze, dass in der Praxis höchst unterschiedliche Werte Verwendung finden. In einer Auswertung von deutschen Geschäftsberichten der Jahre 2012 bis 2016 werden Kapitalisierungszinssätze vor Steuern in einer Bandbreite von 3 % bis 22 % angegeben.3

28.93

Einstweilen frei. e) Äquivalenz zwischen Nutzungswert und Buchwert Die Ermittlung des Nutzungswerts ist von besonderer Bedeutung für Unternehmen, die in ihren Konzernabschlüssen nach IFRS Firmenwerte bilanzieren. Dies ist für börsennotierte Konzerne der Regelfall. Der Firmenwert unterliegt nach IFRS keiner planmäßigen Abschreibung, muss jedoch regelmäßig – mindestens einmal jährlich – auf seine Werthaltigkeit überprüft werden („impairment only approach“).4 Der Wertminderungstest („impairment test“) erfolgt dabei weder auf der Ebene des Konzerns noch auf der Ebene einzelner Konzernunternehmen, sondern auf Ebene sog. zahlungsmittelgenerierender Einheiten.5 Die zahlungsmittelgenerierenden Einheiten sind so abzugrenzen, dass der Konzern mit ihnen den wirtschaftlichen Nutzen der Firmenwerte in Form zukünftiger Zahlungsströme unabhängig von anderen 1 Vgl. IDW RS HFA 40, Rz. 53. 2 Vgl. IAS 36.BCZ85; IAS 36.BC94; IDW RS HFA 40, Rz. 53. Für eine Beispielrechnung vgl. Deloitte, iGAAP 2017, A guide to IFRS reporting, Volume A Part 1, A10 Impairment of Assets 8.4.2 Estimation of a Market Rate, S. 655 f. 3 Zwirner/Vodermeier, IRZ 2018, 58 (60). 4 Vgl. IAS 36.10; Pottgießer/Velte/Weber, DStR 2005, 1748. 5 Vgl. IAS 36.80.

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28.94

§ 28 Rz. 28.94

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Vermögenswerten des Konzerns realisieren kann. Praktisch handelt es sich bei den solchermaßen abgegrenzten Einheiten eines Konzerns um unternehmensähnliche Gebilde mit Ausmaßen, die die Größe mittelständischer Unternehmen leicht übersteigen kann. Bei der Ermittlung eines Nutzungswerts für solche unternehmensähnlichen Gebilde ist die konsistente Ermittlung von Zahlungsströmen, Kapitalisierungszins und des auf Wertminderung zu testenden Buchwerts nach IAS 36.75 vorgeschrieben, jedoch aufgrund der detaillierten, teils restriktiven Vorgaben des IAS 36 von besonderer Schwierigkeit.

28.95 Dies gilt zunächst für die Vorschriften zur Abgrenzung des Buchwerts der zahlungsmittelgenerierenden Einheit. IAS 36 ist nicht anwendbar für Wertminderungstests beim Vorratsvermögen sowie bei finanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten.1 Somit sind diese für ein Unternehmen wesentlichen Vermögenswerte grundsätzlich nicht Teil des zu testenden Buchwerts. IAS 36.79 erlaubt jedoch aus Praktikabilitätsgründen, den Nutzungswert auch unter Berücksichtigung von finanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten zu bestimmen. Dann ist jedoch – aus Äquivalenzgründen – auch der Buchwert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit um den Buchwert dieser Vermögenswerte zu erhöhen und um den Buchwert solcher Schulden zu vermindern. In der Praxis ist bei dem Wertminderungstest von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten einschließlich Firmenwert die im Standard vorgesehene Möglichkeit die Regel. Beide vom Standard zugelassenen Vorgehensweisen, die Nichtberücksichtigung als auch Berücksichtigung von Vorräten und finanziellen Vermögenswerten und Schulden im Buchwert, führen jedoch bei Beachtung der – in IAS 36.75 zwingend vorgegebenen – Äquivalenz zwischen Buchwert und Zahlungsstrom zum gleichen Ergebnis, wie folgendes Beispiel zeigt: Beispiel: Der Buchwert einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit mit Firmenwert beträgt 1.000 Geldeinheiten (GE) ohne Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen betragen zum Bewertungsstichtag +200 GE und werden im Lauf der nächsten Periode vollständig gezahlt. Für diese Periode werden Umsatzerlöse von 1.000 GE erwartet. Am Ende der nächsten Periode betragen die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 250 GE, die wiederum in der darauffolgenden Periode beglichen werden. 1. Möglichkeit (Umsetzung des Standards ohne Rückgriff auf die Ausnahmeregelung des IAS 36.79): Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen werden nicht in den zu testenden Buchwert einbezogen, der dann 1.000 GE beträgt. Dann sind zur Ermittlung des erwarteten Zahlungsstroms für die nächste Periode die Umsatzerlöse in voller Höhe des Bestands der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen am Periodenende zu reduzieren, also um 250 GE. In der darauffolgenden Periode resultiert der Zahlungsstrom wiederum ausschließlich aus der Begleichung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen i.H.v. 250 GE. Für die erste Periode wird also ein Zahlungsstrom von 750 GE, für die zweite Periode ein Zahlungsstrom von 250 GE berücksichtigt, insgesamt (ohne Berücksichtigung einer Abzinsung) also 1.000 GE. Der auf Wertminderung zu testende Buchwert von 1.000 GE ist also durch Zahlungsströme in gleicher Höhe gedeckt, so dass eine Abwertung nicht erforderlich ist. 2. Möglichkeit (Praxis): Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen werden in den zu testenden Buchwert einbezogen, der also insgesamt 1.200 GE beträgt. Dann sind zur Ermittlung des erwarteten Zahlungsstroms für die nächste Periode die Umsatzerlöse nur in Höhe der Veränderung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zu korrigieren. Die Erhöhung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zeigt an, dass der Zahlungsstrom aus den Umsatzerlösen um 50 GE zu reduzieren ist. In der darauffolgenden Periode resultiert der Zahlungsstrom im Beispiel ausschließlich aus der Begleichung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen i.H.v. 250 GE. Für die erste Periode wird also ein Zahlungsstrom von 950 GE, für die zweite Periode ein Zahlungsstrom von 250 GE berücksichtigt, insgesamt (ohne Berücksichtigung einer Abzinsung) also 1.200 GE. Der auf Wertmin-

1 Vgl. IAS 36.2; für Verbindlichkeiten explizit gemäß IAS 36.76.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.97 § 28

derung zu testende Buchwert von 1.200 GE ist also auch in diesem Fall durch Zahlungsströme in gleicher Höhe gedeckt, so dass eine Abwertung nicht erforderlich ist.

Auch der Kapitalisierungszinssatz ist äquivalent zum Buchwert zu bestimmen. Hierbei ist zu 28.96 berücksichtigen, dass der Buchwert von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten einschließlich Firmenwert in der Praxis regelmäßig das Anlagevermögen sowie das Nettoumlaufvermögen (Vorräte zzgl. Forderungen aus dem operativen Geschäft1 abzüglich Verbindlichkeiten aus dem operativen Geschäft)2 umfasst, nicht aber verzinsliche finanzielle Schulden wie Bankdarlehen und Anleihen. Dieses gesamte operative Vermögen ist gut vergleichbar mit dem Gesamtvermögenswert (auch „entity value“ oder „enterprise value“) des DCF-Verfahrens (vgl. Rz. 10.9 ff.). Entsprechend muss auch der Kapitalisierungszinssatz nach den gewichteten Gesamtkapitalkosten bestimmt werden, damit der Nutzungswert konsistent mit den Grundsätzen der kapitalwertorientierten Unternehmensbewertungsverfahren ermittelt wird. Dies bedeutet, dass der Kapitalisierungszinssatz – obwohl bzw. gerade weil der zu testende Buchwert nicht um die verzinslichen Finanzschulden reduziert ist – unter Berücksichtigung von Fremdkapitalkosten sowie einer Fremdkapitalkostenquote zu bestimmen ist. Am folgenden, stark vereinfachten Beispiel zeigt sich, dass bei Beachtung der Äquivalenz – unabhängig von der Bestimmung des Buchwerts – konsistente Bewertungsergebnisse resultieren, andererseits die fehlende Äquivalenz jedoch zu Fehlbewertungen führt. Beispiel: Der Firmenwert einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit beträgt 1.500 Geldeinheiten (GE). Das sonstige operative Vermögen (Anlagenvermögen und Nettoumlaufvermögen) beträgt 500 GE, die Finanzschulden 1.000 GE.3 Zukünftig wird dauerhaft mit Zahlungsüberschüssen aus operativer und investiver Tätigkeit („Free Cash Flow“) von 150 GE gerechnet, bei Abschreibungen und Investitionen in immer gleicher Höhe. Der Zinsaufwand aus den Finanzschulden berechnet sich bei einem Zinssatz von 5 % auf 50 GE. Die Eigenkapitalkosten betragen 10 %. Die Besteuerung wird, damit das Beispiel übersichtlich bleibt, komplett ausgeblendet. Das dauerhaft erwartete Jahresergebnis („ewige Rente“) beträgt somit 100 GE. Nach den einschlägigen Unternehmensbewertungsverfahren hat die zahlungsmittelgenerierende Einheit bei diesen Annahmen einen Unternehmenswert („Marktwert des Eigenkapitals“) von 1.000 GE.4 Die Eigenkapitalquote und die Fremdkapitalquote betragen je 50 %.5 Die gewichteten Gesamtkapitalkosten betragen 7,5 %.6 Der Gesamtunternehmenswert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit nach dem DCF-Verfahren mit gewichteten Gesamtkapitalkosten („WACC-Ansatz“) beträgt 2.000 GE, abzüglich des Fremdkapitals von 1.000 GE ergibt sich der Marktwert des Eigenkapital von 1.000 GE. 1. Möglichkeit: Der Buchwert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit wird als Summe aus Firmenwert und dem sonstigen operativen Vermögen mit 2.000 GE ermittelt. Eine konsistente Bewertung gemäß IAS 36.75 erfordert, bei der Bemessung des Zahlungsstroms den Zinsaufwand nicht zu berücksichtigen und den Kapitalisierungszinssatz in Höhe der gewichteten Gesamtkapitalkosten anzusetzen. Der Buchwert ist dann in diesem Beispiel genau durch den Nutzungswert abgedeckt. Bei einer inkonsistenten Bewertung könnte entweder der Zinsaufwand berücksichtigt werden oder der Kapitalisie1 In Kategorien der HGB-Bilanzgliederung gem. § 266 HGB sind dies Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie grundsätzlich auch sonstige Vermögensgegenstände. 2 In Kategorien der HGB-Bilanzgliederung gem. § 266 HGB sind dies Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, grundsätzlich auch sonstige Verbindlichkeiten sowie sonstige Rückstellungen im Zusammenhang mit dem operativen Geschäft (Gewährleistungs- und Personalrückstellungen in normalem Umfang). 3 Annahme: Buchwert = Marktwert. 4 100 GE ewige Rente dividiert durch 10 % Eigenkapitalkosten. 5 Marktwert Fremdkapital 1.000, Marktwert Eigenkapital 1.000, Marktwert Gesamtkapital 2.000. 6 10 % Eigenkapitalkosten gewichtet mit der Eigenkapitalquote von 50 % sowie 5 % Fremdkapitalkosten gewichtet mit der Fremdkapitalquote von ebenfalls 50 %.

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§ 28 Rz. 28.97

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

rungszins in Höhe der Eigenkapitalkosten angesetzt werden. In beiden Fällen würde der Nutzungswert fehlerhaft zu niedrig ermittelt werden.1 2. Möglichkeit: Der Buchwert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit wird als Summe aus Firmenwert und dem sonstigen operativen Vermögen abzüglich Finanzschulden2 mit 1.000 GE ermittelt. Eine konsistente Bewertung gemäß IAS 36.75 erfordert, bei der Bemessung des Zahlungsstroms entsprechend auch den Zinsaufwand zu berücksichtigen und den Kapitalisierungszinssatz in Höhe der Eigenkapitalkosten anzusetzen. Der Buchwert ist dann in diesem Beispiel genau durch den Nutzungswert abgedeckt. Bei einer inkonsistenten Bewertung könnte entweder der Zinsaufwand nicht berücksichtigt werden oder der Kapitalisierungszins in Höhe der gewichteten Gesamtkapitalkosten angesetzt werden. In beiden Fällen würde der Nutzungswert fehlerhaft zu hoch ermittelt werden.3

28.98 Verlustvorträge sind weder bei dem Buchwert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit noch bei der Prognose der Zahlungsströme zu berücksichtigen.4

IV. Unternehmensbewertung im Bilanzrecht nach HGB 1. Bilanzierung von Unternehmensanteilen im HGB-Bilanzrecht

28.99 Bei der Bilanzierung von Unternehmensanteilen im HGB-Bilanzrecht ist zwischen dem Jahresabschluss (§§ 242–289 HGB) und dem Konzernabschluss (§§ 290–315 HGB) zu unterscheiden.

28.100 Im Jahresabschluss können Unternehmensanteile als Finanzanlagen (§ 266 Abs. 2 Nr. A III HGB) innerhalb des Anlagevermögen ausgewiesen werden, wenn sie dazu bestimmt sind, dem Geschäftsbetrieb dauernd zu dienen (§ 247 Abs. 2 HGB). Ist dieses Kriterium nicht gegeben, z.B. weil die Unternehmensanteile veräußert werden sollen, erfolgt eine Bilanzierung innerhalb des Umlaufvermögens nach ihrer Art entweder als Wertpapiere (§ 266 Abs. 2 Nr. B III HGB) oder als sonstige Vermögensgegenstände (§ 266 Abs. 2 Nr. B II 4 HGB).5 Eigene Anteile sind nach § 272 Abs. 1a HGB offen vom gezeichneten Kapital abzusetzen.

28.101 Unternehmensanteile sind Beteiligungen i.S.v. § 271 HGB, wenn die Anteile dem Geschäftsbetrieb des bilanzierenden Unternehmens durch Herstellung einer dauernden Verbindung dienen. Nach § 271 Abs. 1 Satz 3 HGB gilt ein Anteil von mehr als 20 % an einer Kapitalgesellschaft im Zweifel als Beteiligung. Beteiligungen sind innerhalb der Finanzanlagen unter einem besonderen Posten auszuweisen (§ 266 Abs. 2 Nr. A III 3 HGB). Verbundene Unternehmen (§ 271 Abs. 2 HGB, § 15 AktG) sind ebenfalls gesondert auszuweisen (§ 266 Abs. 2 Nr. A III 1 HGB bzw. § 266 Abs. 2 Nr. B III 1 HGB). 1 Im ersten Fall ergibt sich aus dem Jahresergebnis von 100 GE dividiert durch die gewichteten Gesamtkapitalkosten von 7,5 % ein (fehlerhaft zu niedriger) Nutzungswert von 1.333 GE. Im zweiten Fall ergibt sich aus dem Free Cash Flow von 150 GE dividiert durch die Eigenkapitalkosten von 10 % ein (fehlerhaft zu niedriger) Nutzungswert von 1.500 GE. 2 Dies ist möglich, sofern die Finanzschulden als untrennbar verbunden gemäß IAS 36.76b eingestuft werden. 3 Im ersten Fall ergibt sich aus dem Free Cash Flow von 150 GE dividiert durch die Eigenkapitalkosten von 10 % ein (fehlerhaft zu hoher) Nutzungswert von 1.500 GE. Im zweiten Fall ergibt sich aus dem Jahresergebnis von 100 GE dividiert durch die gewichteten Gesamtkapitalkosten von 7,5 % ein (fehlerhaft zu hoher) Nutzungswert von 1.333 GE. 4 Vgl. KPMG, Insights into IFRS, Bd. 1, S. 653. 5 Vgl. zur Zuordnung zu diesen Posten z.B. Schubert/Krämer in BeckBilanzkomm., § 266 HGB Rz. 128, 135 ff.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.105 § 28

Im Konzernabschluss können Unternehmensanteile als Tochterunternehmen (§ 294 HGB) oder als Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 HGB) einbezogen werden. Für Anteile an assoziierten Unternehmen (§ 311 HGB) gelten besondere Bilanzierungsvorschriften. Nicht unter diese Kategorien fallende sonstige Unternehmensanteile sind grundsätzlich wie im Jahresabschluss zu behandeln. Neben den Vorschriften des HGB sind im Konzernabschluss auch noch die vom Bundesministerium der Justiz bekannten Deutschen Rechnungslegungs Standards („DRS“) des nach § 342 HGB als Standardisierungsgremium anerkannten DRSC (Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee e.V.) relevant, bei deren Beachtung gemäß § 342 Abs. 2 HGB die Vermutung gilt, dass die Grundsätze ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung beachtet wurden.

28.102

2. Anlässe für Unternehmensbewertungen im HGB-Bilanzrecht a) Zugangsbewertung Unternehmensanteile werden bei Zugang mit den Anschaffungskosten bewertet (§ 255 Abs. 1 HGB), die im Regelfall dem Kaufpreis entsprechen, so dass eine Bewertung nicht notwendig ist. Bei einem Anteilstausch erlaubt die herrschende Meinung dem Bilanzierenden ein Wahlrecht, die Anschaffungskosten der erworbenen Anteile nach dem Zeitwert oder dem Buchwert der hingegebenen Anteile zu bestimmen.1 Bei entsprechender Ausübung des Wahlrechts ist der (beizulegende) Zeitwert durch eine Unternehmensbewertung zu bestimmen. Ein gleiches Wahlrecht gilt für Unternehmensanteile, die durch Sacheinlage2 oder durch Gesamtrechtsnachfolge nach dem Umwandlungsrecht3 erworben werden.

28.103

Im Konzernabschluss sind bei der Kapitalerstkonsolidierung von Tochtergesellschaften nach § 301 HGB die erworbenen Vermögensgegenstände des Tochterunternehmens zum (beizulegenden) Zeitwert neu zu bewerten. Die Möglichkeit zur Fortführung der Buchwerte besteht seit der Verabschiedung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes mit Wirkung für nach dem 1.1.2010 beginnende Geschäftsjahre nicht mehr. Die Neubewertung nach § 301 HGB erfordert auch eine Bewertung der Unternehmensanteile des Tochterunternehmens zum Zeitwert.4 Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Art der Unternehmensanteile (Tochterunternehmen, Gemeinschaftsunternehmen, assoziierte Unternehmen oder sonstige Unternehmensanteile) und der weiteren Behandlung im Konzernabschluss.

28.104

Sind die Anteile an der Tochtergesellschaft im Tausch gegen Hingabe von Sachwerten, also z.B. 28.105 durch Hingabe eigener Anteile oder durch Sacheinlage erworben worden, empfiehlt DRS 23.265 für Zwecke des Konzernabschluss einen Ansatz dieser Anteile mit dem Zeitwert der hingegebenen Vermögensgegenstände. Selbst wenn die Anteile an der Tochtergesellschaft im Jahresabschluss zu Buchwerten bilanziert worden sind, darf nach herrschender Meinung das Wahlrecht zur Ermittlung der Anschaffungskosten bei Anteilstausch im Konzernabschluss gem. § 308 Abs. 1 HGB neu ausgeübt werden, um zu einer vom DRSC empfohlenen Bilanzierung (Zeitwertansatz) überzugehen.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. z.B. Schubert/Gadek in BeckBilanzkomm., § 255 HGB Rz. 40. Vgl. z.B. Schubert/Gadek in BeckBilanzkomm., § 255 HGB Rz. 146. Vgl. z.B. Schubert/Gadek in BeckBilanzkomm., § 255 HGB Rz. 44. Vgl. z.B. Winkeljohann/Deubert in BeckBilanzkomm., § 301 HGB Rz. 82. Zur Bedeutung des DSR und der von ihm erlassenen DRS vgl. § 342 Abs. 2 HGB. Vgl. z.B. Winkeljohann/Deubert in BeckBilanzkomm., § 301 HGB Rz. 22.

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§ 28 Rz. 28.106

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

b) Folgebewertung

28.106 Im HGB-Bilanzrecht gelten bei der Folgebewertung grundsätzlich für alle Vermögensgegenstände im Jahres- und im Konzernabschluss die Anschaffungskosten als Obergrenze. Nach § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB sind Finanzanlagen nach dem gemilderten Niederstwertprinzip bei voraussichtlich dauernder Wertminderung mit dem niedrigeren Wert anzusetzen, der ihnen am Abschlussstichtag beizulegen ist (beizulegender Wert). Bei voraussichtlich vorübergehender Wertminderung können Finanzanlagen nach § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB außerplanmäßig abgeschrieben werden. Im Umlaufvermögen bilanzierte Unternehmensanteile sind gem. § 253 Abs. 4 HGB auf einen niedrigeren Börsen- oder Marktpreis am Abschlussstichtag abzuschreiben bzw. – sofern ein Börsen- oder Marktpreis nicht festzustellen ist – auf den niedrigeren beizulegenden Wert abzuschreiben (strenges Niederstwertprinzip).1

28.107 Die Vorschrift, Finanzanlagen auf den niedrigeren beizulegenden Wert abzuschreiben, erfordert nicht in jedem Fall eine Unternehmensbewertung. Ausreichend ist zunächst, die Wertminderungsrisiken aus einer Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung der Beteiligung überschlägig abzuschätzen.2 Bei stabiler oder verbesserter Ertragslage im Vergleich zur Vorperiode und ähnlichen Zukunftsaussichten kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der beizulegende Wert nicht niedriger als in der Vorperiode liegt. Von einer stabilen Geschäftsentwicklung kann auch ausgegangen werden, wenn die verschlechterte Ertragslage in einem Geschäftsfeld durch die verbesserte Ertragslage in einem anderen Geschäftsfeld mindestens kompensiert wird. Je weniger eindeutig die Resultate der überschlägigen Abschätzung, je komplexer die Verhältnisse, desto eher wird auf eine detaillierte Ermittlung des beizulegenden Wertes nicht zu verzichten sein.

28.108 Nach § 253 Abs. 5 HGB darf ein durch außerplanmäßige Abschreibung zustande gekommener niedrigerer Wertansatz von Unternehmensanteilen nicht beibehalten werden, wenn die Gründe dafür nicht mehr bestehen (Wertaufholungsgebot). Die bei Wegfall der Gründe vorzunehmende Zuschreibung kann maximal in Höhe der insgesamt vorgenommenen außerplanmäßigen Abschreibungen auf diesen Vermögensgegenstand erfolgen, so dass die Anschaffungskosten nicht überschritten werden können. Der Bilanzierende darf es nicht dem Zufall überlassen, ob er Kenntnis von einem Wegfall der Gründe hat, sondern hat aufgrund des Willkürverbots zu jedem Bilanzstichtag systematisch zu untersuchen, ob die Gründe einer in vergangenen Perioden vorgenommenen außerplanmäßigen Abschreibung noch bestehen.3 Es reicht jedoch u.U. die Prüfung von Indikatoren, wobei die Prüfungsintensität auch von der Wesentlichkeit des Vermögensgegenstandes abhängig ist.4 Sofern für die außerplanmäßige Abschreibung ein Sinken von Börsenkursen oder Marktpreisen ursächlich war, lässt sich der Wegfall der Gründe vergleichsweise leicht prüfen. Wenn die außerplanmäßige Abschreibung jedoch mittels eines kapitalwertorientierten Bewertungsverfahrens begründet wurde, sind die Prüfung und der Nachweis schwieriger und werden – zumindest bei Vorliegen von Indikatoren für eine Wertaufholung – Bewertungen erfordern.

1 Vgl. ausführlich Böcking/Korn in BeckHdb. Rechnungslegung, B 164 Rz. 87 ff. 2 Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung. Teil F Rz. 12. 3 Vgl. Hachmeister/Glaser, Finanzanlagevermögen nach HGB und EStG, in HdJ, Abt. II/4 (November 2015), Rz. 412. 4 Vgl. Böcking/Korn in BeckHdb. Rechnungslegung, B 169 Rz. 28.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.112 § 28

Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz wurde ins HGB-Bilanzrecht für bestimmte Vermögensgegenstände die Folgebewertung unabhängig von den Anschaffungskosten eingeführt. Der nach § 255 Abs. 4 HGB zu ermittelnde beizulegende Zeitwert dieser Vermögensgegenstände kann auch oberhalb der Anschaffungskosten liegen. Dies gilt jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen. Bei Unternehmensanteilen kann dies der Fall sein, wenn sie Teil eines sog. „Deckungsvermögens“ gem. § 246 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 253 Abs. 1 Satz 4 HGB sind, wenn sie Finanzinstrumente des Handelsbestands von Kreditinstituten nach § 340e Abs. 3 Satz 1 HGB (abzüglich Risikoabschlag) sind, um sie im Rahmen der Erstkonsolidierung neu zu bewerten gem. § 301 Abs. 1 Satz 2 HGB sowie um den Unterschiedsbetrag assoziierter Unternehmen nach § 312 Abs. 2 Satz 1 HGB zuzuordnen.

28.109

3. Wertkonzeptionen Dem HGB können im Zusammenhang mit der Bewertung von Beteiligungen zwei Wertkonzeptionen entnommen werden, nach denen Unternehmenswerte zu ermitteln sind. Dies sind der beizulegende Wert gem. § 253 Abs. 3 HGB und der beizulegende Zeitwert gem. § 255 Abs. 4 HGB. Der beizulegende Wert dient im handelsrechtlichen Jahresabschluss als Verlustmaßstab (Wertuntergrenze), während der beizulegende Zeitwert nach § 255 Abs. 4 HGB ein Maßstab sowohl für Vermögensminderungen als auch Vermögensmehrungen sein kann. Beide Werte sollten nicht verwechselt werden, da sie sich nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in der Art ihrer Ermittlung unterscheiden.1

28.110

Bei dem niedrigeren beizulegenden Wert handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der weder in seiner konkreten Ausprägung im Einzelfall, noch in der Methodik seiner Ermittlung durch das Gesetz explizit bestimmt wurde.2 Somit hat sich die Wertermittlung an den allgemeinen Grundsätzen zu orientieren, insbesondere am Gebot der vorsichtigen Bewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) und dem Gebot zur Einzelbewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB).3 Darüber hinaus ist auch der Sinn und Zweck der Bestimmung zu berücksichtigen, dass die handelsrechtliche Bewertung also insbesondere zum Gläubigerschutz erfolgt und daher der Ermittlung eines Schuldendeckungspotentials dient.4 Es soll ein zu hoher Bilanzansatz vermieden werden.5 Dementsprechend wird gefordert, selbst bei Unternehmen mit Leistungspflicht bzw. nicht-finanziellen Zielen auf den Zukunftserfolgswert abzustellen.6

28.111

Nach herrschender Meinung wird der beizulegende Wert nicht als objektivierter Unternehmenswert, sondern als subjektiver Unternehmenswert7 unter Berücksichtigung der vorhandenen individuellen Möglichkeiten und Planungen aus der Perspektive des Inhabers der Beteiligung ermittelt.8 Grund ist, dass die Perspektive des bilanzierenden Unternehmens der eines

28.112

1 Vgl. z.B. Goldschmidt/Weigl, WPg 2009, 192 (194); Henkel/Heller, KoR 2009, 279 (281); Schubert/ Hutzler in BeckBilanzkomm., § 255 HGB Rz. 512 m.w.N. 2 Vgl. Küting/Trappmann/Ranker, DB 2007, 1709 (1710). 3 Vgl. Böcking/Korn in BeckHdb. Rechnungslegung, B 164 Rz. 61 ff. m.w.N.; Schubert/Andrejewski in BeckBilanzkomm., § 253 HGB Rz. 307. 4 Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 6. 5 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 253 HGB Rz. 409. 6 Mujkanovic, WPg 2010, 294 (298). 7 Vgl. zu den Unterschieden zwischen objektiven und subjektiven Wertkonzeptionen Rz. 2.6 ff., Rz. 3.3 ff. und Rz. 3.38 ff. 8 Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 6.

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§ 28 Rz. 28.112

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Käufers bei einem Beteiligungserwerb entspricht. Aus dieser Perspektive relevant ist nicht die Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept auf sog. Stand-Alone-Basis, sondern die individuellen Möglichkeiten und Planungen aus der Perspektive des Inhabers der Beteiligung.1 Der beizulegende Wert ist also ein unternehmensspezifischer Wert, der insbesondere auch Synergien mit dem bilanzierenden Unternehmen berücksichtigt.2

28.113 Der beizulegende Zeitwert zielt hingegen im Grundsatz auf einen objektiven Marktpreis ab, nicht auf die unternehmensspezifische Bedeutung des jeweiligen Vermögensgegenstandes.3 Es gilt ein Primat der Marktpreise, die auch dann vorrangig zu verwenden sind, wenn ein allgemein anerkanntes Bewertungsverfahren zu einem deutlich abweichenden Bewertungsergebnis gelangen würde. Insoweit kann es zu Abweichungen zum objektivierten Wert nach IDW S 1 (vgl. Rz. 3.22 ff.) kommen, bei dem Marktpreise lediglich zur Plausibilisierung vorgesehen sind. Im Gegensatz zu dem niedrigeren beizulegenden Wert blendet der beizulegende Zeitwert die spezifische Bedeutung des Vermögensgegenstandes für den Bilanzierenden aus, so dass er konzeptionell dem gemeinen Wert (vgl. Rz. 29.8 ff.) nahekommt.4 Der Gesetzgeber beabsichtigt damit aber auch eine Annäherung des beizulegenden Zeitwerts an den „Fair Value“ der IFRS. Dies zeigt sich vor allem in der Konkretisierung des beizulegenden Zeitwerts nach § 255 Abs. 4 HGB, die sich an die – zum Zeitpunkt der Gesetzgebung noch nicht durch IFRS 13 abgelöste – Hierarchie des IAS 39 anlehnt.

28.114 Eine Zuordnung der Bewertungsanlässe zu den beiden Wertkonzeptionen ist leicht möglich bei der außerplanmäßigen Abschreibung von Unternehmensanteilen im Anlagevermögen, die auf der Basis des beizulegenden Wertes zu ermitteln ist, sowie für die Sonderfälle, in denen im Gesetz explizit auf den beizulegenden Zeitwert verwiesen wird. Die weiteren Fälle, in denen im Rahmen der Zugangsbewertung Zeitwerte bilanziert werden können, z.B. bei der Sacheinlage oder beim Anteilstausch, wird, soweit ersichtlich, bisher nicht thematisiert, insbesondere nicht die Frage, ob die Zeitwerte nach einer dieser beiden Wertkonzeptionen zu ermitteln sind oder ob hierfür andere Wertkonzeptionen herangezogen werden müssen.5 Nach der hier vertretenen Auffassung spricht jedoch vieles dafür, auch in solchen Fällen der vom Gesetzgeber vorgegebenen Wertkonzeption des beizulegenden Zeitwerts gem. § 255 Abs. 4 HGB zu folgen und vorliegenden Marktdaten aus Objektivierungsgründen einen Vorrang einzuräumen. Bei Unternehmensanteilen im Umlaufvermögen gilt nach § 253 Abs. 4 HGB ein Vorrang von Börsen- und Marktpreisen vor dem beizulegenden Wert. Zur Bewertung von Unternehmen mittels Börsen- und Marktpreisen vgl. § 18, § 19, Rz. 11.7 ff. Bei der Ermittlung des beizulegenden Wertes von Unternehmensanteilen im Umlaufvermögen besteht nach der hier vertretenen Auffassung die (widerlegbare) Vermutung einer Kapitalanlage, so dass nicht die dauerhafte Verbindung mit dem bilanzierenden Unternehmen im Vordergrund steht und insofern subjektive Elemente bei der Unternehmensbewertung keine oder nur eine geringe Auswirkung haben können.

1 Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 5. 2 Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 6; Küting/Trappmann/Ranke, DB 2007, 1709 (1711); Ballwieser in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2013, § 255 HGB Rz. 95. 3 Vgl. Kahle/Schulz in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht Kommentar, § 255 HGB Rz. 339. 4 Vgl. Kahle/Schulz in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht Kommentar, § 255 HGB Rz. 339. 5 Vgl. zur Bewertung von Unternehmensanteilen bei der Sacheinlage im Rahmen der aktienrechtlichen Kapitalaufbringungsgrundsätze Rz. 21.71 ff.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.118 § 28

Für weitere Auslegungsfragen könnte auf die sehr viel detaillierteren Ausführungen zum IFRS-Bilanzrecht zurückgegriffen werden. Immerhin handelt es sich um Vorgaben, die ein europarechtliches Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben. Zudem stammt z.B. der im Gesetz nicht erläuterte Begriff des „aktiven Markts“ in § 255 Abs. 4 HGB aus dem IFRS-Bilanzrecht, der dort im Standard sowie den nicht ins Europarecht übernommenen Materialien zum Standard umfangreich erläutert wird. Andererseits sind die Begrifflichkeiten des HGBBilanzrechts auch unter der abweichenden Zielsetzung des Jahresabschlusses wie Ausschüttungsbemessung und Gläubigerschutz zu interpretieren. In der Literatur werden beide Auffassungen vertreten. Nach Scharpf/Schaber/Märkl dürfte aus praktischen Erwägungen nichts dagegen sprechen, auf entsprechende IFRS-Regelungen oder -kommentierungen zurückzugreifen,1 während Kahle/Schulz die Auffassung vertreten, dass die IFRS – wenn überhaupt – nur unter dem Vorbehalt des Vorsichtsprinzips und der Objektivierung für Zwecke der Auslegung geltenden deutschen Bilanzrechts herangezogen werden könnten.2

28.115

4. Ermittlung des beizulegenden Werts nach § 253 Abs. 3 HGB Zur Ermittlung des beizulegenden Werts sind dem Gesetz keine Hinweise oder Vorgaben und auch kein zwingendes Verfahren zu entnehmen. Die herrschende Meinung zur Vorgehensweise bei der Ermittlung ist dem Standard IDW RS HFA 10 („Anwendung der Grundsätze des IDW S 1 bei der Bewertung von Beteiligungen und sonstigen Unternehmensanteilen für Zwecke eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses“) zu entnehmen.

28.116

Als Bewertungsverfahren ist danach in der Regel das Ertragswertverfahren oder ein DCF- 28.117 Verfahren heranzuziehen.3 Selbst bei börsennotierten Beteiligungen werden diese Verfahren in der Literatur für zutreffend erachtet, da bei Beteiligungen eine dauernde Verbindung besteht, die dem Geschäftsbetrieb des bilanzierenden Unternehmens dienen soll, und ein Börsenkurs nicht in der Lage ist, diese spezifischen Ertragselemente zu erfassen.4 Ein Börsenkurs sollte jedoch auch in diesem Fall zur Plausibilisierung der Ergebnisse dieser Bewertungsverfahren herangezogen werden. Zudem ist zu beachten, dass bei Unternehmensanteilen, die im Umlaufvermögen bilanziert werden, ein ggf. vorhandener Börsen- oder Marktpreis gem. § 253 Abs. 4 HGB vorrangig anzusetzen ist. Auch im Anlagevermögen wird bei Unternehmensanteilen, die keine Beteiligung i.S.d. § 271 HGB sind, einem ggf. vorhandenen Börsenkurs ein höheres Gewicht bei der Bewertung einzuräumen sein, da – anders als bei Beteiligungen – nicht die dauerhafte Verbindung mit dem bilanzierenden Unternehmen im Vordergrund steht und insofern spezifische, subjektive Ertragselemente in der Regel von untergeordneter Bedeutung sein werden. Die Art der Ermittlung ergibt sich gemäß IDW RS HFA 10 aus den Absichten des bilanzierenden Unternehmens: Im Regelfall, also bei einer dauerhaften Beteiligungsabsicht, ist der Wert anders zu ermitteln als bei einer Veräußerungsabsicht.5 1 Vgl. Scharpf/Schaber/Märkl in Küting/Pfitzer/Weber, Handbuch der Rechnungslegung – Einzelabschluss, § 255 HGB Rz. 442. 2 Vgl. Kahle/Schulz in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht Kommentar, § 255 HGB Rz. 341 f. 3 Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 3; „in der Regel“ gemäß WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, Teil F Rz. 13. 4 Vgl. Hachmeister/Glaser, Finanzanlagevermögen nach HGB und EStG, in HdJ, Abt. II/4 (November 2015), Rz. 314. 5 Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, Teil F Rz. 17; Kupke/Nestler, BB 2003, 2671.

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28.118

§ 28 Rz. 28.119

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

a) Dauerhafte Beteiligungsabsicht

28.119 Ist die Fortsetzung der Unternehmensbeteiligung beabsichtigt, ist der beizulegende Wert als begrenzt subjektiver Unternehmenswert zu ermitteln. Subjektiv heißt, dass die Wertermittlung unter Berücksichtigung der individuellen Möglichkeiten und Planungen aus der Perspektive des bilanzierenden Unternehmens erfolgt, insbesondere in Bezug auf Synergieeffekte und Ertragsteuern. Ihre Grenzen findet die Subjektivität nach herrschender Meinung bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes, der aufgrund der gebotenen Willkürfreiheit nicht nach rein subjektiven Renditeerwartungen des bilanzierenden Unternehmens bestimmt werden kann.1

28.120 Grundsätzlich sind – anders als beim objektivierten Unternehmenswert – alle Synergien berücksichtigungsfähig. Dies gilt unabhängig davon, ob die synergiestiftenden Maßnahmen schon eingeleitet sind oder die Synergien als sog. echte oder unechte Synergien (vgl. hierzu Rz. 16.3 ff.) eingestuft werden.2 Mögliche Synergien können beispielweise im Vertriebs- und Einkaufsbereich oder bei Dienstleistungen im IT- oder Verwaltungsbereich entstehen.3 Daneben sind Synergien auch bei den Finanzierungskosten oder der Kapitalstruktur denkbar, wenn Zinsaufwendungen einer konzerninternen Finanzierung unter den Kosten einer externen Finanzierung liegen. Möglich und einzubeziehen sind auch (u.U. gegenläufige) negative Synergien wie zusätzliche Kosten oder schlechtere Finanzierungskosten bei einem Akquisitionsvehikel. Synergien sind jedoch nur insoweit einzubeziehen, als sie bis zur Ebene des bilanzierenden Unternehmens und seiner Tochterunternehmen einschließlich der zu bewertenden Beteiligung realisierbar sind (Downstream-Synergien). Synergieeffekte, die voraussichtlich bei einem Mutterunternehmen oder bei Schwesterunternehmen der bilanzierenden Gesellschaft anfallen, sind nicht zu berücksichtigen.4

28.121 Auch bei den Ertragsteuern sind die individuellen Verhältnisse des bilanzierenden Unternehmens relevant. Somit sind die Ertragsteuern des Beteiligungsunternehmens und des bilanzierenden Unternehmens bei der Ermittlung der zukünftigen Ergebnisse bzw. Zahlungsströme anzusetzen, nicht aber die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner des bilanzierenden Unternehmens. Auch Vorteile, die aus einem Organschaftsverhältnis zwischen der Beteiligungsgesellschaft und dem bilanzierenden Unternehmen durch die Nutzung bzw. die schnellere Nutzung von steuerlichen Verlustvorträgen erwachsen, können den subjektiven Wert der Beteiligung für das bilanzierende Unternehmen erhöhen.

28.122 Der Kapitalisierungszinssatz ist anhand der Rendite einer risikoadäquaten Alternativanlage zu ermitteln. Empfohlen wird eine Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes wie bei der objektivierten Unternehmensbewertung gemäß IDW S 1 (vgl. § 6). Insbesondere sollte die beobachtbare Rendite einer Anlage in ein Aktienportfolio als Ausgangspunkt für die Bestimmung der Alternativrendite verwendet werden.5 b) Veräußerungsabsicht

28.123 Bei einer beabsichtigten Veräußerung der Anteile entspricht der beizulegende Wert dem erwarteten Veräußerungspreis, weil in diesem Fall nur noch dieser den bilanzierten Betei1 2 3 4 5

Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 9. Vgl. Sahner/Blum in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Teil VIII Rz. 18 ff. Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, Teil F Rz. 34. Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 6. Vgl. IDW RS HFA 10, Rz. 9.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.127 § 28

ligungsbuchwert decken kann. Vorrangig ist nach IDW RS HFA 10 ein verbindliches Kaufangebot. Liegen mehrere verbindliche Angebote vor, ist das Angebot heranzuziehen, das voraussichtlich angenommen wird.1 Ein Kaufpreisangebot kann als verbindlich angesehen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Kauf auch zustande kommt.2 Ein zum Bewertungsstichtag unter Vorbehalt stehendes Kaufangebot kann bei Vollzug der Transaktion noch vor Fertigstellung des Jahresabschlusses berücksichtigt werden.3 Falls in diesem Sinne kein verbindliches Kaufangebot vorliegt, sieht IDW RS HFA 10 die Schätzung des möglichen Veräußerungspreises als objektivierter Unternehmenswert nach der Konzeption des IDW S 1 vor, also insbesondere ohne sog. echte Synergieeffekte mit dem bilanzierenden Unternehmen, da diese im Verkaufsfall nicht mehr relevant sind. Es erscheint jedoch sinnvoll, auch unverbindliche Kaufangebote bei der Bewertung zur Überprüfung der Plausibilität des Bewertungsergebnisses zu beachten.

28.124

5. Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts nach § 255 Abs. 4 HGB Zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts gibt § 255 Abs. 4 HGB die folgende dreistufige Ermittlungshierarchie:

28.125

– Nach der ersten und obersten Hierarchiestufe (§ 252 Abs. 4 Satz 1 HGB) entspricht der beizulegende Zeitwert dem Marktpreis, der sich auf einem aktiven Markt herausgebildet hat. – Ist ein solcher Marktpreis nicht zu ermitteln, bestimmt sich der beizulegende Zeitwert auf der zweiten Hierarchiestufe (§ 255 Abs. 4 Satz 2 HGB) durch Rückgriff auf allgemein anerkannte Bewertungsmethoden. – Auf der dritten Hierarchiestufe (§ 255 Abs. 4 Satz 3 HGB) erfolgt eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten gem. § 253 Abs. 4 HGB. Auf dieser Hierarchiestufe erfolgt im engeren Sinne eigentlich keine Bewertung mehr. Nach der Auffassung des Gesetzgebers gilt für Werte der ersten und zweiten Hierarchiestufe aus dem Erfordernis einer vorsichtigen Bewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass diese verlässlich ermittelt werden können.4

28.126

a) Marktpreis auf einem aktiven Markt Der Gesetzgeber sieht den Marktpreis als auf einem aktiven Markt ermittelt an, wenn dieser an einer Börse von einem Händler, von einem Broker oder von einer Branchengruppe, von einem Preisberechnungsservice oder von einer Aufsichtsbehörde leicht und regelmäßig erhältlich ist, auf aktuellen und regelmäßig auftretenden Markttransaktionen basiert und zwischen unabhängigen Dritten erzielt wird. Umgekehrt kann vom Vorliegen eines aktiven Marktes nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn nur kleine Volumina – gemessen am Verhältnis

1 2 3 4

Vgl. WPH Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, Teil F Rz. 53. Sahner/Blum in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, Teil VIII Rz. 31. Vgl. Hayn/Ehsen, FB 2003, 205 (207). Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 61; BR-Drucks. 344/08, 133.

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28.127

§ 28 Rz. 28.127

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

der umlaufenden Aktien zum Gesamtvolumen der emittierten Aktien – gehandelt werden oder in einem engen Markt keine aktuellen Marktpreise verfügbar sind.1

28.128 Zur Identifizierung eines nicht mehr aktiven Marktes werden im Standard IDW RS BFA 2 („Bilanzierung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands bei Kreditinstituten“) folgende Indikatoren vorgeschlagen: – Signifikante Ausweitung der Geldbriefspanne, – signifikanter Rückgang der Handelsvolumina, insbesondere in Relation zu den historischen Handelsvolumina, – signifikante Preisschwankungen im Zeitablauf oder zwischen Marktteilnehmern, – keine laufende Verfügbarkeit von Preisen.2

28.129 Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass mögliche Paketzu- oder -abschläge bei der Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts unberücksichtigt bleiben müssen und lediglich der notierte Marktpreis maßgebend ist.3

28.130 Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung lassen offen, ob in den beizulegenden Zeitwert auch Anschaffungsnebenkosten einzubeziehen sind. In der Literatur wird nur der Marktpreis selbst als beizulegender Zeitwert zugelassen.4 Transaktionskosten wie Steuern, Anwalts- und Notarkosten sowie Vermittlungs- und Beratungsaufwendungen sind nicht Teil dieses Marktpreises und werden dadurch in den Anwendungsfällen des § 255 Abs. 4 HGB sofort aufwandswirksam. b) Allgemein anerkannte Bewertungsmethoden

28.131 Mit der (nachrangigen) Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts auf der Basis von allgemein anerkannten Bewertungsmethoden soll der beizulegende Zeitwert an den Marktpreis, wie er sich am Bewertungsstichtag zwischen unabhängigen Geschäftspartnern bei Vorliegen normaler Geschäftsbedingungen ergeben hätte, angemessen angenähert werden.5 In § 255 Abs. 4 HGB wird dabei kein bestimmtes Bewertungsverfahren festgelegt. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass zu den allgemein anerkannten Bewertungsmethoden im Sinne der Norm bspw. der Vergleich mit dem vereinbarten Marktpreis jüngerer vergleichbarer Geschäftsvorfälle zwischen sachverständigen, vertragswilligen und unabhängigen Geschäftspartnern oder die Verwendung von anerkannten betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden gehören.6

1 2 3 4

Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 61. Vgl. IDW RS BFA 2, Rz. 41. Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 61. Vgl. Löw/Scharpf/Weigel, WPg 2008, 1011 (1012); Kahle/Schulz in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht Kommentar, § 255 HGB Rz. 352. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 61. 6 Vgl. BT-Drucks. 16/10067 vom 30.7.2008, 61.

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Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

Rz. 28.136 § 28

Beim Verhältnis zwischen marktorientierten Vergleichsverfahren und anderen anerkannten 28.132 Bewertungsverfahren ist wohl nicht von einem Methodenwahlrecht auszugehen sein, da die Kriterien der Verlässlichkeit und des Marktstandards zu beachten sind.1 Marktstandard bedeutet, dass ein Modell zu verwenden ist, das üblicherweise von Marktteilnehmern genutzt wird, um das betreffende Finanzinstrument zu bewerten.2 Hierzu gehören bei Unternehmensanteilen insbesondere die kapitalwertorientierten Verfahren (z.B. Discounted Cash FlowVerfahren, vgl. hierzu ausführlich § 10) sowie Multiplikatorverfahren (vgl. hierzu ausführlich Rz. 11.7 ff.). Bei der Verwendung der anerkannten Bewertungsverfahren sollen, soweit vorhanden, zur Objektivierung der Bewertung möglichst aktuelle Marktdaten verwendet werden.3 Vor diesem Hintergrund wird teilweise ein Vorrang der Multiplikatormethoden bei hinrei- 28.133 chender Vergleichbarkeit gesehen.4 Hinsichtlich der Anforderungen an die Vergleichbarkeit bestehen unterschiedliche Auffassungen. Nach enger Auslegung werden Marktpreise aus Transaktionen anderer Emittenten grundsätzlich allein aus Gründen einer unterschiedlichen Bonität der Emittenten abgelehnt.5 Nach anderer Meinung soll die Gleichartigkeit weit verstanden werden, so dass Marktpreise für vergleichbare Bewertungsobjekte verwendet werden können, wenn Besonderheiten, die die Vergleichbarkeit beeinträchtigen, bereinigt werden.6 c) Fortgeführte Anschaffungs- oder Herstellungskosten § 255 Abs. 4 Satz 3 HGB regelt den Fall, wenn eine verlässliche Ermittlung des beizulegenden Zeitwertes weder nach Satz 1 (Marktpreis auf einem aktiven Markt) noch nach Satz 2 (allgemein anerkannte Bewertungsmethode) zum Bewertungsstichtag möglich ist. In diesem Fall hat eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu erfolgen, wobei der zuletzt ermittelte beizulegende Zeitwert als Anschaffungs- oder Herstellungskosten gilt.

28.134

Von einer nicht verlässlichen Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs z.B. auszugehen, wenn die angewandte Bewertungsmethode eine Bandbreite möglicher Werte zulässt, die Abweichung dieser Werte voneinander signifikant ist und eine Gewichtung der Werte nach Eintrittswahrscheinlichkeit nicht möglich ist.7

28.135

In der Literatur sind hierzu unterschiedliche Interpretationen zu finden. Teilweise wird vorgeschlagen, gerade im Hinblick auf die Kaufpreisallokation im Rahmen der Erstkonsolidierung (§ 301 HGB) keine „kleinlichen Anforderungen“ an die Verlässlichkeit zu stellen.8

28.136

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Kahle/Schulz in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht Kommentar, § 255 HGB Rz. 360 f. Vgl. IDW RS BFA 2, Rz. 44. Vgl. IDW RS BFA 2, Rz. 43. Vgl. Scharpf/Schaber/Märkl in Küting/Pfitzer/Weber, Handbuch Rechnungslegung – Einzelabschluss, § 255 HGB Rz. 440; Kahle/Schulz in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht Kommentar, § 255 HGB Rz. 360. Vgl. Ekkenga in KölnKomm. Rechnungslegungsrecht, § 255 HGB Rz. 160. Vgl. Tichy/Brinkmann in Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2017, § 255 HGB Rz. 252. Vgl. BR-Drucks. 344/08, 133. Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 9. Aufl., § 255 HGB Rz. 218. Krit. hierzu Kessler in Kessler/Leinen/Strickmann, 2. Aufl., 263.

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§ 28 Rz. 28.136

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Auch bei der Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts von Finanzinstrumenten (des Handelsbestandes), zu denen auch Unternehmensanteile gehören können, solle sich die Anwendung von § 255 Abs. 4 Satz 3 HGB auf Ausnahmefälle beschränken.1 Andererseits könne die fehlende Verlässlichkeit generell bei GmbH-Anteilen gegeben sein, wenn die zur Bewertung erforderlichen Informationen nicht zur Verfügung stünden.2 Weiter einschränkend wird vorgeschlagen, ein Versagen in der Zeitbewertung bereits dann anzuerkennen, wenn der hierdurch verursachte Aufwand nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Fülle einzuholender Informationen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht.3

1 Vgl. Löw/Scharpf/Waigel, WPg 2008, 1011 (1012); Löw in MünchKomm. Bilanzrecht, Bd. 2, 2013, § 340e HGB Rz. 24. 2 Vgl. Scharpf in Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, S. 239. 3 Vgl. Ekkenga in KölnKomm. Rechnungslegungsrecht, § 255 HGB Rz. 162.

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§ 29 Steuerliche Unternehmensbewertung I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3.

Steuerliche Wertkonzepte . . . . . Gemeiner Wert . . . . . . . . . . . . . . Teilwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdvergleichspreis . . . . . . . . . .

III. Bewertungsmethoden zur Bestimmung des gemeinen Wertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Börsenkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verkäufe innerhalb eines Jahres . . 3. Bewertung anhand der Ertragsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Andere branchenübliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Preisfindung durch Multiplikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenorientiertes Verfahren . IV. Stichtagsregelungen . . . . . . . . . .

29.1 29.8 29.8 29.17 29.26

29.30 29.30 29.37 29.51 29.61 29.61 29.65 29.68

V. Mindestwert Substanzwert . . . . 29.84 1. Steuerliches Substanzwertverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.86 2. Wertansätze einzelner Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . 29.94 3. Sonderfrage mangelnde Rentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.103 VI. Ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 29.106 VII. Auswirkungen unterschiedlicher Anteilsquoten . . . . . . . . . . 29.128 VIII. Besonderheiten bei Bewertungen anhand von Ertragsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.141

1. Rückwirkende Bewertungsstichtage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personenbezogene Faktoren . . . . . 3. Tätigkeitsvergütungen . . . . . . . . . 4. Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eingeschränkte Diversifikation . . 6. Mangelnde Fungibilität . . . . . . . . IX. Vereinfachtes Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertung von Beteiligungen . b) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berücksichtigung junger Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . d) Sonderbetriebsvermögen . . . . 3. Bewertung ausländischen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Behandlung offensichtlich unzutreffender Ergebnisse . . . . . . 5. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . X. Bewertung von Transferpakten im Sinne der Funktionsverlagerungsverordnung . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . 2. Ermittlung der Gewinnpotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalisierungszeitraum . . . . . . . 4. Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . 5. Steuerlicher Sonderwert . . . . . . . .

29.141 29.149 29.158 29.163 29.168 29.172 29.180 29.180 29.200 29.202 29.210 29.215 29.221 29.225 29.233 29.244

29.248 29.248 29.260 29.274 29.282 29.290

Schrifttum: Aufsätze und Beiträge: Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 463; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Änderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EUUmsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2009, 161; Balz/Bordemann, Ermittlung von Eigenkapitalkosten zur Unternehmensbewertung mittelständischer Unternehmen mithilfe des CAPM, FB 2007, 737; Barthel, Unternehmenswert: Berücksichtigungsfähigkeit und Ableitung von Fungibilitätszuschlägen, DB 2003, 1181;

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§ 29

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Beine, Ausländische Einkünfte in der Unternehmensbewertung, BB 1999, 1967; Creutzmann, Unternehmensbewertung im Steuerrecht – Neuregelung des Bewertungsgesetzes ab 1.1.2009, DB 2008, 2784; Dörschell/Franken, Rückwirkende Anwendung des neuen IDW-Standards zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, DB 2005, 2257; Drosdzol, Unternehmensbewertung: Die Geltung des § 11 Abs. 2 BewG und des vereinfachten Ertragswertverfahrens für ertragsteuerliche Zwecke, DStR 2011, 1258; Ditz, Praxisfall einer Funktionsverlagerung unter besonderer Berücksichtigung der VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Eisenberg/Ullmann, Bewertung von Transferpaketen in Funktionsverlagerungsfällen: Anwendung eines endlichen Kapitalisierungszeitraums, DStR 2013, 855; Franken/Schulte/Rowoldt, Bewertung von KMU und übertragbare Ertragskraft: ein Anwendungsbeispiel, WPg 2018, 38; Gerlach, Gemeiner Wert, Verfügungsbeschränkungen, Stimmrechte und Holdinggesellschaften bei der steuerlichen Anteilsbewertung (1. Teil), BB 1996, 821; Gleißner/Wolfrum, Eigenkapitalkosten und die Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen: Relevanz von Diversifikationsgrad und Risikomaß, FB 2008, 602; Hannes/Onderka, Bewertung und Verschonung des Betriebsvermögens: Erste Erkenntnisse aus den Erlassen der Finanzverwaltung, ZEV 2009, 421; Hannes/Onderka, Die Bewertung von Betriebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften nach der „AntBVBewV“, ZEV 2008, 173; Henselmann/Kniest, Immaterielle Werte beim Substanzwert im Sinne des Bewertungsgesetzes, BewertungsPraktiker 2011, 10; Hecht/v. Cölln, Fallstricke des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach dem BewG i.d.F. des ErbStRG, DB 2010, 1084; Hecht/v. Cölln, Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an gewerblichen Personengesellschaften aus Verkäufen nach § 11 Abs. 2 BewG, BB 2009, 2061; Hecht/v. Cölln, Unternehmensbewertung nach dem BewG i.d.F. des ErbStRG – Anmerkungen zu den Ländererlassen, BB 2010, 795; Hübner, Das Erbschaftsteuerreformgesetz – ein erster Überblick, Ubg 2009, 1; IDW (Hrsg.), Schreiben an den Bundesminister der Finanzen v. 9.8.2011 (abrufbar auf idw.de unter Verlautbarungen); IDW (Hrsg.), Hinweise des FAUB zu den Auswirkungen der Finanzmarkt- und Konjunkturkrise auf Unternehmensbewertungen, FN-IDW 2009, 696; IDW (Hrsg.), Hinweise des FAUB v. 19.9.2012 zur Berücksichtigung der Finanzmarktkrise bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in einer Unternehmensbewertung, FN-IDW 2012, 568; IDW (Hrsg.), Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards nach IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2014, 293; IDW (Hrsg.), Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), FN-IDW 2008, 271; IDW (Hrsg.), Hinweis des FAUB v. 10.1.2012 zu den Auswirkungen der aktuellen Kapitalmarktsituation auf die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes, FN-IDW 2012, 122; Jonas, Die Bewertung mittelständischer Unternehmen – Vereinfachungen und Abweichungen, WPg 2011, 299; Jonas/Löffler/Wiese, Das CAPM mit deutscher Einkommensteuer, WPg 2004, 898; Koblenzer/Seker, Gesellschaftsrechtliche Sonderrechte im Spannungsfeld bewertungsrechtlicher Grundsatzfragen, ErbStB 2011, 282; Kohl, Anwendung des IDW S 1 bei der Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen, WPg 2018, 146; Kohl, Unternehmensbewertung und persönliche Verhältnisse – Wertrelevanz von vertraglichen Verfügungsbeschränkungen, WPg 2015, 1130; Kohl, Überblick und Würdigung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach dem neuen Bewertungsrecht, ZEV 2009, 554; Kohl/König, Besonderheiten bei der Bewertung im Konzernverbund, WPg 2018, 843; Kohl/König, Die Bedeutung der Grundsätze nach IDW S 1 für die Ableitung gemeiner Werte, WPg 2018, 1525; Kohl/König, Das vereinfachte Ertragswertverfahren im Lichte des aktuellen Kapitalmarktumfeldes, BB 2012, 607; Kohl/König/ Möller, Der steuerliche Substanzwert – eine unvollständige Umsetzung des gemeinen Wertverständnisses?, BB 2013, 555; Kohl/Schilling, Die Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts im Lichte des IDW S 1 i.d.F. 2008, StuB 2008, 909; Kohl/Schilling, Grundsätze objektivierter Unternehmensbewertung im Sinne des IDW S 1 n.F. – Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung bei steuerlichen Bewertungsanlässen, WPg 2007, 70; Kohl/Schröder, Die Erbschaftsteuerreform und ihre Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung, CF 2016, 456; Korezkij, Anwendungserlasse zur Erbschaftsteuerreform: Eine erste Bestandsaufnahme, DStR 2017, 1729; Kratz/Wangler, Unternehmensbewertung bei nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen: Das Problem der Ermittlung entscheidungsrelevanter Kapitalkosten, FB 2005, 169; Kußmaul/Pfirmann/Hell/Meyering, Die Bewertung von Unternehmensvermögen nach dem ErbStRG und Unternehmensbewertung, BB 2008, 472; Lenz, Gesellschaftsrechtliches Spruchverfahren: Die Rückwirkung geänderter Grundsätze zur Unternehmensbewertung auf den Bewertungsstichtag – Zugleich Besprechung der Beschlüsse des BayObLG vom 28.10.2005 und

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Steuerliche Unternehmensbewertung

§ 29

des LG Bremen vom 18.2.2002, WPg 2006, 1160; Mannek, Die wesentlichen Änderungen durch die Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 im Überblick, ZEV 2012, 6; Mannek, Diskussionsentwurf für eine Anteils- und Betriebsvermögensbewertungsverordnung – AntBVBewV, DB 2008, 423; Möllmann, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Unternehmensbewertung anhand von Börsenkursen und stichtagsnahen Veräußerungsfällen, BB 2010, 407; Mujkanovic, Die Bewertung von Anteilen an nachhaltig ertragsschwachen Unternehmen im handels- rechtlichen Jahresabschluss, WPg 2010, 294; Nestler, Bewertungen von KMU: Aktuelle Hinweise des IDW zur praktischen Anwendung des IDW S 1, BB 2012, 1271; Nestler/Schaflitzl, Praktische Anwendungsfragen für die Bewertung bei Funktionsverlagerungen nach dem neuen BMF-Schreiben, BB 2011, 235; Peemöller, Grundsätze der Unternehmensbewertung – Anmerkungen zum Standard IDW S 1, DStR 2001, 1401; Piltz, Der gemeine Wert von Unternehmen und Anteilen im neuen ErbStG, Ubg 2009, 13; Piltz, Erbschaftsteuer-Bewertungserlass. Allgemeines und Teil A (Anteile an Kapitalgesellschaften), DStR 2009, 1829; Piltz, Unternehmensbewertung im neuen Erbschaftsteuerrecht, DStR 2008, 745; Popp, Zur Überprüfung von Unternehmensbewertungen bei steuerlichen Anlässen, WPg 2017, 850; Popp, Zum Anwendungszeitraum von Bewertungsstandards, Der Konzern 2015, 193; Reich, Der koordinierte Ländererlass zum Unternehmenserbschaftsteuerrecht aus Sicht der Beratungs- und Gestaltungspraxis, DStR 2017, 1858; Rohde/ Gemeinhardt, Bewertung von Betriebsvermögen nach der Erbschaftsteuerreform 2009, StuB 2009, 167; Ruthardt/Hachmeister, Verkehrswert des Anteils und Verkehrswert des Unternehmens, WPg 2016, 411; Ruhthardt/Hachmeister, Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer in Deutschland und den USA: Gemeiner Wert vs. Fair Market Value, DStR 2016, 1048; Ruthardt/Hachmeister, Herausforderungen bei der Bewertung von KMU: Risikozuschlag, DStR 2014, 488; Stalleiken/Theißen, Erbschaftsteuer-Bewertungserlass, Teil B: Das vereinfachte Ertragswertverfahren, DStR 2010, 21; Serg, Die Behandlung von Geschäftschancen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DStR 2005, 1916; Schlotter, Voraussichtlich dauernde Wertminderung nach dem Urteil des BFH zur Teilwertabschreibung auf Aktien vom 26.9.2007, BB 2008, 546; Viskorf, Das Rechtsstaatsprinzip und der Wettstreit um den „richtigen“ gemeinen Wert beim Betriebsvermögen, ZEV 2009, 591; Viskorf/Löcherbach/Jehle, Die Erbschaftsteuerreform 2016 – Ein erster Überblick, DStR 2016, 2425; v. Oertzen/Zens, Der bewertungsrechtliche Paketzuschlag, DStR 2005, 1040; Wagner/Saur/Willershausen, Zur Anwendung der Neuerungen der Unternehmensbewertungsgrundsätze des IDW S 1 i.d.F. 2008 in der Praxis, WPg 2008, 731; Wüstemann, BB-Rechtsprechungsreport: Unternehmensbewertung 2008/09, BB 2009, 1518; Wollny, Vereinfachtes Ertragswertverfahren – Anmerkungen zur Verletzung der Steueräquivalenz, DStR 2012, 1356; Wollny, Substanzwert reloaded – Renaissance eines wertlosen Bewertungsverfahrens, DStR 2012, 716 (Teil I), DStR 2012, 766 (Teil II); Zeidler/Schöniger/Tschöpel, Auswirkungen der Unternehmensteuerreform 2008 auf Unternehmensbewertungskalküle, FB 2008, 276. Handbücher, Kommentare und Monographien: Baetge/Kirsch, Aktuelle Herausforderungen für den Mittelstand im Kontext zunehmender Internationalisierung, 2013; Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, 2017; Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1411; Daragan/Halaczinsky/Riedel, Praxiskommentar ErbStG und BewG, 3. Aufl. 2017; Dörschell, Sonderfragen der Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, in Baetge/Kirsch (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen für den Mittelstand im Kontext zunehmender Internationalisierung, 2013, S. 131; Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung: Praxisgerechte Ableitung unter Verwendung von Kapitalmarktdaten, 2. Aufl. 2012; Eisele, § 11 BewG, in Rössler/Troll (Hrsg.), BewG, Kommentar, Stand Mai 2018; Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl. 2010; Fischer/Pahlke/Wachter, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 2017; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Außensteuerrecht, Kommentar, Stand März 2016; Flick Gocke Schaumburg/BDI, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011 – Erläuterungen aus Unternehmens- und Beraterpraxis, 2012; Gehri/Munk, Immobilien: Steuern und Wertermittlung, 2010; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Gürsching/Stenger (Hrsg.), Bewertungsrecht– BewG ErbStG, Kommentar, Stand Juni 2018; Halaczinsky, § 9 BewG, in Rössler/Troll (Hrsg.), BewG, Kommentar, Stand Mai 2018; Hannes, Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1383; Hannes/Holz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kom-

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§ 29 Rz. 29.1

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

mentar, 17. Aufl. 2018; Haritz/Menner, UmwStG, Kommentar, 3. Aufl. 2009; IDW (Hrsg.), WP Handbuch 2008, Band II, 13. Aufl. 2008; IDW (Hrsg.), WP Handbuch 2014, Band II, 14. Aufl. 2014; IDW (Hrsg.), Bewertung und Transaktionsberatung, 2018; Kraft (Hrsg.), AStG, 2009; Kreutziger/Schaffner/ Stephany, BewG, Kommentar, 4. Aufl. 2018; Mandl/Rabel, Methoden der Unternehmensbewertung, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 51; Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung. Vereinfachtes Ertragswertverfahren, Aktuelle Erbschaftsteuer-Richtlinien, 2012; Meis, Existenzgründung durch Kauf eines kleinen oder mittleren Unternehmens, 2000; von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 2017; Peemöller, Wert und Werttheorien, in Peemöller (Hrsg.) Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1; Preißer/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungssteuer, Kommentar, 3. Aufl. 2018; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, Loseblatt-Kommentar, Stand Mai 2018; Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG und UmwStG, Kommentar, 7. Aufl. 2016; Sieben/Maltry, Substanzwert, in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 759; Steiner/Bruns/ Stöckl, Wertpapiermanagement, 10. Aufl. 2012; Streck, KStG, 9. Aufl. 2018; Tiedtke, Erbschaftsteuerund Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 2009; Troll/Gebel/Jülicher (Hrsg.), ErbStG, Kommentar, Stand November 2017; Viskorf/Glier/Knobel, Bewertungsgesetz, Stand 2017; Viskorf, H.-U./Schuck/ Wälzholz/Bock/Fischer/Hofmann/Kugelmüller-Pugh/Philipp/Richter/Viskorf, S./Wiegang, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2017; Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015; Wiechers, Besonderheiten bei der Bewertung von Anteilen an Unternehmen in Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 911; Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, Stand Juni 2018.

I. Einleitung 29.1 Steuerlich bedingte Bewertungen stellen einen häufigen Anwendungsfall gesetzlicher Bewertungsanlässe dar. Im Vergleich zu den unternehmerischen und gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen ist zu beachten, dass es eine Reihe von steuerrechtlichen Vorschriften gibt. Die aktuellen Vorschriften basieren dabei im Kern auf der Entscheidung des BVerfG sowie den nachfolgenden Erbschaftsteuerreformen 2009 und 2016. Maßgebliches Wertkonzept ist danach der in § 9 BewG definierte „gemeine Wert“. Nach Auffassung des BVerfG sollte sich die Bewertung und damit die anzuwendenden Bewertungsmethoden des Vermögens bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage demnach zukünftig einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel ausrichten. Die Bewertungsmethoden müssten gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden. Diesbezüglich gab das Gericht selbst bereits den Hinweis auf betriebswirtschaftlich anerkannte Ertragswert- bzw. DCF-Methoden.

29.2 Mit der Zielsetzung der Ermittlung eines im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Preises orientierte sich der Gesetzgeber für steuerlich bedingte Unternehmensbewertung an dem Ideal des Verkehrswertes. Nach herkömmlicher, betriebswirtschaftlicher Auffassung ist für den Wert einer Unternehmung oder von Unternehmensteilen allein deren Ertragskraft maßgebend.1 Diese spiegelt die vorhandene Unternehmenssubstanz anhand künftiger finanzieller Überschüsse zum Bewertungsstichtag wider. Grundlage der Ertragsbewertung sind somit die Erträge, welche aus der Nutzung der Substanz generiert werden können.

29.3 Bis zu diesem Zeitpunkt fußten die steuerlichen Bewertungsvorschriften in Abhängigkeit der Rechtsform auf dem Prinzip einer substanzorientierten Einzelbewertung. Bei der Bewertung

1 Vgl. Peemöller, Wert und Werttheorien, in Peemöller, S. 1.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.7 § 29

von Anteilen an Personengesellschaften ergab sich dies unmittelbar aus § 109 Abs. 1 BewG a.F. Für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften wurde regelmäßig das „Stuttgarter Verfahren“1 herangezogen. Bei diesem handelt es sich um ein Mischverfahren, welches zumindest teilweise auf den steuerbilanziellen Buchwerten basierte. Damit lagen die Bewertungsergebnisse für Anteile an Personengesellschaften und an Kapitalgesellschaften regelmäßig sowohl auseinander als auch jeweils unter dem Verkehrswert. Mit der Erbschaftsteuerreform 2009, der expliziten gesetzlichen Norm einer Bewertung anhand der Ertragsaussichten und der Verankerung einer (vereinfachten) Ertragsbewertung für steuerliche Zwecke haben Marktpreis und Ertragswertkalküle einen spürbaren Bedeutungszuwachs in der steuerlichen Bewertungspraxis erhalten.2 Demnach ist der gemeine Wert sowohl von Anteilen an Kapitalgesellschaften als auch von Betriebsvermögen gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln, sofern dieser nicht aus Marktpreisen in Form von Börsenkursen oder Verkaufspreisen hergleitet werden kann.3 Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Substanzwertmethode als übergeordneten Kontrollmechanismus der Ertragswertverfahren etabliert,4 womit dem Substanzwert weiterhin eine zentrale Rolle im BewG und damit für die Unternehmensbewertung für steuerliche Zwecke zukommt.

29.4

Diese Grundsätze wurden auch in der Erbschaftsteuerreform 2016 aufrechterhalten und um besondere Aspekte (typisierter Kapitalisierungszinssatz im vereinfachten Verfahren sowie die Behandlung von Verfügungsbeschränkungen) ergänzt.

29.5

Einstweilen frei.

29.6

Obwohl der Ausgangspunkt dieser Entwicklung im Erbschaftsteuer und Schenkungsteuerrecht liegt, ist die Anwendbarkeit auch für ertragsteuerliche Zwecke mittlerweile anerkannt. Dies ergibt sich bereits inhaltlich aus der zentralen Bedeutung des „gemeinen Wertes für das Steuerrecht im allgemeinen. So gehören die §§ 9 und 11 BewG grundsätzlich zu den allgemeinen Bewertungsvorschriften, die in der Systematik des Bewertungsgesetzes für alles Steuern gelten.5 So wird dieser Wertmaßstab bei der Besteuerung des Aufgabegewinns i.S.d. § 16 Abs. 3 EStG in Fällen von verdeckten Einlagen aus dem Privatvermögen in Kapitalgesellschaften oder bei Umwandlungsfällen herangezogen. Bereits durch die Streichung des vormaligen § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG a.F wurde dies auch formal nachvollzogen, in dem ursprünglich die Anwendung einzelner Aspekte des § 11 explizit für ertragsteuerliche Zwecke ausgeschlossen war. Eine diesbezüglich endgültige Klarstellung erfolgte durch das Finanzministerium Schleswig-Holstein.6

29.7

1 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien 2003 R 97 ff. BewG. 2 Vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG. 3 § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG gilt unmittelbar für Kapitalgesellschaften. Für die Bewertung von Personengesellschaften gilt dies gemäß § 109 Abs. 1 BewG entsprechend. 4 Vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG. 5 Vgl. auch Koblenzer/Seker, ErbStB 2011, 282 (284). 6 Vgl. BMF v. 20.7.2011 – VI 306 - S 2170 - 577, ZEV 2011, 616.

Kohl 965

§ 29 Rz. 29.8

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

II. Steuerliche Wertkonzepte 1. Gemeiner Wert

29.8 Den allgemeinen und primären Wertmaßstab für steuerliche Bewertungen stellt der „gemeine Wert“ dar.1 Dieser bestimmt sich gem. § 9 Abs. 2 BewG aus dem Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes unter Berücksichtigung aller den Preis beeinflussenden Umstände bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind dabei außer Acht zu lassen (vgl. § 9 Abs. 2 BewG).

29.9 Die Begriffsdefinition im BewG lässt zunächst offen, wie der gemeine Wert abzuleiten ist. Es wird grundsätzlich nicht auf einen tatsächlich erzielten, sondern auf den am freien Markt erzielbaren Veräußerungspreis abgestellt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr realisierbar ist. Ausschlaggebend ist somit nicht der Wert des Wirtschaftsgutes aus der Perspektive des Gesellschafters, wenn dieser Eigentümer bleibt. Gesucht wird vielmehr ein realisierbarer Betrag im Verkaufsfall.2 Von zentraler Bedeutung für die Ermittlung des den gemeinen Wert bestimmenden Preises ist einerseits der „gewöhnlichem Geschäftsverkehr“ und andererseits die „Beschaffenheit des Wirtschaftsguts“.3

29.10 Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter „gewöhnlichem Geschäftsverkehr“ der Handel zu verstehen, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang, sondern in Wahrung seiner eigenen Interessen handelt.4 Ist ein tatsächlicher Markt nicht existent, ist der gemeine Wert mithilfe marktwirtschaftlicher Grundsätze abzuleiten.5 Der unterstellte potentielle Käufer ist bestrebt, am Erwerb des Wirtschaftsgutes mit seiner tatsächlichen Beschaffenheit einschließlich der dazugehörigen Verwertungsmöglichkeit zu partizipieren. Er ist bereit, einen angemessenen, dem inneren Wert entsprechenden Preis zu zahlen, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr entscheidend ist.6 Somit ist unter dem gemeinen Wert ein Betrag zu verstehen, der im Fall einer Veräußerung des Wirtschaftsgutes üblicherweise als Erlös erzielbar ist. Demgegenüber wird kein Marktpreis gesucht, welcher im Rahmen eines Verhandlungsweges zustande kommt, da beim Kauf eines Unternehmens bzw. Unternehmensanteils neben dem eigentlichen Wert auch persönliche Verhältnisse der beteiligten Verhandlungspartner (Unabhängigkeit, Macht, berufliche Entfaltung) einfließen.7 Es ist daher eine Verkaufssituation zu fingieren, aus der ein gemeinen Wertes anhand von objektivierter Wertmaßstäbe bestimmt werden kann. Es ist daher nicht nur einseitig auf die Renditeerwartung eines potentiellen Erwerbers abzustellen. Vielmehr ist auch zu beachten, ob die bisherigen Eigentümer bereit sind, zu einem entsprechenden Preis zu verkaufen.8 1 Vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 2; Viskorf in Viskorf u.a., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 9 BewG Rz. 9. 2 Vgl. Gerlach, BB 1996, 821 (823); Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 9. 3 Vgl. Gerlach, BB 1996, 821 (823). 4 BFH v. 14.2.1969 – III 88/65, BStBl. II 1969, 394 (395); BFH v. 23.2.1979 – III R 44/77, BStBl. II 1979, 618 (619); BFH v. 28.11.1980 – III R 86/78, BStBl. II 1981, 353 (355) sowie BFH v. 22.8.2002 – II B 170/01, BFH/NV 2003, 11 (11); BFH v. 25.6.1965 – III 384/60, HFR 1966, 1. 5 Vgl. Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe, in Peemöller, S. 1415. 6 Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 66. 7 Vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, S. 32; Kußmaul/Pfirmann/Hell/Meyering, BB 2008, 472 (473). 8 Vgl. BFH v. 22.1.2009 – II R 43/07, BStBl. II 2009, 444 (446) = GmbHR 2009, 670; Daragan in Daragan/Halaczinsky/Riedel, § 9 BewG Rz. 16; Hannes/Holtz, § 12 Tz 19.

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Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.14 § 29

Der steuerliche Begriff des gemeinen Wertes gleicht dem Verkehrswertverständnis.1 Dies zeigt sich ferner in der Verkehrswertdefinition des Baugesetzbuches: „Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre“ (vgl. § 194 BauGB). Auch der Gesetzgeber setzt diese beiden Wertbegriffe gleich. In der Gesetzesbegründung zum ErbStRG heißt es zu § 177 BewG: „Der gemeine Wert (§ 9 BewG) entspricht dem Verkehrswert.“2 Dabei ist beiden Werten gemein, dass ihnen regelmäßig eine objektivierte Wertermittlung zugrunde liegt.3

29.11

Ein dem gemeinen Wert entsprechendem Wertkonzept stellt der in der internationalen Rechnungslegung vorzufindenden „fair value“ dar. Dieser wird durch die IFRS definiert als der Betrag, zu dem ein Vermögenswert zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern getauscht oder eine Schuld beglichen wird.4

29.12

Ausgehend von diesem allgemeinen Verständnis, hat der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG zur Bestimmung des gemeinen Wertes im Falle von Betriebsvermögen eine Verfahrenshierarchie verankert.5

29.13

– Handelt es sich bei dem zu bewertenden Wirtschaftsgut um Anteile an einer börsennotierten Kapitalgesellschaft, sind diese mit dem niedrigsten feststellbaren Kurswert anzusetzen. In Ergänzung sieht das Gesetz in § 11 Abs. 3 BewG bei bestimmten Fällen einen Paketzuschlag werterhöhend vor. – Handelt es sich nicht um Anteile an börsennotierten Kapitalgesellschaften, ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 der gemeine Wert aus Verkäufen innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag zu ermitteln. – Sofern der gemeine Wert nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften oder Einzelunternehmen nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten innerhalb des letzten Jahres vor dem Bewertungsstichtag abgeleitet werden kann, ist er unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten, üblichen Methode zu ermitteln (vgl. § 11 BewG). Das Gesetz sieht zudem die Möglichkeit vor, den gemeinen Wert anhand des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG zu ermitteln, sofern dies nicht zu unzutreffenden Ergebnissen führt. – Abschließend sieht der Gesetzgeber mit dem steuerlichen Substanzwert i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG einen Mindestwert vor. Somit ist der gemeine Wert zunächst aus einem Drittvergleich aus zeitnahen Verkäufen abzuleiten. Lediglich wenn dies nicht möglich ist, ist eine Ermittlung des gemeinen Wertes auf Basis der Ertragsaussichten der Gesellschaft durchzuführen. Der Gesetzgeber räumt mit dieser 1 Vgl. BFH v. 2.2.1990 – III R 173/86, BStBl. II 1990, 497 (499); Viskorf in Viskorf u.a., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 9 BewG Rz. 2; Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 2; Halaczinsky in Rösler/Troll, § 9 BewG Rz. 1. 2 Vgl. BT-Drucks. 16/7918, 45. 3 Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 2; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 10. 4 Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 4. 5 Vgl. Creutzmann, DB 2008, 2784 (2785).

Kohl 967

29.14

§ 29 Rz. 29.14

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Verfahrenshierarchie einer Wertbestätigung am Markt, wie sie bei Verkäufen unter fremden Dritten vorliegt, den Vorrang ein.1 Auch die Ausgestaltung der Hierarchie von Bewertungsmethoden verdeutlicht die Orientierung an einem Markt- oder Verkehrswert, wobei keine schlichte Übernahme der beobachteten Veräußerungspreise angedacht ist. So bringt der Gesetzgeber durch die Formulierung „Ableiten“ aus Verkäufen zum Ausdruck, dass ein tatsächlicher Veräußerungspreis als Referenzgröße zum gemeinen Wert nicht einfach übernommen werden soll, sondern bei bestimmten Umständen wie z.B. bei Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligungen zu korrigieren ist (Ableitung)2, um der Zielsetzung des gemeinen Wertes gerecht zu werden. Ähnliches ergibt sich aus dem § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG insoweit, als dort gleichrangig neben der Ertragswertmethode „jede andere anerkannte auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke übliche Bewertungsmethode“ zugelassen wird. Als Beispiele werden die Umsatzmethode, Gewinn- oder Produktmultiplikatoren oder Preisvergleiche angeführt. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie sich an einem tatsächlichen Marktverhalten orientieren.

29.15 Für die Ableitung des gemeinen Wertes, sind nur die Einflussgrößen bedeutsam, welche aus der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes stammen.3 Nach der Definition des BFH handelt es sich in diesem Kontext um „die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die dem zu bewertenden Wirtschaftsgut arteigen sind“ und auf jeden möglichen Erwerber übergehen.4 Aufgrund der Tatsache, dass der gemeine Wert eine Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unterstellt, kann es sich hierbei nur um Eigenschaften des Anteils handeln, welche ihm anhaften (Rechte, Pflichten, Chancen, Risiken) und auf den Erwerber übergehen. Demgegenüber wird der Käufer für wertbeeinflussende Umstände nichts zahlen, die beim Verkäufer bleiben oder durch die Transaktion untergehen.5

29.16 Neben der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes (tatsächlichen Eigenschaften)6 sind alle wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Bedingungen bei der Wertableitung einzubeziehen, die üblicherweise vom Markt beachtet werden.7 Kennzeichnend für die Umstände der wirtschaftlichen Art ist die Nachfragesituation nach dem Wirtschaftsgut. Unter den Begriff der rechtlichen Verhältnisse werden regelmäßig dingliche Eigentumsbeschränkungen zusammengefasst, während die tatsächlichen Umstände zumeist Umwelteinflüsse darstellen.8 2. Teilwert

29.17 Abzugrenzen von dem gemeinen Wert ist der Teilwertgedanke. Gemäß § 10 BewG handelt es sich beim Teilwert um den Betrag, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber das Unternehmen fortführt (vgl. § 10 Satz 2 und Satz 3 BewG sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Viskorf in Viskorf u.a., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 9 BewG Rz. 5-6. Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 11 BewG Rz. 41. Vgl. Gerlach, BB 1996, 821 (822). Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 77; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 13; Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe, in Peemöller, S. 1415. Vgl. Gerlach, BB (1996), 821 (822). Vgl. Gehri/Munk, Immobilien: Steuern und Wertermittlung, S. 114. Vgl. Viskorf in Viskorf u.a., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 9 BewG Rz. 9; Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 81. Vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, § 10 BewG Rz. 9; Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe, in Peemöller, S. 1415 f.

968

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.22 § 29

Für die Bewertung eines einzelnen Wirtschaftsgutes bedeutet dies, dass dieses nicht losgelöst von der Betriebszugehörigkeit bewertet werden soll. Vielmehr ist der Wert als Teil der wirtschaftlichen Gesamteinheit „Betrieb“ zu ermitteln.1 Dies bedingt für die Wertermittlung ein zweistufiges Vorgehen. Im ersten Schritt hat eine Gesamtbewertung des Unternehmens zu erfolgen. Dieser ermittelte Gesamtwert ist anschließend in einem zweiten Schritt auf die einzelnen Wirtschaftsgüter aufzuteilen. Prägend für den Teilwert ist daher, dass in diesem nicht nur im gewöhnlichen Geschäftsverkehr geltende, sondern auch betriebsbezogene Marktpreise herangezogen werden.

29.18

Dieser Konzeption folgend ergibt sich die Besonderheit einer Berücksichtigung von Verbundeffekten. Zum einen sind Verbundeffekte im Rahmen der Gesamtbewertung zu erfassen. So hat der BFH in ständiger Rechtsprechung neben den Ertragsaussichten und dem Vermögenswert auch die funktionale Bedeutung einer Beteiligung für die haltende Gesellschaft hervorgehoben.2 Vermögenswert ist dabei der Wert des durch die Beteiligung repräsentierten Betriebsvermögens einschließlich stiller Reserven. Sowohl bei der Ermittlung des Vermögenswertes als auch bei den Ertragsaussichten erfolgt eine Betrachtung aus der Perspektive der haltenden Gesellschaft.3

29.19

Mögliche Synergieeffekte sind daher zwischen der zu bewertenden Beteiligungsgesellschaft und der Muttergesellschaft im Rahmen des Teilwertansatzes zu erfassen. Neben den Verbundeffekten zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft sind dieser Wertkonzeption folgend auch Verbundeffekte zwischen den einzelnen Wirtschaftsgütern zu erfassen, die sich in einem Gesamtwert niederschlagen.4 Bei einer anschließenden Verteilung eines so errechneten Gesamtwertes auf die einzelnen Wirtschaftsgüter werden daher Synergieeffekte auf die einzelnen Wirtschaftsgüter verteilt. Untergrenze für die Teilwertermittlung ist der Einzelveräußerungspreis5, Obergrenze sind die Wiederbeschaffungskosten.6

29.20

Aufgrund der Schwierigkeiten in der Praxis mit dieser zweistufigen Ermittlung hat der BFH neben diesen Teilwertgrenzen eine Reihe von Teilwertvermutungen festgelegt.7 Danach gelten sowohl im Anschaffungszeitpunkt als auch bei der späteren Folgenbewertung die Anschaffungskosten oder Herstellungskosten bzw. die fortgeführten Werte als Teilwert. Diese Teilwertvermutungen sind widerlegbar, wenn die Wiederbeschaffungskosten gesunken sind8 oder eine Fehlmaßnahme vorliegt.9

29.21

Eine Fehlmaßnahme liegt vor, wenn die wirtschaftlichen Erwartungen bei Gründung einer Gesellschaft nicht erfüllt und hierdurch die Geschäftsergebnisse nachhaltig beeinflusst wer-

29.22

1 Vgl. BFH v. 30.11.1988 – II R 237/83, BStBl. II 1989, 183 (185). 2 BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274 (275); BFH v. 31.10.1978 – VIII R 124/74, BStBl. II 1979, 108 (109). 3 Vgl. BFH v. 7.11.1990 – I R 116/86, BStBl. II 1991, 342 (344); BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274 (275). 4 Vgl. BFH v. 20.5.1965 – IV 49/65 U, BStBl. III 1965, 503 (504). 5 Vgl. BFH v. 5.11.1981 – IV R 103/79, BStBl. II 1982, 258 (260). 6 Vgl. BFH v. 13.12.1979 – IV R 30/77, BStBl. II 1980, 346 (348). 7 Vgl. z.B. BFH v. 9.3.2000 – X B 106/99, BFH/NV 2000, 1184 (1184-1185). 8 Vgl. BFH v. 20.5.1965 – IV 49/65 U, BStBl. III 1965, 503 (504-505). 9 Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274 (274-275); BFH v. 31.10.1978 – VIII R 124/74, BStBl. II 1979, 108.

Kohl 969

§ 29 Rz. 29.22

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

den.1 Eine Fehlmaßnahme kann vorliegen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsgutes von Anfang an eine Fehlmaßnahme war oder wenn nach dem Anschaffungs- oder Herstellungszeitpunkt neue Erkenntnisse und Umstände eingetreten sind, die eine solche Einstufung rechtfertigen.2

29.23 Abzugrenzen von einer Fehlmaßnahme sind Anlaufverluste. Diese entstehen bei einem neu gegründeten Unternehmen oder bei Aufnahme eines neuen Geschäftsfelds. Bei derartigen Anlässen entstehen häufig vorübergehende Anlaufverluste, die keine Teilwertabschreibung rechtfertigen. Es kann vielmehr vermutet werden, dass ein Kaufmann solche Verluste bei der ursprünglichen Kalkulation einbezieht und zudem solche Verluste durch künftige Gewinne wieder ausgeglichen werden.3

29.24 Ein häufiger Anwendungsfall für die Ermittlung von Teilwerten ist die Abschreibung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens auf den niedrigeren Teilwert i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bei voraussichtlich dauernder Wertminderung oder bei Einlagen entsprechend § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG. Für erbschaft- und schenkungssteuerliche Zwecke hat der Teilwert dagegen keine Relevanz.

29.25 Anders als bei dem gemeinen Wert hat der Gesetzgeber für die Bestimmung von Teilwerten keine vergleichbare Wertehierarchie etabliert. Eine besondere Bedeutung hat auch für den Teilwertansatz der Börsenkurs von börsennotierten Wirtschaftsgütern. Bei diesen liegt ebenfalls eine voraussichtlich dauerhafte Wertminderung vor, wenn der Börsenkurs zum Stichtag unter die Anschaffungskosten gefallen ist und keine Vermutung vorliegt, dass eine alsbaldige Wertaufholung eintreten könnte.4 3. Fremdvergleichspreis

29.26 Als Fremdvergleichspreis wird derjenige Preis definiert, den voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG). Zur Anwendung kommt der Fremdvergleichspreis bei der Überprüfung auf Angemessenheit von Leistungsbeziehungen zwischen nicht unabhängigen Vertragspartnern. Der Fremdvergleichspreis ist z.B. der Bewertungsmaßstab zur Begründung einer verdeckten Gewinnausschüttung5. Gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG kann eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen, wenn Unternehmensanteile gegenüber einem objektiven Fremdvergleichspreis zu geringeren Preisen verkauft worden wären und diese Abweichung durch das Gesellschaftsverhältnis begründet ist. Einen wesentlichen Anwendungsbereich im internationalen Steuerrecht stellen die Verrechnungspreise zwischen verbundenen, aber rechtlich selbstständigen Unternehmen dar.

1 Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274 (275); BFH v. 31.10.1978 – VIII R 124/74, BStBl. II 1979, 108. 2 Vgl. BFH v. 17.9.1987 – III R 201/84, III R 202/84, BStBl. II 1988, 488 (489). 3 Vgl. RFH v. 11.5.1939 – III 67/38, RStBl. 1939, 805 (806); BFH v. 20.5.1965 – IV 49/65 U, BStBl. III 1965, 503 (504-505); BFH v. 23.9.1969 IR 71/67, BStBl. II 1970, 87 (89). 4 Vgl. BFH v. 26.9.2007 – I R 58/06, BStBl. II 2009, 294 (296) = GmbHR 2008, 269; Schlotter, BB 2008, 546 (546-548). 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, DStR 2001, 2149 (2151).

970

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.30 § 29

Zur Ermittlung von Fremdvergleichspreisen ist folgende Stufenhierarchie zu beachten1: Stufe 1:

Tatsächlicher Fremdvergleich

– uneingeschränkt vergleichbare Werte

Stufe 2:

Tatsächlicher Fremdvergleich

– eingeschränkt vergleichbare Werte

Stufe 3:

Hypothetischer Fremdvergleich

– Ermittlung eines hypothetischen Fremdvergleichs

29.27

Liegen die Bedingungen für einen tatsächlichen Fremdvergleich nicht vor, ist für den dann notwendigen hypothetischen Fremdvergleich ein Rahmen notwendig, an dem sich die Preisfindung zu orientieren hat. Als Maßstab für den Fremdvergleichspreis ist dabei die verkehrsübliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gegenüber Dritten zugrunde zu legen2. Die Orientierung an dem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter dient dazu, die Preissetzung auf ihre ökonomische Rationalität hin zu untersuchen. Ein solcher Geschäftsleiter wird sich ausschließlich an den Zielen des von ihm geleiteten Unternehmens orientieren und im Regelfall eine Gewinnmaximierung verfolgen. Dabei wird die Fiktion des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters zugrunde gelegt, bei der sich auf Käufer- und Verkäuferseite zwei ordentliche Geschäftsleiter gegenüberstehen, die jeweils ihren individuellen Interessen verpflichtet sind. Ein Preis wird sich bei dieser Annahme zwischen den Grenzpreisen des leistenden und empfangenden Unternehmens entwickeln3. Im Rahmen einer ordnungsmäßigen und gewissenhaften Unternehmensführung bestehen dabei für den Geschäftsleiter entsprechende Ermessensspielräume. Grundsätzlich kann ein gemeiner Wert dem Fremdvergleichspreis entsprechen. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Behandlung persönlicher und ungewöhnlicher Verhältnisse. Diese sind bei dem gemeinen Wert nicht zu berücksichtigen. Eine vollständige Nichtberücksichtigung ist aber mit dem Fremdvergleichspreis nicht zu vereinbaren.

29.28

Relevant wird der Fremdvergleichspreis auch bei der Bewertung einzelner Funktionen im Sinne des Außensteuerrechts. Einzelheiten hat der Gesetzgeber in der Funktionsverlagerungsverordnung zusammengefasst (vgl. dazu ausführlich Rz. 29.248).

29.29

III. Bewertungsmethoden zur Bestimmung des gemeinen Wertes 1. Börsenkurs Wertpapiere, die zum Handel am regulierten Markt oder zum Freiverkehr zugelassen sind, sind zwingend4 mit dem niedrigsten am Stichtag für sie notierten Kurs anzusetzen. Der Gesetzgeber geht daher von einer unwiderlegbaren Vermutung aus, dass der sich durch Angebot und Nachfrage am Kapitalmarkt gebildete Preise dem gemeinen Wert des zu bewertenden Anteils entspricht. Auch spekulativ bedingte Änderungen des Börsenkurses5 oder ein abweichen-

1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462). 2 Vgl. BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626 (627). 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, DB 2001, 2474; BFH v. 27.2.2003 – I R 46/01, DStR 2003, 1567; BFH v. 15.9.2004 – I R 72/02, BStBl. II 2005, 867. 4 Vgl. Hübner, Ubg 2009, 1 (3); Piltz, Ubg 2009, 13 (14). 5 Vgl. BFH v. 1.10.2001 – II B 109/00, BFH/NV 2002, 319 (320) m.w.N.; kritisch hierzu Immes in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 11 BewG Rz. 14.

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29.30

§ 29 Rz. 29.30

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

der Ertragswert1, der in der Zivilrechtsprechung als Korrektiv anerkannt ist2, sind unbeachtlich. Auch die Anwendung anderer Bewertungsmethoden ist bei Vorliegen von Börsenkursen nicht zulässig3.

29.31 Die grundsätzliche Bedeutung des Börsenkurses für die Bewertung börsennotierter Wirtschaftsgüter ergibt sich auch aus einer Entscheidung des BFH zum Teilwert und zur Eignung von Börsenkursen, eine dauerhafte Wertminderung aufzuzeigen. So erkennt das Gericht an, dass Börsenkurse mit Sicherheit nicht in der Stichtagsausprägung verharren werden. Offen sei zum Stichtag aber die Höhe und Richtung weiterer Entwicklungen. In informationseffizienten Märkten seien in dem Stichtagskurs bereits alle maßgeblichen Informationen eingeflossen.4

29.32 Diese Rechtsprechung bringt zum Ausdruck, dass der Börsenkurs als Grundlage für den gemeinen Wert prädestiniert ist. Gemäß seiner Definition soll dieser den Preis eines Erwerbers zum Stichtag reflektieren. Zum Börsenkurs hätte ein Erwerber Anteile an dem Unternehmen erwerben können.

29.33 Ausnahmen lässt die Rechtsprechung nur dann zu, wenn diese Annahme widerlegt ist. So sind Abweichungen vom Kurswert durch die Rechtsprechung lediglich dann zugelassen, wenn der amtlich festgestellte Kurs „nicht der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse entspricht“. Dies wäre der Fall, wenn „eine Streichung des festgestellten Kurses hätte erreicht werden können“5. Dies ist jedoch nur äußerst selten, etwa bei Kursmanipulationen, der Fall. Ansonsten wird von einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Typisierung des Börsenkurses für den gemeinen Wert ausgegangen.6

29.34 Eine Besonderheit besteht bei erbschaftsteuerlichen Anlässen dann, wenn der Erbfall erst einige Zeit später bekannt wird. In diesen Fällen kann es dazu kommen, dass der Börsenkurs zum Bewertungsstichtag die Verhältnisse vor dem Erbanfall reflektiert und in Einzelfällen keinen Indikator für die zukünftige Entwicklung darstellt. Auch in diesen Fällen wird ein Festhalten am Börsenkurs befürwortet.7

29.35 Besonderheiten bestehen bei unterschiedlichen Aktiengattungen. Sofern jede Aktiengattung börsennotiert ist, sind die entsprechenden Kurse nach § 11 Abs. 1 BewG maßgeblich. Handelt es sich jedoch um Aktiengattungen, die nicht börsennotiert sind, können diese grundsätzlich ebenfalls mit dem Börsenkurs der notierten Aktien bewertet werden8. Dabei handelt es sich jedoch um einen Fall des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG, nämlich eine Ableitung aus Verkäufen unter

1 Vgl. Piltz, DStR, 2008, 745 (747). 2 Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind sowohl der Börsenkurs auch der der Ertragswert parallel zu ermitteln, wobei der Börsenkurs den Mindestwert darstellt. 3 Vgl. Viskorf, ZEV 2009, 591 (593). 4 Vgl. BFH v. 26.9.2007 – I R 58/06, BStBl. 2009, 294 (295-296) = GmbHR 2008, 269. 5 Vgl. BFH v. 23.2.1977 – II R 63/70, BStBl. II 1977, 427 (427); BFH v. 1.10.2001 – II B 109/00, BHF/ NV 2002, 319 (320) m.w.N. 6 Vgl. BFH v. 1.10.2001 – II B 109/00, BFH/NV 2002, 319 (320); vgl. auch Möllmann, BB 2010, 407 (409), der verfassungsrechtliche Gründe anführt, die gegen ein striktes Festhalten am Börsenkurs sprechen. 7 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 38 f. 8 Vgl. BFH v. 25.8.1972 – III R 33/71, BStBl. II 1973, 46 (48-49); BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BStBl. II 1994, 394 (396-397); vgl. Abschn. 2 Abs. 4 Bewertungserlass 2011.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.40 § 29

fremden Dritten innerhalb eines Jahres vor dem Stichtag1. So schreibt auch die Finanzverwaltung in den Erbschaftsteuerrichtlinien vor, dass in diesen Fällen eine Wertermittlung durch „Ableitung“ aus notierten Anteilen zu erfolgen hat.2 Offen bleibt, wie eine Ableitung zu erfolgen hat. Bestätigt durch die Rechtsprechung ist der Grundsatz, dass es sich bei der Ableitung aus Börsennotierungen um die dieselbe Gesellschaft handeln muss.3 Unzulässig ist dagegen die Anwendung allgemeiner Abschläge zwischen unterschiedlichen Aktiengattungen, die aus einer Vielzahl von Gesellschaften hergeleitet werden. Dabei wird den konkreten Verhältnissen der Gesellschaft nicht entsprochen.4 Weiterhin ist nur bei unterschiedlichen Ausstattungsmerkmalen ein Zu- oder Abschlag zulässig. Ansonsten soll vom gleichen Preis für unterschiedliche Aktiengattungen ausgegangen werden.

29.36

2. Verkäufe innerhalb eines Jahres Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BewG ist der gemeine Wert primär aus Verkäufen unter fremden 29.37 Dritten abzuleiten, die – stichtagsbezogen – weniger als ein Jahr zurückliegen.5 Gemäß der Gesetzesbegründung zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 29.38 1.1.2009 gilt es nach Auffassung des Steuergesetzgebers als eine unwiderlegbare Vermutung, dass zeitnahe Verkäufe in der Vergangenheit den zutreffenden Marktwert zum Bewertungsstichtag richtig widerspiegeln.6 Mit der Maßgeblichkeit von Verkäufen unter fremden Dritten geht die Aussage einher, dass Verkäufe zwischen nahen Personen unerheblich sind. Kritisch gesehen werden Verkäufe innerhalb des Gesellschafterkreises. Bei einer breiten Gesellschafterstruktur wird im Regelfall eine Transaktion unter fremden Dritten vermutet. Lediglich bei Besonderheiten in einer breiten Gesellschafterstruktur soll der zwischen Gesellschaftern vereinbarte Kaufpreis als Maßstab ausgeschlossen sein.7 Treten keine besonderen Umstände hinzu, handelt es sich bei diesen Transaktionen um solche im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.

29.39

Als ungewöhnliche Verhältnisse gelten z.B. Veräußerungen, die nur mit Zustimmung des Verwaltungsrates an einen begrenzten Personenkreis veräußert werden können und diese nur zum Nennwert veräußert werden.8 Gleiches gilt für vinkulierte Namensaktien einer Zuckerfabrik, die von anbauenden Landwirten gegründet wurde und zum Nennwert gehandelt werden.9

29.40

1 Vgl. BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BStBl. II 1994, 394 (396); Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 11 BewG Rz. 40. 2 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.1. Abs. 4 BewG; Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 178; Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 41, 178. 3 Vgl. BFH v. 12.12.1975 – III R 30/74, BStBl. II 1976, 238 (240). 4 Vgl. BFH v. 21.4.1999 – II R 87/97, BStBl. II 1999, 810 (812). 5 Vgl. Mannek in Gürsching/Stenger, § 11 Rz. 166; Eisele in Rössler/Troll, § 11 BewG Rz. 25; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 11 BewG Rz. 23. 6 Vgl. Mannek in Gürsching/Stenger, § 11 Rz. 165. 7 Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 11 BewG Rz. 35. Ferner Horn in Fischer/Pahlke/Wachter, § 12 Tz. 278. 8 Vgl. BFH v. 15.7.1998 – II R 23/97, BFH/NV 1998, 1463. 9 Vgl. BFH v. 14.10.1966 – III 281/63, BStBl. III 1967, 82.

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§ 29 Rz. 29.41

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.41 Als Besonderheiten werden in der Literatur auch Kaufpreise bei Verfügungsbeschränkungen genannt. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die Ableitung des gemeinen Wertes aus solchen Kaufpreisen überhaupt möglich ist. Hierzu müssten die Effekte aus den Verfügungsbeschränkungen aufgrund der Vorschrift des § 9 Abs. 3 BewG unberücksichtigt bleiben. Dieser Auffassung kommt insofern eine gewisse Bedeutung zu, wenn diese Kaufpreise unterhalb des Substanzwertes liegen. Da bei der Ableitung aus Verkaufspreisen die Mindestwertregelung in Form des Substanzwertes nicht greift, könnte hier der gesetzlich vorgegebene Mindestwert vermieden werden.1 Dem ist entgegen zu halten, dass der Gesetzgeber beobachtbare Preise nicht zwingend übernehmen will, sondern aus diesen den gemeinen Wert ableiten möchte. Dies wäre auch bei Kaufpreisen für Anteile mit Verfügungsbeschränkungen möglich. Zu überprüfen wäre in diesen Fällen aber, inwieweit die Kaufpreise sich im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ergeben haben.

29.42 Trotz der Formulierung „Verkäufe“ ist anerkannt, dass der Verkauf eines Anteils ausreicht, um den gemeinen Wert zu bestimmen. Voraussetzung ist, dass es sich nicht um einen Zwerganteil handelt oder ein Zwerganteil bewertet werden soll.2

29.43 Mit der Verwendung des Begriffes „Ableiten“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass ein tatsächlicher Veräußerungspreis als Referenzgröße des gemeinen Wertes zu korrigieren ist, wenn Umstände bekannt sind, die eine Wertanpassung (Ableitung) erfordern.3 Mögliche Umstände des Einzelfalles wären bei der Ableitung des gemeinen Wertes zu berücksichtigen. Dies kann der Fall sein, wenn zwischen Minderheits- und Mehrheitsbeteiligungen zu differenzieren ist.4 Diese Möglichkeit besteht auch für die Ableitung von nicht notierten Anteilen an börsennotierten Gesellschaften. Dies kann z.B. Bedeutung bei unterschiedlichen Aktiengattungen haben.5

29.44 Besondere Umstände bestehen z.B. darin, dass zwar innerhalb des letzten Jahres vor dem Bewertungsstichtag Veräußerungen stattgefunden haben. Nach diesen Veräußerungen, aber noch vor dem Bewertungsstichtag lagen bereits unabhängige Schätzungen vor, die deutlich abweichende Wertansätze unterstellt haben.6

29.45 Weiterhin ist zu beachten, dass ein gemeiner Wert regelmäßig nicht aus Verkäufen abgeleitet werden kann, die nach dem Stichtag getätigt worden sind.7 Dies schließt aber nicht aus, dass nach dem Stichtag bekannt gewordene Umstände, die aber bereits zum Stichtag objektiv vorhanden waren und sich nachträglich auf den Kaufpreis ausgewirkt haben, berücksichtigt werden.8 So hat der BFH eine Ausnahme in dem Fall zugelassen, in dem der Verkauf kurz nach

1 Vgl. Mannek in von Oertzen/Loose, § 11 BewG Tz. 43-44, der die Sorge der Finanzverwaltung zum Ausdruck bringt, dass durch entsprechende Kaufpreisvorgaben der Gesellschaft der Mindestwert unterlaufen wird. 2 Vgl. BFH v. 5.3.1986 – II R 232/82, BStBl. II 1986, 591 (593) = GmbHR 1986, 407. 3 Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 11 BewG Rz. 37. Ferner Mannek in von Oertzen/Loose, § 11 BewG Tz. 34. 4 Vgl. § 11 Abs. 3 BewG; BFH v. 29.7.2010 – VI R 30/07, BStBl. II 2011, 68 (71) = AG 2010, 914. 5 Vgl. Abschn. 2 Abs. 4 Bewertungserlass 2011; vgl. hierzu auch BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BStBl. II 1994, 394 (396); BFH v. 21.4.1999 – II R 87/97, BStBl. II 1999, 810 (811-812). 6 Vgl. BFH v. 29.7.2010 – VI R 30/07, AG 2010, 914. 7 Vgl. Abschn. 3 Abs. 1 Satz 2 Bewertungserlass 2011. 8 Vgl. BFH v. 22.1.2009 – II R 43/07, BFH/NV 2009, 996 (996-997) = GmbHR 2009, 670.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.49 § 29

dem Stichtag, die Einigung aber vor dem Stichtag erfolgte und der Wert der Anteile durch die Kaufpreisvereinbarung dokumentiert ist.1 Obwohl die gesetzliche Vorschrift dies nicht unmittelbar aufnimmt, ist anerkannt, dass nur Verkäufe heranzuziehen sind, die im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs erzielt wurden. Der BFH hat mehrfach bestätigt, dass dieser Aspekt der Generalnorm des § 9 BewG durchschlägt.2 Abschn. 3 Abs. 1 Satz 6 Bewertungserlass 20113 stellt darüber hinaus klar, dass nur Kurse und Verkaufserlöse für die Ableitung von gemeinen Werten zu berücksichtigen sind, die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt wurden. Insofern sind Verkäufe aus Notsituationen wie Zwangsvollstreckungen oder aus der Konkursmasse nicht heranzuziehen.4

29.46

Mit den Worten „Erlöse“ und „erzielt worden“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass aufgerufene Kaufpreise oder mögliche bzw. in Aussicht gestellte Kaufpreisgebote (bspw. durch Intentions-Briefe, sog. „Letter of Intent“) aufgrund einer fehlenden hinreichenden Konkretisierung nicht für die Ableitung eines gemeinen Wertes anhand von getätigter Verkäufe herangezogen werden können. Derartige Angebote stellen keine durchgeführte Veräußerung dar. Die daraus resultierenden Erkenntnisse können aber im Rahmen einer Schätzung mit Vergleichswertmethoden zur Bestimmung des gemeinen Wertes herangezogen werden. Dann handelt es sich aber nicht mehr um eine Ableitung aus Verkäufen, sondern aus anderen anerkannten Methoden.5

29.47

Liegen mehrere Verkäufe innerhalb eines Jahres vor, besteht die Vermutung, dass der Durchschnittswert der Verkäufe dem gemeinen Wert entspricht. Bei Verwerfungen innerhalb der einzelnen Verkaufspreise sollen nur die zeitnahen Verkäufe herangezogen werden.6

29.48

Neben den Modifikationen für einzelne Preise innerhalb eines Jahres erfolgt auch eine Ableitung nicht notierter Aktiengattungen anhand der Börsennotierung anderer Aktiengattungen desselben Unternehmens. Dabei soll grundsätzlich von demselben Preis für die einzelnen Aktiengattungen ausgegangen werden. Lediglich bei individuellen Ausstattungsmerkmalen sind Zu- oder Abschläge zulässig. Darüber hinaus liegt die Besonderheit vor, wenn der gemeine Wert eines Minderheitenanteils aus dem gezahlten Preis für einen Mehrheitsanteil abgeleitet wird. Hier werden spiegelbildlich zum Paketpreis Abschläge bis zu 20 % als zulässig angesehen.7 Vergleichbar mit den Paketzuschlägen i.S.d. § 11 Abs. 3 BewG wird dabei eine typisierende Betrachtung möglicher Synergien vorgenommen. Es wird dabei unterstellt, dass tatsächliche Transaktionspreise regelmäßig vergütet werden, die jedoch in Abhängigkeit der Anteilsquote variieren. Abzugrenzen davon ist ein allgemeiner Preisabschlag für errechnete Ertragswerte, der nach herrschender Meinung nicht sachgerecht ist.

29.49

1 Vgl. BFH v. 11.11.1998 – II R 59/96, BFH/NV 1999, 908 (909) = GmbHR 1999, 559; BFH v. 22.6.2010 – II R 40/08, BStBl. II 2010, 843 = GmbHR 2010, 1109 m. Anm. Milatz/Herbst. 2 Vgl. BFH v. 22.8.2002 – I B 170/01, BFH/NV 2003, 11 (11). 3 „Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts“ v. 17.5.2011, BStBl. I 2011, 606 (zitiert Bewertungserlass 2011). Diese Erlasse ersetzen die „Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts“ v. 25.6.2009, BStBl. 2009, 698 (zitiert Bewertungserlass 2009). 4 Vgl. BFH v. 25.6.1965 – III R 384/60, HFR 1966, 1 (1 ff.). 5 Vgl. BFH v. 10.7.1991 – VIII R 126/86, BStBl. II, 840 (842); Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 40. 6 Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 11 BewG Rz. 38. 7 Vgl. BFH II v. 23.2.1979 – R 44/77, BStBl. II 1979, 618 (620).

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§ 29 Rz. 29.50

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.50 Obwohl sich § 11 Abs. 2 BewG auf die Wertfindung nicht börsennotierter Anteile bezieht, können auch Verkäufe an der Börse hierunter subsumiert werden. Neben der Ableitung von gemeinen Werten unterschiedlicher Aktiengattungen fallen auch Anteile unter diese Vorschrift, die im Telefonverkehr oder an einer ausländischen Börse gehandelt werden. Gleiches gilt für Fälle, die unter § 11 Abs. 1 und 3 BewG fallen, bei denen aber keine Kursfeststellung innerhalb der 30-Tages Frist des § 11 Abs. 1 Satz 2 BewG erfolgte.1 3. Bewertung anhand der Ertragsaussichten

29.51 Sollte eine Ableitung aus Verkäufen unter fremden Dritten nicht möglich sein, ist ferner zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode der gemeine Wert sachgerecht ermittelbar ist2. Insbesondere kann der Steuerpflichtige den gemeinen Wert durch Vorlage eines methodisch nicht zu beanstandenden Gutachtens erklären, das auf den für die Verwendung in einem solchen Verfahren üblichen Daten der betreffenden Kapitalgesellschaft aufbaut.3

29.52 Hierbei ist aufgrund der Konzeption des gemeinen Wertes die Erwerbersicht maßgeblich. Das heißt, dass innerhalb der ertragswertorientierten Methode diejenige Methode anzuwenden ist, die ein potentieller Erwerber bei der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Dabei soll auf die Sicht eines gedachten Käufers abgestellt werden, da dieser im Unterschied zum Verkäufer bemüht sein wird, den Preis möglichst niedrig zu halten. Diese Vorgehensweise soll helfen, Schätzungsunschärfen, die zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen würden, zu vermeiden.4

29.53 Eine Bewertung unter der Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft stellt eine betriebswirtschaftliche Unternehmensbewertung dar. Nach diesen Bewertungsregeln und Grundsätzen bestimmt sich der Wert eines Unternehmens nach dem Nutzen, den es u.a. aufgrund seiner zum Bewertungszeitpunkt vorhandenen materiellen Substanz, seiner Innovationskraft, seiner Produkte und seiner Stellung am Markt, seiner inneren Organisation sowie seines Managements in Zukunft erwirtschaften kann (sog. Zukunftserfolgswert).5 Das Ertragswertverfahren ermittelt den Unternehmenswert durch Diskontierung der den Unternehmenseignern zufließenden finanziellen Überschüsse, wobei diese üblicherweise aus den für die Zukunft geplanten finanziellen Überschüssen abgeleitet werden.

29.54 Zur Ermittlung dieses Barwertes wird ein Kapitalisierungszinssatz verwendet, der die Rendite aus einer zur Investition in das zu bewertende Unternehmen adäquaten Alternativanlage repräsentiert. Demnach wird der Wert des Unternehmens allein aus seiner Ertragskraft, d.h. seiner Eigenschaft, finanzielle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften, abge-

1 2 3 4

Vgl. Horn in Fischer/Pahlke/Wachter, § 12 Tz. 274. Vgl. Mannek in Gürsching/Stenger, § 11 Rz. 546, dort bezeichnet als „Stufe 3“. Vgl. Abschn. 3 Abs. 2 Satz 2 Bewertungserlass 2011. Konkret heißt es in der Gesetzesbegründung: „Um Schätzungsunschärfen, die zulasten des Steuerpflichtigen gehen würden, zu vermeiden, soll auf die Sicht eines gedachten Käufers abgestellt werden, da dieser im Unterschied zum Verkäufer bemüht sein wird, den Preis möglichst niedrig zu halten.“ (BT-Drucks. 16/7918, 38) Vgl. auch Piltz, DStR 2008, 745 (752), der die Gesetzesbegründung insofern hinterfragt, weil üblicherweise aus Erwerbersicht in der Praxis auch Synergien vergütet werden und sich dadurch höhere Werte rechtfertigen lassen. 5 Vgl. IDW S 1, Rz. 5.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.59 § 29

leitet.1 Die Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse (sog. Planungsrechnung) ist demnach das zentrale Element der Unternehmensbewertung. Fraglich ist, welche Planungsrechnungen im Speziellen eine Grundlage für die Berechnung eines gemeinen Wertes darstellen können. Dabei lassen sich aus den in §§ 9, 11 BewG aufgezählten Möglichkeiten sowie dem Bewertungsziel des gemeinen Wertes Anforderungen an die maßgebliche Planungsrechnung ableiten.

29.55

Der in der Grundregel des § 9 BewG definierte gemeine Wert ist ein Marktpreis, d.h. der am freien Markt zum Stichtag erzielbare Veräußerungspreis.2 Es kommt daher nicht auf irgendwelche „inneren Werte“, „wahren Werte“ oder „Fundamentalwerte“ an, sondern auf den Kaufpreis, der von einem potentiellen Erwerber bei einer Veräußerung bezahlt würde.3 Insofern dürfen auch nur die Planungsrechnungen berücksichtigt werden, die von einem Dritten in einem Kaufpreis vergütet würden.

29.56

Eine Typisierung einzelner Annahmen durch eine Orientierung an dem Verkehrswert liefert 29.57 allerdings häufig keine eindeutigen Ergebnisse. Die alleinige Ausrichtung am Verkehrswert würde vielmehr weitreichende Spielräume eröffnen, die dem Ziel einer objektivierten und gleichmäßigen Besteuerungsgrundlage zuwiderlaufen. Bei Bewertungsmethoden jenseits beobachtbarer Preise bedarf es daher weitergehender Objektivierungen und Konkretisierungen. Der Definition eines gedachten Erwerbers kommt daher eine zentrale Bedeutung zu, um eine Verkehrswertableitung zu objektivieren. Mit der Definition eines gedachten Erwerbers werden eine Reihe von zentralen Bewertungsprämissen in Form des maßgeblichen Unternehmenskonzepts, der Berücksichtigung von Verbundeffekten, der zugrundeliegenden Alternativanlage als auch der Behandlung von Minderheiten und Fungibilitätszuschlägenfestgelegt.4 Ein solches Investorenkonzept stellen die im Standard IDW S 1: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen in der Fassung 2008 hinterlegten Grundsätze dar.5 In diesen sind die nach herrschender Meinung in der Betriebswirtschaftslehre, im Berufsstand der Wirtschaftsprüfer und in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Bewertungsregeln eingegangen.

29.58

Die Grundsätze des IDW S 1 unterscheiden dabei zwischen einem objektivierten und einem 29.59 subjektiven Unternehmenswert. Kennzeichnend für den objektivierten Unternehmenswert sind zum einen einige typisierende Annahmen (z.B. zum Geschäftskonzept, dem Umfang zu berücksichtigender Synergieeffekte oder den maßgeblichen Managementfaktoren). Darüber hinaus wird ein typisierter Anteilseigner unterstellt, aus dessen Perspektive eine Bewertung zu erfolgen hat.6 Erfolgt die Ermittlung des gemeinen Wertes anhand dieser Grundsätze wird damit implizit auch unterstellt, dass ein potentieller Erwerber durch diese Annahmen typisierend dargestellt werden kann. Sofern keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen ein abweichendes Vorgehen regeln, entspricht dann der typisierte Anteilseigner im Sinne der IDW S 1-Grundsätze dem zu unterstellenden Investor im Sinne des Gesetzes. 1 2 3 4

Vgl. IDW S 1, Rz. 4. Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 11. Vgl. Ruthardt/Hachmeister, DStR 1048 (1050). In der Literatur werden dazu unterschiedliche Rahmenkonzepte diskutiert, ohne dass eine Einigung auf bestimmte Typisierungserfordernisse erfolgt ist. Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (416) m.w.N. 5 Vgl. Kohl/König, WPg 2018, 1525 ff. 6 Vgl. Castedello in Bewertung und Transaktionsberatung, Kapitel A, Rz. 57.

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§ 29 Rz. 29.59a

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.59a Laut höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der IDW S 1 als objektivierter Wertmaßstab anerkannt.1 Der objektivierte Wert ist aus rechtlicher Sicht somit eine typisierende Schätzung, die zu einer bestmöglichen Annäherung an einen idealisierten Verkehrswert führt.2 Die Bedeutung des IDW S 1 in der steuerlichen Bewertung wird auch durch die Regelungen zum Fremdvergleichswert verstärkt. Als Fremdvergleichswert wird derjenige Preis definiert, den voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG). Der vom BFH3 als Fremdvergleich entwickelte Maßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters hat seinen Ursprung im Gesellschaftsrecht in § 93 Abs. 1 AktG (i.d.F. 1965) i.V. mit § 43 Abs. 1 GmbHG.4 Dieser Sorgfaltsmaßstab für Organpflichten verlangt, dass Funktionsträger annehmen müssen, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG: sog. „Business Judgment rule“). Für diese Zwecke ist anerkannt, dass eine Unternehmensbewertung nach IDW S 1 als Nachweis dieser Anforderung genügt.5 Auch die Finanzverwaltung erkennt dementsprechend die Bewertung nach IDW S 1 an.6

29.60 Daneben hat der Gesetzgeber mit dem sog. vereinfachten Ertragswertverfahren in den §§ 199 bis 203 BewG ein typisiertes Verfahren etabliert, welches ebenfalls zu den kapitalwertorientierten Verfahren zählt. 4. Andere branchenübliche Verfahren a) Preisfindung durch Multiplikatoren

29.61 Die Bedeutung des Marktpreises vor einer analytischen Schätzung ist auch in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG insoweit verankert, als dort gleichrangig neben der Ertragswertmethode jede „andere anerkannte auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke übliche Methode für Bewertungszwecke“ zugelassen wird. Diese anderen anerkannten Methoden beruhen häufig auf Marktusancen, also auf zwischen Kaufleuten üblichen Handelsbräuchen zum Erwerb von Unternehmensbeteiligungen. Als Beispiele hierfür werden angeführt: Umsatzmethode, Gewinnmultiplikatoren, Produktmultiplikatoren (z.B. Zeitungsauflage, Bettenanzahl, Versicherungsabschlüsse) oder Preisvergleiche mit ähnlichen Unternehmen.7 Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie sich im Gegensatz zu einer analytischen Schätzung aufgrund 1 Vgl. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, NJW 2011, 2572 ff. 2 Weitere Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der IDW S Grundsätze finden sich in Rz. 3.22. 3 Im BFH-Urteil vom 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, S. 626 ff., wurde dieser Grundsatz erstmalig für steuerliche Zwecke hinsichtlich der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung angewendet. 4 Vgl. Schwedhelm in Streck, § 8 KStG Rz. 161; Wassermeyer in Flick u.a., § 1 AStG Rz. 104; Schulte in Erle/Sauter, § 8 KStG Rz. 180; Borstell in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, Kap. C Rz. 77. 5 So wird z.B. im Wertpapierübernahmerecht eine Bewertung gemäß IDW S 1 zur Erfüllung von Organpflichten nicht für notwendig erachtet, weil diese in der verfügbaren Zeit häufig nicht durchführbar wäre (Vgl. Winner, Rz. 23.36 m.w.N.) Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei Vorliegen einer Bewertung gemäß IDW S 1 diese als erfüllt anzusehen sind (so auch IDW Standard: Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW S 8) (Stand: 17.1.2011), Rz. 6). 6 Vgl. FinMin Bayern, Schreiben betr. Umsetzung der Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts/Bewertung des Unternehmensvermögens vom 30.12.2009 – FM Bayern 34 – S 3715 – 009 – 36659/09. 7 Eine Übersicht findet sich in dem Schreiben des Bayerischen Staatsministerium für Finanzen v. 4.1.2013 (FM Bayern 34/31/33 – S 3102 - 0006 – 333/13, BeckVerw 267920).

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.64 § 29

von internen Unternehmensdaten und Plänen an einem tatsächlichen Marktverhalten orientieren. Das Gesetz will den gemeinen Wert in seiner Ausformung als Marktpreis gegenüber nur geschätzten Fundamentalwerten durchsetzen. Ein bestimmtes Bewertungsverfahren wird dabei vom Gesetzgeber nicht vorgegeben, sondern den Umständen des Einzelfalls überlassen. Der Steuerpflichtige kann daher den gemeinen Wert durch ein methodisch nicht zu beanstandendes Gutachten nachweisen, welches auf den üblichen Daten der betroffenen Gesellschaft aufbaut.1 Nach der Gesetzesbegründung trägt dabei derjenige die Feststellungslast, der eine andere als eine ertragswertbezogene Methode anwenden möchte.2 Ausgangspunkt für die Unternehmensbewertung nach der Multiplikatoren-Methode ist eine Referenzgröße des zu bewertenden Unternehmens. Als Referenzgrößen dienen häufig Ergebnisgrößen (Gewinn, EBIT, EBITDA) oder in Ausnahmefällen auch der Umsatz. Diese Referenzgrößen werden dann zur Ermittlung des Unternehmenswertes mit einem auf Basis gezahlter Preise für Vergleichsunternehmen beruhenden branchentypischen Multiplikator versehen. Dieser Multiplikator ist insbesondere Ausdruck der aktuellen Kapitalkosten, der Risikoneigung potentieller Erwerber sowie des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Unternehmensanteile und Unternehmenstransaktionen. Der Unternehmensgesamtwert ergibt sich dann als einfache Multiplikation der Referenzgröße mit dem Multiplikator-Wert.3 Ein vermeintlicher Vorteil dieses Bewertungsverfahrens liegt in seiner Einfachheit, wodurch die Unternehmensbewertung auch nachvollziehbar wird (vgl. ausführlich Rz. 11.7 ff.).

29.62

Die Schwierigkeiten und Nachteile des Verfahrens liegen in der Analyse der Referenzgröße und der Überprüfung der Vergleichbarkeit mit dem zu bewertenden Unternehmen. Zur Anwendung eines Multiplikators wären in der Theorie solche Unternehmen heranzuziehen, die vergleichbare Zahlungsströme bezüglich Struktur, Höhe und Unsicherheit erwarten können. In der Praxis ist vorherrschendes Auswahlkriterium jedoch die Branchenzugehörigkeit oder andere äußere Indikatoren. Solche Kriterien beruhen auf der Annahme, dass die Unternehmen in einer Branche vergleichbaren Einflüssen ausgesetzt sind und ähnliche Cashflows, Wachstumsaussichten und Risikoprofile besitzen. Das Kriterium der Branchenzugehörigkeit ist jedoch aufgrund der in einzelnen Branchen starken Streuung der Multiplikatoren fraglich. Auch Rückschlüsse von äußeren Indikatoren wie Größe, Regulierungsauflagen, Eigentumsverhältnisse auf die Unsicherheit, Struktur und Höhe zukünftiger Zahlungsströme sind nicht undifferenziert möglich.4

29.63

Weil der Multiplikator aus einem in der Vergangenheit für ein Unternehmen gezahlten Kaufpreis ermittelt wird, kann dieser regelmäßig nur in zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag verwendet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die Ertragserwartungen, die sich im gezahlten Preis und damit im Multiplikator niedergeschlagen haben, zwischenzeitliche ge-

29.64

1 Vgl. Ramb in Preißer/Rödl/Seltenreich, § 12 Tz. 106. 2 Dafür spricht der Wortlaut der Regelung, dass die „anderen Methoden anerkannt und im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblich sei. Diese Voraussetzungen seien vom Steuerpflichtigen nachzuweisen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Finanzverwaltung von Amts wegen prüfen muss, ob ein bestimmtes Verfahren branchenüblich sei. Erst wenn dieses ausgeschlossen ist, kann z.B. auf das vereinfachte Verfahren zurückgegriffen werden. Vgl. Viskorf in Viskorf u.a., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 11 BewG Rz. 67 und 68. 3 Vgl. Castedello in Bewertung und Transaktionsberatung, Kapitel A, Rz. 201 und Franken/Schulte, Kapitel G, Rz. 5 f. 4 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 216 f. Ferner Franken/Schulte in Bewertung und Transaktionsberatung, Kapitel G, Rz. 61 ff.

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§ 29 Rz. 29.64

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

ändert haben. Eine Vergleichbarkeit innerhalb der Branche erfordert zumindest vergleichbare Unternehmen (Umsatz, Arbeitnehmer, Marktposition). Darüber hinaus lassen sich belastbare Multiplikatoren nicht zielgerecht für junge, dynamisch wachsende Hochtechnologie Unternehmen ableiten, sondern erfordern vielmehr etablierte Unternehmen mit entsprechenden historischen Ergebnissen.1 b) Kostenorientiertes Verfahren

29.65 Neben einer ertragswertorientierten Unternehmensbewertung und einer vereinfachten Preisfindung durch Multiplikatoren, könnten auch die aufgewandten Kosten durch Anwendung eines kostenorientierten Verfahren herangezogen werden. Insofern wäre zu überlegen, ob solche Methoden als „andere erkannte Methode“ zur Ermittlung eines gemeinen Wertes angesehen werden können. Mit dem Substanzwertverfahren hat der Gesetzgeber so eine Methode als Mindestwert vorgegeben.

29.66 Diese Bewertungsverfahren umfassen die Reproduktionskostenmethode und die Wiederbeschaffungskostenmethode. Eine wesentliche konzeptionelle Schwäche der Überlegung, einen Wertansatz für einen Unternehmenswert aus den verursachten Kosten abzuleiten, liegt darin, dass der zukünftige Nutzen der Unternehmensbeteiligung allenfalls mittelbar im Bewertungskalkül berücksichtigt wird. Kostenorientierte Methoden werden daher in der Regel nur für Plausibilitätsüberlegungen (z.B. anhand von Anschaffungskosten) eingesetzt oder wenn andere Verfahren nicht oder nicht hinreichend sicher anwendbar sind. Aufgrund dieser konzeptionellen Schwäche erscheint es nicht sachgerecht, diese Methoden als „anerkannte Methoden“ anzusehen.

29.67 Vor dem Hintergrund der Bewertungskonzeption „gemeiner Wert“ erlangen die kostenorientierten Verfahren jedoch insoweit Bedeutung, als sie das tatsächliche Marktverhalten widerspiegeln können. Die zum Bewertungsstichtag aufgewendeten Mittel eines Erwerbers stellen den Betrag dar, den er im Rahmen des Erwerbs zu zahlen bereit ist. Derartige Mittel haben in den bisherigen Regelungen ihren Niederschlag in Börsenkursen und Veräußerungspreise gefunden. Es sind jedoch darüber hinaus Fälle möglich, in denen solche Mittel auf andere Weise aufgebracht werden. Dies kann z.B. der Fall sein bei Investitionen innerhalb einer neu gegründeten Gesellschaft. Gleiches gilt, wenn der Erwerber nicht nur Mittel für den reinen Kaufpreis, sondern darüber hinaus weitere Mittel aufwendet, um in den Besitz von Unternehmensanteilen zu gelangen. Diese Mittel stellen dann Anschaffungskosten dar. Aufgrund der Ausgeglichenheitsvermutung von Anschaffungskosten können derartige Kosten zum Zeitpunkt des Erwerbs den Marktpreis widerspiegeln.

IV. Stichtagsregelungen 29.68 Im Rahmen der Unternehmensbewertung ist es notwendig einen Stichtag zu bestimmen, auf den der Unternehmenswert ermittelt wird.2 Der Bewertungsstichtag ergibt sich regelmäßig aus dem Bewertungsanlass und die diesen prägenden rechtlichen Vorschriften. Der Bewertungsstichtag kann sowohl unterschiedliche Funktionen als auch Ausprägungen haben. Im Rahmen der Unternehmensbewertung sind der rechtliche, der rechnerische und der technische Bewertungsstichtag zu unterscheiden (vgl. auch Rz. 14.1 ff.). 1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 216. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 1.10.2003 – 4 W 34/93, Der Konzern 2004, 128 (131) = AG 2004, 43.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.72 § 29

Bei dem rechtlichen Bewertungsstichtag geht es um die Frage, welche Umstände und Verhältnisse bei der Ermittlung des Unternehmenswertes zu berücksichtigen sind. Zu berücksichtigen sind zwingend sämtliche Verhältnisse und Umstände, die bis Bewertungsstichtag bekannt werden.1 Unternehmenswerte haben daher sämtliche zum Stichtag bekannten oder in der Wurzel angelegten wertrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Andererseits sind erst nach dem Stichtag eintretende Umstände und wertrelevante Verhältnisse bei der Wertfindung nicht zu berücksichtigen.2 Erfolgt eine Bewertung anhand der Ertragsaussichten und sind daher zukünftige Ergebnisse und Zahlungsströme zu erfassen, können diese aufgrund späterer Ereignisse von den späteren Ist-Ergebnissen abweichen.3 Insbesondere bei steuerlichen Bewertungen, die häufig erst einige Zeit später im Rahmen von Betriebsprüfungen überprüft werden, ergeben sich dann regelmäßig Fragen, ob und inwieweit spätere Ist-Ergebnisse als Kontrollmaßstab herangezogen werden dürfen.

29.69

Besondere Bedeutung hat dabei die gesellschaftsrechtlich entwickelte sog. Wurzeltheorie (s. auch Rz. 14.41 ff.). Danach dürfen Entwicklungen und Umstände, die erst nach diesem Stichtag eintreten, im Rahmen der Unternehmensbewertung nur berücksichtigt werden, wenn sie in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen angelegt waren.4 Es muss als denkbar erscheinen, dass die erst nach dem Stichtag eingetretenen Umstände bereits am Bewertungsstichtag erwartet wurden. Nicht ausreichend ist hingegen, dass „sich rückblickend eine irgendwie geartete Kausalkette bis vor den Stichtag zurückverfolgen lässt“.5

29.70

In der Wurzel angelegt sind wertrelevante Umstände, wenn ihr objektiver Tatbestand zum Bewertungsstichtag zwar teilweise, aber noch nicht vollständig verwirklicht war. Dies gilt etwa für Maßnahmen, die zum Bewertungsstichtag begonnen, zumindest aber bereits beschlossen waren und ihren Niederschlag in der Unternehmensplanung gefunden haben bzw. hätten finden müssen.

29.71

Dieses Stichtagsprinzip ist auch in der Rechtsprechung anerkannt. So hat das OLG Stuttgart entschieden, dass die tatsächliche Entwicklung nach dem Bewertungsstichtag für die fundamentanalytische Ermittlung des Unternehmenswertes grundsätzlich nicht relevant ist. Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob eine bestimmte Planung zur Grundlage der Unternehmenswertschätzung gemacht werden kann, seien spätere Entwicklungen lediglich ausnahmsweise und nur dann zu berücksichtigen, wenn diese im Sinne der sog. Wurzeltheorie6 am Stichtag bereits angelegt und absehbar waren. Bspw. hatte das Gericht im zu entscheidenden Sachverhalt die Berücksichtigung später realisierter Verkaufspreise verneint.7

29.72

1 So schon RFH v. 25.4.1933 – VI A 666/32, RStBl. 1933, 639 (639). Siehe auch für die gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung BGH v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, AG 2003, 627 (629). 2 Vgl. BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 (38) = AG 1999, 122; BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 (138 ff.) = AG 1998, 286; OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 060/06, BB 2007, 2395 (2398) = AG 2008, 28. 3 Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 32. 4 Vgl. BGH v. 16.2.1973 – IZR 74/71, DB 1973, 563 (656); BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97 – ABB II, NZG 1998, 379 (380) = AG 1998, 286; Beine, BB 1999, 1967 (1971); Peemöller, DStR 2001, 1401 (1402); Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 147 f.; Wüstemann, BB 2009, 1518 (1520). 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, DB 1984, 817 (818) = AG 1984, 216. 6 Vgl. allgemein zur Rechtsprechung zur Wurzeltheorie Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 315 ff. m.w.N.; zur Anwendbarkeit der Wurzeltheorie nicht nur auf betriebswirtschaftliche, sondern auf alle wertbildenden Faktoren OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513. 7 Vgl. OLG Stuttgart v. 5.11.2013 – 20 W 4/12, AG 2014, 291.

Kohl 981

§ 29 Rz. 29.73

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.73 Das LG Dortmund möchte insbesondere bei lang andauernden Verfahren eine retrospektive Plausibilitätskontrolle vornehmen,1 die das Gericht als Wertaufhellung bzw. Soll-/Ist-Vergleich bezeichnet.2 Jedoch darf ein solches Vorgehen nicht dazu führen, den Kenntnisstand am Stichtag der späteren Realität anzupassen. „Das Wertaufhellungsprinzip stellt keinen Freibrief dar für die Zurückbeziehung von Informationen auf den Bewertungsstichtag. Der Bewerter (oder Richter), der die wertbestimmenden Verhältnisse, wie sie sich am Bewertungsstichtag bei angemessener Sorgfalt präsentieren, der späteren Entwicklung dieser Verhältnisse gleichsetzt, erleichtert sich seine Aufgabe in ungebührlicher Weise; denn diese Gleichsetzung kann dazu führen, dass eine Partei erheblich benachteiligt wird.“3

29.74 Vor einer zu weit gehenden Interpretation der Wurzeltheorie warnt auch das OLG Stuttgart: „[Es] ist zu beachten, dass im Grunde jede Entwicklung in der Vergangenheit ihren Ursprung findet und damit auch mehr oder weniger erkennbar war. Würde dies ausreichen, hätte das eine ständige Änderung des Unternehmenswertes zum selben Stichtag zur Folge. Entscheidend ist daher, welche Ertragserwartungen schon am Bewertungsstichtag bestanden haben, d.h. mit welcher Entwicklung zu rechnen war. Dabei ist in Fällen, in denen … nicht die Gewinnung neuen Wissens über unveränderte Tatsachen, sondern eine Änderung der tatsächlichen Umstände in Rede steht, eine Berücksichtigung der Entwicklung nur dann angezeigt, wenn ein sorgfältig arbeitender Bewerter schon bei der Bildung der Ertragserwartung am Bewertungsstichtag die zu ihnen führende Entwicklung berücksichtigt hätte.“4

29.75 Diese Sichtweise entspricht auch den vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer aufgestellten Grundsätzen. Nach dortiger Terminologie sind nur die Erfolgschancen zu berücksichtigen, die sich zum Bewertungsstichtag aus bereits eingeleiteten Maßnahmen oder aus hinreichend konkretisierten Maßnahmen im Rahmen des bisherigen Unternehmenskonzeptes und der Marktgegebenheiten ergeben. Andererseits sollen mögliche, aber noch nicht hinreichend konkretisierte Maßnahmen (z.B. Erweiterungsinvestitionen/Desinvestitionen) sowie die daraus vermutlich resultierenden finanziellen Überschüsse bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte unbeachtlich sein.5

29.76 Aufgrund der Koppelung der Ermittlung des gemeinen Wertes anhand der Ertragsaussichten durch ein methodisch nicht zu beanstandendes Gutachten erlangen diese gesellschaftsrechtlich entwickelten Grundsätze auch steuerlich Bedeutung.

29.77 Von dem rechtlichen Bewertungsstichtag ist die Frage zu unterscheiden, auf welchen Stichtag der Unternehmenswert berechnet wird (sog. rechnerischer Stichtag). Dies ist der Tag, auf dem die geplanten zukünftigen finanziellen Überschüsse abgezinst werden. In der Praxis ist es üblich, dass der rechnerische Bewertungsstichtag mit dem rechtlichen Bewertungsstichtag identisch ist. Dies ist insofern sachgerecht, als dann eindeutig der in diesem Zeitpunkt aktuelle Unternehmenswert als Entscheidungs- oder Bemessungsgrundlage zur Verfügung steht.

29.78 Abschließend ist von dem rechtlichen und dem rechnerischen Bewertungsstichtag der technische Bewertungsstichtag zu unterscheiden. Eine Unternehmensbewertung setzt die Abgrenzung des zu bewertenden Vermögens voraus. Technischer Bewertungsstichtag ist dabei grundsätzlich ein Bilanzstichtag. Dieser Tag stellt dann weiterhin die Abgrenzung des bereits 1 2 3 4 5

Siehe dazu auch Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rz. 317. Vgl. LG Dortmund v. 1.4.2004 – 18 AktE 2/03, NZG 2004, 723 (725). Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 169. Vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 20 W 4/10, AG 2012, 221. Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 32.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.82 § 29

in der Vergangenheit verdienten und aktuell zu bewertenden Vermögens und den damit zu erzielenden zukünftigen finanziellen Überschüssen dar. Der maßgebliche Unternehmenswert wird dann vom technischen Bewertungsstichtag durch Aufzinsung (in Ausnahmefällen durch Abzinsung) auf den rechnerischen Bewertungsstichtag ermittelt. Im Rahmen einer auch steuerlich zu erfassenden Umwandlung ergeben sich dabei steuerliche Besonderheiten. Die dingliche Wirkung der Umwandlung tritt (i.d.R.) mit der Eintragung in das Handelsregister ein. Demnach wären die steuerlichen Folgen nach den allgemeinen Grundsätzen auch erst ab diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen. Dies würde zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen, weil dieser Stichtag regelmäßig unbekannt ist und unterjährig Bilanzen aufzustellen wären.1 Das Handelsrecht löst diese Problematik, indem es die Einreichung einer Übertragungsbilanz, die nicht älter als acht Monate ist, zulässt und die Handlungen des übertragenden Rechtsträgers dem übernehmenden Rechtsträger ab dem handelsrechtlichen Übertragungsstichtag zurechnet.2

29.79

Das Umwandlungssteuerrecht folgt dem. Der § 2 UmwStG enthält die sog. steuerliche Rückwirkungsfiktion. Demnach ist das Einkommen und das Vermögen der übertragenden Körperschaft sowie des übernehmenden Rechtsträgers so zu ermitteln, als ob das Vermögen der Körperschaft mit Ablauf des Stichtags der Bilanz, die dem Vermögensübergang zugrunde liegt, ganz oder teilweise auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen wäre.3

29.80

Eine Bewertung im Rahmen der Rückwirkungsfiktion für steuerliche Zwecke erfolgt nach den allgemeinen Regeln.4 Daher sind vorzugsweise Börsenkurse oder zeitnahe Verkäufe vor dem Stichtag heranzuziehen. Sofern solche nicht vorliegen, ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde.5

29.81

Besondere Bedeutung hat die Rückwirkungsfiktion für die Bestimmung der maßgeblichen Verhältnisse. Neben dem Abzinsungszeitpunkt bestimmt der Bewertungsstichtag den Moment des Übergangs der Gewinnansprüche und den Zeitpunkt des bei der Bewertung zu berücksichtigenden Informationsstands. Nach wohl herrschender Meinung hat die Bewertung mit dem gemeinen Wert bzw. mit dem Teilwert nach den Verhältnissen zum steuerlichen Übertragungsstichtag zu erfolgen.6 Dies führt in praxi dazu, dass eine Unternehmensbewertung für steuerliche Zwecke zu einem Stichtag zu erfolgen hat, der aufgrund der Rückwirkungsfiktion bis zu acht Monaten in der Vergangenheit liegen kann.

29.82

1 Vgl. Slabon in Haritz/Menner, § 2 UmwStG Rz. 2. 2 Z.B. bei Verschmelzung, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 6 UmwG; Rz. 02.02. UmwStE. 3 Vgl. für Einzelheiten Dietrich/Kaeser, § 2 UmwStG, in Flick Gocke Schaumburg/BDI, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011. Mangels Vermögensübertragung regelt § 9 Satz 3 UmwStG selbiges für den Formwechsel in eine Personengesellschaft; vgl. Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 2 UmwStG Rz. 1. Der steuerliche Übertragungsstichtag und der Umwandlungsstichtag sind aber nicht identisch. Denn der steuerliche Übertragungsstichtag ist i.d.R. der dem Umwandlungsstichtag vorangehende Tag, auf den der übertragende Rechtsträger seine handelsrechtliche Schlussbilanz aufstellt. Vgl. Slabon in Haritz/Menner, § 2 UmwStG Rz. 8; Rz. 02.02 UmwStE. 4 Vgl. Rz. 03.07 UmwStE; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 3 UmwStG Rz. 39. 5 Vgl. Rz. 03.07 UmwStE; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 3 UmwStG Rz. 39. Ebenso besteht ein Wahlrecht zum vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG). 6 Vgl. Rz. 03.09 UmwStE; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 3 UmwStG Rz. 38.

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§ 29 Rz. 29.83

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.83 Dem Stichtagsprinzip der Unternehmensbewertung folgend, hat sich der Unternehmensbewerter, obwohl er die Bewertung erst später erstellt, am Kenntnisstand zum Stichtag zu orientieren. Dies betrifft dann die Anwendung des oder der entsprechenden Zinssätze oder anderer Parameter für die Ermittlung der Kapitalkosten, wie bspw. dem Beta-Faktor im Rahmen des CAPM, sowie die Kenntnisse über die finanziellen Verhältnisse und ihrer Entwicklung in der Zukunft.

V. Mindestwert Substanzwert 29.84 Im Sinne des steuerlichen Gesetzgebers ist der Substanzwert als Mindestwert ausgestaltet. Führt die Anwendung einer anderen Methode zu einem Ergebnis, welches unterhalb des Substanzwertes liegt, ist zwingend gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG der höhere Substanzwert anzusetzen.

29.85 Fraglich ist, auf welche Methoden sich diese Korrektur bezieht. Unstreitig ist der Substanzwert gegenüber dem Börsenkurs unbeachtlich. Nach wohl herrschender Meinung gilt das Gleiche beim Heranziehen von zeitnahen Verkäufen. Sofern sich der gemeine Wert nachweisbar am Markt gebildet hat, soll keine Korrektur durch einen möglicherweise höheren Substanzwert erfolgen.1 1. Steuerliches Substanzwertverständnis

29.86 Beim Substanzwertverfahren handelt es sich grundsätzlich um einen Einzelbewertungsansatz.2 Im Gegensatz zu den Gesamtbewertungsverfahren, die auf einem Kapitalwertkalkül der Unternehmenseinheit basieren, wird der Unternehmenswert hierbei aus der Summe der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden abgeleitet.3 In einem ersten Schritt werden dabei die einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden einer gesonderten Bewertung unterzogen. Anschließend werden diese Einzelwerte zu einem Gesamtunternehmenswert zusammengefügt.4 Wertbestimmend sind einerseits die Menge der einzubeziehenden Vermögensgegenstände und Schulden sowie andererseits deren Wertansatz.5

29.87 Über den konkreten Inhalt zur Ableitung des Substanzwertes und die zu berücksichtigenden Posten gibt es verschiedenste Auffassungen.6 Unter der Fiktion der Going-Concern-Prämisse geht der Substanzwert im betriebswirtschaftlichen Sinne prinzipiell vom Nachbau des Unternehmens auf der „grünen Wiese“ aus.7 Grundüberlegung in diesem Kontext ist, was für einen fiktiven Nachbau des Bewertungsobjekts ausgegeben werden muss. Es handelt sich somit um einen sog. Rekonstruktionswert.8

29.88 In der wissenschaftlichen Diskussion wird ferner hervorgehoben, dass die Substanz eines Unternehmens keinen Wert an sich hat. Die Werthaltigkeit oder ihr finanzieller Nutzen ergibt 1 Vgl. Piltz, DStR 2008, 745 (747). 2 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 88; Rabel, Unternehmensbewertung, in Peemöller, S. 82. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 8 f. 4 Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 102. 5 Vgl. Sieben/Maltry, Substanzwert, in Peemöller, S. 762. 6 Vgl. WPH Edition, Kapitel A, Rz. 162. 7 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 227. 8 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 170.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.92 § 29

sich erst durch Liquidation oder durch Ersparen zukünftiger Ausgaben. Daher wird bei der Diskussion um die Ausgestaltung ebenso differenziert zwischen dem Nachbau des aktuellen Unternehmens und einem effizienten Vergleichsobjekt.1 Auf diese Weise sollen Fragen der Rentabilität in die Substanzwertermittlung eingehen. Abzugrenzen vom Substanzwert im betriebswirtschaftlichen Verständnis ist der Substanzwertbegriff des Steuerrechts.2 Anders als bei einem ökonomisch geprägten Begriff liegt für steuerliche Zwecke eine Legaldefinition vor. Der steuerliche Substanzwert ergibt sich gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG aus der Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzgl. der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge. Bei dem Substanzwert im steuerlichen Sinne sind die Vermögenswerte demnach mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Durch den Ansatz gemeiner Werte als Verkehrswerte, die sich bei einer Veräußerung ergeben, stellt der steuerliche Substanzwert somit im weitesten Sinne einen Veräußerungswert dar.3 Im Gegensatz zum betriebswirtschaftlichen Verständnis wird hier nicht von einem Nachbau des Unternehmens ausgegangen, sondern von einer „bestmöglichen Vermögensversilberung“.4 Es handelt sich somit um eine Art von Liquidationswert, bei dem die Veräußerung sämtlicher Vermögensgegenstände und die Rückführung der Schulden unterstellt wird.

29.89

Ein solcher Liquidationsgedanke ist auch in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung zu finden. Im betriebswirtschaftlichen Kontext stellt der Liquidationswert die Wertuntergrenze dar.5 Sofern es sich gegenüber der Fortführung des Unternehmens als vorteilhaft erweist, sämtliche Vermögensteile einzeln zu veräußern, so ist der Liquidationswert anzusetzen.6 Ein so verstandener Wertansatz würde auch eine konkrete Verwendung des zu bewertenden Vermögens vorsehen. Während bei dem Ertragswert die eigene Nutzung im Rahmen des geltenden Unternehmenskonzeptes unterstellt wird, fließen bei der Ermittlung des Liquidationswertes die Erlöse der Veräußerung ein. Beiden Verfahren ist gemein, dass sie eine Verwendung der zu bewertenden Substanz annehmen, bei der – anders als beim Nachbau – eine Marktbestätigung überprüft werden kann (s. auch Rz. 9.1 ff.).

29.90

Die Notwendigkeit, einen am Markt realisierbaren Preis zu ermitteln, wird auch vom Gesetzgeber grundsätzlich erkannt. So sieht die Gesetzesbegründung zum ErbStRG den Substanzwert als einen „[…] Mindestwert, den ein Steuerpflichtiger am Markt erzielen könnte“.7 Mit der Wertuntergrenze hat daher der Gesetzgeber kein grundsätzlich anderes Wertverständnis ausgerufen. Vielmehr geht er typisierend davon aus, dass sich im Regelfall die betriebliche Substanz zu gemeinen Werten auch am Markt realisieren lässt.

29.91

Die inhaltliche Nähe des Substanzwertes zum Veräußerungswert wird zwar von der Finanzverwaltung grundsätzlich anerkannt.8 Dagegen wird ein Abzug latenter Steuerlasten, die bei

29.92

1 Vgl. Mujkanovic, WPg 2010, 294 (298). 2 Vgl. Piltz, DStR 2008, 745 (747 f.); Viskorf in Viskorf u.a. Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 11 BewG, Rz. 8. 3 Vgl. Henselmann/Kniest, BewertungsPraktiker 2011, 10 (11). 4 Vgl. Wollny, DStR 2012, 716 (717 f.). 5 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 5; Sieben/Maltry, Substanzwert, in Peemöller, S. 781; Hannes, Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, in Peemöller, S. 1391; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 203 f. 6 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 140 f. 7 Vgl. BT-Drucks. 16/7918, 38. 8 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 113 f.

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§ 29 Rz. 29.92

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

einer Veräußerung entstehen würden, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht anerkannt.1 Dies wird damit begründet, dass diese Veräußerungsfiktion nicht mit den realen Bedingungen übereinstimmt und es daher nicht zu einer entsprechenden Steuerbelastung kommen kann.2 Andere Kommentierungen begründen den fehlenden Ansatz der Liquidationskosten mit Vereinfachungsaspekten.3 Auch der Gesetzgeber stellt den Substanzwert nicht mit dem Liquidationswert gleich. Nur sofern die Liquidation feststeht, kommt der Liquidationswert als besondere Ausprägung des Substanzwertes zum Ansatz.4

29.93 Im Ergebnis unterstellt der Gesetzgeber, dass sich die zu gemeinen Werte gemessene betriebliche Substanz angemessen amortisiert. Durch die fehlende Berücksichtigung von Liquidationskosten kann es zu einem idealtypischen Wertansatz ohne eigenständigem Nutzungskonzept kommen. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich: Verfügt ein Unternehmen über eine nicht ausgelastete Maschine und handelt es sich dabei um eine strukturell bedingte Unterauslastung, schlägt sich diese in einem entsprechend geminderten Ertragswert des Unternehmens nieder. Im Rahmen des Substanzwertes wird dagegen aus der Perspektive eines potentiellen Erwerbers der gemeine Wert der Maschine anhand einer marktüblichen Auslastung ermittelt. Von diesem Wert kann die Gesellschaft allerdings nur bei einem Verkauf der Maschine und unter in Inkaufnahme der Liquidationskosten profitieren. Werden diese jedoch nicht angesetzt, kommt es zu der typisierten Annahme, dass die Gesellschaft eine bessere Auslastung erreichen kann. Es bleibt aber offen, wie dies ohne Liquidationskosten realisiert werden kann (vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen bei Unternehmen mit mangelnder Rentabilität). 2. Wertansätze einzelner Wirtschaftsgüter

29.94 Bei der Wertableitung der einzelnen Wirtschaftsgüter ist eine Würdigung dem Grunde und der Höhe nach vorzunehmen.

29.95 Dem Grunde nach umfasst der Substanzwert nach der gesetzlichen Definition die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstige Ansätze abzgl. der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden. Im Sinne der Erbschaftsteuerrichtlinien richtet sich damit der Umfang der einzelnen Wirtschaftsgüter und Schulden nach den §§ 95 bis 97 BewG und damit nach den ertragsteuerlichen Regelungen (sog. Bestandsidentität). 1 Vgl. BFH v. 27.9.2017 – II R 15/15, BFHE 260, 75. Eine Anlehnung an betriebswirtschaftliche Unternehmensbewertungsgrundsätze lehnt das Gericht dabei ab. Vgl. auch ergänzend die Entscheidung der Vorinstanz FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14 EFG 2015, 1000. Dies deckt sich mit der Auffassung der Finanzverwaltung. Vgl. dazu Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 114. 2 Für den Veranlagungszeitraum 2007 hat das FG Rheinland-Pfalz v. 28.11.2012 – 2 K 2452/10, EFG 2013, 352 dies entsprechend bestätigt. Obwohl die heutige gesetzliche Grundlage des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG damals noch nicht einschlägig war, verweist das FG zur Auslegung der damaligen Vorschriften auf die aktuelle Gesetzesformulierung. Das Verfahren ist mittlerweile vor dem BFH – IX R 4/13 entschieden, der die Revision zurückgewiesen hat. (s. BFH v. 8.4.2014, BFH/NV 2014, 1201). Vgl. auch Wollny, DStR 2012, 766 (771). 3 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 114. 4 Da es sich bei der Veräußerung um eine Fiktion handelt, werden grundsätzlich keine Liquidationskosten im Substanzwert berücksichtigt. In der „besonderen Ausprägung“ des Substanzwertes als Liquidationswert sieht die Finanzverwaltung den Ansatz von Liquidationskosten vor. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3 Abs. 9 BewG. Tatsächlich wird jedoch das Unternehmen zumeist fortgeführt, außer es handelt sich um eine Betriebsaufgabe. Siehe Piltz, DStR 2008, 745 (747 f.).

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.100 § 29

Gemischt genutzte Wirtschaftsgüter sind dabei im Sinne der ertragsteuerlichen Grundsätze zwischen dem betrieblichen Vermögen und dem privaten Vermögen aufzuteilen.1 Eine Orientierung an den zivilrechtlichen Grundsätzen erfolgt dagegen nicht.2

29.96

Die gesetzliche Definition „sonstige Ansätze und Abzüge“ verdeutlicht bereits, dass der Umfang über die ertragsteuerlich bilanzierten Wirtschaftsgüter und Schulden hinausgeht. In den Erbschaftsteuerrichtlinien ist über die zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter hinaus erfasst, dass auch solche Wirtschaftsgüter und Schulden zu erfassen sind, für die ein steuerliches Aktivierungs- oder Passivierungsverbot besteht.3 Beispiele sind entgeltliche und selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter4 oder Drohverlustrückstellungen5. Weiterhin sind Faktoren des Geschäftswertes dann anzusetzen, wenn diesen ein eigenständiger Wert beigemessen werden kann (z.B. Kundenstamm), unabhängig davon, ob diese entgeltlich oder unentgeltlich erworben wurden.6

29.97

Eine Besonderheit besteht im möglichen Ansatz einer Rückstellung für latente Steuerlasten, mit der die bei einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter entstehenden steuerlichen Belastungen abgegriffen werden. Betriebswirtschaftlich und im Sinne der Zivilrechtsprechung7 wäre bei dem unterstellten Konzept eine solche Rückstellung zu bilden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wird eine solche Rückstellung allerdings nicht anerkannt. Eine Anlehnung an betriebswirtschaftliche Unternehmensbewertungsgrundsätze lehnt das Gericht dabei explizit ab.8

29.98

Im Hinblick auf den Wertansatz der Höhe nach hat grundsätzlich eine Orientierung am Absatzmarkt zu erfolgen.9 Dies ergibt sich aus der übergeordneten Definition des gemeinen Wertes i.S.d. § 9 BewG. Für einzelne Wirtschaftsgüter sieht die Erbschaftsteuerrichtlinie darüber hinaus explizit den Verweis auf die Regelungen des Bewertungsgesetzes vor.10

29.99

Für die Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter des beweglichen abnutzbaren Anlagevermögens 29.100 besteht die Möglichkeit, vereinfachend 30 % der Anschaffungs- und Herstellkosten anzusetzen, sofern dies nicht zu unzutreffenden Ergebnissen führt.11 In der Praxis ist jedoch davon auszugehen, dass ein solcher Ansatz seitens der Finanzverwaltung zurückgewiesen werden würde, sofern die fortgeführten Anschaffungs- und Herstellkosten diesen 30 %-igen Restwert überschreiten.12 1 2 3 4 5 6 7 8

9 10 11 12

Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 95 Abs. 3 Satz 3. Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 121. Vgl. Erbschaftssteuerrichtlinien R B 11.3. Abs. 3 Satz 2. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3. Abs. 3 Satz 4. Den Ansatz selbstgeschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Substanzwertermittlung hat bereits früher die Rechtsprechung zugelassen. Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3. Abs. 3 Satz 3. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B Abs. 3 Satz 5. Vgl. OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 11/06, BeckRS 2012, 04923. Vgl. BFH v. 27.9.2017 – II R 15/15, BFHE 260, 75. Vgl. auch ergänzend die Entscheidung der Vorinstanz FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14, EFG 2015, 1000. Dies deckt sich mit der Auffassung der Finanzverwaltung. Vgl. dazu Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 114. Vgl. Kohl/König/Möller, BB 2013, 555 (558). Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3 Abs. 5 Satz 2. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3, Abs. 7. Ferner Abschn. 4 Abs. 7 Bewertungserlass 2011. Vgl. Mannek, ZEV 2012, 6 (16).

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§ 29 Rz. 29.100

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter in Form von Lizenzen wird eine Diskontierung der vertraglich wiederkehrenden Zahlungen vorgeschlagen. Bei fehlender Fixierung der Zahlung soll ein Zeitraum von 8 Jahren angesetzt werden, in dem die letzte tatsächlich gezahlte Lizenzgebühr herangezogen wird. Dabei soll es nicht zu beanstanden sein, wenn der gesetzliche Zinssatz des vereinfachten Ertragswertverfahrens angesetzt wird.1 Zur Herstellung einer äquivalenten Behandlung von Zähler und Nenner ist dabei zu beachten, dass der gesetzliche Zinssatz des vereinfachten Verfahrens einen Zinssatz nach betrieblichen Steuern reflektiert. Insofern sind auch die angesetzten Zahlungen noch um einen Steuerabschlag zu mindern.

29.101 Für Gegenstände des Umlaufvermögens sind die Wiederbeschaffungskosten anzusetzen, wobei auch die retrograde Methode zur Anwendung kommen soll. Im Rahmen des Lifoverfahrens gelegte stille Reserven sind ebenfalls zu erfassen.2

29.102 Darüber hinaus sind die Vorschriften des Bewertungsgesetzes für einzelne Wirtschaftsgüter anzuwenden. Dies betrifft die Bewertung von Grundstücken (vgl. § 176 bis 198 BewG), Wertpapiere und Beteiligungen (vgl. § 11 BewG) sowie Pensionsrückstellungen (vgl. § 14 BewG). 3. Sonderfrage mangelnde Rentabilität

29.103 Es entspricht der langjährigen Rechtsprechung des BFH, dass ein Substanzwert bei der Bewertung von Unternehmen nicht grundsätzlich unbeachtlich ist. Ein positiver Substanzwert stellt bei einem defizitären Unternehmen daher einen wichtigen Indikator für die Werthaltigkeit der Anteile dar.3 Aus dieser grundsätzlichen Bedeutung lassen sich im Umkehrschluss aber keine zwingenden Typsierungen herleiten.

29.104 Besonderheiten durch die gesetzlichen Vorgaben eines Mindestwertes ergeben sich bei Unternehmen mit einer geringen oder bei einer mangelnden Rentabilität. In derartigen Fällen kann bei Fortführen des Unternehmens keine angemessene Verzinsung der betrieblichen Substanz am Markt erzielt werden. Eine Bewertung anhand der Ertragsaussichten führt daher in den Fällen mangelnder Rentabilität zu einem geringeren Unternehmenswert als bei einer Substanzwertbetrachtung. Aufgrund der gesetzlichen Vorgabe, den Substanzwert als Mindestwert anzusetzen, besteht in den Fällen mangelnder Rentabilität die Gefahr, einen gemeinen Wert zu berücksichtigen, der von einem potentiellen Erwerber nicht vergütet wird. Wirtschaftlich rechtfertigen lässt sich ein solcher Ansatz nur bei einer stark typisierenden Perspektive, in der pauschal unterstellt wird, dass ein potentieller Erwerber über entsprechende Nutzungsmöglichkeiten verfügt, die vom Verkäufer nicht realisiert werden können. Insofern kommt es in derartigen Fällen zu einer stark typisierenden Annahme von Synergien, die hier werterhöhend unterstellt werden.

29.105 Diskutiert wird dazu in der Literatur, die Rentabilität in Form eines negativen Geschäftswertes zu erfassen. Dies würde dazu führen, Unternehmen unter Berücksichtigung aller möglichen Nutzungskonzepte zu bewerten und keine pauschalen Annahmen vorzunehmen.4 Einwände werden in Form der gesetzlichen Vorschrift vorgetragen, nach der die jeweiligen 1 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3. Abs. 6. Ferner Abschn. 4 Abs. 6 Bewertungserlass 2011. 2 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 11.3. Abs. 8 Satz 1 bis 3. Ferner Abschn. 4 Abs. 8 Bewertungserlass 2011. 3 Vgl. BFH v. 8.4.2014 – IX R 4/13, BFH/NV 2014, 1201. 4 Vgl. Kohl/König/Möller, BB 2013, 555 (558 f.).

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.109 § 29

gemeinen Werte aller Wirtschaftsgüter und Schulden anzusehen seien. Im Gegensatz zu Teilwerten würden bei den gemeinen Werten der einzelnen Wirtschaftsgüter und Schulden keine Verbundeffekte zwischen den einzelnen Ansätzen erfasst.1

VI. Ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse Keine Berücksichtigung im gemeinen Wert finden Umstände, mit denen in der Preisbildung im Allgemeinen nicht gerechnet wird und die somit nicht Teil des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs sind.2 Es handelt sich um sog. ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse. Diese haben nach expliziter Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG außer Betracht zu bleiben.

29.106

Sie grenzen den zunächst weitgefassten Begriff der zu berücksichtigenden preisbeeinflussenden Umstände ein.3 Unter der Annahme der Gültigkeit eines gewöhnlichen Geschäftsverkehrs entfalten ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse keinen Preiseffekt und fließen nicht in den gesuchten gemeinen Wert ein.4 Maßgeblich für die Ermittlung eines gemeinen Wertes ist vielmehr die Erwerberperspektive. Danach sind nur diejenigen Aspekte bei der Wertfindung zu berücksichtigen, die ein potentieller Erwerber vergüten würde.

29.107

Kennzeichnend für die ungewöhnlichen Verhältnisse ist, dass im „normalen“ Verkehrsleben nicht mit ihnen gerechnet wird. Hierzu zählen insbesondere Preisvereinbarungen, welche nicht im Einklang mit gesetzlichen Vorschriften stehen, oder ein Erwerb im Zwangsversteigerungsverfahren.5 Abzugrenzen sind jedoch Verhältnisse, die die Allgemeinheit in Summe treffen und den Rahmen des gewöhnlichen Marktgeschehens verschieben. In diesem Zusammenhang sind besondere konjunkturelle Veränderungen zu nennen, die sich auf den Preisbildungsprozess auswirken.6 Auch wenn das Wirtschaftsgut nur für einen kleinen Käuferkreis infrage kommt, liegen keine ungewöhnlichen Verhältnisse vor. Vielmehr ist wegen der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes der Kreis der potentiellen Interessenten begrenzt und ein solcher Umstand ist im gemeinen Wert zu erfassen.7

29.108

Bei der Beurteilung, ob es sich um persönliche Verhältnisse handelt, die bei der Wertermitt- 29.109 lung nicht zu berücksichtigen sind, ist die Frage zu stellen, ob besondere Momente für den Preis ausschlaggebend sind, die sich im konkreten Verkäufer oder Käufer ergründen.8 Im Zusammenhang mit „persönlichen Verhältnissen“ sind dabei zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Entweder die persönlichen Umstände resultieren aus der jeweiligen Person des Käufers respektive Verkäufers oder aus dem Beziehungsverhältnis der Beteiligten zueinander bzw. zu einem Dritten.9 Insbesondere Fähigkeiten oder Eigenschaften, welche dem Käufer/Verkäufer zu eigen und kein Charakteristikum einer anderen Vertragspartei sind, werden unter den 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 134. Vgl. Viskorf in Viskorf u.a., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 9 BewG Rz. 9. Vgl. Gerlach, Gemeiner Wert, BB 1996, 821 (823). Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 88. Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 89; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 15. Vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 13; vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 89. Vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 13. Vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 14. Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 96; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 15a.

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§ 29 Rz. 29.109

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

unbeachtlichen persönlichen Verhältnissen subsumiert. Hierbei ist zu beachten, dass ein Preis aufgrund persönlicher Verhältnisse schon beeinflusst ist, wenn die persönlichen Verhältnisse lediglich „mitentscheidend“ für den Preis waren.1

29.110 Auch der Aspekt der Häufigkeit ist in Bezug auf den Aspekt der persönlichen Umstände unbeachtlich. Es ist irrelevant, ob es sich bei den vorhandenen persönlichen Umständen um einen sog. Regelfall oder lediglich um eine Ausnahmeerscheinung handelt.2

29.111 Typische Situationen für persönliche oder ungewöhnliche Verhältnisse sind z.B.: – Notverkäufe im Rahmen von Zwangsversteigerungsverfahren oder aus einer Konkursmasse3 – Zwingende Sofortveräußerungen4 – Besonderer ideeller Wert/Interessenskäufe5 – Verwandtschaftliche Beziehungen

29.112 Abzugrenzen von den persönlichen Verhältnissen sind Fragen zur Beschaffenheit des zu bewertenden Wirtschaftsgutes. Nach der Definition des BFH handelt es sich dabei um diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die dem zu bewertenden Wirtschaftsgut arteigen sind und auf jeden möglichen Erwerber übergehen. Grundlage dieser Ansicht ist die einfache Überlegung, dass ein potentieller Erwerber nur die Ertragskraft vergüten würde, die auf ihn übertragbar ist.

29.113 Liegen bei dem zu bewertenden Wirtschaftsgut daher tatsächliche Verhältnisse vor, die eine Übertragung der vorhandenen Ertragskraft auf einen möglichen Erwerber beeinträchtigen, wirken diese auf die Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes ein und wären nicht bei der Ermittlung des gemeinen Wertes zu berücksichtigen. Beispiele sind allgemeine Aspekte einer erschwerten Verkäuflichkeit nicht notierter Anteile, sofern diese wertrelevant sind, oder Fragen der Übertragbarkeit der vorhandenen Ertragskraft auf einen potentiellen Erwerber. Derartige Aspekte haften dem zu bewertenden Wirtschaftsgut unmittelbar an und können sich auf die Beschaffenheit entsprechend auswirken.6

29.114 Erfolgt eine Ableitung des gemeinen Wertes durch einen Rückgriff auf die Grundsätze des IDW S 1 ist definitionsgemäß kein Raum für persönliche Verhältnisse. Im Rahmen einer derartigen Unternehmensbewertung wird zum einen ein typisierter Anteilseigner unterstellt. Zum anderen erfolgt die Wertableitung unter Beachtung weiterer Typisierungen wie z.B. Fortführung des aktuellen Geschäftskonzepts. Eigner bezogene Einflüsse, die sich auf die Übertragbarkeit der Ertragskraft auswirken, wären zu eliminieren.7

1 Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 96. 2 Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 96; Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 14. 3 Vgl. FG Münster v. 12.8.1998 – 8 K 5129/94 GrE, EFG 1999, 247 (248). 4 Vgl. BFH v. 29.4.1987 – X R 2/80, BStBl. II 1987, 769 (771). 5 Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 15a. 6 Vgl. BFH v. 28.10.2008 – IX R 96/07, BStBl. II 2009, 45 (46) = GmbHR 2009, 155. 7 Einzelheiten zur Übertragbarkeit der Ertragskraft und zur Fungibilität werden nachfolgend (Rz. 29.149 bzw. Rz. 29.172) erläutert.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.118 § 29

Im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 2 BewG wird in der Literatur das Verhältnis zu § 11 Abs. 2 BewG diskutiert. Dabei wird die Meinung vertreten, dass es sich bei den Vorschriften des § 9 Abs. 2 um die allgemeine Bewertungsnorm handelt, in dem der gemeine Wert konstituiert wird. Dagegen handelt es sich bei dem § 11 Abs. 2 BewG um die konkreten Vorschriften zur Ableitung des Wertes von nicht notierten Anteilen. § 11 Abs. 2 BewG würde dann als Spezialnorm der Generalnorm des § 9 Abs. 2 BewG vorgehen.1 Diese Auffassung hätte insbesondere zur Folge, dass ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse bei einer Bewertung anhand der Methoden des § 11 Abs. 2 BewG nicht grundsätzlich ausgeschlossen seien. Rechtlich wird dem gegenübergestellt, dass keine Anhaltspunkte des Gesetzgebers vorliegen würden, mit den Verfahren des § 11 Abs. 2 BewG unterschiedliche Grundsätze zur Wertermittlung aufstellen zu wollen. Daher seien die in § 9 definierten Grundsätze als allgemeine Vorgaben zu betrachten, die auch bei Auswahl einer Bewertungsmethode nach § 11 Abs. 2 BewG zur Anwendung kämen.2

29.115

Wirtschaftlich ist zu hinterfragen, welche grundsätzlich verschiedenen Ausprägungen sich er- 29.116 geben würden. Bei einer Bewertung unter Rückgriff auf Veräußerungen innerhalb des letzten Jahres ist ausdrücklich vorgesehen, dass es sich hierbei um Veräußerungen unter fremden Dritten handeln muss und dass diese im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden haben müssen. Ferner erfolgt auch bei Vorliegen derartiger Preise kein automatisches Hoch- oder Runterrechnen auf den konkret zu bewertenden Anteil. Vielmehr ist der Wert des konkreten Anteils abzuleiten, in dem auch die Besonderheiten des beobachtbaren vergangenen Verkaufs erfasst werden sollen. Ähnlich stellt sich die Situation bei einer Bewertung anhand der Ertragsaussichten dar. Durch die Anwendung allgemeiner anerkannter Grundsätze zur Unternehmensbewertung erfolgt in der Regel eine Bewertung unter Heranziehung objektivierter Merkmale. Dies betrifft insbesondere die Annahme eines typisierten Anteilseigners. Durch derartige Typisierung ergibt sich eigentlich kein Raum für ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse. Insofern bedarf es für die Eliminierung ungewöhnlicher und persönlicher Verhältnisse keinen Rückgriff auf § 9 Abs. 2 BewG. Relevanz könnte eine solche Auffassung bei dem Sonderfall von vertraglichen Verfügungsbeschränkungen haben. Solche stellen eine Besonderheit dar und werden in § 9 Abs. 3 BewG explizit zu den persönlichen Verhältnisse gezählt.3 Danach sind die Verfügungsbeschränkungen als persönliche Verhältnisse anzusehen, die in der Person des Steuerpflichtigen oder eines Rechtsvorgängers begründet sind. Diese können sich aufgrund vertraglicher Regelung oder kraft Gesetz ergeben. Die diesbezügliche Rechtsprechung geht auf Entscheidungen des BFH im Jahre 1967 zurück. Danach wurden insbesondere gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen regelmäßig nicht zu den objektiven Merkmalen gezählt, sondern als persönliche Verhältnisse eingestuft, die keinen Wertabschlag rechtfertigen4 (vgl. auch Rz. 20.17 ff.).

29.117

Die Ausführungen des BVerfG aus dem Jahre 2006 in dem Kontext sind nicht eindeutig. Auf der einen Seite wird anerkannt, dass der gemeine Wert durch gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen gemindert sein kann. Auf der anderen Seite hat das BVerfG keine Einwände gegen die Unbeachtlichkeit persönlicher Verhältnisse erhoben und anerkannt, dass

29.118

1 2 3 4

Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 8. Vgl. Knittel in Gürsching/Stenger, § 9 BewG Rz. 21. Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 15a. Vgl. BFH v. 11.7.1967 – III 21/64, BStBl. III 1967, 666 (667-668); BFH v. 23.7.1971 – III R 41/70, BStBl. II 1972, 4 (4-5); BFH v. 10.12.1971 – III R 43/70, BStBl. II 1972, 313 (313-314); BFH v. 30.3.1994 – II R 101/90, BStBl. II 1994, 503 (504) = GmbHR 1994, 568.

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§ 29 Rz. 29.118

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

diese durch den Erwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit zutreffend abgebildet werden. Hierin wird eine verfassungsrechtliche Garantie des Satzes 3 von § 9 Abs. 2 BewG gesehen.1

29.119 Die Rechtsprechung differenziert dabei zwischen den Verfügungsbeschränkungen, die in der Person des Steuerpflichtigen begründet sind und denjenigen, die im Wirtschaftsgut selbst begründet sind. Zum Beispiel hat der BFH einjährige Veräußerungssperren im Sinne der Rule 144 des Securities Exchange Act als eine im Wirtschaftsgut begründete Verfügungsbeschränkung dem Grunde nach als wertbeeinflussend eingestuft. Diese Einstufung erfolgte dabei explizit in Abgrenzung rein vertraglicher Verfügungsbeschränkungen.2

29.120 Unabhängig davon ist zu hinterfragen, ob es sich bei vertraglichen Verfügungsbeschränkungen tatsächlich um persönliche Verhältnisse im Sinne des Gesetzes handelt, oder ob diese nicht vielmehr die Beschaffenheit des jeweiligen Anteils betreffen. Sofern sich vertragliche Verfügungsbeschränkungen auf die Beschaffenheit des Anteils niederschlagen, wären die Auswirkungen im Verkehrswert der Anteile zu erfassen.

29.121 Um derartige Effekte zu erfassen wären Annahmen zur Fortführung des Unternehmens und der Verfügung der Anteile zu treffen. Bei einer Gleichwertigkeit der Risiken zwischen der Beendigung oder dem Verkauf eines Unternehmens sowie der unendlichen Fortführung eines Unternehmens ergibt sich keine Grundlage für wesentliche Abschläge in Folge einer eingeschränkten Verfügbarkeit. Eine solche Gleichwertigkeit wird üblicherweise typisierend unterstellt. Insbesondere bei der Bewertung einzelner Anteile ist eine solche Typisierung allerdings nicht zwingend. Vielmehr wären Annahmen zum Beendungszeitpunkt, dem voraussichtlichen Preis und möglichen Kosten notwendig. Vorliegende Verfügungsbeschränkungen indizieren sowohl Risiken eines voraussichtlichen Preises als auch höhere Kosten. In derartigen Fällen erscheint es nicht mehr angemessen, die Risiken der beiden Handlungsalternativen (Verkauf oder unendliche Fortführungen) gleich zu gewichten.

29.122 Unabhängig der grundsätzlichen Wertrelevanz von Verfügungsbeschränkung bei einzelnen Anteilen werden in der Rechtsprechung vertragliche Verfügungsbeschränkungen aktuell als persönliche Verhältnisse angesehen, weil diese von den Gesellschaftern veranlasst sind. Eine solche willentlich eingegangene Beschränkung kann dabei auch gemeinsam wieder beseitig werden.3 Diesen Idealvorstellungen werden aber nicht alle Verfügungsbeschränkungen gerecht.

29.123 So wird in der Literatur auch differenziert nach persönlichen und sachlichen Verfügungsbeschränkungen. Während sich die persönlichen Verfügungsbeschränklungen auf die Person des Steuerpflichtigen beziehen, begründen sich die sachlichen Beschränkungen in dem Wirtschaftsgut und beziehen sich auf alle Verfügungsberechtigten. Als Beispiel für persönliche Beschränkungen werden gesetzliche, gerichtliche oder behördliche Veräußerungsverbote genannt. Sachliche Verfügungsbeschränkungen gelten dagegen für die Eigentümer des Wirtschaftsgutes und wirken gegenüber jedermann. Diese können sich aus dem Gesetz oder einem Rechtsgeschäft ergeben. In dieser Abgrenzung werden gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen als sachliche Beschränkung eingestuft. Dabei sollen nur die persönlichen Ver-

1 Vgl. Piltz, DStR 2009, 1829 (1834). 2 Vgl. BFH v. 28.10.2008 – IX R 96/07, DStR 2008, 2413 (2414) = GmbHR 2009, 155. 3 Vgl. BFH v. 17.6.1998 – II R 46/96, BFH/NV 1999, 17 = GmbHR 1999, 372.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.126 § 29

fügungsbeschränkungen unbeachtlich für die Wertermittlung sein, während sachliche Beschränkungen im Einzelfall auch wertmindernd zu erfassen sind.1 Im steuerrechtlichen Schrifttum wird daher das Verbot der Berücksichtigung von vertraglichen Verfügungsbeschränkungen kritisch gesehen. Aus den oben genannten Gründen folgt nach einem Teil der Literatur, dass entgegen der wohl bislang herrschenden Meinung gesellschaftsvertragliche Restriktionen (z.B. Vinkulierungsklauseln) wertmindernd zu berücksichtigen sind, wenn diese auf den Erwerber mit übergehen.2 Andere Kommentare sehen einen Widerspruch zum Verständnis des gemeinen Wertes3 oder differenzieren nach Einflussmöglichkeiten des Gesellschafters auf die Geschäftsführung.4 Dem stehen Argumente der Wirksamkeit derartiger Klauseln oder die Abhängigkeit einer persönlichen Beeinflussung gegenüber.5

29.124

Seit der Erbschaftsteuerreform 2016 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, unter 29.125 bestimmten Voraussetzungen gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen zu berücksichtigen. Mit dem § 13a Abs. 9 ErbStG hat der Gesetzgeber einen besonderen Abschlag vom begünstigten Vermögen für Familienunternehmen geschaffen (sog. Vorwegabschlag). Voraussetzung für einen solchen Abschlag sind bestimmte in dem Gesellschaftsvertrag oder der Satzung geregelte Entnahmeverfügungs- und Abfindungsbeschränkungen.6 Eine Verfügung über die Beteiligung an dem Unternehmen ist zudem auf Mitgesellschafter, auf Angehörige i.S.d. § 15 AO oder auf eine Familienstiftung beschränkt.7 Darüber hinaus ist für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft eine Abfindung vorgesehen, die unter dem gemeinen Wert der Beteiligung liegt. Diese Voraussetzungen müssen dabei den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen und zwei Jahre vor dem Steuerentstehungszeitpunkt bereits vorgelegen haben sowie weitere 20 Jahre danach eingehalten werden.8 Hinsichtlich der Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkung ist eine gesetzliche Grenze bei 37,5 % des steuerrechtlichen Gewinnes vorgesehen. Im Gegensatz dazu gibt der Gesetzgeber bei der Abfindungsbeschränkung keinen Schwellenwert vor. Das exakte Ausmaß einer Abweichung ist daher für die Erfüllung der Voraussetzung unerheblich.9 Als Abschlag ist die im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung vorgesehene proportionale Minderung der Abfindung gegenüber dem gemeinen Wert heranzuziehen. Diese darf jedoch max. 30 % betragen.10 Formal handelt es sich jedoch nicht um einen Bewertungsabschlag 1 Vgl. Daragan in Daragan/Halaczinsky/Riedel, § 9 BewG Rz. 36-44. 2 Vgl. Koblenzer/Seker, ErbStB 2011, 282 (283); Daragan in Daragan/Halaczinsky/Riedel, § 9 BewG Rz. 43. 3 Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, § 9 BewG Rz. 18. 4 Vgl. Eisele in Rössler/Troll, § 11 BewG Rz. 50. 5 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 115. 6 Einzelheiten finden sich in den koordinierten Anwendungserlassen v. 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902 (AEErbSt 2017); Korezkij, DStR 2017, 1729 (1729-1730); Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2429-2430). 7 Ein reiner Zustimmungsvorbehalt der übrigen Gesellschafter für Verfügungen auf Personen außerhalb des Kreises zulässiger Anteilserwerber soll dazu nicht ausreichen. Vgl. A 13a.19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 AEErbSt 2017. A.A. Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2430). 8 Vgl. § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG sowie § 13a Abs. 9 Satz 4 f. ErbStG. 9 Vgl. Kußmaul/Müller, Ubg 2017, 328 (333). Die Abfindungsbeschränkung muss aber als solche geregelt sein. Ein lediglich zulässiger Verkauf unter dem gemeinen Wert reicht nicht aus. (A 13a.19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 2 AEErbSt 2017. 10 Vgl. § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG.

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29.126

§ 29 Rz. 29.126

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

auf den gemeinen Wert zur Berücksichtigung gesellschaftsvertraglicher Verfügungsbeschränkungen, sondern um eine Steuerbefreiung.1

29.127 Im Ergebnis akzeptiert der Gesetzgeber in den genannten Fällen eine Wertrelevanz und typisiert durch die neu geschaffene Steuerbefreiung die Fälle und Anlässe, in denen Verfügungsbeschränkungen Wertrelevanz für steuerliche Zwecke entfalten können.

VII. Auswirkungen unterschiedlicher Anteilsquoten 29.128 In Abhängigkeit des Anlasses einer Unternehmensbewertung kann es erforderlich sein, dass nicht das gesamte Unternehmen zu bewerten ist, sondern lediglich ein Anteil an diesem Unternehmen. In solchen Fällen stellt sich daher die Frage einer sachgerechten Anteilsbewertung (vgl. ausführlich Rz. 20.1 ff.).

29.129 Grundsätzlich kann bei einer Anteilsbewertung zwischen zwei Konzeptionen unterschieden werden.2 Kerngedanke einer indirekten Anteilsbewertung ist die quotale Aufteilung des Unternehmenswertes auf einzelne Anteile. Dieser Konzeption liegt die quotale Teilhabe einzelner Anteile an den finanziellen Überschüssen zugrunde. Dies entspricht auch dem Vorgehen bei einer objektivierten Bewertung unter Beachtung der Grundsätze des IDW S 1. Der objektivierte Anteilswert ergibt sich daher als quotaler Anteil am objektivierten Unternehmenswert.3

29.130 Im Gegensatz dazu wird bei der direkten Anteilsbewertung der Anteil als selbständig handelbares Gut aufgefasst. Sein Wert soll danach direkt aus dem Kurswert oder vergleichbaren Transaktionspreisen abgeleitet werden. Entspricht der Börsenwert dem Unternehmenswert, führen beide Konzeptionen zum gleichen Ergebnis.4 Diese Grundsätze entsprechen der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung, wonach jeder Gesellschafter bei gleichen Voraussetzungen wie die anderen Gesellschafter zu behandeln ist. In diesen Fällen wird daher von einem typisierten Anteilswert gesprochen, bei dem sich pro Aktie ein einheitlicher Wert ergibt.5

29.131 Unberücksichtigt bei der quotalen Aufteilung bleibt der Umstand, dass unterschiedliche Beteiligungshöhen Einflüsse auf die subjektive Wertschätzung haben können. Umfang und Richtung einer Anpassung sind jedoch nicht generell zu bestimmen. Auf der einen Seite kann ein größerer Anteil aufgrund der dadurch entstehenden Kontrollmöglichkeiten subjektiv mehr wert oder mit Nachteilen verbunden sein (Illiquidität, steuerliche Regelung).

29.132 Gleiches gilt auf der anderen Seite für Minderheitenanteile, bei denen Minderheitenabschläge aufgrund der fehlenden Kontrollmöglichkeiten oder positiver Lästigkeitsprämien subjektiv erklärbar sind.

29.133 Neben der Beteiligungshöhe kann es auf Ebene der Anteilseigner weitere Aspekte geben, die sich auf den subjektiven Wert der Anteile beziehen. Insbesondere können gesetzliche, ver1 Diese Regelung wird unter Gleichheitsgesichtspunkten dahingehend kritisiert, dass diese auf subjektive Kriterien beruht und damit im Widerspruch zum objektiven Marktpreis steht. Vgl. Viskorf in Viskorf u.a, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 9 BewG Rz. 10. 2 Vgl. Wiechers, Besonderheiten bei der Bewertung von Anteilen an Unternehmen, in Peemöller, S. 914. 3 Vgl. Simon/Leverkus in Simon, Anh § 11 SpruchG Rz. 12 ff. 4 Vgl. Simon/Leverkus in Simon, Anh § 11 SpruchG Rz. 12 ff. 5 Vgl. Wiechers, Besonderheiten bei der Bewertung von Anteilen an Unternehmen, in Peemöller, S. 917.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.138 § 29

tragliche oder faktische Verfügungsbeschränkungen in den Anteilen, Unterschiede bei der Gewinn- und Verlustallokation auf einzelne Anteilseigner oder weitergehende Einflussmöglichkeiten einzelner Anteilseigner jenseits des objektivierten Wertes Auswirkungen auf den Anteilswert haben.1 Für die steuerliche Akzeptanz oben genannter Zusammenhänge ist zu würdigen, inwieweit ein potentieller Erwerber derartige Aspekte in seinem Kaufpreiskalkül berücksichtigen würde. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte über ein tatsächliches Verhalten eines potentiellen Erwerbers vor, sind dazu Annahmen im Rahmen einer Schätzung zu treffen. Bildet man das Verhalten eines potentiellen Erwerbers durch einen typisierten Anteilseigner im Sinne der Grundsätze des IDW S 1 ab, würden sich in einem dann einschlägigen objektivierten Unternehmenswert keine Auswirkungen bei unterschiedlichen Anteilsquoten ergeben, weil die Grundsätze des IDW S 1 eine quotale Aufteilung des Gesamtwertes vorsehen.

29.134

Darüber hinaus sind steuerrechtlich weitere Vorgaben des Bewertungsgesetzes zu beachten. 29.135 Dieses sieht für steuerliche Bewertungsanlässe diesbezüglich weitere Schritte zur Ableitung des gemeinen Wertes eines Anteils vor, die in Abhängigkeit der gewählten Methode unterschiedliche Relevanz haben kann. § 11 Abs. 3 BewG gibt vor, bei besonderen Anlässen Paketzuschläge anzusetzen. Dies ist dann der Fall, wenn der gemeine Wert von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft infolge besonderer Umstände höher ist als der Wert, der sich aufgrund der Kurswerte oder der anderweitig ermittelten gemeinen Werte für die einzelnen Anteile insgesamt ergibt. Das Gesetz selbst nennt insbesondere als nicht abschließendes Beispiel die Beherrschung einer Gesellschaft aufgrund der Beteiligungshöhe. Die Finanzverwaltung greift diese Überlegung bereits bei Beteiligungsquoten ab 25 % auf und spricht sich für Zuschläge bis 25 % aus, wobei auch höhere Zuschläge im Einzelfall gerechtfertigt sein können.2 Etwas Ähnliches ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BewG. Danach ist der gemeine Wert 29.136 aus Verkäufen innerhalb des letzten Jahres herzuleiten. Die Formulierung „Ableiten“ bringt dabei zum Ausdruck, dass beobachtbare Preise nicht ohne weiteres übernommen werden müssen. Vielmehr können sich Anpassungen zwischen Mehrheits- und Minderheitsanteilen ergeben. Spiegelbildlich zum Paketzuschlag werden Abschläge bis zu 20 % als zulässig angesehen.3 Ermittelt der Steuerpflichtige den gemeinen Wert anhand der Ertragsaussichten gem. § 11 Abs. 2 BewG mit einem objektivierten Unternehmenswert, erfolgt keine Differenzierung in Abhängigkeit der Anteilsquote.

29.137

Im Ergebnis unterstellen die steuerlichen Regelungen damit eine typisierte Berücksichtigung 29.138 von Synergien, die bei beobachtbaren Preisen für Unternehmensanteile vermutet werden. Liegt der Preis für einen Unternehmensanteil vor, soll bei einem vorliegenden Minderheitenanteil dieser korrigiert um mögliche Synergieeffekte auf den Gesamtwert hochgerechnet bzw. aus beobachtbaren Preisen eines Mehrheitsanteils mit Abschlägen auf den Minderheitenanteil heruntergerechnet werden. Wirtschaftlich sachgerecht wäre dies jedoch nur, wenn bei der Preisfindung für den beobachtbaren Preis tatsächlich Abschläge aufgrund der Anteilsquote vorgenommen wurden.

1 Vgl. IDW Praxishinweise 1/2014, Rz. 56. 2 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien zu § 12 BewG 11.6. Abs. 9. 3 Vgl. BFH v. 23.2.1979 – II R 44/77, BStBl. II 1979, 618 (620).

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§ 29 Rz. 29.139

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.139 Im Gegensatz dazu sehen die steuerlichen Regelungen keinen expliziten Paketabschlag von einem errechneten Gesamtwert vor. Die grundsätzliche Möglichkeit eines Minderheitenabschlags aufgrund fehlender Kontrollmöglichkeit von einem errechneten Gesamtwert ist nach wohl herrschender Meinung nicht sachgerecht.1 Dafür spricht insbesondere der eindeutige Wortlaut des Gesetzes i.S.v. § 11 Abs. 3 BewG.

29.140 Neben der Ermittlung von gemeinen Werten spielt die Anteilshöhe auch eine Rolle bei den subjektiv geprägten Teilwerten. Anerkannt nach der Rechtsprechung ist, dass einer Beteiligung aufgrund ihrer funktionalen Bedeutung für den Gesellschafter ein höherer Wert beizumessen ist als deren Ertrags- bzw. Substanzwert.2 Dies setzt aber voraus, dass ein Dritter, der das Unternehmen der Klägerin als Ganzes gekauft hätte, deshalb einen über den Substanzwert der Beteiligung hinausgehenden höheren Wert als Kaufpreis bezahlt hätte.3 Davon kann nach Auffassung des BFH neben den konkreten wirtschaftlichen Vorteilen jedoch nur ausgegangen werden, wenn der Gesellschafter auf die Beteiligung Einfluss nehmen kann. Für eine solche Einflussnahme hat die effektive Beteiligungshöhe eine wichtige Bedeutung.

VIII. Besonderheiten bei Bewertungen anhand von Ertragsaussichten 1. Rückwirkende Bewertungsstichtage

29.141 Erfolgt eine Bewertung anhand der Grundsätze des IDW S 1 ist zu beachten, dass diese in den letzten Jahren regelmäßig an die aktuelle Gesetzeslage angepasst wurden. Die Anpassungszeitpunkte gehen dabei einher mit einer Umstellung auf ein jeweils neues Steuerregime. Die aktuelle Fassung des IDW S 1 resultiert z.B. aus dem Jahr 2008 und berücksichtigt die Auswirkungen aus der Einführung der Abgeltungssteuer.4

29.142 Eine solche Anpassung in Abhängigkeit des Steuerregimes ist notwendig, weil neben der expliziten Besteuerung der Zählergröße auch die Auswirkungen auf die Ableitung des Nenners zu beachten sind. Im Zusammenhang mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens ist dazu das TAX-CAPM eingeführt worden, um die Effekte persönlicher Steuerlasten unter diesem Steuerregime zu modellieren. Seit diesem Zeitpunkt gibt das IDW zwei Empfehlungen zur Verwendung einer Marktrisikoprämie ab, die sich neben dem allgemeinen CAPM auch auf das TAX-CAPM beziehen.5 Bei Einführung der Abgeltungssteuer wurden diese Empfehlungen entsprechend aktualisiert.6

1 Vgl. BFH v. 28.3.1990 – II R 108/85, BStBl. II 1990, 493 (494) = GmbHR 1990, 474; Mannek in Gürsching/Stenger, § 11 BewG Rz. 456; v. Oertzen/Zens, DStR 2005, 1040 (1043) m.w.N.; offen Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, § 12 ErbStG Rz. 322. 2 Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274 (275-276); BFH v. 31.10.1978 – VIII R 124/74, BStBl. II 1979, 108 (109). 3 Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274 (275-276). 4 Davor wurde der IDW S 1 in 2005 geändert, um die Auswirkung des Halbeinkünfteverfahrens aufzugreifen. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Fassung aus dem Jahre 2000, in dem erstmalig die persönliche Besteuerung unter Beachtung des Anrechnungsverfahrens in dem Standard selber reflektiert wurde. 5 Vgl. WP Handbuch 2008 Band II, Kapitel A, Rz. 299; Jonas/Löffler/Wiese, WPg 2004, 898 (901). 6 Vgl. IDW Hinweise des FAUB zu den Auswirkungen der Finanzmarkt- und Konjunkturkrise auf Unternehmensbewertungen, FN-IDW 2009, 696 (697); Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731 (739-741); Zeidler/Schöniger/Tschöpel, FB 2008, 276 (276 ff.).

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.148 § 29

Für die Bewertung anhand der Ertragsaussichten unter Beachtung der Grundsätze des IDW S 1 ist daher zu beachten, welche Fassung dieser Grundsätze anzuwenden ist. Während sich aktuelle Bewertungen auf die jeweils aktuellen Grundsätze beziehen, können sich bei steuerlichen Bewertungen Besonderheiten ergeben.

29.143

Diese bestehen darin, dass die Bewertungsergebnisse teilweise erst Jahre später im Rahmen einer Betriebsprüfung überprüft werden (sog. rückwirkende Überprüfung). Zu den Fragen einer rückwirkenden Anwendung von Bewertungsgrundsätzen gibt es eine gesellschaftsrechtlich entwickelte Rechtsprechung. Der BGH bejaht dabei die rückwirkende Anwendung von Berechnungsweisen, die erst nach dem Bewertungsstichtag entwickelt wurden.1 Eine entsprechende steuerliche Rechtsprechung liegt zu diesem Themenkomplex nicht vor. Daher bedarf es einer differenzierten Betrachtung einzelner Aspekte.

29.144

Entsprechend der Ausführungen zum Stichtagsprinzip sind dabei die grundsätzlichen Verhältnisse zum Stichtag maßgeblich. Dies ergibt sich bereits aus der allgemein anerkannten Wurzeltheorie. Fraglich ist, wie weit der Begriff der Verhältnisse gesehen wird und ob auch Bewertungsmethoden von dieser Wurzeltheorie erfasst sind.

29.145

In dem Zeitraum der rückwirkenden Betrachtung können sich z.B. betriebswirtschaftliche Methoden weiterentwickelt haben, die es erlauben, die Verhältnisse zum damaligen Stichtag sachgerechter wiederzugeben.2 Eine Anwendung neuerer betriebswirtschaftlicher Methoden im Rahmen einer rückwirkenden Überprüfung wird dabei allgemein als sachgerecht betrachtet3 (vgl. Rz. 14.71).

29.146

Unkritisch für eine steuerlich relevante rückwirkende Überprüfung eines Unternehmenswertes ist die Frage einer Erfassung des zum Bewertungsstichtag geltenden Steuerregimes und der damals geltenden Steuersätze. Damit einhergehen auch die Auswirkungen auf die Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes und insbesondere auf die Einschätzung der Marktrisikoprämie. Liegt der Bewertungsstichtag z.B. in einem Veranlagungszeitraum, in dem das Halbeinkünfteverfahren galt, sollten auch das TAX-CAPM und die korrespondierenden Empfehlungen des IDW zur Marktrisikoprämie angewendet werden.4

29.147

Die gesellschaftsrechtlich entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 15.1 ff.) sollten aber in folgenden Fällen nicht unreflektiert für steuerliche Überprüfungen herangezogen werden. Steuerliche Bewertungsfragen werden häufig auch vor dem Hintergrund einer verdeckten Gewinnausschüttung erörtert. Bei dieser ist die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns zugrunde zu legen, die der Steuerpflichtige mit einem Gutachten zum Bewer-

29.148

1 Vgl. BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114. 2 Ein Beispiel ist die Ableitung des Basiszinssatzes anhand von Zinsstrukturkurven. Dies wurde erstmalig im IDW S 1 (2005) verankert. Da die in der Praxis verwendeten Zahlen der Bundesbank auch für frühere Zeitpunkte vorliegen, erlaubt die Verwendung von Zinsstrukturkurven eine sachgerechte Ableitung von Basiszinssätzen in der Vergangenheit. 3 Vgl. LG Bremen v. 18.2.2002 – 13 O 458/96, AG 2002, 214 (215). Ferner Dörschell/Franken, DB 2005, 2257 (2257-2258); Lenz, WPg 2006, 1160 (1160 ff.). Anderer Meinung BayObLG v. 25.10.2005 – 3Z BR 71/00, DB 2006, 39 (39-40) = AG 2006, 41. 4 Die Maßgeblichkeit des zum Bewertungsstichtag gültigen Steuerregimes als auch eine dazu äquivalente Ableitung der Kapitalisierungszinssätze wird dabei nicht in Frage gestellt. Kritisch diskutiert wird für den Zeitraum 2001 bis 2004 die konkrete Berechnungsweise. Vgl. dazu auch die Darstellung einzelner Argumente bei Popp, WPg 2017, 850 sowie zum Hintergrund Popp, Der Konzern 2015, 193.

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§ 29 Rz. 29.148

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

tungsstichtag nachgekommen ist. Ist Gegenstand der steuerlichen Überprüfung daher nicht der Unternehmenswert, sondern ein vom Steuerpflichtigen vorgelegtes Gutachten, ist vielmehr zu überprüfen, ob dieses Gutachten aus damaliger Sicht nicht zu beanstanden war.1 Dieses ist dadurch zu begründen, dass bereits vor der Erbschaftsteuerreform der Steuerpflichtige einen Wertansatz durch ein methodisch nicht zu beanstandendes Gutachten nachweisen konnte.2 Auch hat der Gesetzgeber weder in der aktuellen Gesetzeslage noch zu früheren Zeitpunkten eine einzige Methode vorgeschrieben, sondern auch einen Methodenpluralismus akzeptiert. 2. Personenbezogene Faktoren

29.149 Erfolgt die Ermittlung des gemeinen Wertes anhand der Ertragsaussichten wird in der Praxis häufig eine Bewertung nach den Grundsätzen des IDW Standards Nr. 1 vorgenommen. Besonderheiten ergeben sich dabei insbesondere bei der Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), weil deren Bewertung häufig vor einem steuerlichen Hintergrund erfolgt.3 Darüber hinaus ist bei den folgenden Besonderheiten zu hinterfragen, ob und inwieweit diese wertkonzeptionell bei der steuerlichen Ermittlung des gemeinen Wertes heranzuziehen sind.4

29.150 Ein Wesensmerkmal des gemeinen Wertes ist die Ausrichtung an einen potentiellen Erwerber. Hinsichtlich einer Bewertung anhand von Ertragsaussichten ergibt sich daraus die Forderung, diejenigen erwarteten Überschüsse zu berücksichtigen, die auch ein potentieller Erwerber im Rahmen des normalen Geschäftsbetriebs vergüten würde. Voraussetzung für eine solche Vergütung ist, dass die den Ertragsaussichten zugrunde liegende Ertragskraft auf einen Erwerber übertragbar ist.5

29.151 Dieser Grundsatz ist auch dem IDW Standard Nr. 1 immanent. So stellt dieser Standard zur Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte auf die den Unternehmen innewohnende und übertragbare Ertragskraft ab.6 Erfolgt eine Unternehmensbewertung unter der Annahme einer unendlichen Lebensdauer wird damit unterstellt, dass die vorhandene Ertragskraft vollständig übertragbar ist und dauerhaft einem Erwerber zur Verfügung steht. Insbesondere bei KMU ist eine solche Annahme nicht undifferenziert zu übernehmen. Wesensmerkmal für KMU ist vielmehr eine hohe Abhängigkeit von einzelnen wenigen immateriellen Faktoren, die durch die prägende Tätigkeit des Eigentümers bedingt ist. Diesen Faktoren ist gemein, dass sie sich aufgrund der engen Bindung an den Eigentümer ohne seine Unterstützung zukünftig verbrauchen. In vielen Fällen ermöglicht nur die Tätigkeit des Eigentümers den Erhalt derartiger Erfolgsfaktoren.7

1 Vgl. Einzelheiten bei Kohl/Schilling, WPg 2007, 70 (73 ff.). 2 Vgl. FG Niedersachsen v. 11.4.2001 – 6 K 611/93, DStRE 2001, 24 (25-26); FG Hessen v. 15.5.2001 – 4 V 5281/00, EFG 2001, 1163 (1163 ff.) = GmbHR 2001, 990. 3 Die Bedeutung der Bewertung kleinerer und mittlerer Unternehmen wird an der Genesis des für diese Unternehmen maßgeblichen Praxishinweises 1/2014 deutlich. Dieser entstand in Zusammenarbeit zweier Arbeitsgruppen von IDW sowie der Bundesssteuerberaterkammer. Die Bundessteuerberaterkammer hat mit Datum v. 8.4.2014 einen gleichlautenden Hinweis veröffentlicht. 4 Bespiele für eine sachgerechte Anwendung finden sich bei Kohl, WPg 2018, 146 sowie Franken/ Schulte/Rowoldt, WPg 2018, 38. 5 So auch Horn in Fischer/Pahlke/Wachter, § 12 Tz. 294. 6 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 81. 7 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 25-27.

998

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.155 § 29

Für die Bewertung eines KMU ist daher zu analysieren, ob dieses über eine vollständig übertragbare oder lediglich über eine partiell oder temporär übertragbare Ertragskraft verfügt. Bei einer vollständig übertragbaren Ertragskraft lässt sich diese auch bei einem Gesellschafterwechsel und einem Ausscheiden des Eigentümers langfristig aufrechterhalten. Personenbezogene Einflüsse wären in diesen Fällen nicht zu eliminieren.1

29.152

Insbesondere bei KMU ist diese Annahme kritisch zu hinterfragen. Im Regelfall ist der bewertungsrelevante Goodwill bei KMU weit weniger gefestigt als bei Großunternehmen und kann sich genauso schnell verflüchtigen wie er entstanden ist. Während der Goodwill i.d.R. bei Großunternehmen eine sich ständig regenerierende sowie vom Eigentümer unabhängige Größe ist, spiegelt der Goodwill eines mittelständischen Unternehmens ein personenbezogenes Wertpotential wider, das sich auf einem Vertrauensverhältnis von Kunden und Lieferanten mit dem Eigentümer gründet.2 Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass häufig nur eine partiell oder temporär übertragbare Ertragskraft vorliegt. Das IDW geht von einer partiell oder temporär übertragbaren Ertragskraft aus3, wenn der Eigentümer

29.153

– als Hauptleistungserbringer wirkt, dessen Leistung prägend für den Unternehmenserfolgt ist (z.B. Freiberufler, Handwerker), oder – Träger von bestimmtem Know-how ist oder – als Verkaufs- oder Geschäftsleiter hohen Einfluss auf immaterielle Faktoren wie Kundenstamm oder Marketingeffekte hat oder – als Vertrauensperson gegenüber den Mitarbeitern wirkt und so einen hohen Wert eines Mitarbeiterstammes erzeugt. Das Ausscheiden des Unternehmers aus der Unternehmung kann in diesen Fällen dazu führen, dass das bislang erfolgreiche Fortbestehen infrage steht. Gerade wenn der bisherige Unternehmer aus seiner zentralen Position ausscheidet, wie z.B. bei Veräußerung oder Vererbung, sind die Auswirkungen für die künftige Ertragskraft zu beleuchten, da der Unternehmer regelmäßig in der Rolle der „Schlüsselperson“ der bedeutsame Erfolgsfaktor für den Klein- und Mittelbetrieb ist.4 Die zukünftige Unternehmensentwicklung kann unter diesen Bedingungen nicht vereinfachend als Extrapolation der Vergangenheit verstanden werden.

29.154

Für die Bewertung von KMU ist daher zu analysieren, ob und inwieweit sich die identifizierten Erfolgsfaktoren nach einem Ausscheiden des Eigentümers erhalten lassen oder ob sich diese über einen bestimmten Zeitraum nach einem Ausscheiden verbrauchen werden. Stehen derartige Erfolgsfaktoren nicht mehr oder nicht vollständig zur Verfügung (partielle Übertragbarkeit), wären diese bei der Preisfindung vollständig zu eliminieren. Stehen sie dagegen für eine bestimmte Zeit noch zur Verfügung (temporäre Übertragbarkeit), wären sie im Planungszeitraum abzuschmelzen.5

29.155

1 Vgl. Ballwieser u.a, WPg 2014, 463 (466). 2 Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 55; Meis, Existenzgründung durch Kauf eines kleinen oder mittleren Unternehmens, S. 170. 3 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 25. 4 Vgl. Nestler, BB 2012, 1271 (1273). 5 Vgl. Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (466 f.).

Kohl 999

§ 29 Rz. 29.156

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.156 Als Indikator für die Länge des Abschmelzzeitraums werden folgende Indikatoren genannt: – Vertragslaufzeiten und erwartete Vertragsverlängerungen – typische Produktlebenszyklen – voraussichtliches Verhalten von Wettbewerbern – Abhängigkeit des Kunden (wirtschaftlich, rechtlich, technisch) – Eintrittsbarrieren von Wettbewerbern – Demografische und biometrische Aspekte in der Kundenstruktur

29.157 Der Finanzverwaltung ist ein solches Vorgehen grundsätzlich nicht fremd. Auch im Rahmen der Funktionsverlagerung ist seitens der Finanzverwaltung anerkannt, dass der Wert einer Funktion sich anhand eines immateriellen Wirtschaftsgutes zzgl. der übrigen Wirtschaftsgüter (erfasst im steuerbilanziellen Buchwert) ergibt. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass die maßgebliche Ertragskraft sich im Zeitablauf abbauen kann, sofern diese auf einzelne Faktoren mit begrenzten Laufzeiten zurückgeht. Unterschiede ergeben sich dagegen in der Frage der Anwendbarkeit. Diese ist im Rahmen der Funktionsverlagerung stärker an typisierende Ausprägungen gebunden, z.B. dem Vorliegen eines immateriellen Wirtschaftsgutes. Im Rahmen von Unternehmensbewertungen bleibt die Ableitung zukünftiger Zahlungsströme im Rahmen einer ganzheitlichen Planungsrechnung dagegen die Grundlage. Einzelheiten werden in § 5 dargestellt. 3. Tätigkeitsvergütungen

29.158 Wesentlich bei der Ermittlung der künftigen finanziellen Überschüsse von KMU ist auch, den Unternehmerlohn als Aufwand angemessen zu berücksichtigen. Insbesondere bei KMU ist häufig der Fall anzutreffen, dass der Gesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer des Unternehmens ist. Steuerliche Vorschriften zur Behandlung des Unternehmenslohns in diesem Fällen können dazu führen, dass kein oder ein nicht angemessener Unternehmerlohn bezahlt wird. Die persönlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Beziehungen sowie das persönliche Engagement der Eigentümer sind darüber hinaus von herausragender Bedeutung für den Unternehmenserfolg.

29.159 Aus der Wertkonzeption des gemeinen Wertes, einen Preis eines potentiellen Erwerbers im Rahmen einer Veräußerung zu ermitteln, ergibt sich die Notwendigkeit sowohl den Verbleib des bisherigen Geschäftsführers in dem Unternehmen als auch seine Bezahlung zu hinterfragen. Soweit die Tätigkeit des bisherigen Eigentümers in der Ergebnisrechnung nicht oder durch einen nicht marktgerechten Unternehmerlohn berücksichtigt worden ist, sind die künftigen finanziellen Überschüsse entsprechend zu korrigieren.1

29.160 Die Höhe des Unternehmerlohns wird nach der marktüblichen Vergütung bestimmt, die eine nicht beteiligte Geschäftsführung erhalten würde. Neben dem Unternehmerlohn kann auch fiktiver Lohnaufwand für bislang zu nicht marktgerechten Konditionen mitarbeitende nahestehende Personen des Eigentümers zu berücksichtigen sein.2

1 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 40 ff. 2 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 40.

1000

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.164 § 29

Bei der Bemessung des Unternehmerlohns kann neben internen Betriebsvergleichen insbe- 29.161 sondere auf statistische Untersuchungen von Branchenverbänden oder Veröffentlichungen in Fachzeitschriften abgestellt werden. Auf den Ansatz von kalkulatorischen Vergütungen kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn sich hierdurch negative finanzielle Überschüsse ergeben. Als Anhaltsgröße für die Bestimmung eines angemessenen Unternehmerlohns kann die Vergütung herangezogen werden, die ein nicht am Unternehmen beteiligter Geschäftsführer als Bezüge erhalten würde.1 Dieser Wert ist ggf. um Zu- oder Abschläge zu korrigieren, um z.B. einem außergewöhnlich starken oder auch geringen zeitlichen Einsatz sowie besonderen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten der Unternehmenseigner Rechnung zu tragen.2 Besteht hingegen eine Verpflichtung des Eigentümers, nach dem Bewertungsstichtag für das 29.162 Unternehmen tätig zu sein, ist dies für die voraussichtliche Dauer dieser Verpflichtung zu berücksichtigen.3 Die Verpflichtung kann sich zum einen darauf beziehen, zu nicht marktgerechten Konditionen tätig zu werden. Zum anderen kann sich die Verpflichtung darauf beziehen, zu marktgerechten Konditionen überhaupt für das Unternehmen tätig zu werden. Erbringt der Gesellschafter über eine angemessene Vergütung hinaus Wertbeiträge für das zu bewertende Unternehmen (insbesondere solche, die im Rahmen der Abgrenzung der übertragbaren Ertragskraft zu eliminieren wären), sind diese über den Zeitraum der Verpflichtung zu erfassen. 4. Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes Nach den Grundzügen des IDW S 1 kann bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes eine marktgestützte Risikozuschlagsermittlung auf Basis des Capital Asset Pricing Models (CAPM) oder des Tax-Capital Asset Pricing Models (Tax-CAPM) vorgenommen werden.4 Kernaussage ist, dass sich im Kapitalmarktgleichgewicht die Renditeerwartung für ein risikobehaftetes Wertpapier aus der Addition eines risikolosen Zinssatzes und einer Risikoprämie ermittelt. Die erwartete Risikoprämie berechnet sich dabei aus der Marktrisikoprämie, die am Kapitalmarkt für die Übernahme des systematischen Risikos gezahlt wird, multipliziert mit dem Beta-Faktor als Maß für die Risikohöhe des Wertpapiers.5

29.163

Da die klassischen KMU nicht börsennotiert sind, werden zur Ableitung der benötigten Be- 29.164 ta-Faktoren sog. Gruppen von Vergleichsunternehmen (Peer-Gruppe) gebildet. Um die Vergleichbarkeit der Peer-Gruppe zu gewährleisten, sind hierbei Unternehmen einzubeziehen, deren Geschäftsmodell weitestgehend mit dem Bewertungsobjekt vergleichbar ist. Weitere gutachterliche Anpassungen beim unternehmensspezifischen Risikozuschlag sind hierbei grundsätzlich nach dem IDW denkbar.6 Als Beispiel führt das IDW ausdrücklich eine Bandbreitenbetrachtung der Betafaktoren auf. So kann es in Einzelfällen zur Herstellung der Ver-

1 2 3 4 5

Vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 23. Vgl. Castedello in Bewertung und Transaktionsberatung, Kapitel A, Rz. 50 f. Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 34. Vgl. IDW S 1 i.d.F.2008, Rz. 92. Gemäß dem Modell ist das Marktportfolio die Vereinigung sämtlicher am Markt gehandelter Wertpapiere, die mit ihren Marktwerten ein gewichtetes Portfolio bilden. Vgl. Steiner/Bruns/Stöckl, Wertpapiermanagement, S. 24. 6 Vgl. IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards: 7.2.4.1. Kapitalisierungszinssatz bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte.

Kohl 1001

§ 29 Rz. 29.164

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

gleichbarkeit sachgerecht sein, nicht den Mittelwert der beobachtbaren Betafaktoren heranzuziehen, sondern von diesen abzuweichen und sich den Enden der Bandbreite zu nähern. Gründe für ein solches Vorgehen können z.B. in der Rentabilität, der Volatilität der Ergebnisse oder anderen Aspekten bestehen.1

29.165 In der Praxis wird neben der Vergleichbarkeit in diesem Kontext regelmäßig eine Diskussion um pauschale Wertabschläge aufgrund von Unternehmensgrößen bei KMU („size effect“ oder „small firm effect“) geführt. Aufbauend auf den Untersuchungsergebnissen insbesondere amerikanischer Studien wird die Ansicht vertreten, dass im langfristigen Durchschnitt kleinere Unternehmen signifikant höhere Renditen erzielen als große Unternehmen. Demzufolge wird die These größenabhängiger Zuschläge auf die Eigenkapitalkosten vertreten.2

29.166 Erklärungsversuche für die Anomalie des Size-Effects wurden zahlreich erarbeitet. Allerdings erweist sich die Größenprämie als nicht stabil und kehrt sich im Zeitablauf tendenziell um.3 Auch nach Ansicht des IDW ist die Validität des Size-Effects zweifelhaft. So wird die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die deutschen Marktverhältnisse bezweifelt. Auch die Modifikation an den Kapitalmarktmodellen aufgrund des Size-Effects wird im Lichte der geltenden theoretischen Erkenntnisse kritisch gesehen. Demzufolge wird die Verwendung des Size-Premiums vom IDW verneint.4

29.167 Derartige pauschale Zuschläge werden auch von der Finanzverwaltung kritisch gesehen. 5. Eingeschränkte Diversifikation

29.168 Ein weiterer Diskussionspunkt bzgl. der Erweiterung des Kapitalmarktmodells bei KMU entzündet sich am Gesichtspunkt eingeschränkter Risikodiversifikation und Berücksichtigung unsystematischer Risiken.5 Gemäß dem CAPM werden unsystematische Risiken (spezielle Unternehmensrisiken) vom Kapitalmarkt nicht vergütet, da diese durch Diversifikation eliminiert werden können. Eine vollständige Diversifizierung ist für den Eigentümerkreis der KMU oftmals nicht möglich. Unter dem Hinweis, dass der typische Gesellschafter eines mittelständischen Unternehmens, der den überwiegenden Teil seines Vermögens in der Unternehmung bindet, wird ein höheres Gesamtrisiko vermutet.6 Demzufolge ist im Falle dieser unterdiversifizierten Investoren auch eine Prämie für die Übernahme der unsystematischen Risiken zu vergüten.7

1 Vgl. Dörschell, Sonderfragen der Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, in Baetge/Kirsch, Aktuelle Herausforderungen für den Mittelstand im Kontext zunehmender Internationalisierung, S. 152. 2 Eine Übersicht entsprechender Quellen findet sich bei Jonas, WPg 2011, 299 (305-306). 3 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 379. 4 Vgl. IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards: 7.2.4.1. Kapitalisierungszinssatz bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte. 5 Vgl. Ihlau in Bewertung und Transaktionsberatung, Kapitel B, Rz. 61 ff. 6 Eine Darstellung der Quellen findet sich bei Jonas, WPg 2011, 299 (306). 7 Vgl. Gleißner/Wolfrum, FB 2008, 602 (604); Balz/Bordemann, FB 2007, 737; Kratz/Wangler, FB 2005, 169 (171).

1002

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.173 § 29

Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird in der Literatur das Konzept des Total Beta erörtert.1 Demnach werden die Renditeerwartungen der gering diversifizierten Unternehmenseigner aus dem Verhältnis der Standardabweichung der Unternehmensentwicklung zur Standardabweichung der Marktrendite abgeleitet. Die Korrelation der Rendite eines KMU mit der des Marktportfolios spielt dann keine Rolle.2

29.169

In den berufsständischen Verlautbarungen des IDW wird bei der Würdigung des Ansatzes nach einzelnen Wertkonzepten differenziert. Danach kann das Total-Beta-Konzept für subjektive Entscheidungsfindungen herangezogen werden, um möglichen individuellen Gesichtspunkten gerecht zu werden.3 Im Falle der objektivierten Unternehmensbewertungen i.S.d. IDW S 1 erscheint das Konzept dagegen nicht anwendbar, da diese aus der Perspektive eines typisierten (diversifizierten) Investors vorzunehmen sind.4

29.170

Insbesondere vor dem Hintergrund des Konzeptes des gemeinen Wertes erscheint dieses Vorgehen sachgerecht, da eine Bewertung aus der Perspektive eines potentiellen Erwerbers vorgenommen werden soll. Bei einem solchen Investor ist im Regelfall davon auszugehen, dass dieser entsprechend diversifiziert ist.

29.171

6. Mangelnde Fungibilität Unter Fungibilität wird allgemein die Fähigkeit verstanden, Eigentumsrechte an einer Gesell- 29.172 schaft zeitnah, sicher und ohne wesentliche Transaktionskosten veräußern zu können.5 Derartige Aspekte einer eingeschränkten Fungibilität sind abzugrenzen von Verfügungsbeschränkungen, die als persönliche Verhältnisse eingestuft werden und gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht erfasst werden dürfen. Unter mangelnder Fungibilität sind daher diejenigen Faktoren zu subsumieren, die sich auf die allgemeine Beschaffenheit der Unternehmensanteile z.B. in Form einer Börsennotierung bezieht. Diese betreffen grundsätzlich alle Anteilseigner und damit insbesondere auch einen potentiellen Erwerber. Vertragliche Verfügungsbeschränkungen werden dagegen von der Rechtsprechung als persönliche Verhältnisse angesehen und betreffen ausschließlich die Person des konkreten Verkäufers. Zur weiteren Abgrenzung wird auf den Abschnitt VI. (Rz. 29.106 ff.) verwiesen. Verbunden mit der Fähigkeit, Eigentumsrechte zu übertragen, ist eine Unsicherheit über Zeitpunkt, Preis und den damit verbundenen Kosten einer Veräußerung. Ausgehend von der Überlegung, dass beobachtbare Kapitalmarkttitel im Regelfall liquider sind als Eigentumsrechte an einem KMU, wird als bewertungsrelevante Risikokategorie die geringere Liquidität (Mobilität, Fungibilität) der KMU diskutiert. Zwar fallen Transaktionskosten auch bei öffentlich gehandelten Kapitalmarkttitel an, jedoch gestaltet sich bei KMU-Eigentumsrechten aufgrund fehlender Standardisierung und Intermediäre deren Kauf bzw. Verkauf regelmäßig kostenintensiver. Ursachen für höhere Kosten werden in der fehlenden Standardisierung und in den fehlenden Intermediären gesehen.6 1 Vgl. Hachmeister, Herausforderungen bei der Bewertung von KMU: Risikozuschlag, DStR 2014, 488 (492 f.). Ferner Dörschell, Sonderfragen der Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, in Baetge/Kirsch, Aktuelle Herausforderungen für den Mittelstand im Kontext zunehmender Internationalisierung, S. 155. 2 Vgl. Nestler, BB 2012, 1271 (1274); Jonas, WPg 2011, 299 (307). 3 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 123. 4 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 114. 5 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 51. 6 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 110.

Kohl 1003

29.173

§ 29 Rz. 29.174

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.174 Um die Risikoäquivalenz zwischen Zähler und Nenner sicherzustellen, werden vor diesem Hintergrund in der Bewertungspraxis von KMU regelmäßig pauschale Modifikationen diskutiert. Diese Adjustierung setzt dabei entweder als Liquiditätszuschlag am Zins oder als Liquiditätsabschlag bei den Cashflows an. Gelegentlich werden auch Wertabschläge vom berechneten Unternehmenswert vorgenommen. Die theoretische Fundierung derartiger pauschale Abschläge ist jedoch fraglich.1

29.175 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sich grundsätzlich jeder Vermögensgegenstand veräußern lässt, vorausgesetzt der bisherige Eigentümer akzeptiert den aufgerufenen Preis eines kaufwilligen Interessenten. Zur Erfassung einer mangelhaften Fungibilität sind daher Annahmen hinsichtlich des Zeitpunkts, des möglichen Verkaufspreises und der resultierenden Transaktionskosten notwendig.

29.176 Lassen sich diese Punkte nicht durch tatsächlich gezahlte Preise nachweisen, wären sie für einen potentiellen Erwerber zu schätzen. Im Rahmen einer objektivierten Bewertung wird dabei von einer grundsätzlich unbegrenzten Lebensdauer ausgegangen. Kommt es zu einem Abweichen von diesem Grundsatz, berechnet sich der Unternehmenswert aus dem Barwert der künftigen finanziellen Überschüsse zzgl. des Barwertes der Überschüsse, die aus dem Verkauf des Unternehmens resultieren. Die daraus resultierenden Unsicherheiten über Beendigungszeitpunkt und Höhe der finanziellen Überschüsse sind vergleichbar mit der Erzielung künftiger finanzieller Überschüsse bei Fortführung.2

29.177 Hinsichtlich möglicher Kosten hat die unterstellte Haltedauer des jeweiligen Gutes eine hohe Bedeutung. Es kann vermutet werden, dass bei kürzeren Haltedauern höhere Kosten entstehen. Teilweise können auch kompensierende Effekte eintreten, wenn z.B. steuerlich bedingte Veräußerungskosten bei einer Veräußerung anfielen, die dann zu einer längeren Haltedauer führen können. Ein Erwerber würde in seinem Kaufpreiskalkül daher seine Veräußerungskosten als auch die Kosten seines Nachfolgers in Betracht ziehen.3 Im Rahmen einer objektivierten Bewertung, bei der ein typisierter Anteilseigner unterstellt wird, wären auch mögliche Transaktionskosten nur in einem typisierten Umfang zu berücksichtigen. Derartige Transaktionskosten dürfen daher im Rahmen solcher objektivierter Bewertungen mangels theoretischer Fundierung nicht in Form eines Risikozuschlags zu den nach CAPM oder TAX-CAPM ermittelten Kapitalkosten erfasst werden.4

29.178 Im Rahmen subjektiver Bewertungen wären dagegen individuelle Annahmen zu oben genannten Prämissen möglich.5 Es ist vielmehr in diesem Kontext zwischen einer objektivierten Wertermittlung und einer Nachbildung der Preisfindungsmechanismen zu unterscheiden. Anders als bei einem potentiellen Erwerber werden bei einem subjektiven Unternehmenswert die konkreten Annahmen einer einzelnen bekannten Person herangezogen.

29.179 Auch aus der hier maßgeblichen Perspektive eines potentiellen Erwerbers ist für die Ermittlung eines gemeinen Wertes davon auszugehen, dass dieser eine entsprechende Unsicherheit

1 Vgl. insb. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 108 ff. Ferner Dörschell/Franken/ Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 376–378. 2 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 38-39. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 110. 4 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 51. 5 Vgl. IDW, Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW Standards: 7.2.4.1. Kapitalisierungszinssatz bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte.

1004

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.185 § 29

bei einem späteren Verkauf dem Grunde nach erfassen würde. Sofern sich diese Unsicherheit der Höhe nach nicht in Form von getätigten Kaufpreisen ermitteln lässt, ist diese im Rahmen der Ertragsaussichten in Form von Zeitpunkt, Preis und Kosten einer möglichen späteren Veräußerung in dem oben beschriebenen Maße typisierend zu schätzen.

IX. Vereinfachtes Ertragswertverfahren 1. Überblick Seit der Erbschaftsteuerreform 2009 ist für die Bewertung von Unternehmen zukünftig auf die Ertragsaussichten des Bewertungsobjektes oder auf anderweitige für Zwecke der Kaufpreisfindung etablierte Bewertungsverfahren abzustellen. Anders als bei dem früheren Stuttgarter Verfahren ist zudem in Form des vereinfachten Verfahrens ein typisiertes Verfahren in das Bewertungsgesetz aufgenommen worden, welches auf den Grundsätzen des Ertragswertgedanken basiert. Diese Grundsätze wurden auch in der Erbschaftsteuerreform 2016 beibehalten. Es erfolgte jedoch eine Aktualisierung hinsichtlich der maßgeblichen Kapitalkosten.

29.180

Ursprünglich war das vereinfachte Verfahren für rein erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke konzipiert worden. Mittlerweile sieht die Finanzverwaltung auch eine Anwendung für ertragsteuerliche Zwecke vor.1

29.181

Das Bewertungsgesetzt schreibt die Anwendung des vereinfachten Verfahrens nicht vor. Es handelt sich nach der Gesetzesbegründung um ein „Angebot“ an den Steuerpflichtigen bzw. an das Finanzamt. Es soll die Möglichkeit bieten, den Unternehmenswert ohne hohen Ermittlungsaufwand zu schätzen.2 Im Hinblick auf die Beweislasten vgl. nachfolgende Ausführungen.

29.182

Die gesetzlichen Grundlagen des vereinfachten Ertragswertverfahrens sind in den §§ 199 ff. BewG enthalten. Nach § 200 Abs. 1 BewG ergibt sich der Ertragswert als Produkt aus einem nachhaltig erzielbaren Jahresergebnis sowie dem Kapitalisierungsfaktor.

29.183

Bei der Ermittlung des nachhaltig erzielbaren Jahresergebnisses wird auf eine Reihe von Typisierungen zurückgegriffen. Danach soll nach dem Willen des Gesetzgebers der nachhaltig erzielbare Jahresüberschuss anhand der letzten drei vergangenen Wirtschaftsjahre ermittelt werden, die in einen ungewogenen Durchschnitt gesetzt werden.

29.184

Zur Ermittlung des Betriebsergebnisses soll dabei gem. § 202 BewG auf den bereinigten Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG abgestellt werden. In tabellarischer Form stellt sich das Betriebsergebnis in Anlehnung an § 202 BewG wie folgt dar:3

29.185

1 Eine Klarstellung erfolgte im BMF-Schreiben v. 22.9.2011 zur Bewertung von Unternehmen und Anteilen an Kapitalgesellschaften; Anwendung der bewertungsrechtlichen Regelungen für ertragsteuerlicher Zwecke, BStBl. I 2011, 859. Bereits im Gesetzgebungsverfahren war eine Einschränkung auf rein erbschaftsteuerliche Zwecke verworfen worden. (Vgl. JStG 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768). Dies entspricht auch dem allgemeinen Verweis des § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG auf die maßgeblichen Vorschriften der §§ 199 ff. BewG. 2 Vgl. Bericht des BT-FinanzA, BT-Drucks. 16/11107 zu § 199 BewG. Vgl. ferner Drosdzol, DStR 2011, 1258 (1260). 3 Vgl. Kohl/Schilling, StuB 2008, 909 (914).

Kohl 1005

§ 29 Rz. 29.185

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG +/- Sonder-/Teilwertabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Teilwertzuschreibungen + Absetzungen Geschäfts- oder Firmenwert sowie firmenwertähnlicher Wirtschaftsgüter +/- Einmalige Veräußerungsverluste/-gewinne + a.o. Aufwendungen/Erträge +/- Im Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG fehlende, aber wiederkehrende/enthaltene, nicht zu erwartende InvZul +/- Ertragsteueraufwand/Erträge aus Erstattung von Ertragsteuern +/- Aufwendungen/Erträge i. Zshg. mit Vermögen i.S.d. § 200 Abs. 2–4 BewG sowie übernommene Beteiligungsverluste Angemessener Unternehmerlohn, soweit unberücksichtigt +/- Sonstige wirtschaftlich nicht begründete Vermögensänderungen = Betriebsergebnis vor pauschalierten Steuern 30 % pauschalierte Ertragsteuern =

Betriebsergebnis

29.186 Von den Korrekturen ist daher auch das außerordentliche Ergebnis erfasst, welches sich am Gliederungsschema des § 277 Abs. 4 HGB orientieren soll. Im Sinne des handelsrechtlichen Ausweises werden dabei diejenigen Aufwendungen und Erträge erfasst, die außerhalb der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit anfallen. Für die Ableitung eines nachhaltigen Jahresertrages wäre dagegen auf die Frage der Nachhaltigkeit abzustellen. Solche nicht nachhaltigen Ergebnisbestandteile können jedoch sowohl im außerordentlichen Ergebnis als auch im sonstigen betrieblichen Ergebnis enthalten sein.

29.187 Im Hinblick auf den Ansatz einer Tätigkeitsvergütung wird hervorgehoben, dass diese sich an den ertragsteuerlichen Regelungen zur Behandlung einer verdeckten Gewinnausschüttung orientieren soll.1 Weitere Besonderheiten werden in Abschnitt VIII.3. (Rz. 29.158 ff.) dargestellt.

29.188 Bei der Ermittlung des nachhaltigen Betriebsergebnisses für unterjährige Bewertungsstichtage soll gem. § 201 Abs. 2 BewG das aktuelle und noch nicht abgelaufene Geschäftsjahr das drittletzte Jahresergebnis substituieren.2 Bei Veränderung des Charakters der Gesellschaft innerhalb der drei letzten Wirtschaftsjahre sind bei einer Berücksichtigung der Gesamtbesitzverhältnisse nur jene Erträge in die Ergebnisermittlung einzubeziehen, die nach jener Strukturmaßnahme erzielt worden sind.

29.189 Das Vorgehen, den zukünftig erzielbaren Jahresertrag anhand der durchschnittlichen Ergebnisse der Vergangenheit abzuleiten, soll auch in Zeiten volatiler Ergebnisse, z.B. bedingt durch eine Wirtschaftskrise, Gültigkeit haben. Dies ergibt sich aus implizit aus den Ausführungen im aktuellen Bewertungserlass. In diesen werden Besonderheiten infolge einer Wirtschaftskrise nicht bei der Ableitung des durchschnittlichen Jahresertrags thematisiert. Die Finanzver-

1 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 93. 2 Die bisherige Rechtsprechung zum Stuttgarter Verfahren (z.B. BFH v. 1.2.2007 – II R 19/05, BStBl. II 2007, 635 = GmbHR 2007, 555), wonach stets der Durchschnitt der abgelaufenen Geschäftsjahre heranzuziehen ist, gilt damit nicht mehr.

1006

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.192 § 29

waltung erkennt aber an, dass in Fällen allgemeiner Krisensituationen Erkenntnisse über offensichtlich unzutreffende Wertermittlungen hergeleitet werden können.1 Ein wie oben beschriebenes, zu kapitalisierendes Ergebnis ist anschließend mit dem Kehrwert eines Kapitalisierungsfaktors zu multiplizieren. Ähnlich wie bei der Ermittlung des zu kapitalisierenden Ergebnisses gibt der Gesetzgeber auch bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes eine Reihe von Vorgaben. Im Rahmen der Erbschaftsteuerreform kam es dabei zu einer Neuregelung.

29.190

Entwicklung bis 2016: Gemäß § 203 Abs. 1 BewG setzt sich dieser aus einem risikolosen Basiszinssatz sowie einem Risikozuschlag zusammen. Der Basiszinssatz ist in Anlehnung an § 203 Abs. 2 BewG a.F. auf Grundlage langfristiger Renditen öffentlicher Wertpapiere zu ermitteln. Dieser Zinssatz wird zum Jahresanfang vom Finanzministerium für das gesamte Kalenderjahr ermittelt und in Form einer Rechtsverordnung vorgegeben. In den letzten Jahren nahm dieser folgende Wertausprägungen an: 2008

4,58 %2

2009

3,61 %3

2010

3,98 %4

2011

3,43 %5

2012

2,44 %6

2013

2,04 %7

2014

2,59 %8

2015

0,99 %9

2016

1,10 %10

Zur Bestimmung dieses Zinssatzes bedient sich der Gesetzgeber eines Zinssatzes, der aus öffentlichen Anleihen mit einer Laufzeit von 15 Jahren hergeleitet wird. Für die Anwendung in einem unendlichen Rentenmodell wie dem vereinfachten Verfahren ist darüber hinaus eine Annahme notwendig, wie sich der Zinssatz über die Zeitdauer von 15 Jahren hinaus entwickeln wird. Darüber hinaus legt sich der Gesetzgeber zu Beginn des Jahres für ein gesamtes Jahr fest. Insofern kommt es bei diesem Vorgehen zu einer doppelten Typisierung. Zum einen unterstellt der Gesetzgeber mit dem Rückgriff auf 15-jährige Anleihen eine bestimmte Zinsstruktur. Zum anderen unterstellt er, dass dieser Zinssatz für ein Jahr konstant bleibt. Dies ist 1 Vgl. Abschn. 19 Abs. 6 Nr. 4 Bewertungserlass. Ferner Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 100 ff. 2 Vgl. BMF v. 17.3.2009 – IV C 2 - S 3102/07/001, BStBl. I 2009, 473. 3 Vgl. BMF v. 7.1.2009 – IV C 2 - S 3102/07/0001, BStBl. I 2009, 14. 4 Vgl. BMF v. 5.1.2010 – IV D 4 - S 3102/07/0001, BStBl. I 2010, 14. 5 Vgl. BMF v. 5.1.2011 – IV D 4 - S 3102/07/10001, BStBl. I 2011, 15. 6 Vgl. BMF v. 2.1.2012 – IV D 4 - S 3102/07/10001, BStBl. I 2012, 13. 7 Vgl. BMF v. 2.1.2013 – IV D 4 - S 3102/07/10001, BStBl. I 2013, 19. 8 Vgl. BMF v. 2.1.2014 – IV D 4 - S 3102/07/10001, BStBl. I 2014, 23. 9 Vgl. BMF v. 2.1.2015 – IV D 4 - S 3102/07/10001, BStBl. I 2015, 6. 10 Vgl. BMF v. 4.1.2016 – IV C 7 - S 3102/07/10001, BStBl. I 2016, 5.

Kohl 1007

29.191

29.192

§ 29 Rz. 29.192

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

insofern verwunderlich, weil notwendige Daten zur jeweiligen aktuellen Bestimmung eines laufzeitäquivalenten Zinssatzes börsentäglich im Internet abrufbar sind.1

29.193 Neben dem risikolosen Basiszinssatz ist weiterhin ein einheitlicher Risikozuschlag anzusetzen. Nach § 203 Abs. 1 BewG soll dieser Zuschlag branchenübergreifend mit 4,5 % typisiert werden. Nach Auffassung des Gesetzgebers reflektiert dieser Zuschlag bereits den operativen Risikozuschlag für das Unternehmen, einen Wachstumsabschlag sowie mögliche Bonitätszuschläge in einem. Eine Differenzierung des Risikozuschlags in Abhängigkeit bestimmter Risikokomponenten (z.B. unterschiedliche Verschuldungsgrade) ist nicht möglich.

29.194 Im Gegensatz zum Basiszinssatz ist der Risikozuschlag auch im Zeitablauf konstant und unterliegt keinen Anpassungen. Es handelt bei diesem Vorgehen um eine typisierte Struktur, die keinen Raum für aktuelle Entwicklungen lässt. Aufgrund der Finanz- und Kapitalmarktkrise, die 2008 begann und 2012 in einer Staatsschuldenkrise mündete, kam es zu einer veränderten Risikotoleranz. Vor diesem Hintergrund ist bei Bewertungen anhand von Ertragsaussichten für Bewertungsstichtage ab 2012 von einer im Vergleich der letzten Jahre erhöhten Marktrisikoprämie auszugehen. Dabei legen Marktbeobachtungen und Kapitalmarktstudien sowie exante-Analysen zu implizit ermittelten Marktrisikoprämien eine Orientierung an der oberen Bandbreite historisch gemessener Marktrisikoprämien nahe. Aus diesem Grund hält das IDW es derzeit für sachgerecht, von Marktrisikoprämien (vor persönlichen Steuern) zwischen 5,5 % und 7,0 % auszugehen.2

29.195 Kommt es daher wie im aktuellen Kapitalmarktumfeld zu einer derartigen veränderten Einschätzung der Marktrisikoprämie kann diese Entwicklung im vereinfachten Verfahren nicht nachgezeichnet werden. Da für Bewertungen unter Berücksichtigung der Grundsätze des IDW S 1 eine Erhöhung der Marktrisikoprämie mit Beginn des Jahres 20123 propagiert wird, erhöht sich für Bewertungsstichtage ab dem Jahr 2012 die Differenz zwischen einer IDW S 1-Bewertung und dem vereinfachten Verfahren.4

29.196 Aktuelle Regelung: Ähnlich wie bei der Ermittlung des zu kapitalisierenden Ergebnisses gibt der Gesetzgeber auch bei der Ermittlung des Kapitalisierungsfaktors Vorgaben. Dieser wird seit der Erbschaftsteuerreform 2016 einheitlich auf 13,75 fixiert.5 Darüber hinaus wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats den Kapitalisierungsfaktor an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen.6

29.197 Als Begründung wird dazu explizit die aktuelle Niedrigzinsphase herangezogen. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass es bereits bei einem Basiszinssatz von weniger als 3,5 % zu einer Überzeichnung des Unternehmenswertes kommen kann. Neben einer Überbewertung sieht der Gesetzgeber auch die Gefahr einer Unterbewertung, die bei einem zu hohen Basis1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 227. 2 Vgl. IDW, Hinweise des FAUB v. 19.9.2012 zur Berücksichtigung der Finanzmarktkrise bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes in einer Unternehmensbewertung, FN-IDW 2012, 568. 3 Bereits mit Verlautbarung v. 10.1.2012 hat das IDW eine Erhöhung der Marktrisikoprämie empfohlen. Vgl. IDW, Hinweis des FAUB v. 10.1.2012 zu den Auswirkungen der aktuellen Kapitalmarktsituation auf die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes, FN-IDW 2012, 122. 4 Vgl. Kohl/König, BB 2012, 607 (610), die zeigen, dass die rein methodischen Unterschiede aus einer erhöhten Marktrisikoprämie bereits rund 20 % ausmachen. 5 Vgl. § 203 Abs. 1 BewG. 6 Vgl. § 203 Abs. 2 BewG.

1008

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.201 § 29

zinssatz auftreten kann. In den Fällen eines zu hohen Basiszinssatzes kann die herangezogene öffentliche Anlage wegen des höheren Ausfallrisikos ggf. nicht mehr dauerhaft garantieren, den Ertrag in Höhe der Zinsen zu erwirtschaften. Damit hätte eine solche Anleihe mit hohem Zins ihre Fähigkeit als Vergleichsmaßstab für die Unternehmensbewertung verloren. Diese Schwelle sieht der Gesetzgeber bei 5,5 %. Im Ergebnis sei daher von einem festen Zuschlag Abstand zu nehmen und auf einen festen Kapitalisierungszinssatz abzustellen.1 Im Ergebnis erkennt der Gesetzgeber damit an, dass Marktrenditen sich nicht im gleichen Maße verändern wie Anleihezinssätze. Insbesondere in durch Notenbankaktivitäten geprägten Zeiten niedriger Zinsen führt diese Überlegung zu einer variableren Einschätzung der Marktrisikoprämie und damit zu einem höheren Risikozuschlag als bei Annahme einer konstanten Marktrisikoprämie. Im Gegensatz dazu war in der früheren Rechtslage der Risikozuschlag bei 4,5 % fixiert, wodurch regelmäßig Überbewertungen entstanden sind.2 Gem. § 205 Abs. 11 BewG ist der Kapitalisierungsfaktor von 13,75 im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2015 anzusetzen. Eine rückwirkende Anwendung wird angesichts der Niedrigzinsphase in der Gesetzesbegründung als sachgerecht angesehen. Diese sei auch verfassungsrechtlich unproblematisch, da diese allein zu Gunsten des Steuerpflichtigen wirke.3 Entgegen der Gesetzesbegründung sind aber Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit angebracht. Insbesondere die Auswirkungen auf die Quoten des Verwaltungsvermögens und damit auf die Höhe der Verschonung sind dabei zu beachten.4

29.198

Der Unternehmenswert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ergibt sich schließlich aus dem Produkt von durchschnittlichem Betriebsergebnis sowie dem Kapitalisierungsfaktor.

29.199

2. Sonderwerte Bei dem vereinfachten Verfahren handelt es sich offensichtlich um ein Gesamtbewertungsverfahren. Dieser Grundsatz wird jedoch insofern durchbrochen, als neben dem Ertragswert eine Reihe von Sonderwerten additiv hinzuzurechnen ist.

29.200

Nach § 200 Abs. 3 BewG sind sowohl Anteile an einer Kapitalgesellschaft als auch Beteiligungen an einer Personengesellschaft gesondert neben dem Ertragswert in einem eigenständig zu ermittelnden gemeinen Wert anzusetzen. Der Wert einer Unternehmensgruppe setzt sich dann aus den Einzelwerten der einzelnen rechtlichen Einheiten zusammen. Gemäß Abschn. 20 Abs. 1 Bewertungserlass 2011 ergibt sich der Wert nach dem vereinfachten Verfahren wie folgt:

29.201

Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens nach § 200 Abs. 1 BewG + Nettowert des nicht-betriebsnotwendigen Vermögens nach § 200 Abs. 2 BewG + Wert der Beteiligungen an anderen Gesellschaften gem. § 200 Abs. 3 BewG + Nettowert des jungen Betriebsvermögens gem. § 200 Abs. 4 BewG. =

Unternehmenswert „vereinfachtes Verfahren“

1 Vgl. BT-Drucks. 18/8911, 47. 2 Vgl. dazu auch die Empfehlung des FAUB zur Marktrisikoprämie (IDW, Hinweise des FAUB vom 9.9.2012 und 10.1.2012). 3 BT-Drucks. 18/8911. 4 Vgl. Blumenberg in Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, S. 147.

Kohl 1009

§ 29 Rz. 29.202

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

a) Bewertung von Beteiligungen

29.202 Um den Vorgaben des § 200 Abs. 3 BewG gerecht zu werden, ist eine stufenweise Bewertung aller Beteiligungen notwendig (sog. Tannenbaumverfahren). Weitere Vorgaben, wie der gemeine Wert der einzelnen Beteiligungen zu ermitteln ist, macht der Gesetzgeber nicht. Aus diesem Grund ist auf die allgemeine Bewertungshierarchie des § 11 BewG abzustellen. Liegen daher die Voraussetzungen für eine Bewertung zum Börsenkurs oder anhand getätigter Verkäufe vor, sind diese vorrangig heranzuziehen. Erst wenn diese Möglichkeit nicht besteht, hat eine Bewertung anhand der Ertragsaussichten zu erfolgen.1

29.203 Fraglich ist, ob in diesen Fällen einheitlich für eine Unternehmensgruppe das vereinfachte Verfahren für alle Beteiligungen angewendet werden sollte. Im Sinne der Finanzverwaltung hat der Steuerpflichtige bei mehrstufigen Unternehmensgruppen bei jeder einzelnen Bewertung anhand der Ertragsaussichten ein Wahlrecht zwischen dem vereinfachten Verfahren und einem anderen Verfahren.2 Der Gesamtwert einer Unternehmensgruppe kann sich bei einer solchen Vorgehensweise aus sehr unterschiedlichen Verfahren zusammensetzen. Ein weiterer Beleg dafür ist die Vorschrift, dass bei Anwendung eines Ertragswertverfahrens als Wertuntergrenze der Substanzwert einer Gesellschaft zu berücksichtigen ist.3 Bei einer Einzelbewertung aller Beteiligungen hat dies zur Folge, dass eine Überprüfung dieses Mindestwertes nicht nur auf Ebene der Obergesellschaft vorzunehmen ist, sondern vielmehr auf Ebene jeder einzelnen separat zu bewertenden Beteiligung.

29.203a Die Vorgehensweise, den Gesamtwert des Unternehmens im Rahmen des Tannenbaumverfahrens herzuleiten, kann dabei zu systematischen Überbewertungen führen. Dies ist dann der Fall, wenn im Konzern die Ertragslage einzelner Tochtergesellschaften durch innerkonzernliche Verrechnungspreise geprägt ist. Während bei einer ausschließlichen Betrachtung der Verrechnungspreise sich sowohl positive als auch negative Effekte bei der Bewertung der einzelnen Konzernunternehmen niederschlagen, ergibt sich durch die Definition des Mindestwerts nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG folgende Problematik. Führt der Ansatz von konzerninternen Verrechnungspreisen dazu, dass bei Berücksichtigung marktüblicher Renditen diese Verrechnungspreise nicht zu einer angemessenen Amortisation der steuerlichen Substanz führen, würde für diese Unternehmen der Mindestwert i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG angewandt werden. Damit käme es einseitig zu einer Erhöhung des Werts eines einzelnen Tochterunternehmens. Ein solches Vorgehen würde jedoch aus einer rein formalen Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG herrühren und wäre ausschließlich durch Maßnahmen des Gesellschafters bedingt. Da derartige Aspekte auch bei Anwendung der §§ 199 ff. BewG zu eliminieren sind, erscheint es geboten, in solchen Konstellationen den Mindestwertansatz kritisch zu hinterfragen.4

29.204 Für eine gesonderte Ermittlung ist es darüber hinaus notwendig, dass bei der Ermittlung des Betriebsergebnisses der Obergesellschaft die positiven Wertbeiträge der Untergesellschaft entsprechend eliminiert werden (vgl. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. f BewG). Darüber hinaus sind gem. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1f entsprechende Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Vermögen nach § 200 Abs. 2 und 4 BewG ebenfalls zu eliminieren. Eine wörtliche Auslegung würde jedoch bedeuten, dass auch die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit 1 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 200 Abs. 3 Satz 5. Ferner Hannes/Onderka, ZEV 2009, 421 (423). 2 Vgl. Abschn. 20 Abs. 3 Satz 6 Bewertungserlass 2011. 3 Vgl. Abschn. 4 Abs. 1 Bewertungserlass 2011. 4 Vgl. Kohl/König, WPg 2018, 843 (845).

1010

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.208 § 29

den Beteiligungen stehenden Aufwendungen hinzugerechnet werden müssten. Dann wären entsprechende Finanzierungsaufwendungen für die Anteile ebenfalls zu eliminieren. In einer Gesamterfassung blieben jedoch diese Schulden unberücksichtigt. Insofern ist die Klarstellung in Abschn. 20 Abs. 3 Satz 8 Bewertungserlass 2011 zu begrüßen, dass die mit den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Finanzierungsaufwendungen beim nachhaltigen Jahresertrag mindernd erfasst werden müssen.1 Besonderheiten ergeben sich bei sog. „Holdinggesellschaften“, d.h. bei solchen Gesellschaften ohne eigenes operatives Geschäft, deren Vermögen in erster Linie aus Anteilen an nachgelagerten Kapitalgesellschaften besteht. Der Wert dieser Holdinggesellschaften setzt sich vereinfacht aus den gemeinen Werten der gehaltenen Anteile abzgl. der Schulden zusammen. Ein solches wirtschaftlich zutreffendes Ergebnis wird jedoch durch die Vorgehensweise des vereinfachten Verfahrens nicht erreicht. Die Kapitalisierung von Finanzierungsaufwendungen mit dem einheitlichen Kapitalisierungszinssatz führt regelmäßig zu einem geringeren Wert der Schulden als der Nominalwert, da die Fremdkapitalkosten regelmäßig unter den Eigenkapitalkosten liegen. Kommt es dagegen zum Ansatz des Substanzwertes als Mindestwert bleiben mögliche operative Kosten auf Holdingebene unberücksichtigt.2

29.205

Liegen für einzelne Beteiligungen bereits Wertfeststellungen nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 3 BewG vor, sollen diese Werte herangezogen werden.3 Sofern sich die maßgeblichen Stichtagsverhältnisse nicht geändert haben, haben diese ein Jahr Gültigkeit.4

29.206

Insgesamt kann es bei dieser granularen Ermittlung von Unternehmensgruppen zu Ergebnissen kommen, die nur bedingt vergleichbar sind. Insbesondere bei der Übernahme derartige Ergebnisse im Verwaltungsvermögenstest i.S.d. § 13b ErbStG kann es dann zu Verwerfungen kommen. Eine vollständige Vergleichbarkeit könnte sich dagegen bei Berücksichtigung konsolidierter Zahlen ergeben.5

29.207

Bei umfangreichen Unternehmensgruppen können sich darüber hinaus Fälle ergeben, in denen Beteiligungen von geringer Bedeutung gehalten werden. Eine ausführliche Berechnung mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren würde hier nur in seltenen Fällen in einer angemessenen Kosten-/Nutzen-Relation stehen. Aus diesem Grund ist die Regelung in Abschn. 20 Abs. 4 des Bewertungserlasses zu begrüßen, dass in Fällen von geringer Bedeutung Vereinfachungen zulässig sind. Gemäß Abschn. 20 Abs. 4 Bewertungserlass wird in diesen Fällen die durchschnittliche Bruttoausschüttung der Untergesellschaft multipliziert mit dem Kapitalisierungsfaktor nach § 203 BewG als sachgerecht angesehen. Mindestens sei jedoch der Steuerbilanzwert der Beteiligung anzusetzen. Unberücksichtigt bleibt jedoch in diesen Fällen, dass durch Thesaurierung in der Untergesellschaft ggf. das bilanzielle Eigenkapital der Gesellschaft den aktuellen Bilanzbuchwert bei der Obergesellschaft überschreitet. Daher erscheint es wirtschaftlich vertretbar, den höheren von beiden Werten (Buchwert der Anteile vs. steuerbilanzielles Eigenkapital der Untergesellschaft) aus Vereinfachungsgründen anzusetzen.

29.208

1 2 3 4

Vgl. Kohl, ZEV 2009, 554 (555). Vgl. Kohl/König/Moeller, BB 2013, 555 (558 f.). Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 200 Abs. 3 Satz 3 BewG. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 200 Abs. 3 Satz 4 BewG. Ferner Hecht/v. Cölln, BB 2010, 795 (798 f.). 5 Vgl. Kohl/Schilling, StuB 2008, 909 (916).

Kohl 1011

§ 29 Rz. 29.209

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.209 Für die gesonderte Bewertung der einzelnen Beteiligungen ist dabei keine Mindestbeteiligungsquote notwendig.1 Dies kann in Einzelfällen jedoch dazu führen, dass für bestimmte Minderheitsbeteiligungen die entsprechenden Informationen nicht verfügbar sind bzw. von der Mehrheitsgesellschaft nicht zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen von Gruppenbewertungen können dann Einzelwerte eingehen, deren Informationsbasis qualitativ unterschiedlich ausgeprägt ist. b) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen

29.210 Für sog. nicht betriebsnotwendiges Vermögen sieht das Bewertungsgesetz ebenfalls eine gesonderte Bewertung vor. Darunter versteht der Gesetzgeber diejenigen Wirtschaftsgüter und Schulden, die aus dem Unternehmen herausgelöst werden können, ohne die eigentliche Unternehmenstätigkeit zu beeinträchtigen (vgl. Rz. 8.4 ff.).

29.211 Eine Klassifizierung nicht betriebsnotwendiger Vermögensbestandteile hat daher funktional zu erfolgen und nicht den ertragsteuerlichen Grundsätzen zu Differenzierung in „notwendiges“ und „gewillkürtes“ Betriebsvermögen.2

29.212 Zu beachten ist, dass eine Einstufung als „nicht betriebsnotwendig“ nicht automatisch zu einer Klassifizierung als Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b ErbStG führt.3

29.213 Eine Trennung in betriebsnotwendige und nicht betriebsnotwendige Bestandteile findet sich auch im einschlägigen Standard IDW S 1 und entspricht den allgemeinen Grundsätzen der Unternehmensbewertung. Unterschiede ergeben sich jedoch bei der konkreten Wertermittlung. Im Sinne einer IDW S 1 Bewertung erfolgt der Wertbeitrag eines nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte aus dessen Liquidationswert.4 Daher wird zur Bewertung nicht betriebsnotwendiger Vermögensteile eine Veräußerung unterstellt, bei der daraus resultierenden Veräußerungskosten und latente Steuerlasten in Abzug zu bringen sind.

29.214 Einen Abzug derartiger Kosten oder Steuerlasten wird von der Finanzverwaltung analog der Überlegungen zum Substanzwert nicht akzeptiert. Analog einer Substanzwertermittlung unterstellt die Finanzverwaltung damit typisierend eine fiktive Nutzung, die zu einem Wertbeitrag in Höhe des gemeinen Wertes führt.5 c) Berücksichtigung junger Wirtschaftsgüter

29.215 Ein weiterer Sonderwert ist für sog. „junges Betriebsvermögen“ gem. § 200 Abs. 4 BewG anzusetzen. Unter jungem Betriebsvermögen versteht der Gesetzgeber diejenigen Wirtschaftsgüter, die innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Bewertungsstichtag eingelegt worden und die nicht bereits nach § 200 Abs. 2 und 3 BewG neben dem Ertragswert mit ihrem gemeinen Wert angesetzt sind. Zusätzlich sind die mit diesen Wirtschaftsgütern im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Schulden gesondert neben dem Ertragswert anzusetzen.6

1 Vgl. Abschn. 20 Abs. 3 Satz 2 Bewertungserlass. Ferner Hannes/Onderka ZEV 2009, 421 (423). 2 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 R B 200 Abs. 2 Satz 4 BewG. Ferner Hecht/v. Cölln, DB 2010, 1084 (1087). 3 Vgl. Hannes/Onderka, ZEV 2008, 173 (176). 4 Vgl. Castedello in Bewertung und Transaktionsberatung, Kapitel A, Rz. 94. 5 Vgl. Piltz, DStR 2008, 745 (749). 6 Vgl. Abschn. 20 Abs. 5 S. 1 Bewertungserlass 2011.

1012

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.221 § 29

Parallel zu der gesonderten Ermittlung junger Wirtschaftsgüter sind Aufwendungen im Zusammenhang bei der Ermittlung des maßgeblichen Betriebsergebnisses hinzuzuaddieren. Abzuziehen sind die Erträge, die im Zusammenhang mit dem Vermögen nach § 200 Abs. 2 bis 4 BewG, d.h. auch dem jungen Betriebsvermögen, stehen.

29.216

Aufgrund der Typisierung des vereinfachten Verfahrens, den Jahresertrag auf Basis der durchschnittlichen Jahresergebnisse der letzten 3 Jahre herzuleiten, besteht aus Sicht des Gesetzgebers die Gefahr, dass der Wertbeitrag junger Wirtschaftsgüter nicht erfasst wird. Vielmehr bestünde die Möglichkeit, vor dem Bewertungsstichtag einzelne Wirtschaftsgüter aus dem Privatvermögen einzulegen und dadurch entsprechende Begünstigungen zu erreichen. Um einen möglichen Missbrauch1 zu vermeiden, sollen derartige Wertbeiträge gesondert berücksichtigt werden.

29.217

Eine solche Annahme mag im Einzelfall gerechtfertigt sein. Wird z.B. kurz vor dem Bewertungsstichtag Liquidität eingelegt und zur Schuldentilgung verwendet, wäre der errechnete Ertragswert um den Betrag der Liquidität zu niedrig, weil die für das vereinfachte Verfahren maßgeblichen Ergebnisse das Zinsergebnis vor Einlage beinhalten.

29.218

Vorstellbar sind aber auch die Fälle, in denen eine solche typisierte Annahme zu überhöhten Werten führt. Dies gilt für den gegenteiligen Fall, in dem das eingelegte junge Betriebsvermögen als Ersatz eines wirtschaftlich aufgebrauchten Wirtschaftsgutes fungiert. In diesem Fall kann das Ertragsniveau der Vergangenheit nur durch die Nutzung des eingelegten Wirtschaftsgutes erhalten bleiben. Alternativ wären Ersatzbeschaffungen (Miete/Kauf) notwendig, aus denen sich jedoch Ergebnisminderungen ergeben würden. Der zusätzliche Ansatz des gemeinen Wertes des Wirtschaftsgutes führt dann zu überhöhten Unternehmenswerten.2

29.219

Unabhängig von den erzielten Ergebnissen verstößt eine solche Vorgehensweise gegen den Grundsatz einer Gesamtbewertung, wonach für eine sachgerechte Unternehmensbewertung aus der Gesamtheit aller materiellen und immateriellen Faktoren die zukünftig erzielbaren Überschüsse für die Ermittlung eines Unternehmenswertes anzusetzen sind. Durch den Ansatz einzelner Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert ergibt sich im Ergebnis eine Mischbewertung, in der finanzielle Überschüsse, die mit dem Großteil des Vermögens eines Unternehmens erzielt werden, parallel zur Einzelbewertung einzelner Wirtschaftsgüter angesetzt werden.

29.220

d) Sonderbetriebsvermögen Bei Unternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft, die vom Unternehmenseigner maßgeblich geprägt sind, findet sich häufig sog. „Sonderbetriebsvermögen“. Bei solchen Sonderbetriebsvermögen handelt es sich z.B. um Gesellschafterdarlehen oder um Miet- oder Leasingverhältnisse, bei denen Wirtschaftsgüter des Gesellschafters dem Unternehmen zur Nutzung überlassen werden.

1 Vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des Finanzausschusses zum ErbStRG, BT-Drucks. 16/11107, 22 f. 2 Vgl. Stalleiken/Theißen, DStR 2010, 21 (26).

Kohl 1013

29.221

§ 29 Rz. 29.222

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.222 Derartige Wirtschaftsgüter und Schulden sind entsprechend der ertragsteuerlichen Regelung einzubeziehen und gesondert nach § 97 Abs. 1a Nr. 2 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen.1

29.223 Wegen des gesonderten Ansatzes des Sonderbetriebsvermögens dürfen damit in Zusammenhang stehende Erträge und Aufwendungen bei der Gesellschaft nicht korrigiert werden.2 Wurden jedoch bislang keine Nutzungsgebühren verausgabt, kann eine gesellschaftsrechtlich bedingte Vermögensmehrung vorliegen, die gem. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BewG zu korrigieren ist. Wurde daher eine Vergütung für Sonderbetriebsvermögen vereinbart, soll diese auch im vereinfachten Ertragswertverfahren mindernd erfasst werden. Gesellschafterinduzierte Vermögensmehrungen dagegen sollen durch einen zusätzlichen, neu berechneten Ergebnisbeitrag kompensiert werden.3

29.224 Aufgrund der Zielsetzung des vereinfachten Ertragswertverfahrens, eine Wertermittlung von Anteilen an Unternehmen abzubilden, muss dafür auch eine vollständige steuerliche Abzugsfähigkeit derartiger Vergütungen unterstellt werden. Damit wird von der tatsächlichen steuerlichen Behandlung solcher Vergütungen abgewichen. Ein solches Abweichen ist jedoch notwendig, um dem eigentlichen Zweck des vereinfachten Ertragswertverfahrens, der Ermittlung gemeiner Werte von Unternehmen, Rechnung zu tragen. Dies steht im Einklang mit Abschn. 22 Abs. 1 Satz 4 Bewertungserlass, wonach nicht die tatsächliche, sondern die zutreffend ertragsteuerliche Behandlung maßgebend sei. Durch den Abzug einer typisierten Steuerbelastung von 30 % wird dieses Ergebnis auch erreicht. 3. Bewertung ausländischen Vermögens

29.225 Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist auch für ausländische Kapitalgesellschaften anzuwenden.4 Danach hat die Ermittlung der Bewertungsgrundlagen in der jeweiligen Landeswährung zu erfolgen. Der dann in der ausländischen Währung ermittelte vereinfachte Ertragswert ist anschließend zum Devisenkurs am Stichtag umzurechnen.5 Aus diesem allgemeinen Grundsatz ergibt sich daraus für die Praxis eine Reihe von Schwierigkeiten. Zum einen hat die Ermittlung des durchschnittlich erzielbaren Jahresertrages gem. § 202 Abs. 1 Satz 1 BewG auf Basis der Steuerbilanzgewinne i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG zu erfolgen. Diese liegen jedoch im Regelfall für ausländische Kapital- und Personengesellschaften nicht vor. Vielmehr stehen für solche Unternehmen Jahresabschlüsse nach anderen oder auch nach internationalen Rechnungslegungsstandards zur Verfügung. Trotz der Regelung des § 202 Abs. 1 Satz 1 BewG sind diese Abschlüsse nicht nach deutschen steuerlichen Grundsätzen neu zu erstellen oder überzuleiten. Vielmehr geht die Finanzverwaltung von einer „entsprechenden“ Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens, insbesondere hinsichtlich der Ermittlung des maßgeblichen Jahresertrages, aus:6 Konkret soll eine Korrektur durch Hinzurechnungen und Abzüge nach § 202 Abs. 1 Satz 2 BewG möglich sein.

1 2 3 4 5 6

Vgl. Abschn. 10 Abs. 1 Satz 1 sowie Abschn. 11 Satz 1 Bewertungserlass 2011. Vgl. Abschn. 2 Satz 6 Bewertungserlass 2011. Vgl. Kohl, ZEV 2009, 554 (556). Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 199.1 Abs. 2 und R B 199.2 Satz 1 BewG. Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien R B 199.2 Satz 2 BewG. Vgl. Abschn. 24 Bewertungserlass 2011.

1014

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.231 § 29

Aufgrund international unterschiedlicher steuerlicher Gewinnermittlungsvorschriften wird 29.226 sich damit die Basis der Wertermittlung als auch die Wertermittlung selber unterscheiden. Das Problem unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards existiert auch im Rahmen allgemein anerkannter Bewertungsgrundsätze. Unabhängig von der bilanziellen Abbildung bleiben jedoch die zahlungswirksamen Effekte gleich. Unterschiede zwischen Ergebnis- und Liquiditätsgröße können dann durch den Einsatz integrierter Planungsmodelle korrigiert werden. Auf die Art gleichen sich Effekte aus unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards zumindest teilweise aus. Diese Grundsätze werden bei dem vereinfachten Verfahren jedoch nicht beachtet. Durch das Abstellen auf steuerlich geprägte Ergebnisse wird vielmehr unterstellt, dass diese (typisierten) Ergebnisse auch den Zahlungen an die Anteilseigner entsprechen. Eine Berücksichtigung unterschiedlicher Finanzierungswirkungen unterbleibt durch das Abstellen auf die durchschnittlichen Zinsergebnisse der Vergangenheit dagegen vollständig. Es ist daher im Einzelnen zu prüfen, ob die Bewertung inländischer oder ausländischer Unternehmen überhaupt zu vergleichbaren Ergebnissen führt.1 Neben der Ermittlung des Jahresertrags stellt sich diese Frage auch bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes. Bei betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertungen ergeben sich dazu eine Reihe von Einzelfragen (ausländisches Zinsniveau, Zusammenhang Wechselkurs und Zinsniveau, ausländische Inflationserwartung, ausländische Marktrisikoprämie u.a.), die regelmäßig zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

29.227

Zu beachten ist, dass bei der Ermittlung eines Kapitalisierungszinssatzes kein weiterer Ab- 29.228 schlag von betrieblichen oder persönlichen Steuern vorgenommen werden muss. Die hier einschlägige Ermittlung eines Kapitalisierungszinssatzes orientiert sich im Ergebnis an dem sog. „CAPM“. Dieses ist ein Preiserklärungsmodell, welches auf Basis von Kapitalmarktdaten Preise und Renditen in Relation zueinander setzt. Kennzeichnend für das CAPM ist, dass bei Anwendung dieses Modells direkt eine Renditegröße nach betrieblichen Steuern ermittelt wird. Dies ergibt sich daraus, dass bei Ableitung der zugrunde liegenden Kapitalmarktdaten auf den Jahresüberschuss börsennotierter Gesellschaften, d.h. auf eine Größe nach betrieblichen Steuern abgestellt wird. Mit einer solchen Vorgehensweise bleibt grundsätzlich das Äquivalenzprinzip gewahrt, wonach Zähler und Nenner äquivalent mit Steuern belastet werden müssen.2 Beim vereinfachten Ertragswertverfahren wird der Zähler um eine pauschalierte Steuer von 29.229 30 % gekürzt. Eine vergleichbare Steuerbelastung ist implizit in der Ermittlung dieses typisieren Kapitalisierungszinssatzes enthalten. Es stellt sich daher die Frage, ob bei der Bewertung ausländischer Beteiligungen ein für deutsche Verhältnisse typisierter Risikozuschlag angesetzt werden sollte. Weicht der ausländische Steuersatz maßgeblich von den deutschen Verhältnissen ab, besteht die Gefahr, dass Zähler und Nenner nicht äquivalent mit Steuer belastet werden.

29.230

Abschn. 24 Satz 4 Bewertungserlass 2011 bestimmt dagegen, dass der nach § 203 BewG maßgebliche Kapitalisierungsfaktor auch auf Auslandsgesellschaften anzuwenden ist, wenn dies nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt.

29.231

1 Vgl. Kohl, ZEV 2009, 554 (557-558). 2 A.A. Wollny, DStR 2012, 1356 (1358-1359), der die Vorgabe von 4,5 % als eine Größe nach persönlichen Steuern interpretiert.

Kohl 1015

§ 29 Rz. 29.232

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.232 Darüber hinaus sollte bei einer sachgerechten Bewertung von ausländischen Beteiligungen hinterfragt werden, in welcher Höhe mögliche Auslandsrisiken zu berücksichtigen sind. Bei einer marktgerechten Unternehmensbewertung wären derartige Risiken in irgendeiner Art zu erfassen. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auch das politische Umfeld Einfluss auf die Risikostruktur eines Unternehmens haben kann. Aufgrund der engen Typisierung der §§ 199 ff. BewG ist jedoch ein solcher zusätzlicher Risikozuschlag nicht vorgesehen. Bei ausländischen Beteiligungen oder bei inländischen Unternehmensgruppen mit einem entsprechend hohen Anteil ausländischer Beteiligungen kann dies zu irreführenden Ergebnissen führen. 4. Behandlung offensichtlich unzutreffender Ergebnisse

29.233 Kommt es bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens zu „offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen“, so darf dieses gem. § 199 Abs. 1 BewG nicht angewendet werden. Mit dieser Vorschrift übernimmt der Gesetzgeber eine Formulierung aus der laufenden BFH-Rechtsprechung, die die Anwendung des früheren Stuttgarter Verfahrens bei eben diesen offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen nicht zuließ.1

29.234 Zur sachgerechten Anwendung dieses Verbotes ist auszulegen, was der Gesetzgeber sowohl unter „unzutreffenden“ Ergebnisse versteht als auch wann diese „offensichtlich“ sind.

29.235 Aus den kumulierten Vorschriften „unzutreffend“ und „offensichtlich“ lässt sich herleiten, dass es zu unzutreffenden Ergebnissen bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens kommen kann, die jedoch nicht zu beanstanden sind, wenn diese nicht offensichtlich sind. Dazu zählen z.B. diejenigen Fälle, in denen die Typisierungen des vereinfachten Verfahrens nicht den wirtschaftlichen Realitäten entsprechen. Beispielhaft lässt sich die typisierte Steuerquote von 30 % oder der pauschale Risikozuschlag von 4,5 % nennen. Auch die Erbschaftsteuerrichtlinien führen dazu aus, dass die gesetzlich verankerten Typisierungen zu Abweichungen vom gemeinen Wert führen können.2 Im Sinne einer angestrebten Verfahrensvereinfachung sind diese jedoch im Sinne des Gesetzgebers in Kauf zu nehmen.

29.236 Seitens des Gesetzgebers als auch seitens der Finanzverwaltung werden keine Schwellenwerte genannt, ab denen unzutreffende Ergebnisse offensichtlich sind. Vielmehr werden eine Reihe von qualitativen Merkmalen aufgeführt:3 – Zeitnahe Verkäufe nach dem Bewertungsstichtag – Verkäufe, die mehr als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegen – Erbauseinandersetzungen, bei denen die Verteilung der Erbmasse Rückschlüsse auf den gemeinen Wert zulässt 1 Vgl. u.a. BFH v. 17.5.1974 – III R 156/72, BStBl. II, 1974, 626 (628); BFH v. 28.3.1990 – II R 108/85, BStBl. II 1990, 493 (495) = GmbHR 1990, 474; BFH v. 1.2.2007 – II R 19/05, BStBl. 2007, 635 (636) = GmbHR 2007, 555. Die Anknüpfung an die frühere Rechtsprechung erlaubt allerdingt nur bedingt Rückschlüsse auf die aktuell notwendige Auslegung. Zum einen war ein Ergebnis nach dem Stuttgarter Verfahren in vielen Fällen bereits offensichtlich unrichtig. Zum anderen ist der BFH nur in seltenen Fällen von einem Vorliegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit ausgegangen. Vgl. Möllmann in Tiedtke, § 12 ErbStG Rz. 145-146. 2 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 R B 199.1 Abs. 3 Satz 1. 3 Vgl. Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 R B 188.1. Abs. 5. Ferner Abschn. 19 Abs. 5 Bewertungserlass 2011.

1016

Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.242 § 29

Mit diesen Beispielen orientiert sich die Finanzverwaltung nicht an errechneten Werten, sondern an in der Realität beobachtbaren Preisen. Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Preisen, die im Rahmen der Methodenhierarchie des § 11 BewG genannt sind, haben diese jedoch nur eine Überprüfungsfunktion. Ihnen kommt keine reguläre Wertfindung zu.1

29.237

Derartige Preise werden indes nicht regelmäßig vorzufinden sein, so dass in der Praxis ein 29.238 Vergleich der Ergebnisse mit anderen Ertragswertmethoden heranzuziehen ist. Eindeutige Schwellenwerte haben sich in der Literatur nicht herausgebildet. Genannt werden Abweichungen zwischen 20 % und 25 % (jeweils vom gemeinen Wert auf einen höheren und niedrigeren Wert)2 50 %3 und bis zu 60 %4. Teilweise wird bei dieser Frage auch differenziert, von welchem Referenzwert sich eine Abweichung ergibt. So wird die Bandbreite bei konkret beobachtbaren Preisen enger definiert als bei rechnerischen Ermittlungen anhand der Ertragsaussichten. Letztgenannte weisen als Schätzung eigene Bewertungsunschärfen aus, die größere Bandbreiten rechtfertigen.5 Nicht eindeutig geklärt ist neben der mathematischen Abweichung jedoch die konkrete Berechnung. Diese kann entweder vom Ergebnis des vereinfachten Verfahrens ausgehen oder von einem Referenzwert ausgehen. Im Sinne des Wortlautes des Gesetzes ist davon ausgehen, dass die Abweichungen von einem Referenzwert zu ermitteln sind. So schreibt der Gesetzgeber Fälle vor, in denen das vereinfachte Verfahren zu unzutreffenden Ergebnissen führt. Mithin liegen in den Fällen Abweichungen von einem Referenzwert vor.

29.239

Neben den genannten Fällen sieht die Finanzverwaltung weitere Fälle vor, in denen das vereinfachte Verfahren nicht anzuwenden ist.6

29.240

– Bei komplexen Strukturen von verbundenen Unternehmen, – bei neu gegründeten Unternehmen, – bei Branchenwechsel eines Unternehmens sowie bei – sonstigen Fällen, in denen aufgrund besonderer Umstände ein vergangenheitsorientierter ermittelter Jahresertrag nicht repräsentativ ist. Offen bleibt bei diesen Beispielen jedoch, wann Strukturen von verbundenen Unternehmen zu komplex sind und automatisch zu unzutreffenden Ergebnissen führen. In der Literatur wird insbesondere angeführt, dass dieser Fall nicht durch das Gesetz gedeckt ist. Aus diesem Grund geht die herrschende Meinung davon aus, dass das vereinfachte Verfahren zunächst vorbehaltlos anzuwenden ist.7

29.241

Unter den sonstigen Fällen, in denen die Anwendung des vereinfachten Verfahrens zu unzutreffenden Ergebnissen führt, werden auch Zeiten einer Wirtschaftskrise genannt. Damit hat die Finanzverwaltung die typisierende Wirkung des vereinfachten Verfahrens gestärkt, in

29.242

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Hecht/v. Cölln, DB 2010, 1084 (1085); Piltz, DStR 2008, 745 (749). Vgl. Rohde/Gemeinhardt, StuB 2009, 167 (168). Vgl. Mannek, DB 2008, 423 (428); Hannes/Onderka, ZEV 2009, 421 (422). Vgl. Viskorf, ZEV 2009, 591 (596). Vgl. Stalleiken/Theißen, DStR 2010, 21 (23 ff.). Vgl. Abschn. 19 Abs. 6 Bewertungserlass 2011. Vgl. z.B. Stalleiken/Theißen, DStR 2010, 21 (26); Hannes/Onderka, ZEV 2009, 421 (422).

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§ 29 Rz. 29.242

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

dem auch in Zeiten volatiler Ergebnisse nicht von dem grundsätzlichen typisierten Vorgehen in Form einer durchschnittlichen vergangenheitsorientierten Betrachtung abgewichen werden. Vielmehr soll in solchen Fällen ein nicht Anwendung wegen offensichtlich unzutreffender Ergebnisse erfolgen.

29.243 Eine endgültige Festlegung, wann das vereinfachte Ertragswertverfahren zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, hat die Finanzverwaltung jedoch auch im aktualisierten Bewertungserlass 2011 nicht vorgenommen. Es wird daher den FG vorbehalten bleiben, diese Grenze zu bestimmen.1 5. Beweislastverteilung

29.244 Entgegen anderer Eindrücke aus den gemeinsamen Ländererlassen 2009 ist das vereinfachte Verfahren nicht als Regelverfahren konzipiert, sondern als „Angebot“ des Gesetzgebers in einfach gelagerten Fällen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Beweislastverteilung.

29.245 Im Rahmen der gleichlautenden Ländererlasse 2009 ergab sich dabei die folgende Verteilung:2 – Will das Finanzamt von dem vereinfachten Verfahren abweichen, trägt es die Feststellungslast für die Ermittlung eines abweichenden Wertes. – Will der Steuerpflichtige von dem Wert des vereinfachten Verfahrens abweichen, trägt er die Feststellungslast und damit auch mögliche Kosten eines Privatgutachtens.

29.246 Im aktualisierten gemeinsamen Ländererlass 2011 sind entsprechende Aussagen zur Feststellungslast jedoch nicht mehr enthalten. Über die Anwendung des Angebotes hat das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.3 Dabei geht die Finanzverwaltung davon aus, dass mit der Ausübung eines Wahlrechts auch die Feststellungslast verbunden ist. Hat das Finanzamt daher Zweifel an der Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens, sind diese substantiiert darzulegen und dem Steuerpflichtigen ist die Gelegenheit zu geben, diese Bedenken auszuräumen.4 Können in einem ernsthaften Austausch zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt Zweifel an der Anwendbarkeit nicht ausgeräumt werden, wird die Finanzverwaltung auf die Vorlage eines methodisch nicht zu beanstandenden Gutachtens bestehen.5 Im Ergebnis führt diese Auffassung der Finanzverwaltung zu einer de facto Verpflichtung des Steuerpflichtigen, ein Privatgutachten einzuholen.

29.247 Sofern der Steuerpflichtige ein solches Gutachten einholen muss, um den Beweis „nicht offensichtlich unzutreffender Ergebnisse“ zu führen, tritt damit aber das eigentliche Ziel des vereinfachten Verfahrens einer Kostenersparnis in den Hintergrund.6

1 Vgl. Stalleiken/Theißen, DStR 2010, 21 (26). Ferner vgl. Möllmann in Tiedtke, § 12 ErbStG Rz. 145-146. 2 Vgl. Abschn. 19 Abs. 6 u.7 Bewertungserlass 2009. 3 Vgl. Drosdzol, DStR 2011, 1258 (1261). 4 Vgl. Abschn. 19 Abs. 4 Satz 3 Bewertungserlass 2011. 5 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 178. 6 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 176.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.251 § 29

X. Bewertung von Transferpakten im Sinne der Funktionsverlagerungsverordnung 1. Rechtliche Grundlagen Ein weiterer steuerlicher Bewertungsanlass ergibt sich aus dem Außensteuergesetz.1 Dies sieht bei Verlagerungen einzelner Funktionen (sog. Funktionsverlagerung) ins Ausland eine Besteuerung der stillen Reserven vor, die der Funktion anhaften. Eine Funktionsverlagerung liegt dann vor, eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert wird (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG).

29.248

Bei einer Funktion handelt es sich nach Definition der Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV2) um eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmen Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV).3

29.249

Negativ abzugrenzen von der Funktionsverlagerung ist die sog. Funktionsverdoppelung. § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV stellt klar, dass eine Funktionsverlagerung dann nicht vorliegt, wenn innerhalb von fünf Jahren, nachdem die Funktion bei dem ausländischen Unternehmen aufgenommen wurde, es zu keiner Einschränkung der Funktion bei dem inländischen Unternehmen gekommen ist.4 Ebenfalls abzugrenzen von einer Funktionsverlagerung sind nach § 1 Abs. 7 FVerlV die Veräußerung oder zur Nutzung überlassene Wirtschaftsgüter oder die Erbringung von Dienstleistungen. Gleiches gilt gem. § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV für die Entsendung von Mitarbeitern im Konzern. Weitere negative Abgrenzungen stellen die fristgerechte Kündigung von Verträgen sowie Vorgänge, die zwischen unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Funktion angesehen werden, dar (vgl. § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV). Zu letzteren zählen z.B. Überlassungen von Aufträgen bei Kapazitätsengpässen. Abschließend sind nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV diejenigen Sachverhalte ausgeschlossen, bei denen zwar die Voraussetzung einer Funktionsverlagerung zutrifft, die verlagerte Funktion aber im Anschluss nur gegenüber dem verlagernden Unternehmen zu angemessenen Verrechnungspreisen ausgeübt wird.

29.250

Neben der negativen Abgrenzung einer Funktion bestehen drei alternative Escape-Klauseln (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG). Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kann eine Bewertung der Funktion entfallen und der Steuerpflichtige kann die Werte der einzelnen übergehenden Wirtschaftsgüter ansetzen. Dafür muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass

29.251

– keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Funktion übergegangen sind oder zur Nutzung überlassen wurden oder – dass das Gesamtergebnis der Einzelpreisbestimmung gemessen an der Preisbestimmung für das Transferpaket als Ganzes dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht oder 1 Dabei ist die folgend thematisierte Funktionsverlagerung nicht der einzige außensteuerliche Bewertungsanlass. Sie weist jedoch Besonderheiten gegenüber „gewöhnlichen“ Bewertungen zum gemeinen Wert, wie sie etwa die Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) erfordert, auf, und wird daher näher betrachtet. 2 Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 3 Einzelheiten zur Definition einer Funktion finden sich bei Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2009, 161 (162). 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2009, 161 (163) mit weiteren Anmerkungen, wie die Einschränkung zu beurteilen ist.

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§ 29 Rz. 29.251

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

– dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist und der Steuerpflichtige dieses bezeichnen kann.1

29.252 Liegt eine Funktionsverlagerung vor und greift keine Escape-Regelung, hat eine Bewertung des Transferpaketes zum Fremdvergleichspreis zu erfolgen. Als Fremdvergleichspreis wird derjenige Preis definiert, den voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnisse vereinbart hätten (vgl. § 1 Abs. 1 AStG). Als Maßstab für den Fremdvergleichspreis ist dabei die verkehrsübliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gegenüber Dritten zugrunde zu legen.2 Zur Ermittlung von Fremdvergleichspreisen ist folgende Stufenhierarchie zu beachten:3 Stufe 1: Tatsächlicher Fremdvergleich – uneingeschränkt vergleichbare Werte Stufe 2: Tatsächlicher Fremdvergleich – eingeschränkt vergleichbare Werte Stufe 3: Hypothetischer Fremdvergleich – Ermittlung eines hypothetischen Fremdvergleichs

29.253 In der Regel wird kein zur Bewertung vorrangig heranzuziehender, zumindest eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswert für derartige Funktionen vorliegen.4 Daher hat die Bewertung mittels hypothetischen Fremdvergleichs zu erfolgen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG).

29.254 Hierzu schreibt das Gesetz vor, aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze zu ermitteln (Einigungsbereich). Der Einigungsbereich soll dabei auf Basis der jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentiale) bestimmt werden (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG).5

29.255 Im Rahmen der Funktionsverlagerung ist hierbei ausdrücklich auf das Transferpaket abzustellen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG), welches aus der Funktion und den mit der Funktion zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie den Wirtschaftsgütern und Vorteilen, die das verlagernde Unternehmen dem übernehmenden Unternehmen überträgt, besteht (vgl. § 1 Abs. 3 FVerlV). Durch diese bewusste Abkehr vom Einzelbewertungsgrundsatz6 eröffnet sich der Anwendungsbereich für betriebswirtschaftliche Gesamtbewertungsverfahren.7

29.256 Als Bewertungsmethode bieten sich das direkte und das indirekte Verfahren an. Bei dem direkten Verfahren werden die Gewinnpotentiale und die Kapitalkosten direkt für das Transferpaket identifiziert. Dies setzt voraus, dass sowohl die verlagerten Wirtschaftsgüter als auch die daraus resultierenden Zahlungsströme unmittelbar zugeordnet werden können. Da sowohl aus der Perspektive des Leistenden wie des Empfängers bewertet werden muss, um die Mindestpreise und Maximalpreise zu ermitteln, sind zwei Bewertungen erforderlich.

29.257 Statt einer solchen direkten Zuweisung von finanziellen Überschüssen zu der maßgeblichen Funktion wird sich oftmals die indirekte Methode der Wertermittlung des Transferpakets 1 2 3 4 5

Vgl. Ditz, IStR 2011, 125 (129). Ferner Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1309 (1311 f.). Vgl. BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626 (627). Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462). Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 402. Vgl. Nestler/Schaflitzl, BB 2011, 235 (237), die den Einigungsbereich anhand eines Beispiels darstellen. 6 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 401. 7 Vgl. Begründung zu § 3 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, S. 17, dort auch als „net present value“ bezeichnet.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.261 § 29

anbieten.1 Hierbei wird beim verlagernden Unternehmen der Unternehmenswert vor und nach der Abgabe der Funktion und entsprechend beim aufnehmenden der Unternehmenswert vor und nach der Aufnahme ermittelt.2 Die jeweilige Differenz ergibt dann den Wert des Transferpaketes. Insofern kommt es zu einer Vierfach-Bewertung.3 Der Gesetzgeber unterstellt ferner, dass fremde Dritte bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern in der Regel Preisanpassungsklauseln vereinbaren würden, wenn Unsicherheiten über die Höhe der zukünftigen Gewinne entstehen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG). Wurde dagegen eine solche Klausel nicht vereinbart, und tritt innerhalb der ersten 10 Jahre nach Veräußerung eine erhebliche Abweichung zwischen unterstellter und tatsächlicher Gewinnentwicklung ein, wird der Besteuerung ein einmaliger Anpassungsbedarf zugrunde gelegt (Vvl. § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG). Dabei unterstellt der Gesetzgeber eine erhebliche Abweichung, wenn der auf Basis der tatsächlichen Gewinnentwicklung ermittelte Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungspreises liegt (vgl. § 10 Satz 1 FVerlV).

29.258

Im Rahmen der konkreten Wertermittlung sind daher im Wesentlichen folgende Problembereiche zu betrachten:

29.259

– Ermittlung der Gewinnpotentiale – Dauer des Kapitalisierungszeitraums – Höhe des Kapitalisierungszinssatzes 2. Ermittlung der Gewinnpotentiale Die Gewinnpotentiale werden als Barwert der aus der verlagerten Funktion erwarteten Reingewinne nach Steuern definiert (vgl. § 1 Abs. 4 FVerlV), welche (die beiden) ordentliche(n) gewissenhafte(n) Geschäftsleiter der beteiligten Unternehmen erwarten.4 Demnach handelt es sich um den aus der Unternehmensbewertung bekannten Zukunftserfolgswert.5 Die deutliche Kritik des IDW an der Heranziehung der Standards IDW S 1 und IDW S 56 zeigt, dass dieser Zukunftserfolgswert für den vorliegenden Bewertungszweck von anderen Wertkonzepten abweicht und daher zu konkretisieren ist.

29.260

Nach Auffassung der Finanzverwaltung handelt es sich bei den erwarteten Reingewinnen um die aus dem Transferpaket resultierenden finanziellen Überschüsse nach Fremdkapitalkosten und Steuern, die als Nettoeinnahmen während der erwarteten wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Transferpakets in den Verfügungsbereich des jeweiligen ordentlichen gewissenhaften Geschäftsleiters gelangen. Diese sollen (bei der direkten Wertermittlung der Funktion) aus den für die Zukunft geplanten Jahresergebnissen abgeleitet werden. Die zugrunde liegende Planungsrechnung kann dabei nach unternehmensüblichen handelsrechtlichen, steuerrechtlichen oder nach anderen Vorschriften (z.B. IFRS oder US GAAP) aufgestellt werden. Eine Korrektur nicht zahlungswirksamer Posten ist ausdrücklich vorgesehen. Insofern ist auch

29.261

1 2 3 4 5

Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 411. Vgl. 2.1.4.1 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 32. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1652). Vgl. 2.1.4 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 30. Vgl. 2.1.4 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 30, mit ausdrücklichem Verweis auf IDW S 1, Rz. 5. 6 Siehe dazu das Anschreiben des IDW an den Bundesminister der Finanzen v. 9.8.2011. Online verfügbar auf idw.de unter Verlautbarungen, sonstige Verlautbarungen.

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§ 29 Rz. 29.261

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

die Bezugnahme auf die DCF-Verfahren konsequent.1 Ebenso erfolgt ein Hinweis auf IDW S 1 nach welchem eine ordnungsgemäße Unternehmensbewertung aufeinander abgestimmte Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Finanzplanungen voraussetzt. Hierzu sind u.U. ergänzende Berechnungen zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen erforderlich. Auf die Höhe gesellschaftsrechtlich ausschüttungsfähiger Überschüsse soll es jedoch nicht ankommen.2

29.262 Trotz detaillierter Festlegungen zur Ermittlung der finanziellen Überschüsse bleibt fraglich, wie die auf das Transferpaket entfallenden Zahlungsströme zu isolieren sind.3 Dies kann bspw. für die Auslagerung des Vertriebs inkl. Kundenstamm für ein bestimmtes Land noch vergleichsweise einfach sein, wenn eine entsprechende Ergebnisplanung für dieses Land vorliegt.4 Komplexer wird die Bestimmung, wenn nach Abgabe der Funktion zwischen Übergeber und Übernehmer (laufende) Transaktionen erfolgen, die eine (gewöhnliche) Verrechnungspreisbestimmung notwendig machen. In diesem Fall wird der spätere Verrechnungspreis wertbestimmend für das Transferpaket selbst.5

29.263 Trotzdem entfällt auch hier die Zurechnungsproblematik nicht. Nach den Verwaltungsgrundsätzen soll die Herausrechnung des auf die Funktion entfallenden Gewinnanteils dabei insbesondere auf Basis von Daten des internen Rechnungswesens erfolgen. Genannt werden die Kostenstellen-, Deckungsbeitrag- oder Produktergebnisrechnung.6 Es ist ersichtlich, dass hierzu ein entsprechend ausgestaltetes Controlling notwendig ist. Es ergeben sich dementsprechende Probleme, etwa bei der Kalkulation von Kuppelprodukten.

29.264 Ebenso sollen tatsächlich bestehende, eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen berücksichtigt werden. Anders als bei rein objektivierten Unternehmensbewertungen sind die für eine angemessene Preisgestaltung erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Positionen der beteiligten Vertragspartner zu beachten.7 Wenn etwa für das verlagernde Unternehmen eine konkrete Möglichkeit bestehen würde, die Funktion anderweitig zu einem höheren Preis zu veräußern, wird ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht bereit sein, die Funktion günstiger oder gar unentgeltlich abzugeben.8

29.265 Dies korrespondiert mit der Festlegung, dass im Rahmen der Ertragswertermittlung(en) alle Standortvor- und -nachteile, wie etwa Lohnkosten oder Qualität der Infrastruktur, sowie Synergieeffekte9 beider beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen sind. Dabei ist maßgeblich, welches Unternehmen die Vorteile/Nachteile im Rahmen der fiktiven Kaufpreisverhandlung realisieren könnte bzw. müsste, nicht welches sie entstehen lässt. Hierbei ist neben den bereits genannten Handlungsalternativen auch die Verhandlungsstärke der Beteiligten maßgeblich.10

1 Vgl. 2.3.2.1 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 88. 2 Vgl. 2.1.4.1 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 31. 3 Siehe dazu weiterführend Ditz/Greinert in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG, Anm. 1272. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1652). 5 Vgl. Serg, DStR 2005, 1919 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1652). 6 Vgl. 2.3.2 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 85. 7 Vgl. auch BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFH/NV 2004, 736 m.w.N. = GmbHR 2004, 674. 8 Vgl. 2.3.2.5 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 96. 9 Vgl. zur Kritik an der Besteuerung von erst im Ausland entstehenden Synergien im Inland Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1652). 10 Vgl. 2.3.2.5 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 93.

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Kohl

Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.269 § 29

Schwierigkeiten werden sich in der Praxis bei der Identifikation von konkreten Handlungsalternativen auf Basis von Planungsüberlegungen („Strategiepapieren“) oder Auskünften der Geschäftsleiter ergeben. Die Quantifizierung von Synergieeffekten kann durch einen Vergleich von Stand-Alone- und Gesamtbewertung erreicht werden. Die Zuteilung der Effekte auf Basis der Verhandlungsstärke wird jedoch i.d.R. kaum anhand hinreichend objektiver Kriterien möglich sein.

29.266

Bezüglich der Finanzierung kann typisierend davon ausgegangen werden, dass das die Funktion übernehmende Unternehmen dieselbe Verschuldung wie das verlagernde Unternehmen aufweist. Der Steuerpflichtige soll die Beweislast für eine abweichende Finanzierung tragen.1

29.267

Wie einleitend definiert soll es sich um einen Cashflow „nach Steuern“ handeln. Dies ist zu präzisieren. In Unternehmensbewertungskalkülen sind hiermit regelmäßig Ertragsteuern gemeint. In jedem Fall sind die Ertragsteuern auf Unternehmensebene abzuziehen. Bei den auf deutscher Seite beteiligten Kapitalgesellschaften wären dies die Körperschaftsteuer inkl. Solidaritätszuschlag sowie die Gewerbesteuer. Bei ausländischen Unternehmen entsprechende ausländische Ertragsteuern. Fraglich ist jedoch, ob darüber hinaus auch Ertragsteuern der Anteilseigner zu berücksichtigen sind. Der IDW S 1 schlägt zur Berücksichtigung von Anteilseignersteuern bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswertes allgemein eine anlassbezogene Typisierung vor.2 Im Rahmen der sog. mittelbaren Typisierung, die bei Unternehmensbewertungen aus Anlass unternehmerischer Initiativen anzuwenden ist, wird die Annahme getroffen, dass die Besteuerung der Zuflüsse aus dem Bewertungsobjekt und der Opportunität (Investition in ein Aktienportfolio) derselben persönlichen Besteuerung unterliegt und damit im Ergebnis unberücksichtigt bleiben kann. Anders ist dies bei der unmittelbaren Typisierung. Hierbei soll bei vertraglichen oder gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen der Unternehmenswert aus Sicht einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner ermittelt werden. Die Anteilseignersteuern sind dann sowohl im Zahlungsstrom als auch im Kapitalisierungszinssatz explizit zu berücksichtigen.

29.268

Die Verwaltungsgrundsätze legen fest, dass bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich das Konzept der mittelbaren Typisierung anzuwenden ist. Demnach sollen lediglich die Steuern auf Unternehmensebene explizit berücksichtigt werden.3 Dies erscheint mit Blick auf die Fiktion des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers angemessen, weil letztlich auf Basis von Grenzpreisen auf Unternehmensebene ein hypothetischer Fremdvergleichspreis zu ermitteln ist. Ebenso kann die mittelbare Typisierung mit Blick auf IDW RS HFA 10 befürwortet werden. Denn auch dort ist die Bewertung aus Sicht des die Beteiligung bilanzierenden Unternehmens vorzunehmen.4 Jedoch eröffnen die Verwaltungsgrundsätze dem Steuerpflichtigen das Wahlrecht, persönliche Ertragsteuern der Anteilseigner zu ermitteln und einzubeziehen.5 Insofern handelt es sich nicht um das Konzept der unmittelbaren Typisierung, vielmehr findet gar keine Typisierung statt, weil auf die tatsächlichen Verhältnisse der Anteilseigner rekurriert werden soll. Dies ist einerseits zutreffend, weil schließlich Grenzpreise zu ermitteln sind, andererseits aber auch widersprüchlich zu einem eigentlich gesuchten fremdüblichen Preis, der eigentlich stets gewisse Typisierungen verlangen müsste.

29.269

1 2 3 4 5

Vgl. 2.3.2.5 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 94. Vgl. 2.3.2.5 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 29 ff. Vgl. 2.1.4.2 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 34. Vgl. Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe, in Peemöller, S. 1424. Vgl. 2.1.4.2 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 34.

Kohl 1023

§ 29 Rz. 29.270

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.270 Bei Personengesellschaften können die persönlichen Steuern dagegen nicht ausgeblendet werden. Dem Steuerpflichtigen soll es aber erlaubt sein, bei beteiligten Personengesellschaften die Ertragsteuern anzusetzen, die entstanden wären, wenn statt Personenunternehmen Kapitalgesellschaften an der Funktionsverlagerung beteiligt gewesen wären. In diesem Fall sind fiktive persönliche Ertragsteuern der fiktiven Anteilseigner aufgrund Ausschüttungen entsprechender Gewinne aber nicht zu berücksichtigen. Dem Unternehmen steht es aber frei, die tatsächlichen persönlichen Ertragsteuern, die aufgrund der Gewinne des Unternehmens für die (Mit-) Unternehmer entstehen, zu ermitteln und einzubeziehen.1

29.271 Im Ergebnis besteht beim Einbezug von Steuern in das Bewertungskalkül daher jeweils ein Wahlrecht. Kapitalgesellschaften können statt des Konzeptes der mittelbaren Typisierung die persönliche Steuerbelastung ihrer (konkreten) Anteilseigner in die Betrachtung miteinbeziehen. Umgekehrt können Personengesellschaften das Konzept der mittelbaren Typisierung (mit den Ertragsteuern einer Kapitalgesellschaft [!]) anwenden.

29.272 In den Fällen, in denen das verlagernde Unternehmen aufgrund rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Gründe die Funktion nicht mehr selber ausüben kann, erfolgt eine Abkehr vom Zukunftserfolgswert. In diesen Fällen hat dagegen eine Bewertung zum Liquidationswert zu erfolgen (vgl. § 7 Abs. 2 FVerlV), bei dem die einzelnen Wirtschaftsgüter zu Veräußerungspreisen angesetzt werden. Veräußerungskosten, Abwicklungskosten, Steuern und die dem Transferpaket zuzurechnenden Schulden sind dann in Abzug zu bringen.

29.273 Eine Bewertung zum Liquidationswert soll auch dann erfolgend, wenn es günstiger oder tatsächlich möglich ist, eine Funktion aufzugeben anstatt mit Verlusten fortzuführen. 3. Kapitalisierungszeitraum

29.274 Die Finanzverwaltung macht deutlich, dass die Ergebniseffekte der Funktionsverlagerung nicht zwingend dauerhaft wirken. Vielmehr sollen die Gewinnpotentiale während der erwarteten wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Transferpakets berücksichtigt werden.2 Jedoch hat der Steuerpflichtige die Gründe für einen endlichen Zeitraum glaubhaft zu machen. Andernfalls ist von einem unendlichen Zeitraum auszugehen (vgl. § 6 FVerlV). Glaubhaft ist eine Tatsache dann, wenn ihr Bestehen wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen.3

29.275 Die Verwaltung erkennt jedoch zutreffend, dass ein unendlicher Kapitalisierungszeitraum nur in Betracht kommen kann, wenn es sich bei der verlagerten Funktion um einen ganzen Betrieb, einen Teilbetrieb oder zumindest um eine eigenständig lebensfähige Einheit handelt, die weitgehend einem Teilbetrieb entspricht.4

29.276 Die Frage, wie lange finanzielle Überschüsse zufließen, wird auch in der Unternehmensbewertungstheorie beleuchtet. Sofern der Unternehmenserfolg aus wertbestimmenden Faktoren erwächst, die dauerhaft gegeben sind, ist die Annahme eines unbegrenzten Zeitraums zulässig. Dies wird in der Regel aber nur für große Unternehmen der Fall sein. Bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen ist jedoch bspw. aufgrund der Abhängigkeit von inhaberbezogenen Erfolgsfaktoren die Annahme einer unendlichen Lebensdauer oftmals unangemessen. Vielmehr 1 2 3 4

Vgl. 2.1.4.2 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 35. Vgl. 2.1.4.1 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 31. Vgl. 2.1.5.2 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 40. Vgl. 2.6 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 109.

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Steuerliche Unternehmensbewertung

Rz. 29.280 § 29

ist hier zu identifizieren, welcher Teil der Ertragskraft lediglich partiell und/oder lediglich temporär übertragbar ist. Bei nur temporär übertragbaren Ergebnisanteilen sind selbige über einen endlichen Zeitraum abzuschmelzen.1 Diese Vorgehensweise kann gerade auch bei der Übertragung einer einzelnen Funktion angewendet werden.2 Denn wenn eine Funktion unter der Schwelle zum Teilbetrieb liegt, heißt das, dass sie gerade nicht auf Dauer eigenständig lebensfähig ist.3 Vielmehr sind dann zur Erhaltung der Funktion wie bei jedem anderen materiellen als auch immateriellen Wirtschaftsgut (eigene) Aufwendungen des übernehmenden Unternehmens erforderlich.4 Insofern ist die in den Verwaltungsgrundsätzen getroffene Aussage, nach der für die unendliche Laufzeit jedenfalls zumindest eine teilbetriebsähnliche Einheit vorliegen muss, als notwendige Bedingung zutreffend. Die Festlegung, dass es dann jedoch regelmäßig zu einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum kommen soll5, ist jedoch zu weitgehend. Schließlich begründet die Betriebs- oder (weitgehende) Teilbetriebseigenschaft nicht per se dauerhaft gegebene Erfolgsfaktoren. Vielmehr ist, vergleichbar der Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, eine differenzierte Analyse der mit der Funktion übertragenen Ertragskraft notwendig.

29.277

Sofern der Zeitraum von den Umständen der Funktionsausübung abhängig und insofern endlich ist, hat dies derjenige glaubhaft zu machen, der sich darauf beruft, falls es nicht offensichtlich ist. Im Schrifttum wird vorgeschlagen, die in § 7 Abs. 2 FVerlV erfolgte Differenzierung in rechtliche, tatsächliche oder wirtschaftliche Gründe analog anzuwenden.6

29.278

Rechtliche Gründe können sich sowohl aus privatrechtlichen als auch aus öffentlich-recht- 29.279 lichen Beziehungen ergeben.7 Die Länge des Kapitalisierungszeitraums ergibt sich dann aus der Vertragslaufzeit. Ebenso können tatsächliche Gründe für einen endlichen Zeitraum sprechen, dessen Länge u.U. schwieriger bestimmbar ist. Diese können nicht immer trennscharf von den wirtschaftlichen Gründen abgegrenzt werden. Jedenfalls verlangen die in den Verwaltungsgrundsätzen genannten betriebswirtschaftlichen Anhaltspunkte (Technologiezyklus, der Produktlebenszyklus, die Dauer des Patentschutzes oder die Dauer des Vertriebsrechts beachtlich8 eine einzelfallbezogene Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums. Ist jedoch „ausnahmsweise“9 von einem unendlichen Zeitraum auszugehen, wird im Schrifttum das auch im IDW S 1 beschriebene Zwei-Phasen-Modell vorgeschlagen,10 bei dem in einer ersten Phase Detailplanungen anzustellen sind, während für die zweite Phase ein wiederkehrendes nachhaltiges Ergebnis im Sinne einer ewigen Rente anzusetzen ist.

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 27. Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 422. Vgl. Eisenberg/Ullmann, DStR 2013, 855 (858). Vgl. Eisenberg/Ullmann, DStR 2013, 855 (858). Vgl. 2.6 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 109. Vgl. Eisenberg/Ullmann, DStR 2013, 855 (857). Vgl. zu den drei Kategorien mit verschiedenen Beispielen Eisenberg/Ullmann, DStR 2013, 855 (857). 8 Vgl. 2.6 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 109. 9 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 430. 10 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 422.

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29.280

§ 29 Rz. 29.281

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.281 Aus Vereinfachungsgründen kann typisierend angenommen werden, dass sich die Kapitalisierungszeiträume der beiden beteiligten Unternehmen entsprechen.1 4. Kapitalisierungszinssatz

29.282 Zur Bestimmung des jeweils angemessenen Kapitalisierungszinssatzes ist von einem Zinssatz für eine risikolose Investition auszugehen, der um einen funktions- und risikoadäquaten Zuschlag zu erhöhen ist (vgl. § 5 FVerlV). Diese Festlegung entspricht der Vorgehensweise in der Unternehmensbewertungspraxis.

29.283 Dies gilt umso mehr als das die Verwaltungsgrundsätze auf den Basiszins i.S.d. IDW S 1 verweisen. Für den Basiszins ist jeweils der Zinssatz für laufzeitäquivalente öffentliche Anleihen des jeweiligen Landes heranzuziehen. Insofern ist es zutreffend, darüber hinaus keinen Länderrisikozuschlag vorzunehmen,2 wobei dies jedoch bei Heranziehung des deutschen Basiszinssatzes für das ausländische Unternehmen alternativ möglich ist.3

29.284 Mit Blick auf den Einigungsbereich ergibt sich durch diese Herangehensweise folgende Problematik. Sofern eine Funktion annahmegemäß im In- und Ausland zu einem identischen Zahlungsstrom führt, wäre der mindestens zu erzielende Preis des abgebenden inländischen Unternehmens i.d.R. höher als der höchstens bezahlbare Preis des aufnehmenden ausländischen Unternehmens.

29.285 Daneben wird durch diese Vorgehensweise ersichtlich, dass es sich bei der Schätzung der finanziellen Überschüsse um den Erwartungswert der selbigen handeln muss. Andernfalls wäre der Risikozuschlag nicht im Nenner des Bewertungskalküls, sondern als Risikoabschlag bei den Überschüssen im Zähler zu berücksichtigen. Zur Ermittlung des funktions- und risikoadäquaten Zuschlags wird auf die Erkenntnisse der Unternehmensbewertungstheorie verwiesen.4 Die konkrete Festlegung des Risikozuschlags erfolgt bei der Unternehmensbewertung i.d.R. unter Anwendung des CAPM. Er ergibt sich im Rahmen dieses kapitalmarkttheoretischen Modells durch Multiplikation einer (allgemeinen) Marktrisikoprämie mit einem unternehmensindividuellen Beta-Faktor.5

29.286 Zur Bestimmung des Beta-Faktors ist hierbei ein Rückgriff auf Kapitalmarktdaten von Vergleichsunternehmen (Peer-Group) notwendig. Bei der Funktionsverlagerung wäre demnach ein Risikozuschlag für das verlagernde Unternehmen als auch für das aufnehmende Unternehmen zu ermitteln, der jeweils das unternehmensübliche Risiko berücksichtigen soll (vgl. § 5 Satz 3 FVerlV). Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich das Risikoprofil beider Unternehmen gerade durch die Funktionsverlagerung verändert.6 Hieraus kann sich das Problem ergeben, dass sich zwar ein Beta-Faktor für das Unternehmen vor Funktionsverlagerung, nicht aber für die Verhältnisse danach ermitteln lässt, weil dann i.d.R. keine vergleichbaren Unternehmen mehr identifiziert werden können. Rein qualitativ soll nach Meinung von Beumer/Duscha gel1 Vgl. 2.6.1 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 112. 2 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 429–430. 3 Vgl. 2.5.1 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 109. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1653); Ditz/Greinert in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG, Anm. 1280. 5 Vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 431–432. 6 Vgl. zum restlichen Absatz Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe, in Peemöller, S. 1430.

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Rz. 29.290 § 29

ten, dass der Betafaktor nach der Abgabe der Funktion regelmäßig sinken muss, weil ein operatives Risiko ausgelagert wird. Die quantitative Festlegung des Betafaktors kann nach deren Vorschlag von anhand einer Praktikermethode erfolgen. Hierzu wird die Standardabweichung der Wachstumsraten der Cashflows vor und nach der Verlagerung ins Verhältnis gesetzt. Der sich hieraus ergebene Faktor ist dann mit dem Beta-Faktor vor der Verlagerung zu multiplizieren. Bei Betrachtung der Berechnungsmethodik wird deutlich, dass das angenommene qualitative 29.287 Ergebnis nicht zwingend zutreffend muss. Der berechnete Faktor kann durchaus Werte über 1 annehmen und folglich höhere Beta-Faktoren nach der Verlagerung liefern. Dies kann verschiedene wirtschaftliche Gründe haben. Einerseits ist denkbar, dass die Standardabweichung nach der Auslagerung der Funktion sinkt, weil sich der Cashflow-Beitrag der Funktion gerade entgegengesetzt zu anderen operativen Cashflows verhält. Andererseits kann es eben gerade vorkommen, dass eine operativ vergleichsweise „stabile“ Routine-Funktion ausgelagert wird und das Restunternehmen nach der Verlagerung volatilere Cashflows und damit auch deren Wachstumsraten aufweist. Nach den Verwaltungsgrundsätzen sollen sich die Zuschläge für beide Unternehmen an den marktüblichen Renditen orientieren, die bei der Ausübung vergleichbarer Funktionen erzielt werden, sofern solche Renditen ermittelbar sind. Andernfalls ist der Zuschlag aus den Gewinnerwartungen des Konzerns bzw. der Unternehmensgruppe abzuleiten und der verlagerten Funktion ein angemessener Teil am zu erwartenden Gesamtgewinn zuzuordnen.1

29.288

Wenn die erwarteten Gewinne aus dem Transferpaket bei Kapitalgesellschaften um die Steuern der Gesellschafter gekürzt werden, ist der Kapitalisierungszinssatz zur Wahrung der Steueräquivalenz auch um die Steuern des Gesellschafters zu reduzieren.2 Sie führt bei der Risikozuschlagsbestimmung mittels CAPM zur Anwendung des Tax-CAPM, wobei jedoch äquivalent zum Zahlungsstrom keine typisierten, sondern tatsächliche Steuerbelastungen zu berücksichtigen sind. Dies ist insbesondere für die Bestimmung der Steuerbelastung mit Abgeltungsteuer beachtlich, die im Tax-CAPM von der Haltedauer der Aktienanlage abhängt. Bei der mittelbaren Typisierung hat dagegen zutreffend keine Kürzung des Kapitalisierungszinssatzes zu erfolgen.3

29.289

5. Steuerlicher Sonderwert Das Transferpaket hat wie dargestellt aus der Perspektive des abgebenden und empfangenden Unternehmens zu erfolgen. Dazu sind die jeweiligen Mindestwerte (abgebendes Unternehmen) bzw. die Höchstwerte (erwerbendes Unternehmen) zu ermitteln. Aus beiden Perspektiven ergeben sich steuerlich relevante Konsequenzen. Das abgebende Unternehmen hat eine Besteuerung der stillen Reserven vorzunehmen und eine entsprechende steuerliche Zahllast zu tragen. Um den Unternehmenswert nach Verkauf konstant zu halten, wird das abgebende Unternehmen versuchen, diese Zahllast vergütet zu bekommen und auf den errechneten Wert aufzuschlagen (sog. Gross-up).4 1 2 3 4

Vgl. 2.5.3 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 106. Vgl. 2.5.4 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 108. Vgl. 2.5.4 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 108. Das pauschale Vorgehen, einmalige Besteuerungseffekte werterhöhend zu erfassen, wird in der Kommentierung kritisch gesehen. Vgl. dazu im einzelnen Ditz/Greinert in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG, Anm. 1281.

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29.290

§ 29 Rz. 29.291

Sechster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanz- und Steuerrecht

29.291 Dies korrespondiert teilweise mit der Perspektive des Erwerbers. Dieser könnte die einzelnen erworbenen Wirtschaftsgüter zu den höheren Anschaffungskosten ansetzen und entsprechend steuermindernde Abschreibungen in seiner Kalkulation des Höchstpreises erfassen. (sog. Tax Amortization Benefit – TAB).

29.292 Unterschiede in diesen steuerlichen Effekten ergeben sich sowohl durch die Zeitpunkte, an denen die steuerlichen Wirkungen anfallen, als auch durch die Steuersätze. Hinsichtlich des Zeitpunkts ist zu beachten, dass eine Veräußerungssteuer aus Sicht des abgebenden Unternehmens sofort anfällt, während die steuerliche Kompensation über Abschreibungen sich auf einen längeren Zeitraum bezieht und der Barwert dieser Effekte niedriger sein wird. Bei den Steuersätzen sind die jeweiligen nationalen Regelungen und die jeweiligen individuellen Besonderheiten des Einzelfalls zu beachten.1

29.293 Die Finanzverwaltung sieht in ihren Verwaltungsgrundsätzen eine Berücksichtigung dieser Effekte bei der Ermittlung der Höchst- und Mindestwerte sowie des Einigungsbereichs vor. Sofern keine sachgerechten Berechnungen vorgelegt werden, räumt sie sich Möglichkeiten ein, die Grenzpreise im Schätzungswege um 15 % pauschal zu erhöhen.2

1 Ein Beispiel zur Berechnung dieser Effekte findet sich bei Beumer/Duscha, Steuerliche Maßstäbe, in Peemöller, S. 1156 f. 2 Vgl. 3.4.3 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, Rz. 163.

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Siebter Teil Sonderbereiche der Unternehmensbewertung § 30 Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) I. KMU in der gerichtlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.1

II. Verbreitung und Bedeutung von KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.9

III. Definitionen KMU . . . . . . . . . . . 1. Quantitative KMU-Merkmale . . . 2. Qualitative KMU-Merkmale . . . .

30.13 30.14 30.16

IV. Anforderungen an die KMU-Bewertung . . . . . . . . . . . . 1. Qualitative Anforderungen . . . . . 2. Quantitative Anforderungen . . . . 3. Abwägung quantitativer und qualitativer Anforderungen . . . . . V. Bewertungsziel der KMU . . . . . . 1. Verkehrswert als rechtsübergreifendes Bewertungsziel . . . . . . 2. Abgrenzung des Verkehrswerts gegen andere Werte/Preise . . . . . . a) Unterschied Wert und Preis . . b) Subjektive Werte und transaktionsbezogene Preise . . . . . . c) Verfahren zur Ermittlung von Werten und Preisen . . . . . d) Verkehrswert vs. wahrer, wirklicher, innerer Wert . . . . . e) Verkehrswert vs. objektivierter Unternehmenswert (Ertragswert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verkehrswert und Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . . g) Verkehrswert und Vorerwerbspreise für KMU . . . . . h) Normfremde Einschränkungen des Bewertungsziels . . . . . 3. Verkehrswert von KMU und Wahl der Bewertungsmethode . . . 4. Abschläge oder Zuschläge auf KMU-Verkehrswerte . . . . . . . . . . a) Abschlag für KMU wegen geringer Größe (Größeneffekt) .

30.24 30.24 30.26 30.29 30.30 30.31 30.33 30.35 30.36 30.38 30.41 30.43 30.54 30.56 30.58 30.59 30.66 30.71

b) Abschlag für KMU wegen fehlender Diversifikation . . . . c) Abschlag für KMU wegen eingeschränkter Handelbarkeit . . 5. Verkehrswert der KMU und der Abzug latenter Ertragsteuern . . . . a) Meinungsstand zum Abzug der latenten Ertragsteuer . . . . b) Stellungnahme zum Abzug der latenten Ertragsteuer . . . . VI. Bewertungsstandards bzw. berufsständische Hinweise für KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. IDW-Standards für KMU . . . . . . a) IDW S 1 (2008) . . . . . . . . . . . b) IDW-Praxishinweise für KMU (2014) . . . . . . . . . . . . . . aa) Zuverlässigkeit der Daten . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung des Bewertungsobjekts von der Privatsphäre . . . . . . . . . cc) Kalkulatorische Tätigkeitsvergütungen für Inhaber und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vergangenheitsanalyse . . ee) Planungsrechnung . . . . ff) Stichtagsprinzip . . . . . . gg) Fortführungsdauer . . . . hh) Übertragbare Ertragskraft . . . . . . . . . . . . . . . ii) Finanzierung, persönliche Sicherheiten und Haftung . . . . . . . . . . . . jj) Ertragsteuern der Unternehmenseigner . . . kk) Kapitalisierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . ll) Gesamtwert und Anteilswert . . . . . . . . . .

30.74 30.77 30.85 30.88 30.94

30.103 30.107 30.108 30.113 30.114 30.116

30.120 30.124 30.126 30.129 30.131 30.135 30.141 30.144 30.145 30.153

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§ 30

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

mm) Vereinfachte Preisfindungsverfahren . . . . . . . c) IDW S 13 Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geltung des IDW S 1 und modifizierte Ertragswertmethode . . . . bb) Übertragbare Ertragskraft und kalkulatorischer Unternehmerlohn . . . . . . cc) Überleitung vom objektivierten Unternehmenswert zum Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . . . dd) Anteilsbewertung bei Bestehen von Verfügungsbeschränkungen . . . 2. Branchenspezifische Empfehlungen zur Bewertung von KMU . . . a) Wirtschaftsprüfer . . . . . . . . . . b) Steuerberater – Hinweise BStBK 2017 . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsanwälte – BRAKBewertungshinweise 2017 . . . . d) Ärzte – BÄK-Bewertungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Handwerker – Bewertungshinweise ZdH/AHW . . . . . . .

30.155 30.157 30.160 30.161

30.168 30.170 30.172 30.172 30.173 30.184 30.192 30.199

VII. Eignung der Bewertungsverfahren für das gerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.208 1. Problematische Mischbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . 30.210 2. Eignung des Ertragswertverfahrens gemäß IDW S 1 . . . . . 30.212

3. Eignung des modifizierten Ertragswertverfahrens . . . . . . . . . a) Voraussetzungen und Merkmale der modifizierten Ertragswertmethode . . . . . . . . b) Stellungnahme zur modifizierten Ertragswertmethode . . 4. Eignung der Substanzwertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschließliche Bewertung nach Substanzwerten . . . . . . . b) Kombinierte Bewertungen mit Substanzwerten . . . . . . . . c) Negative Substanzwerte . . . . . d) Stellungnahme zu Substanzwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eignung von Preisfindungsverfahren für KMU . . . . . . . . . . . a) Verbreitung von Preisfindungsverfahren beim Kauf von KMU . . . . . . . . . . . . b) Bewertungstheorie und -praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschreibung der vereinfachten Preisfindungsverfahren . . . e) Stellungnahme zu Preisfindungsverfahren . . . . . . . . . . 6. Eignung der Umsatzmethode . . .

30.220 30.224 30.226 30.233 30.238 30.241 30.243 30.246 30.248 30.250 30.252 30.254 30.256 30.258 30.264

VIII. Vereinfachungen für die Bewertung von KMU . . . . . . . . . 30.271 1. Vorschläge in der Literatur . . . . . 30.273 2. Vereinfachung durch Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . 30.274 IX. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . 30.277

Schrifttum: Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk, Unternehmensbewertung im Handwerk (AWH-Standard, 2016, Version 5.0); Ballhorn/König, Die modifizierte Ertragswertmethode im Zugewinnausgleich – „Narrenfreiheit“ für die Sachverständigen?, NJW 2018, 1911; Ballhorn/König, Die Veräußerungsfiktion bei Unternehmensbewertungen im Familien- und Erbrecht und der Tax Amortization Benefit – Wechselwirkungen anhand von Praxisbeispielen, FamRB 2017, 33; Ballhorn/König, Unternehmensbewertung nach dem IDW S 13: Eine konsequente Umsetzung der BGH Vorgaben, FamRZ 2018, 161; Ballwieser, Unternehmensbewertung mit Hilfe von Multiplikatoren, in Rückle (Hrsg.), Aktuelle Fragen der Finanzwirtschaft und der Unternehmensbesteuerung, Festschrift für Erich Loitlsberger zum 70. Geburtstag, Wien 1991, S. 47; Ballwieser/ Franken/Ihlau/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), WPg 2014, 463; Barthel, Unternehmenswert, Der Markt bestimmt die Bewertungsmethode, DB 1990, 1145; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Überblick „branchenspezifische Bewertungsmethoden“, Stand Januar 2013; Borth, Die Bewertung von Unternehmen im Familien- und Erbrecht nach IDW S 13 – eine gezielte Umdeutung der Bewertungsgrundsätze des BGH?, FamRZ 2017, 1739; Breidenbach, Überlegungen zur Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis, DStR 1991, 47; Bruschke, Zuge-

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

§ 30

winnausgleich – Berücksichtigung latenter Steuern bei der Berechnung der Ausgleichsleistung, ErbStB 2016, 80; Bruski, Kaufpreisbemessung und Kaufpreisanpassung im Unternehmenskaufvertrag, BB Beilage 2005, Nr. 17, 19; Buchner/Friedl/Hinterdobler, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach dem AWH-Standard, DStR 2017, 1341; Büte, Die Last mit der latenten Steuerlast, FuR 2012, 413; Bundesärztekammer, Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen 2008, Deutsches Ärzteblatt 2008, Heft 51-52, A4; Bundesrechtsanwaltskammer, Bewertung von Anwaltskanzleien, Aktualisierte Richtlinien zu Bewertung von Anwaltskanzleien, Stand 11.8.2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6; Bundesrechtsanwaltskammer, Richtlinien zu Bewertung von Anwaltskanzleien, 2009; Bundessteuerberaterkammer, Hinweise für die Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis 2017; Coenenberg/ Schultze, Das Multiplikator-Verfahren in der Unternehmensbewertung: Konzeption und Kritik, FB 2002, 697; Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), Best-ProjektesEmpfehlungen Unternehmensbewertung 2012; Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2012; Drukarczyk/Ernst (Hrsg.), Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007; Englert, Die Bewertung von freiberuflichen Praxen mithilfe branchentypischer Wertfindungsmethoden, DB 1997, 142; Fleischer, Rechtsformen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften, ZIP 2012, 1633; Fleischer, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung; AG 2014, 102; Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren, 5. 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§ 30

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

gen und Abweichungen, WPg 2011, 299; Keller, Besonderheiten bei der Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen, BPrak 2006, 12; Keim/Jeromin in Hölters (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung; Koch, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Zugewinnausgleich, FamRZ 2018, 1469; Koch, Zur Entwicklung der Rechtsprechung zum Zugewinnausgleich, FamRZ 2018, 1469; Kohl, Die Anwendung des IDW S 1 bei der Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen, WPg 2018, 146; Kohl/Ballhorn/König, Unternehmensbewertung bei Familien- und erbrechtlichen Anlässen nach IDW S 13, DB 2016, 2428; Kogel, Meilenstein und Wendepunkt in der güterrechtlichen Bewertungspraxis, NJW 2011, 3337; König/Ballhorn, Die Neuregelung der Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich – Zusammenspiel von Bewertungsmethode und Rechtsprechung, NZFam 2016, 1084; König, Unternehmensbewertung von Klein-Betrieben, jurisPR-HaGesR 1/2018 Anm. 3; Konold/Schweizer, Bewertung von Personengesellschaften (IDW S 1) nach dem TAX-CAPM – praktische Anwendungsprobleme im Zukunftswert (Teil I), DStR 2017, 511; Konold/Schweizer, Bewertung von Personengesellschaften (IDW S 1) nach dem TAX-CAPM – praktische Anwendungsprobleme im Zukunftswert (Teil II), DStR 2017, 558; Grünewald, Gibt es einen objektiven Unternehmenswert?, BB 1995, 1839; Kruschwitz/Löffler, Warum Total Beta totaler Unsinn ist, CF 2014, 263 ff.; Kuckenburg, Unternehmenswertgutachten im Zugewinnausgleich, NZFam 2015, 390; Kuckenburg, Modifizierte Ertragswertmethode sowie die disparitätische Beteiligung am Betriebsvermögen und Gewinn und Verlust, FuR 2014, 693; Kuckenburg, Unternehmensbewertung von Rechtsanwaltskanzleien – aktualisierte Richtlinien der BRAK, FF 2018, 359; Mayer-Klenk/Borth, Die Bewertung von Unternehmen, Gewerbebetrieben sowie Praxen freiberuflich tätiger im Güterrecht nach der Rechtsprechung des BGH, FamRZ 2012, 1923; Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, Berücksichtigung der Fungibilität bei Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 – Eine empirische Analyse, DStR 2012, 1621; Moxter, Unternehmens- und Praxisübertragungen, BB 1995, 1518; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Münch, Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich, DStR 2014, 806; Nestler, Bewertung von KMU: Aktuelle Hinweise des IDW zur praktischen Anwendung des IDW S 1, BB 2012, 1271; Niehues, Strukturorientierte Unternehmenslehre für Klein- und Mittelbetriebe, DB 2000, 2027; Niehues, Unternehmensbewertung bei Unternehmenstransaktionen unter besonderer Berücksichtigung kleiner und mittelständischer Unternehmen, BB 1993, 2241; Ohrmann, Die praktische Anwendung der verschiedenen Praxisbewertungen, 2012; Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015; Peemöller, Bewertung von Klein- und Mittelbetrieben, BB Beilage 2005, Nr. 17, S. 30; Peemöller, IDW-Praxishinweis für die Bewertung von KMU – Anmerkungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht, BB 2014, 1963; Piltz, Latente Steuern im Zugewinnausgleich, NJW 2012, 1111; Rautenstrauch/Müller, Operative Unternehmensplanung und -kontrolle in kleinen und mittleren Unternehmen (Teil I), DStR 2007, 2126; Rohde, Lässt sich IDW S 1 in der Bewertungspraxis vereinfachen?, DStR 2016, 1566; Schempp, Unternehmensbewertung im Handwerk 2012, Ludwig-Fröhler-Institut; Schiffers, Praktische Grundregeln für die Unternehmensbewertung, GmbH-StB 2005, 300; Schlünder, Nochmals: Die latente Ertragsteuer beim Zugewinnausgleich, FamRZ 2015, 372; Schüler, Zur Unternehmensbewertung mit Multiplikatoren, WPg 2014, 1146; Schulz, Latente Ertragsteuern beim Zugewinnausgleich – ein Albtraum, FamRZ 2014, 1684; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, 2009; Spieker, Ermittlung der „fiktiven Steuerlast“ beim Zugewinnausgleich – Erstreckung auf alle Vermögensgegenstände?, NZFam 2015, 394; Stabenow/Czubayko, Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Bewertung von freiberuflichen Praxen im Zugewinnausgleich, FamRZ 2012, 682; Stein/Fischer, Hinweise der Bundessteuerberaterkammer zu den Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen – Hintergründe und Kernaussagen, DStR 2014, 1018; Tanck, Pflichtteil bei unternehmerisch gebundenem Vermögen, BB Beilage 2004, Nr. 15, 19; Thees/Sulek, Berücksichtigung von Übergewinnen bei der Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, BB 2018, 1963; Wehmeier, Erwerb oder Nachfolge einer Steuerberatungspraxis, Stbg 2012, 452; Wehmeier, Praxisbewertung – Anmerkungen zu den Hinweisen der Bundessteuerberaterkammer vom 30.6.2010, Stbg 2010, 465; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018; Zwirner/Zimny, Unternehmensbewertung unter Rückgriff auf Börsenkurse – geeignete Methode für den Mittelstand?, DB 2018, 1387; Zwirner/Zimny, Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung zur Bestimmung von Ansprüchen im Familien- und Erbrecht (IDW ES 13), DB 2016, 241; Zwirner/

1032

Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.3 § 30

Zimny, Unternehmensbewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU), Board 2015, 135; Zwirner, Unternehmensbewertung von KMU – Kritische Bestandsaufnahme und Grenzen des IDW S 1 sowie Notwendigkeit einer Skalierung, DB 2013, 1797.

I. KMU in der gerichtlichen Praxis In der streitigen Gerichtsbarkeit sind im Kaufrecht, Gesellschaftsrecht, Familienrecht, Erbrecht und Schadensersatzrecht hauptsächlich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu bewerten. Zu den KMU zählen freiberufliche Rechtsanwalts-, Ärzte-, Architekten-, Steuerberatungsgemeinschaften, mittelständische Industrieunternehmen, Handwerksbetriebe oder einzelkaufmännische Handelsunternehmen.

30.1

Dies wird bestätigt durch eine Analyse der Rechtsprechung der letzten Jahre über diverse Rechtsgebiete (näher Rz. 26.52 ff. zum Familienrecht). Betroffen waren Steuerberater- bzw. Rechtsanwaltspraxen1, Arztpraxen2, kleinere Industriebetriebe3, Film- und Fernsehproduktionen4, Spielbanken5, Gemüsekonservenfabriken6, Schuhfabriken7, IT-Entwickler8, Sanitätshäuser9, Versicherungsmakler10, landwirtschaftliche Betriebe11, Wohnungsbaugesellschaften12, Maschinenbaubetriebe13, Fitnessstudios14, Textileinzelhandelsunternehmen15.

30.2

Solche Unternehmen werden als einzelkaufmännische Betriebe oder als GbR, OHG, KG, GmbH betrieben, selten hingegen als Aktiengesellschaften.16 Es handelt sich dabei überwiegend um Mikro-Unternehmen (MU) und ansonsten um kleine und mittlere Unternehmen

30.3

1 BGH v. 17.5.2011 – II ZR 285/09, juris-Rz. 1 ff. = NJW 2011, 2355 m.w.N.; BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, juris-Rz. 1 ff. = NJW 2016, 3597; BGH v. 29.7.2014 – II ZR 360/12, juris = ZInsO 2015, 2440; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 1 ff. = BGHZ 188, 249; OLG Dresden v. 29.11.2012 – 13 U 903/11, juris-Rz. 1 ff.; OLG München v. 12.3.2014 – 7 U 113/13, juris-Rz. 1; OLG Hamm v. 14.4.2016 – II-14 UF 237/15, juris-Rz. 21. 2 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 2 = BGHZ 175, 207-221 = FamRZ 2008, 761; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 7 = BGHZ 188, 282-301 (vorgehend OLG Hamm v. 15.1.2009 – 1 UF 119/07, juris-Rz. 2 = OLGR Hamm 2009, 540); Brandenburgisches OLG v. 9.7.2010 – 9 WF 292/08, juris-Rz. 32 ff. 3 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 2 ff. 4 Brandenburgisches OLG v. 25.11.2009 – 7 U 19/04, juris-Rz. 1. 5 OLG Koblenz v. 14.12.2007 – 10 U 1153/02, OLGR Koblenz 2008, 772 (773). 6 OLG München v. 3.12.2009 – 23 U 3904/07, juris-Rz. 2. 7 BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, juris-Rz. 1 = NJW 1982, 2441. 8 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 3 = NJW 2018, 61 = AG 2018, 439. 9 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 2, NJW 2014, 294. 10 OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 24; OLG Frankfurt v. 5.9.2012 – 4 U 272/11, juris-Rz. 1 ff. 11 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 1 = NJW-RR 2016, 1217; OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, juris-Rz. 1 = FamRZ 2013, 329; OLG Stuttgart v. 15.10.2014 – 15 UF 120/14, juris-Rz. 3. 12 OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 21/14, juris-Rz. 2, 43. 13 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 3 = NJW-RR 2005, 153; OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 2 = FamRZ 1995, 607. 14 OLG München v. 21.11.2007 – 20 U 3241/07, juris-Rz. 2. 15 OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 2 = FamRZ 2009, 2006. 16 Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 8.

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§ 30 Rz. 30.3

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

(KMU). Die Gemeinsamkeit dieser Unternehmen ist die ausgeprägte Heterogenität1, die einer schematischen Unternehmensbewertung entgegensteht. Man könnte auch von einem Marktsegment mit besonders ausgeprägten Unvollkommenheiten sprechen.2 Teilweise wird sogar formuliert, dass inhaberbezogene Unternehmen keinen Verkehrswert haben, sondern lediglich einen „lukrativen Arbeitsplatz für den Inhaber“ bereitstellen.3 Dazu passt, dass KMU selbst dann betrieben und weiterverkauft werden, wenn finanzielle Zahlungen aus dem Unternehmen nicht zu erwarten sind.4

30.4 Die Rechtsprechung, das juristische Schrifttum sowie die Unternehmensbewertungslehre und -praxis tun sich schwer, für die MU/KMU (nachfolgend „KMU“) einheitliche Bewertungsansätze zu formulieren. Das ist verständlich. Denn der allseits anerkannte Grundsatz der Bewertungslehre „bewerten heißt vergleichen“5 offenbart, dass die Bewertung schwierig bis unmöglich ist, wenn ein Vergleich aufgrund der Heterogenität von KMU nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist.6 Der Vergleich gelingt am besten bei der Bewertung wirtschaftlich verselbstständigter, organisierter und fremdgeführter Unternehmen, d.h. bei unabhängig von der Person des Inhabers lebensfähigen Einheiten.7 Für KMU fällt der Vergleich daher besonders schwer.8

30.5 Das für den Regelfall der Unternehmensveräußerung zu unterstellende Ausscheiden des Inhabers wird im Allgemeinen Auswirkungen auf die Betriebsmittel (Wegfall von Grundstücken, Maschinen u.a.), die Finanzierung (Wegfall von Inhaber- bzw. Bankkrediten), die Kosten (Ansatz angemessener Unternehmer- und Mitarbeiterlöhne), das Leistungsspektrum, das Know-how, den Kundenstamm (Mitnahme von Kunden bzw. Mandaten), die Mitarbeiter usw. haben. Die dadurch bedingten Veränderungen können so vielfältig sein, dass KMU anschließend nicht mehr werthaltig sind.

30.6 Bei den vorzufindenden Judikaten handelt es sich häufig um Einzelfallentscheidungen, die auch durch gutachterliche Bewertungsansätze determiniert sind. Für das Ergebnis kann es einen erheblichen Unterschied machen, ob ein Wirtschaftsprüfer, ein Steuerberater oder ein branchennaher Unternehmensbewerter mit einem Sachverständigengutachten beauftragt wird. Die gerichtliche Praxis zeigt, dass die Bewertungsmethode nahezu ausnahmslos von dem Sachverständigen festgelegt wird. Wirtschaftsprüfer bewerten anders als Steuerberater oder wirtschaftsnahe Bewertungsprofessionals.

30.7 Hinzu kommt, dass die Bewertungstheorie und -praxis der Unternehmensbewertung einerseits und die Bewertung durch die Marktteilnehmer, d.h. die Käufer und Verkäufer von KMU, andererseits, teils erheblich divergieren (s. Rz. 30.59). Die Bewertungstheorie und -praxis sprechen sich in deutlicher Mehrheit für die Kapitalwertmodelle wie das Ertragswertverfah-

1 Zwirner, DB 2013, 1797 (1797); Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 4. 2 Gleißner in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2016, 201 (204). 3 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 51; Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 242. 4 Hannes in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1405. 5 Moxter, Unternehmensbewertung 1983, S. 123. 6 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (117). 7 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 51 m.w.N.; Niehues, BB 1993, 2241 (2243). 8 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (117); Kohl, WPg 2018, 146 (152).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.10 § 30

ren und das Discount Cashflow-Verfahren (nachfolgend „DCF“) aus.1 Bei der Veräußerung von KMU – insbesondere von freiberuflichen Praxen – werden vielfach Praktiker- bzw. vereinfachte Preisfindungsverfahren auf der Basis von Multiplikatoren (Umsatz/Gewinn) angewendet2. Diese Verfahren pauschalieren und vereinfachen enorm. Sie sind für die Beteiligten aus laienhafter Sicht ohne erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verständlich und anwendbar. Die Ergebnisse sind für die Branchenangehörigen vergleichbar, belastbar und hinsichtlich möglicher Gewinne aussagekräftig. Selbst wenn versucht wird, die reine Lehre des Ertragswertverfahrens in skalierter bzw. angepasster Form anzuwenden, sind KMU-Bewertungen aufgrund der erheblichen Abweichungen vom Standard3 nicht selten pauschaliert, vergangenheitslastig und an einfachen und greifbaren Parametern, wie z.B. Umsätzen, ausgerichtet. Bei der Anwendung der Ertragswertmethode fällt es darüber hinaus auch auf der Diskontierungsseite schwer, KMU in das etablierte marktgestützte CAPM-Korsett gemäß IDW S 14 zu integrieren. Dieses ohnehin hinsichtlich seiner Prämissen angreifbare Gleichgewichtsmodell5 ist auf liquide Kapitalmärkte und diversifizierte Anleger ausgerichtet, hingegen nicht auf KMU.6

30.8

II. Verbreitung und Bedeutung von KMU Laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) zählten in Deutschland im Jahr 2016 rund 3,461 Mio. Unternehmen zu den KMU (99,5 % aller Unternehmen).7 Sie erwirtschafteten rund 2.273 Mrd. Euro (35,3 % aller steuerbaren Umsätze aus Lieferungen und Leistungen) und hatten rund 17,18 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (58,3 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten). Ähnliche Zahlen ergeben sich laut IfM bei der Anwendung der KMU-Definition der EU-Kommission.

30.9

Laut IfM zählten in Deutschland im Jahr 2016 rund 3,06 Mio. Unternehmen zu den kleinsten 30.10 Unternehmen (88,0 % aller Unternehmen). Sie erwirtschafteten rund 567,6 Mrd. Euro (8,8 % aller steuerbaren Umsätze aus Lieferungen und Leistungen) und hatten rund 3,98 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (13,5 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten).

1 IDW S 1 (2008), Rz. 7, 101 ff., WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDWPraxishinweise KMU 2014, Rz. 47, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 58 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; BStBK-Bewertungshinweise 2014, Rz. 58 ff.; BRAK-Bewertungshinweise, BRAK-Mitteilungen 1/2018, S. 6 (7); Peemöller, BB Beilage 2005, 30 (38); Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (473). 3 Siehe Rz. 30.16. 4 IDW S 1 2008, Rz. 92 ff., WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 5 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 9 ff. 6 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 11, mit einer Übersicht über die kritisierten Punkte. 7 Das stimmt überein mit den Angaben des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2009. Danach sind mehr als 90 % der deutschen Unternehmen KMU, vgl. Dörschell/Franken/Schulte, Kapitalkosten für die Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2012, S. 365 m.w.N.

Lauber 1035

§ 30 Rz. 30.11

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.11 Innerhalb der KMU stellen die Freien Berufe eine besondere Gruppe dar. In den amtlichen Statistiken werden diese jedoch nur sehr unzureichend abgebildet, was auch daran liegt, dass es verschiedene Definitionen von Freiberuflichkeit gibt. Die statistischen Daten des IfM beruhen auf den Berechnungen des Instituts für Freie Berufe (IfB), Nürnberg. Zu Beginn des Jahres 2017 gab es in Deutschland etwa 1,382 Mio. Selbstständige in den Freien Berufen in Deutschland. Bezogen auf den Bestand aller Selbstständigen laut Mikrozensus im Jahr 2016 bedeutet dies, dass rund jeder dritte Selbstständige (33,4 %) in den Freien Berufen tätig war. Die größte Gruppe der Selbstständigen in den Freien Berufen bilden die Freien Heilberufe (414.000 = 29,9 %), gefolgt von den Freien rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufen (379.000 = 27,4 %) und den Freien Kulturberufen (328.000 = 23,7 %). Der geringste Anteil entfällt auf die Freien technischen und naturwissenschaftlichen Berufe (261.000 = 18,9 %).

30.12 Die vorstehenden Statistiken – 99,5 % aller Unternehmen sind KMU – belegen anschaulich, dass die Bewertung von KMU der Standardfall der Unternehmensbewertung in streitigen gerichtlichen Verfahren ist.1 Daher müsste an sich die KMU-Bewertung Schwerpunkt sämtlicher Überlegungen sein und im Mittelpunkt von Forschung und Praxis der Unternehmensbewertung stehen. Das Gegenteil ist der Fall. Große und oftmals börsennotierte Unternehmen stehen im Focus des Interesses und der Forschung. Das ist auch die Ausgangsbasis für die KMU-Bewertung. Damit besteht die Gefahr, dass die Bewertungsgrundsätze für große statische Unternehmen auf KMU übertragen werden, selbst wenn sie nicht passen sollten.

III. Definitionen KMU 30.13 KMU werden über quantitative und/oder qualitative Merkmale bestimmt. Die Definitionen streuen. Bevorzugt werden zurecht qualitative Merkmale zur Definition von KMU mit dem Argument, dass KMU-Besonderheiten unabhängig von Größenmerkmalen seien.2 Letztlich eignen sich dafür sämtliche KMU-Merkmale, wie sie nachstehend aufgezählt werden (s. Rz. 30.16 ff.). 1. Quantitative KMU-Merkmale

30.14 Für die quantitative Einstufung als KMU wird in der Regel auf die Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen zurückgegriffen.3 Beschäftigte

Umsatz

Bilanzsumme

Kleinst-Unternehmen

, 10

und

bis EUR 2 Mio.

oder bis EUR 2 Mio.

Kleine Unternehmen

, 50

und

bis EUR 10 Mio.

oder bis EUR 10 Mio.

Mittlere Unternehmen

, 250

und

bis EUR 50 Mio.

oder bis EUR 43 Mio.

Tab. 1: KMU-Schwellenwerte der EU seit 1.1.2005 1 Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (135); Jonas, WPG 2008, Sonderheft, 117 (117), bezeichnet die Bewertung von Mikrounternehmen und KMU als Normalfall. 2 BStBK-Bewertungshinweise 2014, Rz. 14; Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1343); Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (463); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490). 3 ABl. EU Nr. L 124/36 v. 20.5.2003, Az. 2003/361/EG.

1036

Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.18 § 30

Die KMU-Grenzen gemäß § 267 HGB weichen davon geringfügig ab. Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) hat die EU-Grenzwerte im Wesentlichen übernommen.1

30.15

2. Qualitative KMU-Merkmale Folgende qualitative MU/KMU-Merkmale werden in der Rechtsprechung, Literatur und Bewertungspraxis genannt, wobei eine grobe Aufteilung in sieben Bereiche möglich und sinnvoll ist (dazu auch Rz. 24.5 ff.):

30.16

Inhaber

30.17

– Beschränkter Eigentümerkreis;2 – Ausgeprägte Inhaberbezogenheit mit starken Auswirkungen auf die dauerhaft übertragbare Ertragskraft (Mitarbeit, Know-how, Kontakte u. a.);3 – Allokation des überwiegenden Vermögens des Inhabers im Unternehmen (fehlende Diversifizierung);4 – Persönliches Haftungsrisiko;5 – Fehlende bzw. eingeschränkte Verkehrsfähigkeit der Unternehmensanteile mangels liquider Sekundärmärkte (eingeschränkte Fungibilität/keine Börsennotierung);6 – Empirisch höherer Marktwert bei klaren Inhaber- und Managementstrukturen (Interessenkonvergenz).7

30.18

Unternehmensstruktur/-organisation – Fehlende oder einfache interne

Kontrollen;8

– Fehlendes Kontrollorgan (Aufsichtsrat, Beirat);9

1 Für mittlere Unternehmen liegt der Schwellenwert beim IfM jedoch weiterhin bei 499 Beschäftigten, um die deutsche Besonderheit herauszustellen. 2 Fleischer, Rz. 24.5; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 998 f.; Ihlau/ Duscha, WPg 2012, 489 (490). 3 Fleischer, Rz. 24.5 und Rz. 24.7; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997 ff.; Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (135); König/Möller, BB 2014, 983 (984); IDW S 1 2008, Rz. 154, 160; WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; BStBK-Bewertungshinweise 2014, Rz. 6; Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (120), weist darauf hin, dass der Wert inhabergeführter Unternehmen nach der Empirie ca. 30 % über dem Wertdurchschnitt liegt. König/Möller, BB 2014, 983 (984); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 830; ZdH/AWHBewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50 („… steht und fällt mit seinem Inhaber“). 4 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997; Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (135); BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 6; Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (121), der auf mögliche Wertabschläge aufgrund erhöhten Risikos von bis zu 40 % hinweist bei geringer Diversifikation von KMU; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490). 5 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 375. 6 Fleischer, Rz. 24.5; Stein/Fischer, DStR 2014, 1019 (1021). 7 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (121). 8 Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 6. 9 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997.

Lauber 1037

§ 30 Rz. 30.18

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

– Defizite in der Unternehmensführung und im Management bzw. fehlende Trennung von Management- und Eigentümerfunktion;1 – Minderheitenschutz weniger ausgeprägt;2 – Geringe Publizitätspflichten;3 – Vermischung von Privat- und Betriebssphäre, auch bei der Eigen- und Fremdfinanzierung (Abgrenzung des Bewertungsobjekts);4 – Mangelnde Forschungs- und Entwicklungsarbeiten (eingeschränkte Innovationskraft);5 – Aufteilung des betriebsnotwendigen Vermögens auf Betriebs- und Besitzgesellschaften;6 – KMU grundsätzlich flexibler als Großunternehmen;7 – Geringe Organisationstiefe;8 – Unterschiedliche Besteuerung.9

30.19 Geschäftsmodell – Abhängigkeit von Geldgebern, Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten;10 – Hoher Personaleinsatz mit vergleichsweise geringer Umsatzgenerierung und Bruttowertschöpfung;11 – Geringer Diversifizierungsgrad hinsichtlich des Produkt- und Dienstleistungsangebots sowie der Finanzierungsstruktur;12 – Privat motivierte Zielsetzungen;13

1 Rautenstrauch/Müller, DStR 2007, 2126 (2126) m.w.N.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490); Fleischer, Rz. 24.5; ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5. 2 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 998. 3 Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490). 4 Fleischer, Rz. 24.5; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997 ff.; Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (135) (Nutzung privater Grundstücke der Inhaber); Kohl, WPg 2018, 146 (148); IDW S 1 2008 Rz. 156 ff., WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; BStBK-Bewertungshinweise KMU, Rz. 6; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490); König/Möller, BB 2014, 983 (984). 5 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 999. 6 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 25 = NJW-RR 2016, 1217 (Aufteilung in Putenmast KG und Sondervermögen). 7 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 998. 8 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50. 9 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, S. 117 (123) mit einer Beispielsrechnung. 10 Kohl, Rz. 29.153; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 999; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 6; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50. 11 Söllner, Statistisches Bundesamt, WISTA 2016, 107 (110). 12 Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 6. 13 Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1342); ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.21 § 30

– Begrenzung auf lokale Märkte bei oftmals starker Wettbewerbsdichte;1 – Nicht marktgerechte Konditionen für Nutzungsüberlassung oder Arbeitsleistungen;2 – Keine oder nur geringe außenwirtschaftliche Aktivitäten;3 – Oftmals Einprodukt-Unternehmen;4 – Kundenstruktur, oftmals kleinere Abnehmer.5

30.20

Finanzierung – Beschränkte Eigenkapitalausstattung;6 – Beschränkte Finanzierungsmöglichkeiten mangels Zugangs zum Kapitalmarkt;7 – Höhere Kapitalkosten im Vergleich zu größeren Unternehmen;8 – Kapitalstrukturen bei KMU leichter veränderbar;9 – Haftungsverflechtung von Privat- und Betriebsvermögen;10 – Vorteilhafte Finanzierungskonditionen aufgrund guter Reputation (Rz. 20.35 m.w.N.).

30.21

Dokumentation – Eingeschränkte Verfügbarkeit der Dokumentation und Zuverlässigkeit der Informationsquellen;11

1 Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1342); Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 999. 2 Kohl, Rz. 29.158; Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (136); BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 6; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 998; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 14, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 829; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50. 3 Söllner, Statistisches Bundesamt, WISTA 2016, 107 (111). 4 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 51. 5 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50. 6 Fleischer, Rz. 24.5; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 6; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50. 7 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997 ff.; Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (135); IDW S 1 2008, Rz. 158, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; BStBK-Bewertungshinweise KMU, Rz. 6; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490); Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, S. 30 (30). Vgl. auch Statistisches Bundesamt, Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu Finanzmitteln, 2011. 8 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (119). Der Autor erklärt die höheren Finanzierungskosten primär mit höheren durchschnittlichen Transaktionskosten kleinerer Finanzierungen. 9 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 999. 10 ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5. 11 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997 ff.; Fleischer, Rz. 24.5; Kohl, Rz. 29.149; IDW S 1 2008, Rz. 161, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 6, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; König/Möller, BB 2014, 983 (984); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 830 f.; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 6; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50.

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§ 30 Rz. 30.21

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

– Eingeschränktes und steuerlich ausgerichtetes Rechnungswesen, keine geprüften Jahresabschlüsse;1 – Fehlende oder nicht dokumentierte Planungsrechnung.2

30.22 Fortführungsmöglichkeit durch Dritte – KMU werden beim Kauf häufig stark verändert;3 – Goodwill von KMU flüchtiger als bei Großunternehmen;4 – Begrenzte Lebensdauer des Unternehmens;5 – Erhöhtes Insolvenzrisiko;6 – Größeneffekte mit empirischen Wertabschlägen bis 30 %;7 – Beschränkte Nachfrage, da evt. Nachbaubarkeit;8 – Einkunftsquelle für Inhaber, evt. kein Verkehrswert;9 – Oft negative Ertragsaussichten bei gleichzeitiger Entwertung der Substanz; Liquidationswert uninteressant; – Begrenztes Budget für Unternehmensbewertungen.10

30.23 Diese zahlreichen qualitativen Merkmale vermitteln intuitiv einen Eindruck von der KMUVarianz. Bei der Unternehmensbewertung von KMU geht es nicht um eine Größenskalierung in der Unternehmensbewertung.11 Vielmehr geht es darum, für die heterogene Gruppe der KMU überhaupt geeignete Methoden zu finden, um verwertbare Schätzungen zum Unterneh-

1 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997 ff.; Fleischer, Rz. 24.5; Kohl, Rz. 29.149; IDW S 1 2008, Rz. 161, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 6, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; König/Möller, BB 2014, 983 (984); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 830 f.; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 6; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 50. 2 Fleischer, Rz. 24.7; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 997; Kohl, WPg 2018, 146 (148); IDW S 1 2008, Rz. 162 ff., WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 6, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDWFN 4/2014, 282 ff.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 830; ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5. 3 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1000. 4 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 999. 5 Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (137); Kohl, Rz. 29.151. 6 Gleißner in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2016, S. 201 ff., WPG 2015, 908 ff.; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 3 m.w.N. (96 % aller Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2011 entfielen auf Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern); Leker/Sonius in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 732 ff. 7 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (118). 8 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 51. 9 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 51. 10 ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5. 11 Vgl. Fleischer, Rz. 24.4 („A small business is not a little big business“).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.27 § 30

menswert zu erzielen. Diese qualitativen Aspekte können sich sowohl auf die konventionelle Ertragswertberechnung als auch – bereits vorgelagert – auf die Wahl der Bewertungsmethode auswirken. Für KMU erscheint eine unternehmensspezifische Anpassung der Bewertungsmethode oder die Anwendung alternativer Methoden in gerichtlichen Verfahren geboten.1

IV. Anforderungen an die KMU-Bewertung 1. Qualitative Anforderungen Aufgrund ihrer zahlreichen materiellen Eigenheiten sind bei KMU-Bewertungen diverse Angleichungen erforderlich, um den bereits angesprochenen Vergleich mit anderen Kapitalanlagen bzw. Unternehmen zu ermöglichen. Zunächst sind fehlende Planungen, Rechnungslegungen und sonstige Dokumentationen zu prüfen, zu korrigieren und ggf. zu ergänzen, um eine ausreichende Datenlage für die Entscheidung zu gewährleisten. Anschließend sind die anzutreffenden KMU-Merkmale anzuschauen und einzuschätzen, u. a. sind die Vermögenssphären abzugrenzen, Inhaber- und Familienleistungen marktgerecht zu bewerten und allgemeine und unternehmensbezogene Risiken abzuschätzen usw.

30.24

Diese Vorgänge können zwei wesentliche Auswirkungen haben, nämlich die Erhöhung des zeitlichen und finanziellen Aufwands der Bewertung bei gleichzeitiger Herabsetzung der Qualität der Ergebnisse aufgrund ausgeprägter Varianz sowie erforderlicher Vereinfachungen, Ergänzungen, Korrekturen, Interpolationen usw.

30.25

2. Quantitative Anforderungen Die Schätzung des Unternehmenswertes nach § 287 Abs. 2 ZPO soll die Rechtsfindung er- 30.26 leichtern, insbesondere auch unverhältnismäßige Prozesskosten vermeiden (Rz. 1.65). Abzuwägen sind dabei auch die objektiven Schwierigkeiten der Sachaufklärung, Mühe, Kosten, Zeitaufwand, voraussichtlicher Ertrag und Streitwert (Rz. 1.65). Ferner ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass der Rechenaufwand der Messgenauigkeit entsprechen sollte.2 Damit kommt zum Ausdruck, dass komplexe Probleme nicht zwangsläufig komplexe Lösungen benötigen, sondern im Gegenteil einfache Heuristiken zu besseren Lösungen führen können (s. Rz. 34.3 ff.). Insbesondere für KMU ist ein angemessenes Verhältnis zwischen der Größe des Unternehmens und dem zeitlichen und finanziellen Aufwand der Unternehmensbewertung zu wahren.3 Auch das Verhältnis von Aufwand und Ergebnisqualität ist von Relevanz. Der nicht selten geringe Unternehmenswert von KMU könnte ansonsten weitgehend oder vollständig durch kostenintensive Unternehmensbewertungsgutachten aufgezehrt werden und/oder ein hoher Aufwand nicht zu einem besseren Ergebnis führen. Aufwendige Unternehmensbewer-

1 Grundsätzlich anerkennend: BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 10 = NJW-RR 2005, 153. 2 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1002. 3 Kohl, WPg 2018, 146 (146, 147); ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5; Buchner/ Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1342) (aus der Sicht der Handwerksbetriebe); Rohde, DB 2016, 1566 (1566); Peemöller, BB 2014, 1963 (1964); Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30 (30).

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30.27

§ 30 Rz. 30.27

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

tungen können von KMU nicht getragen werden.1 Aus diesem Grund meiden KMU aufwendige und kostenträchtige IDW S 1-Bewertungen.2

30.28 Der Ruf nach Vereinfachungen bei der KMU-Bewertung in der Literatur ist berechtigt.3 Die Tendenz zu einfachen, kostengünstigen und schnell umsetzbaren Bewertungsverfahren bei KMU-Bewertungen in der Transaktionspraxis ist unverkennbar; zahlreiche Branchenempfehlungen halten daran fest.4 Auch die Rechtsprechung sucht nach einfachen Lösungen, bspw. in Form der modifizierten Ertragswertmethode (s. Rz. 30.220). Selbst bei der Bewertung großer Unternehmen in Spruchverfahren ist eine Abkehr von aufwendigen Ertragswertverfahren hin zu relativ einfachen und belastbaren Börsenkursbewertungen zu beobachten.5 Auf das ausgeprägte Schätzungsermessen des Gerichts in Unternehmensbewertungsfragen ist hinzuweisen (ausführlich Rz. 34.25 ff.).6 3. Abwägung quantitativer und qualitativer Anforderungen

30.29 Qualitative und quantitative Anforderungen an die KMU-Bewertung sind gegenläufig. Eine befriedigende Lösung dieses Zielkonflikts ist schwierig. Das Problem besteht darin, dass eine Aussage darüber, welcher Aufwand erforderlich ist, um eine hinreichend belastbare Unternehmensbewertung zu generieren, schwierig bis unmöglich ist. Denn das Ergebnis einer Unternehmensbewertung ist nicht messbar. Die einzige Möglichkeit, die Ergebnisqualität und den dafür erforderlichen Aufwand zu prüfen, besteht in der Validierung der Bewertung anhand von Marktdaten. Über Schwächen der Bewertungsmethodik kann möglicherweise dann hinweggesehen werden, wenn die Ergebnisse marktgerecht sind. Da die Unternehmensbewertung kein Selbstzweck ist, ist bei der Abwägung qualitativer und quantitativer Anforderungen der Unternehmensbewertung von KMU der marktwirtschaftlichen Angemessenheit der Ergebnisse der Vorzug zu geben vor der theoretischen Richtigkeit der Bewertungsmethode.

V. Bewertungsziel der KMU 30.30 Die Bewertungsziele sind auch für KMU normativ vorgegeben (ausführlich Rz. 1.25 ff.).7 Deshalb haben KMU-Besonderheiten keinen Einfluss auf das Bewertungsziel, sondern nur auf das Verfahren zur Ermittlung eines belastbaren Schätzwerts zum Unternehmenswert bzw. Unternehmenspreis. Allerdings hat das Bewertungsziel Einfluss auf das Verfahren zur Unternehmensbewertung, auch für KMU.

1 Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30 (30). 2 Rohde, DStR 2016, 1566 (1566). 3 Konold/Schweizer, DStR 2017, 511 (511); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 158 (158). Siehe dazu auch Rz. 30.271. 4 Vgl. z.B. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 2, 9. 5 Vgl. dazu anschaulich OLG Frankfurt v. 3.9.2010 – 5 W 57/09 – Telekom/T-Online, jurisRz. 52 ff. = AG 2010, 751 = NZG 2010, 1141. Trotz richtiger Absicht ist das Ergebnis allerdings fraglich, weil Börsenkurse den Verkehrswert der Minderheitsaktie spiegeln, nicht den Verkehrswert des Unternehmens im Ganzen. 6 Katzenstein, AG 2018, 739 (746) m.w.N. 7 Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1350).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.32 § 30

1. Verkehrswert als rechtsübergreifendes Bewertungsziel In gesellschaftsrechtlichen (Abfindung § 738 BGB)1, familienrechtlichen (Zugewinnausgleich § 1376 BGB)2 und erbrechtlichen Fragestellungen (Pflichtteil § 2311 BGB)3 besteht nach den klaren Aussagen in der Rechtsprechung kein Zweifel, dass der gemeine Wert bzw. der Verkehrswert des Unternehmens zu schätzen ist. Dies ist der Wert, den der Vermögensgegenstand für jedermann hat. Er entspricht dem Verkaufswert4 bzw. dem fair market value.5 Das ist der Veräußerungserlös, der für das Unternehmen unter normalen Marktbedingungen zu erzielen wäre bzw. den ein Erwerber des Unternehmens aufbringen müsste.6 Zu beachten sind im Bereich des Zugewinnausgleichs und des Pflichtteilsrechts lediglich die Ertragswertprivilegierungen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe bzw. Landgüter gemäß den § 1376 Abs. 4, § 2312 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ferner ist im Bereich des Zugewinnausgleichs die Doppelverwertungsproblematik zu beachten, d.h. dass zur Unterhaltsberechnung nicht das Vermögen herangezogen wird.7

30.31

Die Wertkonvention des Verkehrswertes ist als Gerechtigkeitspostulat anzusehen, der unabhängig von investitionstheoretisch begründeten subjektiven Entscheidungswerten der beteiligten Parteien und eines daraus resultierenden Einigungsbereichs in der Marktwirtschaft

30.32

1 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, juris-Rz. 9 = NJW 1967, 1464; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, juris-Rz. 10; BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, juris-Rz. 12 = BGHZ 17, 130-137; BGH v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, juris-Rz. 17 ff. = NJW 1993, 2101; Hüttemann, Rz. 1.27 m.w.N.; Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1957). 2 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, juris-LS. und Rz. 18 = BGHZ 75, 195 = AG 1980, 158-203; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, juris-Rz. 17 = NJW 1999, 784; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249; BGH v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, juris-Rz. 11 = NJW 2014, 625; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 30 = BGHZ 188, 282; OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 41 = FamRZ 2009, 2006; Thiele in Staudinger/Thiele, 2017, § 1376 BGB Rz. 28; Budzikiewicz in Erman, 15. Aufl. 2017, § 1376 BGB BGB Rz. 7; Roth in Herberger/Martinek/Rüßmann/ Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 6; Kuckenberg, NZFam 2015, 390, 390 (393) (Der Autor widerspricht sich allerdings insoweit, als er zwar den voraussichtlichen Veräußerungserlös für maßgeblich hält, aber dann ausführt, dass ein „Wert“ gesucht werde und kein „Preis“!); Frielingsdorf, NZFam 2015, 200 (202); Borth, FamRZ 2017, 1739 (1740). 3 BGH v. 30.9.1954 – IV ZR 43/54, BGHZ 14, 368; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 10 = NJW-RR 1991, 900; OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, juris-Rz. 28 = FamRZ 2013, 329; ähnlich: OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – 7 U 136/93, juris-Rz. 3 = ZEV 1994, 361; Weidlich in Palandt, 78. Aufl. 2019, § 2311 BGB Rz. 6; Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 25; Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 84; Birkenheier in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 41; Rösler in Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rz. 97; Röthel in Erman, 15. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 3. 4 BGH v. 30.9.1954 – IV ZR 43/54, BGHZ 14, 368; BGH v. 19.12.2002 – III ZR 41/02, juris = BGHReport 2003, 401; BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, juris-Rz. 8 = NJW-RR 1993, 131; OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, juris-Rz. 28 = FamRZ 2013, 329; Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 25; Birkenheier in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 41; Rösler in Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rz. 97. 5 Rohde, DStR 2016, 1566 (1566). 6 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, juris-Rz. 48; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, jurisRz. 47 ff. = BGHZ 188, 249. 7 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 14 ff. = FamRZ 2008, 761.

Lauber 1043

§ 30 Rz. 30.32

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

allgemeine Akzeptanz beigemessen wird.1 Der Vermögenswert eines handelbaren Gutes wird durch seinen Verkehrswert repräsentiert.2 2. Abgrenzung des Verkehrswerts gegen andere Werte/Preise

30.33 Der Verkehrswert des Unternehmens wird sehr unterschiedlich interpretiert. Die Klarheit über das Bewertungsziel ist aber oberstes Gebot. Jeder Fehler auf dieser Ebene lässt sich auch mit der besten Bewertungsmethode nicht mehr korrigieren.

30.34 Der Verkehrswert des Unternehmens als Preis ist abzugrenzen von subjektiven, objektivierten und „wahren“ Ertrags- bzw. Liquidationswerten. Er ist zudem abzugrenzen von normfremden Einflüssen. a) Unterschied Wert und Preis

30.35 Auf den Unterschied von Wert und Preis ist dezidiert hinzuweisen (Rz. 11.18 ff.).3 Dieser Unterschied ist für das Verständnis der Unternehmensbewertung und -bepreisung elementar. Bei der Verkehrswertschätzung von KMU ist dieser Unterschied wichtiger denn je, da die Annäherung an den Verkehrswert von KMU oftmals vereinfacht bzw. preisseitig erfolgt. b) Subjektive Werte und transaktionsbezogene Preise

30.36 Werte sind subjektiv (ausführlich Rz. 2.11 ff.).4 Sie ergeben sich als Grenzpreis oder Entscheidungswerte aus dem finanziellen Nutzen des Objekts für die jeweilige Person (SubjektObjekt-Beziehung).5 Die subjektive Unternehmensbewertung basiert u.a. auf den Prinzipien der Gesamtbewertung und des Zukunftsbezugs (Rz. 2.12, 2.30 ff.). Für ein identisches Unternehmen ergeben sich für jeden präsumtiven Investor unterschiedliche Entscheidungswerte je nach Risikoneigung, Diversifikationsmöglichkeit, Steuerbelastung, Finanzierungsmöglichkeit, Managementqualität, Synergiepotenzial usw. (Rz. 11.19). Konkret bedeutet dies, dass Investoren unterschiedlich hohe Beträge beim Erwerb des Unternehmens zahlen könnten, ohne ihre Vermögenspositionen zu verschlechtern. Anders ausgedrückt lässt sich sagen, dass der höchste Entscheidungswert eines präsumtiven Investors zugleich die Obergrenze des Verkehrswerts unter wirtschaftlich rationalen Bedingungen darstellt. Gleichwohl wird der Verkehrswert in der Regel weit unterhalb des Entscheidungswertes liegen, um wirtschaftliche Vorteile zu generieren.

30.37 Preise sind hingegen transaktionsbezogen und das Ergebnis der Verhandlungen von Personen mit unterschiedlichen subjektiven Grenzpreisen (Entscheidungswerten) unter Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage.6 Am Markt erzielte bzw. erzielbare Preise stimmen 1 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1062; Englert, BB 1997, 142 (149); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299 (1300). 2 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 49 = NJW-RR 2016, 1217 („Demgegenüber geht es bei der Verkehrswertermittlung um einen Vermögensstatus zu einem bestimmten Stichtag.“). 3 Vgl. Franken/Schulte, Rz. 11.18 ff.; Thees/Sulek, BB 2018, 1963 (1963). 4 Die subjektive Unternehmensbewertungslehre ist heute unstreitig, vgl. Peemöller in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 14; Henselmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 115 f. 5 Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 (1844); Franken/Schulte, Rz. 11.19. 6 Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839, 1844; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 16 f.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.38 § 30

in der Regel nicht mit subjektiven Grenzpreisen überein.1 Unterschiedliche subjektive Werte, d. h. unterschiedliche finanzielle Nutzen präsumtiver Kaufvertragsparteien sind der Grund für den Güteraustausch2 und werden bei der Preisbildung ausgeglichen. Unter ökonomisch rationalen Bedingungen wird der Preis in dem Einigungsbereich der subjektiven Grenzpreise von Verkäufer und Käufer liegen.3

Subj. Entscheidungswert Investor A

Wirtschaftlich rationaler Kaufpreis Einigunsbereich

Subj. Entscheidungswert Verkäufer

Subj. Entscheidungswert Investor B

Subj. Entscheidungswert Investor C

Abb. 1: Entscheidungswerte – Kaufpreis

c) Verfahren zur Ermittlung von Werten und Preisen Subjektive Werte werden nach heutiger Lehre und Praxis durch Kapitalwertmodelle wie das Ertragswertverfahren (ausführlich Rz. 4.1 ff.) oder das Discounted Cashflow-Verfahren (DCF) (ausführlich Rz. 10.1 ff.) ermittelt.4 Die Bewertungslehre hat drei Hauptfunktionen der Unternehmensbewertung und diverse Nebenfunktionen definiert (ausführlich Rz. 2.19 ff.). Die Funktion zur Abschätzung eines fairen Vermittlungswertes (Arbitriumwert oder Schiedsspruchwert) kommt dem die unterschiedlichen Entscheidungswerte ausgleichenden Preis für das Unternehmen noch am nächsten, ist aber nicht identisch mit möglichen Transaktionspreisen.5

1 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, juris-Rz. 16 = FamRZ 1977, 386 („Für die Berechnung des Zugewinnausgleichs kann der subjektbezogene Unternehmenswert nicht maßgebend sein. Er drückt nur aus, was das Unternehmen für seinen Inhaber wert ist“); Franken/Schulte, Rz. 11.20 m.w.N.; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 102; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299 (1300); Henselmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 114 f. 2 Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 (1843); Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2006, S. 33 ff. 3 Thees/Sulek, BB 2018, 1963 (1963); Franken/Schulte, Rz. 11.20; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 102 ff. 4 IDW S 1 (2008), Rz. 101, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 5 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 104; Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.23, 2.29.

Lauber 1045

30.38

§ 30 Rz. 30.39

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.39 Die Betriebswirtschaftslehre verfügt allerdings über keine anerkannten Modelle zur Ermittlung von Verkehrswerten bzw. Marktpreisen von Unternehmen1, wenngleich im Bereich der Rechnungslegung mit dem IFRS 13 ein kodifiziertes Verfahren zur Ermittlung von Fair Values (beizulegender Zeitwert bzw. hypothetischer Preis) (ausführlich Rz. 28.30 ff.) bereitsteht (Rz. 28.34 ff.). Das Problem besteht darin, dass sich Marktpreise für höchst individuelle Unternehmen auf dem unvollkommenen Markt für Unternehmenstransaktionen nicht bilden können, nicht sämtliche Entscheidungswerte der präsumtiven Käufer und Verkäufer bekannt und zudem Angebot und Nachfrage für die Preisbildung relevant sind.2 Teilweise wird konstatiert, dass eine Bewertung des Verkehrswertes eines Unternehmens eine unlösbare Aufgabe sei (Rz. 3.1) bzw. mit der vorhandenen Bewertungssystematik nicht möglich sei.3 Dazu passt, dass tatsächlich gezahlte Preise für Unternehmen als untauglich bezeichnet werden, den Unternehmenswert zu repräsentieren.4 Ergänzend wird für die Schätzung von Marktwerten die Verwendung mehrerer Methoden empfohlen (marktorientierter Methodenpluralismus).5

30.40 Zur Annäherung an hypothetische Preise für Unternehmen stehen allenfalls marktpreisorientierte Verfahren wie diverse Multiplikatorverfahren zur Verfügung (ausführlich Rz. 11.3 ff.). Das sind jedoch keine anerkannten Methoden der Unternehmensbewertung.6 Der Zweck einer Preisschätzung mittels Multiplikatoren ist aber auch nicht primär die Ermittlung subjektiver Grenzpreise.7 Es handelt sich vielmehr um Vergleichsverfahren.8 Dahinter steht der Gedanke, den Wert eines Unternehmens über die Preise zu bestimmen, die für ähnliche Unternehmen am Markt gezahlt werden.9 Die Vergleichsverfahren sind Ausdruck eines hohen Vertrauens in das Funktionieren des Marktes.10 Das aggregierte Wissen der Marktteilnehmer, dass sich in Preisen widerspiegelt, soll auf ein Bewertungsobjekt übertragen werden.11 Nicht selten wird dieses Verfahren in die Nähe von „Daumenregeln“ gebracht12, obwohl ihr die Transaktionspraxis eine hohe Relevanz zumisst,13 da es in der Praxis in den meisten Bewertungsfällen zumindest parallel zur Anwendung kommt14 und in der Literatur zahlreiche

1 Henselmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 112 ff. 2 IDW S 1 (2008), Rz. 13, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 3 Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 885 ff. mit grundsätzlicher Kritik zum Verkehrswert des Unternehmens als rechtliche Kategorie. 4 IDW S 1 (2008), Rz. 13, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 5 Fleischer, AG 2016, 185 (192, 199); Barthel, DB 1990, 1148 ff.; Niehues, Unternehmensbewertung bei Unternehmenstransaktionen, BB 1993, 2241 (2247); DVFA Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung 2012, S. 6; Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 56. 6 IDW S 1 (2008), Rz. 13, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Henselmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 111 f. 7 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473; Franken/Schulte/Brunner/ Dörschell, Kapitalkosten, 5. Aufl. 2018, S. 463. 8 Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 80 ff. 9 Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten, 5. Aufl. 2018, S. 463; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473. 10 Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 81. 11 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473. 12 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473. 13 Henselmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 111; Jonas, Rz. 3.48; Ernst/ Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen, 5. Aufl. 2012, S. 189. 14 DVFA Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung 2012, S. 10; Peemöller/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 281 ff. m.w.N.; Henselmann/Barth, BPrak 2009, 9 ff.; Henselmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 118 f.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.43 § 30

Gründe für eine Multiplikatorbewertung angeführt werden.1 Die Treffsicherheit der Marktpreisschätzung hängt von der Qualität des Bewertungsvorgangs ab, insbesondere davon, ob genügend vergleichbare Unternehmen zur Verfügung stehen.2 d) Verkehrswert vs. wahrer, wirklicher, innerer Wert Der insbesondere bei rechtlich geprägten Bewertungsanlässen bemühte Begriff des „wahren, 30.41 wirklichen, inneren Wertes des Unternehmens“ ist kein Bewertungsziel, mit dem über oder unter dem Verkehrswert des Unternehmens liegende Abfindungen begründet werden könnten.3 Es handelt sich insofern lediglich um eine „Denkfigur“, die ursprünglich eingeführt wurde4, um sämtliche Vermögensbestandteile des Unternehmens außerhalb von Buchwerten zu erfassen, und mit denen nachfolgend bei außergewöhnlichen Markt- und Preisverhältnissen (Stopp-Preise; Chruschtschow-Ultimatum und Berliner Grundstückspreise) ein Schutz vor zu geringen Abfindungen gewährt werden sollte.5 Jedenfalls kann der Verkehrswert des Unternehmens nicht unter Verweis auf den inneren Wert des Unternehmens verworfen werden.6 Nicht selten wird der Begriff des wirklichen Werts auch als Bekräftigung oder als Ausdruck des Verkehrswerts verstanden.7 Auch das Verständnis, dass der innere Wert mit dem Ertragswert des Unternehmens identisch sei, ist anzutreffen.8 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass ein positives Verständnis des wahren Wertes – Ertragswert oder Verkehrswert – nie artikuliert wurde, sondern der Begriff des wahren Wertes immer nur der Abgrenzung von „falschen“ oder „unwirklichen“ Bewertungszielen diente. Wenn überhaupt, kann der wahre Wert nur mit dem Verkehrswert gleichgesetzt werden, da nur dieser für alle Beteiligten real und damit wahr ist. Das gilt für den Ertragswert nicht, da dieser subjektiver Natur ist und es folglich viele wahre Werte gäbe, was den Begriff ad absurdum führen würde.

30.42

e) Verkehrswert vs. objektivierter Unternehmenswert (Ertragswert) Oftmals wird ohne ein Wort der Begründung ausgeführt, dass sich der Verkehrswert eines Unternehmens aus seinem Ertragswert ergebe.9 Dabei wird unterstellt, dass der objektivierte 1 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 474, mit einem kurzen Überblick. 2 Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten, 5. Aufl. 2018, S. 463; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473. 3 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, juris-Rz. 35 = BGHZ 98, 382; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 11 = NJW-RR 1991, 900. 4 BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 11 = NJW-RR 1991, 900. 5 BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 11 = NJW-RR 1991, 900; Rösler in Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rz. 98. 6 BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 11 = NJW-RR 1991, 900. 7 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 35 = NJW-RR 2016, 1217 („Der Ertragswert bleibt bei der Bewertung land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe nicht selten hinter dem vollen wirklichen Wert, also dem Verkehrswert, zurück, von dem bei der Bewertung sonst auszugehen ist.“); BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 15 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61 („Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen von der Ertragswertmethode aus“); OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, juris-Rz. 41 = NZG 2008, 943. 8 Frielingsdorf, NZFam 2015, 200 (202). 9 Brandenburgisches OLG v. 25.11.2009 – 7 U 19/04, juris-Rz. 20; OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 41 und Rz. 54 = FamRZ 2009, 2006 („Ermittlung der Rendite eines Investors“); OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, juris-Rz. 41 = NZG 2008, 943; OLG Koblenz v.

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30.43

§ 30 Rz. 30.43

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

Ertragswert zwischen dem subjektiven Wert und dem theoretischen Preis liegt und die bestmögliche Annäherung an den idealisierten Verkehrswert darstellt.1

30.44 Vielfach wenden die Gerichte daher zur Ermittlung des Verkehrswertes des Unternehmens das Ertragswertverfahren an2, und zwar nach Maßgabe des IDW S1 in Form eines objektivierten Ertragswertes (ausführlich Rz. 3.22 ff.).3 Vereinzelt wird das Ertragswertverfahren sogar als alternativlos bezeichnet.4 Berechnet wird der subjektive (objektivierte) Ertragswert für einen einflusslosen typisierten Unternehmensinhaber, der das Unternehmen wie vorgefunden zur Stichtagsstatus weiterführen würde.5

30.45 Diese Definition zeigt bereits die Ausrichtung auf eine Person, nämlich einen einflusslosen Unternehmensinhaber. Entgegen der Denotation des Begriffs ist auch der objektivierte Ertragswert gemäß IDW S1 ein subjektiver Wert und kein transaktionsbezogener Preis oder objektiver Wert. Die Sicht präsumtiver Käufer und die Einbindung von deren Entscheidungswerten fehlen völlig. Der Unterschied zwischen dem objektivierten Unternehmenswert und dem Verkehrswert des Unternehmens wird verschiedentlich angesprochen, aber für nicht wesentlich gehalten,6 oder es wird behauptet, dass der objektivierte Unternehmenswert in der Regel dem gemeinen Wert entspräche.7 Diese Aussage ist problematisch und prima facie nicht haltbar. Auch nach der Auffassung des BGHs sind der Verkehrswert und der Ertragswert nicht in jedem Fall identisch. Es müsse geprüft werden, ob das Unternehmen als Ganzes verkäuflich ist und dabei Preise erzielt werden, die über den reinen Substanzwert hinausgehen.8 „Nicht verwunderlich ist deshalb, dass gutachterlich ermittelte Ertragswerte in der Praxis ständig durch reale Kaufpreise widerlegt werden.“9

30.46 Der Ertragswert und der Verkehrswert des Unternehmens unterscheiden sich deutlich. Der objektivierte Ertragswert entspricht tendenziell dem Entscheidungswert des Verkäufers.10

1 2

3 4 5 6 7 8 9 10

20.2.2009 – 10 U 57/05, juris-Rz. 63; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 24; Rohde, DStR 2016, 1566 (1566). Jonas, Rz. 3.1; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 46 ff. BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 25 = NJW 2014, 294; OLG Düsseldorf v. 28.1.2009 – II-8 UF 55/05, juris-Rz. 19 = FamRZ 2009, 1068; Brandenburgisches OLG v. 25.11.2009 – 7 U 19/04, juris-Rz. 20; OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 53; OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 41 ff. = FamRZ 2009, 2006; OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, jurisRz. 41 = FamRZ 2009, 2006; OLG Köln v. 10.1.2014 – I-1 U 56/13, juris-Rz. 6 = ErbR 2014, 290. BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 36 = NJW 2014, 294; Brandenburgisches OLG v. 25.11.2009 – 7 U 19/04, juris-Rz. 23; OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 52. OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, juris-Rz. 46 = NZG 2008, 943. Vgl. zu Einzelheiten Jonas, Rz. 3.22 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 111 ff.; Peemöller/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 290 ff. Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1343). Stein/Fischer, DStR 2014, 1018 (1019); Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 50, 57. BGH v. 23.11.1977 – IV ZR 131/76, juris-Rz. 17 = BGHZ 70, 224. OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06, juris-Rz. 125 = AG 2011, 49. Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten KMU-Bewertungen, 2013, S. 3. Peemöller in Peemöller, Unternehmensbewertung 2012, S. 11 ff., sowie Moxter, Unternehmensbewertung 1983, S. 27 ff., die den objektivierten Unternehmenswert als „Verkäuferwert“ und damit als nicht „neutral“ i. S. d. IDW S1 kritisieren. Vgl. auch Hommel/Pauly/Nagelschmitt, BB 2007, 2728 ff.; Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 (1844).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.50 § 30

Zahlreiche preisbeeinflussende Umstände, wie etwa die Möglichkeiten zur Unternehmensoptimierung, Verbund- oder Steuervorteile, die Marktsituation (Käufer-/Verkäufermarkt), sind nicht Bestandteile des objektivierten Unternehmenswertes. Der Ertragswert des Verkäufers wird in der Regel unterhalb des Verkehrswertes liegen, was der Grund für die Privilegierung wirtschaftlicher Güter gemäß § 1376 Abs. 4 BGB ist.1 Ein im marktwirtschaftlichen Sinne objektivierter Unternehmenswert wäre ein Wert, von dem man annehmen kann, dass er sich aufgrund der gegenwärtigen Interessenlage aller Beteiligten am Markt ergeben könnte.2 Der Verkehrswert und der Ertragswert von Unternehmen können auch bei einer nicht seltenen erschwerten Veräußerbarkeit von KMU, etwa einer ärztlichen Praxis auf dem Land, auseinanderfallen.3 Ähnliches gilt bei eingeschränkter Verwertbarkeit eines Unternehmensanteils.4

30.47

Gleichwohl ist der objektivierte Ertragswert ein rationaler Maßstab für die Preisbildung.5 30.48 Ohne ihn wären Preise frei gegriffen und kaum begründbar. Umgekehrt sind auch feststellbare Preise für Unternehmen ein rationaler transaktionsbedingter Maßstab für den Wert/Verkehrswert des Unternehmens. In der Regel werden Käufer und Verkäufer den Preis unter Berücksichtigung ihrer Wertüberlegungen (Entscheidungswerte/Grenzpreise) verhandeln. Insbesondere Käufer und Verkäufer von KMU orientieren sich aber nicht lediglich an ihren subjektiven Entscheidungswerten, sondern insbesondere auch an den Preisen für vergleichbare Unternehmen.6 Im Zeitverlauf werden sich die Transaktionspreise für KMU ihren Verkehrswerten annähern.7 Objektivierte Ertragswerte können folglich nur eine rationale Ausgangsbasis für potenzielle Unternehmenspreise darstellen, wie es auch zutreffend vom IDW im ersten Bewertungsstandard HFA 1983 formuliert wurde.8 Sie können aber keine Preise erklären.9 Im Grundsatz ist es von der Konzeption her (Wert/Preis-Unterschied) nicht möglich, einen voraussichtlichen Kaufpreis für das Unternehmen (Verkehrswert) aus einem subjektiven Ertragswert zu entwickeln, selbst wenn dieser typisiert bzw. objektiviert wird. Von einer bestmöglichen Annäherung an einen idealisierten Verkehrswert kann keine Rede sein.10

30.49

Eine Annäherung an den Verkehrswert des Unternehmens könnte darin liegen, mehrwertige Ertragswerte im Hinblick auf unterschiedliche typisierte Käufer- und Verkäufer-Grenzpreise zu entwickeln und daraus einen preisrealistischen Mittelwert (Bandbreite) abzuleiten.11

30.50

1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 35 = NJW-RR 2016, 1217. Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 (1844). Frielingsdorf, NZFam 2015, 200 (203). BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, juris-Rz. 22 = BGHZ 75, 195 = AG 1980, 158. Frielingsdorf/Laukamp, NZFam 2017, 241 (243). Thees/Sulek, BB 2018, 1963 (1963). Thees/Sulek, BB 2018, 1963 (1963). IDW Standard HFA 2/1983, WPg 1983, 467 (472) („Als neutraler Gutachter, der einen „objektivierten Wert“ des Unternehmens als Ausgangsgrundlage für Preisverhandlungen vorlegt. In dieser Funktion kann er auch als Sachverständiger für ein Gericht tätig werden. In der Funktion des neutralen Bewerters führt der Wirtschaftsprüfer seine Feststellungen zu allgemein vertretbaren, wertenden Schlussfolgerungen.“). 9 Franken/Schulte, Rz. 11.20; Thees/Sulek, BB 2018, 1963 (1963). 10 Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1912). 11 Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 (1843).

Lauber 1049

§ 30 Rz. 30.50

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

Es könnte dann ein Basiswert abzüglich oder zuzüglich möglicher Sachverhaltsgestaltungen – Vermögenserwerb/Beteiligungserwerb, Synergien, Übernahme von Kosten, Steuergestaltung usw. – berechnet werden.1

30.51 Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Schätzung des (objektivierten) Ertragswerts nicht einseitig auf einen typisierten einflusslosen Verkäufer zu stützen, sondern die entscheidenden Parameter des Ertragswerts (Planung, Kapitalisierungszins) an einem „markttypischen Erwerber“ (Rz. 1.59) auszurichten.2 Ein Wesensmerkmal des gemeinen Werts bzw. des Verkehrswerts ist die Ausrichtung an Marktverhältnissen bzw. einem potenziellen Erwerber (Rz. 29.150).

30.52 Da markttypische Erwerber in der Regel ohnehin mehrere Bewertungsverfahren nutzen, ist schließlich zu erwägen, verstärkt Preisfindungsverfahren wie das transaktionsgestützte Multiplikatorverfahren zu nutzen.3 In diesem Zusammenhang könnten auch die recht detaillierten Grundsätze zur Ermittlung von Fair Values gemäß IFRS 13 (ausführlich Rz. 28.30 ff.) bzw. IDW RS HFA 47 berücksichtigt werden.4

30.53 Auch der Kerngedanke der Fairness Opinion (ausführlich Rz. 23.42 ff.) zur Beurteilung der Angemessenheit von Unternehmenstransaktionen gemäß IDW S 8 sollte beachtet werden.5 Das ist zwar kein Instrument der Bewertung oder Preisfindung, sondern dient der Feststellung der Angemessenheit eines gebotenen oder ausgehandelten Preises aus der Sicht des Auftraggebers.6 Bei einer Überprüfung eines Transaktionspreises mittels einer Fairness Opinion nach IDW S 8 kommen sowohl kapitalwertorientierte als auch preisorientierte Größen zur Anwendung.7 Gerade bei der Bewertung von KMU sollte dieser Gedanke zur Ausfüllung des weiten Schätzungsermessens nach § 287 Abs. 2 ZPO im Blick behalten werden. f) Verkehrswert und Liquidationswert

30.54 Üblicherweise werden der Fortführungswert des Unternehmens im Sinne seines objektivierten Ertragswerts und der Liquidationswert (ausführlich § 9) im Sinne seines Zerschlagungswerts unterschieden. Letzterer kommt zum Zuge, wenn der Zerschlagungswert höher ist als

1 Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 (1843). 2 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (584); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 366; Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 427 (429); DVFA Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung 2012, S. 10 ff.; Lauber, Rz. 34.55. Dagegen für Spruchverfahren: OLG Düsseldorf v. 2.7.2018 – I-26 W 4/17 (AktE), juris-Rz. 37, allerdings mit fraglicher Begründung (kein Kaufrechtsansatz, sondern Entschädigung). 3 Franken/Schulte, Rz. 11.18 ff.; DVFA Best Practice Empfehlungen Unternehmensbewertung 2012, S. 10 ff. 4 Vgl. dazu ausführlich Leverkus, Rz. 28.34 ff. 5 IDW S 8, Rz. 26, FN-IDW 3/2011, S. 151 ff., WPg Supplement 1/2011, S. 85 ff. („Finanzielle Angemessenheit im Sinne dieses Standards liegt dann vor, wenn der zu beurteilende Transaktionspreis innerhalb einer Bandbreite von kapitalwertorientiert ermittelten Werten und zum Vergleich herangezogenen Transaktionspreisen (Maßstabsfunktion) liegt.“). Vgl. auch Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, mit einem Abdruck des aktuellen IDW S 8 im Anhang. 6 Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 60 ff. 7 IDW S 8, Rz. 26, FN-IDW 3/2011, S. 151 ff., WPg Supplement 1/2011, S. 85 ff.; Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 47, 56.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.57 § 30

der Fortführungswert.1 Dieses Szenario ist insbesondere für KMU relevant, da der Ertragswert nicht selten negativ ausfällt und damit auch die vorhandene Substanz entwertet wird.2 Der Liquidationswert fungiert dann als Wertuntergrenze des Unternehmenswerts.3 Der Liquidationswert kann bis zur maximalen Haftungssumme der bisherigen Eigentümer auch negativ sein.4 Bemerkenswert ist, dass die Beschreibung des Liquidationswertes des Unternehmens faktisch der Verkehrswertdefinition des BGHs in Zugewinnausgleichsfällen entspricht (s. Rz. 30.31). Der Verkehrswert ergibt sich danach aus dem Barwert der Nettoerlöse bei einer Veräußerung des Unternehmens unter Abzug der Veräußerungskosten und veräußerungsbedingter Ertragsteuern.5

30.55

g) Verkehrswert und Vorerwerbspreise für KMU Der BGH hat in Einzelfällen stichtagsnah gezahlte Preise (vgl. ausführlich § 19) als Schät- 30.56 zungsgrundlage für den Verkehrswert anerkannt. Ist ein kaufmännisches Unternehmen etwa ein Jahr nach dem Bewertungsstichtag veräußert worden, und sind wesentliche Veränderungen des Marktes nicht ersichtlich, dann darf der Tatrichter sich für die Bewertung an dem Verkaufserlös orientieren.6 Dabei wurde nicht überprüft, ob es sich um wirtschaftlich rational erklärbare Preise handelte.7 Die Übernahme gezahlter Preise wurde nicht besonders begründet, sondern für selbstverständlich erachtet. Ausreichend war die Feststellung, dass Ausnahmebedingungen, die dazu veranlassen könnten, die (relativ) gesicherte Ebene gezahlter Kaufpreise zu verlassen, nicht erkennbar waren.8 Dennoch finden stichtagsnah gezahlte Preise für Unternehmen (ausführlich § 19) bei der Unternehmensbewertung in streitigen Verfahren überwiegend keine Beachtung.9 Vereinzelt wird zumindest ausgeführt, dass der erzielte Kaufpreis grundsätzlich einen Anhaltspunkt für die Werthaltigkeit eines Unternehmensanteils darstellen kann.10 Nicht vertretbar dürfte hingegen die Annahme des OLG Dresden sein, dass der Preis für das gesamte Unternehmen keine Bedeutung für eine Beteiligung haben kann, da in dem Gesamtkaufpreis eine strategische Prämie enthalten sein könne.11 Darin kommt elementares Fehlverständnis zum Ausdruck. Falls der Käufer bereit ist, im Rahmen von Preisverhandlungen Synergievorteile zu teilen, handelt

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 53, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 2 BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, juris-Rz. 8 = NJW 1982, 2441. 3 IDW S 1 2008, Rz. 149 f., WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDWPraxishinweise KMU 2014, Rz. 52, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff. 4 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 54, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; vgl. bspw. OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 44 = FamRZ 2009, 2006. 5 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249. 6 BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, juris-Rz. 23 = NJW 1982, 2497. 7 LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08, juris-Rz. 147 ff. = AG 2009, 835. 8 BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 12 = NJW-RR 1991, 900. 9 Vgl. die Übersicht bei Leverkus, Rz. 19.64 ff. 10 OLG Köln v. 10.1.2014 – I-1 U 56/13, juris-Rz. 7 = ErbR 2014, 290. 11 OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, juris-Rz. 44 = NZG 2008, 943.

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30.57

§ 30 Rz. 30.57

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

es sich dennoch um einen Marktpreis bzw. Verkehrswert des Unternehmens. Dieser ist nicht im Hinblick auf einen niedrigeren oder höheren wahren, inneren Wert zu korrigieren.1 h) Normfremde Einschränkungen des Bewertungsziels

30.58 In der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden vereinzelt anlassbezogene Besonderheiten formuliert, die Einfluss auf das Bewertungsziel, nämlich den Verkehrswert des Unternehmens, haben sollen. Bspw. werden die Fortführung des Unternehmens2, dominierte Bewertungsanlässe3 oder die Unmaßgeblichkeit eines Preises4 unterstellt. Vielfach werden aus diesen Bewertungsanlässen qualitative Einschränkungen des Bewertungsziels hergeleitet, etwa die Sicht des Unternehmensfortführers oder des dominierten einflusslosen Inhabers des Unternehmens (IDW S 1).5 Wenn das Bewertungsziel aus rechtlicher Sicht der Verkehrswert des Unternehmens ist, kann dieser nicht mit außerhalb der Norm liegenden Aspekten (Gesellschafterdominanz; Fortführungsabsicht) korrigiert werden. 3. Verkehrswert von KMU und Wahl der Bewertungsmethode

30.59 Generell wird für die Verkehrswertschätzung die hypothetische Veräußerung des Unternehmens zum Stichtag unterstellt.6 Sämtliche Bewertungsverfahren dienen dem Zweck, sich dem Verkehrswert anzunähern.

30.60 Grundsätzlich ist Käufern und Verkäufern von Unternehmen die Wahl des Bewertungsverfahrens zur Bestimmung des Wertes bzw. Preises freigestellt (ausführlich Rz. 34.42 ff.).7 Im Rahmen von Kauf-/Verkaufsverhandlungen ist „alles erlaubt“, selbst Verstöße gegen ökonomische Theorien.8 KMU werden von Marktteilnehmern bei Transaktionsprozessen vielfach entgegen der reinen Lehre bzw. den Standards von Bewertungsprofessionals bewertet.9 Preise für KMU in Höhe des x-fachen Ertragswerts vice versa sind zu konstatieren.10 Der Verkehrswert der Substanz sowie die Umsätze des Unternehmens sind für KMU nach wie vor marktrelevant.11 Bspw. verwenden auch die bei KMU-Transaktionen eingeschalteten Steuerberater oder Banken vereinfachte Preisfindungsverfahren in Form von Multiplikatoren, etwa EBITMultiplikatoren.12 In zahlreichen Branchen haben sich die von den Berufsorganisationen empfohlenen Bewertungsmethoden – Praktikerverfahren bzw. vereinfachte Preisbildungs-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, juris-Rz. 11 = NJW-RR 1991, 900. Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490). Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (490). Vgl. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 27 ff. = BGHZ 188, 249. Dort werden die Hinweise der Steuerberaterkammer 2010 im bezeichneten Sinne interpretiert. IDW S 1 (2008), Rz. 29, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 44 ff. BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 29 ff. = BGHZ 188, 282, 29 ff., für den Zugewinnausgleich. Peemöller, BB Beilage 2005, 30 (35); Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 47. Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 47. Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1002 ff.; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 47. Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 48 und 50. Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 48. Vgl. die Übersicht bei Peemöller/Kunowski/Hiller, WPg 1999, 621 ff.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.63 § 30

verfahren – etabliert.1 Auch wenn sie als marktgerechteste Methode bezeichnet wurden, sind sie aber nicht für zwingend erachtet worden.2 Während mittlerweile nicht mehr streitig ist, dass das Bewertungsziel normativ vorgegeben ist und somit eine Rechtsfrage darstellt3, wird die Wahl der Bewertungsmethode nach herrschender Meinung als Tatsachenfrage qualifiziert.4 Allgemein wird vertreten, dass der sachverständig beratene Tatrichter bei der Wahl der Bewertungsmethode grundsätzlich frei ist.5 Die Methode muss lediglich geeignet sein, das Bewertungsziel zu erreichen.6 Dabei kann auf die in der Lehre und Praxis anerkannte und gebräuchliche Unternehmensbewertung zurückgegriffen werden, ohne dass die eine oder andere Methode Vorrang genießt.7 Bei mehreren geeigneten Verfahren ist eine ermessensgerechte Methodenauswahl zu treffen.8 Allerdings ist es eine Rechtsfrage, ob ein vom Tatrichter gewähltes Bewertungsverfahren das gesetzliche Bewertungsziel erreicht.9

30.61

Die Auffassung, dass insbesondere bei der Bewertung von KMU der Markt über die Bewertungsmethode bestimmt,10 hat sich nicht durchsetzen können, obwohl dieser Gedanke nicht so fernliegend ist. Bspw. werden Preisbildungsfaktoren an der Börse für Aktien ohne Weiteres akzeptiert. Niemand käme auf die Idee, den Verkehrswert der Aktie nach seinem objektivierten Ertragswert zu berechnen. Das gleiche gilt für Marktrisikoprämien. Die marktgebräuchliche Bewertungsmethode gehört zu den Preisbildungsfaktoren, die zur Annäherung an einen möglichst realen Vermögensstatus des Abfindungs- bzw. Ausgleichspflichtigen führen.

30.62

Marktgebräuchliche Methoden führen folglich im Zweifel zu realistischen Verkehrswerten, d.h. einem geldäquivalenten Vermögensstatus11. Die Korrektur dieser Prozesse durch Verwendung „theoretisch richtiger Modelle“ kann dann zu einer Verzerrung eines realistischen Marktpreises führen. Auch wenn mittels der Bewertungsmethoden ein Marktpreis theoretisch

30.63

1 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12, wonach die Praxis bei der Veräußerung von Praxen häufig noch vereinfachte Preisfindungsverfahren wie Multiplikatorverfahren in Form von Umsatzverfahren verwendet. Nach dem IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 58, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff., werden Praktikerverfahren bei der Bewertung von KMU nur „gelegentlich“ verwendet. Vgl. auch FinMin. Bayern v. 4.1.2013, DStR 2013, 1385 ff. 2 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 21 ff. = BGHZ 188, 249-270. Die marktgerechteste Methode wurde verworfen, da sie nach den zugrunde gelegten Angaben des Sachverständigen den Abzug eines Unternehmerlohns nicht vorsah. Vgl. dazu die Vorinstanz: OLG Hamm v. 17.10.2008 – II-10 UF 162/07, juris-Rz. 49. 3 OLG Frankfurt v. 12.6.2014 – 3 W 25/14, juris-Rz. 5 = IBR 2014, 586; Kuckenberg, NZFam 2015, 390 (390). 4 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, juris-Rz. 14 = BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359; Hüttemann, Rz. 1.48; Kuckenberg, NZFam 2015, 390 (390). 5 Ständige Rspr., siehe zuletzt BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 15 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 41 = NJW-RR 2016, 1217. 6 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, juris-Rz. 14 = BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, juris-Rz. 12 = NJW-RR 2016, 231 = AG 2016, 135; Hüttemann, Rz. 1.48. 7 BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, juris-Rz. 12 = NJW-RR 2016, 231 = AG 2016, 135. 8 Hüttemann, Rz. 1.48, 1.65. 9 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, juris-Rz. 14 = BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, juris-Rz. 14 = NJW-RR 2016, 231 = AG 2016, 135. 10 Barthel, DB 1990, 1145 ff. 11 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 49 = NJW-RR 2016, 1217 („… Demgegenüber geht es bei der Verkehrswertermittlung um einen Vermögensstatus zu einem bestimmten Stichtag“).

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§ 30 Rz. 30.63

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

geschätzt und dieser nicht tatsächlich gebildet werden soll,1 müssen zumindest theoretisch der hypothetische Veräußerungserlös als auch der tatsächliche Veräußerungserlös zum Stichtag im Grundsatz übereinstimmen (können), um den vom Gesetz geforderten geldäquivalenten Vermögensstatus2 abzubilden. Abweichende Ergebnisse gehen zwangsläufig zulasten einer Partei. Daher ist die theoretische Zielerreichungsfähigkeit der Bewertungsmethode grundsätzlich relevant.3

30.64 Für eine stärkere Marktausrichtung der Bewertungsmethode spricht im Übrigen auch, dass bei der Verwendung der üblichen Kapitalwertmodelle ein Maximum an Realitätsnähe durch Verwendung von Marktdaten bzw. Marktverhältnissen angestrebt wird. Bei der Bewertung von KMU im Zivilrecht wird, soweit dies möglich ist, auf marktgerechte Konditionen zurückgegriffen, etwa beim Ansatz marktgerechter Unternehmerlöhne, Mieten, Finanzierungen, Branchen- und Marktumfeld usw.4 Auch der Kapitalisierungszins wird im Rahmen des CAPM marktgerecht durch die Basiszinsdaten, Marktrisikoprämien und Betafaktoren hergeleitet. Etwaige Risiken für KMU5, z.B. die eingeschränkte Fungibilität, ergeben sich letztlich aus Marktbeobachtungen. Schließlich betont der BGH im Zugewinnausgleich die hypothetische Veräußerungssituation und fordert wegen dieses Realitätsbezuges den Abzug latenter Ertragsteuern, die im Falle des Verkaufs voraussichtlich zu zahlen wären.6

30.65 Da letztlich der Markt einschließlich Bewertungsmethode immer Recht hat und das Ergebnis, nicht aber die Methode im Vordergrund steht7, ist die Verwerfung marktüblicher Methoden wegen angeblicher Unwissenschaftlichkeit problematisch.8 Soweit sich in einer Branche für KMU vereinfachte Preisfindungsverfahren durchgesetzt haben, ist es angesichts der unbestreitbaren Vorteile hinsichtlich Akzeptanz, Nachvollziehbarkeit, Dauer, Kosten usw. geboten, dieses primär anzuwenden, zumindest aber zusätzlich zwecks Plausibilisierung. Die Parteien sollten dazu Erklärungen abgeben (s. Rz. 30.274). Zu Recht wird für KMU auf die Wichtigkeit des Sachvortrags zur zutreffenden Bewertungsmethode im konkreten Bewertungsfall hingewiesen.9 4. Abschläge oder Zuschläge auf KMU-Verkehrswerte

30.66 Für KMU werden Wertabschläge oder Risikozuschläge (ausführlich Rz. 20.6 ff.) aus diversen Gründen diskutiert. Ob es sich um einen Abschlag oder einen Zuschlag handelt, richtet sich nach dem Bezugspunkt. Teilweise werden auf diese Weise Gewinne oder Umsätze gemindert oder erhöht. Vielfach werden Risikozuschläge auf den Kapitalisierungszinssatz erörtert. Schließlich geht es um Abzüge auf den Wert des ermittelten Unternehmens. Im Übrigen sind Zuschläge und Abschläge methodenabhängig. Sämtliche Anpassungen werden nachfolgend unter dem Begriff „Abschläge“ behandelt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, juris-Rz. 44 = NJW-RR 2016, 231 = AG 2016, 135. BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 49 = NJW-RR 2016, 1217. Frielingsdorf, NZFam 2016, 1090 (1091). IDW S 1 (2008), Rz. 14 ff., 32 ff., WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDWPraxishinweise KMU 2014, Rz. 27, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. Siehe Rz. 30.66 ff. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249. Siehe Rz. 30.29. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015; Lauber, Das Verhältnis §§ 304, 305, 327a AktG, 2013, S. 379. Kuckenberg, NZFam 2015, 390 (391), der sogar von einer anwaltlichen Haftung für den Fall des fehlenden oder unzutreffenden Sachvortrags zur Bewertungsmethode ausgehen will.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.67 § 30

Die Fülle der diskutierten Abschläge zeigt den Anpassungsbedarf bei KMU-Bewertungen. Damit werden zahlreiche Stellschrauben zur Justierung der KMU-Besonderheiten bereitgestellt, um im Einzelfall akzeptierte und gerechte Ergebnisse zu erzielen. Im Einzelnen werden folgende Wertabschläge für KMU genannt: – Abschlag wegen geringer Größe (Size-Prämie);1 – Abschlag mangels Diversifizierung;2 – Abschlag wegen eingeschränkter Verkehrsfähigkeit (Immobilitäts-, Illiquiditäts- bzw. Fungibilitätsabschlag);3 – Abschlag für Schlüsselpersonen;4 – Abschlag wegen begrenzter Lebensdauer;5 – Abschlag bei faktischen oder rechtlichen Verfügungsbeschränkungen;6 – Abschlag mangels Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmen (Peer Group);7 – Abschlag für das operative Risiko (unsystematische Risiken; Insolvenzrisiko);8 – Abschläge wegen Umsatzminderungen oder Mandantenstruktur;9 – Minderheitenabschlag wegen fehlender Kontrollmöglichkeit;10 – Besondere Ab- und Zuschläge für Handwerksunternehmen.11

1 OLG Koblenz v. 20.2.2009 – 10 U 57/05, juris-Rz. 88; Münch, DStR 2014, 806; Dörschell/Franken/ Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2012, S. 379; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (490 ff.); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494); Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (118); Zwirner, DB 2013, 1797 (1800). 2 Keller, BPrak 2006, 12 (13) (empfohlen werden Zuschläge zwischen 25 % bis 35 % aufgrund von Erfahrungswerten); Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (471) (ablehnend wegen CAPM-Irrelevanz und mangels Quantifizierbarkeit); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (490 ff.); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494); Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (121); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Zwirner, DB 2013, 1797 (1801). 3 OLG München v. 3.12.2009 – 23 U 3904/07, juris-Rz. 57 ff.; OLG Hamm v. 10.4.2014 – I-10 U 35/13, juris-Rz. 228 („Marktanpassungszuschlag“); OLG München v. 14.5.2007 – 31 Wx 87/06, juris-Rz. 30 = AG 2007, 701; Keller, BPrak 2006, 12 (13); Schempp, Unternehmensbewertung im Handwerk, 2012, S. 50 (grundsätzlich möglich, Wertspanne 3 %); Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1347); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (490 ff.); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1769 (1770 ff.); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (496); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Zwirner, DB 2013, 1797 (1801). 4 Fleischer, Rz. 20.33 ff.; Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1639). 5 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (469). 6 IDW S 13, Rz. 48 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; Henseler, BPrak 2006, 2 (7); König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1089); Münch, DStR 2014, 806 (810). 7 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (471) (Anpassung auf der Grundlage vereinfachender Annahmen). 8 Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1348); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967). 9 Breidenbach, DStR 1991, 47 (49 ff.); BStBK-Bewertungshinweise 2017, Rz. 42. 10 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (473). 11 Schempp, Unternehmensbewertung im Handwerk 2012, S. 48 (Für jeden Punkt kann unternehmensindividuell ein Zuschlag zwischen 0-3 % festgelegt werden, der in begründeten Fällen jedoch auch höher liegen kann). Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1348).

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30.67

§ 30 Rz. 30.68

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.68 Generell lässt sich zu sämtlichen Zuschlägen und Abschlägen sagen, dass sie im Grundsatz nicht rechtlich gefordert sind, sondern ökonomisch geboten sein können. Zahlreiche Abschläge haben im Modell der objektivierten Ertragswertmethode keinen Platz, bspw. der Fungibilitätsabschlag.1 Aus diesem Grund ergibt sich überhaupt erst die Notwendigkeit, über Abschläge nachzudenken, da die Bewertungstheorie und die Bewertungspraxis davon ausgehen, dass sich erhöhte KMU-Risiken in Form von Wertabschlägen auf den ermittelten Ertragswert auswirken würden.

30.69 Nachfolgend wird auf die am häufigsten für KMU diskutierten Wertabschläge eingegangen, nämlich für kleine Unternehmen, für mangelnde Diversifizierung und für mangelnde Fungibilität. Hinsichtlich des für KMU praxisrelevanten Abschlags für Schlüsselpersonen kann auf weiterführende Literatur verwiesen werden (Rz. 20.17). Zudem wird die davon erfasste Problematik auch im Zusammenhang mit der Übertragbarkeit von Wertbeiträgen des bisherigen Inhabers erörtert.

30.70 Abschläge werden in der Regel von Sachverständigen auf eigene Initiative in die Bewertung aufgenommen. Das ist allerdings nicht sicher. Daher sollten die Parteien zur Bewertungsmethode, den dabei vorzunehmenden Zu- oder Abschlägen und den berechenbaren Parametern vortragen. Das ermöglicht sowohl dem Sachverständigen als auch dem Gericht, entsprechende Zu- oder Abschläge zu prüfen.2 a) Abschlag für KMU wegen geringer Größe (Größeneffekt)

30.71 Für KMU werden erhöhte Risiken gegenüber größeren, insbesondere börsennotierten Unternehmen unter den Begriffen „small cap“3, „small firm effect“4 „size premium“5, „size effect“6, „small company discount“7 oder „small stock premium“8 diskutiert. Die Größeneffekte können diffus sein. Zentraler Ausgangspunkt dafür ist die Vermutung, dass das Gesamtrisiko für kleine Unternehmen höher ist als für große Unternehmen, weshalb der Kapitalmarkt für kleine Unternehmen höhere Renditen fordert.9 Dabei wird einerseits auf empirische Untersuchungen in den USA verwiesen, wonach Zuschläge von durchschnittlich 35 % zu beobachten seien.10 Dies wurde zum Anlass genommen, das CAPM um ein Drei-Faktoren-Modell zu erweitern, in das der Größeneffekt einfloss. Für den Zeitraum von 1963-1992 ergab sich daraus ein um ca. 3,2 % erhöhter Risikozuschlag und ein zwischen 20 % und 30 % verminderter Unternehmenswert von KMU.11 1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 51, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 2 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 42, = BGHZ 188, 249. 3 OLG Koblenz v. 20.2.2009 – 10 U 57/05, juris-Rz. 89. 4 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (118); König/Möller, BB 2014, 983 (985). 5 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 47, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 819; Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (470); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492); Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (118). 6 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (120); König/Möller, BB 2014, 983 (985). 7 Fleischer, Rz. 24.8; Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1634); Nestler, BB 2012, 1271 (1271). 8 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 379. 9 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 379. 10 Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 379; Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 112 m.w.N.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494) m.w.N. 11 Vgl. Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (118) m.w.N. zur US-Literatur.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.74 § 30

Die Validität der empirischen Ergebnisse und deren Übertragbarkeit auf Deutschland werden bestritten.1 Sämtliche Untersuchungen zeigten auf, dass ein Größeneffekt nicht eindeutig erkennbar sei und für Deutschland konträre und nicht statistisch belastbare Resultate relevant seien.2 Wenn überhaupt, müsse ein Size-Effekt für größere Unternehmen diskutiert werden.3 Zudem fehle eine schlüssige theoretische Erklärung für einen Größeneffekt.4 Von der überwiegenden Anzahl der Ökonomen wird der Größenabschlag daher abgelehnt.5 Im Ergebnis werden sie auch von der Rechtsprechung, dem Schrifttum und dem IDW abgelehnt.6

30.72

Dieser Einschätzung ist zuzustimmen. Mit dem intuitiv und marktempirisch vermuteten 30.73 Größenabschlag soll ein modelltheoretisches Defizit der Bewertungsmethode ausgeglichen werden. Der Größeneffekt ist weder modelltheoretisch erklärbar noch isoliert empirisch messbar. Geringere Unternehmensgröße kann auch vorteilhaft sein. Vor allem besteht die Gefahr der mehrfachen Erfassung von Risiken, z.B. des Größenabschlages, des Fungibilitätsabschlages und des Diversifikationsabschlages, ohne dass diese Effekte sauber gegeneinander abgegrenzt werden können.7 Es ist sogar denkbar, dass bspw. ein Größeneffekt durch andere gegenläufige KMU-Merkmale kompensiert wird.8 Naheliegend ist, nicht messbare Größenanpassungen zu unterlassen und ggf. eine Marktbeobachtung durch eine belastbare Peer Group Bewertung (Branchenvergleich) vorzunehmen.9 Denkbar wäre auch der Einsatz von Multiplikatoren (implizite Kapitalkosten), die einen Größeneffekt, soweit vorhanden, einschließen würden. b) Abschlag für KMU wegen fehlender Diversifikation Die Erhöhung des Risikozuschlags wegen fehlender Diversifizierung der Anteilseigner von 30.74 KMU wird ebenso häufig diskutiert wie der erörterte Größeneffekt.10 Hintergrund ist wiederum, dass das Capital Asset Pricing Model (CAPM) unterstellt, dass Investoren ihr Risiko durch eine ideale Portfoliobildung streuen,11 was bei Investoren von KMU nicht unterstellt 1 Vgl. Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 112 m.w.N. zu deutschen Studien. 2 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 113 f.; Schulz, Größenabhängige Risikoanpassung, Düsseldorf 2009, S. 122 ff., 241 ff. m.w.N.; Fleischer, Rz. 24.8 m.w.N. 3 Schulz, Risikoanpassungen, 2009, S. 206; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492). 4 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492); Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 114. 5 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 114 m.w.N.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494); Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (119), der höhere Kapitalkosten für KMU mit höheren Transaktionskosten in Verbindung bringt; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492); Zwirner, DB 2013, 61 (73); König/Möller, BB 2014, 983 (985); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Stein/Fischer, DStR 2014, 1019 (1021); Zwirner, DB 2013, 1797 (1800); Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (470). 6 OLG Koblenz v. 20.2.2009 – 10 U 57/05, juris-Rz. 47; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 47, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Fleischer, Rz. 24.8; Kohl, Rz. 29.166. 7 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (488); Jonas, WPg 2011, 305 (308). 8 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (121). 9 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (119), der zutreffend darauf hinweist, dass die Peer Group-Unternehmen eine vergleichbare Größenordnung haben und daher vom Risiko mit dem zu bewertenden KMU übereinstimmen. 10 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 ff.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (493 ff.) mit einem Überblick der Argumente; Jonas, WPg 2011, 305 (307); Gleißner, Corporate Finance 2015, S. 167 ff. 11 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 114 m.w.N.

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§ 30 Rz. 30.74

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

werden könne. Überwiegend wird deshalb angenommen, dass die Anwendung des CAPM tendenziell zu einer Überbewertung von KMU führt.1

30.75 In der betriebswirtschaftlichen und juristischen Literatur wird der Risikozuschlag wegen fehlender Diversifikation von KMU-Investoren zu Recht abgelehnt.2 Die Ertragskraft des Unternehmens ist von der umfangreichen Diversifizierung des Unternehmers unabhängig.3 Ferner handelt es sich insofern um ein unsystematisches Risiko, das in inkonsistenter Weise mit dem systematischen Risiko des CAPM vermischt wird.4 Das kapitalmarkttheoretisch fundierte CAPM zur Ermittlung marktgerechter Kapitalkosten wird um problematische Ermessensspielräume erweitert.5 Falls die fehlende Absicherung durch Diversifizierung bei KMU berücksichtigt werden soll, muss streng genommen das CAPM aufgegeben werden.6

30.76 Die Verwendung eines Total-Betas für KMU,7 der zur Reduzierung des Diversifizierungskoeffizienten in der CAPM-Gleichung führt8, ist auch keine befriedigende Lösung. Der Total BetaAnsatz9 erfüllt allenfalls den Schein der theoretischen Fundierung.10 c) Abschlag für KMU wegen eingeschränkter Handelbarkeit

30.77 Der Fungibilitätsabschlag (ausführlich Rz. 20.17 ff.) hat bereits eine tiefe betriebswirtschaftliche und juristische Durchdringung erfahren.11 Die eingeschränkte Handelbarkeit kann sich auf das komplette Unternehmen oder auf Unternehmensanteile beziehen. Die Fungibilität der Eigentumsanteile an einem Unternehmen wird gemessen an ihrer Eignung zur zeitnahen, sicheren und transaktionskostenarmen Veräußerung.12 Der Fungibilitätsabschlag will der Vermutung Rechnung tragen, dass KMU bzw. KMU-Unternehmensanteile schwieriger zu veräußern sind als Wertpapiere,13 deren Kauf nach dem CAPM annahmegemäß die Alternative zum Unternehmenserwerb ist.14 Der Fungibilitätszuschlag wird insbesondere hergeleitet aus dem Äquivalenzprinzip und der Liquiditätspräferenztheorie.15 Letztere besagt, dass liquide 1 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 836; WP-Handbuch, Bd. II, 2014, S. 158, Rz. 440. 2 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 114; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492 f.); Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (470); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (493, 495) mit der Einschränkung, dass das Total BetaKonzept zumindest Anhaltspunkte liefern könne. 3 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 114. 4 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 115; König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1087). 5 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (493). 6 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 115; ähnlich Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (493). 7 Vgl. Brandenburgisches OLG v. 28.1.2015 – 7 U 170/13, juris-Rz. 27. Dort führte der Total BetaAnsatz zu einer Reduzierung der Abfindung von EUR 238.000,00 auf EUR 144.000,00. 8 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 114; Schulz, Risikoanpassungen, 2009, S. 53 ff.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494). Siehe dazu ergänzend Lauber, Rz. 34.64. 9 Siehe dazu Rz. 30.145. 10 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299 (1306). 11 Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1637 ff.); Barthel, DB 2003, 1181 ff. 12 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 51, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Fleischer, Rz. 20.17 m.w.N. 13 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (471). 14 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 105; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (497). 15 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 105.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.80 § 30

gegenüber illiquiden Objekten bevorzugt werden, da sie die Risiken eines Wieder- oder Notverkaufs einschließlich Transaktionskosten mindern.1 Namhafte Ökonomen haben sich für den Ansatz von Fungibilitätsabschlägen ausgesprochen.2 Die Vorschläge zur Abbildung des Immobilitätsrisikos sind vielfältig. Grundsätzlich kann zwischen empiriegestützten pauschalen Zuschlägen (IPO-Studien u.a.) und modellbasierten flexiblen Abschlägen (CAPM u.a.) bis zu 50 % unterschieden werden.3 Methodisch wird die Immobilität als Abschlag beim Unternehmenswert bzw. Anteilswert oder als Zuschlag beim Kapitalisierungszinssatz berücksichtigt.4 Pauschale Zuschläge aufgrund vergleichbarer Bewertungen dominierten deutlich.5 Sie variieren bis zu einer Höhe von 20 %.6

30.78

Messungen des Liquiditätseffektes anhand von veräußerbaren und nicht veräußerbaren Aktien desselben Unternehmens haben Abschläge zwischen 20–35 % ergeben.7 Aktuelle empirische Untersuchungen haben ergeben, dass befragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland zu 79 % die Fungibilität mindestens einmal bei der Ermittlung von Unternehmenswerten in den Jahren 2009/2010 berücksichtigt haben.8

30.79

Dennoch sprechen sich die Bewertungspraxis und überwiegend auch die Bewertungstheo- 30.80 rie gegen Fungibilitätsabschläge für KMU aus.9 Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) lehnt pauschale Zuschläge wegen Immobilität ab, hält insoweit aber eine Anpassung des Betafaktors für möglich.10 Lediglich die Bewertungshinweise des Zentralverbandes des Handwerks (ZDH) sehen einen Immobilitätsabschlag zwischen 1–3 % vor.11 Die Rechtsprechung hat im Bereich des Zugewinnausgleichs Abschläge wegen Unveräußerlichkeit nicht grundsätzlich abgelehnt12 und auch ansonsten für zulässig erachtet.13 Die juristische Literatur lehnt den Fungibilitätsabschlag für KMU ebenfalls ab (Rz. 24.8). 1 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 105 f. 2 Vgl. die Übersicht bei Fleischer, Rz. 20.17. 3 Vgl. die Übersichten über die empirischen, modelltheoretischen und pragmatischen Ansätze für einen Wertabschlag wegen des Fungibilitätsrisikos bei Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621 (1622). Mit einer weiteren Übersicht zur Berücksichtigung der Fungibilität im Rahmen der Unternehmensbewertung; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (490); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (497). 4 Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621 (1624). 5 Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621 (1626). 6 Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621 (1625). 7 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 107; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (497). Die empirischen Daten beziehen sich auf den US-Kapitalmarkt; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1769 (1762). 8 Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621 (1624). 9 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 13, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (471); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (492); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Wehmeier, Stbg 2011, 453 (466); Zwirner, DB 2013, 1797 (1802). Für einen Fungibilitätsabschlag: Schiffers, GmbH-StB 2005, 300 (302) (mittelständische GmbHs); Schoberth/Ihlau, BB 2008, 2114 (2118) (Familienunternehmen). 10 BStBK-Bewertungshinweise 2017, Rz. 34. 11 Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1347); Grootens, ErbStB 2013, 188 (192); Schempp, Unternehmensbewertung im Handwerk 2012, S. 50. 12 BGH v. 4.7.2013 – III ZR 52/12, juris-Rz. 80 = NJW-RR 2014, 492. 13 OLG Hamburg v. 6.5.2008 – 8 U 10/06, BeckRS 2011, 14788, II.3.c (Zuschlag von 2 % auf den Kapitalisierungszins aufgrund einer erschwerten Fungibilität und der geringen Unternehmensgröße); OLG Koblenz v. 5.4.2007 – 6 U 342/04, juris-Rz. 28 = AG 2007, 408 (0,5 % Risiko-

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§ 30 Rz. 30.81

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.81 Das IDW weist darauf hin, dass die durch einen Eigentümerwechsel ausgelösten Transaktionskosten für den objektivierten Unternehmenswert keine Bedeutung haben.1 Die Lehre argumentiert, dass im klassischen CAPM modellgemäß kein Raum für Immobilität sei.2 Immobilität sei allenfalls ein Zähler-Problem, d.h. ertragsrelevant.3 Soweit die Handelbarkeit von KMU eingeschränkt sei, sei dies bei der Ermittlung der zu kapitalisierenden Ergebnisse im Zähler zu erfassen.4 Andererseits könne die Höhe eines Immobilitätszuschlags nicht verlässlich quantifiziert werden.5

30.82 Zur Lösung der Streitfrage trägt bereits die strikte Trennung zwischen einem Fungibilitätsabschlag und einem Minderheitsabschlag bei.6 Der Fungibilitätsabschlag betrifft eine ökonomische Frage, der Minderheitsabschlag hingegen eine juristische Frage. Das wird oft vermischt. Der Abschlag für illiquide gesellschaftsrechtliche Minderheitsanteile wird aus Rechtsgründen bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungen zu Recht abgelehnt (Rz. 20.26).

30.83 Der Immobilitätszuschlag ist zulässig und geboten, soweit er den Verkehrswert des Unternehmens beeinflusst. Das ist eine Bewertungsfrage und von der Bewertungstheorie bzw. Bewertungspraxis zu beantworten. Angesichts der menschlichen Risikoaversion ist unmittelbar nachvollziehbar, dass nicht marktgängige Handelsgüter im Hinblick auf einen unmöglichen oder eingeschränkten Wiederverkauf gemieden oder nur mit Abschlägen erworben werden. Allerdings ist ein Fungibilitätsabschlag für KMU kein Naturgesetz. Denkbar ist, dass KMU, wie z.B. eine freiberufliche Arztpraxis, angesichts der großen Masse an vergleichbaren Unternehmen letztlich sogar leichter veräußerbar sind als große Unternehmen.7

30.84 Aus juristischer Sicht gibt es gegen wirtschaftlich begründete Fungibilitätsabschläge für KMU nichts einzuwenden. Allerdings muss die Begründung belastbar sein. Ungestützte Pauschalansätze8 basierend auf Restricted Stock- oder IPO-Studien dürften unzulässig sein, da ein Bezug zu KMU nicht erkennbar ist. Auch der pauschale Ansatz von möglichen Transaktionskosten9 ist letztlich ohne Realitätsbezug. Modelltheoretische Überlegungen sind ebenfalls nicht überzeugend, da sie das Problem, den Fungibilitätsabschlag quantitativ zu bestimmen und von anderen KMU-Risiken (Diversifikation u.a.) abzugrenzen, nicht überzeugend lösen kön-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

zuschlag für Fungibilität u. a. ohne Abgrenzung im Einzelnen); OLG Düsseldorf v. 31.3.2006 – 26 W 5/06, juris-Rz. 52 (Keine Abgrenzung des Immobilitätsrisikos von anderen Unternehmensrisiken). IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 51, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1087). Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 106; Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (471); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (497); Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 376. Ballwieser in Ballwieser/Hippe, Merger & Acquisitions, 2012, S. 55; König/Möller, BB 2014, 983 (986). König/Möller, BB 2014, 983 (986). Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (471); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (491); Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (494); Peemöller, BB 2014, 1963 (1967); Zwirner, DB 2013, 1797 (1802). Fleischer, ZIP 2012, 1633 (1639). Nach Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz, 2. Aufl. 2012, S. 379, kommen jüngere Untersuchungen für den deutschen Kapitalmarkt zu dem Ergebnis, dass größere Unternehmen tendenziell höhere und kleine Unternehmen niedrige Size Prämien aufweisen. Vgl. dazu Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621 (1622). Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (498).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.88 § 30

nen. Akzeptabel sind allenfalls Branchen- oder Marktindikatoren, die Wertabschläge wegen Immobilität der konkret zu beurteilenden KMU nachvollziehbar erklären können. Ist eine Abgrenzung nicht möglich, sollten innerhalb einer CAPM-Eigenkapitalkostenbewertung marktgestützte Branchen-Betas von KMU verwendet werden.1 Ansonsten sollte wiederum auf Transaktions-Multiplikatoren zurückgegriffen werden. 5. Verkehrswert der KMU und der Abzug latenter Ertragsteuern Bei der Unternehmensbewertung sind persönliche Ertragsteuern (ausführlich Rz. 17.1, 17.8 ff.) nach allgemeiner Überzeugung bewertungsrelevant (Netto-Zuflussprinzip).2 Das bedeutet, dass im Investitionskalkül laufende persönliche Steuern auf die finanziellen Überschüsse wertbeeinflussend sind, da sie die Entscheidungswerte von Verkäufer und Käufer erhöhen oder herabsetzen können (Rz. 17.9 m.w.N.). Damit sind die persönlichen Ertragsteuern auch preisbeeinflussend (Rz. 17.9 m.w.N.).

30.85

Der Abzug der transaktionsabhängigen latenten Ertragsteuer, die im Falle einer Veräußerung von Unternehmen oder Unternehmensteilen anfällt, ist hingegen äußerst umstritten (Rz. 17.84 ff.). Hier stellt sich die Frage, ob sie für den Verkehrswert der KMU relevant ist, weil sie den voraussichtlich zu erzielenden Veräußerungserlös effektiv mindert. Die Auswirkungen des Abzugs der Veräußerungsgewinnsteuer können erheblich sein.3 Hinzukommen kann ein erheblicher Schätzungsaufwand zur Höhe der latenten Ertragsteuer.

30.86

Der Abzug der latenten Ertragsteuer auf den Unternehmenswert wird sowohl für den Zugewinnausgleich, den Pflichtteilsausgleich als auch für gesellschaftsrechtliche Abfindungen diskutiert.4 In allen Bereichen ist von Bedeutung, ob bereits das Bewertungsziel (Verkehrswert des Unternehmens) und/oder die Bewertungsmethode (Ertragswertmethode) den Abzug der latenten Steuer fordert, oder ob es sich um eine objektunabhängige, d.h. personengebundene oder rechtsbereichsspezifische Abgabe handelt.

30.87

a) Meinungsstand zum Abzug der latenten Ertragsteuer In Zugewinnausgleichsfällen zieht der BGH in ständiger Rechtsprechung die latente Ertragsteuer von dem geschätzten Erlös aus der Veräußerung des Unternehmens ab.5 Es handele sich um unvermeidbare Veräußerungskosten, deren Abzug sich als Konsequenz aus der Bewertungsmethode (fiktiver Verkaufserlös) ergebe. Das gelte auch dann, wenn eine Veräußerung

1 Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 ff. 2 IDW S 1 2008, Rz. 4, 28, 43, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDWPraxishinweise KMU 2014, Rz. 43 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Popp/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1113 ff.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (492). 3 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 53 ff. = BGHZ 188, 249. Dort betrug der Wert der freiberuflichen Praxis zum Stichtag ca. EUR 260.000. Darauf entfiel eine latente Ertragsteuer i.H.v. ca. EUR 144.000. 4 Piltz, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 1994, S. 153, 166, 188, 193 und 216 m.w.N. 5 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, juris-Rz. 48 = NJW 1991, 1547; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249; ebenso OLG Koblenz v. 13.7.2001 – 11 UF 248/00, jurisRz. 52 ff.; OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, juris-Rz. 42 = NZG 2008, 943; OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 44; OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 42 = FamRZ 2016, 1931.

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30.88

§ 30 Rz. 30.88

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

des Unternehmens weder geplant noch mit einer solchen zu rechnen sei.1 Maßgebend seien die individuellen steuerlichen Verhältnisse zum Stichtag.2 Die Instanzgerichte haben sich der Rechtsprechung des BGHs angeschlossen.3

30.89 In der Literatur wird der Abzug der latenten Ertragsteuer überwiegend abgelehnt.4 Die Steuerbelastung des Veräußerers sei für den Verkehrswert des Unternehmens irrelevant.5 Den Käufer interessiere die Steuersituation des Veräußerers nicht.6 Die latente Gewinnsteuer auf den (gedachten) Veräußerungserlös sei kein Wertfaktor, der dem Unternehmen selbst anhafte. Nicht einsichtig sei, warum eine wahrscheinlich nicht anfallende Steuer abgezogen werden soll.7 Hingegen könne die sicher anfallende Einkommensteuer am Ende des Jahres nicht abgezogen werden.8 Wenn die latente Ertragsteuer auf Veräußererseite abgezogen werde, müsse auf Erwerberseite gemäß IDW S 13 der tax amortisation benefit (TAB) berücksichtigt werden.9 Zudem führe die Berücksichtigung latenter Ertragsteuern dazu, dass im Falle eines positiven Fortführungswertes nicht beide Ehegatten zu gleichen Teilen an dem aufgebauten Unternehmenswert partizipierten.10 Bezüglich aller Vermögensgegenstände seien die individuellen steuerlichen Belastungen der Ehepartner – auch bezüglich des Anfangsvermögens – zu ermitteln.11 Wertungswidersprüche für die Fälle des tatsächlichen Verkaufs vor und nach dem Stichtag seien unvermeidlich.12 Künftig müssten sämtliche Vermögensgegenstände mittels einer Zwischenbilanz darauf untersucht werden, ob bei einer Veräußerung Ertragsteuer anfalle.13 Das sei ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen gar nicht möglich.14 Daher sei der Abzug der latenten Steuerlast unter Verweis auf die individuelle Steuerlast ein Irrweg. Die latente Steuerlast müsste auf den Gegenstand bezogen sein, nicht aber auf die Person des Inhabers.15 Die latente Einkommensteuer könne lediglich als „Verbindlichkeit“ i.S. der §§ 1374 und 1375 BGB berücksichtigt werden.16

30.90 Inzwischen hat sich das IDW mit dem im Jahr 2016 verabschiedeten Bewertungsstandard IDW S 13 der BGH-Rechtsprechung zum Abzug latenter Ertragsteuern angeschlossen. Zusätzlich wird empfohlen, abschreibungsbedingte Steuervorteile beim Erwerber (tax amortisati1 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249; Ballhorn/König, BB 2015, 1899 (1901). 2 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 52 ff. = BGHZ 188, 249. 3 OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 41 ff. = FamRZ 2016, 1931; OLG Dresden v. 17.1.2008 – 21 UF 447/07, juris-Rz. 48; OLG Düsseldorf v. 20.9.2007 – II-7 UF 98/07, jurisRz. 25. 4 Hoppenz, FamRZ 2012, 1618 ff.; Hoppenz, FamRZ 2006, 449 ff.; Kogel, NJW 2011, 3337 ff.; Piltz, NJW 2012, 1111 ff.; Büte, FuR 2012, 413; Schulz, FamRZ 2014, 1684 ff. Grundsätzlich zustimmend: Jonas/Wieland-Blöse, Rz. 17.89. 5 Piltz, NJW 2012, 1111 (1114). 6 Piltz, NJW 2012, 1111 (1114). 7 Hoppenz, FamRZ 2006, 449 (450); Born, Rz. 26.31. 8 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 257. 9 König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1088 ff.); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2432). 10 König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1088) mit einer Beispielsrechnung für die Fälle der Fortführung und der Liquidation des Unternehmens. 11 Münch, DStR 2014, 806 (811). 12 Piltz, NJW 2012, 1111 (1113), mit diversen Beispielen. 13 Schulz, FamRZ 2014, 1684 (1687); Schlünder, FamRZ 2015, 372 (375); Piltz, NJW 2012, 1111 (1115). 14 Schlünder, FamRZ 2015, 372 (375). 15 Münch, DStR 2014, 806 (812). 16 Piltz, NJW 2012, 1111 (1113).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.93 § 30

on benefit „TAB“) in voller Höhe gegen die latente Ertragsteuer gegenzurechnen und zu unterstellen, dass sich beide Effekte weitgehend ausgleichen, so dass im Regelfall auf die Ermittlung beider Komponenten verzichtet werden könne.1 Im Pflichtteilsrecht urteilt der BGH seit je her zurückhaltender. Latente Ertragsteuern seien 30.91 nur dann abzuziehen, wenn Gründe dafür vorliegen, dass das Unternehmen in absehbarer Zeit aufgelöst oder veräußert werden wird.2 Entscheidend sei die Verwertungsabsicht. Bei anderer Gelegenheit war entscheidend, ob der Wert nur durch Verkauf realisiert werden kann.3 Das OLG Hamm hat die latente Steuerlast als unvermeidbare Veräußerungskosten angesehen.4 Auch das Schrifttum fordert den Abzug der Gewinnveräußerungssteuer nur dann, wenn stille Reserven tatsächlich zur Auflösung gelangen.5 Nach der Gegenauffassung handelt es sich hingegen um unvermeidbare Veräußerungskosten.6 Bei der Bewertung von Unternehmen im Gesellschaftsrecht hat sich der Abzug einer latenten Ertragsteuer nicht durchgesetzt. Nach der Rechtsprechung sind für die Abfindung nach § 738 BGB mangels ausdrücklicher Bestimmungen im allgemeinen steuerliche Gesichtspunkte, insbesondere die Besteuerung stiller Reserven, nicht zu beachten.7 Daher könne ein Gesellschafter, der den Anteil des ausgeschiedenen Gesellschafters übernimmt, nicht verlangen, dass der Steuerbetrag von dem Abfindungsguthaben abzusetzen sei, den er bei einer Realisierung der bisher steuerlich nicht erfassten Vermögenswerte zu zahlen haben würde.8 In der Literatur wird sowohl vertreten, die latente Steuerlast nicht abzuziehen, als auch, sie abzuziehen unter Gegenrechnung des TAB (Rz. 17.87 m.w.N.).

30.92

Über alle Rechtsgebiete hinweg besteht allerdings Konsens, eine latente Ertragsteuer auf den Veräußerungsgewinn bei einer Bewertung des Unternehmens oder seines neutralen Vermögens nach Liquidationswerten zu berücksichtigen.9

30.93

1 IDW S 13, Rz. 37 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 2 BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131; BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382-390; BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509; BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269. 3 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, juris-Rz. 28 = BGHZ 98, 382. 4 OLG Hamm v. 10.4.2014 – I-10 U 35/13, juris-Rz. 230. 5 Lange in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 2311 BGB Rz. 41; Tanck, BB Beilage 2004, Nr. 15, 19, 20; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 156 ff.; Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, Rz. 157; Lange, Rz. 27.29; Dieckmann in Soergel, § 2311 BGB Rz. 22. 6 Herzog in Staudinger, 2015, § 2311 BGB Rz. 128; Gratz, DB 1987, 2421 (2425 f.); Lorz, ZErb 2003, 302 (303 f.); Winkler, ZEV 2005, 89 (91); Kasper in Münchner Anwaltshandbuch Erbrecht, § 33 Rz. 22; Crezelius, Unternehmenserbrecht, § 6 Rz. 95; wohl auch Rösler in Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rz. 104 m.w.N. 7 BGH v. 11.6.1959 – II ZR 101/58, juris Ls. = MDR 1959, 728. 8 BGH v. 11.6.1959 – II ZR 101/58, MDR 1959, 728. 9 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 16 = NJW-RR 2005, 153; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, juris-Rz. 39 = BGHZ 71, 40-53; OLG Düsseldorf v. 27.2.2004 – 19 W 3/00 AktE, jurisRz. 86 = AG 2004, 324; OLG München v. 26.10.2006 – 31 Wx 12/06, juris-Rz. 39; Fleischer, Rz. 9.6 m.w.N.; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 186, 193; IDW S 1 (2008), Rz. 141, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Hüttemann/Meinert, Rz. 8.33, 8.38 ff. m.w.N. Ebenso für aktienrechtliche Spruchverfahren: BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, juris-Rz. 48 = NJW 1991, 1547; OLG Düsseldorf v. 20.11.2001 – 19 W 2/00 AktE, juris-Rz. 50; OLG Düsseldorf v. 19.10.1999 – 19 W 1/96 AktE, juris-Rz. 61 m.w.N.

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§ 30 Rz. 30.94

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

b) Stellungnahme zum Abzug der latenten Ertragsteuer

30.94 Im Ergebnis ist der Abzug der latenten Ertragsteuer von dem hypothetischen Veräußerungserlös des Unternehmens aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen abzulehnen. Für den unterstellten Veräußerungsfall muss im Grundsatz davon ausgegangen werden, dass sowohl die latente Ertragsteuer als auch ihr Gegenstück, d.h. der TAB, eingepreist und damit Bestandteil des Verkehrswertes sind. Der nochmalige isolierte Abzug der latenten Ertragsteuer kann zu einer Doppelbelastung des Ausgleichsberechtigten führen.

30.95 Hilfsweise ist die Anwendung von pauschalierten bzw. typisierten Steuersätzen zu empfehlen, da der Aufwand zur Feststellung der Transaktionssteuerbe- bzw. -entlastung für KMU unverhältnismäßig ist. Die BGH-Rechtsprechung zum Abzug der latenten Ertragsteuer konterkariert das Ziel der Vereinfachung der KMU-Unternehmensbewertung.

30.96 Zunächst ist klarzustellen, dass der Abzug der latenten Ertragsteuer keine Besonderheit des Familienrechts ist.1 Würde es sich bei der Gewinnsteuer um unvermeidbare Veräußerungskosten handeln, müsste die latente Ertragsteuer einerseits rechtsformübergreifend und andererseits auf jeden Unternehmenswert angewendet werden. Im Grundsatz könnte der Verkehrswert des Unternehmens beim Zugewinnausgleich nicht anders ermittelt werden als beim Pflichtteilsausgleich oder der Abfindung von Gesellschaftern.2 Zudem könnten Fortführungswerte unter der Geltung der Veräußerungsfiktion nicht anders behandelt werden als Zerschlagungswerte. Die Lösung muss daher allgemeingültig sein.

30.97 Zu widersprechen ist der These des BGH, dass es sich um eine Konsequenz aus der Bewertungsmethode (Veräußerungsszenario) handelt. Denn die durchgängig angewendete (objektivierte) Ertragswertmethode sieht den Abzug von transaktionsbedingten Steuern nicht vor.3 Wahrscheinlich ist aber nicht die Bewertungsmethode gemeint, sondern das Bewertungsziel (hypothetischer Preis im Falle der Veräußerung).

30.98 Der Verkehrswert des Unternehmens schließt die latente Ertragsteuer aber ein. Unbestritten ist die Erkenntnis, dass sowohl die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns auf Verkäuferseite als auch der Abschreibungsvorteil auf der Erwerberseite in den subjektiven Grenzpreis-Kalkülen enthalten sind.4 Der Verkäufer wird versuchen, seine Steuerlast soweit wie möglich vergütet zu bekommen, um sich im Vergleich zur Fortführung des Unternehmens nicht schlechter zu stellen.5 Der Käufer wird allenfalls zu Preiskonzessionen in Höhe des TAB bereit sein.6

1 So Ballhorn/König, BB 2015, 1899 (1902). 2 Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 257. 3 Popp/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1342 ff.; IDW S 13, Rz. 9 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff., mit der deutlichen Differenzierung zwischen der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts und der nachfolgenden Überleitung zum Ausgleichsund Auseinandersetzungsanspruch. 4 Jonas/Wieland-Blöse, Rz. 17.84; Popp/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1336 ff.; König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1089). 5 König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1089); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2431). 6 König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1090); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2431).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.102 § 30

Folglich ist nicht zweifelhaft, dass die transaktionsbedingten Steuerwirkungen bei der zu unterstellenden wirtschaftlich rationalen Handlungsweise den Kaufpreis beeinflussen.1 Soweit transaktionsbedingte Steuerwirkungen berücksichtigt werden sollen, müssen beide Effekte bereits in die Schätzung des Verkehrswerts einfließen. Soweit der Verkehrswert preisseitig über marktübliche Bewertungspraktiken bzw. Multiplikatoren gebildet wird, kann unterstellt werden, dass alle preisrelevanten Aspekte in die Preisbildung einfließen bzw. eingeflossen sind.

30.99

Falls die Kapitalwertmodelle, etwa die Ertragswertmethode, angewendet werden, dürfte jedenfalls nicht einseitig die latente Ertragsteuer von dem Unternehmenswert abgezogen werden. Das würde den Ausgleichspflichtigen begünstigen. Vielmehr wäre zwingend der TAB gegenzurechnen. Damit würde die ohnehin schon schwierige und aufwendige Berechnung der Ertragsteuerbelastung – exemplarisch kann dafür das Urteil des OLG Hamm aus dem Jahr 2016 herangezogen werden2 – nach den individuellen Verhältnissen des Ausgleichspflichtigen mit einem weiteren schwierigen, aufwändigen und im Ergebnis zweifelhaften Steuerkalkül belastet. Abgesehen von der Tatsache, dass der Abschreibungsvorteil eines präsumtiven Käufers des Unternehmens nicht bekannt ist, kann die Schätzung des TAB hinsichtlich der Zuordnung der Werte, des Abschreibungszeitraums und des Steuersatzes schwierig sein.3

30.100

Auch wenn nicht gewährleistet ist, dass sowohl die latente Ertragsteuer als auch der TAB stets 30.101 in identischer Höhe anfallen4 und sie sich damit neutralisieren, kann zur Vereinfachung von KMU-Bewertungen aber davon ausgegangen werden, dass sich die beiden preis- und damit verkehrswertrelevanten Steuereffekte in etwa ausgleichen. Dann kann auf die genauere Schätzung dieser Steuereffekte verzichtet werden.5 Soweit auf eine konkrete Berechnung der transaktionsbedingten Steuerwirkungen nicht verzichtet werden soll, sollte jedenfalls davon abgesehen werden, die Steuereffekte auf der Grundlage der individuellen Steuersituation zu berechnen. Dieser Aufwand ist unverhältnismäßig, insbesondere bei der Bewertung von KMU, und führt darüber hinaus zu den in der Literatur dargestellten Wertungswidersprüchen. Verwendet werden sollten dann typisierte Steuersätze, die von der Bewertungslehre und -praxis bereitgestellt werden müssten. Die Verwendung eines typisierten Steuersatzes entspricht im Übrigen auch der üblichen Vorgehensweise bei der Unternehmensbewertung gemäß IDW S 1. Dort werden zahlreiche Parameter, u.a. eine persönliche Ertragsteuer i.H.v. 35 %, unterstellt, obwohl diese Annahme für zahlreiche Investoren tatsächlich nicht zutrifft. Warum für die latente Steuerlast bzw. den Abschreibungsvorteil eine Typisierung nicht möglich sein sollte, erschließt sich nicht.

1 Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 249. 2 OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 47 = FamRZ 2016, 1931. 3 IDW S 13, Rz. 39, IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1089); Kohl/ Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2431). 4 König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1089) mit einer Beispielsrechnung. Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2432). Vgl. auch Popp/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1336 ff., 1342, die für den Regelfall davon ausgehen, dass die Gewinnsteuer höher ausfällt. Ebenso Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 249. 5 IDW S 13, Rz. 41, IDW Life 7/2016, S. 574 ff.

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30.102

§ 30 Rz. 30.103

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

VI. Bewertungsstandards bzw. berufsständische Hinweise für KMU 30.103 Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW)1, die Bundessteuerberaterkammer (BStBK)2, die Bundesärztekammer (BÄK)3, die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)4 und der Zentralverband des Deutschen Handwerks in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk (ZDH/AWH)5 haben Standards, Richtlinien und Empfehlungen zur Unternehmensbewertung von KMU vorgelegt (allgemein zu berufsständischen Bewertungspraxis § 3).

30.104 Die Bewertungsstandards sind heterogen. Am konsequentesten vertritt das IDW für die branchenübergreifende Unternehmensbewertung durch Wirtschaftsprüfer das objektivierte Ertragswertverfahren gemäß IDW S 16 mit Anpassungen für KMU7 bzw. für Bewertungen im Familien- und Erbrecht (überwiegend KMU).8 Die BStBK hat sich für die branchenübergreifende Unternehmensbewertung durch Steuerberater den allgemeinen KMU-Hinweisen des IDW angeschlossen.9

30.105 In den branchenspezifischen Bewertungshinweisen werden auch abweichende Verfahren vorgeschlagen bzw. akzeptiert. Der BStBK hält für die Bewertung von Steuerberatungspraxen auch die in der Praxis zu beobachtenden vereinfachten Preisbildungsverfahren für zulässig.10 Wiederum konsequent vertritt die BRAK für die Bewertung von Rechtsanwaltskanzleien das in der Praxis übliche Preisbildungsverfahren, wonach sich der Kanzleiwert aus dem Substanzwert und dem umsatzbasierten Goodwill ergibt. Die Bewertungshinweise der BÄK für die Bewertung von Arztpraxen sind ähnlich, auch wenn die Vorgehensweise als ertragsorientiert bezeichnet wird.11 Der recht ausführliche AWH-Standard des ZDH und der Handwerkskammern favorisiert ein modelliertes Ertragswertverfahren mit spezifischen Anpassungen an die Verhältnisse handwerklicher Unternehmen.12

30.106 Aufgrund ihrer branchenübergreifenden Bedeutung der KMU-Bewertungsstandards des IDW und der BStBK werden diese zunächst beschrieben. Die branchenspezifischen Hinweise bzw. Empfehlungen der Berufskammern bzw. Berufsverbände werden nachfolgend gesondert erläutert (s. Rz. 30.172 ff.).

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff. 2 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014 und BStBK-Bewertungshinweise 2017 (im Internet abrufbar unter https://www.bstbk.de/de/presse/publikationen/index.html). 3 BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 ff. 4 BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 f. 5 Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH), AWH Standard 5.0, 2016 (im Internet abrufbar unter https://awh.zdh.de/downloads/). 6 IDW S 1 (2008), Rz. 146, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 7 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 29, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 8 IDW S 13, Rz. 40, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 9 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Fn. 1. 10 BStBK-Bewertungshinweise 2017, Rz. 2, 9. 11 BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4, A5. 12 ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 9 ff.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.110 § 30

1. IDW-Standards für KMU Den IDW-Standards kommt in der gerichtlichen Praxis die größte Bedeutung zu, da über- 30.107 wiegend Wirtschaftsprüfer mit der Erstellung von Gutachten beauftragt werden. Die IDWStandards werden als Berufsausübungsgrundsätze i.S.v. § 43 WPO und zur Vermeidung von Regressen (Rz. 3.24) ausnahmslos von den Berufsangehörigen beachtet, auch wenn sie nicht rechtlich verbindlich sind (Rz. 34.44 m.w.N.; Rz. 3.54). a) IDW S 1 (2008) Der Bewertungsstandard IDW S 11 (ausführlich Rz. 3.22 ff.). Formuliert die Grundsätze zur Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte. Das bedeutet, dass Wirtschaftsprüfer als neutrale Gutachter vor Gericht einen objektivierten Ertragswert zzgl. des Liquidationswertes des neutralen Vermögens zu ermitteln haben. Üblicherweise wird formuliert, dass das Unternehmen „wie es steht und liegt“ bewertet wird, d.h. mit den vorhandenen Planungen, Management, Finanzierungen usw.2 Ermittelt wird der Zukunftserfolgswert mittels der Ertragswert- und Discounted Cashflow (DCF)-Verfahren.3 Bei dem objektivierten Ertragswert handelt sich um einen subjektiven Wert im ökonomischen Sinn (Rz. 3.38), nicht um einen Preis (s. Rz. 30.43). Die subjektiven Eigenschaften werden typisiert, da der konkrete Käufer und Verkäufer bzw. deren subjektive Eigenschaften nicht bekannt sind. Darin liegt die Objektivierung des Subjektiven. Die Typisierung betrifft insbesondere die Steuerbelastung und die Risikobewertung (Rz. 3.40 ff.). Hinsichtlich der Einzelheiten zum Bewertungsverfahren kann auf weiterführende Literatur verwiesen werden.4

30.108

Substanzwerte haben nach dem IDW S1 generell und auch für KMU keine eigenständige Bedeutung (s. dazu Rz. 11.75 ff.).5 Vereinfachte Preisfindungsmethoden wie Multiplikatorverfahren (s. dazu Rz. 11.7 ff.) dienen nach IDW S1 lediglich der Plausibilisierung6, obwohl sie in der Transaktionspraxis sehr verbreitet sind (Rz. 3.48 ff.).

30.109

Das Bewertungsverfahren ist ausgerichtet auf große Gesellschaften bzw. Unternehmen, etwa Aktiengesellschaften, die Gegenstand der Bewertung in Spruchverfahren sind.7 Diese Unternehmen weisen sehr ähnliche Strukturen auf. Auf sie kann die Ertragswertmethode in Reinform angewendet werden. Die Ertragskraft dieser Gesellschaften ist in der Regel vollständig auf Dritte, z.B. einen Finanzinvestor, übertragbar. Betriebliche und private Sphären sind klar voneinander abgegrenzt. Es kann eine unbegrenzte Fortführung des Unternehmens „wie es steht und liegt“ unterstellt werden, insbesondere eine Fortführung des Unternehmens mit bestehender Ausrichtung und dem bisherigen Management.8 Das Know-how und die Geschäftsbeziehungen sind im Unternehmen und nicht ausschließlich beim Inhaber verankert. Die Rechnungslegung und die Zukunftsplanung sind in der Regel aussagekräftig und belastbar. Für diese Unternehmen kann auf die umfangreiche Rechtsprechung zu Spruchverfahren verwiesen werden.9

30.110

1 2 3 4 5 6 7 8 9

IDW S 1 (2008), WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 4 ff. IDW S 1 (2008), Rz. 4, 101, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. Jonas, Rz. 3.22 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018. IDW S 1 (2008), Rz. 6, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. IDW S 1 (2008), Rz. 143, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. Stein/Fischer, DStR 2014, 1018 (1019); Jonas, WPg 2008, 117 (117); Jonas, Rz. 3.71. Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (136). Vgl. dazu Arnold/Rothenburg, Rz. 33.50 ff.

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§ 30 Rz. 30.111

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.111 Für KMU von Interesse sind die Ausführungen zur Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen.1 Generell wird empfohlen, bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts für KMU besonderes Augenmerk auf die folgenden drei Aspekte zu lenken: – die Abgrenzung des Bewertungsobjekts, – die Zuverlässigkeit der vorhandenen Daten sowie – die Bestimmung der übertragbaren Ertragskraft.

30.112 Diese Punkte werden in den IDW-Praxishinweisen für KMU ausführlich erläutert.2 Auf die nachfolgenden Erläuterungen kann daher verwiesen werden. b) IDW-Praxishinweise für KMU (2014)

30.113 Das IDW hat vor einigen Jahren einen besonderen Bewertungsstandard für KMU veröffentlicht Rz. 3.71 ff.; Rz. 24.7 ff.).3 Die Bundessteuerberaterkammer war an der Erarbeitung der Grundsätze beteiligt und hat gleichlautende Grundsätze veröffentlicht.4 Gleichzeitig hat das IDW die Fragen und Antworten zum IDW S 15 integriert. Die IDW Praxishinweise KMU halten im Grundsatz an dem objektivierten Unternehmenswert gemäß IDW S 1 fest.6 Sie geben eine Hilfestellung für den Umgang mit typischen KMU-Merkmalen im Rahmen der IDW S 1-Unternehmensbewertung. aa) Zuverlässigkeit der Daten

30.114 Die Prüfung der für die Unternehmensbewertung vorliegenden Unterlagen und sonstigen Informationen auf Glaubwürdigkeit und Plausibilität ist zwingend geboten. Eine Unternehmensbewertung ist nur so gut wie die bereitgestellten Daten.7 Lücken in der Rechnungslegung sind zu füllen. Eine steuerliche Ausrichtung des Jahresabschlusses ist zu korrigieren. Nahezu ausnahmslos wird sich hier ein Anpassungsbedarf ergeben.8

30.115 Für die gerichtliche Unternehmensbewertung von KMU ist in diesem Punkt wichtig, dass die Lückenfüllung bzw. Korrektur der Rechnungslegung nur durch den Sachverständigen vorgenommen werden kann. Weder die Parteien noch das Gericht sind dazu in der Lage. Der Sachverständige sollte insofern aber nicht eigenmächtig handeln, sondern auf alle Lücken und Fehler hinweisen und zunächst vollständige bzw. korrekte Daten von den beteiligten Parteien anfordern, bewerten und dokumentieren.

1 IDW S 1 (2008), Rz. 154, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 6, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 6; König/Möller, BB 2014, 983 (984). 3 IDW-Praxishinweise KMU 2014, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 4 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014. 5 IDW, F & A zu IDW S 1 2013. 6 Vgl. IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 4 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 425; König/Möller, BB 2014, 983 (984). 7 König/Möller, BB 2014, 983 (984). 8 König/Möller, BB 2014, 983 (984); IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 18, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.

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Rz. 30.119 § 30

bb) Abgrenzung des Bewertungsobjekts von der Privatsphäre Bei den von einem Eigentümer dominierten Unternehmen ist die Abgrenzung von betrieblicher und privater Sphäre von besonderer Bedeutung.1 Nach den IDW Praxishinweisen KMU ist das Bewertungsobjekt quantitativ und qualitativ von der privaten Nutzung abzugrenzen. Für die qualitative Abgrenzung sind Mischnutzungen, d.h. sowohl eine betriebliche als auch eine private Nutzung eines Vermögensgegenstandes (Firmenwagen, Grundstücke u.a.), zu identifizieren. Die erforderliche Einschätzung des Grades der betrieblichen Nutzung kann schwierig sein. Für die qualitative Abgrenzung sind die betrieblich bezogenen Nutzungen auf marktgerechte Überlassungsentgelte zu überprüfen.2

30.116

Das gilt insbesondere auch für Betriebsaufspaltungen oder Sonderbetriebsvermögen.3 Bei der in der Praxis häufig anzutreffenden Aufteilung in Betriebs- und Besitzgesellschaften tragen in der Regel sämtliche Einheiten zur Erzielung der unternehmerischen Erträge bei. Die Betriebsaufspaltung dient der Steueroptimierung, der Haftungsreduzierung4 und eventuell auch der Erschwerung des Gläubigerzugriffs.5 Die formal-juristische Trennung der Unternehmensbereiche durch Aufspaltung auf unterschiedliche Personen bzw. Gesellschaften führt nicht zwangsläufig zu einer ökonomischen Trennung der Unternehmensbereiche. Die Regel ist eine wirtschaftliche Einheit aus beiden Vermögensmassen.6

30.117

Für Zwecke der Unternehmensbewertung sind wesentliche betriebliche Bestandteile in die 30.118 zu bewertende Vermögensmasse einzubringen oder anderweitig, z.B. durch Berechnung von Miet-, Pacht- oder Lizenzzahlungen, zu berücksichtigen.7 Im Grundsatz wird unterstellt, dass alle im Privatvermögen oder einer Besitzgesellschaft gehaltenen betriebsnotwendigen Bestandteile übertragen werden können, so dass die wirtschaftliche Gesamteinheit erhalten bleibt.8 Andernfalls sind die von einem Inhaber bzw. einer Besitzgesellschaft gewährten Leistungen marktgerecht zu bewerten.9 Die vorgeschlagene Verwendung nicht marktgerechter Konditionen für die unkündbare 30.119 Vertragslaufzeit10 ist bedenklich und im Ergebnis abzulehnen. Diese Annahme widerspricht der zutreffenden Veräußerungshypothese. Soweit eine entsprechende Vereinbarung zur Überlassung des Gegenstandes nicht bereits aus rechtlichen Gründen unwirksam ist,11 kann nicht unterstellt werden, dass ein markttypischer Erwerber das Unternehmen zu nicht markt1 IDW S 1 (2008), Rz. 157, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 13 f., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 3 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 14, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 4 Thees/Wall, BB 2017, 2475 (2475). 5 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 39. 6 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 40 ff.; OLG Koblenz v. 20.2.2009 – 10 U 57/05, juris-Rz. 66, mit der Abgrenzung der Bewertung nach Sachwerten oder Ertragswerten der Besitzgesellschaft; OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 41 = FamRZ 1995, 607; Vgl. Thees/Wall, BB 2017, 2475 ff., zu sog. Ein-Objekt-Gesellschaften. 7 IDW S 1 (2008), Rz. 157, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 8 Peemöller, BB 2014, 1963 (1964); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 158 (160). 9 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 14, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 10 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 14, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 11 Vgl. dazu Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 158 (160).

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§ 30 Rz. 30.119

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

gerechten Konditionen, die der bisherige Inhaber dem Unternehmen gewährt hat, weiterführen kann bzw. würde.1 Sind die Leistungen überbewertet oder unterbewertet, wird der Verkäufer oder der Käufer im Zuge des Unternehmenserwerbs auf eine Beendigung der für den einen oder anderen nachteiligen Verträge drängen. Die Übernahme nicht marktgerechter Leistungen für die unkündbare Zeit kann daher nur insoweit gelten, als es sich um langfristige Verträge mit Dritten handelt. cc) Kalkulatorische Tätigkeitsvergütungen für Inhaber und Mitarbeiter

30.120 Für kalkulatorische Tätigkeitsvergütungen für den Inhaber oder ihm nahestehende Personen sind ebenfalls marktgerechte Konditionen anzusetzen, etwa eine marktgerechte Vergütung für die Fremdgeschäftsführung oder fiktiver Lohnaufwand für nahestehende Personen.2 Dabei kann auf statistische Angaben von Branchenverbänden zurückgegriffen werden. Vereinzelt führt der Ansatz kalkulatorischer Inhaber- und/oder Mitarbeiterkosten zu negativen finanziellen Überschüssen.3

30.121 Nicht zugestimmt werden kann der Aussage des IDW, nicht marktgerechte Konditionen zu berücksichtigen, wenn der Inhaber gegenüber dem Unternehmen zu einer Tätigkeit zu nicht marktgerechten Bedingungen verpflichtet ist.4 Denn im Falle der Veräußerung des Unternehmens werden derartige Verpflichtungen gegenstandslos.

30.122 Für die Bewertung ist darüber hinaus eine steuerliche Zuordnung des Unternehmerlohns vorzunehmen, selbst wenn diese Beträge tatsächlich steuerlich nicht abziehbar sein sollten. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass eine marktgerechte Vergütung für einen angestellten Geschäftsführer unterstellt wird.5 Der Personalaufwand für einen fiktiven Fremdgeschäftsführer wäre steuerlich abzugsfähig.6

30.123 Die von der ständigen Rechtsprechung des BGH geforderte Kalkulation nach den individuellen Verhältnissen7 sehen die IDW-Praxishinweise KMU zu Recht nicht vor.8 Die individuellen Verhältnisse sind Vergangenheit und für einen Erwerber nicht relevant. Ein Überaufwand in der Vergangenheit wird nicht vergütet. Er kann allenfalls einen Anhaltspunkt bieten für den erforderlichen Aufwand in der Zukunft (s. dazu ergänzend Rz. 30.157 und Rz. 30.226). dd) Vergangenheitsanalyse

30.124 Die Vergangenheitsanalyse dient als Ausgangsbasis für den Zukunftserfolgswert. Die Vergangenheitsergebnisse sind nicht in die Zukunft fortzuschreiben, sondern für die Prognose 1 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 14. 2 IDW S 1 2008, Rz. 40, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 32, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 3 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 33, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 4 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 34, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 5 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 35, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 6 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 35, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 840. 7 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 8 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 32 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.127 § 30

über die künftige Entwicklung und für Plausibilitätsüberlegungen zu verwenden.1 Hier werden in der Regel Informationsdefizite anzutreffen sein, da geprüfte Abschlüsse fehlen, die Rechnungslegung oft steuerlich motiviert ist und nicht die Detailtiefe aufweist wie bei kapitalmarktorientierten Unternehmen.2 Bei der Bereinigung von Vergangenheitsergebnissen ist die Konsistenz mit der Zukunftsplanung zu gewährleisten.3 Das bedeutet, dass die Anpassungen, etwa hinsichtlich eines marktgerechten Unternehmerlohns, schon in den Vergangenheitsergebnissen vorzunehmen sind.4 Ansonsten drohen Verwerfungen und unüberbrückbare Widersprüche zwischen Vergangenheits- und Zukunftserträgen.

30.125

ee) Planungsrechnung Bei der in der Praxis oft anzutreffenden fehlenden integrierten Planungsrechnung5 hat das Gericht bzw. der Sachverständige zunächst eine Planungsrechnung des zu bewertenden Unternehmens für einen Zeitraum von ein bis fünf Jahren anzufordern.6 Anlassbezogene Planungsrechnungen sind kritisch zu würdigen.7

30.126

Oftmals wird die KMU zur Vorlage einer integrierten Planungsrechnung nicht in der Lage sein.8 In der gerichtlichen Praxis fällt dem Sachverständigen dann die schwierige Aufgabe zu, eine fehlende Planung zu ersetzen, eine unvollständige Planung zu ergänzen und eine fehlerhafte Planung zu korrigieren.9 Das kann eine erhebliche Mitwirkung des Sachverständigen in Form der Erstellung von Unterlagen, der Befragung des Unternehmensinhabers und der Besichtigung des Unternehmens vor Ort erforderlich machen. Bei kritischen Planungsannahmen empfiehlt sich eine Szenarioanalyse bzw. Sensitivitätsrechnung.10 Der Umfang der Mitwirkung sollte unbedingt offengelegt werden.11 Zu empfehlen ist, eine Vollständigkeitserklärung bei dem Unternehmensinhaber anzufordern und eine sachverständigenseits erstellte Planung durch die Geschäftsführung genehmigen zu lassen.12

30.127

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 15 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 15 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 3 Vgl. dazu ausführlich IDW Praxishinweis 2/2017, IDW Life 2017, 343 ff. 4 Vgl. dazu BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 21 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 5 Vgl. OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 55; OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 37. 6 IDW S 1 2008, Rz. 162, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 20, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 7 IDW S 1 (2008), Rz. 162, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; König/Möller, BB 2014, 983 (984). 8 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 20, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 9 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 55 ff.; König/Möller, BB 2014, 983 (984). 10 IDW S 1 (2008), Rz. 163, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. Ausführlich Ihlau/Duscha, BB 2013, 2346 (2349 ff.). 11 König/Möller, BB 2014, 983 (985); IDW-Praxishinweis 2014, Rz. 63, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 12 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 830. Für das gerichtliche Verfahren ist die Genehmigung nicht erforderlich, wenn das Unternehmen Partei des Rechtsstreits ist. Dann sind die Planungsergänzungen streitig zu erörtern und aufzuklären.

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§ 30 Rz. 30.128

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.128 Nicht selten scheitert der Sachverständige mit der Generierung, Korrektur oder Ergänzung der Planungsrechnung aufgrund der dürftigen Datenlage und nicht belastbarer konkreter Anhaltspunkte.1 Eine Zukunftsprognose lässt sich dann eventuell nur anhand von den in der Vergangenheit nachhaltig erzielten Betriebsergebnissen erstellen, fortschreiben und plausibilisieren.2 ff) Stichtagsprinzip

30.129 Das Stichtagsprinzip wird vereinzelt durchbrochen, in dem die stichtagsnachfolgende tatsächliche Entwicklung der Erträge des Unternehmens in die Schätzung des Unternehmenswertes einfließt.3 Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass eine abweichende tatsächliche Entwicklung Anlass geben kann, die Prognose des Zukunftserfolgswertes zu überprüfen.4 Das OLG Hamm hat die tatsächliche Ertragsentwicklung darüber hinaus angewendet, um eine fehlende Planung und ein in der Wurzel angelegtes Ausscheiden des Know-how-Trägers zu kompensieren.5

30.130 Die Übernahme der stichtagsnachfolgenden tatsächlichen Ergebnisse der Vergangenheit ist als Rettungsanker verlockend, führt aber in der Regel zu falschen Ergebnissen. Denn in die Bemessung des Verkehrswertes des Unternehmens zum Stichtag müssen alle bis dahin erkennbaren Werttreiber und Unsicherheiten einfließen. Würde eine Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung der Erträge des Unternehmens unterstellt, würde die Unsicherheit der finanziellen Nettozuflüsse zum Stichtag beseitigt, was sich auch auf den Verkehrswert des Unternehmens auswirken würde. gg) Fortführungsdauer

30.131 Die Annahme der unbegrenzten Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens gemäß IDW S 16 ist für KMU fraglich. Nach der Auffassung des IDW ist diese Annahme für KMU möglich, wenn zum Bewertungszeitpunkt von einem späteren Verkauf des Unternehmens ausgegangen werden kann.7 Die Unterstellung einer begrenzten Lebensdauer wird hingegen als sachgerecht erachtet, wenn die Beendigung der Unternehmenstätigkeit zu erwarten ist, etwa aus Altersgründen des Betriebsinhabers.8

30.132 In den IDW-Praxishinweisen KMU wird die vom BGH9 bei freiberuflichen Praxen vorgenommenen Begrenzung des Ergebnishorizontes auf einige Jahre, die der starken Inhaberbezogenheit der Tätigkeit Rechnung tragen soll, nicht angesprochen.

1 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 55; OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, jurisRz. 37. 2 OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 37; IDW S 1 2008 Rz. 163, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 20, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 830. 3 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 59. 4 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 59; IDW S 1 (2008), WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 5 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 60. 6 IDW S 1 (2008), Rz. 85, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 7 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 36, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 8 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 37, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 9 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37 = NJW 2014, 294.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.136 § 30

Die Überlegungen des IDW sind kritisch zu betrachten. Denn nach der Veräußerungshypo- 30.133 these des BGH1 kommt es lediglich darauf an, ob das Unternehmen zum Stichtag veräußerlich ist, selbst wenn der bisherige oder auch ein neuer Inhaber das Unternehmen nur begrenzt weiterführen will. Auch der BGH-Ansatz ist fraglich, denn es könnte für jedes Unternehmen – insbesondere KMU – unterstellt werden, dass sich Erfolgsbeiträge des früheren Inhabers mit der Zeit aufzehren bzw. nach einer Aufbauphase ein entsprechendes Unternehmen aufgebaut werden kann. Im Grundsatz ist daher von der unbegrenzten Lebensdauer von KMU auszugehen. Für eine Fortführungsphase von lediglich einigen Jahren bzw. einer vollständigen Abschmelzung innerhalb weniger Jahre müssten schon belastbare empirische Zahlen bzw. Marktdaten vorliegen. Alles andere wäre zwar begründbar, aber letztlich frei gegriffen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des OLG Koblenz, im Hinblick auf die Unsicherheit der Verlängerung einer Casino-Lizenz eine begrenzte Lebensdauer von ca. 20 Jahren anzunehmen, bedenklich.2 Spezielle Risiken können und sollten im Rahmen einer Szenariobetrachtung berücksichtigt werden mit der Folge mehrwertiger Unternehmenswerte.3 Das gleiche gilt, wenn der Ergebnishorizont zeitlich durch andere Aspekte, etwa Standortfaktoren, risikobehaftet ist.4 Gerade für KMU mit regelmäßig dürftiger Planung wird die Szenario-Technik empfohlen.5 Unterschiedliche Szenarien legen die Risiken und die Bandbreite offen.6

30.134

hh) Übertragbare Ertragskraft Im Zentrum der Überlegungen steht die auf Dritte übertragbare Ertragskraft. Die vollständige Übertragung der Ertragskraft wäre etwa denkbar bei Übernahme einer unter Fremdgeschäftsführung stehenden KMU ohne Know-how-Relevanz.7 Sie käme ferner in Betracht, wenn der bisherige Unternehmensinhaber nach dem Verkauf des Unternehmens langfristig an dieses gebunden wird.8 Ansonsten gebietet die Verwertungshypothese, das Ausscheiden des KMU-Inhabers zu unterstellen.9

30.135

Bestehen ernsthafte Zweifel an der Werthaltigkeit von Forderungen der Gesellschaft, ist diesem Umstand bei der Bewertung in angemessener Weise Rechnung zu tragen.10

30.136

1 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249. 2 OLG Koblenz v. 14.12.2007 – 10 U 1153/02, OLGR Koblenz 2008, 772 (774). 3 IDW S 1 (2008), Rz. 163, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; WP-Handbuch 2014, S. 76, Rz. 241; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 400 ff.; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 158 (163); Ihlau/Duscha, BB 2013, 2346 (2349); Hayn in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 981 ff. 4 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37 = NJW 2014, 294. Die dortigen Fragestellungen, ob die familiennahe Vermietungsgesellschaft bereit gewesen wäre, den Standort des Unternehmens durch einen langfristigen Mietvertrag rechtsverbindlich zu sichern (Rz. 40) oder ob die Fortführung des Unternehmens auch an einem alternativen Standort ohne Einbußen möglich gewesen wäre (Rz. 41 ff.), hätten in die Szenario-Betrachtung einfließen können. 5 IDW S 1 (2008), Rz. 163, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30, 32 (35); Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 158 (163). 6 Hayn in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 981 ff. 7 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (467). 8 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (466); ausführlich Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 400 ff. 9 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (467); König/Möller, BB 2014, 983 (989); Kohl/ Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2430). 10 Vgl. BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, juris-Rz. 30 = BGHZ 191, 293; BGH v. 8.12.2015 – II ZR 333/14, juris-Rz. 17 = NZG 2016, 422.

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§ 30 Rz. 30.137

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.137 Bei stark inhaberbezogenen oder in einen Unternehmensverbund eingebundenen Unternehmen führt die Eliminierung bzw. die Bereinigung von Erfolgsbeiträgen und die Unterstellung kalkulatorischer Vergütungen für den Inhaber oder für Leistungen des Unternehmensverbundes nicht selten dazu, dass der Zukunftserfolgswert negativ ist und sogar unterhalb des Liquidationswertes liegt. Dann kommt der Liquidationswert selbst dann zum Zuge,1 wenn das Unternehmen weitergeführt wird, was in der Praxis nicht selten geschieht.2

30.138 Soweit positive wie negative Ertragsfaktoren bei einer Übertragung des Geschäftsbetriebes entfallen würden, sind sie bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse zu eliminieren.3 Bei zeitlich begrenzter Übertragbarkeit von immateriellen und den Goodwill beeinflussenden Erfolgsfaktoren, z.B. Kundenbeziehungen oder technisches Wissen, ist die Abschmelzung über einen überschaubaren Zeitraum zu prüfen.4 Die Abschmelzungszeiträume können in Abhängigkeit von den Verhältnissen des zu bewertenden Unternehmens sowie des Branchenumfelds variieren.5 Die Abschmelzungsdauer kann wiederum Auswirkungen auf den Detailplanungszeitraum haben.6

30.139 Unterschiedliche Abschmelzungszeiträume für verschiedene Erfolgsfaktoren sind in der Regel nicht erforderlich. Die übertragenen Kundenbeziehungen stehen im Vordergrund. Für sie können Vertragslaufzeiten, Produktlebenszyklen, Kundenabhängigkeit, Kundenstruktur und Wettbewerbsumfeld und die steuerlichen Abschreibungsregeln die maßgeblichen Indikatoren für die Dauer der Abschmelzung liefern.7 Ausnahmen sind möglich, etwa bei technischem Wissen.8 Dann ist eine Abgrenzung dieser Erfolgsfaktoren erforderlich, um eine Doppelverwertung zu vermeiden.9

30.140 Die Empfehlungen des IDW zur Abschmelzung sind kritisch zu betrachten. Unabhängig davon, dass insoweit ein erheblicher Aufwand erforderlich ist, ist eine Abgrenzung der nicht übertragbaren Erfolgsfaktoren gegen Bestandteile des kalkulatorischen Inhaberlohns schwierig. Zudem fehlt den Abschmelzungsannahmen jede empirische Evidenz. ii) Finanzierung, persönliche Sicherheiten und Haftung

30.141 Aufgrund des beschränkten Zugangs zum Kapitalmarkt und zu finanziellen Fremdmitteln gehen KMU-Inhaber Risiken (dingliche Sicherheiten, Bürgschaften usw.) ein, die über den Verlust des Eigenkapitals hinausgehen.

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 22, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 22. 2 Hannes in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1405. 3 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 27, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 4 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 23, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; König/Möller, BB 2014, 983 (985). 5 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (467). 6 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 27, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 7 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 30, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 8 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 29, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 9 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 29, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.146 § 30

Die bisherige Finanzierungsstruktur ist zwar für den Fall der Veräußerung und dem dabei 30.142 zu erzielenden Preis nicht relevant. Allerdings sind bisher und zukünftig notwendige Finanzierungen mit ihren marktgerechten Kosten kalkulatorisch in der Planungsrechnung zu berücksichtigen. Da diese Risiken bereits bei der Überschussermittlung abgebildet werden, wird der Kapitalisierungszinssatz davon nicht berührt.1 Insgesamt ist die Finanzierungsstruktur zu prüfen und ggf. bei naheliegenden Optimierungsmöglichkeiten mit den Auswirkungen auf die finanziellen Überschüsse anzupassen, etwa Gewinnthesaurierungen oder Zuführung von zusätzlichem Eigenkapital.2

30.143

jj) Ertragsteuern der Unternehmenseigner Neben den Unternehmenssteuern sind die persönlichen Ertragsteuern bewertungsrelevant.3 Sie beeinflussen die subjektiven Grenzpreise4 und damit auch die Verkehrswerte von Unternehmen im Rahmen der Preisbildung. Für Einzelunternehmen bzw. Personengesellschaften wird ein typisierter Steuersatz von 35 % als angemessen angesehen, bei Kapitalgesellschaften in der Regel ein typisierter Steuersatz in Höhe der Abgeltungssteuer von 25 %.5

30.144

kk) Kapitalisierungszinssatz Die Kapitalkosten sind laut IDW auch für KMU (näher Rz. 34.63 ff.) kapitalmarktorientiert auf der Basis des CAPM oder des TAX-CAPM herzuleiten.6 Insofern wird auf die Ausführungen des IDW S 1 2008 verwiesen.7

30.145

Soweit die Kapitalkosten von KMU nach IDW ermittelt werden, sind Risikoprämien des Kapitalmarkts lediglich Ausgangsgrößen, die an das operative Risiko und den Verschuldensgrad der KMU mithilfe vereinfachender Annahmen anzupassen.8 Es wird empfohlen, für die Ableitung des operativen Geschäftsrisikos (Betafaktor) auf eine Gruppe von börsennotierten Vergleichsunternehmen (Peer Group) mit vergleichbarem Geschäftsmodell und vergleichbaren Risikofaktoren zu fokussieren.9 Bei der Beurteilung des operativen Risikos fließen letzt-

30.146

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 40 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 42, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 3 IDW S 1 (2008), Rz. 4, 28, 43, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDWPraxishinweise KMU 2014, Rz. 43 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282; Jonas/ Wieland-Blöse, Rz. 17.1, 17.8 ff.; Popp/Kunowski in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1313 ff.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (492). 4 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 17 ff. 5 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 44, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 6 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 47, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 7 IDW S 1 (2008), Rz. 92, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 45 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Dörschell/Franken/Schulte, Kapitalkosten, 2. Aufl. 2012, S. 4 ff. 8 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 46, 49, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 9 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 48, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.

Lauber 1075

§ 30 Rz. 30.146

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

lich alle KMU-spezifischen Besonderheiten ein (Standort-, Umwelt- und Brancheneinflüsse, Kundenabhängigkeit, Produktprogramm u.a.).

30.147 Generell wird empfohlen, KMU-Risiken in der Prognose der finanziellen Überschüsse abzubilden statt im Nenner des Bewertungskalküls in Form zusätzlicher Risikozuschläge auf den kapitalmarkttheoretisch ermittelten Kapitalisierungszinssatz.1 Bei der äußerst schwierigen Aufgabe der Einschätzung der KMU-Risiken und ihrer Verteilung auf die Ertrags- oder Diskontierungsseite besteht ein erheblicher Ermessensspielraum, wobei Einzelfaktoren abzugrenzen und zu begründen sind2, d.h. pauschale Zuschläge sind nicht akzeptabel. Auch ein pauschaler Betafaktor von 1,0 im Sinne des Bewertungsgesetzes ist für KMU in der Regel nicht sachgerecht.3

30.148 Das IDW konstatiert, dass KMU mangels breiter Diversifizierung unsystematischen Risiken ausgesetzt sind, die vom CAPM nicht erfasst werden. Die Unternehmenswerte für KMU fallen bei der Anwendung des CAPM daher tendenziell zu hoch aus.4 Auf die zahlreich artikulierten Bedenken in der betriebswirtschaftlichen Literatur5 zur Anwendung des CAPM auf KMU gehen die IDW-Praxishinweise KMU leider nicht ein, obwohl es sicherlich eines der größeren Probleme der KMU-Bewertung ist.

30.149 Im Schrifttum wird empfohlen, die Grenzen des CAPM zu akzeptieren; bei der Bewertung von KMU sei das Modell wenig hilfreich.6 Das Risikoprofil lasse sich nicht mittels kapitalmarkttheoretischer Modelle erfassen.7 Das CAPM sei aufzugeben, soweit man für KMU unsystematische Risiken neben den vom CAPM erfassten systematischen Risiken für bewertungsrelevant erachte.8

30.150 Im Schrifttum werden Ansätze präsentiert, um die besonderen Risiken von KMU zu erfassen. Zu nennen ist bspw. das build up-Verfahren, nach denen Risiko-Komponenten pauschal zugeschlagen werden.9 Der Total Beta-Ansatz will der fehlenden Diversifizierung von KMU Rechnung tragen, indem der Diversifikationsfaktor in der CAPM-Gleichung eliminiert und damit das gesamte systematische und unsystematische Risiko erfasst wird.10 Statistische Auswertungen zeigen, dass die Total-Betafaktoren im Durchschnitt ca. 0,5-0,6 höher ausfallen als die Betafaktoren nach CAPM, was zu einer erheblichen Verringerung des Unternehmenswerts führt.11 1 Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (463). 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 50, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 3 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 50, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 4 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 836; WP-Handbuch, Bd. II, 2014, S. 158, Rz. 440. 5 Vgl. die Übersicht bei Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (493, 495). 6 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (493); Gleißner in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2016, S. 201 ff., WPG 2015, 908 ff. 7 Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (493). 8 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 115; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (493). 9 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (490) mit Einzelheiten. 10 Vgl. Lauber, Rz. 34.63; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 837; Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren, 5. Aufl. 2018, S. 447. 11 Dörschell/Franken/Schulte, Kapitalkosten, 2. Aufl. 2012, S. 378 ff.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.154 § 30

In der Rechtsprechung ist der Total Beta-Ansatz bereits angekommen.1 Im Schrifttum wird der Total Beta-Ansatz kontrovers diskutiert und teilweise abgelehnt2, auch vom IDW.3 Gegen den Total Beta-Ansatz wird angeführt, dass dieser trotz scheintheoretischer Fundierung willkürlich sei.4 Der Diversifikationsfaktor werde überbewertet.5 Zudem werde das CAPM durch die Vermischung systematischer und unsystematischer Risiken inkonsistent und damit unbrauchbar.6 Der Total Beta-Ansatz stelle das CAPM insgesamt in Frage.7 Dem kann beipflichtet werden. Denn auch wenn der Total Beta-Ansatz Vorzüge gegenüber dem klassischen CAPM aufweist, berücksichtigt er keine partielle Diversifikation und ist hinsichtlich operativer Risiken bzw. wert- oder preisrelevanter Faktoren der KMU unbrauchbar.

30.151

Eine Überprüfung bzw. Plausibilisierung der Kapitalkosten sollte anhand von Marktdaten erfolgen, etwa durch geeignete und in der Literatur bereitgestellte Multiplikatoren8 bzw. einen Rückgriff auf implizite Branchenrenditen.9 Im Hinblick auf die aufwändigen, kaum überprüfbaren und rechtlich kritischen Einschätzungen der zahlreichen nicht messbaren KMUMerkmale sollte nicht zuletzt aus Vereinfachungsgründen und zur Validierung der Ergebnisse erwogen werden, primär auf Marktdaten bzw. Branchendaten zurückzugreifen. Letztlich ist auch das CAPM ein Preisbildungsmodell hinsichtlich der Kapitalkosten, das Marktdaten verwendet, die allerdings für KMU nicht ansatzweise passen.

30.152

ll) Gesamtwert und Anteilswert Im Grundsatz decken sich der Gesamtwert bzw. Gesamtpreis des Unternehmens und die Summe der quotalen Anteile daran. Soweit Unternehmensbeteiligungen zu bewerten sind, ist dennoch in der Regel der Verkehrswert des gesamten Unternehmens das Bewertungsziel. Es können dann aber im Hinblick auf gesetzliche, vertragliche oder faktische Verfügungsbeschränkungen, Unterschiede bei der Gewinn- und Verlustallokation und unterschiedliche Einflussmöglichkeiten der Anteilseigner Abschläge auf den quotalen Unternehmensanteil in Betracht kommen.10

30.153

Konkrete Anhaltspunkte, nach denen die Höhe einer Wertminderung nach der Verkehrsanschauung zu bemessen wäre, fehlen in den IDW-Praxishinweisen KMU jedoch.11 Wertermittlungs- oder Preisermittlungsverfahren werden insoweit nicht vorgeschlagen. Insofern wird in der Literatur eine gewisse Verunsicherung artikuliert und verlangt, dass die Gerichte die benötigten Werte/Preise definieren.12

30.154

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Brandenburgisches OLG v. 28.1.2016 – 7 U 170/13, juris-Rz. 27 = GmbHR 2016, 357. Kruschwitz/Löffler, CF 2014, 263 ff.; Konold/Schweizer, DStR 2017, 558 (564). WP-Handbuch, Bd. II, 2014, S. 159, Rz. 441. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299 (1306). Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (120). Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 112, 115; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 488 (493); König/Ballhorn, NZFam 2016, 1084 (1087). Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (495 f.). Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (496). Zu Multiplikatoren und Kapitalkosten im Einzelnen vgl. Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten, 5. Aufl. 2018, S. 2 ff. Aschauer/Dollinger in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2018, 53 (55). IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 55 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff. Frielingsdorf, NZFam 2016, 1090 (1093). Frielingsdorf, NZFam 2016, 1090 (1093).

Lauber 1077

§ 30 Rz. 30.155

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

mm) Vereinfachte Preisfindungsverfahren

30.155 Vereinfachte Preisfindungen, etwa umsatzbasierte Multiplikatorverfahren aufgrund berufsständischer Richtlinien, werden in den IDW-Praxishinweisen KMU allenfalls zur Plausibilisierung der Ergebnisse der Bewertung nach Ertragswert- oder DCF-Verfahren akzeptiert, nicht aber als alternative Wert- bzw. Preisermittlungsverfahren.1

30.156 Für umsatzbasierte Multiplikatorverfahren wird darauf hingewiesen, dass aus der konzeptionsbedingten Nichtberücksichtigung von unterschiedlichen Kostenstrukturen zwischen Bewertungsobjekt und Normpraxis Abweichungen vom Ertragswert oder Cashflow resultieren.2 Bemerkenswert ist dann allerdings die Aussage des IDW, dass bei einer Abweichung eines nutzenorientieren Ertragswerts von einem preisbasierten Multiplikator-Wert die kritische Hinterfragung der Unternehmensbewertung einschließlich Ausgangsdaten geboten sein kann.3 In diesem Zusammenhang ist ferner die weitere Aussage des IDW bemerkenswert, dass ein Vergleich des Zukunftserfolgswerts mit einem anhand einer vereinfachten Preisfindung bestimmten Marktpreis Anhaltspunkte für eine Empfehlung im Hinblick auf den Kauf bzw. Verkauf des Unternehmens geben kann.4 Beides lässt sich nicht miteinander vereinbaren. Diese Aussagen zeigen, dass der IDW S 1 einen typisierten subjektiven (objektivierten) Entscheidungswert und keinen Verkehrswert ermittelt. Aufgrund der Unterschiede objektivierter Ertragswerte und transaktionsbezogener Preise5 können sich die Ergebnisse einer umsatzbasierten und einer ertragsbasierten Unternehmensbewertung eigentlich nur zufällig decken. Folglich sind Unterschiede bei den genannten Verfahrensweisen mehr oder weniger zwangsläufig. c) IDW S 13 Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht

30.157 Bedingt durch die BGH-Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht (näher Rz. 26.52 ff. zum Familienrecht und Rz. 27.1 ff. zum Erbrecht) sah sich das IDW veranlasst, im Jahr 2016 den Standard für die Unternehmensbewertung im Familienund Erbrecht (IDW S 13) zu veröffentlichen. Dieser Standard ersetzt die IDW-Stellungnahme des Hauptfachausschusses: Zur Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht (IDW St/HFA 2/1995).6

30.158 Gesellschaftsrechtliche oder steuerrechtliche Bewertungsanlässe erfasst der Bewertungsstandard IDW S 13 expressis verbis nicht.7 Allerdings ist der Bewertungsstandard weder KMU-spezifisch noch familien- oder erbrechtspezifisch. Denn der IDW S 13 ist lediglich ein Reflex auf die Rechtsprechung im Bereich des Familien- und Erbrechts, nicht aber auf materiell rechtliche KMU-Besonderheiten. Aufgrund der Dominanz von KMU in streitigen gerichtlichen Auseinandersetzungen hat der IDW S 13 aber Breitenwirkung (s. dazu Rz. 30.1).

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 62, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; IDW S 1 (2008), Rz. 143, 164 ff., WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 2 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 61, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 3 IDW S 1 (2008), Rz. 167 ff., WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 4 IDW S 1 (2008), Rz. 168, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 5 Siehe dazu Rz. 30.35. 6 IDW S 13, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 7 IDW S 13, Rz. 37 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; IDW S 13, WPg 2016, 930 (930).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.162 § 30

Der IDW S 13 sieht eine zweistufige Vorgehensweise vor. Im ersten Bewertungsschritt wird 30.159 der objektivierte Unternehmenswert gemäß IDW S 1 einschließlich der KMU-Hinweise ermittelt.1 Dieser wird im zweiten Bewertungsschritt auf den Ausgleichs- bzw. Auseinandersetzungsanspruch übergeleitet.2 Die Vorgehensweise gemäß IDW S 13 wurde zum besseren Verständnis durch Schemata visualisiert.3 aa) Geltung des IDW S 1 und modifizierte Ertragswertmethode Zunächst wird festgestellt, dass es sich bei der modifizierten Ertragswertmethode des BGH4 30.160 um rechtsspezifische Ergänzungen zum grundlegenden Bewertungsstandard IDW S 1 handelt.5 Diese Modifizierung wird als unsachgerecht bezeichnet, da die mit dieser Vereinfachung verbundene unbesehene Übernahme von Vergangenheitsergebnissen als Ausgangsgrößen keine sachgerechte Modifikation der Ertragswertmethode gemäß IDW S1 sei.6 Beanstandet wird, dass es sich nicht um ein klar definiertes und eigenständiges Bewertungsverfahren handelt.7 Diese Kritik wird in der Literatur aufgegriffen, indem bemängelt wird, dass die Gutachter trotz der IDW-Vorgaben eine „Narrenfreiheit“ bei der Anwendung der modifizierten Ertragswertmethode hätten, da es an konkreten Vorgaben oder standardisierten Grundsätzen mangele.8 Bewertungsmethoden würden vermischt (Substanzwert, Ertragswert), betriebswirtschaftlich bedenkliche Vergangenheitswerte benutzt und Kapitalkosten subjektiv gegriffen.9 bb) Übertragbare Ertragskraft und kalkulatorischer Unternehmerlohn In Ergänzung zum IDW S 1 formuliert der IDW S 13 in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zwei inhaberbezogene Besonderheiten der Unternehmensbewertung. Dabei geht es einerseits um den kalkulatorischen Unternehmerlohn und andererseits um nicht übertragbare Ertragsanteile.10

30.161

In Konkretisierung der BGH-Rechtsprechung wird der individuelle Unternehmerlohn in die Bestandteile des kalkulatorischen Unternehmerlohns und des nicht oder nur partiell übertragbaren Gewinns zerlegt. Abzugrenzen sind diese Positionen in der Weise, dass der kalkulatorische Unternehmerlohn eine notwendige und gewinnmindernde Aufwandsposition ist. Der Unternehmerlohn mindert die finanziellen Nettozuflüsse und würde ggf. auch für einen Dritten anfallen. Der nach Abzug der Kosten verbleibende Unternehmergewinn soll nur in dem Umfang relevant sein, als er unabhängig von den bisherigen Leistungen des Inhabers auch

30.162

1 2 3 4

5 6 7 8 9 10

IDW S 13, Rz. 15 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff. IDW S 13, Rz. 32 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff. IDW S 13, WPg 2016, 930 f. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 28 ff. = BGHZ 188, 249; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 20 = BGHZ 188, 282; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, juris-Rz. 9 = FamRZ 2018, 174; BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37 = NJW 2014, 294; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, juris-Rz. 31 ff. = NJW 1999, 784. IDW S 13, Rz. 2 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff. IDW S 13, Rz. 10, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. IDW S 13, Rz. 10 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff. Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1915). Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1915). IDW S 13, Rz. 28 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff.

Lauber 1079

§ 30 Rz. 30.162

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

beim Erwerber anfällt.1 Die Abgrenzung ist aber nicht einfach2 und es drohen Doppelerfassungen.3

30.163 In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BGH4 sollen bei der Bemessung der kalkulatorischen Inhaber- und Mitarbeiterkosten die individuellen Verhältnisse des zu bewertenden Unternehmens betrachtet werden, d.h. die tatsächlich vom bisherigen Inhaber bzw. von nahestehenden Personen erbrachten Leistungen sollen entsprechend den persönlichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Beziehungen marktgerecht bewertet werden.5 Im Schrifttum wird der IDW S 13 so verstanden, dass in Abweichung zur BGH-Rechtsprechung im kalkulatorischen Unternehmerlohn nur außergewöhnliche und messbare Qualifikationen einfließen dürfen (Fachanwalt o.ä.).

30.164 Die vom Unternehmerlohn abzugrenzenden nicht übertragbaren Bestandteile des Ertrags sind zu eliminieren. Nur partiell oder zeitlich begrenzte Ertragsanteile sind abzuschmelzen, soweit sie auf persönliche Leistungen des Inhabers zurückgehen.6 Das betrifft u. a. die schwer einschätzbaren Fähigkeiten wie Kreativität, Know How und Kundenbeziehungen.7

30.165 Diese Empfehlungen sind kritisch zu würdigen. Die Verwendung der individuellen Verhältnisse des zu bewertenden Unternehmens für die Anpassung des Unternehmerlohns bzw. der Mitarbeiterlöhne widerspricht der Zukunftsbezogenheit der Unternehmensbewertung. Markttypische Unternehmenserwerber bewerten zukunftsgerichtet und marktgerecht. Sie vergüten insbesondere auch keine ineffizienten Leistungen des bisherigen Betriebsinhabers. Sie akzeptieren daher nur notwendige Personalkosten, da diese das Betriebsergebnis reduzieren. Der BGH und die IDW-Hinweise unterstellen ohne weiteres, dass alle von den Inhabern erbrachten Leistungen am Markt durch den Käufer einzukaufen seien. Diese Annahme ist jedoch insbesondere bei ineffizienter Unternehmensführung oder auch bei gesellschaftsspezifischen Aufgaben-, Geschäftsführungs-, Gewinn- oder Vergütungsverteilungen nicht gerechtfertigt. Es ist nicht selten, dass inhabergeführte Gesellschaften – unabhängig von einer unternehmerischen Notwendigkeit – durch sämtliche Gesellschafter als Geschäftsführer, denen eine entsprechende Vergütung gewährt wird, geleitet werden.8

30.166 Folglich kann es nur darauf ankommen, welche vom bisherigen Inhaber oder von ihm nahestehenden Personen erbrachten Leistungen angemessen und erforderlich sind, um in 1 2 3 4 5

Frielingsdorf, NZFam 2016, 1090 (1091) mit einem Schema. Borth, FamRZ 2017, 1739 (1743). Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161 (166); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2430). BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 34; IDW S 13, Rz. 31, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 6 IDW S 13, Rz. 29 f., IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 23, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 7 Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161 (162); Borth, FamRZ 2017, 1739 (1743); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2430). 8 Vgl. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 3 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. Das Berufungsgericht hatte entschieden, dass der für die Unternehmensleitung notwendige Unternehmerlohn, den ein Dritter aufzuwenden hätte, abzuziehen sei. Auf die Anzahl der leitenden Angestellten komme es nicht an. Der BGH sah sämtliche unternehmensleitenden und nicht unternehmensleitenden Tätigkeiten der vier Gründungsgesellschafter als grundsätzlich abzugsfähig an. Der Abzug sämtlicher Kosten scheiterte jedoch daran, dass der Ausgleichsschuldner nicht Art und Umfang der erbrachten Tätigkeiten dargelegt hatte.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.171 § 30

Zukunft die in der Vergangenheit erzielten Erträge zu generieren. Kann bspw. eine KMU von einem Fremdgeschäftsführer oder einem Inhaber mit geringerer Berufserfahrung oder mit einem geringeren zeitlichen Aufwand übernommen werden, ist nur dieser Aufwand relevant. Entgegen der Auffassung des BGH kommt es dann z.B. nicht darauf an, dass tatsächlich vier Geschäftsführer bzw. Vorstände für das zu bewertende Unternehmen tätig waren1, wenn tatsächlich die gleichen Erträge mit lediglich einem Geschäftsführer hätten erzielt werden können. Bezüglich der Eliminierung der nicht oder nur begrenzt übertragbaren Ertragskraft wird in der Literatur zu Recht kritisiert, dass die Berücksichtigung individueller Fähigkeiten des Inhabers zu einer Subjektivierung der Unternehmensbewertung führt.2 Zudem sind die dabei zu berücksichtigenden besonderen Fähigkeiten weder vernünftig abgrenzbar noch messbar, was zwangsläufig zu angreifbaren pauschalen Zu- oder Abschlägen führen muss.3

30.167

cc) Überleitung vom objektivierten Unternehmenswert zum Ausgleichsanspruch Der IDW S 13 beschäftigt sich mit der Überleitung der Unternehmensbewertung in Ausgleichs- oder Auseinandersetzungsansprüche. Zunächst wird die Relevanz von weiteren privaten Vermögen neben dem Unternehmenswert erwähnt.4 Ebenso seien Steuerfolgen bei der Anteilsübertragung, etwa der Anfall latenter Ertragsteuer bei der Annahme einer fiktiven Veräußerung des Unternehmens5, zu berücksichtigen6, nicht hingegen aber Finanzierungskosten für die Erfüllung der Ausgleichs- bzw. Auseinandersetzungsverpflichtung.7

30.168

Erstmals erwähnt der IDW S 13 ein werterhöhendes Abschreibungspotenzial auf erhöhte Anschaffungskosten beim Erwerber (TAB) als Gegenposition zur latenten Ertragsteuer auf den Veräußerungsgewinn. Soweit keine anderen Anhaltspunkte vorliegen, ist der TAB in voller Höhe anzusetzen.8 Bei der Ermittlung der Steuerlast seien einzelfallabhängig Tarifbegünstigungen (z.B. § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 2 bis 4, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 EStG) oder partielle Steuerfreistellungen (z.B. § 3 Nr. 40 EStG) anzuwenden.9

30.169

dd) Anteilsbewertung bei Bestehen von Verfügungsbeschränkungen Deutlicher als die IDW-Praxishinweise KMU erörtert der IDW S 13 Wertminderungen des objektivierten Unternehmenswerts im Hinblick auf unterwertige Abfindungsklauseln, gesellschaftsvertragliche, vertragliche oder faktische Ausschüttungs- und Entnahmerestriktionen, Vinkulierungsklauseln, Veräußerungssperren, Nießbrauchsbelastungen oder existente Poolverträge.10

30.170

In Übereinstimmung mit der BGH-Rechtsprechung kann die eingeschränkte Verwertbarkeit trotz voller Nutzbarkeit bei Bewertungen für familien- und erbrechtliche Anlässe wertmin-

30.171

1 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 32 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 2 Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1912, 1915); Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161 (163). 3 Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1912, 1915); Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161 (163); Kohl/ Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2429). 4 IDW S 13, Rz. 32, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 5 Siehe dazu Rz. 30.85 ff. 6 IDW S 13, Rz. 33, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 7 IDW S 13, Rz. 36, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 8 IDW S 13, Rz. 40, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 9 IDW S 13, Rz. 44, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 10 IDW S 13, Rz. 46, IDW Life 7/2016, S. 574 ff.

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§ 30 Rz. 30.171

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

dernd zu berücksichtigen sein.1 Der Wertabschlag soll konkret nach der Verkehrsanschauung beurteilt werden, d.h. letztlich nach dem Verkehrswert des Anteils (s. zur Kritik Rz. 30.153). Restriktionen des Gesellschaftsvertrages sollen dann zum Zuge kommen, wenn zum Bewertungsstichtag bereits das Gesellschaftsverhältnis zum Bewertungsstichtag wirksam gekündigt war2 oder wenn eine Kündigung durch andere Gesellschafter gegen den Willen des Anteilsinhabers zu einem unter dem vollen Wert liegenden Betrag entziehen kann.3 2. Branchenspezifische Empfehlungen zur Bewertung von KMU a) Wirtschaftsprüfer

30.172 Die früher formulierten gesonderten Hinweise zur Bewertung von Wirtschaftsprüferpraxen4 sind inzwischen aufgegeben worden.5 Daraus ist zu folgern, dass das IDW nun auch für Wirtschaftsprüferpraxen den IDW S 1 für einschlägig hält.6 Die Realität sieht jedoch anders aus.7 In der Praxis wird üblicherweise ein branchentypisches Verfahren verwendet, bei dem der immaterielle Wert der Praxis (Goodwill) und der Wert der übrigen Vermögenswerte (Substanz) getrennt voneinander ermittelt werden.8 Zur Ermittlung des Goodwills wird in der Praxis zumeist auf einen Umsatzmultiplikator zwischen 70 % und 150 % des Umsatzes zurückgegriffen.9 Dieser Wertermittlung liegt die Grundannahme der Homogenität der Bewertungsobjekte zugrunde.10 b) Steuerberater – Hinweise BStBK 2017

30.173 Die BStBK hat am 6.3.2017 branchenspezifische Hinweise für die Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufstandes und der verschiedenen Bewertungsanlässe – vorgelegt.11

30.174 Die Empfehlungen sind allgemein und ergebnisoffen gehalten.12 Die Anwendung einer umfassenden betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung oder eine Preisschätzung nach einem vereinfachten Preisfindungsverfahren wird von der Zielsetzung bzw. dem gesetzlichen

1 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, juris-Rz. 22 = BGHZ 75, 195 = AG 1980, 158; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, juris-Rz. 18 f. = NJW 1999, 784; IDW S 13, Rz. 49 ff., IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 2 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, juris-Rz. 18 = BGHZ 75, 195 = AG 1980, 158-203. 3 IDW S 13, Rz. 49, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 4 IDW (Hrsg.), WP-Handbuch 2000, Bd. I, S. 148-149. 5 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1058. 6 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1059. 7 Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 235, mit dem Hinweis, dass das ansonsten propagierte Zukunftserfolgsverfahren gemäß IDW S1 in eigenen Angelegenheiten nicht zum Zuge kommt getreu dem Motto: „Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe“); Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1055. 8 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1056 ff.; Popp in Drukarczyk/ Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 235. 9 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1056 ff.; Popp in Drukarczyk/ Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 235. 10 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1060 ff.; Popp in Drukarczyk/ Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 236. 11 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014. 12 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 1.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.180 § 30

Rahmen abhängig gemacht.1 Angesprochen werden der Kauf/Verkauf einer Kanzlei, der Eintritt bzw. Austritt von Gesellschaftern, der Zugewinnausgleich und der Todesfall.2 Als mögliche Bewertungsziele werden neben subjektiven Entscheidungswerten Verkehrswerte im Sinne eines üblichen Preises für eine Steuerberaterpraxis genannt. Für die Bestimmung von Verkehrswerten werden Variationen des Ertragswertverfahrens oder Multiplikatorverfahren, die an die am Markt beobachtbaren Preise anknüpfen, angeführt.3

30.175

Für die unabhängig vom Willen des Eigentümers erfolgenden Bewertungen sind nach der Auffassung der BStBK Schiedswerte im Sinne des objektivierten Unternehmenswertes nach IDW S 1 zu ermitteln. Damit sind offenbar die Fälle der Unternehmensbewertung in der streitigen Gerichtsbarkeit gemeint. Dabei wird erstens verkannt, dass vor Gericht Verkehrswerte und keine Schiedswerte ermittelt werden. Zweitens wird verkannt, dass der objektivierte Unternehmenswert kein Verkehrswert ist.

30.176

Bezüglich KMU verweisen die Richtlinien auf die IDW-Praxishinweise KMU 2014, die wortgleich von der BStBK veröffentlicht wurden.4 Steuerberatungskanzleien werden als KMU in diesem Sinne bezeichnet.5

30.177

Im Gegensatz zu anderen berufsrechtlichen Grundsätzen gehen die BStBK-Bewertungshinweise davon aus, dass der Wert der Substanz (Praxiseinrichtung, EDV etc.) in der Regel kaum eine Rolle spielt, sondern der immaterielle Wert bestimmend ist.6

30.178

Die Preisfindung durch das Umsatzverfahren7 für Steuerberatungspraxen wird neben dem 30.179 Ertragswertverfahren8 ausführlich beschrieben. Die BStBK weist darauf hin, dass die berufsständische Praxis für eine Preisfindung häufig das Umsatzverfahren anwendet,9 insbesondere bei der Praxisübertragung unter Lebenden.10 Neben dem Umsatz-Multiplikator werden auch andere bereinigte Bezugsgrößen erwähnt, die die Ertragslage der Kanzlei erfassen z.B. der Jahresüberschuss vor Steuern oder der operative Gewinn.11 Ziel des Umsatzverfahrens ist laut BStBK die Ermittlung eines voraussichtlich zu erzielenden Preises bzw. einer Verhandlungsbasis für eine Steuerberaterpraxis.12 Der Umsatzmultiplikator ergibt sich aus den am Markt beobachteten Transaktionen für vergleichbare Kanzleien,13 und zwar aus dem Verhältnis gezahlter Preise für vergleichbare Unternehmen derselben Branche im Verhältnis zu deren Umsatz. Als Bemessungsgrundlage wird die anonymisierte Mandantenliste der zu bewertenden Steuerberatungskanzlei auf der Grundlage der nachhaltigen Umsätze der letzten drei Geschäftsjahre ohne Umsatzsteuer vorgeschla1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 2. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 5 ff. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 9. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12. BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 14. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 22 ff. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 35. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 35. BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 35.

Lauber 1083

30.180

§ 30 Rz. 30.180

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

gen.1 Nachhaltig sei ein Umsatz, der sich in den nächsten 3–5 Jahren nach dem Stichtag erzielen lässt.2 Ggf. seien einmalige Leistungen mit durchschnittlichen Vergangenheitsbeträgen hinzuzufügen.3 Zu- und Abschläge bei besonderer Mandantenstruktur seien möglich.4

30.181 Der bereinigte nachhaltige Umsatz ist nach den Hinweisen mit einem Umsatzmultiplikator zwischen 0,8 und 1,4 zu vervielfachen.5 Die Kostenstruktur der Praxis bzw. ihre Rentabilität seien für die Höhe des Multiplikators relevant.6 Besondere Umstände, wie außergewöhnliche Renditen, Expansionsmöglichkeiten, langfristige Vertragsbindungen, Standortfaktoren u.a., können zur Anpassung des Multiplikators führen.7 Bei großen Abweichungen der Praxisrendite von der branchenüblichen Rendite wird die Verwendung einer abweichenden Bezugsgröße, etwa der bereinigte Jahresüberschuss vor Steuern, angeregt. Preisanpassungsklauseln seien möglich und in der Praxis üblich.8

30.182 Das Ertragswertverfahren zur Bewertung von Steuerberaterpraxen wird in den Hinweisen der BStBK nur rudimentär erläutert.9 Besonderes Augenmerk sei dabei auf die Personalkosten einschließlich des Praxisinhabers zu richten. Der Unternehmerlohn sei nach den individuellen Verhältnissen in Abzug zu bringen.10 Für Steuerberatungskanzleien sei in der Regel davon auszugehen, dass die Ertragskraft nur partiell bzw. temporär übertragbar sei. Dann seien die geplanten finanziellen Überschüsse im Zeitverlauf abzuschmelzen. Wesentlicher Faktor sei die Nachhaltigkeit der Mandantenbeziehungen.11

30.183 Der Kapitalisierungszinssatz sei nicht schematisch nach kapitalmarktorientierten Verfahren herzuleiten, sondern konkret mit Hilfe von vereinfachenden Annahmen festzulegen.12 Dabei seien insbesondere die fehlende Diversifikation, die kleine Unternehmensgröße sowie die geringere Fungibilität im Vergleich zu Aktien zu berücksichtigen.13 c) Rechtsanwälte – BRAK-Bewertungshinweise 2017

30.184 Die BRAK hat die Richtlinien zu Bewertung von Anwaltskanzleien zum 11.8.2017 für diverse Bewertungsanlässe, u.a. Abfindungsansprüche gegen die Mitgesellschafter einer Sozietät,

1 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 37. Aus der Mandantenliste sollten sich üblicherweise weitere Angaben zur Mandantenstruktur ergeben, z.B. über die vertretenen Branchen, die jeweilige Rechtsform, das Alter der Mandanten und die Dauer der Mandatsbeziehung oder über eine mögliche persönliche Bindung zum Veräußerer. 2 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 40. 3 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 41. 4 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 42. 5 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 44 ff., wonach die Werte für die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nicht ohne Weiteres anwendbar seien. 6 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 45. 7 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 47 ff. 8 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 48. 9 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 22 ff. 10 BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 32, ausdrücklich unter Bezugnahme auf BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris, BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761. 11 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 28. 12 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 33 ff. 13 BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 34.

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Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.188 § 30

Ausgleichsansprüche im Zugewinnverfahren, Pflichtteilsansprüche und Erbschaftssteuerberechnung, aktualisiert.1 Die BRAK präferiert ausdrücklich in den im Jahr 2018 veröffentlichten Richtlinien zur Unternehmensbewertung von Anwaltskanzleien entgegen betriebswirtschaftlichen Grundsätze nach wie vor die Umsatzmethode als „vereinfachtes Preisfindungsverfahren“ in Fällen, in denen der Markt den Preis bestimmt.2 Der auf diese Weise ermittelte Wert diene als Verhandlungsgrundlage bei der Preisfindung. Er sei weder „absolut“ zu verstehen noch dürfe er mit dem Marktwert verwechselt werden.3 Mit Letzterem dürfte der Marktwert gemäß dem Ertragswert der Kanzlei und nicht der mögliche Marktpreis gemeint sein.

30.185

Aufgrund der Anwendung des Verfahrens in der Praxis4 wird es als sachgerecht angesehen.5 Dies wird u.a. damit begründet, dass in der Praxis sowohl Rechtsanwälte als auch andere Freiberufler das Umsatzverfahren als anerkanntes Bewertungsverfahren nutzen und akzeptieren.6 Der Umsatz sei einfach und sicher feststellbar. Die Umsatzentwicklung erlaube eine zutreffende Beurteilung der Entwicklungschancen der Kanzlei.7 Im Einzelfall sei zu prüfen, ob das Ergebnis mittels weiterer Unternehmensbewertungsverfahren, u.a. des modifizierten Ertragswertverfahrens, zu überprüfen ist.8 In allen Bewertungsfällen setze sich der Kanzleiwert immer aus dem Substanzwert und dem ideellen Wert (Goodwill) zusammen.9

30.186

Der in der Regel nicht erheblich ins Gewicht fallende Substanzwert beinhalte das Anlagevermögen (Verkehrswert), Forderungen, Kanzleiverbindlichkeiten und Verbindlichkeiten des Übergebers.10

30.187

Der nach dem Umsatzverfahren zu ermittelnde ideelle Wert sei aufgrund seiner ausgeprägten Vertrauensbeziehung nachhaltig personengebunden. Der Goodwill entspreche nicht dem Firmenwert im kaufmännischen/gewerblichen Sprachgebrauch.11 Der ideelle Wert ergebe sich aus der Umsatzentwicklung der letzten drei Kalenderjahre vor dem Stichtag, ggf. mit Gewichtung für stichtagsnahe Jahre, einer Umsatzbereinigung (personenbezogener oder außerordentlicher Faktoren wie z.B. Einnahmen aus einer Aufsichtsratstätigkeit o.ä.) und einem Berechnungsfaktor zwischen 0,3 und 1,0 (bei Berücksichtigung wertsenkender und werterhöhender Merkmale). In Ausnahmefällen könne der Berechnungsfaktor auf Null fallen – etwa im Falle des Versterbens des Kanzleiinhabers – oder auf 1,3 steigen.12 Bei der Gewichtung seien als wertsenkende Merkmale eine Praxistätigkeit von weniger als 10 Jahren, das Alter und die Gesundheit des Kanzleiinhabers, die Überleitungstätigkeit des Kanzleiinhabers, Clusterrisiken, überdurchschnittlich hohe Kanzleikosten u.a. zu berücksichtigen. Bei gegenläufiger Tendenz könnten identische Merkmale werterhöhend sein.13 Als besonders wichtig wird in

30.188

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 ff. BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (6). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (6). Vgl. dazu OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 31 = FamRZ 2016, 1931. BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (8). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (7). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (7). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (7). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (7). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (7). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (8). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (8). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (8).

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§ 30 Rz. 30.188

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

den BRAK-Bewertungshinweisen herausgestellt, ob der Erwerber in den Mandantenkreis eingeführt wird und der alte Kanzleiinhaber noch übergangsweise mitarbeitet.

30.189 Eine Plausibilisierung des umsatzbasierten Kanzleiwertes ist nach den BRAK-Bewertungshinweisen vorzunehmen, wenn der ermittelte Wert augenscheinlich nicht angemessen ist, etwa, wenn unter Berücksichtigung eines kalkulatorischen Unternehmerlohns kein Gewinn erzielt wird. Vorzugswürdig sei in diesen Fällen ein modifiziertes Ertragswertverfahren.1 Diese Überlegung scheint wenig durchdacht zu sein. Warum sollte sich bei dieser Sachlage nach der modifizierten Ertragswertmethode ceteris paribus ein Gewinn ergeben?

30.190 Bei der Anwendung des modifizierten Ertragswertverfahrens empfiehlt die BRAK den Kapitalisierungszinssatz weder aus dem CAPM noch aus dem pauschalen Risikozuschlag von 4,5 % gemäß § 200 BewG (vereinfachtes Verfahren) abzuleiten.2 Die fehlende Diversifikation, die geringe Unternehmensgröße sowie die geringere Fungibilität führten zu Kapitalkosten, die mit denen des Aktienmarktes nicht vergleichbar seien.3

30.191 In der Literatur wird das BRAK-Umsatzverfahren als unwissenschaftlich bezeichnet, da es nach eigenen Angaben keinen Marktwert ermittelt, so dass es zur Bewertung von Anwaltskanzleien, insbesondere im Zuge der objektiven Bewertung im Zugewinnausgleichsverfahren, ungeeignet sei und zu fehlerhaften Ergebnissen führe.4 d) Ärzte – BÄK-Bewertungshinweise

30.192 Die BÄK hat in den Hinweisen zur Bewertung von Arztpraxen aus dem Jahr 20085 die früher präferierte Umsatzmethode aufgegeben und ertragswertorientierte Verfahren für die Bewertung von Arztpraxen empfohlen.6 Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, wird de facto aber keine Ertragswertberechnung empfohlen, sondern ein modifiziertes Umsatzverfahren. Betont wird, dass die BÄK-Bewertungshinweise Kriterien zur Ermittlung des Verkehrswerts einer Arztpraxis oder eines Gesellschaftsanteils an einer Gemeinschaftspraxis bieten sollen.7

30.193 Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass sich der Wert einer Praxis unter der Annahme ihrer Fortführung nach dem Substanzwert (materieller Praxiswert) und dem ideellen Wert (immaterieller Praxiswert) richte. Anzuwenden sei das kombinierte Substanz- und Ertragswertverfahren, letzteres zur Ermittlung des Goodwill.8

30.194 Der Substanzwert ergebe sich aus den Anschaffungs- und Herstellungskosten (Marktwerten) für jedes einzelne Wirtschaftsgut der Praxis.9 Der nachhaltig personengebundene und vom gewerblichen Firmenwert zu unterscheidende ideelle Wert einer Arztpraxis, verstanden als Chance, die eingeführte Arztpraxis mit ihrem Patienten- oder Überweiserstamm wirtschaftlich erfolgreich fortzuführen, sei ertragswertorientiert zu ermitteln unter Berücksichti1 2 3 4 5 6 7 8 9

BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (10). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (10). BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (10). Kuckenburg, FF 2018, 359 (360). BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 ff. BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A4). BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A4). BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A4). BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A4 f.).

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Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.199 § 30

gung der Umsatz- und Kostenstruktur sowie eines alternativen Arztgehaltes.1 Ausgangspunkt sei ein bereinigter Umsatz der vergangenen drei Jahre vor dem Stichtag, der vereinfacht wie folgt ermittelt wird: Übertragbarer Umsatz (3 Jahre vor dem Stichtag) - übertragbare Kosten = übertragbarer Gewinn - alternatives Arztgehalt = nachhaltig erzielbarer Gewinn × Prognosemultiplikator = ideeller Wert (Goodwill) Aus dem übertragbaren Umsatz seien personengebundene Leistungen des Praxisinhabers (Gutachtertätigkeit u.a.) herauszurechnen. Aus den bereinigten Jahresumsätzen sei der durchschnittliche übertragbare Umsatz zu generieren.2 Bei der Ermittlung der übertragbaren Kosten seien angemessene kalkulatorische Gehälter sowie ggf. die Miete für Praxisräume, die im Eigentum des Arbeitgebers stehen, zu berücksichtigen.3

30.195

Von dem übertragbaren Gewinn sei ein Arztgehalt mit einem Ausgangswert für das Jahr 2008 i.H.v. 76.000,00 Euro anzusetzen. Ab übertragbaren Umsätzen von 40.000,00 Euro bis 240.000,00 Euro seien Prozentsätze zwischen 20 % und 100 % des Ausgangswertes i.H.v. 76.000,00 Euro abzusetzen.4 Der nach Abzug des Arztgehalts verbleibende Betrag sei der potentiell übertragbare Goodwill.

30.196

Der ideelle Wert sei mithilfe des Prognosemultiplikators anhand der Anzahl der Jahre übertragbarer Patientenbindung zu ermitteln. Für Einzelpraxen sei in der Regel davon auszugehen, dass sich der ideelle Wert innerhalb von zwei Jahren verflüchtige.5 Der ideelle Wert könne sich aufgrund wertbeeinflussender Faktoren wie die Ortslage der Praxis, die Betriebsstruktur, die Arztdichte u.a. um 20 % erhöhen oder senken.6

30.197

Die BÄK-Bewertungshinweise werden im Grundsatz auf Berufsausübungsgemeinschaften mit mehreren Gesellschaftern erweitert. Der Prognosemultiplikator wird im Hinblick auf eine stärkere Patientenbindung einer Gemeinschaftspraxis leicht auf 2,5 Jahre erhöht.7

30.198

e) Handwerker – Bewertungshinweise ZdH/AHW Die recht ausführlichen AWH-Bewertungshinweise favorisieren ein Ertragswertverfahren mit spezifischen Anpassungen an die Verhältnisse handwerklicher Unternehmen, die mehr als ein Viertel des gesamten Unternehmensbestands in Deutschland repräsentieren.8

1 2 3 4 5 6 7 8

BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A5). BÄK-Bewertungshinweise 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4, A5. BÄK-Bewertungshinweise 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4, A5. BÄK-Bewertungshinweise 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4, A5. BÄK-Bewertungshinweise 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4, A5. BÄK-Bewertungshinweise 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4, A5. BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A6). Vgl. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 6 (abrufbar im Internet unter www. zdh./daten-fakten/kennzahlen-des-handwerks.html, 2017.

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30.199

§ 30 Rz. 30.200

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.200 Die AWH-Bewertungshinweise definieren zunächst zahlreiche Begriffe und Anforderungen an Bewertungsgutachten. Nach der Selbsteinschätzung sind Unternehmensbewertungen nach dem AWH-Standard zitierfähig und überprüfungssicher.1 Betont wird ausdrücklich, dass der Aufwand für die Bewertung von handwerklichen Unternehmen begrenzt sein müsse.2

30.201 Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die unveränderte Anwendung des IDW-Standards IDW S 1 auf handwerkliche Unternehmen oft nicht zu brauchbaren Ergebnissen führt.3 Der Substanzwert könne relevant werden, wenn der überwiegende Anteil des Unternehmensvermögens aus Immobilien und Anlagen bestehe oder falls der Ertragswert des Unternehmens kleiner als der Substanzwert oder negativ sei.4 Der Liquidationswert des Unternehmens sei bei nachhaltig unrentablen Unternehmen anzusetzen und stelle die absolute Wertuntergrenze dar.5

30.202 Mit dem AWH-Standard werde kein Marktpreis ermittelt, sondern ein Unternehmenswert, der Grundlage für Kauf- und Verkaufsverhandlungen sein könne. Der Marktwert (= Marktpreis) des Unternehmens ergebe sich letztlich aus Angebot und Nachfrage.6

30.203 Die empfohlene AWH-Ertragswertmethode wird als gesamtheitliche Bewertungsmethode bezeichnet unter Einbeziehung des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sowie der betriebsnotwendigen Waren- und Materialbestände.7 Allerdings werden Betriebsgrundstücke und Gebäude ausgenommen und über kalkulatorische Kosten erfasst.8 Ferner wird unterstellt, dass beim Übergang von Einzelunternehmen und Personengesellschaften nur die Vermögenswerte übernommen werden und die Schulden im Normalfall beim Übergeber verbleiben. Für den Fall der Übernahme von langfristigen Verbindlichkeiten werden diese vom ermittelten Ertragswert abgezogen. Bei der Übernahme kurzfristiger Schulden werden gleichzeitig die dann meistens mitübernommenen Forderungen und sonstigen Aktiva, die über das betriebsnotwendige Anlagevermögen bzw. den Waren- und Materialbestand hinausgehen, zum Ertragswert addiert.9

30.204 Ausgehend von der Prämisse, dass es im Handwerk häufig keine fundierte Unternehmensplanung gibt, schlägt der AWH-Standard vor, den Ertragswert durch die Projektion der bereinigten Vergangenheitsergebnisse auf der Grundlage der Gewinn- und Verlustrechnung nach Bereinigung um außerordentliche und einmalige Einflüsse in den Aufwendungen und Erträgen in die Zukunft fortzuschreiben.10

30.205 Die Vorgehensweise zur Unternehmensbewertung wird im AWH-Standard in zehn Schritten sehr detailliert erläutert.11 Zu bewerten sind danach insbesondere – die Aktiva (Erfassung der Buchwerte, Zeitwerte und der Restnutzungsdauer aller Vermögensgegenstände; Schritt 3);

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 6. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 5. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 15. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 15. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 16. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 16. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 9. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 9. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 10. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 15. ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 20 ff.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.208 § 30

– die Passiva (Bewertung des Kapitals und der Verbindlichkeiten; Schritt 4); – die Gewinn- und Verlustrechnungen der letzten vier Geschäftsjahre (Schritt 5); – die Berechnung der kalkulatorischen Kosten (Unternehmerlohn, Zinsen, Miete, Abschreibungen; Schritt 6); – die Korrektur der steuerlichen Bewertung mit kalkulatorisch und betriebswirtschaftlich richtigen Ansätzen (Geschäftsführergehalt, Ehegattenunterhalt, Gehälter Familienangehöriger, überhöhter Kfz-Aufwand u.a.; Schritt 7); – die Erfolgsprognose (Schritt 8); – der Kapitalisierungszinssatz (Basiszins, Risikozuschlag, Zuschlag Inhaberabhängigkeit) (Schritt 9); – Ertragswert nach Steuern und Kapitalisierungszinssatz (Schritt 10). Für die Schätzung des Kapitalisierungszinssatzes wird ein Kategoriensystem mit Risikozuschlägen von 6-10 % (Kategorie 1) bis zu 26–30 % (Kategorie 5) vorgeschlagen.1 Für Handwerksbetriebe werden die Kategorien 4 (21–25 %) oder 5 (26–30 %) für anwendbar gehalten.2

30.206

Der pragmatische AWH-Standard wird von der BStBK und dem IDW als vereinfachtes Preisfindungsverfahren klassifiziert.3 Im Schrifttum wird das AWH-Verfahren als fehlerhaft bezeichnet.4 Nach der Aussage von Befürwortern des AWH-Standards zeigten interne (unveröffentlichte) Statistiken des ZDH aus den Jahren 2008 und 2015, dass der AWH-Standard in der Lage sei, einen marktgerechten Verkehrswert zu ermitteln.5

30.207

VII. Eignung der Bewertungsverfahren für das gerichtliche Verfahren Die Unternehmensbewertung für KMU in zivilrechtlichen Streitigkeiten ist kasuistisch geprägt. Die von der Bewertungstheorie6 und der Bewertungspraxis7 präferierten Kapitalwertmodelle werden auch für KMU-bezogene Streitigkeiten grundsätzlich anerkannt.8

1 ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 36. Die verwendeten Risikokategorien bei der Bewertung von KMU gehen zurück auf Behringer, Unternehmensbewertung der Klein- und Mittelbetriebe, 1999, S. 152. 2 ZdH/AWH-Bewertungshinweise Handwerker 2016, S. 36. 3 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 58, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; BStBK-Bewertungshinweise KMU 2014, Rz. 58. 4 Buchner/Friedl, DStR 2017, 1775 (1780). 5 Schempp, S. 62 ff.; zu den empirischen Befunden; Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1350). 6 Böcking/Nowak, Rz. 4.1 ff.; Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 55 ff. 7 IDW S 1 (2008), Rz. 101 ff., WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 8 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 21 ff. = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 131/13, juris-Rz. 62 ff.

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30.208

§ 30 Rz. 30.209

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.209 Dennoch werden die Bewertungsverfahren KMU-spezifisch ausgewählt, wobei die Entscheidung über die Bewertungsmethode in der Regel schon vom Sachverständigen getroffen und vom Tatrichter übernommen wird (vgl. dazu Rz. 34.20 ff.). Zur Anwendung kommen im Einzelfall auch an sich überholte Bewertungsansätze wie das Substanzwertverfahren, das Umsatzverfahren und pragmatische Mischverfahren (branchentypische Verfahren oder modifiziertes Ertragswertverfahren). 1. Problematische Mischbewertungen

30.210 Bei der gerichtlich veranlassten Unternehmensbewertung von KMU finden vereinzelt Kombinationen aus Substanz-, Ertrags- und Liquidationswerten Anwendung, was problematisch ist.1 Für die Unternehmensbewertung gilt der Grundsatz der Bewertungseinheit.2 Die Ertragswertmethode ist ein Gesamtbewertungsverfahren, das eine Einzelbewertung von betriebsnotwendigen Vermögensgegenständen nach Substanz- oder Liquidationswerten ausschließt.3 Die Substanz trägt zur Erzielung der Erträge bei. Unternehmensgewinne ohne Substanz sind nicht vorstellbar. Die Substanz verbraucht sich im Zeitablauf. Eine Vermischung von Substanz- und Ertragswerten führt zwangsläufig zu Wertverzerrungen.4

30.211 In diesen Zusammenhang gehört auch diejenige Fallgestaltung, dass Substanzwerte anstelle von Liquidationswerten in den Unternehmenswert einfließen.5 Im Hinblick auf die unterschiedliche Berechnung der vorgenannten Werte ist eine methodensaubere Trennung zwischen Substanz-, Ertrags- und Liquidationswerten erforderlich. 2. Eignung des Ertragswertverfahrens gemäß IDW S 1

30.212 Nach der ständigen Rechtsprechung eignet sich das in der Betriebswirtschaftslehre und Bewertungspraxis anerkannte Ertragswertverfahren grundsätzlich auch für KMU.6 Vielfach wird ohne nähere Begründung das objektivierte Ertragswertverfahren gemäß IDW S1 (ausführlich Rz. 3.1 ff.) angewendet.

1 OLG Koblenz v. 13.7.2001 – 11 UF 248/00, juris; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 63 = BGHZ 188, 249, mit der Abgrenzung Substanzwert und Ertragswert nach Umsatzmultiplikatoren. 2 Peemöller in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 34 f. 3 Vgl. BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 15 = NJW-RR 2005, 153. Dort wurde die gesonderte Verkehrsbewertung einer betriebsnotwendigen Werkhalle und die Ertragsbewertung des Betriebs im Übrigen zu Recht beanstandet; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 17 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 4 Hüttemann, Rz. 1.58 m.w.N.; BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 27 = NJW-RR 2016, 1217. 5 Vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 772, mit zahlreichen Beispielen einer synonymen Verwendung der Begriffe in der Rechtsprechung. 6 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 17 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 34 = NJW-RR 2016, 1217; BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 35 = NJW 2014, 294; BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 9 = NJW-RR 2005, 153; OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 41 = FamRZ 2009, 2006; OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 131/13, juris-Rz. 61 ff.; IDW S 1 (2008), WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 3, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; WP-Handbuch, Bd. II, 2014, S. 154, Rz. 425: Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 839; Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30, 35.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.216 § 30

Im Rahmen der Ertragswertmethode wird die Summe aller zukünftigen Erträge des unbe- 30.213 grenzt fortgeführten Unternehmens ermittelt (Zukunftserfolgswert), und zwar durch eine Rückschau auf die Erträge des Unternehmens in den letzten Jahren. Auf dieser Grundlage wird eine Prognose zur Ertragslage der nächsten Jahre erstellt. Die zukünftigen Erträge werden auf den Bewertungsstichtag kapitalisiert.1 Damit wird das Unternehmen in seiner Gesamtheit bewertet. Der Wert der einzelnen Gegenstände ist ohne Bedeutung.2 In besonderen Bewertungssituationen soll eine Begrenzung des Ergebnishorizonts in Betracht kommen.3 Die Eignung der Ertragswertmethode für KMU wird in der Literatur in Frage gestellt.4 In der Praxis meiden KMU häufig IDW S 1-Ertragsgutachten, weil diese aufwendig, teuer und für KMU auch schwer nachvollziehbar sind.5 Zudem führen sie in der Regel nicht zu realistischen Preisen bzw. Verkehrswerten.6

30.214

Für inhabergeführte KMU, insbesondere für freiberufliche Praxen, bei denen die Ertragswertprognose kaum von dem bisherigen Inhaber getrennt werden kann, wird die reine Ertragswertmethode von der herrschenden Meinung ohnehin nicht angewendet.7 Das dürfte für das Gros der KMU (80 % Mikrounternehmen) gelten. Allerdings gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass das auf alle inhabergeführten KMU zutrifft.8 Bspw. wurden die persönlichen Ertragsmerkmale bei einem Maschinenbauunternehmen nicht unterstellt.9

30.215

Die Anwendung der vorherrschenden Ertragswertmethode auf KMU kann aufgrund ihrer 30.216 zahlreichen inhaber-, größen- und risikobezogenen Eigenheiten10 schwieriger sein als eine Bewertung eines Großunternehmens in Spruchverfahren.11 Zusätzlich kann die Validität der Ergebnisse deutlich herabgesetzt sein. Zahlreiche KMU-Aspekte werden nicht anhand von Marktdaten abgeleitet und sind auch ansonsten nicht messbar, z.B. Inhaberleistungen bzgl. kalkulatorischer Löhne bzw. Abschmelzungen, Diversifikation, Größe, Fungibilität, latente

1 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 17 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 34 = NJW-RR 2016, 1217. 2 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 17 und Rz. 40 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61 (mit fünffacher Gewichtung); BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 42 = NJW-RR 2016, 1217, Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1912). 3 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37 = NJW 2014, 294, bezüglich des Standortrisikos. Richtigerweise handelt es sich insoweit aber um Standortrisiken, die nicht den Ergebnishorizont begrenzen, sondern in eine Szenariobetrachtung eingehen sollten. 4 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1005; Rohde, DStR 2016, 1566 ff.; kritisch auch Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 245. Vgl. auch BFH v. 6.2.1991 – II R 87/88, juris-Rz. 13 = BFHE 163, 471, BStBl. II 1991, 459 Rz. 13, wonach die Ertragswertmethode für die Bewertung eines Großteils mittlerer und kleinerer Unternehmen praktisch nicht anwendbar ist. 5 Rohde, DStR 2016, 1566 ff. 6 Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 245. Siehe dazu auch Rz. 30.43. 7 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 10 = NJW-RR 2005, 153; BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, juris-Rz. 12 = NJW 1991, 1547; Frielingsdorf, NZFam 2015, 200 (201). 8 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 10 = NJW-RR 2005, 153. 9 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 10 = NJW-RR 2005, 153. 10 Siehe Rz. 30.16. 11 Nach Rohde, DStR 2016, 1566 (1566); Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117 (117), weist darauf hin „Bewerten heißt vergleichen. Die Besonderheit der Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen ist, dass dieser Vergleich besonders schwerfällt.“; Peemöller, BB 2014, 1963 (1964).

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§ 30 Rz. 30.216

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

Ertragsteuer/TAB usw. Es handelt sich um frei gegriffene Schätzungen. Hinzu kommen die zusätzlichen Schätzungsunsicherheiten aufgrund von Vermögensvermischungen (Privat- und Betriebssphäre), unzureichenden Planungsrechnungen, Rechnungslegungsunterlagen, Eigenkapitalkosten usw.1 Durch die für KMU erforderliche zusätzliche Parametrisierung der Ertragswertmethode steigt die Gefahr, dass sich die ermittelten Werte noch weiter von der Marktwirklichkeit bzw. einem realen Vermögensstatus entfernen.

30.217 Die gelegentlich von Gerichten akzeptierte Interpolation der Planung ausschließlich auf der Basis von Vergangenheitsergebnissen2 stellt die Bewertung insgesamt infrage.3 Die Vergangenheit generiert keine Werte.4 Im streitigen Verfahren müssen Planungsdaten von den Parteien präsentiert werden, ggf. unter Anleitung und mit der Unterstützung eines Sachverständigen.5

30.218 Hinzu kommt, dass die Ertragsbewertung von KMU nicht selten zu negativen Ertragswerten führt.6 Das kann viele Gründe haben. Es kann Unternehmen der Daseinsvorsorge7, junge Unternehmen8 und solche mit starker Inhaberprägung betreffen.9 Bei negativer Fortführungsprognose führt auch die insofern entwertete Substanz nicht zu einer vertretbaren Lösung, da ein Erwerb einer ertraglosen Substanz zu Verkehrswerten nicht unterstellt werden kann.10 Das führt dazu, dass eine beachtliche Anzahl von KMU nur nach Liquidationswerten unter Abzug von Kosten und ggf. Steuern bewertet werden könnte. Dabei sind auch negative Liquidationswerte11 möglich. Das alles steht in Widerspruch dazu, dass auch solche KMU veräußerlich sind und deshalb sogar zu Substanzwerten taxiert werden.12

30.219 Im Hinblick auf das Bewertungsziel – Verkehrswerts des Unternehmens13 – ist auch im Blick zu behalten, dass die objektivierte Ertragswertmethode gemäß IDW S 1 definitionsge-

1 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1003 ff. 2 Vgl. OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 37. Dort war die Planung dem Sachverständigen nicht möglich. Die nachhaltigen Vergangenheitsergebnisse wurden als „verlässliche Zukunftsprognose“ erachtet. 3 Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (136); Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161 (163); Moxter, BB 1995, 1518 (1519). 4 Schmalenbach, ZfhF 1918, 1 ff. („Für das Vergangene gibt der Kaufmann nichts!“). 5 Zwirner/Zimny, Board 2015, 135 (136). Siehe dazu auch oben Rz. 30.126. 6 BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, juris-Rz. 8 = NJW 1982, 2441; OLG München v. 21.11.2007 – 20 U 3241/07, juris-Rz. 25 ff.; OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 21/14, juris-Rz. 70 (Wohnungsbauunternehmen); OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 131/13, juris; OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 51. 7 OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 21/14, juris-Rz. 70. 8 OLG München v. 21.11.2007 – 20 U 3241/07, juris-Rz. 25. 9 OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 51 (Ausscheiden des Know How-Trägers); OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 53 = FamRZ 2009, 2006. Der geringe Ertrag wurde durch den kalkulatorischen Unternehmerlohn mehr als aufgezehrt. 10 BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, juris, Rz. 8. 11 Vgl. IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 54, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.; OLG Frankfurt v. 14.4.2009 – 2 UF 273/08, juris-Rz. 44; OLG Hamm v. 11.7.2012 – 8 U 192/08, juris-Rz. 71. 12 Anschaulich OLG München v. 21.11.2007 – 20 U 3241/07, juris-Rz. 25 ff.; OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 131/13, juris-Rz. 49 ff., für den Fall der Fortführung des Unternehmens. 13 Siehe dazu Rz. 30.31.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.222 § 30

mäß weder Verkehrswerte ermittelt1 noch sich ihnen in idealer Weise annähert. Hinzu kommt, diese Methode von Marktteilnehmern ganz überwiegend nicht angewendet wird und Verkaufspreise in der Praxis damit nicht übereinstimmen.2 Wünschenswert wäre, dass sich der BGH mit der Frage auseinandersetzt, ob die objektivierte Ertragswertmethode gemäß IDW S 1 für KMU einen realistischen Vermögensstatus abbildet. 3. Eignung des modifizierten Ertragswertverfahrens Der BGH billigt und favorisiert im Bereich des Zugewinnausgleichs und des Pflichtteilsausgleichs für die Bewertung des auf Dritte übertragbaren Geschäftswerts/Goodwills freiberuflicher Praxen oder inhaberbezogener KMU das modifizierte Ertragswertverfahren (ausführlich Rz. 26.49 ff.).3 Im Kern werden beim modifizierten Ertragswertverfahren die durchschnittlichen Jahresüberschüsse der Vergangenheit in einen zeitlich begrenzten Ergebnishorizont überführt und diese abzüglich eines nach den individuellen Verhältnissen generierten Unternehmerlohns auf den Stichtag kapitalisiert.4

30.220

Klarzustellen ist, dass das modifizierte Ertragswertverfahren nicht zur Gesamtbewertung von KMU eingesetzt wird. Vielmehr wird damit der über den Substanzwert der KMU hinausgehende Wert des übertragbaren Goodwill ermittelt.5 Der mit dem modifizierten Ertragswertverfahren projizierte Goodwill ergibt sich aus den immateriellen Faktoren wie Mitarbeiterstamm, Standortvorteile, Mandantenstamm, Konkurrenzsituation und ähnlichen Faktoren, die regelmäßig auf einen Nachfolger übertragbar sind.6 Der übertragbare Goodwill ist von dem nicht übertragbaren personengebundenen Goodwill, wie z.B. Ansehen und Beruf des bisherigen Praxisinhabers, abzugrenzen.7 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch vom modifizierten Umsatzverfahren gesprochen.8

30.221

Die bereichsspezifische Anwendung der modifizierten Ertragswertmethode für freiberufliche Praxen im Zugewinn- und Pflichtteilsausgleich ist inzwischen auch für gewerbliche Unternehmen in Betracht gezogen worden.9 Die Bedeutung der modifizierten Ertragswertmethode

30.222

1 Siehe dazu Rz. 30.43. 2 Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 245. 3 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, juris-Rz. 9 = FamRZ 2018, 174 (modifizierte Ertragswertmethode generell vorzugswürdig); BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 28 = BGHZ 188, 249 Rz. 17; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 20 ff. = BGHZ 188, 282; BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37; vgl. auch OLG Hamm v. 15.1.2009 – 1 UF 119/07, juris-Rz. 26. 4 Siehe das Berechnungsbeispiel bei BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 19 = BGHZ 188, 249; ferner OLG Hamm v. 15.1.2009 – 1 UF 119/07, juris 26. 5 BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, juris-Rz. 9 = FamRZ 2018, 174; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 20 ff. = BGHZ 188, 282. 6 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 29 = BGHZ 188, 249; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 25 = BGHZ 188, 282. 7 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 29 = BGHZ 188, 249; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 25 = BGHZ 188, 282. 8 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 27 ff. 9 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37 = NJW 2014, 294 (Sanitätshaus); BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 20 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61 (ehemals als GbR tätiges Software-Unternehmen); BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 9 = NJW-RR 2005, 153 (Maschinenbauunternehmen).

Lauber 1093

§ 30 Rz. 30.222

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

als vereinfachendes Kapitalwertmodell für inhaberbezogene KMU kann daran ermessen werden, dass ca. 1/3 aller KMU den freien Berufen zuzurechnen und ca. 88 % aller Unternehmen weitgehend inhabergeprägte Mikrounternehmen sind (s. Rz. 30.9). Nach empirischen Untersuchungen im Jahr 2010 haben bereits 80 % der Sachverständigen die modifizierte Ertragswertmethode angewendet.1 Selbst das IDW hat sich mit dem Bewertungsstandard IDW S 13 dieser Dominanz gebeugt (s. dazu Rz. 30.157). Die modifizierte Ertragswertmethode ist auch in anderen Rechtsgebieten adaptiert worden, z.B. im Sozialrecht2 oder Umwandlungsrecht.3

30.223 Die Instanzgerichte4 und das Schrifttum5 haben sich ganz überwiegend angeschlossen. Kritik an dem modifizierten Ertragswertverfahren kommt von Bewertungspraktikern. Sie bemängeln ebenso wie das IDW6, dass es sich insoweit nicht um ein klares und eigenständiges Bewertungsverfahren handelt.7 Beanstandet wird insbesondere die unbesehene Übernahme von Vergangenheitsergebnissen als Ausgangsgrößen. Auch finde entgegen IDW S 1 eine Kombination aus dem ermittelten Ertragswert und der betrieblichen Substanz statt.8 a) Voraussetzungen und Merkmale der modifizierten Ertragswertmethode

30.224 Die wesentlichen Aspekte der modifizierten Ertragswertmethode sind: – Gewinne lassen sich nicht oder kaum vom derzeitigen Inhaber trennen;9 – Gewinnermittlung auf der Basis von Vergangenheitserträgen;10 in der Regel können die letzten drei bis fünf Jahre mit einer Gewichtung der jüngeren Erträge zugrunde gelegt werden;11 – Korrekturen um weitere Posten, ggf. Zinsaufwendungen;12 – Abzug eines Unternehmerlohns, der den individuellen Verhältnissen des Praxisinhabers entspricht; der Unternehmerlohn hat insbesondere der beruflichen Erfahrung und der unternehmerischen Verantwortung Rechnung zu tragen sowie die Kosten einer angemessenen

1 Ohrmann, Die praktische Anwendung der verschiedenen Bewertungsmethoden, 2010, Ziff. 2. g. 2 BSG v. 14.12.2011 – B 6 KA 39/10 R, juris-Rz. 22 = BSGE 110, 34. 3 OLG Rostock v. 19.5.2016 – 1 W 4/15, juris-Rz. 13 ff.; OLG Frankfurt v. 19.3.2015 – 20 W 160/13, juris-Rz. 35. 4 OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 33; OLG Oldenburg v. 16.12.2014 – 9 U 22/10, juris-Rz. 41 (Abfindung § 738 BGB); OLG Hamm v. 17.10.2008, II-10 UF 162/07, juris-Rz. 52 ff. 5 Mayer-Klenk/Borth, FamRZ 2012, 1923 (1928); Stabenow/Czubayko, FamRZ 2012, 682 (685); Kuckenburg, NZFam 2015, 390 (393); Koch, FamRZ 2018, 1469 (1471); Frielingsdorf, NZFam 2016, 1090 (1091); Frielingsdorf, NZFam 2015, 200 (201). 6 IDW S 13, Rz. 10, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. 7 IDW S 13, Rz. 10, IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 (1916). 8 Kuckenburg, FuR 2014, 693. 9 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 10 = NJW-RR 2005, 153; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 10 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 47 ff. = BGHZ 188, 249; OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 34. 11 BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, juris-Rz. 9 = FamRZ 2018, 174 m.w.N.; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 17 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 12 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 19 = BGHZ 188, 249.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.227 § 30

sozialen Absicherung zu berücksichtigen;1 Berücksichtigung auch nicht unternehmensleitender Tätigkeiten des Unternehmers;2 – Auszuscheiden ist generell – unabhängig von der Doppelverwertungsproblematik beim Zugewinn – der auf den derzeitigen Inhaber bezogene Wert, der auf dessen persönlichem Einsatz beruht und nicht auf den potenziellen Erwerber übertragbar ist;3 – Begrenzte Lebensdauer der Praxis des Unternehmens im Hinblick auf die Abnahme der Erfolgsfaktoren im zeitlichen Verlauf bzw. auf die Möglichkeit zur Nachahmung eines vergleichbaren Unternehmens;4 – Abzug der latenten Ertragsteuer auf den Gesamtwert. Zur Veranschaulichung der Vorgehensweise kann beispielhaft auf Ablaufdiagramme5 und auf weiterführende Literatur verwiesen werden.6

30.225

b) Stellungnahme zur modifizierten Ertragswertmethode Zutreffend ist die Feststellung, dass das modifizierte Ertragswertverfahren kein eigenständiges Bewertungsverfahren ist.7 Es handelt sich um eine vereinfachte Investitionsrechnung und muss damit ebenfalls als Praktikerverfahren eingestuft werden, das gegenüber den ansonsten gebräuchlichen Praktikerverfahren nicht vorzugswürdig ist. Es handelt sich um eine angreifbare Vereinfachung für inhaberbezogene KMU im Rahmen von § 287 ZPO. Die Schätzung eines objektiven Unternehmenswerts in Form des modifizierten Ertragswerts widerspricht den Erkenntnissen der Bewertungstheorie und der Bewertungspraxis.

30.226

Es ist schon nicht erkennbar, warum sich der Wert einzelner immaterieller Werttreiber (Goodwill) nach den Gesamterträgen des Unternehmens richten sollte. Des Weiteren verstößt die Mischbewertung nach Substanzwerten und Goodwill-Ertragswerten gegen den völlig unstreitigen Grundsatz der Bewertungseinheit.8 Betriebsnotwendige Einzelwerte können nicht separiert und addiert werden. Der Abzug des übertragbaren substanzbedingten Ertrags ist im Modell nicht vorgesehen.

30.227

1 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 29 ff. = BGHZ 188, 249; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 20 ff. = BGHZ 188, 282; BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 62 = NJWRR 2016, 1217. 2 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 15 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61. 3 BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, juris-Rz. 18 = AG 2018, 439 = NJW 2018, 61; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 32, BGHZ 188, 249. 4 BGH v. 6.11.2013 – XII ZB 434/12, juris-Rz. 37 = NJW 2014, 294. 5 Vgl. z. B. IDW S 13, WPg 2016, S. 930; vgl. ferner beispielhaft Klock & Küchler, SachverständigenSozietät, Bamberg, www.klock-kuechler.de, zu den Grundsätzen der Bewertung von Arztpraxen, Erläuterungen zu den Bewertungen nach dem modifizierten Ertragswertverfahren. 6 Ballhorn/König, NJW 2018, 1911 ff. Vgl. ferner die Nachweise zu Rz. 30.223 Fn. 6. 7 IDW S 13, Rz. 10, IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 273. Zur Kritik generell: Friebe/Beusker, PFB 2012, 244 ff. 8 Kuckenburg, FuR 2014, 693 (693); Friebe/Beusker, PFB 2012, 244 ff. Zum Grundsatz der Bewertungseinheit vgl. Ballwieser, Unternehmensbewertung 3. Aufl. 2011, S. 9; Peemöller in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 34 f.; Konold/Schweizer, DStR 2017, 511 (515).

Lauber 1095

§ 30 Rz. 30.228

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.228 Darüber hinaus verletzt die modifizierte Ertragswertmethode den unstreitigen Grundsatz der Zukunftsbezogenheit1 der Unternehmensbewertung bzw. -bepreisung. Die Verwendung von Vergangenheitsergebnissen ließe sich nur halten, wenn für freiberufliche Praxen bzw. KMU eine Ergebniskonstanz unter dem neuen Inhaber der KMU festgestellt würde. Ansonsten ist sie fehlerhaft.2

30.229 Des Weiteren ist der undifferenzierte und vergangenheitsbezogene Ansatz des BGH zum Abzug eines individuellen Unternehmerlohns angreifbar. Nach eigener Einschätzung des BGH3 ist der Abzug des individuellen Unternehmerlohns im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot im Zugewinnausgleich4 nicht zwingend geboten. In Übereinstimmung mit dem IDW S 13 müsste zunächst zwischen dem kalkulatorischen Unternehmerlohn als Aufwandsposten und dem nicht bzw. zeitlich begrenzt übertragbaren Goodwill differenziert werden. Der Unternehmerlohn als Aufwandsposten kann dann aber nicht vergangenheitsorientiert und individualisiert nach den Vergangenheitsverhältnissen ermittelt werden. Denn wenn der Goodwill als ein Bündel der generierten immateriellen Werte einen eigenen Marktwert hat,5 der übertragbar ist, dürfte der Bestand dieser Werte unabhängig davon sein, welchen Aufwand der bisherige Inhaber dafür in der Vergangenheit geleistet hat. Insofern interessiert nur der erforderliche Aufwand in der Zukunft zur Realisierung des übertragenen Goodwill.

30.230 Unabhängig davon ist die Konkretisierung nicht übertragbarer Ertragsteile ein nicht gelöstes Problem. Dabei geht es um die elementare Frage der Übertragung der Ertragskraft. Selbst wenn die Abgrenzung vom Unternehmerlohn (messbare Größen wie Qualifikation) zu dem nicht übertragbaren Goodwill (nicht messbare Größen wie Ansehen u.a.) gelingt, sind die zahlreichen Kriterien aus dem subjektiven Bereich des Praxisinhabers nicht quantifizieroder berechenbar. Das eröffnet weite und letztlich nicht prüfbare Bewertungsspielräume.6 Das stimmt überein mit empirischen Befunden, wonach die Quantifizierung der personenbezogenen Erfolgsfaktoren als größtes Problem bezeichnet wurde.7 Kontraindiziert ist auch der damit verbundene erhebliche Aufwand zur Erfassung und Abgrenzung (Doppelerfassung) der Erfolgsfaktoren.

30.231 Selbst wenn die Identifizierung der personenbezogenen Erfolgsmerkmale gelingt, ist die Schätzung des Ergebnishorizontes bzw. der jeweiligen Abschmelzungszeiträume hinsichtlich der übertragbaren Ertragsanteile nicht trivial8, worauf auch die IDW-Verlautbarungen 1 Vgl. zum Grundsatz der Zukunftsbezogenheit: Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1002. 2 IDW S 13, Rz. 10, IDW Life 7/2016, S. 574 ff.; Ballhorn/König, NJW 2018 1911 (1915 ff.). 3 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 32 = BGHZ 188, 249. 4 Vgl. dazu BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 15 ff. = BGHZ 175, 207; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 31 ff. = BGHZ 188, 282. 5 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 25 = BGHZ 188, 282; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, juris-Rz. 21 = NJW 1999, 784; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 258 ff. 6 Stabenow/Czubayko, FamRZ 2012, 682 (685), mit der berechtigten Frage, wie ein Sachverständiger zwischen der Leistungsbereitschaft des einen oder anderen Arztes unterscheiden soll? Wie soll er den zeitlichen, schwer messbaren – vielleicht ineffektiven – Arbeitseinsatz prüfen? Welche soziale Absicherung soll „angemessen“ sein? Wie werden Spezialkenntnisse – die Fachärzte in der Regel haben – quantifiziert? 7 Ohrmann, Die praktische Anwendung der verschiedenen Bewertungsmethoden, 2010, Ziff. 2. k. 8 Peemöller, BB 2014, 1963 (1965) („Diese Abschmelzraten sind nach Branchen und Unternehmen unterschiedlich. Die Bestimmung dieses Verlaufs stellt den Bewerter vor neue Herausforderungen und birgt Konfliktpotenzial.“).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.233 § 30

hindeuten.1 Denn auch diese Faktoren sind nicht messbar, es können insoweit nur Vermutungen angestellt werden.2 Es bestehen wiederum erhebliche Ermessensspielräume.3 Praktische Hinweise für die Umsetzung fehlen bislang.4 Hier sind die Umstände des Einzelfalls – Vertragslaufzeiten, Produktlebenszyklen, Wettbewerbsumfeld u.a. – sowie das Branchenumfeld maßgebend.5 Die Lebensdauer bzw. die Abschmelzung des Goodwill unterliegt daher gutachterlicher Einschätzung. Steuerliche Abschreibungsregeln können Anhaltspunkte zur Ermittlung der Abschmelzungsdauer bieten.6 So liegen z.B. die steuerlichen Abschreibungszeiträume für Kundenbeziehungen in einer Bandbreite von drei bis sieben Jahren.7 Falls es branchenspezifische Erfahrungswerte zur Nachwirkung der Werttreiber des Goodwill gibt, sollten sie unbedingt genutzt werden.8 Zudem bestehen die gegen die unreflektierte Verwendung objektivierter Ertragswerte zur Verkehrswertermittlung formulierten Bedenken9 auch hinsichtlich der modifizierten Ertragswertmethode, obwohl teilweise behauptet wird, dass sich ein potentieller Käufer an diesem Bewertungsansatz ausrichten werde.10 Über die Schwächen der modifizierten Ertragswertmethode könnte hinweggesehen werden, wenn das Modell zumindest vom Ergebnis her einen Bezug zu marktgerechten Verkehrswerten hätte. Dafür finden sich jedoch keine Belege. Damit widerspricht auch die modifizierte Ertragswertmethode der rechtlichen Forderung nach der Zielerreichungsfähigkeit. Das betrifft die Rechtsfrage, ob die Methode geeignet ist, das Bewertungsziel – Verkehrswert des Unternehmens – zu erreichen.11

30.232

4. Eignung der Substanzwertmethode Der Substanzwert ist ein Gebrauchswert der betrieblichen Substanz12 bzw. ein Rekonstrukti- 30.233 onswert für den identischen Nachbau des Unternehmens (Maschinen, Grundstücke, Inventar usw.), auf der Grundlage von Wiederbeschaffungswerten (Rz. 1.57, Rz. 11.75 ff.).13 Das ist grundsätzlich ein Vollreproduktionswert, der auch immaterielle Güter wie die Marktstellung,

1 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 27, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. Vgl. ergänzend Friebe/Beusker, PFB 2012, 244 ff. 2 Frielingsdorf, NZFam 2015, 200 (201). 3 Thees/Sulek, BB 2018, 1963 (1967). 4 König/Möller, BB 2014, 983 (987). 5 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 30, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 6 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 31, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; König/Möller, BB 2014, 983 (985). 7 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 31, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 8 IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 30, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff., mit dem Hinweis auf das „Branchenumfeld“; König/Möller, BB 2014, 983 (985). 9 Siehe dazu Rz. 30.43. 10 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 20 = BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 8 = BGHZ 188, 282; OLG Hamm v. 17.10.2008 – II-10 UF 162/07, juris-Rz. 54. 11 BGH v. 12.1.2016 – II ZB 25/14, juris-Rz. 14 = BGHZ 208, 265 = AG 2016, 359; BGH v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, juris-Rz. 14 = NJW-RR 2016, 231 = AG 2016, 135. 12 IDW S 1 (2008), Rz. 170, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 13 Mayer-Klenk/Borth, FamRZ 2012, 1923 (1925); Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 10 ff.; IDW S 1 (2008), Rz. 170, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. (unter Einschluss „immaterieller Werte“); Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 203.

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§ 30 Rz. 30.233

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

Know-how, Unternehmensorganisation u. a. (Goodwill) einschließt.1 Bei diesem Verständnis ist der Substanzwert mit dem Verkehrswert der materiellen und immateriellen Vermögenswerte zu bemessen,2 der im Falle eines Unternehmensverkaufs auf den Rechtsnachfolger übergeht.3 Verbindlichkeiten sind abzuziehen.4 Im Grunde wird unterstellt, dass der zum Stichtag zu ermittelnde Wert eines Unternehmens jedenfalls den in diesem Zeitpunkt vorhandenen Substanzwert einschließt.5

30.234 Da immaterielle Werttreiber wie Know-how, Organisationsstruktur, Betriebsorganisation, Standortvorteile u.a. mangels Wiederbeschaffungswerten (Marktpreise) nicht zu bewerten sind, wird in der Praxis unter dem Substanzwert üblicherweise nur der Teilreproduktionswert6 verstanden als Zeitwert der selbstständig bewertbaren Einzelvermögenswerte abzüglich der Verbindlichkeiten.7

30.235 Anders als der Ertragswert macht der Substanzwert keine Aussage darüber, welche Erträge sich damit erwirtschaften lassen.8 Verbundeffekte und selbstgeschaffener (originärer) Geschäftsoder Firmenwert fehlen.9 Ein Investor wird ein lebendes Unternehmen, das keinen Gewinn erwarten lässt, zum vollen Substanzwert (Reproduktionswert) gar nicht erst kaufen.10

30.236 In der Rechtsprechung werden der Substanzwert und der Liquidationswert vereinzelt synonym verwendet.11 Der Substanzwert ist ein Fortführungswert, der Liquidationswert ist ein Zerschlagungswert (ausführlich § 9). Für Letzteren sind Schulden sowie Liquidationskosten und liquidationsbedingte Steuern abzuziehen,12 für den Substanzwert hingegen nicht.13 Aber

1 Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.41; Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 86 f. 2 IDW S 1 (2008), Rz. 170, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 3 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 21 = BGHZ 188, 282. 4 Mayer-Klenk/Borth, FamRZ 2012, 1923 (1925); Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 10; Franken/Schulte, Rz. 11.77; IDW S 1 (2008), Rz. 170, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 208 ff., mit Einzelheiten zu den berücksichtigungsfähigen Aktiva und Passiva. 5 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 21 = BGHZ 188, 282. 6 OLG München v. 3.12.2009 – 23 U 3904/07, juris-Rz. 49; Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.43; Mandl/ Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 87 f.; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 203; IDW S 1 (2008), Rz. 170, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 7 Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.19; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 53, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff. 8 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 27 = NJW-RR 2016, 1217; Hüttemann, Rz. 1.57, unter Hinweis auf Münstermann, Wert und Bewertung, 1966, S, 21 („Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts“); Mayer-Klenk/Borth, FamRZ 2012, 1923 (1925). 9 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 10, Franken/Schulte, Rz. 11.78; MayerKlenk/Borth, FamRZ 2012, 1923 (1926). 10 BGH, v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, juris-Rz. 8 = NJW 1982, 2441. 11 Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 772, mit zahlreichen Beispielen. 12 Fleischer, Rz. 9.15 m.w.N.; IDW S 1 (2008), Rz. 141, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 770 f. 13 IDW S 1 (2008), Rz. 170, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 770.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.238 § 30

auch bei einer Substanzbewertung wird neutrales Vermögen nach Liquidationswerten geschätzt (Rz. 11.77). Der Liquidationswert gilt als Untergrenze des Unternehmenswerts.1 Es besteht in der Bewertungstheorie und -praxis und auch in der Rechtsprechung Konsens, dass die Substanz an sich kein geeigneter Maßstab für die Unternehmensbewertung ist.2 Trotz theoretischer Vorbehalte hatte und hat der Substanzwert einen festen Platz bei KMU-Bewertungen.3 Dabei wird unterstellt, dass insbesondere personenbezogene KMU oft keinen Geschäftswert besitzen, der über die Summe der Sachwerte hinausgeht.4 Die Aspekte der vorgeleisteten Ausgaben für die Unternehmenssubstanz5 bzw. der Normalverzinsung in Höhe des Substanzwertes6 sind ebenfalls relevant. Zudem wird der Substanzwert als vermeintlicher Mindest-Fortführungswert, als Korrelationsfaktor zwischen Substanz und Ertrag (in beide Richtungen), als Hilfs- und Kontrollwert7, als stabilisierender, realer und manipulationsfreier Faktor8 und letztlich auch als stark vereinfachende und nachvollziehbare Heuristik9 auch in Zukunft aus der gerichtlichen KMU-Bewertung nicht zu verbannen sein.

30.237

a) Ausschließliche Bewertung nach Substanzwerten Der BGH hat wiederholt KMU ausschließlich nach Substanzwerten geschätzt, z.B. eine Han- 30.238 delsvertretung10, eine Bäckerei11 u.a. Das betrifft Fälle, in denen neben der Substanz ein Goodwill nicht übertragen wird bzw. übertragen werden kann, wie es bspw. für den Handelsvertreter12, eine Versicherungsagentur13 oder ein Notariat14 angenommen wurde.

1 Vgl. ausführlich Fleischer, Rz. 9.15 m.w.N.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 52, WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282; IDW S 1 (2008), Rz. 149 f., WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Ballhorn/König, FamRB 2017, 33 (43); Ballwieser/Franken/Ihlau et al., WPg 2014, 463 (472); Kuckenburg, NZFam 2015, 390 (393). 2 IDW S 1 (2008), Rz. 140, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 10; Franken/Schulte, Rz. 11.79; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 203. 3 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 21 = BGHZ 188, 282; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 203. 4 Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 204, 243. 5 Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 88. 6 Moxter, Unternehmensbewertung, 1991, S. 45. 7 Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 87. 8 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 47 = FamRZ 1995, 607. 9 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 45 = FamRZ 1995, 607; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 47, 245 („Soweit ersichtlich, hegen die potentiellen Käufer ein tiefes Misstrauen dagegen, dass sie in Zukunft aus dem Unternehmen die gleichen Erträge erzielen wie der Veräußerer.“). 10 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, juris-Rz. 21 ff. = FamRZ 1977, 386; BGH v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, juris-Rz. 17 ff. = NJW 2014, 625; OLG Stuttgart v. 2.5.1995 – 18 UF 362/94, jurisRz. 12 = FamRZ 1995, 1586. 11 BGH v. 23.11.1977 – IV ZR 131/76, juris-Rz. 17 = BGHZ 70, 224. 12 BGH v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, juris-Rz. 13 = NJW 2014, 625; BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, juris-Rz. 21 = FamRZ 1977, 386; OLG Stuttgart v. 2.5.1995 – 18 UF 362/94, juris-Rz. 12 = FamRZ 1995, 1586; Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 1376 BGB Rz. 23. 13 BGH v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, juris-Rz. 17 ff. = NJW 2014, 625; vgl. abweichend für Versicherungsmakler OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 44. 14 BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, juris-Rz. 26 = NJW 1999, 784.

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§ 30 Rz. 30.239

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

30.239 Das OLG Rostock hat in einer aktuellen Entscheidung zur Abfindung eines GmbH-Gesellschafters unter grundsätzlicher Anerkennung des Ertragswertverfahrens den Unternehmenswert eines ertraglosen Unternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge nach dem Substanzwert geschätzt (Rekonstruktionswert).1 In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des IDW S1 2008 zu Non Profit-Unternehmen2 wurde der Substanz- bzw. Rekonstruktionswert zugrunde gelegt, da die Leistungserbringung und nicht die Gewinnerzielung im Vordergrund stehe.3

30.240 Das OLG München hat ein junges Unternehmen (Fitnessstudio) weder nach dem negativen Ertragswert noch nach seinem Liquidationswert taxiert. Der negative Ertragswert sei aufgrund erhöhter Investitionen und verminderter Einnahmen in der Anfangsphase nicht nachhaltig. Der Liquidationswert wurde verworfen, da das Unternehmen fortgeführt wurde. Der Substanzwert wurde in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen für sachgerecht gehalten.4 b) Kombinierte Bewertungen mit Substanzwerten

30.241 Größere Bedeutung hat der Substanzwert bei Mischbewertungen, z.B. Bewertungen auf der Grundlage des Substanzwertes und des Goodwill.5 Das betrifft insbesondere freiberufliche Praxen, deren materielle Werte nach Substanzwerten und deren immaterielle Werte nach Ertragswerten in Form des modifizierten Ertragswertverfahrens6 oder auch des Umsatzverfahrens7 bestimmt werden.

30.242 Dabei wird ohne weiteres unterstellt, dass sich Substanz- und Ertragswerte zu einem einheitlichen Unternehmenswert kombinieren lassen, was dem Grundsatz der Bewertungseinheit widerspricht (s. dazu Rz. 30.210). Die Bewertungstheorie und -praxis stellt dafür keine theoretisch fundierten Modelle bereit.8 Jedenfalls ist die Grenze dort erreicht, wo wesentliche Betriebsmittel isoliert nach dem Substanzwert und andere betriebliche Werte nach dem Ertragswert berechnet werden. Zu Recht hatte der BGH eine Ertragsbewertung eines Maschinenbauunternehmens neben einer isolierten Substanzbewertung einer betriebsnotwendigen Werkhalle verworfen.9 Diese Vorgehensweise ist nur zulässig, wenn es sich um nicht betriebsnotwendiges Vermögen handelt.

1 OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 21/14, juris-Rz. 39; OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 131/13, jurisRz. 42. 2 IDW S 1 (2008), Rz. 152, WPg Supplement 3/2008, 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; zustimmend: Franken/Schulte, Rz. 11.79. 3 OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1 U 21/14, juris-Rz. 73 ff. Die Parteien des dortigen Verfahrens hatten sich auf die Anwendung des IDW S 1 2008 verständigt. 4 OLG München v. 21.11.2007 – 20 U 3241/07, juris-Rz. 26 ff. 5 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 41 = FamRZ 1995, 607 (Mittel aus Substanzund Ertragswert bei kleinem Handwerksbetrieb). 6 Siehe dazu Rz. 30.220. 7 OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – II-1 UF 115/03, juris-Rz. 12 ff. = FamRZ 2004, 1106. 8 Vgl. Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 56, mit einer schematischen Übersicht. 9 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, juris-Rz. 10 ff. = NJW-RR 2005, 153.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.246 § 30

c) Negative Substanzwerte Substanzwerte sind nicht stets positiv. Insbesondere bei KMU sind negative Substanzwerte möglich, etwa bei den die Aktiva übersteigenden Verbindlichkeiten.1 In diesem Fall macht eine Bewertung ausschließlich nach dem Substanzwert überhaupt keinen Sinn.

30.243

In der Rechtsprechung finden sich Entscheidungen, in denen negative Substanzwerte, etwa aufgrund hoher Verbindlichkeiten, einem positiven Ertragswert gegenüberstehen.2 In Einzelfällen wurde der negative Substanzwert vom positiven Ertragswert abgezogen3 oder ein Mittelwert aus dem negativen Substanzwert und dem positiven Ertragswert gebildet.4

30.244

Diese Vorgehensweise ist kritisch zu bewerten. Wäre die Überlegung des BGH richtig, dass reale Verbindlichkeiten abzuziehen seien, da sie den Erlös beim Verkauf des Unternehmens mindern5, müssten negative Substanzwerte aufgrund realer Verbindlichkeiten stets abgezogen werden, was ersichtlich nicht vertreten wird. Im Grundsatz wird davon auszugehen sein, dass Verbindlichkeiten vergangenheitsbezogen sind und bei einer Ertragsbewertung über den Zinsaufwand erfasst würden.6

30.245

d) Stellungnahme zu Substanzwerten Die Unternehmensbewertung nach dem Substanzwert ist trotz seiner Attraktivität als einfacher, schneller, kostengünstiger und realer Maßstab sowohl ökonomisch als auch rechtlich aus den bekannten Gründen auch für KMU fehlerhaft. Der Teilreproduktionswert anstelle eines Vollreproduktionswertes kann ohnehin keine Entscheidungsgrundlage für eine Gesamtbewertung sein.7 Darüber hinaus ist das unterstellte Szenario der Nachbildung der Substanz marktfern (Rz. 2.19). Zudem fehlt der Zukunftsbezug (Rz. 2.43) und der Zweckbezug. Der isoliert betrachtete Substanzwert ist im Hinblick auf die Ertragsfähigkeit aussagelos.8 Niemand würde ein Fahrzeug zum Verkehrswert kaufen ohne zu wissen, ob es fährt. Der Substanzwert korreliert mit dem Ertragswert, vice versa. Denn bei Ertragslosigkeit wird die Substanz erheblich entwertet9, bei guter Substanz wird die Ertragsprognose erhöht10. Bei negativen Substanzwerten, etwa bei hohen Verbindlichkeiten, versagt die Substanzbewertung.

1 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 63 = BGHZ 188, 249. 2 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 18 ff. = BGHZ 188, 249; OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 41 = FamRZ 1995, 607. 3 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 63 = BGHZ 188, 249. 4 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 41 = FamRZ 1995, 607. 5 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 63 = BGHZ 188, 249. 6 OLG Bamberg v. 18.8.1994 – 2 UF 140/93, juris-Rz. 41 = FamRZ 1995, 607. 7 Böcking/Rauschenberg, Rz. 2.43; Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 87. 8 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, juris-Rz. 27 = NJW-RR 2016, 1217; Hüttemann, Rz. 1.57, unter Hinweis auf Münstermann, Wert und Bewertung, 1966, S. 21 („Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts“); Mayer-Klenk/Borth, FamRZ 2012, 1923 (1925); Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 87. 9 BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, juris-Rz. 8 = NJW 1982, 2441. 10 Moxter, BB 1995, 1518 (1518). („Die vorhandene Substanz hat für den Unternehmenswert auf jeden Fall insoweit Bedeutung, als ihre Existenz, ihr Zustand und ihre Erneuerungsbedürftigkeit die Ertragsprognose beeinflussen.“).

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30.246

§ 30 Rz. 30.246

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

Im Ergebnis lässt sich sagen, dass zwar die Substanz für die Unternehmensbewertung erheblich ist, nicht aber die Substanzwerte.1

30.247 Die Vorbehalte gegen eine Substanzbewertung sinken allerdings in dem Maße, als sie auch Teil der Bewertungsmethode der Branche bzw. des Marktes ist2, etwa bei Praktikerverfahren (s. dazu Rz. 30.172). Dann wäre eine Prüfung erforderlich, ob und ggf. mit welchen Abschlägen Marktteilnehmer bereit wären, die Substanz zu Wiederbeschaffungspreisen zu erwerben. Folglich wäre eine Substanzbewertung ohne Marktbeobachtung nicht möglich. Das Ergebnis einer solchen Prüfung könnte sein, dass tatsächlich eine Liquidationsverwertung vorgenommen werden müsste.3 Auf diese Weise könnte möglicherweise auch die Bewertung von Non ProfitUnternehmen möglich sein. 5. Eignung von Preisfindungsverfahren für KMU

30.248 Unter Praktikerverfahren werden sog. Mischverfahren, Mittelwertverfahren (gewogenes Mittel aus Substanz- und Ertragswert), Geschäftswertabschreibung- oder Übergewinnverfahren u.a. verstanden.4 Im Ergebnis handelt es sich um Wertfindungsverfahren, die ähnlich dem Ertragswertverfahren den finanziellen Nutzen ermitteln wollen. Der Sprachgebrauch ist nicht präzise.5

30.249 Ferner werden Praktikerverfahren auch als Überschlagsrechnungen6, vereinfachte Preisfindungsverfahren7, Vergleichsverfahren8, Multiplikatorverfahren oder marktwertorientierte Verfahren9 bezeichnet. Der Unternehmenswert wird auf der Grundlage von marktbezogenen Multiplikatoren geschätzt, die aus Transaktionen vergleichbarer Unternehmen aggregiert werden.10 Diese Verfahren finden ihre Rechtfertigung in der Annahme, dass für vergleichbare Kaufobjekte vergleichbare Preise zu zahlen sind.11 Insofern handelt es sich um Preisfindungsverfahren. Gleiches gilt für branchentypische Multiplikatoren, soweit sie mittelbar auf vollzogenen Transaktionen und daraus destillierten Erfahrungswerten beruhen.12 Nachfolgend wird der Fokus auf die für KMU wichtigen Preisfindungsverfahren gerichtet.

1 Mandl/Rabel in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 87. 2 Vgl. dazu Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 47 m.w.N. 3 Im Ergebnis OLG Koblenz v. 13.7.2001 – 11 UF 248/00, juris-Rz. 52; Peemöller, Anmerkung zu OLG Rostock v. 6.4.2016 – 1U 131/13, DB 2017, 306 (306), aus betriebswirtschaftlicher Sicht. 4 Moxter, BB 1995, 1518 (1519); Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 202 ff.; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl. 2018, S. 33; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1005; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 38 ff. 5 FinMin. Bayern v. 4.1.2013, DStR 2013, 1385, 12. 6 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 208. 7 Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 158; Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1056 ff. 8 Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 157; Bruski, BB Beilage 2005, Nr. 17, 19 (22 ff.); Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 41. 9 Kuckenberg, NZFam 2015, 390 (392); Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 157. 10 Franken/Schulte, Rz. 11.8 ff.; Keim/Jeromin in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung, Rz. 2.178. 11 Bruski, BB Beilage 2005, Nr. 17, 19 (23). 12 Bruski, BB Beilage 2005, Nr. 17, 19 (23); Keim/Jeromin in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung, Rz. 2.178.

1102

Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.252 § 30

a) Verbreitung von Preisfindungsverfahren beim Kauf von KMU Vereinfachte Preisfindungsverfahren (näher Rz. 24.30) werden bei Unternehmenstransaktionen von KMU-Marktteilnehmern oder von Bewertungspraktikern, die keinen berufsständischen Pflichten unterworfen sind, häufig verwendet,1 insbesondere bei der Veräußerung freiberuflicher Praxen.2 Insoweit kann auf die branchenspezifischen Hinweise verwiesen werden (s. Rz. 30.172).

30.250

Bei KMU-Transaktionen entscheiden die vielfach nicht sachverständig beratenen Käufer und Verkäufer über die Wahl der Methode.3 Die Verbreitung und die Beliebtheit der vereinfachten Preisfindungsverfahren erklärt sich daraus, dass sie im Gegensatz zu den anspruchsvollen und komplexen Kapitalwertmodellen besonders bei KMU in der Regel zu einem schnellen, kostengünstigen, transparenten und auch für Laien nachvollziehbaren Resultat führen.4 In der Regel handelt es sich bei den vereinfachten Preisfindungsverfahren um Multiplikatorverfahren.5 Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass Multiplikatorverfahren branchenübergreifend genutzt werden, wenn auch nicht ausschließlich. Das zeigen die empirischen Befunde.6

30.251

b) Bewertungstheorie und -praxis Die betriebswirtschaftliche Literatur schwankt zwischen völliger Ablehnung der Preisfindungsverfahren wegen Untauglichkeit7 bis zur Akzeptanz als Orientierungshilfe für die Wertermittlung8, als gute Alternative bei fehlender Planungsrechnung9 oder als notwendige Plausibilisierung zu einer Ertragsberechnung mit nicht quantifizierbaren Faktoren.10 Für den IDW S 111 ist eine vereinfachte Preisfindung durch Ergebnis- oder Umsatzmultiplikatoren zweitrangig und nur zur Plausibilisierung des objektivierten Ertragswertes geeignet. Anders der Bewertungsstandard IDW S 8. Dieser stuft das Multiplikator-Verfahren neben den kapitalwert-

1 Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 158; Schiffers, GmbH-StB 2005, 300 (304); Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30 (35); Fischer-Winkelmann/Busch, FB 2009, 715 ff.; Fleischer, GmbHR 1999, 752 (758) m.w.N. 2 Vgl. Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1005 m.w.N. zu diversen Erhebungen; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 58, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; BÄK-Bewertungshinweise Arztpraxis 2008, DÄ 2008 (Heft 51-52), A4 (A4); BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 ff.; Buchner/ Friedl/Hinterdobler, DStR 2017, 1341 (1350), für Handwerker; BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 12. Siehe ergänzend oben Rz. 30.155. 3 Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30 (38). 4 Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1006. 5 Vgl. ausführlich zu Multiplikatorverfahren Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1702 ff. und 1769 ff.; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung 5. Aufl. 2007, S. 473 ff.; Franken/Schulte, Rz. 11.7 ff. 6 Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 158; Peemöller/Bömelburg/Denkmann, WPg 1994, 741 (742); Pellens/Rockholtz/Stienemann, DB 1997, 1933 (1935). 7 Ballwieser in FS Loitlsberger, 1991, S. 47 ff.; Englert, BB 1997, 142 (146); Coenenberg/Schultze, FB 2002, 697 ff.; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473 ff.; Schüler, WPg 2014, 1146 ff. 8 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1061. 9 Nestler, BB 2012, 1271 (1272). 10 Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (493, 496). 11 IDW S 1 2008, Rz. 143, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff.; IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 58 ff., WPg Supplement 2/2014, 28 ff., IDW-FN 4/2014, 282 ff.

Lauber 1103

30.252

§ 30 Rz. 30.252

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

orientierten Verfahren als gleichrangig ein.1 Auch zur Ermittlung von Fair Values nach IFRS 13 ist der marktorientierte Ansatz, u.a. unter Anwendung von Multiplikatoren, gleichrangig und unter Umständen sogar vorrangig (Rz. 28.58 ff.). Folgende Vorteile von vereinfachten Preisfindungsverfahren werden genannt: – Leichte und schnelle Umsetzbarbarkeit, einfach kommunizierbar, transparent, leicht nachvollziehbar, kostengünstig und erwartungstreu;2 – Berechtigung aufgrund branchentypischer oder marktbreiter Anwendung (Gerechtigkeitspostulat);3 – Vorzug der Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität vor der Exaktheit der Methode;4 – Komplexitätsreduktion bei KMU zwingend erforderlich;5 – Weitgehende Homogenität aufgrund identischer Kostenstruktur;6 – Überwindung der Subjektivität der Bewertung zur Erzielung eines ausgleichenden Verkehrswerts;7 – Höhere Glaubwürdigkeit branchentypischer Preise ggü. typisierten subjektiven Werten;8 – Geringere Manipulierbarkeit von Multiplikatoren im Vergleich zu ergebnisbasierten Werten;9 – Objektive Nachprüfung der Bemessungsgrundlage (z.B. Umsatz);10 – Einfache Skalierbarkeit bzw. Variierbarkeit im Hinblick auf Marktposition, Personenbezug, Risiko, Kapitalbindung u.a.; – Multiplikator als reziproker Wert des Kalkulationszinsfußes;11 – Ertragswertverfahren kann wegen Besonderheiten von KMU keine besseren Werte liefern; – Ertragsbewertung kann wegen der Verschwiegenheitspflicht von Freiberuflern schwierig bis unmöglich sein.12 1 IDW S 8, Rz. 6, FN-IDW 3/2011, S. 151 ff., WPg Supplement 1/2011, S. 85 ff. Vgl. ergänzend Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 156 ff. 2 Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30 (35); Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1061; OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 30 = FamRZ 2016, 1931. 3 Englert, BB 1997, 142 (145). 4 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1061. 5 Englert, BB 1997, 142 (149). 6 Keim/Jeromin in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung, Rz. 2.182; Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1006, der die Anwendung von traditionellen Bewertungsmethoden als nicht so falsch bezeichnet; Englert, BB 1997, 142 (149). 7 Englert, BB 1997, 142 (149). 8 Englert, BB 1997, 142 (149). 9 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1702 (1708). 10 OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 30 = FamRZ 2016, 1931; Peemöller, BB Beilage 2005, Nr. 17, 30 (35). 11 Niehues, BB 1993, 2241 (2242); Keim/Jeromin in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung, Rz. 2.191. 12 OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 36 = FamRZ 2016, 1931.

1104

Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.253 § 30

30.253

Als Nachteile werden genannt: – Preisfindungsverfahren sind

unwissenschaftlich;1

– Preisfindungsverfahren sind nicht transparent;2 – Preise liefern keine Hinweise auf die Vorteilhaftigkeit und Risiken der Investition;3 – Preise werden nicht funktionsbezogen ermittelt und stimmen nicht mit subjektiven Entscheidungswerten überein;4 – Preise für Unternehmen sind nicht vollständig durch Multiplikatoren erklärbar;5 – Preise werden durch nicht finanzielle Faktoren bestimmt;6 – Eine Angemessenheitsprüfung der Preise ist kaum möglich;7 – Fehlende Aussagen zur Kostenstruktur des Unternehmens mit dem Risiko von Fehlbewertungen;8 – Identische Unternehmen sind nicht existent;9 – Vergangenheitsorientierung der Multiplikatoren als Verstoß gegen die Zukunftsausrichtung von Unternehmenswerten;10 – Bewertungsaufwand bei seriöser Bewertung nicht geringer als bei Ertragswertberechnung.11

1 Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 236, sieht einen Verstoß gegen die Kölner Funktionenlehre. 2 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1062; Englert, BB 1997, 142 (147). 3 Englert, BB 1997, 142 (147). 4 Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 237; Englert, BB 1997, 142 (145, 147). 5 Keim/Jeromin in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung, Rz. 2.192 m.w.N.; Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 237; Kuckenburg, FF 2018, 359 (360). 6 Ballwieser, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011, S. 209. 7 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1063. 8 Kuckenberg, NZFam 2015, 390 (392); Kuckenburg, FF 2018, 359 (360); Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 237; Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1060. Die Autoren verweisen auf die Ergebnisse der Kostenstruktur-Erhebung des statistischen Bundesamtes. 9 Coenenberg/Schultze, FB 2002, 697 (702). 10 Kuckenberg, NZFam 2015, 390 (392); Kuckenburg, FF 2018, 359 (360); Popp in Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2010, S. 237. 11 Coenenberg/Schultze, FB 2002, 697 (702).

Lauber 1105

§ 30 Rz. 30.254

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

c) Rechtsprechung und Literatur

30.254 In der Rechtsprechung finden Preisfindungsverfahren zur Bewertung von KMU bislang nur vereinzelt Anwendung.1 Allerdings werden sie auch nicht als ungeeignet abgelehnt. In der juristischen Literatur werden sie meist nur als Plausibilitätsmaßstab gebilligt.2 Es wird aber auch vertreten, dass Praktikermethoden im gerichtlichen Verfahren anwendbar seien, wenn sie sich auf dem Markt durchgesetzt haben.3

30.255 Der BGH hat mittelbar die von einer zuständigen Standesorganisation empfohlenen und verbreitet angewandten Preisfindungsverfahren als sachgerecht und grundsätzlich zur Unternehmensbewertung geeignet bezeichnet.4 In Kenntnis dieser BGH-Rechtsprechung hat das OLG Hamm bei der Bemessung des Zugewinnausgleichs das anwaltliche Verfahren im Sinne eines modifizierten Umsatzverfahrens angewendet.5 Das OLG Saarbrücken hat ebenfalls das Umsatzverfahren der BRAK gebilligt.6 d) Beschreibung der vereinfachten Preisfindungsverfahren

30.256 Hinsichtlich der Einzelheiten zur Multiplikatorbewertung muss auf weiterführende Literatur verwiesen werden.7 Multiplikatoren werden für nahezu alle Branchen angeboten.8 Die Gewinn- bzw. Umsatzmultiplikatoren divergieren je nach Wachstumsaussichten. Gewinnmultiplikatoren können als Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes verstanden werden.9

30.257 Übersichten zu Multiplikatoren von KMU finden sich im Internet auf diversen Seiten, bspw. folgende Aufstellung:10

1 Vgl. LG Köln v. 12.5.2017 – 82 O 79/03, n.v. Der vom Gericht beauftragten und gründlichen Multiplikatorbewertung wurde der Vorzug vor dem Ertragswert eingeräumt. Einbezogen wurden insgesamt acht verschiedene Multiplikatoren, deren Ergebnisbandbreite eindeutig unterhalb des ermittelten Ertragswertes lag; a.A.: OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 21 W 3/11, juris-Rz. 83 = AG 2011, 828 (Spruchfahren § 327f AktG). 2 Fleischer, Rz. 24.30; Fleischer, GmbHR 1999, 752, 758; Hüttemann in FS Huber, 2006, S. 757 (772 mit Fn. 98). 3 Hannes in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, § 8 Rz. 8.245. 4 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, juris-Rz. 12 = NJW 1991, 1547, zur Billigung der Anwendung der Standesrichtlinien der Ärztekammer; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 25 = BGHZ 188, 249. Vgl. aber auch BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 18 = BGHZ 188, 282 mit kritischer Sichtweise. 5 OLG Hamm v. 14.4.2016 – 14 UF 237/15, juris-Rz. 30 = FamRZ 2016, 1931. 6 OLG Saarbrücken v. 6.5.2010 – 8 U 163/09-41, juris-Rz. 35 ff. = DStR 2010, 1759. Dort war die Anwendung der Methode aber auch nicht bestritten worden. 7 Schüler, WPg 2014, 1146 ff.; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1702 ff. und 1769 ff.; Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473 ff.; Franken/Schulte, Rz. 11.7 ff. 8 Vgl. https://www.finance-magazin.de. (im Internet abrufbar unter www.finance-magazin.de/re search/multiples/rechenbeispiel/ mit einfachen Rechenbeispielen). 9 Löhnert/Böckmann in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 789. 10 Vgl. ähnliche Auflistungen bei Keim/Jeromin in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil 2 Bewertung, Rz. 2.192.

1106

Lauber

7,7 n

1,69 n 0,88 p 1,00 n 1,28 n 1,65 n 1,90 p 1,09 p 0,51 n 0,64 p

10,6 p 12,2 p 10,5n 15,3 p 14,4n 13,7 p 7,8 p 9,7 n 13,2 p

Transport, Logistik und Touristik

Elektrotechnik und Elektronik

Fahrzeugbau und -zubehör

Maschinen- und Anlagenbau

Chemie und Kosmetik

Pharma

Textil und Bekleidung

Nahrungs- und Genussmittel

Gas, Strom, Wasser

12,8

1,17

7,6 n 8,5 n 7,6 n

6,4 n 6,0 n

9,3 n

8,0 n

10,4 n

10,1 n

8,9 n

8,5

8,8 n

7,7 p

9,1 n

8,8 n

9,2

6,0 n

7,4 n

6,3 n

8,0 n

5,9 p

6,3 n

6,7 n

7,5 n

9,5 n

0,50 p

0,69 p

0,65

0,93 n

0,78 p

1,35 n

0,87 n

0,70 n

0,65

0,71 n

0,47 p

0,61 p

0,94 n

0,90 n

1,34 n

0,65

von

0,76 p

0,98 p

0,98 p

1,33 n

1,01 n

1,88 n

1,27 n

0,95 p

0,93 p

1,01 p

0,76 p

0,97 p

1,53 n

1,26 n

1,80 n

1,06 p

bis

UmsatzMultiple

6,9 n

7,1 n

6,8 n

8,6 n

7,2 n

8,5 n

8,0 n

7,7 n

6,9 n

7,4 n

6,8 p

7,2 n

7,5 n

8,2 n

8,4 n

6,9 n

von

8,6 n

9,0

8,7 n

10,4 n

9,0 n

10,9 n

10,4 n

9,8 n

8,9 n

9,7 n

8,7 p

9,8 n

9,7 n

10,0 n

10,7 n

9,1 n

bis

EBITMultiple

0,54 p

0,78 p

0,73

1,01 n

0,77 n

1,42 n

0,98 n

0,69 p

0,68 n

0,76 n

0,52 p

0,68 p

1,05 n

1,02 n

1,56 n

0,79 n

von

0,81 p

1,12 p

1,06 p

1,46 n

1,05 n

1,96 n

1,43 n

0,98 p

0,95 p

1,11 n

0,89 p

1,18 p

1,64 n

1,43 n

2,09 n

1,13 p

bis

UmsatzMultiple

Experten-Multiples Mid-Cap*

* Small-Cap: Unternehmensumsatz unter 50 Mio. Euro; Mid-Cap: 50–250 Mio. Euro; Pfeile zeigen niedrigeren/gestiegenen Wert gegenüber vorherigem Wert.

Bau und Handwerk



6,9 n

1,45 n

12,2 n

Handel und E-Commerce



5,8 p

2,80 n

14,1 n

Medien

Unwelttechnologien und erneuerbare Energien

6,6

1,21 p

12,9 p

Telekommunikation

7,5 n

2,10 p

15,7 n

8,4 n

6,1 n

Software

bis

von

EBITMultiple

Experten-Multiples Small-Cap*



EBITUmsatzMultiple Multiple

Börsen-Multiples



Beratende Dienstleistungen

Branche

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Rz. 30.257 § 30

Abb. 2: Quelle www.marktundmittelstand.de; Umsatz und EBIT-Multiplikatoren 2016

Lauber 1107

§ 30 Rz. 30.258

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

e) Stellungnahme zu Preisfindungsverfahren

30.258 Für KMU lautet die klare Empfehlung, Preisfindungsverfahren anzuwenden, insbesondere wenn sie marktüblich sind bzw. wenn sich die Parteien darauf geeinigt haben. Die Vorteile überwiegen deutlich.

30.259 Vereinfachte Preisfindungsverfahren für KMU über Umsatz- oder EBIT-Multiplikatoren zeigen das Dilemma der Diskussion über die zutreffende Bewertungsmethode auf. Zur Unternehmensbewertung und zur Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte sind die Preisfindungsverfahren nur eingeschränkt brauchbar. Dafür sind sie allerdings auch nicht gedacht.1 Ebenso sind die Ertragswertverfahren nicht unmittelbar zur Preisfindung gedacht, sondern zur Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte. Dennoch werden sie unreflektiert zur Verkehrswertschätzung angewendet. Preisfindungsverfahren, d.h. Multiplikatorverfahren, sind in der Regel preistheoretisch und nicht investitionstheoretisch ausgerichtet.2 Sie sollen eine Abschätzung des am Markt erzielbaren Preises ermöglichen.3 Damit sind sie im Grundsatz für eine Annäherung an das Bewertungsziel – Verkehrswert des Unternehmens – geeignet, was für das objektivierte Ertragswertverfahren ohne weitere Anpassungen nicht gilt. Daher besteht für marktakzeptierte Preisfindungsverfahren trotz wissenschaftlicher Angreifbarkeit des Bewertungsansatzes an sich kein Legitimationsdefizit.

30.260 Im Hinblick auf die Verkehrswertausrichtung sind die Argumente der fehlenden Subjektivität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit der Bewertung schnell entkräftet. Multiplikatorverfahren werden bei Markttransaktionen und in spezifischen Bewertungsfragen (IDW S 8; IFRS 13 u.a.) genutzt. Unabhängig davon ist die Frage, ob Marktpreise bzw. Verkehrswerte die subjektiven Entscheidungswerte zutreffend wiedergeben, für das Bewertungsziel nicht erheblich. Auch der Börsenkurs einer Minderheitsaktie wird als Verkehrswert akzeptiert, ohne dass behauptet wird, dass dieser Marktpreis irrelevant sei, weil er sich möglicherweise unter Ignorierung von subjektiven Entscheidungswerten gebildet hat. Das gleiche gilt für die Kapitalmarktrenditen, die dem CAPM zugrunde liegen.

30.261 Aus anderer Perspektive betrachtet liegt der Unterschied zwischen den Kapitalwertmodellen und den Preisfindungsverfahren darin, dass im ersten Fall die Bewertungsmethode wissenschaftlich begründbar und nachvollziehbar ist und das Ergebnis möglicherweise unrealistisch (keine Verifizierung durch den Markt), und es im anderen Fall genau umgekehrt ist. Denn das Ergebnis bei der Anwendung von marktgängigen Preisfindungsmethoden ist, dass ein Preis geschätzt wird, der auch beim Verkauf erzielt werden könnte. Damit stellt sich zugespitzt die Frage, ob zur Erreichung des Bewertungsziels der Wissenschaftlichkeit der Methode oder der Marktnähe des Ergebnisses der Vorzug gegeben wird.

30.262 Vereinfachte Preisfindungsmethoden haben zudem den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass die fehlende Kenntnis der subjektiven Grenzpreise von präsumtiven Verkäufern und Käufern des Unternehmens überwunden werden kann. Das gilt insbesondere für die im Rahmen einer Ertragsbewertung kaum befriedigend zu lösenden Merkmale von KMU, insbesondere fehlende Planungsrechnungen, vermischte Betriebs- und Privatsphären, Bewertung der Inhaber- und Familienleistungen, Zu- und Abschläge für Größe, Diversifikation und Handelbarkeit, Kapitalisierungszinssätze, Lebenszyklen, Abschmelzungszeiträume, latente Ertrag1 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2007, S. 473. 2 Barthel, DStR 1996, 1458 (1464). 3 Franken/Schulte, Fairness Opinions nach IDW S 8, 2014, S. 168; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung 5. Aufl. 2007, S. 473.

1108

Lauber

Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.266 § 30

steuern u.a. Die Ertragswertmethode liefert keinen Ansatz, die zusätzlichen KMU-Unsicherheiten befriedigend zu lösen. Diese oft nicht messbaren Aspekte könnten und sollten implizit über den Markt mittels vereinfachter Preisfindungsverfahren gelöst werden. Für alle diese schwierigen Bewertungsfragen stellt der Markt in Form von branchentypischen Preisfindungsverfahren Lösungen bereit, die auch genutzt werden sollten. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Parteien durch ihren Vortrag bzw. ihre Vereinbarungen selbst bewirken können, dass eine Preisfindungsmethode in gerichtlichen Verfahren zur Anwendung kommt (s. Rz. 30.274). Schließlich erfüllen Preisfindungsverfahren die Forderungen nach einer zeit- und kostengünstigen sowie in der Regel vom Ergebnis her realistischen und überzeugenden Bewertung. Bei diesem Übergewicht an Vorzügen branchentypischer Bewertung müssen bewertungstheoretische Überlegungen zurücktreten. Letztlich entscheidet über die Validität der Ergebnisse des vereinfachten Preisfindungsverfahren die Qualität des Bewertungsprozesses, d.h. die Suche nach geeigneten Vergleichsunternehmen und die Belastbarkeit der ermittelten Multiplikatoren. Seriöse Multiplikatorbewertungen sind möglich. Dabei sollten Bandbreiten mittels mehrerer Multiplikatoren verwendet werden. Ferner könnten Risiken über die Szenariotechnik abgebildet werden.

30.263

6. Eignung der Umsatzmethode Das Umsatzverfahren hat als ein vereinfachtes Preisfindungsverfahren für KMU, insbesondere 30.264 für freiberufliche Praxen, nach wie vor eine erhebliche Anziehungskraft und Bedeutung.1 Insofern kann zunächst auf die Bewertungshinweise der Steuerberater, Rechtsanwälte, Ärzte und Handwerker Bezug genommen werden (s. dazu Rz. 30.172). Der Umsatz hat als reale, belastbare und aufwandsarme Bruttogröße offenbar stärkere Überzeugungskraft als Substanzwerte oder andere Multiplikatoransätze. Ausgangspunkt ist, dass sich bei homogener Kostenstruktur aus dem Umsatz das Ertragspotenzial für den Übernehmer oder Fortführer eines Unternehmens am besten beurteilen lässt.2 Das Umsatzverfahren wird als vereinfachtes Preisverfahren in Theorie und Praxis als nicht fundiert bezeichnet.3 Das betrifft aber die Eignung zur Unternehmensbewertung. Aussagen über die Eignung zur Unternehmensbepreisung fehlen.

30.265

Die Aussagen des BGH zum Umsatzverfahren sind ambivalent. Zugestimmt wurde der von 30.266 der Standesorganisation empfohlenen Umsatzmethode für die Bewertung einer Steuerberaterpraxis, zumal der Wert mit der modifizierten Ertragswertmethode plausibilisiert wurde.4 Auch für eine tierärztliche Praxis wurde die von der Standesorganisation präferierte ITB-Um-

1 OLG Hamm v. 17.10.2008 – II-10 UF 162/07, juris-Rz. 48 ff. und nachfolgend BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 21 = BGHZ 188, 249; OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, juris-Rz. 34; OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – II-1 UF 115/03, juris-Rz. 12 ff. = FamRZ 2004, 1106; OLG Hamm v. 14.4.2016 – II-14 UF 237/15, juris-Rz. 25 ff. = FamRZ 2016, 1931; OLG Saarbrücken v. 6.5.2010 – 8 U 163/09, juris-Rz. 35. Vgl. auch die Hinweise FinMin. Bayern v. 4.1.2013, DStR 2013, 1385, S. 12. 2 Vgl. dazu BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 19 = BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761. 3 Fleischer, Rz. 24.30 m.w.N.; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 232; Kuckenburg, FF 2018, 359 (360); Cziupka in BeckOK BGB, 44. Ed. 1.11.2017, § 1376 BGB Rz. 21; Englert, BB 1997, 142 (146). 4 BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, juris-Rz. 38 = NJW 1999, 784.

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§ 30 Rz. 30.266

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

satzmethode gebilligt.1 Im Einklang damit wurde die Umsatzmethode für die Bewertung einer Steuerberaterpraxis gegen den Vorwurf verteidigt, dass der Abzug von Kosten bzw. die Aussonderung von spezifischen Umsätzen nicht möglich sei.2 Etwa zeitgleich wurde das reine Umsatzverfahren sowohl als unmittelbarer als auch als vergleichender Maßstab abgelehnt, weil insbesondere im Hinblick auf die Kostenstruktur keine sicheren Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung und damit dem realisierbaren Wert möglich seien.3

30.267 Das OLG Saarbrücken hat das Umsatzverfahren der BRAK gebilligt.4 Das OLG Hamm hat jüngst das Umsatzverfahren in Reinform bei der Bewertung des Goodwill einer Rechtsanwaltskanzlei ohne Abzug der Kosten und des Unternehmerlohns akzeptiert, da diese Faktoren bereits hinreichend in dem branchentypischen Umsatzmultiplikator abgebildet seien.5 Das Gericht selbst spricht von einem „modifizierten Umsatzverfahren“, das für die Ermittlung des Unternehmenswerts einer Rechtsanwaltskanzlei „allein sachgerecht“ sei, da eine zuverlässige Ertragsbewertung wegen der Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts nicht möglich sei und auf der Basis des Umsatzes im Fortführungsinteresse eine schnelle Bewertung der Kanzlei gewährleistet würde. Darüber hinaus werde diese Bewertungsmethode von der Standesorganisation empfohlen und entspreche auch nach wie vor der Praxis.6

30.268 Das Umsatzverfahren wird bei der Bewertung von KMU aber nicht als Gesamtbewertungsverfahren verstanden und angewendet, sondern lediglich zur Ermittlung des Firmenwerts bzw. des Goodwill.7 Zusätzlich werden, soweit noch vorhanden, positive wie negative Substanzwerte berücksichtigt.8

30.269 Die Umsatzverfahren haben für die Bewertung von KMU eine erhebliche praktische Relevanz und sollten, soweit sie marktgebräuchlich sind, auch rechtlich akzeptiert werden. Im Gegensatz zu Substanzwerten haben Umsätze eine starke Korrelation zu potenziellen Erträgen. Umsatzmultiplikatoren sind nicht frei gegriffen und aussagelos. Sie sind vielmehr Ausdruck eines Markt- und Branchenvergleichs.9 Es gibt dazu umfangreiches Erfahrungswissen. Sie sind äußerst wirtschaftlich und praktikabel10 und kommen den nur schwer einzuschätzen1 BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 20 = BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761. Allerdings wurden insoweit Bedenken gegen das Verfahren wegen des Doppelverwertungsverbot im Zugewinnausgleich geltend gemacht, Rz. 28 ff. 2 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 25 = BGHZ 188, 249. 3 BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, juris-Rz. 18 = BGHZ 188, 282; ebenso OLG Oldenburg v. 16.12.2014 – 9 U 22/10, juris-Rz. 41 (Abfindung § 738 BGB). 4 OLG Saarbrücken v. 6.5.2010 – 8 U 163/09-41, juris-Rz. 35 ff. = DStR 2010, 1759. Dort war die Anwendung der Methode aber auch nicht bestritten worden. 5 OLG Hamm v. 14.4.2016 – II-14 UF 237/15, juris-Rz. 25 ff. = FamRZ 2016, 1931. 6 OLG Hamm v. 14.4.2016 – II-14 UF 237/15, juris-Rz. 25 = FamRZ 2016, 1931. 7 OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – II-1 UF 115/03, juris Rz. 12 ff. (Steuerberaterpraxis: Kombination von Substanzwert- und Umsatzverfahren (Goodwill)); BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, jurisRz. 31 ff. = NJW 1999, 784 (Steuerberaterpraxis); OLG Köln v. 28.2.2012 – 4 UF 186/11, jurisRz. 34 (Versicherungsmakler: Umsatzverfahren kombiniert mit modifiziertem Ertragswertverfahren); Brandenburgisches OLG v. 25.11.2009 – 7 U 57/08, juris-Rz. 54 (Steuerberaterpraxis: Umsatzverfahren aufgrund Vereinbarung); BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, juris-Rz. 19 = BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 (Arztpraxis: Umsatzverfahren); OLG Hamm v. 14.4.2016 – II-14 UF 237/15, juris-Rz. 23 ff. = FamRZ 2016, 1931. 8 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, juris-Rz. 14 ff. = BGHZ 188, 249. 9 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1060f; BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 35. 10 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1061.

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.272 § 30

den qualitativen KMU-Besonderheiten in idealer Weise entgegen. Es handelt sich bei dem Umsatzverfahren um eine einfache Heuristik (Gewinnindikator), die von den Berufsverbänden und Marktteilnehmern als hinreichend aussagekräftig und minimal aufwändig angesehen wird. Ferner sind die berufsrechtlichen Umsatzmultiplikatoren auf die rechtlich relevanten Marktpreise (Verkehrswerte) ausgerichtet im Gegensatz zu objektivierten oder modifizierten Ertragswerten.1 Entgegen der Behauptung2 sind die Werttreiber transparent, da Eigenheiten der jeweiligen 30.270 KMU durch Zu- und Abschläge begründet werden können.3 Oftmals werden hier Checklisten für Zu- und Abschläge bereitgestellt.4 Kosten und ggf. einmalige Umsätze können natürlich berücksichtigt werden.5 Der kritisierte Vergangenheitsbezug des Umsatzes6 kann zukunftsbezogen evaluiert werden durch die Prüfung, ob die Umsätze auch in Zukunft erzielt werden können. Entgegen der Behauptung7 ist der Umsatzmultiplikator sehr gut verifizierbar anhand der Marktdaten. Umsatzverfahren erlauben evtl. sogar eine realistischere Bewertung der KMU im Falle einer negativen Ertragslage8, die viele Gründe haben kann, insbesondere auch Mängel des Unternehmenskonzepts oder Fehler des Managements.

VIII. Vereinfachungen für die Bewertung von KMU Wie bereits erläutert, sind Vereinfachungen bei der Bewertung von KMU gefordert. Das geht über die mit jeder Unternehmensbewertung geforderte Komplexitätsreduktion noch erheblich hinaus. Dabei ist allerdings auf Interessensneutralität zu achten, d.h. das Bewertungsergebnis darf sich nicht in systematischer Weise zu Lasten einer Partei verschieben.9

30.271

In der Regel geht es darum, den Bewertungsprozess an zahlreichen Punkten zu entlasten. Die Rechtsprechung bevorzugt bspw. eine Vereinfachung, indem Substanzwerte und modifizierte Ertragswerte geschätzt und addiert werden (s. dazu Rz. 30.220). Die Vereinfachungsoptionen eines Perspektivwechsels von der Wert- auf die Preissicht und die damit verbundene Änderung des Bewertungsprozesses werden nicht genutzt, obwohl sie nahe liegen.

30.272

1 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1061; BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 35; Englert, BB 1997, 142 (149) („Demgegenüber kann der branchentypische Wert – verstanden als Verkehrswert – durchaus zur Konkretisierung eines fairen Schieds- oder Gutachterwerts in rechtsgebundenen Bewertungsfällen herangezogen werden.“). A.A.: Kuckenburg, FF 2018, 359 (360) („kein Marktwert“). 2 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1062. 3 BRAK-Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK, Bewertungshinweise Rechtsanwaltspraxis 2017, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (8), mit einer Auflistung wertsenkender Merkmale. 4 Grün/Grote in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1060, für Steuerberater- und Wirtschaftsprüferpraxen. 5 BRAK-Bewertungshinweise, BRAK-Mitteilungen 1/2018, 6 (8), mit einer Auflistung von Einnahmen zur Umsatzbereinigung. 6 Kuckenburg, FF 2018, 359 (360). 7 Kuckenburg, FF 2018, 359 (360). 8 Vgl. bspw. OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – II-1 UF 115/03, juris-Rz. 22 ff. = FamRZ 2004, 1106. Dort war die Kontrollrechnung nach dem Ertragswert negativ. 9 Englert, BB 1997, 142 (147).

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§ 30 Rz. 30.273

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

1. Vorschläge in der Literatur

30.273 In der Literatur werden darüber hinaus folgende Vereinfachungen angeregt: – Ausgeprägte Beachtung des Grundsatzes der Wesentlichkeit;1 – Normzweckorientierte Typisierungen;2 – Verwendung mehrwertiger Unternehmenswerte mit Szenariobildung zur Verminderung KMU-spezifischer Risiken;3 – Typisierung der Abschmelzungsdauer unter Verzicht auf Differenzierung der immateriellen Werttreiber bei der Bemessung der Abschmelzungsdauer;4 – Fokussierung auf die Zahlungsströme bei der Planung der finanziellen Überschüsse statt Herleitung der Ertragsüberschüsse;5 – Festlegung des Risikozuschlags mithilfe von vereinfachenden Annahmen;6 – Verwendung von Branchenbetas und marktüblichen gewichteten Kapitalkosten;7 – Anwendung eines typisierten Steuersatzes unabhängig von der Gesellschaftsform;8 – Fiktive Zuordnung der stillen Reserven zu einem Geschäfts- oder Firmenwert (15 Jahre) bzw. Praxiswert (3–7 Jahre) im Rahmen des TAB;9 – Annahme, dass sich latente Steuern und TAB gegenseitig weitgehend ausgleichen;10 – Weiträumige Einräumung von Satzungsautonomie hinsichtlich der anzuwendenden Bewertungsmethoden;11 – Fair-Value-Betrachtung;12 – Verwendung vereinfachter Preisfindungsverfahren (Multiplikatoren).13 2. Vereinfachung durch Parteivereinbarung

30.274 Als naheliegende Vereinfachung zur Senkung des Kosten- und Zeitaufwandes von KMUUnternehmensbewertungen drängt sich eine Parteivereinbarung auf. Angesprochen sind in erster Linie Absprachen nach Anspruchsentstehung vor oder während einer gerichtlichen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Helbling in Peemöller, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2015, S. 1002. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299 (1299). Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 158 (163). IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 29, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; Kohl, WPg 2018, 146 (154); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2431). Kohl, WPg 2018, 146 (148); Jonas, WPg 2011, 293 (304). IDW-Praxishinweise KMU 2014, Rz. 50, WPg Supplement 2/2014, 28 ff.; IDW-FN 4/2014, 282 ff.; BStBK-Bewertungshinweise Steuerberaterpraxis 2017, Rz. 33. Kohl, WPg 2018, 146 (152). Keller, BPrak 2006, 12 (14); Jonas/Wieland-Blöse, Rz. 17.77 m.w.N.; Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489 (493). Ballhorn/König, NZFam 2016, 1084 (1089); Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2431). Kohl/Ballhorn/König, DB 2016, 2428 (2432); Borth, FamRZ 2017, 1739 (1743); IDW S 13, Rz. 41, IDW Life 7/2016, S. 574 ff. Fleischer, AG 2014, 102 (114). Rohde, DStR 2016, 1566 ff. Niehues, BB 1993, 2241 (2249).

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Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Rz. 30.278 § 30

Auseinandersetzung.1 Das wird bei rechtsgeleiteten Bewertungen für zulässig erachtet, soweit der rechtliche Anspruch, der der Bewertungsaufgabe zugrunde liegt, seinerseits einer Parteivereinbarung zugänglich ist.2 Das kann für Sachverhalte der streitigen Gerichtsbarkeit ohne weiteres angenommen werden, die durch Vergleich abgeschlossen werden können, d.h. für Gesellschaftsabfindungen, Zugewinnausgleich, Pflichtteilsausgleich, Vertragsrecht und Schadensersatzrecht. Angesprochen sind darüber hinaus auch zulässige Satzungsklauseln, die der Bewertungsvereinfachung dienen.3 Im Idealfall einigen sich die Parteien auf einen Unternehmenswert, den sie selbst oder mit Hilfe von Privatgutachtern (Steuerberatern etc.) auf der Grundlage eines Verfahrens ihrer Wahl – sinnvoller Weise ein vereinfachtes marktübliches Verfahren – selbst ermittelt haben. Der Wert des Unternehmens als Tatsache kann dann in der gerichtlichen Auseinandersetzung unstreitig gestellt werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine Kontrolle sowohl über das Ergebnis als auch über den zeitlichen und finanziellen Aufwand.

30.275

Natürlich sind auch Vereinbarungen zur Wahl der Bewertungsmethode zulässig.4 Die Parteien haben zuvor die Möglichkeit, die Folgen ihrer Wahl durch eigene Berechnung abzuschätzen. Konsensfähig sind schließlich auch Absprachen zu einzelnen Aspekten der Unternehmensbewertung, etwa zu durchschnittlichen Vergangenheitserträgen, Zukunftserträgen, Gewichtungen, Kapitalisierungszinssätzen o.ä.5 Konsensdaten sind dann vom Sachverständigen als Anknüpfungstatsachen zu übernehmen.6

30.276

IX. Zusammenfassung In der streitigen Gerichtsbarkeit sind nahezu ausschließlich KMU zu bewerten (s. Rz. 30.9). KMU weisen zahlreiche Eigenheiten auf (s. Rz. 30.16). Unvollkommene Informationen sowie die Heterogenität von KMU erschweren die Unternehmensbewertung. Der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Bewertung muss im Hinblick auf die Größe und die Leistungsfähigkeit von KMU sowie die Validität des Verfahrens bzw. der Ergebnisse verhältnismäßig sein (s. Rz. 30.26).

30.277

Das Bewertungsziel von KMU ist bereichsübergreifend der Verkehrswert des Unternehmens (s. Rz. 30.31). Dabei handelt es sich um den hypothetischen Preis des Unternehmens im Falle der Veräußerung. Der Preis ist abzugrenzen von subjektiven Entscheidungswerten,7 auch in Form des (typisiert subjektiven) objektivierten Ertragswertes (s. Rz. 30.43). Ertragswerte können lediglich Ausgangsbasis zur Bestimmung des Verkehrswertes des Unternehmens sein, zumal diverse veräußerungsrelevante Werttreiber nicht modellrelevant und nur schwer messbar bzw. schätzbar sind. Eine Annäherung an den Verkehrswert des Unternehmens könnte in der Verwendung mehrwertiger Ertragswerte, der Konzeption eines markttypischen Erwerbers oder der Berücksichtigung der Grundsätze gemäß IFRS 13 (Fair Value) oder IDW S 8 (Fair-

30.278

1 Lauber, Rz. 34.72; Piltz, Unternehmensbewertung, 1993, S. 280, jeweils m.w.N. 2 Vgl. Piltz, Unternehmensbewertung, S. 114, 280; Hüttemann/Meyer, Rz. 14.15; Meyer, AG 2015, 16 (17). 3 Wangler, DB 2001, 1763 (1764 ff.); Rosner, ZGR 2011, 732 (744). 4 BGH v. 12.2.1979 – II ZR 106/78, WM 1979, 432 f.; OLG München, v. 17.9.1987 – 24 U 794/86, juris (Einigung auf Stuttgarter Verfahren); Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 280. 5 Lauber, Rz. 34.72 ff.; Piltz, Unternehmensbewertung 1993, S. 277 ff. 6 Lauber, Rz. 34.73. 7 Siehe Rz. 30.36.

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§ 30 Rz. 30.278

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

ness Opinion) liegen (s. Rz. 30.43). Ansonsten sollten verstärkt marktgängige Preisfindungsverfahren genutzt werden, die jedenfalls konzeptionell auf das Bewertungsziel ausgerichtet sind (s. Rz. 30.59).

30.279 Zu- oder Abschläge für KMU (Größe, Diversifikation, Fungibilität) sind nicht vorzunehmen, es sei denn, sie sind messbar und gegeneinander abgrenzbar (s. Rz. 30.66).

30.280 Trotz der Veräußerungsfiktion ist die latente Ertragsteuer nicht isoliert vom Verkehrswert des Unternehmens abzuziehen. Im Grundsatz ist zu unterstellen, dass sowohl die latente Ertragsteuer auf der Verkäuferseite als auch der Abschreibungsvorteil auf der Erwerberseite (TAB) Bestandteile der Entscheidungswerte von Käufer und Verkäufer und damit eingepreist sind (s. Rz. 30.85).

30.281 Für die Unternehmensbewertung von KMU werden branchenübergreifende und branchenspezifische Bewertungshinweise bereitgestellt (s. Rz. 30.103). Die branchenübergreifenden Hinweise des IDW (IDW S 1, IDW Praxis-Hinweise KMU, IDW S 13) halten im Grundsatz an der Ertragswertmethode fest und passen diese an die KMU-Merkmale an (s. Rz. 30.107). Die branchenspezifischen Bewertungshinweise (BStBK, BRAK, BÄK) und die Transaktionspraxis favorisieren hingegen überwiegend branchenübliche Preisfindungsverfahren (Umsatzmultiplikatoren).1

30.282 Die (objektivierte) Ertragswertmethode ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich geeignet für die Unternehmensbewertung von KMU, nicht hingegen für inhaberbezogene KMU oder freiberufliche Praxen (s. Rz. 30.212). Insoweit wird die modifizierte Ertragswertmethode präferiert (s. Rz. 30.220). Dieses Kalkül ist aber kein eigenständiges Bewertungsmodell und aufgrund zahlreicher Schwächen abzulehnen.

30.283 Ebenso abzulehnen ist die nach wie vor verbreitete Substanzbewertung. Im Hinblick auf das Bewertungsziel (Verkehrswert des Unternehmens) sind vereinfachte Preisfindungsverfahren (Multiplikatorverfahren) zulässig und geboten (s. Rz. 30.248). Dazu zählen insbesondere die in der Praxis weit verbreiteten Umsatzmultiplikatoren (s. Rz. 30.264). Nach Möglichkeit sollen mehrere Multiplikatoren zur Bandbreitenbestimmung verwendet werden.

30.284 Preisfindungsverfahren gewährleisten zudem die Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen. Schließlich werden die zusätzlichen und kaum zu bewältigenden Schätzungsunsicherheiten der Ertragswertmethode bei der Bewertung von KMU preisseitig gelöst.

30.285 Vereinfachungen für KMU-Bewertungen sind erforderlich (s. Rz. 30.271). Die naheliegende Vereinfachung besteht darin, dass sich die Parteien auf einen Unternehmenswert einigen, der mittels eines Verfahrens ihrer Wahl einvernehmlich ermittelt wurde. Ferner sind Absprachen über die Anwendung der Bewertungsmethode und/oder Einzelheiten der Bewertung anzuraten (s. Rz. 30.274).

1 Siehe Rz. 30.172.

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§ 31 Bewertung in der Unternehmenskrise I. Besonderheiten der Unternehmensbewertung in der Unternehmenskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.1 1. Arten von Unternehmenskrisen . . . . 31.3 2. Geeignete Bewertungsverfahren . . . . 31.8 3. Besonderheiten bei der Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . 31.14 4. Besonderheiten bei der Ableitung der Kapitalkosten . . . . . . . . . . . . . . . 31.19 5. Besonderheiten bei der Berücksichtigung des Fremdkapitals, der Gläubigerposition und der Besicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.25 II. Bewertung im Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überschuldungstatbestand nach § 19 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansatz- und Bewertungsvorschriften für den Überschuldungsstatus . . . . . a) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Verwertungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31.29 31.29 31.30 31.31 31.32

c) Einzelbewertung vs. Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.35 d) Bewertung zu Liquidationswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.38 3. Unternehmensbewertung im Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . 31.39 III. Bewertung im Debt Equity Swap . . 1. Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . 2. Diskussionsstand: Bewertungsansätze für Fremdkapital . . . . . . . . . . a) Bewertung zum Nennwert . . . . . . b) Bewertung zum Schuldendeckungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldendeckungsgrad bei Insolvenz . . . . . . . . . . . . . bb) Bilanzieller Schuldendeckungsgrad . . . . . . . . . . . . cc) Schuldendeckungsgrad bei Unternehmensfortführung . . c) Bewertung zum Marktwert . . . . . 3. Die Perspektive der Sachkapitalerhöhungsprüfung . . . . . . . . . . . . . .

31.44 31.44 31.48 31.49 31.57 31.58 31.60 31.63 31.64 31.66

Schrifttum: Arbeitskreis Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen des IACVA e.V., Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen – die Berücksichtigung von Insolvenzwahrscheinlichkeiten, BewertungsPraktiker 2011, 12; Arnold, Nennwertrechnung beim Dept Equity Swap – Paradigmenwechsel durch das ESUG und die Aktienrechtsnovelle 2012?, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29; Blum/ Gleißner, Unternehmensbewertung, Rating und Risikobewältigung, Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden, Dresden 2006, 372; Cahn/Simon/Theiselmann, Forderungen gegen die Gesellschaft als Sacheinlage?, CFL 2010, 238; Cahn/Simon/Theiselmann, Dept Equity Swap zum Nennwert!, DB 2010, 1629; Damodaran, The Dark Side of Valuation: Valuding Young, Distressed, and Complex Businesses, 2009; Damodaran, Valuing Distressed and Declining Companies“, June 2009; Drukarczyk/Schüler in Kirchhof/Eidenmüller/Stürner (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 1, 3. Aufl. 2013, § 19 InsO; Ekkenga, Neuerliche Vorschläge zur Nennwertanrechnung beim Debt-Equity-Swap – Erkenntnisfortschritt oder Wiederbelebungsversuche am untauglichen Objekt?, DB 2012, 331; Gleißner, Das Insolvenzrisiko beeinflusst den Unternehmenswert: Eine Klarstellung in 10 Punkten, Bewertungspraktiker, 2017, 42; Gleißner, Der Einfluss der Insolvenzwahrscheinlichkeit (Rating) auf den Unternehmenswert und die Eigenkapitalkosten, CFB 2011, 243; Hüttemann, Überschuldung, Überschuldungsstatus und Unternehmensbewertung, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 761; Hüttemann, Unternehmensbewertung quo vadis? Rechtliche Vorgaben an ein Bewertungskonzept, WPg 2007, 812; IDW, IDW Standard: Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), IDW-Fachnachrichten 12/2012, S. 719; IDW, IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), IDW-Fachnachrichten 7/2008, S. 271; IDW, IDW-Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), IDWFachnachrichten 3/2017, S. 309; IDW, IDW-Standard: Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6), IDW-Fachnachrichten 8/2018, S. 749; IDW; IDW Fragen und Antworten: Zur Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten nach IDW S 6 (F&A zu IDW S 69; IDW-Fachnachrichten 8/2018, S. 826; IDW, IDW-Praxishinweis: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restruktu-

Wieland-Blöse 1115

§ 31 Rz. 31.1

Siebter Teil: Sonderbereiche der Unternehmensbewertung

rierungen, Due Diligence und Fairnessopinion (IDW Praxishinweis 2/2017), IDW Praxishinweis 2/2018: Berücksichtigung des Verschuldungsgrads bei der Bewertung von Unternehmen, IDW Life. 10/2018, S. 966 f.; IDW-Fachnachrichten 3/2017, S. 343; IDW (Hrsg.), WPH-Edition: Sanierung und Insolvenz, Düsseldorf 2017; IDW (Hrsg.), WPH-Edition: Bewertung und Transaktionsberatung, Düsseldorf 2017; Kehrel, Die Bedeutung des Insolvenzrisikos in der Unternehmensbewertung, ZfCM 2011, 372; Kleindiek, Debt-Equity-Swap im Insolvenzplanverfahren, FS Hommelhoff, 2012, S. 543; Haas, Bilanzierungsprobleme bei der Erstellung eines Überschuldungsstatus nach § 19 Abs. 2 InsO, in Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e.V., Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2009, Kap. 40, Rz. 17, 21; Kruschwitz, Risikoabschläge, Risikozuschläge und Risikoprämien in der Unternehmensbewertung, DB 2001, 2409; Lobe/Hölzl, Ewigkeit, Insolvenz und Unternehmensbewertung: Globale Evidenz, CFB 2011, 252; Meitner/Streitferdt, Unternehmensbewertung, 2011; Meyer/Degener, Debt-Equity-Swap nach dem RegE-ESUG, BB 2011, 846; Priester, Debt-Equity-Swap zum Nennwert?, DB 2010, 1445; Redeker, Kontrollerwerb an Krisengesellschaften: Chancen und Risiken des Debt-Equity-Swap, BB 2007, 673; Simon, Der Debt-Equity-Swap nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, CFL 2010, 448; Weber/Schneider, Die nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vorgesehene Umwandlung von Forderungen in Anteils- bzw. Mitgliedschaftsrechte (Debt-Equity-Swap), ZInsO 2012, 374; Wieland-Blöse, Die Bewertung von Beteiligungen im Überschuldungsstatus, WPg 2009, 1184; Wieland-Blöse, Unternehmensplanung bei Bewertungen, Restrukturierungen und sonstigen Transaktionen, WPg 2017, 841; WP-Handbuch, Band II, 2014; Wentzler, Debt Equity Swap als Teil der finanziellen Unternehmenssanierung, FB 2009, 446.

Dieser Abschnitt wurde unter Mitarbeit von Dr. Christian Haesner erstellt.

I. Besonderheiten der Unternehmensbewertung in der Unternehmenskrise 31.1 Die Bewertung von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, die sich in einer operativen oder finanziellen Krise befinden, weist Besonderheiten auf, denen sich die nachfolgenden Abschnitte widmen.1 Dabei handelt es sich häufig um hoch verschuldete Unternehmen mit teilweise erheblichen Ausfallrisiken des Fremdkapitals. Neben der Bewertung des Eigenkapitals stellt sich in Unternehmenskrisen daher regelmäßig die Frage der Bewertung des Fremdkapitals. Allgemein wird die Gefahr gesehen, in diesen schwierigen Bewertungssituationen ohne adäquate Anpassungen zu hohe und sachlich nicht gerechtfertigte Unternehmenswerte zu ermitteln.2

31.2 Unternehmensbewertungen sind in unterschiedlichen Krisenstadien von Bedeutung: – In einer vorinsolvenzlichen Krisensituation haben Neuinvestoren, bisherige Eigenkapitalgeber und Fremdkapitalgeber regelmäßig daran Interesse, Informationen über den Unternehmenswert bzw. den Wert des Eigen- und Fremdkapitals zu erhalten.3 Ist eine Sanierung beabsichtigt, können die Wirkungsweisen von Sanierungsmaßnahmen in einer Unternehmensbewertung abgebildet werden und veranschaulichen, ob auf der Basis des Sanierungsplans wieder ein Unternehmenswert erzielt werden kann, der die Fremdkapitalansprüche abdeckt und zu einem positiven Wert des Eigenkapitals führt.

1 Vgl. zur Bewertung sanierungsbedürftiger Unternehmen insbesondere Petersen/Zwirner/Brösel, Handbuch Unternehmensbewertung, S. 887 ff.; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 355 ff.; Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 699 ff.; Damodaran, Valuing Distressed and Declining Companies, S. 1 ff. 2 Vgl. Damodaran, The Dark Side of Valuation, S. 38 ff.; Drukarczyk/Schüler in MünchKomm. InsO, § 19 InsO Rz. 139. 3 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 362 f.

1116

Wieland-Blöse

Bewertung in der Unternehmenskrise

Rz. 31.6 § 31

– Hat eine Krisensituation die Notwendigkeit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach sich gezogen, sind die angesprochenen Werte von Relevanz für die unterschiedlichen Inhaber finanzieller Ansprüche, damit die finanziellen Verluste der Kapitalgeber minimierende Entscheidungen getroffen werden können.1 – Auf dem Weg zwischen dem Vorliegen einer Unternehmenskrise und dem Erfordernis zur Insolvenzanmeldung liegt die Beschäftigung mit Insolvenzantragsgründen. Auch dafür wird auf wesentliche Bestandteile von Unternehmensbewertung zurückgegriffen: Für die Beurteilung von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie der Fortbestehensprognose (§ 19 InsO) ist wesentlich auf eine Liquiditätsplanung abzustellen, die regelmäßig Teil einer integriert erstellten Unternehmensplanung ist. Derartige Unternehmensplanungen sind zugleich wesentliches Element einer Unternehmensbewertung. 1. Arten von Unternehmenskrisen Allgemein lassen sich operative und finanzielle Krisen unterscheiden. Aus der Art der Krise und der Krisenursachen ergeben sich Besonderheiten für die Unternehmensbewertung in diesen Situationen.

31.3

Operative Krisen zeigen vielfältige Symptome: Zum Ersten können sich negative Jahresüberschüsse in der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung zeigen. Zum Zweiten können die Cash Flows aus der operativen Geschäftstätigkeit nicht ausreichen, die Cash Flows aus der Finanzierungs- und der Investitionstätigkeit abzudecken. In diesen Fällen ergibt sich kurzfristig oder nachhaltig Nachfinanzierungsbedarf. Steht dafür kein finanzieller Rahmen zur Verfügung, können sich bei dieser Ausprägung einer operativen Krise sehr kurzfristig Insolvenzantragsgründe ergeben. Zum Dritten kann bei positiven Jahresüberschüssen und positivem Cash Flow die erwirtschaftete Rendite unterhalb der von den Eigenkapitalgebern geforderten Kapitalkosten liegen. In diesem Fall ist das operative Geschäft nicht ausreichend rentabel.

31.4

Die Gründe für diese Krisen sind vielfältiger Natur. Meist durchlaufen Unternehmen verschiedene Krisenstadien. Diese müssen nicht einer zwingenden Verlaufsform folgen, oftmals reichen auch einzelne Krisenstadien aus, um insolvenzbedrohende Auswirkungen zu haben. Im IDW Standard S 6 werden Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrisen sowie Erfolgsund Liquiditätskrisen unterschieden und erläutert.2

31.5

Operative Krisen können – müssen aber nicht – auch finanzielle Krisen nach sich ziehen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn bestimmte operative Kennzahlen sich derart verschlechtern, dass sie unterhalb der in Kreditverträgen vereinbarten Mindestgrößen liegen (sog. covenants). Werden covenants nicht gehalten (sog. „covenant breach“), sehen Kreditverträge regelmäßig das Recht der Kreditg