Tribus und Stadt: Entstehung und Topographie der römischen Wahlbezirke 9783897442375, 389744237X

Die Tribus waren Stimmbezirke im alten Rom, die die ZusammenSetzung einer besonderen Form der Volksversammlung, der Trib

109 52 8MB

German Pages 530 [753] Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Tribus und Stadt: Entstehung und Topographie der römischen Wahlbezirke
 9783897442375, 389744237X

Table of contents :
Cover
Title
Copyright
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Stadtwerdung
II. Die drei ältesten Tribus
III. Die vier Stadttribus
IV. Die Landtribus
V. Die Lokalisierung
der Tribus
VI. Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Register

Citation preview

Beihefte zum Göttinger Forum für Altertumswissenschaft Band 17 herausgegeben von Siegmar Döpp und Jan Radicke

Michael Rieger Tribus und Stadt Die Entstehung der römischen Wahlbezirke im urbanen und mediterranen Kontext (ca. 750–450 v.Chr.)

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

Mit 7 Karten Der Umschlag zeigt eine Landkarte von D. Boindin «Die 17 alten Landtribus» (1746)

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 1716, 37007 Göttingen – 2007 www.edition-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Umschlaggestaltung: klartext, Göttingen Layout und Satz: Michael Rieger Druck: buch bücher dd ag, Birkach ISBN: 978-3-89744-237-5

Meinen Eltern

Inhaltsverzeichnis Einleitung Thema und Ziele......................................................................................................1 Quellen und Methoden…........................................................................................7 Forschung..............................................................................................................18 Gliederung.............................................................................................................23

I. Die Stadtwerdung 1. Bronzezeit und Eisenzeit in Latium............................................................................24 2. Stadtgründung statt Stadtwerdung?............................................................................31 3. Phasen des Stadtwerdungsprozesses..........................................................................37 3.1. Das Pomerium........................................................................................................37 3.2. Roma quadrata........................................................................................................42 3.3. Das Forum als Zentrum der geeinten Stadt...........................................................53 3.4. Die erweiterte Kernsiedlung aus Cermal, Palatin und Velia................................61 3.5. Die Ausdehnung der Kernsiedlung........................................................................65 3.6. Das Septimontium..................................................................................................68 3.7. Die Integration der colles.......................................................................................74 4. Schriftliche Überlieferung und archäologische Erkenntnisse...................................78 5. Zusammenfassung.......................................................................................................81

II. Die drei ältesten Tribus 1. Die Forschung............................................................................................................83 2. Die Funktionen der Tribus..........................................................................................90 2.1. Militärische Funktion............................................................................................90 2.2. Sakrale Funktion...................................................................................................101 2.3. Politische Funktion..............................................................................................107 2.4. Soziale Funktion..................................................................................................112 2.5. Zusammenfassung...............................................................................................114 3. Die Zusammensetzung der Tribus............................................................................115 3.1. Gentes..................................................................................................................115 3.2. Kurien und Dekurien..........................................................................................123 4. Die Tribus als lokale Einheiten.................................................................................137 5. Die Tribus in ihrem historischen Kontext................................................................146 6. Die Tribus in ihrem geographischen Kontext..........................................................151 6.1. Etruskische Tribus...............................................................................................151 6.2. Umbrische Tribus................................................................................................159 6.2.1. Iguvinische Tribus..........................................................................................159 6.2.2. Tribus Sapinia.................................................................................................173 6.3. Sabellische Tribus................................................................................................176

VIII

6.4. Latinische Tribus................................................................................................183 6.5. Keltische Tribus.................................................................................................185 6.6. Griechische Phylen.............................................................................................187 6.6.1. Phylenreformen im 7. und 6. Jh....................................................................187 6.6.2. Griechische Phylen im Vergleich.................................................................209 6.6.3. Griechische Phylen und römische Tribus im Vergleich...............................216 6.6.3.1. Unterschiede...........................................................................................216 6.6.3.2. Gemeinsamkeiten.....................................................................................224 6.7. Zusammenfassung..............................................................................................228 7. Der Ursprung der römischen Tribus.........................................................................231 7.1. Äußere Einflüsse auf die Stadtwerdung................................................................231 7.2. Demaratus und der korinthische Einfluß auf Rom............................................240 7.3. Die Etymologie des Wortes Tribus....................................................................257 7.4. Die Entstehung der römischen Tribus...............................................................260 8. Der Entstehungszeitpunkt der Tribus.......................................................................264 9. Ergebnisse..................................................................................................................272

III. Die vier Stadttribus 1. Zu Servius Tullius und zur Verläßlichkeit der Quellen...........................................278 2. Die Quellen...............................................................................................................283 3. Die Gründung der Stadttribus: Struktur, Funktion und Kontext.............................285 3.1 Der Bau einer Stadtmauer....................................................................................285 3.2. Die Gründung der vier Regionen und der vier Tribus.......................................289 3.3. Die Funktion der Tribus im Rahmen des Zensus...............................................296 3.4. Die Registrierung in den Tribus: Wohnsitz und Territorium..............................305 3.5. Die interne Organisation der Tribus...................................................................311 3.6. Die Einschreibung von Freigelassenen und Fremden in die Tribus..................315 3.7. Die Tribusreform in ihrem historischen Kontext...............................................317 4. Die weitere Entwicklung der Stadttribus.................................................................322 5. Die Einteilung des Landes unter Servius Tullius....................................................325 6. Die Datierung der Tribusreform..............................................................................344

IV. Die Landtribus 1. Die Forschung...........................................................................................................345 1.1. Zweiphasige Gründung nach 495/493...............................................................345 1.2. Simultane Gründung 495/493 oder zuvor........................................................ 348 1.3. Zweiphasige Gründung vor 495/493.................................................................351 2. Das Jahr 495 v.Chr. als Terminus ante quem..........................................................353 3. Die Gründung der Claudia.......................................................................................361 4. Die Gründung der Clustumina.................................................................................371 5. Die Gründung der Claudia und Clustumina: Sukzessiv oder simultan?.................380 6. Die Gründung der 16 gentilizischen Landtribus.....................................................382

IX

6.1. Die Namen der eponymen Tribusgentes als Kriterium der Datierung…..........382 6.2. Die Namen der nicht in den Fasti vertretenen Tribusgentes..............................385 6.2.1. Camilii.............................................................................................................385 6.2.2. Galerii..............................................................................................................387 6.2.3. Lemonii...........................................................................................................387 6.2.4. Pollii.................................................................................................................388 6.2.5. Pupinii.............................................................................................................388 6.2.6. Voltinii.............................................................................................................389 6.2.7. Ergebnisse.......................................................................................................390 6.3. Die Namen der in den Fasti vertretenen Tribusgentes.......................................391 6.3.1. Aemilii.............................................................................................................391 6.3.2. Claudii.............................................................................................................392 6.3.3. Cornelii…........................................................................................................397 6.3.4. Fabii.................................................................................................................398 6.3.5. Horatii..............................................................................................................402 6.3.6. Menenii............................................................................................................403 6.3.7. Papirii..............................................................................................................404 6.3.8. Romilii.............................................................................................................406 6.3.9. Sergii................................................................................................................407 6.3.10. Veturii............................................................................................................408 7. Deutung.......................................................................................................................414 8. Die 17 alten Landtribus und die Macht der Tribusgentes........................................421 8.1. Der Status der Tribusgentes..................................................................................421 8.2. Die Tribusgentes als Okkupanten des ager Romanus antiquus..........................426 8.3. Die Frage der Autonomie der Gentes...................................................................431 8.3.1. Gens Claudia....................................................................................................431 8.3.2. Gens Horatia.......................................................................................................432 8.3.3. Gens Fabia........................................................................................................434 8.3.4. Die Kriegsführung in der ausgehenden Königszeit..... ..................................443 9. Stadt- und Landbewohner..........................................................................................450 10. Römische Tribus und athenische Phylen im Vergleich..........................................458 11. Zusammenfassung....................................................................................................464

V. Die Lokalisierung und Bedeutung der Tribus 1. Die städtischen Grenzen.............................................................................................469 2. Die drei ältesten Tribus…..........................................................................................475 3. Die vier Stadttribus.....................................................................................................479 3.1. Suburana..............................................................................................................479 3.1.1. Der pagus Succusanus....................................................................................479 3.1.2. Andere Gebiete der Suburana.........................................................................484 3.2. Palatina.................................................................................................................489 3.3. Esquilina...............................................................................................................491 3.4. Collina..................................................................................................................493 4. Die 17 alten Landtribus..............................................................................................495

X

4.1. Die Ausdehnung des ager Romanus antiquus....................................................496 4.1.1. Die These eines doppelten Tribusgürtels......................................................496 4.1.2. Die Inkohärenz des Modells.........................................................................498 4.1.3. Die Inbesitznahme des rechtstiberischen Gebietes.......................................500 4.2. Die Lage der Landtribus................................................................................513 4.2.1. Kriterien für die Lokalisierung der alten Landtribus................................514 4.2.2. Der nordöstliche ager Romanus....................................................................521 4.2.2.1. Aemilia.......................................................................................................522 4.2.2.2. Camilia.................................................................................................526 4.2.2.3. Menenia................................................................................................528 4.2.2.4. Pupinia..................................................................................................530 4.2.3. Der östliche und südliche ager Romanus..................................................539 4.2.3.1. Papiria..................................................................................................539 4.2.3.2. Lemonia.................................................................................................540 4.2.3.3. Horatia...................................................................................................543 4.2.3.4. Fabia......................................................................................................547 4.2.3.5. Voturia...................................................................................................565 4.2.4. Das westliche Gebiet trans tiberim................................................................568 4.2.4.1. Romilia.......................................................................................................568 4.2.4.2. Galeria........................................................................................................570 4.2.4.3. Voltinia.......................................................................................................571 4.2.5. Der nördliche ager Romanus.....................................................................574 4.2.5.1. Pollia......................................................................................................574 4.2.5.2. Sergia.....................................................................................................577 4.2.5.3. Cornelia.................................................................................................580 4.2.5.4. Claudia..................................................................................................581 4.2.5.5. Clustumina............................................................................................582 4.2.6. Die Sicherheit der Lokalisierungen................................................................586 4.3. Die Gründung und Bedeutung der 17 alten Landtribus.....................................588 4.3.1. Der Gründungszeitpunkt.............................................................................588 4.3.2. Die Zusammensetzung..................................................................................590 4.3.3. Die politische Bedeutung…..........................................................................593 4.3.4. Die territoriale Bedeutung..............................................................................611

VI. Ergebnisse 1. Der historische Kontext der Tribusgründungen..................................................614 2. Der Ursprung der Tribus......................................................................................617 3. Die Entwicklung der Tribus.................................................................................619 4. Personal- und Lokaltribus....................................................................................623

XI

Literaturverzeichnis A. Inschriften-/Münz- und Fragmentsammlungen.......................................................627 B. Literarische Quellen und Kommentare................................................................628 C. Lexika.......................................................................................................................633 D. Literatur.....................................................................................................................634

Register 1. Begriffe und Sachen..................................................................................................654 2. Namen (Götter, gentes, mythische und historische Personen).............................688 3. Geographische Begriffe a) Rom (Römische Toponyme/Monumente/Völker)..............................................698 b) Ager Romanus....................................................................................................702 c) Orte, Regionen und Völker außerhalb Roms.....................................................705 4. Moderne Autoren................................................................................................711 5. Quellenverzeichnis a) Autoren.............................................................................................................713 b) Glossen/Inschriften/Münzen/Papyri.....................................................................726

Karten Roma quadrata................................................................................................................732 Die Entwicklung der archaischen Stadt (ca.750-500) .................................................733 Die vier Stadttribus........................................................................................................734 Die 17 alten Landtribus nach D. Boindin (1746)........................................................735 Die 17 alten Landtribus nach L.R. Taylor (1960)........................................................736 Die 17 alten Landtribus nach A. Alföldi (1962)..........................................................737 Die 17 alten Landtribus (M. Rieger).............................................................................738

Tabellen/Skizzen Die Chronologie der Latialkultur...................................................................................25 Die Integration der Hügel nach annalistischer Vorstellung..........................................78 Phasen des Stadtwerdungsprozesses..............................................................................80 Die mögliche Verbreitung der griechischen Phylen in Italien.....................................263 Der Ursprung und die Herkunft der Tribusgentes........................................................420 Die Lage der 21 Stadt- und Landtribus.........................................................................587

XII

Danksagung Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation im Fach Alte Geschichte, die im Juni 2001 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Psychologie der Universität Bielefeld angenommen wurde. Der Umfang des ursprünglichen Werkes, das zeitlich und thematisch über die hier vorgelegte Untersuchung hinausreicht, hat eine Kürzung in weiten Teilen notwendig gemacht. Angeregt wurde die Arbeit durch meinen verehrten Lehrer Prof. Dr. Rilinger, der ihr Entstehen mit zahlreichen Ratschlägen und großer Liberalität gefördert hat. Leider konnte er ihre Fertigstellung nicht miterleben. Seine Seminare und sein menschlicher, unprätentiöser Umgang mit mir und den anderen Mitarbeitern im Fachbereich Alte Geschichte werden mir stets in Erinnerung bleiben. Sein fachwissenschaftlicher Rat, den er mir für weite Teile der Arbeit mit auf den Weg geben konnte, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Zu danken habe ich ferner Prof. Dr. Winterling, der als Erstgutachter der Arbeit, das Projekt mit kritischem Blick und zahlreichen Ratschlägen begleitete. In der Endphase der Arbeit hat er mit wichtigen Hinweisen dazu beigetragen, Gedanken und Ergebnisse zu einer klarer strukturierten Argumentation zusammenzufassen. Das Zweitgutachten hat Prof. Dr. Schmitz erstellt, dem ich ebenfalls für Verbesserungsvorschläge und Anregungen zu Dank verpflichtet bin. Das Zustandekommen der Arbeit wurde gefördert durch die Teilnahme am Bielefelder Graduiertenkolleg „Sozialgeschichte von Gruppen, Schichten, Klassen und Eliten“. Der regelmäßige Austausch mit Kollegen fand in einem Klima der Offenheit und des gegenseitigen Respekts statt und hat meinen Blick für kultur- und epochenübergreifende Fragestellungen geschärft. Die Volkswagenstiftung gewährte mir in dieser Zeit die finanziellen Mittel für eine zweijährige Phase der Muße zum Lesen, Nachdenken und Schreiben. Danken möchte ich ferner Prof. Dr. Hallof von der Berliner Akademie der Wissenschaften, der für mich eine neue Abschrift der Berliner Kopie des Senatus Consultum de agro Pergameno erstellte. Diese enthält wichtige Neulesungen, die Konsequenzen für die Frage der Datierung des S.C. und der Identifizierung der teilnehmenden Senatoren haben und die gesondert publiziert werden sollen. Einzelne Erkenntnisse zu den gentes Atilia, Domitia und Hortensia flossen bereits in diese Arbeit mit ein. In der Phase der Druckfassung haben mehrere Lehrer, Kollegen und Freunde Teile des Manuskripts gelesen und Verbesserungsvorschläge gemacht. Gedankt sei dafür ausdrücklich Dr. C. Beyer-Fusco, Dr. A. Bleich-Schade, Dr. Alexandra Cappel, Dr. A. Fusco, Jutta Grau (M.A.), Claudia Horst (M.A.), Prof. Dr. Mischa Meier, Prof. Dr. Winfried Nippel, Prof. Dr. Tassilo Schmitt, Dr. Markus Sehlmeyer und Jan Timmer (M.A.). Mit Dr. F.X. Ryan verbindet mich seit längerer Zeit ein Gedankenaustausch zu den römischen Komitien. Ich bedanke mich bei ihm, einige seiner Artikel noch vor ihrem Erscheinen einsehen zu können.

XIII

Den Herausgebern des „Göttinger Forums für Altertumswissenschaft“ danke ich für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe der „Beihefte“. Unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen der Arbeit war die großzügige, verständnisvolle Unterstützung meiner Eltern. Wieviel ich ihnen verdanke, kann an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden. Ihnen widme ich deshalb dieses Buch. Bielefeld, im Juni 2006

Einleitung Thema und Ziele „Tribu et Cité“ (Tribus und Stadt) lautet der Titel der Monographie, mit der Denis Roussel vor nunmehr 30 Jahren den Weg für ein neues Verständnis der griechischen Phylen öffnete und unsere Kenntnis von Struktur und Funktion der griechischen Poleis vermehrte.1 Zuvor galten die Phylen als stammesgeschichtliche Einheiten, deren Ursprung in die Zeit der dorischen und ionischen Wanderung zurückreicht. Sie wurden abwechselnd für ständische, gentilizische oder regionale Unterabteilungen der nach Griechenland eingewanderten Ionier und Dorier gehalten, die dem Adel als Machtbasis in der Auseinandersetzung mit der entstehenden Polis dienten. Roussel hat jedoch gezeigt, daß sie als Personenverbände die Existenz der Städte voraussetzen und alle sozialen Gruppen der Bürgerschaft umfaßten. Sie nahmen wichtige kultische, rechtliche, politische und militärische Funktionen wahr, die eine Einbindung der Bürgerschaft in die Aufgaben der Polis, unabhängig von ihrer sozialen oder regionalen Herkunft und unabhängig von ihren ökonomischen Ressourcen, gewährleisten sollten.2 Entwicklungsgeschichtlich erscheint die Entstehung der Phylen als wichtige Voraussetzung für die institutionelle Konsolidierung der Poleis während der „Dunklen Jahrhunderte“. Die Phylen öffneten durch ihre integrierende Wirkung den Bürgern den Weg für eine Teilnahme am Rat, der Volksversammlung und den Ämtern, die die städtischen Aufgaben der Rechtsprechung, Gesetzgebung, Verteidigung und Verwaltung wahrnahmen. Sie waren künstliche Einheiten, die nach rationalen Kriterien jederzeit neu konstituiert werden konnten, wie u.a. die Beispiele Athen, Sparta und Korinth bezeugen.3 Die Rousselsche Beschreibung der Phylen, die in der Forschung zunehmend Anerkennung findet (Kap.II.6.6.2), ist auch deshalb von hoher Attraktivität, weil sie mit dem Verständnis, das die Griechen von ihren eigenen Städten hatten, harmoniert. Die Polis4 wurde eben nicht in erster Linie als eine 1

D. Roussel, Tribù et cité, Besançon/Paris 1976. In dieser Hinsicht ähnelten sie den Phratrien („Bruderschaften“), die neben öffentlichen auch private Aufgaben übernahmen – wie etwa in Athen die Anerkennung der Vollbürtigkeit –, allerdings seltener im griechischen Sprachraum vertreten waren. Cf. S.D. Lambert, The Phratries of Attica, Ann Arbor 1993. 3 Cf. Kap.II.6.6.1. Zum Aspekt der Rationalität cf. C. Ampolo, La nascita della città, in: Storia di Roma I, 177-180; O. Murray, Cities of Reason, in: id./S. Price (Hrg.), The Greek City. From Homer to Alexander, Oxford 1990, 1-28; id., La razionalità della città greca, in: Convegno „Venticinque secoli dopo l’invenzione della Democrazia“, Paestum 12-14 ott. 1994, Paestum 1998, 21-28. 4 Der Begriff „Polis“ konnte die Stadt sowohl im physischen Sinn als auch im Sinne einer „politischen“ Gemeinschaft der sich selbst verwaltenden Bürger bezeichnen. Die zweite Bedeutung ist die dominante und schwingt stets in den Kontexten mit, in denen Polis als physische Stadt gemeint ist, cf. M.H. Hansen (Hrg.), Polis and City-State. An Ancient Concept and Modern Equivalent, Symposium, Jan.9, 1998, Kopenhagen 1998, 17-34; id., A Survey of the Use of the Word Polis in Archaic and Classical Sources, in: P. Flensted-Jensen (Hrg.), Further Studies in the Ancient Greek Polis, Stuttgart 2000, 173-215. Ferner: I. Morris, The Polis as City and State, in: J. Rich/A. Wallace-Hadrill (Hrg.), City and Country in the Ancient World, London/New York 1991, 25-57. 2

2

Einleitung

Ansammlung monumentaler Bauten mit einer funktionierenden Infrastruktur oder als ein zentraler Ort des Warentausches verstanden, sondern als eine Gemeinschaft der hier lebenden Bürger, die einen gleichen Anteil an dem Regiment der Stadt hatten. Aristoteles brachte dieses Verständnis von Polis mit dem Ausdruck metšcein tÁj polite…aj auf den Punkt.1 Zwar hatte der Philosoph wohl ausschließlich die griechischen Gemeinden im Sinn; die Selbstverwaltung der Stadt durch ihre Bürger konnte aber auch für außergriechische Städte ein konstitutiver, ihren Zusammenhalt garantierender Bestandteil sein.2 Die Römer kannten hierfür den Terminus civitas, der im Gegensatz zu dem weitergefaßten Begriff urbs die Stadt als Rechtsgemeinschaft der Bürger bezeichnete.3 In Rom übernahmen Einheiten wie die Kurien, Zenturien und Tribus die Aufgabe – wenn auch in stark differenzierender und ritualisierter Form –, die Bürger in zentrale Entscheidungen mit einzubinden.4 Die Tribus galten nicht umsonst bereits nach antiker Auffassung als das Pendant zu den Phylen der griechischen Städte.5 Sie hatten in der Republik eine Bedeutung, die die der Phylen griechischer Städte sogar noch überstieg. Die Zugehörigkeit zu ihnen bildete überhaupt erst die Voraussetzung für den Eintritt in die Bürgerschaft und damit für die politische Partizipation, eine Funktion, die etwa in Athen die Demen wahrnahmen. Die Tribus waren die Basiseinheit für die Tributkomitien, die alljährlich die niederen Beamten wählten, über Gesetze abstimmten und in Prozessen Urteile fällten. In dieser Volksversammlung zählte die Mehrheit der erreichten Tribusstimmen und nicht die absolute Mehrheit der Einzelstimmen. Gegen Ende des dritten Jahrhunderts hatten die Tribus auch eine zentrale Bedeutung für die Abstimmung in den Zenturiatkomitien, in denen die Wahl der Konsuln und Prätoren erfolgte. Diese Komitien wurden nämlich in der Weise reformiert, daß man die 70 Zenturien der ersten Vermögensklasse, die sich in zwei Altersgruppen 1

Arist.pol.1268a,24,28,40; 1272a,15; 1275b,31,35 und insbesondere Arist.Ath.Pol.21.2, wo die Verteilung der Bürger Athens auf die zehn kleisthenischen Phylen mit einer verstärkten Teilhabe an den politischen Geschäften begründet wird (Ópwj met£scwsi ple…ouj tÁj polite…aj). Zur Idee der Bürgerpartizipation bei Aristoteles cf. U. Walter, An der Polis teilhaben, Bürgerstaat und Zugehörigkeit im archaischen Griechenland, Stuttgart 1993, 23-27. Ferner: D. Lotze, Der Bürger und seine Teilhabe an der Regierung der Polis, in: W. Ameling/K. Zimmermann (Hrg.), Bürger und Unfreie im vorhellenistischen Griechenland. Ausgewählte Aufsätzte, Stuttgart 2000, 117-149. 2 Aristoteles’ Ansicht, daß die Polis eine der griechischen Zivilisation eigene Institution war, läßt sich nicht halten, zumal andere Quellen (Hekataios, Herodot, Thukydides, Xenophon) auch barbarische Städte als Poleis bezeichnen, cf. M.H. Hansen, in: P. Flensted-Jensen (Hrg.), op.cit., 180182. 3 Cf. T.J. Cornell, The City-States in Latium, in: M.H. Hansen (Hrg.), A Comparative Study of Thirty City-State Cultures, Kopenhagen 2000, 214. Das Wort urbs – es hängt eng mit orbis zusammen (Varr.ling.5.143) – meinte dagegen die Stadt im physischen Sinn unter Einschluß aller Bewohner (Freie, Fremde und Sklaven) ungeachtet ihres politischen, sozialen oder ökonomischen Status’. 4 Roussel, Tribu, 311, unterschied zwischen den griechischen Phylen, die rein personalen Charakter besessen hätten, und den territorialen römischen Tribus. Diese Trennung läßt sich jedoch nicht aufrechterhalten, da Phylen einzelner Poleis (Korinth) bereits früh einen territorialen Bezug aufweisen, während die Tribus nicht nur territoriale, sondern stets auch personale Abteilungen waren. Cf. die Rezension von Ph. Gauthier, RH 259, 1978, 514. Zur Vererbbarkeit der römischen Tribus und ihrem Charakter als Personaleinheiten cf. Kap.II.6.6.3.1/VI.4. Zur Territorialität der korinthischen Phylen cf. Kap.II.6.6.1. 5 Dion.2.7.2-4; Plut.Rom.20.2-3.

Thema und Ziele

3

gliederte, mit den bis zum Jahre 241 v.Chr. gegründeten 35 Tribus koordinierte: Indem die 35 seniores- und die 35 iuniores-Zenturien aus jeweils einer Tribus zusammengesetzt wurden, erreichte man, daß jede Tribus in beiden Altersgruppen gleichermaßen repräsentiert war. Die Bedeutung der Tribus im Rahmen der reformierten Zenturiatkomitien wird durch einen Auszug aus dem Commentariolum Petitionis illustriert, in dem Quintus Tullius Cicero seinem Bruder Marcus anläßlich seiner Kandidatur um das Konsulat im Jahre 65 v.Chr. die Empfehlung gab, „ganz Italien, Tribus für Tribus, in seiner Gesamtheit vor Augen und im Gedächtnis“ zu behalten.1 Die Geschichte der 35 römischen Tribus ist somit über weite Phasen der Republik die Geschichte der Wahlbezirke. In dieser Funktion setzen sie die Ausgestaltung der republikanischen Verfassung mit ihren Ämtern und Volksversammlungen voraus, die im Rahmen eines längeren Prozesses im 5. und 4. Jh. entstand. Was aber war die Funktion der 21 alten Stadt- und Landtribus, deren Existenz die Quellen zu Beginn des 5. Jhs. annehmen?2 Hatten sie Aufgaben, die über ihre Funktion als Zensusbezirke zur Erfassung der Bürgerschaft, von denen die Quellen im Zusammenhang mit den Reformen des Servius Tullius berichten, hinausgingen? Nicht geklärt ist vor allem die Rolle der ältesten drei Tribus der Tities, Ramnes und Luceres, deren Einrichtung Romulus zugeschrieben wird.3 Waren sie ausschließlich militärische Einheiten, wie einige Quellenaussagen und die Rekonstruktion der ältesten römischen Legion nahelegen, oder können sie darüber hinaus als sakrale Gemeinschaften, die sich auf eine gemeinsame mythische Abstammung beriefen, beschrieben werden? Fraglich ist auch die Zusammensetzung der alten Tribus. Umfaßten sie die gesamte Bürgerschaft oder nur einen Teil von ihr? Funktion und Zusammensetzung der römischen Tribus hängen eng mit der Frage zusammen, wieweit die Ursprünge der Tribus zurückreichen und welche Rolle die Tribus im Rahmen des Stadtwerdungsprozesses spielten. Handelt es sich wie bei den griechischen Phylen um künstliche Gliederungseinheiten der Stadtbevölkerung? Oder können sie doch als Relikte einer entfernten Stammesvergangenheit gedeutet werden, in der Latiner, Etrusker und Sabiner getrennte Siedlungsverbände bildeten? Einige Quellen, die die Tribus auf den Etruskerkönig Lucumo, den Römerkönig Romulus und den Sabinerkönig Titus Tatius zurückführen, legen einen solchen ethnischen, vorstaatlichen Ursprung nahe. Auch die Beschränkung des Begriffes „Stadttribus“ (tribus urbanae) in den Quellen auf die vier späteren, unter Servius Tullius gegründeten Bezirke spräche dafür. Die Frage nach der Staatlichkeit der Tribus ist somit nicht nur von zentraler Bedeutung für die Zusammensetzung und Funktion der Tribus, sondern auch für den Cha1

Comm.Pet.30: Postea totam Italiam fac ut in animo ac memoria tributim discriptam comprensamque habeas (Übers. H. Kasten, München 21976). Cf. auch den Kommentar von G. Laser (Hrg.), Q. Tullius Cicero, Commentariolum Petitionis, Darmstadt 2001, 130. Zur Frage der Authentizität der Quelle cf. die zusammenfassenden Argumente von F. Lucrezi, Commentariolum Petitionis, SDHI 64, 1998, 413-439. 2 Liv.2.21.7. 3 Besser überliefert ist die zeitliche Abfolge der 14 neuen Landtribus, wenn auch hier die Angaben eher von lakonischer Kürze sind und den Zensusregistern entnommen zu sein scheinen.

4

Einleitung

rakter des frühen römischen Staates insgesamt. Die Vorstellungen darüber, wann man von einem römischen Stadtstaat1 sprechen kann und ob beide Dimensionen der Stadtwerdung, die urbane (städtebauliche) und institutionelle, überhaupt im Falle Roms koinzidierten, weichen in der Forschung erheblich voneinander ab. A. Carandini glaubt an die Existenz einer Stadt (in beiden Dimensionen) in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, als Romulus die verschiedenen, bis dahin autonomen Siedlungen durch einen sakralen Gründungsakt vereint habe. E. Gabba plädiert für eine längere Entstehungsphase des Stadtstaates in seiner institutionellen Ausprägung, der erst im 4. Jh. an die Stelle eines Interessenbündnisses autonomer gentes getreten sei.2 Beiden Ansichten ist gemein, daß die Tribus nicht als städtische, sondern als vorstädtische Gliederungseinheiten betrachtet werden, die erst im Zuge der Institutionalisierung staatliche Funktionen übernahmen. T.J. Cornell sieht demgegenüber die zweite Hälfte des 6. Jhs. als zentral für beide Dimensionen der Stadtwerdung an und versteht die Tribus als urbane Einheiten.3 Zweifellos kann Rom nicht auf eine Stufe mit den klassischen griechische Poleis gestellt werden, ein Versuch, der seit der Antike vor allem von griechischen Schriftstellern unternommen wurde.4 Rom verdankt seine Entstehung einer Vielzahl von kulturellen Einflüssen aus dem etruskischen und italischen Bereich, von denen die 1 Auch in Rom gab es eine enge Verzahnung von Urbanität und Institutionalisierung, die im Deutschen am besten mit dem Begriff „Stadtstaat“ ausgedrückt werden kann. Der Begiff geht vermutlich auf den Term bystat des dänischen Forschers J.N. Madvig zurück, der mit ihm das römische civitas übersetzte, cf. M.H. Hansen (Hrg.), Polis and City-State, 15f.; C. Ampolo, Il sistema della «polis». Elementi costitutivi e origini della città greca, in: S. Settis (Hrg.), I Greci. Storia, Cultura, Arte, Società. 2. Una storia greca 1. Formazione, Turin 1996, 303. Er findet in der hier vorgelegten Studie Anwendung, weil er am besten der grundlegenden Eigenschaft antiker Städte als sich selbst verwaltende Bürgergemeinschaften mit zentralen Entscheidungsinstanzen Rechnung zu tragen vermag. Für eine Übertragung der Begriffe „Staat“ und „Staatlichkeit“ auf antike Städte cf. ferner J. Martin, Aspekte antiker Staatlichkeit, in: W. Eder (Hrg.), Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik, Stuttgart 1990, 220-232; E. Gabba, Problemi di metodo per la storia di Roma arcaica, in: Convegno sul tema: Bilancio critico su Roma arcaica fra monarchia e repubblica. In memoria di F. Castagnoli (Roma, 3-4 giugno 1991), Rom 1993, 19=id., Roma arcaica, 17f.; M.H. Hansen (Hrg.), Polis and City-State. An Ancient Concept and Modern Equivalent, Symposium, Jan.9, 1998, Kopenhagen 1998, 35-51; U. Walter, Der Begriff des Staates in der griechischen und römischen Geschichte, in: Th. Hantos/G.A. Lehmann (Hrg.), Althistorisches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von Jochen Bleicken, Stuttgart 1998, 9-27. 2 E. Gabba, Roma arcaica. Storia e storiografia, Rom 2000; A. Carandini, Die Geburt Roms, Düsseldorf/Zürich 2002 (it. 1997, ²2003). Beide Darstellungen stehen in der Tradition von N.D. Fustel de Coulanges, Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms. Mit einer Einführung von K. Christ, Stuttgart 1981, 179, 241, nach dem der römische Staat das Ergebnis eines evolutionären Zusammenschlusses von kleineren zu jeweils größeren Einheiten (Familien, gentes, Kurien, Tribus) war. Ähnliche Auffassungen bei V. Beonio-Brocchieri, Posizione logica del rapporto «Tribù-Stato», in: Atti del Convegno internazionale sul tema „Dalla Tribù allo Stato“ (Roma, 13-16 aprile 1961), Accademia Nazionale dei Lincei, Quaderno Nr.54 (1962), 25-39; G.I. Luzzato, Il passaggio dall’ordinamento gentilizio alla monarchia in Roma e l’influenza dell’ ordinamento delle gentes nella costituzione romana durante la Monarchia e la prima Repubblica, ibid., 193-247, und L. Capogrossi Colognesi, Dalla tribù allo stato. Le istituzioni dello stato cittadino, Rom 1990, passim. 3 Cornell, Beginnings, 103, 117. 4 Cf. G. Urso, Roma «città greca»: Nota a Strabone V 3,5,232, Aevum 75, 2001, 25-35, und Kap.II. 7.1.

Thema und Ziele

5

Städte des griechischen Mutterlandes weitgehend unberührt blieben. Der Erwerb des Bürgerrechts (civitas Romana) bildete in Rom nur die theoretische Voraussetzung für eine Teilhabe an der Macht, da es etwa im Gegensatz zum kleisthenischen Athen nicht jedem Bürger die gleichen Chancen auf ein Amt, einen Ratssitz oder einen Richterplatz einräumte. Die Bekleidung der Magistraturen, der Zugang zum Senat und die Teilnahme an der in Zenturien gegliederten Volksversammlung ergaben sich aus anderen Faktoren wie der sozialen Herkunft, dem Bindungswesen und dem Vermögen der Bürger. Der unterschiedliche Grad an politischer Teilhabe kann kaum auf eine unterschiedliche historisch-institutionelle Rolle der Tribus bzw. Phylen in beiden Kulturen zurückgeführt werden. Zwar waren einzelne gesellschaftliche Gruppen wie die Freigelassenen während einer langen Phase der Republik von den Landtribus ausgeschlossen und wirkten somit nur in begrenztem Maße an Entscheidungen mit, die die ganze Gemeinschaft betrafen. Dies ist jedoch eine Entwicklung, die ihren Ausgang erst mit der Zensur des Q. Fabius Rullianus 304 nahm und bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trug.1 Die Stadttribus selbst hatten im Vergleich zu den Landtribus keine untergeordnete Position in den Komitien. Auch griechische Städte unterschieden sich nach dem Grad der Beteiligung der Bürger an den zentralen politischen Ämtern und Gremien, ohne daß dies auf eine unterschiedliche Funktion und Zusammensetzung der Phylen zurückzuführen wäre. Hier kamen vor allem Faktoren ins Spiel, die mit der historisch gewachsenen Bedeutung einzelner gesellschaftlicher Gruppen wie des Adels und mit der Rolle zusammenhängen, die diese Gruppen während der Entstehung der Poleis gespielt hatten.2 Aus den vorangegangenen Überlegungen, die die Bedeutung der institutionellen Dimension des Stadtwerdungsprozesses betont haben, ergibt sich das zentrale Ziel der vorliegenden Untersuchung. Es geht darum, einen Beitrag zur Entstehung der Tribus und der Stadt Rom zu leisten und danach zu fragen, ob die Tribus städtische Einheiten waren oder ob sie bereits vorstädtische Wurzeln hatten, die erst im Laufe der Stadtwerdung jene spezifischen, aus späten Aufzeichnungen bekannten Eigenschaften und Funktionen erlangten. Dabei gilt es, der Komplexität des Stadtbegriffes gerecht zu werden und zwischen seinen beiden Hauptdimensionen, der urbanen und institutionellen, zu differenzieren. Im einzelnen sollen folgende Themen und Fragen der Tribusentstehung behandelt werden. • Auf struktureller Ebene ist zu klären, wie sich die Tribus zusammensetzten und wie sie organisiert waren. Handelt es sich um gentilizische oder ethnische, um lokale oder um personale Verbände? Wie ordneten sich die Tribus in die Prozesse der Stadtwerdung und der Entstehung der gentes ein? Können die ältesten Tribus, die vor den sogenannten tribus urbanae existierten, wirklich als vorstädtische, gentilizische Tribus beschrieben werden, wie dies zahlreiche Forscher ver1

Cf. Taylor, The Voting Districts of the Roman Republic. The Thirty-Five Urban and Rural Tribes, Rom 1960, 137f. 2 Cf. E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, 1989.

6

Einleitung

muteten? Gliederten sich die Tribus in Untereinheiten (Kurien, Dekurien) und welchen Zweck erfüllten diese? • Ferner ist nach der Funktion der Tribus zu fragen. Welchem Zweck dienten sie? Waren sie Wehrverbände, die gemeinsam in die Schlacht zogen. Handelt es sich um zivile Verbände, die der Registrierung der Bürgerschaft und der Rekrutierung der Ämter dienten? Können sie darüber hinaus als sakrale Kultgemeinschaften beschrieben werden? Welche dieser Funktionen besaßen sie im Rahmen der Stadt? • Eine strukturell-funktionale Analyse der Tribus kommt nicht aus ohne die Einbeziehung der komparativen Dimension. Es ist danach zu fragen, was die römischen Tribus von vergleichbaren außerrömischen Einheiten wie den etruskischen Tribus, den umbrischen trifu oder den griechischen Phylen unterschied bzw. was sie mit diesen gemein hatten. Eine solche Betrachtung gewinnt gerade vor dem Hintergrund der engen Beziehungen zwischen Rom, den griechischen sowie den etruskischen Stadtstaaten an Bedeutung. Die Poleis des griechischen Mutterlandes pflegten seit jeher intensive Handelsbeziehungen zu den Völkern der tyrrhenische Küste, die sich ab Mitte des 8. Jhs. in der Gründung von Kolonien manifestierten. Seit der frühen Eisenzeit entwickelten sich auch im südlichen Etrurien und nördlichen Latium durch die Agglomeration einzelner Dörfer protourbane und urbane Siedlungen, ein Prozeß, der sich mit einer gewissen Retardierung in anderen italischen Regionen wie Umbrien und Samnium fortsetzte. Könnten die etruskischen Tribus und die iguvinischen trifu im Zusammenhang mit diesem Verstädterungsprozeß zu interpretieren sein, oder offenbaren sich hinter ihnen Relikte einer älteren, vorstädtischen bzw. vorstaatlichen Vergangenheit? • Die Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu vergleichbaren außerrömischen Institutionen erlaubt es wiederum, einen Beitrag zum Ursprung der römischen Tribus zu liefern. Wie sind die aus dem Vergleich gewonnenen Ergebnisse zu deuten? Gehen strukturelle und historische Zusammenhänge zwischen römischen und außerrömischen Tribus soweit, daß sie die These einer gemeinsamen, gesamtitalischen Vergangenheit, wie sie etwa für die römischen Tribus und umbrischen trifu formuliert wurde, stützen? Läßt sich gar die Auffassung der Übernahme bzw. Adaptierung einer außerrömischen, griechischen oder etruskischen Tribusordnung durch Rom vertreten? Könnten die römischen Tribus ihrerseits zur Entstehung italischer Tribus beigetragen haben? Oder haben ähnliche Rahmenbedingungen, die mit der Urbanisierung und Institutionalisierung in weiten Teilen des Mittelmeerraumes zusammenhängen, zu einer autonomen Entstehung und Entwicklung vergleichbarer, aber in ihrer Ausprägung höchst unterschiedlicher Einheiten geführt? Eng mit der Einordnung der Tribus in den Rahmen des Stadtwerdungsprozesses hängen zwei weitere Ziele zusammen. Es soll zum einen untersucht werden, wie sich die Tribus in der Frühphase der Stadtwerdung entwickelten. Zum anderen ist zu klären, seit wann sie territoriale Einheiten waren und wo diese lokalisiert werden können.

Quellen und Methoden

7

Die Analyse der Zusammensetzung, Funktion und des Ursprungs der Tribus trägt dazu bei, wichtige Erkenntnisse über den Entstehungszeitpunkt und die Entwicklung der Tribus zu gewinnen. Dabei sind die Etappen von der Gründung der ältesten drei Tribus über die Gründung der vier Stadttribus bis zur Vollendung der Zahl 21,1 die nach dem traditionellen Datum 495 v.Chr. erreicht war, zu beschreiben. Wann wurden die Stadt- und wann die Landtribus gegründet, welche Ziele waren mit ihrer Gründung beabsichtigt und welche politischen und gesellschaftlichen Umstände führten zur Gründung? Ferner ist zu klären, welche Charakteristika und Funktionen die neuen Stadt- und Landtribus im Vergleich zu den ersten drei Tribus aufweisen. In welchen Bereichen gab es Neuerungen und in welchen wurde dagegen eine Kontinuität gewahrt? Wer waren die an der Gründung der Tribus beteiligten politische Kräfte? Was waren ihre Motive? Da die Landtribus nicht nur Personenverbände, sondern auch lokale Einheiten und damit Teile des römisches Staatsgebietes waren, bedeutet eine Beschäftigung mit ihnen zugleich eine Beschäftigung mit der Topographie des frührömischen Gemeindegebietes (ager Romanus antiquus). Die Entstehung eines in seinen Grenzen fest definierten Territoriums ist ein Kriterium für die Definition des Stadtstaates, so daß die geographische Lage der Tribus nicht zuletzt auch einen wichtigen Beitrag für die frühe Stadtgeschichte darstellt. Es ist im Rahmen der vorgelegten Studie zu klären, wo sich die einzelnen Tribus befanden und welche Kriterien für eine Lokalisierung Anwendung finden können. Die Analyse der Lage der ältesten Tribus stellt einerseits einen eigenständigen Beitrag zur Topographie des frühen Rom dar. Andererseits aber ist sie auf das engste mit der Ausdehnung des frühen römischen Territoriums und der Frage des Entstehungszeitpunktes der alten Landtribus verknüpft. Kann man bereits für die Königszeit von einer Hegemonie Roms sprechen, wie sie die Forschung mit dem Begriff der „Grande Roma dei Tarquini“ umschrieben hat? Eine solche Hegemonie könnte durch eine frühzeitige Gründung der Tribus Unterstützung erfahren. Oder ist vielmehr die römische Expansion in Latium in die republikanische Zeit zu datieren, wofür eine späte Tribusgründung der Indikator sein könnte?

Quellen und Methoden Was die Quellenbasis betrifft, auf die zur Beantwortung der oben gestellten Fragen zurückgegriffen werden kann, so ergibt sich ein methodisches Problem, mit dem jeder Forscher wohl vertraut ist, der sich mit einem Thema der frühen römischen Geschichte befaßt.2 Die Königszeit, die nach der Überzeugung der meisten den 1

Die ältesten drei Tribus nahmen andere Funktionen wahr und wurden von der römischen Historiographie nicht zu diesen 21 lokalen Bezirken gezählt, die sich – abgekürzt – zusammen mit den 14 neuen Land- und den vier Stadttribus in der Nomenklatur der römischen Bürger wiederfanden. 2 Zu den Quellen und methodischen Fallen einer Beschäftigung mit der römischen Frühzeit cf. P. Fraccaro, La storia romana arcaica, in: id., Opuscula 1, Pavia 1956, 1-23; Momigliano, Interim Report, 96-108; C. Ampolo, La storiografia su Roma arcaica e i documenti, in: E. Gabba (Hrg.), Tria corda. Scritti in onore di A. Momigliano, Como 1983, 9-26; T.J. Cornell, The Value of Literary Tradition

8

Einleitung

Übergang Roms von einer Agglomeration kleinerer Dörfer zu einem Stadtstaat markiert, ist durch einen Mangel an schriftlichen Primärquellen gekennzeichnet. Es sind nur einige wenige zeitgenössische Inschriften erhalten, von denen die bedeutendste, der lapis Niger, erst gegen Ende des 6. Jh. datiert werden kann. Auch nach Einführung der Schrift um die Mitte des 7. Jh. blieb die römische Gesellschaft eine mündliche, die Ereignisse und Erzählungen aus der Erinnerung an die folgenden Generationen weitergab.1 Sämtliche literarische Quellen, die uns Auskunft über die Königszeit geben, sind erst Jahrhunderte später von Autoren verfaßt worden, die in der späten Republik und frühen Kaiserzeit lebten. Livius, Dionysius, Diodor und Plutarch stützten sich auf die Berichte des Fabius Pictor, der um 200 v.Chr. in griechischer Sprache eine Geschichte Roms von den mythischen Anfängen bis zum Hannibalkrieg geschrieben hatte, sowie auf die ihm folgenden lateinischen Historiker, die den Stoff nach Jahren ordneten. Fabius Pictor und die Annalisten konnten ihrerseits aber nur auf ein dünnes ereignisgeschichtliches Gerüst zurückgreifen, das auf den jährlichen Aufzeichnungen der Priesterschaft der pontifices seit der frühen Republik beruhte.2 Die uns vorliegende späte Tradition ist das Ergebnis einer kontinuierlichen Umformung des historischen Stoffes durch Zusätze und Berichtigungen, die der jeweiligen Motivlage des schreibenden Historikers und den Interessen seiner Epoche entsprangen.3 Auch gilt es, die früh einsetzende griechische Tradition zu berücksichtigen, die in die ältere Annalistik eingeflossen ist und die die Königszeit in der ihr eigenen Weise dargestellt hat.4 Daß sich in Rom historische Ereignisse und Strukturen unConcerning Archaic Rome, in: Raaflaub, Social Struggles, 47-74; C. Letta, La tradizione storiografica sull’età regia: Origine e valore, in: E. Campanile (Hrg.), Alle origini di Roma. Atti del Colloquio tenuto a Pisa il 18 e 19 sett. 1987, Pisa 1988, 61-75; E. Gabba, Roma arcaica. Storia e storiografia, Rom 2000; J. Poucet, Les rois de Rome. Tradition et histoire, Louvain 2000. Eine gute Einführung in die Quellenlage und Forschungskontroversen bietet jetzt L. Aigner-Foresti, Die Etrusker und das frühe Rom, Darmstadt 2003. Auseinandersetzungen mit den neueren Forschungen zur frührömischen Geschichte und Geschichtsschreibung ferner bei J. Poucet, La fondation de Rome: Croyants et agnostiques, Latomus 53, 1994, 95-104; T.P. Wiseman, What do we know about Early Rome?, JRA 9, 1996, 310-315; C. Smith, Early and Archaic Rome, in: J.C. Coulston (Hrg.), Ancient Rome, Oxford 2000, 1641; E. Gabba, Ancora sulle origini di Roma, Athenaeum 89, 2001, 589-591; J. Martínez-Pinna, Reflexiones entorno a los origines de Roma: A propósito de recientes interpretaciones, Orizzonti 2, 2001, 7583; A. Marcone, Roma arcaica. Storia e storiografia, LEC 70, 2002, 65-75. 1 Zur Rolle der mündlichen Überlieferung in Rom cf. J. von Ungern-Sternberg, Überlegungen zur frühen römischen Überlieferung im Lichte der Oral-Tradition-Forschung, in: id./H.-J. Reiman (Hrg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung, Stuttgart 1988, 237-265; D. Timpe, Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Basis der frührömischen Überlieferung, in: Ibid., 266-286; F. Càssola, Problemi della tradizione orale, Index 18, 2000, 1-34. Für eine große Bedeutung der Symposien und der Aufführung von Dramen bei der Tradierung früher Ereignisse cf. T.P. Wiseman, Historiography and imagination. Eight essay on roman culture, Exeter 1994, 1-22; id., Roman Drama and roman history, Exeter 1998. 2 Cf. B. Frier, Libri Annales Pontificum Maximorum: The Origins of the Annalistic Tradition, Ann Arbor 21999. Die Geschichte des Fabius könnte sich darüber hinaus auch auf eine bereits elaborierte griechische Historiographie gestützt haben, deren letzter Vertreter Timaios war, cf. E. Gabba, Roma arcaica, 14, 15f., 32f. 3 Cf. Gabba, E., Dionysius and the History of Archaic Rome, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1991; G.B. Miles, Livy. Reconstructing Early Rome, Ithaca and London 1995. 4 Cf. E. Gabba, Considerazioni sulla tradizione letteraria sulle origini della Repubblica, in: Entretiens XIII, 135-167=id., Roma arcaica, 25-50.

Quellen und Methoden

9

verfälscht mündlich über mehrere Jahrhunderte tradiert haben, ist eine äußerst unwahrscheinliche Annahme. Welche von ihnen die Annalistik aus mündlicher Überlieferung oder aus schriftlichen Dokumenten korrekt wiedergegeben hat, bleibt letztendlich unbekannt. Die römischen Historiker zogen nur vereinzelt archaische Dokumente heran, die sie zudem mit ihren eigenen Worten und mit unterschiedlichen Interpretationen wiedergaben.1 Diese Fakten gilt es bei der Interpretation der ältesten drei Tribus der Tities, Ramnes, und Luceres sowie der 21 Stadt- und alten Landtribus stets zu berücksichtigen. Zwar war die Frage der Entstehung der Tribus ein Thema der Annalistik, bereits ihre Berichte sind jedoch nicht widerspruchfrei und stellten die römischen Historiker vor eine Auswahlproblematik, wie es zwei Zitate des Varro und Dionysius illustrieren. Varro berichtet von der Gründung der ältesten drei Tribus mit folgenden Worten: „Den ager Romanus teilte man anfangs in drei Regionen auf, von denen die Namen der Tribus der Titienses, der Ramnes und der Luceres herrührten. Die Titienses wurden, wie Ennius sagt nach Tatius, die Ramnenses nach Romulus und die Luceres, wie Iunius sagt, nach Lucumo benannt; aber all diese Worte hielt Volnius, der etruskische Tragödien geschrieben hat, für etruskisch.“2

Waren Könige mit Namen Romulus, Lucumo und Titus Tatius wirklich die Namengeber der Tribus, oder spiegelt sich in den Auffassungen des Ennius und Iunius Gracchanus eine späte Konstruktion wider, die in den Tribus ethnische Einheiten der Römer, Etrusker und Sabiner sahen? Linguistisch-etymologische Studien zeigen, daß eine Ableitung zumindest der Ramnes und Luceres von den genannten Königsnamen fraglich ist.3 Die Verbindung zwischen den Königsnamen und den Tribus könnte sich aus einer vordergründigen Gleichsetzung der Tribus mit den bekanntesten Herrschernamen der römischen Frühzeit – Lucumo galt als etruskischer Name des Tarquinius Priscus – ergeben haben. Sollte sich folglich die Auffassung des Volnius, über den ansonsten nichts bekannt ist, als glaubhafter herausstellen? Eine Antwort auf diese Frage wird im Rahmen der Untersuchung zu geben sein. Einstweilen mag die Passage die Unsicherheit spätrepublikanischer Autoren bezüglich der Tribusentstehung verdeutlichen. Trotz seiner Spezialkenntnisse verfügte der Antiquar Varro über keine zuverlässigen Informationen zu den ältesten Tribus. Die römischen Historiker waren kaum besser informiert über die nachfolgende Entstehung der Stadt- und Landtribus als die Antiquare, wie ein Zitat aus den Antiquitates Romanae des Dionysius zeigt, der neben dem Annalisten Fabius auch Cato und einen gewissen Vennonius gelesen hat:

1

Cf. C. Ampolo, art.cit.; Poucet, Rois de Rome, 104ff.; Gabba, Roma arcaica, 62f. Varr.ling.5.55: Ager Romanus primum divisus in partis tres, a quo tribus appellata Titiensium, Ramnium, Lucerum. Nominatae, ut ait Ennius, Titienses ab Tatio, Ramnenses ab Romulo, Luceres, ut ait Iunius, ab Lucumone; sed omnia haec vocabula Tusca, ut ait Volnius, qui tragoedias Tuscas scripsit, dicebat (Übersetzung des Autors). Cf. die Interpretation von Y. Lehmann, Varron, sociologue dans le De vita populi Romani, Ktema 17, 1992, 273f. 3 Cf. Kap.II.3.1. 2

10

Einleitung

„Servius Tullius teilte auch das ganze Landgebiet in 26 Teile, wie Fabius sagt, der diese auch Tribus nennt, und indem er die vier städtischen zu diesen hinzuzählt, sagt er, es habe unter Tullius insgesamt 30 Tribus (...) gegeben. Wie aber Vennonius berichtet, (teilte er es) in 31 Teile, so dass sich zusammen mit den vier in der Stadt die noch heute bestehenden 35 Tribus ergaben. Cato aber, der glaubwürdiger ist als die beiden anderen Autoren, gibt die Zahl der Teile nicht genau an.“1

Die Angaben des Fabius Pictor und Vennonius können angesichts der Entwicklung der Tribuszahlen in der Republik, über die wir gesicherte Erkenntnisse haben, leicht als Anachronismen entlarvt werden. Livius kennt für die nachservianische Zeit nur die Tribuszahl 21, deren Richtigkeit eine Bestätigung in der Gründung der vier veientischen Tribus im Jahr 387 und in der sukzessiven Addierung weiterer Tribus in Zweiergruppen findet. Zweifellos sind Zahl und Namen der insgesamt 35 Tribus unumstößliche Fakten, da sie nicht nur in der Literatur, sondern auch in den Inschriften verzeichnet sind. Quellenaussagen zum Gründungszeitpunkt, der frühen Genese, zu den Gründungsmotiven und zur Funktion der Tribus widersprechen sich jedoch oft und sind von einer fragwürdigen Historizität. Die abweichenden Ansichten über die frühe Zahl der Stadt- und Landtribus und über den Namensursprung der drei ältesten Tribus stehen somit geradezu emblematisch für die Überlieferungsproblematik der frührömischen Geschichte. Wenn schon die Meinungen der Annalisten und Historiker selbst bei so grundsätzlichen Themen wie den Zahlen der alten Landtribus divergieren, lassen sich – so ist zu fragen – überhaupt einigermaßen verläßliche Aussagen zur Entwicklung der frühen Landtribus, geschweige denn zu den ältesten drei Tribus, ihrer Gründung, ihrem Ursprung, ihrer Funktion und ihrer Zusammensetzung treffen, die über die gesicherten Grundfakten wie Zahl und Namen der Tribus hinausgehen?2 Die mangelhafte Quellenlage darf nicht dazu führen, daß der Sinn einer Beschäftigung mit dem Gegenstand grundsätzlich in Zweifel gezogen wird. Sie macht es vielmehr notwendig, eine große Anzahl von Quellen in die Analyse mit einzubeziehen, insbesondere auch solche, die außerhalb der annalistischen Tradition stehen, und auf mehrere Methoden der wissenschaftlichen Deutung zurückzugreifen. Nur ein solcher Ansatz verspricht neue Erkenntnisse zu einem Thema der römischen Königszeit. Was die literarischen Quellen betrifft, so kann zwischen historisch-annalistischen und antiquarischen Texten unterschieden werden. Den historisch-annalistischen Quellen können wir Aussagen über die Gründung, Funktion und Zusammensetzung der römischen Tribus entnehmen. Livius und Dionysius von Halikarnaß sind unsere wichtigsten Informanten. Einzelne Angaben zur Entstehung und frühen Entwicklung der Tribus finden sich in der Romulus-Vita des Plutarch und in Ciceros De re publica. Die Aussagen dieser Autoren sind mit den von der Quellenkritik und Philo1

Dion.4.15.1-2 (Übers. H. Beck/U. Walter, Die frühen Römischen Historiker I. Von Fabius Pictor bis Cn. Gellius, Darmstadt 2001, 173, frg.1,24). Ausführlich zu dieser Stelle cf. Kap.III.5. 2 Die Tatsache, daß Livius in seinem ersten Buch der römischen Geschichte die Tribus nur als militärische (Ritterzenturien) und nicht als bürgerliche Einheiten kennt, hat dazu geführt, daß sogar die Existenz der ältesten drei Tribus in Frage gestellt wurde, cf. Poucet, Recherches, 333-383.

Quellen und Methoden

11

logie erarbeiteten Analysetechniken zu interpretieren. Sie können aufgrund der oben geschilderten Überlieferungsproblematik nur ein begrenztes Maß an Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen. Die Quellenkritik hat gezeigt, daß insbesondere Romulus, sofern man den ersten König überhaupt für eine historische Person halten will, zu Unrecht als Begründer zahlreicher römischer Institutionen dargestellt wurde.1 Eine höhere Bedeutung kommt den römischen Historikern dann zu, wenn sie auf andere Traditionen als die annalistische zurückgegriffen haben. Insbesondere die sogenannte Cumaner Chronik ist hier zu nennen, die offenbar Dionysius vorlag und die den Widerstand einiger Latinergemeinden gegen den Tyrannen Porsenna aus Sicht der griechischen Kolonie Cumae (Kyme) schildert.2 Diese Chronik könnte wiederum eine Familiengeschichte der Tarquinier verarbeitet haben, die vor allem für die Frage des Ursprungs der römischen Tribus von Bedeutung ist. Die Fragwürdigkeit der annalistischen Überlieferung zwingt dazu, den Berichten antiquarischer Autoren größere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Autoren dieses Stranges der literarischen Überlieferung geben zwar oft nur punktuelle Auskünfte über die Lage und Benennung der Tribus, sind aber aufgrund ihrer zum Teil intensiven Auseinandersetzung mit den frühen römischen Institutionen und Monumenten zu konsultieren. Terentius Varro schrieb eine leider verschollene Schrift über die Tribus (tribuum liber), die sich offenbar auch mit den Ursprüngen der Tribus beschäftigte.3 Einzelne Erkenntnisse Varros flossen in das noch erhaltene etymologische Werk De lingua Latina ein. Dieses gibt außerdem die nach den städtischen Regionen (auf diesen basierten die Tribus) gegliederte Argeerordnung wieder, die vermutlich auf einem von den pontifices erstellten Dokument beruht und von zentraler Bedeutung für die Grenzen der Stadtregionen und damit auch der Stadttribus ist.4 Informationen zu den Tribus aus De verborum significatu des Verrius Flaccus sind nur durch das Breviarium des Festus erhalten. 14 der 31 Landtribus werden hier behandelt, manchmal nur in Form der lakonischen Zusammenfassun1

D. Musti, Tendenze nella storiografia romana e greca su Roma arcaica. Studio su Livio e Dionigi d’Alicarnasso, QUCC 10, 1970; id., Livio e l’archeologia delle origini, in: W. Schuller (Hrsg.), Livius. Aspekte seines Werkes, 1993, 111-124; A. Fraschetti, Romolo il fondatore, Rom 2002. Von der Überlieferungslage her sind zwei Phasen der Königszeit unterscheidbar: Die sogenannte voretruskische Phase (Romulus, Numa Pompilius, Tullus Hostilius, Ancus Marcius) kann sich allein auf mündliche Überlieferung stützen und ist nicht mehr zu rekonstruieren. Die sogenannte etruskische Phase der Königsherrschaft (Tarquinius Priscus, Servius Tullius, Tarquinius Superbus; Beginn trad. ab 616) war dagegen durch den Eintritt Roms in eine kulturelle Koine geprägt. Die schriftlichen Zeugnisse aus dieser Zeit sind zwar spärlich (lapis Niger, Duenosvase, Votivinschriften von Sant’ Omobono), die Distanz zwischen den Ereignissen und ihrer ersten Aufzeichnung in der römischen (Pontifikalchronik, Zensuslisten, Familienarchive?), etruskischen (Tomba François, Ritualbücher) und griechischen Tradition (Chronik von Cumae) war jedoch weniger groß, cf. Momigliano, The Origins of Rome, CAH ²VII,2, 1989, 91f.; Poucet, Rois de Rome, 81-129. Eine Historizität der Herrschaftssukzession des Tarquinius Priscus, Servius Tullius und Tarquinius Superbus wird daher in der vorgelegten Studie vorausgesetzt. 2 Dion.7.3-11. 3 Varr.ling.5.56. 4 Cf. J. Scheid, „Livres“ sacerdotaux et érudition: L’exemple des chapelles des Argées, in: C. Bartsch/U. Egelhaat-Gaiser/R. Stepper (Hrg.), Zwischen Krise und Alltag. Antike Religionen im Mittelmeerraum. Conflit et normalités. Religions anciennes dans l’espace méditerranéen, Stuttgart 1999, 161-170.

12

Einleitung

gen des Paulus Diaconus.1 Dionysius hat wahrscheinlich bei seiner Beschreibung der servianischen Verfassung auf Varro und Verrius Flaccus zurückgegriffen.2 Wenn auch die antiquarischen Schriftsteller andere Quellen als die Annalisten benutzten, so entlastet sie dies nicht von dem Vorwurf der Verzerrung und Umdichtung der Informationen. Dies betrifft weniger die Aussagen über die Lage der Tribus als die Aussagen über die Funktionen und die etymologische Bedeutung des Wortes tribus. Nur wenige Dichter haben Aufzeichnungen zu den frühen Tribus hinterlassen: Zu beklagen ist der Verlust einer Satire, in der Lucilius sich mit der Tribuseinteilung des römischen Volkes beschäftigte.3 Erhalten sind lediglich zwei Fragmente, die sich mit der Papiria Tusculums und der Oufentina befassen.4 Ennius verdanken wir über den bereits zitierten Auszug des Varro Informationen zu den Namen der Tribus. Vergil und sein Kommentator Servius liefern einen wichtigen Hinweis auf die Existenz etruskischer Tribus.5 Auch die epigraphischen Quellen enthalten Informationen über außerrömische Tribus in Etrurien, Umbrien und dem Sabinerland. Für Umbrien sind insbesondere die iguvinischen Tafeln zu nennen, das bedeutendste Monument in umbrischer Sprache, das die den Tribus vergleichbare Einheit trifu nennt und in seinem ältesten Teil bereits im 3. Jh. verfaßt worden sein könnte.6 Für Rom verfügen wir über kein vergleichbares frühes Dokument. Die Tabula Bembina und die Tabula Heracleensis schrieben die Nennung der Tribus als Namensbestandteil erst in der späten Republik fest.7 Die lateinischen und etruskischen Inschriften sind weniger bedeutsam im Hinblick auf die Nennung des jeweiligen Tribusnamens bzw. des Institutionenbegriffs selbst, als im Hinblick auf die Nennung von Gentilnamen, die mit den Tribusnamen verwandt sind (Titii, Clautie, Fapi, Velthii..). Jene liefern einige Hinweise auf die Rolle der gentes in den nach ihnen benannten Tribus. Die Fasti der römischen Beam1

Zu Festus: D. Rohrbacher, The Historians of Late Antiquity, London/New York 2002, 57-63. Zu Paulus: A. Moscadi, Problemi filologici nell’epitome di Paolo Diacono del De Verborum Significationibus di Sesto Pompeo Festo, in: La cultura in Italia tra tardo antico e alto medioevo, Atti del Convegno tenuto a Roma da 12 al 16 nov. 1979, I, Rom 1981, 467-474; G. Traina, Roma e l’Italia: Tradizioni locali e letteratura antiquaria (II a.C. - II d.C.), RAL s.IX, 4, 1993, 624. 2 Dion.4.14-15. Zu Verrius Flaccus als Quelle des Festus cf. H. Dahlmann, RE Suppl.VI, 1935, 1247; E. Badian, JRS 52, 1962, 204. 3 Cf. Hor.sat.2.1.69: Primores populi arripuit populumque tributim. 4 Zu Lucilius ist nach wie vor C. Cichorius, Untersuchungen zu Lucilius, Zürich/Berlin 1965, maßgebend. Zu den Tribus cf. insbesondere die Seiten 16-19, 335-339. Zu weiteren dichterischen Tribusquellen cf. G. Forni, Menzioni di tribù romane in contesti poetici, in: Contributi di storia antica, in onore di Albino Garzetti, Genua 1976, 203-212. 5 Verg.Aen.10.201-203; Serv.Aen.10.202. 6 J.W. Poultney, The Bronze Tables of Iguvium, Baltimore/Oxford 1959; E. Täubler, Die umbrischsabellischen und die römischen Tribus, in: SHAW 30,4, 1930, 1-23; Momigliano, Tribù umbro-sabelle; A.L. Prosdocimi, Le Tavole Iguvine I, Florenz 1984. 7 Cf. die Tabula Bembina 123/121 v.Chr: ...Quos legerit, eos patrem trib[u]m cognomenque i[n] dicet...nomina omnia...patrem tribum co[g]nomenque tributimque d[i]scriptos habeto. (CIL I². 583, 14bis=FIRA I2, S.88f.=Roman Statutes I, S.66). Ferner die Tabula Heracleensis, die wahrscheinlich in caesarische Zeit zu datieren ist: Eorumque nomina praenomina patres aut patronos tribus cognomina...a[b] ieis iurateis accipito eaque omnia in tabulas publicas sui municipi referunda curato (CIL I². 593, 146ff.= ILS 6085add.=FIRA I2, S.151=Roman Statutes I, S.368, Z.146).

Quellen und Methoden

13

ten, die aus inschriftlichen und literarischen Quellen rekonstruiert werden,1 wurden von Forschern wie G.V. Sumner, A. Alföldi und J. Cels-Saint-Hilaire zur Datierung der gentilizischen Tribus herangezogen, die sie – wie sich herausstellen wird – zu Unrecht als eine Untergruppe der 17 alten Landtribus identifizierten. Sie deuteten ein verstärktes Auftreten dieser gentes in bestimmten Jahren und Jahrzehnten der frühen Republik als Zeichen für ihre herausragende politische Stellung, die die Gründung der nach ihnen benannten Tribus erst ermöglicht habe.2 Eine solche Vorgehensweise ist jedoch problematisch, da sie eine Verbindung zwischen politischem Erfolg und Tribusgründung hypothetisch voraussetzt und andere Indizien, die auf eine frühere Tribusgründung deuten, unberücksichtigt läßt. Wenn einerseits bei der Interpretation literarischer und antiquarischer Quellen vor der perspektivischen Verzerrung der Darstellung und zahlreichen Anachronismen zu warnen ist, welche mit der Überlieferung, den Interessen der antiken Autoren und ihrer Leserschaft in Zusammenhang stehen, so unterliegt andererseits auch die Deutung der inschriftlichen Primärzeugnisse bestimmten Gefahren. Sie ergeben sich aus der Vieldeutigkeit des nur kurzen Textformulars, das zumeist nur einen kleinen Ausschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit abbildet und deren Verfasser oft unbekannt bleiben. So ist z.B. der Dedikant der Inschrift von Satricum, P. Valesios, nicht sicher identifizierbar. Allzu häufig erfolgte eine Gleichsetzung mit dem ersten Konsul der Republik. Auch für das Wort suodales, das zumeist auf Valesios bezogen wird, ergeben sich verschiedene Deutungen. Oft geschieht eine zu schnelle Inbezugsetzung zu gentilizischen Privatarmeen.3 Es ist unerläßlich, die annalistischen, antiquarischen und epigraphischen Zeugnisse Roms durch die archäologischen Quellen zu ergänzen. Neben den inschriftlichen Zeugnissen stellen die baulichen und ikonographischen Überreste das einzige dokudokumentarische, d.h. zeitgenössische Material dar. Archäologische Quellen erlauben zwar keine direkten Erkenntnisse über ein nichtgegenständliches Konzept wie die Tribus, sie sind jedoch von zentraler Bedeutung für die Erhellung des historischen Kontextes, in den sich die Institution einbettet. Dazu gehören Quellen zur Urbanisierung Roms und zur Übernahme der Hoplitentaktik, zwei Themen, die vor allem wegen der Qualifizierung der Tribus als städtische und militärische Einheiten von besonderer Bedeutung sind. Die Einführung der Hoplitentaktik in Rom und Latium ist vor allem an Waffenbeigaben ablesbar, während die Urbanisierung nicht nur den baulichen Resten, sondern einer Vielzahl von historischen Kriterien Rechnung zu tragen hat. Von Interesse sind auch ikonographische Darstellungen wie die Zeich1

Broughton, MRR 1-3. Zu den inschriftlichen Quellen cf. I.It. XIII,1-3. G.V. Sumner, The Legion and the Centuriate Organization, JRS 60, 1970, 67-78; Alföldi, Early Rome, 288-335=id., Das frühe Rom, 257-298; J. Cels-Saint-Hilaire, La République des tribus. Du droit de vote et de ses enjeux aux débuts de la République Romaine (495-300 av. J.-C.), Toulouse 1995, 157-171. Zum Quellenwert der Fasti cf. R.T. Ridley, Fastenkritik: A Stocktaking, Athenaeum n.s. 58, 1980, 264-298; id., Falsi Triumphi, Plures Consulatus, Latomus 42, 1983, 372-382; J. Rüpke, Fasti: Quellen oder Produkte römischer Geschichtsschreibung?, Klio 77, 1995, 184-202. 3 Cf. etwa Richard, Fabii, 255; L. Rawlings, Condottieri and Clansmen: Early Italian Raiding, Warfare and the State, in: K. Hopwood/R. Alston (Hrg.), Organized Crime in Antiquity, London 1999, 106; A.-M. Adam, Des «condottieri» en Étrurie et dans le Latium à l’époque archaïque, Latomus 60, 2001, 884. 2

14

Einleitung

nungen in dem Françoisgrab (Tomba François) von Vulci. Sie zeugen von einer etruskischen, außerhalb der römischen Annalistik stehenden Tradition, die sich auf die gens Tarquinia aus Rom bezieht, und stellen einen lokalen Helden namens Camitlnas dar, der von einigen Forschern mit der eponymen Tribusgens Camilia in Zusammenhang gebracht wurde. Die Archäologie gibt ferner eine Antwort auf die Frage, wie die Siedlungsstruktur der vor den Toren Roms gelegenen Landtribus aussah. Die Archäologie des römischen Umlandes hat gerade in den letzten Jahrzehnten wertvolle Beiträge zur Siedlungsgeographie der römischen Peripherie geliefert, die es klarer als zuvor erlauben, die Struktur der Landtribus zu erfassen.1 Von besonderem Interesse in Zusammenhang mit den oben formulierten Zielen steht aber auch der Beitrag der Archäologie zur Urbanisierung Roms, der einiger Erläuterungen bedarf.2 Erst der Vergleich der Daten zur Entstehung der Institution „Tribus“, die auf der Basis der schriftlichen Quellen gewonnen werden, mit den gegenständlichen Daten zur Urbanisierung erlaubt es, die Tribus in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen und Rückschlüsse auf ihre Eigenschaften, Funktionen und den Kontext ihrer Einführung zu gewinnen. Wann kann man von einer Stadt im monumentalen Sinne sprechen? Grabungen von Carandini auf dem Palatin haben zur Entdeckung einer frühen Mauer geführt, die in die zweite Hälfte des 8. Jh. v.Chr. datiert wird und somit der traditionellen Herrschaft des Romulus zuzuordnen ist. Die Bewertung dieser Mauer im Rahmen der Urbanisierung ist ebenso strittig wie die Mauer des Servius Tullius. Gehört sie zu einem den gesamten Palatin umgebenden Verteidigungsring und ist sie wirklich ein Anhaltspunkt für die Existenz der Stadt Rom, wie der Ausgräber meinte? Oft besteht unter den Archäologen die Neigung, einem bestimmten Aspekt ein großes Gewicht zu verleihen; nicht nur die neu entdeckte Palatinmauer, auch die Pflasterung des Forum wurde als zentraler Hinweis auf die Existenz einer urbanen Struktur gewertet. Es gilt sich jedoch bewußt zu machen, daß es sich bei diesen Funden jeweils nur um ausschnittshafte Aspekte der frühen Stadt handelt, die nicht nur der Einordnung in den Kontext anderer Funde (Präsenz öffentlicher und privater Gebäude, gepflasterter Straßen, Kanalisation...), sondern auch der Konfrontation mit den schriftlichen Quellen bedürfen. Simplifizierende, vorschnelle Schlüsse von der Art „archäologische Erkenntnisse bestätigen die historische Tradition“ sind zu vermeiden. Gerade die Überlieferungsproblematik der schriftlichen Tradition und der Mehrdeutigkeit des archäologischen Materials, das oft keine organische Ganzheit darstellt und in nur wenigen Fällen die schriftliche Überlieferung wirklich bestätigt, machen es notwendig, methodische Regeln zu befolgen, die für eine derartige Bezugsetzung entwickelt wurden.3 1

Genannt seien etwa die zahlreichen Arbeiten von L. Quilici und St. Quilici (cf. Literatur verzeichnis) sowie die Beiträge in den Bänden der Reihe „Archeologie Laziale“ (AL). 2 Zum Beitrag der Archäologie für die Erforschung des frühen Rom cf. Poucet, Rois de Rome, 160181; B. Liou-Gille, Comment cinquante années de découvertes archéologiques ont permis une interprétation plus riche et plus précise de la tradition annalistique concernant la Rome archaïque, Euphrosyne n.s. 31, 2003, 167-182; R.T. Scott, The Contribution of Archaeology to Early Roman History, in: K.A. Raaflaub (Hrg.), Social Struggles in Ancient Rome, Oxford 22005, 98-106. 3 Cf. Poucet, Rois de Rome, 171ff.

Quellen und Methoden

15

Neben der Archäologie gibt es weitere Methoden, die für die Rekonstruktion der frühen römischen Tribus von Bedeutung sind. Die onomastische Analyse trägt dazu bei, die Namen der alten Landtribus, die bislang zumeist für Toponyme gehalten wurden (Galeria, Pollia, Pupinia, Voltinia), als etruskische Gentilnamen zu identifizieren. Dies schließt nicht aus, daß sich einige dieser Namen später zu Toponymen weiterentwickeln konnten. Die onomastische Forschung dokumentiert in dieser Hinsicht die Zählebigkeit von Namen, die sich zum Teil bis heute in Gemeindeund Flußnamen halten konnten wie etwa im Fall der Galeria (St. Maria di Galeria, Fosso Galeria). Gerade diese Tatsache erlaubt es, für diese Tribus eine sicherere Lokalisierung als für andere Tribus, deren Namen ausschließlich aus antiken Texten bekannt sind, zu postulieren. Die Prosopographie ist eine häufig angewandte Arbeitsmethode, die für Rom ihren Schwerpunkt in der späten Republik und Kaiserzeit hat.1 Ihre Übertragung auf die frühe Republik und die Königszeit stößt auf Probleme, da die verfügbaren Quellen spärlich bzw. ihre Aussagekraft für die Frühzeit umstritten ist. Von Bedeutung ist sie vor allem für die Rekonstruktion der Familienstammbäume der sogenannten Tribusgentes, die den ältesten Tribus ihre Namen gaben. Unter Einbeziehung einer durchschnittlichen Generationsspanne von 30 Jahren, wie sie von Beloch errechnet wurde,2 gelangt man, ausgehend von den Stammbäumen der frühen Republik,3 zu Erkenntnissen über die Entstehung der gentes und ihre Bedeutung zur Zeit der Tribusgründung. Die Überlieferung von Strukturen und Institutionen (Septimontium, pomerium) kann zweifellos ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit beanspruchen als die Überlieferung einzelner Ereignisse oder der mit diesen Ereignissen verbundenen Motivlagen der jeweiligen Akteure. Gerade diese Erkenntnis macht eine Einbeziehung der Institutionengeschichte unerläßlich. Dabei ist davor zu warnen, spätere Funktionen und Eigenschaften der Tribus auf die Frühzeit zu übertragen. Daß Institutionen einem Wandel unterlagen, zeigt besonders die Geschichte der Tribus. Die ausgeklügelten Wahl- und Losverfahren, denen die spätrepublikanischen Tribus unterworfen waren, sind erst das Resultat einer späten Entwicklung, die die Gestaltung und 1 Cf. etwa Cl. Nicolet, Prosopographie et histoire sociale: Rome et l’Italie à l’époque républicaine, Annales (ESC) 25,4, 1970, 1209-1228; L. Stone, Prosopography, Daedalus 100,1, 1971, 46-79; T.R.S. Broughton, Senate and Senators of the Roman Republic: The Prosopographical Approach, ANRW 1,1, 1972, 250-265; T.F. Carney, Prosopography: Payoffs and Pitfalls, Phoenix 27, 1973, 156-179; C./O. Wikander, Republican Prosopography: Some Reconsiderations, ORom 12, 1979, 112; J. Maurin, La prosopographie romaine: Pertes et Profits, Annales (ESC) 37,2, 1982, 824-836; M. Corbier, Pour une pluralité des approches prosopographiques, MEFRM 100,1, 1988, 187-197; M. Cébeillac-Gervasoni, Les magistrats des cités italiennes. De la seconde guerre punique à Auguste. Le Latium et la Campanie, Rom 1998, 9-45. Zum Verhältnis von Prosopographie und Tribusforschung cf. insbesondere F. Galli, La tribù romana come criterio di indagine prosopografica, StudUrb 35, 1961, 72-82. 2 Beloch, RG, 59. 3 Ö. Wikander, Senators and Equites V. Ancestral Pride and Genealogical Studies in Late Republican Rome, ORom 19, 1993, 77-90, hat gezeigt, daß die Stammbäume der Königszeit und frühe Republik nur marginal von aristokratischen Interpolationen betroffen sind. Dagegen können annalistische Fälschungen nicht ausgeschlossen werden. Eine Untersuchung der jeweiligen Einzelfälle ist unumgänglich.

16

Einleitung

Ausdifferenzierung der Volksversammlungen im politischen Gefüge der civitas voraussetzt. Es geht vielmehr darum, diesen Wandel, der in einer Zeit erfolgte, in der die Quellenlage günstiger wird, sichtbar zu machen und konsistente Entwicklungslinien der Institution „Tribus“ aufzuzeigen, die es erlauben, den frühen Zustand der Tribus im Kontext der archaischen römischen Gesellschaft und anderer Institutionen wie Heer und Kurien zu rekonstruieren. Auch die Organisation und Entwicklung bestimmter Priesterschaften läßt Verbindungen zu den Tribus erkennen. Um beurteilen zu können, welche der späteren Funktionen einer Institution auch für die Frühzeit relevant waren, kommt es darauf an zu zeigen, wo sich archaische Strukturen bis in die späte Republik gehalten haben. Die Identifizierung und Isolierung solcher Strukturen erlaubt es zugleich, der Dynamik der Veränderungen besser Rechnung zu tragen. Dies wurde von Piéri exemplarisch am Beispiel des Zensus gezeigt, der erst später das immobile Vermögen mit einbezog und auf pekuniärer Grundlage erfolgte.1 Dieser Wandel hat auch Bedeutung für die Tribus, da diese während des Zensus die Basiseinheiten für die Vermögensschätzung bildeten. Hinweise in den Quellen auf den lokalen Charakter der frühen Tribus (Varro) dürfen nicht als Anachronismen gewertet werden, da sich eine konsistente Entwicklung der Tribus von gemischt lokal-personalen Verbänden hin zu rein personalen Verbänden in der späten Republik nachzeichnen läßt, die als Folge der demographischen und territorialen Erweiterung des römischen Herrschaftsraumes gedeutet werden kann. Religiöse Institutionen und Feste wie z.B. der Argeerumzug oder die Ambarvalia weisen oft archaische Merkmale auf und vermitteln Kenntnisse über die frühe Ausdehnung des ager Romanus und damit die ältesten römischen Tribus. Der Zusammenhang zwischen Tribus und Dekurien, der in zahlreichen spätrepublikanischen Quellen zum Ausdruck kommt, hat vermutlich seinen Ursprung in der militärischen Funktion der Dekurien, die Untereinheiten der Tribus darstellten und über die Tribusgrenzen hinweg zu Turmen gruppiert wurden.2 Angesichts des Quellenmangels ist es nahezu unerläßlich, einen komparativen Ansatz zu verfolgen, der es erlaubt, die Tribus in ihrem institutionellen und geographischen Kontext zu erfassen.3 Zwei Ebenen des Vergleichs können voneinander unterschieden werden. Auf externer Ebene ist es notwendig, die römischen Tribus mit ähnlichen Institutionen in der mediterranen Welt in Beziehung zu setzen, da auf diesem Wege zugleich eine bessere Klärung der Eigenart der römischen Tribus und ihrer frühen Genese möglich ist. Rom stand seit seiner Gründung in unmittelbarem Kontakt mit Etruskern, Griechen, Kelten, Latinern und Italikern. Für einige dieser Völker sind vergleichbare Institutionen überliefert bzw. kann die Existenz solcher 1

Piéri, Cens, bes.19-45, 131-172. Cf. Kap.II.2.1, 3.2. 3 Zum komparativen Ansatz in der Alten Geschichte cf. J. Martin, Two Ancient Histories. A Comparative Study of Greece and Rome, Social History 4, 1979, 285-298; id., Zwei Alte Geschichten. Vergleichende historisch-anthropologische Betrachtungen zu Griechenland und Rom, Saeculum 48, 1997, 1-20; Chr. Meier, Aktueller Bedarf an historischen Vergleichen: Überlegungen aus dem Fach der Alten Geschichte, in: H.-G. Haupt/J. Kocka (Hrg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt/Main und New York 1996, 239-270. 2

Quellen und Methoden

17

vermutet werden. Zu nennen sind die griechischen Phylen, die italischen Tribus, darunter insbesondere die iguvinischen trifu, und die etruskischen Tribus, die interessante Vergleichsmöglichkeiten bieten. Erst auf der Basis der so gewonnenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede können Hypothesen bezüglich der Genese und Verbreitung der Institution „Tribus“ angestellt werden. Der strukturelle Vergleich gibt Anlaß, die Aussagekraft jenes Sprachmodells zu hinterfragen, welches die römischen Tribus, iguvinischen trifu und griechischen Phylen als das Erbe eines indoeuropäischen Substrats auffaßt. Eine mögliche Alternative stellt die These einer Entlehnung und Anpassung der Institution „Tribus“ an die spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisse der Stadt Rom dar, wie sie sich aufgrund der zahlreichen wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte in der archaischen mediterranen Welt ergeben könnte. Auf interner Ebene bietet der komparative Ansatz die Möglichkeit, die Eigenheit der römischen Tribus in Beziehung mit anderen Institutionen der römischen Verfassung zu setzen. Die Klärung der Zusammensetzung und Funktionen der Tribus ist durch eine Einbeziehung anderer Institutionen besser möglich, weil die Tribus zum einen im Prozeß der Institutionalisierung eines von mehreren Verfassungselementen der werdenden Stadt waren und zum anderen in einem engen Beziehungsgeflecht zu anderen Institutionen wie den Kurien, Zenturien, Dekurien und pagi standen.1 Ein ethnologisch-anthropologischer Ansatz, der moderne Völker als Vergleichsobjekte heranzieht, wird nicht verfolgt. Die Untersuchung des Prozesses der Seßhaftwerdung von Stämmen und der Ausbildung staatlicher Institutionen, die primitive Stammesgesellschaften der Neuzeit mit berücksichtigt, wird nach der hier vertretenen Auffassung der besonderen Bedeutung der römischen Tribus nicht gerecht. Im Gegenteil, das Verfolgen eines solchen Ansatzes stellt einen Irrweg dar, weil die Tribus eben nicht mit Triben in der Bedeutung von Stämmen vergleichbar sind. Insbesondere die Anwendung des Ausdrucks tribus auf primitive Stammesgesellschaften durch die Anthropologie des 19. Jhs. hat den Blick auf die Eigenart der römischen Tribus verzerrt und zu der zweifelhaften Schlußfolgerung geführt, daß die Tribus der Tities, Ramnes und Luceres ethnische Einheiten der Latiner, Etrusker und Sabiner waren.2 Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Auffassung, daß Stämme eine notwendige Vorstufe in der Entwicklung zu staatlich organisierten Gemeinschaften bildeten, läßt sich nicht nur für Rom und Griechenland, sondern auch für andere antike Gesellschaften wie etwa die der Sumerer nicht aufrechterhalten. „Stamm“ und „Staat“ sind vielmehr alternative Organisationsformen, die sich unter bestimmten historischen Rahmenbedingungen unabhängig voneinander 1 Die Kurien, die von der Annalistik in engen Zusammenhang mit den Tribus gestellt werden, sind von Palmer, AC, untersucht worden, dessen Ergebnisse aber nicht in allen Punkten zu überzeugen vermögen. Cf. hierzu die Rezension von A. Alföldi, Gnomon 44, 1972, 787-799. 2 Cf. auch die Kritik von G. Bradley, Iguvines, Umbrians and Romans: Ethnic Identity in Central Italy, in: T. Cornell/K. Lomas (Hrg.), Gender and Ethnicity in Ancient Italy, London 1997, 53-67. Zu den Chancen und Grenzen anthropologischer Forschung in der Alten Geschichte cf. W. Nippel, Sozialanthropologie und Alte Geschichte, in: Chr. Meier/J. Rüsen (Hrg.), Historische Methode, Bd.5: Beiträge zur Historik, München 1988, 300-318.

18

Einleitung

entwickeln konnten.1 Zudem waren die Prozesse der Formierung und Differenzierung ethnischer Gruppen in frühen Staaten äußerst komplex und oft widersprüchlich.2 Ein Gewinn historischer Kenntnis ist nur dann möglich, wenn viele Zeugnisse unterschiedlicher Gattungen bei der Analyse mit berücksichtigt und wenn diese methodisch sinnvoll aufeinander bezogen werden: Die Glaubwürdigkeit der literarisch-annalistischen Quellen ist durch eine Konfrontation mit den anderen schriftlichen (antiquarischen und epigraphischen) Quellen, die außerhalb der annalistischen Tradition stehen, sowie mit den Methoden der Archäologie, Onomastik, Prosopographie und Institutionengeschichte zu eruieren.3

Forschung Auf welche Forschungsergebnisse kann sich die vorliegende Arbeit stützen?4 Die römischen Tribus waren seit dem 15. Jh. Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Bereits die frühen Arbeiten befaßten sich mit zahlreichen Fragen, die auch heute noch erörtert werden. Dazu gehört die Zahl der von Servius Tullius eingerichteten Tribus, die Registrierung der Italiker sowie der Charakter und Gründungszeitpunkt der drei ältesten, sogenannten gentilizischen Tribus.5 Seit dem 19. Jahrhundert lassen sich zwei Richtungen der Tribusforschung unterscheiden, deren Quellenbenutzung und Untersuchungsmethoden höchst verschieden sind. Die eine widmet sich den Tribusinschriften als Kennzeichen der Tribuszugehörigkeit von Personen und Gemeinden, die andere behandelt zahlreiche Aspekte der historischen Entwicklung der Tribus und ihrer Hauptfunktion als Verwaltungsund Wahlbezirke. Die erste Forschungsrichtung macht sich die Tatsache zunutze, daß die Tribus als Kennzeichen des römischen Bürgerstatus in zahlreichen Namensinschriften vorkommt. Sie klassifizierte diese Inschriften entweder unter geographischen Aspekten, d.h. nach Herkunft der Tribulen aus einzelnen Gemeinden, Regionen und Ländern, oder personalen Aspekten, d.h. nach bestimmten Ranggruppen oder unter Einbeziehung aller römischen Bürger. Der Analyse der Tribusinschriften ist es über1

Cf. P. Crone, The Tribe and the State, in: J.A. Hall (Hrg.), States in history, Oxford 1986, 48-77, bes.56-68. In der modernen Anthropologie ist das Entwicklungsschema Stamm–Staat nach wie vor von Aktualität, cf. etwa U. Fabietti (Hrg.), Dalla tribù allo stato. Saggi di anthropologia politica, Mailand 1991. 2 Cf. A.M. Khazanov, Ethnicity and Ethnic Groups in Early States, in: M. van Bakel/R. Hagesteijn/ P. van de Velde (Hrg.), Pivot Politics. Changing Cultural Identities in Early State Formation Processes, Amsterdam 1994, 67-85, bes.80; S. Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen, Berlin/New York 2004, passim. 3 Cf. auch die Ausführungen von Poucet, Rois de Rome, 147. 4 An dieser Stelle erfolgt nur ein skizzenhafter Überblick über zentrale Werke und Themen der Tribusforschung. Für eine ausführliche Darstellung der Forschungskontroversen zu Einzelthemen sei insbesondere auf die Kapitel II.1 und IV.1 verwiesen. 5 Einen ausgezeichneten Überblick über die gesamte frühe Tribusforschung bietet Forni, Biondo Flavio, 17-90.

Forschung

19

haupt erst zu verdanken, daß wir die Namen aller 35 Tribus kennen. Die unvollständige Nennung und die verschiedenen Lesarten der Tribus in den literarischen Quellen, die teilweise auf das Fehlen kritischer Textausgaben sowie die variierende Stellung der Tribus in der Nomenklatur römischer Bürger zurückzuführen waren, brachten es mit sich, daß oft solche Namen für Tribus gehalten wurden, die gar keine waren. Seit Mommsen kann die Identifizierung aller 35 Tribus als gesichert gelten.1 Die erste systematische Erfassung der Tribusinschriften des Imperium Romanum und ihre Auflistung nach Gemeinden und Regionen gehen auf C.L. Grotefend zurück.2 Das rasche Anwachsen des inschriftlichen Materials und seine Kompilierung in den von Mommsen herausgegebenen CIL-Bänden haben bewirkt, daß Grotefends Arbeit bald von den umfassenderen Werken des Wiener Gelehrten J.W. Kubitschek ersetzt wurde. Kubitscheks 1882 veröffentlichte Dissertation De Romanorum tribuum origine ac propagatione lieferte nicht nur erste wichtige Vorarbeiten für eine Ergänzung und Aktualisierung der Liste Grotefends, sondern befaßte sich darüber hinaus mit dem Ursprung und der Geschichte der Tribus.3 Das sieben Jahre später erschienene Imperium Romanum tributim discriptum listet, nach Regionen und Provinzen gegliedert, sämtliche, damals veröffentlichten Tribusinschriften unter Berücksichtigung einer einer fünfstufigen Skala auf. Es stellt bis heute ein unerläßliches Arbeitsinstrument für jeden Epigraphiker und Prosopographen dar, der sich mit der Herkunft römischer Bürger und der Topographie italischer Gemeinden beschäftigt.4 Eine komplette Neubearbeitung des Werkes wurde von Giovanni Forni angekündigt; allerdings gliedern sich die bislang erschienenen Bände nicht nach Regionen bzw. Provinzen und Gemeinden, sondern alphabetisch nach Personen.5 Da der zeitliche Schwerpunkt dieser Forschungsrichtung nicht zuletzt aufgrund der 1 Mommsen, Tribus, 7. B.G. Niebuhr, Vorträge über römische Alterthümer (Hrg. Isler), Berlin 1858, 101, identifizierte zwar mit Recht die Camilia als Tribus, übersah aber die Pollia, an deren Stelle er eine Tribus *Cluentia vermutete. 2 C.L. Grotefend, Die römischen Tribus in historischer und geographischer Beziehung, Zeitschrift für Alterthumswissenschaft 114-118, 1836, 915-947; id., Imperium Romanum Tributim Discriptum. Die geographische Vertheilung der römischen Tribus im ganzen römischen Reiche, Hannover 1863. Eine kurze Tribusaufzählung sämtlicher römischer Gemeinden gaben auch E. Bormann und W. Henzen in ihren „Additamenta ad Corporis Vol.VI, partem primam“, EE IV, 1881, 323-326. 3 J.W. Kubitschek, De Romanorum tribuum origine ac propagatione, in: O. Benndorf und O. Hirschfeld (Hrg.), Abhandlungen des archäologisch-epigraphischen Seminares der Universität Wien, Heft 3, Wien 1882. 4 J.W. Kubitschek, Imperium Romanum tributim discriptum, Prag/Wien/Leipzig 1889. Kubitschek konnte CIL VI, 4, 1 (1894); 4, 2 (1902); 4, 3 (1933); CIL XI, 1, 1 (1888); 2, 1 (1901) und 2, 2 (1906) noch nicht berücksichtigen. Zu Umbrien (von CIL XI. abgedeckt) liegt die Kompilation von G. Forni, Umbri antichi iscritti in tribù romane, in: Bollettino della Deputazione di Storia Patria per l’Umbria 79, 1982, 21-73, vor. 5 G. Forni, Le Tribù Romane. III,1: Le Pseudo-Tribù, Rom 1985; id., Le Tribù Romane. I,1: Tribules (A-B), Rom 1996, I,2: Tribules (C-I), Rom 1999. Eine Aktualisierung des Werkes von Kubitschek war offenbar von Forni im Rahmen der zweiten Reihe beabsichtigt. Reihe drei enthält bislang den oben erwähnten Band über die Pseudotribus. Die kleineren Schriften Fornis sollten in einer vierten Reihe erscheinen. Zur Konzeption des Werkes, cf. G. Forni, La tribù Velina degli Aquileiesi, 59f.; id., Tribules, S.XXV, XXXVI; M.G. Angeli Bertinelli (Hrg.), G. Forni, Scritti vari di storia, epigrafia e antichità romane. Rom 1994, XI-XIV (Prefazione).

20

Einleitung

von ihr benutzten Quellen fast ausschließlich in der späten Republik und im Prinzipat liegt, ist sie im Rahmen dieser Untersuchung nur von marginalem Interesse. Ohne die aus ihr hervorgegangenen Arbeiten wäre jedoch eine Diskussion der alten Landtribus, deren Namen erst durch diese Forschung bekannt wurden, nicht möglich. Sie leistet auch weiterhin wertvolle Dienste zur Klärung der Tribuszugehörigkeit der in der Peripherie Roms gelegenen Gemeinden, die wiederum eine Hilfe für die Lokalisierung der alten Landtribus darstellt. Die zweite Richtung hat für die hier formulierten Ziele die interessanteren Fragen gestellt und die zentraleren Quellen diskutiert. Sie behandelte vor allem inhaltliche Aspekte der Funktion und Bedeutung der Tribus. Ihren Ausgang nahm sie mit der Pionierarbeit von Theodor Mommsen, der 1844 die Tribus „in ihrer administrativen Beziehung“ untersuchte.1 Zu den wichtigsten Aufgaben der Tribus zählte Mommsen die Erhebung des tributum, die Soldzahlung und die Aushebung der militärischen bzw. zivilen Zenturien. Im Laufe der Republik hätten die Tribus dann die meisten ihrer Verwaltungsaufgaben verloren und seien durch die Munizipien ersetzt worden. Lediglich stadtrömische Aufgaben wie die Getreideverteilungen seien in ihrer Kompetenz verblieben. Entsprechend der staatsrechtlichen Ausprägung der Forschung im 19. Jh. stand für Mommsen die funktionale Bedeutung der Tribus im staatlichen Gesamtgefüge im Mittelpunkt seiner Forschungen. 116 Jahre später veröffentlichte Lily Ross Taylor ihre Studie über die Voting Districts der römischen Republik.2 Die Autorin konzentrierte sich auf die politischintegrierende Funktion der Tribus als Zensus- und Wahlbezirke und rückte neue Themen in das Zentrum der Tribusforschung, die mit der Prägung der Wahlen in Rom durch das Patronagesystem, wie sie von F. Münzer und M. Gelzer erarbeitet wurde, in Zusammenhang stehen: Die Konflikte um die Gründung der Tribus, die Tribuszugehörigkeit der Senatoren und die Mechanismen, die hinter den Tribuszuweisungen von Gemeinden und einzelnen gesellschaftlichen Gruppen (Freigelassene, Italiker) standen und die es der Aristokratie erlaubten, die Kontrolle über die Tribus in den innenpolitischen Auseinandersetzungen zu bewahren.3 Zu den Tribus der Königszeit gibt es bislang keine gesonderte Monographie, obwohl die Institution in zahlreichen Darstellungen der römischen Frühgeschichte gebührend Platz findet.4 In der Forschungsliteratur werden die Tribus stets im Kontext 1

Th. Mommsen, Die römischen Tribus in administrativer Beziehung, Altona 1844. Cf. S. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002, 33. Taylor, VDRR. Zu den Forschungen Taylors: G. Susini, Lily Ross Taylor. Storica di Roma, RPAA 42, 1969-70, 41-45; T.R.S. Broughton, Lily Ross Taylor, in: W.W. Briggs/W.M. Calder III (Hrg.), Classical Scholarship. A Biographical Enyclopedia, New York/London 1990, 454-461. 3 Taylor, VDRR, 185-267. 4 Cf. Mommsen, RSt III,1, 95-100, 108-112, 124f., 152f., 161, 187-198; De Sanctis, StRom I, 246255, 372-375, II, 17-23; A. Piganiol, Essai sur les origines de Rome, Paris 1917, 244-246, 268f., 307f.; P. De Francisci, Primordia Civitatis, Rom 1959, 536-547, 566-577, 673-680; De Martino, Costituzione Bd.1, 91-94, 135-142, 206f.; E. Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, Zürich 2 1961, 26ff., 44, 48, 56ff., 64f., 88ff.; J. Poucet, Les origines de Rome. Tradition et histoire, Brüssel 1985, 244-246, 267-272, 307-309; C. Ampolo, La nascita della città, in: Storia di Roma I, 169-172; id., La città riformata e l’organizzazione centuriata. Lo spazio, il tempio, il sacro nella nuova realità urbana, in: Storia di Roma I, 221ff., 229ff.; L. Capogrossi Colognesi, La città e la sua terra, in: Storia di Roma I, 275-286; A. Momigliano, The Origins of Rome, CAH 2VII,2, 100, 104; T.J. Cornell, Rome 2

Forschung

21

übergeordneter Fragestellungen und Themen beschrieben, wie z.B. der Reformen des Servius Tullius1 sowie, damit eng in Zusammenhang stehend, der Gliederung des ältesten Zenturienheeres,2 ferner der Geschichte der gentes,3 der Kurien,4 der Stadtwerdung,5 der rechtlichen Stellung einzelner gesellschaftlicher Gruppen (Klienten, Patrizier, Plebejer),6 des Ständekampfes7 und der Frage der Ausdehnung des frühen römischen Territoriums (ager Romanus antiquus).8 Selbst in den Spezialwerken von Mommsen und Taylor kommt den frühen Tribus nur eine untergeordnete Bedeutung zu; der Schwerpunkt liegt auf der republikanischen Geschichte. Zentrales Thema im Kontext der Erforschung der frühen Tribus ist die Entstehung der von Livius zum Jahre 495 erwähnten 21 alten Tribus (2.21.7). Mommsen hielt die Nachricht aus textkritischen Gründen für unglaubwürdig, setzte aber für den genannten Zeitpunkt die Existenz von 20 Tribus voraus, die aus der Einteilung des ager Romanus antiquus in gentilizische Gaue (pagi) entstanden seien. Die 21. Tribus sei die Clustumina gewesen, die sich aufgrund ihrer Benennung nach einem Toponym von den anderen gentilizischen Tribus unterscheide.9 Taylor verteidigte dagegen die Authentizität der Nachricht und interpretierte das Jahr 495 v.Chr. als terminus ante quem für die Entstehung der alten Landtribus, von denen nur zwei (Claudia, Clustumina) in der Republik, die anderen dagegen in der Königszeit – unter der Herrschaft des Servius Tullius und Tarquinius Superbus – gegründet worden seien. and Latium to 390 B.C., CAH2 VII,2, 1989, 249, 253ff.; id., Beginnings, 244-246, 267-272, 307-309; Pallottino, Origini, 165-167, 265, 290f. 1 Cf. H. Last, The Servian Reforms, JRS 35, 1945, 30-48; L.-R. Taylor, The Four Urban Tribes and the Four Regions of Ancient Rome, RPAA 27, 1952-1954, 225-238; R. Thomsen, King Servius Tullius, Kopenhagen 1980, 115-211; J.-C. Richard, L’œuvre de Servius Tullius: Essai de mise au point, RD 61, 1983, 181-193; L. Sancho Rocher, La Lex Publilia del año 471 a.C. Las tribus rústicas y la constitución de Servio Tullio, Studios en homenaje al Dr. A. Baltrán Martínez, Zaragoza 1986, 789-798; F. Debatty, Quand les modernes poursuivent la tradition antique. La réforme des tribus romaines par Servius Tullius, in: La critique historique à l’épreuve. Liber discipulorum J. Paquet, Brüssel 1989, 9-17. 2 P. Fraccaro, La storia dell’antichissimo esercito romano e l’età dell’ordinamento centuriato, in: Atti del 2° Congresso nazionale di Studi Romani 3, Rom 1931, S.91 ff.=id., Opuscula 2, Pavia 1957, 287-292; U. Coli, Tribù e centurie dell’antica Repubblica romana, SDHI 21, 1955, 181-222; L.R. Taylor, The Centuriate Assembly Before and After the Reform, AJPh 78, 1957, 337-354; G.V. Sumner, The Legion and the Centuriate Organization, JRS 60, 1970, 67-78. 3 L.-R. Ménager, Les collèges sacerdotaux, les tribus et la formation primordiale de Rome, MEFRA 88,2, 1976, 455-543; G. Franciosi, Andreas Alföldi e il problema delle tribù gentilizie, in: id. (Hrg.), Ricerche sulla organizzazione gentilizia romana III, Neapel 1995, 1-23. 4 Palmer, AC, 5-25, 39-44, 152-156. 5 E. Gjerstad, Early Rome, Bd.III, 112-124; C. Ampolo, Il ‘paesaggio politico’ della città arcaica in Grecia ed in Italia: Per uno studio comparato del centro e delle tribù, Opus 6-8, 1987-1989, 71-85; Carandini, Geburt Roms, 290f., 450f., 477ff., 498ff., 515-523. 6 A. Magdelain, Remarques sur la société romaine archaïque, REL 49, 1971, 103-127. 7 Richard, Origines, 195f., 340f., 397-400, 403-415, 544f.; R.E. Mitchell, Patricians and Plebeians. The Origin of the Roman State. Ithaca and London 1990, 50, 53ff., 142ff., 145ff., 163ff.; J. CelsSaint-Hilaire, La République des tribus. Du droit de vote et de ses enjeux aux débuts de la République romaine (495-300 av. J.-C.), Toulouse 1995. 8 Alföldi, Early Rome, 288-335=id., Das frühe Rom, 257-298. 9 Mommsen, Tribus, 1-10; id., RSt III,1, 166f.

22

Einleitung

Mit Alföldi gewann dann die textkritische Interpretation erneut die Oberhand.1 Vor 450 sei Rom lediglich von einem engen Gürtel aus fünf ältesten, nach Toponymen benannten Landtribus umgeben gewesen, der mit der Gründung der Romilia trans Tiberim seinen Abschluß gefunden habe. Erst danach habe sich – mit der Eroberung der agri im römischen suburbium – ein weiterer Tribusgürtel um den älteren Tribusring bilden können. Die Namen dieser Tribus hätten jetzt die Namen der in dieser Zeit mächtigsten gentes getragen. Die Herabdatierung der alten Landtribus durch Alföldi steht in engem Zusammenhang mit der vom Autor vertretenen Hauptthese, nach der Rom erst nach Mitte des 5. Jahrhunderts die Herrschaft über die anderen latinischen Gemeinden erlangte. Die Vorstellung eines mächtigen Rom zur Zeit des Königsgeschlechts der Tarquinier („Grande Roma dei Tarquini“2) sei weitgehend ein Konstrukt der römischen Annalistik. Der These folgte vor kurzem J. Cels-Saint-Hilaire, die die Entstehung der Stadtund Landtribus in den Ständekampf zwischen Plebejern und Patriziern einordnete. Die Autorin unterschied drei verschiedene Phasen, die durch die Forderung der Plebejer nach öffentlichem Land (ager publicus) und der Patrizier nach Teilnahme an den Tributkomitien bzw. der Beteiligung an der Wahl der Volkstribune geprägt gewesen sei. Fünf der alten Landtribus – jene nach einem Toponym benannten – seien unter Servius Tullius gegründet worden. Zusammen mit zwei weiteren Landtribus (die Galeria und Clustumina), die bis zum Zensus des Jahres 493 v.Chr. eingerichtet wurden, seien sie als Konzession an die nach ager publicus strebenden Plebejer zu verstehen. Die restlichen zehn alten Landtribus seien zwischen 467 und 449 v.Chr. für die patrizischen gentes gegründet worden, um ihnen und ihren Klienten eine Repräsentation in den politisch bedeutenden Tributkomitien zu sichern.3 Der kurze Forschungsüberblick macht bereits einige Defizite der bisherigen Studien zu den Tribus deutlich. Die Diskussion der Datierung der Tribus und ihre Charakterisierung als Stammes- oder Stadteinheiten, als plebejische oder patrizische Landbezirke wurde in den letzten 40 Jahren stets im Rahmen übergeordneter Themen und Zielsetzungen geführt. Die Tribus dienten dabei oftmals nur als Indikatoren für die Bestätigung neuer Thesen zur Herausbildung einer staatlichen Ordnung und zur Regelung sozialer Konflikte. Es wurden nur einzelne thematische Aspekte der 1

Alföldi, Early Rome, 159-164=id., Das frühe Rom, 154-159, 257-298. Den Begriff prägte G. Pasquali, La grande Roma dei Tarquinii, Nuova Antologia, 16 agosto 1936, 405-416=id., Pagine stravaganti, II, Florenz 1968, 5-21. Ebenfalls kritisch gegenüber der Idee einer römischen Vormachtstellung in Latium am Ende des 6. Jhs. sind W. Kuhoff, «La Grande Roma dei Tarquini»: Die früheste Expansion des römischen Staate im Widerstreit zwischen literarischer Überlieferung und historischer Wahrscheinlichkeit, Augsburg 1995, und E. Gabba, La Roma dei Tarquini, Athenaeum 86, 1998, 5-12; id., Roma arcaica, 235-244. Dafür: C. Ampolo, «La grande Roma dei Tarquinii» revisitata, in: E. Campanile (Hrg.), Alle origini di Roma. Atti del Colloquio tenuto a Pisa il 18 e 19 sett. 1987, Pisa 1988, 77-87; Pallottino, Origini, 290-298; Cornell, Beginnings, 208-210; T.P. Wiseman, Historiography and Imagination. Eight essays on Roman Culture, Exeter 1994, 8; A. Mura Sommella, «La grande Roma dei Tarquini»: Alterne vicende di una felice istutuzione, BCAR 101, 2000, 7-26. 3 Cels-Saint-Hilaire, République des tribus, 101-171. Kritik an der These Alföldis (zu ihrer Rezeption cf. auch Kap.IV.1.1-3, V.4.1.1-2) äußerte dagegen G. Franciosi, art.cit., 1-23. 2

Gliederung

23

Tribus herausgegriffen (Datierung, Zweck, Stadt- oder Landtribus) und wenige Quellen, zumeist isoliert, diskutiert (Nachricht des Livius zu den 21 Tribus, Namen der Tribus, Fasti). Eine Besprechung der frühen Tribus unter den oben formulierten Zielen macht es jedoch notwendig, die Institution in mehreren historischen Dimensionen (systematisch, chronologisch, geographisch), unter Einbeziehung möglichst unterschiedlicher Quellengattungen, zu beleuchten. Es gilt zu beachten, daß diese Dimensionen interdependent sind: Erst der Vergleich der Tribus mit den griechischen Phylen bzw. den umbrischen trifu erlaubt es, Besonderheiten und Gemeinsamkeiten zu erkennen und Wege der Genese der römischen Tribus zu beschreiben. Voraussetzung für die Konfrontation der Tribus mit ähnlichen Institutionen anderer mediterraner Gesellschaften ist die systematische Analyse der Tribus in ihren funktionalen und strukturellen Eigenschaften. Sie trägt dazu bei, die Entstehung der ältesten, sogenannten gentilizischen Tribus in den Prozeß der Stadtwerdung einzuordnen und die Aussagen der literarischen Quellen über ihre Entstehung unter Romulus kritisch zu hinterfragen. Die historisch-philogische Analyse der sukzessiven Entstehung der Stadt- und Landtribus vermag es dabei, wichtige Anhaltspunkte für die Funktion dieser Tribus und die Absichten der an ihrer Entstehung beteiligten Kräfte zu liefern.

Gliederung Die oben formulierten Ziele sollen durch eine Gliederung in fünf Kapitel erreicht werden. Ein längeres Kapitel über die Stadtwerdung steht am Anfang der Interpretation. Es beleuchtet mehrere Phasen des Urbanisierungsprozesses und stellt diesen in einen engen Zusammenhang mit dem Institutionalisierungsprozeß. Die neusten Erkenntnisse zu den archäologischen Funden auf dem Palatin sind hier mit einzubeziehen, zumal sie in der Forschung den Anstoß für weitreichende Thesen der Urbanisierung gaben. Erst im Anschluß an diese Darstellung folgt die Beschreibung der ältesten drei Tribus, die in engem Zusammenhang mit diesen Prozessen entstanden. Die Analyse von Funktion, Struktur, Ursprung und Entstehungszeitpunkt dieser Einheiten stützt sich fast ausschließlich auf spätes Quellenmaterial, dessen Aussagekraft mit den Methoden der Quellenkritik, der Onomastik und des Vergleichs zu bewerten und in den Prozeß der Stadtwerdung einzuordnen ist. Die folgenden beiden Kapitel behandeln die Einrichtung der vier Stadttribus und der 17 alten Landtribus. Aspekte der Datierung, Funktion und politisch-sozialen Bedeutung der Tribusgründungen stehen dabei im Vordergrund. Abschließend wird die Lage der Tribus zu erörtern sein, die wichtige Rückschlüsse auf den Entstehungszeitpunkt der Tribus, ihre Zusammensetzung sowie ihre politische und historische Bedeutung erlaubt.

I. Die Stadtwerdung Im ersten Kapitel wird es darum gehen, die archaische Stadtentwicklung auf der Basis der verfügbaren schriftlichen und archäologischen Quellen zu beschreiben: Dies ist die Voraussetzung dafür, daß konkretere Aussagen über den Charakter der ältetesten drei Tribus getroffen werden können, deren Entstehung von der Überlieferung dem legendären Romulus zugewiesen wird und die von der Forschung oft als Stammestribus identifiziert und mit latinischen (Ramnes), etruskischen (Luceres) und sabinischen (Tities) Bevölkerungselementen gleichgesetzt werden (Kap.II.1). Die Beschreibung der Phasen des Stadtwerdungsprozesses und ihre chronologische Einbettung bilden zudem die Voraussetzung, um zu klareren Aussagen bezüglich der Funktion, der Zusammensetzung, des Gründungszeitpunktes und des Ursprungs der drei ältesten römischen Tribus zu gelangen. Die Beschreibung des Stadtwerdungsprozesses erfolgt in zwei Schritten: Zunächst sollen die archäologischen Befunde zum frühen Rom und Latium sowie die verschiedenen Thesen zur Gründung der urbs zusammengefaßt werden. Danach sind die einzelnen Momente des Prozesses unter Heranziehung der unterschiedlichen Quellengattungen zu beschreiben. Dabei ist von einer vorschnellen Bezugsetzung der Gattungen Abstand zu nehmen. Erst die kritische Auseinandersetzung mit der schriftlichen Überlieferung und die Isolierung authentischer Angaben erlauben es, die archäologischen Fakten zu bewerten und den Stadtwerdungsprozeß in seiner ganzen Komplexität zu erfassen. Die identifizierbaren Momente des Stadtwerdungsprozesses sind: 1) Die frühe Palatinsiedlung, die sich aus den Dörfern des Cermalus und Palatium zusammensetzt. Ihre Grenzen und zeitliche Einordnung sind in Zusammenhang mit Berichten zu der frühen rechtlich-sakralen Grenze des pomerium und der Existenz eines Roma quadrata genannten Monuments zu erörtern (Kap.I.3.1/2). 2) Die Kernsiedlung aus Palatium, Cermal und Velia (Kap.I.3.4). 3) Die Gemeinde des Septimontium. Sie kann über das gleichnamige archaische Fest, das noch in der Kaiserzeit zelebriert wurde, rekonstruiert werden (Kap.I.3.6). 4) Die Stadt der vier Regionen, die im Gegensatz zum Septimontium auch die colles der vierten Region (die spätere Tribus Collina) mit dem Quirinal umfaßte (Kap.I.3.7). Im Rahmen der Beschreibung dieser Momente sind auch die Fragen zu klären, ab wann man von einer Stadt Rom sprechen kann (Kap.I.3.3) und ob die Ausdehnung der Kernsiedung auf den Esquilin eine weitere Phase der Stadentwicklung markiert (Kap. I.3.5).

1. Bronzezeit und Eisenzeit in Latium Die Stadt Rom entstand auf dem Gebiet der Latialkultur, deren Träger sich seit dem Ende der Bronzezeit von den anderen Apenninen-Völkern zu unterscheiden begannen und zunehmend eigene Merkmale entwickelten. Vor allem aufgrund von Keramik-

Bronzezeit und Eisenzeit in Latium

25

funden sind vier Entwicklungsstufen (Stilepochen), die sich weiter differenzieren lassen, zu unterscheiden:1 Die Chronologie der Latialkultur

Phase

Zeit

I II A II B III IV A

1000-900 v.Chr. 900-830 v.Chr. 830-770 v.Chr. 770-730/20 v.Chr. 730/20-640/30 v.Chr. 640/30-580 v.Chr.

IV B

Kulturepoche

Historische Definition2 Späte Bronzezeit (Protovillanova) Präurban “ Frühe Eisenzeit (Villanova) Protourban “ Früher und mittlerer orientalisie“ render Stil Später orientalisierender Stil Urban

In den Stufen I und IIA dominierte die Brandbestattung; die Asche wurde in Urnen aufbewahrt, die die Hütten der Toten darstellen. Darüber wurde die Habe der Toten – zum großen Teil in Miniaturdarstellungen – gelegt. Isolierte Siedlungen befanden sich zumeist auf befestigten Anhöhen. Die Landwirtschaft wurde intensiver als die Weidewirtschaft betrieben. Die gesellschaftlichen Strukturen waren einfach und wenig differenziert. Ein spezialisiertes Handwerk existierte bereits. Keramikfunde in Sant’Omobono (Forum Boarium) belegen eine Siedlungskontinuität in Rom seit der mittleren Bronzezeit.3 Das Forum Boarium entwickelte sich aufgrund seiner Lage zwischen Tiber und den drei, dem Fluß am nächsten gelegenen Hügeln (Kapitol, Palatin, Aven1 Cf. H. Müller-Karpe, Vom Anfang Roms, Heidelberg 1959; La formazione della città nel Lazio, DArch n.s. 2 1980, 47, 79, 97, 125, 165; A. Momigliano, The Origins of Rome, CAH 2VII,2, 1989, 64; G. Bartoloni, Le communità dell’Italia centrale tirrenica e la colonizzazione greca in Campania, in: M. Cristofani (Hrg.), Etruria e Lazio arcaico, Rom 1987, 39; Cornell, Beginnings, 50. Mit leichten Abweichungen nach unten: G. Colonna, Preistoria e protostoria di Roma e del Lazio, in: Popoli e civiltà dell’Italia antica, Bd.2, Rom 1974, 273ff.; id. (Hrg.), La civiltà del Lazio primitivo, Rom 1976, 56. Eine Heraufdatierung der Phasen, wie sie bereits J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 84, in Erwägung zog, könnte eine Bestätigung in der Einbeziehung neuer dendrochronologischer Daten finden, die zu einer Neuphasierung der mit dem eisenzeitlichen Italien in Beziehung stehenden Urnenfelderkultur geführt hat, cf. R. Peroni, Introduzione alla protostoria italiana, Rom/Bari 1994; M. Pacciarelli, Nota sulla cronologia assoluta della prima età del ferro in Italia, Ocnus 4, 1996, 185-189; M. Bettelli, Roma. La città prima della città: I tempi di una nascita, Rom 1997, 133-207; A.M. Bietti Sestieri, Italy in Europe in the Early Iron Age, Proceedings of the Prehistoric Society 63, 1997, 371ff.; ead., L’Italia in Europa nella prima età del ferro. Una proposta di ricostruzione storica, ArchClass 50, 1998, 1-67; A.J. Nijboer/J. von der Pflicht/A.M. Bietti Sestieri, A Tight Chronology for the Early Iron Age in Central Italy, Palaeohistoria 41-42, 1999-2000, 163-176. 2 Für einen leicht revidierten Phasierungsvorschlag cf. Kap.I.4. 3 Die hier gefundene Apenninische Keramik kann in die Zeit des 14./13. Jahrhunderts datiert werden, cf. R. Peroni, Sant’Omobono. Materiali dell’età del Bronzo e degli inizi dell’età del ferro, BCAR 77, 1959-60, 7-32.

26

Die Stadtwerdung

tin) zu einem wichtigen Handelszentrum. Dort wurde auch die älteste lokal-römische Inschrift, die aus fünf etruskischen Buchstaben besteht, entdeckt.1 Mit der beginnenden Eisenzeit in Stufe IIA fand allmählich die Erdbestattung Verbreitung in Latium – führend war hier Lavinium –, die dann in Stufe IIB dominierte. Die Brandbestattung deutet oft auf hohen Status hin, wie in der Nekropole von Osteria dell’Osa, die vielleicht einer der Friedhöfe Gabiis war. Hier gibt es beide Bestattungsformen,2 ebenso wie in Rom, wo Gräber auf dem Forum Romanum, Forum Augustum, Cermal und Esquilin nachweisbar sind.3 Im 9. und frühen 8. Jahrhundert bildeten sich Dorfgruppen auf Hochebenen heraus, die als embryonale städtische Strukturen gedeutet werden können (z.B. Veji) und Produktionseinheiten darstellen. Verbesserungen in den Bereichen der Landwirtschaft und Metallurgie sind ebenso feststellbar wie eine Vergrößerung und Neuorganisation der Friedhöfe. Einzelgräber wurden von runden Einfriedungen umgeben (z.B. Tibur). In Latium könnten sich die Gemeinden in wechselnder Besetzung zu Sakralgemeinschaften zusammengeschlossen haben, von denen die der 53 am Festmahl des Iupiter Latiaris auf den Albanerbergen teilnehmenden Städte am bekanntesten ist.4 In Stufe III sind genauere Anzeichen sozialer Differenzierung an den Grabbeigaben ablesbar; aristokratischer Status wurde durch Symbole zur Schau gestellt, vor allem in Osteria dell’Osa und Praeneste.5 Der Gebrauch von Eisen war weit verbreitet, Bronze hatte in erster Linie Prestigewert. Die kulturelle Einheit, die noch in den ersten Phasen der Eisenzeit erkennbar war, löste sich mehr und mehr auf; regionale Besonderheiten 1

Cf. M. Pallottino, Roma, SE 33, 1965, 505-507. Cf. Smith, Early Rome, 194f. Das von Teilen der Forschung entwickelte Bild einer frühen egalitären, „klassenlosen“ Gesellschaft im 10. Jh. v.Chr. (cf. z.B. C. Ampolo, Su alcuni mutamenti sociali nel Lazio tra l’VIII e il V secolo, DdA 4,1, 1970-71, 37ff.; M. Torelli, Rome et l’Etrurie à l’époque archaïque, in: Terre et paysans dépendants dans les sociétés antiques. Colloque international tenu à Besançon (2/3 mai 1974), Paris 1979, 277) ist idealtypisch und beruht nur auf ausgewählten Gräbern und Grabfunden in Latium. Andere Funde wie Reste von Hütten in Ficana und Luni sul Mignone belegen eine soziale Differenzierung in Latium zumindest seit der Bronzezeit. Cf. A. Guidi, Il Lazio e la Sabina tra la tarda età del bronzo e l’età del ferro, in: G. Camassa/A. De Guio/F. Veronese (Hrg.), Paesaggi di potere. Problemi e perspettive, Atti del Seminario, Udine 16-17 maggio 1996, Rom 2000, 85-91, bes. 88. In einigen Gegenden Europas ist eine hierarchische Gliederung der Gesellschaft gar bis in das 5. Jahrtausend nachweisbar, cf. J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 97. 3 Cf. M. Pallottino, Le origini di Roma: Considerazioni critiche sulle scoperte e sulle discussioni più recenti, ANRW I,1, 1972, 25f. Die ältesten auf dem Esquilin entdeckten Gräber wurden zumeist gegen Ende des 9. Jahrhunderts datiert, cf. M. Pallottino, Le origini di Roma, ArchClass 12, 1960, 9; G. Colonna, Preistoria e Protostoria di Roma e del Lazio, in: Populi e civiltà dell’Italia antica 2, Rom 1974, 304f.; id. (Hrg.), La civiltà del Lazio primitivo, Rom 1976, 125ff.; C. Fayer, Aspetti di vita quotidiana nella Roma arcaica. Dalle origine all’età monarchica, Rom 1982, 22; Grandazzi, Fondation, 192, Anm.36. Wahrscheinlich aber existierte der Friedhof auf dem Equilin bereits ab der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, cf. M. Pacciarelli, Sviluppi verso l’urbanizzazione nell’Italia tirrenica protostorica, in: La presenza etrusca nella Campania Meridionale. Atti delle giornate di studio SalernoPontecagnano, 16-18 nov. 1990, Florenz 1994, 245, Anm.58; M. Bettelli, Roma. La città prima della città: I tempi di una nascita, Rom 1997, 215f. 4 Plin.nat.3.68-69 cf. Kap.I.3.4, II.2.5.4. 5 A.-M. Bietti Sestieri, The Iron-Age Community of Osteria dell’Osa, Cambridge 1992; ead., La necropoli laziale di Osteria dell’Osa, 3 Bde., Rom 1992; G. Bartoloni et al., Palestrina (Praeneste), in: M. Colonna (Hrg.), La civiltà del Lazio primitivo, Rom 1976, 213-249. Zu den Funden gehören Statussymbole wie Waffen und Streitwagen. 2

Bronzezeit und Eisenzeit in Latium

27

traten in den Vordergrund. Die Keramikwerkstätten gerieten zunehmend unter griechischen Einfluß (geometrischer Stil), und die handwerkliche Produktion ging über die lokalen Bedürfnisse hinaus. In Rom existierten mehrere Hügelsiedlungen, von denen einige, vielleicht sogar alle, von Mauern umgeben waren. Der Palatin beherbergte zwei Dörfer, die als Palatium und Cermal identifiziert werden können.1 Grabungen am Nordhang des Palatin haben Mauerreste zu Tage gefördert, die auf eine (Teil-) Befestigung dieses Hügels gegen Ende des 8. Jhs. hindeuten.2 Ferner gibt es in dieser Zeit Anzeichen für eine Besiedlung des Kapitols,3 die in der strategischen Lage des Hügels – von ihm aus waren die Tiberinsel und der frühe Handelsplatz auf dem Forum Boarium kontrollierbar – eine Erklärung findet.4 Nach neuesten Erkenntnissen könnte auch der Kapitolshügel von einer Mauer umgeben gewesen sein.5 A.M. Colini hat bereits in den 30er Jahren auf der Velia ein Kindergrab und Reste von Wohnhütten entdeckt, die offenbar zu einem Dorf aus der zweiten Hälfte des 8. Jhs. gehören.6 Funde auf dem Quirinal und Caelius weisen ebenfalls auf eine frühe Besiedlung dieser Hügel.7 Daß Esquilin und Aventin bewohnt waren, ist bislang nicht belegt,8 was jedoch eher in ihrer mangelhaften archäologischen Erkun1 Die Existenz zweier autonomer Dörfer auf dem Palatin geht aus der Nennung von Palatium und Cermal in der Septimontialaufzählung (Fest.474, 476L; Paul.Fest.459L, cf. Kap.I.3.6) und aus Varr. ling.6.24 hervor. Am nördlichen Abhang des Palatin, der zum Palatium gehörte, wurden kürzlich Spuren eisenzeitlicher Hütten sowie die Reste eines runden Keramik-Brennofens gefunden: P. Brocato, L’abitato stabile della prima età dell’ferro. Le fase I, in: A. Carandini (Hrg.), Palatium e Sacra via I, BA 31-33, 1995, 109-119. Die im Südwesten, auf dem Cermal entdeckten Hüttenreste konzentrieren sich am oberen Ende der strategisch wichtigen Scalae Caci, die den Zugang zum Forum Boarium und zum Tiber ermöglichten. Cf. C. Angelelli/S. Falzone, L’occupazione proto-storica nell’area sudouest del Palatino, in: P. Pensabene/St. Falzone (Hrg.), Scavi del Palatino I. L’area sud-occidentale del Palatino tra l’età protostorica e il IV secolo a.C., Rom 2001, 65-77. 2 Zu den Grabungen Carandinis und den Siedlungen auf dem Palatin cf. Kap.I.2. 3 Zu den frühesten Funden, die in die Latialstufen IIB und III datiert werden können, gehören u.a. Hüttenfundamente, griechische geometrische Keramik und ein Votivdeposit. Cf. L. Daminato, PP 1977, 35; A.M. Sommella, L’esplorazione archeologica per il restauro del Tabularium, Archeologia 2 Laziale 6, 1984, 159-163; A. Momigliano, The origins of Rome, CAH VII,2, 1989, 68; G. Tagliamonte, s.v. „Capitolium“ (Fino alla prima età repubblicana), LTUR I, 1993, 230. 4 Cf. Grandazzi, Fondation, 118, 186ff. 5 M. Brancia di Apricena, Nuovi documenti sul Campidoglio, RPAA 70, 1997-98, 81-113; P. Fortini, Le difese del colle Capitolino e l’area del Carcer-Tullianum, in: A. Carandini/R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romulo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 325f. Nach der Aussage von Dion.2.37.1 war das Kapitol von einem Wall und einem Graben umgeben. 6 Cf. A. Magagnini, A Case Study of the Evidence for Pre-Republican Habitation on the Velia Hill, Rome, in: J. Rasmus Brandt/L. Karlsson (Hrg.), From Huts to Houses. Transformations of Ancient Societies. Proceedings of an International Seminar Organized by the Norwegian and Swedish Institutes in Rome, 21-24 Sept. 1997, Stockholm 2001, 389-394. 7 Auf dem Quirinal bzw. an seinem Fuß (Augustusforum, San Silvestro) wurden Siedlungsspuren, vor allem Gräber und Kultstätten, gefunden: Gjerstad, Early Rome III, 145ff. Auf dem Caelius entdeckte man vor kurzem Mauerreste und Keramik aus dem 7./6. Jhs: C. Pavolini, Celio. Ospedale militare. La Basilica Hilariana, BA 1-2, 1990, 174, Anm.37; id., La topografia antica della sommità del Celio. Introduzione, MDAI/R 101, 1993, 444, Anm.6. 8 Für eine archaische Kultstätte auf dem Esquilin cf. jedoch L. Cordischi, L’area sacra (il IV sacrario degli Argei sull’Oppio?), BA 1-2, 1990, 181-183; id., Nuove acquisizioni su un’area di culto al colle Oppio, AL 11,2, 1993, 39-44.

28

Die Stadtwerdung

dung begründet sein könnte.1 Auch das Forum Romanum scheint weiterhin, wenn auch in bescheidenerem Maße, als Begräbnisstätte genutzt worden zu sein. Die Stufe IV in Latium, die künstlerisch durch den orientalisierenden Stil gekennzeichnet ist, wurde durch zwei zentrale gesellschaftliche Entwicklungen geprägt: Die Entstehung einer gentilizischen Aristokratie und die Verstädterung. Die sogenannten Fürstengräber, die zwischen dem ausgehenden 8. und dem ausgehenden 7. Jh. entstanden und Kriegsbeute sowie Luxusgegenstände enthalten, wurden in zahlreichen Orten Etruriens und Latiums gefunden, wie in Castel di Decima (Grab der Prinzessin), Lavinium (Heroon des Aeneas), Acqua Acetosa an der via Laurentina,2 Ficana und Praeneste (Tomba Barberini).3 Die auf dem Esquilin gefundenen Gräber sind von ihrer Ausstattung her nicht mit den Gräbern der genannten latinischen Städte vergleichbar. Orte wie Praeneste und Lavinium erschienen offenbar geeigneter für die Aufbewahrung von Kriegsbeute und die prunkvolle Ausstattung der Toten. Während die Gräber uns wichtige Auskünfte über den luxuriösen Lebensstil der Aristokratie geben, erhalten wir aus einer anderen Quelle eine wertvolle Information über deren soziale Struktur: Die Vereinigung mehrerer Familien zu einem Clan, der sich durch gemeinsame Abstammung definierte, läßt sich anhand der inschriftlich überlieferten Vornamengentilizien ablesen. Sie entstanden zwischen dem 8. und 6. Jh. in den etruskischen, faliskischen und osko-umbrischen Sprachen: An die Stelle einer Verbindung von persönlichem Namen und individuellem Patronym trat eine Verbindung von persönlichem Namen (das spätere lateinische Pränomen) und vererbbaren Patronym, das die Zugehörigkeit zu einem übergeordneten Familienverband ausdrückte (das spätere römische nomen gentile). Die Verstädterung setzte zunächst in Südetrurien ein, wo bereits zu Beginn der Eisenzeit (Phase IIA) einzelne, auf Hochebenen befindliche Dörfer zu größeren Siedlungen zusammenwuchsen (9./8. Jh.).4 Dieser Prozeß scheint mit einer leichten Ver1 Möglicherweise deutet gar der Friedhof auf dem Esquilin, der bislang zumeist als Friedhof einer erweiterten protourbanen Gemeinde unter Einschluß von Palatin, Velia und Caelius interpretiert wurde, auf die Existenz einer solchen Esquilinsiedlung. 2 Die Stätte wurde 1976 entdeckt und kann sich hinsichtlich ihrer Ausstattung mit der Nekropole von Castel di Decima messen lassen, cf. F. Cordano/C. De Simone, Graffiti e iscrizioni provenienti dall’ Acqua Acetosa Laurentina, PP 36, 1981, 128-142; A. Bedini, Edifici di abitazione di epoca arcaica in località Acqua Acetosa Laurentina, AL 4, 1981, 253-257; id., Due nuove tombe a camera presso l’abitato della Laurentina: Nota su alcuni tipi di sepolture nel VI e V secolo A.C., AL 5, 1983, 28-37; R. Holloway, The Archaeology of Early Rome and Latium, London/New York 1994, 120-122. 3 Cf. H.C. Winther, Princely Tombs of the Orientalizing period in Etruria and Latium Vetus, in: H. Damgaard Andersen et al. (Hrg.), Urbanization in the Mediterranean in the 9th to 6th Centuries B.C., Kopenhagen 1997, 423-446; F. Fulminante, Le sepolture principesche nel Lazio, tra la fine della prima metà del ferro a l’inizio dell’età orientalizzante, Rom 2003. 4 M. Pacciarelli, Territorio, insediamento, comunità in Etruria meridionale agli esordi del processo di urbanizzazione, Scienze dell’antichità 5, 1991, 163-208; B. D’Agostino, Considerazioni sugli inizi del processo di formazione della città in Etruria, in: A. Storchi Marino (Hrg.), L’incidenza dell’antico. Studi in memoria di E. Lepore I, Neapel 1995, 315-323; H. Damgaard Andersen, The Archaeological Evidence for the Origin and Development of the Etruscan City in the 7th to 6th Centuries B.C. in: id. et al. (Hrg.), Urbanization in the Mediterranean in the 9th to 6th Centuries B.C., Kopenhagen 1997, 343-382; F. Di Gennaro, „Paesaggi di potere“: L’Etruria meridionale in età protostorica, in: G. Camassa/A. De Guio/F. Veronese (Hrg.), Paesaggi di potere. Problemi e perspettive, Atti del Seminario, Udine 16-17 maggio 1996, Rom 2000, 95-119; M. Torelli, The Etruscan CityState, in: M.H. Hansen (Hrg.), A Comparative Study of Thirty City-State Cultures, Kopenhagen

Bronzezeit und Eisenzeit in Latium

29

zögerung auch in Latium stattgefunden zu haben.1 Das Siedlungsareal Roms, das sich noch im 8. Jh. durch die separate Existenz mehrerer Hügelsiedlungen auszeichnete, war von 700 bis 550 einem radikalen Wandel unterworfen, der im Zuge der Urbanisierung und Institutionalisierung zur Herausbildung eines städtischen Gemeinwesens führte.2 Er vollzog sich in mehreren Etappen, die noch ausführlich zu beschreiben sind (Kap.I.3). Der Wohlstand Roms resultierte wie der der Latinerstädte vermutlich zu einem guten Teil aus siegreichen Kriegen und monopolistischem Handel.3 In der Stufe IVA sind Friedhöfe im Forumtal, auf der Velia, dem Esquilin und Quirinal nachweisbar. Weitere Gräber auf dem Esquilin und Palatin können in die Stufe IVB datiert werden. Seit ca. 650, am Ende der orientalisierenden Phase, wurden die Ausstattungen der Gräber und die Grabbeigaben schlichter, bis sie fast vollständig verschwanden.4 Dieser Befund ist wahrscheinlich nicht als Verbot eines Grabluxus, sondern als zunehmende Präsentation gentilizischen Reichtums im Zusammenhang mit der Formierung der Stadt zu deuten, die der Bevölkerung neue Möglichkeiten der Selbstdarstellung eröffnete. Bauliche Veränderungen führten zu einem starken äußeren Wandel des Siedlungsareals. Das Comitium war seit Ende des 7. Jhs. als zentraler Versammlungsort der urbs voll entwickelt, während in der Curia Hostilia vermutlich bereits der Senat tagte.5 In unmittelbarer Nachbarschaft beider Bauten wurde die bedeutendste archaische Inschrift Roms gefunden (lapis Niger), die in das ausgehende 6. Jh. datiert werden kann. Spätestens gegen Ende des 7. Jhs. existierte die Regia, der alte Königssitz am Ostende des Forum Romanum.6 Vesta-Tempel und Forum Boarium waren wichtige kultische Zentren der gesamten Gemeinde.7 Rom scheint somit um 2000, 189-208. Für eine spätere Datierung des Synoikismos-Prozesses (8./7. Jh.) cf. M. Rendeli, Città aperte. Ambiente e paesaggio rurale organizzato nell’Etruria meridionale costiera durante l’ età orientalizzante e arcaica, Rom 1993, 164f., 223ff., 286ff. 1 Cf. A. Guidi, Sulle prime fasi dell’urbanizzazione nel Lazio protostorico, Opus 1, 1982, 279-289; M. Pacciarelli, Sviluppi verso l’urbanizzazione nell’Italia tirrenica protostorica, in: La presenza etrusca nella Campania meridionale. Atti del giornale di studio Salerno-Pontecagnano, 16-18 nov. 1990, Florenz 1994, 227-253; P. Attema, Notes on the Urbanization of Latium Vetus, in: H. Damgaard Andersen et al. (Hrg.), Urbanization in the Mediterranean in the 9th to 6th Centuries B.C., Kopenhagen 1997, 279-295. 2 Cf. C. Ampolo, Le origini di Roma e la «cité antique», MEFRA 92,2, 1980, 567-576; id., Die endgültige Stadtwerdung im 7. und 6. Jh. v.Chr. Wann entstand die Civitas?, in: D. Papenfuss/V.M. Strocka (Hrg.), Palast und Hütte. Bauen und Wohnen im Altertum, Mainz 1982, 319-324; id., Sulla formazione della Città di Roma, Opus 2, 1983, 425-437 und die Diskussion auf den S.438-448. 3 Cf. A. Momigliano, The Origins of Rome, CAH 2VII,2, 80. 4 Cf. Kolb, Rom, 64, 112f. 5 P. Carafa, Il comizio di Roma dalle origini all’età di Augusto, Rom 1998, 101-120. Die Curia Hostilia befand sich möglicherweise unter der Kirche SS. Luca e Martina. Zu ihr könnten einige Dachziegel gehören, die in der ersten Pflasterung des Comitium gefunden wurden, cf. Coarelli, Foro Romano I, 122. 6 Die erste Regia scheint um 625 gebaut worden zu sein, cf. Cornell, Beginnings, 239-241. 7 Das Forum Boarium war ein offener Kultplatz seit Ende des 7.Jh. Ein früher Tempel scheint um 575 v.Chr. angelegt und ca. 50 Jahre später rekonstruiert worden zu sein, zu einem Zeitpunkt, für den die literarische Überlieferung Servius Tullius den Bau der Tempel der Magna Mater und Fortuna zuweist, cf. M. Pallottino, Servius Tullius, à la lumière des nouvelles découvertes archéologiques et épigraphiques, CRAI, 1977, 216-235 (=Saggi di Antichità I, Rom 1979, 428-447); G. Adornato, L’area sacra di S. Omobono. Per una revisione della documentazione archeologica, MEFRA 115, 2003, 809-835.

30

Die Stadtwerdung

600 die baulichen und institutionellen Voraussetzungen erfüllt zu haben, die eine Bezeichnung als Stadt gerechtfertigt erscheinen lassen. Um die Mitte des 6. Jhs. v.Chr. könnte die römische civitas, die mehrere historisch gewachsene Hügelsiedlungen vereinte, von einem komplexen Verteidigungsring, der sogenannten Mauer des Servius Tullius, geschützt worden sein (Kap.III.3.1). Auch die Verbreitung der Schrift in Rom ist ab dem ausgehenden 7. Jh. durch lateinische, griechische und etruskische Inschriften belegt.1 Die in diversen Heiligtümern Latiums hinterlassenen Individualnamen zeugen von einer hohen horizontalen Mobilität der latinischen Bevölkerung.2 Die einzelnen Bedingungsfaktoren für die Entstehung der Hügelsiedlungen und deren Verschmelzen zu einer Stadt sind noch nicht zufriedenstellend geklärt. Es darf aber vermutet werden, daß die strategisch und wirtschaftlich bedeutende Lage des Areals ausschlaggebend war. Die Entstehung von einzelnen Siedlungen wurde insbesondere durch die zentrale Lage von Kapitol, Palatin und Aventin bestimmt, die ihren Bewohnern die Kontrolle über den unteren Tiber und damit die Salzressourcen3 sowie über wichtige Handelswege zu Land4 ermöglichte, die in das Sabinerland, nach Etrurien und Kampanien führten. Die große Bedeutung der Hügel lockte zahlreiche Fremde unterschiedlichster regionaler (Griechen, Etrusker, Latiner, Sabiner, Phönizier) und sozialer Herkunft (Händler, Handwerker, Viehzüchter) an, die sich hier niederließen und zu einer Intensivierung des Handels und einer Spezialisierung des Handwerks beitrugen. Gleichzeitig begann sich eine neue Aristokratie aus Familienoberhäuptern zu formieren, die in das einflußreiche Beratungsgremium des Königs (Senat) berufen wurden.5 1

Cf. A. Morandi, Testimonianze epigrafiche della più antica Roma, StudRom 49, 2001, 5-26. Cf. Kap.II.7.2. Zum Salzhandel: L. Clerici, Economia e finanza dei Romani, Bologna 1943; P. De Francisci, Variazioni su temi di protostoria romana, Rom 1974, 89; J. Carcopino, Virgile et les origines d’Ostie, ²1968, 418f.; A. Giovannini, Le sel et la fortune de Rome, Athenaeum 63, 1985, 373-86; G. Algreenssing/T. Fischer-Hansen, Ficana. Le saline e le vie della regione bassa del Tevere, AL 7, 65-71. Zur Bedeutung des Tibers: J. Le Gall, Le Tibre, fleuve de Rome dans l’antiquité, Paris 1953; Castagnoli, Topografia, 13, 159; Il Tevere e le altre vie d’acqua del Lazio antico, in: Tevere, un’antica via per il mediterraneo, Ausstellungskatalog Rom 1986; F. Coarelli, Roma, la città come cosmo, in: Cl. Nicolet (Hrg.), Mégapoles méditerranéennes, Géographie urbaine rétrospective. Actes du Colloque organisé par l’École Française de Rome et la Maison Méditerranéenne des Sciences de l’Homme, Rome, 8-11 mai 1996, Paris 2000, 288-310, bes.289f. 4 Zwei zentrale Handelswege können unterschieden werden: Der eine verlief vom nördlichen Etrurien in das südliche Kampanien und überquerte den Tiber an einer Furt, die sich an der Stelle des entstehenden Rom befand. Die andere (via Salaria) verband das bergreiche Sabinerland mit der Küstenebene Latiums und war seit der Bronzezeit für den Salz- und Viehhandel bedeutend. Zur Bedeutung der strategischen Lage Roms für die Entwicklung der Stadt cf. F. Coarelli, Il Foro Boario, Rom 1988, 107f.; id., Demografia e territorio, in: Storia di Roma I, 127f.; id., Roma, la città come cosmo, in: Cl. Nicolet/R. Ilbert/J.-Ch. Depaule (Hrg.), Mégapoles méditerranéennes: Géographie urbaine rétrospective. Actes du Colloque organisé par l’École Française de Rome et la Maison Méditerranéenne des Sciences de l’Homme, Rome, 8-11 mai 1996, Paris 2000, 288-310. 5 Cf. Cornell, Beginnings, 247f. Für die häufig vertretene Ansicht, der Senat habe sich aus den charismatischen Oberhäuptern der gentes zusammengesetzt, die den Kern des Patriziats gebildet hätten, cf. Grandazzi, Fondation, 103-125, bes. 124 und 235. Es ist jedoch fraglich, ob es jemals Gentiloberhäupter gab, cf. Cornell, Beginnings, 246. Die modernen Begriffe pater gentis/princeps gentis sollten daher vermieden werden. 2 3

Stadtgründung statt Stadtwerdung?

31

2. Stadtgründung statt Stadtwerdung? Die vor allem von der schwedischen Schule vertretene Auffassung der frühen Vereinigung einer autochthonen Palatin- und einer sabinischen Quirinalgemeinde, wie sie Dionysius schilderte, scheint durch den archäologischen Befund eine gewisse Bestätigung zu erfahren: Auf dem Quirinal bestand vermutlich bereits seit dem 9. Jahrhundert – und damit parallel zur Palatingemeinde – eine autonome Siedlung, wie Grabfunde und die Nachricht von einem alten Kapitol (Capitolium Vetus) auf dem Quirinal belegen.1 Gjerstad vertrat die Auffassung einer progressiven Verschmelzung einzelner Gemeinden, die auf den Hügeln des späteren Rom lagen und die von mehr oder weniger gleich großer Bedeutung waren.2 In einer ersten präurbanen Phase (800–700 v.Chr.) seien bereits der Palatin, Esquilin und Quirinal sowie vielleicht der Caelius bewohnt gewesen. Die zweite Phase vor der Stadtgründung (700–575 v.Chr., wiederum in zwei Unterphasen unterteilt) markiere die Ausdehnung der Siedlungen in die zwischen den Hügeln gelegenen Tälern und entspreche dem Fest des Septimontium; Quirinal und Viminal seien zunächst noch durch den Forumbach von der Dorfgemeinschaft des Septimontium getrennt gewesen, bevor sie nach der Trockenlegung des Sumpflandes durch Brücken mit dieser Gemeinschaft verbunden wurden und durch die Pflasterung des Forumtales ein gemeinsames Handels- und Marktzentrum erhielten. Den Entstehungszeitpunkt der Stadt Rom datierte Gjerstad um das Jahr 575 v. Chr.3 Während die Synoikismosthese zu einer dualistischen Konzeption der Verschmelzung von Palatin- und Quirinalsiedlung weiterentwickelt wurde, die gegenwärtig zahlreiche Fürsprecher findet, hat sich das chronologische Raster dieser These als unhaltbar erwiesen.4 Nachfolgende Untersuchungen haben gezeigt, daß das von dem schwedi1 Dion.2.50.1, 70.1. Cf. Kolb, Rom, 60. Nach den archäologischen Untersuchungen von H. MüllerKarpe ist der Quirinal nach dem Palatin und Esquilin besiedelt worden. Die Zuordnung der Gräber 1 und 2 des Augustusforum, die Gjerstad für eine gleichzeitige Siedlung auf dem Quirinal anführte, sei ebenso wie die Interpretation der Erdbestattungen auf dem Begräbnisplatz des Forum als sabinisches Element unsicher, cf. H. Müller-Karpe, Vom Anfang Roms, Heidelberg 1959, 38, Anm.23, gefolgt von M. Pallottino, Le origini di Roma, ArchClass 12, 1960, 6; L.A. Holland, Janus and the Bridge, Rom 1961, 57, Anm.21; J. Poucet, L’importance du terme «collis» pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, 110ff. Für eine ältere Siedlung auf dem Quirinal als auf dem Palatin: E. Kornemann, Polis und Urbs, Klio 5, 1905, 89, Anm.2; A. von Gerkan, Zur Frühgeschichte Roms, RhM 100, 1957, 86-87. 2 E. Gjerstad, Early Rome I-III, Lund 1953-1960. 3 Cf. E. Gjerstad, Innenpolitische und militärische Organisation in frührömischer Zeit, ANRW I,1, 1972, bes.136-142; id., Discussions Concerning Early Rome, ORom 3, 1960, 69-102; id., ORom 5, 1962, 1-74; id., Legends and Facts of Early Roman History, Lund 1962. Ebenfalls von einem Synoikismos (im Gegensatz zur These der unitarischen Entwicklung Müller-Karpes) geht P.G. Gierow, Notes on the Iron Age Chronology of Latium, ORom 3, Lund 1961, 103ff.; id., The Iron Age Culture of Latium, I. Classification and Analysis, Lund 1966; II. Excavations and Finds, 1. The Alban Hills, Lund 1964, aus. Ähnlich: G. Lugli, Studi Minori di Topografia Antica, Rom 1965, 227f. Nach ihm gab es zunächst einen Kern aus Palatin und Kapitol, der von den Prisci Latini besiedelt und durch die Sabinerstadt auf dem Quirinal (und Arx) ergänzt wurde. Eine dritte Phase der Stadtentwicklung sei durch das Fest des Septimontium markiert, das die Integration des Fagutal, der Carinae und eines Teils von Oppius, Cispius und Viminal voraussetze. 4 H. Riemann, GGA 213, 1960, 166f.; 214, 1962, 16f.; id., GGA 222, 1970, 25f.; 223, 1971, 33f. Für

32

Die Stadtwerdung

schen Forscher angesetzte Datum zu spät und die Entstehung der Stadt als ein längerer Prozeß zu verstehen ist.1 Die Vertreter der sogenannten Stadtwerdungsthese gehen zumeist davon aus, daß der Kern einer Siedlung aus Velia, Cermal und Palatium durch Esquilin (Cispius, Fagutal und Oppius), Caelius und Subura ergänzt wurde, mit denen er die Stadt des Septimontium bildete. In einem letzten Schritt sei dann die Quirinalsiedlung der colles (Latiaris, Mucialis, Quirinalis, Salutaris, Viminalis) der Gemeinde des Septimontium hinzugefügt worden.2 Umstritten ist allerdings die zeitliche Einordnung dieses Prozesses. Forscher wie C. Ampolo, T.J. Cornell und T.P. Wiseman traten für das ausgehende 8. und 7. Jahrhundert ein.3 Eine wichtige Etappe war dieser Ansicht nach die Überbauung des im Forumtal gelegenen Friedhofs durch Hütten (seit dem späten 8. Jh.) und archaische Häuser, die nicht als Expansion einer großen protourbanen Siedlung aus mehreren Hügeln, sondern als Expansion der Palatin-Velia-Gemeinde oder der Gemeinde des Septimontium gedeutet wurde.4 Die sich ausdehnende Kernsiedlung benödie dualistische These einer Verschmelzung der Palatin, Velia und Esquilin umfassenden Gemeinde des Septimontium mit der Quirinalsiedlung cf. J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, passim; G. Colonna, I Latini e gli altri popoli del Lazio, in: Italia Omnium Terrarum Alumna, Mailand 1988, 411-528. Cf. auch Kap.I.3.7. 1 Cf. H. Müller-Karpe, Zur Stadtwerdung Roms, Heidelberg 1962; M. Pallottino, Le origini di Roma, ArchClass 12, 1960, 1-36; id., Fatti e leggende (moderne) sulla più antica storia di Roma, SE 31, 1963, 3-37; J. Poucet, L’importance du terme «collis» pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, 110ff.; M. Pallottino, Le origini di Roma: Considerazioni critiche sulle scoperte e sulle discussioni più recenti, ANRW I,1, 1972, 22-47; G. Colonna, Preistoria e Protostoria di Roma e del Lazio, in: Populi e civiltà dell’Italia antica 2, Rom 1974, 283f.; J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 92; A. Guidi, Sulle prime fasi dell’urbanizzazione nel Lazio protostorico, Opus 1, 1982, 279-289; C. Ampolo, Die endgültige Stadtwerdung Roms im 7. und 6. Jh. v.Chr., in: D. Papenfuss und V.M. Strocka (Hrg.), Palast und Hütte. Bauen und Wohnen im Altertum, Mainz 1982, 319-324; Kolb, Rom, 54-73. 2 Cf. Mommsen, RSt III,1, 98f.; G. Wissowa, s.v. „Collina“, RE 1900, 480; H. Müller-Karpe, Vom Anfang Roms, Heidelberg 1959, 31-42; id., Zur Stadtwerdung Roms, Heidelberg 1962, 11-21; M. Pallottino, Le origini di Roma, ArchClass 12, 1960, 1ff.; id., Fatti e leggende (moderne) sulla più antica storia di Roma, SE 31, 1963, 3ff.; id., in: ANRW I,1, 1972, 22-48, bes.32/35; T. Dohrn, Des Romulus Gründung Roms, MDAIR 1964, 1-18; F. Castagnoli, Note sulla topografia del Palatino e del Foro Romano, ArchClass 16, 1966, 176; id., Topografia, 8-12; Momigliano, Interim Report, 100ff., 106; D. Musti, Varrone nell’insieme delle tradizioni su Roma quadrata, StudUrb ser.B, 49,1, 1975, 317; J. Poucet, L’importance du terme «collis» pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, bes.112, 114f.; C. Fayer, Aspetti di vita quotidiana, 22f. und Anm.65. 3 Momigliano, Interim Report, 100ff., 106; C. Ampolo, art.cit., 319-324; Cornell, Beginnings, 103; T.P. Wiseman, Historiography and Imagination. Eight Essays on Roman Culture, Exeter 1994, 8; Kolb, Rom, 54-73. Ähnlich L. Quilici, Roma primitiva e le origini della civiltà laziale, Rom 1979, 309ff., der von einer Urbanisierung in der Stufe IV (720-630) ausgeht. 4 Die Überbauung des sepulcretum wird oft in einen zeitlichen und kausalen Kontext mit der Entstehung des Friedhofes auf dem Esquilin gesehen und als sukzessive Ausdehnung eines einheitlichen protourbanen Siedlungskernes interpretiert: H. Müller-Karpe, Zur Stadtwerdung Roms, Heidelberg 1962, 23ff., 34-40; Grandazzi, Fondation, 192, 216; J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 108; Carandini, Geburt Roms, 380. Nachfolgende Studien haben jedoch zu einer Heraufdatierung der ältesten Esquilin-Gräber geführt (cf. Kap.I.1), so daß ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen nicht nachzuweisen ist. Die Esquilin-Gräber können durchaus als Grabanlage einer autonomen Siedlung auf diesem Hügel statt, wie bisher zumeist geschehen, als Gräber einer erweiterten Quirinal- oder Palatinsiedlung interpretiert werden. Neue Erkenntnisse bezüglich des sepulcretum auf dem Forum läßt

Stadtgründung statt Stadtwerdung?

33

tigte einen politischen und kultischen Raum, der allmählich ausgestaltet wurde und auch die anderen Hügel mit einbezog. Mehrere bauliche Maßnahmen in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. markierten das Ende des Stadtwerdungsprozesses: 1. Der Bau der Regia im ausgehenden 7. Jahrhundert über einer alten Kultstätte. 2. Die Vergrößerung und Ausschmückung der Heiligtümer (Funde von Sant’ Omobono, Forum Boarium) unter griechischem Einfluß. 3. Die nach 650 erfolgte Auffüllung und Pflasterung des Forum Romanum sowie dessen Ausgestaltung als sakrales und politisches Versammlungszentrum: Dazu gehören die Pflasterung des Comitium, des in der Königszeit und frühen Republik bedeutendsten politischen Versammlungsraumes, im letzten Drittel des 7. Jhs., die Errichtung eines Gebäudes mit Ziegeldach im Comitium (Curia Hostilia) um 600 v.Chr. und die neue Vulcanus-Kultstätte (Volcanal) mit der um 580 v.Chr. datierbaren lapis Niger-Inschrift. 4. Die Einrichtung eines religiösen Zentrums im Forum Boarium (Kultstätten der Mater Matuta und Fortuna) im 6. Jh.1 Vertreter der These einer frühen Stadtwerdung wie Pallottino, Colonna und Carandini glaubten demgegenüber, daß der Entwicklungsprozeß bereits im 8. Jh. oder noch früher seinen Abschluß fand.2 Sie beriefen sich u.a. auf folgende Aspekte. 1. Spätestens gegen Ende des 9. Jhs. sei der auf dem Forum Romanum angelegte Friedhof zugunsten einer neuen Anlage auf dem Esquilin aufgegeben und von Hütten überbaut worden. Dieser Schritt markiere die frühe Ausdehnung der Palatinsiedlung. 2. Der Kult des Iupiter Feretrius, verbunden mit der terminatio des ager, sei seit der zweiten Hälfte des 8. Jhs. praktiziert worden, wie Votivgaben bei der Protomoteca Capitolina belegen. 3. Die erste Pflasterung des Comitium mit Kieselsteinen aus der Mitte des 7. Jhs. sei bislang zu Unrecht als älteste, auf dem Comitium gefundene Schicht interpretiert worden. Ihr gehen jedoch zwei ältere Schichten voraus, die in Zusammenhang mit Votivfunden im Volcanal-Heiligtum auf eine frühe Frequentierung dieses öffentlichen Platzes schließen lassen. 4. Der erste Kieselsteinboden des Forum sei bereits in der ersten Hälfte des 7. Jhs. angelegt worden.3 eine angekündigte Untersuchung der Funde und Grabungen, die Boni zu Beginn des 20. Jhs. machte, erwarten, cf. A. Rathje/I. van Kampen, The Distribution of Space and Materials in Domestic Architecture in Early Rome. A Case Study of the Pre-Republican Habitation Levels on the Sepolcreto Arcaico Site at the Roman Forum, in: J. Rasmus Brandt/L. Karlsson (Hrg.), From Huts to Houses. Transformations of Ancient Societies, Proceedings of an International Seminar Organized by the Norwegian and Swedish Institutes in Rome, 21-24 Sept. 1997, Stockholm 2001, 383-388. Die von Carandini, Geburt Roms, 318, angenommene Besiedlung in den Stufen II B und III B erscheint in jedem Fall zu früh, cf. A. Rathje/I. van Kampen, art.cit., 385f. 1 Zu all diesen Punkten cf. C. Ampolo, art.cit., 322f. 2 M. Pallottino, ArchClass 12, 1960, 9, 26ff.; id., ANRW I,1, 1972, 28, 30f.; id., Origini, 127f. (880 aufgrund von Enn.ann.frg.163Vahlen=153Skutsch); H. Müller-Karpe, Zur Stadtwerdung Roms 1962 (8. Jh.); G. Colonna, Preistoria e protostoria di Roma e del Lazio, in: Popoli e civiltà dell’Italia antica, Bd.2, Rom 1974, 304f., 328f.; id., in: La civiltà del Lazio primitivo, Rom 1976, 26f. (814); A. Guidi, Sulle prime fasi dell’urbanizzazione nel’Lazio protostorico, Opus 1, 1982, 279-289 (8. Jh.); M. Bettelli, Roma. La città prima della città: I tempi di una nascità, Rom 1997, bes.215f. (9. Jh.); A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 79f.; id., Geburt Roms, 563-595; id., Variazioni sul tema di Romolo. Riflessioni dopo ‘La nascita di Roma’ (1998-1999), in: id./R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 95-150 (Mitte 8. Jh.). 3 Cf. Carandini, Geburt Roms, 573f.; P. Carafa, La «grande Roma dei Tarquini» e la città romuleonumana, BCAR 97, 1996, 17.

34

Die Stadtwerdung

Besonderen Rückhalt erhielt die These einer frühen Stadtwerdung durch die seit den 80er Jahren durchgeführten Grabungen des Archäologen A. Carandini am Nordhang des Palatin, zwischen Titusbogen und Vesta-Tempel. Sie haben auf einer Länge von ca. zwölf Metern Mauerreste aus unterschiedlichen Epochen zu Tage gefördert.1 Diese Reste weisen eine Öffnung auf, die unter Einbeziehung der schriftlichen Quellen von dem Ausgräber als porta Mugonia gedeutet wurde, und an der Innenseite vermutlich von zwei Wach- bzw. Kulthütten eingerahmt war.2 Die älteste Bauphase besteht aus einem ca. 1,40 m breiten Tuffundament, auf dem sich wahrscheinlich eine mit Holzpfählen durchsetzte Mauer aus Erde und Lehm erhob.3 Unter der Schwelle (limen) des Tores befand sich ein Gründungsdepot, bestehend aus der Grabausstattung eines jungen Mädchens, das eine Datierung der Mauer in die Übergangsphase zwischen den Latialstufen III und IVA (730-720) erlaubt. Das Depot scheint unmittelbar vor dem Mauerbau angelegt worden zu sein und könnte ein symbolisches oder wirkliches Menschenopfer enthalten, das an die Laren und ihre Mutter gerichtet war. Der Mauer vorgelagert war, parallel verlaufend, eine Straße (Vorläufer der Nova via), ein natürliches Bachbett, das sich in westlicher Richtung von der Mauerlinie stetig entfernte, und – auf der anderen Seite des Baches – eine weitere Straße (Vorläufer der Sacra via), die mit dem Zugangstor der Mauer durch eine Brücke verbunden war. Im Zusammenhang mit der Anlage der Mauer wurde offenbar der natürliche Rand der Talsohle eingeebnet, so daß der Anstieg bis zur Mauer bzw. der davor befindlichen Straße eine größere Neigung erhielt. Um 675 v.Chr. scheint diese Konstruktion, vielleicht infolge ihrer geringen Haltbarkeit, durch eine ähnlich breite Mauer aus großen Tuffblöcken ersetzt worden zu sein, der ca. 20 Jahre später ein künstlicher Graben – in engerem Abstand zur Mauer als der frühere natürliche Graben – hinzugefügt wurde.4 Fünf Gräber, die dem Bau der Mauer vorausgehen, könnten als Menschenopfer (zwei Kinder und drei Erwachsene) interpretiert werden, mit denen die Auflassung des Monuments gesühnt werden sollte. Im Vergleich zur ersten Mauer war diese Befestigung mehr dem Verlauf des begradigten Bachbettes angepaßt, so daß sie ein größeres Areal als die alte Mauer umfaßte. Dieser 1 Cf. A. Carandini, Pendici settentrionali del Palatino, BCAR 91,2, 1986, 422ff.; id., Palatino. Campagne di scavo delle pendici settentrionali (1985-88), BA 1-2, 1990, 159-165; id., Geburt Roms, 576583, 664-667; R. Holloway, The Archaeology of Early Rome and Latium, London 1994, 101f.; Kolb, Rom, 56f.; Palatium e Sacra Via I, BA 31-33, 1995; N. Terrenato, s.v. „Murus Romuli“, LTUR III, 1996, 317. Die Ausgrabungen von Carandini förderten auch eine etruskische Inschrift zu Tage, cf. P. Brocato, SE 59, 1993, 264-266. 2 Nach Plin.nat.3.66 mußte es – entsprechend dem etruskischen Ritual – drei Tore geben. Der zweite Zugang war die porta Romana bzw. Romanula, die über die Scalae Graecae erreicht wurde. Der dritte Zugang zum Palatin dürfte über die sogenannten Scalae Caci im Südwesten geführt haben (cf. Varr.ling.5.164, für den der dritte Zugang die porta Ianualis war). Zu den Toren der Palatinsiedlung cf. M.A. Tomei, Scavi francesi sul Palatino. Le indagini di Pietro Rosa per Napoleone III (1861-1870), Rom 1999, 109-121. 3 Ein weiterer Abschnitt dieser Mauer wurde etwas weiter westlich gefunden. Die hier entdeckten Gräber von vier Personen (aufgrund der Grabbeigaben in das erste Viertel des 7. Jhs. datierbar) deutete Carandini, Geburt Roms, 579, alls rituelle Tötungen oder Menschenopfer, mit der die Auflassung der Mauer gesühnt werden sollte. 4 Dieser Graben wird von Carandini mit der „Quiritium fossa“ des Ancus Marcius (Liv.1.33.6) identifiziert.

Stadtgründung statt Stadtwerdung?

35

Konstruktion folgte kurz nach 600 eine nur 0,70 m breite Mauer aus rotem Tuffstein, die Mitte des 6. Jhs. durch eine zweite, parallel laufende Mauer an der Stelle des Grabens ergänzt wurde. Um 530 v.Chr. schließlich wurde das Gelände einschließlich des Baches eingeebnet, mit Atriumhäusern1 und einer Straße überbaut, die das Forumtal durchzog (Sacra via). Die porta Mugonia verschob man dabei nach Westen; Reste von ihr und der dazugehörigen Mauer aus spätrepublikanischer Zeit sind noch erhalten. Auf der Basis dieser Erkenntnisse und einer engen Bezugsetzung von archäologischen Daten und schriftlicher Überlieferung, die in ihren Grundzügen für authentisch gehalten wird, gelangt Carandini zu einem siebenphasigen Entwicklungsmodell.2 In einer präurbanen Phase (1000-865), die mit dem Ende der Bronzezeit und dem Beginn der Eisenzeit in Latium korrespondiert, waren die Siedlungsverhältnisse angeblich durch eine dörflich-pagane Struktur geprägt. Die politische Organisation sei von Alba Longa dominiert gewesen, das mehrere Völker beherrschte, die unter der Bezeichnung populi Albenses Eingang in die Quellen gefunden hätten und als Stammesgemeinschaften mit mehreren Siedlungskernen (pagi) um eine gemeinsame Burg (oppidum) beschrieben werden könnten. Zunächst hätten zwei dieser Völker, die Velienses und Latinienses, auf römischem Boden gesiedelt, bevor die Querquetulani (während der Stufe IIB) hinzugekommen seien.3 Mit der beginnenden protourbanen Phase wären dann die drei Siedlungsgebiete der Velienses aus Palatium, Velia und Cermal zu einer einheitlichen Siedlung des Trimontium verschmolzen. An die Stelle der Gesamtheit der pagi sei ein einheitliches System von montes (im Gebiet der Velienses) bzw. colles (im Gebiet der Latinienses) getreten. Weitere protourbane Entwicklungsphasen stellten die Gemeinden des Quinquimontium und des ersten Septimontium dar, die um die montes Fagutal und Subura/Carinae bzw. Oppius, Caelius und Cispius, dem Siedlungsgebiet der Querquetulani, erweitert wurden.4 Trimontium, Quinquimontium und erstes Septimontium (865-813) seien durch ein Ensemble von Vierteln (montes und colles) und Bezirken (curiae) gekennzeichnet gewesen, die um mehrere oppida angeordnet waren. Die fünfte städtische Entwicklungsphase, das zweite Septimontium (813-725), markiere den größten qualitativen Sprung auf dem Weg von einer protourbanen zu einer städtischen Gemeinde, da das Ensemble von Vierteln und Bezirken jetzt aus drei gemeinsamen, um jeweils ein oppidum angeordneten Tribus bestanden habe (erster Synoikismos).5 Die eigentliche Stadtwerdung (zweiter Synoikismos) sei dann unter Romulus 1

Nach Carandini, art.cit.163, wurden diese für die minores gentes, d.h. die an Tarquinius Superbus gebundene Anhängerschaft gebaut. 2 Carandini, Geburt Roms, 333, cf. 572 für eine institutionelle Phasierung. Kritik an Carandinis Ansatz äußerten u.a. T.P. Wiseman, What Do We Know About Early Rome?, JRA 9, 1996, 310-315; E. Gabba, Rez. zu Carandini, La nascita di Roma, Athenaeum 87, 1999, 324ff.; id., La Roma dei Tarquini, Athenaeum 86, 1998, 5-12=id., Roma arcaica, 235-243; Poucet, Rois de Rome, 165-181; P. Fontaine, Des „remparts de Romulus“ aux murs du Palatin. Du mythe à l’archéologie, in: P.-A. Deproost/A. Meurant (Hrg.), Images d’origines, origines d’une image. Hommages à J. Poucet, Louvain-la-Neuve 2004, 35-54. Carandini hält jedoch an seiner Auffassung fest, cf. id., Variations sur le thème de Romulus. Réflexions après la parution de l’ouvrage ‘La nascita di Roma’, in: M. Reddé et al. (Hrg.), La naissance de la ville dans l’antiquité, Paris 2003, 15-25. 3 Carandini, Geburt Roms, 275-296. 4 Carandini, 331-432. 5 Carandini, 433-441.

36

Die Stadtwerdung

mit einem sakralen Gründungsritus auf dem Palatin, der u.a. die Einholung des göttlichen Willens (Auspikation) und das Ziehen eines Gründungsgrabens (sulcus primigenius) umfaßte, ca. 725 vollzogen worden.1 Das auf diese Weise inaugurierte oppidum leitete eine Phase des „Stadtstaates in Formierung“ ein, die sich mit der frühen Königszeit deckte (725-Servius Tullius). Die montes und colles seien jetzt zu einer gemeinsamen Siedlung um ein oppidum (Kapitol) verschmolzen, wobei die Organisation aus Tribus und Kurien beibehalten wurde. Die abschließende Phase der fertigen Stadt sei durch die vier inaugurierten Regionen gekennzeichnet gewesen, die in compita und vicinitates untergliedert waren (ab Servius Tullius). Nach dieser Rekonstruktion sind Stadtgründung und Stadtwerdung miteinander vereinbar. Romulus sei nicht als Häuptling einer dörflichen Palatingemeinde, sondern als sakraler Gründer und erster König einer Stadt zu betrachten, die sich in einem jahrhundertelangen Prozeß seit der späten Bronzezeit bis in die Mitte des 8. Jhs. formiert habe.2 Zentrale städtische Institutionen wie die Kurien und Tribus hätten bereits vor der sakralen Gründung der Stadt existiert.3 Die Auffassung, daß die Stadtwerdung nicht ein kontinuierlicher, in der gleichen Geschwindigkeit voranschreitender Entwicklungsprozeß war, sondern durch ein oder mehrere Gründungsmomente eine Beschleunigung erfuhr, erscheint durchaus plausibel. Ob ein solcher zentraler Gründungsakt jedoch der Epoche des Romulus zugeordnet werden kann, ist nicht nur aufgrund der unsicheren schriftlichen Überlieferung der frührömischen Ereignisse und Daten fraglich. Die Entdeckungen auf dem Palatin bestätigen keineswegs die schriftliche Darstellung der Ereignisse um die romulische Stadtgründung. Sie werfen neue Fragen auf, die unter Einbeziehung anderer archäologischer Fakten und der kritischen Würdigung der schriftlichen Überlieferung neue Antworten erfordern.

1

Carandini, Geburt Roms, 563-595. An eine Vereinbarkeit von Stadtwerdung und Stadtgründung glaubte auch Grandazzi, Fondation, 217. Romulus habe in der Mitte des 8. Jhs. die Stadt durch Ziehen des pomerium um den Palatin gründen können, weil sich zu dieser Zeit die Palatinsiedlung in einem längeren Prozeß als die wichtigste der Hügelsiedlungen herauskristallisiert habe und die anderen Siedlungen politisch kontrollierte. Für die Ansicht, daß sich Stadtwerdung und Stadtgründung ausschließen, cf. noch C. Fayer, Aspetti di vita quotidiana, 22f. 3 Cf. Carandini, Geburt Roms, 363f., 513-524, 572. M. Pacciarelli, Sviluppi cit., 246 nahm – ohne Belege anzuführen – die Existenz eines „einzigen politischen Organismus“ am Übergang zwischen den Stufen IIA und IIB an. 2

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

37

3. Phasen des Stadtwerdungsprozesses 3.1. Das Pomerium Ein hohes Alter der Palatinsiedlung wird durch die literarische Überlieferung nahegelegt, nach der Romulus auf dem Hügel die Grenzlinie des pomerium gezogen haben soll: Sed initium condendi et quod pomerium Romulus posuerit, noscere haud absurdum reor. Igitur a foro boario, ubi aereum tauri simulacrum aspicimus, quia id genus animalium aratro subditur, sulcus designandi oppidi coeptus, ut magnam Herculis aram amplecteretur; inde certis spatiis interiecti lapides per ima montis Palatini ad aram Consi, mox curias veteres, tum ad sacellum Larum, inde forum Romanum; forumque (Weissenborn. Orelli: sacellum Larundae; forumque Romanum) et Capitolium non a Romulo, sed a Tito additum urbi credidere.1 Das pomerium bezeichnet jene Grenzlinie, die die inaugurierte urbs vom nicht inaugurierten ager und damit den Geltungsbereich der städtischen von dem der militärischen Auspizien trennte. Mit der Inauguration, die ein Bestattungsverbot sowie ein Verbot des Aufenthalts von Militär innerhalb dieser Grenzen implizierte, wurde die Reinerhaltung der Stadt garantiert.2 Aus der sakralen Bedeutung der Linie ergaben sich wichtige Konsequenzen für die römische Amtsgewalt. Die militärische Befugnis eines Beamten mit imperium setzte ein, sobald dieser auf dem Wege aus der Stadt die Pomeriumgrenze überschritten und die militärischen Auspizien eingeholt hatte. Die Geltungskraft der tribunicia potestas der plebejischen Volkstribune war dagegen auf den Bereich innerhalb des pomerium begrenzt.3 Drei Problemkomplexe sind von Bedeutung für die Frage nach der Historizität eines palatinischen pomerium, wie es von Tacitus vorausgesetzt wird: Die Frage der Datierung des pomerium, die Frage des Zusammenhangs zwischen pomerium und Gründungsgraben (bzw. Mauer) und die Frage des Pomeriumverlaufs. 1

„Aber den Beginn der Gründung und das Pomerium, das Romulus gesetzt hat, kennenzulernen halte ich nicht für abwegig. Beim Rindermarkt also, wo wir das eherne Standbild eines Stiers sehen, weil diese Tierart vor den Pflug gespannt wird, begann die Furche zur Abgrenzung der Stadt, so daß sie den großen Altar des Hercules mit einschloß; von da an waren in bestimmten Abständen Grenzsteine gesetzt ganz unten am Palatin entlang bis zum Altar des Consus, dann zu den alten Kurien und weiter zum Heiligtum der Laren...“ (Tac.ann.12.24; Übers. nach E. Heller, München 1982, 318). Die Übersetzung basiert auf der Textausgabe von E. Koestermann (Hrg.), Cornelii Taciti libri qui supersunt, 3 Bde., Leipzig ²1964-69. Die Handschriftentradition hat Larum deforumque romanum (M) mit ausradiertem de in M². Zu den verschiedenen Restitutionsversuchen cf. F. Castagnoli, Su alcuni problemi topografici del Palatino, RAL s.8, 34, 1979, 343f. 2 Zur auguralen Definition des pomerium cf. Gell.13.14; A. von Blumenthal, s.v. „Pomerium“, RE XXI, 2, 1952, 1871. 3 Dion.7.87.6-7; Liv.3.20.6-7; App.civ.2.31.123; Cass.Dio 53.32.5. Erst unter Augustus wurden diese Beschränkungen aufgehoben: Cass.Dio 51.19.6 (30 v.Chr.). Cf. A. Giovannini, Consulare imperium, Basel 1983, 10-13; M. Andreussi, Roma: Il pomerio, ScAnt 2, 1988, 226f.; B. Liou-Gille, MH 50, 1993, 103ff.

38

Die Stadtwerdung

Die plastische Beschreibung des Tacitus und die Bindung des pomerium an die mythische Gestalt des Romulus haben berechtigte Zweifel an der frühen Existenz eines pomerium,1 das mit dem Palatin in Verbindung stand, aufkommen lassen. Die Geschichte scheint in den Bereich der zahlreichen aitia zu fallen, d.h. jener mythischen Erzählungen, die die ursprüngliche Bedeutung einer Institution bzw. eines Namens erklären sollten.2 Zudem entspricht die Rückführung des pomerium auf Romulus einer häufig beobachtbaren Tendenz der antiken Historiographie, später eingerichtete Institutionen mit dem legendären Gründerkönigs in Verbindung zu bringen.3 Diese Erkenntnis darf aber umgekehrt nicht automatisch dazu führen, mit einem Teil der Überlieferung Servius Tullius als „Erfinder“ der Institution anzusehen,4 da eine Bindung der Sakralgrenze an die Person des zweiten Etruskerkönigs wiederum in der Vorstellung vom etruskischen Ursprung des Gründungsritus verhaftet gewesen sein könnte.5 Die Übernahme etruskischer Riten setzt keineswegs die Ausübung politischer Herrschaft durch die Etrusker voraus. Falls daher das pomerium etruskischen Ursprungs war, so bedeutet dies nicht zwangsläufig, daß eine römische Adaptierung unter den Tarquiniern oder Servius Tullius stattfand. Zum einen können etruskische Einflüsse bereits vor Tarquinius Priscus zur Übernahme etruskischer Institutionen geführt haben. Zum anderen ist das Bild einer festgefügten etruskischen Fremdherrschaft in Rom, die angeblich erst die Übernahme entsprechender Elemente ermöglichte, zu revidieren.6 Gegen die Historizität der Beschreibung des Tacitus wurde darauf hingewiesen, daß der Autor pomerium und sulcus primigenius miteinander vermengt habe.7 Nun ist es zweifellos richtig, daß beide Linien einen grundsätzlich verschiedenen Charakter hatten: Während der sulcus primigenius die Basis einer zu errichtenden Mauer und somit körperlich erkennbar war und die Mauer Lücken für die Tore lassen müssen, die jeweils des göttlichen Schutzes bedurften, um Unsegen und Feinde von der Stadt fernzuhalten, umgab das pomerium ununterbrochen und unsichtbar die Stadt und trennte die Bereiche domi und militiae voneinander.8 Insbesondere seine magisch-sakrale Bedeutung und die daraus resultierenden magistratischen Beschränkungen verliehen dem pomerium in republikanischer Zeit die Bedeutung einer weitgehend gedachten Gren1

Neben Tacitus führen auch Plut.Rom.11.8 und Gell.13.14.2 das pomerium auf Romulus zurück. Cf. auch Poucet, Rois de Rome, 340, 350. 3 Cf. Musti, Tendenze. 4 Für die Ersteinrichtung unter Servius Tullius traten Liv.1.44.3f.; Dion.4.13.3 und Gell.13.14.4 ein. Einen etruskischen Ursprung des Rituals legen Varr.ling.5.143; Plut.Rom.11.1ff. und Fest.358f.L s.v. „Rituales libri“ nahe. 5 Cf. B. Liou-Gille, MH 50, 1993, 98ff. 6 Cf. Kap.II.8. 7 I. Valeton, De templis Romanis, Mnemosyne 25, 1897, 93-109, glaubte, daß Tacitus in Wahrheit das pomerium beschrieb. 8 Cf. G. Radke, Latomus 49, 1990, 5-19; id., WJ 17, 1991, 187f.; cf. id., s.v. „Pomerium“, KIP 4, 1016; Kolb, Rom, 57f.; A. Carandini, Variazioni sul tema di Romolo. Riflessioni dopo ‘La nascita di Roma’ (1998-1999), in: id./R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 123; A. Simonelli, Considerazioni sull’origine, la natura e l’evoluzione del Pomerium, Aevum 75, 2001, 132. Eine Identität von pomerium und Mauer nahmen dagegen Jordan/Hülsen, Topographie I,1, 167, und F. Castagnoli, Roma quadrata, in: G.E. Mylonas (Hrg.), Studies presented to D. Moore Robinson, Washington 1951, 396, an. 2

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

39

ze1 bzw. des von dieser Grenze umgebenen Raumes (locus).2 Dies schließt jedoch keineswegs aus, daß diese Grenze zur Königszeit eine weitaus konkretere Gestalt besaß, zumal die Grenzziehung durch Steine auch bei der Gründung römischer Kolonien (einschließlich eines Gründungsgrabens) appliziert wurde und für mehrere etruskische Gemeinden nachweisbar ist.3 Der Rekurs auf das palatinische pomerium bei Tacitus bettet sich in die Beschreibung der sakralen Grenze unter Claudius ein. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß Tacitus dabei auf ein Werk des Kaisers zurückgriff, das einen frühen Verlauf des pomerium beschrieb und die Grenze mit dem Mauerverlauf in Bezug setzte.4 Claudius war ein Experte in Sachen etruskische Altertümer, dem wichtige, uns heute verlorengegangene etruskische Quellen zur Verfügung standen. Tacitus setzte zudem pomerium und sulcus in der zitierten Stelle nicht gleich. Das Beschreiben des sulcus ist für ihn in erster Linie ein Hilfsmittel zur Beschreibung des pomerium. Tacitus kann die Ziehung des sulcus bzw. die Errichtung einer Mauer5 in seine Schilderung der ersten Pomeriumgrenze einbezogen haben, gerade weil ein enger, historischer Bezug zwischen beiden Linien bestand, wie ihn auch andere Autoren nahelegen.6 Die antike Etymologie ist von der modernen Forschung im wesentlichen bestätigt worden, die von einem Kompositum aus *pos und *moiriom (>murus) ausgehen, wobei das Präfix auf ein indoeuropäisches *pos- bzw. auf das lat. post (bei Wegfall des -t-) zurückgeführt wird.7 Auch gibt es wichtige inhaltliche Gründe dafür, daß die Pomeriumgrenze hin1

Bereits das archaische pomerium könnte durch Grenzsteine (cippi) markiert gewesen sein, die durch gedachte Linien verbunden waren. Cf. Varr.ling.5.143 (cippi pomeri stant et circum Ariciam et circum Romam); Liv.1.44.4-5 (certis circa terminis...consecrabant); Tac.ann.12.24 (inde certis spatiis interiecti lapides per ima montis Palatini ad aram Consi). Cf. A. Simonelli, art.cit., 135f. 2 Liv.1.44.4-5; Gell.13.14.1; Fest.294L s.v. „rium“; Suet.frg.7.11, S.313Roth. Cf. auch A. Simonelli, art.cit., 136. 3 In Etrurien sind Grenzsteine aus Cortona und Bolsena bekannt, cf. A. Grandazzi, Un aspect de la divination chez Tacite, in: Les écrivains et l’Etrusca Disciplina de Claude à Trajan, Caesarodunum 1995, 54. 4 Cf. A. Grandazzi, art.cit., 42. 5 Es sollte kein Zweifel daran bestehen, daß für Tacitus der durch Romulus gezogene sulcus nach römischer Auffassung das Fundament für die Mauer bildete (contra A. Magdelain, Le pomerium archaïque et le mundus, REL 54, 1976/77, 75=Jus Imperium, 158f., nach dem Tacitus korrekterweise den sulcus und nicht die Mauer mit dem pomerium gleichgesetzt habe). Das von Tacitus beschriebene Ritual ist mit dem von Varro (ling.5.143) und Plutarch (Rom.11.1-4) identisch, die das Ziehen des sulcus mit der Mauer und nicht mit dem pomerium in Verbindung bringen. 6 Für eine Lage des pomerium innerhalb der Mauern: Varr.ling.5.143; Plut.Rom.11.4; Prisc.Partit. XII vers.Aen. III, 69, in: Grammatici Lat. III, S.475,9 Keil; Gell.13.14.1; Schol.Iuv.9.11; Suet.frg.7. 11, S.313Roth. Außerhalb der Mauern: Fest.294L, s.v. „rium“; Paul.Fest.295, 4ff.L; Schol. Lucan.1.594: Pomeria dicuntur ante muros loca quasi promoenia. Liv.1.44 bezeichnet es als circamoerium, d.h. als Raum zu beiden Seiten der Stadtmauer). Die unterschiedliche Interpretation geht nach A. Magdelain auf die Tatsache zurück, daß in Rom und anderen italischen Städten die Stadtbefestigungen von zwei Landstreifen – einer innerhalb, der andere außerhalb des Mauerringes – umgeben und beide durch Steine (cippi) begrenzt waren. Die erhaltenen cippi vermögen dies jedoch nicht zu bestätigen. 7 Cf. A. Walde/J.B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Bd.2, Heidelberg 51972, 334; A. Ernout/A. Meillet, s.v. „Murus“, in: Dictionnaire étimologique de la langue latine, Paris 41960, 423f.; A. von Blumenthal, RE 21, 2, 1952, 1870 (mit Vorbehalten); Th. Mommsen, Der Begriff des Pomerium, Hermes 10, 1876, 40-50=RF II, 23-41; V. Basanoff, Pomerium palatinum, MAL s.VI, 9,

40

Die Stadtwerdung

ter, also innerhalb, der Stadtmauern lag. So muß sich das pomerium nach sakralem Recht schon allein deswegen an dieser Stelle befunden haben, weil der innere Mauerstreifen im Falle der Belagerung Verteidigungszwecken diente und somit der Geltungskraft des imperium militiae bedurfte, welches jedoch für den Bereich des pomerium tabu war.1 Diese Definition des pomerium wird durch Varro bestätigt, der es als kreisförmige Linie bezeichnet, die aus der Ziehung des sulcus primigenius durch Romulus und den nach innen geworfenen Landschollen resultierte.2 Plutarch beschreibt das Ziehen des sulcus in gleicher Weise wie Varro und kommt zu dem Schluß, daß mit dem Begriff pomerium das hinter der Mauer liegende Land bezeichnet wurde.3 Später, im Zuge der Entstehung des Stadtstaates, könnten dann Mauer und Pomeriumlinie voneinander abgewichen sein. Falls die von Tacitus beschriebene Erweiterung des pomerium durch Angliederung des Kapitols und Forums historisch ist4, würde bereits diese Ausdehnung ohne eine Erweiterung der Ummauerung – entsprechende Überreste fehlen jedenfalls bislang – vollzogen worden sein. An der Stelle einer sakralrechtlichen Siedlungsgemeinschaft auf dem Palatin war seit dem Ende des 7. Jahrhunderts eine Stadt entstanden, die eine geeinte Bürgerschaft mit gemeinsamen Kulten und Versammlungsorten umfaßte. Ihre Grenzen wurden je nach militärischen, religiösen und administrativen Erwägungen, die an die Bedürfnisse des Stadtstaates und seiner Bürger orientiert waren, verschieden definiert. So sparte etwa das servianische pomerium den Aventin aus, während das Kapitol wiederum in das (angeblich unter Titus Tatius) erweiterte pomerium integriert war.5 Sowohl das Kapitol als auch vermutlich der Aventin befanden sich innerhalb der servianischen Befestigungsanlage. Beide Hügel waren nicht in die Stadttribus integriert, die aber ihrerseits Gebiete 1939, 6; Ogilvy, Commentary, 179f.; C. Milani, Il ‘confine’: note linguistiche, in: Il confine nel mondo classico, Mailand 1987, 3-12; Grandazzi, Fondation, 202-205; B. Liou-Gille, Le Pomerium, MH 50, 1993, 94-106, bes.95. Für *promoiriom, in Anlehnung an die Erläuterung bei Fest. 294L cf. hingegen R.G. Kent, The Etymological Meaning of Pomerium, TAPhA 44, 1913, 19-24. R. Antaya, The Etymology of Pomerium, AJPh 101, 1980, 184-189, nimmt eine indoeuropäische Wurzel *smer und ein Präfix *po- mit der Bedeutung „äußere Grenze“ an. Ähnlich G. Radke, WJ 17, 1991, 190f., nach dem es sich bei dem Wort um ein Kompositum aus dem Präfix ’po-’ und „einem dehnstufig mit Suffix -ioerweiterten Verbalnomen zu *smer- („abteilen“): < *po- *smer-io-“ handele. Diese Bildung setze die Verdrängung der Betonung des Suffixes -io- durch die Anfangsbetonung voraus und könne sich daher nicht vor Mitte des 5. Jahrhunderts vollzogen haben. 1 Cf. A. Magdelain, Le pomerium archaïque et le mundus, REL 54, 1976/77, 73f.=Jus Imperium, 156f. 2 Varr.ling.5.143: Postea qui fiebat orbis urbis principium. Cf. Fest.270, 36f.L. 3 Plut.Rom.11.4. Cf. den Grenzaltar der triumviralen Kolonie Capua mit der Aufschrift qua aratrum ductum est (ILLRP 482). Ein entsprechender römischer Grenzaltar wird von vielen mit den Resten eines Travertinaltars archaischer Form vor dem Pädagogium identifiziert. Cf. die bei M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1042, Anm.46, angegebene Literatur. Cato (orig. ap. Serv.Aen.5.755/18Peter=1. 18aBeck-Walter; cf. Isid.Orig.15.2.3) und Ovid (fast.4.825) bringen dagegen den sulcus primigenius nicht mit dem pomerium in Zusammenhang, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß die libri rituales der Etrusker die mit der Pomeriumziehung verbundene Gründung von Gemeinden getrennt von dem Aspekt der Mauerziehung behandelten (Fest.358L). Ohne die rituelle Grenzziehung mittels eines Pfluges verlöre das pomerium seine sakrale Bedeutung und wäre nichts anderes als eine Verwaltungsgrenze. Für den engen Zusammenhang zwischen sulcus und pomerium, cf. A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 76=Jus Imperium, 159f.; A. Simonelli, art.cit., 128. 4 Tac.ann.12.24. 5 Zur Lage des Kapitols innerhalb des servianischen pomerium, cf. Ziolkowski, Temples, 267.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

41

jenseits der Mauer umfaßt haben könnten.1 Die Nichtübereinstimmung zwischen politischer, sakraler und physischer Grenzlinie zur Zeit des Servius Tullius bedeutet keinesfalls, daß diese Linien bereits zuvor voneinander abwichen. Die von Tacitus beschriebene Grenzlinie könnte in der Tat einen archaischen Zustand widerspiegeln, der der Herrschaft des Servius vorausgeht. Gerade der Konservativismus der Römer bei der Bewahrung archaischer Rituale führte oftmals dazu, daß diese Rituale in später Zeit als Fixpunkte für die Ausgestaltung der Tradition dienten. Während eine Datierung des pomerium in voretruskische Zeit und ein enger Zusammenhang mit dem sulcus bzw. der Mauer nicht grundsätzlich auszuschließen sind, ergeben sich aus der Überlieferung und dem Verlauf des von Tacitus beschriebenen pomerium schwerwiegende Bedenken gegen die Existenz einer solchen Grenzlinie im 8. Jh. Carandini glaubte aufgrund seiner Ausgrabungen am Palatinhang, das pomerium des Romulus identifiziert zu haben. Ca. 15 Meter oberhalb der ältesten Palatinmauer fand Carandini Pfostenabdrücke eines Palisadenzaunes. Da das Gebiet zwischen Zaun und Mauer unbebaut war, deutete er den Zaun zunächst als sakrale Pomeriumgrenze, die eine intrapomeriale Zone von einer extrapomerialen Zone, in der ein Bau- und Bestattungsverbot herrschte, getrennt habe.2 Zwar griff Carandini später diese Interpretation nicht wieder auf, da er das pomerium als weitgehend gedachte, vielleicht durch einige Steine markierte Grenze und nicht als Grenzstreifen verstand, die die Bereiche domi und militiae voneinander trennte.3 Dennoch glaubte er auch weiterhin an eine enge Beziehung zwischen dem Verlauf der von ihm entdeckten Mauer und der von Tacitus beschriebenen Pomeriumlinie, die Romulus um die Mitte des 8. Jhs. gezogen habe. Da sich das erste pomerium nach antiker Auffassung auf die von einer Mauer umschlossene Palatinsiedlung4 bezieht, erscheint es zur Klärung der Historizität des ersten pomerium notwendig, näher auf die Ausmaße dieser Siedlung einzugehen, die in einigen Quellen als Roma quadrata beschrieben wird und in enge Beziehung mit dem pomerium gesetzt wird.

1

Cf. Kap.III.5. Carandini, BA 1-2, 1990, 162, gefolgt von B. Liou-Gille, MH 50, 1993, 95ff. Cf. dagegen jedoch mit Recht die Einwände von G. Radke, WJ 17, 1991, 185-191, bes.190f. Die auf Mommsen zurückgehende Interpretation des pomerium als Trennlinie zwischen militärischem und zivilen Bereich ist allerdings insofern zu modifizieren, als das Überschreiten dieser Grenze keineswegs implizierte, daß die römischen Bürger nicht mehr dem ius civile unterworfen waren, cf. A. Giovannini, Consulare imperium, Basel 1983, 10-13; B. Liou-Gille, MH 50, 1993, 101f. 3 Carandini, Geburt Roms, 666; id., Variazioni sul tema di Romolo. Riflessioni dopo ‘La nascita di Roma’ (1998-1999), in: id./R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 123. 4 Archäologisch gesehen handelt es sich um zwei getrennte Siedlungen – Palatium und Cermal – mit eigenen Begräbnisplätzen, cf. Kap.I.1. 2

42

Die Stadtwerdung

3.2. Roma quadrata Die Existenz einer quadratisch angelegten Stadt des Romulus ist nicht so fest in den Quellen verankert, wie zuweilen vermutet wird. Lediglich Dionysius und Appian definieren die Roma quadrata in diesem Sinn.1 Die meisten antiken Autoren verstehen unter ihr ein auf dem Palatin befindliches Monument, das an die Auspikation des Romulus, das Einholen günstiger göttlicher Zeichen für die Stadtgründung, erinnerte. Dies geht nicht zuletzt aus einer zweiten Passage bei Dionysius sowie aus einer Plutarch-Stelle hervor, die diesen Ort in Zusammenhang mit dem `Remèrion auf dem Aventin erwähnen, an dem Remus die Auspizien eingeholt haben soll.2 Die Akten der severischen Säkularspiele verzeichnen ein tribunal ad Romam quadratam.3 Roma quadrata wird ferner von Festus bzw. seiner Quelle – Verrius Flaccus – erwähnt, der es in der Nähe des Apollon-Tempels lokalisiert und als in quadratischer Form zusammengefügte Steinblöcke beschreibt.4 Dies stimmt mit der von Varro beschriebenen Lage des Ortes zwischen dem Hain der area Apollinis und dem Supercilium scalarum überein.5 1

Dion.1.88.2; 2.65.3; App.reg.frg.1a,9. Cf. S.B. Platner, The Pomerium and Roma Quadrata, AJPh 22, 1901, 421; A. Mastrocinque, Roma Quadrata, MEFRA 110, 1998, 681-684. F. Coarelli, s.v. „Roma quadrata“, LTUR IV, 1999, 207, führte ohne gute Argumente Plut.Rom.9.4; Ios.ant.Iud.19.3.2 und Tzetzes ad Lycophr.1232(=Cass.Dio 1., S.8Boiss) als Zeugnisse für eine Siedlung an. Ob der Autor des P.Oxy.2088 eine Roma quadrata genannte Siedlung des Romulus kannte, ist nicht sicher. Diese ebenfalls von F. Coarelli, art.cit., 208, geäußerte Vermutung beruht einzig und allein auf einer Textemendation des Autors: ....primoque in pago /dita est eaque Roma /quis. At Romam quadrataput Romam quad. 2 Dion.1.86; Plut.Rom.9. Cf. Liv.1.6.4; Paul. ex.Fest.345L (Remores aves). 3 Cf. CIL VI. 32327, Z.12: Ad Romam quadratam, cf. Z.23: In area aedis Apollinis. 4 Cf. Fest.310,35 – 312,4L: Quadrata Roma in Palatio ante templum Apollonis dicitur, ubi reposita sunt, quae solent boni ominis gratia in urbe condenda adhiberi, quia saxo/minitus/est initio in speciem quadratam. Eius loci Ennius meminit cum ait: ‘et † quis est erat † Romae regnare quadratae’. Die auf Hertz zurückgehende Lesart et qui sextus erat für das korrupte Ennius-Zitat ist nicht haltbar, wie bereits S. Timpanaro, Romae regnare quadratae, Maia 3, 1950, 26-32 gezeigt hat. Für locus statt ara (Ov.fast.4.823) cf. A. Grandazzi, La Roma Quadrata: Mythe ou réalité?, MEFRA 105, 1993, 513, Anm.87, 542. Daß der von Festus zitierte Ennius (ann.4.150Sk) die Palatinstadt (so A. Szabó, Roma Quadrata, Maia 8, 1956, 273; A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 534) oder das Comitium meinte (so A. Mastrocinque, MEFRA 110, 1998, 686 unter Hinweis auf die ursprünglich quadratische Form des Versammlungsplatzes), ist unwahrscheinlich, da Verrius Flaccus sich selbst auf das Monument bezieht und Ennius kaum mißverstanden haben wird. 5 Solin.1.17-18: Ut adfirmat Varro, auctor diligentissimus, Romam condidit Romulus dictaque primum est Roma quadrata quod ad aequilibrium foret posita. Ea incipit a silva quae est in area Apollonis, et ad supercilium scalarum Caci habet terminum, ubi tugurium fuit Faustuli. F. Coarelli, art.cit., 208 glaubte, daß der zweite Satz nur schwer auf Varro zurückgehen könne, da der Apollon-Tempel erst 28 v.Chr. dediziert wurde. Der 27 v.Chr. verstorbene Varro hat jedoch den Bau als Zeitzeuge miterlebt und könnte gerade aufgrund seines unfertigen Zustandes die Bezeichnung area statt templum benutzt haben. Er versteht Roma quadrata in erster Linie als Monument auf dem Palatin, wie auch aus Plut.9.4 hervorgeht, der sehr wahrscheinlich auf Varro fußt, cf. A. Mastrocinque, MEFRA 110, 1998, 682, Anm.6, 689f. Da Solin eine kleine Fläche beschreibt – supercilium scalarum Caci, Apollon-Tempel und tugurium Faustuli grenzten praktisch aneinander –, könnten bei Solin beide Konzeptionen von Roma quadrata als Monument und als Siedlung eingeflossen sein, cf. F. Coarelli, art.cit., 208. Nach

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

43

Vielleicht befand sich das Monument südwestlich des Apollon-Tempels, dort wo der Marmorplan Roms eine kleine quadratische Fläche aufweist.1 Es könnte aber auch ein wenig weiter vom Tempel entfernt, westlich des oberen Endes der Scalae Caci, zu lokalisieren sei. An dieser Stelle haben die Grabungen von P. Pensabene zur Identifizierung eines Heroons aus rechteckiger Einfriedung, Altar und Gründungsgrube geführt.2 In mehreren anderen italischen Städten wie etwa Bantia, Marzabotto und vielleicht Volaterrae und Cosa können quadratische Auspikationsorte (Auguracula) identifiziert werden, die zu den ältesten und teilweise am höchsten gelegenen Orten dieser Städte, vergleichbar dem Ende der Scalae Caci, gehörten.3 Ob Roma quadrata auf einem Mosaik aus opus sectile dargestellt ist, das 1837 bei Marino entdeckt wurde und die Gründung Roms symbolisch aufgreift, muß allerdings unsicher bleiben.4 Oft wurde vermutet, daß das Monument das Andenken an eine frühe Palatinsiedlung bewahrte.5 Es ist jedoch fraglich, ob eine entsprechende Siedlung jemals existierte. Mastrocinque, MEFRA 110, 1998, 686f., war die Roma quadrata palatina ein quadratischer Versammlungsplatz, der – vergleichbar dem Comitium – einen Altar und Gründungsgraben enthielt. 1 Cf. G. Carettoni et al., La pianta marmorea di Roma antica: Forma Urbis Romae, Bd.1, Rom 1960, 143, frg.469; Bd.2, Tafel XIII und L; E. Rodríguez-Almeida, Forma Urbis Marmorea. Aggiornamento generale 1980, S.99 und Taf.XIV (frg. Nr.469: a]rea Apo[llinis]); id., Forma Urbis Antiquae. Le mappe marmoree di Roma tra la Repubblica e Settimo Severo, Rom 2002, Tv.XII, 50. 2 Carandini, Geburt Roms, 85f., Anm.53, 711; id., Variazioni sul tema di Romolo. Riflessioni dopo ’La nascita di Roma’ (1998-1999), in: id./R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 124f.; P. Brocato, Dalle capanne del Cermalus alla Roma quadrata, ibid., 284-287. P. Pensabene, Casa Romuli sul Palatino, RPAA 62, 1989-1990, 115-162, bes.156/160, vermutete hier das Auguratorium. Eine Gleichsetzung von Auguratorium und Roma quadrata liegt zwar aufgrund der Bedeutung der Roma quadrata als Auguraltempel nahe, cf. F. Coarelli, s.v. „Auguratorium“, LTUR I, 1993, 143; id. s.v. „Roma Quadrata“, LTUR IV, 1999, 208. Das in den Regionalkatalogen (G. Lugli, Fontes ad top.vet.urb. Romae pert. 8, 1962, 2, Nr.9/10) und in einer Inschrift (CIL VI. 976=ILS 317) verzeichnete Auguratorium könnte allerdings eher mit dem an der Ostseite des Magna Mater-Tempels gelegenen Tempel der Victoria Virgo zu identifizieren sein, cf. Platner/Ashby, s.v. „Auguratorium“, TD, 61; P. Pensabene, Auguratorium e tempio della Magna Mater, AL 2, 1979, 67-74; id., L’area sud-ouest del Palatino, in: La Grande Roma, 87; J.R. Patterson, The City of Rome: From Republic to Empire, JRS 82, 1992, 205; Ziolkowski, Temples, 78; J. Rüpke, Iuno Sospita oder Victoria Virgo? Zur Identifizierung des sogenannten Auguratoriums auf dem Palatin, ZPE 108, 1995, 119-122. A. Grandazzi lokalisierte das Auguratorium aufgrund der in den Regionalkatalogen beschriebenen Abfolge der Monumente auf dem Palatin in der Nähe der area Palatina, also im zentralen Bereich des Palatin. Diese Lokalisierung, die eine Identifizierung mit der von Verrius Flaccus lokalisierten Roma quadrata (Fest.310-312L) ausschließen würde, ist jedoch insofern problematisch, als die Lage mehrerer der in den spätantiken Regionalkatalogen erwähnten Monumente der zehnten Region (etwa das Pentapylum und die Curiae Veteres) unsicher bzw. gänzlich unbekannt ist. 3 Das Auguraculum bezeichnet jenen Beobachtungsort, an dem die Auguren den Himmel in vier Regionen teilten und die Auspizien einholten. Cf. Fest.17, 14f.L. Für die Belege zu den Städten cf. A. Grandazzi, La Roma Quadrata: Mythe ou réalité?, MEFRA 105, 1993, 515f., 517, Anm.105. 4 Cf. G. Tomassetti, MDAI/R 1, 1886, 3-17, identifizierte als erster den dargestellten Tempel, den ein Vogel von rechts nach links (also in günstiger Richtung) überfliegt, mit der Roma quadrata. Cf. ferner A. Grandazzi, Contribution à la Topographie du Palatin, REL 70, 1992, 28-34; id., MEFRA 105, 1993, 496, Anm.12. Auch die Abbildung eines Altares auf einem pompeianischen Wandgemälde wird mit der Roma quadrata identifiziert, cf. R. Cappelli, Della Roma quadrata, in: Le terremare si scavano per concimare i prati. Catalogo della mostra, Parma 1994, 189-199, bes.180-182; Carandini, Geburt Roms, 83 (Abb.), 96. 5 Für einen historischen Bezug des Wortes auf die Romulus-Stadt cf. S. Timpanaro, Romae regnare

44

Die Stadtwerdung

Nach Magdelain diente das Monument lediglich als Vehikel für den Mythos einer urbs quadrata auf dem Palatin.1 Die Anwendung des Terminus quadrata auf die palatinische Gemeinde2 und ihre äußere Form erkläre sich aus der Form der Koloniegründungen des 4. und 3. Jahrhunderts.3 Die Aufteilung des Palatin in seine einzelnen Anhöhen (Palatium, Cermal) spreche gegen die Existenz einer politischen Einheit auf diesem Hügel.4 Da regelmäßig angelegte, von cardines und decumani geteilte Städte erst ab dem 5. Jahrhundert in Latium (Ostia) nachweisbar und orthogonale Stadtanlagen griechischen Ursprungs sind, vermutete man plausibel, die Römer hätten diese späten Gründungsriten, wie sie für die Kolonien üblich waren, auf die Gründung ihrer urbs übertragen und so den Mythos einer Roma quadrata bzw. eines pomerium auf dem Palatin begründet.5 Traina sprach von einer „rielaborazione matematica“ der ältesten quadratae, Maia 3, 1950, 26-32; A. Carandini, Variazioni sul tema di Romolo. Riflessioni dopo ‘La nascita di Roma’ (1998-1999), in: id./R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 119. Auch D. Musti, Varrone nell’insieme delle tradizioni su Roma quadrata, in: S. Boldrini et al. (Hrg.), Atti del Convegno: Gli storiografi latini tramandati in frammenti, StudUrb (B), 49,1, 1975, 316-18, wollte nicht ausschließen, daß der Name Roma quadrata auf eine ursprünglich quadratische Form der Stadt des Romulus bezogen war. E. Täubler, Roma quadrata und mundus, MDAI/R 41, 1926, 212-226, vermutete unter Hinweis auf Varro, der den Term quadratus von der gromatischen Anlegung der Stadt her ableitet, Roma quadrata sei ein Tempel im Zentrum der Palatinstadt gewesen und habe an jenem Ort gestanden, an dem sich decumanus und cardo kreuzten und den Kern einer ursprünglich quadratischen Stadt bildeten. Dieser Auffassung liegt jedoch die irrige Vorstellung einer nach etruskischem Ritus gegründeten Kolonie zugrunde. Sie läßt sich weder durch literarische noch durch archäologische Quellen belegen. Zur Neugestaltung des Gebietes in augusteischer Zeit cf. C. Krause, Il „cardo“ del quartiere Palatino et la „Roma quadrata“ augustea, Eutopia n.s. 2, 2002, 99-113. 1 Fest.310, 35-312,4 L. Cf. A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 101=Jus Imperium, 183f. 2 Dion.1.88.2; Plut.Rom.9. 3 A. Magdelain, REL 59, 1976/77, 79f.=Jus Imperium, 162ff. Cf. auch F. Castagnoli, Note sulla topografia del Palatino e del Foro Romano, ArchClass 16, 1966, 173-199, bes.178-180 und 184f.; id., Topografia, 158f. 4 Cf. A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 80f.=Jus Imperium, 163ff. Weitere Identifizierungsversuche von Roma quadrata: A.v. Blumenthal, Klio 1942, 181-188, bes.187 (Hinweis auf eine Straße); F. Castagnoli, ArchClass 16, 1966, 178f.; id., Roma Quadrata, in: G.E. Mylonas (Hrg.), Studies presented to D.M. Robinson, Bd.1, Saint-Louis 1951, 395, nach dem Roma quadrata weder mit dem mundus noch mit einem Altar, einer Kapelle oder einem sonstigen heiligen Monument gleichzusetzen ist. Es handele sich vielmehr um eine Lokalität, die an das älteste Rom erinnern sollte und die sich im Bereich der südlichen Palatinmauer unterhalb des Apollon-Tempels befand, cf. Fest.310, 35f.L; Solin.1.17. Das Motiv für diese Lage könnte in der Nähe einiger romulischer Monumente, wie der Hütte des Faustulus oder Romulus, der Scalae Caci und des Lupercal zu sehen sein (cf. auch die Skizze von F. Castagnoli, ArchClass 16, 1966, 179, aufgenommen von C. Fayer, op.cit., 25). Contra: A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 505f. und Anm.48. 5 Cf. F. Castagnoli, Ippodamo di Mileto e l’urbanistica a pianta ortogonale, Rom 1956, 67ff. (mit dem Hinweis, daß die Prinzipien einer orthogonalen Stadtanlage sowie sakrale Konzepte der Urbanistik dem frühen Rom unbekannt sind); id., ArchClass 16, 1966, 178 (Roma quadrata als Erfindung des 3. Jhs.); id., Topografia 158f.; id., in: Studies Robinson, Bd.I, 393f.; Palmer, AC, 28; A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 79ff.=Jus Imperium, 162ff.; C. Fayer, Aspetti di vita quotidiana, 22-25: „Nulla di vero è da riconoscersi nella tradizionale «fondazione» di Roma secondo il rituale etrusco, poiché la documentazione archeologica indica che Roma non è nata in seguito ad un avvenimento preciso e puntualizzato nel tempo, ma attraverso un’evoluzione graduale, partendo da aggregati di capanne.“ (22f.). F.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

45

Tradition über die römischen Landeinteilungen.1 Die Rückprojektion gromatischer Institutionen (Roma quadrata, centuriatio) in die Zeit des Romulus sei eine Erfindung der antiquarischen Forschung des 2. Jhs. v.Chr. (Cato) und habe die Absicht gehabt, die Entstehung dieser urrömischen Institutionen historisch zu erklären. Die Tradition einer viergeteilten, nach etruskischem Ritus gegründeten Stadt Rom gehe in das zweite vorchristliche Jahrhundert zurück, als unter griechischem Einfluß – insbesondere die Kosmologie des Krates von Mallos ist hier zu nennen – das Modell einer solchen Stadtgründung, die in den römischen Kolonien Anwendung fand, den Ausgangspunkt für die prospektive Entwicklung des römischen Weltreiches liefern konnte.2 Forscher, die an eine siedlungsgeographische Bedeutung von Roma quadrata glaubten, verwiesen auf die am südwestlichen Palatin sichtbaren Mauerreste und kamen zu dem Schluß, daß lediglich der Gipfel des Palatium ummauert wurde. Eine solche reduzierte Roma quadrata war jedoch nicht mit der ausgedehnteren Grenze des pomerium in Einklang zu bringen.3 Neue Hoffnungen schöpfte man aus Grabungen am Palatin seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Forschungen von P. Pensabene im südwestlichen Bereich des Hügels haben gezeigt, daß die erhaltenen Mauerreste, die von Säflund noch einem Befestigungsring zugeordnet wurden,4 Bestandteile von Terrassierungsmauern waren, die im Kontext einer monumentalen Umgestaltung des hier gelegenen Wohnviertels im 6. Jh. stehen.5 Carandini hat die erwähnten Mauerreste am Nordhang des Hügels entdeckt, die scheinbar eine enge Korrespondenz zwischen Mauerverlauf und Pomeriumgrenze nahelegen.6 Es ist jedoch bereits auf die methodischen Risiken verwiesen worden, die eine InbezugsetCoarelli, Mundus, Pomerium, Ager: La concezione dello spazio a Roma, in: G. Camassa/A. De Guio/F. Veronese (Hrg.), Paesaggi di potere. Problemi e prospettive. Atti del Seminario, Udine 16-17 maggio 1996, Rom 2000, 287, bezeichnete die Roma quadrata genannte Stadt auf dem Palatin als „fissato in uno schema ideae dall’immaginario collettivo.“ 1 G. Traina, Il Papirio di Servio Tullio, ANSP 17,1, 1987, 405. 2 Der Autor des P.Oxyr.2088 polemisierte nach Traina gegen die antiquarische Richtung Catos und interpretierte Roma quadrata mit Bezug auf eben diese Kosmologie als eine etruskische Erfindung, die in der Form eines rechtlich-religiösen Zentrums (Roma quadrata als primus pagus) den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Weltreiches sah. Zum Papyrus cf. ausführlich Kap.III.5. 3 Für die Unterscheidung einer weiten Linie des taciteischen pomerium und einer engeren Roma quadrata: S.B. Platner, The Pomerium and Roma Quadrata, AJPh 22, 1901, 420ff.; V. Basanoff, Pomerium Palatinum, MAL 1939, 9ff.; G. Lugli, Roma antica. Il centro monumentale, Rom 1946, Tafel VII; D. Musti, art.cit., 308f. V. Basanoff, MAL 9, 1939, 23, leitetete daraus die Existenz eines inneren pomerium ab. Diese Ansicht basiert jedoch auf der Beschreibung der Roma quadrata durch Varro (Solin.1.17-18) und der Lokalisierung des hier erwähnten Apollon-Tempels bei Vigna Barberini, die heute nicht mehr zu halten ist. Zur Lage des Apollon-Tempels cf. Carettoni/A. Viscogliosi, Ad Aedem Apollinis, AL 12,1, 1995, 79-92. 4 Cf. G. Säflund, Le mura di Roma repubblicana, Rom 1932, 3f. 5 Cf. P. Battistelli, L’area sud-occidentale del Palatino tra il VI e il IV secolo a.C., in: P. Pensabene/St. Falzone (Hrg.), Scavi del Palatino I. L’area sud-occidentale del Palatino tra l’età protostorica e il IV secolo a.C., Rom 2001, 94-117; P. Pensabene, Venticinque anni di ricerche sul Palatino: I santuari e il sistema sostruttivo dell’area sud-ouest, ArchClass n.s. 3, 2002, 65-136. 6 Cf. A. Carandini, BA 1-2, 1990, 159ff. Auch M.A. Tomei, art.cit., 1027f. und N. Terrenato, La topografia, in: Palatium e Sacra Via I, BA 31-33, 1995, 204, interpretierten den Mauerfund Carandinis im Sinne einer Korrespondenz mit dem taciteischen pomerium, ohne auf den Widerspruch zwischen dem Verlauf beider Linien hinzuweisen, der sich aus der Etymologie des Wortes ergibt.

46

Die Stadtwerdung

zung von archäologischen und literarischen Quellen insbesondere für die archaische Zeit in sich birgt. Hinsichtlich der Historizität einer Roma quadrata gilt es zu bedenken, daß der Verlauf der Mauer und damit das Ausmaß der sie umschließenden Siedlung unbekannt sind. Carandini vermutete im Anschluß an Lanciani, daß die von ihm ausgegrabenen Reste zu einem Mauerring gehörten, die den gesamten Palatin umgaben. Die bisherigen Ausgrabungen haben allerdings nur die Teile eines Mauertores und eines westlich davon befindlichen Mauerabschnitts zu Tage gefördert. Die von Lanciani in der Nähe des sogenannten Paedagogium gefundenen Mauerreste lassen sich bislang nicht einer den ganzen Palatin umfassenden Roma quadrata zuordnen.1 Sie sind offenbar für spätere Konstruktionen wiederverwendet worden und geben keine Auskunft über den ursprünglichen Standort der Mauer.2 Auch die an der Nordostecke des Palatin entdeckten Reste können bislang nicht als Teil einer romulischen Fortifikation des Palatin identifiziert werden.3 Sie gehören zu einem sakralen, von einem Temenos umgebenen Bezirk, der offenbar erst seit der zweiten Hälfte des 7. Jhs. genutzt wurde.4 Den wichtigsten Hinweis auf eine Ummauerung des gesamten Hügels glaubte Carandini in der Beschreibung des pomerium durch Tacitus zu erkennen, der den Verlauf der Grenzlinie anhand von sechs Toponymen beschreibt: Das Forum Boarium, die Ara Maxima (Herculis), die Ara Consi, die Curiae Veteres, das sacellum Larum und schließlich das Forum Romanum. Jedoch ist weder die Lokalisierung aller Toponyme noch die Lesart des Tacitus-Textes an allen Stellen gesichert. Die Mehrheit der Forschung nimmt ein den ganzen Palatin umgebendes pomerium an, welches – den Mauern der Roma quadrata folgend – seine Eckpunkte mit der Ara Maxima im Südwesten,5 der Ara Consi im Südosten,6 den Curiae Veteres im Nordosten7 und dem 1

Cf. R. Lanciani, Sulle mura e porte di Servio, AnnInst 1871, 40ff.; C.L. Visconti/R.A. Lanciani, Guida del Palatino, Rom 1873, 78. 2 Cf. O. Gilbert, Geschichte und Topographie der Stadt Rom im Alterthum, Bd.1, Leipzig 1883, 94f., bes.95, Anm.1.; G. Säflund, Le mura di Roma repubblicana, Rom 1932, 16; A. von Gerkan, Der Lauf der römischen Stadtmauer vom Kapitol zum Aventin, MDAIR 46, 1931, 175; M.A. Tomei, art.cit., 1067f. 3 Dies vermutete Carandini, Geburt Roms, 752f. 4 Cf. C. Panella (Hrg.), Meta Sudans I. Un’area sacra in Palatio e la valle del Colosseo prima e dopo Nerone, Rom 1996; S. Zeggio, Tratto delle mura arcaiche nello scavo della Meta Sudans, in: A. Carandini/R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città. Museo Nazionale Romano, Terme di Diocleziano, 28 giugno - 29 ottobre 2000, Rom/Mailand 2000, 301f. 5 Zur Lage bei der heutigen Kirche S. Maria in Cosmedin: F. Coarelli, Il Foro Boario, Rom 1988, 6177, bes.73; L. Richardson, s.v. „Herculis Invicti Ara Maxima“, NTD, 186f. Rosa, ap. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1038, und A. von Gerkan, MDAIR 46, 1931, 153ff., lokalisierten den Tempel näher an den Palatinhang. Dies beruht jedoch allein auf der Annahme, das von Tacitus beschriebene pomerium habe den Palatin an dessem Fuße umgeben. 6 Zur Lage der Ara Consi bei den Metae Murciae im Circus Maximus cf. L. Richardson, s.v. „Consus, ara“, NTD, 100; P. Cianco Rossetto, s.v. „Consus, ara“, LTUR I, 1993, 322. Cf. dagegen jedoch die Interpretation von Rosa ap. Tomei, MEFRA 106, 1994, 138ff. 7 Die Mehrheit der Forschung lokalisiert heute die Curiae Veteres in der Nordostecke des Palatin, dort, wo sich der Konstantinbogen befindet, cf. F. Coarelli, Il Foro Romano I, 263, Anm.9; L. Richardson jr., s.v. „Curiae Veteres“, NTD, 105f.; M. Torelli, s.v. „Curiae Veteres“, LTUR I, 1993, 337. Die Identifizierung des Gebäudes mit den vor kurzem südwestlich der Piazza del Colosseo gefundenen Mauerresten (Cf. S. Zeggio, Tratto delle mura arcaiche nello scavo della Meta Sudans, in: A.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

47

Forum Romanum bzw. dem sacellum Larum bzw. Larundae im Nordwesten1 gehabt habe. Die Interpretation des Archäologen P. Rosa läßt dagegen eine Palatinsiedlung erkennen, die nur die westliche Hälfte des Hügels umfaßte. M.A. Tomei präsentierte zum erstenmal Auszüge aus den Manuskripten Rosas, der in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts im Auftrag von Napoleon III. Grabungen in Rom leitete, einer breiteren Öffentlichkeit.2 Dabei stellte sich heraus, daß Rosa wichtige Entdeckungen zur Topographie des Palatin gemacht hatte, die durch spätere Forschungen bestätigt wurden. Rosa vermutete die archaische Mauer, die die porta Mugonia im Nordosten mit der porta Romana im Nordwesten verband, am oberen Abhang des Palatin. Zwar ist diese Annahme aufgrund der erhaltenen Reste und der Neufunde durch Carandini nicht mehr haltbar,3 Rosa machte jedoch einen neuen Vorschlag zum Verlauf des taciteischen pomerium, der Beachtung verdient. Carandini/R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Rom/ Mailand 2000, 301f.; Carandini, Geburt Roms, 752f.) kann jedoch nicht als gesichert gelten. Südlichere Lokalisierungen der Curiae Veteres bei M.A. Tomei, La Roma Quadrata e gli scavi palatini di Rosa MEFRA 106, 1994, 1041 (Nähe zur ara Consi), und C. Cecamore, Le Curiae Veteres sulla Forma Urbis marmorea e il pomerio romuleo secondo Tacito, MDAI/R 109, 2002, 43-58 (an einer Säulenstraße unter der Via di S. Gregorio). Eine Lokalisierung im Nordwesten des Palatin (so F. Castagnoli, RAL s.VIII, 34, 1979, 342), erscheint ausgeschlossen, cf. M.A. Tomei, art.cit., 1041, Anm.41. 1 Falls in dem Tacitus-Text Larundae forumque Romanum zu restituieren ist (so bereits die Lesart von Orelli, 1846; der Codex Mediceus hat tum ad sacellum Larum deforumque Romanum), dann könnte es sich um die von Varr.ling.5.74 genannte Ara der Larunda handeln, die in unmittelbarer Nachbarschaft zur Juturna-Quelle und zur porta Romanula zu vermuten ist, cf. F. Coarelli, Il Foro Romano I, 264; id., s.v. „Larunda, sacellum, ara“, LTUR III, 1996, 176. Falls dagegen die aedes Larum gemeint ist (dafür etwa F. Castagnoli, RAL s.VIII, 34, 1979, 343f. mit der Lesart ad sacellum Larum. Forumque Romanum...), die an der Summa Sacra via unweit vom Titusbogen lag (cf. Solin. 1.23; L. Richardson, s.v. „Lares, aedes“, NTD, 232; M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1042; F. Coarelli, s.v. „Lares, aedes“, LTUR III, 1996, 174), dann würde dieser Tempel den nordöstlichen und das Forum Romanum den nordwestlichen Eckpunkt des pomerium markiert haben (Rosa war sich der Lesart nicht sicher). Diese Interpretation weist gegenüber der Interpretation Coarellis den Vorteil auf, daß sie der Erwähnung des Forum Romanum als Toponym im Kontext des romulischen pomerium in den relevanten Handschriften zu Tacitus gerecht wird. Eine Lage des sacellum Larundae im Forum Romanum weckt Zweifel an der Korrektheit der Restitution ad sacellum Larundae, da das Forum nach Aussage von Tacitus erst unter Titus Tatius integriert wurde. Die Lesart aedes Larum würde es dagegen ermöglichen, in diesem Heiligtum einen bei der porta Mugonia gelegenen Tempel und damit den nordwestlichen Eckpunkt (nach Rosa) und in dem Forum Romanum den nordöstlichen Eckpunkt des pomerium zu sehen. Zur Lokalisierung der aedes Larum: Solin.1.23 (in summa sacra via); R.Gest.div.Aug.4.7.; M.A. Tomei, art.cit., 1042; A. Carandini, Domus aristocratiche sopra le mura e il pomerio del Palatino, in: La grande Roma, 97. 2 M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1025-1072. Zu den Ausgrabungen Rosas, dessen Erkenntnisse bis zur Veröffentlichung Tomeis nur wenigen Forschern bekannt waren, cf. W. Henzen, Scavi Palatini intrapresi per ordine di S.M. l’imperatore dei Francesi, Bull.Inst. 1862, 225ff.; P. Rosa, Scavi del Palatino, Ann.Inst., 1865, 346ff.; M.A. Tomei, Gli scavi di Pietro Rosa per Napoleone III (1861-70), in: Gli Orti Farnesiani sul Palatino (Atti di Convegno), Rom 1990, 61ff. 3 Die von Rosa als Teil einer Eckbefestigung beschriebenen Mauerreste (cf. M.A. Tomei, art.cit., 1050-55, 1052, fig.10. Analog wurden die in der Südwestecke erhaltenen Reste als Teile einer Verteidigungsbastion gedeutet, cf. Tomei, art.cit., 1054; G. Säflund, Le mura di Roma repubblicana, Rom 1932, 10, Anm.4), in denen Rosa glaubte, eine Öffnung von vier Metern Breite ausmachen zu können, wurden nahe des sogenannten Lararium der Domus Flavia entdeckt. Die Lokali-

48

Die Stadtwerdung

Danach umfaßten die Mauer und das pomerium der von Romulus gegründeten Roma quadrata nicht den ganzen Palatin, sondern lediglich den westlichen Teilhügel, das sogenannte Palatium. Dieser sei vom östlichen Teil, auf dessen Gipfel die Kirche S. Bonaventura errichtet wurde, durch eine tiefer gelegene Zone, dem Intermontium, getrennt gewesen.1 Im Bereich des Intermontium gefundene Mauerreste mit Nord-SüdAusrichtung könnten diese These bestätigen.2 Nach Rosa läßt sich die Beschreibung der Grenzen des palatinischen pomerium durch Tacitus mit dem Verlauf der Mauer, wie er aus den erhaltenen Resten rekonstruierbar ist, in Übereinstimmung bringen.3 Entscheidend für den Verlauf der sakralen Grenzlinie ist die Lokalisierung der Curiae Veteres und der Ara Consi, die aufgrund des von Tacitus gebrauchten Adverbs mox in sierung der porta Romana bzw. porta Romanula durch Rosa in der Nordwestecke des Palatium, am Ende der sogenannte griechischen Treppe (Scalae Graecae) fand ebenso wie die der porta Mugonia lange Zeit Zustimmung, cf. V. Basanoff, Pomerium Palatinum, MAL IX, 1939, 52 und zuletzt wieder Tomei, MEFRA 106, 1994, 1060-61 und Anm.101. Rosa glaubte, der Verlauf der Mauer zwischen beiden Toren werde durch eine Straße angezeigt, die er clivo della Vittoria nannte. Diese wurde nachfolgend mit der Nova via gleichgesetzt, die der weiter nördlich vorgelagerten via Nova aus neronischer Zeit vorangegangen sei. Der clivo sei höchstwahrscheinlich mit der archaischen Nova via zu identifizieren, cf. auch G. Morganti/M.A. Tomei, Ancora sulla via Nova, MEFRA 103, 1991, 551ff.; M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1030, 1055; ead., Sul tempio di Giove Statore al Palatino, MEFRA 105, 1993, 621ff. Eine solche Gleichsetzung steht jedoch im Widerspruch zu den Quellenangaben, die einen engen Bezug der porta Mugonia und des Iupiter Stator-Tempels, der von Rosa ohne gute Gründe in unmittelbarer Nachbarschaft zu der von ihm vermuteten porta lokalisiert wurde (Rosa grub hier den Sockel eines Gebäudes aus, den er dem Tempel zurechnete, cf. M.A. Tomei, MEFRA 1994, 1030; ead., Sul tempio di Giove Statore al Palatino, MEFRA 105, 1993, 621-659. Zur Lage des Tempels des Iupiter Stator, der von Ov.trist. 3.1.32 und Dion.2.50.3 in Zusammenhang mit der porta Mugonia erwähnt wird, am Fuße der Velia cf. jedoch F. Coarelli, Il Foro Romano I, 29-33; Carandini, Geburt Roms, 667, 669f.). Carandinis Identifizierung der via Nova mit der vor der von ihm entdeckten Mauer verlaufenden Straße ermöglicht dagegen eine Rekonstruktion der topographischen Verhältnisse der ausgehenden Königszeit, die am besten mit den literarischen Angaben über den Verlauf der Straße und der Lage der an sie grenzenden Gebäude in Einklang zu bringen ist. Cf. dazu bereits die Forschungen von F. Coarelli, Il Foro Romano I, 26ff., 227ff.; id., Il Foro in età arcaica: Regia, Via Sacra, Comizio, AL 4, 1981, 241f.; id., L’Urbs e il Suburbio, in: Società romana e Impero tardo antico. Roma: Politica, economia, paesaggio urbano, II, 1986, 3f., 395f.; id., s.v. „Murus Romuli: Porta Mugonia, Mucionis, Mugonia“, LTUR III, 1996, 318, der die summa Sacra via sowie die sich mit ihr vereinigende (summa) Nova via im Bereich des sogenannten Romulus-Tempels, der von Coarelli als Tempel des Iupiter Stator identifiziert wurde (Il Foro Romano, 29), lokalisierte. Carandini, Geburt Roms, 584, 588, 666 und Abb.XX, XXI, akzeptierte im wesentlichen die Rekonstruktion Coarellis mit dem Unterschied, daß er den für die öffentlichen Gebäude vorgesehenen Freiraum unterhalb und nicht oberhalb der via Nova vermutete. (Summa) Sacra via und (summa) Nova via seien durch einen kurzen Weg verbunden gewesen, der zur porta Mugonia hinaufführte. Für die traditionelle Lokalisierung beider Straßen im Gebiet des Titusbogens cf. hingegen zuletzt wieder R. Santangeli Valenzani/R. Volpe, Nova via, BCAR 93, 1989-90, 23-30; iid., s.v. „Nova via“, LTUR III, 1996, 346349. 1 Cf. M.A. Tomei, art.cit., 1031ff., 100. Die von Rosa beschriebene Stadt hat eine Ausdehnung von ca. 6 1/2 ha im Vergleich zu den von G. Lugli, Roma antica, Rom 1946, 397, berechneten 12 ha. 2 Cf. M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1049f., 151 fig.9, 1067ff. 3 Tac.ann.12.24. Rosa glaubte, dieser Verlauf werde auch durch den Bericht von Solin.1.17-18 (Varro) gestützt. Der an dieser Stelle genannnte Apollon-Tempel befindet sich jedoch wie die ebenfalls genannten Scalae Caci auf dem südwestlichen Palatin. Es ist plausibler, daß Varro hier das gleichnamige Monument erwähnt.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

49

dichtem Abstand aufeinander gefolgt seien. Beide verlegte Rosa im Gegensatz zu der bis heute dominierenden Forschungsmeinung in das Areal des späteren Circus Maximus, auf eine Höhe mit dem Herkules-Tempel.1 Tertullian lokalisiere den ConsusTempel lediglich ad primas metas.2 Hierbei handele es sich jedoch um die westlichen metae des Circus, was daraus ersichtlich sei, daß die von den Carceres startenden Wagen diese metae zuerst passierten.3 Nicht mehr die Ara Consi, sondern die kurz dahinter (mox) gelegenen Curiae Veteres, die sich nach Rosa auf der Höhe des Paedagogium befanden,4 bildeten somit den südöstlichen Eckpunkt des pomerium. Aufgrund der unorthodoxen Lokalisierung der Ara Consi und der Curiae Veteres erhielt Rosa ein pomerium, das im Gegensatz zu den meisten anderen Darstellungen nur die westliche Hälfte des Palatin umfaßt.5 Die Existenz einer solchen reduzierten Siedlung könnte eine Bestätigung in der Tatsache finden, daß die ältesten Siedlungsreste an den westlichen Abhängen des Hügels gefunden wurden und hier vermutlich auch die fünf Argeerheiligtümer des Palatium und Cermal lagen.6 Der Vorschlag Rosas stellt nur eine mögliche, bislang nicht zu beweisende Rekonstruktion von pomerium und Mauer dar, die zudem Schwachpunkte aufweist. So würde eine eng begrenzte Roma quadrata eine gesonderte Benennung für den östlichen Teil des Palatin erwarten lassen. Dieser kann aber weder mit der Velia – dies war die Vermutung Rosas, der Tomei folgte – noch mit dem Cermal gleichgesetzt werden.7 Auch läßt sich aus den bisherigen Funden kein reduzierter Mauerring als Gegenvorschlag zu Carandinis erweitertem Ring rekonstruieren. Es wird daher neuer Untersuchungen bedürfen, die die vorhandenen archaischen Mauerreste vor der Domus Flavia (von Rosa als porta Mugonia interpretiert) und auf dem Intermontium in den Kontext 1

Cf. M.A. Tomei, art.cit., 1038ff. Tert.de spect.5. 3 Cf. M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1039f., unter Hinweis auf K. Zangemeister, AnnInst. 1870, 244, und A. Piganiol, Les origines du Forum, MEFRA 1908, 233, bes.271ff. (cf. die Zeichnung von M. Miloro, fig.6). Auf die östlichen metae bezöge sich demnach Tert.de spect.8. Für eine Identifizierung der primae metae mit den östlichen metae des Circus Maximus und eine Lage des Consus-Tempels an dieser Stelle cf. Platner/Ashby, s.v. „Consus, Ara“, TD, 140f.; G. Lugli, Roma antica. Il centro monumentale, Rom 1946, 400; F. Coarelli, Il Foro Romano I, 263, Anm.8; L. Richardson, s.v. „Consus, Ara“, TD, 100; P. Ciancio Rossetto, s.v. „Consus, ara“, LTUR I, 322. Die Lokalisierung beruht einzig und allein auf der Tacitus-Stelle und ist bereits zuvor – in anderem Zusammenhang – in Frage gestellt worden, cf. M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1040. 4 Cf. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1041. Zu der gewöhnlichen Lokalisierung der Curiae Veteres cf. S.46f., A.7. Bei dem Paedagogium handelt es sich um ein Gebäude aus domitianischer Zeit, das sich nach vorherrschender Meinung östlich neben der gebogenen Fassade der Domus Augustana befand, cf. Coarelli, Rom, 155, 158. 5 Weitgehend akzeptiert ist die trapezförmige Darstellung von P. Gros/M. Torelli, Storia dell’urbanistica. Il mondo romano, Rom/Bari 1988, 65, wiederaufgenommen von F. Hinard, Rome dans Rome, 42. Rosas Schema weist demgegenüber fünf Eckpunkte auf, wobei im Gegensatz zum Standardschema die Ara Consi nicht als Eckpunkt erscheint, wohl aber das Forum Boarium und – über die taciteische Darstellung hinaus – jene nordöstlichen Befestigungen, die von Rosa ausgegraben wurden. Ein Fünfeck zeigt auch der Vorschlag von C. Cecamore, MDAI/R 109, 2002, 54, allerdings unter Einbeziehung des ganzen Palatin. 6 Cf. Carandini, Geburt Roms, 338f., 343, 636f. 7 Gegen eine Gleichsetzung mit dem Cermal cf. Carandini, Geburt Roms, 338. Zur Gleichsetzung mit der Velia cf. Kap.V.3.2. 2

50

Die Stadtwerdung

der neuen Mauerfunde am nördlichen Palatinhang einordnen. Die Bedeutung der Untersuchungen Rosas besteht in erster Linie darin, daß sie eine in sich konsistente Alternative zu dem traditionell rekonstruierten Pomeriumverlauf aufzeigen und die Existenz eines den ganzen Palatin umgebenden pomerium fraglich erscheinen lassen. Zudem sind grundsätzliche Zweifel gegenüber der Ansicht geltend zu machen, Tacitus bzw. seine Quelle habe eine authentische Nachricht über den historischen Verlauf des ersten Pomerium vorgefunden. Zwar nennt der Autor Bauten, die allesamt ein hohes Alter aufweisen,1 und stellt einen Zusammenhang zwischen physischer und sakraler Grenze her, der ein historischer Bestandteil des Gründungsrituals römischer Kolonien war. Eine Historizität des von Tacitus geschilderten pomerium stößt jedoch auf zwei Vorbehalte. Zum einen hätte die so umschlossene älteste Gemeinde nicht die wichtigen, urrömischen Orte wie Kapitol, Forum Romanum, Comitium, Regia und Vesta-Tempel umfaßt.2 Zum anderen weisen die besprochenen Rekonstruktionen der Roma quadrata Rosas und Carandinis die Schwäche auf, daß dieses pomerium – entgegen der überzeugendsten etymologischen Erklärung – jenseits, d.h. außerhalb der Mauer gelegen haben müßte. Während der Ausschluß wichtiger Heiligtümer vom pomerium noch mit der Annahme zu erklären wäre, daß das älteste pomerium lediglich die dörflichen Siedlungen des Palatin (Palatium und Cermal) umfaßte und erst später die im Zuge der Stadtwerdung erbauten Monumente mit einschloß, wiegt der zweite Einwand ungleich schwerer. Auch die Tatsache, daß die Mauer- und taciteische Pomeriumgrenze parallel zueinander verliefen, kann nicht über den tatsächlichen Verlauf des pomerium vor (pro) statt hinter (post) der Mauer hinwegtäuschen. Für diese Feststellung ist es nicht einmal nötig, die Konzeption einer engeren Roma quadrata aufzugreifen. Selbst bei Akzeptanz des von Carandini rekonstruierten Mauerverlaufs bliebe festzuhalten, daß die (gedachte) Linie zwischen Curiae Veteres und dem Heiligtum der Laren bzw. der Larunda zwar parallel zur Mauer, jedoch vor (d.h. außerhalb) derselben lag.3 Die Distanz zwischen Pomerium- und Mauerlinie ist am südlichen Palatin noch extremer. Ara Maxima und Ara Consi befanden sich im Tal der Murcia, abseits von jedem Hügelanstieg. Reste, die Bestandteil einer archaischen Mauer gewesen sein könnten, wurden hier bislang nicht gefunden.4 Die Aufrechterhaltung einer historischen Verbindung der von Tacitus beschriebenen Pomeriumgrenze mit der historischen Palatin1

Der Herkules-Kult könnte seinen Ursprung in einer präurbanen Phase haben, als das Forum Romanum zum Treffpunkt griechischer, phönizischer und italischer Händler wurde, cf. J. Bayet, Les origines de l’Hercule romain, BEFAR 132, 1926; D. van Berchem, Sanctuaires d’Hercule-Melqart. Contributions à l’étude de l’expansion phénicienne en Méditerranée, Syria 44, 1967, 307-338; F. Coarelli, Il Foro Boario, Rom 1988; id., I santuari, il fiume, gli empori, in: Storia di Roma I, Turin 1988, 127-131, 143-146. 2 Cf. A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 78f.=Jus Imperium, 161f., und G. Radke, WJ 17, 1991, 191, für den die Etymologie des Wortes auf eine Erfindung nach der Mitte des 5. Jahrhunderts hindeutet. 3 Der von Carandini identifizierte Palisadenzaun kann in keinem Fall mit der Pomeriumlinie gleichgesetzt werden, da er sämtlichen Beschreibungen des pomerium widerspricht, die eine weitgehend gedachte, allenfalls durch Grenzsteine markierte Linie darstellt, cf. Kolb, Rom, 57f. 4 Rosa (cf. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1038) hatte aufgrund dieser Tatsache eine Lokalisierung der Ara Maxima in der Nähe der Kirche S. Anastasia vorgeschlagen. Carandini, Geburt Roms, 81 löst sich ebenfalls von Tacitus, wenn er das am südwestlichen Palatinhang gelegene Lupercal als Eckpunkt eines ältesten pomerium vermutet.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

51

siedlung würde voraussetzen, daß entweder der Etymologie pomerium < promoerium Vorrang vor der Etymologie pomerium < postmoerium einzuräumen wäre oder die von Rosa bzw. Carandini untersuchten Mauerreste nicht die der Roma quadrata waren. Die etymologische Alternative, die nur von Festus genannt wird, ist aus den genannten formalen und inhaltlichen Gründen praktisch auszuschließen; aber auch die letztere Möglichkeit bietet keine zufriedenstellende Lösung: Es kann nur schwerlich behauptet werden, daß sich ein Mauerring jenseits der von Tacitus beschriebenen Linie befand, da die Schutzfunktion einer solchen Mauer, die isoliert von den natürlichen Anhöhen des Palatin gelegen hätte, kaum erfüllt gewesen wäre. Auch die Aussagen anderer antiker Autoren offenbaren deren Unkenntnis im Hinblick auf die Ausmaße der ersten Palatinsiedlung. Nach Gellius war der Verlauf des pomerium durch die Ausläufer des Hügels bestimmt1, was jedoch einen weiten Interpretationsspielraum offen läßt und keineswegs bestätigt, daß die sakrale Grenzlinie innerhalb der neu entdeckten Mauerreste lag. Dies ist umso bedeutender, als sich Gellius auf römische Auguren, Experten in der Frage der Auspikation, beruft, zugleich aber die Unsicherheit bezüglich der historischen Pomeriumgrenze betont. Die von Appian genannten Maße einer Roma quadrata widersprechen den Angaben des Tacitus und Gellius, die einen engen Zusammenhang von Mauer und pomerium voraussetzen:2 Bei einem Gesamtumfang von 16 Stadien (2832 m)3 für die Mauern müßte die Velia in die Befestigungsanlagen der Roma quadrata und damit in das pomerium einbezogen gewesen sein. Der Rekonstruktionsversuch des Tacitus (bzw. Claudius) kann somit vor dem Hintergrund der Etymologie des Wortes pomerium (< postmoerium) keine große Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen. Es hätte für den Schriftsteller bei besserer Kenntnis des Sachverhalts kein Hinderungsgrund bestanden, zur Beschreibung des Grenzverlaufs andere sakrale Orte zu nennen, die wie – etwa das Lupercal – näher am Palatin lagen. Offenbar kannte auch Tacitus bzw. seine Quelle die Ausmaße der frühen Palatinsiedlung nicht mehr und nannte stattdessen die bedeutendsten Bauten in den Tälern, die den gesamten Palatin, unabhängig von der Ausdehnung und Ummauerung der hier einst gelegenen Siedlungen (Palatium/Cermal), umschlossen.4 Weder die vorhandenen materiellen Reste noch die von Tacitus genannten Toponyme bestätigen somit die Existenz einer den ganzen Hügel umgebenden Befestigung. Carandini glaubte, einen solchen Verlauf nicht nur der Beschreibung des pomerium durch Taci1

Gell.13.14.1/2: Pomerium est locus intra agrum effatum per totius urbis circuitum pone muros regionibus certeis determinatus, qui facit finem urbani auspicii. Antiquissimum autem pomerium quod a Romulo institutum est Palati montis radicibus terminabatur. 2 App.reg.frg.1a, 9; Tac.ann.12.24; Gell.13.14.1/2. 3 Dies ergibt eine Seitenlänge von 710 Metern. Die Seitenlänge des von Tacitus angegebenen pomerium (nach der dominierenden, den ganzen Palatin umfassenden Rekonstruktion) schwankt dagegen zwischen 440 und 640 Metern, cf. F. Coarelli, s.v. „Roma Quadrata“, LTUR IV, 1999, 207. 4 Bereits S.B. Platner, The Pomerium and Roma Quadrata, AJPh 22, 1901, 420-425, zweifelte daran, daß Tacitus die Linie des romulischen pomerium wiedergab. Seine Vermutung, der Autor habe die Linie mit dem Lauf der luperci verwechselt, ist jedoch nicht haltbar, da die luperci nicht den Palatin umliefen. Der erste cippus des unter Claudius erweiterten pomerium wurde an der Ara Maxima aufgestellt, was insbesondere die ideologische Bedeutung des mit der gens Claudia verbundenen Monuments unterstreicht, cf. F. Coarelli, Il Campo Marzio, Rom 1997, 132.

52

Die Stadtwerdung

tus, sondern auch dem Lauf der luperci und der Zeremonie des Triumphes entnehmen zu können.1 Die im Anschluß an Jordan oft geäußerte Vermutung, der Historiker habe bei der Nennung der beteiligten Toponyme an jenen Weg gedacht, den die luperci bei ihrem reinigenden Lauf um den Hügel zurückgelegt hätten,2 ist jedoch nicht zu halten, da für das Lupercalienfest kein entsprechender Rundkurs nachzuweisen ist.3 Auch die Route des Triumphes schließt Kapitol sowie Forum ein, so daß sie, sofern man sich an die Angaben des Tacitus hält, allenfalls einen späteren Zustand des pomerium wiedergeben kann,4 der sich bereits von der Roma quadrata gelöst hatte. Die ausgegrabenen Mauerreste belegen daher ebensowenig wie das schriftlich überlieferte, bislang nicht identifizierte pomerium die Existenz einer Roma quadrata genannten Siedlung. Hinzu kommt, daß eine quadratisch angelegte Stadt auf dem Palatin anhand eines Straßenrasters weder für die beiden Hüttendörfer des 8. Jhs. noch für die zusammengewachsene Palatinsiedlung im Laufe des 7. Jhs. nachweisbar ist.5

1

Carandini, Geburt Roms, 667. Jordan/Hülsen, Topographie I,1, 12ff., 162f. Cf. S. Platner, AJPh 22, 1901, 425; P. Graffunder, s.v. „Roma“, RE 1914, 1013; V. Basanoff, Pomerium Palatinum, MAL 9, 1939, 23; F. Castagnoli, Roma Quadrata, in: G.E. Mylonas (Hrg.), Studies Presented to D.M. Robinson, Bd.1, Saint-Louis 1951, 396; H. Müller-Karpe, Vom Anfang Roms, 31ff.; id., Zur Stadtwerdung Roms 1962, 30; Poucet, Recherches, 102ff.; M. Magdelain, REL 54, 1976, 78f.=Jus Imperium, 161f.; C. Fayer, op.cit., 26; Kolb, Rom, 56. L.A. Holland, Janus and the Bridge, Rom 1961, 56ff., glaubte, die von Tacitus beschriebene Grenze beziehe sich auf die Janus-Grenze der ältesten Palatinsiedlung. Die Verehrung des Gottes Janus habe ursprünglich der sicheren Überquerung der Wassergrenzen dieser Siedlung gedient. 3 Cf. A.K. Michels, The Topography and Interpretation of the Lupercalia, TAPhA 84, 1953, 37-59; P. Hermon, The Public Festivals of Rome, ANRW II,16,2, 1978, 1442f.; C. Ulf, Das römische Lupercalienfest. Ein Modellfall für Methodenprobleme in der Altertumswissenschaft, Darmstadt 1982, 63ff.; P. Flobert, Deux observations de Varron sur les Lupercales, in: H. Zehnacker/G. Hentz (Hrg.), Hommages à Robert Schilling, Paris 1983, 94f.; A. Ziolkowski, Ritual Cleaning-Up of the City: From the Lupercalia to the Argei, AncSoc 29, 1998-99, 194-210. 4 Tac.ann.12.24 berichtet von einer späteren Eingliederung von Kapitol und Forum in das pomerium. Zum Verlauf der Triumphprozession cf. A. Citarella, Cursus Triumphalis and Sulcus Primigenius, PP 35, 1980, 401-414. 5 Das Straßenraster im 6. Jh. weist eine gewisse Regelmäßigkeit auf, die mit einer großangelegten städtebaulichen Neuordnung in Zusammenhang stehen könnte, cf. L. Borrello/O. Colazingari, Alcune considerazioni sulla topografia del Palatino in età arcaica, Cassandra 2, 1994, 57f. Eine Neugründung nach dem später bekannten kolonialen Schema mit cardines und decumani ist jedoch nicht nachzuweisen. 2

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

53

3.3. Das Forum als Zentrum der geeinten Stadt Als wichtigstes Ergebnis der vorangegangenen Ausführungen bleibt festzuhalten, daß weder von der Existenz eines den Palatin umgebenden pomerium noch von der Existenz einer Roma quadrata genannten Siedlung auf diesem Hügel ausgegangen werden kann.1 Die vorhandenen Mauerreste der palatinischen Kernstadt liefern einige Indizien für die Existenz einer autonomen Befestigung, die die strategisch-wirtschaftliche Bedeutung des Hügels unterstreicht. Es ist jedoch bislang nicht erwiesen, daß die älteste Mauer den ganzen Hügel umgab, wie Carandini glaubte. Möglich erscheint auch die Existenz eines engeren, nur die westliche Hälfte des Hügels umfassenden Mauerrings. Daß eine dieser Befestigungsanlagen mit dem ältesten pomerium in historischer Beziehung stand, ist nicht mehr als eine vage Vermutung. Zwar erscheint aufgrund der Etymologie des Wortes ein enger räumlicher Zusammenhang zwischen pomerium und Stadtmauer wahrscheinlich, nichts erlaubt jedoch den Schluß, daß dieser Zusammenhang bereits für die von Carandini ausgegrabene Mauer galt. Das hohe Alter der Mauerreste allein bezeugt noch keinen bewußten Stadtgründungsakt durch einen Häuptling der Palatinsiedlung um die Mitte des 8. Jhs.2 Es gilt zu bedenken, daß die aussagekräftigsten Indizien nach wie vor für die Entstehung einer urbanen Struktur mit den sie charakterisierenden öffentliche Bauten (Versammlungsplätze, Kultzentren) in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. v.Chr. sprechen. Das Forumtal, das wenigstens ein- bis zweimal im Jahr vom Tiber überflutet wurde, scheint nicht so früh besiedelt worden zu sein, wie oft angenommen wurde. Die Schichten 23-28, die von Gjerstad einer Hüttensiedlung zugewiesen wurden, gehören zu einer Aufschüttung, mit der das Gebiet nach 650 in einen monumentalen öffentlichen Platz umgestaltet wurde; die Herkunft der hier gefundenen Siedlungsreste muß daher als unbekannt gelten.3 Auch die Datierung einer ersten Pflasterung des Comitium bereits in die Mitte des 8. Jhs. ist methodisch fragwürdig. Die Grabungen von M.F. Squarciapino im östlichen Sektor des Platzes haben nur eine dünne Schicht aus Sand und Kieselsteinen zu Tage gefördert.4 Es ist weder etwas über die Ausdehnung dieser Schicht noch über ihre genaue Funktion (Kultort?) bekannt. Die Vermutung, daß sie bereits den Versammlungsplatz der ersten Kurien markierte, beruht allein auf ihrer Datierung und der angeblichen Korrespondenz mit dem Herrschaftszeitraum des Romulus.5 Eine neue 1

Cf. Dion.1.88.2; Varr.ling.5.143; Plut.Rom.11. Zahlreiche Autoren hielten bereits vor Carandini die Existenz einer romulischen Roma quadrata für historisch. Sie verwiesen dabei auf die Erwähnung des Begriffs in dem P.Oxyr.2088, Z.8-17. Cf. etwa S. Hunt, The Oxyrhynchus Papyri XVII, 1927, 113f.; A. Piganiol, Le papyrus de Servius Tullius, in: Scritti Nogara 1937, 373-380, 374ff. Es ist auch unwahrscheinlich, daß mit Roma quadrata die Stadt der vier servianischen Regionen gemeint war, wie etwa D. Musti, art.cit., 313, meinte. Diese Ansicht ist nicht nur in den Quellen nicht belegt, sie kann auch nicht durch eine angeblich gleichmäßige, quadratische Anordnung der vier servianischen Regionen gestützt werden. Die Form insbesondere der Suburana war unregelmäßiger, als oft angenommen wurde (Kap.V.3.1.1). 3 Cf. A.J. Ammermann, On the Origins of the Forum Romanum, AJA 94, 1990, 627-646; Kolb, Rom, 58f. 4 Zu den Ausgrabungen von M.F. Squarciapino cf. P. Carafa, Il comizio di Roma dalle origini all’età di Augusto, Rom 1998, 72-88, 114f. 5 Cf. die Kritik von M. Humm, Le Comitium du Forum Romain et la réforme des Tribus d’Appius 2

54

Die Stadtwerdung

Studie hat gezeigt, daß erst um 650 mit einer groß angelegten Regularisierung des Kapitolhangs zu rechnen ist, durch die Raum für das Comitium und dessen erste bedeutende Pflasterung im letzten Drittel des 7. Jhs. geschaffen werden sollte.1 Wenn denn die Errichtung einer Mauer am Palatin im letzten Drittel des 8. Jhs. einen sakralen Stadtgründungsakt markieren sollte, so stellt sich die Frage, warum die anderen Hügelsiedlungen von diesem Akt ausgeschlossen blieben. Daß die Mauer eine vorwiegend symbolische Bedeutung hatte, ist schwer einzusehen. Ihre Stellung am Hang des Hügels, ihre Dauerhaftigkeit sowie das Vorhandensein bzw. Anlegen zusätzlicher Hindernisse (Bach, künstlicher Graben) machen eine fortifikatorische Deutung wahrscheinlich. Zwar ist es richtig, daß im archaischen Latium natürliche Schutzanlagen wie dem Terrain angepaßte Erdwälle dominierten; die palatinischen Mauerreste sind jedoch keineswegs singulär, sondern können in einen Zusammenhang mit den Befestigungsanlagen von Lavinium im 8., Rusellae im 7. und Pompeji im 6. Jh. gestellt werden.2 Nicht nur der Palatin, auch Kapitol, Velia und Caelius waren von Mauerringen bzw. Erdwällen umgeben, wie Grabungen und vereinzelte antiquarische Hinweise nahelegen.3 Die Befestigung einzelner Hügel im 8. Jh. ist ein deutlich sichtbares Zeichen für die Wahrung der territorialen Integrität der einzelnen Siedlungen, die erst im Laufe des 7. und beginnenden 6. Jhs. mit der Palatingemeinde verschmolzen. Ein Indikator für diesen Prozeß ist gerade die für den Palatin beschriebene Sukzession der Maueranlagen: Noch um 675 wird die älteste Mauer von einer zweiten, weiter talabwärts verlaufenden Mauer ergänzt. Ein wichtiger Einschnitt erfolgte mit der Errichtung einer dritten, schmaleren Mauer um 600. Offenbar hatte sie ihre Funk-

Claudius Caecus, MEFRA 111, 1999, 646. Auch die Identifizierung einer zweiten Pflasterung durch P. Romanelli, die bereits um 650 abgeschlossen gewesen sein soll (cf. P. Carafa, Il comizio di Roma dalle origini all’età di Augusto, Rom 1998, 65-71, 118), ist aufgrund der späten und unzureichenden Publikation der Grabungsergebnisse fragwürdig, cf. A.J. Ammermann, The Comitium in Rome from the Beginning, AJA 1996, 125f., und die Zweifel bei F. Coarelli, Il Foro Romano I, 110, 128f.; id., s.v. „Comitium“, LTUR I, 1993, 312. 1 Cf. A.J. Ammermann, art.cit., 121-136. Ferner: A.J. Ammermann/D. Filippi, Nuove osservazioni sull’area a nord del Comizio, BCAR 101, 2000, 27-38. 2 Cf. N. Terrenato, La topografia, in: Palatium e Sacra Via I, BA 31-33, 1995, 201, 203; id., s.v. „Murus Romuli“, LTUR III, 1996, 317, der die Aussage von M. Miller, Befestigungsanlagen in Italien vom 8.-3. Jh. v.Chr., Diss. Tübingen 1994, 106-112, eine freistehende Mauer als Befestigungsanlage sei in Mittelitalien im 8. bis 6. Jh. nicht denkbar, mit Recht relativiert hat. Zu den zahlreichen Erdwällen in Latium als Zeichen autonomer Siedlungen: L. Quilici, Le fortificazioni ad aggere nel Lazio antico, Ocnus 2, 1994, 147-158; P. Attema, Notes on the Urbanization of Latium Vetus, in: H. Damgaard Andersen et al. (Hrg.), Urbanization in the Mediterranean in the 9th to 6th Centuries B.C., Kopenhagen 1997, 292; E. van ‘t Lindenhout, Architectural and Spatial Orgath nization of the First Towns in the Coastal Plain of Latium (6 Century B.C.). Towards a general Scheme, ibid., 302. 3 Kapitol: P. Fortini, Le difese del colle Capitolino e l’area del Carcer-Tullianum, in: A. Carandini/ R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romulo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 325f. Caelius: Varr.ling.5.46 (Munita loca); F. Pacetti, La topografia antica della sommità del Celio. Gli edifici del settore nord-orientale, MDAI/R 101, 1993, 457. Velia/Carinae: Varr.ling.5.48 (murus terreus Carinarum); Fest.142,21L (murus Mustellinus). Es ist allerdings möglich, daß der murus terreus und der murus Mustellinus bereits Teile einer Gesamtbefestigung für die vereinigte Siedlung aus Velia und Palatin waren. Zu ihrer Lokalisierung cf. Kap.I.3.4.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

55

tion als Schutzwall verloren,1 was als Ergebnis einer zunehmenden Verschmelzung der verschiedenen Hügelsiedlungen gedeutet werden kann. Die Planierung des nördlichen Palatinhangs und der Bau von Wohnhäusern um 530 v.Chr. an der Stelle, an der sich einst die älteren Mauern mitsamt der porta Mugonia befanden, zeigen, daß das jenseits der alten Mauern liegende Gebiet nicht nur öffentliche Funktionen erfüllte, sondern auch der privaten Nutzung diente. Feindliche Angriffe mußten durch die Anlage einer neuen Befestigungsanlage abgewehrt werden, die jetzt die ganze Gemeinschaft, deren humane und ökonomische Ressourcen es zu verteidigen galt, umfaßte. Die ältere Mauer mit der porta Mugonia, die bis in die augusteische Zeit fortbestand, hatte dagegen nur noch eine sakral-monumentale Bedeutung. Die Koordinierung zentraler politisch-militärischer Einheiten wie der 30 Kurien und der drei Tribus (Kap.II.2.1) kann nicht vor der zweiten Hälfte des 7. Jhs. erfolgt sein, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird. Sie setzt nicht nur die entsprechenden baulichen Maßnahmen (öffentlicher Versammlungsplatz), sondern auch das Bewußtsein einer politischen Zusammengehörigkeit voraus, das zeitlich mit dem revidierten Beginn der Königsherrschaft korrespondiert.2 Die Ausbildung rudimentärer, dorfübergreifender Formen einer politisch-militärischen Verfassung ermöglichte den Bewohnern der historisch gewachsenen Hügelsiedlungen eine Teilhabe an der Selbstverwaltung der vereinten Stadt, wie sie in regelmäßigen Zusammenkünften der Kurienversammlung auf dem Comitium ihren Ausdruck fand. Die tiefere Ursache dieses Synoikismos, der Verschmelzung der bis dahin autonomen Siedlungen, Institutionen und Familienverbände (Formierung der gentes), wird in den Vorteilen zu suchen sein, die sich für die Hügelbewohner aus einer Bündelung gemeinsamer wirtschaftlicher, militärischer und politischer Interessen ergaben: Dazu gehören die Intensivierung der Handelskontakte mit etruskischen, sabinischen und griechischen Gemeinden, die daraus resultierende ökonomische Prosperität breiter Kreise der Gesellschaft, die Ausübung politischer Macht durch die Familienoberhäupter (patres), die den Ältestenrat (senatus) bildeten, sowie die Behauptung der Interessen Roms gegenüber seinen mächtigen Nachbarn Veji und Caere. Der so eingeleitete Verschmelzungsprozeß bedurfte einer Definition der Stadt und ihrer Grenzen. Diesem Stadtwerdungsprozeß trägt die Darstellung des Plutarch, nach dem das Comitium und der nahegelegene mundus das Zentrum der kreisförmigen Stadt bildeten, in besonderem Maße Rechnung.3 Hier seien Erstlinge aller Art, die vom Gesetz für gut und ihrer Natur nach als notwendig erachtet wurden, hineingegeben worden. Dann habe jeder der Begleiter des Romulus eine Erdscholle seines Herkunftslandes gewor1

Cf. N. Terrenato, Le terze mura, in: Palatium e Sacra Via I, BA 31-33, 1995, 178. Zu den Gründen für die notwendige Herabdatierung der Königsherrschaft in Rom cf. Kap.II.8. 3 Plut.Rom.11.3: eq' ésper kÚklon kšntrJ perišgrayan t¾n pÒlin. Cf. A. Mastrocinque, art. cit., 688. Bereits zwei Paragraphen zuvor erwähnt allerdings auch Plutarch Roma quadrata als Auspikationsort des Romulus auf dem Palatin (9.4). Dies ließ zahlreiche Autoren vermuten, daß sich Plutarch auf zwei, an verschiedenen Orten vollzogene Gründungsrituale bezieht: S. Weinstock, Mundus patet, MDAIR, 1930, 111-123, bes.120, Anm.2; A. v. Blumenthal, Roma quadrata, Klio 35, 1942, 181-188; D. Musti, art.cit., 307, 309. A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 528, glaubte, hierin spiegele sich eine historische Entwicklung der Stadt wider: Mit der Verschiebung des Stadtzentrums vom Palatin auf das Forum unter Servius Tullius sei eine symbolische Übertragung des Gründungsortes erfolgt. 2

56

Die Stadtwerdung

fen und sie mit den Erstlingen vermischt. Um diese Grube sei dann in einem Kreis die Stadtgrenze fixiert worden.1 Daß es sich bei dieser Grenzziehung um den sulcus primigenius bzw. das pomerium handelte, geht vor allem aus der religiösen Bedeutung des mundus hervor. Da sich hier nach römischer Auffassung die drei Welten der Toten, Lebenden und Götter vereinten, hatte dieser Ort die Bedeutung eines rituell definierten Stadtzentrums, dessen äußere Grenze in bezug auf das Zentrum festgelegt wurde.2 Die Lokalisierung des mundus in der Nähe des Comitium wird durch einen Passus des Macrobius gestützt, der das sacellum Ditis et Proserpinae mit dem mundus identifiziert und in engen topographischen Zusammenhang mit der beim Comitium gelegenen Ara Saturni stellt.3 An die Ara Saturni grenzte bekanntlich auch der umbilicus Urbis, der nicht nur aufgrund seiner Bedeutung, sondern auch aufgrund seiner topographischen Lage mit dem mundus gleichzusetzen ist.4 Da Verrius und Ovid den mundus mit dem von Tacitus erwähnten palatinischen sulcus assoziieren,5 wird zuweilen vermutet, daß es zwei mundi gab, die Gründungsgrube des Romulus und ein Heiligtum der Wachstumsgöttin Ceres (mundus Cereris) im Comitium, das Plutarch mit ersterer verwechselt habe. Mehrere Autoren haben jedoch gezeigt, daß der Aussage Plutarchs Glauben zu schenken ist.6 Bereits Varro scheint eine kreisförmige Gründungsgrube im Comitium zu kennen, da er das Wort urbs von orbis ableitet.7 Auch Festus bzw. Cato verbindet den mundus mit der Aktivität der Komi1

Zur Bedeutung des mundus cf. auch Fest.124-126L; Ov.fast.4.821. Cf. W. Kroll, s.v. „Mundus“, RE XVI,1, 1933, 562; F. Castagnoli, Roma quadrata, in: G.E. Mylonas (Hrg.), Studies presented to D.M. Robinson, Bd.1, Saint-Louis 1951, 389-393; C.O. Thulin, Die etruskische Disziplin I, Darmstadt 1968 (ND d. Ausgabe 1905-1909), 17-24; St. Weinstock, MDAI/R 1930, 111-123; Platner/Ashby, s.v. „Mundus“, TD, 449; F. Coarelli, s.v. „Mundus“, LTUR III, 1996, 288. 3 Mac.1.16.18; 1.11.48f. Die Ara Saturni kann wiederum mit dem Volcanal gleichgesetzt werden, von dem wir wissen, daß er vor dem Saturn-Tempel lag, cf. F. Coarelli, Ara Saturni, Mundus, Senaculum, DArch 9-10, 1976/77, 346-377; id., Il Foro Romano I, 199-208; id., s.v. „Mundus“, LTUR III, 1996, 288f. 4 Cf. F. Coarelli, s.v. „Mundus“, LTUR III, 1996, 289; id., s.v. „Umbilicus Romae“, LTUR V, 1999, 95. 5 Ov.fast.4.820; Fest.126,7L s.v. „Mundus”: Quod terra movetur. 6 A. Magdelain, REL 1976/77, 101-103.=Jus Imperium, 182-185; F. Coarelli, DArch 9-10, 1976/77, 346ff.; id., Il Foro Romano I, 199ff.; id., s.v. „Mundus“, LTUR III, 1996, 288; H. Devijver/F. van Wonterghem, Un mundus (Cereris?) a Corfino, Historia 32, 1983, 484ff.; A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 527; A. Mastrocinque, MEFRA 110, 1998, 681-697. Zweifel an der Existenz eines mundus im Comitium bei G. De Sanctis, Le origini dell’ordinamento centuriato, RIFC 28, 1900, 415f.; S. Weinstock, Mundus patet, MDAI/R 45, 1930, 111-123; Y. Hedlund, Eranos 31, 1933, 35ff.; F. Castagnoli, Roma quadrata, in: Studies presented to D.M. Robinson, I, Saint Louis 1951, 392f.; id., Il mundus e il rituale della fondazione di Roma, in: R. Altheim-Stiehl/M. Rosenbach (Hrg.), Beiträge zur altitalischen Geistesgeschichte. Festschrift Gerhard Radke, Münster 1986, Münster 1986, 32-36. Für die Existenz von zwei funktionell zu unterscheidenden mundi cf. F. Bömer, P. Ovidius, Die Fasten II, Kommentar, 280-282; H.J. Rose, Mundus, SMSR 7, 1931, 115-127; A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 101ff.=Jus Imperium, 183ff.; Palmer, AC, 182ff.; L. Richardson, s.v. „Mundus“ (1), „Mundus“ (2), NTD, 259f.; C. Deroux, Le Mundus: Images et textes anciens, in: P.-A. Deproost/A. Meurant (Hrg.), Images d’origines, origines d’une image. Hommages à J. Poucet, Louvain-la-Neuve 2004, 5572. 7 Varr.ling.5.143; cf. Isid.Orig.15.2.3. Zu Varro als Quelle Plutarchs cf. F. Coarelli, s.v. „Mundus“, LTUR III, 1996, 288; A. Mastrocinque, MEFRA 110, 1998, 689f. 2

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

57

tien, indem er einen überirdischen und unterirdischen Teil des mundus unterscheidet. Letzterer könne nur an drei Tagen des Jahres (dies religiosi), an denen keine offiziellen Geschäfte geführt, also auch keine Volksversammlungen abgehalten werden durften.1 Die Verbindung von mundus und Palatin durch Ovid und Verrius scheint vielmehr das Resultat einer späten Anpassung gewesen zu sein, die sich die räumliche Trennung von Gründungsgraben auf dem Palatin und Gründungsgrube beim Comitium nicht erklären konnte. Beides sind jedoch unterschiedliche Ritualformen, die es auseinanderzuhalten gilt: Bei der einen (Roma quadrata) handelt es sich um eine latinische Form der etruskischen Auspikation, die andere (mundus) beruht auf einer etruskischen Kosmologie.2 Eine mit dem mundus gleichzusetzende Roma quadrata, wie sie aufgrund von Fest.310/312L angenommen wurde, hat es allem Anschein nach nicht gegeben.3 Die Lage des mundus im Forum Romanum, in der Nähe des Comitium, des politischen Zentrums in Rom, und seine Assoziation mit dem pomerium verleihen diesem Ritual eine besondere Bedeutung, die sich aus seiner engen Beziehung zur Stadtgründung ergibt. Das Comitium bezeichnet den Ort, an dem alle römischen Bürger zusammenkamen (Comitium); er fand in dem mundus, der alle Erstlinge und Erdschollen der unterschiedlichen Herkunftsländer der Römer enthielt, seine symbolische Entsprechung.4 Diese Stadtgründung markiert vermutlich den Abschluß jener längeren Entwicklungsphase, an deren Ende der Bau einer die ganze Stadt und nicht nur den Palatin umgebenden Befestigungsanlage stand.5 Erst das regelmäßige Zusammentreffen der Bürger und das Fällen politischer Entscheidungen, deren Auswirkungen für jeden unmittelbar erfahrbar waren, schufen jenes Bewußtsein, das die Stadt als physische Gemeinschaft formte und eine Definition des Zentrums sowie eine Abgrenzung nach außen erforderte. Gerade die Eigenschaft des pomerium als Trennlinie von domi und militae setzt gemeinsame zivile und militärische Institutionen sowie einen frühen sakralrechtlichen Schutz der Gemeinschaft voraus. Daß es diese Funktion erst in republikanischer Zeit – mit der Differenzierung der einzelnen magistratischen Ämter und Funktionen – annahm, erscheint wenig plausibel. Ein wirksamer Schutz der Gemeinschaft mußte frühzeitig nicht nur vor feindlichen Heeren und Göttern, sondern auch vor dem eigenen König, der seine ihm vom Volk übertragene Befehlsgewalt (lex curiata de imperio) nicht innerhalb der Stadtgrenze mißbrauchen durfte, garantiert werden. Die Herausbildung einer solchen Grenze setzt daher die Institution des Kö1

Fest.144L. Cf. Fest.348L; Varro ap.Macr.Sat.1.16.18; Verg.buc.3.104-105. Während dieser drei Tage praktizierte man eine Divination, um das Ergebnis der zukünftigen Ernte zu erfahren. 2 Cf. M. Bonamici, SE 55, 1987-8, 278f.; G. Traina, ANSP 17, 1987, bes.397ff.; A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 530; A.J. Pfiffig, Die etruskische Religion. Sakrale Stätten, Götter, Kulte, Rituale, Wiesbaden 1998, 83f.. Sprachlich läßt sich der mundus Cereris auch als „Himmelsgewölbe“ fassen (Ennius ap.Macr.Sat.6.2.26: Mundus caeli), dessen Form der mundus symbolisch annimmt, cf. A. Magdelain, REL 54, 1976/77, 103f.=Jus Imperium, 185ff. Das Wort könnte auf das etruskische „munth“ (Welt) zurückgehen, cf. A. Walde/J.B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Bd.2, Heidelberg 51972, 123, und M. Bonamici, SE 55, 1987-88, 275-279. 3 Cf. A. Magdelain, REL 54, 1976/77, bes.106=Jus Imperium, 188; F. Coarelli, s.v. „Mundus“, LTUR III, 1996, 288. 4 Cf. A. Mastrocinque, MEFRA 110, 1998, 687. 5 Zur Befestigungsanlage des Servius Tullius cf. Kap.III.3.1.

58

Die Stadtwerdung

nigtums in Rom voraus (Ende des 7. Jhs. nach der revidierten Chronologie1). Da, wie oben gezeigt wurde, das pomerium etymologisch in engem Zusammenhang mit der Stadtmauer steht, könnte es das erste Mal unter Servius Tullius, dem Urheber des ersten, die geeinte Stadt umfassenden Befestigungsrings,2 eingerichtet worden sein. Zwar verzeichnen die meisten Quellen für seine Herrschaft eine Erweiterung des pomerium,3 diese stützt sich jedoch auf ein nicht zu belegendes erstes, palatinisches pomerium unter Romulus. Noch die spätrepublikanische Geschichtsschreibung könnte authentische Nachrichten über eine Ersteinrichtung des pomerium durch Servius Tullius vorgefunden, diese dann jedoch vor dem Hintergrund einer in der Historiographie beobachtbaren Tendenz der „Romulisierung“ als Erweiterung umgedeutet haben.4 Lediglich Livius erwähnt das pomerium in Zusammenhang mit Servius Tullius.5 Das späte Einsetzen des Stadtwerdungsprozesses, die Existenz des mundus im Forum Romanum und die territoriale Organisation des Stadtgebietes unter Servius Tullius6 machen es wahrscheinlich, daß der historische Ursprung des pomerium im 6. Jh. zu suchen und als Abschluß eines längeren territorialen und institutionellen Verschmelzungsprozesses zu deuten ist. Stadtwerdung und Stadtgründung müssen sich somit nicht ausschließen. Ein ritueller Gründungsakt kann durchaus den Abschluß einer langen Entwicklung des Zusammenwachsens der einzelnen Siedlungen auf den montes und colles besiegelt haben. Diese Gründung wird aber weder mit dem Palatin und seiner Befestigungsanlage, noch mit der mythischen Gestalt des Romulus in Verbindung zu bringen sein. Sie konnte erst in dem Moment vollzogen werden, in dem die Mauern der einzelnen Hügel ihre Verteidigungsfunktion verloren, die Siedlungen sich in die Täler ausgedehnt hatten und eines dieser Täler zum politischen und sakralen Zentrum der Stadt avanciert war. Die Erinnerung an das Comitium als politisches und historisches Zentrum einer geeinten Stadt verblaßte dann in dem Maße, wie die Überlieferung das Zentrum der Stadt mit dem Palatin und der Auspikation und Grenzziehung des Romulus verband. Plutarch fand noch in seinen Quellen einen authentischen Hinweis auf das historische Stadtzentrum, an das mundus und umbilicus Urbis erinnerten; er vermochte dieses aber nicht zeitlich korrekt einzuordnen, sondern bezog es wie die Mehrheit der Überlieferung auf die Romulus-Sage, indem er es nach der Auspikation auf dem Palatin in seinen Bericht einfügte. Da sich auf dem Palatin der Roma quadrata genannte Altar und die als Heroon ausgebaute Hütte des Romulus7 befanden, mußte die römische 1

Cf. Kap.II.8. Cf. Kap.III.3.1. Die Bedeutung des pomerium als wichtiges, die urbs konstituierendes Kriterium betonte bereits H. Müller-Karpe, Zur Stadtwerdung Roms, Heidelberg 1962, 30-33, der darauf hinwies, daß bereits der erste esquilinsche agger die Funktion eines pomerium besessen haben könnte. Gräber wurden bezeichnenderweise bislang nur außerhalb des agger gefunden. 3 Liv.1.44.3; Dion.4.13.3. 4 Zu der Verbindung von Ereignissen und Strukturen mit dem regnum des Romulus: Musti, Tendenze. 5 Liv.1.44.4. 6 Zur Einrichtung der Regionen und Stadttribus, cf. Kap.III.3.2. 7 Die casa Romuli lag in der Nähe der Scalae Caci (Solin.1.18; Plut.Rom.20.5ff.; Prop.4.9.9, cf. Diod.4.21.2; Val.Max.22.9), auf der dem Circus Maximus zugewandten Seite des Palatin (Dion. 1.79.11) und unweit der Domus Augustana (cf. Cass.Dio 52.5-6, cf. 53.16.5, wo es heißt, das Haus des Augustus leitete seinen Ruhm von Romulus ab). Falls die Scalae Caci eher den Endabschnitt des 2

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

59

Geschichtsschreibung hier konsequenterweise das historische und sakrale Zentrum der urbs vermuten. Weitere Baumaßnahmen zu Beginn des Prinzipats unterstrichen die sakrale und politische Bedeutung des Palatin. Die Errichtung des Apollon-Tempels,1 der mit dem Apollon-Heiligtum von Delphi und dem omphalos assoziiert wurde, bedeutete, daß der Hügel auch den ideologischen Anspruch, der Nabel der Stadt Rom und der Welt zu sein, erheben konnte,2 ein Anspruch, den Augustus mit der Verlegung seines Privathauses hierher bekräftigte.3 Der princeps war sich der historischen Bedeutung dieses Zentrums nur allzu gut bewußt, da er als Schüler des Verrius Flaccus, der das Monument in seinen Schriften beschrieb, früh mit der Wiederentdeckung althergebrachter Werte und Traditionen vertraut gemacht wurde und diese Kenntnis zur ideologischen Absicherung seiner Herrschaft (zweiter Gründer Roms) zu nutzen wußte.4 zum Victoria-Tempel führenden Anstiegs darstellen, wäre die casa Romuli entsprechend weiter nördlich als bislang vermutet zu verlegen, dort, wo der als Cermal bezeichnete Abhang begann. Wenige Meter nordöstlich der bislang bekannten eisenzeitlichen Hütten befand sich eine Grabstätte, die um 300 v.Chr. als Kultstätte (Heroon) ausgebaut wurde und die Funktion hatte, an die legendäre Hütte des Romulus zu erinnern. Cf. P. Pensabene, La zona sud–occidentale del’Palatino, AL 3, 1980, 79, Anm.27; id., Area sud-occidentale del Palatino, in: Roma. Archeologia nel centro, Rom 1985, 184; id., Scavi nell’area del tempio della Vittoria e del santuario della Magna Mater sul Palatino, AL 9, 1988, 61; id., L’area sud-ouest del Palatino, in: La Grande Roma, 90; id., Casa Romuli sul Palatino, RPAA 62, 1989-90, 115-612, bes. die Karten auf S.150f. und 153. Die ideologische Nähe des Augustus zu Romulus ergibt sich zudem aus dem Umstand, daß Augustus der Ehrentitel „Romulus“ angetragen wurde, er diesen jedoch – vermutlich aus politischen Erwägungen – ablehnte. Cf. Cass.Dio 53.16.7; G. Radke, ANRW II,17,1, 1981, 293. Beim funus des Augustus wurde ein Romulus-Bildnis mitgeführt, cf. Cass.Dio 56.34.2; D. Porte, ANRW II,17,1, 1981, 337. 1 Der Tempel wurde vermutlich im Jahre 28 v.Chr. dediziert, wobei die Planung wohl bereits seit 36 im Gange war, cf. Vell.2.81.3; Cass.Dio 49.15.5. Zur Tätigkeit des Augustus als Erneuerer religiöser Traditionen und Bauten: R.G. Divi Aug.19; CIL VI. 31060. Cf. R. Sablayrolles, Espace urbain et propagande politique: L’organisation du centre de Rome par Auguste (R.Gest.div.Aug.19 à 21), Pallas 28, 1981, 59-77; P. Pensabene, Casa Romuli sul Palatino, bes.160-162; A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 80: Augustus habe den Primat des Palatin durch den Bau seines Palastes nahe der casa Romuli und durch die Reservierung der X. Region für den Palatin wiederhergestellt. Zur Assoziation des Romulus mit Augustus cf. auch J. Scheid, Romulus et ses frères, Rom 1990, 700ff. 2 Cf. D. Musti, Varrone nell’insieme delle tradizioni su Roma quadrata, in: S. Boldrini et al. (Hrg.), Atti del Convegno: Gli storiografi latini tramandati in frammenti, StudUrb (B), 49,1, 1975, 312. 3 Offenbar hat Augustus im Jahre 36 v.Chr. sein Haus auf diesen Teil des Palatin, in die Nähe der casa Romuli, verlegen lassen, um auf diese Weise seiner Verbundenheit mit Romulus und damit der Legitimität seines eigenen Herrschaftsanspruchs Ausdruck zu verleihen, cf. Cass.Dio 53.16.5; F. Coarelli, Roma sepolta, Rom 1984, 139-145; P. Pensabene, Casa Romuli, RPAA 63, 1990-91, 117ff.; D. Musti, art.cit., 312; A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 540ff.; M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1056f. Zu dem Ort und den damit verbundenen Traditionen cf. D. Musti, art.cit., 312; M.A. Tomei, MEFRA 106, 1994, 1056f. Falls die Identifizierung der casa Romuli unmittelbar südlich des VictoriaTempels und am Westrand des obersten Abschnittes der Scalae Caci richtig ist, lag der Palast des Augustus in unmittelbarer Nähe zu einem Heroon des Romulus, cf. P. Pensabene, RPAA 63, 1990-91, 115. 4 Cf. A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 532f. Zur Bedeutung der mit Romulus verbundenen mythischen Landschaft für die Topographie des republikanischen und kaiserzeitlichen Rom cf. R. Laurence, Emperors, nature and the city: Rome’s ritual landscape, Accordia research papers 4, 1993, 79-87.

60

Die Stadtwerdung

Fest steht somit lediglich, daß römische Schriftsteller den als Roma quadrata bezeichneten Ort mit dem Auspikationsort des Romulus gleichsetzten. Es ist jedoch weder die Historizität einer Erstauspikation noch die anschließende Entstehung einer gleichnamigen, quadratisch geformten Siedlung auf dem Palatin erwiesen.1 Allzu verdächtig erscheint die Nähe der Beschreibungen einer regelmäßigen Roma quadrata zu den erst spät bezeugten Gründungsritualen römischer Kolonien, die im Gegensatz zum frühen Rom regelmäßige Straßenraster aufwiesen. Der bei der Gründung der römischen Kolonien vollzogene etruskische Ritus (Auspikation),2 könnte den Nährboden dafür geliefert haben, daß die römische Geschichtsschreibung diesen Ritus mit Romulus und der Mutterstadt aller römischen Kolonien, deren historischer Kern sich auf dem Palatin befand, verband.3 Eine entsprechende Begriffserweiterung scheint durch die Qualifizierung des Monuments als quadrata (tetr£gwnoj4) erleichtert worden zu sein, ein Adjektiv, das sich problemlos für eine Beschreibung der Ummauerung dieser Siedlung eignete. Eine Übertragung des Begriffs Roma quadrata auf die Stadt des Servius Tullius ist demgegenüber nicht nachweisbar. Da mundus und Roma quadrata zwei verschiedene Realitäten bezeichnen, sollte Abstand davon genommen werden, das Comitium als Zentrum einer Roma quadrata des Servius Tullius zu betrachten.5 1

Die Lokalisierung des Monuments und seine Assimilierung mit dem Auguraculum des Romulus sagt freilich noch nichts über eine tatsächlich durch Auspizialritus vollzogene Gründung Roms aus, wie sie Grandazzi annahm. Die Vermutung, daß die Erinnerung an eine solche Gründung bereits nach der Eroberung Vejis fixiert worden sei (A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 522f.), kann nicht belegt werden. Da die Quellen den Auspikationsort unterschiedlich lokalisieren (Enn.ann.1.7576Sk etwa verlegt den Auspikationsort des Romulus wie den des Remus auf den Aventin im Gegensatz zu Plut.9.4 und Liv.1.6.4), ist die Historizität einer solchen Gründung in Zweifel zu ziehen. Zudem gibt es zwei Auguracula-Monumente, die sich auf der Arx bzw. dem collis Latiaris befanden, cf. F. Coarelli, s.v. „Aguraculum (Arx), Auguraculum (Collis Latiaris)“, LTUR I, 1993, 142f. 2 Zur Anlage der Kolonien nach etruskischem Ritus: Frontin.strat.27; Grom.Vet.160, 167, 350L; Serv.Aen.1.2. Auch bei der ersten, Roma quadrata genannten Palatinsiedlung (cf. Kap.I.3.2) wird es sich um eine gewachsene Stadt handeln, deren quadratische Ausmaße sich aus den topographischen Verhältnissen und militärischen Erfordernissen ergaben. 3 Romulus soll bekanntlich das Stadtgebiet in Zenturien zu je zwei iugera aufgeteilt haben: Fest.47L: Centuriatus ager in ducena iugera definitus, quia Romulus centenis civibus ducena iugera tribuit. Cf. Varr.rust.1.10.2; Dion.2.7. Es ist davon auszugehen, daß es sich dabei um die Vorwegnahme eines kolonialen Schemas handelt, in dem die einzelnen, zur Besiedlung zugewiesenen Landparzellen die gleiche Größe umfaßten. A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 519, 534f., nahm dagegen an, daß die Bezeichnung des Palatin als Roma quadrata eine sekundäre Ausweitung des Begriffs markiert. Demnach wäre die Pluralität der Bedeutungen von Roma quadrata, die von einem locus sacer bis zur Stadt der vier Regionen reicht, mit der ursprünglichen Beziehung zum Gründungsritual der Stadt und den damit verbundenen Aspekten wie der Vierteilung des Raumes und der symmetrischen Einteilung der Himmelsregionen (Varro ap.Solin.1.17-18), erklärbar. Dieser Zusammenhang erst habe die Voraussetzung für die metonyme Ausweitung der Bedeutung auf den ganzen Palatin gebildet. 4 Cf. Dion.1.88, Plut.Rom.9.4 und App.reg.frg.1a,9. Zur Bedeutung von quadrata bzw. tetr£gwnoj cf. Szabò, RhM 87, 1938, 160-169; A. Grandazzi, MEFRA 105, 1993, 502, Anm.32, 517f., 534f.; D. Musti, art.cit., 316. 5 Daß der Begriff der Roma quadrata auf die Stadt des Servius und ihre vier Regionen übertragen wurde und/oder daß letztere die Entstehung des Mythos einer palatinischen Roma quadrata gefördert haben, glaubten folgende Forscher: Timpanaro, art.cit.; G. Capovilla, RIL 89-90, 1956, 306; A. Szabó, Maia 8, 1956, 234ff.; S. Ferri, Studi Classici e Orientali 7, 1958, 189ff.; ibid. 9, 1960, 174ff.; W. Müller, Die heilige Stadt, Stuttgart 1961, 22ff.; P. Mingazzini, BCAR 78, 1961-62, 3ff.; A. Magdelain, REL

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

61

3.4. Die erweiterte Kernsiedlung aus Cermal, Palatin und Velia Das pomerium und die Roma quadrata können zwar nicht als direkte Belege für eine frühe Stadtgründung auf dem Palatin gewertet werden. In der Bedeutung, die die Römer dem Hügel als historischem Stadtzentrum beimaßen, spiegelt sich jedoch dessen herausragende Rolle gegenüber den anderen Hügelgemeinden in protourbaner Zeit wider: Nach der mythischen Vorstellung der Römer soll der Palatin von arkadischen Griechen unter Führung des Euandros und seines Sohnes Pallas erobert worden sein. Später hätten Herkules und dann Aeneas die auf dem Palatin ansässigen Arkader vorgefunden.1 Vielleicht liegt dieser Sage ein historischer Kern zugrunde, der auf frühen Handelskontakten beruht, die griechische Seefahrer und Kaufleute seit der Kolonisation Süditaliens mit der Bevölkerung Latiums unterhielten.2 Die Auffassung, daß die Palatinstadt ein sehr altes Siedlungszentrum Roms bildete,3 wird durch archäologische Funde bestätigt, die bis ins 10./9. Jahrhundert zurückreichen und im Kontext der Zivilisationsreste auf den Albanerbergen stehen.4 Hier entdeckte man vielleicht nicht die ältesten – in diesem Zusammenhang ist auch auf das Kapitol zu verweisen –, so doch aber die bislang bedeutendsten Siedlungsreste aus der Übergangsphase zwischen Bronze- und Eisenzeit. Seit dem 9. Jh. existierten auf dem Hügel zwei Dörfer, das eine am nordwestlichen (Palatium), das andere am südwestlichen (Cermal) Abhang.5 Im Bereich des Palatin und Forum wurden zudem die ältesten Gräber des Siedlungsareals gefunden. Der Palatin wird an erster Stelle in der Aufzählung des Antistius Labeo genannt, wo er zusammen mit der Velia als bedeutender Kultort hervorgehoben ist. Der Kult der Göttin Palas wurde hier jedes Jahr am 21. April als ein an die Stadtgründung erinnerndes Fest gefeiert. Auch die von Carandini ausgegrabene Mauer am 54, 1976/77, 93=Jus Imperium, 176f. (der allerdings später (De la royauté et du droit de Romulus à Sabinus, Rom 1995) seine Ansicht änderte und angesichts der Entdeckungen Carandinis ebenfalls eine rituelle Stadtgründung unter Romulus annahm); F. Coarelli, Il Foro Romano I, 199f.; Heurgon, La Méditerranée, 257; D. Musti, art.cit., 317. Die hierfür herangezogenen Quellen (Liv.1.43.13 (quadrifariam enim urbe divisa); Fest.312L (wo das Lemma Quadrurbem Athenas auf Quadrata Roma folgt)) belegen dies jedoch nicht. Zudem waren sowohl Mauerverlauf als auch Regioneneinteilung des Servius unregelmäßig und ließen keine gleichmäßig viergeteilte Stadt entstehen, cf. Kap. V.3.1.1. 1 Verg.Aen.8.51-54; Varr.ling.5.53. 2 Cf. Coarelli, Rom, 138, und id., Il Foro Boario, Rom 1988, für die archäologischen Funde auf dem Forum Boarium. 3 Für eine älteste Gemeinde auf dem Palatin cf. Mommsen, RSt III,1, 114f.; Castagnoli, Topografia, 8-12; H. Last, The founding of Rome, CAH VII, 1928, 353f.; M. Pallottino, ArchClass 12, 1960, 29; id., ANRW I,1, 1972, bes.35; G. Lugli, in: Studi minori di Topografia antica, Rom 1965, 227f.; J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 131; Momigliano, Interim Report, 100; id., The Origins of Rome, CAH 2 VII,2, 1989, 75. Grandazzi, Fondation, 122, 188ff., hielt zwar eine Stadtgründung auf dem Palatin für wahrscheinlich, trat jedoch unter Berufung auf jüngste Ausgrabungsergebnisse (Kapitol) gegen die Ansicht ein, der Palatin sei der am längsten besiedelte Hügel Roms und der erste Sitz der Stadt gewesen. 4 Cf. Castagnoli, Topografia, 13; H. Müller-Karpe, Vom Anfang Roms, Heidelberg 1959; Coarelli, Rom, 137-140. Zu den ältesten Funden auf dem Palatin: A.P. Anzidei/P. Gioia, Nuovi rinvenimenti nell’area sud-ouest del Palatino (1992-1993), AL 12, 1-2, 1995, 32. 5 Cf. Kap.I.1.

62

Die Stadtwerdung

nördlichen Palatin unterstreicht die zentrale strategische Bedeutung des noch von der Velia getrennten Hügels.1 Zwar waren auch andere Hügel von Mauern umgeben; daß diese jedoch dieselbe Monumentalität wie die palatinischen Mauern besaßen, ist bislang nicht erwiesen. Die anderen Hügelsiedlungen hatten offenbar keine der Palatinsiedlung vergleichbare Bedeutung und es ist unwahrscheinlich, daß sie eine solche jemals im Verlauf des Stadtwerdungsprozesses erlangten.2 Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch, daß sich in der späteren Regio IV, die den Palatin und die Velia umfaßte, neben der Collina die meisten öffentlichen Tempel befanden. Dies kann als ein deutlicher Hinweis darauf gewertet werden, daß die Kern- und die später mit ihr verschmolzene Quirinalsiedlung die sakral bedeutendsten Siedlungen vor der Entstehung der geeinten Stadt waren.3 Eine weitere Phase der Stadtentwicklung scheint durch eine Ausdehnung der Palatinsiedlung nach Norden, in Richtung des Forumtals und der Velia, markiert worden zu sein. Ein wichtiges Indiz für eine solche Ausdehnung ist der Bau einer neuen Mauer am Nordhang des Palatin (um 675), die das Areal bis zum Forumbach umfaßte. Bei ihrer Erneuerung um 600 hatte sie nur noch eine symbolische Bedeutung. Ob das Forumtal vor 650 besiedelt war, muß aufgrund der regelmäßigen Überschwemmungen der Gegend und des unklaren archäologischen Befundes fraglich bleiben. Erst im 6. Jahrhundert ist eine Ausdehnung der Palatinsiedlung in das Forumtal, bis am Fuße des Kapitols, nachweisbar. Dies schließt jedoch nicht aus, daß Palatium, Cermal und Velia4 bereits eine Siedlungseinheit – von Carandini Trimontium genannt1 – mit 1

Cf. A. Carandini, BA 1-2, 1990, 159-165. Cf. G. Colonna, I Latini e gli altri popoli del Lazio, in: Italia Omnium Terrarum Alumna, Mailand 1988, 411ff., glaubte zuletzt an eine frühe Siedlung auf dem Kapitol und wies die Zeugnisse der Brandbestattung auf dem Augustus-Forum dieser Siedlung zu. Sie habe mit dem Quirinal eine Parallelgemeinde zum Palatin/Forum gebildet und sei mit dieser verschmolzen. Die Zusammengehörigkeit der Siedlungen auf dem Kapitol und Quirinal ist jedoch fraglich, da das Kapitol von einem eigenen Mauerring umgeben gewesen zu sein scheint (cf. Kap.I.3.3) und Hinweise auf ein Verschmelzen der hier gelegenen Siedlung mit der Quirinalgemeinde fehlen. Haltlos ist die These Piganiols einer ältesten Stadt, die Forum, Kapitol und Carinae, nicht jedoch den Palatin umfaßt habe und die nach einem regelmäßigen Straßenschema mit der Sacra via als decumanus angelegt worden sei. 3 Cf. Ziolkowski, Temples, 268-283, bes.269; Carandini, Geburt Roms, 394. 4 Zuweilen wird angenommen, die Velia habe keine Verteidigungseinheit mit dem Palatin gebildet, sondern einen autonomen Mauerring besessen, cf. etwa N. Terrenato, Velia and Carinae: Some Observations on an Area of Archaic Rome, in: E. Herring/R. Whitehouse/J. Wilkins (Hrg.), Papers of the Fourth Conference of Italian Archaeology. 4. New Developments in Italian Archaeology, part 2, London 1992, 31-47; id., La topografia, in: Palatium e Sacra Via I, BA 31-33, 1995, 207; A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 84. Dafür wird auf den einzig von Festus (142L) erwähnten murus Mustellinus verwiesen, der die Velia nach Süden hin abgeschlossen habe. Der murus stand nach dem Festus-Text in enger topographischer Beziehung zum Heiligtum des Mutinus Tutinus, dem Haus des Domitius Calvinus und wahrscheinlich dem 26. Argeerheiligtum, das sich in der Nähe des Penaten-Tempels befand. Eine wichtige topographische Studie hat vor kurzem Anhaltspunkte für eine sicherere Lokalisierung der genannten Gebäude geliefert, die eine Lage der Mauer am südwestlichen Velia-Abhang und damit eine Deutung als Befestigungsabschnitt der Palatin-VeliaGemeinde zumindest nicht ausschließt, cf. Palombi, Palatino, 84-115. Cf. ferner F. Pesando, s.v. „Murus Mustellinus“, LTUR III, 1996, 315. Die Existenz einer ummauerten Palatinstadt schließt keineswegs aus, daß die Velia, die in einer frühen Phase durchaus eine eigene Befestigung besessen haben könnte, später in ein ausgeweitetes Mauersystem integriert wurde, cf. A. Ziolkowski, On Streets 2

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

63

gemeinsamen Institutionen (Kurien) bildeten. Im Nordosten (Esquilin) könnte diese Siedlung vom murus terreus Carinarum begrenzt gewesen sein2 und über das Tigillum Sororium einen gemeinsamen Zugang erhalten haben.3 Die herausragende Bedeutung von Palatium und Velia im Vergleich zu anderen Hügeln geht daraus hervor, daß sie in der Liste des Septimontium (Kap.I.3.6) die einzigen Hügel sind, die an eine Gottheit gerichtete Opfer vollzogen. Während der Name der Velia-Gottheit in der Liste nicht erwähnt wird, begingen die Bewohner des Palatium das Palatuar genannte Opferfest.4 Beide Hügel waren zudem durch einen Sattel miteinander verbunden. Der Cermal bildete mit dem Palatium eine orographische Einheit und wird somit ebenfalls der Kernsiedlung zuzurechnen sein, obwohl für ihn kein besonderes Fest überliefert ist und er in der septimontialen Aufzählung erst an letzter Stelle genannt ist.5 Auf eine erweiterte Kernstadt deutet die Etymologie des Esquilin (von *esquelo=excolere „außerhalb wohnen“), die vermuten läßt, daß sich der Esquilin ursprünglich außerhalb dieser Siedlung befand.6 Der Siedlungskern aus Palatin, Cermal, Velia (und Carinae?) and Crossroads: The Location of the Carinae, MAAR 41,1, 1996, 143, Anm.97. 1 Carandini, Geburt Roms, 331-366. 2 Falls die Carinae auf dem westlichen Oppius lagen, wie Palombi, Palatino, 28-32, 153-158, unter Angabe wichtiger Indizien vermutete, dann wäre der murus terreus nicht im Tal der „Via del Colosseo“ (zwischen Velia und Oppius), sondern auf dem Oppius bzw. an dessem nördlichen Abhang zu vermuten. Eine derartige Lage würde auch durch Varros Beschreibung der Subura als Stadtviertel quod sub muro terreo Carinarum (Varr.ling.5.48) gestützt. Der murus könnte in diesem Fall die Carinae mit eingeschlossen haben. Für den murus terreus Carinarum als Festung der Palatin-Velia-Stadt cf. F. Castagnoli, Aspetti urbanistici di Roma e del Lazio in età arcaica, in: 150 Jahre Deutsches Archäologisches Institut, 1829-1979, Mainz 1979, 133-142, bes.140=Topografia antica II, Rom 1993, 689-702. Dafür, daß der murus die südliche Befestigung des Fagutal bildete: Palmer, AC, Karte „Center of old Rome.“ Erkell, ORom 15, 1985, 63, glaubte an eine Lage des murus östlich der Carinae, die er jedoch auf einem autonomen mons Fagutalis vermutete. Zur Lage des Fagutal cf. jedoch Kap.V.3.3. 3 Für das Tigillum Sororium als Zugangstor zu dieser Gemeinde cf. N. Terrenato, Velia and Carinae: Some Observations on an Area of Archaic Rome, in: E. Herring/R. Whitehouse/J. Wilkins (Hrg.), Papers of the Fourth Conference of Italian Archaeology. 4. New Developments in Italian Archaeology, 2, London 1992, 31-47; F. Coarelli, Il Foro Romano I, 111; G. Colonna, I Latini e gli altri popoli del Lazio, in: Italia Omnium Terrarum Alumna (Scheiwiller), Mailand 1988, 448f. 4 Cf. Grandazzi, Formation, 190, 192. Für eine frühe Dominanz des Palatin cf. auch Castagnoli, Topografia, 11; M. Pallottino, ANRW I,1, 1972, 31f.; Carandini, Geburt Roms, 332. 5 Cf. Carandini, Geburt Roms, 333ff., der den Grund für diese Plazierung in Gründen der Lustration des Quinquimontium sieht. Es ist jedoch weder die Existenz einer solchen Siedlung (cf. Kap. I.3.5), noch die einer im Gegenuhrzeigersinn verlaufenden Prozession während des Septimontium belegt, die die Plazierung des Hügels an dieser Stelle notwendig gemacht hätte. Die Annahme einer solchen Lustration (cf. etwa die Karte bei F. Castagnoli, ArchClass 16, 1966, 177) fußt auf Paul. Fest.459L; der von Festus zitierte Antistius Labeo (Fest.474/476L) nennt die Hügel allerdings in einer anderen Reihenfolge. Auch die Lage des Fagutal schließt eine solche Prozessionsrichtung aus, cf. Kap.V.3.3. 6 Varr.ling.5.48. Cf. Coarelli, Rom, 194; C. Fayer, op.cit., 28; A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 79-85. Nach antiker Auffassung bekamen die Esquiliae ihren Namen entweder von Eichen (aesculi) oder von ihrer Kultivierung (excultae) durch Servius Tullius (cf. Varr.ling.5.49, der die letzte Erklärung favorisiert; Ov.fast.3.245-248). Eine Verbindung mit excolere, wie sie die moderne Forschung favorisiert, ist jedoch wahrscheinlicher, cf. A. Walde/J.B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Bd.1, Heidelberg 41965, 246; A. Ernout/A. Meillet, s.v. 4 „Colo“, in: Dictionnaire étymologique de la langue latine, Paris 1960, 133; Chr. Huelsen, s.v.

64

Die Stadtwerdung

scheint bereits gemeinsame Institutionen wie die Kurien ausgebildet zu haben. Die ältesten sieben Kurien (curiae veteres), die gemischt personal-lokale Verbände waren und die älteste Gliederung des römischen Heeres und der Volksversammlung darstellten, hatten bekanntlich ihr zentrales Versammlungsgebäude im Bereich des Palatin.1 Da zu ihnen auch eine curia Veliensis gehörte, ist es wahrscheinlich, daß sie sich auf den genannten Hügeln verteilten.2 Ob die Formierung des ersten Siedlungsverbandes auf römischem Boden durch das Siedlungsgebiet der Velienses vorbestimmt war, wie zuweilen vermutet wird,3 ist allerdings unsicher. Zweifellos gibt die plinianische Liste der 30 populi Albenses, zu denen die Velienses gehörten, einen frühen Zustand im präurbanen Latium wieder, wie die Nennung von in später Zeit unbedeutenden (etwa Corioli, Pedum) bzw. gänzlich unbekannten (Manates, Macrates, Olliculani) Orten und Völkern bezeugt.4 Es ist jedoch möglich, daß sich die Bezeichnungen Velienses und Querquetulani, die mit der Velia und dem Caelius in enger Verbindung standen,5 auf die Phase autonomer römi„Esquiliae“, RE 1907, 681; J. Collart, Varron, De Lingua Latina, Livre V, Paris 1954, 175, par.49,1; Castagnoli, Topografia, 10; L.A. Holland, Janus and the Bridge, Rom 1961, 85, Anm.43; J. Poucet, L’importance du terme «collis» pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, 114, Anm.59. L. Richardson, s.v. „Esquiliae“, NTD, 146, wollte hingegen die antike Herleitung von aesculus nicht ausschließen. 1 Tac.ann.12.24. Die genaue Lage ist nicht gesichert cf. Kap.I.3.2. 2 Fest.182L. Die Lage der anderen Kurien – von insgesamt 30 sind nur acht, darunter vier curiae veteres, namentlich bekannt – ist nicht mehr zu klären. 3 Nach G. Colonna (Hrg.), La civiltà del Lazio primitivo, Rom 1976, 26f.; id., Preistoria e protostoria di Roma e del Lazio, in: Popoli e civiltà dell’Italia antica, Bd.2, Rom 1974, 302f., 328f., spiegelt die plinianische Liste der populi Albenses eine Situation vor dem 9. Jh. wider, als Rom auf das Gebiet Palatin-Velia und Forumtal-Velabrum beschränkt war. Ähnlich Pallottino, Origini, 126-128, und A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 80f.; id., Geburt Roms, 280-296, 329f., 333f., der glaubte, das Latinervolk der Velienses habe sich um 1000 auf dem Palatin niedergelassen (mit der Velia als Festung) und mit einigen umliegenden Dörfer Dörfern (Fagutal, Subura, Cermal) einen Bund geschlossen. Von der Mitte des 9. bis in das zweite Viertel des 8. Jahrhunderts habe sich dann die Umwandlung des populus der Velienses zur Liga des Septimontium vollzogen, die kein religiöses Fest, sondern eine protourbane Gemeinschaft („comunità-stato“) aus den Velienses und den Völkern des Caelius, Oppius und Cispius darstellte. Die von Colonna und Carandini vertretene Ausdehnung der protourbanen Phase läßt sich jedoch angesichts der Fakten, die für eine späte Stadtwerdung Roms sprechen, nicht aufrechterhalten. 4 Plin.nat.3.69. C. Ampolo, L’organizzazione politica dei Latini ed il problema degli Albenses, in: A. Pasqualini (Hrg.), Alba Longa. Mito, storia, archeologia. Atti dell’incontro di studio Roma - Albano Laziale 27.-29.1.1994, Rom 1996, 135-160, griff vor kurzem die Standpunkte von E. Pais und G. De Sanctis wieder auf, nach denen Albenses keine Kollektivbezeichnung sei, sondern die Bewohner von Alba Fucens meine. Demnach würde die plinianische Liste 31 Namen enthalten. Die Namen können zwar als authentisch gelten, bei der Liste handelt es sich jedoch kaum um die Abschrift einer archaischen Inschrift aus dem 6. Jh. (so Cornell, Beginnings, 74), sondern um eine späte vielleicht unvollständige (Ampolo) Kompilation, cf. Palmer, AC, 10f. und Kap.I.3.6. 5 Tac.ann.4.65.1 bezeichnet den Caelius als mons Querquetulanus. Darüberhinaus wurden die Latinienses (ager Latinus, Quirinal), Forienses (Foreti), Munienses (Quirinal), Tutienses (Kapitol/ Quirinal) und Vimitellari (Viminal) mit Rom in Verbindung gebracht. Zu den verschiedenen Versuchen der Lokalisierung und Identifizierung cf. die Zusammenfassung bei Carandini, Geburt Roms, 700-703 sowie den jüngsten Versuch von A. Grandazzi, La liste plinienne des populi dits Albenses (Nat.Hist.III, 69): Anciennes et nouvelles hypothèses, REL 77, 1999, 30-49.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

65

scher Hügelsiedlungen beziehen, die noch nicht in die Konföderation der Kernsiedlung mit einbezogen waren. Die Velienses wären demnach nicht als Bewohner der Siedlungen des Cermalus, Palatium und der Velia zu verstehen, sondern ausschließlich als Bewohner der Velia, ebenso wie die Querquetulani als Bewohner nur des Caelius charakterisiert werden könnten. Die 30 populi nahmen mit den ebenfalls von Plinius genannten 20 clara oppida1 am gemeinsamen Mahl des Iupiter Latiaris auf dem mons Albanus teil; es handelte sich in erster Linie um eine sakrale, nicht um eine politische Gemeinschaft, wie sie die Palatin-Velia-Gemeinde bereits gewesen zu sein scheint.2 Das Fehlen weiterer römischer Siedlungen (Palatium, Quirinal, Kapitol) in der plinianischen Aufzählung sollte nicht überraschen. Einerseits ist es möglich, daß die Liste unvollständig überliefert wurde. Anderseits existierten im frühen Latium vermutlich mehrere vergleichbare sakrale Verbände, zu denen die anderen, in der Liste der populi Albenses nicht aufgezählten Römergemeinden gehört haben könnten.3 Möglicherweise war das Comitium bereits vor der monumentalen Umgestaltung des Geländes (Einebnung, Pflasterung nach 650) und der Einrichtung eines Senatsgebäudes (Curia Hostilia) politischer Treffpunkt der sieben ältesten Kurien, die auf dem Palatin und der Velia zu lokalisieren sind. Diese wären dann jedoch noch nicht als Institutionen einer geeinten Stadt, sondern als Institutionen eines Bundes weitgehend autonomer Hügelsiedlungen aufzufassen.

3.5. Die Ausdehnung der Kernsiedlung Cermal, Palatin und Velia waren Bestandteile der sogenannten Gemeinde des Septimontium, die entgegen der zumeist angenommenen Bedeutung des Namens nicht nur sieben, sondern acht ursprünglich autonome Siedlungen vereinte (Kap.I.3.6). Zu der erweiterten Gemeinde kamen Cispius, Oppius, Fagutal, Caelius und Subura hinzu. Die einzelnen Schritte der Erweiterung der Palatin-Velia-Gemeinde zur Siedlung des Septimontium, die zugleich die erste urbane Phase Roms markiert, lassen sich nicht mehr rekonstruieren. Während einige Forscher in enger Anlehnung an die schriftlichen Quellen eine Integration des Esquilin nach dem Caelius annahmen,4 gingen andere von 1

Plin.nat.3.68. Cf. Pallottino, Origini, 120ff. A. Grandazzi, art.cit., deutete die Liste als frühes Verteidigungsbündnis der Latiner. Carandini, Geburt Roms, 282, bezeichnete die populi als Stammesgemeinschaften, „die in vici oder untereinander verbundenen Siedlungskernen um eine Burg oder einen vorrangigen Ort herum gruppiert“ waren. Nach B. Liou-Gille, Les rois de Rome et la Ligue Latine: Définitions et interprétations, Latomus 56, 1997, 729-764, bes. 738, setzten sich die Albanervölker aus Verbänden präurbaner Hirtenkrieger zusammen. Die Integration der auf römischem Boden siedelnden populi sei unter Tullius Hostilius erfolgt. 3 Die anderen erhaltenen Listen früher latinischer Sakralgemeinschaften (Dion.5.61, 4.59.2-3; Cato orig.frg.58Peter=2.28Beck-Walter; cf. Cic.Planc.23) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Teilnehmerzahl und Zusammensetzung. 4 Cf. Å. Fridh, Eranos 88, 1990, 151ff. Ähnlich L. Richardson, s.v. „Esquiliae“, NTD, 146, nach dem der Cispius und ein Teil des Oppius zum Zeitpunkt der Gründung der regiones der regio quattuor angegliedert wurden (es muß an der zitierten Stelle „part of the Oppian“ und nicht „of the Cispian“ lauten, da sich Richardson auf Varr.ling.5.50 bezieht). H. Erkell, ORom 13, 1981, 36; id., Eranos 88, 1990, 2

66

Die Stadtwerdung

einer früheren Eingliederung des Esquilin aus, auf dessen westlichem Teil Gräber aus der Stufe II B entdeckt wurden. Sie begründeten die Ausdehnung der Kernsiedlung auf das Plateau des Esquilin mit den demographischen Veränderungen in Latium und der Aufgabe der Albanerberge, die zur Niederlassung großer Bevölkerungsgruppen in der latinischen Ebene geführt habe. Eine entsprechende Ausdehnung sei durch die Zugehörigkeit der Albaner zu der gleichen ethnischen Gruppe wie die Latiner erleichtert worden, die gemeinsame religiöse Feste und Organisationen hatten.1 Carandini glaubte, auf der Basis dieser Daten, neben der Kerngemeinde aus Palatium, Cermal und Velia (Trimontium) eine Gemeinde ausmachen zu können, die eine Phase zwischen Trimontium und Septimontium markiert. Die Kernsiedlung aus Cermal, Palatium und Velia sei um die Gemeinden des Fagutal und der Subura (Carinae) zum sogenannten Quinquimontium erweitert worden. Diese fünf Gebilde, die in der Septimontialaufzählung des Antistius Labeo vor den sie ergänzenden Oppius, Caelius und Cispius genannt sind, hätten eine topographische Einheit gebildet und seien im Gegensatz zu den anderen montes nur von geringer Ausdehnung gewesen.2 Demgegenüber ist jedoch darauf zu verweisen, daß sich der Fagutal südöstlich des Oppius befand und somit keine Verbindung zu Velia und Palatin hatte.3 Die Annahme eines Quinquimontium ist vor allem deswegen fragwürdig, weil die Reihenfolge der bei Labeo genannten montani keine zeitliche Reihenfolge der Integration angibt.4 Auch der Wettstreit um das „Oktoberroß“ (equus October) zwischen den Sacravienses und Suburanenses muß sich nicht auf eine gewaltsame Angliederung der drei neuen Viertel beziehen.5 Das jährlich zelebrierte Fest scheint nicht so alt zu sein, wie oft vermutet wird. In seinem Rahmen veranstalteten Bewohner der Subura und Anlieger der Sacra via im Forumtal ein Pferderennen auf dem Marsfeld, nach dessen Ende jeweils bes.133-137, glaubte gar, der zentrale und östliche Teil der späteren regio Esquilina sei erst im 4. Jahrhundert mit der Gründung der vierten Region integriert worden, während der westliche Teil, der mit den Carinae identisch sei, von Servius Tullius der regio Suburana angegliedert wurde. 1 Cf. J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 58. Bereits Mommsen, RSt III,1, 114f., glaubte an eine Kerngemeinde aus Palatin, Velia und Esquilin, die durch Subura und Caelius ergänzt worden seien und mit diesen die Gemeinde des Septimontium gebildet hätten. M. Pallottino, ArchClass 12, 1960, 29ff., 33; id., ANRW I,1, 1972, 31f., nahm demgegenüber eine Ausdehnung der Kernsiedlung in das Forumtal, auf den Esquilin und vielleicht den Fagutal an. Ähnlich E. Pais, Ancient legends of Roman history, ND Freeport, NY 1971 (11905); De Sanctis, StRom I, 185; De Francisci, Primordia Civitatis, 476 und Anm.328; Å. Fridh, Eranos 85, 1987, 121, Anm.23, 131. Gegen eine späte Integration der Subura cf. jedoch A. von Gerkan, RhM 96, 1953, 26. 2 Carandini, Geburt Roms, 331f. Auch nach C. Ampolo, La città arcaica e le sue feste: Due ricerche sul Septimontium e l’Equus October, AL 4, 1981, 235, bildeten die ersten fünf Hügel einen einheitlichen Kern, dessen Grenze durch das Tigillum Sororium und den murus terreus Carinarum markiert worden sei. 3 Cf. Kap.V.3.2. 4 Carandini, Geburt Roms, 358f., 372, begründet die Nennung des bereits zur Kernsiedlung gehörenden Cermal an fünfter Stelle der Aufzählung mit der Einbeziehung des Hügels in eine kreisförmige lustratio, unterliegt jedoch damit einem Zirkelschluß: Die Annahme einer solchen Prozession beruht allein auf der Vorstellung, daß die von Labeo genannten montani in einer entsprechenden geographischen Reihenfolge angegeben sind. Eine solche ist nicht nur aufgrund der Lokalisierung des Fagutal (Kap.V.3.3) auszuschließen, cf. Kap.I.3.4. Weder Geographie noch Chronologie können als Basisprinzipien für die Auflistung geltend gemacht werden. 5 So allerdings Carandini, Geburt Roms, 373.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

67

das rechte Tier des siegreichen Gespannes geopfert wurde. Bei einem Sieg der Suburanenses wurde das Pferdehaupt am Turm des Mamilius, bei einem Sieg der Sacravienses an der Regia angebracht.1 Ungeachtet des schwer zu deutenden religiösen Hintergrundes2 sind hier vor allem die mit dem Fest in Zusammenhang stehenden Toponyme und Gebäude von Bedeutung. Die Nennung der Regia und des Marsfeldes scheint die Existenz einer geeinten Stadt ebenso vorauszusetzen wie die Teilnahme der Sacravienses und Suburanenses, die die Talzonen zwischen Palatin, Esquilin und Quirinal bewohnten.3 Ein Bezug auf eine protourbane Gemeinschaft von fünf Hügeln unter Ausschluß nicht nur der colles, sondern auch der montes Caelius, Cispius und Oppius ist daher unwahrscheinlich. Die meisten Autoren, die eine sukzessive Integration von Esquilin, Caelius und Subura vertraten, datierten diese in eine protourbane Phase, deren Endpunkt sie im 9. (Colonna) bzw. 8. Jh. (Carandini) vermuteten. Für eine solch frühe Integration der Hügel gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Die Anlage eines Friedhofes auf dem Esquilin (ab Stufe II A1) kann nicht im Sinne einer frühen protourbanen Erweiterung der Palatinsiedlung interpretiert werden, da sie zeitlich nicht mit der Aufgabe des sepulcretum auf dem Forum Romanum koinzidiert.4 Die Hügelsiedlungen scheinen vielmehr noch Mitte des 8. Jhs. ihre Autonomie gewahrt zu haben, so daß ein Quinquimontium allenfalls im 7. Jh. existiert haben könnte. Angesichts des engen zeitlichen Rahmens des Stadtwerdungsprozesses, der mit der Formierung der Palatin-Velia-Gemeinde und dem Septimontium bereits zwei identifizierbare Entwicklungsstufen besaß, ist es aber grundsätzlich fraglich, ob überhaupt eine weitere Stufe eingefügt werden kann. Eine solche Gemeinde hat jedenfalls weder Spuren in der schriftlichen (gemeinsame Opfer oder Feste) noch in der materiellen Überlieferung (Befestigung) hinterlassen.

1 Fest.190L, s.v. „October equus“. Dafür, daß hier die Bewohner der Subura und nicht der Region Suburana gemeint sind cf. H. Erkell, ORom 15, 1985, 60. 2 Möglicherweise handelt es sich um einen kriegerischen Ritus zu Ehren des Mars, der zugleich der militärischen Ertüchtigung der Teilnehmer diente. Cf. Plut.Quaest.Rom.97; G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer, München ²1912; K. Latte, Römische Religionsgeschichte, 114-121; U.W. Scholz, Studien zum altitalischen und altrömischen Marskult und Marsmythos, Heidelberg 1970, 89-102; Dumézil, Fêtes romaines d’été et d’automne, Paris 1975, 145-156. Für andere Deutungen cf. Timaeus, FGrH 566 F 36 (ap.Pol.12.4b); Plut.Qu.Rom.97 (mor.287A-B) (Erinnerung an das trojanische Pferd); Pol.12.4b (Deutung des bevorstehenden Kriegsverlaufs). 3 Cf. C. Ampolo, art.cit., 236f.; Smith, Early Rome, 156. Anders U.W. Scholz, op.cit., 116, der für ein allein von der Subura begangenes Fest plädierte. Zum Zeitpunkt der Errichtung der Regia cf. Kap.I.1. Die Turris Mamilia erinnert nach Dumézil, art.cit., der an eine spätere Umdeutung des Kriegsritus in eine symbolische Auseinandersetzung um die Abschaffung der Königsherrschaft glaubte, an den Schwiegersohn des Tarquinius Superbus. Der Schwiegersohn habe als Tusculanus dux und imperator Latinus Krieg gegen Rom geführt (lacus Regillus), um den exilierten Superbus auf den Thron zurückzubringen. Smith, Early Rome, 176, vermutet demgegenüber, die turris Mamilia sei das Zeugnis einer späteren Integration der gens Mamilia in Rom, die erst nach der Bürgerrechtsverleihung an die Tusculani, zu denen die Mamilier gehörten, erfolgte. 4 Zur Nekropole auf dem Esquilin cf. Kap.I.2.

68

Die Stadtwerdung

3.6. Das Septimontium Während sich die Forschung im wesentlich einig ist hinsichtlich der zentralen Rolle des Palatin und der Velia im Rahmen der Stadtwerdung, ist die Stellung der sogenannten Siedlung des Septimontium in diesem Prozeß äußerst umstritten. Dies betrifft zum einen ihre zeitliche Einordnung und historische Bewertung (prä-, protourban, urban), zum anderen die Deutung des ihr zugrundeliegenden Festes als archaisches Zeugnis einer städtischen Entwicklungsphase. Bei dem jährlich am 11.12. gefeierten Septimontium (dies septimontium)1 handelt es sich in erster Linie um ein Reinigungsfest, mit dem das Ende der Aussaat gefeiert wurde und nach Meinung einiger das sie umfassende Gebiet in einer Prozession begangen wurde.2 An ihm nahmen nicht alle Römer, sondern nur die Bewohner der montes teil:3 Die sacra pro montibus gehörten dementsprechend mit den sacra pro pagis, curiis und sacellis (argei4) zu jenen öffentlichen Festen, die von den sacra pro populo unterschieden waren, da sie nur eine bestimmte Region oder Institution, nicht aber die gesamte Bevölkerung umfaßten.5 Die von den Quellen angegebenen Aufzählungen der am Septimontium beteiligten montes weichen voneinander ab. Varro versteht unter den montes die sieben Hügel, die in der Stadt der servianischen Mauer eingeschlossen waren: Kapitol, Aventin, Caelius, Esquilin, Viminal, Quirinal, Palatin.6 Antistius Labeo nennt dagegen acht Toponyme: Palatium, Velia, Fagutal, Subura, Cermal, Caelius, Oppius, Cispius.7 1

Cf. Varr.ling.5.41; 6.24; Fest.458, 474, 476L. Zur Frage der Datierung cf. J. Poucet, Le Septimontium et la Succusa chez Festus et Varron. Un problème d’histoire et de topographie romaines, BIBR 22, 1960, 29-32. 2 Cf. Colum.2.10.8; C. Ampolo, art.cit., 233-240; Grandazzi, Fondation, 190, Anm.31 und 194, Anm. 40. 3 Varr.ling.6.24: Dies Septimontium nominatus ab his septem montibus, in quis sita urbs est; feriae non populi, sed montanorum modo, ut Paganalibus qui sunt alicuius pagi. 4 Zu den argei cf. Kap.II.2.2. 5 Fest.284, 18-21L; cf. P. Harmon, The Public Festivals of Rome, ANRW II,16,2, 1978, 1459. Karten der Septimontialgemeinde sind abgedruckt bei: G. Wissowa, Septimontium und Subura, in: Gesammelte Abhandlungen zur römischen Religions- und Stadtgeschichte, München 1904, 249; C. Fayer, op.cit., 29; J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 113, fig.37; P. Gros/M. Torelli, Storia dell’urbanistica. Il mondo romano, Rom/Bari 1988, 65; A. Fraschetti, Roma e il principe, Bari 1990, 152; L. Richardson, s.v. „Septimontium“, NTD, 1992, 349; Pallottino, Origini, 147. 6 Varr.ling.5.41: Ubi nunc est Roma, Septimontium nominatum ab tot montibus quos postea urbs muris comprehendit; e quis Capitolium dictum, quod hic, cum fundamenta foderentur aedis Iovis, caput humanum dicitur inventum. 7 Fest.474, 476L: Septimontio ut ait Antistius Labeo, hisce montibus feriae: Palatio cui sacrificium quod fit, Palatuar dicitur; Veliae, cui item sacrificium; Faguali, Suburae, Cermalo, Oppio, Caelio monti, Cispio monti, Oppius autem appellatus est, ut ait Varro rerum humanarum lib. VIII. Die Liste reicht wohl in voraugusteische Zeit zurück, cf. J. Poucet, Le Septimontium et la Succusa chez Festus et Varron. Un problème d’histoire et de topographie romaines, BIBR 22, 1960, 25-73. In dieser Reihenfolge hätten die Hügel nach der Mehrheit der Forschung einen Lustrationskreis gebildet, der später durch die Aufnahme des Caelius, Oppius und Cispius vervollständigt worden sei. Der Kommentar des Paulus zu einer weiteren, verderbten Festus-Glosse nennt dieselben Hügel in einer anderen Reihenfolge: Septimontium appellabant diem festum, quod in septem locis faciebant sacrificium: Palatium, Velia, Fagutali, Subura, Cermalo, Caelio, Oppio et Cispio. Cf. Fest.458,1-5L:

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

69

In der Auffassung, der Name des Septimontium leite sich von den sieben Hügeln Roms (septem montes) ab, suchte man lange Zeit nach unterschiedlichen Erklärungen für die acht montes des Labeo: Einige Forscher wollten jeweils ein Toponym – zumeist wurden der Caelius oder die Subura angeführt – streichen bzw. verlegen: Niebuhr etwa tilgte die Subura, da sie kein mons gewesen sei.1 Wissowa unterschied das Tal der Subura von einer aus dem Namen des pagus Succusanus abgeleiteten Erhebung *Succusa, die fälschlich mit dem Namen Subura assoziiert worden sei.2 Andere wiederum glaubten an die Korrektheit der Liste; die Subura sei zwar ein Tal gewesen, könne jedoch zu den montes gezählt werden, da sie eng an den Cispius und Oppius grenzte und Martial von den steilen Abhängen der Subura sprach.3 Die meisten dieser Autoren vermuteten, daß die Listen des Varro und Labeo verschiedene chronologische Phasen der Stadtentwicklung reflektierten. De Sanctis und Castagnoli etwa glaubten, erst in einem zweiten Schritt sei ein achter mons zu den klassischen sieben hinzugekommen.4 Carandini sah in der Liste des Labeo den älteren Zustand, hielt jedoch zugleich an der kanonischen Zahl sieben für beide Listen fest. Die Zahl acht bei Labeo erkläre sich damit, daß der Fagutal ein Teil des Oppius gewesen sei. Antistius Labeo habe aber nur die Bergsiedlungen berücksichtigt, während Varro alle Erhebungen innerhalb der servianischen Mauer einbezogen und somit einen späteren Zustand beschrieben habe.5 Die vorgeschlagenen Lösungen überzeugen jedoch nicht, da sie Eingriffe in den überlieferten Text oder Lokalisierungen erfordern, die nicht haltbar sind. Am plausibelsten ist es, die Abweichung der beiden Listen auf den unterschiedlichen Gebrauch des Wortes mons zurückzuführen. Demnach ist mons nicht im orographischen Sinne als pellatur mense/ Fastis Agonalia,/ ontibus fiunt sa/agutali, Subura,/ et Cispio (mit den Ergänzungen von Lindsay). 1 G.B. Niebuhr, Römische Geschichte I, Berlin 31828, 430. Cf auch A. Piganiol, Essais sur les origines de Rome, Paris 1917, 306-307; Palmer, AC, 123, Anm.2. G. Colonna, Preistoria e protostoria di Roma e del Lazio, in: Popoli e civiltà dell’Italia antica, Bd.2, Rom 1974, 302ff., strich dagegen den Caelius von der Liste des Labeo. 2 G. Wissowa, Septimontium und Subura. Ein Beitrag zur römischen Stadtgeschichte, in: id., Gesammelte Abhandlungen zur römischen Religions- und Stadtgeschichte, München 1904, 230-252, gefolgt von J. Weiss, RE IV A ,1, 1931, 510; Platner/Ashby, s.v. „Subura“, TD, 501; A. v. Gerkan, RhM 96, 1953, 20ff. 3 Mart.5.22.5 (alta Suburani vincenda est semita clivi), 10.20.5 (altum vincere tramitem Suburae). Cf. Dion.4.14.1, wo die Subura als Anhöhe (lÒfoj) beschrieben wird, nach der die Region Suburana genannt worden sei. Cf. A. Schneider, Aus Roms Frühzeit, MDAI/R 10, 1895, 166f.; J. Poucet, BIBR 22, 1960, 58f., 72f.; F. Castagnoli, Note sulla topografia del Palatino e del Foro Romano, ArchClass 16, 1964, 173; J.-M. Flambard, Collegia Compitalicia: Phénomène associatif, cadres territoriaux et cadres civiques dans le monde romain à l’époque républicaine, Ktema 6, 1981, 143, Anm.2; P. Harmon, The Public Festivals of Rome, ANRW II,16,2, 1978, 1460; A. Fraschetti, Roma e il principe, Bari 1990, 145. 4 Cf. G. De Sanctis, StRom I2, 182 (die Subura war zunächst ein pagus und sei erst später von der antiquarischen Forschung als achter mons betrachtet worden, weil sie offenbar erst nach den Anhöhen besiedelt wurde); Castagnoli, Topografia, 10f. (Caelius als achter mons). H. Erkell, ORom 13, 1981, 35f., id., ORom 15, 1985, 61ff., glaubte, Suburae in der Liste des Antistius Labeo sei ein von Fagutali abhängiger Genitiv gewesen. Contra: A. Fridh, Eranos 85, 1987, 123. 5 Carandini, Geburt Roms, 317-330, bes.321f.

70

Die Stadtwerdung

Erhebung, sondern im Sinne einer Gemeinde von montani zu verstehen, die im Gegensatz zu den ursprünglich außerhalb der Gemeinde ansässigen pagani das Gebiet innerhalb der Stadt bewohnten. Teile der Subura (pagus Succusanus), des Esquilin (pagus Montanus), Aventin (pagus Aventinensis) und Ianiculum (pagus Ianicolensis) wurden ebenso wie das jenseits des Tibers gelegene Gebiet der Septempagi, das von Romulus den Etruskern entrissen worden sein soll, erst später in die urbs integriert.1 Varro definiert das Fest des Septimontium als Fest der Stadt der sieben Hügel, präzisiert aber zugleich, daß es kein Fest des gesamten Volkes, sondern nur der montani gewesen sei. Diese werden zu einer frühen Zeit einzelne Gemeinden gebildet haben, die von den ländlichen, später in die Stadt integrierten pagi getrennt waren und zunächst ihr eigenes Fest, das in Gegensatz zu den Paganalia stand, zelebrierten.2 Noch Cicero kannte den Unterschied zwischen pagani und montani, die für ihn jedoch gleichermaßen die hauptstädtische Bevölkerung bezeichneten.3 Die von Antistius genannten montani waren somit offenbar die Teilnehmer an einer Kultgemeinschaft und nicht die Bewohner einer bestimmten Landschaft, sei es Hüghel, Hang oder Tal. Es ist nicht notwendig, die Nennung von acht statt der erwartbaren sieben Hügel mit einer Tilgung oder späteren Hinzufügung zu begründen.4 Varro dagegen gebrauchte offenbar mons in seiner orographischen Bedeutung, was daraus hervorgeht, daß der Autor eben nicht Cermal, Subura und Fagutal, die keine Hügel waren,5 sondern den Aventin, das Kapitol und die beiden colles (Quirinal und Viminal) in seine Aufzählung mit einfügte.6 Der Liste des Antistius Labeo sollte eine 1

Für diese Interpretation cf. bereits J. Toutain, s.v. „Pagus“, in: C.H. Daremberg/E. Saglio (Hrg.), Dictionnaire des antiquités grecques et romaines, ND Graz 1969 (Paris 1907), 274; Castagnoli, Topografia, 11, 46f. Zu den Belegen für die einzelnen pagi und ihre Entstehung cf. Kap.III.5. 2 Varr.ling.6.24. Daß es sich um ein Fest der montani handelt, haben Castagnoli, Topografia, 46-47; J. Poucet, L’importance du terme collis pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, 107; J.P. Poe, TAPA 108, 1978, 148; Å. Fridh, Eranos 1987, 126f., und A. Fraschetti, Roma e il principe, Bari 1990, 134-159 gezeigt. 3 Cic.dom.28. Cf. hierzu G. Wissowa, in: Gesammelte Abhandlungen zur röm. Religions- und Stadtgeschichte, München 1904, 235f. Auch Comm.Pet.30 belegt vielleicht den Gegensatz: Habeto rationem urbis totius, collegiorum, montium, paganorum, vicinitatum. Die Hss. geben omnium statt montium wider (Cf. D. Nardo, Q. Ciceronis Commentariolum Petitionis, Mailand 1972, 47; G. Laser, Quintus Tullius Cicero, Commentariolum Petitionis, Darmstadt 2001, 150), was an dieser Stelle jedoch keinen Sinn ergibt. Die auf Mommsen, RSt III,1, 114f., Anm.5, zurückgehende Emendation ist die wahrscheinlichste, cf. A. Fraschetti, op.cit., 193, Anm.91. Die genannten Belege sprechen gegen die Vermutung von Flambard, Ktema 6, 1981, 143f., nach dem das System der montes und pagi gegen Ende der Republik überflüssig geworden und durch ein System von vici als Organisationsbasis der collegia compitalicia ersetzt worden sei. Cf. auch Kolb, Rom, 511, der die collegia der pagi und montes für offizielle Vereinigungen der späten Republik hält. 4 Ähnlich: Th. Mommsen, Verhandlungen der Wiener Philologischen Gesellschaft 1893, 253; De Sanctis, StRom I, 185; De Francisci, Primordia Civitatis, 476 und Anm.328, die glaubten, die Subura sei kein mons, sondern eine Kultstätte und Gemeinde gewesen, die den bekannten sieben Kulten und Gemeinden hinzugefügt wurde. 5 Die Subura befand sich unterhalb des murus terreus Carinarum und war zur Zeit des Varro offenbar eingeebnet, cf. A. Fraschetti, op.cit., 153. Den Fagutal kennt Varro nur als lacus Facutalis, cf. S.492. Andererseits gibt es keine Hinweise darauf, daß Subura und Fagutal in archaischer Zeit Erhebungen gewesen wären, cf. Kap.V.3.1, V.3.3. 6 A. Fraschetti, op.cit., 134-159.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

71

höhere Aussagekraft in Bezug auf die archaische Siedlungsgeographie im zusammenwachsenden Rom beigemessen werden als der Liste des Varro. Dafür sprechen nicht nur semantische und textkritische Erwägungen;1 auch das anhand archäologischer Daten gewonnene Bild einer progressiven Stadtausdehnung, deren erste Stufe, die Kernsiedlung aus Cermal, Palatium und Velia, bereits beschrieben wurde, fügt sich in diese Interpretation ein. Das Septimontium scheint somit eine Entwicklungsphase der Stadt zu markieren, in der die colles noch ausgeschlossen waren, die Kernsiedlung aber bereits erweitert worden war. Während im Rahmen des Septimontium mehrere Siedlungen nebeneinander existierten und in weiten Bereichen ihre Autonomie bewahrten, kann zugleich von einer institutionellen Verdichtung ausgegangen werden, die in einer Zusammenlegung wichtiger sakraler und politischer Einrichtungen bestand. Dies scheint die Gemeinde gewesen zu sein, in der, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, die ersten Tribus gegründet und diese in einen engen Bezug zu den von sieben auf 30 vermehrten Kurien gestellt wurden.2 Die collini, die in der Regionenstadt des Servius Tullius die Region und Tribus Collina bildeten, wurden erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Gemeinde der montani integriert.3 Gerade diesen Zustand aber setzt die varronische Liste voraus, die die markantesten Erhebungen innerhalb des von der servianischen Mauer umgrenzten Gebietes der vier Regionen angibt. Indem Varro dem Septimontium eine toponyme Bedeutung (montes) verlieh und montes im Sinn von geographischen Erhebungen statt Siedlungsgebieten (montani) verstand, erklärte er den Namen des Festes mit einer volkstümlichen Etymologie, die das Fest auf das Zahladjektiv septem (sieben) zurückführte. Einiges spricht jedoch dafür, den Namen des Septimontium mit dem Verb saepire (umzäunen, umschließen) und seiner Partizipialform S(a)epti- in Verbindung zu bringen.4 Das Septimontium wäre somit das Fest der mit Palisaden oder Erdwällen umgebenen, zahlenmäßig nicht näher bestimmten Hügelsiedlungen gewesen, eine Bedeu1

Das Lemma könnte auf dem Werk De iure pontificum des Labeo und damit letztendlich auf pontifikalen Quellen beruhen, cf. Fraschetti, op.cit., 144; Carandini, Geburt Roms, 331, Anm.1. Für eine höhere Aussagekraft der Liste des Labeo cf. auch F. Coarelli, s.v. „Septimontium“, LTUR IV, 1999, 268. 2 Nach Palmer AC, 122-132, war das Septimontium ursprünglich das Fest der sieben ältesten Kurien, die für die Durchführung der Riten an sieben verschiedenen Orten verantwortlich waren. Später hätten die Bewohner der sieben Hügel diese Aufgabe von den curiales übernommen. Es ist jedoch kein Zusammenhang der Kurien zu den septem montes erwiesen, cf. Alföldi, Rez. zu Palmer, AC, Gnomon 44, 1972, 787-799. Das Septimontium bestand ursprünglich aus acht voneinander unabhängigen Gemeinden. Der enge institutionelle Zusammenhang zwischen den drei Tribus und den 30 Kurien und der Entstehungszeitpunkt der Tribus (cf. Kap.II.8) machen ein frühes Erreichen dieser Zahl (Palmer ging von einer evolutionären Entwicklung aus, die ihren Endpunkt erst zu Beginn des 5. Jhs. fand) wahrscheinlich. Die sieben curiae veteres scheinen bereits auf die Kernsiedlung aus Palatium, Velia und Cermal beziehbar (cf. Kap.I.3.2). 3 Cf. Kap.I.3.7. 4 Cf. die Ausführungen von L.A. Holland, Septimontium or Saeptimontium, TAPhA 84, 1953, 16-34, nach der Zweck des Festes die Segnung der Dorfgrenzen gewesen sei. Ihr folgten J. Poucet, Le Septimontium et la Succusa chez Festus et Varron, BIBR 22, 1960, 60ff., 73; R. Gelsomino, Varrone e i sette colli di Roma, Rom 1975, 27ff.; Fridh, Eranos 85, 1987, 123; Harmon, art.cit., 1459; L. Richardson, s.v. „Septimontium“ 2, NTD, 349. Contra: J.P. Poe, TAPhA 108, 1978, 147, Anm.2; Carandini, Geburt Roms, 321.

72

Die Stadtwerdung

tung, die offenbar noch Antistius Labeo kannte. Bei dem Septimontium Varros wird es sich hingegen um das Produkt einer antiquarischen Rationalismus handeln, das nichts mit dem Septimontium archaischer Zeit, an dem die Gemeinden von acht montani teilnahmen, zu tun hatte. Es fand keineswegs einen so großen Rückhalt in der Literatur, wie oft vermutet wird. Lediglich Festus und Varro scheinen es als Toponym aufgefaßt zu haben.1 In der Kaiserzeit nahm es dann die Bedeutung eines Gemeinschaftsfestes für alle römischen Bürger an.2 Erst jetzt konnte dem Septimontium ein Platz unter den feriae publicae, der gleichwertig mit dem anderer Volksfeste war und nach den Agonalia angesetzt wurde, eingeräumt werden.3 Wenn nun einerseits das Septimontium nicht das Fest einer entwickelten Vierregionenstadt war, die den Quirinal und Viminal umfaßte, kann es andererseits nicht als ein Fest gänzlich autonomer Hügelsiedlungen gelten.4 Als Argument für ein prä- bzw. protourbanes Fest wird oft die Beobachtung angeführt, daß der Palatin in der Reihe der von Antistius Labeo genannten Hügel keine Einheit darstellte, sondern selbst in die

1

Varr.ling.5.41; Fest.424, 32L (Sacrani…qui ex Septimontio Ligures Siculosque exegerunt). Cf. Cic. Att.6.5.2. 2 Plut.Quaest.Rom.69 (mor.280D-E), interpretiert es als Entstehungsfest der urbs, die mit dem Anschluß des 7. Hügels ihre endgültige Gestalt bekommt; Johannes Lyd.mens.4.155, stellt die Umschließung der sieben Hügel durch eine Mauer in den Vordergrund. Cf. Verg.georg.2.534f.: Et rerum facta est pulcherrima Roma/septemque una sibi muro circumdedit arces. Serv.Aen.6.783: Septemque una sibi muro circumdabit arces. Ferner: Fraschetti, op.cit., 154f. 3 Esquilin-Kalender: F. Magi, Il calendario dipinto sotto Santa Maria Maggiore, MPAA 11,1, 1972, 26f. Im Kalender von Guidizzolo, der die Übernahme des Septimontium als ländliches Fest dokumentiert (cf. auch Colum.2.10.8; Pallad.13.1), tritt das Fest an die Stelle der Agonalia: I.It. XIII,2, 235, cf. den Kommentar von Fraschetti, op.cit, 135f. mit Anm.4-6, 156-158. Bei Varr.ling.6.24, taucht das Septimontium erst am Ende einer Aufzählung öffentlicher Feste mit fixiertem Datum, der sogenannten dies statuti, auf. Es galt offenbar in spätrepublikanischer Zeit noch nicht als Fest pro populo, cf. A. Fraschetti, op.cit., 137ff. 4 Nur wenige Autoren glaubten daran, daß das Septimontium eine Konföderation autonomer Dörfer aus vornehmlich religiösen Motiven, ohne Bezug zu den frühen Grenzen Roms, darstelle: P. Graffunder, RE I A,1, 1914, 1018; Von Gerkan, Zum Suburaproblem, RhM 96, 1953, 20ff.; id., Zur Frühgeschichte Roms, RhM 100, 1957, 87; Castagnoli, Topografia, 11; A. Fraschetti, Roma e il Principe, Bari 1990, 134, 141ff., bes.146; Kolb, Rom, 65. Die meisten gingen davon aus, daß das Septimontium eine wichtige Phase der Stadtwerdung markiert, wobei die zeitliche Einordnung sehr variiert. Mommsen, RSt III,1, 115, hielt das Septimontium für das Fest der geeinten Palatingemeinde und glaubte an die Existenz einer analogen Sondereinrichtung für die Quirinalstadt. Cf. ferner De Sanctis, StRom I², 182f.; Heurgon, La Méditerranée, 89f.; E. Gjerstad, Legends and Facts of Early Roman History, Lund 1962, 23f.; id., Early Rome IV, 42f.; id., Early Rome V, 40. Nach Grandazzi, Fondation, 190ff., 216f., markiert das Septimontium die Übergangsphase einer Konföderation von Dörfern, die zwar noch nicht zu einer Stadt verschmolzen waren, die aber im Vergleich zur Kernsiedlung aus Palatin und Velia eine weitere Phase der Stadtwerdung darstellte. Da das Septimontium nicht die seit dem Beginn der Eisenzeit besiedelten Hügel Kapitol und Quirinal umfaßte, könne eine Stadtgründung noch nicht stattgefunden haben. Cf. ferner G. Colonna, I Latini e gli altri popoli del Lazio, in: Italia Omnium Terrarum Alumna, Mailand 1988, 450 (nicht vor Ende des 8. Jh.); Pallottino, Origini, 148f. (Septimontium als Phase der Stadtentwicklung nach Gründung auf dem Palatin); Carandini, Geburt Roms, 317-330, 420441 (erstes Septimontium in Stufe IIB1 (830-800), erster Synoikismos (813?), zweites Septimontium bis zum zweiten Synoikismus unter Romulus 725).

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

73

beiden montes Palatium und Cermal zerfiel:1 Diese Auffassung läßt sich jedoch nicht halten, da ihr das Verständnis von montes als Erhebungen zugrunde liegt: Das Palatium war der nordwestliche Teil und der Cermal der südwestliche Teil (Abhänge) des Palatin, während lediglich die Velia eine autonome Hügelkuppe bildete, die den Palatin mit den Carinae und Esquiliae verband.2 Palatium und Cermal bildeten nach den archäologischen Erkenntnissen stets eine orographische, ursprünglich aber wohl keine politische Einheit. Auch der Fagutal war kein eigenständiger Hügel; er bezeichnete ein eng begrenztes Toponym auf dem Oppius.3 Schließlich war die Subura das Stadtviertel im Tal zwischen Quirinal, Viminal und Esquilin. Die Nennung dieser Gemeinden im Septimontium sagt etwas über ihren einstigen unabhängigen Status aus, der jedoch zum Zeitpunkt des Festes bereits überwunden war. Daß es auf den genannten Hügeln noch während des 7. Jhs. zwei oder sogar mehrere, voneinander getrennte, autonome Siedlungen gab, ist nur schwer vorstellbar; Palatium, Velia und Cermal waren wohl bereits zuvor verschmolzen. Antistius Labeo zählt keine montes, sondern jene montani auf, deren Wohnort eine besondere – für uns nicht mehr definierbare – sakrale Bedeutung hatte, die sie zur Teilnahme an dem Fest als Einheit berechtigte. Die Aufzählung der montani-Gemeinden in der Liste des Labeo bedeutet folglich keineswegs, daß diese politisch voneinander getrennt waren. Vielmehr setzt die Institution des Septimontium die Existenz einer im Zusammenwachsen befindlichen Gemeinschaft voraus, die sich der Bedeutung dieses Festes für die Ausrichtung gemeinsamen Handelns und der Notwendigkeit des dafür erbetenen göttlichen Schutzes bewußt war. Während der Bau einer palatinischen Mauer um 725 noch das Bedürfnis der montani nach Schutz und Abgrenzung auch vor möglichen Übergriffen der benachbarten Hügelgemeinden illustriert, stellt der Ausbau des Comitium und Forum Romanum ein Jahrhundert später eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer Stadt mit gemeinsamen politischen Institutionen dar.4 Das Septimontium, dessen Name die Einheitlichkeit des so bezeichneten Siedlungsgebietes betont,5 spielte vermutlich eine nicht unbedeutende Rolle für die Verschmelzung der Hügel- und 1

Cf. De Francisci, Primordia Civitatis, 479f., 492f.; Grandazzi, Fondation, 90ff.; Momigliano, Interim Report, 100; id., Roma arcaica, Florenz 1989, 24, 80. Zu den anderen Zeugnissen für die Existenz von zwei Siedlungen auf dem Palatin cf. Kap.I.1. 2 Cf. F. Castagnoli, Note sulla topografia del Palatino e del Foro Romano, ArchClass 16, 1966, 173ff.; C. Ampolo, AL 4, 1981, 234f.; C. Fayer, op.cit., 31, Anm.87. Für die Ansicht, nach der der Cermal ein Hügel gewesen sei und mit dem Palatium und der Velia die Kerngemeinde des Palatin gebildet habe, cf. Jordan/Hülsen, Topographie I,3, 35-36; Platner/Ashby, s.v. „Cermalus“, TD, 111; K. Ziegler, s.v. „Palatium“, RE XVIII,2, 1949, 22, 63-64; Coarelli, Rom, 137; H. Erkell, Varroniana III, ORom 16, 1987, 54; Grandazzi, Fondation, 191; Carandini, Geburt Roms, 337ff. Nach Erkell könnte der Name „Cermal“ zur Bezeichnung des auf dem Hügelteil liegenden Kults gedient haben, während er im alltäglichen Sprachgebrauch das unterhalb der Anhöhe liegende Viertel meinte. Dafür, daß es nie einen mons/collis Cermalus gab, cf. jedoch bereits Jordan/Hülsen, Topographie I, 1, 162-178. 3 Cf. Kap.V.3.3. 4 Plausibel erscheint somit eine Einrichtung des Festes in der Zeit zwischen ca. 670 (nach der Mauerziehung auf dem Palatin ist mit einer schrittweisen Ausdehnung der Siedlung auf die Hügel Velia, Cispius und Oppius zu rechnen) und ca. 550 (Stadt der vier Regionen). 5 Im Gegensatz etwa zu der imaginären Wortbildung *Septimontes, cf. Carandini, Geburt Roms, 320.

74

Die Stadtwerdung

Talsiedlungen zur Stadt der vier Regionen, indem es das Zusammengehörigkeitsgefühl der montani stärkte und so eine identitätsstiftende Funktion ausübte. Somit bleibt festzuhalten: Die Liste der acht Hügel des Antistius Labeo kann ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit beanspruchen als die Liste des Varro, die das Ergebnis einer späten Kanonisierung der Siebenhügelstadt gewesen zu sein scheint. Antistius Labeo zählte acht Toponyme auf, die sich auf lediglich fünf Hügel bezogen. Die mit diesen Toponymen in Verbindung stehenden Bewohner waren vermutlich aufgrund der sakralen Bedeutung ihrer Wohngegenden, nicht aber aufgrund der geomorphologischen Gestalt dieser Gegenden als Teilnehmer am Fest des Septimontium auserwählt. Gerade die Tatsache, daß nicht die trennenden topographischen Verhältnisse, sondern die kultische Bedeutung der einzelnen Toponyme das Basiskriterium für die Teilnahme an dem Fest bildete, illustriert seinen unifikatorischen Charakter. Es markiert eine Phase der Stadtentwicklung, in der einzelne Siedlungen um einen zentralen Kern aus Palatin und Velia zu verschmelzen begannen,1 andere Stadtteile, wie die colles, die in der Liste des Antistius Labeo nicht erwähnt werden, aber vorerst noch ausgeschlossen blieben.2

3.7. Die Integration der colles Die sogenannten colles Latiaris, Mucialis, Quirinalis, Salutaris und Viminalis, die die spätere Region Collina bildeten, wurden in die bereits bestehende Stadt des Septimontium integriert. Die Quellen verbinden den bedeutendsten dieser Hügel, den Quirinal, mit dem legendären Sabinerkönig Titus Tatius, der hier mit seinen Begleitern gesiedelt haben und von Numa Pompilius in die Stadt aufgenommen worden sein soll. Titus Tatius soll wie auch der zweite römische König aus der Sabinerstadt Cures stammen.3 Zahlreiche Forscher glaubten an einen historischen Kern dieser Überlieferung und vermuteten eine Verschmelzung zweier gleichberechtigter, ethnisch differenzierbarer Gemeinden auf dem Palatin (Latiner/Albaner) bzw. dem Quirinal (Sabiner), die durch die porta Ianualis verbunden gewesen seien und in dem Comitium bzw. Forum Romanum einen gemeinsamen Versammlungsplatz gehabt hätten.4 Sie verwiesen dabei u.a. 1

Cf. C. Ampolo, AL 4, 1981, 233-236; C. Fayer, op.cit., 31: „Nel ‘Septimontium’ bisogna quindi vedere riflesso un momento formativo della città arcaica, l’aggregazione intorno al ‘Palatium’ di altri insediamenti sparsi sui colli...“ Ähnlich: J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 91f., 110ff., 117, der die Entstehung des Festes an das Ende der präurbanen Phase IIA (d.h. kurz vor 850) datierte und eine demographische Expansion als Ursache vermutete. 2 C. Ampolo, Periodo IVB (640/30-580 a.C.), DArch 2, 1980, 168ff.; id., La città arcaica e le sue feste: Due ricerche sul Septimontium e l’Equus October, AL 4, 1981, 234 und 239, Anm.16, ging von der Teilnahme auch der montani des Quirinal und Viminal an dem Fest aus, so wie es von Varro berichtet wird. Dies führte ihn dazu, die Existenz einer Stadt des Septimontium vor Mitte des 7. Jahrhundert abzulehnen, da Rom zu so früher Zeit kaum sämtliche anderen latinischen Städte an Fläche übertroffen haben könne. 3 Fabius.frg.8Peter=10Beck-Walter (ap.Dion.2.38.1-40.2); Varr.ling.5.51; Liv.1.13; Dion.2.36ff. Herkunft des Titus Tatius: Liv.1.13.5; Fest.304L; Varr.ling.6.68. Numa: Cic.rep.2.13.25. 4 Für eine frühe Sabinersiedlung auf dem Quirinal cf. u.a. De Sanctis, StRom I, 389ff.; A. Piganiol, Essais sur les origines de Rome, Paris 1917, 87ff.; De Francisci, Primordia Civitatis, 46ff.; Heurgon, La

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

75

auf die archäologischen Spuren einer frühen Besiedlung des Quirinal, einige Toponyme (Capitolium Vetus), die mit dem Hügel verbundenen sabinischen Gottheiten (Quirinus) und mehrere politische (Doppelkönigtum: Romulus/Titus Tatius1) und religiöse Doppelinstitutionen (Salii Palatini/Collini, luperci Quinctiales/Fabiani), die an einen Synoikismos denken lassen könnten. In jüngerer Zeit erhielt die These Rückhalt durch die Studie Ziolkowskis zu den republikanischen Tempeln, die sich auf zwei der vier servianischen Regionen, die Collina (10) und die Palatina (9), verteilen.2 Zumeist wird davon ausgegangen, daß eine solche Doppelgemeinde vor der angeblichen Stadtgründung des Romulus im 8. Jh. existierte.3 Der Einfluß der sabinischen Kultur auf das werdende Rom hat zweifellos bedeutende Spuren in Kult, Institutionen und Sprache der Römer hinterlassen, wenn diese auch nicht immer in der postulierten Klarheit nachweisbar sind.4 Bereits um die Mitte des 9. Jhs. verließen die Sabiner ihre angestammte Heimat im Velina-Becken und zogen entlang des Tibers nach Latium. Die Formierung einzelner Dörfer wie Cures, das als Heimatort des Titus Tatius und des Numa Pompilius gilt, Ocriculum, Poggio Sommavilla und Campo del Pozzo (und Magliano Sabina?) könnte auf diese Wanderbewegung zurückzuführen sein.5 Daß im Zuge dieser Bewegung auch eine sabinische Siedlung auf dem Quirinal entstand, kann bislang jedoch nicht nachgewiesen werden. Keine materiellen Reste deuten auf eine sabinische Besiedlung des Hügels.6 Die sabinischen Gottheiten und die republikanischen Doppelinstitutionen sind nicht notwendigerweise das Resultat eines Synoikismos zweier autonomer Gemeinden; sie lassen sich mit einer nachfolgenden Integration und Übernahme der Kulte und Institutionen in die sich ausdehnende Palatingemeinde erklären.7 Auch die Verteilung der republikanischen Heiligtümer erlaubt aufgrund des späten Befundes keine Rückschlüsse auf eine Zweiteilung der archaischen römischen Gemeinschaft und ihrer Institutionen.8 Von zentraler Bedeutung für die Ausbildung der gemeinsamen politischen und sakralen Verfassung war das 7. und beginnende 6. Jh.; in dieser Zeit ist jedoch kein gewaltsames Vordringen der Sabiner wie zu Beginn der Eisenzeit nachzuweisen. Eine ÜberMéditerranée, 81f., 89ff.; E. Peruzzi, Aspetti culturali del Lazio primitivo, Florenz 1978, 57f.; Alföldi, VER, bes.162-180; Grandazzi, Fondation, 119f., 262f.; Carandini, Geburt Roms, 398ff. 1 Cf. jetzt P.M. Martin, La tradition de la double royauté dans la Rome des origines, in: V. Fromentin/S. Gotteland (Hrg.), Origines Gentium, Bordeaux 2001, 241-262. 2 Ziolkowski, Temples, 269f., 309. 3 Cf. S.74f., Anm.4. 4 Cf. Cornell, Beginnings, 76. 5 Cf. Carandini, Geburt Roms, 401f. 6 Cf. J. Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 91. 7 Gegen die These einer Doppelgemeinde cf. Th. Mommsen, Die Tatiuslegende, Hermes 21, 1886, 570ff=GS IV,1, 22-35; E. Pais, Ricerche sulla storia e sul diritto pubblico di Roma I, Rom 1915, 347364; G. Dumézil, L’idéologie tripartite des Indo-européens, Brüssel 1958, 101f.; H. Müller-Karpe, Zur Stadtwerdung Roms, Heidelberg 1963, 44ff.; Poucet, Recherches, 5-75, bes.6-17; id., L’importance du terme «collis» pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, 113; Castagnoli, Topografia, 8-12, 160; Ampolo, Gruppi etnici, 49ff.; A. Momigliano, Interim Report, 103; id., The Origins of Rome, CAH 2VII,2, 86f.; G. Franciosi, Sepolcri e riti di sepoltura delle antiche gentes, in: Ricerche I, 12f. und Anm.28, 59; G. Prugni, Athenaeum 65, 1987, 130; Kolb, Rom, 59f. 8 U.a. glaubten Mommsen, RSt III,1, 115, und Carandini, Geburt Roms, 381ff., 393, an die Existenz einer dem Septimontium analogen Sondereinrichtung für die Quirinalstadt.

76

Die Stadtwerdung

nahme sabinischer Institutionen und Gottheiten könnte am ehesten durch die kontinuierliche, friedliche Zuwanderung sabinischer Familien bewirkt worden sein, deren Bedeutung im Kontext einer allgemein zu beobachtenden Mobilität der zentralitalischen Gesellschaft während des 7. und 6. Jhs. gewichtet werden muß.1 Die bedeutenden patrizischen gentes Claudia, Valeria und Veturia waren sabinischer Herkunft und scheinen gegen Ende des 6. Jhs. in die civitas integriert worden zu sein.2 Die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Gegend um die Tiberfurt führte stets Familien und Händler unterschiedlichster Herkunft zusammen. Daß sich diese Familien nach Ethnien getrennt auf den Hügeln niederließen, ist nicht nachzuweisen; vielmehr ist von einer Verteilung auf alle bzw. eine Vielzahl der Hügel auszugehen, die sich nach den jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Interessen der einwandernden gentes und Familien richtete.3 Die Überlieferung um den Sabinerkönig Titus Tatius ist vermutlich eine Erfindung, die ihren Ursprung in der Bedrohung Roms durch die Sabiner während des 5. Jhs. hatte.4 Mit der Nichtnachweisbarkeit einer sabinischen Siedlung auf dem Quirinal entfällt ein wichtiger Grund, der oft für eine frühe Verschmelzung der colles mit den montes angeführt wurde. Natürlich gilt es, die Frage der Sabinität der colles von der Frage des Synoikismos zweier gleichberechtigter Städte zu trennen. Fehlende Belege einer ethnisch homogenen Sabinersiedlung auf den colles schließen die Entwicklung einer autonomen Stadt auf dem bedeutendsten collis, dem Quirinal, nicht per se aus. Auch andere Aspekte deuten jedoch eher auf eine späte Integration der colles in die ihnen übergeordneten montes. Wichtig ist das Fehlen der colles in der Aufzählung der Teilnehmer am Septimontium bei Antistius Labeo, der der Vorzug vor der varronischen Aufzählung zu geben ist.5 Während acht montani in der Gemeinde des Septimontium vereinigt waren, ist nicht bekannt, daß es für den Quirinal eine analoge Sondereinrichtung gegeben hätte. Im Fall einer Verschmelzung von zwei gleichbedeutenden Siedlungskomplexen wäre es zu erwarten gewesen, daß dieses Ereignis zur Entstehung eines gemeinsamen Einigungsfestes geführt hätte, von dem sich Spuren in der Überlieferung gehalten haben müßten. Livius stellt im Gegensatz zu Dionysius Vimi1

Cf. J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 129-135; M. Pallottino, ANRW I,1, 1972, 31f.; id., Origini, 157f.; C. Fayer, op.cit., 33f.; A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 79f.; Cornell, Beginnings, 76. 2 Valerii: Liv.1.58.6, cf. Poucet, Rois de Rome, 325 und Anm.207. Daß die Valerii aus der Gegend von Satricum stammten, wie zuletzt M.A. Levi, Il Lapis Satricanus e le genti romane, RIDA 42, 1995, 195-219, bes.201, aufgrund des Lapis Satricanus vermutete, ist eher unwahrscheinlich, cf. Kap.IV.8.3.4. Zu den Claudii: Kap.IV.6.3.2. Zu den Veturii: Kap.IV.6.3.10. 3 Auch der Esquilin weist sabinische Siedlungsspuren auf, cf. G. Colonna, Preistoria e protostoria di Roma e del Lazio, in: Popoli e civiltà dell’Italia antica, Bd.2, Rom 1974, 334. Sabinische gentes werden sich mit anderen indigenen und fremden (etruskischen) gentes auf die drei ältesten gentilizischen Tribus verteilt haben (cf. Kap.II.3.1). 4 Cf. Poucet, Recherches, 415-426, gefolgt von P. Brunt, The Enfranchisement of the Sabins, in: J. Bibauw (Hrg.), Hommages à Marcel Renard, Bd.2, Brüssel 1969, 127. Th. Mommsen, Die Tatiuslegende, Hermes 21, 1886, 570ff.=GS IV,1, 22-35, vermutete, die Tatiuslegende sei erst nach der Verleihung des Vollbürgerrechts an die Sabiner (268 v.Chr.) entstanden, ging aber dennoch von einer Vereinigung Roms im Sinne eines Synoikismos dreier autonomer Gemeinden aus Latinern, Etruskern und Sabinern aus. 5 Cf. F. Coarelli, s.v. „Septimontium“, LTUR IV, 1999, 268.

Phasen des Stadtwerdungsprozesses

77

nal und Quirinal an das Ende der Integrationskette der einzelnen Hügel.1 Ferner ist die Benennung der Hügel von Interesse: Die Autoren der Republik und frühen Kaiserzeit benutzten den Terminus collis vor allem in bezug auf Viminal und Quirinal, während die anderen Anhöhen alleinstehend bzw. in Zusammenhang mit dem Gattungsbegriff mons genannt wurden.2 Die römischen Geschichtsschreiber maßen der nordöstlich der Kernstadt gelegenen Hügelzone offenbar aufgrund ihrer spärlichen Besiedlung nur eine zweitrangige Bedeutung zu. Die undifferenzierte Bezeichnung der beiden Haupthügel als colles ist ein deutliches Indiz dafür, daß diese einst Eigennamen und keine Gattungsnamen waren und außerhalb der Stadt des Septimontium standen.3 Mit ihrer Eingliederung in die Stadt des Septimontium, die vermutlich erst unter Servius Tullius um die Mitte des 6. Jhs. erfolgte, war die Voraussetzung für die Entstehung der Region und Tribus Collina geschaffen.4 Dabei kam es offenbar zu keiner gleichberechtigten Verschmelzung der Institutionen beider Siedlungsareale, sondern zu einer Übernahme der Institutionen der montes – es ist an die bereits existierenden, sich auf dem Comitium und in den Curiae Veteres versammelnden Kurien sowie an die Tribus zu erinnern – durch die colles.5 1

Dion.2.62.5 datiert die Integration des Quirinal unter Numa, Liv.1.44.3 unter Servius Tullius. Dafür, daß die Darstellung gegenüber der des Dionysius den älteren Kern der literarischen Tradition enthält, cf. Poucet, Recherches, 6-17. 2 Cf. J. Poucet, L’importance du terme «collis» pour l’étude du développement urbain de la Rome archaïque, AC 36, 1967, 99-115. Zur Verwendung der Termini mons und collis cf. Castagnoli, Topografia, 46f.; J. Poucet, AC 36, 1967, 107; A. Fridh, Mons and Collis, Eranos 91, 1993, 1-12; M.K. Langdon, Classifying the Hills of Rome, Eranos 97, 1999, 98-107. 3 Cf. J. Poucet, art.cit., 105f. Ein Parallelfall stellt die Bezeichnung in Subura für in regione Suburana dar, cf. H. Erkell, Varroniana II, ORom 15, 1985, 63. 4 Cf. De Sanctis, StRom I, 182f.; G. Wissowa, Septimontium und Subura, 230-252; Beloch, RG, 202-204; Platner/Ashby, s.v. „Septimontium“, TD, 471-73; L.A. Holland, TAPhA 84, 1953, 16-34; E. Gjerstad, Legends and Facts of Early Roman History, Lund 1962, 23f.; id., Early Rome V, 38-41; F. Castagnoli, ArchClass 16, 1966, 176 (zurückhaltender in: Topografia, 11); Momigliano, Interim Report, 100; J. Poucet, BIBR 32, 1960, 25-73; id., AC 36, 1967, 99-115, bes.112, 114f.; R.T. Ridley, Klio 57, 1975, 171f.; R. Gelsomino, Varrone e i sette colli di Roma, Rom 1975; J. Park Poe, TAPA 108, 1978, 147-154; Richard, Origines, 138-142; C. Fayer, op.cit., 31; C. Ampolo, La città arcaica e le sue feste: Due ricerche sul Septimontium e l’Equus October, AL 4, 1981, bes.234f. Für eine frühere Angliederung der colles: G. Lugli, Studi minori di topografia antica, Rom 1965, 227f. (Das Septimontium setze als dritte Phase der Stadtentwicklung nach der Fusion von Palatin/Kapitol und Quirinal/Arx die Integration des Fagutal, der Carinae und eines Teils von Oppius, Cispius und Viminal voraus). Nach Thomsen, KST, 214f., erfolgte die Integration der colles vor 600. Servius Tullius habe keine weiteren Hügel der urbs hinzugefügt; die Stadt habe zum Zeitpunkt der Reformen bereits mit Ausnahme des Aventin alle klassischen sieben Hügel umfaßt. J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 110ff., 135, hielt eine Integration bereits in der ersten Hälfte bzw. Mitte des 8. Jhs. für wahrscheinlich. Cf. auch M. Pallottino, ArchClass 12, 1960, 26ff., dessen Abfolge „città veliense“, „geminata urbs“ (d.h. Stadt des Romulus und des Titus Tatius) und Septimontium, ebenfalls eine frühe Integration des Quirinal impliziert. Ferner: A. Carandini, Il Palatino e il suo sistema di montes, in: La Grande Roma, 80f. (zweites Viertel des 8. Jahrhunderts). 5 M. Pacciarelli, Sviluppi verso l’urbanizzazione nell’Italia tirrenica protostorica, in: La presenza etrusca in Campania meridionale. Atti del Convegno, Florenz 1994, 227ff., vermutete, die colles hätten bereits seit Beginn der frühen Eisenzeit mit der Siedlung des Septimontium eine gemeinsame politische Organisation geteilt. Die besprochenen Quellen deuten jedoch auf eine sukzessive Integration in die Stadt des Septimontium, die erst die Voraussetzung für die Ausbildung gemeinsamer politischer Organe

78

Die Stadtwerdung

Die Schaffung bzw. Übernahme einzelner Priesterschaften wie der Salii Collini mag an die Existenz gesonderter Priesterschaften erinnern und als Relikt einer einst autonomen sakralen Gemeinschaft zu deuten sein, sie erlaubt jedoch keine Aussage über die Existenz einer ausgeprägten städtischen Verfassung der Quirinalgemeinde, die angeblich mit der der montes verschmolzen sei.

4. Schriftliche Überlieferung und archäologische Erkenntnisse Am Ende dieses Überblicks über die Stadtwerdung erscheint es sinnvoll, die oben gewonnenen Ergebnisse zu den einzelnen Schritte dieses Prozesses mit der Darstellung der Annalistik zu vergleichen, die in die Geschichtswerke des Livius und Dionysius eingeflossen ist. Beide Autoren gehen für Rom von der Existenz einer Kerngemeinde auf dem Palatin und Kapitol aus, die durch die Integration benachbarter Gemeinden angewachsen ist; sie unterscheiden sich jedoch in der Beschreibung der Abfolge dieser Eingliederung. Livius und Dionysius stimmen darin überein, daß der Caelius unter Tullus Hostilius, Aventin und Ianiculum unter Ancus Marcius und Viminal/Esquilin unter Servius Tullius hinzugefügt wurden.1 Die Kernstadt habe aus Palatin und dem unter Romulus hinzugefügten Kapitol bestanden.2 Beide Autoren schöpften hier vermutlich aus einer Die Integration der Hügel nach annalistischer Vorstellung3

Romulus (753-717)

Titus Tatius

Dionysius

Palatin (1.88.2), Caelius, Kapitol (2.38) Quirinal (2.50.1)

Livius

Palatin (1.7.3), -Kapitol (1.12.1)

Numa Pompilius (716-674) Quirinal (2.62.5)

Tullus Hostilius Ancus Marcius Servius (673-642) (641-617) Tullius (578-534) Caelius (3.1.5) Aventin, Viminal, Ianiculum Esquilin (3.43.1) (4.13.2-3)

--

Caelius (1.30.1) Aventin, Ianiculum (1.33.2)

Viminal, Esquilin, Quirinal (1.44.3)

gewesen sein wird. 1 Caelius: Liv.1.30.1; Dion.3.1.5. Aventin/Ianiculum: Liv.1.33.2; Dion.3.43.1. Viminal/Esquilin: Liv. 1.44.3; Dion.4.32.2. 2 Liv.1.7. Das Kapitol wurde nach Liv.1.33.2 nach dem Synoikismos den Sabinern als Siedlungsplatz zugewiesen. 3 Cf. auch J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 137, Anm.43; J. Martínez-Pinna, Dionisio de Halicarnasso y la tradición sobre el fundador de Roma, Pallas 39, 1993, 95. Für eine detaillierte Diskussion der Versionen des Dionysius und Livius cf. Poucet, Recherches, 6ff. Die Regierungszeiten der Könige entsprechen denen der varronischen Tradition. Cf. Cornell, Beginnings, 119ff.

Schriftliche Überlieferung und archäologische Erkenntnisse

79

gemeinsamen Quelle.1 Dionysius unterscheidet sich von Livius2 darin, daß er die Aufnahme des Quirinal nicht erst unter Servius Tullius, sondern bereits unter Numa Pompilius bzw. Titus Tatius vollzogen sieht. In seiner Darstellung dominiert die Auffassung eines frühen Synoikismos zwischen Palatin und Quirinal, zwischen römischer und sabinischer Siedlung, während für Livius der Quirinal erst unter Servius Tullius in die urbs integriert wurde. Die livianische Darstellung kann ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit beanspruchen. Zum einen widerspricht sich Dionysius, da er die Hinzufügung von Aventin (?) und Caelius zwei Königen gleichzeitig zuweist.3 Er selbst ordnet die Eingliederung des collis Viminalis, der siedlungsgeschichtlich und geologisch eng mit dem Quirinalis verbunden war, in die Herrschaft des Servius Tullius ein. Die Integration des Quirinal unter Titus Tatius beruht auf der mythischen Vorstellung eines Bündnisses zwischen Römern und Sabinern, personifiziert durch Romulus und Titus Tatius, die auf das engste mit den Palatin- und Quirinalgemeinden verbunden waren. Zum anderen fehlt der Quirinal mit den anderen colles in der Aufzählung der am Fest des Septimontium teilnehmenden Siedlungen, so daß er erst zu einem späten Zeitpunkt mit diesen Gemeinden verschmolzen sein wird. Auch die Darstellung des Livius weist Aspekte auf, die mit den Erkenntnissen der modernen Forschung nicht in Einklang zu bringen sind. So müssen der Esquilin und seine Teilhügel Oppius und Cispius bereits vor Viminal und Quirinal in die Stadt integriert worden sein, da jene bereits Bestandteile des Septimontium waren. Kapitol, Ianiculum und Aventin lagen außerhalb des pomerium bzw. der Stadtmauern und werden auch nicht von Antistius Labeo bei der Aufzählung der montes des Septimontium erwähnt. Da das Septimontialfest, wie oben gezeigt wurde (Kap. I.3.6), eine frühe Phase der Stadtentwicklung abbildete, sind die Nachrichten bezüglich der frühen Eingliederung des Kapitol, Aventin und Ianiculum, deren Bewohner nicht an dem Fest teilnahmen, als unhistorisch zu beurteilen. Für die späte Angliederung des Kapitol und den Aventin können sakrale Gründe geltend gemacht werden,4 während der Ianiculum wohl aufgrund seiner exponierten Lage am rechten Tiberufer und der Stationierung einer militärischen Besatzung nicht in das Stadtgebiet einbezogen wurde. Es ist ferner 1

Cf. J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 125. Liv.2.50.1, 62.5. 3 Dion.2.37.1; 2.50.1. Zur territorialen Erweiterung unter Servius Tullius: Dion.4.32.2; Strab.5.3.7 (C 234): ½legxe d Sšrouioj t¾n œkleiyin· ¢nepl»rwse g¦r prosqeˆj tÒn te 'Hskul‹non lÒfon kaˆ tÕn 'Ouim…nalin. Liv.1.44.3: Addit duo colles, Quirinalem Viminalemque; inde deinceps auget Esquilias (Gronov. Esquiliis). Cf. Castagnoli, Topografia, 12; C. Ampolo, Periodo IVB (640/30580 a.C.), DArch n.s. 2, 1980, 170; J.-Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 128-131, der mit Recht gegen die Auffassung von Poucet, Recherches, 6ff., bes.10, eintrat, nach dem die livianische Darstellung lediglich ein frühes Stadium der progressiven Entwicklung der Sabinerlegende darstellt. Die Mehrheit der Quellen stimmt mit der livianischen Beschreibung überein: Vir.ill.7.6: Collem Quirinalem et Viminalem et Esquilias urbi addidit. Eutr.1.7: Montes tres, Quirinalem, Viminalem, Esquilinum, urbi adiunxit. Hier.chron.II, S.95Sch: Tres montes urbi addidit, Quirinalem, Aesquilinum, Viminalem. Besonders umstritten ist der Zeitpunkt der Integration des Caelius, cf. Varr.LL.5.46; Paul.Fest.38, 26ff.L (beide Romulus); Eutr.1.4; Dion.3.1.5 (beide Tullus Hostilius); Strab. 5.3.7; Cic.rep.2.18.33 (beide Ancus Marcius); Tac.ann.4.65 (Tarquinius Priscus); Orat. Claud. CIL XIII. 1668 (Servius Tullius). 4 Cf. Mommsen, RSt III,1, 115, 165ff. Nach Kolb, Rom, 66, erklärt sich der Ausschluß des Aventin damit, daß dieser Hügel auch zu Beginn der Etruskerherrschaft noch nicht zum besiedelten Areal Roms gehörte. Cf. jedoch Liv.1.33.2. 2

80

Die Stadtwerdung

aufschlußreich, daß weder Livius noch Dionysius den Zeitpunkt der Angliederung von Cermal und Velia verzeichnen. Dies mag in dem frühen Synoikismos der hier liegenden Gemeinden mit der Gemeinde des Palatium begründet gewesen sein. Vergleicht man die aufgrund der Analyse archäologischer und schriftlich-antiquarischer Quellen gewonnen Erkenntnisse über die frühe Expansion Roms mit den Schilderungen des Dionysius und Livius, so sind letztere jedoch nicht in allen Punkten unglaubwürdig. Vier zentrale historische Fakten kristallisieren sich aus ihren Werken heraus: Die Priorität einer geeinten Palatinsiedlung als Keimzelle der Stadt und ihre schrittweise Ausdehnung spiegeln den historischen Prozeß der Stadtwerdung wider. Die Auffassung eines frühen Synoikismos zwischen Quirinal- und Palatinsiedlung findet sich lediglich bei Dionysius, der ihr jedoch zugleich widerspricht, indem er die Integration des Quirinal als Werk des Numa und nicht des Romulus darstellt. Ferner enthalten die Darstellungen den wahren Kern einer sukzessiven Integration des Caelius, der Bestandteil der Gemeinde des Septimontium war, und des Quirinal/Viminal, die bereits zu der erweiterten Vierregionenstadt gehörten. Schließlich bestätigt das Fehlen von Fagutal und Subura in diesen Darstellungen die bereits oben gewonnene Erkenntnis, nämlich daß beide Toponyme aufgrund ihrer Bedeutung als Wohngebiete mit eigenen Kulten (Argeer) in die Gemeinde des Septimontium integriert wurden. Die Quellen des Dionysius und Livius hielten ihre Erwähnung im Rahmen der territorialen Ausdehnung der urbs für nicht notwendig, da sie offenbar wie Varro von einer orographischen Bedeutung des Wortes mons bzw. montani ausgingen. Der historische Prozeß der Stadtwerdung kann nur grob zeitlich differenziert werden. Weder die traditionellen Herrschaftszeiten der Könige noch die ihnen von der Annalistik zugewiesenen Eingliederungen der Hügel bieten ein verläßliches Raster. Die vergleichende Analyse der archäologischen und antiquarischen Quellen erlaubt es, folgende Phasen zu eruieren. Phasen des Stadtwerdungsprozesses 750: Dörfliche Siedlungen auf den Hügeln des späteren Rom (Palatin, Cermal, Velia, Quirinal, Kapitol, Caelius...) (präurban). Ca. 725: Ummauerung des (westlichen?) Palatin. Dabei Zusammenfassung der Gemeinden Cermal und Palatium (protourban). Ca. 700-650/625: Formierung der Kernsiedlung aus Palatin, Cermal und Velia (protourban). Ca. 650/625-550/525: Erweiterung durch Caelius, Subura und Esquilin (Oppius/Cispius). Entstehung der Gemeinde des Septimontium (protourban/urban). Ca. 550/525: Hinzufügung der colles (Quirinal, Viminal). Vierregionenstadt (urban).

Zusammenfassung

81

5. Zusammenfassung Die Annahme eines frühzeitig zu Ende gelangten Stadtwerdungsprozesses (Pallottino, Colonna, Carandini) ist zu korrigieren. Man wird einen solchen weder mit Hilfe des institutionellen Rahmens der Romulus-Ära noch mit Hilfe der archäologischen Daten aus dieser Zeit begründen können. Die Darstellung der grundlegenden römischen Institutionen als Werk des Romulus unterliegt der tendenziösen Fälschung der Annalistik. Die Siedlungen auf Palatium und Cermal hatten im 8. Jh. noch dörflichen Charakter, wie die hier entdeckten Fundamente eisenzeitlicher Hütten bestätigen. Diese dörfliche Siedlungsstruktur schließt aus, daß es bereits ein komplexes gesellschaftliches und institutionelles Gefüge gab, wie es die Quellen für die Herrschaft des Romulus voraussetzen. Ein einmaliger Gründungsakt Roms muß nicht der Auffassung von einem graduellen Ausdehnungsprozeß der Stadt widersprechen.1 Nur wird ein solcher Gründungsakt nicht auf dem Palatin der Mitte des 8. Jhs. vermutet werden können. Die Stadtwerdung fand nicht ihren Abschluß, sondern allenfalls ihren Ausgangspunkt in der (Teil-) Ummauerung des Hügels, der bereits die Siedlungen des Cermalus und Palatium vereint haben könnte und in der Folgezeit zur Integration weiterer Hügelgemeinden führte. Eine wichtige Station in diesem Prozeß bildete die Gemeinde des Septimontium. Sie kann keinesfalls einer Phase vor der Ummauerung der Palatinsiedlung zugeordnet werden. Die Analyse der schriftlichen und archäologischen Quellen hat gezeigt, daß der Palatin zum Gründungszeitpunkt des Festes bereits eine dominante Position gegenüber den anderen, am Fest teilnehmenden Hügelbewohnern hatte. Die Nennung des Cermalus, der vermutlich ebensowenig wie der Fagutal eine orographische Einheit bildete,2 und der Velia unter den Toponymen des Septimontium sprechen gegen eine Teilnahme autonomer Hügelsiedlungen. Vielmehr handelt es sich um ein Fest der jungen zusammenwachsenden Gemeinde Rom, die sich mit diesem Fest der Solidarität der gewachsenen Teilsiedlungen versicherte, ohne ihren historischen Ursprung zu verleugnen. Die gesonderte Auflistung von Cermalus und Palatium zeugt somit nicht von einem Zustand vor Einigung der Palatingemeinde (ca.725), sondern findet ihre Erklärung in der spezifischen Bedeutung des Begriffes mons als Siedlungsgemeinschaft. Das Septimontium erscheint als protourbanes und urbanes Fest zugleich. Während seiner Existenz vollzog sich vermutlich die entscheidende Fusion, die die zuvor autonomen Hügelgemeinden institutionell und wirtschaftlich zu einer politischen Einheit zusammenfügte. Die Existenz einer urbanen Struktur mit zentralen sakralen und politischen Bauten ist, wie oben gezeigt wurde, für das ausgehende 7. Jahrhundert nachweisbar: Erst mit der Trockenlegung des Forum, ca. 100 Jahre nach Befestigung der Palatinsiedlung, und der Einrichtung gemeinsamer politischer Versammlungsorte (Comitium, Curia Hostilia, Regia) in dem neu geschaffenen öffentlichen Raum erhielt die Septimontialgemeinde jene urbane und politische Gestalt, die eine Bezeichnung als Stadt rechtfertigt. 1 Carandini, Geburt Roms, und Grandazzi, Fondation, haben dies gegenüber älteren Auffassungen gezeigt. 2 Cf. Kap.V.3.3.

82

Die Stadtwerdung

Diese äußeren Veränderungen sind umso bedeutender, als sie mit dem revidierten Beginn der Königsherrschaft in Rom zusammenfallen, deren traditionelles Datum 753 aufgrund quellenkritischer Überlegungen nicht haltbar ist.1 Der Zeitpunkt der Integration der colles Quirinal und Viminal in die Stadt des Septimontium läßt sich nicht genau klären; wahrscheinlich ist jedoch das fortgeschrittene 6. Jahrhundert. Die mögliche Ersteinrichtung des pomerium in Zusammenhang mit der Festlegung des Stadtzentrums (mundus), die Einteilung der Stadt in Regionen und compita und die Gründung der vier Stadttribus zeugen von einer tiefgreifenden Umgestaltung der urbs. Der Stadtwerdungsprozeß könnte somit von der zweiten Hälfte des 7. bis zur 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts mehrere bedeutende Fixpunkte gehabt haben, die die Entstehung einer Stadt im baulichen und institutionellen Sinn beschleunigten. Diese Fusionsschübe werden ihre Ursache weniger in einer sakralen Stadtgründung als in politischen (Kurien, Königsherrschaft), militärischen (Hoplitenwesen, Zensus), monumentalen (Comitium, Stadtbefestigung), administrativen (vier Regionen) und ökonomischen (Übergang von einer agropastoralen zu einer agrarischen Wirtschaft) Innovationen und Veränderungen gehabt haben.2 Daß die Tribus zu den wichtigen militärischen und politischen Neuerungen gehörten, wird im folgenden Kapitel zu zeigen sein.

1

Cf. Kap.II.8. In diesem Sinn M. Pallottino, ANRW I,1, 1972, 36: „Ambedue i processi, di fusione e di ingrandimento, possono aver concorso alla formazione di Roma in circostanze e in momenti diversi.“

2

II. Die drei ältesten Tribus Nachdem der historische Kontext der Gründung der ältesten Tribus beschrieben wurde, sollen in diesem Kapitel die Funktionen und Eigenschaften der Tribus analysiert werden. Dieser Schritt erlaubt es, die Tribus in einen Kontext mit vergleichbaren Einheiten anderer mediterraner Zivilisationen zu stellen und Vermutungen über ihren Ursprung zu äußern. Zunächst sind jedoch die in der Forschung vertretenen Thesen zur Natur und Genese der ältesten drei Tribus vorzustellen.

1. Die Forschung Der Tradition nach setzte sich Rom ursprünglich aus den drei Tribus der Tities, Ramnes und Luceres zusammen, die zumeist mit den mythischen Namen Titus Tatius Romulus und Lucumo verbunden werden.1 Nur wenige moderne Autoren bestritten grundsätzlich die Existenz von drei Tribus wie J. Poucet, der glaubte, daß die Tities, Ramnes und Luceres Reiterzenturien waren und ihre Definition als Tribus als das Ergebnis einer späten Umdeutung zu werten ist.2 Dabei wird der Darstellung des Livius, der in vorservianischer Zeit angeblich keine Tribus, sondern nur die besagten Reiterzenturien kenne, eine höhere Glaubwürdigkeit als Autoren wie Dionysius, Cicero und Festus beigemessen.3 Die meisten Forscher hielten jedoch die drei ältesten römischen Tribus für historisch. Nach einigen geht die Dreiteilung der römischen Gesellschaft in Tribus dem Eintritt der Sabiner und Etrusker in den römischen Staatsverband voraus und spiegelt ein Stammeserbe wider, das nicht nur den zu Anfang des 1. Jahrtausends in Latium eingewanderten Latinern, sondern auch anderen indoeuropäischen Völkern wie den Skythen und Persern gemein war. Für G. Dumézil offenbarte sich in der Tribusgliederung eine ursprüngliche sozial-funktionale Dreiteilung der Gesellschaft in Produzenten (Tities), Priester (Ramnes) und Krieger (Luceres). Diese Gruppen seien auf religiöser Ebene mit den drei Gottheiten Quirinus, Jupiter und Mars sowie mit ihren flamines, verbunden gewesen.4 Die Dreiteilung sei ursprünglich allen indoeuropäischen Stämmen gemein gewesen und habe die soziale Hierarchie der Gesellschaft abgebildet. Der französische Forscher versuchte, den Charakter der römischen Kurien 1

Cic.rep.2.14. Die Ableitung der Ramnes von Romulus und der Tities von Tatius geht auf Ennius, die der Luceres von Lucumo auf Iunius Gracchanus zurück, cf. Varr.ling.5.55. Cf. auch Kap.II.8. Poucet, Recherches, 333-371, bes.333ff., 383, Anm.159; id., Les origines de Rome. Tradition et histoire, Brüssel 1985, 101f., gefolgt von Musti, Tendenze, 48. Cf. bereits B. Niese, GGA 1888, 957f.; id., Grundriss der römischen Geschichte, München 1910, 34; E. Bormann, Die älteste Gliederung Roms, Eranos Vindobonensis 1893, 345-358; Hirschfeld, Geschichte der Tribus, 248. 3 Liv.1.8; 1.13.8; Dion.3.71.1; Cic.rep.2.20.36; Fest.168, 170L, s.v. „Navia“. 4 G. Dumézil, Jupiter, Mars, Quirinus IV. Explication de textes indiens et latins, Paris 1948, 121-136; id., L’héritage indo-européen à Rome. Introduction aux séries «Jupiter, Mars, Quirinus» et «les mythes romains», Paris 1949, 201-204; id., L’idéologie tripartite des Indo-Européens, Paris 1958, 13ff.; id., La religion romaine archaïque, Paris 1966; id., Mythe et épopée. L’idéologie des trois fonctions dans les épopées des peuples indo-européens, Paris 1968, 7-15; id., Idées romaines, Paris 1969. 2

84

Die drei ältesten Tribus

und Tribus insbesondere durch einen Vergleich mit indischen Institutionen zu erhellen.1 An einen Synoikismos von funktional differenzierten Verwandtschaftsverbänden glaubte im Anschluß an G. Dumézil auch A. Alföldi: Erst spät hätten die Römer in Unkenntnis des dreiteiligen Organisationsschemas ihrer prähistorischen Vergangenheit, das auf einer gemeinsamen italischen Grundlage beruhte, die Tribus mit drei völkischen Elementen identifiziert.2 Während Dumézil von der Voraussetzung ausging, daß die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft ein gemeinsames indoeuropäisches Erbe war, glaubte A. Alföldi allerdings, daß sich diese Dreiteilung nur in einem ostindogermanischen Kreis im Laufe einer späteren Entwicklungsphase voll und ganz durchsetzen konnte.3 Lediglich bei den Persern, Skythen und Doriern hätten die dreigeteilten Jäger- und Viehzüchtergesellschaften bzw. die drei mobilen Verwandtschaftsverbände, die als deren Grundlage dienten,4 nach ihrer Seßhaftwerdung ihre besonderen, in historischer Zeit bekannten Formen ausbilden können.5 Bei den westlichen Indogermanen hingegen sei die primäre Zielsetzung der Dreigliederung bewahrt worden.6 Diese Stammesabteilungen, die sich in Latium um den Königssitz am Albanerberg niederließen, hatten sich erst allmählich zu jenen dörflichen Gemeinschaften entwickelt, die die Voraussetzung für den Stadtwerdungsprozeß des 7. Jahrhunderts darstellten. Ein zentraler Beleg für die gemeinsame italische Vergangenheit des Drittelungssystems sei die Entsprechung der lateinischen tribus mit der umbrosabellischen trifu. Die etruskischen Namensformen der Tities, Ramnes und Luceres sprächen nicht gegen diese Annahme, da zwischen Herkunft und Vermittlung der Namen – und um letztere handele es sich allem Anschein nach – zu unterscheiden sei. Das Dreierschema gehe auch dem Eintritt der Sabiner in den Römerstaat, der mit einem zweiteiligen Organisationsschema verbunden gewesen sei, voraus und habe seinen Ursprung in der Wanderzeit und der Ansiedlung der in drei Tribus gegliederten 1

Zu den Forschungen Dumézils cf. A. Momigliano, G. Dumézil e l’approccio trifunzionale alla civiltà romana, in: id., Saggi di storia della religione romana. Studi e lezioni 1983-1986, hrg.v. R. Di Donato, Brescia 1988, 45-66; Poucet, Rois de Rome, 371-449. Unter den zahlreichen Anwendungen und Weiterentwicklungen cf. R. Ghirsman, Les tribus perses et leur formation tripartite, CRAI 1973, 210-221; C. Grotanelli, Servio Tullio, Fortuna e l’Oriente, DArch 5,2, 1987, 71-110; D. Briquel, A propos de Tite-Live, I: L’apport de la comparaison indo-européenne et ses limites, REL 76, 1998, 41-70. 2 Cf. Alföldi, VER, 42f., 58ff. 3 A. Alföldi, La struttura politica di Roma nei suoi primordi, RAL s.VIII, 18, 1972, 30-33. 4 Für einen dreiteiligen Aufbau der Familienverbände cf. E. Volterra, s.v. „Famiglia“, in: Enciclopedia del diritto, Mailand 1967, 4ff. 5 Für Athen verwies Dumézil auf die Gliederung der Bürgerschaft in Adel (eÙpatr…dai), Bauern (gewrgo…/gewmÒroi) und Handwerker (dhmiourgo…). Cf. etwa Arist.frg.385, Z.45. 6 Cf. auch Alföldi, VER, 43: „Bei den Römern war ein jeder sein eigener Opferpriester, sein eigener Krieger und sein eigener Nahrungsversorger.“ S.61: „Der Volksverband der späten Bronze- und frühen Eisenzeit mußte bis zur kleinsten Einheit durchorganisiert sein, da das Leben der Hirtenvölker viel stärker auf die Beweglichkeit eingestellt war als das seßhafter Ackerbauern. Die lückenlose Durchgliederung war sowohl für die rationelle Verteilung und Ausnützung des Weidelandes wie für die große Jagd, für die Sitzordnung bei den jährlichen Festversammlungen und vor allem für die ständige Verteidigung und Angriffsbereitschaft notwendig. Die natürliche Grundlage dieser mobilen Gesellschaft waren Familien und Sippen.“

Die Forschung

85

Verwandtschaftsverbände in getrennten Arealen Roms.1 Der gleiche Übergang von den Verwandtschaftsverbänden der Wanderzeit zur ortsgebundenen Lebensform lasse sich bei den Griechen beobachten (Hom.Il.2.655f./668).2 Der französische Indogermanist E. Benveniste glaubte zwar nicht an eine funktionale Dreiteilung der indoeuropäischen Gesellschaft, hielt es aber dennoch für möglich, mit Hilfe des Sprachvergleichs Grundzüge einer urindoeuropäischen Sozialstruktur zu rekonstruieren. Dabei kam er zu dem Ergebnis, daß das Individuum in vier Kreisen sozialer Zugehörigkeit integriert gewesen sei, die er als „Familie“, „Clan“, „Tribus“ und „Land“ bezeichnete.3 Zumeist vermutete man, die ältesten Tribus seien auf eine Vereinigung von drei verschiedenen Ethnien zurückzuführen, die sich erst nach der historischen Entwicklung der italischen Volksstämme auf römischem Boden niedergelassen hätten und hier zu einer Stadt verschmolzen seien. Diese Ansicht stützt sich vor allem auf Varro und Florus.4 Dabei werden seit Niebuhr die Ramnes zumeist mit der autochthonen römischen Bevölkerung und die Tities mit den von Titus Tatius hinzugebrachten Sabinern identifiziert.5 Uneinigkeit herrscht über die Identität der Luceres. Während die meisten Forscher in ihnen die unter Tullus Hostilius nach Rom übergesiedelten Albaner bzw. Latiner sahen, setzten andere sie mit den Begleitern des Tarquinius Priscus gleich, dessen etruskischer Name nach antiker Auffassung Lucumo lautete.6 1

Alföldi stützte sich vor allem auf Varr.ling.4.9, 5.33/55; Dion.2.7.4; 3.9.6. Dumézils Ansatz blieb nicht einflußlos auf die römische Historiographie der Moderne. Cf. etwa H.H. Scullard, A History of the Roman world 753 to 146 B.C., 67: „They (sc. the tribes) probably do not represent three original settlements of Romans, Sabines and Etruscans and may even comprise groupings that existed before Rome in any sense became a city.“ R. Merkelbach, Die Gliederung des Volkes in Zweier- und Dreiergruppen bei den Römern und anderwärts, in: W. Eck/H. Galsterer/H. Wolff (Hrg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte, Köln/Wien 1980, 87-99, bes.90, bezeichnete die Dreierstruktur bei Hirtenvölkern die „einfachste Form der Hierarchisierung.“ 3 E. Benveniste, Le vocabulaire des institutions indo-européennes, 2 Bde., Paris 1969. Cf. B. Jacquinod, Benveniste et „Les quatre cercles de l’appartenance sociale“, REA 92, 1990, 219-231, der die Unhaltbarkeit dieser These für den indo-iranischen Sprachraum nachgewiesen hat. 4 Varr.Vita pop.Rom.I, frg.5Rip=285Salv: Tities, Ramnes, Luceres: sed quod ea et propter talem mixturam immoderatam exacescunt, itaque quod temperatura moderatus in Romuli vita triplicis civitatis. Varr.ling.5.55: Ager Romanus primum divisus in partis tres, a quo tribus appellata Titiensium, Ramnium, Lucerum. Nominatae, ut ait Ennius, Titienses ab Tatio, Ramnenses ab Romulo, Luceres, ut ait Iunius, ab Lucumone; sed omnia haec vocabula Tusca, ut ait Volnius, qui tragoedias Tuscas scripsit, dicebat. Flor.epit.3.18.1: Quippe cum populus Romanus Etruscos, Latinos Sabinosque sibi miscuerit et unum ex omnibus sanguinem ducat, corpus fecit ex membris et ex omnibus unus est. Für diese Ansicht, die bereits von C.A. Volquardsen, Die drei ältesten römischen Tribus, RhM 33, 1878, 538-564, widerlegt wurde, cf. u.a. G.B. Niebuhr, Römische Geschichte I, 327ff.; A. Schwegler, Römische Geschichte, Bd.1, Tübingen 1853, 497ff.; Kubitschek, De Rom., 5; Willems, Sénat I, 22; Lübtow, Das römische Volk, 39f. 5 G.B. Niebuhr, Römische Geschichte I, 329ff.; Th. Mommsen, Römische Geschichte Bd.I, ND München 1986, 58; A. Schwegler, Römische Geschichte Bd.I, Tübingen 1853, 502ff.; E.v. Herzog, Geschichte und System der römischen Staatsverfassung, Bd.1, Leipzig 1884 (ND Aalen 1965), 24; L. Lange, Römische Alterthümer I, Berlin ³1876, 88ff.; Willems, Sénat I, 22; A. Bernardi, Nomen Latinum, Pavia 1973, 17f. C.W. Fröhner, Rom und die Ramnes, Philologus 10, 1855, 552-562, hielt die Ramnes wie die Tities für sabinischer Herkunft. 6 Varr.ling.5.55. Luceres als Latiner bzw. Albaner cf. die in Anm.5 zitierten Autoren. Luceres als Etrusker: J.N. Madvig, Die Verfassung und Verwaltung des römischen Staates, Bd.1, Leipzig 1881, 2

86

Die drei ältesten Tribus

Sprachliche Hinweise auf eine ethnische Dreiteilung glaubte G. Devoto zu erkennen.1 Er sah in den Tities, Ramnes und Luceres drei Gruppen indoeuropäischer Völker: Die Protosabiner (Typus rufus) die Protolatiner (rutilus) und die Protoitaliker (ruber).2 Bis heute erweist die multiethnische Stammesthese eine erstaunliche Zählebigkeit. Nach L.-R. Ménager etwa vermitteln angeblich alle religiösen, politischen und militärischen Fakten den Eindruck, daß Rom aus einem Synoikismos von drei Stammesgruppen entstanden ist, die unter Tarquinius Priscus verdoppelt worden seien.3 Von einigen Autoren wurden die ethnischen Unterschiede zu den sozialen Unterschieden in Beziehung gesetzt.4 Mehrere Forscher lehnten nicht zuletzt aufgrund des archäologischen Befundes eine ethnische Differenzierung der Tribus, die aus einem Synoikismos von Latinern, Sabinern und Etruskern auf römischem Boden entstanden seien, ab und plädierten stattdessen für einen ausschließlich etruskischen, latinischen oder italischen Ursprung der Institution. Sie hielten dabei zumeist an der Auffassung fest, daß es sich bei den Tribus um Stammeseinheiten – allerdings nur um Einheiten einer einzigen Ethnie – handelte, die bereits vor der Stadtgründung existierten.5 Für einen etruskischen Ursprung berief man sich vor allem auf eine Passage bei Varro und die Namen der römischen Tribus.6 Die These eines italischen Ursprungs stützt sich dagegen auf die Existenz der iguvinischen trifu, die angeblich die Schwesterorganisation der Tribus war und mit ihr einen gemeinsamen italischen Hintergrund geteilt haben könne. E. Täubler etwa hielt die „Drittelung des Stammes“ für die Urform der Tribus, die allen italischen Stämmen (nachweisbar für die Umbrer und Sabeller) gemein gewesen sei, und hielt die Tities, 97; Lübtow, Das römische Volk, 39f. 1 G. Devoto, Le origine tripartite di Roma, Athenaeum 31, 1953, 335-343=Scritti minori II, Florenz 1967, 348-354. 2 Contra: Alföldi, VER, 61. 3 Ménager, Collèges, 476ff. Für die ethnische These ferner: L.H. Ward, Roman population, territory, tribe, city, and army size from the Republic’s founding to the Veientane War, 509 B.C.-400 B.C., AJPh 111, 1990, 413, 418ff., 424. Auch M. Pallottino mochte zunächst (ANRW I,1, 1972, 38) eine ethnische Dreiteilung nicht gänzlich ausschließen, cf. jedoch id., Origini, 166f. 4 Nach A. Piganiol, Essai sur les origines de Rome, Paris 1916, 156ff., 244ff., waren die Ramnes latinische Patrizier, die Tities des Quirinal sabinische Plebejer und die Luceres „gentes minores“. J. Binder, Die Plebs, Leipzig 1909, 157-162, glaubte, daß die Tribus ausschließlich eine Organisation des patrizischen, auf dem Quirinal ansässigen populus Romanus Quiritium gewesen seien, trat allerdings zugleich gegen die ethnische These ein (S.144). 5 Täubler, Tribus; Momigliano, Tribù umbro-sabelle, 324, 327; Carandini, Geburt Roms, 280ff. 6 Varr.ling.5.55. Cf. Holzapfel, Tribus, 245-47; Schulze, LE, 218, 228, 581ff.; E. Kornemann, Polis und Urbs, Klio 5, 1905, 87f., Anm.6; Hirschfeld, Geschichte der Tribus, 248; C.W. Westrup, De tre ældste romerske Tribus, Nordisk Tidsskrift for Filologie 4, 1915, 129-145, bes.144; Ed. Meyer, Das römische Manipularheer, seine Entwicklung und seine Vorstufen, in: Abhandlungen der preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1923 Nr.3, 49, Anm.3; W. Peremans, Note sur les tribus et curies de la Rome primitive, AC 5, 1936, 443-447; F. Schachermeyr, s.v. „Tities“, RE VI A, 1937, 1537f.; A. Momigliano, Ricerche sulle magistrature romane, BCAR 60, 1932, 228ff.; id., Interim Report, 111; id., Tribù umbro-sabelle, passim; L. Pareti, Storia di Roma e del mondo romano, Bd.1, Turin 1952, 273ff.; S. Mazzarino, Sociologia del mondo etrusco e problemi della tarda etruscità, Historia 6, 1957, 100; L. Homo, Les institutions politiques romaines, Paris 1970, 9; G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte, Wiesbaden 31984, 16f. Dagegen: Beloch, RG, 228; J. Binder, Die Plebs, Plebs, 273; De Francisci, Primordia Civitatis, 539f.; Alföldi, VER, 60; Ménager, Collèges, 473f., Anm.1.

Die Forschung

87

Ramnes und Luceres für lokal-gentilizische Verbände, die nach Auflösung der Latiner, eines Teilstammes der Italiker, in Rom fortlebten.1 Ein latinischer Ursprung schließlich könnte sich aus einer engen Beziehung zwischen den auf römischem Gebiet siedelnden drei populi Albenses und den angeblich aus diesen Siedlungsgebieten hervorgegangen Tribus ergeben.2 Nach Mommsen repräsentierten die drei Tribus, die von ihm als „patricische“ beschrieben wurden, ursprünglich latinische Sondergemeinen mit einer eigenen staalichen Ordnung, die nach dem Friedensschluß zwischen Romulus und Titus Tatius zu einer Stadt verschmolzen seien.3 Einige Autoren widersprachen gänzlich der Beschreibung der Tribus als ethnisch homogene Einheiten und stellten sich die Tribus als künstliche Untergliederungen der fertigen Stadt vor, wobei sie sie zumeist als Personenverbände herausragender Familien bzw. gentes beschrieben. Die Ursprünge einer solchen Tribusorganisation glaubten sie nicht in einer fernen Stammesvergangenheit, sondern in einer städtischen Gesellschaft des etruskischen oder griechischen Kulturraumes zu erkennen, die in einem engen Kontakt zur römischen Gesellschaft stand.4 Für einen etruskischen Ursprung berief man sich einmal mehr auf die Tribusnamen. Ein griechischer Einfluß auf die Tribusgründung liegt dagegen aufgrund struktureller und funktionaler Gemeinsamkeiten zwischen Tribus und Phylen nahe. Daß ein solcher keineswegs einer späten Grün1 Nach Täubler, Tribus, 1-23, bes.15 und Anm.3, 18f., ist die Dreiteilung im Stamm als Notwendigkeit einer frühen Staatsgliederung überzeugender als die Dreigliederung innerhalb der kleinen palatinischen Stadt: „Im Stamm wird sie von dem weiten Raum verlangt und dient politischen Funktionen, in der Stadt wäre die Tribus nur ein hier entbehrlicher Oberbegriff der Curien... Aber dieser Vorgang einer Auflösung des Stamms und eines Fortlebens seines Tribusprinzips innerhalb der neuen Gemeinden kann noch durch griechische Analogie gestützt werden.“ Prosdocimi, Lessico, 39-44, trat zwar gegen die Bedeutung von Tribus als „Drittel“ ein, hielt aber dennoch einen italischen Ursprung der Tribus für möglich. Für einen solchen cf. auch De Martino, Costituzione I, 94. 2 Plin.nat.3.69. Cf. etwa Carandini, Geburt Roms, 290f., 512-524, der glaubte, daß sich die Tribus während der Phase des zweiten Septimontium (813-725) aus den früheren Siedlungsdistrikten (pagi) der populi entwickelten. Zu den populi Albenses cf. Kap.I.3.4, II.2.5.4. Für die Tribus als Stammesabteilungen der Latiner cf. ferner De Sanctis, StRom I, 252. 3 Mommsen, RSt III,1, 95-100 und 99, Anm.1, mit der Ansicht, in Cic.rep.2.14 habe sich die Überlieferung am reinsten erhalten. In seiner „Römischen Geschichte“ Bd.I, 58, glaubte Mommsen noch, daß die Tities einst eine sabinische Sondergemeinde, die beim Eintritt in die Gesamtgemeinde ihre Auspizialordnung (sodales Titii) bewahrt habe. Die Ramnes und Luceres hätten dagegen zum Latinerstamm gehört. Zurückhaltender äußerte er sich aber bereits in seinem Aufsatz „Die Tatiuslegende“, Hermes 21, 1886, 583. Dafür, daß die Tribus die Territorien von drei Dörfern vor der Stadtgründung bezeichneten cf. auch Gjerstad, Early Rome, V, 112-115. Contra: Ampolo, Gruppi etnici, 51f.; id., Paesaggio, 71-83. 4 Für eine künstliche, städtische Unterteilung etruskischen Ursprungs: Holzapfel, Tribus, 241, 253; W. Peremans, Note sur les tribus et curies de la Rome primitive, AC 5, 1936, 443-447; C.W. Westrup, Quelques recherches sur le problème des origines de Rome, RIDA 2,3, 1949, 569; E. Meyer, Römischer Staat, 28f.; Pallottino, Origini, 166f. Betonung der griechischen Parallelen: Ed. Meyer, Geschichte des Altertums V, 471f.; Ampolo, Paesaggio, 82; Cornell, Beginnings, 117; U. Walter, Der Aufstieg Roms, in: E. Erdmann/U. Uffelmann (Hrg.), Das Altertum. Vom Alten Orient zur Spätantike, Idstein 2001, 140. Für einen latinischen Ursprung: C.A. Volquardsen, Die drei ältesten römischen Tribus, RhM 33, 1878, 538, 564, 545 (Alba Longa). Für eine künstliche Untergliederung ohne Präzisierung der Herkunft: Beloch, RG, 269; Pais, StorRom I,1, 279; L. Quilici, Roma primitiva e le origini della civiltà laziale, Rom 1979, 310. A. Magdelain, De la royauté et du droit de Romulus à Sabinus, Rom 1995, 43, hielt die Tribus sowohl für ethnische als auch für städtische Untergliederungen.

88

Die drei ältesten Tribus

dung Roms in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. widerspricht, hat Cornell zu zeigen versucht. Demnach war Rom auch unter der Herrschaft der etruskischstämmigen Könige, die in erster Linie als eine Herrschaft fremder Clans, nicht aber als eine Herrschaft fremder Städte oder gar Ethnien charakterisiert werden könne, stets offen gegenüber auswärtigen kulturellen und politischen Einflüssen geblieben. In der Eigenschaft der Tribus als künstlicher Gliederungseinheit der Stadt glaubte der englische Forscher jenes Prinzip des archaischen Rationalismus wiederzuerkennen, das so charakteristisch für die Polisorganisation sei.1 Nach C. Ampolo überwiegen die Gemeinsamkeiten zwischen griechischen Phylen und römischen Tribus die Gemeinsamkeiten zwischen römischen tribus und italischen trifu.2 Die Tribus erscheinen wie die griechischen Phylen als territoriale Untereinheiten der Stadt und ihrer Bürgerschaft. In den sogenannten ethnischen Territorialstaaten, die in Bezirke (mere) eingeteilt waren, seien Tribus nicht bekannt. Dafür, daß Rom aus einer Verschmelzung dreier unabhängiger, als tribus zu bezeichnender Gemeindegebiete entstand, gebe es keine Belege.3 Bei den italischen Staaten bezeichne die Tribus (bzw. pars) der Umbro-Sabeller zwar auch das Territorium, jedoch nicht als Teil einer Stadt, sondern als das des gesamten Gemeindelandes. Es sei nicht sicher, daß die umbrische Tribus zugleich Teil des ethnischen Stammes war, wie Täubler behaupte. Fest stehe lediglich, daß trifu und pars keine städtischen Gliederungseinheiten waren, sondern allenfalls größere territoriale Einheiten bezeichneten. Offenbar handele es sich um zwei verschiedene Konzepte der Gliederung des Territoriums.4 Der Gründungszeitpunkt der Tribus wird in starkem Maße von der Funktion dieser Einheiten, ihrer Benennung und der Stadtwerdung abhängig gemacht. Die meisten Vertreter der ethnischen und städtischen These glaubten an eine Entstehung in Zusammenhang mit der Stadtgründung unter Romulus, wobei für die Vertreter der ethnischen These die hinter den Tribus stehenden Realitäten in vorstädtische Zeit zurückreichen.5 Sie stützten sich dabei auf die römische Überlieferung, die die Einteilung der Bürgerschaft in drei Tribus entweder gleich nach der Gründung der Stadt oder nach dem Hinzutritt der Sabiner, in jedem Fall aber noch in die Zeit des ersten legendären Königs, datiert.6 Andere, die die Tribus als künstliche Untergliederungen eines spät, unter etruskischem oder griechischem Einfluß entstandenen Stadtstaates qualifizier1

Cornell, Beginnings, 118, 171f. Ampolo, Paesaggio, 79f.; id., La nascita della città, in: Storia di Roma I, 169f. Ampolo, Paesaggio, 81. 4 Cf. Ampolo, Paesaggio, 71-83, und C.J. Smith, Servius Tullius, Cleisthenes and the Emergence of the Polis in Central Italy, in: L.G. Mitchell/P.J. Rhodes (Hrg.), The Development of the Polis in Archaic Greece, London/New York 1997, 208-216, sahen hinter den Tribus ein griechisches Modell der Stadtorganisation, das durch eine Situation der inneren Krise um 500 (Gründung der Landtribus) modifiziert worden sei. Sowohl Anhänger der Stammes- als auch Anhänger der Stadtthese hielten die Tribus für territoriale Einheiten, cf. Kap.II.4, V.2. 5 Für einen Ursprung der Tribus in der Zeit der voretruskischen Königsherrschaft: Ed. Meyer, Geschichte des Altertums V, 471; Pais, StorRom I,1, 279, Anm.1; Holzapfel, Tribus, 228-255; De Francisci, Primordia Civitatis, 537f.; Heurgon, La Méditerranée, 213; Alföldi, VER, 61, Anm.63. 6 Nach der Stadtgründung durch Romulus: Varro ap.Dion.2.47; Dion.2.7; Cass.Dio frg.5.8. Nach dem Zutritt der Sabiner: Cic.rep.2.14; Plut.Rom.20; Paul.Fest.106,13-15L s.v. „Lucereses“. Cf. Liv. 1.13.6ff.; Vir.ill.2.11. 2 3

Die Funktionen der Tribus

89

ten, datierten ihre Entstehung – nicht zuletzt auf Basis der archäologischen Erkenntnisse zum Stadtwerdungsprozeß – in das 7. oder 6. Jh. herab.1 Es ist jedoch wichtig zu betonen, daß weder eine Datierung der Entstehung der Tribus allein schlüssige Aussagen über deren Charakter erlaubt, noch umgekehrt die Beschreibung des Charakters der Tribus eine Klärung ihres Entstehungszeitpunktes herbeiführt.2 Beide Aspekte müssen zunächst getrennt voneinander untersucht werden und sind erst in einem zweiten Schritt aufeinander zu beziehen: Einerseits bedarf die Datierung der Tribusgründung der Klärung der Eigenschaften und Funktionen der Tribus, da sie eine Einbettung in den historischen Kontext der oben beschriebenen Stadtwerdung ermöglicht. Andererseits liefert die Beschreibung der strukturellen Eigenschaften und Funktionen der Tribus, wie sie in den literarischen Quellen zu Tage tritt, wichtige Anhaltspunkte für die Datierung der Tribus. Gerade die Fragwürdigkeit der überlieferten Chronologie der Königszeit und die hohe Mobilität im archaischen Latium sollten davor warnen, späte Quellenangaben zu den Tribus, die der perspektivischen Verzerrung unterliegen, zum alleinigen Maßstab der Datierung zu machen. Die Beschreibung der Tribus als ethnisch heterogene oder homogene Einheiten berechtigt noch nicht zu einer Datierung in die Zeit vor oder nach der Stadtgründung bzw. vor oder nach dem Beginn der Etruskerherrschaft, die traditionell mit der Regentschaft des Tarquinius Priscus verbunden wird. Die historiographischen und antiquarischen Quellenaussagen zu den Eigenschaften und Funktionen der Tribus müssen stets unter Einbeziehung einer Vielzahl unterschiedlicher Quellengattungen (Onomastik, Epigraphik, Archäologie) auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und darüber hinaus in den Kontext des Institutionalisierungsprozesses in Rom und anderen mediterranen Städten eingeordnet werden, bevor eine Datierung im Kontext der revidierten Königschronologie möglich ist.

2. Die Funktionen der Tribus 2.1. Militärische Funktion Die militärische Funktion der Tribus in archaischer Zeit bestand offenbar darin, daß sie je einen tribunus, 100 Reiter und 1000 Fußsoldaten für die frührömische Armee stellten. Varro sagt, das älteste Heeresaufgebot der Römer habe 3000 Mann betragen und jeder Kriegstribun habe ein Drittel davon befehligt.3 Der enge Bezug des Militärs 1

Cf. W. Peremans, AC 5, 1936, 446; C.W. Westrup, Quelques recherches cit., 569f.; E. Meyer, Römischer Staat, 29; Pallottino, Origini, 167; Cornell, Beginnings, 117. Auch Beloch, RG, 269f., glaubte, daß die drei Tribus erst im 7./6. Jh. entstanden seien, als die Stadt bereits über den Palatin hinausgewachsen war. Cf. ferner Ogilvie, Commentary, 80; G.V. Sumner, JRS 60, 1970, 76f. 2 M. Torelli, Rome et l’Etrurie à l’époque archaïque, in: Terre et paysans dépendants dans les sociétés antiques. Colloque international tenu à Besançon (2/3 mai 1974), Paris 1979, 271f., hat mit Recht betont, daß die etruskische Benennung der drei Tribus nicht notwendigerweise für eine Entstehung unter etruskischer Herrschaft spricht. 3 Cf. Varr.ling.5.89 Milites, quod trium milium primo legio fiebat ac singulae tribus Titiensium, Ramnium, Lucerum milia militum mittebant. Cf. Dion.2.2.4; 2.7; 2.16.2; Plut.Rom.13.1; Cass.Dio

90

Die drei ältesten Tribus

zu den Tribus geht deutlich aus dem Titel tribunus hervor. Die tribuni militum stan-den an der Spitze der von den drei Tribus gestellten Heeresabteilungen.1 Griechische Quelen übersetzen das Wort tribunus mit dem Ausdruck cil…arcoj, der ursprünglich einen Befehlshaber über eine Einheit von 1000 Mann bezeichnet.2 Er ist in dieser Bedeutung bereits bei Polybius dokumentiert und könnte auch bei Fabius Pictor, der bereits die Kriegstribunen der früheren Zeit als Anführer von je 1000 Mann auffaßte, gestanden haben.3 Eine ursprüngliche Einteilung des Heeres in Abteilungen zu je tausend Mann wird vielleicht auch durch die antike Ableitung des Wortes miles von mille nahegeegt.4 Die Dreierstruktur des frührömischen Heeres wird nicht nur durch annalistische und antiquarische Quellen, die dem Verdacht einer künstlichen Zahlenarithmetik ausgesetzt sind, bezeugt. Sie läßt sich darüber hinaus aus der sukzessiven, republikanischen Entwicklung rekonstruieren. Daß am Anfang der Rekrutierung auf der Basis der Tribus ein Heer von 3000 Mann stand, wird vor allem durch die Standardstärke der republikanischen Legion nahegelegt, die aus einer gleich hohen Zahl schwer bewaffneter Infanterie bestand. Die Einteilung der 3000 Schwerbewaffneten in 60 statt der erwartbaren 30 Zenturien (Hundertschaften) und die Existenz von sechs statt drei Militärtribunen an der Spitze der republikanischen Legion5 sind deutliche Hinweise darauf, daß die Mannschaftsstärke der Urlegion noch während der Königszeit auf 6000 Mann verdoppelt wurde.6 Diese Legion scheint dann zu Beginn der Republik, mit dem Übergang des militärischen Oberkommandos auf die Konsuln, in zwei Legionen zu je 3000 Mann geteilt worden zu sein, wobei die Zenturienstärke für jede Legion beibehalten wurde. Auch die frühe Reiterei, die aus den Reiterzenturien der Tities, Ramnes und Luceres bestand, wurde in den drei Tribus rekrutiert.7 Die Glaubwürdigkeit dieser Quellenberichte wird durch die Zuordnung von 300 Reitern (equites) zu jeder Legion in republikanischer Zeit erhöht. Ihre Kommandanten, die tribuni equitum, hatten dieselbe Funktion wie die tribuni militum bei den Fußsoldaten, befehligten also jeweils eine Zenturie

frg.5.8. Für die Historizität dieser Zusammensetzung des römischen Heeres cf. Mommsen, RSt III,1, 105, Anm.3; Palmer, AC, 159. 1 Varr.ling.5.81: Tribuni militum, quod terni tribus tribubus Ramnium Lucerum Titium olim ad exercitum mittebantur, tribuni plebei, quod ex tribunis militum primum tribuni plebei facti, qui plebem defenderent, in secessione Crustumerina. Cf. J. Pinsent, Military Tribunes and Plebeian Consuls: The Fasti from 444 V to 342 V, 1975, 57. 2 Cf. Hdt.7.81; Xen.Kyr.3.3.11; 8.1.14. 3 Pol.6.19.1, 19.7, 20.2, 21.1, 33.1ff., 34.2. 4 Varr.ling.5.89; Dig.29.1.1.1 (Ulpian); Lyd.mens.4.72; Isid.orig.9.3.32. Zwar ist die Korrektheit dieser etymologischen Erklärung fraglich (cf. A. Walde/J.B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Bd.2, Heidelberg 51972, 87), sie belegt jedoch zumindest, daß die Zahl 1000 nach römischer Vorstellung eine konstitutive Bedeutung für das älteste römische Heer besaß. 5 Zur Zusammensetzung der Legion aus 60 Zenturien, 30 Manipeln und 10 Kohorten, cf. Cincius, Res.mil. ap.Gell.16.4.6; Serv.Aen.11.463; Isid.Etym.9.3.47. Je zwei Monate – die Kriegszeit war auf sechs Monate beschränkt – nahmen zwei Tribune das Kommando wahr. 6 Cf. Mommsen, RSt II,1, 185; De Sanctis, RFIC 11, 1933, 293f.; Cornell, Beginnings, 182f. 7 Cic.rep.2.20.36; Liv.1.8, 13.6-8, 36.2; Dion.2.13.1-2, 3.71; Val.Max.1.4.1; Fest.484,9-11L; Serv. Aen.7.274, 9.363, 11.603.

Die Funktionen der Tribus

91

von 100 Reitern pro Tribus.1 Auch wurde die Zahl der Reiter von drei auf sechs Zenturien, die von einigen Quellen erwähnten sex suffragia,2 verdoppelt. Die Überlieferung weist die Vermehrung der drei Zenturien Servius Tullius zu.3 Dies ist vor allem dem Bericht des Livius über die beabsichtigte Vermehrung der Zenturien durch Tarquinius Priscus zu entnehmen. Tarquinius soll demnach an der Absicht, die Reiter1

Pol.6.20.9; Liv.3.62.8, 21.17.8; Plut.Rom.20.1. Der Bezug zwischen equites und den sogenannten celeres ist ein bislang ungelöstes Forschungsproblem. Die celeres werden von den Quellen zum einen als reguläre Reitereinheit (Paul.Fest.48L s.v. „Celeres“; Serv.Aen.9.605, 11.603), zum anderen als Leibwache des Romulus dargestellt (Liv.1.15.8; Dion.2.13.1-3). Nach Plut.Numa 7.8 soll die Garde von Numa aufgelöst worden sein. Cf. Mommsen, RSt III,1, 106, Anm.4. A. Momigliano, Procum patricium, JRS 56, 1966, 16, plädierte gegen A. Alföldi, (Centuria) Procum patricium, Historia 17, 1968, 444-460, für die celeres als Leibwache des Königs. Valditara, Magister Populi, 367-401, sah in den celeres die schwer bewaffnete Reiterei, die sich unter Tarquinius Priscus aus berittenen Hopliten rekrutiert (cf. S.94f., Anm.5) und die Funktion der Flankensicherung übernommen habe. Erst unter Servius Tullius sei sie die Leibwache des Königs geworden. Nach F. De Martino, Sulla storia dell’equitatus romano, PP 35, 1980, 151ff., hätten sie als leicht bewaffnete Reiter von Anfang an die Leibwache des Königs gestellt. L. Sancho Rocher, Equitatus y tribus en el ambiente de la Roma de Tarquino Prisco, in: G. Pereira Menaut (Hrg.), Actas del 1. Congreso Peninsular de Historia Antigua, Bd.3, Santiago de Compostela 1988, 152f., glaubte, die celeres seien Abteilungen junger Krieger gewesen, die in proto- und präurbaner Zeit einen Heerführer begleiteten, der später sakrale Funktionen übernommen habe. M. Tagliatella Scafati, Appunti sull’ordinamento militare di Roma arcaica, in: Ricerche II, 48ff., 84f., hielt die celeres für eine Eliteeinheit der equites, die auf der Basis von Kurien rekrutiert wurde. Valerius Antias frg.2Peter=4Beck-Walter (ap.Dion.2.13.2) sagt, daß die celeres nach ihren Kommandanten (™pˆ toà ¹gemÒnoj) benannt wurden und setzt so einen tribunus celerum voraus. Unter ihm hätten drei Zenturionen (˜katÒntarcoi) und weitere Unteroffiziere gedient. Zur späteren Funktion der tribuni celerum cf. S.216, Anm.3. 2 Fest.452,32f.L. Die sex suffragia werden noch von V2 zu Cic.rep.2.22.39 (equitum centuriae cum sex suffragiis; V1 hat dagegen equitum certamine cum et suffragiis) sowie von Cic.Phil.2.33.82 und Cic.rep.4.2 genannt. 3 Eine Ausnahme könnte Fest.452L s.v. „Sex suffragia“ darstellen: Sex suffragia appellantur in equitum centuriis, quae sunt adiectae ei numero centuriarum; quas Priscus Tarquinius rex constituit. Nach der von H. Hill, Festus on Sex Suffragia, AJPh 58, 1937, 458-9, bevorzugten Interpretation, die zwischen centuriarum und quas ein Semikolon setzt und quas als relativischen Anschluß zu sex suffragia versteht, wären letztere von Tarquinius Priscus geschaffen worden. Das Semikolon ist jedoch nicht nötig, da sich quas als Relativpronomen auf centuriarum bezogen haben wird, wie bereits W. Rein, Quaestiones Tulliana cum excursu de comitiorum Romanorum iudiciis, Eisenach 1841, erkannte. Rein übernahm die Korrektur des Antonius Augustinus, der 1559 effectae ex statt des handschriftlich überlieferten adfectae – von Lindsay zu adiectae emendiert – las. Dies würde folgende Übersetzung ermöglichen: „Sechs [politische] Stimmen werden in denjenigen Rittercenturien genannt, die aus der Anzahl von Centurien gebildet worden waren, die der König Tarquinius Priscus eingerichtet hat.“ Die Übersetzung ist die von Stemmler, Eques Romanus, 195, der seinerseits adiecta liest und von einer Hinzufügung von sex suffragia zu den angeblich bereits unter Tarquinius bestehenden sex suffragia ausgeht. Diese Einheiten seien noch in Turmen gegliedert gewesen; erst durch ihre Zusammenlegung in der servianischen Ordnung seien zwölf politische, nach Altersstufen (seniores/iuniores) gegliederte Zenturien entstanden (194ff.). Die enge Verbindung der Zenturien der Tities, Ramnes und Luceres mit den Tribus spricht jedoch für ein höheres Alter der militärischen Zenturienordnung; während die Turmenordnung tribusübergreifend und vermutlich jüngeren Datums ist (cf. Kap.II.2.1, 3.2). Außerdem ist die Differenzierung der Zenturienversammlung in iuniores und seniores wahrscheinlich nachservianischen Ursprungs, cf. E. Lo Cascio, Il census a Roma e la sua evoluzione dall’età «serviana» alla prima età imperiale, MEFRA 113, 2001, 569ff. Schließlich erfordert auch die Interpretation Stemmlers einen Eingriff in den Text (Änderung von adfectae in adfecta oder adiecta).

92

Die drei ältesten Tribus

truppen um drei, seinen Namen tragenden Reiterzenturien zu verstärken, durch den Einspruch des Auguren Attus Navius gehindert worden sein, der in dem Vogelflug die fehlende Einwilligung der Götter zu erkennen glaubte.1 Livius kommt zu dem Schluß, daß Tarquinius damals nichts an der Zahl der Reiterzenturien geändert habe.2 Ein Kompromiß sei gefunden worden, indem man die Tities, Ramnes und Luceres auf 1200 verdoppelte3 und ihnen die Bezeichnung posteriores – im Gegensatz zu den priores – verlieh. Auch Tarquinius habe jedoch an den Zenturien der Reiter nichts geändert.4 D.h. lediglich die Mannschaftsstärke, nicht aber die Einheiten selbst wurden vermehrt. Dionysius’ Bericht ist im Gegensatz zu dem des Livius dramatischer ausgestaltet. Er spricht darüber hinaus nicht von einer Erhöhung der Zenturienzahl, sondern irrtümlicherweise von einer Vermehrung der Tribus, die seinen Namen und die seiner persönlichen Gefährten bekommen sollten.5 Auch Dionysius sagt aber, daß Tarquinius von seinem Vorhaben abrückte.6 Die Darstellungen des Livius und Dionysius werden durch die Ciceros gestützt. Der Arpiner berichtet zwar nicht von einer geplanten Vermehrung der Ritterzenturien, son1

Liv.1.36.7f. In der Tradition des Livius stehen Vir.ill.6.7; Val.Max.1.4.2; Flor.epit.1.1(5).2; Cass. Dio.frg.9.4Boiss (Zon.7.8.8-10); Fest.168, 170L s.v. „Navia“. Die Quelle des Cassius Dio wird nicht mit der des Festus/Verrius Flaccus identisch gewesen sein, da sich beide bezüglich des von Attus Navius bewirkten Wunders unterscheiden, wie Holzapfel, Tribus, 235f., erkannte. M. Tagliatella Scafati, Appunti sull’ordinamento militare di Roma arcaica, in: Ricerche II, 69ff., glaubte, daß Florus eine andere Tradition wiedergibt, da er nur Zenturien, nicht aber Reiterzenturien erwähnt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, welche Zenturien Florus in diesem Fall gemeint haben könnte. Über eine Vermehrung der Infanterie-Zenturien ist nichts bekannt. Die Ergänzung ist auch deswegen überflüssig, weil vermutlich die Zenturien vor Servius Tullius noch keine taktischen Einheiten der Infanterie waren, cf. Kap.III.3.3. 2 Liv.1.36.1. 3 Die Überlieferung der Zahl ist nicht gesichert. Der Mediceus hat mille et octingenti, was in den meisten Textausgaben wiedergegeben ist. Die Angabe kann jedoch nicht durch Hinweis auf Cic. rep.2.20.36 als authentisch gelten, da hier die Handschriften ebenfalls voneinander abweichen (mehrere haben M et CCC). Ogilvie, Commentary, 152, schlug mit Bezug auf Fest.452L die Emendation M et CC für den Livius-Text vor. Festus erlaubt zwar allenfalls eine Aussage über die Zenturienzahl unter Tarquinius, die weniger als sechs betragen haben wird (cf. Kap.II.2.1), und nicht über die Mannschaftsstärke. Dennoch würde sich die Zahl 1200 besser in das livianische Konzept einfügen, als die Zahl 1800. Eine erste Vermehrung der 300 Reiter des Romulus auf 600 könnte hinter der Nachricht stehen, daß Tullus Hostilius aus den Reihen der Albaner 10 Reiterschwadronen, also 300 Mann, aufstellen ließ (Liv.1.30.1f.). Die 600 Reiter des Tullus Hostilius wären dann nach livianischer Auffassung unter Tarquinius auf 1200 verdoppelt worden. B. Liou Gille, Des noms et des nombres: Arithmétique et religion, in: B. Bureau/Chr. Nicolas (Hrg.), Moussyllanea, Mélanges de linguistique et de littérature anciennes offerts à Claude Moussy, Paris 1998, 246, will an der Zahl 1800 festhalten und geht von einem Irrtum des Livius und einer Verdreifachung der Mannschaftsstärke von 600 auf 1800 unter Tarquinius Priscus aus, wobei die Zenturienzahl (6) gleich geblieben sei. Die Quellen beschreiben jedoch einmütig eine Verdoppelung. Neben Liv.1.36.9: Cic.rep.2.20.35 (duplicavit); Vir.ill.6.7 (equitum centuriis numero duplicavit); Gran.Lic.26.12Fl=26.2-4Cr (Tarquinius duplic[a]vit); Paul.Fest.247L (equitibus duplex). 4 Cf. Liv.1.36. Paul.Fest.475L hat die Termini primi und secundi. 5 Dion.3.71.1. An eine Verdoppelung der Tribus glaubten A. Schwegler, Römische Geschichte I, 686, Anm.2; Mommsen, RSt III,1, 111, Anm.3; E. Wölfflin, Die Reitercenturien des Tarquinius Priscus, RhM 57, 1902, 318, und Ménager, Collèges, 477ff. Dionysius steht jedoch allein gegen die restliche Überlieferung, die von Zenturien spricht, cf. Kap.II.3.1. 6 Dion.3.71.5.

Die Funktionen der Tribus

93

dern von einer beabsichtigten Namensänderung; er geht jedoch ebenfalls von einem Neuaufbau der Reiterei aus.1 In den Quellen ist somit nur von dem Vorhaben des Tarquinius, die Zahl der Reiterzenturien bzw. Tribus zu verdoppeln, und nicht von dessen Ausführung die Rede.2 Die Vermehrung der Reiterzahl wird von den meisten Quellen in engen Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum der Stadt gestellt, die sich in einer Öffnung Roms und seiner Institutionen gegenüber auswärtigen gentes, den sogenannten gentes minores, ausdrückt.3 Die Erweiterung der römischen Gesellschaft zog nach dieser Version nur eine numerische Veränderung und keine Umstrukturierung der Institution (Zenturien) selbst nach sich. Daß eine Erhöhung von drei auf sechs Reiterzenturien noch in der Königszeit erfolgte,4 wird auch durch die bereits angespro1

Cic.rep.2.20.36: Deinde equitatum ad hunc morem constituit. Lediglich der Autor des Werkes De viris illustribus (6.7: Equitum centurias numero duplicavit) stellt die Verdoppelung irrtümlich als geschehen hin, cf. Holzapfel, Tribus, 236, Anm.3. Zu der Stelle ferner: Cf. J. Fugmann, Königszeit und Frühe Republik in der Schrift De viris illustribus urbis Romae. Quellenkritische Untersuchungen, Bd.I. Königszeit, Frankfurt am Main 1990, 235-239. Für eine Verdoppelung der Zenturien unter Tarquinius cf. Stemmler, Eques Romanus, 189, 196f., 200, mit einer neuen Lesart zu Fest.452, 32-35L. Cf. Kap.II.2.1. 3 Cf. Liv.1.35.6; Cic.rep.2.20.35; Zon.7.8.1-3 (cf. Cass.Dio frg.8.2-9Boiss); Vir.ill.6.6; Suet.Aug. 2.1; Eutr.1.6. Tac.ann. 11.25 weist die Aufnahme dem ersten Konsul L. Iunius Brutus zu. Nach Richard, Origines, 333ff., geht die begriffliche Unterscheidung zwischen maiores und minores gentes auf den Beginn der Republik zurück, bezeichnet jedoch eine ältere Realität, die ihren Ursprung in der Aufnahme patrizischer Geschlechter unter der Regentschaft des Tarquinius Priscus hat. Cf. auch Martínez-Pinna, Tarquinio Prisco, 208. Abzulehnen ist die Auffassung von Ranouil, Patriciat, 127f., nach dem die minores gentes erst nach 471 Zugang zu den Magistraturen erlangten. Cf. bereits die Kritik bei Ménager, Collèges, 506ff. Die von Dion.2.47.1 in Zusammenhang mit einer lectio des Romulus erwähnten nšoteroi patr…kioi können nicht mit den gentes minores identifiziert werden, cf. J. Martínez-Pinna, Dionisio de Halicarnasso y la tradición sobre el fundador de Roma, Pallas 39, 1993, 89f., contra Musti, Tendenze, 67ff.; id., Patres conscripti (e minores gentes), MEFRA 101, 1989, 207-227; Ménager, Collèges, 496ff. Daß hinter der angestrebten Verdoppelung tatsächlich demographische Veränderungen stehen könnten (Zuzug auswärtiger gentes), legen zahlreiche frühe inschriftliche Quellen nahe, die von einer hohen Mobilität der gentes zeugen, cf. Kap.II. 7.2. Pallottino, Origini, 214, vermutete hinter der angestrebten Verdoppelung der Zenturien wohl zu Unrecht eine Absicht der Monarchie, die Macht der in Gentilverbänden organisierten Aristokratie zu schwächen. Eine Verdoppelung hätte das Gegenteil bewirkt, da sich die Reiterzenturien letztlich aus den Mitgliedern der gentes zusammensetzten. 4 Für sechs Zenturien unter Servius Tullius: Valditara, Magister Populi, 392ff. L. Sancho Rocher, Equitatus y tribus en el ambiente de la Roma de Tarquino Prisco, in: G. Pereira Menaut (Hrg.), Actas del 1. Congreso Peninsular de Historia Antigua, Bd.3, Santiago de Compostela 1988, 160, glaubte dagegen an eine Konservierung der drei Reiterzenturien mit der internen Gliederung in priores und posteriores unter Servius Tullius. Zuweilen wird die Ansicht vertreten, die Verdoppelung der Zenturien von drei auf sechs sei bereits vor Tarquinius Priscus, unter Tullus Hostilius, erfolgt, cf. B. Liou-Gille, art.cit., 296, 299. Dafür beruft sich die Forschung oft auf Liv.1.30.1f., der von einer Vermehrung der Reiterturmen in Zusammenhang mit der Aufnahme von Albanergeschlechtern spricht. Die Turmen gehören jedoch einer späteren, vielleicht unter Servius Tullius eingerichteten Reiterei an (cf. Kap.II.2.1). Livius selbst geht mit der Mehrheit der Überlieferung von der Existenz von nur drei Zenturien unter Tarquinius Priscus aus (1.36.7f.). Die Existenz von sechs Zenturien unter Tarquinius Priscus wird auch nicht durch Fest.452L s.v. „Sex suffragia“, bzw. Paul.Fest. 475L s.v. „Sex Vestae sacerdotes“, bestätigt. Die von Paul.Fest.475L genannten primos secundosque Titienses, Ramnes, Luceres werden nicht mit Tarquinius in Verbindung gebracht. Zudem ist hier Festus in der irrigen Vorstellung verhaftet, es habe eine Einteilung der gesamten Bevölkerung in sechs Tribus gegeben. Für eine späte Verdoppelung der Reiterzenturien cf. A. Alföldi, Der früh2

94

Die drei ältesten Tribus

chene Verdoppelung der Legionsstärke von 3000 auf 6000 Mann (d.h. von 30 auf 60 Zenturien) in dem gleichen Zeitraum nahegelegt. Einige Quellen nennen für die servianische Zenturienordnung insgesamt 18 Ritterzenturien.1 Diese gehören jedoch einer entwickelten Zenturienordnung in republikanischer Zeit an. Die Zahl von 1800 Reitern im frühen römischen Heer ist angesichts einer Bevölkerung von ca. 30000 zur Zeit des Servius Tullius als anachronistisch zu bewerten.2 Sie bezieht sich vermutlich auf ein Heer von vier Legionen, das erst nach 311 existierte.3 Dies ist indirekt der Schilderung des Livius zu entnehmen. Der Autor erwähnt insgesamt 18 Zenturien für die Zeit des Servius Tullius, stellt jedoch eine enge Verbindung zwischen den drei Zenturien des Romulus und sechs der servianischen Reiterzenturien her, die mit ersteren die auf einem augurium beruhenden Namen teilten.4 Diese sechs Zenturien (=sex suffragia) sind daher deutlich von den restlichen 12 Ritterzenturien zu unterscheiden. Die Verdoppelung der Reiterzenturien unter Servius kann in erster Linie mit einer Verdoppelung der Mannschaftsstärke erklärt werden. Die Quellen weisen eine solche zwar – bei gleichbleibender Zenturienzahl – der Herrschaft des Tarquinius zu, der, wie bereits erwähnt, die Reiter in posteriores und priores unterschieden haben soll.5 Mannschaftsstärke und Zenturienzahl stehen römische Reiteradel und seine Ehrenabzeichen, Baden-Baden 1952, 98, 105, 111; id., VER, 64 (im Krieg gegen Veji); E. Meyer, Römischer Staat, 48 (5. Jh.). Contra: Heurgon, La Méditerranée, 256. 1 Liv.1.43.8-9; Dion.4.18.1; Cic.rep.2.22.39. 2 Cf. Cornell, Beginnings, 205ff., der von ca. 35000 Einwohnern gegen Ende des 6. Jhs. ausgeht und sich dabei auf die von Fraccaro errechnete Größe der servianischen Zenturienarmee (6000 Hopliten der classis, 2400 Mann infra classem und 600 Reiter) stützt. Eine solche Zahl ist glaubwürdiger als die von Fabius Pictor überlieferte Zahl von 80000 waffenfähigen Männern (Fab.Pict.10Peter=14 Beck-Walter; cf. auch Dion.4.22.2, der 84700 und Eutr.1.7, der 83000 Bürger nennt), die eher die demographischen Verhältnisse gegen Ende des 4. Jhs. widerspiegelt, cf. M. Humm, Servius Tullius et la censure: Élaboration d’un modèle institutionel, in: M. Coudry/Th. Späth (Hrg.), L’invention des grands hommes de la Rome Antique. Die Konstruktion der großen Männer Altroms, Actes du Collegium Beatus Rhenanus, Augst, 16-18 Sept. 1999, Paris 2001, 239f. Zur Bevölkerungszahl Roms cf. S.416f., Anm.4. 3 Liv.9.30.3; Pol.6.19.7. Die vier Legionen könnten insgesamt 1200 Reiter, 300 pro Legion, gestellt haben, während die 600 Ritter der sex suffragia zu einem unbekannten Zeitpunkt ausgegliedert worden sein und eine rein politische Funktion als Stimmkörper wahrgenommen haben könnten. Gegen 18 Zenturien unter Servius Tullius cf. auch Sancho Rocher, Equitatus y Tribus, 160f.; Valditara, Magister Populi, 394. Dafür: Heurgon, La Méditerranée, 255; Ogilvie, Commentary, 152; Martínez-Pinna, Tarquinio Prisco, 210f., 220f.; B. Liou-Gille, art.cit., 296. 4 Nach Liv.1.43.8-9 hat Servius aus den vornehmsten Bürgern 12 Reiterzenturien zusammengestellt. Ebenso habe er sechs andere gebildet, „während Romulus drei eingerichtet hatte mit denselben Namen, die sie nach dem augurium erhalten hatten.“ Auch Cic.rep.2.22.39 könnte die equitum centuriae cum sex suffragiis gemeint haben, cf. S.91, Anm.2, 96, Anm.3. 5 Valditara, Magister Populi, 389ff., hat zu zeigen versucht, daß sich die Dichotomie priores-posteriores auf keine zeitlich differenzierte Vermehrung der Reiterzahl bezieht, sondern qualitativen Charakter hat. Dabei stützte er sich auf die Aussage des Gran.Lic.26.12Fl=26.2-4Cr (cf. auch Paul. Fest.247L s.v. „Paribus equis“), nach der die priores infolge der Reform des Tarquinius zwei Pferde in die Schlacht mitführen sollten, sowie auf die These Helbigs der Existenz von berittenen Hopliten, die ihre Pferde nur zur Fortbewegung am Schlachtort eingesetzt hätten. Die priores, die er mit den celeres gleichsetzte, seien jene berittenen Hopliten gewesen, die dem Schutz der Flanken der Phalanx dienten. Ihnen seien mit der besagten Reform zweite Pferde zur Verfügung gestellt worden, die von Knappen, die zugleich Klienten der priores gewesen seien und posteriores genannt wurden, geritten worden seien. Diese hätten die Aufgabe gehabt, die Pferde der priores während

Die Funktionen der Tribus

95

jedoch in einem engen Zusammenhang; daß eine Vermehrung der Fußsoldaten unabhängig von der Vermehrung der Zenturienzahl erfolgte, ist nur schwer vorstellbar. Aufgrund der Hinweise auf eine Verdoppelung der Reiterzenturien unter Servius Tullius wird man daher vielleicht auch die Erhöhung der Mannschaftsstärke der equites seiner Herrschaft zuordnen dürfen. Möglicherweise ging die Verdoppelung der Reiterzenturien (und der Mannschaft) mit einer Neustrukturierung der einzelnen Kontingente einher. Polybius erwähnt zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges nicht mehr Zenturien, sondern Turmen als taktische Reitereinheiten.1 Sie waren 30 Mann stark und setzten sich aus drei Dekurien genannte Einheiten zu je zehn Mann zusammen, die in den jeweiligen Tribus rekrutiert waren.2 Eine Turme wurde jeweils im Wechsel von drei Dekurionen befehligt, die an die Stelle des alten tribunus celerum traten.3 Daß dieses System ein älteres ablöste, geht nicht nur aus der Schilderung des Polybius selbst,4 sondern auch aus den überlieferten Zahlenverhältnissen hervor: Die Turmen sind zweifellos in bezug auf die Gesamtzahl von 300 Reitern pro Legion eingeführt worden – zehn Turmen bildeten eine Legionsabteilung –, lassen sich aber nicht mit den 100 Reitern einer Zenturie koordinieren.5 Die so durchgesetzte Mischung der Tribus bei der Zusammensetzung der Reiterabteilungen bedeutete eine Durchbrechung des alten Prinzips, nach dem die Militärabteilungen von den gentes bzw. den sie vereinigenden Kurien gebildet wurden.6 Sie paßt, wie P. Fraccaro erkannte, am ehesten in die Zeit des Servius Tullius, der die alte gentilizische Aushebung der Tities, Ramnes und Luceres durch die vermögensrechtliche Aushebung auf der Grundlage der vier lokalen Stadttribus ablöste.7 Die Vermehrung der Reiterzenturien hatte vor diesem Hintergrund keine rein militärische, ihres Bodenkampfes zu beaufsichtigen. Somit habe es unter Tarquinius Priscus auch weiterhin nur eine operative Reitereinheit von 300 Mann gegeben. Richard, Origines, 342f., hielt demgegenüber die posteriores für die berittenen Hopliten. Contra: F. De Martino, Sulla storia dell’equitatus Romano, PP 35, 1980, 148ff. Martínez Pinna, Tarquinio Prisco, 217, glaubte, daß Tarquinius leicht bewaffnete desultores im Rahmen der ludisch-religiösen Innovationen aus Etrurien (ars desultoria) eingeführt und damit die Zahl der equites auf 600 – parallel zur Vermehrung der schwerbewaffneten Infanterie auf 6000 – verdoppelt habe. Die neu hinzugekommenen Reiter seien jedoch nicht die posteriores gewesen, die vielmehr die drei neuen, unter Servius Tullius eingerichteten Zenturien im Rahmen der sex suffragia bezeichnet hätten. 1 Cf. Pol.6.20.9, 6.25. 2 Varr.ling.5.91: Turma terima (E in U abiit), quod ter deni equites ex tribus tribubus Titiensium, Ramnium Lucerum fiebant. Itaque primi singularum decuriarum decuriones facti, qui ab eo in singulis turmis sunt etiam nunc terni. Cf. Cincius, Res.Mil. ap.Gell.16.4.6; Fest.484L s.v. „Turmam“. Die Dekurieneinteilung blieb offenbar auf die Reiterei beschränkt, cf. B. Kübler, s.v. „Decuria“, RE IV,2, 1901, 2317. 3 Cf. Pol.6.20.9, 25.1; Isid.orig.9.3.5, cf. Dion.2.7, 13. 4 Pol.6.25. 5 Cf. Palmer, AC, 9. Nach E. Gabba, Athenaeum 29, 1951, 251-5, übernahmen die Tribus erst seit dem Ersten Punischen Krieg die Funktion von Rekrutierungseinheiten, während dies zuvor nur in Sonderfällen geschehen sei (Liv.4.46.1 (418 v.Chr.)). Cf. jedoch Kap.III.3.3. 6 P. Fraccaro, La storia dell’antichissimo esercito romano e l’età dell’ordinamento centuriato, Atti del II congresso nazionale di studi romani, Rom 1931, III, 93=id., Opuscula 2, Pavia 1957, S.288f. 7 Cf. P. Fraccaro, art.cit., 93=id., Opuscula 2, 289. Für eine Einführung unter Tarquinius Priscus cf. hingegen M. Tagliatella Scafati, Appunti sull’ordinamento militare di Roma arcaica, in: Ricerche II, 61-63.

96

Die drei ältesten Tribus

sondern auch eine politisch-zivile Bedeutung, da sie offenbar die ca. 600 Mitglieder der drei Reiterzenturien (je 300 priores und 300 posteriores) zu einer gesonderten Stimmkörperschaft innerhalb der frühen Zenturienverfassung machte, die neben der aus 60 Zenturien bestehenden classis existierte.1 Die frühe Bedeutung der sex suffragia als politische Stimmkörperschaft spiegelt sich in ihrer Sonderstellung innerhalb der reformierten Zenturienverfassung wieder, wo sie aufgrund ihres Alters und ihrer Zusammensetzung2 zwischen erster und zweiter Klasse, getrennt von den zwölf anderen Reiterzenturien, abstimmten.3 Zu einer Erhöhung der Reiterzenturien unter Servius Tullius paßt auch die Einführung der Zenturienversammlung der pedites, die die Quellen einmütig dem sechsten König zuweisen.4 Zwar ist die uns bekannte, sogenannte servianische Volksversammlung, die aus 193 Zenturien, verteilt auf fünf Vermögensklassen, bestand, eine späte Entwicklung; für die Königszeit wird man allenfalls mit der Existenz einer einzigen, in Zenturien gegliederten Klasse – dem aus den Zwölftafeln bekannten comitiatus maximus – rechnen können. Da aber auch die Verdoppelung der Urlegion von 3000 auf 6000 Mann aller Wahrscheinlichkeit nach noch in der Königszeit, parallel zur Verdoppelung der Reiterzahl auf 600, erfolgte, liegt die Vermutung nahe, daß die Zensusgliederung des Heeres durch Servius in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Mannschaftsstärke der Legion steht. Servius Tullius könnte somit der Urheber einer umfassenden Heeresreform gewesen sein, die sowohl die pedites als auch die equites betraf. Sie hätte nicht nur die Mannschaftsstärke und die Zahl der sie umfassenden Einheiten erhöht, sondern zugleich eine Neugliederung dieser Einheiten durchgesetzt: 1

Cf. Kap.III.3.3. Falls in V2 zu Cic.rep.2.22.39 sex suffragia zu lesen ist, hätten diese mit der höchsten Zensusklasse abgestimmt. Zum hohen Zensus der Reiter cf. auch Pol.6.20.9. Die Ansicht, die sich aus den sex suffragia rekrutierenden Senatoren seien alle Patrizier gewesen, beruht auf der Gleichsetzung der sex suffragia mit den ebenfalls von Festus (290L s.v. „Procum patricium“, cf. Cic.orat.156) erwähnten proci patricii. Gegen eine Gleichsetzung: U. Hall, Voting Procedure in Roman Assemblies, Historia 13, 1964, 304f.; A. Momigliano, Procum Patricium, JRS 56, 1966, 16-24; id., Cavalry and Patriciate. An Answer to Professor A. Alföldi, Historia 18, 1969, 385-388; Cornell, Beginnings, 250. Dafür: Mommsen, RSt III,1, 254; E. Meyer, Römischer Staat, 491, Anm.80; De Sanctis, StRom I, 247f.; H. Hill, The Roman Middle Class, Oxford 1952, 208-211; A. Alföldi, (Centuria) Procum Patricium, Historia 17, 1968, 444-460; A. Magdelain, Procum patricium, in: Studi Volterra, Bd.2, Mailand 1971, 247-266=Jus Imperium, 405-422; F. De Martino, PP 35, 1980, 143-160; Heurgon, La Méditerranée, 256; Stemmler, Eques Romanus, 212-217. Es ist nicht generell auszuschließen, daß sich die sex suffragia zu einer bestimmten Zeit aus Patriziern rekrutierten. Allerdings gilt es zu bedenken, daß das Patriziat erst gegen Ende der Königszeit und zu Beginn der Republik entstand. Falls die Patrizier je die Kontrolle über die sex suffragia gewonnen hätten, wäre zudem für die frühe und mittlere Republik von einer Modifizierung der Zusammensetzung auszugehen, da die sex suffragia nach der Zenturienreform hinter die erste Klasse und die anderen zwölf Ritterzenturien versetzt wurden (Cic. Phil.2.33.82, cf. Liv.1.43.9, 43.16.14). Der Reform können jedenfalls keine antiaristokratischen bzw. antipatrizischen Motive unterstellt werden, cf. Taylor, RVA, 91; Fraccaro, Opuscula 2, 190; Staveley, GRV, 127, 198; U. Hackl, Das Ende der römischen Tribusgründungen 241 v.Chr., Chiron 2, 1972, 135ff. 3 Zur Stellung der sex suffragia im Wahlprozeß: Taylor, RVA, 96f. Stemmler, Eques Romanus, 204f. sieht in den von Cic.Phil.2.33.82 erwähnten suffragia wohl zu Unrecht die Stimmen der centuriae supernumerarii, zumal Cicero die (sex) suffragia auch an anderer Stelle erwähnt zu haben scheint (cf. S.91, Anm.2), die überzähligen Zenturien hingegen nirgends als suffragia bezeichnet werden. 4 Cf. Kap.III.3.3. 2

Die Funktionen der Tribus

97

Denn während die Reiter offensichtlich tribusübergreifend zu Turmen zusammengefaßt wurden, gliederte man die pedites nach Zenturien und faßte sie zu einer gemeinsamen classis zusammen. Die Tribus waren wohl seit diesem Zeitpunkt keine taktischen Einheiten mehr im Feld, sondern lediglich lokale Bezirke (Kap.II.4), auf deren Basis sich die Zenturien der classis und die Dekurien der Turmen zusammensetzten. Die hier skizzierte Entwicklung des römischen Heeres bleibt natürlich spekulativ, da keine extraannalistischen Quellen für eine Datierung der einzelnen Reformen in die Zeit des Servius Tullius zur Verfügung stehen. Sie erhält jedoch insofern ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit, als sie mit der Geschichte der frühen römischen Legion harmoniert. Die Tribus waren funktional und strukturell eng mit der Legion verbunden, wie auch die weitere Entwicklung zeigt: Die Verdoppelung der Reiterzenturien der Tities, Ramnes und Luceres erfolgte in Abhängigkeit von den gleichnamigen Tribus, während das neue Zenturienheer der pedites auf der Basis der vier von Servius Tullius gegründeten Stadttribus (Collina, Esquilina, Palatina, Suburana) rekrutiert wurde (Kap.III.3.). Nicht nur die Zusammensetzung der ältesten Infanterie und Kavallerie legt einen Bezug zwischen Tribus und frührömischer Armee nahe. Die der Tribuszahl entsprechende Dreiteilung des Militärs drückt sich auch in dem lusus Troiae aus,1 einem von Knaben aufgeführten Reiterwettbewerb. Nach der Darstellung Vergils bildeten die Reiter dabei drei Turmen von zwölf Mann unter je einem Anführer.2 Jede Turme teilte sich in zwei Hälften, von denen die eine links und die andere rechts abschwenkte. Die auf beiden Seiten befindlichen drei Halbturmen vereinigten sich wieder nach einem Gefecht. Anders ist die Darstellung bei Sueton.3 Die Jugendlichen waren danach nicht in drei, sondern in zwei Turmen maiorum minorumque puerorum gegliedert. Die unterschiedliche Darstellung kann mit einem abweichenden Gebrauch des Wortes turma erklärt werden: Sueton stellt die Trennung älterer und jüngerer Reiter in den Mittelpunkt, vermutlich in Erinnerung an die Einteilung der ältesten drei Reiterzenturien in priores und posteriores. Während für ihn das Alter der Spielteilnehmer das entscheidende Kriterium für die Turmenzugehörigkeit bildete, impliziert Vergil mit seiner Darstellung die Tribuszugehörigkeit als zentrales Definitionsmerkmal, ohne jedoch zugleich die innere Gliederung der Turmen nach Altersgruppen zu übergehen.4 Da eine Differenzierung der Reiterabteilungen nach dem Alter der sie zusammenset1

Paul.Fest.504L, s.v. „Troia“; Plut.Cat.min.3.1; Sen.Tro.778; Cass.Dio 43.23.6. Verg.Aen.5.560-561: Tres equitum numero turmae ternique uagantur ductores; pueri bis seni quemque secuti. Cf. Serv.Aen.5.560: «Tres equitum numero turmae» rem Romanae militiae suo inserit carmini. Nam constat primo tres partes fuisse populi Romani: unam Titiensium a Tito Tatio, duce Sabinorum, iam amico post foedera: alteram Ramnetum a Romulo: tertiam Lucerum, quorum, secundum Livium et nomen et causa in occulto sunt. Varro tamen dicit, Romulum dimicantem contra Titum Tatium a Lucumonibus, hoc est Tuscis, auxilia postulasse. Unde quidam venit cum exercitu: cui, recepto iam Tatio, pars urbis est data: a quo in urbe Tuscus dictus est vicus. Horatius: «Ac Tusci turba impia vici». Ergo a Lucumone Luceres dicti sunt. Sic autem in tres partes divisum fuisse populum (Romanorum) constat, ut etiam qui praeerant singulis partibus, tribuni dicerentur: und etiam sumptus, quos dabant populo, tributa nominarunt. 3 Suet.Iul.39.2: Troiam lusit turma duplex maiorum minorumque puerorum. Suet.Aug.43.2: Sed et Troiae lusum edidit frequentissime maiorum minorumque puerorum. Cf. Suet.Tib.6.4. 4 Cf. Holzapfel, Tribus, 243. 2

98

Die drei ältesten Tribus

zenden gentes nicht bekannt ist, wird man der Beschreibung Vergils ein höheres Maß an Historizität als der Suetons beimessen können. Allerdings gibt auch er kein getreues Abbild der archaischen Turmenordnung wieder, da sich die Turmen in späterer Zeit nicht mehr aus den Reitern jeweils einer Tribus, sondern aus einem gleichmäßigen Anteil aus allen drei Tribus zusammensetzten. Offenbar entfernte man sich bei der Einrichtung des Reiterwettkampfs1 bewußt vom republikanischen Gliederungsschema und griff auf ein älteres Schema zurück, das die Tribus bzw. die Tribuszenturien der Tities, Ramnes und Luceres als älteste taktische Einheiten kannte und diese mit der späteren Turmenordnung kombinierte.2 Eine solche Vorgehensweise könnte mit der Absicht verbunden gewesen sein, dem Spiel nachträglich einen archaischen Charakter zu verleihen. Die militärische Funktion der ältesten drei Tribus tritt ferner in der engen Verbindung der Institution zu den 30 Kurien hervor, die ebenfalls militärische Einheiten waren. Das Wort curia leitet sich nach einer gängigen Etymologie von coviria (*ko-wiriyā) ab und meint eine Versammlung von (wehrfähigen) Männern.3 Dionysius stellt in seiner Beschreibung der Verfassung des Romulus Tribus und Kurien als politische und militärische Abteilungen dar. Romulus habe die Bürgerschaft in drei Einheiten (tr…bouj) und jede dieser Einheiten in zehn weitere Gruppen (kour…aj) gegliedert. Die Kurien vergleicht Dionysius mit den griechischen Worten phratra (=phratria) und lochos, ein Ausdruck, der eine militärische Abteilung unbestimmter Größe bezeichnet; die Namen ihrer Kommandanten, die curiones, übersetzt er entsprechend als phratriarchoi und lochagoi.4 Auch andere Autoren bringen die Einrichtung von 30 Kurien in einen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Einrichtung der drei Tribus, wenn auch Hinweise auf eine militärische Funktion fehlen.5 Isidor von Sevilla, der auf ältere 1

Für eine Einrichtung in sullanischer Zeit: K.-W. Weeber, Troiae Lusus. Alter und Entstehung eines Reiterspiels, AncSoc 5, 1974, 171-197. Für einen älteren Ursprung: W. Helbig, Sur les attributs des Saliens, in: Mémoires de l’institut national de France. Académie des inscriptions et BellesLettres 37,2, Paris 1906, 259ff., 265ff.; K. Schneider, s.v. „Lusus Troiae“, RE XIII,2, 1927, 2059f., 2061f.; Stemmler, Eques Romanus, 235-237. 2 Zu den Tribus als taktische Einheiten: Flor.epit.1.1(1).15: Iuventus divisa per tribus in equis et armis ad subita belli excubaret. Cass.Dio frg.5.8: [tr…bouj trittÝj À tr…ton mšroj.] trisc…lioi g¦r Ôntej Ðpl‹tai `RwmÚlou, éj fhsi D…wn ™n tù prètJ lÒgJ tÁj ƒstor…aj, e„j tre‹j ™nem»qhsan mo…raj klhqe…saj tr…bouj, toàt' œsti trittÚaj, §j kaˆ ful¦j çnÒmasan “Ellhnej. Cf. M. Tagliatella Scafati, Appunti sull’ordinamento militare di Roma arcaica, in: Ricerche II, 7884. 3 Cf. P. Kretschmer, Lat. Quirites und quiritare, Glotta 10, 1920, 145-157; Cornell, Beginnings, 116f. Ob allerdings die Kurien nach einer angeblich in archaischer Zeit verbreiteten Kampftaktik in Zehnergruppen aufgeteilt waren, wie Ménager, Collèges, 468, glaubte, ist zweifelhaft. Die Kurien bezeichneten ferner jene Lokalitäten, wo sich die Kurien trafen (z.B. die Curia Hostilia). 4 Dion.2.7.3, 21.3, 47.4. Cf. Plut.Rom.20.2. Für den engen Bezug zwischen Kurien und Tribus cf. auch Dion.2.57.3: kat¦ ful£j te kaˆ fr£traj. Dion.2.60.3: ™kklhs…aj d met¦ toàto sunacqe…shj, ™n Î di»negkan Øpr aÙtoà t¦j y»fouj aƒ fulaˆ kat¦ fr£traj. 5 Plut.Rom.20.2, Qu.Rom.89 (mor.285D); Cic.rep.2.8.14; Liv.1.13.6-8; Paul.Fest.42L s.v. „Curia“. Palmer, AC, 70, zweifelte an einer militärischen Funktion der Kurien, da die Versammlung innerhalb des pomerium einberufen wurde. Alföldi, Rez. zu Palmer, AC, Gnomon 44, 1972, 790, wies jedoch mit Recht darauf hin, daß die archaische Gesellschaft funktional nicht in dem Maße wie in späteren Zeiten differenziert war. Die Kurien dienten daher wohl anfangs sozialen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Zwecken gleichermaßen. Die Verlegung des Tagungsortes der

Die Funktionen der Tribus

99

Quellen wie Catos Origines zurückgreifen konnte, vergleicht die Tribus mit den Kurien und definiert sie wie Dionysius als einzelne Mannschaftsabteilungen, die ihre Namen der Tatsache verdankten, daß Romulus die Bürgerschaft in drei Gruppen geteilt hatte.1 Ein Kommentator des Plautus glaubte, der Komödiendichter habe mit den von ihm erwähnten magistri curiarum die divisores tribuum gemeint.2 Fabius Pictors Zahl von 30 unter Servius Tullius eingerichteten Tribus scheint auf der Basis des engen Zusammenhangs zwischen Tribus und Kurien konstruiert gewesen zu sein.3 Zudem wurden die Wahleinheiten in den Städten latinischen Rechts, die wie die römischen Tribus funktionierten, curiae genannt.4 Sowohl die Tribus als auch die Kurien waren lokalgentilizische Verbände, wie nicht nur aus der schriftlichen Überlieferung, sondern auch aus ihrer Benennung ersichtlich ist (Kap.II.4). Die früheste Form der Volksversammlung, die nach Kurien gegliedert tagenden comitia curiata, kann demnach als eine Kriegerversammlung beschrieben werden. Die Kurien hatten aber nicht ausschließlich eine militärische Funktion. Sie waren zugleich Speisegemeinschaften – das Wort curia bezeichnete auch einen Bankettsaal – und ähnelten in dieser Funktion den griechischen Syssitien.5 Palmer glaubte, der von den Quellen hergestellte Zusammenhang zwischen den drei Tribus und 30 Kurien gehe auf Zahlenkombinationen griechischer Autoren zurück, die die Zahl drei als Basiseinheit für einen idealen Staat betrachteten.6 Zwar ist dies unwahrscheinlich. Bereits Timaios, der die zum Latinerbund gehörende Gemeinde Lavinium nur eine Generation nach der Unterwerfung der Stadt durch die Römer besucht hatte, kannte die latinische Gründungslegende um Aeneas und die von ihm eingerichteten 30 Pyrgoi im Land der Boreigonoi.7 Es kann jedoch schwerlich bestritten werden, daß die häufige Wiederkehr der Zahl 30 in rituellen Kontexten legendäre Hintergründe hat. Sie könnte gerade in der Existenz der historischen 30 Kurien eine Erklärung finden, deren Zahl sich die Römer nicht anders zu erklären vermochten als mit Hilfe der Gründungscomitia centuriata außerhalb des pomerium fand wohl erst in republikanischer Zeit statt. 1 Isid.Etym.9.4.7. 2 Ps.-Ascon.212St zu Plaut.Aul.107. Cf. H. Prescott, TAPhA 34, 1903, 49ff.; Palmer, AC, 67f., 124f. Zum Zusammenhang von Tribus und Kurien cf. ferner Tert.apol.39.15: Tot tribubus et curiis et decuriis ructuantibus acescit...Apaturiis, Dionysiis, mysteriis Atticis cocorum dilectus indicitur. Tertullian griff u.a. auf die Schriften Ciceros und Varros zurück. 3 Dion.4.15.1. Auf der Basis dieser Verbindung von Tribus (bzw. pagi) und Kurien glaubte Palmer, AC, 125, an die Existenz von drei Kurien mit Namen Fabia, Claudia und Clustumina. 4 Cf. Taylor, RVA, 11f. Zu den außerrömischen Kurien cf. auch Palmer, AC, 59-65. 5 Dies zeigt das Beispiel Sparta: Polyaen.2.3.11. 6 Palmer, AC, 11, 152ff., nach dem nur die Zahl der Kurien, die erst am Ende eines längeren Entwicklungsprozesses stand, verbürgt ist. Palmer, AC, 154ff., vermutete jedoch zugleich, die ursprünglichen drei Tribus hätten die Funktion von Aushebungsbezirken gehabt, die die Verteidigung der Stadt erleichtern sollten. Ihre Grenzen hätten sich nach denen der bestehenden Kurien gerichtet, die ebenfalls territorial gewesen seien. Die römischen Bauern hätten ihren Dienst in jenem Bezirk, in dem sie Land besaßen und bearbeiteten, verrichtet. Im Gegensatz zu den Tribus seien die Kurien religiöse, politische und nicht militärische Einheiten gewesen. 7 Timaios’ Bericht (FGrH 566 F 59-60) wird die Basis für die Darstellung des Lykophron (Alex. 125356) hinsichtlich der Pyrgoi des Aeneas gebildet haben cf. Alföldi, Early Rome, 171f., 248ff., 285f.=id., Das frühe Rom, 163f., 226ff., 255f. Timaios scheint seine Informationen vor Ort gewonnen zu haben, cf Alföldi, Rez. zu Palmer, AC, Gnomon 44, 1972, 792f.

100

Die drei ältesten Tribus

legende um Aeneas.1 Die 30 Kurien waren jedoch eng mit den drei Tribus verbunden: Je zehn Kurien setzten eine Tribus zusammen. Die Korrelation beider Einheiten bettet sich in den Kontext der Entstehung des Stadtstaates ein, der mit Hilfe dieser künstlich geschaffenen Einheiten ein wehrfähiges Heer aufzustellen vermochte. Da die Kurien älter als die Tribus waren – sie bildeten die Basiseinheiten des ältesten römischen Heeres und der ältesten politischen Volksversammlung – und die Quellen zwischen curiae veteres und curiae novae differenzieren, ist es plausibel anzunehmen, daß die curiae novae jene Kurien waren, die im Augenblick der Koordinierung von Tribus und Kurien die Gesamtzahl der letzteren auf 30 (von zuvor sieben) erhöhten. Die Zusammensetzung der Kolonien aus 300 Siedlern und der sie gründenden Kommission aus drei Beamten (tresviri coloniae deducendae), könnte ebenfalls auf eine entsprechende Gliederung des Militärs zurückzuführen sein, zumal die Kolonien in erster Linie als militärische Vorposten galten. Die Zahl von 300 Siedlern ist bis ins 2. Jahrhundert für die Deduktionen von Tarracina 329 v.Chr. sowie Puteoli, Volturnum und Liternum 194 v.Chr. belegt.2 Dionysius war der Meinung, bereits an den in der Königszeit erfolgten Deduktionen sei jede der drei Tribus beteiligt gewesen.3 Zwar sind die frühen Deduktionen römischer Kolonien wahrscheinlich nicht historisch, so daß die Siedlerzahl als Rückprojektion späterer Verhältnisse zu deuten wäre;4 das Beharren auf der Zahl drei bzw. 300 sollte vermutlich symbolisch an die Einteilung der urbs in drei alte Tribus und 300 gentes erinnern.5 Dies darf jedoch nicht zu dem Schluß führen, daß die Einteilung des frühen Rom in drei Tribus unhistorisch ist. Gegen die von Teilen der Forschung vertretene Ansicht, nach der es keine drei Tribus, sondern lediglich die Reiterzenturien gegeben habe, sprechen mehrere Aspekte. Eine sekundäre Umdeutung der Tradition kann nicht nachgewiesen werden. Die gesamte Überlieferung geht von der Existenz dreier Bezirke aus. Zwar spricht Livius im ersten Buch Ab urbe condita tatsächlich nur von den Tities, Ramnes und Luceres in ihrer Funktion als Reiterzenturien. An späterer Stelle kennt er jedoch die tres antiquae tribus, eine Formulierung, die vermuten läßt, daß diese Bezirke von Anfang an existierten, wenn sie auch in republikanischer Zeit ihre einstige Bedeutung verloren.6 Es könnte gerade dieser Funktionsverlust gewesen sein, der Livius in seinem ersten Buch Ab urbe condita dazu veranlaßte, lediglich von den Reiterzenturien zu reden, die das 1

Cf. Palmer, AC, 11. Cf. auch Kap.II.6.4. Tarracina: Liv.8.21.11. Puteoli, Volturnum, Liternum: Liv.32.29.4. Cf. Dion.2.35 (300 Siedler in Antemnae und Caenina); 2.53 (ebenso in Fidenae). 4 Für Mommsen RSt II, 627, Anm.2, war die Dreizahl, die sich in den republikanischen Magistraturen vor dem 3. Jahrhundert nicht nachweisen läßt, ein Anlaß, die aus älterer Zeit vorliegenden Nachrichten über die Einsetzung von tresviri coloniae deducendae in Frage zu stellen. Cf. auch H. Galsterer, Herrschaft und Verwaltung im republikanischen Italien, München 1976, 46ff. 5 Cf. H. Galsterer, op.cit., 47. 6 Liv.10.6.7. Auch der anonyme Autor de viris illustribus (2.11ff.) erwähnt nicht die drei Tribus. Seit der späten Republik waren diese in politischer Hinsicht noch mehr als die Kurien und die drei doppelten Ritterzenturien in den Hintergrund getreten. Die Erinnerung, welche Kurien zu den Tities, Ramnes oder Luceres gehörten, muß sich aber gehalten haben, da sonst weder die Gliederung der Priesterschaften (Auguren, Vestalinnen) noch der Bürgerschaft nach Tribus und Kurien (cf. Dion.2. 21; Plut.Qu.Rom.89 (mor.285D)) erfolgen konnte. Gegen die Ansicht Poucets cf. auch M. Tagliatella Scafati, Appunti sull’ordinamento militare di Roma arcaica, in: Ricerche II, 51ff. 2 3

Die Funktionen der Tribus

101

einzige Relikt dieser alten drei Tribus darstellten. Cicero hält die Namen Tities, Ramnes und Luceres für Einteilungen der Kavallerie, bringt sie aber zugleich mit einer Einteilung des gesamten Volkes in drei Tribus in Zusammenhang.1 Nicht nur die Annalistik, auch der antiquarische Strang der Geschichtsschreibung (Varro, Verrius Flaccus) kennt die drei Tribus. Hätten die Tribus tatsächlich nur als Reiterzenturien existiert, hätte dies nicht nur bei Livius Erwähnung, sondern einen insgesamt breiteren Niederschlag in der Überlieferung finden müssen. Zudem setzt die These der Tribuszenturien voraus, daß Servius Tullius, dem die Gründung der vier Stadttribus und des fünfklassigen Zenturiensystems zugeschrieben wird, als Ersteinrichter der Tribus gelten müßte. Dies ist jedoch nirgends belegt. Dionysius sagt ausdrücklich, daß Servius eine ältere Ordnung durch eine jüngere ersetzte. Auch die gentilizische Benennung der älltesten Tribus, die Gliederungseinheiten der gesamten Bürgerschaft, nicht nur des Reiteradels waren, und der territoriale Charakter der Tribus machen eine Existenz der Tribus als Rekrutierungsbezirke wahrscheinlich. Es handelt sich um zwei grundlegende Eigenschaften der ältesten Tribus, die auch die später gegründeten Landtribus besaßen.2 Abschließend läßt sich festhalten: Es existierte aller Wahrscheinlichkeit nach bereits vor der Heeresreform des Servius Tullius eine Tribusarmee aus 3000 Mann, die sich gleichmäßig – auf der Basis von drei noch näher zu definierenden Einheiten – aus Abteilungen von je 1000 Mann zusammensetzte, welche von jeweils einem Militärtribunen befehligte wurden.

2.2. Sakrale Funktion Die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Tribus und sakralem Bereich gab, wie er etwa für die athenischen Phylen nachgewiesen werden kann, muß differenziert beantwortet werden. Zunächst ist festzuhalten, daß keine spezifisch religiösen Funktionen der Tribus, sei es der Gentil-, Stadt- oder Landtribus, in den Quellen belegt sind. Obwohl die Tribus wie die Phylen korporativ verfaßt waren und über gemeinsamen Besitz wie Straßen und Gräber verfügten, hatten sie offenbar keine eigenen Kulte und Priesterschaften.3 Es gibt weder Weihinschriften der Tribus an eine bestimmte Gottheit noch den athenischen Phylen vergleichbare Kultheiligtümer der Tribus. Solche kultischen Zentren wären angesichts der territorialen Zersplitterung der Tribus in der späten Republik kaum unerwähnt geblieben, da sie zweifellos als Treffpunkte der regional weit verteilten Wählerschaft gedient und den korporativen Zusammenhalt der Tribulen 1

Cic.rep.2.20.36, 2.8.14. Gegen einen ausschließlich militärischen Charakter der ältesten Tribus: Holzapfel, Tribus, 228255; Ménager, Collèges, 459; Ampolo, Gruppi etnici, 52; Palmer, AC, 6; J.Chr. Meyer, Pre-Republican Rome, 130; Alföldi, VER, 61f. 3 Dies war dennoch die Ansicht zahlreicher Forscher wie etwa B.G. Niebuhr, Vorträge über römische Alterthümer (Hrg. M. Isler), Berlin 1858, 93; N.D. Fustel de Coulanges, Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms. Mit einer Einführung von K. Christ, Stuttgart 1981, 161f., 170, 292, und Taylor, VDRR, 78. Mommsen, RSt III,1, 188f., hat dagegen mit Recht jeden Zusammenhang zwischen Tribus und Staatskult bestritten, glaubte aber zugleich (III,1, 95f.), die Tribus seien ursprünglich selbständige Gemeinden mit jeweils einem Pontifex, Auguren und einer Vestalin gewesen. 2

102

Die drei ältesten Tribus

bei politischen Auseinandersetzungen gefördert hätten. Stattdessen kamen die Tribusgenossen an der Porticus Minucia Frumentaria, dem Zugang zu den Saeptae, zusammen, dort wo in der Kaiserzeit die tribusweisen Getreidespenden ausgegeben wurden.1 Falls die sakrale Grenze Roms, die u.a. durch den Reinigungsritus der Ambarvalia markiert wird und in einer Entfernung von ca. fünf Meilen einen Kreis um die urbs bildete (Kap.V.1), mit der Grenze des ältesten Territoriums der drei gentilizischen Tribus identisch war, spräche dies nicht automatisch für einen Zusammenhang von Kult und Tribus. Die sakrale Stadtgrenze könnte sich deswegen als natürliche Grenze der ältesten Tribus angeboten haben, weil sie die gesamte, auf dem Territorium Roms lebende Bürgerschaft umfaßte, die es vor schädlichen äußeren Einflüssen zu schützen galt.2 Taylors Auffassung, der Hain der Arvalbrüderschaft, die am 5. Meilenstein der via Campana die Riten für die Dea Dia ausführte, habe in der Romilia gelegen und könne der Ausgangspunkt für die ältere Prozession der Ambarvalia gewesen sein,3 ist nicht zu halten. Drei Gründe sprechen dagegen: Der Zusammenhang zwischen dem sacrificium deae Dia und den Ambarvalia ist unsicher.4 Außerdem lag die Tribus Romilia weiter nördlich, als Taylor vermutete, so daß sich der Hain der Göttin aller Wahrscheinlichkeit nach außerhalb dieser Tribus befand.5 Schließlich ist es fraglich, ob der ordo tribuum der Landtribus, der durch die Romilia eröffnet wurde, tatsächlich ein geographischer ordo war, der nach dem Vorbild der lustratio der Ambarvalia die topographische Abfolge der Tribus um die urbs berücksichtigte (Kap.V.4.3.3). Auch die später gegründeten vier Stadttribus hatten nichts mit religiösen Feiern wie etwa dem Argeerfest zu tun. Dem Ablauf der Prozession innerhalb der vier servianischen Regionen und der Stadtmauer6 darf kein enger Zusammenhang zwischen Kultus 1

Cf. Taylor, VDRR, 15, Anm.36; ead., RVA, 69; Cl. Nicolet, Le temple des Nymphes et les distributions frumentaires à Rome à l’époque républicaine d’après des découvertes récentes, CRAI 1976, 29-51; F. Zevi, Per l’identificazione della porticus Minucia, MEFRA 105, 1993, 661-678. 2 Alföldi hatte angenommen, daß diese sakrale Grenze zugleich die äußere Grenze eines inneren, aus fünf Lokaltribus bestehenden Gürtels anzeige. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich cf. Kap.V.4.1. Zur möglichen Übereinstimmung von ältester territorialer (Gebiet der drei Tribus) und sakraler Grenze cf. Kap.V.1; V.4.3.1. 3 Taylor, VDRR, 75, gefolgt von F. Coarelli, Remoria, in: D. Braund/Chr. Gill (Hrg.), Myth, History and Culture in Republican Rome. Studies in Honor of T.P. Wiseman, Exeter 2003, 46f. 4 J. Scheid, Les sanctuaires de confins dans la Rome antique, in: L’Urbs. Espace urbain et histoire, Rom 1987, 583-595, bes.585f., und C. Bennett Pascal, Tibullus and the Ambarvalia, AJPh 109, 1988, 523-536, haben sich zu Recht gegen eine Assimilierung der Riten der Arvalbrüder mit den Ambarvalia ausgesprochen, die einzig auf der Emendation duodecim statt duobus bei Fest.5L (Ambarvales hostiae appellabantur, quae pro arvis a duobus fratribus sacrificabantur) beruht. Skeptisch war bereits E. Olshausen, Über die römischen Ackerbrüder, ANRW II, 16, 1, 1978, 823. Zumeist wird jedoch der Kult der Arvalbrüder als Fortsetzung der Ambarvalia interpretiert, cf. etwa G. Wissowa, s.v. „Fratres Arvales“, RE II,1, 1896, 1478; F. Boehm, s.v. „Lustratio“, RE XIII, 2, 1927, 2033; I. Scott Ryberg, Rites of the State Religion in Roman Art, Rom 1955, 116; A. Momigliano, Ambarvales Hostiae, Maia 15, 1963, 47-48; I. Chirassi, Dea Dia e Fratres Arvales, Studi e materiali di storia delle religioni 39, 1968, 199, Anm.8; G. Piccaluga, Terminus. I segni di confine nella religione romana, Rom 1974, 121. 5 E. Badian, JRS 52, 1962, 201. Cf. Kap.V.4.2.4.1. 6 Das sechste sacrarium der Collina, das zuweilen außerhalb der Mauer des Servius Tullius vermuet wird (wie etwa auf der Karte Palmers, AC („Center of old Rome“) dargestellt), beschreibt Varro

Die Funktionen der Tribus

103

und Tribus entnommen werden, zumal sich letztere wahrscheinlich auch auf das Gebiet jenseits der Stadtbefestigung erstreckten (Kap.III.5). In dem von Varro zitierten Pontifikaldokument sind Regionen und eben keine Tribus genannt. Zudem stellten diese Regionen lediglich den Bezugsrahmen für die Beschreibung der Heiligtümer dar,1 indem sie den Zweck erfüllten, den Prozessionsteilnehmern den kürzesten Weg zu den Heiligtümern zu zeigen.2 Sie waren nicht in der Weise aufeinander bezogen, daß jede Region eine gleich große Anzahl von sacella gestellt hätte. Eine solche Annahme wird schon allein durch die ungerade Zahl der Heiligtümer (27) widerlegt.3 Ferner sind grundsätzliche Zweifel an der Vermutung angebracht, daß eine rituelle Prozession wie die der Argeer den Ausschlag für den in erster Linie politisch bedeutsamen ordo tribuum gab. Dort wo Varro die Rangfolge der ersten fünf Tribus angibt, sind diese nicht in einer gegen den Uhrzeigersinn gerichteten Reihenfolge aufgelistet, wie sie für die Abfolge der Regionen bei dem Argeerritus galt.4 Ein entsprechender Prozessionsverlauf zu den einzelnen sacella innerhalb der Regionen ist ebenfalls nicht nachzuweisen.5 Schließlich gibt es keinen Beleg für die Vermutung, daß die von Varro zitierte Argeerordnung nach Regionen zugleich die offizielle Ordnung der Tribus widerspiegelt.6 Wenn die Tribus im Zusammenhang mit kultischen Festen und Opfern erwähnt werden, dann geschieht dies nicht, weil sie eine spezifische kultische Funktion während dieser Feste wahrnahmen, sondern weil sie als Untergliederungen der Bürgerschaft dienten und die Teilnahme aller Bewohner der Stadt und des Landes garantierten. So wurden die Quirinalia für diejenigen römischen Bürger eingerichtet, die ihre Kurien nicht gewußt oder an den in Tribusgliederung begangenen Fornacalia nicht geopfert hätten.7 Man zelebrierte sie am letzten Tag der Fornacalia, dem 17. Februar, und bezeichnete die Quirinalia passenderweise als das Fest der „Dummen“.8 Zu Beginn des mit den Worten Collis Latiaris sexticeps in vico Insteiano summo apud auraculum; aedificium solum est. Die Lage des vicus Insteianus ist unbekannt. Sicherer dagegen ist die Lage des Auguraculums, das sich außerhalb des murus Servii Tulli und des pomerium befand. Cf. Gran.Lic.28.1-5Fl=28.25f.Cr (templum augurale); F. Coarelli, s.v. „Auguraculum (Collis Latiaris)“, LTUR I, 1993, 143. Daraus folgt jedoch nicht automatisch, daß auch das sacrarium außerhalb der Stadtmauer war. Zur Datierung des Argeerfestes cf. Kap.III.3.2. 1 Varr.ling.5.45. Cf. G. Radke, Latomus 49, 1990, 6. 2 Cf. Jordan/Hülsen, Topographie II, 239. 3 Cf. F. Coarelli, s.v. „Argei sacrorum“, LTUR I, 1993, 121, der überzeugend gegen eine Emendation der in der sehr guten Florentiner Varro-Handschrift überlieferten Zahl XVII zu XIIII eintrat, gefolgt von Palombi, Palatino, 86. 4 Varr.ling.5.56. Die Abfolge lautet hier Suburana, Palatina, Esquilina, Collina, Romilia. Die Beschreibung der Argeer (Varr.ling.5.45-53) beginnt zwar ebenfalls mit der Suburana, nennt aber dann die Esquilina, Collina und zum Schluß erst die Palatina. Taylors These eines gegen den Uhrzeigersinn gerichteten ordo tribuum (VDRR, 69-78) ist auch aus diesem Grund abzulehnen. 5 Lediglich die Lustrationsriten schreiben einen reinigenden Zug der Opfertiere um das Objekt der lustratio vor; im Falle der Argeer ist aber weder das Mitführen von Opfertieren noch ein Herumführen um die zu reinigenden Objekte oder Subjekte erkennbar. 6 Varr.ling.5.45. Cf. Kap.V.4.3.3. 7 Plut.Quaest.Rom.89 (mor.285D). Palmer, AC, 152ff., und Ampolo, Paesaggio, 81, betonten den militärischen Charakter der Tribus gegenüber dem religiösen. 8 Ov.fast.2.531f. Cf. D. Baudy, «Der dumme Teil des Volkes» (Ov.Fast.2,531), MH 58, 2001, 3239.

104

Die drei ältesten Tribus

ersten Samnitenkrieges fand 344 v.Chr. eine Supplicatio statt, in der das nach Tribus gegliederte Volk den Beistand der Götter erflehen sollte.1 Eine ähnliche strukturierende Funktion hatten die Tribus bei der Rekrutierung der Priesterämter, wie am Beispiel der Auguren, pontifices, flamines und Vestalinnen gezeigt werden kann. 1) Nach Darstellung Ciceros wurde bereits das angeblich unter Romulus eingerichtete Augurenkollegium tribusweise kooptiert.2 Eine solche Rekrutierung könnte auch Dionysius implizieren. Zwar berichtet der Historiker, Romulus habe für die Opferschau aus jeder Tribus einen haruspex ernannt. Dabei könnte jedoch eine Verwechslung mit den Auguren vorliegen.3 Auch nach Livius hatte jede Tribus ihren eigenen Augur. Der Autor berichtet davon, daß die lex Ogulnia des Jahres 300 ein Kollegium von vier Auguren um fünf plebejische Auguren vermehrt habe. Den offensichtlichen Widerspruch zwischen ursprünglicher Dreizahl und Vierzahl erklärt er damit, daß das Kollegium später sechs Mitglieder zählte, von denen zum Zeitpunkt der lex zwei verstorben seien.4 Bestätigt werden die ursprüngliche Dreizahl der Auguren und ihre Verdoppelung durch zwei Nachrichten Ciceros. Zum einen soll Numa den vier vorhandenen Auguren, zu denen der König selbst zählte, zwei hinzugefügt haben.5 Zum anderen mußten bei der Verabschiedung der lex curiata de imperio noch am Ende der Republik drei Auguren gegenwärtig sein.6 Mit der engen Bezugsetzung zwischen Tribus und Priesterstellen hat sich offenbar ein wichtiges strukturelles Moment der römischen Sakralverfassung in der Überlieferung gehalten. Livius’ Interpretation der vorhandenen Stellenzahl (vier) zum Zeitpunkt der lex Ogulnia ist durchaus plausibel. Der Autor beruft sich für die ursprünglich Dreizahl ausdrücklich auf die Autorität der Auguren (cum inter augures constet). Somit scheint die Zahl der Auguren von anfänglich drei, auf sechs und um 300 auf neun vermehrt worden zu sein.7 Im Jahre 81 v.Chr. gab es dann 15 Auguren, von denen die besagten drei eine besondere Rolle spielten.8 Erst ab 47 n.Chr., als die Zahl der augures mit der 1

Liv.7.28.8, cf. S.P. Oakley, A Commentary on Livy Books VI-X, Bd.2, Oxford 1998, 271. Cic.rep.2.9.16: (sc. Romulus) ex singulis tribubus singulos cooptavit augures. 3 Dion.2.22. Cf. J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung, Bd.3, Leipzig 1878, 412. Dionysius datiert – im Gegensatz zu Cicero – die Tribuseinteilung und die Ernennung der Auguren vor dem Hinzutritt der Sabiner. 4 Liv.10.6.7: Quemadmodum ad quattuor augurum numerum, nisi morte duorum, id redigi collegium potuerat, non invenio, cum inter augures constet, inparem numerum debere esse, ut tres antiquae tribus, Ramnes, Titienses, Luceres, suum quaeque augurem habeant aut, si pluribus sit opus, pari inter se numero sacerdotes multiplicent, sicut multiplicati sunt, cum ad quattuor quinque adiecti novem numerum, ut terni in singulas essent, expleverunt. Für inparem wird aufgrund von Cic.rep.2.16 und Dion.2.22 wohl trifarium zu lesen sein, cf. Holzapfel, Tribus, 239; Stemmler, Eques Romanus, 189, Anm.568. 5 Cic.rep.2.14.26.: Idemque Pompilius et auspiciis maioribus inventis ad pristinum numerum duo augures addidit, et sacris e principium numero pontifices quinque praefecit. Cf. K.J. Hölkeskamp, Das Plebiscitum Ogulnium De Sacerdotibus, Überlegungen zur Authentizität und Interpretation der livianischen Überlieferung, RhM 131, 1988, 57. 6 Cic.Att.4.17.2 . 7 Cf. Mommsen, RSt II, 22, Anm.1; J. Marquardt, Römische Staaatsverwaltung, Bd.3, Leipzig 1878, 242; Alföldi, VER, 63 Ménager, Collèges, 460; Hölkeskamp, art.cit., 51-67. Holzapfel, Tribus, 241, dagegen glaubte, Livius habe sich geirrt. Die lex Ogulnia habe die Mitgliederzahl lediglich auf acht erhöht. 8 Cf. Liv.per.89; Cic.Att.4.17.2. 2

Die Funktionen der Tribus

105

der pontifices und quindecemviri sacrorum auf 16 erhöht wurde,1 hatte die Dreizahl keine Bedeutung mehr. 2) Auch die pontifices scheinen ursprünglich drei gewesen zu sein. Eine solche Zahl ist zwar im Gegensatz zur Augurenzahl nicht dem livianischen Bericht zur lex Ogulnia zu entnehmen. Hier berichtet der Historiker von einer Verdoppelung der pontifices von vier auf acht, ohne eine Erklärung für die Vierzahl zu liefern.2 Jedoch erwähnt Cicero die Ernennung von fünf pontifices durch Numa. Da offensichtlich wie bei den Auguren der König „hinzugedacht“ werden mußte, wird man auch im Falle der pontifices mit der Existenz von sechs Priestern vor 300 rechnen können,3 eine Annahme, die durch die Existenz von neun pontifices im 3. Jh. – diese Zahl legt eine Erhöhung in Dreierschritten nahe – eine gewisse Bestätigung erfährt. Drei pontifices (und drei augures) sind schließlich in der lex coloniae Genetivae erwähnt, eine Zahl, die aufgrund des Vorbildcharakters der urbs für die institutionelle Ausprägung seiner Kolonien vermutlich auch für Rom Bestand hat.4 Für die pontifices, die parallel zu den Auguren 81 v.Chr. auf 15 vermehrt wurden, läßt sich somit eine ähnliche Entwicklungslinie nachzeichnen.5 Ob die Verdoppelung auf sechs wirklich unter Numa erfolgte, ist allerdings eine andere Frage. Wie im Falle der Vestalinnen (infra) könnte sie eher eine Konsequenz der späteren Aufnahme auswärtiger Geschlechter (gentes minores) in den römischen Adel gewesen sein, die von den Quellen Tarquinius Priscus zugewiesen wurde (Kap.II.2.1). 3) Die Sechszahl der Vestalinnen wird von Festus in einen Zusammenhang mit der Differenzierung der römischen Bürgerschaft in Titienses, Ramnes und Luceres priores und posteriores gebracht.6 Dies legt nahe, daß es früher nur drei Vestalinnen gab, deren Stellen nach Unterscheidung von ersten und zweiten Titienses, Ramnes et Luceres verdoppelt wurden.7 Dionysius und Plutarch schreiben zwar Numa die Einsetzung von vier Vestalinnen zu.8 Der Grund hierfür ist aber wohl eher darin zu suchen, daß man

1

Cass.Dio 42.51.4. Liv.10.6.6, cf. 10.9.2. 3 Cic.rep.2.26. Cf. Mommsen, RSt II, 21, Anm.6, 22; Hölkeskamp, art.cit., 52f., 58. 4 CIL II. 5439=ILS 6087=FIRA I2, Nr.21, 181f., §LXVII. Cf. Mommsen, RSt II, 21, Anm.5. 5 Liv.per.89. 6 Cf. Fest.468L: Sex Vestae sacerdotes constitutae sunt, ut populos pro sua quaque parte haberet ministram sacrorum; quia civitas Romana in sex est distributa partes: in primos secundosque Titienses, Ramnes, Luceres. „Es sind sechs Piesterinnen der Vesta bestellt worden, damit das Volk für seinen jeweiligen Teil über eine Dienerin der sacra verfügte; , weil die römische Bürgerschaft in sechs Teile, nämlich die ersten und zweiten Titienses, Ramnes und Luceres, eingeteilt ist.“ (Übers. d. Autors). Fast wortgleich berichtet Paul.Fest.475L. 7 Cf. Ménager, Collèges, 461, 476ff., nahm die Stelle als Beleg für eine Einteilung der Bevölkerung in sechs Tribus. Festus ist jedoch isoliert. Als „erste“ und „zweite“ Titienses, Ramnes und Luceres wurden lediglich die Reiterzenturien bezeichnet, cf. M. Tagliatella Scafati, Appunti sull’ordinamento militare di Roma arcaica, in: Ricerche II, 79f. und Kap.II.2.1. Eine etwas andere Version überliefern Plutarch und Dionysius: Nach Plut.Numa 10.1 soll der zweite König Roms sukzessiv je zwei Paare von Vestalinnen berufen haben. Auch Dion.2.67.1 geht von vier von Numa ernannten Vestalinnen aus, die später wegen der wachsenden sakralen Aufgaben auf sechs vermehrt worden seien. 8 Dion.2.67.1; 3.67.2; Plut.Numa 10.1. 2

106

Die drei ältesten Tribus

nach der Analogie des Augurats noch das Vorhandensein einer außerhalb des Kollegiums stehenden Oberpriesterin annahm.1 4) Auch die drei flamines maiores und die curiones könnten auf der Basis der drei Tribus bestellt worden sein.2 Romulus soll für die öffentlichen, von den Tribus und Kurien zu veranstaltenden Opfer 60 Priester – curiones und beigeordnete flamines – eingesetzt haben.3 Die Erwähnung von Kurionen ist deswegen von besonderem Interesse, weil sie die Vorsteher der Kurien und somit der Untereinheiten der Tribus waren und zugleich eine wichtige militärische Aufgabe im alten Kurienheer erfüllten. 5) Schließlich sind die tresviri epulones zu nennen. Zwar ist es unwahrscheinlich, daß sie auf der Basis der drei ältesten Tribus rekrutiert wurden. Diese Tribus scheinen zum Zeitpunkt der Einrichtung des Kollegiums (196) nur noch als Ritterzenturien (sex suffragia) im Rahmen der Volksversammlung existiert zu haben. Ihre Stellenzahl unterstreicht aber die konstitutive Bedeutung der traditionellen Dreizahl und damit der Tribus für die Besetzung zahlreicher archaischer Priesterämter.4 Es läßt sich somit folgendes festhalten: Zahlreiche Quellen gehen von der Priorität der Tribusverfassung (Romulus) vor der priesterlichen Ordnung (Numa) aus. Danach hätten die Tribus erst sekundär als Rekrutierungseinheiten gedient. Andere weisen die Entstehung wichtiger Kollegien (Auguren) Romulus zu. Die Kenntnis des Entstehungszeitpunktes der meisten Priesterämter war anscheinend in den Irrpfaden der Überlieferung verlorengegangen. Hinter der republikanischen Rekrutierung dieser Ämter offenbart sich jedoch eine wichtige strukturelle Gegebenheit, deren Ursprung vermutlich weit zurückreicht. Da die Zahl der ältesten Tribus mit der Zahl der Priesterstellen wichtiger Kollegien korrespondiert, und von einer späteren Reform, die zu einer Neuregelung des ursprünglichen Mechanismus der Priesterrekrutierung geführt hätte, nichts bekannt ist, liegt die Vermutung nahe, daß die Tribus ursprünglich die Basis für die Zusammensetzung dieser Priesterämter darstellten. Für einen solchen Zusammenhang spricht neben dem hohen Alter auch die weitere Entwicklung der oben aufgeführten Priestertümer, die zur Entstehung ganz unterschiedlicher Zahlenverhältnisse führte, die aber auf einen Kern von jeweils drei Stellen zurückführbar scheint. Die Tribus waren offenbar bereits sehr früh nicht nur militärische, sondern auch 1

C.A. Volquardsen, Die drei ältesten römischen Tribus, RhM 33, 1878, 549. Unter Servius Tullius – nach Dionysius (2.67.1; 3.67.2) unter Tarquinius – soll ein letztes Paar hinzugefügt worden sein. Alföldi, VER, 63, Anm.75, bezeichnete diese Darstellung mit Recht als „gelehrte Kombination“. Cf. in diesem Sinne bereits F. Altheim, Römische Geschichte, Berlin 1953, 72, und De Francisci, Primordia Civitatis, 451ff., der die Dreizahl der Priesterstellen allerdings von den drei gentilizischen Tribus trennen wollte. 2 Cf. Ménager, Collèges, 469, der aber wohl zu Unrecht auch die kapitolinische Trias mit den Tribus in Zusammenhang brachte. Gegen einen Zusammenhang von Tribus und Religion trat Palmer, AC, 152f. und Anm.1, ein. Zwar könnten die sechs Vestalinnen und drei (später vier) Auguren auf die Zahl der Tribus bezogen sein; sie übten aber nicht Riten für die einzelnen Tribus, sondern für die ganze Gemeinschaft aus. Ursprünglich habe es wohl nur eine Vestalin und einen pontifex gegeben, im Gegensatz zu den Auguren, deren Zahl von den drei bzw. vier Tribus abhing. 3 Dion.2.21. Zu den 60 Priestern gehören 30 curiones (Anführer der Kurien) und die ihnen beigegebenen flamines, cf. Mommsen, RSt III,1, 101. Für weitere Belege zum Zusammenhang zwischen Tribus und Kurien cf. Kap.II.2.1. 4 Liv.33.42.1; Cic.de orat.3.73.

Die Funktionen der Tribus

107

zivile Einheiten, die der Ausgestaltung der politisch-sakralen Ämterverfassung dienten, ohne zugleich spezifische sakrale Funktionen wahrzunehmen.

2.3. Politische Funktion Die Quellen gehen von einer originären Drittelung sowie einer sukzessiven Vermehrung (oft Verdoppelung) von Ämtern und Institutionen1 in mehreren gesellschaftlichen Bereichen aus. Neben dem priesterlichen (pontifices, augures, flamines und virgines Vestales) und militärischen Bereich (Ritterzenturien, Legionäre, Legionstribunen) kann an die politische Gliederung erinnert werden, wie sie durch die Gesamtzahl von 300 Senatoren illustriert wird. Die Texte stellen einen engen Bezug zwischen der Erweiterung des Senats und der Aufnahme neuer gentes, der gentes minores, in die Bürgerschaft her, durch die die Mitgliederzahl des Senats verdoppelt worden sei. Zwar weisen die Darstellungen zahlreiche Widersprüche auf, die sich aus dem Bestreben erklären könnten, unterschiedliche Angaben der Annalisten zur frühen Entwicklung des Senats mit der idealtypischen Vorstellung von 100 Senatoren unter Romulus in Einklang zu bringen.2 Die Vermehrung der gentes, die das Ergebnis von Familienzusammenschlüssen war und die nicht dekretiert werden konnte, ist als evolutionärer Prozeß zu verstehen und war von Faktoren wie der Integration und Aufspaltung alter Verbände abhängig.3 Hinter der Gesamtzahl von 300 Senatoren scheint sich jedoch ein wahrer Kern der Überlieferung zu verbergen, der nicht nur mit der Existenz von drei ältesten Tribus, sondern auch mit der Existenz von 30 Kurien harmonieren würde. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß die lectio senatus wahrscheinlich zunächst die Kurienmitgliedschaft der einzelnen Senatoren berücksichtigte.4 Die Kurien waren der natürliche 1

Nach Alföldi, VER, 63f., erfolgten diese Reformen bereits in der Republik: „Die Datierung derartiger Reformen in die Königszeit beruht auf dem Bestreben der Annalisten, durch den Nachweis eines kontinuierlichen Wachstums die Königszeit historisch glaubhaft als Epoche eines spektakulären Aufstiegs erscheinen zu lassen.“ Cf. auch Ménager, Collèges, 472ff. 2 Livius gibt 100 Senatoren unter Romulus an, die unter Tarquinius durch 100 Senatoren der minores gentes ergänzt worden seien (1.35.6). Zu Beginn der Republik kennt er allerdings 300 Senatoren (2.1.10). Auch Cic.rep.2.35 und Vir.ill.6.6 sprechen von einer Verdoppelung durch die Hinzufügung der minores gentes unter Tarqunius. Nach Dion.3.67.1 ist jedoch ein bereits unter Romulus verdoppelter Senat von 200 Personen (2.47.1) unter Tarquinius durch 100 Plebejer auf 300 erweitert worden. Livius und Dionysius stimmen darin überein, daß ein Senat von 300 am Ende der Entwicklung stand. Cf. auch Fest.290L s.v. „Praeteriti senatus“. 3 Die Endzahl 300 könnte somit das Ergebnis einer kontinuierlichen Aufstockung sein, die mit der dynamischen Bevölkerungsentwicklung Roms in archaischer Zeit zusammenhängt. Cf. Liv.1.30.2 und Dion.3.29 für die Einwanderung albanischer gentes unter Tullus Hostilius. Zu der auf G.B. Niebuhr, Römische Geschichte I (Hrg. Isler), Berlin 1873, 261, zurückgehende Ansicht, es habe 300 gentes (die dek£dej bei Dion.2.7.4) gegeben, die gleichmäßig auf 30 Kurien verteilt gewesen seien, cf. bereits Mommsen, RSt III,1, 12, Anm.3. 4 Dafür daß die lectio noch bis ins 3. Jh. hinein curiatim (Fest.290L s.v. „Praeteriti senatus“. F.X. Ryan, Die Senatorenernennung gemäss dem ovinischen Gesetz, RSA 31, 2001, 83-91, emendierte curiati) erfolgte und eine Mitgliederzahl von dreihundert, in proportionaler Beziehung zu den Kurien und Tribus, garantierte, cf. Mommsen, RF II, 121, 261, 284. Allzu konstruiert erscheint die

108

Die drei ältesten Tribus

Zusammenschluß jener gentes, die eine Verwandtschaft aufgrund derselben Ahnenschaft beanspruchten und die ein bestimmtes Gebiet innerhalb der Stadt bewohnten. Als Mitglied einer gens wurde der römische Bürger zugleich in eine bestimmte Kurie hineingeboren; falls es zu Adelsrivalitäten kam, so äußerten sich diese vermutlich weniger zwischen den gentes der jeweils selben Kurie als zwischen den gentes verschiedener Kurien. Innerhalb der Kurien wird die Solidarität unter den Mitgliedern, die sich zu gemeinsamen Festen und kultischen Veranstaltungen trafen, relativ groß gewesen sein. Für die Herstellung des politischen Gleichgewichts der Stadt Rom war es somit von entscheidender Bedeutung, daß eine gleiche Teilhabe der Kurien, die auch die älteste Volksversammlung bildeten,1 am angesehensten Gremium der Stadt garantiert war. Die Tribus, die wahrscheinlich erst nach den ältesten Kurien entstanden, waren als militärische Rekrutierungsbezirke gegründet worden. Da sie jedoch mit den um die curiae novae vermehrten 30 Kurien koordiniert und lokale Einheiten waren, hätten bei der kurienweisen Auswahl der Senatoren auch – zumindest sekundär – die drei ältesten Tribus Berücksichtigung gefunden, die sich aus je zehn Kurien pro Tribus zusammensetzten. Dieses System hatte vielleicht nur in der Königszeit und in einer Anfangsphase der Republik Bestand, solange wie die Bekleidung einer Magistratur noch nicht die Voraussetzung für die Senatsmitgliedschaft war. Der enge Zusammenhang zwischen Tribus und Kurien kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Vermehrung des Gremiums durch 300 Ritter unter Sulla auf der Basis der Tribus erfolgte, die allem Anschein nach die neuen Ritter unter jenen Tribulen, die die entsprechende Zensusqualifikation erfüllten, wählten.2 Eine kuriAuffassung, daß sich die zehn Kurien des Senats wiederum aus je zehn Dekurien zusammensetzten (Dion.2.57; Isid.Orig.9.4.11). Die Bezeichnung „Dekurien“ scheint in archaischer Zeit der Organisation der Reiterei vorbehalten gewesen zu sein, cf. Kap.II.3.2. Für eine Historizität der Dekurieneinteilung cf. allerdings Willems, Sénat II, 19f. 1 Die Einrichtung des concilium plebis und der comitia tributa zu Beginn der Republik markiert demgegenüber bereits den politischen Bedeutungsgewinn der neu gegründeten Stadt- und Landtribus, cf. Kap.V.4.3.3. 2 Cf. App.civ.1.100.468: aÙtÍ d tÍ boulÍ di¦ t¦j st£seij kaˆ toÝj polšmouj p£mpan ÑligandroÚsV proskatšlexen ¢mfˆ toÝj triakos…ouj ™k tîn ¢r…stwn ƒppšwn, ta‹j fula‹j ¢nadoÝj yÁfon perˆ ˜k£stou. Daß die neuen Senatoren durch die Tributkomitien gewählt wurden, wie G. Tibiletti, The Comitia During the Decline of the Roman Republic, SDHI 25, 1959, 100, Anm.9, und Th. Hantos, Res publica constituta. Die Verfassung des Diktators Sulla, Stuttgart 1988, 47f., Anm.8, meinten, ist unwahrscheinlich. Die Wahl der Senatoren steht vielmehr in der Tradition des Nominationsrechts der Tribus, wie sie auch für die Zusammensetzung der verschiedenen Gerichtshöfe bezeugt ist. Der Widerspruch, der sich aus der Zahl von 300 Rittern und der Angabe einer Wahl in den 35 Tribus ergibt (cf. den Hinweis von M.C. Nicolet, Note sur Appien, B.C., I, 100, 467: Sylla et la réforme électorale (?), MEFRA 71, 1959, 224, Anm.1), ist nicht unauflösbar. Appian spricht nur von annähernd 300 Rittern, was eine Wahl von acht oder neun Rittern pro Tribus ermöglichen würde (Auch die centumviri waren letztlich nicht 105, sondern 100 Richter, cf. die Erklärung bei Paul.Fest.47L s.v. „Centumviralia iudicia“). Daß sich die Ritter zu je 100 aus den alten drei gentilizischen Tribus rekrutierten, ist unwahrscheinlich, da sich die Mitgliedschaft in ihnen seit frühester Zeit vererbte. Zur Appian-Stelle cf. auch die Interpretationen von Mommsen, RSt III,1, 189, Anm.2, und E. Gabba, Il ceto equestre e il senato di Silla, Athenaeum 34, 1956, 124-138=id., Republican Rome, 142-150; id., Roma arcaica, 102. Taylor, VDRR, 292, erkannte in der Maßnahme zu Recht den Versuch, der ungleichen Verteilung von Senatoren in den Tribus entgegenzuwirken.

Die Funktionen der Tribus

109

enweise Zusammensetzung war in einer Zeit, in der die Römer ihre „Heimatkurie“ nicht mehr kannten (Kap.II.2.2), praktisch nicht zu realisieren. Eine Zusammensetzung nach Tribus konnte dagegen leichter herbeigeführt werden, da die Tribuszugehörigkeit in jedem Zensusjahr aktualisiert wurde. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang, daß Sulla auch eine Wiedereinführung des alten servianischen Zenturiensystems plante.1 Die Rekrutierung von Rittern nach Tribus könnte ebenfalls an einen archaischen Rekrutierungsmodus angeknüpft haben, wenn auch dieser nicht so alt wie die Rekrutierung curiatim gewesen sein wird. In der späten Republik ist mehrfach eine Berücksichtigung der Tribuszugehörigkeit der Bürger bei der Besetzung von Gerichtshöfen bezeugt. Das gracchische Gesetz zur Einrichtung eines Repetundenhofes sah eine gleichmäßige Besetzung des neuen Gremiums nach Tribus vor.2 Die lex Plautia iudiciaria von 89 bezog sich wahrscheinlich auf das ein Jahr zuvor, durch die lex Varia eingerichtete, für Hochverrat (maiestas) zuständige Tribunal.3 Sie bestimmte, daß sich dieses Gericht aus je 15 Mitgliedern pro Tribus (insgesamt also 525) zusammensetzen sollte, eine Regel, die aufgrund der ungleichen Verteilung von Bürgern hoher Zensusklassen zu einer Besetzung der Richterbänke mit Angehörigen der plebs aus einigen Tribus führte.4 Die lex Aurelia iudiciaria 70 v.Chr. besaß gegenüber der lex Plautia einen allgemeineren Charakter und 1 App.civ.1.59.266. Wahrscheinlich war das Zenturiensystem, das Sulla im Sinn hatte, bereits nachservianischen Ursprungs, cf. Kap.III.3.3. Dies schließt jedoch nicht aus, daß das System der Senatsrekrutierung nach Kurien älteren Datums war. 2 CIL I². 583, 14/18=FIRA I2, 84-102 (Tabula Bembina): 14. ]h.l. CDL vireis in eum annum lectei erunt, ea nomina omnia in tabula, in albo atramento scriptos, patrem tribum cognomenque tributimque discriptos hab[eto, eosque propositos 18. patr]em tribu cognomenque tributimque discriptos habeto, eosque propositos suo ma[gistratu servato. Für die Gleichsetzung der hier verzeichneten lex repetundarum mit der einem gracchischen Gesetz, sei es der lex Acilia (123/122) oder der lex Sempronia, cf. G. Tibiletti, Le leggi de iudiciis repetundarum fino alla guerra sociale, Athenaeum 31, 1953, 5-100; E. Badian, Lex Acilia repetundarum, AJPh 78, 1957, 374; id., Foreign Clientelae (264-70 B.C.), Oxford 1958, 179; Toynbee, HL I, 193, II, 549 mit Anm.2; E.T. Salmon, Roman Colonization under the Republic, London 1969, 117f. und Anm.213; A.R. Hands, The Political Background of the Lex Acilia de Repetundis, Latomus 24, 1965, 236; W. Dahlheim, Struktur und Entwicklung des römischen Völkerrechts im 3. und 2. Jh. v.Chr., München 1968, 123, Anm.20; P. Brunt, Social Conflicts in the Roman Republic, London 1971, 82f.; A. Bernardi, Nomen Latinum, Pavia 1973, 117; A.N. SherwinWhite, The Date of the Lex Repetundarum and its Consequences, JRS 62, 1972, 84, 94f.; id., RC², 111, 116; G. Luraschi, Foedus Ius Latii Civitas. Aspetti costituzionali della romanizzazione in Transpadana, Padua, 1979, 307f., 314ff.; A. Lintott, Judicial Reform and Land Reform in the Roman Republic, Cambridge, 1992, 16. H. Mattingly, Two republican laws of the Tabula Bembina, JRS 1969, 129ff.; id., The extortion law of the Tabula Bembina, JRS 1970, 154-168; id., A new look at the lex Repetundarum Bembina, Philologus 131, 1987, 72ff., glaubte demgegenüber an eine Identifizierung der Tabula mit der lex Servilia Glaucia von 101/100 v.Chr. 3 Cf. M.T. Griffin, The Leges Iudiciariae of the Pre-Sullan Era, CQ n.s. 67, 1973, 120; A.M. Suárez Piñeiro, Las leges iudiciariae ante la crisis de la República Romana (133-44 a.C.), Latomus 59, 2000, 264f. 4 Ascon.Corn.70,7-14, S.79C: M. Plautius Silvanus tribunus plebis Cn. Pompeio Strabone L. Porcio Catone coss., secundo anno belli Italici cum equester ordo in iudiciis dominaretur, legem tulit adiuvantibus nobilibus; quae lex vim eam habuit quam Ciceri significat; ex ea lege tribus singulae ex suo numero quinos denos suffragio creabant qui eo anno iudicarent. Ex eo factum est ut senatores quoque in eo numero essent et quidam etiam ex ipsa plebe. Cf. Taylor, VDRR, 293, und B.A. Marshall, A Historical Commentary on Asconius, Columbia/Missouri 1985, 275.

110

Die drei ältesten Tribus

regelte vermutlich die Bedingungen für die Besetzung gleich mehrerer Quaestiones.1 Auf Veranlassung des Prätors L. Aurelius Cotta wurden jetzt in einem ausgewogenen Verhältnis (je 300) Senatoren, Ritter und Aerartribunen auf die Geschworenenlisten gesetzt.2 Die tribuni aerarii waren die alten Zahlmeister der Armee, bildeten aber unterhalb der Ritterschaft einen eigenen Stand (ordo).3 Die lex Aurelia stand weiterhin in der Tradition der lex Plautia,4 die eine Tribusrepräsentation innerhalb der beiden ordines der Senatoren, Ritter und innerhalb der plebs garantieren sollte. Allerdings zog es die Konsequenzen aus der geringen Besetzung einzelner Tribus mit Senatoren und Rittern, die zu einer nicht vorhergesehenen Berücksichtigung der plebs geführt hatte. Da offensichtlich eine Repräsentation aller Tribus innerhalb der beiden oberen ordines nicht mehr zu gewährleisten war, mußte auf eine Gruppe von Personen zurückgegriffen werden, die sicher in allen Tribus vertreten waren und zugleich ein hohes Ansehen besaßen. Auch die mit erb- und eigentumsrechtlichen Fragen befaßten centumviri setzten sich aus den 35 Tribus zusammen, die je drei Juroren bestimmten.5 Schließlich scheint eine annähernd gleiche Zahl von Juroren pro Tribus für den Gerichtshof festgelegt worden zu sein, der illegale Wahlbündnisse bestrafen sollten (lex Licinia de sodaliciis von 55).6 Die lex sah u.a. vor, daß der Ankläger vier Tribus auswählen konnte, aus denen sich die Geschworenen rekrutierten, wobei es dem Verteidiger freistand, eine von diesen abzulehnen. Die Maßnahme wird von Cicero und dem von ihm zitierten Hortensius mit der Absicht des Senats begründet, die mit dem Angeklagten am engsten verbun1

Cf. A.M. Suárez Piñeiro, art.cit., 266. Vell.2.32; Cic.Phil.1.20; Ascon.Corn.59,10-14, S.67C; Schol.Bob., S.91St; Liv.per.97; Plut.Pomp. 22.3; Tac.ann.11.22. Zum Kompromißcharakter des Gesetzes cf. H. Bruhns, Ein politischer Kompromiß im Jahr 70 v.Chr.: Die Lex Aurelia Iudiciaria, Chiron 10, 1980, 263-272; A.M. Suárez Piñeiro, art.cit., 266-268. 3 Cf. Taylor, RVA, 69f. 4 Cf. Taylor, VDRR, 293. 5 Fest.47L: Centumviralia iudicia a centumviris sunt dicta. Nam cum essent Romae triginta et quinque tribus, quae et curiae sunt dictae, terni ex singulis tribubus sunt electi ad iudicandum, qui centumviri appellati sunt: et, licet quinque amplius quam centum fuerint; tamen quo facilius nominarentur, centumviri sunt dicti. Dafür, daß diese Rekrutierung durch die lex Plautia festgesetzt wurde, cf. Gabba, Roma arcaica, 102. 6 Unter dieser lex wurde u.a. Anklage gegen den von Cicero verteidigten Plancius erhoben: Cic. Planc.36-37. Cf. Cic.fam.8.2.1; Att.4.15.9; Cass.Dio 39.37; Schol.Bob., S.152St. Die sogenannten Sodalitates, Wahlbündnisse einflußreicher Personen, konnten das Votum der Tribus für bestimmte Kandidaten im Vorfeld der Wahl beeinflussen. Ihre Tätigkeit scheint durch die lex Licinia dahingehend eingeschränkt worden zu sein, daß jetzt nur noch die Tribulen beschenkt werden durften, die dem Kandidaten persönlich bekannt waren. Cf. Cic.Planc.37. Zur lex Licinia und ihrem Bezug auf die Tribus: J.P. Waltzing, Etude historique sur les corporations professionelles chez les Romains, Bd.1, Louvain 1895, 74ff., 111f.; J. Linderski, Ciceros Rede Pro Caelio und die Ambitus- und Vereinsgesetzgebung der ausgehenden Republik, Hermes 89, 1961, 110f.; C. Venturini, L’orazione pro Cn. Plancio e la lex Licinia de Sodaliciis, in: Studi in onore di Cesare Sanfilippo Bd.5, Mailand 1984, 789804; M. Fiorentini, Ricerche sui culti gentilizi, Rom 1988, 170 und Anm.128; A. Lintott, Electoral Bribery in the Roman Republic, JRS 80, 1990, 9; R. Cosi, Rapporti di sodalitas e degenerazione politica a Roma, in: M. Pani (Hrg.), Epigrafia e territorio, politica e società. Temi di antichità romane V, Bari 1999, 181-204; ead., Le solidarità politiche nella Repubblica Romana, Bari 2002, 46-53; H. Mouritsen, Plebs and Politics in the Late Roman Republic, Cambridge 2001, 149-151. 2

Die Funktionen der Tribus

111

denen Tribus in den Prozeß einzubinden, da sie als umworbene und bestochene Bezirke offenbar am besten die Fakten kannten.1 Da die Maßnahmen, die die Tribusverteilungen von Richtern bzw. Senatoren berücksichtigten, zahlreich sind, und die Quellendarstellungen keinen besonderen innovativen Charakter der Maßnahmen erkennen lassen, liegt die Vermutung nahe, daß sie auf einen alt bewährten Rekrutierungsmodus zurückgriffen, der nicht nur bei der Besetzung der spät eingerichteten Quaestiones Anwendung fand. Eine frühe Rekrutierung von zivilen Ämtern auf der Basis der drei ältesten Tribus ist daher möglich, selbst wenn die Nachrichten über eine kurienweise Gliederung des Senats oder die Verdoppelung der Senatoren in der Königszeit erfunden wären. Auch die Durchsetzung des Prinzips der Kollegialität für republikanische Magistraturen spricht nicht gegen eine ternäre Struktur königszeitlicher oder frührepublikanischer Ämter. Falls der oberste Feldherr zu Beginn der Republik der praetor maximus war, wäre die Existenz von mindestens zwei weiteren Prätoren geringeren Rechts vorauszusetzen.2 Die Vermutung, daß die vom König ernannten, angeblich gleichrangigen Prätoren die drei Tribuskontingente befehligten, wie De Sanctis vermutete, ist dagegen nicht plausibel.3 An der Spitze dieser Abteilungen standen vielmehr die Militärtribunen, die – soweit bekannt – zu keiner Zeit zivile Aufgaben wahrnahmen.4 1

Cic.Planc.36f.; Schol.Bob., S.167St. Cf. auch E. Badian, Notes on a New List of Roman Senators, ZPE 55, 1984, 104f. 2 Cf. De Sanctis, StRom I, 404-406; G. Wesenberg, Praetor maximus, ZRG 65, 1947, 319-326; Valditara, Magister Populi, 307-365 (mit der Annahme, die drei Prätoren seien die Nachfolger des praefectus Urbis, magister populi und magister equitum gewesen); Cornell, Beginnings, 228f.; J. Bleicken, Geschichte der Römischen Republik, München 51999, 17. T.C. Brennan, The Praetorship of the Roman Republic, Bd.1, Oxford 2000, 22f., gibt zu bedenken, daß sich das Gesetz über den Nageleinschlag durch den praetor maximus (Liv.7.3.3-9) zuallererst auf das Jahr 363 bezieht und eine Hierarchie zwischen den in diesem Jahr amtierenden Konsuln und dem Diktator etablieren sollte. Praetor wäre dann im Sinne Mommsens als generischer Begriff für jeden Imperiumsträger zu verstehen, wobei dem praetor maximus das Recht zum Nageleinschlag zukäme. Die zahlreichen Versuche, die Livius-Stelle auf das von Fest.152L erwähnte augurale Dekret zu beziehen, das zwischen praetores maiores und praetores minores unterscheidet, überzeugen nicht, da sich die Unterscheidung nicht auf die Stärke des imperium, sondern auf die Hierarchie der Amtsstellen bezieht, die dem praetor urbanus den Vorrang vor anderen Prätoren einräumte, cf. Fest.154L; R. Stewart, Public Office in Early Rome. Ritual Procedure and Political Practices, Ann Arbor 1998, 212f. 3 De Sanctis, loc.cit. 4 Nicht zu beweisen ist die Auffassung von D. Sohlberg, Militärtribune und verwandte Probleme der frühen römischen Republik, Historia 41, 1991, 272ff.; id., Dictateurs et tribuns de la plèbe: Problèmes de la république romaine à ses débuts, CCGG 4, 1993, 247-258, und R. Bunse, Das römische Oberamt in der frühen Republik und das Problem der „Konsulartribunen“, Trier 1998, 56f., nach denen die drei von Varro (ling.5.81, cf. Kap.II.2.4, IV.4) genannten Militärtribune (tribuni militum) als Vorsteher der drei gentilizischen Tribus zugleich an der Spitze des Staates standen und aus ihnen drei Prätoren hervorgingen. Die Militärkommandanten der Tribuseinheiten wurden – dies legt die Etymologie nahe – auf der Basis der Tribus rekrutiert und blieben als Tribuskommandeure einem zentralen, gesamtstaatlichen Oberbefehlshaber untergeordnet. Die Existenz eines tribunus maximus (als Vorläufer des praetor maximus und parallel zum curio maximus) ist jedoch unwahrscheinlich. Den militärischen Oberbefehl scheint vielmehr der König in seiner Funktion als magister populi innegehabt zu haben, cf. Valditara, Magister Populi, 202ff.; Cornell, Beginnings, 235f. Auch für den curio maximus sind zudem nur religiöse Funktionen wie die Betreuung der sacra curiorum bezeugt (was nicht ausschließt, daß die curiones als Kommandanten der Kurien eine militärische Funktion ausgeübt hatten und dem tribunus

112

Die drei ältesten Tribus

Wie auch immer die königszeitliche Ämterverfassung im Detail ausgesehen haben mag. Nach den vorangegangenen Ausführungen läßt sich festhalten, daß es ein repräsentatives System städtischer Einheiten, in dem früher eine Besonderheit der griechischen Stadtstaaten gesehen wurde, auch in Rom gegeben zu haben scheint.1

2.4. Soziale Funktion Zuweilen gerät in Vergessenheit, daß die Tribus auch eine soziale Funktion hatten, die vor allem in den Quellen der späten Republik und frühen Kaiserzeit zu Tage tritt. Die Tribus waren korporative Einheiten, die über gemeinschaftlichen Besitz (Straßen, Land, Gräber) verfügten.2 Ihre Mitglieder trafen sich zu Gastmählern, Zirkus- und Theaterveranstaltungen, wo ihnen Plätze reserviert wurden.3 Sie hatten in Rom ihre eigenen Versammlungszentren, die sich in der späten Republik am Circus Flaminius befanden.4 Die gemeinsamen Treffen – sei es, sie geschahen zur Unterhaltung oder in politischer Absicht – stärkten ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die soziale Bedeutung der Tribusmitgliedschaft wird insbesondere durch den Gebrauch des Wortes tribulis illustriert, das u.a. als Anrede in den Briefen Ciceros auftaucht.5 Es ist als Appell bzw. Rückversicherung des besonderen Verhältnisses zwischen den Tribusgenossen zu verstehen, das die Bedeutung politischer Verpflichtungen übertraf.6 Die 35 Tribus in Rom waren darüber hinaus rechtsfähige Körperschaften, die erben konnten.7 Sie bildeten als städtische plebs in der Kaiserzeit eine Gemeinschaft, die das Anrecht auf staatliche Getreideversorgung hatte.8 Außerdem konnten die Tribus als Dedikanten von Ehreninschriften auftreten.9 Sie besaßen eine eigene militum der jeweiligen Tribus unterstellt waren, cf. Palmer, AC, 32, 82). Kritik an den Auffassungen einer Entstehung der Prätur aus dem Militärtribunat äußerte T.C. Brennan, op.cit., 23. Zur Ämterverfassung in den Tribus cf. auch Kap.III.3.5. 1 Gegen die These von J.A.O. Larsen, Representative Government in Greek and Roman History, Berkeley 1955, 159ff. cf. bereits Taylor, VDRR, 293; ead., RVA, 70. 2 Straßen: ILLRP 488. Gemeinschaftsgrab: CIL VI. 33992-96. Cf. Mommsen, Tribus, 204ff., der später (RSt III,1, 100) allerdings eine korporative Organisation bestritt. Zu möglichem Landbesitz der Tribus, der durch die Zuweisung von ager publicus an die hier siedelnden gentes nahegelegt wird, cf. Kap.IV.8.2. Auch das Bronzegefäß mit der Inschrift CIL I². 398 kann sich im gemeinschaftlichen Besitz der Tribus befunden haben (Q. Lainio. Q.f praifectos pro trebibos. fecit). Allerdings werden hier kaum die römischen Tribus gemeint sein, cf. Kap.II.6.3. 3 Gastmähler: Comm.Pet.44; Hor.epist.1.13.15. Theaterbesuche: ILS 286. Zirkusveranstaltungen: Cic.Mur.73. 4 Cf. Taylor, RVA, 69. 5 Cic.fam.13.23.1, 13.58.1. Cf. fam.12.25.3; ad Q.fr.3.1.1; Att.1.18.4, 1.19.5; Q.Rosc.47; Mur.69; 72, 73; har.resp.56; Vatin.36, 39; Planc.43, 44, 45, 47; Ter.Ad.439; Varr.rust.3.2.1. 6 Tribulis steht im Verhältnis zu tribus wie civilis und fidelis im Verhältnis zu civis und fides. Es drückt ein besonderes Band der Abhängigkeit und sozialen Verpflichtung aus. 7 Suet.Aug.101: Augustus vermachte den 35 Tribus je 1 Mio. HS, cf. Cl. Nicolet, Plèbe et Tribus: Les statues de Lucius Antonius et le testament d’Auguste, MEFRA 97, 1985, 799-839. 8 Dig.XXXII.35Pr; Mart.8.15; Plin.paneg.25.1, 28.5; ILS 6045, 6046. Cf. D. van Berchem, Les distributions de blé et d’argent à la plèbe romaine sous l’Empire, Genf 1939, 135; C. Virlouvet, Tessera Frumentaria, les procédures de la distribution de blé public à Rome, Rom 1995, 263-271. 9 ILS 168, 176, 286.

Die Funktionen der Tribus

113

Ämterverfassung, an deren Spitze ursprünglich vielleicht die Militärtribune, in der mittleren und späten Republik die curatores tribuum standen.1 Zur internen Organisation der Tribus, wie sie vor allem in kaiserzeitlichen Inschriften zu Tage tritt, gehörten ferner die Gliederung in corpora, Zenturien sowie die Existenz verschiedener Verwaltungsämter, wie die der Schreiber, viatores und accensi.2 Gerade die innere Struktur der Tribus und ihre integrative Wirkung vermögen – zusammen mit ihrer fortdauernden Funktion als städtische Einheit bürgerlicher Partizipation – zu erklären, warum die Tribus auch nach dem Verlust ihrer politischen Funktionen im frühen Prinzipat noch lange Zeit weiter existierten. Es ist wahrscheinlich, daß die Ansätze einer solchen Organisation weit zurückreichen. Insbesondere die Existenz von Straßen, Ländern und Gräbern, die den Tribus gehörten, trägt archaische Züge. Ihre Entstehung gehört in eine Zeit, in der der ager Romanus unter den ältesten drei Tribus aufgeteilt war und Formen genossenschaftlichen Eigentums der Ausbildung von Privateigentum vorangingen.3 Die frühe Entwicklung korporativer Elemente hängt vermutlich eng mit der Funktion der Tribus als städtische Einheiten zusammen, die die Einbindung der Bürger in gesamtstädtische Aufgaben, allen voran die Verteidigung, garantieren sollte. Die ältesten Tribus setzten sich aus Familienverbänden (gentes) zusammen, die jeweils ein eigenes Zusammengehörigkeitsgefühl auf der Basis einer (konstruierten) Verwandtschaft entwickelt hatten. Dadurch erfüllten sie eine wichtige Funktion auf intermediärer Ebene, zwischen den Geschlechtern und der Stadt, indem sie erstere in gesamtstädtische Aufgaben mit einbanden und so das Verantwortungsbewußtsein der gentes für die neue entstehende staatliche Gesamtheit stärkten. Die Tribus boten sich vermutlich gerade deswegen als gentilübergreifende Verbände an, weil sie die Wohnverhältnisse (Nachbarschaft) und die historische Entwicklung der Hügelsiedlungen berücksichtigten. Es galt, die hohe Integrationskraft der gentes für städtische Aufgaben zu nutzen: Ein verstärkter Zusammenhalt der Tribusgenossen, wie er in der regelmäßigen Pflege der sozialen Kontakte zum Ausdruck kommt, vermochte es, die Kampfkraft der nach Tribus gegliederten Heereseinheiten zu stärken – dies hatten griechische und etruskische Städte beispielhaft gezeigt –, während die gemeinsame Erfahrung der Tribulen im Heer wiederum zu einer Intensivierung der Beziehungen auch im zivilen Leben geführt haben dürfte. Der enge Zusammenhalt der Tribusmitglieder scheint nicht zuletzt auch die Entstehung von „politischen Koalitionen“ zwischen verschiedenen Tribus auf nachbarschaftlicher Basis gefördert zu haben, wie noch zu zeigen sein wird.4 Die innere Struktur der Tribus sowie die gemeinschaftlichen Zusammenkünfte und Besitzformen sind somit vermutlich als Relikte einer früheren Zeit zu deuten, in der das Territorium der Tribus überschaubar und der Zusammenhalt der Tribusgenossen 1

Cf. Kap.III.3.5. CIL VI. 10211-10219; ILS 6044-6084. Cf. M. Buonocore, Tribus Palatina corpore iuniorum, SCO 41, 1991, 337-341. 3 Zur Entstehung des Privateigentums cf. G. Franciosi, Gentiles Familiam Habento. Una riflessione sulla cd. proprietà collettiva gentilizia, in: Ricerche III, 37-49, der allerdings auf den fragwürdigen Begriff des „gentilizischen Eigentums“ zurückgreift. Zur Lokalität der ältesten drei Tribus cf. Kap. II.4. 4 Cf. Kap.V.4.3.3. 2

114

Die drei ältesten Tribus

noch nicht durch zahlreiche Bürgerrechtsverleihungen und eine gesteigerte Mobilität der römischen Bevölkerung geschwächt war. Die Tribulen gehörten einerseits kleinen Gemeinschaften an, die eine hohe Integrationsfähigkeit besaßen und die Solidarität ihrer Mitglieder untereinander stärkten. Andererseits aber blieben sie Bürger der Stadt Rom, für die sie im Rahmen der Tribus wichtige Aufgaben übernahmen. Ihre Heimatbezirke stellten somit wichtige Bindeglieder zwischen städtischen Institutionen und Bürgern dar, die nicht nur die Teilhabe der Bürger an der Verwaltung und Verteidigung der Stadt förderten, sondern auch die Festigkeit des Stadtstaates insgesamt stärkten.

2.5. Zusammenfassung Die funktionale Bedeutung der Tribus läßt sich abschließend nicht ohne einen ersten Hinweis auf den lokalen Charakter der Tribus resümieren, der noch weiter unten ausführlich zu beschreiben sein wird (Kap.II.4). Die Tribus waren primär Rekrutierungsbezirke, die dem Aufbau einer schlagkräftigen Armee auf lokaler Basis dienten. Während zuvor die Zugehörigkeit zur gens und zur curia zugleich die Zugehörigkeit der Römer zu ihrer Kampfabteilung bestimmte, bedeutete die Einführung eines rationalen Kriteriums wie das der lokalen Zugehörigkeit eine wichtige qualitative Änderung, die allem Anschein nach durch die Einführung der Hoplitentaktitk bedingt war. Nur eine effektive, zentral beaufsichtigte Rekrutierung vermochte die Aufstellung einer Phalanx gleich gut ausgerüsteter Krieger zu gewährleisten. Vermutlich waren die militärischen Schlüsselämter wie das des tribunus militum, tribunus equitum und tribunus celerum, die die die einzelnen, nach Tribus gegliederten Abteilungen anführten, ebenfalls von dem veränderten Rekrutierungsmechanismus betroffen, was allerdings nicht ausschließt, daß nach wie vor nur die angesehensten Repräsentanten der gentes diese Ämter bekleideten. Das neue lokale Element erwies sich nicht nur im militärischen Sektor als vorteilhaft. Es vermochte offenbar auch, die wachsenden und immer komplexer werdenden Aufgaben des entstehenden Stadtstaates effektiver zu bewältigen: Nach der lokalen, tribusweisen Besetzung militärischer Ämter scheinen auch andere religiöse und zivile Ämter auf der Basis von Tribus rekrutiert worden zu sein. Eine regionale Berücksichtigung war auf der Ebene der Priesterämter auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil die Priester das Wohl der gesamten Stadt gegenüber den göttlichen Einflüssen gewährleisteten und daher jeder lokale Bezirk, der jeweils historisch gewachsene Siedlungen umfaßte, angemessen vertreten sein mußte. Weder bei religiösen Anlässen und Festen wie den Supplicationes und Fornacalia noch im Rahmen der priesterlichen Kompetenzen übernahmen aber die Tribus spezifische kultische Funktionen; sie dienten in diesen Bereichen lediglich als künstliche Untereinheiten der Bürger, die ihnen eine Teilnahme an der Praktizierung religiöser Feste und an der kultischen Verwaltung der Stadt ermöglichten. Bereits frühzeitig scheinen die Tribus soziale Funktionen übernommen zu haben. Gemeinschaftliche Feste und gemeinschaftlicher Besitz sind zwar erst für die 35 klassischen Tribus nachweisbar, ihre Entstehung, die nicht überliefert ist, gehört jedoch in eine Zeit, in der die Nahbeziehungen zwischen den Bürgern aufgrund der Begrenzt-

Die Zusammensetzung der Tribus

115

heit des zur Verfügung stehenden Raumes von besonderer Intensität waren und durch die gemeinsamen Erfahrungen im Krieg gefestigt wurden.

3. Die Zusammensetzung der Tribus 3.1. Gentes Wer waren die Mitglieder der Tribus? Aus den vorherigen Ausführungen ist bereits ersichtlich geworden, daß die Tribus in erster Linie die wehrfähige Bevölkerung der Stadt umfaßte. Der Aufbau eines Hoplitenheeres scheint der vorrangige Grund für die Einführung der neuen Institution gewesen zu sein (Kap.II.5). Gleichzeitig ist es aber wahrscheinlich, daß bereits frühzeitig alle freien männlichen Bürger Roms, auch diejenigen, die sich nicht die Hoplitenrüstung leisten konnten, Tribusmitglieder waren. Dies ergibt sich aus der bereits zitierten Nachricht des Plutarch zu den Fornacalia; denn wenn die Quirinalia für die Bürger eingerichtet wurden, die weder ihre Kurien wußten noch an den in Tribusgliederung begangenen Fornacalia geopfert hatten, impliziert dies, daß sowohl die Kurien als auch die Tribus alle Bürger umfaßten. Es wird eben nur für die Römer vorgesorgt, die ihre Kurienabteilung nicht kannten – dies weist auf die geringe Bedeutung der Kurien in historischer Zeit hin – und, obwohl sie ihre Tribus kennen mußten,1 aus einem unbekannten Grund die Teilnahme an den Fornacalia versäumt hatten. Die Zusammensetzung der Tribus geht in erster Linie aus der Benennung dieser Einheiten hervor. Bei den ältesten Tribusnamen handelt es sich sehr wahrscheinlich um die Namen von Geschlechtern (gentes).2 Gentes können als patrilineare Verwandtschaftsverbände beschrieben werden, deren Mitglieder (gentiles) eine Abstammung von demselben gemeinsamen Vorfahren beanspruchten, unabhängig davon ob dieser Anspruch einen realen Hintergrund hatte oder konstruiert war. Dieses Clansystem war kein spezifisch römisches Phänomen, sondern in ganz Latium, Etrurien und in anderen Regionen Italiens verbreitet. Darüber hinaus umfaßte es alle gesellschaftlichen Gruppen.3 Nachweisbar ist es vor allem anhand der Nomenklatur. Jeder Gentile besaß einen persönlichen Vornamen (praenomen) und einen Gentilnamen (nomen gentile), der ihn als Mitglied eines bestimmten Clans auswies. Es ersetzte ein altes System aus 1

Die Registrierung in den Tribus war vermutlich seit der Einführung des Zensus unter Servius Tullius Pflicht, cf. Kap.III.3.3. 2 Für eine Benennung der ältesten drei Tribus nach gentes cf. Schulze, LE, 579-581 (titie, *ramne, luχre); De Martino, Costituzione I, 91-94; Heurgon, La Méditerranée, 212f.; id., Magistratures romaines et magistratures étrusques, in: Entretiens XIII, 283f.; Poucet, Recherches, 384-403; Ménager, Collèges, 519 (Romii(?), Titii, Lucretii). Zum Begriff der gens cf. C. De Simone, Lateinisch gēns, „Geschlechterverband, Sippe“ (Stamm genti-), Glotta 73, 1995/96, 247-256. 3 Cf. die Definition von Cornell, Beginnings, 84, mit dem Hinweis, daß die Aussage des Livius (plebeii gentes non habent) keinen historischen Hintergrund hat. Zu Unrecht wird diese oft von der modernen Forschung übernommen, cf. etwa I. Hahn, The Plebeians and Clan Society, Oikumene 1, 1976, 47-75, bes.61f., und L. Capogrossi Colognesi, Cittadini e territorio. Consolidamento e trasformazione della ‘civitas romana’, Rom 2000, 226f.

116

Die drei ältesten Tribus

persönlichem Vornamen und Namen des Vaters (Patronymikon), der jetzt nicht mehr nach jeder Generation geändert, sondern der folgenden Generation weitervererbt wurde. Der Gentilname drückte somit die Abstammung aller Familienmitglieder von einem gemeinsamen Ahnherrn aus und schuf ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit, das durch gemeinsame Kulte und Bräuche gestärkt wurde. Das neue Namenssystem ist inschriftlich seit dem frühen 7. Jh. in Etrurien belegt und dürfte spätestens um 600 v.Chr. auch in Latium Fuß gefaßt haben. Vermutlich entstand es in dem Grenzgebiet zwischen etruskischem und italischem Sprachraum.1 Es bestand ein enger Zusammenhang zwischen Gentilname und Bürgerrecht, da die nicht in den Bürgerverband einer etruskischen Gemeinde aufgenommenen Fremden lediglich mit ihrem Individualnamen bezeichnet wurden. Die Namen integrierter Zuwanderer lassen sich dagegen auf Inschriften durch den außeretruskischen Ursprung ihres Gentilnamens identifizieren. Auf materieller Ebene bezeugt die Anlage von Kammergräbern in Latium (Osteria dell’Osa; Tor de’ Cenci; Esquilingrab) und Etrurien seit der 2. Hälfte des 7. Jhs. die Wichtigkeit patriarchaler Familien- und Clanstrukturen.2 Bezeichnenderweise versehen die literarischen Quellen die Personen der römischen Geschichte bis zur Stadtgründung durch Romulus lediglich mit einem Namen (Numitor, Amulius, Faustulus etc.), während in den Ereignissen nach Gründung der Stadt das zweigliedrige Namensystem dominiert (Numa Pompilius, Tullus Hostilius etc.).3 Folgt man den literarischen Quellen, so ist eine Rückführung der ältesten drei Tribus auf Gentilnamen nicht unbedingt evident. Der Name der Tities, die auch oft Titienses genannt werden,4 leitet sich nach der Mehrheit der Tradition von dem Pränomen des 1

H. Rix, Zum Ursprung des römisch-mittelitalischen Gentilnamensystems, ANRW I,2, 1972, 702; id., Wie weit können wir Livius trauen?, Dialog Schule-Wissenschaft/Klassische Sprachen und Literaturen 34, 2000, 111, nimmt das letzte Drittel des 7. Jhs. an. M. Cristofani, in: Atti del Colloquio sul tema „L’etrusco arcaico“, Firenze, 4-5 ott. 1974, Florenz 1976, 106-109, ging von einer längeren Phase der Ausbildung des Gentilnamensystems in Etrurien während des 7. Jhs. aus. Literarische Quellen, die Namen wie Numa Pompilius, Tarquinius Priscus und Mettius Curtius nennen, legen keineswegs eine frühe Einführung des Gentilnamensystems in Rom (G. Colonna, Nome gentilizio e società, SE 45, 1977, 175-188, nannte den Beginn des 7. Jhs.) nahe, da der Beginn der Königsherrschaft in das letzte Drittel des 7. Jhs. herabzudatieren ist, cf. Kap.II.8. Die römischen gentes entstanden vermutlich als sekundäre Einheiten erst durch den Zusammenschluß mehrerer Familien auf der Basis gemeinsamer kultischer und historischer Traditionen, cf. K.-W. Welwei, ZRG 110, 1993, 67f. Sie sollten nicht als vorstädtische Einheiten bezeichnet werden (so etwa M.A. Levi, Le Gentes a Roma e le XII Tavole, DHA 21,1, 1995, 121-147, bes.128, 133), ihre Bildung scheint vielmehr eng mit dem Prozeß der Stadtwerdung in Etrurien und Latium verknüpft gewesen zu sein, cf. Kap.VI.1. Zum Ursprung des Wortes gens: C. De Simone, Lateinisch gēns „Geschlechterverband, Sippe“ (Stamm genti-), Glotta 73, 1995/96, 247-256. 2 Osteria dell’Osa: A.M. Bietti-Sestieri, The Iron Age Community of Osteria dell’Osa: A Study of Socio-Political Development in Central Tyrrhenian Italy, Cambridge 1992. Tor de’ Cenci: A. Bedini, Tor de’ Cenci (Roma) – Tombe protostoriche, NSA 42-43, 1988-89, 221-282. Esquilin-Grab: G. Colonna (Hrg.), La civiltà del Lazio primitivo, Rom 1976, 337-339. Cornell, Beginnings, 84. 3 Daß dies zugleich ein Hinweis auf die frühe schriftliche Fixierung der Gründungslegende ist, hat J.N. Bremmer, Romulus, Remus and the Foundation of Rome, in: J.N. Bremmer/N.M. Horsfall, Roman Myth and Mythography, London 1987, 47f., gezeigt. Cf. auch Cornell, Beginnings, 85. 4 Varr.ling.5.55.2, 89.2, 91.2; Cic.rep.2.20.36; Fest.468, 7L; Paul.Fest.503,19L; Ov.fast.3.131; Serv. Aen.5.560; Ampel.49.3/4.

Die Zusammensetzung der Tribus

117

legendären Sabinerkönigs Titus Tatius ab.1 Der Bezug zu Titus Tatius, der den Römern sprachlich naheliegend erscheinen mußte, war jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach künstlich konstruiert.2 Titus Tatius gehörte zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Gründungslegende Roms, und ein Antiquar konnte daher allein aufgrund der Wortverwandtschaft den Tribusnamen mit dem legendären Sabinerkönig verbinden, ohne die archaischen Zustände wirklich zu kennen. Daß mit den in der plinianischen Liste der populi Albenses genannten Tutienses3 die Tribus bzw. frühe Mitglieder der Tribus gemeint sind, wie M. Pallottino glaubte,4 ist praktisch auszuschließen. Da alle in dieser Liste genannten Namen auf Orte oder Regionen zurückgehen, könnte es sich eher um einen von den Flußtälern des Tolerus und der Tutia abgeleiteten Volksnamen gehandelt haben.5 Es ist dagegen wahrscheinlicher, daß die Tribus nach einer gens bzw. Kurie benannt wurde. Festus bzw. Verrius Flaccus kennt eine curia Titia.6 Da sich die Kurien, die Untereinheiten der Tribus waren, wiederum aus gentes zusammensetzten, gewinnen Inschriften an Bedeutung, die eine gens Titie verzeichnen. Das lateinische Nomen Titius ist in frühen lateinischen, faliskischen, oskischen und etruskischen Inschriften bezeugt.7 Während in den ersten drei Sprachen der Gentilname – entsprechend der Praxis des mittelitalischen Namenssystems – von einem Individualnamen abgeleitet ist, der später die Funktion des Vornamens übernimmt (lat.: Titus > Titius; osk.: t/ti (Abk.) > Titis; falisk.: Tito > Titio), fallen in der etruskischen Sprache Individual- und Gentilname zusammen und sind durch die Formen tite, titie und tites belegt.8 Das Suffix -i(e), das vorwiegend in Südetrurien vorkommt, ist in archaischer Zeit noch recht selten. Daraus sollte jedoch kein oskischer (umbrisch-sabinischer) Ursprung des Gen-

1

Cf. Cic.rep.2.8.14; Ennius ann.LIXSk (ap.Varr.ling.5.55.3/4); Liv.1.13.8; Plut.Rom.20; Ps.-Ascon. 227St; Vir.ill.2.11; Serv.Aen.5.560; Schol.Pers.1.20; Prop.5.1.30f.; Paul.Fest.503,19L: Titienses tribus a praenomine Tati regis appellata esse videtur. Titia curia quoque ab eodem rege est dicta. Zur sabinischen Herkunft des Königs cf. auch Lib.de praen.6: Titus e Sabino nomine † Tito fluxit. 2 Für Titus Tatius als Eponym der Titier: A. Schwegler, Römische Geschichte I, 498, Anm.4, 504, Anm. 21; Pais, StorRom I,2, 433; Beloch, RG, 226. Pallottino, Origini, 167f., glaubte an einen eponymen Sabinerkönig Titus Tatius, die Ramnes und Luceres seien dagegen nach etruskischen gentes benannt worden. 3 Plin.nat.3.69. 4 Cf. Pallottino, Origini, 130f. 5 Cf. A. Bernardi, Dai Populi Albenses ai Prisci Latini nel Lazio arcaico, Athenaeum 42, 1964, 232; Cornell, Beginnings, 74. Daß die Tutienses ihren Namen an die Tribus weitergaben, vermutete u.a. Pallottino, Origini, 81, 126ff., 166. Palmer, AC, 177f., identifizierte sie dagegen mit der curia Titia. Beide emendierten Ttienses in der Liste des Plinius, die Handschriften verzeichnen jedoch die Form Tutienses. 6 Paul.Fest.503L, der den Kuriennamen in Unkenntnis vom Pränomen des Titus Tatius ableitet. Für eine Benennung der Tribus nach der Kurie cf. Palmer AC, 77, 154, Anm.1. Liv.39.44.7 kennt ein Atrium Titium, das vielleicht ein früher Treffpunkt der Kurie war. 7 Faliskisch: Vetter, HD, 342b, 354 (nur in der weiblichen Form, Titias, überliefert). Oskisch: Vetter, HD, 215v=CIL I². 3252a. Etruskisch: Rix, ET I, 176f.; cf. id., ANRW I,2, 717. 8 Cf. H. Rix, Zum Ursprung des römisch-mittelitalischen Gentilnamensystems, ANRW I,2, 1972, 717-733; Salomies, Vornamen, 163. Zu den etruskischen Formen, cf. Schulze, LE, 243; Rix, art.cit., 737.

118

Die drei ältesten Tribus

tilnamens abgeleitet werden.1 Die Titienses müssen nicht unmittelbar auf Titie, sondern können auch auf das ältere Tite zurückgeführt werden. Diese Namensform ist bereits im 7. und 6. Jh. in Volterra und Siena bezeugt und hat sich von dort bis zum 1. Jh. v.Chr. in ganz Etrurien verbreitet.2 Die Varianten titi, titie und tities kommen zusammen in Clusium und Perusia vor.3 In Rom existierte eine Priesterschaft mit Namen sodales Titii, die die wichtigsten römischen Priester beim städtischen Reinigungsfest (amburbium) begleiteten.4 Die sodales Titii, die von den Römern mit dem König Titus Tatius in Verbindung gebracht werden, bildeten keine Kultgenossenschaft der Tribus – sakrale Funktionen der Tribus sind nicht nachweisbar (Kap.II.2.2) –, sondern eine Kultgenossenschaft der gens Titia. Die Quellen leiten den zweiten Tribusnamen der Ramnes bzw. Ramnenses5 fast übereinstimmend von Romulus ab.6 Diese Darstellung beruht jedoch auf einer patriotischen Umdeutung der frührömischen Geschichte, die zahlreiche Institutionen zu Unrecht mit dem legendären Romgründer verband. Der Name Romulus geht vermutlich auf den lateinischen Vornamen *Romus zurück, dem ein Diminutivsuffix angehängt wurde, und hat mit den Ramnes nichts zu tun.7 Radke hielt eine Ableitung des Wortes 1

Für einen sabinischen Ursprung cf. H. Rix, Das etruskische Cognomen, Wiesbaden 1963, 221f., 348, 351; id., ANRW I,1, 1972, 728f., 737; Ménager, Collèges, 474, Anm.1. Auch Salomies, Vornamen, 163, wies dem lateinischen Pränomen Titus (und damit auch dem davon abgeleiteten Gentilnomen) aufgrund seiner Verbreitung in CIL I² einen nordoskisch-umbrischen Ursprung zu. Für eine etruskische Herkunft cf. Schulze, LE, 218; Poucet, Recherches, 398-403. 2 Volterra: CIE 105=ET Vt 1.154. Siena: CIE 247=ET AS 1.50. Ferner: ET Vt 1.153; AS 1.51, 52; Ta 1.242, 2.33, 34; Vs 1.170, 225, 318, SE 65-68 (2002), 428, Nr.115b; ET Cl 1.94, 187, 224, 225, 483, 484, 596, 607, 628, 1024-1026, 1133-1135, 2424, 2427; Pe 1.108, 407-413, 466, 469, 473, 592, 628, 734, 738, 739, 741, 743, 1229-1233, 1235. Weitere Belege in ET I, S.176. 3 Für Titi cf. die zahlreichen Belege bei ET I, S.176 und SE 64, 2000, 338, Nr.9 (Clusium), 470f., Nr.131 (orig. inc.). Titie: ET, Cl 1.445, 446, 447, 448, 450, 2507; ET, Pe 1.1238. Titieś: ET, Pe 1.468. 4 Lucan.1.592-604. Die Priesterschaft soll nach einer Version von Titus Tatius zur Erhaltung der sabinischen sacra (Tac.ann.1.54), nach einer anderen von Romulus zum Andenken an Titus Tatius eingesetzt worden sein (Tac.hist.2.95; cf. Dion.2.52: Trankopfer für Titus Tatius). Eine dritte Tradition leitete den Namen der Priesterschaft von den nicht näher bekannten aves Titiae ab (Varr.ling. 5.85: Sodales Titii dicti quas in auguriis certis servare solent, cf. Schol.Pers.1.20: Ingentes Titos dicit Romanos senatores aut a Tito Tatio rege Sabinorum aut certe a membri virilis magnitudine dicti titi. Titos scholasticos, quod sint vagi neque uno magistrato contenti et in libidinem proni, sicut aves quibus comparantur, nam titi columbae sunt agrestes). 5 Varr.ling.5.55.3; Cic.rep.2.20.36; Liv.1.13.8; Vir.ill.2.11. 6 Cic.rep.2.8.14; Ennius ann.LIXSk (ap.Varr.ling.5.55.3); Liv.1.13.8; Plut.Rom.20; Ps.-Ascon.227St; Vir.ill.2.11; Serv.Aen.5.560; Schol.Pers.1.20. Auch Hor.ars 341-343, der vom herablassenden Hochmut der Ramnes spricht, könnte diese Ansicht vertreten haben. Verg.Aen.9.325 kennt einen in den Reihen der etruskischen (?) Rutuler kämpfenden und dem Turnus als Augur dienenden König „Rhamnes“. Cf. Poucet, Recherches, 380ff. Eine ethnische Definition der Ramnes als Römer legt allein das Pervigilium Veneris aus dem 3. Jh. n.Chr. (cf. La veglia di Venere (Pervigilium Veneris), trad. di Andrea Cucchiarelli, Mailand 2003) nahe: Romuleas ipsa fecit cum Sabinis nuptias,/Unde Ramnes et Quirites proque prole posterum/Romuli, patrem crearet et nepotem Caesarem (72-74). Es handelt sich jedoch um eine späte, gelehrte Konstruktion, die keinen Anspruch auf Historizität erheben kann, cf. Poucet, Recherches, 379f. Anders: Heurgon, La Méditerranée, 213: „Ramnes pourrait être la déformation de Romani.“ 7 Cf. C. De Simone, Il Nome di Romolo, in: A. Carandini/R. Cappelli (Hrg.), Roma. Romolo, Remo e la fondazione della città, Mailand 2000, 31-32.

Die Zusammensetzung der Tribus

119

Ramnenses von einem altvenetischen *rm-n-enses für möglich.1 Für diese These können allerdings nur allgemein die zahlreichen sprachlichen Gemeinsamkeiten zwischen dem Venetischen und Latino-Faliskischen herangezogen werden, die einen engeren Kontakt zwischen diesen Völkern in der Zeit der indoeuropäischen Wanderung nahelegen. Einen konkreten Beleg für den voretruskischen Ursprung des Namens Ramnes gibt es nicht; eine Präsenz venetischer gentes im archaischen Latium ist angesichts fehlender Belege eher unwahrscheinlich. Zudem könnte der Name auf ein voretruskisches Substrat zurückgehen, ohne daß damit eine etruskische Entlehnung ausgeschlossen wäre. Naheliegender erscheint eine Rückführung des Namens auf ein etruskisches Gentiliz. Eine Form *Ramne ist zwar bislang nicht inschriftlich belegt, kann aber indirekt aus der etruskischen Wurzel ram-, die sich in dem weiblichen Vornamen Ram(u)θa verbirgt, dem Vornamengentiliz Ramnunas (Volsinii) und dem Fortleben lateinischer Gentilnamen wie Ramenii und Ramnii erschlossen werden.2 Auch die antike Version, nach der Rhamnes der Name eines Rutulerfürsten war,3 könnte für einen etruskischen Ursprung des Namens sprechen, da die Rutuler, deren Hauptort Ardea war, vermutlich ein etruskischer Stamm waren.4 Im Gegensatz zu den beiden oben beschriebenen Tribus sind sich die Quellen nicht einig über den Ursprung der Luceres.5 Einigen Autoren zufolge, darunter dem Antiquar Iunius Gracchanus, ist die Tribus nach einem etruskischen König Lucumo benannt.6 Damit eng zusammen hängt die Vorstellung, daß Lucumo das ursprüngliche Nomen des Tarquinius Priscus war.7 Eine andere Version glaubte, der Name stamme von Lucerus Ardeae rex, der Romulus im Krieg gegen die Sabiner des Titus Tatius unterstützt hätte.8 Diese Version spiegelt sich vermutlich auch in dem von Properz gebrauchten Ausdruck Luceresque Soloni wider, der die Luceres offenbar als Begleiter des Lucumo versteht und sie mit dem wie Ardea südöstlich von Rom gelegenen 1

G. Radke, Quirinus, ANRW II,17, 1981, 288f., übersetzte *rm-n-enses mit „die Leute des Remus“. Die Lautgebung -ra- für -r- sei im Griechischen wie im Venetischen beobachtbar. Aus der Etymologie des Wortes Ramnenses könne „auf ein Zusammentreffen von ‘Aboriginern’ und Italikern auf dem Boden Roms während des 8. Jhdts. v.Chr. geschlossen werden.“ Der Ursprung des Namens „Remus“ ist unklar, cf. Schulze, LE, 219, 368 (remne), 368; A. Rosenberg, s.v. „Remus“, RE II,1, 1914, 597f. (Rhomos); T.P. Wiseman, Remus. A Roman Myth, Cambridge 1995 (remores). 2 Das etr. Ramθa ist in zahlreichen Inschriften in Südetrurien, vor allem in der Gegend von Caere und Tarquinii belegt, cf. ET I, S.162f. Ramnunas ist einmal in Volsinii bezeugt: CIE 4939=ET, Vs 1.60. Ramnius: CIL I. 571=X. 3772 (Capua). Ramennia: CIL XIV. 1542 (Ostia). Für ein etr. *ramne cf. Schulze, LE, 218, 581; Pallottino, Origini, 166. 3 Verg.Aen.9.325. 4 Bei App.reg.frg.1.2 werden die Rutuler als Tyrrhener bezeichnet. Skepsis bei G. Radke, s.v. „Rutuli“, KlP 4, 1975, 1474, der tù Turrhnù las und damit den Namen als den des legendären König Turnus identifizierte. Der Name des Turnus könnte aber wiederum auf die etruskische Wurzel turs- zurückgehen, cf. Pallottino, Origini, 109. 5 Bisweilen kommt auch die Form Lucereses vor, cf. Paul.Fest.106,13L; Fest.107,3L; Plut.Rom. 20; Ampel.49.4. 6 Iunius Gracchanus ap.Varr.ling.5.55; Cic.rep.2.8.14; Prop.4.2.49-52; Fest.107,3L; Serv.Aen.5. 560; Vir.ill.2.11; Schol.Pers.1.20. 7 Cf. Liv.1.34.1-9; Dion.3.46.5; 3.47.1. 8 Paul.Fest.106L s.v. „Lucereses“; Dion.2.37.2; 2.42.2; 2.43.3.

120

Die drei ältesten Tribus

Solonium in Verbindung bringt.1 Nach noch anderen Quellen bezeichnet der Name den lucus des von Romulus eröffneten Asyls.2 Der Zusammenhang mit einem Begleiter des Romulus ist unhistorisch, da hinter diesem Bezug wie hinter dem der Ramnes jenes in der römischen Annalistik weit verbreitete Motiv vermutet werden kann, das Institutionen und Orte mit dem ersten König in Verbindung brachte. Bei dem angeblich auf dem Kapitol errichteten Asylum handelt es sich um die Adaptierung einer griechischen Institution, die dem von der Annalistik geschilderten demographischen Wachstum im frühen Rom Rechnung tragen sollte.3 Auch kann die etymologische Erklärung, nach der der Name der Luceres von Lucumo abgeleitet sei, angezweifelt werden, da es kaum möglich ist, die Hinzufügung eines „R“ in der Etymologie luceresFalisci) und Interamna Praetuttiorum (>Praetutii). 6 A. Marinetti, Le iscrizioni sudpicene: Testi, Florenz 1985, S.233: ombrijen:akren. Die Bedeutung von akren im Sinne von ager (so A. La Regina, Appunti su entità etniche e strutture istituzionali nel Sannio antico, AION (archeol) 3, 1981, 131-133) ist unsicher, cf. A. Morandi, Cippo con iscrizione sabina arcaica dal territorio di Cures, DdA 5, 1987, 11; Bradley, Ancient Umbria, 24. Zur Ombrikos-Inschrift: M. Torelli, Il santuario greco di Gravisca, PP 32, 1977, 398-458; H. Solin, Sulle dediche greche di Gravisca, PP 36, 1981, 185-187: ½rhi ÑmbrikÒj (Graviscae). Cf. auch R. Arena, PP 21, 1966, 477-479: ÑmbriqÒj (korinth. Krater aus Caere). 7 Pseudo-Scylax Periplus 16; Arist.meteor.359; Dion.2.49.1; Theop.12.526. Auch lateinische Schriftsteller beschreiben mit Begriffen wie Umbrorum gens oder Umbriae populi eine Situation, die ein

170

Die drei ältesten Tribus

erster Linie als das Resultat einer künstlichen Zusammenfassung heterogener Gruppen mit nur gering ausgeprägter Selbstidentität zu verstehen, Gruppen, die am ehesten mit dem auf Durkheim zurückgehenden Begriff der segmentären Gesellschaften charakterisiert werden können.1 Die in den genannten frühen Quellen wiederzufindende Beschreibung dieser Staaten als „umbrisch“ beruht auf einer Vielzahl von Faktoren – vor allem wirtschaftlichen und sprachlichen –, spiegelt aber nicht die historischen Verhältnisse ethnischer Zugehörigkeit wider. Die Herausbildung einer umbrischen Identität war erst das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses, der durch die unterschiedlichsten Umstände wie die äußere Bedrohung, das Feiern gemeinsamer religiöser Feste und die Konstruktion einer gemeinsamen mythischen Vergangenheit gefördert wurde.2 Nun ist es sicherlich richtig, daß die Ausbildung staatlicher Identität – Begriffe wie touta und trifu sind hierfür Indikatoren – nicht alleine von dem Prozeß der Verstädterung abhängig ist. Für mehrere umbrische Gemeinden wie etwa Plestia gibt es Hinweise auf die Existenz einer sozial komplexen Gesellschaft – abzulesen an der Differenzierung von Grabbeigaben und der Benutzung lokaler Heiligtümer –, lange bevor es zur Errichtung monumentaler städtischer Gebäude kam.3 Und auch der Begriff touta ist in sehr frühen oskischen Inschriften bereits seit dem 5. Jh. v.Chr. in einem dörflichen Kontext belegt.4 Daß aber trifu aller Wahrscheinlichkeit nach römischen Ursprungs ist und in die Phase der urbanen Ausgestaltung Iguviums fällt, macht vor allem die philologische Analyse der iguvinischen Tafeln deutlich: Das Wortpaar touta-trifu ist auf der gleichen semantischen Ebene anzusiedeln wie das in einem anderen Kontext erwähnte Paar touta-ocri. Ocri korrespondiert mit der lateinischen Arx und stellt wie in Rom so auch in Iguvium das auf einer Anhöhe befindliche religiöse Zentrum dar, in dem sich u.a. die Brüderschaft der Atiedii traf.5 Im Vestinerland bezeichnet das Toponym ocre eine Gruppe mehrerer ländlicher pagi, hat also wie trifu eine institutionelltopographische Bedeutung.6 Es wird jedoch in den iguvinischen Tafeln im Gegensatz zu trifu und touta nicht durch den Namen der Bürgerschaft von Iguvium oder Tadinum individualisiert, sondern hat mit Fisio einen Eigennamen.7 Dies deutet darauf, daß das Paar ocri-touta präurbanen Ursprungs ist, während das Paar touta-trifu die Existenz Resultat später, unter römischem Einfluß erfolgter ethnischer Formierung ist: Liv.9.41.8, 10.21.11; Plin.nat.3.112. 1 Cf. E. Durkheim, Année sociologique 1re série, Bd.11, 1910, 387-391; id., De la division du travail social, Paris 61932, 149-167, bes.160f. 2 Bradley, Ancient Umbria, 19-28; id., Tribes, 123-125. A. Ancillotti/R. Cerri, Le Tavole Iguvine. Fotografie a colori, facsimili, testo traslitterato, traduzione e commento, Perugia 1997, 107ff. und J. Stuart Smith, Two South Picene Inscriptions Reread: CH.2 and Ath.Pol.4, PBSR 68, 2000, 95-109, interpretierten dagegen die Zeugnisse in der Folge der traditionellen Lehrmeinung als Hinweise auf die frühe Existenz eines umbrischen Ethnos. 3 Cf. Bradley, Tribes, 120-124. 4 Zu diesen Inschriften, die keineswegs belegen, daß touta eine ethnische Bedeutung hatte cf. Kap. II.6.3. 5 Va, 15-16. Eine genetische Affinität zwischen ocri und arx deutet Fest.192L an. Cf. Prosdocimi, Lessico, 37. Zur Bedeutung von ocri als Hügelsiedlungen cf. H. Rix, ‘Tribù’, Stato’, ‘Città’ e ‘Insediamento’ nelle lingue italiche, AGI 85, 2000, 226-228. 6 Cf. A. La Regina, Ricerche sugli insediamenti vestini, MAL s.VIII, 13, 1968, 384-7; Prosdocimi, Lessico, 38. 7 Prosdocimi, Lessico, 35, 38.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

171

einer urbanen Gemeinschaft voraussetzt. Das Verhältnis ocri-touta ist aller Wahrscheinlichkeit nach älter als das von trifu-touta, da ocri als Referenzpunkt offenbar erst die Fixierung und Zuweisung eines begrenzten Territoriums zu Iguvium bzw. Tadinum ermöglichte.1 Einer Entlehnung der trifu aus dem Lateinischen widerspricht auch nicht die Etymologie des Wortes. Bei der Interpretation von tribus als „dritter Teil“ handelt es sich um eine falsche Deutung, die ihre Wurzel bereits in der Antike hatte.2 Sie beruht auf der Verbindung des Präfixes tri- mit den drei ältesten römischen Tribus der Tities, Ramnes und Luceres, die in den Quellen als Teilgruppen des frühen römischen Staates beschrieben werden.3 Zwar ist es wahrscheinlich, daß tri-, das sich sowohl in dem lateinischen tribus als auch in dem umbrischen trifu wiederfindet, auf das indo-europäische Zahlwort für „drei“ zurückgeht.4 Der lateinische Begriff tribus erwies sich jedoch spätestens zum Zeitpunkt der Gründung der vier Stadttribus unter Servius Tullius als nicht mehr auf die ursprüngliche Dreizahl fixiert, sondern als auf eine höhere Anzahl von Tribus übertragbar, während das umbrische trifu dagegen einen einzigen Bezirk bezeichnete. In keinem der beiden Fälle hatte der Bedeutungswandel eine Änderung der Wortform nach sich gezogen.5 Gerade die Tatsache, daß für die Beschreibung auch dieser Zustände die Worte tribus bzw. trifu Verwendung finden konnten, erhellt ihren sprachlichen Kern: Offensichtlich hatte die zweite Silbe -bus bzw. -fu wie das gr. phu- in

1

Cf. Prosdocimi, Lessico, 42. Varr.ling.5.55.1-2; Plut.Rom.20.2; Serv.Aen.5.560. Auch Dion.2.7.3 ging von dieser Bedeutung aus, indem er tribus mit phyle und trittye übersetzte. Die Unsicherheit des Zusammenhangs zwischen Tribus und tres betonten Bormann, Die älteste Gliederung Roms, Eranos Vindobonensis, Wien 1893, 345-58 („Einteilung“, „Teil“ als ursprüngliche Bedeutung von „Tribus“); Holzapfel, Tribus, 239; A. Ernout/A. Meillet, s.v. „Tribus“, in: Dictionnaire étimologique de la langue latine, Paris 41960, 702; Taylor, VDRR, 4; Palmer, AC, 5, und E. Benveniste, Le vocabulaire des institutions indo-européennes II, Paris 1969, 258f. 3 Cf. Prosdocimi, Lessico, 40. „Tribus“ habe nicht die Bedeutung von Drittel, sondern bezeichne eine autonome territoriale Einheit, die Teil eines Ganzen werden konnte, wenn sie mit anderen Einheiten korreliert wurde (43). Zweifel an der Bedeutung von „Drittel“ äußerten auch A. Ancillotti/R. Cerri, Le tavole di Gubbio, Perugia 1996, 46, 426. 4 O. Szemerényi, Studies in the Indo-European System of Numerals, Heidelberg 1960, 84, nahm *triyo- an. Anders Palmer, AC, 43: „We are sure that Iguvium had only one trifu and was unlike archaic Rome for which three are attested. Hence, it is improbable that the words trifu and tribus ought to be linguistically related to the Indo-European word for three.“ B. Liou-Gille, Des noms et des nombres: Arithmétique et religion, in: B. Bureau/Chr. Nicolas (Hrg.), Moussyllanea. Mélanges de linguistique et de littérature anciennes offerts à Claude Moussy, Paris 1998, 301, glaubt, daß die Zahl drei in tri- ursprünglich als Synonym für die „Mehrheit“ bzw. „Menge“ zu verstehen ist. Bei sehr alten Völkern sei lediglich die Einheit und Zweiheit bekannt, während alles, was darüber hinausginge, mit der Zahl „drei“ bezeichnet werde. M. Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre, München 1977 (ND der 5. Aufl. 1926-28), 400, nannte das lateinische Präfix einen „Ersatz“ für das griechische tr…j. 5 Cf. B. Liou-Gille, art.cit., 298. Für eine Anwendung des Viererprinzips auch bei den Landtribus cf. den Hinweis von Prosdocimi, Lessico, 43, Anm.14, auf ein ein unveröffentlichtes Referat von J. Pinsent, das 1977 auf einem Seminar am „Istituto di filologia classica“ in Urbino gehalten wurde. 2

172

Die drei ältesten Tribus

„Phyle“ einen multiplikativen und keinen divisorischen Wert.1 Auch der Denominativ tribuo unterstreicht die Bedeutung der tribus als nicht näher definierte Teilungseinheit ohne Bezug zu einer spezifischen Zahl. Parallelbeispiele sind das französische „quartier“, das italienische „quartiere“ oder das deutsche „Stadtviertel“, die auf mehr als jeweils vier Stadtteile übertragbar sind. Die Bedeutung der tribus im Sinne von „drei Einheiten“ spiegelte offenbar nur zu einer Anfangsphase, vor Gründung der vier Stadttribus, eine historische, mit der wörtlichen Übersetzung korrespondierende Realität wider. Später konnte tribus mit einer beliebigen Zahl weiterer Einheiten korreliert werden.2 Diese Begriffserweiterung wurde dann offenbar auf die umbrische trifu übertragen, die jeweils das gesamte Territorium einer Gemeinde bezeichnete. Statt der Annahme eines gemeinsamen indoeuropäischen Hintergrundes ist somit der Annahme einer sprachlichen Entlehnung Vorzug zu geben, die sich über eine einfache Lautverschiebung vom lateinischen -b- zu einem umbrischen -f- vollzogen haben könnte. Möglich wäre auch, daß das Wort tribus im archaischen Latein *trifus lautete;3 in diesem Fall wäre lediglich von einer Adaptierung des Begriffs durch das umbrische Deklinationssystem auszugehen.4 Vermutlich wurde in mittelrepublikanischer Zeit die römische Institution „Tribus“ durch umbrische Stadtstaaten wie Iguvium und Tadinum übernommen und adaptiert.5 In dieser Zeit, in der beide Städte durch ein foedus an Rom gebunden waren, hinterließ der sich intensivierende römische Einfluß zahlreiche Spuren auf die Entstehung 1

Cf. Prosdocimi, Lessico, 43: Falls die erste Silbe „drei“ bedeute, könne sie im Zusammenhang mit einem Stamm „-bhu-“ die Bedeutung von „drei Entitäten“ haben. Ähnlich H. Rix, ‘Tribù’, ‘Stato’, ‘Città’ e ‘Insediamento’ nelle lingue italiche, AGI 85, 2000, 204, der folgende Entwicklung nachzeichnet: Aus *tisres bhuw-es (drei Einheiten) sei das Kompositum *tri-bhuw-om (Komplex von drei Einheiten) entstanden. Die Pluralform des letzteren (*tri-bhuw-es) sei dann durch den Singular *trißū-s substituiert worden. Für den multiplikativen Wert von „Phyle“ ist an den Namen der Region Triphylien zu erinnern, der keine Teilung in drei Phylen, wie Benveniste, Le vocabulaire II, 258f., meinte, sondern die Region der drei Phylen bezeichnet. Der von Homer gebrauchte Ausdruck Trica…(w)ikej (die in drei wik- guppierten Dorier) zeigt, daß zur Erlangung der divisorischen Bedeutung die Konstruktion mit einem Epithet nötig war. Nach B. Liou-Gille, art.cit., 301303, hatte tribus ursprünglich die Bedeutung von „Gruppe“, während die fakultative Bedeutung von „Drittel“ sekundär ist. Dies habe es Servius Tullius erleichtert, ein neues Tribussystem einzurichten, ohne die Semantik des Wortes zu zerstören. Varro könne für die Bedeutungserweiterung verantwortlich gewesen sein (S.301, Anm.53). Zum engen sprachlichen Bezug zwischen Tribus und Phyle cf. Kap.II.7.3. 2 Cf. Prosdocimi, Lessico, 39, 41, 43f. 3 Cf. Kap.II.7.3. 4 Für die indoeuropäische Erklärung (lat. tribus und umbr. trifu- als Erbe eines indoeur. *tribhu-) cf. R. v. Planta, Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte, Bd.I, Strassburg 1892, 456, 458, Anm.1; C.D. Buck, A Grammar of Oscan and Umbrian - with a Collection of Inscriptions and a Glossary, Boston 1904 (ND Hildesheim/New York 1974), 79, 97f.; M. Leumann, Lateinische Lautund Formenlehre, Bd.I, München 1977, 169; Rix, art.cit. 5 Bereits G. Devoto, Gli antichi Italici, Florenz ³1967, 24; id., Tabulae Iguvinae, Rom 41962, 274, glaubte an eine Entlehnung von trifu- aus dem Lateinischen. Auch A. Prosdocimi, Etnici e ‘nome’ nelle tavole iguvine, AnnFaina 8, 2001, 60 mit Anm.59, hielt es zuletzt für möglich, daß das umbrische trifu, hinter dem sich das territoriale Konzept der römischen Tribus widerspiegele, lediglich ein Lehnwort des lateinischen tribus sei. Für eine Entlehnung aus dem Etruskischen ins Lateinische und Umbrische cf. hingegen C. Watkins, Geschichte der indogermanischen Verbalflexion, in: J. Kuryłowicz (Hrg.), Indogermanische Grammatik Bd.III, 1, Heidelberg 1969, 46.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

173

einer urbanen Landschaft und die Herausbildung der politischen Verfassung. Die römischen Tribus fanden damit offenbar viel früher außerhalb Roms Verbreitung, als dies kaiserzeitliche Inschriften, die Tribus in römisch geprägten Stadtgemeinden dokumentieren, nahelegen.1 Die umbrischen trifu waren wie die römischen tribus territoriale Einheiten. Zwar wiesen sie insofern einen fundamentalen Unterschied zu den vier Stadttribus auf, als sie mit dem Territorium einer ganzen Gemeinde korrespondierten und eben keine geographische Untereinheit dieses Gebietes darstellten. Mit den römischen Eroberungen in Italien und der Erweiterung des römischen Bürgerverbandes war jedoch die römische Tribus einem Wandel unterworfen, der ihre spezifische iguvinische Ausprägung verständlich macht. Rom wies die in den Bürgerverband integrierten Gemeinden nur einer Tribus zu, so daß nicht nur die Bürger dieser Gemeinden, sondern auch das gesamte Gemeindeterritorium der einen Tribus angehörte.2 Die Teilung einer Stadt in mehrere Tribus blieb offenbar der Stadt Rom vorbehalten, die vier Stadttribus entsprechend der vier zusammengewachsenen Regionen kannte. 6.2.2. Tribus Sapinia Neben den trifu von Iguvium und Tadinum kennen wir eine weitere, dritte Tribus auf umbrischem Gebiet,3 die jedoch eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Einerseits kann auch für sie ein enger urbaner Kontext angenommen werden: Sie lag im Terriorium der von Polybius und Plinius erwähnten Sarsinátoi/Sarsinates, die am Fluß Sapis siedelten und deren Zentrum die später der sechsten augusteischen Region (Umbrien) zugewiesene Gemeinde Sarsina war.4 Andererseits ist es aber wichtig zu betonen, daß die Tribus Sapinia mit einem ganzen Volksstamm, den besagten Sarsinates, assoziiert wurde und daß dieser Volksstamm trotz seiner späteren Zuordnung zur Region Umbrien eine relativ autonome Position hatte. Dies wird daraus ersichtlich, daß sie 225 v.Chr. den Römern getrennt von den Umbrern militärische Hilfe im Kampf gegen die Gallier leisteten.5 Daher umfaßte die Tribus Sapinia offenbar ein 1

Lilybaion: ILS 6770a/b. Iconium: ILS 9415. Urso: ILS 6087. Zu Korinth cf. S.255, Anm.1. Diese Praxis nahm ihren Ausgang mit Gründung der Tribus Clustumina, cf. Kap.IV.4, V.4.2.7.4. 3 Die Tribus Sapinia gehörte zur späteren sechsten Region Umbrien, cf. Plin.nat.3.112. Liv.31.2.6 zählte sie zum Siedlungsgebiet der Boier: C. Ampium praefectum socium hac tumultuaria manu per Umbriam qua tribum Sapiniam uocant agrum Boiorum invadere iussit; ipse eodem aperto itinere per montes duxit. Cf. Liv.33.37.2: Per tribum Sapiniam in Boios. 4 Pol.2.24.7: oƒ d tÕn 'Apenn‹non katoikoàntej ”Ombroi kaˆ Sarsin£toi sun»cqhsan e„j dismur…ouj. Plin.nat.3.114: Plestini, Sentinates, Sarsinates, Spoletini, Suasani, Sestinates, Suillates, Tadinates, Trebiates, Tuficani, Tifernates cognomine Tiberini et alii Metaurenses, Vesinicates…, cf. 11.241: Sassinatem ex Umbria. Zur Identifizierung der Tribus Sapinia mit dem Gebiet von Sarsina cf. F. Roncalli, Gli Umbri, in: Italia omnium terrarum alumna, Mailand 1988, 399; J. Ortalli, Topografia di Sarsina romana: Assetto urbanistico e sviluppo architettonico, in: L. Quilici/S. Quilici-Gigli (Hrg.), Architettura e pianificazione urbane nell’Italia antica, Rom 1997, 118. Zur genauen Lage der Tribus Sapinia cf. S.140f. 5 Pol.2.24. Die Sarsinates sollten daher nicht mit den von Plinius erwähnten Sapinates der 6. (nat.3.114) bzw. Sapini der 8. Region (nat.3.115) identifiziert werden. Ein Teil des Territoriums von Sarsina wurde später der Latinerkolonie Ariminum zugewiesen, cf. Nissen, It.Ldk. II, 378; A. Alessandri, 2

174

Die drei ältesten Tribus

weitaus größeres Gebiet als andere umbrische trifu, die wie Iguvium und Tadinum in der Regel auf ein enges Gemeindegebiet begrenzt blieben, das nicht oder nur wenig über die Stadtgrenze hinausreichte. Gerade aber weil die römische Tribus zur Zeit der Eroberung des Gebietes der Sarsinates in erster Linie als territorialer, über die Stadtgrenzen hinaus ausdehnbarer Bezirk verstanden wurde – die römischen Landtribus setzten sich aus ager publicus zusammen, der direkt Rom und keiner anderen Gemeinde römischen Rechts zugeordnet worden war – konnte das Gebiet problemlos in das Konzept der römischen Tribus integriert werden.1 So wie es beispielsweise eine römische Landtribus Oufentina im Gebiet des Flusses Ofens gab, existierte nach römischer Auffassung eine umbrische Tribus Sapinia im Gebiet des Flusses Sapis. Da die umbrische trifu hingegen stets auf das Gemeindeterritorium im engeren Sinne beschränkt blieb, konnte das ausgedehnte Gebiet von Sarsina und den mit ihr verbundenen Sarsinates nur in das römische Konzept der tribus, nicht aber in das der umbrischen trifu einbezogen werden. Das Gebiet der Tribus Sapinia wird allerdings nicht mit dem Stamm der Sarsinates und dessen historischem Siedlungsraum identisch gewesen sein, der – auch die Erwähnung bei Polybius zusammen mit den Umbrern legt eine gewisse Ausdehnung desselben nahe – mehr Gemeinden als nur Sarsina umfaßt haben wird.2 Hinter der These einer mit den Sarsinates eng verbundenen politisch-institutionellen Einheit steht, wie oben gezeigt wurde, die nicht zu belegende These einer nach Stämmen erfolgten Einwanderung italischer Völker und ihrer Organisation in Tribus. Römische Schriftsteller wie Livius bezeichneten das Gebiet um Sarsina vielmehr deswegen als Tribus Sapinia, weil sie den Fluß Sapis mit dem Siedlungsgebiet der Sarsinates assoziierten, nicht weil dieser Stamm historisch in einer tribus organisiert war. Sie griffen dabei auf die Praxis zurück, Tribus nach geographischen Merkmalen zu benennen, wie dies bereits im Fall der Tribus Arnensis, Sabatina, Falerna, Oufentina, Teretina und Velina geschehen war. Daß die Tribus Sapinia ursprünglich eine trifu nach iguvinischem Vorbild war, ist eher unwahrscheinlich.3 Sarsina zählte aufgrund seiner Randlage zwischen Umbrien und dem ager Gallicus (Kap.II.4) wohl nicht zu den alten umbrischen Gemeinden. Ihre Zuordnung zur 6. Region des Augustus erfolgte unter primär administrativen Gesichtspunkten, die erst sekundär die Territorien der verschiedenen Ethnien berücksichtigten.4 I municipi romani di Sarsina e Mevaniola, Mailand 1928; G.A. Mansuelli, Ariminum (Italia romana: Municipi e colonie I, 6), Rom 1941, 115; U. Ewins, The Early Colonisation of Cisalpine Gaul, PBSR 20, 1952, 54. 1 Dies gilt umso mehr, als die römische tribus am Ursprung der umbrischen trifu gestanden haben könnte, cf. Kap.II.6.2, 7.4. 2 Die Sarsinates ließen sich u.a. in Perusia und vielleicht in Mantua nieder, cf. Palmer, AC, 39. 3 Prosdocimi, Lessico, 42, hielt es für möglich, daß es sich bei der römischen Bezeichnung tribus Sapinia um die wörtliche Übersetzung des umbrischen trifu handelt, die mit einem einfachen Lautwechsel -f- > -b- erklärbar wäre, verwies aber zugleich darauf, daß die Existenz einer entsprechenden *trifu Sapinia nur mittelbar, über die römischen Zeugnisse, abgeleitet werden kann. 4 Cf. L. Gambi, Le „regioni“ italiane come problema storico, in: Orientamenti di una regione attraverso i secoli: Scambi, rapporti, influssi storici nelle strutture dell’Umbria. Atti del X Convegno di studi umbri, Gubbio, 23-26 maggio 1976, Perugia 1978, 9-33; Cl. Nicolet, L’origine des regiones Italiae augustéennes, CCGG 2, 1991, 73-97; H. Galsterer, Regionen und Regionalismus im römischen

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

175

Nur für zwei genuin umbrische Gemeinden (Iguvium, Tadinum), die sich zu dem seit dem 6. Jh. in einem Prozeß der Ethnogenese entstandenen Stamm der Umbrer als zugehörig empfanden, ist jedoch die Organisation ihres Gemeindeterritoriums in trifu belegt. Die Annahme einer *trifu Sapinia würde zudem eine kompliziertere institutionelle Entwicklung voraussetzen: Während in Iguvium die trifor iiouinar in eine tribus Clustumina aufging – eine *tribus Iguvina ist nicht belegt –, müßte eine *trifu Sapinia zunächst als Basis für die Benennung einer tribus Sapinia angenommen werden, die erst in einem dritten Schritt in die römische tribus Pupinia übergegangen wäre. Möglicherweise entsprach der Tribus Sapinia – folgt man dem Vokabular der iguvinischen Tafeln – eher ein *nomen Sarsinatum. Die Tatsache, daß wir mit der Tribus Sapinia nur ein derartiges, nichtrömisches Tribusgebiet in ganz Italien kennen, könnte, wie bereits angedeutet, seine Ursache in der Größe des als „Tribus“ bezeichneten Territoriums gehabt haben. Es bestand offenbar für die Römer kein Anlaß, die Gebiete von Iguvium oder Tadinum trotz ihrer Organisation in trifu mit dem Terminus tribus zu unterlegen, da ihre Territorien begrenzter als das von Sarsina waren.1 Vielleicht spielte aber auch der Zeitpunkt der Übernahme des Tribuskonzeptes eine Rolle. Während die trifu Iguviums in den iguvinischen Tafeln bezeugt ist, haben wir für die Tribus Sapinia nur den späten Beleg des Livius. Die frühe Übernahme der römischen tribus als umbrische trifu in Iguvium und Tadinum ermöglichte offenbar eine engere Adaptierung an die lokalen Verhältnisse. In Sarsina dagegen könnte der Begriff tribus – in seiner Bedeutung als Bezirk des ländlichen Territoriums – spät auf das Siedlungsgebiet der Sarsinates bezogen worden sein. Möglicherweise waren die Römer selbst die Urheber dieser Bezugnahme. Ob die Sarsinates ihr Gebiet auch als „Tribus“ bezeichneten und eine Einbindung der römischen Tribus in die lokalen Institutionen stattfand, ist unbekannt. Das Ende der Tribus Sapinia scheint – wie das der trifu von Iguvium – zeitlich mit der Verleihung des römischen Bürgerrechts an mehrere umbrische Gemeinden gegen Ende des Bundesgenossenkrieges und mit der einsetzenden Munizipalisierung zusammenzufallen. Kraft der lex Plautia Papiria von 89 wurde die Bevölkerung von Sarsina wie auch die von Iguvium und Tadinum einer der 35 römischen Tribus, der Clustumina, zugewiesen. Gleichzeitig könnte eine Neufixierung der Grenzen des Gemeindegebietes erfolgt sein, das jetzt als Teil der römischen Tribus Pupinia reduzierteren Ausmaßes als das der Tribus Sapinia war. Ergeben sich somit einerseits wichtige Unterschiede zwischen der tribus Sapinia und der trifor iiouinar bzw. der trifor tasinater, so sind doch andererseits auch Parallelen festzustellen. Für keinen der beiden Bezirke gibt es einen Hinweis auf eine Entstehung in präurbaner Zeit. Weder für die Sarsinaten noch für die Umbrer ist eine Organisation der jeweiligen Ethnien in Tribus nachweisbar. Die Bedeutung beider Tribus erhellt sich im Kontext zweier Entwicklungsprozesse, die während des 4. bzw. 3. Jhs. v.Chr. in Umbrien einsetzten, der Urbanisierung und der Romanisierung. Sowohl die trifu von Iguvium als auch die Tribus Sapinia sind in ihrer Funktion eng mit der Italien, Historia 43, 1994, 306-323; L. Polverini, Le regioni nell’Italia romana, Geographia antiqua 7, 1998, 23-32. 1 Das Territorium Iguviums umfaßte wohl lediglich das Tal, in dem sich die Stadt befand, cf. Malone/Stoddart, 176.

176

Die drei ältesten Tribus

Entstehung der beiden Städte und der Definition ihres Territoriums, die eine Folge der römischen Eroberung war, verbunden. Die Analyse der iguvinischen Tafeln (Verhältnis touta-ocri/touta-trifu) und die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen römischen und iguvinischen Tribus (territorialer Aspekt, Bezug zur Bürgerschaft) lassen vermuten, daß Iguvini und Sassinates die Institution im Zuge der sich intensivierenden wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte zwischen Rom und den italischen Völkern übernommen haben. Dabei wurden die tribus/trifu jeweils den lokalen Verhältnissen angepaßt. Während das Siedlungsgebiet der Sassinates am Fluß Sapis und die wirtschaftlich-strategische Bedeutung der Gemeinde eine entsprechende Ausdehnung des Territoriums ermöglichte, blieb die iguvinische trifu auf das eng begrenzte Tal der in erster Linie rituell bedeutenden umbrischen Gemeinde beschränkt.1 Die Tatsache, daß sich die Stadt Rom aus mehreren Tribus und nicht nur – wie in Sassina, Iguvium und Tadinum – aus einer einzigen zusammensetzte, sollte kein Hinderungsgrund für die Annahme einer Adaptierung des römischen Tribuskonzeptes sein. Die Bürger der Gemeinden römischen Rechts in Italien und ihre Territorien wurden mit der Eingemeindung jeweils einer bestimmten Tribus zugewiesen. Außerdem konnten die Tribus der Stadt Rom als die Tribus von Stadtteilen, die ursprünglich autonome Gemeinden waren (Palatin, Quirinal (Collina), Caelius (Suburana), Esquilin (Esquilina)), verstanden werden. Das Wort tribus war also auf unterschiedliche lokale Verhältnisse innerhalb der römisch beeinflußten Welt übertragbar. Für eine Übernahme des römischen Tribuskonzepts durch das umbrische Iguvium spricht auch der territoriale Charakter der römischen Tribus. Weil diese von Anfang an das Gebiet der Stadt Rom umfaßten, konnte eine entsprechende Ausweitung des Konzeptes auf umbrische Gemeinden erfolgen.

6.3. Sabellische Tribus Nur wenige Aussagen können zu vergleichbaren sabellischen2 Institutionen getroffen werden. Für die Samniten und Sabiner, die mit den Umbrern bis zum 6. Jh. eine kulturelle Einheit bildeten, finden sich nur vereinzelt Spuren in der Überlieferung. Die Sabiner haben mit Ausnahme einiger Glossen und kurzer Inschriften keine direkten sprachlichen Zeugnisse hinterlassen, was sich mit ihrer frühen Romanisie1

E. Kornemann, Polis und Urbs, Klio 5, 1905, 80, Anm.3, führte Liv.9.41.15 (plaga una, Materinam ipsi appellant; 308 v.Chr.) für die Existenz umbrischer Tribus an. Plaga sei hier eine Ersatzbezeichnung für eine Tribus der Umbrer und als pagus zu deuten. Gegen eine Gleichsetzung von tribus mit plaga bzw. pagus cf. jedoch bereits Täubler, Tribus, 3, Anm.3, 9, Anm.2. 2 Unter dem Ausdruck „sabellisch“ werden hier nach der älteren Forschung die Völker der Sabiner, Samniten (Päligner, Marruciner, Vestiner), Volsker, Marser und Aequer verstanden, cf. C.D. Buck, A Grammar of Oscan and Umbrian – with a Collection of Inscriptions and a Glossary, Boston 1904 (ND Hildesheim/New York 1974), 2f. Die neuere Forschung betont mit Recht die Gemeinsamkeiten zwischen Umbrern, Samniten und Picentern, die noch zu Beginn des 6. Jhs. eine kulturelle Einheit bildeten, cf. Kap.II.2.5.2.1. Zur Verwandtschaft von Sabinern und Samniten cf. jedoch zuletzt wieder G.A. Mansuelli, Identità e civiltà die Sabini, in: Identità e civiltà dei Sabini. Atti del XVIII Convegno di studi etruschi ed italici. Rieti-Magliano Sabina, 30 maggio - 3 giugno 1993, Florenz 1996, 21-27.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

177

rung und der schnellen Übernahme des Lateinischen erklärt.1 Die Existenz sabinischer Tribus könnte aber einer römischen Inschrift aus Amiternum entnommen werden, die grob in die Zeit vor 150 zu datieren ist. Ein Präfekt hat ein Bronzegefäß für die Tribus mit folgenden Worten anfertigen lassen: Q. Lainio Q.f. praifectos. pro trebibos. fecit.2

Aller Wahrscheinlichkeit nach war Lainios ein praefectus iure dicundo.3 Amiternum ist zwar erst in kaiserzeitlichen Inschriften als Präfektur belegt,4 gehörte aber wohl zu der von Festus erwähnten Gruppe älterer Präfekturen, die im 4. und 3. Jh. zur Rechtsprechung und Aufsicht der Märkte in den eroberten Gebieten eingerichtet wurden. Diese Aufgabe nahm ein jährlich von Rom entsandter Beamter (Präfekt) wahr, dessen Entscheidungen sich die lokale Bevölkerung einschließlich der hier befindlichen römischen Bürger zu unterwerfen hatte.5 Die frühen Präfekturen hatten – soweit bekannt – ausschließlich den Status von civitates sine suffragio. Ihre Bewohner besaßen ein zurückgestuftes römisches Bürgerrecht, das ihnen die Teilnahme an Wahlen in Rom verwehrte. Gleichzeitig blieb jedoch eine beschränkte lokale Autonomie bestehen, die ihnen das Recht einräumte, eigene Magistrate mit vorwiegend administrativen Kompetenzen zu wählen.6 1

A. Ancillotti/R. Cerri, Le Tavole Iguvine, 109. CIL IX. 4204=I². 398=ILLRP 302 (cf. S.882)=ILS 6127=E.H. Warmington, Remains of Old Latin IV. Archaic Inscriptions, London 1959 (ND London/Cambridge Mass. 1967), Nr.31=Imagines, 122=Diehl, Altlateinische Inschriften, Nr.227=Ernout, Recueil, Nr.88=Suppl.It. n.s. 9, 1992, S.34. H. Jordan, Quaestiones archaeicae (Index lectionum Universitatis Albertinae), Königsberg 1884, 3-9, und Th. Mommsen, EE II, 208 vermuteten eine kampanische Herkunft und eine Zugehörigkeit zur Paefectura Capuam Cumas. Contra: Tibiletti, RIL 86, 1953, S.82, Anm.103; S. Segenni, Amiternum e il suo territorio in età romana, Pisa 1985, 59f., Anm.4. Die Herkunft aus Amiternum kann inzwischen als gesichert gelten, cf. R. Garrucci, ad CIL IX; M. Torelli, C. Genucio(s) Clusino(s) prai(fectos). La fondazione della praefectura Caeritum, in: Chr. Bruun (Hrg.), The Roman Middle Republic. Politics, Religion and Historiography c.400-133 B.C., Rom 2000, 154; M. Buonocore, Il capitolo delle inscriptiones falsae vel alienae nel CIL. Problemi generali e particolari: L’esempio della Regio IV Augustea, in: G. Angeli Bertinelli/A. Donati (Hrg.), Varia Epigraphica, Atti del Colloquio internazionale di epigrafia, Bertinoro, 8-10 giugno 2000, Faenza 2001, 118. Zur Datierung der Inschrift aufgrund sprachlicher Kriterien: R. Wachter, Altlateinische Inschriften, Bern 1987, 459. 3 Tibiletti, RIL 86, 1953, 82ff., und Humbert, MCSS, 241, Anm.135, 245, Anm.165, glaubten an einen militärischen Präfekten, der von einem Kommandanten die Verantwortung für die Stadt übertragen bekommen habe. Die Erwähnung von Tribus in einem militärischen Kontext zu einem Zeitpunkt, als die Aushebung nicht mehr auf Tribus beruhte, ist jedoch unwahrscheinlich. Auch die Entdeckung einer Inschrift aus Caere spricht eher für die Deutung als praefectus iure dicundo, cf. M. Torelli, loc.cit. 4 CIL IX. 4182=ILS 3701. 5 Fest.262L s.v. „Praefecturae”. Cf. Humbert, MCSS, 356ff.; P.C. Knapp, Festus 262L and Paefecturae in Italy, Athenaeum 58, 1980, 14-38. Die Unterscheidung von H. Galsterer, Herrschaft und Verwaltung im republikanischen Italien, München 1976, 29-31, in Gerichtsorte und Amtsbezirke, wo der Präfekt nur residierte, ohne Recht zu sprechen, läßt sich nicht halten, cf. die Rezension von M. Humbert, RD 58, 1980, 616f. 6 Cf. Fest.126L zu den civitates sine suffragio und 262L, zu den Praefecturae, denen das Recht abgesprochen wird, eigene Magistrate zu wählen. Festus’ Aussage wird durch den epigraphischen 2

178

Die drei ältesten Tribus

Nach der Eroberung des Sabinerlandes scheint Amiternum zunächst den doppelten Status einer praefectura und einer civitas sine suffragio übertragen bekommen zu haben, nach Gründung der Tribus Quirina (241 v.Chr.) dann den Status einer civitas optimo iure.1 Der genaue Zeitpunkt der Vollintegration ist unsicher. Als terminus post quem kann lediglich das Jahr 205 v.Chr. gelten, in dem die Amiterni mit den Nursini und Reatini von Livius zu den Gemeinden gerechnet werden, die Scipio Hilfskontingente schicken.2 Auch die kampanischen municipia verfügten im Zweiten Punischen Krieg nicht über das Wahlrecht.3 Möglicherweise fand die Übertragung der civitas optimo iure in der ersten Hälfte des 2. Jhs. v.Chr. statt, als die Bewohner von Arpinum, Formiae und Fundi diesen Status erhielten.4 Der altlateinische Ablativ pro trebibos, der dem klassischen pro tribubus entspricht,5 läßt vermuten, daß die Inschrift zu einer Zeit abgefaßt wurde, als die Bewohner von Amiternum noch nicht das römische Vollbürgerrecht, das ihre Einschreibung in eine bestimmte römische Tribus zur Folge hatte, besaßen. Es ergeben sich im wesentlichen zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder bezog sich der Ausdruck auf die in Amiternum bzw. in der Umgebung der Gemeinde residierenden römischen Bürger, die mehreren – dies legt der Plural trebibos nahe – der 35 römischen Tribus zugeordnet waren, oder aber diese tribus bezeichneten Einheiten der nichtrömischen Bewohner Amiternums. Die zweite Möglichkeit hat die größte Wahrscheinlichkeit für sich: Es ist nicht ersichtlich, warum mehrere oder gar alle 35 römischen Tribus außerhalb ihrer Kerngebiete gemeinschaftlich in Erscheinung treten sollten. Entsprechende Weihinschriften sind erst seit der späten Republik und ausschließlich für die Stadt Rom belegt.6 Auch kennen wir bislang nur zwei Inschriften, die auf Kollektivbesitz einzelner Tribus in der Nachbarschaft Roms verweisen: Die bekannte Grabstätte der Pollia und der Weg der Tribus Camilia befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den Gebieten der entsprechenden Tribus. Mit trebibos können somit kaum Bür-

Befund widerlegt cf. Knapp, art.cit., 17f.; S.P. Oakley, A Commentary on Livy. Books VI-X, Bd.2, Oxford 1998, 553. Für Amiternum sind octoviri und duoviri als lokale Beamte neben dem praefectus bezeugt: CIL IX. 4327; S. Segenni, Amiternum, Suppl.It. n.s. 9, 1992, 92-96, Nr.36-41. 1 Vell.1.14.6. Cf. Humbert, MCSS, 234, Anm.105, 236. Velleius (1.14) hat zwar zum Jahr 268 v.Chr. die Notiz suffragia ferendi ius Sabinis datum. Mit Sabini war jedoch die Bevölkerung des sabinischen Cures gemeint, cf. Taylor, VDRR, 60ff. 2 Liv.28.45.14f. Cf. Taylor, VDRR, 4; E. Badian, JRS 52, 1962, 203; Toynbee, HL I, 380f., II, 225; Humbert, MCSS, 234f.; Poucet, Recherches, 270, Anm.22; Palmer, AC, 165; M.R. Torelli, DArch s.3, 5, 1987, 49. 3 Liv.40.42.13. 4 Liv.38.36.7-10 (188 v.Chr.). Cumae scheint noch 180 v.Chr. nur teilintegriert gewesen zu sein. 5 Im archaischen Latein ist oft -e- als Variante für -i- anzutreffen. Cf. M. Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre, München 1977 (ND der 5. Aufl. 1926-28), 51; P. Baldi, The foundations of Latin, Berlin/New York 1999, 326. Zur seltenen Ablativendung -ubus anstatt -ibus bei Tribus cf. Varr.ling.5.81, 181; Cic.rep.2.9.16. R. Wachter, Altlateinische Inschriften, Frankfurt/Main 1987, 459, deutete das -e- in trebibos als „altes i“, das -i- dagegen als „altes u“ und plädierte für die Aussprache [tribubos]. 6 Cf. Cl. Nicolet, Plèbe et tribus: Les statues de Lucius Antonius et le testament d’Auguste, MEFRA 97, 1985, 799-839.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

179

ger römischer Tribus gemeint sein.1 Zwar ist es möglich, daß im Bereich der Präfektur Römer siedelten, die unterschiedlichen Tribus angehörten; erst mit der Verleihung der civitas optimo iure an die einheimischen Bewohner (nach 205) wurde die Quirina als Ortstribus von Amiternum fixiert.2 Die Quirina war jedoch bereits 241 im ager Sabinus gegründet und den hier siedelnden Römern übertragen worden.3 Es wird daher in Amiternum – wenn überhaupt – nur mit der Präsenz von wenigen, in andere Tribus eingeschriebenen Immigranten zu rechnen sein, die beim Zuzug ihre alte Tribus bewahrten. Damit stellt sich wie im Fall Iguviums die Frage, ob der Tribusbeleg aus Amiternum eine bereits existierende indigene Institution bezeichnet, die mit der römischen Tribus lediglich eine entfernte protoitalische Vergangenheit teilt, oder ob es sich um eine Übernahme und Adaptierung des römischen Vorbilds handelt. Die Stadtverfassung ist seit dem 4./3. Jh. durch eine enge Anbindung an Rom gekennzeichnet. Zwar gewährte Rom den Präfekturen bis zur Einführung einer Munizipalverfassung im ersten Jahrhundert v.Chr. ein gewisses Maß an Autonomie, das ihnen die Bewahrung indigener Institutionen wie das Oktovirat ermöglichte. Gerade das Beispiel des Oktovirats belegt die sprachliche und wahrscheinlich auch verfassungsrechtliche Anpassung dieses Amtes an römische Verhältnisse.4 Der Präfekt bzw. einer seiner Mitarbeiter könnte mit trebibos lediglich eine von seinem Standpunkt aus den römischen Tribus vergleichbare, indigene Institution beschrieben haben.5 Zugleich fällt jedoch die Abfassung der Inschrift zeitlich in eine Epoche, in der die Sabinerstadt bereits tiefgreifend dem römischen Einfluß in kulturellsprachlicher und politischer Hinsicht ausgesetzt war. Die Übernahme einer römischen Institution ist hier noch wahrscheinlicher als in Iguvium, das im Gegensatz zu Amiternum im zweiten Jahrhundert v.Chr. seine administrative Unabhängigkeit bewahrte. Selbst wenn hinter dem dialektalen Ausdruck trebibos lokale Traditionen stünden, würde deren Existenz nicht zu dem Schluß berechtigen, daß das Wort eine

1

Daran glaubte Humbert, MCSS, 245f., Anm.165. Cf. jedoch A. Degrassi, ad ILLRP 302 („Tribus sunt eius oppidi cuius Laenius praefectus fuit.“), und M. Torelli, C. Genucio(s) Clusino(s) prai(fectos), 154. 2 205 ist ein sicherer terminus post quem, da in diesem Jahr die Amiterni mit den Nursini und Reatini von Livius zu den verbündeten Truppenkontributoren Scipios im Krieg gegen Hannibal gerechnet werden (Liv.28.45.14f.), cf. Taylor, VDRR, 65f.; E. Badian, JRS 52, 1962, 203; Toynbee, HL I, 380f.; Humbert, MCSS, 234f.; Poucet, Recherches, 270, Anm.22; Palmer, AC, 165; M.R. Torelli, La conquista romana della Sabina, DArch s.3, 5, 1987, 49. Die Argumente für einen früheren Zeitpunkt der Verleihung des Vollbürgerrechts (cf. etwa P.A. Brunt, The Enfranchisement of the Sabins, in: J. Bibauw (Hrg.), Hommages à Marcel Renard, Bd.2, Brüssel 1969, 121-129; Sherwin-White, RC2, 65, 206 (beide für eine Einbürgerung 268 v.Chr.)) überzeugen demgegenüber nicht. 3 Taylor, VDRR, 59. 4 C. Letta, Magistrature italiche e magistrature municipali: Continuità o frattura?, in: E. Campanile/C. Letta, Studi sulle magistrature indigene e municipali in area italica, Pisa 1979, 45ff., hat gezeigt, daß das Oktovirat vor allem in den Gebieten eingeführt worden ist, die vor 89 römisch waren und in denen eine Kontinuität bei den Magistraturen der vorrömischen und römischen Zeit festzustellen ist. 5 Möglicherweise diente der Terminus lediglich der Übersetzung eines in der sabinischen Sprache existierenden Begriffs bzw. Institution.

180

Die drei ältesten Tribus

unabhängig von der römischen Tribus entstandene, indigene Stammesinstitution bezeichnet, die mit der römischen Tribus eine nur ferne Vergangenheit teilte.1 Das vorhandene Textformular der Inschrift erlaubt uns allerdings keine konkreten Rückschlüsse auf die Form der Adaptierung. Der Plural weist vielleicht darauf hin, daß wir es mit Personenverbänden zu tun haben. Zugleich ist jedoch ein territorialer Kontext denkbar, insbesondere bei einer römischen Entlehnung der Institution.2 Die Tribus von Amiternum wären in diesem Fall, wie die römischen Stadttribus, Unterteilungen des Territoriums der sabinischen Gemeinde gewesen. Die Schenkung eines Bronzegefäßes an die Tribus zeugt davon, daß die sabinischen Bezirke kollektiv einen Gegenstand veräußern konnten und somit vermutlich, wie in Rom, auch über gemeinschaftlichen Besitz verfügten. Kaum mehr Auskunft geben die Quellen über die Existenz samnitischer Tribus. Eine wichtige Voraussetzung für die Formierung des Stammes der Samniten war die Verschmelzung einer Gruppe der südpicenischen, nach Mittelitalien eingewanderten *Safineis mit den kampanischen Opikern in der ersten Hälfte des 5. Jhs.3 Die Samniten sprachen einen oskischen Dialekt und waren eng mit den Sabinern verwandt, die sich vermutlich hinter dem Ausdruck *Safineis verbergen.4 Ein direkter Hinweis auf eine Existenz samnitischer Tribus fehlt bislang, wenn auch eine solche als wahrscheinlich gelten kann, da die Samniten ebenso wie die mit ihnen verwandten Umbrer die Institution der touta kannten. Das oskische Wort für tribus ist bislang nicht bekannt.5 Das mehrfach inschriftlich bezeugte trííbúm bedeutet „das Haus, Gebäude“. Es entspricht der lat. domus und hat nichts mit der lat. tribus zu tun.6 Auch anderen Inschriften ist kein schlüssiger Hinweis auf die Existenz bzw. den Charakter samnitischer Tribus zu entnehmen. In der Forschungsdiskussion hat eine Bauinschrift aus Peltuinum eine gewisse Bedeutung erlangt. Sie verzeichnet die Wiederherstellung einer Badeanstalt auf Beschluß des Dekurionenrates der vestinischen Gemeinde, die durch den Zusatz pars qualifiziert 1 Zur ethnischen Gemengelage im Sabinerland cf. A.L. Prosdocimi, Etnici e strutture sociali nella Sabina, in: Identità e civiltà dei Sabini. Atti del XVIII Convegno di studi etruschi ed italici. RietiMagliano Sabina, 30 maggio - 3 giugno 1993, Florenz 1996, 227-256. 2 Die umbrischen Beispiele belegen lediglich die Zuweisung des gesamten Gemeindegebietes zu einer einzigen Tribus. 3 A. Ancillotti/R. Cerri, Le Tavole Iguvine, 110; A.L. Prosdocimi, Il sannita, in: Studi sull’Italia dei Sanniti, Rom 2000, 208-213. 4 Cf. M.J. Becker, The Sabines and their Neighbors: The Recognition of Cultural Borders through Skeletal Studies, in: Identità e civiltà dei Sabini. Atti del XVIII Convegno, cit., 343; Prosdocimi, art.cit., 210. 5 Cf. Prosdocimi, Lessico, 42. 6 Vetter, HD, Nr.11 (Pompeji), 25 (ibid.), 27 (ibid.), 155 (Bovianum Vetus). Cf. R. v. Planta, Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte, Bd.I, Strassburg 1892, 458, Anm.1; Palmer, AC, 43, Anm.2; E. Pulgram, Italic, Latin, Italian 600 B.C. to A.D. 1260, Heidelberg 1978, 88. Tríbuf Plífríks könnte der oskische Begriff für „Volkstribun“ sein, wie aus einer neuen, auf dem Gebiet von Trebula Balliensis gefundenen Inschrift hervorgeht, cf. St. De Caro, SE 63, 1999, 456-458; I.-J. Adiego, Osco Tríbuf Plífriks, Glotta 77, 2001, 1-6; St. De Caro, SE 65-68, 2002, 495-497. Auch bei diesem Amt scheint es sich um eine Entlehnung der römischen Institution zu handeln, cf. A. Prosdocimi, Considerazioni sull’iscrizione di Trebula e i nuovi dati istituzionali, SE 65-68, 2002, 505-512.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

181

wird.1 Nach Täubler handelt es sich bei pars um die wörtliche Übersetzung von tribus.2 Die vestinischen Städte Peltuinum, Pinna und Aveia würden eine Stellung zwischen umbrischen und römischen Tribus einnehmen, die mit den umbrischen den Charakter von politisch autonomen Gemeinden und mit den römischen die Dreizahl geteilt hätten. In der Bezeichnung von Peltuinum als pars zeige sich die Analogie zur trifu des umbrischen Iguvium, da beide Gemeinden Teile des Vestiner- bzw. Umbrerlandes waren.3 Die Bedeutung von pars im Sinne der Gesamtheit der Gemeinde, wie sie in der Bauinschrift zum Ausdruck komme, habe Peltuinum jedoch erst von dem Augenblick an besessen, als es – wie die anderen vestinischen Städte – Munizipium war und als solches einer römischen Tribus (Quirina) zugeschrieben wurde.4 Damit habe Peltuinum ein Territorium zugewiesen bekommen, das den Umfang der alten Tribus der Stadt hatte.5 Die Bedeutung von pars im Sinne eines Stammdrittels war nach Täubler die ursprüngliche. Sie komme darin zum Ausdruck, daß Peltuinum eines von drei vestinischen Munizipien war, das neben Pinna und Aveia aus einer (italischen) Tribus herausgewachsen sei. Die Existenz von ebenfalls drei pälignischen Munizipien (Corfinium, Superaequum, Sulmo) unterstreiche, daß sich in der Dreizahl der Tribus „das ursprüngliche Wesen der Tribus“ (als Stammdrittel) erhalten hat.6 Anders verhalte es sich mit dem Gebiet der Marrucini. Das in einer oskischen Inschrift aus Rapino verzeichnete touta marouca7 beziehe sich nicht auf ein Drittel, da sonst der ganze Stamm nur eine Tribus gebildet hätte. Wahrscheinlicher bezeichne es einen vom Stamm der Marser abgelösten ethnischen Teil.8 Die Tatsache, daß die Gemeindeorganisation der Vestiner und Päligner in je einer Eigenschaft mit der der Umbrer (Tribus als territoriale Gemeinden, Aufteilung des ganzen Stammes in Tribusgemeinden) und der der Römer (Prinzip der Drittelung) übereinstimme, belege die Bewahrung der Urform der Tribus. Während bei den Umbrern eine Loslösung vom Drittel in der Wei1

CIL IX. 3430=ILS 5668: Balineum refectum/dec.decr.pecun.public./partis Peltuinatium. Cf. CIL IX. 3420, 3438. Täubler, Tribus, 9. 3 Ibid. 4 Im Gegensatz zu Pinna habe aber Peltuinum zunächst noch seine alte staatliche Bezeichnung behalten. Für Aveia ist die pars bislang nicht überliefert, cf. Täubler, Tribus, 9f. 5 Da es in Umbrien ursprünglich mehr Tribus als später Munizipien gegeben haben wird, müsse man die Existenz von alten Tribus annehmen, in deren Gebiet sich keine Städte entwickelt hatten. In anderen Gebieten konnte nach Täubler der umgekehrte Fall eintreten, nämlich der, daß das Gebiet einer Tribus unter mehrere Städte aufgeteilt wurde, cf. Täubler, Tribus, 10, Anm.1. 6 Täubler, Tribus, 12. Zu den pälignischen Munizipien cf. F. Van Wonterghem, Superaequum-Corfinium-Sulmo. Forma Italiae, Regio IV, Bd.1, Rom 1984; M. Buonocore, Corfinium, Suppl.It. n.s. 3, Rom 1987, 95-222; id., Sulmo, Suppl.It. 4, Rom 1988, 9-115; id., Superaequum, Suppl.It. 5, Rom 1989, 87-144. 7 Vetter, HD, Nr.218 (3. Jh. v.Chr.). Cf. V. Cianfarani, Touta Marouca, in: Studi in onore di A. Calderini e R. Paribeni, III, Mailand 1956, 310-327; A. Nocentini, Contributo all’interpretazione dell’ iscrizione marrucina del Bronzo di Rapino, Abruzzo 6, 1970, 153-169; A. La Regina, Legge sacra di Rapino (CH), in: V. Cianfarani/L. Franchi dell’Orto/A. La Regina (Hrg.), Culture adriatiche antiche di Abruzzo e di Molise, Rom 1978, 520f., tav.350; J. Martínez-Pinna, La inscripción de Rapino: Propuesta de interpretación, ZPE 120, 1998, 203-214; A. Zavaroni, Note sull’iscrizione italica di Rapino, ZPE 149, 2004, 227-231. 8 Cf. Cato orig. frg.53Peter=2.23/Beck-Walter: Marsus hostem occidit prius quam Paelignus, propterea Marrucini vocantur, de Marso detorsum nomen. Täubler, Tribus, 14. 2

182

Die drei ältesten Tribus

se stattfand, daß sich das Stammesgebiet in beliebig viele Tribusgemeinden gliedern konnte, sei in Rom die Dreizahl erhalten geblieben und habe sich – unter Loslösung vom Stamm – zu einem integralen Bestandteil der Gemeinde entwickelt.1 Die weitreichenden Thesen von Täubler sind nicht zu halten. Es ist weder erwiesen, daß pars in der Inschrift die Bedeutung von Tribus hatte,2 noch daß der Ausdruck im Verhältnis zu den vestinischen Gemeinden zu sehen ist. Pinna war vermutlich seit 302 v.Chr. durch ein foedus an Rom gebunden3 und wurde erst nach dem bellum sociale in den römischen Staatsverband integriert.4 Peltuinum könnte somit lediglich in enger Verbindung mit Aveia gestanden haben, mit dem es den Status einer Präfektur teilte.5 Da Aveia lange Zeit die bedeutendere Siedlung gewesen zu sein scheint,6 war Peltuinum vielleicht zunächst dieser Präfektur zugeordnet, bevor es einen eigenen Präfekten erhielt.7 Die Stadt könnte sich aber auch erst nach dem Bundesgenossenkrieg aus der Abhängigkeit von Aveia, das jetzt ein Munizipium geworden war, gelöst und die pars einer größeren vestinischen Präfektur gebildet haben.8 Auf eine mögliche Drittelung der Päligner fehlt mit Ausnahme der Existenz von drei dieser Ethnie zuweisbaren Gemeinden jeglicher Hinweis.9 1

Cf. Täubler, Tribus, 16ff. Lateinische Schriftsteller gebrauchten zwar pars im Sinne von Tribus (Cic.rep.2.20.35; Serv. Aen.5.560; Fest.468, 6L; Paul.Fest.475, 13L). Die Tatsache jedoch, daß sowohl Festus (Verrius Flaccus) als auch Cicero pars für die frühe römische Bürgerschaft verwandten und damit die in primi und secundi eingeteilten Zenturien der Titienses, Ramnes, Luceres bezeichneten, illustriert die Dehnbarkeit des Begriffs. Cf. Poucet, Recherches, 368f. 3 Liv.10.3.1. 4 Dies wird durch die Präsenz von quattuorviri i.d. nach 90 v.Chr. nahegelegt: CIL IX, S.317. Im Unterschied zu Pinna bestanden in Peltuinum und Aveia die altvestinischen Magistraturen (Ädilen) fort. Als vestinischer Bundesgenosse mußte Pinna somit wohl mehrmals Militärkontingente für das römische Heer stellen, cf. Pol.2.24; Liv.44.40. Mit Pinna erhielten vermutlich auch Angulum und Aufinum das Bürgerrecht nach dem bellum sociale, cf. Beloch, RG, 598. 5 Peltuinum: CIL IX. 3429. Aveia: CIL IX. 3627, 3613. Cf. Plin.nat.3.107: Vestinorum: Angulani, Pennenses, Trasmontani; Aveiates, Peltuinates quibus iuguntur Aufinates, Cismontani. Für Aufinum als autonomes Zentrum, das mit Aveia und Peltuinum die civitas sine suffragio übertragen bekam, cf. A. La Regina, Ricerche sugli insediamenti vestini, MAL s.VIII, 13, 1968, 370f., 431. 6 Cf. A.R. Staffa, Città antiche d’Abruzzo. Dalle origini alla crisi tardoromana, BCAR 98, 1997, 167f., 171f. 7 A. La Regina, art.cit., 444. Auch nach Mommsen, ad CIL IX, S.324, diente der Ausdruck zur Unterscheidung der Peltuinates von den ihnen angegliederten Aufinates, gefolgt von Humbert, MCSS, 231, Anm.98. Für Kornemann, s.v. „Pagus“, RE XVIII, 1942, 2318, handelt es sich um den peltuinatischen Teil der Vestini. 8 Cf. G.F. La Torre, Il processo di urbanizzazione nel territorio vestino: Il caso di Aveia, ArchClass 37, 1985, 169, Anm.40. 9 Daß auch im Pälignerland der neuen Munizipalordnung „die alte Tribusordnung“ zugrunde lag, wie Täubler, Tribus, 12, vermutete, kann nicht Ovid (am.2.16: Pars me Sulmo tenet Paeligni tertia ruris) entnommen werden. Ovid wird sich lediglich auf die geographische Dreiteilung des Landes in die Territorien der Gemeinden von Corfinium, Sulmo und Superaequum (cf. Plin.nat.3.106) berufen haben. Eine institutionelle Konnotation des Wortes pars ist nicht auszumachen. Der Bezug, den J.C. McKeown, Ovid: Amores - Text, Prolegomena and Commentary in Four Volumes. Bd.III: A Commentary on Book Two, Leeds 1998, 330, zu Verg.Aen.10.201ff. (cf. Kap.II.6.1) herstellt, ist problematisch, da nicht bekannt ist, ob sich der Dichter auf eine Untergliederung der Stadt Mantua oder eine ganze Region bezog. 2

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

183

Wie in Umbrien so ist auch in Samnium eine Existenz einheitlicher stammesstaatlicher Strukturen nicht zu belegen. A. La Regina glaubte, solche für die nicht, bzw. erst spät urbanisierten Gebiete der Region nachweisen zu können, und berief sich dabei auf die erwähnte Inschrift aus Rapino sowie auf eine neuere Inschrift aus Penna S. Andrea (Picenum), die den Terminus touta im Zusammenhang mit dem Ethnikon safinas verzeichnet.1 Mit ihnen sind jedoch keine Staaten der Sabiner bzw. Marruciner gemeint, wie A. La Regina vermutete;2 safinas tútas (Gen.) und touta marouca haben vielmehr attributive Bedeutung und können mit „vom sabinischen“ bzw. „vom marucinischen Volk“ übersetzt werden.3 Die Auffassung, daß touta ursprünglich ein ethnisches, von der Gemeinde losgelöstes Gemeinwesen bezeichnete, ist abzulehnen. C. Letta hat überzeugend gezeigt, daß es bereits vor der Munizipalisierung in Samnium zahlreiche Dörfer gab, die zwar in eine föderative Struktur eingebunden waren, zugleich aber als einzelne touta mit eigenen lokalen Beamten – der bekannteste unter ihnen ist der meddix tuticus (meddíss túvtíks) – ihre Autonomie wahrten.4 Wenn irgendwann ein Beleg für die Existenz samnitischer Tribus auftauchen sollte, so wäre auch in dieser italischen Region ein enger Zusammenhang zu den dörflichen Gemeinschaften und – wie in Umbrien – zu dem diese Gemeinschaften charakterisierenden Begriff touta zu vermuten.

6.4. Latinische Tribus In den Latinergemeinden sind bislang keine Tribus bekannt. Ihre Existenz kann höchstens indirekt abgeleitet werden. Daß sich in Latium das umbrische Konzept einer mit dem gesamten Gemeindegebiet identischen Tribus durchsetzte, ist nicht zu belegen.5 Einzelne Hinweise lassen zunächst vermuten, daß hier, wie in Rom, der Dreizahl eine 1

A. Marinetti, Le iscrizione sudpicene. I Testi, Florenz 1985, 215ff., Nr.5: safinas tútas (Mitte 5. Jh. v.Chr.). Cf. A. La Regina, Penna Sant’Andrea. Le stele protosabelliche, in: La Valle del Medio e Basso Vomano, Bd.1, Teramo 1986, 125-130. Zur Inschrift aus Rapino cf. S.181, Anm.7. 2 A. La Regina, Appunti su entità etniche e strutture istituzionali nel Sannio Antico, AION (archeol.) 3, 1981, 129-137. Auch E. Dench, From Barbarians to New Men. Greek, Roman and Modern Perceptions of Peoples of the Central Apennines, Oxford 1995, 136, hielt – in enger Anlehnung an La Regina – die urbane Bedeutung von touta für sekundär gegenüber der ethnischen Bedeutung. 3 Cf. Prosdocimi, Lessico, 49f. 4 C. Letta, Dall’‘oppidum’ al ‘nomen’: I diversi livelli dell’aggregazione politica nel mondo oscoumbro, in: L. Aigner Foresti (Hrg.), Federazioni e federalismo nell’Europa Antica: Bergamo, 21-25 settembre 1992, Mailand 1994, 387-403. Cf. auch Bradley, Tribes, 122. Zur Lokalisierung dieser Siedlungen cf. I. Rainini, Modelli, forme e strutture insediative del mondo sannitico, in: Studi sull’ Italia dei Sanniti, Rom 2000, 238-254. Die im Zuge der samnitischen Expansion im 5. Jh. gegründeten Stadtstaaten Kampaniens, Lukaniens und Bruttiums wurden im Oskischen offenbar vereiiāgenannt, cf. H. Rix, ‘Tribù’, ‘Stato’, ‘Città’ e ‘Insediamento’ nelle lingue italiche, AGI 85, 2000, 224. 5 Ampolo, Paesaggio, 82, deutete die Tribus Clustumina, die nach dem Ort Crustumerium benannt wurde, als Indiz dafür, daß latinische Städte das umbrische Modell einer einzigen Tribus als Gemeindetribus übernommen haben könnten. Für die Tribus Clustumina ist jedoch kein vorrömischer Ursprung nachweisbar. Ihre Benennung hängt eng mit der secessio der plebs zusammen, die in das Gebiet von Crustumerium führte, und entspricht einer römischen Praxis der Benennung der Landtribus nach Toponymen, die mit der Clustumina ihren Ausgang nahm.

184

Die drei ältesten Tribus

gewisse Bedeutung zukam. So könnte sich hinter den Gründungslegenden von Antium, Ardea, Crustumerium, Fidenae, Nomentum und Tibur, die jeweils von drei Brüdern gegründet worden sein sollen, eine interne institutionelle Struktur verbergen.1 Besonders hervorhebenswert ist der Gründungsmythos um Tibur. Der Protagonist der drei Brüder, Tiburnus, soll bei drei Steineichen als Herrscher der Stadt inauguriert worden sein.2 Sie könnten noch zu Lebzeiten des Plinius, der sie erwähnt, (als Heroon?) von der Bevölkerung als Symbole einer besonderen göttlichen Kraft, die Tiburnus bei seiner Inauguration zuteil wurde, verehrt worden sein. Die Namen aller drei Gründer – neben Tiburnus sind Catillus und Coras zu erwähnen – lassen sich zudem mit drei Toponymen in Verbindung bringen. Während zwei davon latinische Städte bezeichnen (Tibur, Cora), war der mons Catilli ein in der Nähe Tiburs gelegenen Berg.3 Dieser Befund erinnert an die Benennung der vier Stadttribus und die Landtribus Clustumina nach Toponymen. Darüber hinaus gibt es aber keine Hinweise auf eine institutionelle Dreiteilung in Latium. In Lanuvium, Tibur und Velitrae sind lediglich Kurien bezeugt; ob neben ihnen Tribus existierten und ob diese – wie in Rom – mit den Kurien koordiniert waren, kann nicht gesagt werden. Zu den Kurien Tiburs besitzen wir nur einen Auszug aus dem Kommentar des Servius zur Aeneis. Die entsprechenden Inschriften aus Lanuvium sind ebenfalls spät datiert und machen eine Übernahme der römischen Kurien wahrscheinlich. Zwar ist die in Velitrae gefundene Inschrift bedeutend älter und in volskischer Sprache verfaßt.4 Da jedoch die Volsker erst um 500 v.Chr. in die südlatinische Ebene vordrangen,5 zu einer Zeit, als sich Rom bereits eine gewisse Hegemonialstellung in Latium Vetus erkämpft hatte (Kap.V.4.1), kann auch in diesem Fall eine entsprechende Adaptierung des römischen (oder latinischen) Vorbildes nicht ausgeschlossen werden. Berichte über die Bodenteilung eroberter Gemeinden lassen den Ursprung des hinter diesen Teilungen stehenden Prinzips zunächst offen. Antemnae, Caenina und Cameria sollen nach ihrer Eroberung ein Drittel ihres Gebiets an Rom abgetreten haben.6 Die Hernici und Privernates wurden nach ihrer Niederlage angeblich derart hart bestraft, daß sie auf zwei Drittel ihrer Gebiete verzichten mußten.7 Statt der Annahme einer entfernten indoeuropäischen Vergangenheit ist es jedoch naheliegender, hinter der 1

Antium, Ardea: Dion.1.72.5=FGrH 240 F 29. Crustumerium, Fidenae, Nomentum: Dion.2.53.4. Tibur: Verg.Aen.7.670; Serv.Aen.7.670; Porph. ad Hor.carm.1.7.1 (Keller I, S.40-41). 2 Plin.nat.16.237. Die Erzählung erinnert an die Inauguration Numas (Liv.1.18.6-10). Cf. den Beitrag von D. Briquel, La legende de fondation de Tibur, ACD 33, 1997, 63-81, bes.79-81, mit der Vermutung eines institutionellen Hintergrundes. 3 D. Briquel, art.cit., 74f. 4 Lanuvium: CIL XIV. 2120=ILS 6199, 2114=6201, 2126=6202. Tibur: Serv.Aen.1.17. Velitrae: Vetter, HD, Nr.222. Cf. Palmer, AC, 60ff. 5 Cf. F. Coarelli, Roma, I Volsci e il Lazio Antico, in: Crise et Transformation des Sociétés Archaïques de l’Italie antique au Ve siècle av. J.-C., Rom 1990, 135-154; M. Cristofani, I Volsci nel Lazio. I modelli di occupazione del territorio, AL 11,1, 1992, 13-24; G. Colonna, Appunti su Ernici e Volsci, Eutopia 4, 1995, 3-20. 6 Antemnae, Caenina: Dion.2.35.2/6-7. Cameria: Dion.2.50.4-5. 7 Herniker: Liv.2.41.1 (486 v.Chr.). Privernates: Liv.8.1.3 (341). Cf. auch die Bestrafung der Frusinates im Jahre 303: Liv.10.1.3. Nach C.A. Volquardsen, RhM 33, 1878, 554, war die Dreiteilung des Grund und Bodens in den italischen Städten üblich.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

185

Teilung eine römisch-latinische Praxis zu vermuten, die auf die Zeit der Einrichtung gemeinsamer Latinerkolonien zurückgeht. Aus der in den Quellen häufig wiederkehrenden Zahl 30 ist ebenfalls kein Zusammenhang zu den Tribus ableitbar. Die Vermutung, daß den angeblich 30 albensischen Kolonien (populi Albenses) eine Dreiteilung von Institutionen in Alba Longa zugrunde liegt,1 kann verworfen werden. Sie ist in der Auffassung einer politischen Hegemonie Alba Longas verhaftet, die die Periode zwischen der Ankunft des Aeneas in Latium und der Herrschaft des Romulus füllen sollte. Die erhaltenen Summen, die die Teilnehmer an den feriae Latinae bzw. am Festmahl des Iupiter Latiaris nennen, umfassen insgesamt 47 bzw. 53 Gemeinden, und es ist nicht erwiesen, daß sie aus einer sukzessiven Vermehrung einer Basiszahl von 30 Latinergemeinden resultierten.2 Die Zahl von 30 populi Albenses könnte bereits als das Ergebnis eines Auswahlprozesses zu deuten sein, zumal die von Plinius genannte Summe 53 nicht der Summe der von ihm aufgezählten populi Albenses und clara oppida entspricht.3 Auch die mehrfach überlieferte Zahl von 30 Städten des Latinerbundes (triginta populi Latini) kann nicht als authentisch gelten,4 sondern steht in einem mythologischen Zusammenhang mit dem Wunder der Bache, die 30 Frischlinge geworfen und Aeneas nach Lavinium bzw. Alba Longa geführt haben soll.5 Moderne Versuche der Identifizierung der 30 Latinergemeinden vermögen nicht zu überzeugen.6 Die Entwicklung der römisch-latinischen Beziehungen macht eine kontinuierliche Ausdehnung des Latinerbundes wahrscheinlich.7 Die einzige Dreißigzahl, die mit einiger 1

Plin.nat.3.69 (die Zahl 30 kann zudem nur unter der Voraussetzung, daß der Terminus Albenses die Gesamtheit aller aufgelisteten populi bezeichnet, aufrechterhalten werden; ansonsten ist von der Nennung von 31 Völkern auszugehen, cf. Kap.I.3.4); Dion.3.31/34. Cf. G.B. Niebuhr, Römische Geschichte I, Berlin 31828, 386, Anm.871; Schwegler, Römische Geschichte I, 586ff.; Volquardsen, RhM 33, 1878, 545; Holzapfel, Tribus, 247. In das Reich der Legende zu verweisen ist der Kampf zwischen den drei aus Rom bzw. Alba Longa stammenden Brüdern der Horatier und Curiatier, cf. Kap.IV.6.3.5. 2 Feriae: Dion.4.49.2-3. In 5.61 nennt Dionysius 29 Völker, die den beim caput (aquae) Ferentinae geschlossenen Vertrag unterzeichneten. Festmahl des Iupiter Latiaris: Plin.nat.3.68-69 nennt 20 clara oppida und 30 populi (Albenses), die am Mahl des Iupiter Latiaris auf dem mons Albanus vereint sind. 3 Falls es sich um keinen Rechenfehler des Plinius handelt, bleibt nur der Schluß, daß eine der beiden Listen künstlich kompiliert wurde, cf. auch Palmer, AC, 10f. Dion.4.49 berichtet von einem Erlaß des Tarquinius Superbus, nach dem 47 Gemeinschaften an den neu eingerichteten feriae Latinae teilnehmen sollten. 4 Liv.2.18.3; Dion.6.63; 6.74-75. 5 Varr.rust.2.4.17f.; Lykophr.Alex.1250ff. Zu dieser Episode cf. überzeugend Alföldi, Early Rome, 271-278=id., Das frühe Rom, 243-249. Anders: Sherwin-White, RC², 19f., 190ff. 6 Cf. zuletzt A. Grandazzi, La liste plinienne des populi dits Albenses (Nat.Hist.III, 69): Anciennes et nouvelles hypothèses, REL 77, 1999, 30-49. Für eine Historizität der Liste cf. auch Pallottino, Origini, 124-126; B. Liou-Gille, Les rois de Rome et la Ligue Latine: Définitions et interprétations, Latomus 56, 1997, 737f. Contra: C. Ampolo, L’organizzazione politica dei Latini ed il problema degli Albenses, in: A. Pasqualini (Hrg.), Alba Longa, mito, storia, archeologia. Atti dell’incontro di studio Roma, Albano Laziale 27.-29.1.1994, Rom 1996, 135-160. 7 Es ist auch fraglich, ob die wohl zunächst vom Latinerbund, später dann von Rom gegründeten Latinerkolonien je eine Gesamtzahl von 30 erreichten. Schwierigkeiten bestehen vor allem hinsichtlich der Identifizierung und Einordnung der sogenannten Kolonien ariminischen Rechts (Cic.

186

Die drei ältesten Tribus

Sicherheit korrekt überliefert wurde, scheint die der römischen Kurien gewesen zu sein, die mit den drei Tribus in engem institutionellen Zusammenhang standen.1

6.5. Keltische Tribus Der von Plinius zitierte Cato erwähnt 112 Tribus des keltischen Stammes der Boier, die sich vermutlich seit ca. 600 v.Chr. in Oberitalien, im Gebiet der heutigen Aemilia, niedergelassen hatten.2 Die Boier gliederten sich in mehrere Familienclans, die dezentral in unbefestigten Dörfern zusammenlebten, wie zahlreiche literarische und archäologische Quellen verdeutlichen.3 Diese Clans hatte Cato offenbar im Sinn. Er konnte sie als Tribus bezeichnen, weil sie Eigenschaften aufwiesen, die den Tribus seiner Zeit zugeschrieben wurden: Die römischen Landtribus waren personale und territoriale Verbände zugleich. Zwar beruhte die Zusammenfassung der römischen Bürger in 35 Tribus in erster Linie auf ihrer regionalen Herkunft. Da jedoch die Tribuszugehörigkeit in der Regel weitervererbt wurde und die Möglichkeit des Tribuswechsels durch einen genau definierten gesetzlichen Rahmen eingeschränkt war,4 blieb sie eng mit der Familienzugehörigkeit verknüpft. Gemeinsamkeiten lassen sich auch hinsichtlich der militärischen Funktion feststellen. Die römischen Tribus hatten die Funktion von militärischen Einheiten und Rekrutierungsbezirken. Das keltische Clansystem, das auf das engste mit der militärischen Gefolgschaft verbunden war, konnte aus römischer Perspektive durchaus einem Vergleich mit den Tribus standhalten: Die Wehrhaftigkeit der Boier beruhte auf der Existenz zahlreicher Kampfgemeinschaften, die sich aus den Gefolgsherren und ihren Begleitern – Sippen-/Familienangehörige und Klienten – zusammensetzten.5 In einer grundlegenden Charakteristik unterscheiden sich aber die von Cato beschriebenen Tribus der Boier von denen der Römer und anderer mediterraner Kulturen. Caecin.35.102), cf. Sherwin-White, RC², 102ff.; Toynbee, HL I, 249-258; G. Luraschi, Foedus Ius Latii Civitas. Aspetti costituzionali della romanizzazione in Transpadana, Padua 1979, 293ff. Für eine Einrichtung der frühen Latinerkolonien unter römischer Ägide cf. allerdings E. Hermon, Les priscae latinae coloniae et la politique colonisatrice à Rome, AJAH 14, 1989, 143-179. 1 Nach Palmer, AC, 11, wurde die Zahl 30 der populi Albenses künstlich auf der Basis der Kurienzahl konstruiert. Palmer irrte allerdings in der Auffassung, die Endzahl der Kurien sei erst nach Servius Tullius erreicht worden. Zum originären Bezug Tribus-Kurien cf. auch die Rezension von A. Alföldi zu Palmer, AC, Gnomon 44, 1972, 787-799. 2 Cato orig. ap.Plin.nat.3.116 (frg.44Peter=2.13Beck-Walter): In hoc tractu interierunt Boi quorum tribus CXII fuisse auctor est Cato, item Senones, qui ceperunt Romam. Zum Zeitpunkt der Einwanderung cf. G. Dobesch, Zur Einwanderung der Kelten in Oberitalien. Aus der Geschichte der keltischen Wanderungen im 6. und 5. Jh. v.Chr., Tyche 4, 1989, 35-85; id., Anmerkungen zur Wanderung der mitteleuropäischen Boier, Tyche 8, 1993, 9-17; J.H.C. Williams, Celtic Ethnicity in Northern Italy: Problems Ancient and Modern, in: T. Cornell/K. Lomas (Hrg.), Gender and Ethnicity in Ancient Italy, London 1997, 74f. 3 Cf. V. Kruta, Les Boïens de Cispadane. Essai de paléoethnographie celtique, EC 17, 1980, 7-32; I. Wernicke, Die Kelten in Italien. Die Einwanderung und die frühen Handelsbeziehungen zu den Etruskern, Stuttgart 1991, 118-122, 127f. 4 Cf. Forni, Doppia tribù, 139-155. 5 Cf. Pol.2.17.12; I. Wernicke, loc.cit.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

187

Während die letzteren die Entstehung urbaner Strukturen voraussetzen, zeichnet sich das dörflich geprägte Siedlungsgebiet der Boier gerade durch das Fehlen solcher Strukturen aus.1 Die 112 Tribus sind die Tribus eines Stammes, nicht die einer Stadt, und müssen daher von den griechischen, etruskischen oder italischen Tribus getrennt werden. Es ist fraglich, ob die Bedeutung, die Cato dem Wort tribus beimißt, dem Tribusbegriff von Anfang an inhärent war. Keines der anderen beschriebenen Tribus- und Phylensysteme kann mit dem Begriff „Stamm“ tituliert werden. Auch lateinische Autoren wie Caesar und Tacitus benutzten für die Beschreibung der gallischen und germanischen Stämme bzw. für ihre Untergliederungen, die gerne mit dem modernen Begriff tribal belegt werden, nie das Wort tribus.2 Die Anwendung des Begriffs auf Stammesverbände scheint vielmehr eine Transformation des Konzeptes der römischen Tribus vorauszusetzen, bei der das späte, zu Catos Lebzeiten dominierende Verständnis der Tribus als Erbe einer gemeinsamen Stammesvergangenheit auf die soziale Gliederung der Boier projiziert wurde.3 Das Verständnis der boischen Tribus durch Cato ist somit strikt von der historischen Bedeutung der römischen Tribus zu trennen.

6.6. Griechische Phylen 6.6.1. Phylenreformen im 7. und 6. Jh. Die antiken Autoren sahen einen engen Zusammenhang zwischen römischen Tribus und griechischen Phylen; für tribus verwandten sie stets den Ausdruck ful», sofern sie nicht das lateinische Wort dem griechischen Laut- und Schriftsystem anglichen.4 Auch griechische Inschriften geben zuweilen den lateinischen Tribusnamen mit der Umschreibung ful» wieder.5 Damit ist jedoch nur eine Aussage über die allgemeine Vergleichbarkeit beider Institutionen in der Antike getroffen. Derartige Vergleiche, wie sie vor allem von griechischen Schriftstellern (Polybius/Dionysius) gezogen wurden, konnten vordergründig sein, auf nur einem oder wenigen gemeinsamen Merkmalen basieren und der perspektivischen Verzerrung unterliegen. Um zu stichhaltigen Ergebnissen zu gelangen, ist nach den strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu fragen, die einen entsprechenden Vergleich rechtfertigen, sowie nach dem historischen Kon1

Cf. J.H.C. Williams, art.cit. Cf. Roussel, Tribu, 166. 3 Von Interesse in diesem Kontext ist auch die Beschreibung germanischer Stämme, die von Autoren wie Caesar und Tacitus mit römischen Institutionen (pagi/vici) versehen werden, cf. Palmer, AC, 57-59. 4 Cf. etwa Dion.2.7.2-4, der die „Tribus“ mit der „Phyle“ und „Trittye“, die „Kurie“ mit der „Phratrie“ und dem „Lochos“, die „Tribunen“ (Anführer der Tribus) mit den „Phylarchen“ und „Trittyarchen“ sowie die „Kurionen“ (Anführer der Kurien) mit den „Phratriarchen“ und „Lochagoi“ gleichsetzt. Plut.Rom.20.2-3 vergleicht Tribus und Phylen sowie Tribunen und Phylarchen. 5 Cf. die von G. Forni, Le tribù romane nelle bilingui etrusco-latine e greco-latine, in: Studi in onore di E. Betti, Bd.3, Mailand 1962, 203, Anm.19, angeführten Beispiele fulÁj Poll…a (BGU IV. 1113; 14 v.Chr.), fulÁj A„mil…aj (BGU IV. 1108; 5 v.Chr.) und fulÁj Koll…na (Arch.Pap. V, 1913, 390, 238; Zeit Vespasians). 2

188

Die drei ältesten Tribus

text, in den sich die Entstehung und Ausgestaltung dieser beider Institutionen einbetten. Die große regionale Varietät der Phylenorganisation in klassischer und hellenistischer Zeit macht eine erschöpfende Kategorisierung der Institution „Phyle“ im Rahmen dieser Arbeit unmöglich.1 Auf der Basis des Vergleichs mit dem archaischen Rom sollen nur jene Poleis herangezogen werden, für die eine frühe Tribusreform im 7. bzw. 6. Jh. v.Chr. dokumentiert ist. Dazu gehören Athen, Sparta, Sikyon, Kyrene und Korinth. Veränderungen in Zahl, Mitgliedschaft und Funktion der Phylen führten hier zu einer wachsenden Beteiligung der Bürgerschaft am politischen Regiment.2 Anschließend werden einige Strukturmerkmale giechischer Phylen beschrieben, die weitere Ansatzpunkte für den Vergleich mit den römischen Tribus liefern. Sparta kann den ältesten Phylenbeleg für sich beanspruchen. Der im 7. Jh. lebende Dichter Tyrtaios beschreibt das spartanische Heer in seiner Einteilung in die Phylen der Pamphyler, Hylleer und Dymanen.3 Im Mittelpunkt dieses Fragmentes steht wie in der gesamten Dichtung des Tyrtaios die Kritik am Verhalten der Aristokraten. Diese Grundhaltung und der historische Kontext des 7. Jhs. machen einen Bezug des Fragments auf die neu eingeführte Phalanxtaktik wahrscheinlich, die Disziplin und Einsatzbereitschaft der sich selbst ausrüstenden Bürger forderte. Nicht mehr der aristokratische Einzelkämpfer, sondern das in Phylen organisierte, kollektive Bürgerheer und seine Standhaftigkeit bestimmten den Ausgang der Schlacht und damit das Schicksal der Polis. Die Entstehung und Festigung dieses Heeres, das seine Schlagkraft im Zweiten Messenischen Krieg unter Beweis stellen konnte, war offen-bar eine Folge der sogenannten Großen Rhetra, die bereits Tyrtaios kannte und die eine künstliche Neuordnung der spartanischen Phylen enthielt.4 Daß die 1

Für eine Gesamtdarstellung sei auf die Studien von Roussel, Tribù, und Jones, Public organization, verwiesen, die inzwischen durch zahlreiche Lokalstudien zu ergänzen sind. Cf. etwa S. Vilatte, Le porc, l’âne, le porcelet et les „chefs du peuple“ des tribus clisthéniennes: Des emblèmes pour les citoyens de Sicyone, DHA 16, 1990, 115-133; F. Kolb, Bemerkungen zu einer fragmentarisch erhaltenen Phyleninschrift im Theater von Hierapolis/ Phrygien, ZPE 8, 1990, 203-206; L. Innocente, La tribù dei Dordopes, PP 47, 1992, 446-454; K.-J. Hölkeskamp, Demonax und die Neuordnung der Bürgerschaft von Kyrene, Hermes 121, 1993, 404-421; M. Piérart, L’attitude d’Argos à l’égard des autres cités d’Argolide, in: M.H. Hansen (Hrg.), The polis as an urban centre and as a poilitcal community, Symposium Aug.29-31 1996, Kopenhagen 1997, 321-357; D. Knoepfler, Le territoire d’Erétrie et l’organisation politique de la cité (dêmoi, chôroi, phylai), ibid., 352-449; R.D. Scholl, Phylen und Buleuten in Naukratis. Ein neues Fragment zur Inschrift SB VIII. 9747, Tyche 12, 1997, 213-228; R. Van Bremen, The Demes and Phylai of Stratonikeia in Karia, Chiron 30, 2000, 389-401. 2 Cf. O. Murray, Cities of reason, in: id./S. Price (Hrg.), The Greek City. From Homer to Alexander, Oxford 1990, 13. 3 Tyrt.frg.1Diehl=19,8West=10,16Gentili/Prato, Z.15ff.: ]ai ko…lhij ¢sp…si frax£m[enoi/cwrˆj P£mfulo… te kaˆ `Ulle‹j ºd[ Dum©nej/¢ndrofÒnouj mel…aj cersˆn ¢n[ascÒmenoi. Cf. die Interpretation von M. Meier, Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jh. v.Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, Stuttgart 1998, 290292. 4 Der von Plutarch (Lyk.6.2) überlieferte Orakelspruch spricht in seiner prosaischen Kürze nur von ful¦j ful£xanta kaˆ çb¦j çb£xanta. Daß hiermit eine Neuordnung und nicht eine Ersteinrichtung (für eine solche im 8. Jh. cf. Roussel, Tribu, 236f.) der Phylen gemeint ist, kann aufgrund der redundanten Wortkombination sowie aufgrund der plausiblen Datierung der Großen Rhetra um

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

189

Einführung der auf der Partizipation einer breiten Bürgerschicht beruhenden Phalanxtaktik gut in den Kontext der Großen Rhetra paßt, wird auch durch andere Bestimmungen des von Plutarch überlieferten Textes illustriert, die eine größere Beteiligung des Volkes an der politischen Entscheidungsfindung regelten.1 Über den Ursprung der in der Rhetra erwähnten Phylen, deren Namen offenbar auf eine ältere spartanische Phylenordnung zurückgehen,2 ist nichts bekannt. Da bereits antike Quellen die Sage von der Rückkehr der Herakliden – darunter die eponymen Phylenheroen Hyllos als Sohn des Herakles sowie Pamphylos und Dymas als Söhne des Aigimios – mit einer dorischen Landnahme in der Peloponnes verbanden und sich diese Phylennamen in zahlreichen anderen dorischen Poleis wiederfinden, wurde lange Zeit vermutet, daß die Phyleneinteilung auf eine Stammesgliederung der Dorier vor ihrer Einwanderung aus dem Balkan nach Süden zurückgeht.3 Dies ist jedoch auszuschließen. Mehrere Studien haben gezeigt, daß die Dorier kein homogenes, straff organisiertes Wandervolk waren, das als geschlossener Verband auf die Peloponnes vordrang. Die Entwicklung eines einheitlichen Dialektes und einer gewissen kulturellen Identität ist vielmehr das Ergebnis einer Vielzahl von Bewegungen „dorischer“ bzw. nordwestgriechischer Gruppen, die vermutlich nur aus jeweils einigen hundert Personen bestanden und keineswegs abrupt das Ende der mykenischen Welt herbeiführten. Allmähliche Infiltration und rasches Vordringen wechselten einander ab, die Verschmelzung zwischen Neuankömmlingen und Eroberern bzw. Einwanderern gestaltete sich in einem komplexen Prozeß der Eth-

650 (cf. L. Thommen, Lakedaimonion Politeia. Die Entstehung der spartanischen Verfassung, Stuttgart 1996, 36; M. Meier, op.cit., 187, 227) als wahrscheinlich gelten: Die Phylen erscheinen in dieser Ordnung als disponibel und stehen in engem Zusammenhang mit Bestimmungen über andere politische Institutionen, was eine ältere Ordnung voraussetzt, cf. K.-W. Welwei, Die spartanische Phylenordnung im Spiegel der Großen Rhetra und des Tyrtaios, Gymnasium 86, 1979, 194; Jones, Public Organization, 118; U. Walter, An der Polis teilhaben, Stuttgart 1993, 158-161; E. Lévy, Sparte. Histoire politique et sociale jusqu’à la conquête romaine, Paris 2003, 28. Die Annahme einer Neuordnung durch die Große Rhetra zwingt keineswegs dazu, die spartanischen Phylen als vorstädtische Einheiten zu qualifizieren. 1 Die Bestimmungen der Großen Rhetra deuten zwar auf eine herausragende Position des Adelsrates (Gerusie), die Einbindung des Volkes in das institutionelle Gefüge der Polis (Apella) war jedoch ein Fortschritt gegenüber den Verhältnissen in homerischer Zeit, cf. P. Cartledge, Sparta and Lakonia. A Regional History 1300-362 B.C., London/Boston 1979, 135; M. Meier, op.cit., 201ff., 227; id., Zwischen Königen und Damos. Überlegungen zur Funktion und Entwicklung des Ephorats in Sparta (7.-4. Jh. v.Chr.), ZRG 117, 2000, 46ff. Dafür, daß die Phylenreform in engem Zusammenhang mit der Einführung der Hoplitentaktik zu sehen ist, cf. P. Cartledge, La nascita degli opliti e l’organizzazione militare, in: S. Settis (Hrg.), I Greci II,1, Turin 1996, 699, 705; id., The Peculiar Position of Sparta in the Development of the Greek City-State, in: Spartan Reflections, London 2001, 33; M. Meier, op.cit., 196f. Gegen eine Änderung der Kampftaktik cf. dagegen L. Thommen, op.cit., 48. 2 Jones, Public Organization, 118; U. Walter, op.cit., 161. Anders Roussel, Tribu, 229, 238, der von einer Übernahme der spartanischen Phylen von Argos ausging. 3 Cf. F. Miltner, Die dorische Wanderung, Klio 27, 1934, 61; H. Bengtson, Griechische Geschichte, München 31965, 51f. und Anm.5; F. Kiechle, Lakonien und Sparta, München/Berlin 1963, 117 und zuletzt wieder G. Daverio Rocchi, Città-stato e stati federali della Grecia classica, lineamenti di storia delle istituzioni politiche, Mailand 1993, 340.

190

Die drei ältesten Tribus

nogenese.1 Zudem wurde die Heraklidensage offenbar erst seit dem 6. Jh. dorisiert und Aigimios nachträglich zum Anführer der Dorier erhoben. Die Hylleis, Dymanes und Pamphyloi des Tyrtaios, die erst spät für andere „dorische“ Poleis belegt sind, erscheinen somit zunächst als spezifisch spartanische Phylen.2 Sie standen in enger Beziehung zu den Oben, die ebenfalls in der Großen Rhetra neu geordnet wurden. Die Oben waren personale Verbände auf territorialer Basis und stellten die fünf spartanischen Regimenter (lochoi).3 Wie genau der Bezug zwischen Phylen und Oben aussah, entzieht sich unserer Kenntnis. Die Zahlenverhältnisse und die territoriale Komponente der Oben legen zumindest eine gleichmäßige Repräsentation der Phylen innerhalb jeder Obe nahe.4 Eine solche diente vielleicht dazu, die Ausbildung separater Interessensgruppen zu verhindern, die sich im späten 8. und frühen 7. Jh. unter der Führung einzelner Aristokraten gebildet und eine potentielle Gefährdung für das innere Gleichgewicht der Polis dargestellt haben könnten.5 Zwar wurden Schlüsselfunktionen innerhalb der Phylen offenbar 1

Cf. P.A. Wallace, The Motherland of the Dorians, in: Symposion on the Dark Ages in Greece, New York 1977, 51ff.; F.A. Winter, An Historically Derived Model for the Dorian Invasion, ibid., 60ff.; K.-W. Welwei, Die spartanische Phylenordnung im Spiegel der Großen Rhetra und des Tyrtaios, Gymnasium 86, 1979, 190; P. Cartledge, Sparta and Lakonia, London/Boston 1979, 75101; J.T. Hooker, Sparta, Geschichte und Kultur, Stuttgart 1982 (engl. London 1980), 44-49; P.G. van Soesbergen, The coming of the Dorians, Kadmos 20, 1981, 38ff.; R. Drews, The Coming of the Greeks, Princeton 1988, 203-225; P. Funke, Stamm und Polis, in: J. Bleicken (Hrg.), Colloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von A. Heuss, Kallmünz 1993, 31ff.; A.M. Snodgrass, I caratteri dell’età oscura nell’area egea, in: S. Settis (Hrg.), I Greci, II,1, Turin 1996, 191ff.; J.M. Hall, Ethnic Identity in Greek Antiquity, Cambridge 1997, 114-128. 2 Cf. Chr. Ulf, Griechische Ethnogenese versus Wanderungen von Stämmen und Stammstaaten, in: id. (Hrg.), Wege zur Genese griechischer Identität, Berlin 1996, 240-280, bes.256ff., 272ff.: „Es ist ein vielfach zu wenig beachtetes Faktum, daß die Dreizahl der Phylen vor dem 4. Jahrhundert eindeutig nur für Sparta nachgewiesen werden kann.“ (273). Cf. auch Roussel, Tribu, 225: „De phylai proprement doriennes, avec leurs dénominations communes à plusieurs Cités se réclamant d’une même origine, il n’est question nulle part, dans les documents dont nous disposons, avant Pindare et Hérodote.“ Pindar (P.1.61-66) preist die herausragende Stellung Spartas mit seinen Phylen unter den dorischen Gemeinden, was als Indiz dafür gewertet werden könnte, daß die Verbreitung der sogenannten „dorischen“ Phylen ihren Ausgangspunkt in Sparta hatte. Zum Konstrukt der Heraklidensage, die offensichtlich die Existenz eines dorischen Ethnos glaubhaft erscheinen lassen sollte, cf. neben dem Aufsatz von Ulf auch die Monographie von J.M. Hall, Ethnic Identity in Greek Antiquity, Cambridge 1997, 56-65. 3 Cf. Hdt.9.53.2-3 für ein nach der Obe Pitanatai benanntes lochos, dessen Historizität Thuk.1.20.3 wohl zu Unrecht bestritt. Auch Hesych.s.v. KunÒsoura legt einen lokalen Bezug der Oben nahe, indem er sie mit den Begriffen ful», kèmh und tÒpoj erklärt. Die territoriale Basis bildeten die fünf Dörfer Spartas (Kynosura, Pitane, Limnai, Mesoa, Amyklai). Vier Oben waren mit Sicherheit nach ihnen benannt (Kynooureis, Pitanatai, Limnaieis, Amyklaieoi); das Dorf Mesoa fehlt vermutlich lediglich aufgrund der mangelhaften Überlieferungsbasis. Eine sechste Obe (Neopoleitai) wurde wahrscheinlich erst im 3. Jh. als reiner Personenverband gegründet. Die Entwicklung der Oben zu rein personalen Vereinigungen könnte eine plausible Erklärung für ihre spätere Gleichsetzung mit den Phylen liefern. Für einen lokalen Bezug der Oben cf. Jones, Public Organization, 119; M. Meier, op.cit., 197ff. Roussel, Tribù, 237, und K.-W. Welwei, Gymnasium 86, 1979, 193, hielten die Oben dagegen für rein personale Abteilungen. 4 Cf. W.G. Forrest, A history of Sparta 950-19 B.C., London 1968, 43-45; Jones, Public Organization, 119f. 5 Cf. M. Meier, op.cit., 200.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

191

nach wie vor von aristokratischen Familien wahrgenommen.1 Dadurch aber, daß die Mitglieder einer Obe unterschiedlichen Phylen zugeordnet wurden, war an eine Durchsetzung von Sonderinteressen kaum mehr zu denken. Alle Mitglieder einer Phyle setzten sich, ungeachtet ihrer lokalen und sozialen Zugehörigkeit, für die Polis ein – sei es im zivilen oder im militärischen Bereich – und konkurrierten innerhalb ihrer Verbände um den höchsten Einsatz für das Gesamtwohl der Gemeinschaft. Die enge Korrelation der Phylen mit den militärischen Abteilungen drückt sich auch in den sogenannten Triakaden aus (Basiseinheiten zu je 30 Mann) sowie in der mutmaßlichen Existenz von 300 Reitern, die wahrscheinlich wie in Rom dem Oberbefehl von drei Reiterführern unterstanden.2 Die Erweiterung der spartanischen Bürgerschaft ging mit einer Vermehrung der Oben und Lochoi bei gleichbleibender Phylenzahl einher; Neubürger wie die Minyer werden gleichmäßig auf die Phylen verteilt.3 Im Laufe der klassischen und hellenistischen Zeit verloren die Phylen dann immer mehr an Bedeutung und wurden von den Oben, die sich zunehmend zu rein personalen Verbänden entwickelten und in Inschriften als phylai bezeichnet werden, allmählich ersetzt.4 Ob neben den Oben noch andere Einheiten existierten, wie etwa Phratrien, mit den Phylen verbunden waren, kann nicht mehr gesagt werden.5 Zwar ist die athenische Phylenordnung nicht so früh bezeugt wie die spartanische, dafür kann sie aber als die am besten dokumentierte der griechischen Staatenwelt gelten. In Athen sind die vier Phylen der Geleontes, Hopletes, Aigikoreis und Argadeis vertreten, deren Namen die Athener auf die vier Söhne des fiktiven Ahnherrn der Ionier (Ion) zurückführen.6 Daß es sich tatsächlich um urionische Verbände handelt, ist unwahrscheinlich, da es weder einen einheitlichen ionischen Stammesverband, noch eine Ethnogenese in Attika gab, die am Ursprung einer weiten ionischen Kolonisationsbewegung seit dem 11. Jh. stand.7 Wie in Sparta so treten in Athen die Phylen erst als Untereinheiten der Polis in Erscheinung, in deren Rahmen sie bestimmte öffentliche Funktionen wahrnahmen. Zentral scheint auch hier das Bedürfnis gewesen zu sein, die 1 Nach Plut.Lyk.16.1 wurden die Phylen von presbÚtatoi geleitet, die den Kontakt zur Gemeinde herstellten und vermutlich aus einer angesehenen Familie stammen mußten, cf. Roussel, Tribu, 239; L. Thommen, op.cit., 47. 2 Triakaden: Hdt.1.65.5. Die Existenz von 300 Reitern geht aus der Dreistruktur der späten spartanischen Armee hervor, die sechs morai, 12 lochoi, 48 pentekostyes und wahrscheinlich 192 enomotiai kannte. Cf. J.F. Lazenby, The Spartan Army, Warminster 1985, 63, 68f. An der Schlacht von Nemea 394 nahmen 600 Reiter teil (Xen.hell.4.2.16). 3 Cf. Hdt.4.145.5. 4 Zu den Gründen für diese Entwicklung cf. Roussel, Tribu, 241. Nicht haltbar ist dagegen die Erklärung von Jones, Public Organization, 121, der glaubte, daß die alten Phylen als dorische Phylen galten und daher die zahlreichen nichtdorischen Fremden und Periöken, die in die Bürgerschaft aufgenommen wurden, nicht mehr integrieren konnten. 5 K.-J. Hölkeskamp, Demonax und die Neuordnung der Bürgerschaft von Kyrene, Hermes 121, 1993, 415f., vermutete, daß sich die Phylen Spartas aus je neun Phratrien zusammensetzten. Das während des Festes der Karneen veranstaltete Bankett erlaubt jedoch lediglich einen Rückschluß auf die Gliederung der Bankettgruppen (Skiades) in Phratrien. 6 Eur.Ion 1579-1588. 7 Cf. K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis, Darmstadt 1992, 119f.

192

Die drei ältesten Tribus

Stadt vor feindlichen Übergriffen zu sichern. Dies geht aus der Zusammensetzung der Phylen aus je drei Trittys (Drittel) hervor, da die einzige namentlich überlieferte Trittys, die Leukotainioi der Phyle Geleontes, als „die mit weißen Bändern Versehenen“ übersetzt werden kann, vermutlich eine Anspielung eine unterschiedliche Markierung von Speeren.1 Ein Hinweis auf die militärische Funktion der Phylen spiegelt sich in der Vorstellung der Athener wider, daß der Gründer der Phylen, Ion, ein militärischer Anführer war.2 Ferner versammelte sich die Armee zur Musterung phylenund trittyenweise, wie im Piräus gefundene Steine aus der Zeit um 500 belegen.3 Die vier Vorsteher der Phylen, die sogenannten Phylobasileîs (Phylenkönige), führten nach Aussage Herodots die nach Phylen gegliederten Wehrabteilungen an und wurden zu einem späteren Zeitpunkt durch vier Phylarchen ersetzt.4 Auch die athenischen phylai könnten in engem Zusammenhang mit der Übernahme der Phalanxtechnik bzw. den daraus resultierenden neuen organisatorischen Aufgaben stehen und an die Stelle der auf Nachbarschaft, Verwandtschaft und Gefolgschaft basierenden homerischen phyla getreten sein.5 Nach den kleisthenischen Reformen stellten die Phylen getrennte Infanterieregimenter. Neben der militärischen sind mehrere andere Funktionen politischer, richterlicher und kultischer Dimension für die athenischen Phylen und ihre Mitglieder nachweisbar. Die Phylobasileîs wachten über die korrekte Ausführung von kultischen Opfern6 und berieten im sogenannten Ephetengericht den Archon Basileus – den obersten sakralen Repräsentanten der Polisgemeinschaft – bei bestimmten Mordanklagen.7 Die athenischen Phylen bildeten zudem offenbar die Basis für die Zusammensetzung des solonischen Rates der 400 und die Auswahl der 40 Kandidaten, die für die Auslosung der Archontenämter bereit standen.8 Die Mitglieder des Rates dürften eher ernannt als ge1

J.H. Oliver, Greek Inscriptions, Hesperia 4, 1935, S.21, Nr.2, 31-43; F. Sokolowski, Lois sacrées des cités grecques, Suppl., Paris 1962, Nr.10A. Cf. S.D. Lambert, The Phratries of Attica, Ann Arbor 1993, 257 und Anm.55. 2 Hdt.8.44.2; Arist.Ath.Pol.3.2; Paus.1.31.3. 3 IG I². 897-900. In Athen wurden erst während des Peloponnesischen Krieges zentrale Register geführt: Thuk.3.87.3. 4 Hdt.5.69.2 verzeichnet die Ersetzung von vier Phylarchen durch zehn unter Kleisthenes. Cf. Arist. Ath.Pol.8.3; Poll.13.689f. Daneben ist auf die militärische Funktion der Phylen in nachkleisthenischer Zeit zu verweisen (Hdt.6 mit der Schilderung der Schlacht bei Marathon), die sie von den vier ionischen Phylen übernommen haben werden. Dazu P. Siewert, Die Trittyen Attikas und die Heeresreform des Kleisthenes, München 1982, 141-145. Auch für die Trittyen sind militärische Funktionen nachweisbar, cf. Demosth.orat.14.22-23; Plat.rep.475a; Hdt.9.21-23. 5 So überzeugend K.-W. Welwei, op.cit., 122f. Zur primär militärischen Funktion der Phylen cf. ferner Lambert, op.cit., 258. 6 Dies ist einem zwischen 403 und 399 aufgezeichneten Opferkalender zu entnehmen, der Opfer [™k t]în f[ulob]asili[kîn] verzeichnet, cf. J.H. Oliver, Greek inscriptions, Hesperia 4, 1935, S.21, Z.33-34, 45-46, S.23, Z.6-7; S. Dow, Greek inscriptions, Hesperia 10, 1941, S.34, Z.44-45. Die kultische Funktion der Phylen wird darüber hinaus durch die Teilnahme der Phyle Geleontes und die Trittye Leukotainioi an zwei Opfern dokumentiert, cf. Oliver, art.cit., S.21, 31-43, 44-59. Cf. auch Poll.8.111. 7 Arist.Ath.Pol.57.4; Plut.Sol.19.3. 8 Zur Archontenwahl: Arist.Ath.Pol.8.1-2. Die hier referierte Auswahl der Kandidaten widerspricht allerdings der Aussage, nach der Solon den Modus der Archontenwahl nicht änderte (Arist.pol.2. 1273b, 35–1274a, 3; 1274a, 16-17; 3.1281b, 25-34). Zur Zusammensetzung der Boule nach Phylen:

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

193

wählt worden sein,1 und auch die Nominierung der Kandidaten für das Archontat wird kaum ohne Mitsprache des Adels erfolgt sein. Ein entsprechender Einfluß spiegelt sich etwa in der Bestimmung wider, daß die Phylobasileîs den Eupatriden entstammen mußten.2 Zwar sind ihre genauen Kompetenzen nicht bekannt; da die Phylenkönige aber ihre Herkunft auf die engen Begleiter Ions zurückführen konnten3, kam ihnen ein traditionell hohes Ansehen zuteil, das auch, so darf vermutet werden, politisch bedeutsam gewesen sein wird. Gleichzeitig gilt es jedoch zu betonen, daß die Phylen keine ständischen oder regionalen Untergliederungen, sondern Personenverbände waren, die allen Bürgern offen standen.4 Sie gewährten im Rahmen des institutionellen Gefüges der Polis den hier vertretenen Bürgern das gleiche passive Stimmrecht und eröffneten ihnen, sofern die entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen gegeben waren, den Zugang zu den Ämtern. Die sogenannten Phratrien waren zwar ebenfalls städtische Untereinheiten, standen aber außerhalb der Phylengliederung. Sie umfaßten mehrere Familien, die sich auf eine gemeinsame Abstammung beriefen, regelten den Zugang zur Bürgerschaft und hatten daneben kultische Funktionen. Nachrichten, die die Phratrien als Untergliederungen der Phylen beschreiben und mit den Trittyen gleichsetzen, stammen aus atthidographischer Tradition und sind das Ergebnis einer späten Rationalisierung.5 Diese spiegelt sich auch in der von einigen griechischen Schriftstellern vollzogenen Gleichsetzung der Phratrien mit den römischen Kurien, die Untereinheiten der Tribus waren, wider. Mit seiner grundlegenden Neuordnung der Phylen beabsichtigte Kleisthenes, die Einheit von Stadt und Land durch eine gleichmäßigere Repräsentation der einzelnen Regionen zu stärken.6 Eine Einteilung der Bürgerschaft in zehn Phylen bildete die Grundlage für diese Reform. Sie basierte auf der Zuordnung dörflicher Einheiten, der sogenannten Demen, zu drei Regionen (Küste, Stadt, Binnenland). Die Demen jeder Region wurden zu zehn Trittyen zusammengefaßt, so daß jede der zehn Phylen drei Trittyen, je eine aus jeder Region, umfaßte.7 Die Demenzugehörigkeit, die den Bürgerstatus definierte, war die unabdingbare Voraussetzung für die aktive Teilhabe des Atheners an der Verwaltung der Stadt. Den Phylen kam wie auch den Trittyen und Demen Arist.Ath.Pol.8.4. 1 Cf. Lambert, op.cit., 264. 2 Poll.8.111; Plut.Sol.19.1. 3 Cf. Arist.Ath.Pol.41.2. 4 Das Phylensystem deckte sich vermutlich nicht mit den Grenzen der sogenannten Naukrarien, die der Ausrüstung von Schiffen dienten. Zwar könnten dies Arist.Ath.Pol.8.3 (vier Phylen aus 12 Naukrarien, cf. auch Ath.Pol.21.5 für die Auffassung, Kleisthenes habe Demen an Stelle der Naukrarien eingerichtet) und Poll.8.108 (vier Naukrarien pro Trittye) nahelegen. Diese Aussagen sind jedoch insofern nicht zuverlässig, als sie auf atthidographischer Tradition und falschen Zahlenkombinationen beruhen, cf. Jones, Public Organization, 28f.; K.-W. Welwei, op.cit., 124. Contra: Lambert, op.cit., 252. 5 Arist.Ath.Pol.frg.3; Harpokr.s.v. trittÚj; Poll.8.109. Dazu E. Bourriot, Recherches sur la nature du génos. Étude d’histoire sociale athénienne. Périodes archaïque et classique, Lille/Paris 1976, 460-492; Lambert, op.cit., 371-380. 6 Zur Bedeutung der Phylen für die Ausbildung von Isonomie nach Kleisthenes cf. Roussel, Tribu, 196. An vorrangig militärische Ziele glaubte P. Siewert, Die Trittyen Attikas und die Heeresreform des Kleisthenes, München 1982, passim. 7 Arist.Ath.Pol.21.2/4.

194

Die drei ältesten Tribus

in diesem System die Funktion zu, den Zugang aller Bürger – unabhängig von ihrer regionalen und sozialen Herkunft sowie von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen – zu den politischen, richterlichen und militärischen Körperschaften zu gewährleisten. Dabei scheint der Rat der 500 eine zentrale Rolle gespielt zu haben, da die Zahl seiner Mitglieder mit der der Phylen korreliert wurde, die jeweils 50 Bouleuten stellen mußten. Die Zuordnung der einzelnen Demen zu den Trittyen und Phylen zielte darauf ab, eine gleichmäßige Vertretung der Bürgerschaft unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl der einzelnen Demen und der Zugehörigkeit der Demen zu den drei Regionen zu erreichen.1 Im Rahmen der Zusammensetzung der Volksversammlung oder der Magistraturen spielten die Phylen keine Rolle. Nur im „Scherbengericht“ (Ostrakismos) und bei der Vorauswahl der Strategen stimmten sie als Einheiten ab.2 Aufgrund der jetzt herbeigeführten Mischung der Regionen innerhalb der neuen Phylen wurde der Weg

1

Aus Bouleuteninschriften des 5. und 4. Jhs. geht hervor, daß die von einer Phyle gestellten 50 Prytanen des geschäftsführenden Ausschusses des Rates annähernd proportional nach den regionalen Trittyen zugeordnet waren (z.B. 17, 17, 16). Cf. W.E. Thompson, Three Thousand Acharnian Hoplites, Historia 13, 1964, 400-413; id., Trittuj tîn Prutaneîn, Historia 15, 1966, 1-10; id., Kleisthenes and Aigeis, Mnemosyne 4, 22, 1969, 137-152; id., The Deme in Kleisthenes’ Reforms, SO 46, 1971, 72-79; P.J. Rhodes, Trittuj tîn Prutaneîn, Historia 20, 1971, 385-404; J.S. Traill, Demos and Trittyes, Toronto 1986, passim; Jones, Public Organization, 58ff.; K. Kinzl, On the Consequences of Following AP 21.4 on the Trittyes of Attika, AHB 1, 1987, 25-38; id., On the Consequences of Following AP 21.3 on the Phylai of Attika, Chiron 19, 1989, 347-365. Zwar ist davor zu warnen, die in den späten Inschriften zu Tage tretenden Zahlenverhältnisse – dies gilt auch für die Frage der Existenz von 139 Demen – bedenkenlos auf die Zeit des Kleisthenes zu übertragen. Demographische Veränderungen im Laufe des 5. Jhs., wie sie für den Piräus und den Demos Atene nachgewiesen wurden, können eine nachträgliche Anpassung erfordert haben. Cf. hierzu M.H. Hansen/L. Bjertrup/T.H. Nilsen/L. Rubinstein/T. Vestergaard, The Demography of the Attic Demes. The Evidence of the Sepulchral Inscriptions, ARID 18, 1990, 25-44, bes.34; D. Kienast, Historia 54, 2005, 495-498. An An der grundsätzlichen Beachtung einer gewissen Proportionalität durch Kleisthenes ist jedoch kaum zu zweifeln. Eine Zuordnung der einzelnen Trittyen zu den Phylen durch Auslosung, wie sie Arist.Ath. Pol.21.4 referiert, hätte kaum zu einer gleichstarken Zusammensetzung der Phylen und der Hoplitenabteilungen geführt, die eine rationale Verteilung auf der Ebene der Trittyen notwendig machte, cf. C.W.J. Eliot, Coastal Demes of Attica, Toronto 1962, 136ff.; Hignett, A History of the Athenian Constitution, Oxford 1952 (ND 1973), 134f.; U. Kron, Die zehn attischen Phylenheroen. Geschichte, Mythos, Kult und Darstellungen, Berlin 1976 21. K.H. Kinzl, AHB 1, 1987, 25-33; id., Chiron 19, 1989 347-365, bestritt gänzlich die Historizität der Stelle. Für eine Zulosung cf. hingegen D.M. Lewis, Cleisthenes and Attica, Historia 12, 1963, 26f.; D. Kienast, Die innenpolitische Entwicklung Athens im 6. Jahrhundert und die Reformen von 508, HZ 200, 1965, 274, Anm.2; M.H. Hansen, Did Kleishenes use the lot when Trittyes were Allocated to Tribes?, AncW 15, 1987, 43f.; E. Badian, Back to Kleisthenic Chronology, in: P. Flensted-Jensen/T.H. Nielsen/L. Rubinstein (Hrg.), Polis & Politics. Studies in Ancient Greek History, Presented to M.H. Hansen on his Sixtieth Birthday, Aug.20, 2000, Kopenhagen 2000, 453. A. Andrewes, Kleisthenes’ Reform Bill, CQ 27, 1977, 245f., suchte eine Aussöhnung zwischen beiden Standpunkten, indem er annahm, die Zulosung der Trittyen habe vor der Bestimmung ihrer Zusammensetzung stattgefunden. 2 Die Wahl der zehn Strategen wurde offenbar nur während eines kurzen Zeitraums (von 510-501 v. Chr.) den Phylen anvertraut. Ab 501/500 scheinen sie in der Volksversammlung gewählt worden zu sein, wobei jede Phyle einen Strategen bestimmte, cf. Arist.Ath.Pol.2.22; Hdt.5.69 und die Interpretationen von Staveley, GRV, 41; J. O’Neil, The Origins and Development of Ancient Greek Democracy, London 1995, 166. Zur phylenweisen Abstimmung im Scherbengericht: Philoch. FGrH 328 F 30. Auch in dem Prozeß der Arginousen-Strategen wurde phylenweise votiert, cf. Xen.hell.1.7.9.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

195

für die Durchsetzung einer größeren Volksbeteiligung geebnet.1 Die Aristokratie besaß auch weiterhin großes Ansehen, konnte jedoch aus ihrem Status keinen politischen Führungsanspruch mehr ableiten und mußte in dem Wettbewerb um die politischen und richterlichen Ämter mit den Bürgern aller Zensusklassen konkurrieren. Zwar existierten die sogenannten attisch-ionischen Phylen, in denen die Aristokratie traditionell ein hohes Ansehen genoß, auch nach Kleisthenes fort; ihnen kam jedoch keine Funktion mehr im Institutionengefüge der Polis zu. Bis heute wird oft die Auffassung vertreten, Kleisthenes habe mit seiner Reform die vielfältigen Bindungen zwischen den führenden Familien Attikas und der Bevölkerung durchbrechen wollen. Dabei beruft man sich zumeist auf die willkürlich erscheinende Zusammensetzung der Phylen und der Trittyen, die gewachsene personale und regionale Bindungen nicht berücksichtigt habe. Aristokraten, die in ihrer Mehrheit nahe der Stadt lebten, seien auf alle Phylen verteilt und damit von ihrer lokalen Anhängerschaft in den entfernten Landbezirken getrennt worden. Der Einfluß des Adels auf die Ausübung von Kulten sei dadurch beschränkt worden, daß der einen Kult beherbergende Demos aus dem geographischen Zusammenhang gerissen und einer anderen Phyle als die benachbarten Demen zugeordnet wurde. Das hohe Ansehen der sich aus dem Adel rekrutierenden Priesterfamilien bei diesen Demen habe dadurch von ihnen nicht mehr in politischen Erfolg umgemünzt werden können.2 Demgegenüber hat jedoch Bourriot gezeigt, daß es in archaischer Zeit keine aristokratischen Clans mit großen, weitverzweigten Gefolgschaftsverbänden gab. Vielmehr bildete stets die erweiterte Familie der Oikosgemeinschaft die Basis für die soziale Gliederung der Gemeinde.3 Politische Adelsrivalitäten manifestierten sich auf der Ebene der Hetairien und nicht auf der Ebene der Phratrien bzw. Phylen, die die Funktionsfähigkeit der Polisgemeinschaft zu sichern hatten. Zudem hätte die Aristokratie einen allgemeinen Machtverlust durch die Reformen des Kleisthenes kaum toleriert.4 Innerhalb der Phylen hatten Eupatriden und Theten das gleiche politische Gewicht, wenn auch der soziale und ökonomische Hintergrund sowie das persönliche Redetalent den Adligen einen faktischen Vorteil bei der Bekleidung der zentralen Beamtenstellen wie der Strategie verschafften. Die regionale Aufteilung der Phylen und Trittyen erklärt sich weder aus dem Wunsch des Kleisthenes nach Entmachtung der Aristokratie noch 1

Zur Mischung der Bevölkerung: Arist.Ath.Pol.21.2, pol.5.1319b 25f. Cf. J. O’Neil, op.cit., 164f., 172. 2 Cf. D.W. Lewis, Cleisthenes and Attica, Historia 12, 1963, 22-40; D. Kienast, Die innenpolitische Entwicklung Athens im 6. Jh. und die Reformen von 508, HZ 200, 1965, 265ff.; W.E. Thompson, Kleisthenes and Aigeis, Mnemosyne 22, 1969, 142; J. Martin, Von Kleisthenes zu Ephialtes. Zur Entstehung der athenischen Demokratie, Chiron 4, 1974, 7ff.; J. O’Neil, op.cit., Kap.1 und 164f. 3 F. Bourriot Recherches sur la nature du génos. Étude d’histoire sociale athénienne. Périodes archaïque et classique, 2 Bde, Lille/Paris 1976 passim. Gegen die dem Kleisthenes unterstellte Absicht der Schwächung des Adels cf. auch Roussel, Tribu, 281f.; K.A. Raaflaub, Einleitung und Bilanz: Kleisthenes, Ephialtes und die Begründung der Demokratie, in: K.H. Kinzl (Hrg.), Demokratia. Der Weg zur Demokratie bei den Griechen, Darmstadt 1995, 28f.; K.-W. Welwei, Das klassische Athen. Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jh., Darmstadt 1999, 17f. 4 Die Aussage des Hdt.5.69.2, Kleisthenes habe das früher von ihm zurückgewiesene Volk auf seine Seite gebracht, erlaubt keine Rückschlüsse auf die Motive des Reformers, cf. K.-W. Welwei, op.cit., 342, Anm.66.

196

Die drei ältesten Tribus

aus einem angeblichen Streben nach persönlichen Vorteilen in der Auseinandersetzung mit seinen Standesgenossen.1 Vielmehr liegt der Neuordnung die Erkenntnis zugrunde, daß nur wenn den Bürgern die gleichen politischen Rechte zukamen, weiterhin deren Selbstbewußtsein gestärkt und eine effektive Aufgabenbewältigung der Polis nach innen sowie nach außen gewährleistet werden konnte. Die Mischung der Bürger in den Phylen verhinderte, daß sich partikulare Interessensgruppen bildeten, die, wie sich am Vorabend der Machtergreifung der Peisistratiden und auch während deren Herrschaft gezeigt hatte, eine potentielle Gefährdung für die Einheit der Polis darstellten. Während sich der Geltungsbereich der vier Phylen vermutlich nur auf die von dem Parnass, Pentelikon, Hymettos und Aigaleos umrahmte Ebene Athens (vielleicht unter Einbeziehung von Eleusis im Nordwesten) erstreckte, wird Kleisthenes mit seiner Reform die gesamte Region auf die Polis Athen bezogen haben.2 Die Phylenreform trug somit in entscheidendem Maße zur politischen und territorialen Einigung Attikas bei. Die politische Offenheit und Mobilität innerhalb Attikas ging mit einer rigideren Abschottung der Bürgerschaft nach außen einher. Der Zugang zu den Phylen bzw. zu den Demen, in denen nach den kleisthenischen Reformen die Bürgerlisten (tÕ lhx…arcon grammate‹on) geführt wurden, war streng reglementiert. Die Mitgliedschaft in einem Demos, die von Kleisthenes auf der Basis des Wohnsitzes geregelt wurde,3 blieb Zugewanderten verschlossen. Fremde und Metöken wurden zwar sozial in die athenische Gesellschaft integriert, waren jedoch von jeglicher politischer Partizipation an den Gerichten, Ämtern und an der Volksversammlung ausgeschlossen. Die Grenzen des Bürgerrechts wurden unter Perikles noch enger gezogen, da fortan nur derjenige Bürger 1

Für diese These cf. etwa R. Sealey, Regionalism in Archaic Athens, Historia 9, 1960, 174ff.; D.M. Lewis, Cleisthenes and Attica, Historia 12, 1963, 22-40; G. Daverio-Rocchi, Politica di famiglia e politica di tribù nella Polis Ateniese (V Secolo), Acme 24, 1971, 34; Stanton, Chiron 14, 1984, 40. 2 Ein Synoikismos der jenseits der Gebirge liegenden attischen Siedlungen in vorkleisthenischer Zeit ist aufgrund der Größe und Topographie des Gebietes eher unwahrscheinlich. Cf. hierzu überzeugend G. Anderson, Alkmeonid „Homelands“, Political Exile, and the Unification of Attica, Historia 49, 2000, 389-412, bes.404-412, der allerdings ohne gute Argumente lokale Adelsrivalitäten im archaischen Attika annimmt. Zum Charakter der ländlichen Siedlungen in Attika und ihren kultischen Zentren, die auf eine gesteigerte politische Aktivität im 7. Jh. schließen lassen, cf. A.-M. D’Onofrio, The 7th Century B.C. in Attica: The Basis of Political Organization, in: H. Damgaard Andersen/H.-W. Horsnæs/S. Houby-Nielsen/A. Rathje (Hrg.), Urbanization in the Mediterranean in the 9th to 6th Centuries B.C., Kopenhagen 1997, 63-88. 3 Die Auffassung von W.E. Thompson, The Deme in Kleisthenes’ Reform, SO 46, 1971, 72-79 (gefolgt von Roussel, Tribu, 281), die Demen seien Personenverbände mit regionalen Zentren gewesen, die auf der Karte Attikas mit Punkten, nicht mit Territorien darstellbar wären, ist nicht haltbar. Die Demen einer Trittys bildeten schon allein deswegen ein geschlossenes Siedlungsgebiet, weil sie aus bereits bestehenden Dörfern hervorgingen und keine Neuschöpfungen des Kleisthenes waren, cf. A. Milchhöfer, Untersuchungen über die Demenordnung des Kleisthenes. Philsophische und historische Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1892, II, 1-48; C.W.J. Eliot, Coastal Demes of Attica, Toronto 1962; U. Kron, Die zehn attischen Phylenheroen, 20; G.R. Stanton, The Tribal Reform of Kleisthenes the Alkmeonid, Chiron 14, 1984, 1-41; Jones, Public Organization, 6, 61ff.; D. Whitehead, The Demes of Attica 508/7-ca. 250 B.C. A Political and Social Study, Princeton 1986, 25-27; G.R. Stanton, The Trittyes of Kleisthenes, Chiron 24, 1994, 161-207; id., The Rural Demes and Athenian Politics, in: W.D.E. Coulson et al. (Hrg.), The Archaeology of Athens under the Democracy, Oxford 1994, 217-224.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

197

sein konnte, dessen beide Elternteile ebenfalls das Bürgerrecht besaßen. Nur in Einzelfällen gab es Bürgerrechtsverleihungen ehrenhalber, die etwa die Bürger von Plataiai (429) und die von Samos (405) betrafen.1 Die athenischen Phylen auf die bloße Funktion eines Instrumentes zur Sicherung der politischen Partizipation und zur Verteidigung der Polis reduzieren zu wollen, würde ihrer Natur jedoch nicht gerecht werden. Sie waren Einheiten mit eigenen Versammlungen, Kulten und Festen. Von großer Bedeutung war die kultische Funktion, deren Bedeutung sich schon allein aus der Benennung sowohl der vier „ionischen“ als auch der zehn kleisthenischen Phylen nach Heroen ergab. Sie wurden an bestimmten Zentren Athens von den Phylen verehrt; die Pflege des Kults oblag besonderen Priestern (ƒerÁj). Zwar errichtete man erst nach Mitte des 4. Jhs. den Phylenheroen zu Ehren das bekannte gemeinsame Monument auf der Agora, dies schließt jedoch eine frühzeitige kollektive Verehrung der Phylenheroen nicht aus. Bei Staatsbegräbnissen wurden die Leichname von zehn gefallenen Soldaten, die jeweils die Phylen repräsentierten, zu den Friedhöfen getragen. Grabstelen listeten die Gefallenen nach Phylen auf.2 Darüber hinaus waren die Phylen korporativ verfaßt. An der Spitze standen – im Unterschied zu den Phylenkönigen der vier alten Phylen – drei Epimeleten, die einen Großteil der internen Funktionen der Phyle wahrnahmen, darunter die Einberufung und den Vorsitz über die in einem städtischen Phylenzentrum tagende Phylenversammlung (¢gor£). Diese wählte nicht nur jährlich die von den Trittyen aufgestellten Epimeleten, sondern auch den Schatzmeister (tam…aj), Sekretär (grammateÚj), Anwalt (sÚndikoj), der die Phyle in rechtlichen Dingen repräsentierte, sowie eine Reihe niederer und außerordentlicher Beamte.3 In den Phylenversammlungen beriet man ferner über gemeinsame Angelegenheiten, verabschiedete Dekrete und regelte die Teilnahme an den großen Stadtfesten, die eine Bestimmung der Choregen, Gymnasiarchen und Hestiatoren erforderten. Der hohe Organisationsgrad innerhalb der Phylen diente vermutlich in erster Linie der Repräsentation ihrer Mitglieder in dem asty.4 1

Cf. Ch. Meier, Der griechische und der römische Bürger. Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Ensemble gesellschaftlicher Bedingungen, in: E.G. Schmidt (Hrg.), Griechenland und Rom. Vergleichende Untersuchungen zu Entwicklungstendenzen und -höhepunkten der antiken Geschichte, Kunst und Literatur, Tbilissi 1996, 41-66, bes.47. Zum athenischen Bürgerrecht: W. Peremans, Sur l’acquisition du droit de cité à Athènes au VIe s.av. J.-C., in: Antike und Universalgeschichte. Festschrift H.E. Stier zum 70. Geb., Münster 1972, 122-130; R. Sealey, How Citizenship and the City Began in Athens, AJAH 8, 1983, 97-129; C. Vatin, Citoyens et non citoyens dans le monde grec, Paris 1984; P.B. Manville, The Origins of Citizenship in Ancient Athens, Princeton 1990; D. Whitehead, Norms of Citizenship in Ancient Greece, in: K. Raaflaub, J. Emlen (Hrg.), City States in Classical Antiquity, Stuttgart 1991, 135-154; C. Mossé, La citoyenneté athenienne à l’époque classique, in: L’Homme et la Cité: Citoyenneté et liberté dans l’Antiquité. Actes du Colloque organisé par l’Association Guillaume Budé et la Mafpen, Janv. 1992, Dijon 1992, 129-140. 2 Thuk.2.34; cf. C. Clairmont, Patrios Nomos: Public Burial in Athens During the Fifth and Fourth Centuries B.C., Bd.1, Oxford 1983, 9ff., 89, 235, 238f. 3 Zu diesen gehören u.a. die Taphropoioi, Trieropoioi, Teichopoioi, Gymnasiarchoi, Hestiatoroi und Choregoi, cf. Staveley, GRV, 47f.; Jones, Public Organization, 58f. und Index III, 396-403 (Internal organization of public units). 4 Die Mitglieder verschiedener Phylen scheinen keine besonderen Beziehungen untereinander gepflegt zu haben, cf. N.F. Jones, The Athenian Phylai as Associations. Disposition, Function and Purpose, Hesperia 64, 1995, 518-521, 540; id., The Association of Classical Athens. The Response to Demo-

198

Die drei ältesten Tribus

Seit Kleisthenes wurden regelmäßig Phylenwettkämpfe bei den Dionysien und Panathenäen u.a. im Singen, Tanzen und im Sport veranstaltet. Sie stärkten einerseits die Solidarität und Loyalität der Phyleten untereinander. Andererseits förderten sie ein gesundes Konkurrenzdenken, das alle Bürger zum höchsten Einsatz – auch militärischen Einsatz, wie die Disziplinen „Waffentanz“ und „Waffenlauf“ belegen – für die Stadt anspornte und so die kleisthenischen Reformen auf eine solide Basis stellte.1 Die kleisthenische Phylenordnung war im 5., vor allem aber im 4. Jh. v.Chr. das Vorbild für die Phyleneinteilung anderer griechischer Stadtstaaten wie Milet und Eretria.2 In Milet existierten zehn „kleisthenische“ Phylen, die einen Rat zusammensetzten und von denen sieben die Namen ihrer Athener Vorbilder trugen. Milet behielt wie Athen seine alten Phylen – zu den vier attisch-ionischen traten zwei weitere – sowie die Phratrien.3 In Eretria war die Bürgerschaft auf mehrere Dutzend Demen verteilt, die vielleicht zu sechs choroí genannten Distrikten und – nach dem Vorbild Milets – einer ebenso großen Anzahl phylaí zusammengefaßt waren.4 Ob bereits die ältere Phylenordnung Athens von anderen Gemeinden übernommen wurde, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die Zusammensetzung der vier attisch-ionischen Phylen auf Delos aus vermutlich je drei triktyes könnte einen entsprechenden Einfluß nahelegen.5 Auch auf Keos gliederten sich die Phylen in Trittyen, die wiederum aus – den Demen vergleichbaren – choroí bestanden. Phylen und Trittyen waren hier jedoch nicht Unterteilungen einer Stadt, sondern des Bundesstaates, der 411 v.Chr. nach der Revolte von Euboia ins Leben gerufen wurde. Die einzelnen, dem Bundesstaat angehörenden Gemeinden (vermutlich Ioulis, Karthaia und Koresia) setzten sich aus lokalen Trittyen zusammen, die in ihrer überregionalen Zusammenfassung jeweils eine Phyle bildeten.6 Ein Einfluß des kleisthenischen Systems ist vielleicht auch für die Gemeinden cracy, New York/Oxford 1999, 151-194. 1 Cf. J. Neils, The Panathenaia and Kleisthenic Ideology, in: W.D.E. Coulson et al. (Hrg.), The Archaeology of Athens Under the Democracy, Oxford 1994, 159; M. Rausch, Zeitpunkt und Anlaß der Einführung der Phylenagone in Athen, Nikephoros 11, 1998, 83-105, bes.104f. R. Osbourne, The Demos and its Divisions in Classical Athens, in: O. Murray/S. Price (Hrg.), The Greek City, from Homer to Alexander, Oxford 1990, 265-293, hat anschaulich gezeigt, wie die Einteilungen des athenischen Demos in verschiedene Untereinheiten zu einer Stärkung der Solidarität der Bürger beitrugen. 2 Eine Übernahme des kleisthenischen Systems in Elis ist unsicher. Zwar könnte die Schaffung von zehn Phylen und eines Rates der 500 in Zusammenhang mit dem auf 471/470 v.Chr. datierten Synoikismos mehrerer Dörfer stehen (Strab.8.3.2 (C 337); Diod.11.54.1). Die siedlungsgeographischen und politischen Voraussetzungen differierten allerdings sehr von denen Athens, cf. Roussel, Tribu, 292ff. Für eine Übernahme cf. hingegen Jones, Public Organization, 144. Auf kein athenisches Vorbild scheinen die Phylen von Stratonikeia zurückzugehen, die Untereinheiten der territorialen Demen waren, cf. R. Van Bremen, The Demes and Phylai of Stratonikeia in Karia, Chiron 30, 2000, 389-401. 3 Zu Milet: Roussel, Tribu, 296; M. Piérart, Athènes et Milet, I.: Tribus et dèmes milésiens, MH 40, 1983, 1-18; id., Athènes et Milet, II.: L’organisation du territoire, MH 42, 1985, 276-299; Jones, Public Organization, 320-323. 4 Zu Eretria: Jones, Public Organization, 73-77; D. Knoepfler, Le territoire d’Erétrie et l’organisation politique de la cité (dêmoi, chôroi, phylai), in: M.H. Hansen (Hrg.), The Polis as an Urban Centre and as a Political Community, Symposion Aug. 29-31. 1996, Kopenhagen 1997, 352-449, bes.389. 5 Cf. Jones, Public Organization, 17, 211f. 6 Cf. Jones, Public Organization, 202-204; P. Brun, L’île de Keos et ses cités au IVe siècle av. J.C., ZPE

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

199

Kameiros, Lindos und vielleicht Ialysos (Rhodos) geltend zu machen, wo sich die Phylen vermutlich aus Demen aller drei Regionen (Rhodos, Peraia und die abhängigen Inseln) zusammensetzten. Dieses System könnte mit der Synoikisierung der Gemeinden 408/07 auf den gesamten Rhodischen Staat übertragen worden sein.1 Für die Beschreibung der Phylen von Sikyon im 6. Jh. sind wir ausschließlich auf die berühmte Schilderung Herodots angewiesen, der die Reformen des Tyrannen Kleisthenes von Sikyon, Großvater des Reformers von Athen, in einen Kontext mehrerer, gegen Argos gerichteter Maßnahmen stellt. Demnach soll Kleisthenes das öffentliche Rezitieren homerischer Gedichte verboten haben, weil sie Argos glorifizierten, und den Kult des argivischen Helden Adrastos durch den des Melanippos, Mörder von Adrastos’ Bruder, ersetzt haben. Als dritte Maßnahme habe er die Namen der bestehenden dorischen Phylen geändert, um sie von denen der argivischen Phylen zu unterscheiden. Er habe die Sikyonier der Lächerlichkeit preisgegeben, indem er die neuen Abteilungen Phylen der „Schweine“ (`U©tai), „Esel“ ('One©tai) und „Ferkel“ (Coire©tai), seine eigene Phyle aber zu Ehren seiner eigene Herrschaft (¢rc») Archélaoi genannt habe. Die Namen der Phylen hätten auch noch 60 Jahre nach dem Tod des Kleisthenes Bestand gehabt, bevor sie wieder in Hylleis, Pamphyloi und Dymanatai geändert und durch eine vierte Phyle ergänzt worden seien, die nach dem Sohn des Adrastos (A„gialšoj) Aigialeis benannt wurde.2 Die Ergänzung einer vierten Phyle ist in bezug auf die wieder eingerichteten dorischen Phylen zu sehen, nicht in bezug auf die kleisthenischen Phylen, die ja insgesamt bereits vier waren.3 Zumeist wird angenommen, daß die Phyle, in die Kleisthenes eingeschrieben war, zu einem späteren Zeitpunkt die ursprünglich drei dorischen Phylen ergänzt und vor Kleisthenes bereits Aigialeis geheißen habe.4 Dies ist jedoch dem Herodot-Text nicht zu entnehmen. Die Vermutung, die Hylleer, Pamphyler und Dymanes hätten am Anfang der Tribusordnung von Sikyon gestanden, setzt zum einen die nicht verifizierbare Annahme voraus, daß sich die Stadt unter argivischer Herrschaft konstituierte.5 Zum anderen beruht sie 76, 1989, 121-138. D.M. Lewis, The Federal Constitution of Keos, ABSA 57, 1962, 3, nahm dagegen einen direkten Einfluß Eretrias auf die Phylenordnung von Keos an. Die Frage ist jedoch hier von sekundärer Bedeutung, da auch die Phylen Eretrias nach dem Vorbild Athens geschaffen wurden. 1 Cf. P.M. Fraser, The Tribal-Cycles of Eponymous Priests at Lindos and Kamiros, Eranos 51, 1953, 23-47; G. Pugliese Carratelli, Sui domoi e le phylai di Rodi, SCO 2, 1953, 69-78; Jones, Public Organization, 243-250. 2 Hdt.5.67-68. 3 Da Herodot von einer Änderung von drei Phylennamen zu den klassischen „dorischen“ und von der Ergänzung einer vierten Phyle spricht, verzichtete P.J. Bicknell, Herodotus 5.68 and the Racial Policy of Kleisthenes of Sikyon, GRBS 23, 1982, 193-201, auf die Ergänzung . Demnach hätten zur Zeit des Kleisthenes nur drei Phylen zur Disposition gestanden. Diese Lösung hätte jedoch die Tilgung der Worte ›teroi d Coire©tai zu Folge und stellt daher keine akzeptablere Textemendation dar. 4 Cf. Roussel, Tribu, 250; K.-W. Welwei, Die griechische Polis, Stuttgart ²1998, 82f. 5 Daß der argivische König Pheidon Sikyon eroberte, ist nicht belegt. Es sind nur die beiden Kriegszüge nach Olympia und Korinth bekannt, cf. Hdt.6.127; Paus.6.22.2; Ephor. FGrH 70 F 115 (Olympia); Nikolaos Damaskos FGrH 90 F35 (Korinth). Die antiargivische Tendenz der kleisthenischen Reformen könnte auch in einer anderen Auseinandersetzung eine Erklärung finden. Selbst im Falle einer Eroberung wäre es möglich, daß Stadtgründung und Einrichtung eines Phylensystems in Sikyon der Herrschaft des Pheidon, die zudem nicht genau datierbar ist, vorausgehen. Für eine Herrschaft des

200

Die drei ältesten Tribus

auf der These einer ursprünglichen dorischen Triade in Argos, wo allerdings in historischer Zeit ebenfalls vier Phylennamen bezeugt sind. Der Name der 60 Jahre nach der Reform hinzugefügten Phyle Aigialeis war vielleicht nicht von einem Heroeneponym, wie Herodot meinte, sondern von einer Ortschaft abgeleitet, die außerhalb der zentralen Siedlung am Meer lag.1 Die in dieser Phyle vertretenen Sikyonier (und nicht die Archelaoi) wären dann erst gegen Ende des 6. Jhs. in die Bürgerschaft eingegliedert worden. Zahlreich sind die Ansichten zu den Zielen und Motiven der kleisthenischen Neuordnung in Sikyon. Oft vermutete man, der Tyrann habe mit der Umbenennung der Phylen die dorische Führungsschicht zugunsten der vordorischen, rechtlich mindergestellten Urbevölkerung, die in seiner Phyle vertreten gewesen sei, entmachten wollen.2 Eine Zusammensetzung der Phylen nach rein ethnischen Gesichtspunkten ist jedoch für keine griechische Polis belegt. Außerdem ist anzunehmen, daß sich die alteingesessene Bevölkerung zur Zeit des Kleisthenes bereits seit langem mit den Eroberern bzw. Immigranten verschmolzen hatte.3 Herodot verstand offenbar selbst nicht mehr den Hintergrund für die Umbenennung und bezeichnete daher die neuen Phylen zu Unrecht als Spottnamen. Eine negative Konnotation hätte sicherlich einen nicht unbedeutenden Widerstand gegen Kleisthenes’ Vorhaben hervorgerufen. Auch wäre es kaum verständlich, daß die Sikyonier noch 60 Jahre später diese Namen freiwillig beibehielten. Einen neuen, vielversprechenden Weg der Deutung wies vor kurzem S. Vilatte.4 Der bereits seit den homerischen Epen bekannte Gebrauch von Tiernamen als Symbole für Menschen und ihre soziale Klassifizierung ermöglicht demnach eine Gleichsetzung der Phylen „Schweine“ und „Ferkel“ mit den Altersklassen „Erwachsene“ und „Jugend“ sowie der Phylen „Esel“ und „Archelaoi“5 mit den sozialen Gruppen des „Damos“ und der „Aristoi“. Bedeutsam ist, daß die Tiernamen jeweils auch mit kriegerischen Eigenschaften in Verbindung gebracht werden, die an die Entstehung der Phylenordnung in einem militärischen Kontext denken lassen. So zeichnet sich das mit den Archelaoi assoziierte Pferd als Begleiter des adligen Helden durch seinen Einsatz im Wagenkampf aus, während der Esel für den hartnäckigen Widerstand bei der Verteidigung Pheidon um die Mitte des 8. Jhs. cf. H.-J. Gehrke, Herodot und die Tyrannenchronologie, in: W. Ax (Hrg.), Memoria rerum veterum. Festschrift für C.-J. Classen zum 60. Geb., Stuttgart 1990, 38-41. 1 Cf. Roussel, Tribu, 252, der allerdings von einer Existenz dieser Phyle bereits im 7. Jh. ausging. 2 H. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, I, München 1967, 27; A. Andrewes, Greek Tyrants, London 1958, 54f.; E. Will, Doriens et Ioniens, Paris 1956, 48; H. Rudolph, Die ältere Tyrannis in Sikyon, Chiron 1, 1971, 75-83. Antidorische Motive nahm zuletzt jedoch wieder Jones, Public Organization, 104f., an. 3 Gegen die älteren Thesen, nach denen die Phyle ein „vordorisches“ Bevölkerungselement vereinte, bezogen Roussel, Tribu, 251, und K.-W. Welwei, Die griechische Polis, Stuttgart ²1998, 82f., überzeugend Stellung. 4 S. Vilatte, Le porc, l’âne, le porcelet et les „chefs du peuple“ des tribus clisthéniennes: Des emblèmes pour les citoyens de Sicyone, DHA 16, 1990, 115-133. Man wird der Autorin jedoch kaum der auf der Dumezilschen These des Trifunktionalismus basierenden Ansicht, jedes der Tiere und damit jede menschliche Abteilung weise Werte der Bereiche Religion, Krieg und Fruchtbarkeit auf, zustimmen können. Sie erscheint allzu konstruiert. 5 Der von Kleisthenes für seine eigene Phyle eingeführte Terminus „Archelaoi“ konnotiert nicht nur die Herrschaft des Tyrannen sondern auch den Erfolg der Tyrannen bei Wagenrennen.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

201

seiner Nahrung bekannt ist. Die Schweine schließlich legen sich durch ihr Herumwälzen im trockenen Schlamm praktisch eine Art Rüstung zu. Das von Aristoteles gebrauchte Wort qwrak…zontej erinnert an den Küraß der Hopliten.1 Für Vilatte implizieren die Phylennamen keine exklusive Zusammensetzung dieser Einheiten nach den sie bezeichnenden Gruppen, sondern stehen emblematisch für die geeinte Polis: Jedes Mitglied einer Phyle sei dazu verpflichtet worden, die Werte seines Emblems einzubringen. Kleisthenes erscheint damit als Einheitsstifter, der seine Mitbürger innerhalb jeder Phyle – ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Alters – zusammengefaßt und durch ihre Zusammenführung die Voraussetzung für militärischen Einsatzwillen und damit die sichere Fortexistenz der Polis geschaffen hat. Trifft diese Deutung zu, so kristallisieren sich zwei zentrale Motive der Phylenreform in Sikyon heraus. Die Zusammenfassung der Bürger unterschiedlicher Herkunft und Altersklassen in Phylen hatte offenbar dem Aufbau eines schlagkräftigeren Hoplitenheeres gedient.2 Eine militärische Ausrichtung der Reform würde die Schilderung Herodots stützen, der die Feindschaft gegen Argos in den Mittelpunkt seiner Darstellung rückt.3 Außerdem scheint die Neugliederung der Phylen – sie ist eine grundlegende Charakteristik zahlreicher Tyrannenherrschaften – die Kompetenzen des Volkes gestärkt und damit der Erweiterung der eigenen Machtbasis des Kleisthenes gedient zu haben. Daß Sikyon 60 Jahre nach dem Tod des Kleisthenes, also gegen Ende des 6. Jhs., die alten „dorischen“ Phylennamen wiedereinführte, war vermutlich auch eine Folge des spartanischen Machtzuwachses, der 510 zum Sturz der Tyrannis und zur Eingliederung Sikyons in den Peloponnesischen Bund führte.4 Hinter der von Herodot konstatierten Umbenennung der Phylen steht somit offenbar eine tiefgreifende Neukonstituierung der Bürgerschaft.5 Eine Verschmelzung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen scheint auch durch die Phylenreform in Kyrene intendiert gewesen zu sein, deren Bürgerschaft Mitte des 6. Jhs. neu konstituiert wurde. Kyrene war um 630 von Auswanderern aus Thera, die vom Oikisten und ersten König Battos angeführt wurden, gegründet worden. Dynastische Streitigkeiten und die unkontrollierte Landnahme durch Zuwanderer aus ganz Griechenland, die seit 570 verstärkt von Battos II. angeworben wurden und in Gegensatz zu den einheimischen Libyern gerieten, stürzten die nordafrikanische Stadt in eine 1

Arist.hist.an.571b, 16. Cf. auch K.-W. Welwei, op.cit., 83; E. Stein-Hölkeskamp, Tirannidi e ricerca dell’eunomia, in: S. Settis (Hrg.), I Greci II,1, Turin 1996, 664f. 3 Zur antiargivischen Komponente der kleisthenischen Reformen, die von Jones, Public Organization, 104f., zu Unrecht in Frage gestellt wurde, cf. A. Griffin, Sikyon, Oxford 1982, 38. 4 Cf. Roussel, Tribu, 252; A. Griffin, Sikyon, Oxford 1982, 51f., 60f. Nach Vilatte, art.cit., 132f., könnte auch ein zunehmendes Bedürfnis nach klaren juristischen Kategorien im Zuge der Ausgestaltung der Polis-Institutionen, die die archaische Bezeichnung von Phylen nach Tiernamen anachronistisch erscheinen ließ, eine Rolle gespielt haben. 5 Anders K.H. Kinzl, Betrachtungen zur älteren Tyrannis, in: id. (Hrg.), Die ältere Tyrannis bis zu den Perserkriegen. Beiträge zur griechischen Tyrannis, Darmstadt 1979, 304f., und L. De Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, 195f., die von einer einfachen Neubenennung der Phylen nach Heroennamen ausgingen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, welche Heroennamen – Herodot macht eine solche Benennung zudem nur für die später hinzugefügte A„giale‹j geltend – hinter den `U©tai, 'One©tai und Coire©tai stehen könnten. 2

202

Die drei ältesten Tribus

schwere Krisensituation. Sie sollte durch einen neutralen Schiedsrichter namens Demonax, einen angesehenen Bürger aus Mantineia, entschärft werden. Demonax mußte eine Lösung finden, die der Heterogenität der Siedler und ihren unterschiedlichen Ansprüchen bei der Landverteilung gerecht wurde. Daß Zuwanderung in Kyrene nicht erst seit Battos II. ein Thema war, zeigt der epigraphische und archäologische Befund. Eine um 100 v.Chr. aufgezeichnete Chronik des Athena-Tempels von Lindos enthält einen Auszug aus der Chronik des Xenagoras, die von einer Teilnahme von Lindiern aus Rhodos an der Gründung und Kolonisation von Kyrene berichtet.1 Kunst- und Gebrauchsgegenstände des 7. Jhs. weisen ebenfalls auf eine Anwesenheit von Rhodiern sowie von Spartiaten.2 Zudem verleihen diese Zeugnisse dem zentralen Text von Herodot, der die Zusammensetzung der Immigranten schildert und mit der Phylenreform in Bezug setzt, ein hohes Maß an historischer Glaubwürdigkeit.3 Nach dieser Darstellung schuf Demonax drei Phylen und teilte die Bürgerschaft in drei Gruppen ein: Die erste Gruppe bestand aus den von dem Oikisten Battos nach Nordafrika geführten Theraiern und den sogenannten Umwohnern (per…oikoi) – vermutlich später hinzugewanderte Theraier, die sich am Rand der Kolonie niedergelassen hatten. Die zweite Gruppe bildeten Peloponnesier und Kreter, der dritten schließlich gehörten „Leute von den Inseln“ (nhsiÒtai) an, Zuwanderer aus Rhodos und, wie vor allem der archäologische Befund nahelegt, den ionischen Inseln des östlichen Mittelmeerraumes (etwa Chios und Samos), die offenbar erst im Zuge der letzten Einwanderungswelle nach 570 in Kyrene ankamen.4 Die Einrichtung von drei Phylen, deren Namen nicht bekannt sind, wurde zumeist direkt auf die Abteilungen von Zuwanderern bezogen, die jeweils einer Phyle zugeordnet worden seien.5 Eine Reform, die die Neuankömmlinge nach ihrer Herkunft bzw. dem Zeitpunkt ihrer Immigration einteilte, hätte jedoch keinen Beitrag zur Vereinigung der heterogenen Bevölkerungsgruppen geleistet, sondern die Spannungen zwischen ihnen eher noch verschärft. Der Text Herodots bietet eine andere Interpretation, die der spezifischen historischen Situation, in der sich Kyrene im 6. Jh. befand, gerecht wird. Der Historiker bezeichnet die drei bekannten Gruppen eben nicht als „Phylen“, sondern als „Teile“/„Anteile“ (mo‹ra), die grundsätzlich in jeder der drei Phylen repräsentiert gewesen sein könnten. Es muß daher nicht unbedingt jeweils eine Phyle der Theraier, Dorier und Nesiotai gegeben haben, vielmehr ist es vorstellbar, daß sich alle drei Phylen zu je einem Drittel aus den genannten Bevölkerungsgruppen 1

FGrH 532=Ch. Blinkenberg (Hrg.), Lindos, Fouilles de l’Acropole II: Inscriptions, Berlin u.a. 1941, Nr.2, XVII. 2 Cf. die von K.-J. Hölkeskamp, Demonax und die Neuordnung der Bürgerschaft von Kyrene, Hermes 121, 1993, 407, Anm.10 zitierte Literatur. 3 Hdt.4.161.9-12: (sc. Dhmînax) trifÚlouj ™po…hsš sfeaj, tÍde diaqe…j· Qhra…wn mn g¦r kaˆ tîn perio…kwn m…an mo‹ran ™po…hse, ¥llhn d Peloponnhs…wn kaˆ Krhtîn, tr…thn d nhsiwtšwn p£ntwn. 4 Zur Zusammensetzung der Gruppen cf. L.H. Jeffrey, The Pact of the First Settlers at Cyrene, Historia 10, 1961, 139-147, bes.142f.; Jones, Public Organization, 217f.; K.-J. Hölkeskamp, art.cit., 407f.; id., Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 167. 5 Cf. zuletzt wieder O’Neil, The Origins and Development of Ancient Greek Democracy, London 1995, 170f.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

203

zusammensetzten.1 Eine solche Lösung erinnert an die Reform des Kleisthenes in Athen, der ebenfalls eine Mischung der Bevölkerung herbeiführte, dabei jedoch die Phylen nicht auf der Basis der Herkunft der Bewohner, sondern auf der Basis ihres Wohnsitzes in den drei Regionen konstituierte. Eine Verteilung der Kyrener auf alle Phylen, unabhängig ihrer Herkunft, wird auch durch ein Dekret aus dem 4. Jh. nahegelegt, das die Integration neu eingewanderter Theraier regelte. Die Immigranten sollten nach dem Ableisten eines Eides der Gründerväter das Bürgerrecht zu gleichen Bedingungen wie die alteingesessenen Kyrener erhalten, indem sie „in eine Phyle und Patra und in neun Hetairien“ aufgenommen wurden.2 Der Vergleich mit anderen Bürgerrechtsdekreten aus Milet und Samos etwa, in denen ebenfalls keine namentliche Präzisierung der aufnehmenden Phyle erfolgte, legt nahe, daß die Neubürger nicht in eine bestimmte Phyle eingeschrieben, sondern auf alle Phylen und ihre Unterabteilungen gleichzeitig verteilt wurden.3 Ob sich jede Phyle aus neun Hetairien zusammensetzte oder ob diese zu je drei auf die Phylen verteilt waren, läßt sich dem Psephisma nicht entnehmen; die Größenverhältnisse der Kolonie sprechen allerdings eher für die letztere Alternative.4 Das Verhältnis der patrai zu den phylai bleibt gänzlich im Unklaren. Festzuhalten ist, daß Neuankömmlinge in Kyrene auf der Ebene unterhalb der Phylen in die Bürgerschaft integriert wurden. Es änderte sich lediglich die Zusammensetzung der Hetairien und patrai, während die Zahl der Phylen zumindest bis zum 4. Jh. v.Chr. gleich blieb.5 Ob die uns bekannte Gliederung der Phylen in Hetairien auf die Reform des Demonax zurückgeht oder ob dieser eine andere Einteilung einführte, ist unbekannt, zumal es kurz nach dem Ende der Battiadenherrschaft (ca. 440 v.Chr.) zu einer Stärkung des Damos kam, die vermutlich im Zusammenhang mit einer Verfassungsänderung stand. Die Aussagen des Aristoteles bezüglich dieses Umbruchs sind zwar vage; an der grundsätzlichen Tendenz einer Demokratisierung besteht jedoch kaum ein Zweifel.6 Dies läßt wiederum den Schluß 1

Cf. L.H. Jeffrey, art.cit., 143; F. Ruzé, Les Tribus et la décision politique dans les cités grecques archaïques et classiques, in: Cl. Nicolet (Hrg.), Du pouvoir dans l’antiquité: Mots et Réalités, Genf 1990, 69f.; K.-J. Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 169. 2 R. Meiggs/D. Lewis, A Selection of Greek Historical Inscriptions to the end of the Fifth Century B.C., Oxford 1969, Nr.5, Z.15-16: kaˆ katast©men ™j ful¦n kaˆ p£tran œj qe/˜nnÁa ˜tair»aj. 3 So überzeugend K.-J. Hölkeskamp, art.cit., 411f. 4 Cf. K.-J. Hölkeskamp, art.cit., 414. 5 Noch eine lex sacra aus dem frühen 4. Jh. belegt die Existenz von drei Phylen für Kyrene, cf. SEG IX, 1944, 72, Z.137=F. Sokolowski (Hrg.), Lois sacrées des cités grecques, Suppl., Paris 1962, Nr.115B, Z.51. 6 Arist.pol.1319b. Aristoteles führt neben Kyrene Athen als Beispiel für eine gelungene Stärkung der Demokratie an und nennt als konstitutives Merkmal die Schaffung verschiedener und zahlreicher Phylen und Phratrien. Da in Athen die alten Phratrien bestehen blieben, in Kyrene sich aber die Zahl der Phylen nicht änderte, könnte vermutet werden, daß die Reform eine Erhöhung der Phratrienzahl bewirkte. Für das vierte Jh. ist allerdings nur eine Einteilung der Phylen in patrai und Hetairien belegt. Der allgemein gehaltene, passivisch konstruierte Satzteil, der Phylen und Phratrien erwähnt, steht in keinem engem Zusammenhang zu den genannten Städten, so daß Aristoteles bei Phratrien ganz andere Verfassungen im Sinn gehabt haben könnte. Hölkeskamp, art.cit., 414, bezog die Stelle auf die Reform des Demonax. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da Aristoteles Kleisthenes, nicht aber Demonax erwähnt und die von Aristoteles angesprochene Verfassungs-

204

Die drei ältesten Tribus

zu, daß die Phylenreform des Demonax keineswegs den Zugriff des Adels auf die Phylen und der in ihnen vertretenen Bürger anderer sozialer Herkunft beseitigte.1 Einen interessanten Vergleichsfall zur Phylenordnung Kyrenes stellt die Phylenordnung von Thurioi (Sybaris) dar, die 444/443 unter athenischer Führung in Süditalien mit Siedlern aus zehn unterschiedlichen Herkunftsgemeinden bzw. -regionen begründet wurde. Hier kam es offenbar zu keinen Konflikten zwischen den zehn Phylen, was darin begründet gewesen sein könnte, daß diese weniger nach ethnischen als nach regionalen Gesichtspunkten klassifiziert waren und man auf lokaler Ebene eine Mischung der verschiedenen Siedlergruppen herbeigeführt hatte.2 Am Anfang der Phylenordnung Korinths scheinen die drei sogenannten „dorischen“ Phylen zu stehen. Die Dymanes, Hylleis und Pamphyloi sind zwar nicht direkt für die Stadt bezeugt. Da die Hylleis jedoch in Kerkyra vorkommen, und Syrakus offenbar ebenfalls ein dreigliedriges Phylensystem kannte, wird man eine entsprechende Ordnung auch für die Mutterstadt der genannten Kolonie annehmen dürfen.3 Sie wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt von einer aus acht Phylen bestehenden Ordnung ersetzt, was der Suda-Eintrag für das Schlagwort „aus allem acht“ nahelegt: „Die aber, weil Aletes gemäß einem Orakelspruch die Korinther in eine Gemeinde vereinigte, die Politen in acht Phylen und die Polis in acht Teile organisierte.“4 Die korinthischen Phylen können ferner als lokale Einheiten beschrieben werden. Dies geht zum einen änderung in engem Zusammenhang mit einer Nachricht Diodors gesehen werden kann (14.34.4-6: vor 401 v.Chr.), nach dem 500 der „Mächtigsten“ in einem gewaltsamen Bürgerkrieg umkamen. Cf. auch Jones, Public Organization, 218. 1 Das oft gegen eine ethnische Mischung der Phylen angeführte Argument, eine solche Reform sei für das 6. Jh. zu „demokratisch“ (cf. zuletzt wieder B. Mitchell, Cyrene: Typical or Atypical?, in: R. Brock/St. Hodkinson (Hrg.), Alternatives to Athens. Varieties of Political Organization and Community in ancient Greece, Oxford 2000, 88, Anm.11), ist daher nicht stichhaltig. Roussel, Tribu, 301, glaubte an eine „isonomie de type aristocratique“, in der von Adligen beherrschte Bürger die städtischen Aufgaben wahrnahmen. 2 Zur Zusammensetzung der Phylen cf. Diod.12.11.3; V. Ehrenberg, The Foundation of Thurii, AJPh 69, 1948, 149-170; Roussel, Tribu, 302f. Daß die Phylen keine territoriale Basis besaßen, wie zuweilen vermutet wird, hat G. Vallet, Avenues, Quartiers et Tribus à Thourioi, ou comment compter les cases d’un damier (à propos de Diod. XII, 10 et 11), in: L’Italie préromaine et la Rome Républicaine Bd.II, Mélanges offerts à Jacques Heurgon, Rom 1976, 1021-1032=id., Le monde grec colonial d’ Italie du Sud et de Sicile, Rom 1996, 527-538, gezeigt. Cf. auch H.-J. Gehrke, Ethnos, phyle, polis, cit., 170f. 3 Cf. N.F. Jones, The Civic Organization of Corinth, TAPhA 110, 1980, 187. Kerkyra: IG IX,1, Nr.694. Ein dreigliedriges Phylensystem in Syrakus läßt sich indirekt der Militärorganisation entnehmen, die Stäbe von drei bzw. 15 Generälen kannte (Thuk.6.73.1, 72.4), ein Elitekorps von 600 Mann (Diod.11.76.2, Polyain.1.43.1) und die 15 Leibwächter des Königs Hieronymus (Liv.24.4.5). Ferner gibt es in Akrai, einer Gründung von Syrakus, Gremien von je sechs prostatai (IG XIV. 208) und neun triakadarchoi (IG XIV. 209, 211, 212). Die Erwähnung von drei numerierten Phylen auf sizilischen Schleuderbleien sollte dagegen nicht für die Existenz eines dreigliedrigen Phylensystems in Syrakus herangezogen werden, cf. Kap.II.6.1. 4 Suda s.v. P£nta Ñktè: oƒ mn Sths…corÒn fasin ™n Kat£nV tafÁnai polutelîj prÕj ta‹j ¢p' aÙtoà Sthsicore…oij pÚlaij legomšnaij, kaˆ toà mnhme…ou œcontoj Ñktë k…onaj kaˆ Ñktë baqmoÝj kaˆ Ñktë gwn…aj. oƒ dš, Óti 'Al»thj kat¦ crhsmÕn toÝj Korinq…ouj sunoik…zwn Ñktë ful¦j ™po…hse toÝj pol…taj kaˆ Ñktë mšrh t¾n pÒlin. Cf. jetzt die Ausgabe von A. Adler, Lexicographie Graeci 1,4: Suidae lexicon: A-O, Index, P-PS, München/Leipzig 2001. .

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

205

aus dem Suda-Zitat hervor, das die Einteilung der Polis in acht Teile (mšrh) parallel zur Gliederung der Politen in acht Phylen erwähnt.1 Zum anderen wird der lokale Charakter der Phylen durch eine Notiz des Nikolaos von Damaskos nahegelegt, der nach dem Fall der Tyrannis acht Probouleuten kennt.2 Beide Nachrichten lassen einen engen Zusammenhang zwischen der territorialen Gliederung der Stadt und der Gliederung der Bürgerschaft erkennen. Schließlich ist auf die Untereinheiten der Phylen zu verweisen, die ebenfalls lokalen Charakter hatten. Lange Zeit herrschte Unklarheit hinsichtlich der Untergliederung der korinthischen Phylen. Mit dem Fund einer Gefallenenliste (2. Hälfte 4. Jh.) und dreier Grenzsteine (Mitte 5. Jh. v.Chr.), die jeweils Abkürzungen von drei Buchstaben enthalten,3 glaubte man eine Lösung gefunden zu haben. Demnach bezeichneten die ersten beiden Buchstaben – vier verschiedene Kombinationen (SI, LE, KU, SU) können isoliert werden – die Phylen, wie aus der Abkürzung KU ersichtlich sei, die für die bekannte Phyle KunÒfaloi stehe.4 Hinter dem jeweils letzten Buchstaben – nur drei verschiedene sind erhalten (F, P, E) – wurde der Name einer Region des Territoriums von Korinth vermutet.5 Da diese drei Symbole offenbar mit allen drei Phylen koordiniert sind – kommt in Kombination mit den Phylen LE und SI vor, die Phyle LE weist darüber hinaus auch die Region E auf –, wurde ferner angenommen, daß jede Phyle 1

Cf. N.F. Jones, The Civic Organization of Corinth, TAPhA 110, 1980, 177f.; J.B. Salmon, Wealthy Corinth. A History of the City to 338 B.C., Oxford 1984, 413. Für die Charakterisierung der korinthischen Phylen als Personenverbände cf. K.-W. Welwei, Die griechische Polis, Stuttgart ²1998, 254. 2 Offenbar wurde je ein Bouleut von einer territorial definierten Phyle gestellt. Cf. Nikolaos v. Damaskos FGrH 90 F60.2: aÙtÕj (sc. Ð dÁmoj) d paracrÁma katest»sato polite…an toi£nde· m…an m Ñkt£da proboÚlwn ™po…hsen, ™k d tîn loipîn boul¾n katšlexen ¢ndrîn q. Falls der Rat insgesamt 80 Mitglieder umfaßte (cf. die Emendation Ñkt£dwn statt ¢ndrîn durch I. Whitley, Greek Oligarchies: Their Character and Organization, Cambridge 1896, 164, Anm.2, wiederaufgegriffen von N.F. Jones, The Order of the Dorian Phylai, TAPhA 110, 1980, 185f., Anm.28) und die Probouleuten Mitglieder der Boule waren, könnten die restlichen Ratsmitglieder (72) ebenfalls von den Phylen (je neun pro Phyle) gewählt worden sein, cf. dazu S. Stroud, CSCA 1, 1968, 241 mit Anm.26; K.-W. Welwei, op.cit., 252. Auch der Rat von Chios wurde bereits früh auf der Basis von Phylen gewählt, cf. S.214. Andere Vorschläge bei J. Tréheux, Sur les probouloi en Grèce, BCH 113, 1989, 245-247 (der Ñkt£da auf die Ratsmitglieder der einzelnen Phylen bezieht und von einem Rat von 64 – einschließlich der aus nur einer Tribus stammenden acht Probouleuten – ausgeht), und F. Ruzé, Déliberation et pouvoir dans la cité grecque de Nestor à Socrate, Paris 1997, 302 (die einen Rat von 200 annimmt, was aber die Verbesserung C für q voraussetzt). 3 S. Dow, Corinthiaca, HSCP 53, 1942, 90-106; SEG XXV, 1975, Nr.331a/b, 332; cf. R. Stroud, Tribal Boundary Markers from Corinth, CSCA 1, 1968, 234f. Das von J. Wiseman, Hesperia 41, 1972, 33-38, Nr.25 veröffentlichte Fragment mit der Aufschrift fulÁj AF (oder: AI) ist aus römischer Zeit und kann daher nicht in die Argumentation mit einbezogen werden, cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 175; Salmon, op.cit., 414. 4 Hesychios s.v. KunÒfaloi: Kor…nqioi Diese Ansicht vertrat als erster H. von Gaertringen, Philologische Wochenschrift 52, 1932, 362. 5 Nach S. Dow, art.cit., 103, ist E sei zu ™ntÒj oder ™ntÒteroi zu ergänzen und bezieht sich auf die Region innerhalb der Stadtmauer. Salmon, op.cit., 417, glaubte, die Abkürzungen stünden für die Stadt Korinth sowie das Land nördlich bzw. südlich des Isthmos: F(£stu), P(šra(n) toà 'Isqmoà) und 'E(ntÕj toà 'Isqmoà). G.R. Stanton, The Territorial Tribes of Korinth and Phleious, ClAnt 1, 1986, 144f., schlug in Anlehnung an die Regionengliederung in Attika F(astiko…), P(£raloi) und ”E(ndoqen) vor.

206

Die drei ältesten Tribus

drei geographisch unterscheidbare Drittel, vergleichbar den athenischen Trittyen, zugewiesen bekam.1 Die Kombination KU-F würde so beispielsweise für eine Zugehörigkeit zur Phyle KunÒfaloi und zur Trittye F sprechen. Ein Fund aus Delos hat jedoch Anlaß zu Zweifeln an dieser Interpretation gegeben. Hier wurde bereits 1908 ein städtisches Ehrendekret aus der Zeit um 300 v.Chr. entdeckt, das u.a. die Zuweisung von zwei geehrten Athenern zu den öffentlichen Institutionen des hemiogdoon, der triakas sowie der Phyle Aoreis und der Phratrie (H)omakchiadai anordnet.2 Falls die von N.F. Jones vermutete Identifizierung der ehrenden Stadt mit Korinth zutrifft – zahlreiche formale und inhaltliche Gründe sprechen dafür3 – dann würde sich eine ganz andere Deutung der auf der Gefallenenliste und den Grenzsteinen angegebenen Buchstabenkombinationen ergeben. Da nämlich am Ende des Dekrets hemiogdoon und triakas, denen die beiden Athener zugelost wurden, mit der Buchstabenkombination AS-F präzisiert werden, müßten auch die in den anderen Dokumenten angegebenen Buchstabenkombinationen als hemiogdoa und triakades interpretiert werden.4 Hemiogdoon heißt „Halbachtel“, so daß sich jede der acht Phylen aus zwei hemiogdoa zusammengesetzt haben würde. Diese Einheiten könnten ebenfalls lokalen Charakter besessen und Ortschaften bzw. Plätze

1

R. Stroud, Tribal Boundary Markers from Corinth, CSCA 1, 1968, 241; G.R. Stanton, The Territorial Tribes of Korinth and Phleious, ClAnt 1, 1986, 143ff. F. Ruzé, op.cit., 300, glaubt dagegen an eine Zweiteilung der Phylen in Stadt und Land (je acht hemiogdoa), wobei das Land jeweils durch vier südliche und vier nördliche hemiogdoa vertreten gewesen sei. 2 L. Robert, Hellenica 5, 1948, 5-15; id., Hellenica 12, 1960, 562-569; G. Daux, AE 1953-54, 250, Anm.5; N.F. Jones, The Civic Organization of Corinth, TAPhA 110, 1980, 165f., Z.20-26 (mit den Korrekturen von Stroud): t¦n d boul¦n diaklarîsai e„j ¹miÒgdoon kaˆ triak£da kaˆ ful¦n kaˆ f£tran· Dieklarèqhn· ¹miogdÒou nn AS nn [¢]rca…aj nn ful©j nn 'Aoršwn· [f]£traj nn Omakci£daj. 3 Cf. N.F. Jones, art.cit., 166-171, der gegen die Zuweisung zu Phleious durch L. Robert, Décret dorien trouvé à Délos, Hellenica 12, 1960, 562-569, eintrat. Cf. auch die Synthese von Jones, Public Organization, 97-103. Die Argumente von G.R. Stanton, ClAnt 1, 1986, 149f., für eine Zuweisung zu Phleious überzeugen nicht. 4 Salmon, op.cit., 413-419, hält eine Identifizierung der Buchstabenkombination AS im delischen Dekret als Phyle und von F als lokales hemiogdoon für möglich. Dies zwingt ihn dazu, den folgenden Phylennamen Aoreis als einen anderen, auf Verwandtschaft basierenden Phylennamen, der angeblich nicht zu der Gruppe der acht Phylen gehöre, zu interpretieren. Der Zusatz [¢]rca…aij erklärt sich jedoch einfacher mit der zeitlichen Distanz, die die Aufzeichnung des Dekrets (ca. 325275 v.Chr.) von dem Zeitpunkt der Gründung der acht Phylen trennt und der Absicht, die Ehre, die mit der Aufnahme das seit langem bestehende Phylensystem der Stadt verbunden war, zu unterstreichen. Auch die römische Tribus Claudia konnte nach Auffassung des Livius als vetus tribus gelten, obwohl sie jüngeren Datums war als die Tities, Ramnes und Luceres. Ferner ist nicht ersichtlich, wie die drei Regionen mit den 16 hemigdoa korreliert worden sein könnten. Schließlich liegt der These Salmons die nicht belegbare Annahme zugrunde, daß ein hemiogdoon jeweils nur eine triakas enthielt und deshalb nicht im Text erwähnt ist (Salmon, op.cit., 415). Die Rekonstruktion von Jones ist noch immer die plausibelste. In seiner Replik auf die von Stroud, Stanton und Salmon vertretene Trittyenthese (N.F. Jones, The Organization of Corinth Again, ZPE 120, 1998, 49-56) zog er allerdings unnötigerweise die parallele Existenz von zwei Phylenorganisationen, einer lokalen und einer „alten“, personalen – trotz der von ihm formulierten Einwände (S.51, 53) – in Erwägung (S.56).

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

207

bezeichnet haben, die in der Abhängigkeit Korinths standen.1 Die triakades (Gruppen zu Dreißig) wären als Untergruppen der hemiogdoa anzusehen, mit denen sie in den genannten Dokumenten in Kombination auftreten. Ihre große Anzahl – es wird mit mindestens 48 triakades, je drei2 pro hemiogdoon, zu rechnen sein – läßt vermuten, daß sie personale Einheiten ohne Bezug zu einem bestimmten Wohnort waren. Sie nahmen sehr wahrscheinlich eine militärische Funktion wahr. Dies geht nicht nur aus der Nennung dieser Einheiten in der Gefallenenliste, sondern auch aus ihrer Erwähnung auf Grenzsteinen hervor, die entlang des östlichen Mauerrings von Korinth gefunden wurden.3 Da zudem die triakades in zwei Untereinheiten differenziert waren,4 es somit insgesamt 96 Dreißigergruppen gab – eine Zahl, die der geschätzten Länge der Stadtbefestigung in Stadien entspricht – liegt die Vermutung nahe, daß jede triakas für die Instandhaltung und Bewachung eines Mauerabschnitts zuständig war.5 Eine endgültige Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Rekonstruktionsvorschlages – Untergliederung der Phylen in drei Regionen zugeordneten Trittyen oder in Halbachtel und Dreißigstel – kann angesichts der derzeitigen Quellenlage nicht getroffen werden. Es gilt jedoch zu betonen, daß sich der Vorschlag von Jones auf die Autorität der Suda berufen kann, die die Einteilung der Polis in acht Teile als das dominante Einteilungsprinzip beschreibt. Für eine territoriale Dreiteilung, wie sie die Trittyenthese voraussetzt, gibt es dagegen bislang keine Anhaltspunkte. Unabhängig davon, welcher der Lösungen man sich anschließen will, bleibt festzuhalten, daß die Phylen in Korinth einen engen territorialen Bezug hatten, der im Falle der zweiten, hier präferierten Lösungsmöglichkeit über den territorialen Bezug der Phylen des Kleisthenes in Athen hinausginge.6 Korinth wäre in beiden Fällen die erste uns be1

Dow, art.cit., 100, Anm.16, schlug die Städte LE(caion) und SI(doà) vor, die er allerdings gemäß seiner These als Phylenbezeichnungen verstand. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 179, interpretierte sie als hemiogdoa und fügte 'AS(a…) und SU(kous…a) hinzu. 2 Die Existenz von vier triakades pro hemiogdoon ist nicht auszuschließen, cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 181. 3 Cf. Stanton, art.cit., 146. 4 Auf den Grenzsteinen folgt der Nennung des triakas-Buchstaben entweder das Zahlwort eins (hen) oder zwei (duo). 5 Cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 184. Zur Länge der Stadtbefestigungen cf. R. Carpenter, Corinth III,2, S.80. Sollte dies zutreffen, würde eine militärische Bezeichnung der triakades wie die von W.P. Wallace, Hesperia 16, 1947, 119, Anm.14 vorgeschlagenen 'E(p…lektoi) und P(eltasta…) und das von N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 180, in Erwägung gezogene *F(‹lai) eine gute Möglichkeit darstellen. Salmon, op.cit., 418f., sah dagegen in den triakades keine militärischen Einheiten, sondern privilegierte Familien innerhalb der hemiogdoa. Belege hierfür führte er allerdings nicht an. 6 Die Phylen in Korinth bildeten acht Territorien, während die zehn Phylen des Kleisthenes nur aufgrund ihrer Demenzusammensetzung territorialen Charakter besaßen. Dies ist ein Grund dafür, daß Korinth kaum das Vorbild für die Phylenorganisation Athens gewesen sein kann, wie G.R. Stanton, The Territorial Tribes of Korinth and Phleious, ClAnt 1, 1968, 145, und auch J. O’Neil, The Origins and Development of Ancient Greek Democracy, London 1995, 167, vermuteten. N.F. Jones, The Organization of Corinth Again, ZPE 120, 1998, 55, hat zudem mit Recht darauf hingewiesen, daß Trittyen bereits im vorkleisthenischen Athen existierten und ursprünglich nicht auf die erst von Kleisthenes unterschiedenen Regionen bezogen waren.

208

Die drei ältesten Tribus

kannte Polis gewesen, die ihre Phylenorganisation auf lokale Basis stellte.1 Neben der territorialen Komponente ist die militärische Funktion als wichtiger Grundzug der korinthischen Phylenorganisation zu betonen. Zwar könnten die hemiogdoa und triakades theoretisch erst nach der Tyrannenherrschaft eingerichtet worden sein und am Ende eines längeren Entwicklungsprozesses stehen, der das uns bekannte, ausgefeilte Verteidigungssystem erst allmählich entstehen ließ.2 Der Name des einzig sicher überlieferten Phylennamens KunÒfaloi läßt jedoch einen militärischen Hintergrund für die Einführung der acht Phylen vermuten.3 Möglicherweise waren die korinthischen Phylen wie die römischen Tribus lokale Rekrutierungsbezirke, die die einzelnen Militärabteilungen stellten.4 Die zivile Funktion der korinthischen Phylen hatte offenbar sekundäre Bedeutung, wie aus der oben erwähnten Nachricht des Nikolaos von Damaskos hervorgeht, der von der Einführung eines auf der Einheit oktas basierenden Rates erst nach dem Sturz der Kypseliden berichtet. Nikolaos setzt damit vermutlich die Existenz der acht Phylen zur Zeit der Kypselidenherrschaft voraus. Ihre Einrichtung scheint eng mit der Machtergreifung des Kypselos verbunden gewesen zu sein, der in der 2. Hälfte des 7. Jhs. v.Chr. das alte Regime der Bakchiaden stürzte.5 Zur Stützung dieser Auffassung sollte jedoch nicht die vielfach vertretene These einer Opposition des Kypselos und seiner angeblich „vordorischen“ Anhänger gegen das dorische Herrschergeschlecht der Bakchiaden herangezogen werden,6 zumal die Zeugnisse darauf hinweisen, daß der Unterschied zwischen „dorischen“ und indigenen Bevölkerungselementen nicht groß war.7 1

Cf. Salmon, op.cit., 209. Die These von E. Szanto, Die griechischen Phylen, SAWW 144,15 (1901), 1-26, nach dem die „dorischen“ Phylen eine ursprüngliche Bodenteilung des Stammes der Dorier widerspiegeln, kann als widerlegt gelten, cf. Jones, Public Organization, 4. 2 Cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 191, der darauf hinwies, daß die Grenzsteine nur die Festsetzung eines terminus ante quem von ca. 450 v.Chr. erlauben. 3 Cf. S.205, Anm.4. Die oft vorgeschlagene Übersetzung „Träger der Mützen aus Hundefell“ und ihr Bezug auf eine Gruppe von Bauern ist eher unwahrscheinlich, wie S. Dow, art.cit., 98-100, gezeigt hat, der an die Träger einer besonderen, altertümlichen Art von Helmen dachte. Theoretisch könnte sich jede der acht Phylen des Hoplitenheeres durch ein entsprechendes Charakteristikum von den anderen unterschieden haben. Falls die im delischen Dekret genannte Phyle Aoreis zu den korinthischen Phylen zu rechnen ist – vieles spricht dafür –, dann wäre allerdings von einer gemischten Benennnung nach Helden – Aoris war ein legendärer König von Phleious – und militärischen Besonderheiten auszugehen. 4 Zur Gliederung der Phylen in Militärregimenter cf. Thuk.6.98.4 (Athener), 100.1; Plut.Nikias.14. 5-6 (Syrakusaner). Cf. ferner Salmon, op.cit., 209 für Sparta. Diese Regimenter sind freilich nicht mehr mit den homerischen fàla gleichzusetzen (cf. Kap.II.6.6.2), da sie auf städtische Untergliederungen beruhen. 5 Cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 187f., der gezeigt hat, daß die Datierung der Reform unter der Bakchiaden-Herrschaft durch C.A. Roebuck, Some aspects of the urbanization in Corinth, Hesperia 41, 1972, 96-127 nicht haltbar ist. Für eine Datierung in das 6. Jh. cf. hingegen O. Murray, Cities of Reason, in: id./S. Price (Hrg.), The Greek City. From Homer to Alexander, Oxford 1990, 13; H.-J. Gehrke, Jenseits von Athen und Sparta. Das dritte Griechenland und seine Staatenwelt, München 1986, 132. F. Ruzé, op.cit., 300f., glaubt an eine Einrichtung mit dem Sturz der Kypseliden. Zur Datierung der Kypselidenherrschaft cf. Kap.II.8. 6 So zuletzt wieder N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 189f., und G. Bockisch, Kypselos und die Bakchiaden, Klio 64, 1982, 51-66, bes.61ff. 7 Cf. E. Will, Doriens et Ioniens, Paris 1956, 37f.; Salmon, op.cit., 192f., 208.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

209

Vielmehr geht das Hauptmotiv des Kypselos aus dem territorialen Charakter der neuen Phylen hervor. Während die drei „dorischen“ Phylen Verwandtschaftsverbände mit dem Anspruch auf eine gemeinsame Abstammung waren und als solche am ehesten in den Kontext der aristokratisch geprägten Bakchiadenherrschaft passen, deutet die lokale Basis der acht Phylen auf ein neues, rationales Organisationsprinzip, das den gesamten Damos in die Verantwortung nahm. Nicht mehr das Geburtsrecht, sondern der Wohnsitz bestimmte den Platz des einzelnen Bürgers im Heer und in den politische Institutionen.1 Die alten Phratrien,2 deren Zugehörigkeit sich vererbte und die vielleicht noch in einem engen Bezug zu den „dorischen“ Phylen standen, blieben im Gegensatz zu den neuen, öffentlichen Phylen, die an ihre Stelle traten, privatrechtliche Verbindungen. Es ist damit zu rechnen, daß zahlreiche Mitglieder ein und derselben Phratrie verschiedenen Phylen zugewiesen wurden. Der durch die Reform bewirkte Synoikismos, von dem die Suda berichtet, wird somit nicht auf die Entstehung der Stadt unter der Herrschaft der Bakchiaden, sondern auf die Verschmelzung heterogener Bevölkerungsgruppen zu einer homogenen Gesamtheit sich selbst ausrüstender, die Polis und ihre Verwaltung stärkender Bürger zu beziehen sein. In dieser Eigenschaft weist die Reform deutliche Parallelen zu den Phylenreformen in den anderen, hier behandelten „dorischen“ Städten wie Sparta, Sikyon und Kyrene auf. Die Neuordnung der Phylen war aber offenbar auch in Korinth nicht nur auf die Überwindung alter Strukturen ausgerichtet. Sie wies zugleich in die Zukunft, indem sie der Herrschaft der Kypseliden ein hohes Maß an Dauerhaftigkeit verlieh. Diesem Ziel vermochte die territoriale Neuorganisation der Bürgerschaft vermutlich auch deswegen zu dienen, weil sie eine Einbindung der persönlichen, auf dem Land ansässigen, nicht notwendigerweise „vordorischen“ Gefolgschaft der Kypseliden in die Stadt ermöglichte.3 6.6.2. Griechische Phylen im Vergleich Bereits die Analyse der Phylenorganisation von Sparta, Athen, Sikyon, Kyrene und Korinth offenbart eine kaum zu übersehende Grundcharakteristik der Phylen, die erst von der jüngeren Forschung in aller Deutlichkeit formuliert worden ist. Lange Zeit wurden die Phylen – hier ergibt sich eine interessante historiographische Parallele zu Rom – für Relikte vorstaatlicher Stammes- bzw. Personenverbände gehalten, die erst später integrale Bestandteile der griechischen Poleis geworden seien. Dies glaubte man an der einheitlichen Benennung der „dorischen“ und „ionischen“ Phylen, die in zahlreichen griechischen Staaten verbreitet sind, sowie an mehreren gemeinsamen Struk1

Cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 190; Salmon, op.cit., 207. Der Text des delischen Dekrets hat f£tra, womit jedoch nur Phratrien gemeint sein können. Cf. N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 170, mit Beispielen dieser Schreibweise für die Phratrien anderer Gemeinden. 3 Darauf deuten vermutlich Ephor. FGrH 70 F 179 und Arist.frg.516Rose. Cf. die Interpretation von N.F. Jones, TAPhA 110, 1980, 190f., der auf das Beispiel der Peisistratiden in Athen verwies. Auch Kypselos selbst könnte in den Randgebieten Korinths beheimatet gewesen sein, cf. Paus. 2.4.5, 5.18.7. 2

210

Die drei ältesten Tribus

turmerkmalen ablesen zu können.1 Roussel hat demgegenüber in einer geographisch breit angelegten Studie gezeigt, daß die Phylen als Personenverbände erst innerhalb der Poleis in Erscheinung traten, wo ihnen diverse kultische, rechtliche, politische und militärische Aufgaben zukamen.2 Selbst in den sogenannten nichtdorischen Staaten der Peloponnes, die durch Synoikismos entstanden und – wie etwa Elis – eine stärkere ethnische Komponente aufwiesen, können die einzelnen ethnischen Teileinheiten des synoikisierten Gemeinwesens nicht mit Phylen gleichgesetzt werden.3 Zwar sind bei 1

Cf. N.D. Fustel de Coulanges, Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms. Mit einer Einführung von K. Christ, Stuttgart 1981, 170ff.; Ed. Meyer, Geschichte der Altertums I,1, Vorwort („Elemente der Anthropologie“); G. Glotz, La cité grecque, Paris 11928 (ND 1988), 7, 17, 28, 43; Beloch, Griechische Geschichte Bd.I,1, Berlin/Leipzig 21912 (ND Berlin 1967), 85, 91, 97; O. Murray, Das frühe Griechenland, München 1982, 18, 210, 246ff. Einige Autoren differenzierten zwischen ionischen und dorischen Phylen, wobei sie zumeist die dorischen Phylen auf frühe Stammesstrukturen zurückführten: E. Szanto, Die griechischen Phylen, in: H. Swoboda (Hrg.), Ausgewählte Abhandlungen von E. Szanto, Tübingen 1906, 216-288; U. von Wilamowitz-Moellendorff, Staat und Gesellschaft der Griechen und der Römer, in: P. Hinneberg (Hrg.), Die Kultur der Gegenwart II,4,1, 1910, 42; K.F. Herrmann, Lehrbuch der griechischen Staatsaltertümer III (neubearb. H. Swoboda), Tübingen 61913, 11, Anm.1; M.P. Nilsson, Cults, Myths, Oracles and Politics in Ancient Greece. Studies in Mediterranean Archaeology, New York 1972, 143; G. Dumézil, L’idéologie tripartite, 16, 94; E. Benveniste, Le vocabulaire des institutions indo-européennes, Bd.1, Paris 1969, 289-291, 293-319. Eine derartige Unterscheidung findet jedoch keinen Rückhalt in den Quellen, wie Roussel, Tribu, 188, gezeigt hat. 2 Cf. Roussel, Tribu, 5f., 161-313. Zuvor hatten bereits Ed. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte, Bd.2, Halle a.S. 1899, 529f.; M. Weber, Agrarverhältnisse im Altertum, in: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1924, 96f.; id., Wirtschaft und Gesellschaft, 5 Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1972, 746f., 769, und V. Ehrenberg, Die Rechtsidee im frühen Griechentum, Leipzig 1921, 134, Anm.2, die Auffassung vertreten – wenn auch ohne ausführliche Begründung –, daß die Phylen als Abteilungen der Bürgerschaft die Existenz der Poleis voraussetzen. Die Ausführungen Roussels haben nach anfänglicher Zurückhaltung inzwischen eine wachsende Anhängerschaft in der Altertumswissenschaft gefunden. Cf. etwa K.-W. Welwei, Die spartanische Phylenordnung im Spiegel der Großen Rhetra und des Tyrtaios, Gymnasium 86, 1979, 178-196, bes.181; id., Die griechische Polis, Stuttgart ²1998, 56-58, 285; A. Snodgrass, Archaic Greece, London 1980, 25; M.I. Finley, Ancient History: Evidence and Models, London 1985, 90-92, 111; W. Nippel, Sozialanthropologie und Alte Geschichte, in: Chr. Meier/J. Rüsen (Hrg.), Historische Methode, Bd.5: Beiträge zur Historik, München 1988, 310; E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, 1989, 9f., 24f., 159ff.; O. Murray, Cities of Reason, in: id./S. Price (Hrg.), The Greek City. From Homer to Alexander, Oxford 1990, 12-16; M. Meier, Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jh. v.Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, Stuttgart 1998, 195-198; L. Thommen, Sparta, Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart/Weimar 2003, 23. Einen Überblick über die Forschungsergebnisse Roussels und deren Rezeption bietet T. Schneider, Félix Bourriots „Recherches sur la nature du Génos“ und Denis Roussels „Tribu et Cité“ in der althistorischen Forschung der Jahre 1977-1989, Boreas 14-15, 1991-92, 15-31. An der alten Stammesthese hielten dagegen fest: N.F. Jones, The order of the Dorian Phylai, CPh 75, 1980, 212; H. van Effenterre, Il problema delle istituzioni doriche, in: D. Musti (Hrg.), Le origini die Greci dori e mondo egeo, Rom/Bari 1985, 299; G. Nagy, The Indo-European Heritage of Tribal Organization: Evidence from the Greek Polis, in: S. Nacev Skomal/E.C. Polomé (Hrg.), Proto-indoeuropean: The Archaeology of a Linguistic Problem, Studies in Honour of Marija Gimbutas, Washington D.C. 1987, 245-266. 3 Cf. Jones, Public Organization, 129. Bereits vor dem von Diod.11.54.1 berichteten Synoikismos zum Jahre 471/470, mit dem die Einführung eines Zehnphylensystems verbunden gewesen sein

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

211

den Nordwestgriechen und auch bei den Arkadern stammesstaatliche Strukturen vor der Entstehung von Poleis erkennbar, diese werden aber eben nicht als „Phylen“ bezeichnet.1 Und auch die Phylenorganisation von Keos kann kein Beispiel dafür sein, daß die Phylen nicht ursprünglich städtische Einheiten waren. Sie sind auf der Kykladeninsel erst spät bezeugt. Zudem handelt es sich bei den mit den Phylen gleichgesetzten Gemeinden um keine autonomen Poleis, sondern um kleine Dörfer, die politisch nur als Teil des Bundesstaates existierten. In lokalen Inschriften taucht der Kollektivname der Inselbewohner (Ke…oij) vor den Namen der Dörfer auf, die nur der geographischen Präzisierung dienen.2 Neuere Versuche, hinter den alten attisch-ionischen und dorischen Phylennamen dörfliche bzw. föderative Organisationsstrukturen zu entdecken, die bereits eine bestehende Integrationswirkung gehabt hätten und auf natürliche Weise in die entstehenden Poleis hineingewachsen wären,3 vermögen nicht zu überzeugen. Zum einen sind Phylen innerhalb dieser Strukturen nicht nachweisbar. Zum anderen offenbaren die Phylenordnungen in den griechischen Gemeinden eine große Mannigfaltigkeit und lassen sich nicht auf die vier „ionischen“ und drei „dorischen“ Phylen reduzieren. In zahlreichen Städten, die diesen Ordnungen zugerechnet werden, sind nur einige dieser bzw. darüber hinaus noch weitere Phylennamen belegt, ohne daß sie als das Resultat späterer Reduzierungen bzw. Ergänzungen beschrieben werden könnten.4 Außerdem ist – hierauf wurde bereits im Kontext der Fallbeispiele Sparta und Athen hingewiesen könnte (cf. Jones, Public Organization, 143f.), wird man die Existenz einer das Ethnos überlagernden Stadt annehmen dürfen, cf. Roussel, Tribu, 292-295, mit Belegen. 1 C. Ulf, Griechische Ethnogenese versus Wanderungen von Stämmen und Stammstaaten, in: id. (Hrg.), Wege zur Genese griechischer Identität, Berlin 1996, 271; J. Roy, Polis and Tribe in Classical Arkadia, in: M.H. Hansen/K. Raaflaub (Hrg.), More Studies in the Ancient Greek Polis, Stuttgart 1996, 107-112; T. H. Nielsen, Arkadia. City-Ethnics and Tribalism, in: M.H. Hansen, Introduction to an Inventory of Poleis, Symposium Aug., 23-26, 1995, Acts of the Copenhagen Polis Centre, Bd.3, Kopenhagen 1996, 117-163. Der Arkadien benachbarte Staat Triphylien, der nach antiker Auffassung auf den mythischen Helden Triphylos zurückgeht (Pol.4.77.8; SIG3, Nr.160), entstand aus dem Zusammenschluß mehrerer Poleis. Er kann nicht als Beleg für die Existenz vorstädtischer Phylen genommen werden, sondern ist das Produkt einer nachträglich konstruierten Stammesverwandtschaft seiner Bewohner, cf. P. Siewert, Triphylien und Akroreia. Spartanische «Regionalstaaten» in der westlichen Peloponnes, in: Pratik£ tou G’DieqnoÚj sunedr…ou pelopounhsiak èn spoudîn, Athen 1988, 7-12; T.H. Nielsen, Triphylia. An Experiment in Ethnic Construction and Political Organisation, in: id. (Hrg.), Yet More Studies in the Ancient Greek Polis, Stuttgart 1997, 129162, bes.160. Zu Triphylien cf. auch Kap.II.4. 2 Cf. P. Brun, L’île de Keos et ses cités au IVe siècle av. J.C., ZPE 78, 1989, 121. 3 Für die Aitoler und Achaier cf. etwa P. Funke, Stamm und Polis, in: J. Bleicken (Hrg.), Colloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von A. Heuss, Kallmünz 1993, 41ff.; H.-J. Gehrke, Ethnos, phyle, polis. Gemäßigt unorthodoxe Vorstellungen, in: P. Flensted-Jensen/T.H. Nielsen/L. Rubinstein (Hrg.), Polis & Politics, Studies in Ancient Greek History, Presented to M.H. Hansen on his Sixtieth Birthday, Aug.20, 2000, Kopenhagen 2000, 167f. Ähnlich K.-J. Hölkeskamp, Die Entstehung der Polis: Voraussetzungen und Bedingungen, in: H.-J. Gehrke/H. Schneider (Hrg.), Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, Stuttgart/Weimar 2000, 64, der die Phylen zu den Einheiten zählte, die im Rahmen einzelner Siedlungsgemeinschaften bereits Integrations- und Bindungseinschaften besaßen und diese in die synoikisierten Poleis einbrachten. M.H. Hansen und Th.H. Nielsen, An Inventory of Archaic and Classical Poleis, Oxford 2004, 95-97, nahmen zuletzt – ohne gute Argumente – die Existenz zweier unterschiedlicher Phylensysteme, eines städtischen und eines vorstädtischen, an. 4 Cf. Roussel, Tribu, 212f. und 228, mit der Ansicht, daß die Ursprungszahl der ionischen/dorischen Phylen keineswegs vier bzw. drei gewesen sein muß.

212

Die drei ältesten Tribus

– die der ethnischen Phylenthese zugrunde liegende Auffassung der Existenz homoge-

ner Stammesverbände nicht zu halten. Insbesondere für Kleinasien und die ägäischen Inseln wird eher mit kleinen Siedlerverbänden zu rechnen sein, die sich kaum in Phylen gegliedert und dieses Gliederungsprinzip an die entstehenden Dörfer und Poleis weitergegeben haben können.1 Die geographische Streuung der alten „ionischen“ und „dorischen“ Phylennamen läßt sich plausibel mit der Entstehung eines polisübergreifenden, ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühls nach der Formierung der Stadtstaaten2 sowie mit der Frequentierung des Panionion und des Apollon-Heiligtums in Delphi erklären, das sich zu einem Zentrum des Austausches politischer Ideen entwickelte und so die Entstehung von Mustern und Modellen für die Einteilung der Bürgerschaft förderte.3 Den Großpoleis Athen und Sparta, die im 5. Jh. die unbestrittenen Repräsentanten der ionischen und dorischen Welt waren, sowie den hier gebräuchlichen Phylennamen, die die Funktion der Phylen als Abstammungsgemeinschaften illustrieren, kam dabei sicherlich eine zentrale Bedeutung zu. Auch die archäologischen Forschungsergebnisse vermögen die Existenz vorstädtischer Phylen nicht zu belegen, im Gegenteil: Neuere Ausgrabungen in Eretria, Milet, Megara Hyblaia und im sizilischen Naxos lassen den Schluß zu, daß die Entstehung auch dieser Poleis als urbane Zentren bereits in der ersten Hälfte des 7. Jhs. einsetzte und somit nicht später als die Entstehung politischer Institutionen wie der Phylen datiert werden kann.4 Die alten Phylensysteme wurden seit dem ausgehenden 7. Jahrhundert durch Reformen modifiziert. Frühestes Beispiel ist Sparta, wo die alte Phylenzahl beibehalten, jedoch auf der Basis der Oben ein effektiveres Rekrutierungssystem geschaffen wurde, das die Angehörigen aller drei Phylen zu Waffenbrüdern machte. Es folgten Reformen in Korinth, Kyrene, Sikyon und Athen, die ebenfalls die Phylen nach rationalen Organisationsprinzipien neu ordneten. Die in der frühen Polis gebildeten Phylen wurden in diesen Gemeinden als disponible Verbände betrachtet, die einen wichtigen Beitrag auf der Suche nach der „Wohlordnung“ (Eunomía) leisteten. Nur in seltenen Fällen läßt sich eine Kontinuität des ältesten Systems erkennen. Die Quellenlage ist hinsichtlich der Motive für die Reformen leider unbefriedigend. Vor allem für die Frühzeit lassen sich Aussagen nur indirekt an der strukturellen Ausgestaltung der Phylenordnungen und der Benennung der Phylen ablesen. Von zentraler Bedeutung scheint jedoch die Einführung der Hoplitentaktik gewesen zu sein, die seit ca. 700 v.Chr. in den griechischen Gemeinden eine immer größere Verbreitung fand. Die Adaptierung der neuen Taktik war von lebenswichtigem Interesse für die Städte, da sie am geeignetsten erschien, die relativ wenigen Flächen landwirtschaft1 Cf. K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis, Darmstadt 1992, 120. 2 Cf. Chr. Ulf, Ethnogenese versus Wanderungen von Stämmen und Stammstaaten, cit., 240-280. 3 Cf. Roussel, Tribu, 216f.; K.-J. Hölkeskamp, Demonax und die Neuordnung der Bürgerschaft von Kyrene, Hermes 121, 1993, 419. 4 Cf. M.H. Hansen, The Hellenic Polis, in: id. (Hrg.), A Comparative Study of Thirty City-State Cultures, Kopenhagen 2000, 160f. Zur Stadtentwicklung in Griechenland allgemein: F. De Polignac, La naissance de la cité grecque: Cultes, espace et société, VIIIe - VIIe siècles av. J.-C., Paris 1984; C.G. Thomas/C. Conant (Hrg.), Citadel to City-State. The Transformation of Greece, 1200-700 B.C.E., Bloomington (Indiana), 1999. Zu Sparta: P. Cartledge, The Peculiar Position of Sparta in the Development of the Greek City-State, in: id., Spartan Reflections, London 2001, 21-38.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

213

licher Nutzung einer Polis, die für das Überleben ihrer Bewohner unverzichtbar waren, vor Feindesangriffen wirksam zu schützen.1 Die Einführung der neuen Militärtaktik wird auch durch das oben erwähnte älteste Phylenzeugnis des Tyrtaios dokumentiert, der die Geschlossenheit der neuen spartanischen Kampfformation im Zweiten Messenischen Krieg anmahnt. Die Phylenreform des Kleisthenes in Sikyon, deren militärische Zielrichtung wohl auch an den symbolischen Phylennamen ablesbar ist, weist im Kontext seiner weiteren Maßnahmen auf eine Stärkung gegen den äußeren Feind Argos, und auch in Korinth kann die Phylenreform des Kypselos in Zusammenhang mit einer homogeneren Zusammensetzung des Heeres gedeutet werden, die mit Hilfe einer lokalen Verankerung der Militärabteilungen erreicht werden sollte. In Athen dagegen kam es bis Kleisthenes zu keiner Veränderung der Phylenzahl. Die Einführung der Hoplitentaktik könnte hier mit einer Reform der bestehenden Strukturen erfolgt sein, die keine Verankerung in der Überlieferung gefunden hat. Daß die militärische Bedeutung der Phylen nicht erst ein Ergebnis der Übernahme der Hoplitentaktik war, sondern bereits konstitutive Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung der frühen griechischen Poleis hatte, wird auch durch eine Passage in der Ilias verdeutlicht. Nestor soll demnach geraten haben, das Heer der Troja belagernden Achaier nach fàla und Phratrien zu ordnen.2 Zwar bezeichnen diese Phylen lokale bzw. regionale militärische Kontingente und sind von den späteren städtischen Phylen (fula…), wie sie bereits Tyrtaios voraussetzt, zu unterscheiden.3 Die unbestrittene Wortverwandtschaft ist jedoch ein zusätzliches Indiz dafür, daß die militärische Funktion der Phylen die primäre war. Urheber der Reformen waren jeweils die in politischer Verantwortung stehenden Aristokraten oder Tyrannen, die mit den Reformen teilweise auch private Ziele verfolgten. So lag die Einführung bzw. Vervollkommnung einer schlagkräftigen Hoplitenarmee nicht nur im Gesamtinteresse der Polis, sondern diente den Tyrannen mehrerer „dorischer“ Gemeinden dazu, ihre eigene Herrschaft zu festigen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß Kypselos in Korinth und Kleisthenes in Sikyon Polemarchen waren und somit zentrale militärische Ämter bekleideten, die ihnen als Sprungbrett für die Alleinherrschaft dienten.4 In anderen Gemeinden wie in Athen ging die Initiative zur Reform von einzelnen Basileis bzw. Aristokraten aus, die jedoch nicht die Festigung der eigenen Herrschaft zum Ziel hatten, sondern die Einigung der Bürgerschaft und die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen. In Kyrene kamen massive interne Gegensätze unter den Bevölkerungs1

Cf. P. Cartledge, La nascita degli opliti e l’organizzazione militare, in: S. Settis (Hrg.), I Greci II, 1, Turin 1996, 645f. Hom.Il.2.362f. Cf. auch Hom.Il.2.655f., 668 (katafuladÒn), mit dem Hinweis auf die neun Schiffe der Rhodier, die sich in drei Abteilungen aus Lindos, Ialysos und Kameiros gliederten und bereits vor dem trojanischen Krieg bestanden. Cf. die Interpretation von A. Andrewes, Phratries in Homer, Hermes 89, 1961, 132f. 3 Cf. K.-W. Welwei, Die spartanische Phylenordnung im Spiegel der Großen Rhetra und des Tyrtaios, in: Gymnasium 86, 1979, 195f.; id., Ursprünge genossenschaftlicher Organisationsformen in der archaischen Polis, Saeculum 39, 1988, 13f., 19f. Für diese Unterscheidung cf. bereits P. Chantraine, La formation des noms en grec ancien, Paris 1933, 240f., der die homerischen Phyla allerdings als „race“ bzw. „tribu“ übersetzte. 4 Kypselos: Nikolaos v. Damaskus, FGrH 90 F 57.3-5. Kleisthenes: P.Oxy.XI, Nr.1365 (Ephor.). 2

214

Die drei ältesten Tribus

gruppen hinzu, die nur mit dem Aufbau einer neuen Ordnung durch einen herbeigerufenen Schiedsrichter lösbar schienen. Die stärkere Beteiligung des Volkes an der Verteidigung der Polis ging in den meisten Poleis auch mit einer stärkeren Teilhabe an politischen Entscheidungen einher. Die Große Rhetra Spartas stellt die Phyleneinteilung in engen Zusammenhang mit der Festlegung der Kompetenzen der Volksversammlung. Der früheste direkte Beleg für eine politische Funktion der Phylen stammt aus Chios, wo eine um 575/550 ausgearbeitete Verfassung die Zusammensetzung des Rates der 500 aus jeweils 50 Mitgliedern pro Phyle regelte.1 Der Vergleich mit dem kleisthenischen Rat der 500 in Athen liegt nahe, jedoch könnte bereits der solonische Rat der 400 nach Phylen rekrutiert worden sein. In Korinth bildete die militärische Gliederung des Damos offenbar das Vorbild für spätere politische Reformen wie die Einführung des Rates der Oktades. In keinem der genannten Staaten wurden – soweit erkennbar – die Reformen gegen die Interessen des Adels durchgesetzt. Da die Phylen keine Machtbasen des Adels gegen das Volk oder gegen Standesmitglieder bildeten, die Macht des Adels sich vielmehr in den Phratrien und Hetairien manifestierte, konnte auch die Neuordnung der Phylen nicht gegen die Aristokratie oder gegen einzelne Gruppen derselben gerichtet gewesen sein. Die Tyrannen in Sikyon und Korinth ordneten die Phylen nicht neu, um die Machtstrukturen des alten Adel zu zerschlagen, sondern um dem Volk eine größere Teilhabe an der Verteidigung und den Geschäften der Polis zu sichern und es so als eigene Klientel im Kampf gegen den Adel zu instrumentalisieren. Allen Reformen des 7. und 6. Jahrhunderts gemein ist die Festigung der Bürgerschaft durch eine Einbindung aller Bürger – ungeachtet ihres Alters und ihrer regionalen, sozialen und ethnischen Herkunft – in die Polis. Sparta konstituierte ein neues Heer auf der Basis der alten Phylen, die keine Verwandtschaftsverbände, sondern über die Komen und Oben lokal verankert waren und zur Entwicklung einer Gesellschaft von homoioi beitrugen. In Kyrene galt es, die gegensätzlichen Interessen, die sich aus der unterschiedlichen Herkunft und dem unterschiedlichen Zeitpunkt der Ansiedlung in der Kolonie ergaben, zu überwinden und so eine Stärkung der Polis gegen die Bedrohung durch die indigenen Libyer herbeizuführen. Auch die Phylenbenennung in Sikyon weist auf eine Verschmelzung verschiedener Alters- (Junge/Alte) und Gesellschaftsgruppen (Bürger/Aristokraten), während in Korinth eine territoriale Reform zur Zusammenlegung der Land- und Stadtbevölkerung führte. In Athen wurde die sich aus der Weite des Raumes ergebende regionale und soziale Heterogenität der Bewohner auf politischer Ebene durch Mischung in einem überregionalen, die gesamte Bürgerschaft umfassenden Phylen- und Trittyensystem ausgeglichen. Ob die Phylengliederung des Rates von Chios im Zusammenhang mit einer Neuordnung der Phylen stand, kann nicht mehr gesagt werden. Das uns bekannte alte Phylensystem, das auf Gene und Phratrien aufgebaut war, reicht vielleicht bis in das 8. Jh. zurück.2 Auch für die Ratsgliederung des 6. Jhs. kann jedoch keine adelsfeindliche Politik unterstellt werden. Der Text der Verfassung betont vielmehr die Zentralität der Institutionen und die 1

R. Meiggs/D. Lewis, A Selection of Greek Historical Inscriptions to the End of the Fifth Century B.C., Oxford 1969, Nr.8, C 5-9. Cf. M. Piérart, Modèles de répartition des citoyens dans les cités ioniennes, REA 87, 1985, 181-183. 2 Cf. Jones, Public Organization, 191f.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

215

politische Einheit der Insel, die die partikularen Interessen der alten aristokratischen Ordnung überwinden sollten und so erst den Weg für eine breitere Volkspartizipation öffneten.1 Ein demokratisches System auf der Basis von Lokaltribus scheint erst 332, auf Initiative Alexanders des Großen eingerichtet worden zu sein.2 Die unterschiedlichen Zielsetzungen, die mit den Reformen bzw. der Ersteinrichtung von Phylen verbunden waren, und die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen führten zu einer großen Varietät der Phylen hinsichtlich ihrer Anzahl, Benennung, Zusammensetzung und Gestalt. Die drei sogenannten „dorischen“ und vier „ionischen“ Phylen konnten bis in hellenistische Zeit bestehen bleiben und entweder alleine (Delos, Megara, Sparta, Syrakus, Thasos) oder neben neuen Phylensystemen (Athen) existieren.3 Dies bedeutet nicht automatisch, daß diese Phylen von Reformmaßnahmen unberührt blieben. Sie konnten zu neuen Untereinheiten (z.B. Phratrien) in Beziehung gesetzt werden wie etwa in Syrakus und Thasos. In den meisten Fällen kam es jedoch zu einer Modifizierung der seit frühester Zeit bestehenden Phylen selbst, sei es durch Umbenennung (Sikyon, Sparta, Olymos4), durch Hinzufügung neuer (Argos, Athen, Ephesos, Epidauros, Kolophon, Milet, Pergamon, Samos, Sikyon, Tenos), Abschaffung alter Phylen (Athen, Elis, Epidauros) oder durch eine Reformierung des Gesamtsystems (Ephesos, Korinth, Samos).5 Gründe für die Innovationen waren seit dem 5. Jh. zumeist die Gestaltung einer effektiveren Verwaltung, die den zahlreichen Anforderungen des Stadtstaates gewachsen war, und die Integration von Neubürgern.6 Die Umbenennung oder Einrichtung von Phylen resultierte zuweilen auch aus der Ehrung einzelner Bürger (z.B. Pergamon). Eine Reduzierung der Phylen konnte ihre Ursache in außenpolitischen Umständen haben, wie etwa in Athen, wo die Abschaffung der makedonischen Phylen Antigonis und Demetrias 201/ 200 mit den schlechten Beziehungen Athens zu Philipp V. zusammenhängen, oder in Elis, das infolge feindlicher Invasion einen Teil seines Territoriums und damit einige seiner lokalen Phylen verlor. Auch die Benennung der Phylen zeugt von einer großen Variationsbreite. Zahlreiche Phylen wie die „ionischen“, „dorischen“ und kleisthenischen führten die Namen von Heroen, Göttern und Königen. Daneben gab es aber auch Phylen, deren Namen auf Tyrannen (Chios), Adelsgeschlechter (Paros), militärische Ausrüstung (Korinth) oder Tiersymbole (Sikyon) zurückgehen, sowie Phylen, die lediglich durchnumeriert waren (Syrakus). Die Ersteinrichtung bzw. Reform von Phylenordnungen war zu-

1

C. Ampolo, La Bol¾ dhmos…h di Chio: Un consiglio «popolare»?, PP 38, 1983, 401-416. W.G. Forrest, The Tribal Organization of Chios, ABSA 55, 1960, 172-189. Cf. Jones, Public Organization, 28-31 (Athen), 94-97 (Megara), 118-123 (Sparta), 184-186 (Thasos), 211-212 (Delos). 4 In Sikyon erhielten die Phylen neue Namen, in Sparta übernahmen die Oben die Bezeichnung „Phyle“, in Olymos wurden die bestehenden Phylen in Syngeneiai umbenannt, cf. Jones, Public Organization, 103-106, 118-123, 330-331. 5 Cf. Jones, Public Organization, 31-39 (Athen), 97-103 (Korinth), 103-106 (Sikyon), 107-111 (Epidauros), 112-118 (Argos), 142-145 (Elis), 173-176 (Syrakus), 195-202 (Samos), 306-310 (Teos), 310311 (Kolophon), 311-315 (Ephesos), 320-327 (Milet), 353-355 (Pergamon). 6 Cf. Jones, Public Organization, 13, 17f. Für Argos cf. auch F. Ruzé, Déliberation et pouvoir dans la cité grecque de Nestor à Socrate, Paris 1997, 250-253, 264. 2 3

216

Die drei ältesten Tribus

meist mit einer Segmentierung der Phylen verbunden. Die Untereinheiten hatten verschiedene Namen wie Phratrien (Andros, Argos, Chios?, Syrakus), patrai (Thasos), Oben (Sparta), Dreißigschaften/triakades (Akrai), Demen (Aigina, Elis, Eretria, Kalymna, Kameiros, Lindos, Stratonikeia), Hundertschaften/ Hekatostyes (Herakleia am Pontos, Lampsakos, Megara) und Tausendschaften/Chiliastyes (Ephesos, Erythrai, Kolophon?, Kos,1 Methymna, Milet?, Samos). In manchen Gemeinden gab es drei Ebenen. Die entsprechenden intermediären Einheiten lauteten Trittyen (Athen, Delos, Keos), hemiogdoa (Korinth), patrai (Kyrene?) und choroí (Eretria). Hinsichtlich der Beschaffenheit der Phylen kann zwischen personalen und territorialen Einheiten unterschieden werden, wobei in den meisten Fällen eine Mischung festzustellen ist. Dies gilt etwa für die Phylen des kleisthenischen Athen und Rhodos, die sich aus lokalen Demen zusammensetzten, jedoch keine in sich geschlossenen Territorien bildeten, ebenso wie für die Phylen in Kameiros, die aus lokalen Demen bestanden. Auch in Sparta scheint es über die Oben eine lokale Verankerung gegeben zu haben. Am frühesten haben offenbar die Korinther ihre Phylen auf eine rein lokale Basis gestellt. Im vorkleisthenischen Athen, in Sikyon und in Kyrene waren die Phylen wahrscheinlich reine Personenverbände, eine Eigenschaft, die sie mit den Phylen der meisten anderen Poleis des 6. und 5. Jahrhunderts teilten. Erst in spätklassischer und hellenistischer Zeit ist eine allgemeine Tendenz zur territorialen Verankerung rein personaler Phylen zu konstatieren.2 6.6.3. Griechische Phylen und römische Tribus im Vergleich 6.6.3.1. Unterschiede Ein Vergleich der römischen Tribus mit den griechischen Phylen ist wie auch im Fall der italischen Tribus (S.174ff.) unerläßlich, um die Eigenart der römischen Tribus zu erfassen und Thesen zum Ursprung der römischen Tribus formulieren zu können. Die breite Quellenlage zu den griechischen Phylen macht eine ausführliche Behandlung dieses Themas unter Einbeziehung der in Rom später gegründeten Stadt- und Landtribus notwendig. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß für die römischen Tribus keine religiöse Funktion erkennbar ist. Zwar bildeten sie den Rahmen für die Rekrutierung bestimmter Priesterämter,3 sie übernahmen jedoch keine kultischen Aufgaben wie etwa die griechischen Phylen.4 Im Gegensatz zu der Mehrheit der griechischen Phylen waren 1

Die insgesamt neun Chiliasten in Kos (drei pro Phyle) werden in den Quellen auch als Neuntel (Enataí) bezeichnet, cf. Jones, Public Organization, 238. 2 Cf. Jones, Public organization, 17f. 3 Die tribuni celerum hatten nach Erlöschen der militärischen Funktionen noch gewisse sacra zu verwalten, die offenbar zu ihren originären Aufgaben gehörten, cf. Dion.2.64 (Numa); CIL I, S. 234, 20f. (Fasti Praenestini): [Sali] faciunt in comitio saltu [adstantibus po]ntificibus et trib. celer. Hier ergibt sich eine Parallele zu den vier Fulobasile‹j in Athen. 4 Zur kultischen Bedeutung der Phylen: M.P. Nilsson, Cults, Myths, Oracles and Politics in Ancient Greece. Studies in Mediterranean Archaeology, New York 1972, 288; W.R. Connor, Tribes, Festivals and Processions. Civic Ceremonial and Political Manipulation in Archaic Greece, JHS 107, 1987, 40-50;

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

217

die römischen Tribus nicht nach Göttern bzw. Helden benannt, sondern nach den zur Zeit ihrer Gründung einflußreichsten gentes in der Stadt Rom (Kap.IV.8). Dies schließt allerdings nicht aus, daß die Tribus gleichzeitig Abstammungsgemeinschaften waren, die sich auf eine mythische Vergangenheit beriefen. Die Angehörigen der Tities, Ramnes und Luceres, deren Mitgliedschaft sich bis in die späte Republik hinein vererbte, könnten bereits früh ihre Namen auf legendäre Könige wie Romulus, Titus Tatius und Lucumon zurückgeführt haben. Spezifisch römisch scheint demgegenüber die frühe Fixierung der Tribuszugehörigkeit an den Wohnsitz der Bürger gewesen zu sein, die sich vermutlich mit den servianischen Reformen im 6. Jh. durchsetzte und die Tribuszugehörigkeit aufgrund gentilizischer Herkunft (Tities, Ramnes, Luceres) ablöste. Dies ist eine Entwicklung, die sich in mehreren griechischen Staaten (Milet, Nikomedeia, Nikaia, Kibyra, Kadyanda) erst seit späthellenistischer Zeit nachweisen läßt und vermutlich gerade auf römischen Einfluß zurückführen ist.1 Auch in Athen, wo zur Zeit der kleisthenischen Reformen der Wohnsitz der Bürger das entscheidende Kriterium für ihre Demen- und damit Phylenzugehörigkeit war, fand kein regelmäßiger Zensus statt, der eine Aktualisierung der Bürgerliste auf der Basis des Wohnsitzes ermöglicht und den dynamischen Veränderungen (Verlegung des Wohnsitzes) Rechnung getragen hätte. Die Zugehörigkeit zum Demos und damit zur Phyle wurde hier in der männlichen Linie vererbt und war nicht von der aktuellen Lage des Wohnsitzes des Bürgers abhängig.2 Eine Ausnahme scheint lediglich Korinth darzustellen, wo die acht gegen Ende des 7. Jh. gegründeten Phylen acht Stadtteilen entsprachen. Auch diese Bodenbindung war wahrscheinlich erst das Ergebnis einer Reform, so daß die zuvor existierenden drei Phylen wohl reine Personenverbände waren. Während somit in zahlreichen griechischen Städten der Wohnsitz als Kriterium der Phylenzugehörigkeit an die Stelle der Erblichkeit trat, kann für Rom von einer umgekehrten Entwicklung ausgegangen werden. In dem Maße, in dem Eroberungen, Landverteilungen und Bürgerrechtsverleihungen zu einer gesteigerten Mobilität der Bürgerschaft und zur Bildung separierten Grundbesitzes führten, wurde eine Fixierung des Wohnsitzes der Bürger bzw. eine Verifizierung der von den Bürgern gemachten Angaben erschwert. Die Erblichkeit der Tribus trat jetzt bei der Zusammenstellung der Tribuslisten in den Vordergrund. Insbesondere für Mitglieder der oberen ZensusklasJones, Public Organization, 60 („the phylai were first and foremost religious associations“); E. Kearns, The Heroes of Attica, London 1989, 83; K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis, Darmstadt 1992, 121. Geringer eingeschätzt wurde diese Bedeutung von Roussel, Tribu, 201: „Les anciennes phylai d’Athènes n’étaient cependant pas des associations cultuelles et elles n’avaient pas été constituées à des fins religieuses.“ 1 Cf. Jones, Public Organization, 11, 24. 2 Zum Problem der Binnenwanderung cf. J. Bleicken, Die athenische Demokratie, Paderborn/ München/Wien/Zürich 41995, 578ff. Roussel, Tribu, 312, sah in der Vererbung der Phylenzugehörigkeit eine zentrale Eigenschaft, die die Phylen als Personenverbände von den römischen Tribus, die lediglich Verwaltungs- und Wahlbezirke gewesen seien, unterschieden. Auch die Tribus waren jedoch nach der hier vertretenen Ansicht seit jeher Personenverbände, die zwar eine stärkere territoriale Komponente als die meisten Phylensysteme aufwiesen, deren Mitgliedschaft sich jedoch ebenfalls in der Regel vererbte und nur unter bestimmten Voraussetzungen (Wohnortwechsel, Landerwerb, Gerichtsurteil...) geändert werden konnte.

218

Die drei ältesten Tribus

sen wird nicht mehr der häufig alternierende Wohnort oder die Lage der Besitztümer, die sich in ganz unterschiedlichen Regionen Italiens befinden konnten, sondern die Tribuszugehörigkeit des Vaters und seiner Vorfahren von Bedeutung gewesen sein.1 Aber auch zahlreiche andere Bürger, die aus Kolonien oder Munizipien stammten und die sich verstärkt nach dem Zweiten Punischen Krieg in Rom niederließen, behielten offensichtlich die Tribus ihres Herkunftsortes, die in Rom von besonderer Bedeutung sein konnte, da sie dem Stimmbürger einen Platz in einer der zahlreichen, im Gegensatz zu den Stadttribus gering besetzten Landtribus sicherte. Die Dezentralisierung des Zensus, der in der späten Republik in die Kompetenz lokaler Beamter gelegt wurde (Tabula Heracleensis), scheint hier nur in bedingtem Maß eine Veränderung herbeigeführt zu haben. Auch nach der Einführung der lokalen Schätzung finden sich zahlreiche incolae in römischen Gemeinden, die ihre Herkunftstribus behielten.2 Der Grund für die ursprünglich große Bedeutung des Wohnsitzes für die Tribuszugehörigkeit wird in dem engen territorialen Bezug der Tribus zu suchen sein: Gerade weil die Tribus von Anfang an territoriale Bezirke waren,3 lag eine Definition der Tribuszugehörigkeit auf der Basis des Wohnsitzes der Bürger nahe. Erst in dem Maße, in dem Faktoren wie Mobilität, Eroberungen und Akkumulierung von Grundbesitz hinzukamen, ging die Bindung der Bürger an das Territorium der Heimattribus verloren. Die Tribus enthielt nach außen hin sichtbar eine enge personale Komponente, da sie in der späten Republik ein fester Bestandteil des Bürgernamens war, der sich auf zahlreichen Namensinschriften wiederfindet.4 Mit der Verlegung des Wohnsitzes änderte sich auch in der Regel die Tribuszugehörigkeit des Bürgers.5 Dem weitgehenden Verlust der territorialen Bedeutung der Tribus trug man nach dem Bundesgenossenkrieg dadurch Rechnung, daß die Kerngebiete der alten Landtribus von den Rom umgebenden Kolonien und Munizipien absorbiert wurden.6 Die Größenverhältnisse in den griechischen Poleis waren dagegen ganz andere; die territoriale und personale Erweiterung der Stadt erfolgte hier in überschaubarem Rahmen und erforderte zu keiner Zeit eine Änderung der Phylen- oder Demenzugehörigkeit. In den meisten griechischen Stadtstaaten (einen Ausnahmefall stellt Korinth dar) gab es keinen direkten Zusammenhang zwischen Phylen und Territorium, der es erlaubt hätte, eine Phyle einem bestimmten, in seinen Grenzen fixierten Gebiet zuzuwei1

Ein Symptom dieser Entwicklung ist die Praxis, bei Adoptionen die Tribus der Herkunftsfamilie beizubehalten, cf. Gell.5.19.15 (Cato/Malcovati, ORF4, Nr.126) mit den Interpretationen von Mommsen, RSt III,1, 183, Anm.2, und Taylor, VDRR, 81 mit Anm.9. 2 Cf. Kap.III.3.4. 3 Für Roussel, Tribu, 311, bestand der Hauptunterschied zwischen römischen Tribus und griechischen Phylen darin, daß es in Rom zu einer grundlegenden Reform kam, die die ursprünglich gentilizischen Tribus in territoriale Tribus umwandelte. Die römischen Tribus waren jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit von Anfang an territoriale Einheiten. Jones, Public Organization, 11 hat zudem gezeigt, daß die Phylen mehrerer Poleis insofern territoriale Bedeutung erlangten, als die Phylenmitgliedschaft in diesen Gemeinden seit späthellenistischer Zeit nicht mehr vererbt, sondern an den Wohnsitz der Bürger gebunden wurde. 4 Cf. G. Forni, Le Tribù Romane. I,1, Tribules (A-B), Rom 1996, I,2, Tribules (C-I), Rom 1999. Zu den Texten, die die Erwähnung der Tribus gesetztlich vorschrieben cf. Kap. „Einleitung“ (Quellen und Methoden). 5 Forni, Doppia tribù. 6 Cf. Beloch, RG, 161; Taylor, VDRR, 40 mit Anm.17.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

219

sen. Da die Phylenzugehörigkeit nicht territorial, auf der Basis des Wohnsitzes, verankert war, konnte die Binnenwanderung selbst in einer Großpolis wie Athen nie einen Einfluß auf die Phylenzugehörigkeit des Bürgers ausüben. Auch auf der Ebene der Demen scheint in Athen die Mobilität der Bevölkerung keine Konsequenzen nach sich gezogen zu haben, da die Bürger ihr Demotikon, ungeachtet ihres Aufenthaltsortes, stets behielten. Dort wo Griechen in Inschriften ihre Phylenbezeichnung im Namen führten, geschah dies nur innerhalb des jeweiligen Polisgebietes.1 Der römische Bürger gab sich hingegen auch außerhalb der urbs und der Tribusterritorien als römischer Bürger zu erkennen. Der enge Bezug, der zwischen den Tribus und dem Adel in Rom bestand, war wohl eine Besonderheit, durch die sich Rom von den meisten griechischen Städten unterschied. Allerdings ist hier zu differenzieren. Die Phylen waren zweifellos keine Machtbasen der Aristokratie gegen die werdenden Poleis; dies bedeutet jedoch nicht, daß sie in allen Poleis von einer politischen Einflußnahme der Aristokratie unberührt geblieben wären. In Elis führte die Einführung eines Zehnphylensystems und eines Rates der 500 keineswegs zu einem Machtverlust des Adels.2 In Athen behielt der Adel zunächst die Kontrolle über die politischen Institutionen und die Phylen, die den Zugang zu ihnen regelten. Erst Kleisthenes führte eine radikale Änderung herbei, indem er den Einfluß des Adels auf die Ebene der Demen zurückdrängte. Auch in Sparta, wo die aristokratischen Strukturen fester verankert waren, könnte ein aristokratischer Zugriff auf die alten Phylen vor der Großen Rhetra bestanden haben. Er wäre nach dem Verfassungswerk des Lykurg keineswegs vollständig unterbunden worden, zumal sich die Ordnung der Großen Rhetra eher als Ausgleich der Interessen zwischen Damos und Adel interpretieren läßt. Zwar setzte der Damos seine politische Anerkennung auf institutioneller Ebene durch. Der Adel übte jedoch auch weiterhin eine Vorrangstellung über die dem römischen Senat vergleichbare Gerousie aus. Die reformierten Phylen waren hier nicht Instrumente zur Durchsetzung einer breiteren politischen Partizipation des Volkes, sondern dienten dem Aufbau eines schlagkräftigen Hoplitenheeres und sollten die Entstehung von Sonderinteressen im militärischen und zivilen Bereich verhindern. Die Herrschaft der Aristokraten wurde jetzt allerdings auf ein neues Fundament gestellt. Die neue Phalanxtechnik führte nämlich dazu, daß Bürger in den Phylen Seite an Seite mit ihren aristokratischen Vorbildern gegen den gemeinsamen äußeren Feind kämpften und die Phylen in ihrer Gesamtheit um den höchsten Einsatz für die Stadt konkurrierten. Diese kollektive Erfahrung sollte ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen lassen, welches die Stabilität des politischen Systems festigte. Daß die Phylenorganisation der Großen Rhetra eine entscheidende Rolle für die Verschmelzung der Bürgerschaft und – darauf aufbauend – den Erfolg des spartanischen Heeres spielte, geht insbesondere aus der Benennung der Phylen nach mythischen Heroen hervor, die ein Vorbild für Einsatzbereitschaft und Tapferkeit boten.3 Die militärische Bedeutung der spartanischen Phylen und die Einbindung des Adels in das neue System bieten einen interessanten Vergleichansatz zu Rom. Auch die Tribus waren auf das engste mit der Einführung der Hoplitentaktik und der Einrichtung eines 1 2 3

Cf. K. Latte, s.v. „Phyle“, RE XX,1, 1941, 994=Kleine Schriften, München 1968, 435. Cf. Roussel, Tribu, 293. Cf. Chr. Ulf, Griechische Ethnogenese cit., 258f.

220

Die drei ältesten Tribus

schlagkräftigen städtischen Heeres verbunden. Während jedoch in Sparta die Einführung dieser Taktik den Anlaß für eine Reform der bereits bestehenden Phylen lieferte, waren in Rom die Tribus zu diesem Zweck erstmals eingerichtet worden. Der römische Adel war nicht nur in die Tribus eingebunden, er dominierte stets dieselben. Dies zeigt sich daran, daß die Tribus nicht wie in Sparta nach Heroen, sondern nach den einflußreichsten gentes selbst benannt waren,1 die zu Kurien, die die älteste Form der Heeres- und Volksversammlung in Rom bildeten, zusammengeschlossen waren. Darüber hinaus übernahmen Aristokraten in den Tribus zentrale militärische und kultische Funktionen. Die höchsten Militärämter (tribuni militum) waren wahrscheinlich für Angehörige des Adels reserviert, wie die Entwicklung des Militärtribunats konsularischer Gewalt bezeugt, und die nach Tribus rekrutierten Priesterschaften blieben zunächst den Patriziern allein vorbehalten. Außerdem hatte die Aristokratie den Zugriff auf die ökonomische Nutzung der Landbezirke, die von besonderer Bedeutung für die Versorgung der Stadt waren und die des besonderen Schutzes bedurften. Gleichzeitig war jedoch auch in Rom die Einführung der Hoplitentaktik und die Rekrutierung der Soldaten in den neu eingerichteten Tribus eng mit der Entwicklung der Stadt und der Verteidigung ihrer Interessen, die sich mit denen des Adels überschnitten, verbunden. Die Aushebung der Soldaten in allen territorialen Bezirken schuf ein städtisches, vom Adel gelenktes Heer. Dabei schlossen sich mehrere gentes auf der Basis gemeinsamer Feste und Kulte, eines gemeinsam bewohnten Territoriums und vielleicht auf der Basis einer gemeinsam beanspruchten Stammesverwandtschaft, zu drei Tribus zusammen, deren Wohngebiet jeweils ca. ein Drittel des Stadtgebietes und der Gesamtbürgerschaft umfaßte. Damit war ein rationaleres, den städtischen Verhältnissen angepaßtes Element der Verteidigung eingeführt, das eine effektivere Organisation des Heeres erlaubte. Die Rekrutierung basierte fortan nicht mehr auf ungleichen demographischen Verhältnissen innerhalb der lokal heterogenen Kurien, sondern auf annähernd gleich großen Lokalbezirken. Unter Servius Tullius wurde die lokale Komponente der Aushebung mit der Gründung der vier nach Toponymen benannten Stadttribus noch gestärkt und die Kontrolle des Adels bei der Aushebung zurückgedrängt. Dies hatte jedoch keinen Machtverlust der Clans innerhalb der Bezirke zur Folge; ihre herausragende Rolle in sozialer und ökonomischer Hinsicht gegenüber den Klienten wurde in der Folgezeit noch gestärkt, wie die Gründung und Benennung der ältesten 16 Landtribus nach Gentilnamen illustriert (Kap.IV.6). Die römischen Tribus blieben auch als Teilorganisation des Stadtstaates stets Ausdruck und Instrument gentilizischer Macht, während der Zugriff adliger Familien auf die griechischen Phylen, zumindest in den Städten, in denen ein solcher Zugriff bestand (Athen, Elis, Sparta), zusehends zurückgedrängt wurde. Fragt man nach den Ursachen für die unterschiedliche Stellung des römischen und griechischen Adels in den Tribus/Phylen, so könnten sie in der unterschiedlichen Organisation und Rolle des Adels in Latium bzw. Griechenland zu suchen sein. Zwar übernahm die latinisch-etruskische Elite zahlreiche Verhaltensmuster griechischer Aristokraten, ihr Zusammenhalt war jedoch aufgrund der gentilizischen Struktur fester ge1 Es handelte sich keineswegs lediglich um eine Ehrenbenennung. Zum politischen und ökonomischen Einfluß der Tribusgeschlechter cf. Kap.IV.8.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

221

fügt als die des griechischen Adels, dessen Mitglieder einzelne oikiai besaßen und in ständigem Wettbewerb untereinander um Ansehen, Status und Macht standen. Der hohe Grad an Partikularismus innerhalb der griechischen Adelswelt führte während des Prozesses der Polisenstehung zu ganz unterschiedlichen Reaktionen. Während einzelne Adlige sich als Außenseiter oder Gegner der neu entstehenden Gemeinwesen betrachteten, erweiterten andere ihre Handlungsspielräume, indem sie als Führer und Repräsentanten der Bürgerschaft auftraten.1 In Rom dagegen scheinen die gentes enger in den Prozeß der Stadtwerdung mit einbezogen gewesen zu sein. Im Unterschied zu griechischen Phylen bedeutete die Zugehörigkeit zu einer Tribus in erster Linie eine formale Aufnahme in die Bürgerschaft. Sie allein zog jedoch, anders als etwa die Phylenmitgliedschaft in Athen, noch keine Teilhabe an der politischen Macht nach sich, die vom Rang, den ökonomischen Ressourcen und den sozialen Kontakten (Klientel- bzw. Freundschaftsbindungen) des Bürgers determiniert wurde. Nur wer über einen entsprechenden Stammbaum sowie über Beziehungen zu höher gestellten Persönlichkeiten verfügte und diese langfristig sowie zielgerichtet einzusetzen wußte, brachte die notwendigen Voraussetzungen mit, um erfolgreich für die höchsten Ämter wie die Prätur und das Konsulat zu kandidieren (Neubürger fanden erst spät und vereinzelt Zugang zu diesen Ämtern). Und nur wer ein entsprechendes Vermögen als Wähler aufweisen konnte, hatte die Möglichkeit, auf der Basis seiner Zugehörigkeit zu einer der oberen Zensusklassen den Ausgang dieser Wahlen mitzubestimmen. In Rom festigte sich somit nach den servianischen Reformen und der Einführung des timokratischen Systems die Dominanz der Aristokratie, die in der Tribusorganisation eine geeignete Machtbasis fand. Die Tatsache, daß die Registrierung in einer Tribus allein noch keine politische Macht vermittelte, vermag zu erklären, warum Rom stets gefahrlos eine liberale Bürgerrechtspolitik verfolgen und die Aufnahme größerer Verbände von Fremden und Freigelassenen tolerieren, ja sogar fördern konnte.2 Eine Destabilisierung der Machtverhältnisse war durch sie nicht zu befürchten, da soziale Herkunft und Patronage stets die ausschlaggebenden Faktoren in der Ausübung der Politik blieben und sich Neuankömmlinge, die politische Ambitionen hatten, in dieses System zu integrieren wußten. Die Tribuszugehörigkeit vermittelte zwar allen Bürgern gleichermaßen die Zugehörigkeit zur civitas Romana und öffnete ihnen nach der Gründung des concilium plebis und der comitia tributa das Recht, an politischen Beschlüssen teilzuhaben. Der Zugang zu den wichtigsten Entscheidungsinstanzen, den Magistraturen und dem Senat, wurde jedoch durch die auf der gesellschaftlichen Rangordnung und dem Bindungswesen basierenden Faktoren bestimmt. Es bestand somit ein krasses Mißverhältnis zwischen den aus der Tribuszugehörigkeit erwachsenden Pflichten, die jeder ungeachtet seiner gesellschaftlichen Position leisten mußte 1 Cf. E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989, 233ff. 2 Zur höheren Integrationsfähigkeit Roms im Vergleich zu griechischen Poleis cf. Ed. Meyer, Der Gang der alten Geschichte: Hellas und Rom, in: id., Kleine Schriften, Halle a.S. 1910, 231-282, bes.260f.; Ph. Gauthier, ‘Generosité’ romaine et ‘avarice’ grecque: Sur l’octroi du droit de cité, in: Mélanges Seston, Paris 1974, 207-215; id., Ktema 6, 1981, 167ff.; Ampolo, Paesaggio, 78, 82f.; J. Martin, Aspekte antiker Staatlichkeit, in: W. Eder (Hrg.), Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik, Stuttgart 1990, 220-232.

222

Die drei ältesten Tribus

(Wehrdienst und später Zahlung des tributum), und den politischen Rechten der Bürger, die sich zumeist nur auf die Teilnahme an den genannten Abstimmungsgremien beschränkten und ihnen das aktive aber nicht das passive Wahlrecht gewährten. In Athen dagegen war es nötig, den Zugang zum Bürgerrecht restriktiver zu handhaben, da ein einmal naturalisierter Fremder dieselben Rechte auf politische Teilhabe wie die Altbürger besaß, und keine gesellschaftliche Rangskala eine Beschränkung dieser Rechte implizierte. Während griechische Reformer im 6. Jh. die Macht des Adels mittels einer modifizierten Phylenorganisation gebrochen oder zumindest eingeschränkt hatten (Athen, Sikyon), hatte Servius Tullius mit seiner Tribusreform – sofern ihm überhaupt die Absicht einer Einschränkung der Rechte des Adels unterstellt werden darf – weit weniger Erfolg. Der gentilizische Adel hatte in Rom vermutlich von Anfang an einen Zugriff auf die Tribus, da er über seine Präsenz in den städtischen Institutionen und Ämtern sowie mit Hilfe der gentilizischen Organisation der Tities, Ramnes und Luceres die militärische Aushebung kontrollierte. Dieser Einfluß setzte sich in der Gründung und Organisation der Landtribus (Kap.IV.6) fort, die nach der servianischen Reform entstanden und in ihrer gentilizischen Benennung an die vorservianische Tradition anknüpften. Sie wurden nach dem Zuzug von gentes in die urbs gegründet und bildeten jeweils die Heimatbezirke dieser gentes. Die Differenzierung zwischen Land- und Stadttribus scheint ebenfalls ein Spezifikum des römischen Herrschaftsbereichs gewesen zu sein.1 Die Tribus in Rom waren somit nicht nur Segmente der Bürgerschaft, sondern zugleich auch Herrschaftsbezirke einer speziellen Gruppe innerhalb der Bürgerschaft, nämlich der patrizischen gentes. Sie garantierten einerseits die administrative Effektivität sowie die Wehrhaftigkeit der Stadt Rom und schufen so die Voraussetzungen für eine politische Partizipation der römischen Bürger. Andererseits blieben sie Instrumente der Herrschaftsausübung der Aristokratie, mit dem Unterschied, daß die Mitglieder der ältesten drei Tribus erst sekundär – über die Organisation in Kurien – die Bewohner der Landtribus dagegen primär gentilizisch organisiert waren. Die Tribus gewährten dem etablierten Adel durch seine Kontrolle der entsprechenden sozialen und ökonomischen Ressourcen eine Fortdauer seines Status und Prestiges. Dementsprechend verwundert es nicht, daß eine der wichtigsten Forderungen der plebejischen gentes in der Schaffung eigener, von ihnen kontrollierter Tribus bestand. Diese Forderung ist vermutlich, mit der Gründung der Clustumina (ca. 495; Kap. IV.4), nur zögerlich umgesetzt worden, bevor die Einrichtung der vier veientischen Tribus (387) plebejischen Geschlechtern die Möglichkeit ausgedehnteren Landerwerbs verschaffte. Mit ihnen wurde den plebejischen gentes der Zugang zu den ökonomischen und sozialen Ressourcen der Tribus geöffnet, die jedoch damit nicht „demokratischer“, sondern lediglich durch eine breitere Adelsclique als zuvor kontrolliert wurden; ihre politische Bedeutung stieg dadurch, daß sie Stimmeinheiten der ganzen und nicht nur der plebejischen Gemeinde wurden. Zwar scheint auch in zahlreichen griechischen Städten die Verständigung des Adels mit den Königen bzw. Tyrannen am 1

Ampolo, Paesaggio, 81, verwies auf Tenos. Der Bezug des ¥stu und der einzelnen Stadtregionen (tÒnoi) zur ™k pÒlewj genannten Phyle ist jedoch unsicher, cf. Jones, Public Organization, 209.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

223

Ursprung der Einführung von Phylen zu stehen.1 Anders als in Rom gewährten jedoch – angesichts verschärfter ökonomischer und politischer Krisenbedingungen – die meisten griechischen Gesetzgeber mit der Einführung der Phylen breiteren Volksschichten eine Beteiligung an der Lenkung der Poleis. Eine solche Beteiligung blieb in Rom aus und erfolgte auch später nur auf der Basis eines engen sozio-ökonomischen Differenzierungsrasters. Während die Phylen selbst in einer für griechische Verhältnisse überdimensionierten Polis wie Athen stets auf ein homogenes, in seinen Grenzen festgesetztes Territorium der Stadt bezogen blieben, lösten sich die römischen Tribus von diesem lokalen Zusammenhang. Sie wurden zwar auch weiterhin dort gegründet, wo römische Bürger bzw. Fremde lebten, die das römische Bürgerrecht mit Gründung der Tribus erhielten. Dies konnte jedoch in weit entfernten Regionen wie Kampanien (Falerna), Picenum (Velina), dem Sabinerland (Quirina) oder Etrurien (Arnensis, Sabatina, Stellatina, Tromentina) geschehen. Die Trennung der römischen Tribus vom eng definierten Stadtterritorium und ihre Übertragung auf Gebiete, die weit über die Ausmaße griechischer, etruskischer ja antiker Städte überhaupt hinausreichten, bildet sicherlich den fundamentalsten Unterschied zu den Phylen griechischer Poleis. Die Tribus wurden im Zuge der römischen Herrschaftsausdehnung zum Instrument der römischen Expansion und der Organisation des eroberten Gebietes. Dies hatte wichtige Konsequenzen nicht nur für die territoriale Ausdehnung Roms und die Zensusregistrierung (Dezentralisierung), sondern auch für das politische Tagesgeschäft. In Rom nahmen viel weniger Bürger der weit entfernten Landtribus als Bürger der nahegelegenen Land- bzw. Stadttribus an den Abstimmungen teil. Da jeder Tribus als Gruppeneinheit dasselbe Stimmgewicht zukam, war der Wert der Einzelstimme in den zuerst genannten, gering besetzten Bezirken von größerer Bedeutung als in den zuletzt genannten, übervölkerten Bezirken.2 Die vergleichsweise geringen Distanzen in den Polisterritorien verhinderten dagegen, daß es zu einer regionalen Bevorzugung bestimmter Wählergruppen 1

Roussel, Tribu, 311, betonte unter Hinweis auf M. Finley die unterschiedliche Machtfülle der griechischen Basileis (primi inter pares) und der römischen Könige als Urheber der Einrichtung von Tribus/Phylen. Das Bild der römischen Könige als unumschränkte Herrscher ist jedoch von der Forschung in den letzten Jahrzehnten relativiert worden, die die Macht der Könige weitgehend auf den sakralen (rex sacrorum) und militärischen Bereich (magister populi) reduziert und eine Sukzession von Militärführern unterschiedlicher Provenienz („condottieri“) annimmt, cf. etwa Valditara, Magister Populi, 69ff., 256, 301ff.; Cornell, Beginnings, 141-143. G. Migliorati, Forme politiche e tipi di governo nella Roma Etrusca del VI sec. A.C., Historia 52, 2003, 39-66, differenzierte zwischen einer tyrannisch-dynastischen Monarchie der Tarquinier und einer Monarchie der Militärführer (Servius Tullius, Porsenna). 2 Cf. M. Jehne, Integrationsrituale in der römischen Republik. Zur einbindenden Wirkung der Volksversammlungen, in: K.-J. Hölkeskamp et al. (Hrg.), Sinn (in) der Antike, Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 286. Die große Bedeutung der ländlichen Wählerschaft für den Ausgang der Abstimmungen in Rom sollte nicht bestritten werden. Insbesondere Stimmbürger der oberen Zensusklassen konnten es sich bei wichtigen Entscheidungen, die sie persönlich oder ihre römischen Patrone betrafen, leisten, einen langen beschwerlichen Weg von Lukanien oder der Transpadana auf sich zu nehmen. Quintus Cicero (Comm.Pet.30-32) ermahnt nicht umsonst seinen Bruder, die Liste der Tribuszuweisungen ganz Italiens (Italia tributim discripta) im Gedächtnis zu haben. Der Kandidat für das Konsulat im Jahre 54, Aemilius Scaurus, war über seinen Vater besonders einflußreich apud rusticos (Cic.Att.4.16.6).

224

Die drei ältesten Tribus

kam. 6.6.3.2. Gemeinsamkeiten Zwischen römischen Tribus- und griechischen Phylenordnungen ergeben sich zahlreiche Gemeinsamkeiten auf struktureller und funktionaler Ebene. Sowohl in griechischen Städten als auch in Rom offenbart die Einrichtung von Tribus bzw. Phylen ein gestalterisches, rationales Element, das den Willen der Verantwortung tragenden Stadtgründer und Stadtreformatoren nach Durchsetzung eines Höchstmaßes an Effektivität und Repräsentativität widerspiegelt Tribus und Phylen waren personale, teilweise territoriale Untereinheiten der Stadt und sollten eine Teilhabe der gesamten Bevölkerung – ohne regionale Unterschiede – an der Verteidigung und an der Verwaltung der Stadt garantieren, soweit dies mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten kompatibel war.1 Erst die Zugehörigkeit zu einer Tribus bzw. Phyle schuf die Voraussetzung für einen ungehinderten Zugang der Bürger zum Heeresaufgebot und zu wichtigen Institutionen bzw. Ämtern.2 Der römische wie der athenische Bürger stellte als Mitglieder einer Tribus bzw. Phyle seinen Einsatz für die Stadt im Heer, in der Volksversammlung und in den Gerichten unter Beweis, wobei in Rom die Einrichtung einer nach Tribus gegliederten Volksversammlung erst das Ergebnis einer länger währenden Auseinandersetzung zwischen patrizischen und plebejischen gentes war.3 Nicht nur die einzelnen Bürger, auch die Stadt als Summe der Bürger profitierte von der Einrichtung der Phylen, die zum Aufbau einer wirksamen Verteidigung und Verwaltung beitrugen und somit die Autonomie der Stadt gegenüber anderen Städten zu bewahren halfen. Die Tribus/Phylen umfaßten alle Bürger ungeachtet ihrer sozialen oder regionalen Herkunft. Somit lassen sich diese Einheiten weder in Rom noch in griechischen Poleis als Machtbasen von Adelsverbänden gegenüber der wachsenden Stadt verstehen.4 Sie dokumentieren vielmehr die funktionale Einbindung des Adels in die Aufgaben Stadt. In griechischen Gemeinden kann keine Verbindung zwischen Aristokraten und Phylen oder anderen Unterabteilungen der Bürgerschaft ausgemacht werden.5 Der römische Stadtadel entstand überhaupt erst im Laufe des 7. Jahrhunderts, nachdem sich das zweigliedrige Gentilnamensystem entwickelt hatte und die fortschreitende Urbanisierung und Institutionalisierung den Rahmen für die Konstituierung einer patrizischen Aristokratie bildeten. Weder die Tribus noch die Phylen waren Machtzentren des Volkes gegen eine Ausdehnung des adeligen Einflusses. Der Stadttrat auf Chios war eine Institution der ganzen Polis ebenso wie die römischen Tributkomitien, die nach 1

Cf. F. Ruzé, Les tribus et la décision politique dans les cités grecques archaïques et classiques, in: Cl. Nicolet (Hrg.), Du pouvoir dans l’antiquité: Mots et réalités, Genf 1990, 69-72. 2 In Rom ist dies allerdings nur für religiöse Ämter nachweisbar. 3 Cf. Kap.V.4.3.3. Zur Bedeutung städtischer Untereinheiten für die Selbstverwaltung griechischer Politen cf. auch M.H. Hansen, Conclusion: The Aspect of City-State Cultures in World History, in: id. (Hrg.), A Comparative Study of Thirty City-State Cultures, Kopenhagen 2000, 603-609. 4 Cf. T. Schneider, art.cit., 15. 5 Cf. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft, 158.

Die Tribus in ihrem geographischen Kontext

225

dem Vorbild des concilium plebis geformt waren, im Gegensatz zu diesen aber nicht nur Plebejer, sondern die gesamte Bevölkerung umfaßten. In Rom und in griechischen Städten waren die Tribus/Phylen Abstammungsgemeinschaften, die sich auf antike Heroen bzw. Könige zurückführten. Dies ist eine späte Entwicklung, die auf einer Umdeutung der ursprünglichen Funktion basiert. Die Wiederkehr der „dorischen“ und „ionischen“ Phylennamen im gesamten, von der griechischen Kolonisation erfaßten Raum ließ die Phylen als Relikte einer gemeinsamen Stammesverwandtschaft erscheinen, die auf legendäre Vorfahren zurückführbar waren. Die historische Rolle, die Schiedsrichter und das Orakel von Delphi bei der Verbreitung politischer Konzepte spielten, wurde dabei aus der Erinnerung getilgt. Auch in Rom ist die Verbindung der Ramnes mit Romulus, der Luceres mit Lucumo und der Tities mit Titus Tatius als sekundär zu betrachten. Die Tatsache, daß die Tribus einst Gentilverbände waren, die nach jeweils drei, vermutlich sehr einflußreichen gentes benannt waren, hat sich nur indirekt in der Überlieferung halten können, indem zum Beispiel der etruskische Dichter Volnius die Tribusnamen als etruskische Namen erklärte und somit gegen die zu seiner Zeit verbreitete These einer ethnischen Verbindung der Tribus mit Römern (Ramnes camidl > camitl > camill an. 7 Zum Bezug zwischen trojanischen und etruskischen Helden in der Tomba François cf. F. Zevi, Prigionieri troiani, in: Studi in memoria di Lucia Guerrini, Rom 1996, 115-127; Briquel, Regard, 93-98. 8 CIL XIV. 3080=I². 103 (C. Cameli C.f.); XIV. 3081=I². 104 (C. Camelio l.l.); XIV. 3082=I². 105 (Camelio N.l.); XIV. 3083=I². 106 (Camelia); XIV. 3084=I². 107 (Camelia C.f.); ILLRP 488=CIL I². 2856 (L. Camelio(s) L.f.L.n.). Rom: CIL VI. 200, 2002, 7693, 7694, 14301ff. 2

Die Gründung der 16 gentilizischen Landtribus

387

schiedenen Orten niederließen. Dafür spricht vielleicht auch eine Inschrift aus dem ager Vulcentanus, die die Worte mi kamethleces verzeichnet.1 Camilius könnte Vibenna als Söldner militärischen Beistand geleistet haben, ohne selbst in Vulci ansässig gewesen zu sein.2 6.2.2. Galerii Die meisten Forscher vermuteten, die Tribus Galeria stehe mit einem Toponym wie dem modernen Fosso Galeria, einem rechten Zufluß des Tibers, in Zusammenhang.3 Mit größerer Wahrscheinlichkeit aber wurde die Tribus nach einem etruskischen Gentiliz benannt.4 Ein korrespondierendes lateinisches Gentilnomen ist seit kurzem in zwei republikanischen Inschriften aus Ariminum belegt.5 6.2.3. Lemonii Auch die Tribus Lemonia geht wahrscheinlich auf einen etruskischen Gentilnamen zurück.6 Er kann mit den Formen lemni7 und lemausnas8 auf alten Inschriften aus Tarquinii bzw. Falerii in Verbindung gebracht werden. Eine gens Lemonia ist bislang nicht unter den republikanischen Senatoren vertreten, gleichwohl ist der Name in den lateinischen Inschriften dokumentiert.9 1

ET, AV 2.7. Cf. G. Colonna, La presenza di Vulci nelle valle del Fiora e dell’Albegna prima del IV secolo a.C., in: La civiltà arcaica di Vulci e la sua espansione, Florenz 1977, 207. MartínezPinna, Tarquinio Prisco, 258ff., hielt eine Herkunft der gens aus Saturnia für möglich. 2 Weder die gens Camilia noch die gleichnamige Tribus hatten etwas mit den Camillii zu tun, die freigeborene Jugendliche waren und dem flamen Dialis bei Opferungen assistierten (Varr.ling.7.34; Dion. 2.22.2). 3 Cf. Taylor, VDRR, 39; Alföldi, Early Rome, 316=id., Das frühe Rom, 281. 4 Calerial: CIE 3781=ET, Pe 1.329. Cf. ferner die Form cale: CIE 992=ET, Cl 1.893; 993= Cl 1.894; 1006= Cl 1.907; 1927=Cl 1.1428; 1928=Cl 1.1429; CIE 5516=Ta 1.100; CIE 104=ET, Vt 1.153; CIE 768=AS 1.449; TLE 752=ET, AH 3.3. Für die Rückführung auf einen Gentilnamen cf. Willems, Sénat I, 85. Zum etruskischen Ursprung des Namens, cf. Schulze, LE, 171; Franciosi, Tribù gentilizie, 22. 5 CIL I². 3396 (C. Galer(ius) M’.f. Masc(ulus)) und 3559 (Galeri). Für die Herleitung der Tribus von einem Gentilnamen cf. auch Cornell, Beginnings, 178. 6 Cf. Mommsen, Tribus, 7; Willems, Sénat I, 85; Beloch, RG, 334; Schulze, LE, 161, Anm.5; Ménager, Collèges, 517, Anm.1; Franciosi, Tribù gentilizie, 20. G. Colonna, Etruria e Lazio nell’età dei Tarquini, in: M. Cristofani (Hrg.), Etruria e Lazio arcaico, Rom 1987, 62, Anm.48, hielt einen faliskischen Ursprung des Tribusnamens für möglich. Für die Herleitung von einem Ortsnamen *Lemona cf. dagegen Palmer, AC, 142, Anm.2. 7 CIE 5447=TLE 105=ET, Ta 1.66 (Velqur Lemni). CIE 5692=ET, AT 1.10 (lemni qana). ET, Fe 7.2 (lemniteś). 8 CIE 8415a=TLE 28a=ET, Fa 2.1 (lemausnas), cf. Schulze, LE, 161, Anm.5; Ménager, Collèges, 517, Anm.1. 9 Skeptisch gegenüber einer etruskischen Herkunft der gens: C. De Simone, Gli imprestiti etruschi nel Latino arcaico, in: E. Campanile (Hrg.), Alle origini di Roma, Atti del Colloquio tenuto a Pisa il 18 e 19 sett. 1987, Pisa 1988, 31, Anm.29. Zum lateinischen Gentiliz: CIL V.2974, 3026; NSA 1931, 140 Nr.3; Schulze, LE, 161, Anm.5; O. Salomies/H. Solin, Repertorium nominum gentilium et

388

Die Landtribus

6.2.4. Pollii Die Existenz einer gens Pollia kann aus der gleichnamigen Tribus sowie einer Reihe etruskischer Inschriften, die vor allem im Gebiet von Tarquinii und Clusium gefunden wurden, abgeleitet werden. Der Gentilname taucht hier zumeist in der Form Pulena(s) und in den Varianten Puli, Pulia und Pulius auf.1 Das Nomen ist in seiner lateinischen Form in zahlreichen Inschriften belegt.2 Der Volkstribun des Jahres 248 v.Chr., Pullius (1), und der gleichnamige viocurus unbekannter Zeit könnten Nachfahren der etruskischen Familie gewesen sein.3 Statius kennt einen Pollius.4 6.2.5. Pupinii Auch für den Namen der Tribus Pupinia ist die Existenz einer gleichnamigen, in historischer Zeit verschollenen etruskischen gens hypothetisch voraussetzbar.5 Die lateinischen Gentilnamen Pupinius und Pupienus könnten zwar aus dem Tribusnamen abgeleitet sein.6 Dieser scheint aber wiederum ebenso wie die Namen der Camilia, Galeria, Lemonia und Pollia auf einen etruskischen Gentilnamen zurückzugehen. Rekonstruierbar wäre eine auf dem Vornamen *Pupae basierende Form *Pupa(i)ena (nai).7 cognominum Latinorum, Hildesheim 1988, 103. Cf. auch A. Marinetti/A.L. Prosdocimi, Nuovi ciottoloni venetici iscritti da Padova paleoveneta, in: B. Scarfì (Hrg.), Studi di Archeologia della X Regio in ricordo di Michele Tombolani, Rom 1994, 171-194 (Lemonei; Patavium). 1 Cf. Pulena(s): CIE 5430=TLE 131=ET, Ta 1.17; CIE 5431=ET, Ta 1.18; CIE 5432=ET, Ta 1.19. Puli: TLE 68=ET, Cr 2.122. Puliac: CIE 2096=TLE 535=ET, Cl 1.1645. Pulialiśa: CIE 2611=ET, Cl 1.2148. Pulias: CIE 2934=ET, Cl 1.2513. Pulia: ET, AS 1.203. Puliuś: TLE 711=ET, Sp 2.56. Cf. Willems, Sénat I, 85; Franciosi, Tribù gentilizie, 21. 2 CIL I². 83, 251-255, 1549, 1556, 1711, 2211, 2390; CIL XIV. 3220-3223. 3 Zum Volkstribun: Broughton, MRR 1, 215. Viocurus: H. Gundel, s.v. „Pullius” 2, RE XXIII,2, 1959, 1968; K. Ziegler. s.v. „Viocurus“, RE IX A,1, 1961, 156; Broughton, MRR 2, 485; 3, 176. Cf. Franciosi, Le Tribù gentilizie, 21f., Anm.66. Vielleicht war auch der Volkstribun des Jahres 421/20 v.Chr., dessen Name die meisten Texteditionen als „Pompilius“ wiedergeben (Liv.4.44.2), ein „Pullius“, cf. Ogilvy, Commentary, 600f. 4 Stat.silv.2.2.112. 5 Cf. Willems, Sénat I, 86; Schulze, LE, 213, 581; W. Hoffmann, s.v. „Pupius“, RE XXIII,2, 1959, 1984; Ménager, Collèges, 517, Anm.1; G. Franciosi, Storia di ‘gentes’ e storia di famiglie, in: Ricerche II, 14ff.; id., Tribù gentilizie, 22. 6 Pupinius: CIL II. 9; CIL III. 8110; CIL V. 7055. Pupienus, Pupienia: CIL VI. 25223ff. Weit verbreitet ist die Form Pupius: CIL XI. 1420, 1488 (Pisae), 2373, 2409=CIE 2639 (Clusium); XI. 4912 (Spoletium); XI. 6211ff.; 6689, 6695 (Saena). Cf. auch das faliskische Puponio (Vetter, HD, 274e). 7 Cf. C. De Simone, Etruskischer Literaturbericht: Neuveröffentlichte Inschriften 1970-1973 (mit Nachträgen), Glotta 53, 1975, 174, mit Hinweis auf den weiblichen Gentilnamen pupainei (CIE 2612=ET, Cl 1.2176; AS 1.44). Ferner: Pupaini: CIE 94=ET, Vt 1.138. Pupena(s): ET, OA 2.13 (Cf. auch die korrespondierenden lateinischen Formen in CIL VI. 3460; XI. 1740 (Volaterrae); CIL VIII. 877add). Pupaina(l): CIE 1607=ET, Cl 1.786; CIE 2506=Cl 1.2031; AS 1.106. Pupainei: CIE 2612 =Cl 1.2176. Pupeinal: AS 1.99. Pupi: CIE 4806=Cl 1.2024 (cf. auch pupie bei Vetter, HD, 43). Pupus: CIE 4817=Cl 1.255. Pupuś: CIE 341=AS 1.354.

Die Gründung der 16 gentilizischen Landtribus

389

6.2.6. Voltinii Vermutlich stand auch die Voltinia wie die fünf anderen Tribus in engem Zusammenhang mit einem Gentiliz.1 Ein entsprechender Name wird etruskischen oder faliskischen Ursprungs gewesen sein. Nach den Befürwortern eines etruskischen Hintergrunds stand zu Beginn der Entwicklung das Vornamengentiliz velθie,2 das sich zum Gentiliz velθiena/velθina und zur lateinischen Form Voltin(i)a bzw. Voltinius entwickelt hat.3 Der etruskische Gentilname ist in frühen Inschriften aus Perusia und Volsinii belegt, darunter auf einem cippus, der den berühmten Grenzstreit zwischen der gens Velθina und der gens Afuna dokumentiert.4 Auch die lateinische Form (Voltinius) ist zahlreich in Etrurien bezeugt, darunter in Forum Clodii, das der gleichnamigen Tribus zugewiesen wurde.5 Zu unterscheiden von der gens veltθiena ist die gens Velθuria, die in mehreren Inschriften vor allem aus Perusia und Clusium genannt ist6 und die mit der Tribusgens nichts zu tun hat. Sie könnte ihren Namen auch an den (kampanischen) Fluß Volturnus,7 die gleichnamige frührömische Tiber-Gottheit, deren Kultpflege einem flamen oblag,8 und den gleichnamigen Wind, den Lucrez dem Iupiter Altitonans zuschreibt, weitergegeben haben.9 1

Willems, Sénat I, 86. G. Colonna, SE 40, 1972, 425, Nr.31 (1. Hälfte 7. Jh.). 3 Cf. M. Cristofani, Voltumna: Vertumnus, AnnFaina 2, 1985, 77. Für den etruskischen Ursprung des Namens Voltinius cf. auch Schulze, LE, 259; Ménager, Collèges, 534; Franciosi, Tribù gentilizie, 21. 4 CIE 4538=TLE 570=ET, Pe 8.4; CIE 4528=ET, Pe 1.1030 (veltinal); CIE 4923=TLE 242=ET, Vs 1.4 (velthiena). 5 L. Gasperini, Il santuario romano delle acque all’Arcella di Canepina (VT), Rom 1988, 32, Anm.7; id., Iscrizioni latine rupestri nel Lazio, I. Etruria Meridionale, Rom 1989, S.53, E 8 (L. Voltinius L.l. Licinus). Cf. CIL XI. 3208 (Nepet): Sex. Voltinius Sex.f. Ste. Tuccian[us]. Zum faliskischen Personennamen voltenos in einer alten epikoreischen Inschrift aus Falerii: G. Giacomelli, La lingua falisca, Florenz 1963, 44ff., 244. Cf. ferner G. Colonna, Etruria e Lazio nell’ età dei Tarquini, in: M. Cristofani (Hrg.), Etruria e Lazio arcaico, Rom 1987, 62, Anm.48. 6 Perusia: ET, Pe 1.83 (velθuri), 81, 82, 1020 (velθurial). Clusium: ET, Cl 1.258, 893, 939, 1490, 1611 (velθuria(s/ś)), 1673 (velθurial); H. Rix, SE 60, 1995, 242, Nr.14 (velθuria); G. Paolucci, SE 64, 2000, 337, Nr.7 (velθuria); F. Buranelli/M. Sannibale, SE 64, 2000, 357-362, Nr.29 (velθurus; Mitte 7. Jh.). Die feminine Form lautete velθuria, die maskuline velθuri. 7 Cf. G. Radke, s.v. „Volturnus” 2, RE IX, A,1, 1961, 861-863. Das Gebiet des Volturnus war seit Ende des 4. Jhs. römisches Siedlungsgebiet, cf. Taylor, VDRR, 47-56. Von dem Fluß wiederum ist der Name der an dem Fluß gelegenen Kampanerkolonie Volturnum abgeleitet, cf. Liv.4.37.1-2; 34.45.1. 8 Volturnus (Velθurna) war aller Wahrscheinlichkeit nach der etruskische Name des Tibers. Zu den etymologischen Zusammenhängen cf. C. De Simone, Il nome del Tevere, SE 43, 1975, 145-149; Ménager, Collèges, 457f., Anm.3; J. Heurgon, Voltur, REL 14, 1936, 109-118. Außerdem gab es eine römische Gottheit namens Volturnus (G. Radke, s.v. „Volturnus“ 3, RE IX, A,1, 1961, 863f.). Der ihr zugeordnete flamen gehörte zu den sechs flamines minores, die von Numa neben den drei maiores eingeführt worden sein sollen: Varr.ling.7.45; Fest.292L; Enn.ann.116-118 mit dem Kommentar von Skutsch, S.268-270. Deren Fest, die Volturnalien, fanden am 27. August statt. Gegen eine Interpretation der Volturnalia und des flamen in Zusammenhang mit einem Tiber-Kult cf. allerdings Palmer, AC, 90, Anm.4, 103, mit der Begründung, der einzige uns erhaltene Kultname des Tibers sei Tiberinus gewesen. Palmer, AC, 173, nahm ferner die Existenz einer Kurie namens *Volturna an. 9 Lucr.5.745. Nach Palmer, AC, 103, Anm.2, erklärt sich der Name Volturnus, der augurale Konnotationen hatte (vultus, vultur), als Gott des Ortes Volturnum. Daneben existierte eine gens Voltiana, cf. 2

390

Die Landtribus

Für einen faliskischen Ursprung kann auf die in Civita Castellana (Falerii) gefundene Gefäßinschrift verwiesen werden, mit der ein Voltenos (Vokativ: voltene) gegrüßt wird und die in die zweite Hälfte des 7. Jhs. v.Chr. zu datieren ist.1 Der männliche Vorname scheint wie der lateinische Gentilname Voltinius eine Weiterentwicklung des faliskischen Pränomens volta bzw. voltio gewesen zu sein.2 Ein Voltinius ist in einer kaiserzeitlichen Inschrift aus dem in der Nähe von Falerii liegenden Nepet belegt.3 6.2.7. Ergebnisse Es besteht kein Grund zur Annahme, die Tribus Camilia, Galeria, Lemonia, Pupinia und Voltinia seien nach Lokalitäten benannt worden. An ihrem Ursprung werden wie im Fall der anderen elf alten Landtribus – mit Ausnahme der Clustumina – Gentilnanamen (Camilius, Galerius, Lem(o)nius, Pupinius und Voltinius) gestanden haben.4 Die Vermutung, die diesen Tribus entsprechenden Personennamen seien sekundär und von bereits frühzeitig existierenden Tribusnamen abgeleitet worden, ist angesichts des zumeist hohen Alters der inschriftlichen Belege unwahrscheinlich.5 Alte römische Ortsnamen basieren oft auf noch älteren Personennamen, wie zahlreiche andere Bei-

Schulze, LE, 159. 1 G.Q. Giglioli, NSA 1935, 241=Vetter, HD, 242b: Eco qutoneuotenosio tities duenom duenas salutem voltene. Für einen faliskischen Ursprung auch des Tribusnamens Voltinia cf. G. Giacomelli, La lingua falisca, Florenz 1963, 44ff., 244; G. Colonna, Etruria e Lazio nell’età dei Tarquini, in: M. Cristofani (Hrg.), Etruria e Lazio arcaico, Rom 1987, 62, Anm.48. 2 Cf. Vetter, loc.cit.; E. Peruzzi, Civiltà greca e Lazio preromano, Florenz 1998, 114. 3 CIL XI. 3208, 12: Sex. Voltinius Sex.f. Ste[llatina] Tuccian[us]. 4 Die Existenz von entsprechenden Gentilnamen wurde von Alföldi, Early Rome, 307=id., Das frühe Rom, 271; R. Werner, Vom Stadtstaat zum Weltreich, Gymnasium 80, 1973, 443, Anm.78; Palmer, AC, 154; I. Bitto, Tribus e propagatio civitatis, Epigraphica 30, 1968, 24, Anm.20; Forni, Menzione della tribù, 91, und K.-W. Welwei, Gefolgschaftsverband oder Gentilaufgebot? Zum Problem eines frührömischen familiare bellum (Liv.2.48.9), ZRG 110, 1993, 68, bestritten. Ménager, Collèges, 517, Anm.1, 2, 521, hielt ebenso wie Cels-Saint-Hilaire, République des tribus, 119ff., nur die Clustumina und Galeria für topographische Namen. Für einen gentilizischen Ursprung der alten Landtribusnamen cf. jedoch G.B. Niebuhr, Römische Geschichte I, 344, 367; Mommsen, Tribus, 7; id., Die römischen Patriciergeschlechter, 105f., id., RSt II,1, 168ff.; Willems, Sénat I, 84, Anm.1; Kubitschek, De Rom., 14; Schulze, LE, 161, Anm.5, 213, 259, 581; J. Binder, Die Plebs, Leipzig 1909, 276f. mit Anm.215; Hirschfeld, Geschichte der Tribus, 252; G. Niccolini, Le tribù locali romane, in: Studi in onore di P. Bonfante, Bd.2, 1930, 235; De Martino, Costituzione I, 8; A. Drummond, Rome in the Fifth century II: The Citizen Community, CAH 2VII,2, 179; De Francisci, Primordia Civitatis, 673; Taylor, VDRR, 7, Anm.13; Cl. Nicolet, L’onomastique des groupes dirigeants sous la république, in: N. Duval (Hrg.), L’onomastique latine, Colloques internationaux du CNRS N°564, Paris 1977, 50, Anm.3; A. Momigliano, The Origins of Rome, CAH 2VII,2, 100; G. Franciosi, Storia di ‘Gentes’ e storia di famiglie. Una messa a punto storico-cronologica, in: Ricerche II, 14ff.; id., Tribù gentilizie, 10ff.; Gasperini, ETD, 159, Anm.26. 5 Palmer, AC, 71, 142, Anm.2, leitete zu Unrecht den Namen der gens Fabia von der Tribus ab. Die gens ist seit dem 7. Jh., also vor Gründung der Landtribus und vemutlich auch vor Gründung der ältesten drei gentilizischen Tribus, inschriftlich nachweisbar. Cf. Kap.IV.6.3.4. Auf die Priorität der Gentilnamen vor den Tribusnamen verwies mit Recht Cornell, Beginnings, 178.

Die Gründung der 16 gentilizischen Landtribus

391

spiele belegen.1 Ferner gilt es zu bedenken, daß die Tribus Claudia und Papiria ihre Namen von den entsprechenden gentes erhalten haben und nicht umgekehrt. Wie gezeigt wurde, gibt es zahlreiche etruskische Inschriften von Gentilnamen, die mit den Namen der sogenannten lokalen Tribus in Verbindung gebracht werden können. Die antiquarische Literatur kennt einzelne Tribus – überliefert sind entsprechende Etymologien für die Lemonia und die Stadttribus Suburana –, die nach pagi benannt wurden.2 Die pagi wurden jedoch wahrscheinlich erst unter Servius Tullius gegründet und bezeichneten als Untergliederungen der Tribus jene Bezirke, die einstmals außerhalb der besiedelten Gebiete der Stadt (colles, montes) lagen.3 Davon, daß sowohl die Namen der pagi als auch die der tribus nach Gentilnamen gebildet waren, hatten die Antiquare offenbar keine Kenntnis mehr. Die lateinischen Pendants kamen zwar durchaus noch in der Epoche vor, in der Verrius Flaccus, der diese Etymologien aufgestellt hat, sein Werk De verborum significatu schrieb. Die Träger dieser Namen konnten aber in keinen Zusammenhang mehr mit bekannten senatorischen gentes gebracht werden, zumal sie in den republikanischen Beamtenlisten nicht mehr vertreten waren. Stattdessen griff man auf die pagi zurück, die noch in der Kaiserzeit als städtische und ländliche Untergliederungen bekannt waren und die aufgrund ihres archaischen Charakters als natürliche Vorgängerinstitution der römischen Lokaltribus betrachtet werden konnten, in Wahrheit jedoch vermutlich jüngeren Datums waren (Kap.III.5).

6.3. Die Namen der in den Fasti vertretenen Tribusgentes 6.3.1. Aemilii Die Aemilii führten ihre Abstammung bis auf Numa zurück. Nach einem Teil der Überlieferung stammten sie von dem Numa-Sohn Mamercus ab, dessen Name (auch in der abgeleiteten Form Mamercinus) einige Mitglieder der gens als Prä- und Cognomen führten.4 Andere Versionen hielten den Stammvater der Aemilier für einen Sohn des Ascanius, des Gründers von Alba Longa, Aimylos, und einen Bruder des Iulus.5 Einem weiteren Überlieferungsstrang zufolge war Aemilia, die Tochter des Aeneas

1

Zur römischen Praxis, Orte nach (etruskischen) Personen zu benennen cf. auch Schulze, LE, 547f.; O. Salomies, Three Notes on Roman Nomina, Arctos 32, 1998, 206f. Nicht zu entscheiden ist, ob der Hügel Cispius nach dem Anagner Cespius und der Oppius nach einem Tusculaner benannt wurde, wie Varro ap.Fest.476L behauptet. 2 Paul.Fest.102L: Lemonia tribus a pago Lemonia appellata, qui est a porta Capena via Latina; 403L: Subura regio Romae a pago Succusano vocabulum traxit, quod ei vicinum fuit. Cf. Mommsen, RSt III,1, 170, 162, Anm.1; Beloch, RG, 334; De Sanctis, StRom II, 18ff.; J.W. Kubitschek, s.v. „Fabia“, DE III, Rom 1922, 2; Franciosi, Tribù gentilizie, 20. 3 Cf. Kap.III.5. 4 Plut.Numa 8.10, Aem.Paul.2.2; Paul.Fest.22L s.v. „Aemiliam gentem“. Nach Plut.Numa 8.18-19 soll Numa seinen Sohn nach dem Sohn des Pythagoras benannt haben. Andere hielten Mamercus für einen leiblichen Sohn des Pythagoras, cf. Paul.Fest.22L; Plut.Aem.Paul.2.1-2. 5 Paul.Fest.22L. Cf. Plut.Num.21.1ff. Sil.8.293-297 nennt einen Amulios als Stammvater.

392

Die Landtribus

und Mutter des Romulus, die Urahnin der gens.1 Beide letzteren Angaben könnten eine Herkunft der Aemilier aus Latium nahelegen. Die Autoren, die die Aemilier auf Numa zurückführen, setzen dagegen eine sabinische Herkunft der gens voraus.2 Sie scheinen die Absicht gehabt zu haben, eine konstruierte Erklärung für das Cognomen Lepidus zu liefern. Zwar sind auch die anderen Versionen das Produkt legendärer Genealogien. Die Etymologie des Namens Mamercus liefert jedoch einen wichtigen Hinweis darauf, daß zumindest ein nicht unbedeutender Teil der gens zu einer latinischen Ethnie gehörte, die den Gott Mars verehrte.3 Eine Inschrift aus Clusium, die den Namenszug eimlnei verzeichnet, ist zu isoliert, als daß sie als Herkunftsbeleg genommen werden könnte.4 Das Fehlen von Nachrichten zum Herkunftsort der gens deutet vielleicht auf eine frühe Niederlassung der gens Aemilia in Rom.5 Alle senatorischen Aemilier der weit verzweigten gens könnten vom Vater des dreifachen Konsuls von 484, 478, 473 v.Chr. (RE 96), L. Aemilius Mamerci f. Mamercus, abstammen, der gegen Ende der Königszeit und zu Beginn der Republik gelebt haben wird.6 6.3.2. Claudii Die Herkunft der gens Claudia ist in der Forschung umstritten und reicht von sabinisch über latinisch bis etruskisch. Eine sabinische Herkunft wird durch die schriftliche Überlieferung nahegelegt, die von einer Einwanderung der gens aus dem Sabinerland zu Beginn der Republik ausgeht. Die meisten Forscher folgten ihr, wenn auch Zweifel an dem Zeitpunkt der Einwanderung geäußert wurden.7 Außerdem gibt es Hinweise darauf, daß Pränomen und 1 Plut.Rom.2.3. Diese Tradition ist früh entstanden, da sie offenbar noch nicht die bereits von Fabius Pictor referierte Herrschaft der Albanerkönige kannte, cf. T.P. Wiseman, Rome and the Resplendent Aemilii, in: id., Roman Drama and Roman History, Exeter 1998, 110f. 2 Zu den numaischen gentes, zu denen ferner die Calpurnii, Pinarii, Pomponii und Marcii gehörten, cf. Münzer, RA, 156; J. Gagé, Apollon Romain, Paris 1955, bes.297-347; J.P. Morel, Thèmes sabins et thèmes numaïques, MEFRA 74, 1962, 20-29, 48-59; E. Gabba, Considerazioni sulla tradizione letteraria sulle origini della repubblica, in: Entretiens XIII, 159-161; J. Poucet, Les Sabins aux origines de Rome, ANRW 1,1, 1972, 123. 3 Ov.fast.3.87ff.; Paul.Fest.22L. Cf. Schulze, LE, 465f.; F. Münzer, s.v. „Mamercus“ 2, RE XIV,1, 1928, 950. Zum Marskult cf. U.W. Scholz, Studien zum altitalischen und altrömischen Marskult und Marsmythos, Heidelberg 1970; M.A. Levi, Sul Patriziato romano, PP 45, 1990, 432. Für eine latinische Herkunft cf. auch Ranouil, Patriciat, 185. 4 CIE 692=ET, Cl. 1.1066. Cf. Schulze, LE, 105, Anm.5. 5 Cf. M.A. Levi, Les Gentes a Roma e le XII Tavole, DHA 21,1, 1995, 124. 6 Cf. Ö. Wikander, Senators and Equites V: Ancestral Pride and Genealogical Studies in Late Republican Rome, ORom 19, 1993, 85. Zur weiten Verzweigung der gens cf. auch Fest.83L: Gens Aelia apellatur, quae ex multis familiis conficitur. 7 Cf. Kap.IV.3. Für eine sabinische Herkunft cf. Mommsen, RSt III, 26, Anm.1, 170ff.; id., RF I, 72; Willems, Sénat I, 11f., 14f., 76; Taylor, VDRR, 36. C. Ampolo, DArch 6, 1970-71, 40; id., Gli Etruschi e Roma, 61 (der auf das sabinische Ortscognomen Inregillensis verwies); Ménager, Collèges, 515; Ranouil, Patriciat, 178, 184; B.J. Kavanagh, The Admission of the Claudian Family to Rome, AHB 4, 1990, 129, Anm.1.

Die Gründung der 16 gentilizischen Landtribus

393

Gentilnomen des Appius Claudius sabinisch sind, wobei es nicht notwendig ist von einem originären Namen Attius Clausus – so wie er bei Livius überliefert ist – auszugehen. Livius ist der einzige, der sagt, Attius Clausus sei später Appius Claudius genannt worden.1 Aber auch andere Autoren verwenden das Nomen Clausus neben Claudius.2 Clausus (