Bild und Wahrnehmung der Stadt 9783412215330, 9783412205959

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Bild und Wahrnehmung der Stadt
 9783412215330, 9783412205959

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¨ DTEFORSCHUNG STA Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster begru¨ndet von Heinz Stoob in Verbindung mit

U. Braasch-Schwersmann, W. Ehbrecht, H. Heineberg, P. Johanek, M. Kintzinger, A. Lampen, R.-E. Mohrmann, E. Mu¨hle, F. Opll und H. Schilling herausgegeben von

We r n e r F r e i t a g Reihe A: Darstellungen Band 63

BILD UND WAHRNEHMUNG DER STADT herausgegeben von Peter Johanek

2012 ¨ HLAU VERLAG WIEN KO ¨ LN WEIMAR BO

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Charles C. Ebbets, Men on Beam at Rockefeller Center 1932 c Charles C. Ebbets and Ebbets Photo-Graphics, LLC 

c 2012 by Bo¨hlau Verlag GmbH & Cie, Wien Ko¨ln Weimar  Ursulaplatz 1, D-50668 Ko¨ln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzula¨ssig. Redaktion: Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, Mu¨nster http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte Layout und Satz: Peter Kramer Buch & Satz, Mu¨nster Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mo¨rlenbach Gesetzt aus der Linotype Stempel Garamond 10pt. Gedruckt auf chlor- und sa¨urefreiem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-412-20595-9

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII

Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Peter Johanek Bild und Wahrnehmung der Stadt. Anna¨herungen an ein Forschungsproblem

1

Lucas Burkart Die Stadt der Bilder. Verona im Spa¨tmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Juhan Kreem Federzeichnungen in Revaler Ka¨mmereibu¨chern. Eine Quelle fu¨r die Wahrnehmung der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Maria Bogucka Die Weichselsta¨dte im Bild der polnischen Literatur des ausgehenden 16. und der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Marc Boone et Elodie Lecuppre-Desjardin Entre vision ide´ale et repre´sentation du ve´cu. Nouveaux aperc¸us sur la conscience urbaine dans les Pays-bas a` la fin du Moyen Age . . . . . . . . . . .

79

Desanka Kovaˇcevi´c-Koji´c L’image de Belgrade dans les œuvres des contemporains (1403–1521) . . . .

99

Raingard Eßer Sta¨dtische Geschichtsschreibung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert. Chorographie und Erinnerungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105

Wolfgang Schmid Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte. Zum Image deutscher Metropolen um 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

VI

Inhalt

Angelika Corbineau-Hoffmann Fragmentarita¨t, Fremdheit, Fiktionalita¨t. Literarische Großstadtbilder zwischen Wahrnehmung und Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

Index der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

VORWORT

Der hier vorgelegte Band vereint die Referate einer Tagung, die im September 2004 vom Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Zusammenarbeit mit der „Commission Internationale pour l’Histoire des Villes“ in Mu¨nster veranstaltet wurde. Diese Tagung stand in Zusammenhang mit den Aktivita¨ten der Kommission, die fu¨r die Jahre von 2001 bis 2004 das Thema „Bild und Wahrnehmung der Stadt“ als Arbeitsgebiet festgelegt hatte. Drei diesem Thema gewidmete Tagungen waren vorangegangen. In Bologna standen 2001 die italienischen Sta¨dte im Mittelpunkt, 2002 ´ die Sta¨dte des Hanseraums, wa¨hrend in Wien 2003 u¨berwiegend in Thorn (Torun), ¨ sterreichs und des su¨dlichen Ostmitteleuropa behandelt wurden (s. Anm. 13 Sta¨dte O auf S. 5). Auch in Mu¨nster war die internationale Perspektive beibehalten worden. Die Beitra¨ge allerdings bescha¨ftigten sich weniger mit dem klassischen Thema des Verha¨ltnisses von Abbildung und kartographischer Darstellung zur gebauten Realita¨t, als vielmehr mit dem imaginaire der Stadt, wie es in literarischen Werken, in der Geschichtsschreibung, in den Bildzeugnissen und in der Erinnerungskultur aufzufinden ist. Dieser letzte Band der Serie greift damit einen Aspekt der Forschung auf, der wa¨hrend des letzten Jahrzehnts immer sta¨rker in den Vordergrund geru¨ckt ist. Leider sahen sich nicht alle Referenten der Tagung in der Lage, ihren Beitrag fu¨r die Drucklegung zur Verfu¨gung zu stellen, und der Band erscheint in erheblichem zeitlichem Abstand zur Tagung (Manuskriptstand 2005). Der Herausgeber ist dennoch zuversichtlich, dass die hier versammelten Aufsa¨tze sich gleichwohl als von dauerhaftem Wert erweisen und die weitere Forschung zu stimulieren vermo¨gen. Den Autoren ist fu¨r ihre lange Geduld zu danken und ein besonderer Dank gilt der Redaktion der Reihe „Sta¨dteforschung“, in der Mechthild Siekmann mit gewohnter unermu¨dlicher Tatkraft und Gru¨ndlichkeit das mu¨hsame Gescha¨ft der Drucklegung besorgte. Mu¨nster, im Ma¨rz 2012

Peter Johanek

VERZEICHNIS DER AUTOREN

Prof. Dr. Dr. h. c. Maria Bogucka Instytut Historii Polska Akademia Nauk ´ Nowy Swiat 72 PL-00-330 Warszawa

Prof. em. Dr. Dr. h. c. Peter Johanek Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte Ko¨nigsstraße 46 D-48143 Mu¨nster

Prof. Dr. Marc Boone Vakgroep middeleeuwse Geschiedenis Universiteit Gent Blandijnberg 2 B-9000 Gent

Prof. Desanka Kovaˇcevi´c-Koji´c Department of Historical Sciences Serbian Academy of Sciences and Arts 35, Knez Mihailova YU-11000 Belgrade, P. B. 136

Prof. Dr. Lucas Burkart Historisches Seminar Universita¨t Luzern Frohburgstraße 3 CH-6002 Luzern

Dr. Juhan Kreem Tallinn Town Archives Tolli 6 EE-10133 Tallinn

Prof. Dr. Raingard Eßer Faculty of Arts Rijksuniversiteit Groningen Oude Kijk in ’t Jatstraat 26 NL-9712 EK Groningen

Dr. Elodie Lecuppre-Desjardin Institut de Recherches Historiques de Septentrion, UMR 8529 Centre National de la Recherche Scientifique, BP 60149 Universite´ de Lille 3 F-59653 Villeneuve d’Ascq cedex

Prof. Dr. Angelika Hoffmann-Maxis Institut fu¨r Klassische Philologie und Komparatistik Universita¨t Leipzig Beethovenstraße 15 D-4107 Leipzig

Prof. Dr. Wolfgang Schmid Bu¨ro fu¨r historische Forschung Friedrichstraße 39 D-56333 Winningen

¨ RZUNGEN UND SIGLEN VERZEICHNIS DER ABKU

a) Abku¨rzungen Beih. ders. Hbg. Lat. ¨ sterrAkWiss O

Beiheft derselbe Hervorhebung Latein, lateinisch ¨ sterreichische Akademie der O Wissenschaften

TLA u. o¨. Verf.

Tallinna Linnaarhiiv/Stadtarchiv Tallinn und o¨fter Verfasser

b) Siglen AbhGAugsburg AfD AHVN AKG AnzGNM ArbKG ArchGeschBuchwesen ArchMrhKG BeitrLKG BGStM BrschwWerkstu¨cke Die alte Stadt ZSSD EuropHochschulSchrr FAZ FMSt FSGA NZ HStud HZ JbKo¨lnGV JbRhVDenkm Ko¨lnDomBl KurtrJb LdkdlVjbll LexMA MGH SSrG i. u. s. MhEvKGRhld ¨G MIO MittVGNu¨rnberg MMS

Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg Archiv fu¨r Diplomatik Annalen des Historischen Vereins fu¨r den Niederrhein Archiv fu¨r Kulturgeschichte Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Arbeiten zur Kirchengeschichte Archiv fu¨r Geschichte des Buchwesens Archiv fu¨r mittelrheinische Kirchengeschichte Beitra¨ge zur Landes- und Kulturgeschichte Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas Braunschweiger Werkstu¨cke Die alte Stadt. Zeitschrift fu¨r Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege Europa¨ische Hochschulschriften Frankfurter Allgemeine Zeitung Fru¨hmittelalterliche Studien Ausgewa¨hlte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit – Freiherrvom-Stein-Geda¨chtnisausgabe [B] Historische Studien (Campus-Verlag) Historische Zeitschrift Jahrbuch des Ko¨lnischen Geschichtsvereins Jahrbuch des Rheinischen Vereins fu¨r Denkmalpflege und Landschaftsschutz Ko¨lner Domblatt Kurtrierisches Jahrbuch Landeskundliche Vierteljahrsbla¨tter Lexikon des Mittelalters MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum Monatshefte fu¨r Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes ¨ sterreichische Geschichtsforschung Mitteilungen des Instituts fu¨r O Mitteilungen des Vereins fu¨r Geschichte der Stadt Nu¨rnberg Mu¨nstersche Mittelalter-Schriften

X Nu¨rnbF PublGesRhGkd QAbhMrhKG RefStud RGA RhHeimatpfl SMGB StF A StF B StF C StudKo¨lnKG SVRefG TChr THF VGesFrkG VInstEurG VKo¨lnGV VL VL2 VMPI VStadtADortmund VStadtASchweinfurt VSWG VuF VZIKunstg WallrafRichartzJb ZfO ZHF ZHVSchwab ZSchweizArchKunstG

Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen Nu¨rnberger Forschungen Publikationen der Gesellschaft fu¨r Rheinische Geschichtskunde Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Reallexikon der germanischen Altertumskunde Rheinische Heimatpflege Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige Sta¨dteforschung, Reihe A: Darstellungen Sta¨dteforschung, Reihe B: Handbu¨cher Sta¨dteforschung, Reihe C: Quellen Studien zur Ko¨lner Kirchengeschichte Schriften des Vereins fu¨r Reformationsgeschichte Trierische Chronik Trierer Historische Forschungen Vero¨ffentlichungen der Gesellschaft fu¨r Fra¨nkische Geschichte Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Europa¨ische Geschichte Vero¨ffentlichungen des Ko¨lnischen Geschichtsvereins Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl. Vero¨ffentlichungen des Max-Planck-Instituts fu¨r Geschichte Vero¨ffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund Vero¨ffentlichungen des Stadtarchivs Schweinfurt Vierteljahrschrift fu¨r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vortra¨ge und Forschungen Vero¨ffentlichungen des Zentralinstituts fu¨r Kunstgeschichte Wallraf-Richartz-Jahrbuch Zeitschrift fu¨r Ostforschung Zeitschrift fu¨r Historische Forschung Zeitschrift des Historischen Vereins fu¨r Schwaben (und Neuburg) Zeitschrift fu¨r Schweizerische Archa¨ologie und Kunstgeschichte

BILD UND WAHRNEHMUNG DER STADT Anna¨herungen an ein Forschungsproblem* von Peter Johanek

Die Deutschen lieben es im allgemeinen, zu Eingang ihrer Reden die Dichter sprechen zu lassen. Doch nicht alle Wissenschaftler lieben das, vor allem nicht die Historiker, denn sie sind ja bemu¨ht, sich mit facta, mit Fakten zu bescha¨ftigen, nicht mit Fiktionen, mit res fictae, mit fabulae, die schon die mittelalterlichen Chronisten aus ihren Darstellungen zu verbannen behaupteten, auch wenn sie nicht stets dieser Maxime folgten1. Historiker lieben daher auch fiktionale Texte nicht und na¨hern sich ihnen nur selten, sehr zu ihrem Schaden, wie ich meine. Daher stelle ich – gemeiner Rednergewohnheit folgend – einen fiktionalen Text, ein Gedicht, an den Beginn – aus gutem Grunde, wie es sich hoffentlich im weiteren Verlaufe erweisen wird: „Am grauen Strand, am grauen Meer Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel dru¨ckt die Da¨cher schwer, Und durch die Stille braust das Meer Einto¨nig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schla¨gt im Mai kein Vogel ohn’ Unterlaß; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras.

* Der hier abgedruckte Beitrag geht auf den o¨ffentlichen Abendvortrag der Tagung zuru¨ck, deren Refe-

rate in diesem Sammelband vereint sind. Der Vortragscharakter wurde im allgemeinen beibehalten, mit Literaturangaben wurde sparsam umgegangen, auch unter den im Text genannten und wa¨hrend des Vortrags gezeigten Bildbeispielen musste eine Auswahl getroffen werden. 1 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae, hg. v. Wallace Martin Lindsay, Oxford 1966, I, xli,5, vgl. dazu etwa Peter Johanek, Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen, in: Historisches und fiktionales Erza¨hlen im Mittelalter, hg. v. Fritz Peter Knapp/Manuela Niesner (Schriften zur Literaturwissenschaft 19), Berlin 2002, S. 9–25, hier S. 10–12.

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Peter Johanek

Doch ha¨ngt mein ganzes Herz an dir, Du graue Stadt am Meer; Der Jugend Zauber fu¨r und fu¨r Ruht la¨chelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt am Meer.“ Es ist dies ganz sicher das bekannteste einer Stadt gewidmete Gedicht in deutscher Sprache. Es stammt von Theodor Storm, ist u¨berschrieben „Die Stadt“ und gemeint ist Husum, an der Nordseeku¨ste Schleswigs, die Stadt, in der der Dichter geboren wurde und seine Kindheit und seine Jugend verbrachte2. Es ist keine Frage, Theodor Storm zeichnet ein Bild Husums, ein Bild einer Stadt, ohne sie in Einzelheiten zu beschreiben. Er sucht vielmehr ihre Eigenart nach den Regeln des lyrischen Bildes zu erfassen3, indem Elemente einer Vorstellungskette – die hier dem Bereich der Natur entnommen sind – aneinandergereiht werden. Es sind Elemente, die untereinander Verwandtschaft aufweisen und beim Ho¨rer bestimmte Impulse auslo¨sen. Hier evozieren sie ein Bild der Stadt Husum, dem jeder zustimmen wird, der die Stadt besucht hat, vor allem etwa im November. Es ist ein Bild, das durch des Dichters eigene Empfindung, gegru¨ndet auf biographische Erinnerung, in der dritten Strophe aufgehoben wird, ohne dass die Gu¨ltigkeit des Bildes insgesamt zersto¨rt wu¨rde. Storm zeichnet ein Bild der Stadt mit Worten, und auf die Implikationen seines Verfahrens wird noch zuru¨ckzukommen sein. Doch der Titel dieses Beitrags, wie dieses Sammelbandes insgesamt – „Bild und Wahrnehmung der Stadt“ – weckt sicherlich zuna¨chst ganz andere Erwartungen: Um gezeichnete, gestochene, um gemalte Abbilder der Stadt sollte es in den hier versammelten Beitra¨gen gehen, die die Realita¨t des gebauten Stadtraumes zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Geschichte wiedergeben, kurz um Zeugnisse der bildenden Kunst. Der Sta¨dtehistoriker, der zumeist seine wissenschaftliche Schulung – seine Erudition – herko¨mmlicherweise durch die Analyse von Texten erfahren hat, greift nicht selten notgedrungen zu diesen bildlichen Zeugnissen, weil seine gewohnheitsma¨ßig genutzten Quellen – die Texte – ha¨ufig versagen, wenn es um die Rekonstruktion von Topographie, von Baubestand, Straßenfu¨hrung und Eingrenzung des sta¨dtischen Areals geht. Er findet – selbst zum Gebrauch ungeschult – diese Quellengattung in der Hand der Kunsthistoriker, Vertreter einer Disziplin, die sich von der seinen nicht unwesentlich unterscheidet. Oder besser gesagt, er sollte sie doch dort finden, obwohl konstatiert werden muss, dass die bildlichen Stadtdarstellungen in der Regel nicht zu den Spitzenleistungen von Malerei und Graphik geho¨ren und daher das Interesse der Kunsthistoriker am Gegenstand nur wenig oder ma¨ßig gescha¨rft haben. Ganz gewiss geho¨rten und geho¨ren sie nicht zu den bevorzugten Sujets der Disziplin. Der topographisch interessierte Historiker na¨hert sich ha¨ufig, ja wiederum in der Regel, den bildlichen Zeugnissen der Stadt zuna¨chst naiv, vor allem auch den großen 2 Theodor Storm, Sa¨mtliche Werke, hg. v. Karl Ernst Laage/Dieter Lohmeier, Bd. 1: Gedichte, Novel-

len 1848–1867 (Bibliothek deutscher Klassiker 19), Frankfurt a. M. 1987, S. 14.

3 Vgl. dazu etwa Walther Killy, Wandlungen des lyrischen Bildes, Go¨ttingen 31961, S. 80f.

Bild und Wahrnehmung der Stadt

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Sta¨dtebu¨chern der fru¨hen Neuzeit, die ein bildliches Panorama oder gar Kompendium der Sta¨dte dieser Zeit zu bieten suchten: der Weltchronik des Hartmann Schedel4, Braun/Hogenbergs Civitates orbis terrarum5 oder der Topographia Germaniae des Mattha¨us Merian6 aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Ha¨ufig und lange Zeit haben die Stadthistoriker diese Darstellungen, Ansichten, Veduten, Vogelschauen oder Risse entweder rein illustrativ verwendet oder sie unreflektiert und unbeku¨mmert als Informationsquelle fu¨r die topographischen Verha¨ltnisse genutzt, ohne quellenkritische Fragen an das Bild zu stellen analog zu den Verfahren, wie man sie aus dem Umgang mit Texten gewohnt war. Davon kann man sich schnell vermittels einer flu¨chtigen Durchsicht insbesondere a¨lterer Sta¨dtemonographien u¨berzeugen. Allenfalls Fehler, mangelnde Detailkenntnis der Ku¨nstler wurden aus der gru¨ndlichen Vertrautheit mit den lokalen Verha¨ltnissen heraus diskutiert und erkla¨rt, ohne dass dabei den jeweiligen Forschern sich die Frage nach den allgemeinen Darstellungsprinzipien gestellt ha¨tte, die es bei der Interpretation zu beachten gilt. Nicht erkannt wurde – und ha¨ufig genug geschieht dies auch noch heute –, dass es sich hier um ein Problem handelt, das nur im interdisziplina¨ren Zugriff zu lo¨sen ist. Das ist sicherlich ein zu harsches, ein zu plakatives Urteil. Jedem Betrachter jener Bildkompendien fiel selbstversta¨ndlich das wohlbekannte Faktum auf, dass dort gelegentlich mit Versatzstu¨cken gearbeitet wurde, mit Darstellungen, die mit abgebildeter Realita¨t nichts zu tun haben. In der Schedelschen Weltchronik, einem der großen kommerziellen Unternehmungen des fru¨hen Buchdrucks an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit – 1493 von Anton Koberger in Nu¨rnberg ins Werk gesetzt – erscheinen beispielsweise auch Ravenna, Tusculum, Toulouse und andere Sta¨dte. Sie werden sa¨mtlich mit der gleichen bildlichen Darstellung belegt und nur durch die Bildu¨berschrift voneinander differenziert. Noch krasser vielleicht zeigt sich der Befund in einem weniger bekannten Werk, der Croneken der Sassen eines Konrad Botho aus Braunschweig, 1492 in Mainz gedruckt und mit einer großen Zahl von Holzschnitten versehen, die auch Stadtdarstellungen bringen7. Auch hier kommt es zur Verwendung identischer Darstellungen fu¨r verschiedene Sta¨dte. Mu¨nster beispielsweise a¨hnelt Halberstadt, Hamburg und Hildesheim bis in die letzten Einzelheiten (s. u. Abb. 2 u. 3). Lediglich ¨ berschriften geben Aufschluss daru¨ber, auf welche die Wappen und wiederum die U Stadt man nach dem Willen des Illustrators zu blicken hat. Ein Bezug zur Realita¨t ist in keinem dieser Fa¨lle gegeben. 4 Hartmann Schedel, Buch der Cronicken und gedechtnus wirdigern geschichten von anbegyn der

werlt ..., Nu¨rnberg, Anton Koberger 1493; Faksimiledruck u. a.: Hartmann Schedel, Weltchronik, Ko¨ln 2001. 5 Georg Braun/Franz Hogenberg, Civitates orbis terrarum, Bd. 1–6, Ko¨ln 1572–1617; dt. Ausgabe: Beschreibung und Contrafactur der vornembster Staet der Welt, Bd. 1–6, Ko¨ln 1574–1618; Faksimiledruck: Kassel 1965. 6 Matthaeus Merian, Topographia Germaniae, 16 Bde., Frankfurt a. M. 1642–1654 [Text: Martin Zeiller]; verschiedene Faksimile-Ausgaben, zuletzt Braunschweig 2005, in 8 Ba¨nden. 7 Konrad Botho, Cronecken der Sassen, Mainz, Peter Scho¨ffer, 1492 (GW 4963; BC 197), vgl. Leo Baer, Die illustrierten Historienbu¨cher des 15. Jahrhunderts, Straßburg 1903 (ND Osnabru¨ck 1973); Carl Schaer, Conrad Botes niedersa¨chsische Bilderchronik, ihre Quellen und ihr historischer Wert, Hannover 1880; Brigitte Funke, cronecken der sassen. Entwurf und Erfolg einer sa¨chsischen Geschichts¨ bergang vom Mittelalter zur Neuzeit (BrschwWerkstu¨cke A 48), Braunschweig 2001. konzeption am U

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Peter Johanek

Und doch: Jeder Betrachter jener Darstellungen – in deren Entstehungszeit und auch heute – versteht die jeweilige Darstellung als die Abbildung einer Stadt, welcher auch immer. Er entschlu¨sselt die dargebotenen Bildelemente als Stadtdarstellung. Auf eine genauere Analyse der Bildelemente, wie sie die Abbildungen der Schedelschen Weltchronik bieten – die in großer Anzahl Phantasiegebilde darstellen – kann verzichtet werden, und es genu¨gt, den Grundbestand zu benennen, wie er in der aufs a¨ußerste verknappten Darstellung von Konrad Bothos Halberstadt in der Sachsenchronik deutlich hervortritt: Mauer, Tore, Tu¨rme, und zwar kirchliche wie auch weltliche. Diese Unterscheidung und die Hervorhebung der letzteren wird sich noch als wichtig erweisen. Es versteht sich, dass mit der Bestimmung solcher gleichsam semiotischer Grundelemente auch bereits rudimenta¨re Gestaltungsprinzipien der Darstellung von Stadt in den Blick kommen, die wiederum mit dem zweiten Titelelement dieses Sammelbandes zusammenha¨ngen: mit der Wahrnehmung der Stadt, und zwar mit der Art und Weise, wie die Stadt als baulicher Ko¨rper und soziales Gebilde jeweils wahrgenommen wird. Die bildliche Stadtdarstellung – das jedenfalls du¨rfte deutlich geworden sein – ist keine Eins-zu-Eins-Abbildung der Realita¨t, einer Photographie vergleichbar, sondern sie wird gesteuert von Wahrnehmungs- und Gestaltungsprinzipien. Sie ist ein Konstrukt, entstanden nach Regeln, die man zu kennen hat, wenn man sich in die Lage versetzen will, jene Darstellungen des ausgehenden Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit zutreffend zu interpretieren und fu¨r die Rekonstruktion einstiger topographischer Realita¨t nutzbar zu machen. Aus dieser Erkenntnis heraus haben sich im letzten Vierteljahrhundert die Bemu¨hungen versta¨rkt, eine Quellenkritik der Sta¨dtedarstellung zu entwickeln, die es erlaubt, das Verha¨ltnis von Realita¨t und Abbild in der Stadtdarstellung vor dem Industriezeitalter, vor dem Zeitalter der Photographie na¨her zu bestimmen. Das Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, das die Tagung veranstaltete, aus der die hier vereinten Beitra¨ge hervorgegangen sind, ist an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt gewesen. Es hat vielmehr wichtige Beitra¨ge auf diesem Felde geleistet – etwa mit grundsa¨tzlichen Arbeiten zu Lippstadt und Neuss8 – auch in der Erarbeitung von Corpora, in diesem Fall der „Westfalia picta“, einer Sammlung aller bildlichen Darstellungen, die die Topographie Westfalens vor dem Einsetzen der Photographie betreffen9. Erst solche Corpora geben eine sichere Materialgrundlage fu¨r Forschungen der Art, wie sie hier genannt wurden. 8 Michael Schmitt/Jochen Luckhardt, Realita¨t und Abbild in Stadtdarstellungen des 16. bis 19. Jahr-

hunderts. Untersuchungen am Beispiel Lippstadt, Mu¨nster 1982; Michael Schmitt, Vorbild, Abbild und Kopie. Zur Entwicklung von Sehweisen und Darstellungsarten in druckgraphischen Stadtabbildungen des 15. bis 18. Jahrhunderts am Beispiel Aachen, in: Civitatum Communitas. Studien zum europa¨ischen Sta¨dtewesen. Festschrift Heinz Stoob zum 65. Geburtstag (StF A 21,1), Ko¨ln/Wien 1984, S. 322–354; ders., Das Stadtbild in Druckgraphik und Malerei. Neuss 1477–1900 (StF C 5), Ko¨ln/Wien 1991. 9 Westfalia Picta. Erfassung westfa¨lischer Ortsansichten vor 1900, hg. im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, bearb. v. Jochen Luckhardt/Michael Schmitt (Bde. 1–5); Michael Schmitt (Bde. 6–9); Michael Schmitt/Patrick Schuchert (Bd. 10), Bielefeld/Mu¨nster 1987–2007.

Bild und Wahrnehmung der Stadt

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Diese Bemu¨hungen um eine Quellenkritik oder auch um eine Art Grammatik der Stadtdarstellung erreichten einen gewissen Ho¨hepunkt – jedenfalls in Deutschland, aber auch in ganz Europa – am Ende der neunziger Jahre mit der Publikation des von Bernd Roeck und Wolfgang Behringer herausgegebenen Sammelbandes „Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800“.10 In diesem Werk wird die Bildu¨berlieferung von 46 Sta¨dten des Alten Reichs im Hinblick auf ihren Beitrag zur Physiognomie der jeweiligen Stadt analysiert und deren Portra¨t gezeichnet. Vorangestellt sind ¨ bersichtsbeitra¨ge zur Aussagekraft bildlicher U ¨ berlieferung in der Stadtdarstellung U ganz allgemein und zur Entwicklung des Genres bis in die Zeit um 1800. Der italienische Gelehrte Cesare de Seta – seit langem mit gleichartigen Forschungen bescha¨ftigt – hat in einem der einleitenden Abschnitte jenes Buchs den topographischen Darstellungen der deutschen Sta¨dte der fru¨hen Neuzeit und den von deutschen Ku¨nstlern und Stechern geschaffenen Monumentalwerken, jenen schon genannten Sta¨dtebu¨chern, die auch Gesamteuropa in den Blick nahmen, besonderen Rang zuerkannt11. Durch sie sei Deutschland zum „Grand Atelier“ der europa¨ischen Topographie geworden, lange bevor Amsterdam es auf diesem Feld ablo¨ste. De Seta sah in diesen Sammelwerken – die im Wesentlichen Gesamtansichten brachten, nicht topographische Einzelaspekte thematisierten – „analytische Instrumente der Erkenntnis“ fu¨r die Rekonstruktion der sta¨dtischen Realita¨t in der Vergangenheit. Bei anderer Gelegenheit haben er und Jacques Le Goff das Projekt einer „umfassenden vergleichenden Sammlung von Stadtdarstellungen“ entwickelt, die eine monumentale Ikonographie der Stadt bieten und zur Basis einer Geschichte sta¨dtischen Bauens werden ko¨nnte12. Der von Roeck und Behringer geschaffene Band – der im ¨ brigen durchaus auch fu¨r ein breiteres Publikum gedacht war – setzte einen Akzent U in der Forschung, lo¨ste Impulse aus und markierte vor allem einen Forschungstrend, der gerade im Umfeld der Entstehung und des Erscheinens des Bandes immer deutlicher spu¨rbar wurde13. Mit diesen knappen Bemerkungen ist eine der mo¨glichen Anna¨herungen an das Forschungsproblem bezeichnet: der Zugriff auf die bildlichen und schriftlichen Zeugnisse der Darstellung von Stadt, mit dem Ziel, die topographische Realita¨t der Vergangenheit zu rekonstruieren, was wiederum die Entwicklung quellenkritischer 10 Wolfgang Behringer/Bernd Roeck, Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, Mu¨nchen 1999.

Auch in die Planung und Entstehung dieses Buches war das Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte eingebunden. 11 Cesare de Seta, Eine deutsche Sta¨dteikonographie in europa¨ischer Perspektive, in: Behringer/ Roeck, Bild (wie Anm. 10), S. 11f. 12 Vgl. Behringer/Roeck, Vorwort und Einleitung, in: ebd., S. 7 mit Verweis auf die Tagung aus der der Sammelband hervorging: La Citta` e le mura, hg. v. Cesare de Seta/Jacques Le Goff, Roma/Bari 1989. 13 Eine bibliographische Erfassung der einschla¨gigen Publikationen ist hier nicht zu leisten, verwiesen sei lediglich auf die Aktivita¨ten der „Commission Internationale pour l’Histoire des Villes“ (vgl. Vorwort), die in folgenden Publikationen Niederschlag fanden: Francesca Bocchi/Rosa Smurra (Hg.), Imago urbis. L’immagine della citta` nella storia d’Italia; atti del Convegno internazionale (Bologna 5–7 settembre 2001), Roma 2003; Roman Czaja (Hg.), Das Bild und die Wahrnemung der Stadt und der sta¨dtischen Gesellschaft im Hanseraum im Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, Torun´ 2004; Ferdinand Opll (Hg.), Bild und Wahrnehmung der Stadt (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 19), Linz 2004.

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Peter Johanek

Methoden bedingt, die der Eigenart der jeweiligen Quellengattung angepasst werden mu¨ssen, um gu¨ltige Ergebnisse zu erzielen. Die Tatsache, dass bildliche und schriftliche Zeugnisse hier zusammen genannt werden, obwohl bislang – bis auf den Eingang dieses Beitrags – nur von Bildzeugnissen die Rede war, macht bereits deutlich, dass es bei jener Rekonstruktion einstmaliger Realita¨t der Sta¨dte um eine Fragestellung geht, die nur im interdisziplina¨ren Zugriff gelo¨st werden kann, und weitere Disziplinen, wie etwa die Archa¨ologie oder auch die Geographie, noch hinzugezogen werden mu¨ssten. Diese Komplexita¨t ist hier nun nicht zu entfalten, nur anzudeuten. Ebenso muss darauf verzichtet werden, die methodischen Probleme der schriftlichen Zeugnisse na¨her zu behandeln, und selbstversta¨ndlich sind hier nicht jene vielen, einzelnen, punktuellen Hinweise der Quellen gemeint, die sich fu¨r die sta¨dtische Topographie vor allem im Urkundenmaterial finden lassen, oder die in chronikali¨ berlieferung eher nebenher anfallen. Nein, es ha¨tte hier nun um Darstellunscher U gen zu gehen, die eine Stadt als Ganzes ins Auge fassen oder schildern, wie etwa die laudes urbium, das Sta¨dtelob, eine Quellengattung, die ebenfalls eigenen, nun aber literarischen Gestaltungsprinzipien gehorcht14. Mit der vorhin getroffenen Feststellung, dass die Forschung – auch durch Beitra¨ge dieses Sammelbandes – auf gutem Wege sei, das Quellenmaterial fu¨r die Rekonstruktion von Stadtgestalt und baulichem Ko¨rper weiter zu erschließen und handhabbar zu machen, sind die Akten u¨ber die Fragestellung selbstversta¨ndlich nicht zu schließen, so sehr auch dem Stadthistoriker diese Grundlagenarbeit am Herzen liegen muss, die sich etwa in der Erarbeitung von Sta¨dteatlanten niederschla¨gt. Anderes muss hinzutreten. Fu¨r die weiteren Ero¨rterungen kann man ausgehen von jenem zweiten Teil des Tagungstitels, der gleichzeitig auch das seinerzeitige Arbeitsthema der „Commission internationale pour l’histoire des villes“ bezeichnet: Wahrnehmung der Stadt. Im Zusammenhang mit dem Begriff Wahrnehmung sei auf ein bereits klassisches und einflussreiches Werk hingewiesen: Kevin Lynch, The Image of the City, Cambridge/Mass. 1960. Dt.: Das Bild der Stadt, Berlin 1965, Braunschweig 21989, 6. ND Basel 2007. Es bescha¨ftigt sich mit der Wahrnehmung der Stadt durch ihre Bewohner, mit dem „Stadterlebnis“. Dieser Aspekt bleibt in den Beitra¨gen dieses Bandes weitgehend ausgeklammert. Dabei geht es selbstversta¨ndlich auch um Wahrnehmung und deren Umsetzung in neue Bilder und die Entwicklung eines imaginaire, wie es Jac-

14 Grundlegend zu dieser Quellengattung: Eugen Giegler, Das Genos der Laudes urbium im lateini-

schen Mittelalter. Beitra¨ge zur Topik des Sta¨dtelobes und der Stadtschilderung, Diss. Phil. (Masch.), Wu¨rzburg 1953; Carl Joachim Classen, Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Beitra¨ge zur Altertumswissenschaft 2), Hildesheim/New York 1980; ferner: Paul Gerhard Schmidt, Mittelalterliches und humanistisches Sta¨dtelob, in: Die Rezeption der Antike. Zur Problematik der Kontinuita¨t zwischen Mittelalter und Renaissance (Wolfenbu¨tteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 1), Hamburg 1981, S. 119–128; Hartmut Kugler, Die Vorstellung der Stadt in der deutschen Literatur des Mittelalters, Mu¨nchen/Zu¨rich 1986; Klaus Arnold, Sta¨dtelob und Stadtbeschreibung im spa¨teren Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, in: Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter Johanek (StF A 47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. 247–268; zu Italien jetzt ¨ berblick bei Francesca Bocchi/Manuela Ghizzoni/Rosa Smurra, Storia delle citta` italiane. Dal den U tardoantico al primo rinascimento, Novara 22006, S. 213–222.

Bild und Wahrnehmung der Stadt

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ques Le Goff in vielfachem Zugriff beschrieben hat, um Wahrnehmung also in einem sehr weiten Sinne15. Was gemeint ist, vermag deutlich zu werden, wenn wir fu¨r einen Moment zu Theodor Storms Gedicht zuru¨ckkehren, mit dem hier begonnen wurde. Storm blickt auf eine reale Stadt, auf Husum und umschreibt seine Wahrnehmung durch Vorstellungsketten, die das Bild der grauen Stadt am Meer erneuern. Dieses Bild bietet keine konkreten topographischen Einzelheiten, ist fu¨r den Stadthistoriker, der lediglich die Realita¨t Husums rekonstruieren wollte, demnach wertlos. Aber das Ergebnis der Wahrnehmung Husums durch Storm wird zum Bild, ja zur Metapher der grauen Stadt. Das ist ein Bild, das u¨ber sich hinausweist und Begriffsfelder wie Einsamkeit, Abgeschiedenheit, Freudlosigkeit und Tristesse evoziert und damit das Wesentliche, sozusagen die Essenz der Stadt Husum zu erfassen trachtet. Es ist zu beachten, dass Storms Gedicht bereits dem 19. Jahrhundert zugeho¨rt, nicht der Zeit des Alten Reichs, von der bisher vornehmlich die Rede war und auch weiterhin die Rede sein wird. Es geho¨rt daher bereits einer Zeit an, die von ganz anderen Bedingungen sta¨dtischer Existenz gepra¨gt ist, und die auch die bildliche und literarische Darstellung der Stadt auf ga¨nzlich neue Fu¨ße stellt. Dieser Wandel la¨sst sich kurz mit zwei Schlagworten charakterisieren: Weg von Abbildung und Beschreibung, dafu¨r Interpretation und Deutung sta¨dtischer Existenz mit den Gestaltungsmitteln der Kunst. Es wird zum Schluss wenigstens noch kurz in Andeutungen davon die Rede sein. Doch durch Storms Gedicht sind wir auf Metapher und Symbol verwiesen, und damit auf einen Forschungstrend, der sich in den letzten Jahren erfolgreich etabliert hat, immer weitere Themenfelder der Geschichtswissenschaften durchdringt, und das gilt auch fu¨r die Stadtgeschichtsforschung. Die Rede ist von symbolischer Kommunikation, von Ritualen und Wertesystemen16. Das alles ist der Stadtgeschichtsforschung im Grunde seit langem nicht fremd, aber unter dem Eindruck des ritualistic turn in Media¨vistik und Fru¨hneuzeitforschung ist es auch in der Sta¨dtegeschichte vermehrt zu Forschungen dieser Art gekommen. Dieser Pfad der Anna¨herung, der inzwischen zur breiten Straße geworden ist, soll nun in einigen Aspekten skizziert werden, wa¨hrend ein weiterer Anna¨herungsmodus, der an sich gru¨ndlichere Behandlung verdiente und ihrer auch bedu¨rfte, hier nur andeutungsweise umrissen werden kann. Ich nehme diesen Komplex vorweg. Es geht dabei um die Vorstellungen und Konzepte, wie eine Stadt zu gestalten sei, also ebenfalls um Bilder von der Stadt, denen die Tendenz innewohnt, in reale Wirklichkeit umgesetzt zu werden. Man darf dabei – und dies ist wichtig – nicht lediglich an den baulichen Ko¨rper und die Gestaltung des Stadtraumes denken, sondern auch daran, dass seit dem fru¨hen Mittelalter die Stadt nicht lediglich ein gebauter Raum, sondern auch als Personenverband gedacht wurde. Isidor von Sevilla hatte zwischen

15 Vgl. nur seine Essay-Sammlung: Jacques Le Goff, L’imaginaire me´die´val, Paris 1985, 21991. 16 Hier sei nur auf den Sonderforschungsbereich 496 der Westfa¨lischen Wilhelms-Universita¨t und dessen

Publikationen verwiesen; zu dessen Programm vgl. Gerd Althoff/Ludwig Siep, Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Franzo¨sischen Revolution. Der neue Mu¨nsteraner Sonderforschungsbereich 496, in: FMSt 34 (2000), S. 393–412.

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der urbs als architektonischem Geha¨use und civitas als dem Verband der cives unterschieden17, und das findet sein Echo in den spa¨tmittelalterlichen sta¨dtischen Regierungslehren, wenn es etwa heißt: Ein stat ist ein communitet, die durch Friede und Eintracht zusammengehalten wird oder: eine stat heißt civitas/das ist civium unitas, und dergleichen mehr18. Es versteht sich, dass dies mit verschiedenen Traditionsbesta¨nden aufgeladen werden konnte, aus der aristotelischen Politeia oder wa¨hrend der fru¨hen Neuzeit zunehmend mit ro¨misch-republikanischen Versatzstu¨cken. Noch fu¨r Gottfried Keller, in dessen Werk die Stadt und deren Beschreibung eine herausragende Rolle spielt, stellt im Eingang der Erstfassung des „Gru¨nen Heinrich“, der die Eigenarten der Stadt Zu¨rich skizziert, den „gesetzgebenden Rat der Republik“ in den Mittelpunkt, „die Vertreter des Volkes“, die „in einfachen schwarzen Kleidern, selten vom neuesten Schnitte ... nach dem dunkeln schweren Rathaus“ ziehen. Die Stadt wird hier verko¨rpert durch die politische Gemeinschaft und ihre Vertretung. Das „Geto¨se des Marktes“, die „rauchende Ha¨usermasse“ und der Mu¨nsterturm geraten erst spa¨ter in den Blick19. Doch wenn von Modellen der Stadtgestaltung die Rede ist, dann dra¨ngen sich die Termini „Planstadt“ und vor allem „Idealstadt“ in den Blick, und in der Tat wa¨re dieser Thematik in der Anna¨herung an das Forschungsproblem „Bild der Stadt“ eine starke Position einzura¨umen, weil die Verarbeitung antiker Traditionsbesta¨nde, insbesondere der Architekturtraktate des Vitruv, eine so große Rolle gespielt hat20. Es sind nicht nur die verwirklichten Idealsta¨dte wie Sabbionetta, Palma Nova, Zamo´sc´ , Brody /Pfo¨rten in der Niederlausitz, Freudenstadt oder das palladianische Styling von Bath, sondern vor allem auch die vielfachen Planungen, Umgestaltungen und Adaptationen entlang dieser konzeptuellen Linien von der Renaissance bis zum Klassizismus und daru¨ber hinaus bis ins 19. Jahrhundert hinein, mit denen sich das begru¨nden ließe. Und es ist selbstversta¨ndlich bekannt genug, dass das 19. und 20. Jahrhundert besonders reich an solchen Modellen und Konzepten gewesen sind, von Ildefonso Cerdas Plan zur Erweiterung von Barcelona von 1859 und seiner „Teoria general de la urbanizacio´n“ von 186721, u¨ber Arturo Sorias „Ciudad lineal“ von

17 Isidor von Sevilla, Etymologiae (wie Anm. 1), 15.2.1; zur Verankerung dieser Definition in der patris-

tischen und antiken Tradition vgl. Walter Schlesinger, Burg und Stadt, in: Aus Verfassungs- und Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, Bd. I, Lindau/Konstanz 1954, S. 97–150, hier S. 106. 18 Heinz-Dieter Heimann (Hg.), Wie men wol eyn statt regyrn sol. Didaktische Literatur und berufliches Schreiben des Johann von Soest, gen. Steinwert, Soest 1986, S. 23f. 19 Gottfried Keller, Sa¨mtliche Werke, hg. v. Thomas Bo ¨ ning/Gerhard Kaiser, Bd. 2: Der Gru¨ne Heinrich. Erste Fassung (Bibliothek Deutscher Klassiker 3), Frankfurt a. M. 1985, S. 11f. 20 Eine gute Zusammenfassung zur auf Vitruv aufbauenden Architekturtheorie bei Petra Sophia Zimmermann, Urbanistik der Hochrenaissance. Leitideen in Theorie und Praxis. Das Beispiel Verona, Bergisch Gladbach 1991, S. 11–81; zur Idealstadt allgemein: Helen Rosenau, The Ideal City. Its Architectural Evolution in Europe, London 31983 (ND 2007); Hanno Walter Kruft, Sta¨dte in Utopia. Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zwischen Staatsutopie und Wirklichkeit, Mu¨nchen 1989. 21 Ildefonso Cerda, Teoria general de la urbanizacio´n y aplicacio´n de sus principios doctrinas a la reforma y ensanche de Barcelona, Madrid 1867 (ND 1968).

Bild und Wahrnehmung der Stadt

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189622 und Le Corbusiers „La ville radieuse“ und die „Charta von Athen“ von 193323 bis zu zeitgeno¨ssischen Planern und Realisationen. Damit mag es des name dropping genug sein und nur darauf verwiesen werden, dass auch fru¨he Konzeptionen der Stadtgestaltung und der Ausdeutung von bestimmten Ausformungen der Stadtgestalt wirksam geworden sind, die nicht der antiken, vitruvischen Tradition entstammen und/oder ihr verpflichtet sind, jedoch die abendla¨ndische Perzeption von Stadt und ihrer Gestalt offenbar nachhaltig gepra¨gt haben. Es sind jene architektonischen Pra¨gungen, die die fru¨hen Sta¨dte, insbesondere die Kathedralsta¨dte, empfangen haben, durch den Bau von Stiftskirchen und Klo¨stern insbesondere seit dem 10./11. Jahrhundert, der ottonischen und salischen Zeit, die an diesen Pla¨tzen eindrucksvolle Ensembles schuf. Diese Großbauten aus Stein setzten – u¨berspitzt ausgedru¨ckt – architektonische Orientierungspunkte in den relativ regellosen Agglomerationen von Holzbauten, die das Umfeld der bischo¨flichen civitas charakterisierten und markierten Leitlinien, an denen sich ku¨nftiger Ausbau und Wachstum der Sta¨dte orientieren konnte24. Doch sie konnten ebenfalls an konzeptuelle Vorstellungen anknu¨pfen, etwa an den Kirchenkranz, der bereits zu den ga¨ngigen Versatzstu¨cken des spa¨tantiken Sta¨dtelobs geho¨rte, zusammen mit ihren Patronen, den Heiligen, die als Wa¨chter der Stadt angesehen wurden25 oder an das Kirchenkreuz, das in einer Bischof Meinwerk von Paderborn ¨ ußerung eine Rolle spielte, wenn er sagte, er wolle seine Stifts- und zugeschriebenen A Klostergru¨ndungen in der Stadt Paderborn in modum crucis anordnen26. ¨ hnlich charakterisierte ein englischer Mo¨nch um das Jahr 1195 den Plan, sozusaA gen das Layout seiner Heimatstadt Chester27. Er deutet die reale Stadtgestalt allegorisch aus und resu¨miert das mit dem Bibelwort: „Nichts in der Welt geschieht ohne 22 George R. Collins/Carlos Flores (Hg.), Arturo Soria y la Ciudad Lineal, Madrid 1968; Maria Vic-

toria Lo´pez Herva´s, La ciudad lineal de Arturo Soria, Madrid 1997.

23 Le Corbusier, La ville radieuse. Elements d’une doctrine d’urbanisme pour l’e´quipement de la civilisa-

¨ bersetzungen); ders., La Charte tion machiniste, Boulogne (Seine) 1935 (mehrere Neuauflagen und U d’Athe`nes, Paris 1941 (dt.: An die Studenten. Die „Charte d’Athe`nes“, Reinbek 1962); Thilo Hilpert/ Jean Giraudoux (Hg.), Le Corbusiers „Charta von Athen“. Texte und Dokumente, Braunschweig 1984. 24 Vgl. etwa Maike Kozok/Karl Bernhard Kruse, Zum Modell „Hildesheim um 1022“, in: Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, hg. v. Michael Brandt/Arne Eggebrecht, Bd. 1, Mainz 1993, S. 291–298, sowie Bd. 2, S. 460f.; grundsa¨tzlich Hein¨ berlieferung. Angerich Fichtenau, „Stadtplanung“ im fru¨heren Mittelalter, in: Ethnogenese und U wandte Methoden der Fru¨hmittelalterforschung, hg. v. Karl Brunner/Brigitte Merta (Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung 31), Mu¨nchen 1994, S. 232–249; Frank G. Hirschmann, Stadtplanung, Bauprojekte und Großbaustellen im 10. und 11. Jahrhundert. Vergleichende Studien zu den Kathedralsta¨dten westlich des Rheins (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 43), Stuttgart 1998, S. 528f. 25 Vgl. dazu etwa Giegler, Genos der Laudes urbium (wie Anm. 14), S. 98–101; Classen, Stadt (wie Anm. 14), S. 29. 26 Das Leben des Bischofs Meinwerk von Paderborn, hg. v. Franz Tenckhoff (MGH SSrG i. u. s.), Hannover 1921, S. 131, dazu etwa Fichtenau, Stadtplanung (wie Anm. 24), S. 238f. 27 Liber Luciani de laude Cestrie, written about the year 1195 and now in the Bodleian Library Oxford, transcribed and edited by M. V. Taylor (The Record Society for the Publication of Original Documents relating to Lancashire and Cheshire 64), London 1912 (ich danke Dr. Katharina Ulmschneider, Oxford, fu¨r eine Kopie dieses Textes); vgl. dazu Classen, Stadt (wie Anm. 14); S. 62f., sowie David Palliser, Chester 1066–1971: Contemporary Descriptions by residents and visitors, Chester 21980.

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Grund“.28 So geht er von den vier Toren der Stadt aus, die der Vierzahl der Winde entspricht und ordnet Chester auf diese Weise in das geographische Weltbild ein. Die Vierzahl wird aber noch weiter ausgedeutet: „(Chester) hat zwei gerade Hauptstraßen in der Form des heiligen Kreuzes, die, indem sie sich treffen und schneiden, aus zweien vier machen, und ihre vier Enden tragen die Tore. Dadurch wird auf wunderbare und großartige Weise gezeigt, dass (der Stadt) die Gnade des großen Ko¨nigs innewohnt, der durch die vier Evangelisten geoffenbart hat, dass das zweifache Gesetz des Alten und Neuen Testaments durch das Mysterium des Kreuzes vollendet worden ist“.29 Lucian spricht weiter davon, dass in der Mitte der Stadt der Marktplatz liegt, und wenn „jemand, der in der Mitte des Marktplatzes steht, den Blick zum Aufgang der Sonne richtet und der Lage der Kirchen folgt, so findet er Johannes (den Ta¨ufer), den Vorla¨ufer des Herrn, im Osten, den Apostel Petrus im Westen, die Jungfrau Werburgis im Norden und den Erzengel Michael im Su¨den ... „Sieh unsere Stadt an, wie sie den heiligen Wa¨chtern (gemeint sind die Heiligen) anvertraut ist in vierfacher Weise“.30 Hier wird das, was der Verfasser der „Vita Meinwerci“ lediglich in knappen Worten andeutete, in großer Ausfu¨hrlichkeit dem Betrachter der Stadtgestalt vor Augen gefu¨hrt. Mit großem homiletischem und symbolischem Aufwand wird hier das Konzept der „Heiligen Stadt“ mit Inhalt gefu¨llt31. Damit stehen wir im Grund bereits bei der Thematik, der wir uns nun zuzuwenden haben, na¨mlich der Rolle der symbolischen Kommunikation bei der Konstruktion von Bildern der Stadt und ihrer Rolle in Identita¨tsfindung und Selbstdarstellung der Sta¨dte. Doch bevor dies ebenfalls lediglich in Andeutungen geschieht, sei doch noch einmal darauf insistiert, dass die ottonisch-salische Zeit eine Markierungsperiode bedeutet. Sie konnte selbstversta¨ndlich in Gallien auf spa¨tantike und merowingisch-karolingische Vorformen zuru¨ckgreifen, schuf aber in ganz Mittel- und Westeuropa Kirchenkra¨nze und Kirchenkreuze oder lehnte die Kirchenausstattung einer Stadt an das Ensemble der Hauptkirchen Roms an32. Mit dieser architektonischen Ausgestaltung der civitates und „Muttersta¨dte“ wurden die Vorbilder fu¨r spa¨tere Zeiten bereitgestellt, vor allem aber auch die Grundelemente der Stadtdarstellung seit dem hohen Mittelalter, die – es war bereits die Rede davon – durch Tor, Tu¨rme und

28 Hiob V, 6: Nihil in terra fit sine causa; Liber Luciani, ed. Taylor (wie Anm. 27), S. 49. 29 Ebd., S. 46f.: Habet etiam plateas equilineas et excellentes in modum benedicte crucis, per transversum

sibi obvias et se transeuntes, que deinceps fiant quattuor ex duabus, capita sua consummantes in quattuor portis, mistice ostendens atque magnifice, magni Regis inhabitantem graciam se habere, qui legem geminam novi ac veteris testamenti per misterium sancte crucis impletam ostendit, in quattuor evangelistis. 30 Ebd., S. 47 u. 49: Nam siquis stans in fori medio, vultum vertat ad ortum solis, secundum ecclesiarum positiones, inveniet Iohannem Domini precursorem ab oriente, Petrum apostulum ab occidente, Werburgam virginem ab aquilone, Archangelum Michaelem a meridie ... Ecce enim civitatem nostram, ut predictum est, sanctis servatoribus velut quadruplici sorte comissam ... 31 Vgl. dazu nur Alfred Haverkamp, „Heilige Sta¨dte“ im hohen Mittelalter, in: Mentalita¨ten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg. v. Frantisˇek Graus (VuF 35), Sigmaringen 1987, S. 119–156. 32 Vgl. dazu Helmut Maurer, Kirchengru¨ndung und Romgedanke am Beispiel des ottonischen Bischofssitzes Konstanz, in: Bischofs- und Kathedralsta¨dte des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit (StF A 1), Ko¨ln 1976, S. 47–59.

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Mauer charakterisiert war. Die ottonisch-salische Zeit schuf demnach mit ihren Bauten die tu¨rmereiche civitas, und von ihr wird nun gleich die Rede sein. Die mittelalterliche Stadt und ihre Bu¨rger haben sich in vielfa¨ltiger Weise ihrer Identita¨t versichert und diese zur o¨ffentlichen Darstellung gebracht. Das geschah nicht lediglich durch Bauten, Bildwerke, traditionsbefrachtete Objekte, Zeichen und Symbole, sondern vor allem auch durch Aktionen und Rituale, deren Vollzug dann gelegentlich wieder zur bildlichen Darstellung gerann. Bevor einige Beispiele Revue passieren, sei noch einmal auf die Entwicklung des Bildes von der Stadt, die Darstellung der Stadt im Bilde, eingegangen, und zwar auf die Darstellung des bebauten Stadtraums und deren Vera¨nderungen im Ausgang des Mittelalters33. Das fru¨he Mittelalter hat Sta¨dte, wenn es sie bildlich wiedergab, etwa in der Schilderung biblischer Begebenheiten, ha¨ufig als leeren ummauerten Raum dargestellt. Als Beispiel mag auf eine Illustration der Geschichte von Christus und dem Lepro¨sen verwiesen werden, wie sie sich in einem Evangelistar aus dem 9. Jahrhundert findet34. Nicht selten entha¨lt dieser Mauerkranz auch ein Kirchengeba¨ude. Die Mauer wird zur Abbreviatur der civitas, und dies hat seinen Grund sicherlich in der Reduktion der spa¨tantiken civitates auf ihren Wehrcharakter, auf ihre Rolle als Befestigung, die ihren Niederschlag auch in den Glossierungen des Wortes civitas mit dem deutschen Wort Burg gefunden hat. Als weiteres Element tritt hinzu die Vorstellung von der „heiligen Stadt“ (als Wohnsitz der Heiligen und vor allem des himmlischen Jerusalem, der Stadt Gottes, wie sie in der Bibel, etwa beim Propheten Ezechiel oder in der Apokalypse beschrieben ist als Stadt mit zinnenbekro¨nter Mauer und mit Toren35, visualisiert etwa im „Liber floridus“ des Lampert von Saint-Omer im 11. Jahrhundert)36. Noch im spa¨ten Mittelalter beschreibt der Dominikaner Heinrich Seuse das himmlische Jerusalem und legt der „ewigen Weisheit“ folgende Worte in den Mund: „Sieh nun jene herrliche und erhabene Stadt, von Gold und Edelsteinen wundersam strahlend, von ihren Toren geht ein u¨beraus belebender Duft aus. Ihre Straßen sind mit reinstem Gold gepflastert, sie sind wie von durchsichtigem Glas; die Stadt ist auf Saphirsteinen gegru¨ndet. Es gla¨nzt dort die Befestigung aus Jaspis. Die Stadt ist erbaut aus lebendigen Steinen, ist mit Blumen bestreut, mit leuchtenden Perlen geschmu¨ckt. Oh Herrlichkeit – allen bewunderungswu¨rdig“.37 Da Gottes Sitz als Stadt gedacht wurde, kam der Vorstellung Stadt erho¨hte symbolische Bedeutung zu, die Essenz, das innere Wesen der Stadt mit ihren Kirchen war die Heilige Stadt; sie war gedacht als Abbild dieser himmlischen Stadt. Selbstversta¨ndlich gab es mit Babylon ein Gegenbild, das gelegentlich auch beschworen wird, aber das Objekt der Selbstidentifikation blieb selbstversta¨ndlich das himmlische Jerusalem. Bildlich wurde die Stadt repra¨sentiert durch die Architekturformel 33 Ich resu¨miere hier die Darlegungen meines Aufsatzes „Die Mauer und die Heiligen. Stadtvorstellungen

im Mittelalter“, in: Behringer/Roeck, Bild der Stadt (wie Anm. 10), S. 26–38.

34 Du¨sseldorf, Universita¨ts- und Landesbibliothek, Ms. B 113, f. 5; vgl. Johanek, Mauer (wie Anm. 33),

Abb. 9, S. 27.

35 Ezech 40, 2ff.; Offb 21, 10–22. 36 Vgl. Johanek, Mauer (wie Anm. 33), S. 30 mit Abb. Nr. II zwischen S. 108 u. 109. 37 Heinrich Seuses Horologium Sapientiae, hg. v. Pius Ku ¨ nzle (Spicilegium Friburgense 23), Fribourg

1977, S. 462. Die Kursiven kennzeichnen die Zitate aus Offb 21 und 1 Petr 2,4.

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von Mauer, Tor und Turm als Grundbestand, nicht selten angereichert durch Kirchengeba¨ude mit Tu¨rmen und der Darstellung von Heiligen. Eine Mu¨nze Erzbischof Annos von Ko¨ln aus der zweiten Ha¨lfte des 11. Jahrhunderts zeigt diese Architekturformel mit der Inschrift: Imago sanctae Coloniae38. Diese Abbreviatur ist es, die das Bild der „Heiligen Stadt“ zu vermitteln vermag. Dieses Bild der Stadt, diese Ausdeutung, repra¨sentiert durch die Architekturformel, besaß ganz offenkundig eine hohe Verbindlichkeit und auch Attraktivita¨t. Denn: die a¨ltesten Stadtsiegel, wie sie im Laufe des 12. Jahrhunderts aufkommen und die stets auch ein Indiz fu¨r den Beginn sta¨dtischer und bu¨rgerlicher Autonomie abge¨ berzahl der spa¨teren deutschen Sta¨dben, verwenden eben diese Bildformel, die U tesiegel u¨bernahm sie in mannigfacher Abwandlung, und sie ist bis heute das Cha¨ bernahme ist rakteristikum vieler Sta¨dtewappen und Sta¨dtesiegel geblieben. Diese U bemerkenswert, denn die Bu¨rgerschaft rezipierte damit ein Bild der Stadt, das sie vorgeformt fand, und die neu sich formierenden sta¨dtischen Selbstverwaltungsgremien suchten nicht nach eigner Symbolik. Nur ganz selten – und auch nur in einigen franzo¨sischen Sta¨dten – ist das Rathaus oder der sta¨dtische Rat aufs Siegelbild geraten. Man wird den Vorgang vielleicht anders, in positiver Weise formulieren du¨rfen: Bu¨rgerschaft und Kommune nahmen das alte Imaginarium der Stadt in eigene Obhut39. Das kann genu¨gen, die Sta¨dtedarstellungen aus Bothos Croneken der Sassen belegen, dass diese Abbreviatur bis an das Ende des Mittelalters in Gebrauch war und in der Darstellung des Stadtraumes und Stadtensembles sich nur sehr langsam individualisierende Zu¨ge durchsetzten, zuna¨chst in den Tafelbildern der Alta¨re seit dem 15. Jahrhundert, dann in jenen Abbildungen der Sta¨dtebu¨cher seit dem 16. Jahrhundert, die nach den bereits zitierten Worten Cesare de Setas als mehr oder weniger topographisch zuverla¨ssige Stadtdarstellungen zu analytischen Instrumenten der Erkenntnis entwickelten40. Hier ist demnach ein Umschlag in der Zeit um 1500 zu beobachten, obwohl es selbstversta¨ndlich lange zuru¨ckreichende individualisierende 38 Walter Ha¨vernick, Die Mu¨nzen von Ko¨ln. Vom Beginn der Pra¨gung bis 1304, Ko¨ln 1935, Nr. 338,

352–353, 362, 389, 431. Den Hinweis auf diesen Beleg verdanke ich Dr. Peter Ilisch, LWL–Landesmuseum fu¨r Kunst und Kulturgeschichte, Mu¨nster. 39 Zu den a¨ltesten deutschen Sta¨dtesiegeln (die zugleich auch die a¨ltesten europa¨ischen sind, vgl. nur Hermann Jakobs, Eugen III. und die Anfa¨nge europa¨ischer Sta¨dtesiegel, nebst Anmerkungen zum Band IV der Germania Pontificia, Ko¨ln/Wien 1980; Toni Diederich, Rheinische Sta¨dtesiegel, Neuss 1984; Manfred Groten, Studien zur Fru¨hgeschichte deutscher Stadtsiegel, in: AfD 39 (1993), S. 443–478; Haverkamp, Heilige Sta¨dte (wie Anm. 31); Harald Dro¨s/Hermann Jakobs, Die Zeichen einer neuen Klasse. Zur Typologie der fru¨hen Stadtsiegel, in: Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift fu¨r Hansmartin Schwarzmaier zum 65. Geburtstag, hg. v. Konrad Krimm/Herwig ¨ berall ist Jerusalem, in: ders., Konsens und John, Sigmaringen 1997, S. 125–178; Wilfried Ehbrecht, U ¨ berlegungen zur a¨lteren Verfassungsgeschichte deutscher Sta¨dte (StF A 56), Konflikt. Skizzen und U Ko¨ln/Weimar/Wien 2001, S. 429–471, hier S. 466–470; Alois Niedersta¨tter, Das Stadtsiegel: Medium kommunaler Selbstdarstellung. Eine Anna¨herung anhand von Beispielen aus dem habsburgisch-o¨sterreichischem Alpen- und Donauraum, in: Opll, Bild und Wahrnehmung (wie Anm. 13); fu¨r Frankreich ist heranzuziehen: Corpus des sceaux franc¸ais du moyen aˆge, T. 1: Les sceaux des villes, bearb. v. Brigitte Bedos, Paris 1980, dazu noch Brigitte Bedos-Rezak, Towns and Seals: Representation and Signification in Medieval France, in: Bulletin of the John Rylands University Library of Manchester 72,3 (1990), S. 35–48. 40 de Seta, Deutsche Sta¨dteikonographie (wie Anm. 11), S. 11.

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Vorla¨ufer gibt wie Ambrogio Lorenzettis bekannte Sieneser Gema¨lde vom guten und schlechten Regiment, die jedoch immer noch der Allegorese verpflichtet sind, und nicht eine reale Stadt abbilden41. Es ist ein langgestreckter Vorgang, in dem – wiederum nach de Seta – Ptolemaeus u¨ber Herodot siegt42, und in der Tat la¨sst sich vergleichbares auch in der Kartographie beobachten. Die Karte, die der Zu¨rcher Konrad Tu¨rst in den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts seiner Landesbeschreibung der Eidgenossenschaft beifu¨gt, ist die erste, die auf Messungen der Entfernung zwischen den einzelnen Sta¨dten beruht oder doch behauptet, dies zu tun43. In der bildlichen ¨ bergang vom Mittelalter zur Neuzeit eine Art Stadtdarstellung findet demnach im U Rationalisierungsschub, ein Zuru¨ckdra¨ngen der symbolischen Befrachtung und eine Betonung des instrumentalen Charakters der Darstellung statt. Bevor wir danach fragen, ob dies auch Auswirkungen auf andere Darstellungsmodi von Stadt hatte, die bislang nur angedeutet wurden, ist ein kurzer Blick auf deren Formen zu werfen und es kommen im wesentlichen mittelalterliche Exempel zur Sprache. Es war schon die Rede davon, dass bereits im Mittelalter die Stadt als Sozialko¨rper wahrgenommen worden ist. Diese Wahrnehmung ist auch in die bildlichen Darstellungen der Stadt eingedrungen, und man griff dabei auch auf jene Aktionen, Zeremonien und Rituale zuru¨ck, in denen sich die Stadt und ihre Bu¨rger ihrer Identita¨t versicherten. Bekanntlich bildet sich die Sakralgemeinschaft der Stadt besonders eindrucksvoll in deren Prozessionen ab, seien es die herko¨mmlichen Prozessionen des Kirchenjahres, etwa die Fronleichnamsprozession oder zu bestimmten Heiligenfesten, oder aber zum Gedenken an Sieg oder Niederlage oder Bittga¨nge aus besonderem Anlass44. Konrad von Pfettisheim, ein Straßburger Stiftsherr des ausgehenden 15. Jahrhunderts, hat in seiner Reimchronik der Burgunderkriege festgehalten, dass die Stadt Straßburg nur dadurch vom Krieg verschont blieb, weil der Rat eine wo¨chentlich zu haltende Prozession angeordnet hatte45. 41 Vgl. dazu nur Chiara Frugoni, A Distant City. Images of Urban Experience in the Medieval World,

Princeton 1991, S. 118–188.

42 de Seta, Deutsche Sta¨dteikonographie (wie Anm. 11), S. 11. 43 Vgl. Peter Johanek, Konrad Tu¨rst, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon,

2. Auflage, hg. v. Burghart Wachinger u. a., Bd. 9, Berlin 1995, Sp. 1170–1174, hier Sp. 1173; jetzt Martina Stercken, Konrad Tu¨rst, Karte der Eidgenossenschaft, in: SchriftRa¨ume. Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, hg. v. Christian Kiening/Martina Stercken, Zu¨rich 2008, S. 252f., sowie Dies., Regionale Identita¨t im spa¨tmittelalterlichen Europa. Kartographische Zeugnisse, in: Europa im Weltbild des Mittelalters. Kartographische Konzepte, hg. v. Ingrid Baumga¨rtner/Hartmut Kugler, Berlin 2008, S. 279–300. 44 Vgl. Jacques Ge´lis, Procession enveloppante et fil de cire. Une protection symbolique de l’espace urbain, in: Savoirs des lieux. Ge´ographie en histoire, ed. par Odile Redon, Saint Denis 1996, S. 49–58; Andrea Lo¨ther, Prozessionen in spa¨tmittelalterlichen Sta¨dten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, sta¨dtische Einheit (Norm und Struktur 12), Ko¨ln/Weimar/Wien 1998; Sabine von Heusinger, ‚Cruzgang‘ und ‚umblauf‘ – symbolische Kommunikation im Stadtraum am Beispiel der Prozessionen, in: Kommunikation in mittelalterlichen Sta¨dten, hg. v. Jo¨rg Oberste (Forum Mittelalter, Studien 3), Regensburg 2007, S. 141–155. 45 Chronique rime´e des guerres de Bourgogne par Conrad Pfettisheim, in: Emile Picot/Henri Stein (Hg.), Recueil de pie`ces historiques imprime´es sous le re`gne de Louis XI, Paris 1923, S. 66–85, hier S. 85; auch Conradus Pfettisheim, Geschichte Peter Hagenbachs und der Burgunderkriege. Faksimile-Aus-

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Man det zuo stroszburg jn der stat Vil grosser krutze genge Mit ernst man gott umb friden bat Die menge macht gassen enge Etliche gingent barfusz do Als uff den herten steinen Man truog das sacrament harnoh Vil menschen sahe man weinen Disz hielt man by zwey gantze jor Villicht xj wochen mynder Gott gab den friden offembor Dem danckent lieben kinder. Die Topographie dieser Prozessionen und die politischen Konnotationen, in die sie gestellt wurden, waren mehrschichtig46, das ist hier nicht weiter zu verfolgen. Im Druck der Reimchronik, der 1477 in Straßburg herauskam, hat ein Holzschnitt gleichsam den Idealtyp einer solchen Prozession festgehalten und damit gleichzeitig auch eine bildliche Abbreviatur der Bu¨rgerschaft in ihrer Bindung an ihre Stadt als Sakralgemeinschaft geschaffen. Der Holzschnitt zeigt im Zentrum eine vereinfachte Darstellung des Mu¨nsters, des Wahrzeichens der Stadt (Abb. 1). Von ihm geht der Umgang aus, umkreist es, und in das Mu¨nster strebt er wieder zuru¨ck. Voran geht der Klerus mit dem Sakrament unter einem Baldachin, es folgt eine Gruppe offensichtlich hochstehender Personen, wohl der Rat und seine Umgebung, dann folgen die Ma¨nner ganz allgemein, wa¨hrend die Frauen sich gerade anschicken, die Kirche zu verlassen. Zwischen den Gruppen finden die mitgefu¨hrten Heiligenfiguren und Reliquien ihren Platz. Insgesamt wird man den Holzschnitt als bildliche Umsetzung der Formel eine stat heißt civitas, das ist civium unitas werten du¨rfen. Das kann als Beispiel fu¨r „Stadtdarstellung“ in der gesellschaftlichen Interaktion der sta¨dtischen Bu¨rger genu¨gen, die zumeist gekennzeichnet ist durch Einbindung in religio¨se Konnotationen, aber sich ha¨ufig auch verbindet mit der Vorstellung der Stadt als Wehrgemeinschaft, wenn man an die ha¨ufigen Prozessionen und andere liturgischen Handlungen denkt, die mit dem sta¨dtischen Schlachtengedenken verknu¨pft sind. Auch die Einbettung in die kollektive Geschichtserinnerung fehlt in solchen Zusammenha¨ngen nicht, und als eindrucksvolle bildliche Umsetzung wird man eine Illustration der Chronik des Diebold Schilling nennen du¨rfen, die die wehrhaften Bu¨rger Berns im Auszug zur Laupenschlacht zeigt und sie in Erinnerung an die Gru¨ndungslegende als Ba¨ren gestaltet47. Diese von Stadt zu Stadt zwar durch glei-

gabe, kommentiert von Lilli Fischel, Plochingen 1966. Zum Autor vgl. Frieder Schanze, Pfettisheim, Konrad, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon (wie Anm. 43), Berlin 1989, Bd. 7, Sp. 564–565. 46 Vgl. dazu Gabriela Signori, Ritual und Ereignis. Die Straßburger Bittga¨nge zur Zeit der Burgunderkriege (1474–1477), in: HZ 264 (1997), S. 281–328. 47 Spiezer Bilderchronik 1485, S. 227; vgl. Die Schweiz im Mittelalter in Diebold Schillings Spiezer Bilderchronik, hg. v. Hans Haeberli/Christoph von Steiger, Luzern 1991, S. 243.

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che Grundelemente gepra¨gte, aber doch sehr verschieden nach den o¨rtlichen Gegebenheiten ausgeformten Darstellung von Stadt in Interaktion und Performanz mit gelegentlicher Umsetzung in bildliche Darstelllung ist in den letzten Jahren stark ins Blickfeld der Stadtgeschichtsforschung geraten und hat neue Zuga¨nge zum Forschungsproblem ero¨ffnet.

Abb. 1: Bittprozession in Straßburg, Holzsschnitt von 1477 Quelle: Conradus Pfettisheim (wie Anm. 45)

Hinzuweisen ist nur noch auf die Schaffung o¨ffentlicher Ra¨ume, die durch eine architecture parlante ebenso wie durch Bildwerke das Stadtganze in seinen politischen und historischen Bezu¨gen vergegenwa¨rtigen und zur Identifikation auffordern. Der Braunschweiger Altstadtmarkt mit Rathaus und Brunnen geho¨rt ebenso hierher wie das Bremer Rathaus und seine Umgebung, und andere Pla¨tze mehr. Es sind auch bestimmte Geba¨ude, in denen sich die Stadt repra¨sentiert fu¨hlt, und dazu geho¨-

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ren selbstversta¨ndlich die Ratha¨user, besondere Aufmerksamkeit jedoch verdienen auf dem Hintergrund der zuvor beschriebenen Abbreviatur der Stadt, wie sie Siegel und Wappen bestimmten, die Tu¨rme. Die Darstellung von Mu¨nster und Halberstadt (Abb. 2 und 3) in der Croneken der Sassen zeigte Tu¨rme von Kirchen und solche,

Abb. 2: Halberstadt. Holzschnitt von 1492 Quelle: Conrad Bote, Croneken der Sassen, Mainz 1492. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbu¨ttel: Gl 4˚91

die ganz offensichtlich weltlichen Charakter haben. In der Tat geho¨rt der Turmbau, den Jacques Le Goff den mittelalterlichen Vertikalismus genannt hat, in die Reihe der Bauten, die der sta¨dtischen bu¨rgerlichen Selbstdarstellung dienten. Die Beffrois der niederla¨ndischen Sta¨dte lassen sich hier nennen, und die Geschlechtertu¨rme der oberitalienischen und toskanischen Sta¨dte – am bekanntesten jene in Bologna und St. Gimignano. Doch sie fehlen auch anderwa¨rts nicht, auch in den deutschen Sta¨dten nicht. In Regensburg vor allem, aber auch anderwa¨rts, hat sich dergleichen erhalten, wenngleich nicht in derart spektakula¨rer Gestalt wie in Italien. Der Befund ist auf-

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fallend und hat Jacques Le Goff zu pointierten Bemerkungen veranlasst. Im Mittelalter habe sich „der sta¨dtische Stolz in einem Drang, hoch hinauf, bis in den Himmel zu bauen“ gea¨ußert48. Bewusst oder unbewusst hat Le Goff hier eine Formulierung mit biblischem Anklang49 gewa¨hlt: „Wohlan, lasset uns eine Stadt und Turm bauen,

Abb. 3: Mu¨nster, Holzschnitt von 1492 Quelle: wie Abb. 2

dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen“ – der Entschluss zum Turmbau von Babel, von Babylon, dem Gegenpart des himmlischen Jerusalem.

48 Jacques Le Goff, Pour l’amour des villes, Paris 1997; dt.: Die Liebe zur Stadt. Eine Erkundung vom

Mittelalter bis zur Jahrtausendwende, Frankfurt a. M./New York 1998, Zitat S. 122f.

49 Gen 11,4.

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Der hier aufbrechende Widerspruch bleibe unaufgelo¨st, er mu¨sste ausfu¨hrlich diskutiert werden. Dennoch bleibt das Faktum der bis heute erhaltenen Bauten wie des Beffroi von Bru¨gge und des Tu¨rmewaldes von San Gimignano. Le Goff hat, um seine Sicht der Dinge zu unterstreichen, auf ein Lorenzetti zugeschriebenes Bild in der Pinakothek von Siena verwiesen, das er als das erste echte, von der Stadt inspirierte Landschaftsbild des Mittelalters bezeichnet und das wie eine Wiedergabe der Tu¨rmelandschaft von San Gimignano wirkt50. Dieser Befund hat – wie gleich zu berichten ist – Le Goff zu ku¨hnen Vergleichen herausgefordert. Festzuhalten aber bleibt sicherlich, dass neben den Tu¨rmen der Kirchen auch weltliche Tu¨rme stehen und die tu¨rmereiche Silhouette der Stadt als ein zentrales Merkmal der bildlichen Stadtdarstellung der Neuzeit, der Vedute so gut wie der Malerei im allgemeinen zu gelten hat. In der realen Anschauung spielte sie selbstversta¨ndlich eine a¨hnliche Rolle. Die Exempel, die hier Revue passierten und denen noch manche hinzuzufu¨gen wa¨ren, zeigten Versuche, die Stadt und die sta¨dtische Gemeinschaft vermittels der verschiedensten Modi und Medien zu erfassen und darzustellen. Stellt man nun die Frage, ob sich hier zwischen Mittelalter und Neuzeit ein a¨hnlich scharfer Bruch kon¨ bergang von symbolisch aufgeladener Stadtabbreviatur zum statieren la¨sst wie im U die Realita¨t spiegelnden Abbild, dann muss diese Frage verneint werden. Darstellungsformen wie die beschriebenen haben sich in den Sta¨dten der Neuzeit in vollem Umfang weiter erhalten, jedenfalls ihrer Grundstruktur und Intention nach. Zwar setzte die Reformation einzelnen religio¨sen Ausdrucksformen, etwa den Prozessionen, ein Ende, sieht man jedoch genauer hin, so konstatiert man, dass ein solches Ritual in gewandelter oder sa¨kularisierter Form erhalten blieb. Die Rituale der Darstellung des Sozialko¨rpers Stadt und seiner Wertvorstellungen zeigen Konstanz bis zum Ende des Ancien Regime. Hier wa¨re nun der Schlusspunkt zu setzen, aber ein Ausblick, der zugleich die merkwu¨rdige oder doch bemerkenswerte Resistenz von Traditionsbesta¨nden der Vorstellung u¨ber Stadt in den Zeiten eines totalen Umbruchs zu zeigen vermag, sei doch noch gestattet. Das reale Bild der Sta¨dte begann sich im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Industrialisierung radikal zu vera¨ndern, radikaler als je zuvor. Die Urkataster, die erste parzellengenaue Vermessung, haben in den fru¨hen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fast u¨berall in Europa den Zustand der Sta¨dte, ihre ra¨umliche Ausdehnung kurz vor diesem Umbruch festgehalten. Die „Commission Internationale pour l’Histoire des Villes“ hat in das Programm ihrer Grundlagenforschung die Edition dieser fru¨hen Katasterkarten aufgenommen. Die aus dieser Editionsarbeit hervorgegangene Reihe europa¨ischer Sta¨dteatlanten erfaßt demnach den epochalen Moment dieser Entwicklung zur Moderne und bewahrt das Bild der Ausgangsbasis51. Doch davon soll jetzt nicht die Rede sein. 50 Le Goff, Liebe zur Stadt (wie Anm. 48), S. 122 u. 116. 51 Vgl. dazu Roman Czaja, Die historischen Atlanten der europa¨ischen Sta¨dte, in: Jahrbuch fu¨r euro-

pa¨ische Geschichte 3 (2002), S. 205–217; Ferdinand Opll, Europa¨ische Sta¨dteatlanten. Ein Beitrag zu vier Jahrzehnten Stadtgeschichtswissenschaft in Europa, in: Archivistika – Zgodovina – Pravo. Vilfanov spominski zbornik/Archivkunde – Geschichte – Recht. Gedenkschrift fu¨r Sergij Vilfan/ Archives – History – Law. Vilfan’s Memorial Volume (Zgodovinski arhiv Ljubljana. Gradivi in razprave 30), Ljubljana 2007, S. 71–86; eine dauernd aktualisierte Liste der publizierten Sta¨dteatlan-

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Nur der wichtigste Faktor dieser Entwicklung sei hier hervorgehoben. Im Kriterienbu¨ndel, das die europa¨ische Stadt, die okzidentale Stadt des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit definiert hatte, entfiel fortan die festbegrenzte Fla¨che. Die Sta¨dte wuchsen u¨ber die Mauer, das Palladium der mittelalterlichen Stadt hinaus, sie u¨bersprangen sie, ja sie haben sie in der weitaus gro¨ßten Zahl der Fa¨lle abgetragen, beseitigt, zersto¨rt. Das 19. Jahrhundert hat damit die Stadt entgrenzt und jenem Wachstum anheimgegeben, das letztlich die sta¨dtische Agglomerationen von heute hervorgebracht hat. Es ist nun nicht so, dass Stadtplanung und Stadtgestaltung des 19. und 20. Jahrhunderts auf Reminiszenzen der mittelalterlichen Stadt verzichtet ha¨tten, beileibe nicht. Die Bauten des Historismus in den europa¨ischen Sta¨dten brachten Geba¨ude hervor, die das Mittelalter im Grunde zur ho¨chsten Vollendung brachten. Die Ratha¨user und Bo¨rsengeba¨ude jener Zeit, aber auch die Bahnho¨fe und Posta¨mter sind gute Beispiele dafu¨r. An Reminiszenzen der mittelalterlichen Stadt fehlt es also nicht. Ihre Form aber war mit dem Fall der Mauern dahin. Der Weg zur totalen Urbanisierung, der in einer neuen Stadtkultur mu¨ndete, nahm damals seinen Beginn. Man weiß, dass die Stadtdarstellung auf diese Umbru¨che reagiert hat, vehement reagierte, und nun – es war bereits die Rede davon – die Stadt vor allem mit den Mitteln der Kunst, die die Vera¨nderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, des Lebensgefu¨hls und des Lebensrhythmus einzufangen und abzubilden suchte, in Malerei und Literatur, in der letzteren vor allem in der Gattung des Romans, der ebenfalls zu einer der Signaturen einer sich wandelnden Zeit geworden ist. Es entstehen wahre Textsta¨dte, die die Vorstellungen u¨ber Stadt zu pra¨gen begannen, sei es das Paris Victor Hugos oder Emile Zolas, das London von Charles Dickens oder der englischen Kathedral- und Provinzsta¨dte bei Anthony Trollope und Elizabeth Gaskell, das Berlin Wilhelm Raabes oder Alfred Do¨blins, das Dublin des James Joyce, das Warschau von Jan Prus, das Czernowitz Gregor von Rezzoris und das Brody Josef Roths oder auch außereuropa¨ische wie das Kairo des Naguib Mahfouz, das New York von „Manhattan Transfer“ des John Dos Passos oder neuestens das Edinburgh Ian Rankins, das Venedig Donna Leons und die Sta¨dte anderer britischer oder amerikanischer Kriminalromane. Das verfolgen wir nun nicht, davon wird in einem anderen Beitrag dieses Bandes noch die Rede sein52. Zu sprechen ist nun zum Schluss von Traditionsbesta¨nden in dieser Periode des totalen Umbruchs. Es war schon die Rede von den Erinnerungszeichen an die mittelalterliche Stadt, die das 19. Jahrhundert gesetzt hat, die gleiche Periode, die die realen Symboltra¨ger, die Stadtmauern weitgehend beseitigte. Das 19. Jahrhundert hat auch die allgemeinen Bildvorstellungen u¨ber die mittelalterliche Stadt festgeschrieben, ins allgemeine Geda¨chtnis getragen: die Literatur der Romantik mit ihrem Nu¨rnberg- und Reichsstadtkult, die bildlichen Gestaltungen in Ludwig Richters Druckgraphik und die szenische Vergegenwa¨rtigung in Richard Wagners Meistersingern sind als wirkungsten ist erreichbar u¨ber die Homepage der Commission Internationale pour l’Histoire des Villes: www.historiaurbium.org. 52 Vgl. Angelika Corbineau-Hoffmann, Fragmentarita¨t, Fremdheit, Fiktionalita¨t: Literarische Großstadtbilder zwischen Wahrnehmung und Vision.

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Peter Johanek

ma¨chtige Faktoren zu benennen53. Sie haben zur Ausbildung einer Stadtvorstellung gefu¨hrt, die im „historischen Ortskern“ mittelalterlichen Charakters die eigentliche Stadt sieht und wiederum einer Chiffre oder doch einem Stereotyp gleicht. Ich zitiere ein Beispiel der Auseinandersetzung mit diesem Stereotyp, das noch einmal von Gottfried Keller stammt. Keller umreißt im Entwurf zum „Gru¨nen Heinrich“, wie eine Stadt des Mittelalters zu beschreiben wa¨re: „Mittelalterliches Bild. In einer scho¨nen deutschen Gegend liegt an einem Berge ein altes Sta¨dtlein mit allen seinen Baulichkeiten und Tu¨rmen“. Dann folgen Einzelheiten und Keller schließt: „Es muß alle Mannigfaltigkeit und Scheißkram eines solchen Nestes angedeutet werden.“54 Soweit Kellers Auseinandersetzung mit der Idylle, die sich das 19. Jahrhundert mit seinem Bild von der mittelalterlichen Stadt geschaffen hat, als Gegenbild zu einer sich vera¨ndernden Welt der Sta¨dte in der Realita¨t, ein Gegenbild, das wirkungsma¨chtig blieb und noch immer wirksam ist. Auch Keller hebt die Tu¨rme hervor, und sie mo¨gen nun am Schluss stehen. Die Vorstellung von der tu¨rmereichen Stadt, das Bild von der tu¨rmereichen Stadt, fand sich seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit einem neuen Vertikalismus im Sta¨dtebau konfrontiert, der Entwicklung des Hochhausbaus, der von den amerikanischen Sta¨dten, Chicago und New York – Manhattan – ausging und in jenen Bauten seinen Endpunkt erreichte, die man im fru¨hen 20. Jahrhundert als Wolkenkratzer, heute aber in der Regel als Tower, als Tu¨rme bezeichnet und die die Silhouette jener Sta¨dte, ihre Skyline pra¨gen55. Diese Konfrontation war es, die Jacques Le Goff zu seiner ku¨hnen Formulierung veranlasste: „Letztendlich ku¨ndigte San Gimignano schon Manhattan an, wo einer der majesta¨tischsten Formen der mittelalterlichen Vorstellungswelt in die Wirklichkeit umgesetzt wurde: der Vertikalismus“, und in seinem Buch „Die Liebe zur Stadt“, aus der ich hier zitiert habe, hat er ein Photo der Tu¨rme von San Gimignano in provokativer Weise einem Photo der Skyline von Manhattan mit dem Empire State Building gegenu¨bergestellt56. Fu¨r manche Sta¨dtehistoriker mag dieser Vergleich in der Tat eine Provokation darstellen, vor allem, weil die o¨konomischen Antriebskra¨fte des Hochhausbaus bekannt genug sind, und es des Erkla¨rungsmodells eines Ru¨ckgriffs

53 Peter Johanek, Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert, in: Die

Deutschen und ihr Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff, Darmstadt 1992, S. 81–100; 193–202; Ders., „Du treue, fleißige Stadt“ – Nu¨rnberg, das Sta¨dtewesen des Mittelalters und Richard Wagners Meistersinger, in: Programmhefte der Bayreuther Festspiele 1986, VII: Die Meistersinger von Nu¨rnberg, hg. v. Wolfgang Wagner, S. 10–34. 54 Gottfried Keller, Sa¨mtliche Werke, hg. v. Thomas Bo ¨ ning/Gerhard Kaiser, Bd. 7: Aufsa¨tze, Dramen, Tagebu¨cher, hg. v. Dominik Mu¨ller (Bibliothek Deutscher Klassiker 137), Frankfurt a. M. 1996, S. 654. 55 Vgl. dazu nur Jean-Louis Cohen, Scenes of the World to come. European Architecture and the American Challenge 1893–1960, Paris 1965; einflussreich: Lewis Mumford, Sticks and stones, New York 1924 (deutsch: Vom Blockhaus zum Wolkenkratzer. Eine Studie u¨ber die amerikanische Architektur und Zivilisation, zuletzt ND Berlin 1997), sowie zusammenfassend Marianne Rodenstein, Die vertikale Entwicklung der europa¨ischen Stadt im 20. Jahrhundert, in: Die Alte Stadt. ZSSD 29 (2002), S. 261–274. 56 Le Goff, Liebe zur Stadt (wie Anm. 48), S. 123 sowie 120f.

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auf mittelalterliche Stadtvorstellungen nicht bedarf. Jedoch: auch die Wolkenkratzerbauten Chicagos aus dem fru¨hen 20. Jahrhundert weisen in ihren Bauelementen und in ihrer Ornamentierung mittelalterliche Motive auf. Auch ist der Prestigecharakter und auch der Symbolcharakter, der den Hochha¨usern zukommt bis in die Gegenwart nicht zu verkennen. Der europa¨ische Kontinent hat die Skyline-Entwicklung Chicagos und Manhattans nicht u¨bernommen, mit den Ausnahmen von Rotterdam und Frankfurt am Main. Lediglich in der Sowjetunion der 1920er und 30er Jahre hat es lebhafte Diskussionen und Planungen gegeben57. Europa hat sich im allgemeinen mit Solita¨ren begnu¨gt, und gerade dies belegt den Prestigecharakter solcher Bauten. In der Zwischenkriegszeit hat trotz der Wolkenkratzerkritik, die im Spektrum breit von politisch links bis politisch rechts reichte, eine große Zahl von Großsta¨dten sich ein repra¨sentatives Hochhaus zugelegt, und in der Diskussion um den noch zu bauenden York-Tower in Mu¨nster zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielt der Prestigecharakter ebenfalls eine Rolle, allerdings ohne dass das Mittelalter in den Pro-Argumenten fu¨r den Tower thematisiert worden wa¨re58. Dem sei nun wie es wolle, und man sollte den Vergleich von San Gimignano und Manhattan nicht u¨berstrapazieren. Ein interessantes Faktum jedoch ist, dass in der Neugestaltung sta¨dtischer Ra¨ume, wie sie sich zur Zeit auf breiter Front vollzieht, in der Architekturschule des neotraditionellen Sta¨dtebaus Entwu¨rfe angeboten und verwirklicht werden, die durch Schlagworte gepra¨gt sind, die man mit dem Bild, dem baulichen Geha¨use der mittelalterlichen Stadt verbindet – Gemeinsinn, Identifikation und Ordnungsangebote, Konzeptionen auch, in denen Tu¨rme eine Rolle, und zwar eine markante Rolle spielen. Ein Beispiel aus den Niederlanden, aus Den Haag, der Komplex „De Resident“, ein Verwaltungs- und Dienstleistungszentrum mit erga¨nzender Wohnnutzung, mag das verdeutlichen59. Nahe der Altstadt, unmittelbar an sie angrenzend, war entlang der Herengracht und der Ausfallstraße nach Wassenaar ein großes Areal neu zu gestalten, wobei eine neue Achse zum Bahnhof entstehen sollte. Verwirklicht wurde das Projekt von 1989 bis 2001. „For economic reasons“ – so schreiben die ausfu¨hrenden Architekten, unter ihnen Rob Krier – „this inner city area had to be efficiently used“.60 Das bedeutete die Entscheidung fu¨r Tu¨rme, und ein bereits existierender war zu integrieren. Der Plan der Anlage zeigt ein Zusammenspiel von Pla¨tzen und Achsen mit den Tu¨rmen, darunter den bereits existierenden Hochhausbau in Rechteckquaderform. Im fertigen Produkt wurde er optisch in zwei Tu¨rme aufgelockert und mit Giebelda¨chern 57 Dazu etwa: Sta¨dtebau im Schatten Stalins. Die internationale Suche nach der sozialistischen Stadt in

der Sowjetunion 1929–1935, hg. v. Harald Bodenschatz/Christiane Post, Berlin 2003 sowie Karl Schlo¨gel, The shadow of an imaginary tower, in: Naum Gabo and the competition for the Palace of Sowiets, Moscow 1931–1933, hg. v. Helen Atkins, Berlin 1993, S. 177–183; es ist bezeichnend, dass Mumford, Sticks and stones (wie Anm. 55) in russischer Sprache publiziert wurde: Ot brevenschatogo doma do neboskreba. Ocherk istorii amerikanskoj architektury (Von der Holzhu¨tte zum Wolkenkratzer. Umriss der Geschichte amerikanischer Architektur), Moskau 1936. 58 Die Diskussion ist greifbar unter www.muenster.org/stadtgespraech/artikel/tower_fazit.html 59 Vgl. dazu Vincent van Rossem, Urban Space as Architectural Task. Rob Krier in The Hague: The Resident, Rotterdam 1996; Rob Krier, Town Spaces. Contemporary Interpretations in Traditional Urbanism. Krier-Kohl Architects, Basel/Berlin/Boston 2003, bes. S. 146–161. 60 Krier, Town Spaces (wie Anm. 59), S. 151.

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Abb. 4: oben: Jerusalem. Ausschnitt aus Jan van Eyck, Die Kreuztragung. Kopie eines verschollenen Originals, um 1530 (Nationalmuseum Budapest) unten: Den Haag. Blick auf ‚De Resident‘ vom ‚Binnenhof‘ her Quelle: oben: Hier in seitenverkehrter Wiedergabe wie bei Le Goff, Liebe zur Stadt (wie Anm. 48), S. 124/125 unten: Krier, Town Spaces (wie Anm. 59), S. 152

versehen, die u¨brigen Tu¨rme erhielten Kuppeln. Der Blick von der Altstadt, vom Binnenhof her, zeigt ein Turmgebirge, das die niedrige Altstadtbebauung weit u¨berragt. Die Ru¨ckgriffe auf traditionelle Elemente sind nicht zu u¨bersehen, die ausfu¨hrenden Architekten sind bekannt fu¨r solche Verfahren, und sie umschrieben die Herausfor-

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derung, der sie sich gegenu¨bersahen, in folgender Weise: „Our desire for a romantic abundance of differentiation was put to the test in an industry and mentality set on rationalization and standardization“.61 Das Ergebnis ihrer Bemu¨hungen verlockt dazu, das Verfahren Le Goffs zu adaptieren und dem Bauvorhaben „De Resident“ im Haag eine mittelalterliche Stadtansicht zur Seite zu stellen, und zwar ein Bild Jan van Eycks, „Die Kreuztragung“, in dem der Maler seine Vorstellung von Jerusalem wiedergibt, das heute in Budapest ha¨ngt und das Jacques Le Goff ebenfalls abgebildet hat62. Es ko¨nnte als Vorbild gedient haben (Abb. 4). Selbstversta¨ndlich tat es das nicht. Aber „De Resident“ und manche a¨hnliche Baukomplexe belegen doch das Fortdauern mittelalterlicher Traditionsbesta¨nde in der Vorstellung von Stadt, wobei den Tu¨rmen ein hoher Stellenwert zukommt. Wir leben heute in Sta¨dten ohne Mauern, sie haben ihre Symbolkraft als einigendes Band verloren. Tu¨rme aber entwerfen und bauen die Sta¨dteplaner noch immer, und sie symbolisieren auch heute die Kultur und die Werte der okzidentalen Stadt. Und das mag der Grund sein, warum der Anschlag vom 11. September 2001 auf die Tu¨rme des World Trade Center die westliche Welt mitten ins Herz traf.

61 Ebd., S. 146, dort auch eine Reihe von Abbildungen. 62 Le Goff, Liebe zur Stadt (wie Anm. 48), S. 124f.

DIE STADT DER BILDER Verona im Spa¨tmittelalter* von Lucas Burkart

Die Bildu¨berlieferung spa¨tmittelalterlicher Sta¨dte ist vergleichsweise reichhaltig. Dies gilt in besonderer Weise fu¨r die blu¨henden Sta¨dtelandschaften in Nord- und Mittelitalien, in Flandern sowie am Oberrhein. Es geho¨rte zum Selbstversta¨ndnis dieser Sta¨dte und ihrer Bu¨rger, ihre Bedeutung und politische Stellung nicht nur in Texten zu dokumentieren, sondern sich auch in Bildern zu repra¨sentieren. So begannen Sta¨dte etwa in der Mitte des 12. Jahrhunderts, auf ihren Siegeln Stadtbilder zu fu¨hren; seit dem Ende des Hochmittelalters zeigten diese Bilder nicht mehr prima¨r eine reine Idee einer Stadt sowie deren go¨ttlichen Schutz, sondern sie ließen vermeintlich individuelle Merkmale der Stadt erkennen. Die Funktion des Siegels in der mittelalterlichen Rechtspraxis, den Urkundenaussteller zu repra¨sentieren, ihn zu vergegenwa¨rtigen und somit ein gesiegeltes Schriftstu¨ck als ein authentisches Dokument zu beglaubigen1, war von nun an an das Bild der Stadt geknu¨pft. Das vermeintlich authentische Bild der Stadt stand mit anderen Worten fu¨r Rechtma¨ßigkeit, Rechtssicherheit und Legitimation sta¨dtischer Herrschaft. Auch in Verona siegelte die Kommune seit der Mitte des 15. Jahrhunderts mit einem solchen Bild, auf welchem nebst der zentralen Figur des Stadtpatrons Zeno der Mauerring sowie prominente Monumente der Stadt erkennbar sind (Abb. 1)2. Trotz seines Charakters einer Abbreviatur erha¨lt das Bild einen individuellen Zug. Dieses Bild der Stadt fand aber auch Eingang in die kommunale Selbstrepra¨sentation, etwa in literarischen Stilisierungen, wo es als Holzstich gleichsam selbstversta¨ndlich in einen Textkorpus sta¨dtischer Chronistik

* Das Manuskript wurde bereits 2005 abgeschlossen. 1 Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre I, Leipzig 1912, S. 677f. Ahasver von Brandt, Werk-

zeug des Historikers, Stuttgart 1958, S. 163f.

2 Dieses Siegel ersetzte das fru¨here Stadtsiegel, das in den Unruhen von 1439 verloren gegangen war, als

die Visconti versuchten, Venedig die Herrschaft u¨ber die Stadt nochmals zu entreißen. Das Siegel war aber tatsa¨chlich eine Neuerung, die sowohl ein neues Bild als auch eine neue Umschrift brachte. Die a¨ltere Umschrift EST IUSTI LATRIX URBS HAEC ET LAUDIS AMATRIX umgab das Bild eines (antiken?) Palastes, wa¨hrend das neue Siegel mit Bild und Schrift die Stadtchiffre einerseits auf das Aussehen Veronas bezog, andererseits sakral u¨berho¨hte und transzendierte. Der Bezug auf das himmlische Jerusalem ist in der Umschrift des Siegels VERONA MINOR JERUSALEM DIVO ZENONI PATRONO explizit, im Bild aber auf das Diesseits bezogen. Initiator der Neuerung war Silvestro di Lando, sta¨dtischer Schreiber und Verfasser der erneuerten Statuten von 1450.

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Lucas Burkart

integriert wurde (Abb. 2)3. Doch das Bild der Stadt fand nicht nur im kommunalen Kontext, sondern auch im Sakralbereich der Stadt Verwendung. Der Figur des heiligen Dominikanerma¨rtyrers Petrus in der Dominikanerkirche von Sant’Anastasia ist

Abb. 1: Siegel von Verona. 1473 Quelle: Biblioteca civica di Verona

ein Stadtmodell beigegeben, das seine besondere Verbundenheit mit der Stadt anzeigen sollte (Abb. 3); dieser Heilige war gewissermaßen als Fu¨rbitter bei Gott gleichsam auf die Stadt abonniert4. Das Bild der Stadt diente also nicht nur dazu, politische Legitimation anzuzeigen, sondern auch dazu, die Interzession der Heiligen im Jenseits zu Gunsten der Stadt zu bezeugen. Diese Bilder Veronas sind selbstversta¨ndlich Abbreviaturen oder Chiffren von Stadt, die keinen Anspruch auf Vollsta¨ndigkeit, fotographische Pra¨zision oder topographische Genauigkeit erheben; sie funktionieren als Chiffren von Stadt ohne all dies, was wir heute unter einem getreulichen Abbild verstehen wu¨rden; dennoch lassen sie fu¨r das instruierte Auge die abgebildete Stadt zweifelsfrei als Verona erkennbar werden5. Solche Momente sta¨dtischer (Selbst-)Repra¨sentation in Bildern lassen sich 3 Nino Cenni/Maria Fiorenza Coppari, I segni della Verona veneziana (1405–1487), Verona 1989,

S. 127–131.

4 Daniela Zumiani, Immagini quattrocentesche di Verona nell’iconografia di S. Pietro Martire: La

„forma urbis“ e l’identita` storica, in: Atti e Memorie dell’Academia di Agricoltura, Scienze e Lettere di Verona, 163, serie 6, vol. 38, 1986–1987, S. 385–400. 5 Die Illusion quasi-fotographischer Pra¨zision fu¨r Stadtbilder du¨rfte erstmals in der monumentalen Stadtansicht Venedigs von Jacopo Barbari angewendet worden sein, die um 1600 etwa auch von Mat-

Die Stadt der Bilder

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fu¨r zahllose andere Sta¨dte ebenfalls nachweisen; sie ko¨nnen fu¨r spa¨tmittelalterliche Sta¨dte als typisch gelten.

Abb. 2: Verona im 15. Jahrhundert Quelle: Holzstich aus dem Fioretto des Francesco Corna da Soncino

tha¨us Merian perfektioniert wurde. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine wirkliche Pra¨zision, sondern vielmehr um den geschickten Einsatz ku¨nstlerischer Mittel, welche Sehkonventionen bedienten, die bis heue Gu¨ltigkeit beanspruchen. Hierzu Ernst Hans Josef Gombrich, Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Ko¨ln 1967, S. 91f. Michael Schmitt/Jochen Luckhardt, Realita¨t und Abbild in Stadtdarstellungen des 16. bis 19. Jahrhunderts, Mu¨nster 1982. Gero Arnscheidt, Vom Prospectus zum Prospekt. Die graphische Stadtdarstellung zwischen Repra¨sentation und Werbung, in: Bernhard Kirchga¨ssner/Hans-Peter Becht (Hg.), Stadt und Repra¨sentation, Sigmaringen 1995, S. 9–23. Lucas Burkart, StadtAnsichten. Der Basler Stadtplan von Mattha¨us Merian ¨ . aus dem Jahr 1615/17, in: Bildgeschichten. Aus der Bildersammlung des Staatsarchivs Basel-Stadt d. A 1899–1999, hg. v. Esther Baur Sarasin/Walter Dettwiler, Basel 1999, S. 60–63.

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Doch die Frage nach Bild und Wahrnehmung der Stadt la¨sst sich mit einem derart unmittelbaren Versta¨ndnis von Stadtbild kaum beantworten. Weder entspricht das Bild der Stadt einzelnen oder einer Anzahl von Bildern, welche Stadt darstellen und abbilden, noch beschra¨nkt sich Stadtwahrnehmung auf die in einem physisch gedachten Sehvorgang vollzogene Aneignung materieller Bilder. Das Bild der Stadt greift u¨ber den Rahmen von Stadtbildern hinaus, Stadtwahrnehmung vollzieht sich im sta¨d-

Abb. 3: Verona. Sant’Anastasia. Modell der Stadt in der Hand des Veroneser Ma¨rtyrerheiligen Petrus Quelle: Foto des Verfassers

tischen Raum als ein komplexer Vorgang, in welchem Texte und Bilder, Diskurse und Repra¨sentationen interagieren. Diese Interaktion la¨sst sich als sozial codierter, sta¨dtischer Bilderraum beschreiben und bildet gewissermaßen die Matrix, vor welcher eine zeitgeno¨ssische Stadtwahrnehmung erfolgt6.

6 Hierzu allgemein und ausfu¨hrlicher Lucas Burkart, Die Stadt der Bilder. Familiale und kommunale

Bildinvestition im spa¨tmittelalterlichen Verona, Mu¨nchen 2000.

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1. Der sta¨dtische Bilderraum

Diesen Raum gilt es jedoch zuna¨chst zu rekonstruieren. Denn obwohl beim Anblick von Sta¨dten die Spuren ihrer Vergangenheiten deutlich sichtbar sind, pra¨sentieren sie sich in einem diachronen Nebeneinander. Die Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger

Abb. 4: Verona. Palazzo Montanari, Piazza Erbe Quelle: Foto des Verfassers

Vergangenheitsspuren charakterisiert den Bilderraum der Stadt und ist zugleich ein Strukturmerkmal der europa¨ischen Stadt, das sich im su¨dalpinen Raum besonders deutlich zeigt, wo Stadtkultur seit der Antike niemals mehr vollsta¨ndig verloren gegangen ist. Neben Rom trifft dies bekanntlich fu¨r kaum eine andere Stadt so sehr zu wie fu¨r Verona. Die Antike pra¨gt mit Arena, Porta Borsari, Ponte Vecchio und Theater das Stadtbild bis heute und sie tat es auch im Spa¨tmittelalter; auch die Anlage der spa¨tmittelalterlichen Straßen geht auf das antik-ro¨mische Muster von cardo und

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decumanus zuru¨ck, an deren Schnittpunkt sich einst das forum, bis heute das o¨konomische Zentrum der Stadt befindet.

Abb. 5: Verona. Portal von Sant’Eufemia Quelle: Foto des Verfassers

Neben den antiken Spuren pra¨gten aber auch ‚Bilder‘ der ju¨ngeren Vergangenheit den Raum der spa¨tmittelalterlichen Stadt. Die Signorien des 14. Jahrhunderts sind in urbanistischen Interventionen und Architektur gleichermaßen sichtbar wie die Kommune und die venezianische Republik, welcher die Stadt seit 1405 unterworfen war, Bauten des Gemeinwesens stehen neben solchen einzelner Bu¨rger. Das Aussehen des vormodernen Verona wurde des weiteren intensiv von Malerei bestimmt – nicht nur die Innenra¨ume von Kirchen und Pala¨sten, sondern auch deren Fassaden

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waren bemalt und bestimmten dadurch das Stadtbild nachhaltig. Jacob Burckhardt sah in Verona zur Mitte des 19. Jahrhunderts große Teile dieser Fassadenmalerei noch intakt, wa¨hrend sie heute beinahe vollsta¨ndig verloren ist (Abb. 4). Auch Skulpturen trugen mit herausragenden Beispielen zur Komposition des sta¨dtischen Bilderraums bei. An Kirchenfassaden (Abb. 5) ebenso wie an den beru¨hmten Grabma¨lern der Scaliger (Abb. 6).

Abb. 6: Verona. Scaligergra¨ber Quelle: A. M. Allen, A history of Verona, London 1910, nach S. 362

Doch zur Rekonstruktion des sta¨dtischen Bilderraums reicht es nicht aus, die unterschiedlichen visuellen Dokumente zusammenzufu¨hren, wie sie als Gattungen in der Kunstgeschichte bekannt sind. Das Interesse der Geschichtswissenschaft am Bilderraum der Stadt bezieht weitere Bilder mit ein, die in einer traditionellen Kunstgeschichte bisher weniger Beachtung gefunden haben. Gegenstand der Kunstwissenschaften waren in der Regel Kunstwerke; dieses disziplina¨re Selbstversta¨ndnis soll hier gar nicht in Frage gestellt werden. Fu¨r unsere Fragestellung ist es jedoch problematisch, da es die a¨sthetische Wertscha¨tzung als ein Ausschlusskriterium des Untersuchungsgegenstandes transportiert. Denn nicht nur Kunstwerke pra¨gten den Bilderraum einer spa¨tmittelalterlichen Stadt. Die Bilder, die diesen Raum pra¨gten, entspre-

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chen daher eher den Visibilia, dem Sichtbaren oder Visuellen, ohne dass damit bereits ein a¨sthetisches Urteil impliziert wa¨re. Das bedeutet seinerseits wiederum nicht, dass der a¨sthetische Wert eines Bildes fu¨r die Analyse des sta¨dtischen Bilderraums keine Rolle spielen wu¨rde; es bedeutet jedoch, dass er a priori kein Ausschlusskriterium der Bildauswahl darstellen kann. Dadurch ru¨ckt eine ganze Reihe von Bildern in den Blickpunkt, die den Bilderraum Veronas pra¨gten, durchaus visuelle Dimensionen von Interesse aufwiesen, jedoch als Massenproduktion, als Gebrauchsgegensta¨nde oder als Handwerkskunst in der Kunstgeschichte nur am Rande interessierten. Fu¨r die Rekonstruktion eines sta¨dtischen Bilderraums ist demnach entscheidend, dass solche Bilder zuna¨chst durchaus ebenbu¨rtig neben ku¨nstlerischen Meisterwerken zu ihrem Recht kommen. Zu dieser ersten Erweiterung des Bildbestandes, dem sich das Interesse fu¨r den sta¨dtischen Bilderraum zuzuwenden hat, tritt ein zweites Segment. Zur sta¨dtischen Bildproduktion und damit zur Stadt als Bilderraum geho¨ren bis heute ephemere Bilder. Feste, Inszenierungen, ephemere Architekturen, Prozessionen und Umzu¨ge geho¨rten zu vormodernen Sta¨dten wie Historienspiele in die Bu¨rgersta¨dte des 19. oder die Love Parade und Friedensdemos in diejenigen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Solche Ereignisse hatten und haben aber nicht nur „Event-Charakter“, sondern visuelle Kompetenz. Sie tragen gleichermaßen zum Bilderraum der Stadt bei, wie dies die materielle Bildproduktion tut. Auch diesen ephemeren Bildern kommt grundsa¨tzlich derselbe Stellenwert zu, wie den oben genannten Bereichen des Visuellen. Selbstversta¨ndlich hat die Geschichtswissenschaft Feste, Prozessionen, Entre´es, Adventus usw. la¨ngst als Forschungsgegenstand erkannt, doch dabei den Akzent meist nicht auf deren Visualita¨t gelegt7. Erst die Verbindung solch unterschiedlicher Dokumente dessen, was den Zeitgenossen als Visibilia vor Augen stand, fu¨hrt anna¨herungsweise zur Rekonstruktion des sta¨dtischen Bilderraums, der sich nicht nur fu¨r die Bilder selbst interessiert, sondern nach deren sozialer und kultureller Bedeutung fragt. Das Ergebnis dieser Rekonstruktion ist also im besten Fall ein Stadtplan, aus dem nicht nur der Verlauf der Straßen ersichtlich wird, sondern auf dem gleichsam die Stadt in ihrer zeitgeno¨ssischen Sichtbarkeit wiedergegeben wa¨ren. Wenn wir uns einen solchen Plan Veronas in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts vor Augen fu¨hren, blicken wir zuna¨chst einmal auf ein – wie in spa¨tmittelalterlichen Sta¨dten durchaus u¨blich – dichtes Netz von kirchlichen Institutionen innerhalb ¨ bersowie außerhalb der Stadtmauern. Daneben liegen gleichsam wo¨rtlich antike U reste: Theater, Arena, Ponte Pietra, Porta Leone, Porta de’ Borsari, diese beiden als Tore in den spa¨tmittelalterlichen Mauerring integriert. Dann die Reste der Signorienherrschaft, also Citadella, Castelvecchio, Castel Felice und Scaligergra¨ber sowie zahlreiche Spuren sta¨dtischer Feste, kirchlicher und laikaler Prozessionen und Inszenierungen, bu¨rgerliche Wohnha¨user und Pala¨ste sowie schließlich eine beeindruckende

7 In ju¨ngerer Zeit hat sich auch die Kunstwissenschaft dem Thema immaterieller, ephemerer Bilder ange-

nommen. Vgl. Philine Helas, Lebende Bilder in der italienischen Festkultur des 15. Jahrhunderts, Berlin 1999.

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Anzahl von Baustellen. Sowohl die Kommune als auch die Bu¨rger der Stadt beta¨tigten sich als Bauherren. Der Palastbau boomte in einer Stadt, die als Umschlagplatz fu¨r den Textil-, aber auch als Kapitalmarkt diente und deren Herrschaft u¨ber den contado jenseits einzelner Konflikte kaum angefochten war8.

Abb. 7: Verona. Loggia del Consiglio, Piazza Signori Quelle: A. M. Allen, A history of Verona, London 1910, nach S. 338

Als gro¨ßte Bauherrin trat die Kommune auf, die in den Bau o¨ffentlicher Pala¨ste investierte. Nachdem die Stadt 1405 unter venezianische Kontrolle gekommen, und der ehemalige Palast der Stadtherren della Scala als Sitz der venezianischen Rektoren erneuert worden war, begann die Kommune, das politische Zentrum der Stadt umzugestalten. Stets in Ru¨cksprache mit der Serenissima – und in letzter Instanz auf deren Einwilligung angewiesen – ließ die Stadt am alten Kommunalpalast eine repra¨sentative Außentreppe sowie einen campanile errichten. Beides unverkennbare Zeichen kommunaler Herrschaftsrepra¨sentation, wie sie andernorts ebenfalls bekannt waren. Um 1450 begann im sta¨dtischen Rat eine Debatte um den Bau eines neuen Ratssaales. Das Ergebnis dieser Debatte ist die beru¨hmte Loggia del Consiglio, die in all ihren Details jedoch erst 1492 vollendet wurde (Abb. 7). Noch vor Abschluss bewil-

8 Gian Maria Varanini, Il distretto veronese nel Quattrocento. Vicariati del comune di Verona e vicariati

privati, Verona 1980. John E. Law, „Super differentiis agitatis Venetiis inter districtuales et civitatem“. Venezia, Verona e il contado nel ’500, in: Archivio Veneto, serie V, 116 (1981), S. 5–32.

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ligte der Rat bereits ein weiteres Projekt: „Da das großartige Bauwerk einer Loggia mit Saal“, so die Ratsakten, „soweit errichtet wurde, ist es folgerichtig, zweckdienlich und notwendig, nun auch die Fassade der Domus Pietatis, die durch einen Torbogen mit besagter Loggia verbunden ist, auszuschmu¨cken und instand zu stellen; dies geschieht, um die Zierde der Platzanlage zu vervollsta¨ndigen. Es ergeht der Beschluss, dass fu¨r besagte Ausschmu¨ckung und Instandstellung am Geba¨ude und an der Fassade dieses Hauses von den Einku¨nften des Hospitals SS. Giacomo e Lazzaro alla Tomba ein Betrag bis zweihundert Dukaten aufgewendet wird, und nicht mehr“9. Mit einem weiteren, fu¨r das ausgehende 15. Jahrhundert typischen Repra¨sentationsbau schloss die Kommune die Umgestaltung des politischen Zentrums auf der Piazza Signori ab. Neben dem politischen Zentrum la¨sst sich die Hand der Kommune auch an anderen Orten der Stadt nachweisen – in der Reorganisation des wichtigsten o¨konomischen Zentrums auf der benachbarten Piazza Erbe ebenso wie in der Umgestaltung der pescheria oder dem Viehmarkt; in Eingriffen im sta¨dtischen Straßennetz ebenso wie in der Bearbeitung privater Baubegehren, sowie schließlich im Schutz des o¨ffentlichen Grunds im Zeichen von sta¨dtischem honor und decus10. Der Eingriff der Kommune in den Bilderraum der Stadt war Signum aller kommunaler Herrschaft, und seit etwa 1300 waren solche Interventionen in den Sta¨dten Ober- und Mittelitaliens gleichsam ubiquita¨r; in diesen großen o¨ffentlichen Bauprojekten des 14. Jahrhunderts zelebrierten die lokalen Eliten die Konsolidierung ihrer politischen und o¨konomischen Herrschaft11. Die Baustellen Veronas waren fu¨r den hier untersuchten Zeitraum zwischen 1450 und 1500 aber nicht nur diejenigen der Kommune, sondern auch diejenigen ihrer Bu¨rger. Dieser Boom privater Palastbauten war etwas Neues, das sich nicht nur fu¨r Verona beobachten la¨sst, denn die Stadt an der Etsch erlebte im 15. Jahrhundert wie viele Sta¨dte Italiens einen Aufschwung privater Bauta¨tigkeit. Goldthwaite hat nachgewiesen – vor allen Dingen anhand florentinischer Quellen –, dass das sta¨dtische Bu¨rgertum mit der Stabilisierung der politischen Rahmenbedingungen sowie einem o¨konomischen Aufschwung begann, in den Bau pra¨chtiger Stadtpalais zu investieren, die sie zudem mit ihren heraldischen Familienzeichen versahen (Abb. 8)12. Doch die Palazzi der sta¨dtischen Eliten pra¨gten die Straßenzu¨ge nicht nur in Florenz, Siena und Venedig, sondern auch in den kleineren kommunalen Zentren Nord- und Mittelitaliens. 9U ¨ bersetzung aus: Archivio di Stato di Verona, Antico Archivio Comune, Atti del Consiglio, reg. 64,

fol. 280v. Zur Domus Pietatis im allgemeinen siehe Gian Maria Varanini, La carita` del municipio. Gli ospedali veronesi nel Quattrocento e primo Cinquecento, in: L’ospedale e la citta`. Cinqucento anni d’arte a Verona, hg. v. Gian Maria Varanini/Paola Marini/Giorgio Marini, Verona 1996, S. 20–23; zu Architektur und Dekoration der Domus siehe Gunter Schweikhart, Il Quattrocento: formule decorative e approcci al linguaggio classico, in: Pier Paolo Brugnoli, L’architettura a Verona nell’eta` della serenissima (secc. 15–18), Verona 1988, S. 31f. 10 Gian Maria Varanini, Edilizia privata e licenze per l’occupazione di suolo pubblico a Verona nel Quattrocento, in: Lo spazio nelle citta` venete (1348–1509). Urbanistica e architettura, monumenti e piazze, decorazione e rappresentazione, hg. v. Enrico Guidoni/Ugo Soragni, Rom 1997. 11 Richard A. Goldthwaite, Wealth and the Demand for Art in Italy, 1300–1600, Baltimore 1993, S. 176f. 12 Goldthwaite, Wealth (wie Anm. 11), S. 191f.

Quelle: nach einem Stich von P. Nanin, 1864

Abb. 8: Verona. Palazzo Miniscalchi, Via S. Mammaso

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Die Bildinvestitionen des Patriziats flossen in Verona und anderswo nicht nur in den Bau privater Stadtpala¨ste. Nicht weniger opulent, wenn meist aber doch weniger kostspielig, waren die so genannten frommen Stiftungen (Abb. 9). Es muss an die-

Abb. 9: Domenico Morone, Unter Fu¨rsprache der heiligen Franziskus und Klara pra¨sentieren sich Leonello Sagramoso und seine Frau der Muttergottes als fromme Stifter. Verona. Libreria Sagramosa, San Bernardino Quelle: Foto des Verfassers

ser Stelle weder u¨ber Jenseitsvorstellungen, noch u¨ber fromme Stiftungen als Investitionen in individuelles Heilserwarten noch u¨ber Memoria gehandelt werden, um auf die vielfa¨ltigen sozialen, o¨konomischen und religio¨sen Voraussetzungen und Bedeutungen solcher Stiftungen hinzuweisen. Die wegweisenden Forschungen von Chiffoleau, Angenendt, Oexle und Borgolte sowie deren intensive Rezeption belegen die Bedeutung solcher Stiftungen ausreichend13. Wesentlich fu¨r unseren Zusammenhang 13 Jacques Chiffoleau, La comptabilite´ de l’au-dela`. Les hommes, la mort et la religion dans la re´gion

d’Avignon a` la fin du Moyen Age (1320–1480), Rom 1980. Otto Gerhard Oexle, Memoria und Memorialbild, in: Karl Schmid/Joachim Wollasch, Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, Mu¨nchen 1984, S. 397f. Dieter Geuenich/Otto Gerhard Oexle, Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters, Go¨ttingen 1994. Michael Borgolte, Memoria. Zwischenbilanz eines Mittelalterprojekts, in: Zeitschrift fu¨r Geschichtswissenschaft 46 (1998), Heft 3. Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Michael Borgolte, Berlin 2000. Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosita¨t im Mittelalter, Darmstadt 2000.

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scheint mir aber zu sein, dass solche Bildinvestitionen trotz ihrer formalen und stilistischen Heterogenita¨t als gleichsam uniforme Sozialgeste sta¨dtischer Eliten den Bilderraum der Stadt in hohem Maße pra¨gten. Kaum ein Kirchenraum spa¨tmittelalter-

Abb. 10: Architrav der Villa Rizzoni, Quinzano Quelle: Foto des Verfassers

licher Sta¨dte ist von solchen Signaturen familialer Bildinvestition ausgespart; wie im Straßenbild und damit im sta¨dtischen Bilderraum hinterließen die Familien ihre Spuren im Sakralbereich der Sta¨dte. Schließlich geho¨rte zum Bilderraum Veronas nicht nur die Stadt, sondern auch der contado. Der o¨konomischen und sozialen Bedeutung des sta¨dtischen Umlandes entsprechend konstruierte hier nun aber ausschließlich das Patriziat mit dem Bau von Villen und Ga¨rten den Bilderraum der Stadt u¨ber deren Mauern hinweg; die Kommune war an diese Stelle nicht sichtbar. Aber auch hier wurden gesellschaftlicher Status und Prestige an Bildern fixiert und durch diese kommuniziert. So brachte etwa Benedetto Rizzoni an seiner Villa in Quinzano, unweit Veronas, nicht nur seinen Namen an, sondern ließ in ein Fensterarchitrav auch den Titel des von ihm an der ro¨mischen Kurie bekleideten Amtes anbringen: scriptor apostolicus (Abb. 10).

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Der Bilderraum Veronas geriet mit anderen Worten zwischen 1450 und 1500 ziemlich in Bewegung. Die Interventionen waren zahlreich, Kommune und Patriziat investierten gleichermaßen in Bildproduktion und gestalteten dabei den sta¨dtischen Bilderraum neu. Aber trotz dieser zahlreichen Vera¨nderungen wa¨re auf einem Plan der visuellen Erscheinungen der Stadt neben all diesen neuen Bildinvestitionen vieles zu sehen, das seit Jahrhunderten das Stadtbild pra¨gte. Trotz aller Aktivita¨ten des 15. Jahrhunderts, das ja stets als besonders dynamisch beschrieben wird, wa¨re das Bild der Stadt stets auch noch von Arena, Porta Borsari und Castelvecchio gepra¨gt. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bleibt auch wa¨hrend intensiver Bauta¨tigkeit von Kommune und Patriziat eine Signatur des sta¨dtischen Bilderraums. Die Rekonstruktion der visuellen Form der Stadt ist demnach nur der erste Schritt fu¨r das historische Interesse am sta¨dtischen Bilderraum, denn letztendlich interessiert sich die Geschichtswissenschaft ja weniger fu¨r das materielle Aussehen der Stadt an sich, als vielmehr fu¨r dessen soziale, politische oder o¨konomische Bedeutung. In diesem Sinne ist das Interesse am sta¨dtischen Bilderraum auch ganz herko¨mmliche Stadtgeschichte. Aber erst in der Frage nach den den Bildern zugrunde liegenden Bedeutungszusammenha¨ngen wird es auch mo¨glich, das Nebeneinander neuer und alter Visibilia und damit des sta¨dtischen Bilderraums nicht nur zu beschreiben, sondern diesen in einem gu¨ltigen Referenzsystem von Gesellschaft zu verorten und damit erst zu deuten.

2. Semiotik der sta¨dtischen Topographie

Die historische Analyse des sta¨dtischen Bilderraums kann sich nicht auf seine deskriptive Erfassung beschra¨nken. Denn das hier vorgefu¨hrte Interesse am sta¨dtischen Bilderraum bleibt prima¨r ein Interesse an Stadtgeschichte und an sta¨dtischer Gesellschaft und nicht so sehr ein Interesse an einem ku¨nstlerischen concetto, das sich allenfalls hinter einem Bild der Stadt verbirgt14. Hierfu¨r gilt es den visuellen Plan des sta¨dtischen Bilderraums sozial, o¨konomisch und politisch ru¨ckzukoppeln; hierfu¨r werden mit anderen Worten Kategorien bedeutsam, die der Forschung zur Stadtgeschichte la¨ngst vertraut sind: Auftraggeber, Standort, Sichtbarkeit, Kosten, Funktion, Status usw. Es bedarf also einer, um mit Clifford Geertz zu sprechen15, dichten Beschreibung der sta¨dtischen Gesellschaft, ihrer Sozialstrukturen, wirtschaftlichen Aktivita¨ten sowie politischen Organisationsformen. Fu¨r die Frage nach Anteil, Einfluss und Motivation individueller sowie kollektiver Investitionen in den sta¨dtischen Bilderraum ergeben sich aus diesem Quellenkorpus zahlreiche Antworten.

14 Vgl. hierzu Andreas Beyer, Parthenope. Neapel und der Su¨den der Renaissance, Mu¨nchen 2000. 15 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur, in:

ders., Dichte Beschreibung. Beitra¨ge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt/M 1991, S. 7–43.

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So la¨sst sich etwa aus der Untersuchung von Testamenten16 und Notariatsakten fu¨r Verona eindeutig nachweisen, dass dem Bau und der Ausstattung eines Familienpalastes in der Semiotik sta¨dtischer Topographie besonders hohe Bedeutung zukam. Der sta¨dtische Palast war fu¨r das Patriziat wichtigstes Repra¨sentationsmedium sozialer Verortung der eigenen Familie. Der reiche Veroneser Kaufmann Bertolino Medici etwa bestimmte in seinem Testament, der von ihm am Corso erbaute Palast habe immer (in perpetuum) im Besitz der Familie zu bleiben. Auch sein Sohn Niccolo` a¨ußerte 1511 in seinem Testament ganz a¨hnliche Wu¨nsche17. Motiviert sind solche Vorgaben stets vom Versuch, die Vera¨ußerung des Palastes zu vermeiden. Die Medici waren in dieser Hinsicht in Verona bei weitem keine Ausnahme. Andere Familien wie die Lafranchini, Miniscalchi, Banda, Pellegrini, Bevilacqua und viele andere verfuhren mit ihrem sta¨dtischen Palast in ganz a¨hnlicher Weise. Ein besonders leuchtendes Beispiel ist Cristoforo Lafranchini, der als Jurist und sta¨dtischer Ratsherr eine steile Karriere im Dienst der Kommune gemacht hatte und der in seinem Testament folgende letztwillige Verfu¨gung traf. Nachdem Geschenke und fromme Stiftungen erfolgt waren, sollte sein gesamter Besitz an sein einziges Kind, seine Tochter Valeria und ihren Mann Bartolomeo Dolce gehen, inklusive einer beachtlichen Bibliothek juristischer und theologischer Texte. Hiervon ausgenommen war einzig der sta¨dtische Familienpalast in San Egidio. Hierfu¨r gestand er seiner Tochter und ihrem Mann zwar ein lebenslanges Wohnrecht zu; nach ihrem Tod sollte der Palast jedoch an die ma¨nnlichen Erben seiner Bru¨der gehen und zwar an einen Juristen18. Der sta¨dtische Palast war mit anderen Worten der erste Ort des immateriellen Familienerbes und ¨ ffentlichkeit – mehr noch als die ‚Fachbiseiner Repra¨sentation fu¨r die sta¨dtische O bliothek‘ des Juristen war der Status der Familie im sta¨dtischen Palazzo gebunden. Gleichsam programmatisch waren hierfu¨r Familienwappen, die sowohl an der Fassade wie auch im Innern der Pala¨ste wiederholt angebracht wurden. In den semio¨ffentlichen Repra¨sentationsra¨umen der Pala¨ste, die einem ausgewa¨hlten Publikum ja durchaus zuga¨nglich waren, taucht die Familiensignatur ha¨ufig auf (Abb. 11). Nicht nur am Palast, sondern u¨berall, wo sie auftaucht, erfa¨hrt diese Signatur besondere Behandlung; sie markiert gleichsam die Vererbung der Familienehre in agnatischer Linie. Cristoforo Lafranchini, Bertolino Medici oder Gerardo Boldieri verfuhren hier alle gleich. Einrichtungsgegensta¨nde wie Kerzenleuchter, Mobiliar, Textilien, die mit dem Zeichen der Familie belegt sind, wurden ausschließlich in ma¨nnlicher Erblinie tradiert. Am Beispiel des ohne direkte ma¨nnliche Erben gestorbenen Cristoforo Lafranchini la¨sst sich dies besonders deutlich zeigen. Es sind genau solche Objekte, die nebst sta¨dtischem Palazzo auf seinen ausdru¨cklichen Wunsch hin aus dem Erbteil seiner Tochter Valeria ausgenommen wurden. „Meine zwei Sitzba¨nke mit Rankenwerk, die unser Wappen und Insignien tragen“ sowie „meine kleine Truhe, in deren Mitte Figuren Wappen und Insignien der Lafranchini halten 16 Stephen Epstein, Wills and Wealth in medieval Genoa, Harvard 1985. 17 Archivio di Stato di Verona, Testamenti, mazzo 55, n. 134 (Bertolino); mazzo 103, n. 4 (Niccolo`). 18 Archivio di Stato di Verona, Archivio Lafranchini, n. 75. Eine Kopie des Testaments findet sich auch

in den Akten des venezianischen Podesta` Angelo Trevisan. Archivio di Stato di Verona, Atti Rettori Veneti, reg. 25, Angelo Trevisan (22. 6. 1504).

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sowie schließlich eine weitere Sitzbank mit Laubwerk und vier Wappen der Lafranchini“ vererbte er den So¨hnen seiner Bru¨der, die er sonst in seinem Testament kaum bedachte19.

Abb. 11: Stemma Medici, Palazzo Medici, in der saletta Quelle: Foto des Verfassers

Wenn man andere Quellen heranzieht, lassen sich Bau und Ausstattung des sta¨dtischen Palastes jedoch nicht nur als Bildinvestition deuten, sondern zugleich auch als Sozialinvestition. In Ehevertra¨gen und Notariatsakten lassen sich die klientelistischen Beziehungen nachzeichnen, die sich zuna¨chst in der unmittelbaren Nachbarschaft des Wohnhauses ergaben (Abb. 12). Eine prosopographische Analyse der Veroneser Medici zeigt deutlich, dass Kauf eines Grundstu¨ckes und Bau eines repra¨sentativen Palastes am Corso weniger den Aufstieg der Familie abbildete, als es diesen begleitete und festigte. Bertolino trug seine eigene Sozialisation im Kaufmannsmilieu noch in das neue Quartier San Michele alle Porte mit, das im Gegensatz zum Stadtkern innerhalb des antiken Mauerrings sozialen Aufsteigern Raum zum Bau repra¨sentativer Stadtpala¨ste bot, und scheint sie dort auch zeitlebens bewahrt zu haben. Eine Mehrheit der Anwesenden, welche die Abfassung seines Testaments bezeugten, werden als Kaufleute bezeichnet20. Durch wachsenden Reichtum und langsamen

19 Archivio di Stato di Verona, Archivio Lafranchini, n. 75. 20 Archivio di Stato di Verona, Testamenti, mazzo 55, n. 134.

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Abb. 12: Verona. Palazzo Medici, Corso Cavour Quelle: Foto des Verfassers

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sozialen Aufstieg integrierte sich die Familie jedoch im Kreis der fu¨hrenden Familien der Stadt, die in Verona teilweise ja immer auch noch feudaladlige Urspru¨nge besaßen. Fu¨r seine Kinder Francesca und Niccolo` stiftete er Ehen mit den Maffei und den Turco, deren ma¨nnliche Mitglieder seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts der politischen Elite angeho¨rten. Deren Kinder wiederum verma¨hlten sich mit Vertretern der Pellegrini, Maffei, Lavagnoli und Brenzoni – ebenfalls alles Ratsfamilien. Die gegenseitigen Verbindungen unter den Kindern der ratsfa¨higen Familien war ein bekannter Mechanismus politischer, sozialer und o¨konomischer Kontraktion, der sich in zahlreichen spa¨tmittelalterlichen Sta¨dten su¨dlich und no¨rdlich der Alpen nachweisen la¨sst. Der sta¨dtische Palast bezeichnete mit anderen Worten nicht den Abschluss eines sozialen Aufstiegs, sondern war gemeinsam mit der Stiftung familia¨rer Bande vielmehr Bestandteil desselben. Die Bedeutung des sta¨dtischen Palastes als der wichtigsten und auch teuersten Bildinvestition des Patriziats la¨sst sich jedoch nicht nur aus solchen Quellen rekonstruieren, sondern ebenso aus zeitgeno¨ssischen Diskursen zur patrizischen Lebensfu¨hrung. In der reichhaltigen Literaturgattung der ricordi, ricordanze und libri di famiglia spielt das sta¨dtische Wohnhaus als Zentrum der Familie innerhalb sta¨dtischer Gesellschaften eine herausragende Rolle. Am Beispiel des bedeutendsten Autors, der sich im 15. Jahrhundert zur patrizischen Lebensfu¨hrung in italienischen Sta¨dten gea¨ußert hat, Leon Battista Alberti, soll dies im Folgenden kurz erla¨utert werden. Die gro¨ßte Sorge, so Alberti im dritten Kapitel seines Dialogs u¨ber das Hauswesen, das bezeichnenderweise den Titel ‚Oeconomicus‘, also Hauswirtschaft tra¨gt, galt der inneren und a¨ußeren Ordnung des Hauses. Dabei versteht Alberti unter Ordnung Vorra¨te, Mobiliar und Geba¨ude gleichermaßen wie die Lebensfu¨hrung von Familienangeho¨rigen und Bediensteten; besonderes Augenmerk galt es dabei auf die weiblichen Mitglieder des Hauses (casato) zu werfen. Doch gute Haushaltsfu¨hrung bestand nicht ausschließlich darin, Besitz und Reichtum zu horten und zu ordnen, sondern ihn nutzbringend einzusetzen. „Gut und Geld muss man auszugeben und anzuwenden wissen. Wer den Reichtum nicht zu verwenden weiß, es sei denn auf Nahrung und Kleidung, wer ihn nicht zum Vorteil der Seinen, zur Ehre des Hauses zu gebrauchen weiß, der weiß ihn gewiß nicht zu gebrauchen“21. Der im Innern in Ordnung gehaltene Besitz muss zur Entfaltung und Steigerung des Hauses und der Familie nach außen gelangen; erst hier kann er sich ganz entwickeln. Diesem o¨konomischen und sozialen Gesetz nicht zu folgen, kann fu¨r das Haus nur Schaden bedeuten; man ga¨be sich nicht einem harmlosen Laster hin, sondern beginge eine Todsu¨nde, „wa¨re es doch Geiz, sie [die Dinge] nicht zu gebrauchen, wo es Not tut“22. Der sta¨dtische Palast war der Sitz der Familienehre und somit nicht einfach Abbild des gesellschaftlichen Status einer Familie, sondern Medium und Ort, die soziale Position einer Familie auszuhandeln, zur Disposition zu stellen und nicht zuletzt auch vor Gefahren zu schu¨tzen – manchmal erfolgreich, manchmal weniger, etwa wenn na¨chtens

21 Leon Battista Alberti, Vom Hauswesen, Mu¨nchen 1986, S. 214 u. 333f. 22 Alberti, Hauswesen (wie Anm. 21), S. 214.

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obszo¨ne Schmierereien an die Fassade gepinselt wurden23. Das sta¨dtische Wohnhaus war Medium, das die zuna¨chst nach innen gerichtete Ordnung des Hauses und der Familie nach außen transportierte und kommunizierte.Der Traktakt Leon Battista Albertis erga¨nzt als der vorherrschende Diskurs idealer patrizischer Lebensfu¨hrung die Ergebnisse aus der Untersuchung der Bildinvestitionen des veronesischen Patriziats sowie deren Strategien, wie sie sich aus den Quellen der Familienarchive rekonstruieren lassen, indem es diese als patrizischen Habitus in einen breiteren, allgemeingu¨ltigen gesellschaftlichen Kontext einbettet. Der soziale und politische Kontraktionsprozess ist fu¨r die Frage nach dem sta¨dtischen Bilderraum Veronas von Bedeutung, da sich in ihm zwei vermeintlich verschiedene Sozialgruppierungen von Bildinvestoren als beinahe identisch erweisen. Die patrizischen Bildinvestitionen in Pala¨ste, Familienkapellen und Villa werden von derselben Gruppierung getragen, die als Ratsherren auch u¨ber die Ausstattung der kommunalen Bildstiftungen debattieren und entscheiden. Die Bilderorte des Patriziats und diejenigen der Kommune erweisen sich mit anderen Worten als identische Sozialorte. Diese Beziehung im sta¨dtischen Bilderraum auszumachen, legt es vor dem Hintergrund des bekannten gesellschaftlichen und politischen Kontraktionsprozesses nahe, den Bilderraum selbst ebenfalls in diesem Kontext zu betrachten, die familialen und kommunalen Bildinvestitionen Veronas als politische Bilder zu deuten.

3. Eine Geschichte der Wahrnehmung

Die Analysen der historischen Bildforschung haben sich fu¨r den politischen Aussagewert von Bildern bisher u¨blicherweise auf die Ikonographie gestu¨tzt, und somit auf eine kontextualisierte Lektu¨re von Bildprogrammen nach dem bekannten Muster, das Erwin Panofsky in den 1920er Jahren enwickelt hatte. Ein solcher methodischer Zugang eignet sich fu¨r die Frage nach Bild und Wahrnehmung der Stadt kaum, denn es la¨sst sich kaum ein umfassendes Bildprogramm ins Auge fassen. Obwohl die Bildinvestitionen von Patriziat und Kommune zahlreich waren, waren sie keineswegs uniform. Es gab in diesem Sinne in Verona fu¨r die zweite Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts kein sta¨dtisches Bildprogramm. Die Bildinvestitionen pra¨sentierten sich an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Funktions- und Rezeptionszusammenha¨ngen. Was sich jedoch trotz dieser ikonographischen Heterogenita¨t rekonstruieren la¨sst, sind Muster zeitgeno¨ssischer Bildwahrnehmung. Damit ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung gewonnen, Bildinvestitionen von Patriziat und Kommune, also den sta¨dtischen Bilderraum als sozialen Code und somit als Medium gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu deuten. 23 So ein Veroneser Fall aus dem Jahre 1475, in dessen Verlauf der in der Stadt hoch angesehene Leonardo

Malaspina in einer Nachtaktion die Palastfassade seines Mitbu¨rgers Cristoforo Sagramoso mit Darstellungen ‚verzieren‘ ließ, welche diesen recht eindeutig als Geho¨rnten verho¨hnten. Vgl. Burkart, Stadt (wie Anm. 6), S. 55–58.

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Hierfu¨r soll nochmals das wichtigste Bauprojekt der Kommune in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts in den Blick genommen werden: die Loggia del Consiglio. Gunter Schweikhart hat die formalen und stilistischen Anleihen minuzio¨s rekonstruiert, welche fu¨r diesen Bau bei der Antike gemacht wurden24. Sa¨ulenord-

Abb. 13: Verona. Loggia del Consiglio, Piazza Signori, Fenster Quelle: Foto des Verfassers

nung und Ornamentik lassen sich gleichermaßen auf antike Vorbilder zuru¨ckfu¨hren, wie etwa die antiken Kaiserportraits zwischen den Rundbogen (Abb. 13 und 14). Entscheidender aber als diese Antikenrezeption in ornamentalen Details ist der Gesamtduktus der Loggia als Architektur all’antica, der zur kollektiven Repra¨sentationsgeste der Kommune erhoben wurde (vgl. Abb. 7). Diese stilistisch-programmatische Wahl, die Wahl der Verona romana wurde seit la¨ngerer Zeit als Gestus der Autono24 Schweikhart, Quattrocento (wie Anm. 9).

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mie gegenu¨ber der venezianischen Kontrollherrschaft gedeutet25. Da Venedig selbst u¨ber keine antike Vergangenheit verfu¨gte, ist das Argument nicht abwegig. Dennoch wu¨rde ich die Richtung, in welche diese Geste einer programmatischen Antikenrezeption zu deuten ist, gerne in eine etwas andere Richtung lenken; nicht nach außen,

Abb. 14: Verona. Loggia del Consiglio, Piazza Signori, Kaiserportrait am Pilaster Quelle: Foto des Verfassers

25 Dabei wird jedoch deutlich, dass die Antike bereits vor der venezianischen Herrschaft als Referenz

herangezogen wurde. Bereits Repra¨sentationsgesten der Scaliger, besonders solche des Cansignorio della Scala, orientierten sich an antiken Herrschern, vornehmlich ro¨mischen Kaisern. Als durchga¨ngiges Programm wurde die Antike damals jedoch nicht verfolgt, wa¨hrend etwa von 1450 an die Antike nicht nur als Programm, sondern auch als formales Vorbild insbesondere fu¨r Architektur diente. Diese Wahl kann aber nicht nur als veronesische Charakteristik gedeutet werden, sondern la¨sst sich ab der Jahrhundertmitte andernorts gleichermaßen beobachten. Maria Monica Donato, I signori, le immagini e la citta`. Per lo studio dell’immagine monumentale dei signori di Verona e di Padova, in: Il Veneto nel medioevo, hg. v. Andrea Castagentti/Gian Maria Varanini, Verona 1995, S. 379–454.

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nach Venedig, sondern vielmehr nach innen, in die sta¨dtische Gesellschaft Veronas. ¨ berzeugungskraft, wenn man den materiellen Bildern Diese Hypothese gewinnt an U einer Antikenrezeption immaterielle Bilder hinzufu¨gt, wie sie eingangs des Beitrages als Erweiterung des hier vorgeschlagenen Bildversta¨ndnisses eingefu¨hrt wurden. Als ephemere Bilder war ihre Wirkung jedoch auf die Pra¨senz des Betrachters oder eines Publikums in dem kurzen Moment ihrer Erscheinung angewiesen. Diese Pra¨senz war aber mit Sicherheit eher sta¨dtisch als venezianisch, auch wenn letzteres nicht vollsta¨ndig auszuschließen ist.Auf ein solches Beispiel eines ephemeren (Fest-)Bildes, das als soziale Codierung in das Innere der Stadt wies, sei im folgenden hingewiesen. In einem sta¨dtischen Fest im Jahre 1484 wird die Antikenrezeption als stilisierter patrizischer Habitus besonders deutlich sichtbar. Auf einem fingierten Rundgang durch die Stadt, dessen Anlass die Kro¨nung des Giovanni Antonio Pantea zum poeta laureatus bot, besucht die Festgesellschaft die antiken Monumente sowie die Grabsta¨tten der bedeutendsten So¨hne des antiken Verona: die beiden Plinius, Catull, Vitruv, Cornelius Nepos und Macer. Dieser Rundgang folgte aber keineswegs einem gesicherten Wissen u¨ber die Antike, sondern war vielmehr Bestandteil lebhafter Debatten, die exakt in diesen Jahren in Humanistenzirkeln gefu¨hrt wurden und somit als Antikenrezeption rekonstruierbar werden. Mehrere Autoren aus Verona verfassten Schriften zur Herkunft ihrer antiken ‚Lokalheiligen‘. In Briefeditionen, Traktaten, Gedichten und Denkschriften versuchten sie, durch die Herkunft von antiken uomini illustri die Antike selbst als besonders origina¨res Erbe der Stadt zu stilisieren. Das war aber keineswegs als Posse gemeint, sondern durchaus als ernster Ausdruck des patrizischen Selbstversta¨ndnisses, bei dem eine Seelenverwandtschaft mit der Antike bestand, die fu¨r den Humanismus u¨berhaupt bezeichnend war. Die beru¨hmte Passage aus Machiavellis Briefen vom Land, wo er seine Exilzeit verbrachte, ist bekannt. „Ist es Abend geworden, gehe ich nach Hause und kehre in mein Arbeitszimmer ein. An der Schwelle werfe ich das schmutzige, schmierige Alltagsgewand ab, ziehe mir eine ko¨nigliche Hoftracht an und betrete passend gekleidet die Hallen der Großen des Altertums [entro nelle antique corti degli antiqui huomini]. Ich werde von ihnen liebevoll aufgenommen und hier nehme ich die Nahrung zu mir, die allein mir angemessen ist und fu¨r die ich geboren bin. Hier darf ich ohne Scheu mit ihnen reden, sie nach den Beweggru¨nden ihres Handelns fragen, und menschenwu¨rdig antworten sie mir. Vier Stunden lang werde ich dessen nicht mu¨de, vergesse allen Kummer, fu¨rchte die Armut nicht mehr und fu¨rchte mich nicht vor dem Tod, so ganz fu¨hle ich mich unter sie versetzt“26. Nur unter antiken Autoren und Patriziern findet der Florentiner im Exil noch eine Heimat.Auch der veronesischen Festgesellschaft des Jahres 1484 erging es wohl nicht anders. Die Na¨he zur Antike zeigt sich hier darin, dass auf dem Rundgang neben den als Lokalheroen gefeierten uomini illustri der Antike nun plo¨tzlich auch Zeitgenossen auftraten, und zwar genau diejenigen, welche sich als Autoren um das antike Erbe der Stadt besonders verdient gemacht hatten und weiterhin machten. Sowohl fu¨r Machiavelli als auch fu¨r das 26 Francesco Gaeta (Hg.), Niccolo` Machiavelli, Lettere, Mailand 1961, S. 304. Fu¨r die deutsche U ¨ berset-

zung siehe Frederike Hausmann, Zwischen Landgut und Piazza. Der Alltag von Florenz in Machiavellis Briefen, Berlin 1987, S. 84.

Die Stadt der Bilder

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Veroneser Patriziat bedeutete die Begegnung mit der Antike Zugeho¨rigkeit und Ausschluss zugleich, jedoch in vollsta¨ndig unterschiedlicher Weise. Versuchte Machiavelli mit seinem Zugeho¨rigkeitsgestus sein eigenes politisches Unglu¨ck, das ihn aus Florenz verbannte und ins Landleben zwang, vergessen zu machen, fu¨hrten die Vero-

Abb. 15: Verona. Loggia del Consiglio, Piazza Signori, Statuenprogramm Quelle: Foto des Verfassers

neser Patrizier mit ihrer Begegnung die Exklusivita¨t eines inneren Gesellschaftssegmentes vor, dem sie sich selbst zurechneten und von dem sie andere ausschlossen. Die Rezeption der Antike, der Veroneser Antike in Text, Architektur und Bild war also weniger Ausdruck einer eigensta¨ndigen Tradition gegenu¨ber Venedig als vielmehr ein exklusiver Code und damit Distinktionsmerkmal einer internen Sozialgruppierung, des sta¨dtischen Patriziats oder der Gruppe der ratsfa¨higen Familien. Die Mischung zwischen sta¨dtischem Fest und literarischer Selbststilisierung, wie sie sich in der so genannten Actio Pantea u¨berliefert hat, ist deswegen von Interesse,

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weil sich darin ein Segment des sta¨dtischen Bilderraums als patrizischer Habitus spiegelt. Die ephemeren Bilder eines Festes und die Text-Bilder humanistischer Schriften aus der Feder des veronesischen Patriziats verweisen nochmals auf die Sozialcodierung des sta¨dtischen Bilderraums sowie auf dessen Selbstreferentialita¨t. An anderer (Bild-)Stelle, aber letztlich am gleichen sozialen Ort, na¨mlich im Rat, wurden diese Bilder ebenfalls debattiert und zum kollektiven Repra¨sentationsgestus der Kommune erhoben (vgl. Abb. 7). Die gelehrten Debatten u¨ber die Veroneser Herkunft antiker Autoren hinterließen ihre Spuren nicht nur in Texten und ephemeren Bildern, sondern flossen direkt in das Statuenprogramm der neu erbauten Loggia (Abb. 15). Hier wurden wie in der Actio Pantea Vitruv, Catull, der a¨lterte Plinius, Aemilius Macer und Cornelius Nepos dargestellt und als So¨hne der Stadt gefeiert, wa¨hrend ihre ‚Erben‘ im darunter gelegenen Ratssaal die Geschicke der Stadt bestimmten. Der Raum der kommunalen Bildstiftungen scheint prima¨r auf die antike Tradition der Stadt zu verweisen; antike Monumente und Geschichte bestimmten die kollektive Repra¨sentation und gaben damit vor, die gesamte Stadt zu meinen. Bedenkt man jedoch, wer den sta¨dtischen Bilderraum gestaltete, wo Programme, Formen und Ikonographien verhandelt und beschlossen wurden, geben die kommunalen Repra¨sentationsgesten den Blick frei auf einen politischen Diskurs, der sich der Antike nur als Medium bediente, um einer internen Gruppe die Partizipation an der sta¨dtischen Herrschaft zu sichern. Denn bestimmt wurde dieser Diskurs erneut von den uns bereits bekannten Gesichtern, den ma¨nnlichen Vertretern der ratsfa¨higen Familien. Das Sprechen u¨ber die Alten wurde zum Sprechen u¨ber sich selbst, der Verweis auf die Verona romana zur selbstreferentiellen Herrschaftslegitimation. In der kommunalen Repra¨sentation wurde nicht nur auf Antike verwiesen, sondern vielmehr wurden die unsichtbaren Netzwerke des sta¨dtischen Patriziats visualisiert. Das eigentliche Programm der Piazza Signori ist demnach nicht die Verona romana, sondern die Herrschaft des sta¨dtischen Patriziats, zu deren Umsetzung die materiellen und immateriellen, die antiken und die neuen Bilder der Antike als Medien dienten. In die Stadt der Bilder zu schauen, kommt einem Blick in ein Kaleidoskop gleich. Altes steht neben Neuem, familiale neben kommunalen, materielle neben immateriellen Bildern. Dabei ist kein einheitliches concetto auszumachen, dem der sta¨dtische Bilderraum gehorchen wu¨rde. Vielmehr ist er in ein dichtes Netz von Verweisen und Anspielungen eingebunden, die aus der Distanz von knapp 500 Jahren nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Erst in der Ru¨ckbindung an die sta¨dtische Gesellschaft selbst ero¨ffnet sich die Mo¨glichkeit, den Bilderraum gema¨ß zeitgeno¨ssischen Wahrnehmungsmustern zu lesen und zu entziffern. Dabei erweist sich der eingangs postulierte Plan der Stadt in ihrer visuellen Erscheinung weniger als Abbild von Gesellschaft, sondern vielmehr als ein ‚interactiv map‘. Denn der Bilderraum der Stadt bleibt nicht statisch, sondern u¨bernimmt in den gesellschaftlichen Kommunikations- und Transformationsprozessen mediale Funktionen. Die intensiven Debatten um die visuelle Erneuerung des politischen Zentrums in Verona zwischen 1450 und 1500 legen hiervon ein ebenso beredtes wie bebildertes Zeugnis ab.

Die Stadt der Bilder

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Zusammenfassung Die Frage nach Bild und Wahrnehmung der mittelalterlichen Stadt kann sich nicht auf die Analyse von Stadtbildern beschra¨nken; damit sind beide Begriffe ihrer Mo¨glichkeiten einer neuen Bestimmung fu¨r die Geschichtswissenschaft beraubt. Zum einen gilt es den Begriff von Bild jenseits seiner in der Kunstwissenschaft u¨blichen Bedeu¨ berschreitung verbuntung von Kunstwerk zu verwenden, womit eine doppelte U den ist. Einerseits wird die a¨sthetische Qualita¨t eines Bildes als Auswahlkriterium des Untersuchungsgegenstandes gegen dessen allgemeine Kompetenz ersetzt, sichtbar und somit Kommunikationsmedium zu sein. Andererseits beschra¨nkt sich die Analyse des Bildes nicht mehr alleine auf materielle Bilder, sondern schließt immaterielle, ephemere Bilder mit ein. Zum anderen stellt Wahrnehmung prima¨r keinen rein physiologischen Perzeptionsprozess dar, sondern vielmehr die Deutung sozialer und kultureller Muster, Gesten und Formen. Um also Wahrnehmung zu beschreiben, gilt es diese Muster, Gesten und Kontexte einer Gesellschaft zu rekonstruieren und zu beschreiben. Anhand eines Fallbeispiels, Verona im ausgehenden Mittelalter, will der Bei¨ berschreitung versuchen. In dieser Perspektive werden Vertrag diese doppelte U bindungen zwischen bisher voneinander getrennt gedachten Bereichen von Sichtbarkeit/Bildern deutlich, die gemeinsam einen sta¨dtischen (Bilder-)Raum (privater Palazzo, fromme Stiftung, kommunale Geba¨ude) ergeben. Dieser Bilderraum ist jedoch weniger Abbild, als vielmehr Medium sozialer und kultureller Aushandlungsprozesse einer sta¨dtischen Gesellschaft. Dabei wird der Rekurs auf die ro¨mische Vergangenheit der Stadt, wie er sich in den kollektiven Repra¨sentationsgesten der Kommune vorbildlich ausdru¨ckt, und der bisher meist in Abgrenzung zur neuen Oberherrschaft Venedigs gedeutet wurde, als Medium eines innersta¨dtischen Diskurses lesbar; nicht Abgrenzung nach außen, sondern nach innen, als sozialcodierte Machtgeste, die die Dauerhaftigkeit der Herrschaft einiger weniger Ratsfamilien gleichermaßen repra¨sentierte wie garantierte und somit fortschrieb.

English Summary Urban illustrations or city views cannot be the sole means to analyze the image [German: Bild] and perception of the medieval city because a redefinition of those two terms would then be made impossible for the science of history. On the one hand, it is necessary to extend the meaning of the (German) term Bild - having the various meanings as e. g. image, illustration, picture, painting and view in the English language – in science of art beyond its (initial) meaning of artwork. This results in a broader approach to the subject: first, the general quality of a Bild, as being visible and a medium of communication, replaces its aesthetic quality as a selection criterion of the subject of study. Second, analyzing a Bild is not restricted to material images or paintings alone, but also includes immaterial, ephemeral images/Bilder.

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On the other hand, perception is not primarily a physiological process, but rather the interpretation of social and cultural patterns, gestures and customs. In order to describe perception therefore, it is necessary to reconstruct and to describe these patterns, gestures and contexts of society. Based on a case study of Verona in the Late Middle Ages, this paper aims at analyzing the broadened approach of the subject explained above. From this perspective, connections between the assumed seperate spheres of visibility and Bilder become visible, for they constitute a shared urban space of images [Bilderraum] (private palazzo, religious endowment, municipal buildings). This space of images is, however, less a reflection of Venice’s urban society, but rather a medium of social and cultural negotiation processes within this society. Thereby, the recourse to the Roman past of the city becomes distinguishable as a medium of an intra-urban discourse. This recourse is clearly expressed in the collective gestures of representation of the city and has so far only been interpreted as a form of distinction from Venice’s new sovereignty. It is this inner distinction, as socially encoded gesture of power that both represented and guaranteed the preservation of power of a few families of the city’s council.

¨ MMEREIBU¨ CHERN FEDERZEICHNUNGEN IN REVALER KA Eine Quelle fu¨r die Wahrnehmung der Stadt* von Juhan Kreem

Man kann schon seit langem von einem regen Austausch zwischen Geschichte und Kunstgeschichte sprechen: Die Kunstgeschichte beru¨cksichtigt immer ha¨ufiger den historischen Kontext der Bilder, und fu¨r Historiker sind Bilder mittlerweile zu einer unentbehrlichen Quelle geworden. Dabei kommt nicht nur Kunst im engeren Sinne, sondern erweitert auch alles Visuelle zur Sprache1. So gilt das historische Interesse nicht nur la¨ngst bekannten Meisterwerken aus Malerei oder Plastik, sondern auch weniger wertvollen Werken oder Skizzen und Marginalzeichnungen. Die Marginalillustrationen in mittelalterlichen dekorierten Manuskripten sind schon oft Gegenstand des Interesses gewesen2. Anders verha¨lt es sich mit den flu¨chtigen Kanzleiskizzen, die seltener erforscht wurden. Die kaum mit dem Textinhalt in Verbindung stehenden Federproben und Skizzen sind jedem bekannt, der einmal mit handschriftlichen Quellen gearbeitet hat. Und wenn auch einige Motive, wie zum Beispiel die Hand mit dem ausgestreckten Finger, der eine klare Bedeutung als das NB-Zeichen hat, aus sich heraus mehr oder weniger versta¨ndlich sind, bleibt bei dem gro¨ßten Teil des Bildmaterials doch die Frage, wie „ernst“ man eigentlich diese „unserio¨se“ Gattung nehmen kann? Im Folgenden lege ich eine Fallstudie mit Bildern (Abb. 1) vor, die man als Marginalien in den drei Revaler Ka¨mmereibu¨chern findet, die sich u¨ber die Jahre 1432

* Das Manuskript wurde bereits 2005 abgeschlossen. Dieses Material wurde außer bei der Tagung in

Mu¨nster auch im Mittelalterkreis an der Universita¨t Hamburg und beim Homburger Gespra¨ch im Herder Institut Marburg vorgetragen. Den diskussionsbeitragenden Kollegen an allen drei Veranstaltungen bin ich fu¨r wichtige Ansto¨ße dankbar. Die Forschung wurde unterstu¨tzt von der Estonian Science Foundation grant Nr. 5401. 1 Zur aktuellen Diskussion siehe z. B. History and Images. Towards a New Iconology, hg. v. Axel Bolvig/Philip Lindley, Turnhout 2003; Peter Burke, Eyewitnessing: the uses of images as historical evidence, London 2001; Historische Bildkunde. Probleme, Wege, Beispiele, hg. v. Brigitte Tolkemitt/Rainer Wohlfeil (ZHF, Beiheft 12), Berlin 1991; Gerhard Jaritz, Zwischen Augenblick und Ewigkeit, Ko¨ln 1989, bes. S. 71–93. 2 Lilian. M. C. Randall, Images in the Margins of Gothic Manuscripts, Berkeley and Los Angeles 1966; Michael Camille, The Image on the Edge. The Margins of Medieval Art, London 1992; Jean-Claude Schmitt, L’univers des marges, in: Le Moyen Age en lumie`re, hg. v. Jacques Dalarun, Paris 2002, S. 328–361.

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Juhan Kreem

bis 1533 erstrecken und heute im Stadtarchiv Tallinn aufbewahrt werden3. Es handelt sich dabei um mehrere hundert Seiten dicke Ba¨nde im Folioformat. Außer diesen Ba¨nden liegen noch a¨ltere Bruchstu¨cke4 sowie ein ju¨ngeres, aber stark bescha¨digtes

Abb. 1: Marginalien in einem Revaler Stadtbuch Quelle: TLA, Ad 15, fol. 118

Ka¨mmereibuch vor5; sie enthalten aber keine Bilder (mit einer Ausnahme, von der unten die Rede sein wird)6.

3 TLA = Tallinna Linnaarhiiv/Stadtarchiv Tallinn, Bestand 230, n. 1, Ad 15 (Ka¨mmereibuch 1432–1463),

Ad 26 (Sta¨dtische Ka¨mmereirechnungen 1463 Febr. 5.–1507), Ad 32 (Sta¨dtische Ka¨mmereirechnungen 1507–1533). Editionen: Ka¨mmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, hg. v. Reinhard Vogelsang (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte NF 24), Ko¨ln 1976; Ka¨mmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, hg. v. Reinhard Vogelsang (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte NF 27), Ko¨ln 1983. Die Vero¨ffentlichung eines dritten Bandes ist vorgesehen. 4 Otto Greiffenhagen, Tallinna vanimad arveraamatud 1363–1374. Die A ¨ ltesten Ka¨mmereibu¨cher der Stadt Reval (Tallinna Linnaarhiivi va¨ljaanded 3), Tallinn 1927; Dieter Heckmann, Das Revaler Ka¨mmereibuch von 1376 bis 1380, in: ZfO 41 (1992), S. 186–246. 5 TLA, Ad 40. Bruchstu¨cke eines Ka¨mmereibuches 1519–1581. 6U ¨ ber Revaler Stadtbu¨cher im allgemeinen: Tapio Salminen, Bu¨cher, Konzepte und Briefe. Schriftlichkeit in der Kommunikation des Revaler Rates von Stadtschreiber Hermannus bis Joachim Muter

Federzeichnungen in Revaler Ka¨mmereibu¨chern

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Das Ka¨mmereibuch war das wichtigste Finanzdokument, in dem die Stadtschreiber die Ausgaben und Einnahmen der Stadt niedergeschrieben haben7. Die Schreiber haben die Bilder aus dem sta¨dtischen Leben meist sehr skizzenhaft gezeichnet. Diese Stadtschreiber haben gelegentlich Marginalskizzen auch in andere Revaler Dokumente und Stadtbu¨cher gezeichnet, aber nie so konsequent wie in den Ka¨mmereibu¨chern. Man ko¨nnte die Behauptung aufstellen, dass die Bilder in den Revaler Ka¨mmereibu¨chern eine bestimmte, fu¨r diese Quelle spezifische Tradition bilden. Es ist meine Absicht, hier die Formen, die Funktionen, die Entwicklung und Parallelen dieser Tradition zu beschreiben. Nach einer solchen Pra¨sentation der Quelle, kann man auf die Frage zuru¨ck kommen, in welchem Zusammenhang diese Bilder mit unserem Tagungsthema „Bild und Wahrnehmung der Stadt“ stehen.

Die Ka¨mmereibu¨cher und der Bildkorpus

Revaler Ka¨mmereibu¨cher sind als Quelle schon la¨ngst bekannt. Schon die Bearbeiter des Liv-, Est- und Kurla¨ndischen Urkundenbuches haben diese Quelle in Kommentaren beru¨cksichtigt. Die zwei a¨lteren der hier in Betracht kommenden drei Ka¨mmereibu¨cher sind von Reinhard Vogelsang vero¨ffentlicht worden8. Auch die estnische Forscherin Lilian Kotter hat die Ka¨mmereibu¨cher zur Darstellung des Finanzwesens des mittelalterlichen Revaler Rates genutzt9. Außerdem wurden die Angaben in den Ka¨mmereibu¨chern noch fu¨r einige Forschungen zur Kultur- und Alltagsgeschichte ausgewertet10. Die Bilder der Ka¨mmereibu¨cher sind bisher aber unerforscht und – mit einer Ausnahme11 – unvero¨ffentlicht geblieben. Das Ka¨mmereibuch als ein umfassendes Mittel fu¨r die Bearbeitung der ta¨glich anfallenden Finanzen zu betrachten ist eher problematisch: Es ist festgestellt worden, dass es eine Reihe von sta¨dtischen Ausgaben gab – z. B. fu¨r So¨ldner –, die nicht

(1375–1456), in: Die Stadt im europa¨ischen Nordosten. Kulturbeziehungen von der Ausbreitung des Lu¨bischen Rechts bis zur Aufkla¨rung, hg. v. Robert Schweitzer/Waltraud Bastman-Bu¨hner (Vero¨ffentlichungen der Aue-Stiftung 12), Helsinki/ Lu¨beck 2001, S. 153–168. 7 Siehe Reinhard Vogelsang, Zur Finanzverwaltung im mittelalterlichen Reval, in: ZfO 20 (1971), S. 685–708; Lilian Kotter, Tallinna rae finantsid 15. sajandil (1433–1507) [Die Finanzen des Revaler Rates im 15. Jahrhundert (1433–1507)] (Tallinna Linnaarhiivi toimetised 4), Tallinn 1999. 8 Ka¨mmereibuch, hg. v. Vogelsang (wie Anm. 3). 9 Kotter, Tallinna rae (wie Anm. 7). 10 An neuerer Forschung sei zu erwa¨hnen Lilian Kotter, Muusikud Tallinna rae kolmes arveraamatus (1432–1533) [Spielleute in drei Revaler Ka¨mmereibu¨chern], in: Vana Tallinn 1(5) (1991), S. 71–77. Juhan Kreem, Ga¨ster i Reval under medeltiden. Ga˚vor och mottagare i stadens ra¨kenskaper [Die Ga¨ste in Reval im Mittelalter. Die Geschenke und deren Empfa¨nger in sta¨dtischen Rechnungen], in: Historisk Tidskrift fo¨r Finland 83 (1998), S. 492–506, Anu Ma¨nd, Signs of Power and Signs of Hospitality. The Festive Entries of the Ordensmeister into Late Medieval Reval, in: ... The Man of Many Devices, Who Wandered Full Many Ways ..., hg. v. Balazs Nagy/Marcell Sebo¨k (Festschrift in Honor of Janos M. Bak), Budapest 1999, S. 281–293. 11 Siehe Anm 38.

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¨ berpru¨fung der Bilanzen ein registriert worden sind. Anderseits hat man bei der U betra¨chtliches Defizit ausgerechnet12. Also musste man auch irgendwelche unregistriert gebliebenen Einnahmen gehabt haben, weil wir nichts u¨ber bemerkenswerte Finanzschwierigkeiten des Rates wissen. Des Weiteren handelt es sich um eine Reinschrift, im Gegensatz zu den gleichzeitigen Ka¨mmereidenkelbu¨chern (libri memoriales)13. Die Eintra¨ge wurden nicht am Tag der Einnahme oder Ausgabe in das Ka¨mmereibuch hineingeschrieben, sondern erst spa¨ter, oft am Samstag, und die Vorlagezettel wurden vernichtet. Die Gro¨ße der Posten variiert von kleineren Arbeitslo¨hnen fu¨r die sta¨dtischen Dienstboten zu gro¨ßeren, schon zusammengerechneten Ausgaben der verschiedenen Ratsherren. Auch sind die Eintra¨ge chronologisch angelegt, d. h., die Ausgaben und Einnahmen stehen meistens durcheinander. Mit anderen Worten: Es wa¨re schwer gewesen, bei Bedarf auf irgendwelche bestimmte a¨ltere Zahlungen zuru¨ckzugreifen. Auch das Summieren der Angaben auf einer Seite wird erst im Jahre 1509 im Ka¨mmereibuch u¨blich14. Auf den Seitenra¨ndern der Ka¨mmereibu¨cher befindet sich eine Vielzahl von Inschriften und Bildern, die sich direkt auf den Inhalt des Eintrags beziehen. Es liegt nahe anzunehmen, dass die Inschriften als eine Art Index fungiert haben. Obwohl die Seiten des Ka¨mmereibuches keine großen Abnutzungserscheinungen zeigen, kann man davon ausgehen, dass es doch ab und zu no¨tig war, auf den einen oder anderen Eintrag zuru¨ckzugreifen. Die Marginalien sollten in diesem Fall das ganze Ka¨mmereibuch benutzerfreundlicher machen. Drei Ba¨nde enthalten insgesamt rund 400 Federzeichnungen. In den meisten Fa¨llen sind die Bilder eindeutig zeitgleich; auch wenn eine andere Tinte benutzt wurde, ist die Hand dieselbe, die auch den Haupttext geschrieben hat. Es gibt deutliche Schwankungen in der Dichte der Bilder, und in zwei Perioden (1472–1477 und 1501–1505/07) fehlen die Bilder auffa¨lligerweise. Am Anfang des 16. Jahrhunderts ist eine deutliche Abnahme der Zahl der Bilder zu beobachten. Neben einem Eintrag zum Jahr 1521 finden wir die letzten Illustrationen. Man kann also festhalten, dass Anfang der 1520er Jahre diese Kanzleitradition im Ka¨mmereibuch ausstarb. Die Anfangszeit la¨sst sich aber nicht mit solcher Genauigkeit bestimmen. Der a¨lteste der drei Ba¨nde entha¨lt schon von Beginn an diese Zeichnungen und man hat vermutet, dass es auch vor diesem Zeitpunkt ein Ka¨mmereibuch gab, das verloren gegangen ist15. Auf jeden Fall kann man von einer 90 Jahre wa¨hrenden Tradition sprechen.

12 Finanzverwaltung, hg. v. Vogelsang (wie Anm. 7), S. 707–708; Kotter, Tallinna rae (wie Anm. 7),

S. 98–104.

13 Dazu Beispiele in TLA: Ad 39, 46. Ka¨mmereidenkelbu¨cher. 14 Kotter, Tallinna rae (wie Anm. 7), S. 12. 15 Ebd., S. 15.

Federzeichnungen in Revaler Ka¨mmereibu¨chern

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Die Themen der Zeichnungen

Mehr als die Ha¨lfte der insgesamt 400 Bilder, na¨mlich 226, zeigt ein Hufeisen (Abb. 2). Dieses relativ einfache Piktogramm hat man neben diejenigen Ausgaben gezeichnet, welche die Zahlungen an einen Schmied angeben, der im sta¨dtischen Dienst ta¨tig war und fu¨r verschiedene Eisenarbeiten entlohnt wurde. Die Ausgaben beziehen sich entweder auf eine bestimmte Arbeit des Schmieds (nicht unbedingt nur auf die Arbeit des Pferdebeschlagens) oder auf eine bestimmte Periode. Da die Stadtva¨ter feststellen mussten, wieviel der Schmied schon bekommen hatte, und wieviel die Stadt ihm noch schuldig geblieben war, konnte man die Hufeisenfiguren aus der Vielzahl der Marginalbilder leicht herausfiltern, um die fru¨heren Zahlungen, die im Ka¨mmereibuch schon aufgenommen worden waren, ausfindig zu machen. In den Jahren 1454/56 sind die Hufeisen im Abrechnungszyklus sogar nummeriert16. Der Schluss des Abrechnungszyklus, der damals ein Jahr betrug, wurde mit einem Hufeisen und der Beschriftung abgereknet illustriert17. Man muss allerdings einschra¨nken, dass die Eintra¨ge nicht sehr konsequent mit Hufeisen versehen wurden. Ferner: Nach den 1470er Jahren sind die Hufeisen schon so selten, dass sie keine große Hilfe beim Summieren gewesen sein konnten. Warum von allen sta¨dtischen Handwerkern gerade der Schmied hervorgehoben wird, ist nicht ganz eindeutig. Zwar geho¨rte er, den Lohnangaben nach zu urteilen, der ho¨heren sta¨dtischen Handwerkerschicht an18, aber das alleine machte ihn noch nicht einzigartig. Auch Maurermeister, Tischler, Ziegelmeister, Ku¨chenmeister und Spielleute erhielten als Teil des Lohnes Tuch in einer vergleichbaren Menge und Qualita¨t wie der Schmied19. Es ist mo¨glich, dass der Umsatz des Schmiedes, der oft eine Ho¨he von u¨ber 100 Mark Rigisch hatte, gro¨ßer war als bei anderen. Es kann aber auch sein, dass vor allem das (Hand-)Werk des Schmiedes als etwas Einzigartiges empfunden wurde. Diese Hypothese wird gestu¨tzt von der Tatsache, dass die Angaben fu¨r die Zahlungen an die anderen Handwerker (mit Ausnahme der Radmacher) im Ka¨mmereibuch niemals ein Sonderzeichen bekommen haben. Schließlich taucht in den 1460er Jahren ein kleiner Hammer neben den Rechnungen des Kleinschmiedes auf20. Man kann vielleicht sogar ein Stu¨ck weiter spekulieren und annehmen, dass nicht nur die einfache Form des Piktogramms „Hufeisen“, sondern auch dessen glu¨cksbringende Qualita¨ten zu den Zeichnungen inspiriert haben ko¨nnten. Das zweitha¨ufigste Motiv ist die Waage (49-mal) (Abb. 3). Im Gegensatz zu den Hufeisen, welche die Ausgaben an Schmiede markieren, handelt es sich hier um die Zolleinnahmen aus der Stadtwaage. Auch die Waagen sind in den ersten beiden Ka¨mmereibu¨chern zahlreicher vertreten, sie verschwinden im Zeitraum 1466–1509 und

16 TLA, Ad 15, fol. 190a, 191, 193a, 194a, 195a, 196a, 198. 17 TLA, Ad 15, fol. 201a. 18 Lilian Kotter, Raeka¨sito¨o¨lised 15.–16. sajandi Tallinnas [Ratshandwerker in Reval im 15.–16. Jahr-

hundert], in: Vana Tallinn 1 (5) (1991), S. 8–14, hier S. 9.

19 TLA, Ad 15, fol. 275a. 20 TLA, Ad 26, fol. 6. 1463.

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kommen danach nur noch vereinzelt vor. Die Summen, die von der Stadtwaage hereinkamen, betrugen mehrere hundert Mark Rigisch. Aber allein mit der Ho¨he der Summe ist schwer zu erkla¨ren, warum gerade diese Einnahmequelle so hervorgehoben wird. Von allen registrierten sta¨dtischen Einnahmen, machten diejenigen der Stadtwaage nur etwa 5,8 % aus21. Es scheint auch kein Bedu¨rfnis danach gegeben zu haben, diese Einnahmen spa¨ter zusammen zu rechnen; jedenfalls finden wir dafu¨r keinen Hinweis. Ferner ist die Waage auch einmal markiert, um Ausgaben fu¨r die Wiederherstellung der niedergebrannten Waage in der Stadt Narva zu kennzeichnen22; ein noch im Jahre 1554 vorkommendes Waage-Zeichen bezieht sich auf die Ausgabe fu¨r Bauarbeiten an der Stadtwaage23. Die Einnahmen aus der Stadtwaage mussten mit dem Landesherrn geteilt werden24. Hierin ko¨nnte eine Erkla¨rung liegen, warum diese Einnahmen markiert sind. Des weiteren kann man nicht u¨ber die Tatsache hinwegsehen, dass der Transithandel fu¨r die Revaler Kaufleute zum wichtigsten Lebenserwerb geho¨rte. Anhand der Gu¨ter, die bei der Stadtwaage verzeichnet worden waren, sah man sofort, ob es ein gutes oder ein schlechtes Jahr war. Diese Schlagader des sta¨dtischen Lebens ko¨nnte also auch den Schreiber (bzw. den Zeichner) beeinflusst haben. Eine weitere Erkla¨rungsmo¨glichkeit ist mit der ikonographischen Bedeutung des Waagezeichens verbunden. Es handelt sich ja bekanntlich um ein Attribut der auch in der sonstigen Ratsikonographie25 oft vorkommenden Iusticia. Also la¨sst das Zeichen mehrere Interpretationsmo¨glichkeiten offen, die alle in irgendeiner Art oder Weise mitgespielt haben ko¨nnten. Das dritte oft vorkommende Bild ist eine Hand mit ausgestrecktem Finger (38-mal) (Abb. 4). Dieses geho¨rt, im Gegensatz zum Hufeisen und zur Waage, zum weit verbreiteten Kanzleirepertoire: Man findet es in zahlreichen Handschriften, die sich durch inhaltliche Kategorien und durch zeitliche Herkunft stark voneinander unterscheiden ko¨nnen. In den drei Ka¨mmereibu¨chern von Reval kennzeichnen die Handbilder die Einzeleintra¨ge, die man eventuell spa¨ter wiederfinden wollte. So steht zum Beispiel ein Handbild neben dem im Buch aufgezeichneten Kaufmannsvertrag zwischen dem Rat und Hinrik up der Strate aus dem Jahre 146526. Man findet diese Zeichnung auch neben einer Lohnliste der Ratshandwerker am Ende des ersten Ka¨mmereibuches27. Das Handbild kann auch als Lenkung der Aufmerksamkeit auf historisch-politische Ereignisse interpretiert werden So findet man zum Beispiel eine Hand neben den Ausgaben der Ratsherren Johann Velthusen und Johann von Richen

21 Kotter, Tallinna rae (wie Anm. 7), S. 33–35, 71–72. 22 TLA, Ad 15, fol. 245a, siehe auch Arnold Su ¨ valep, Narva ajalugu [Geschichte von Narva], Narva 1936,

¨ bersetzung ist im Herder-Institut Marburg vorhanden. S. 77, 290–292. Eine deutsche U

23 TLA, Ad 40, fol. 16v. 24 Finanzverwaltung, hg. v. Vogelsang (wie Anm. 7), S. 691. 25 Zur spa¨teren Ratsikonographie in Reval siehe Pia Ehasalu, Exempla docent ehk mo˜nda Tallinna rae-

saali pildiprogrammist ja Rootsiaegsetest portreedest [Exempla docent oder etwas u¨ber das Bilderprogramm und die Schwedenzeitlichen Portra¨ts im Revaler Rathaus (Zusammenfassung)], in: Kunstiteaduslikke uurimusi 11 (2002), S. 165–211. 26 TLA, Ad 26, fol. 19. 27 TLA, Ad 15, fol. 275a.

Federzeichnungen in Revaler Ka¨mmereibu¨chern

Abb. 2–5: Marginalien in Revaler Stadtbu¨chern: Abb. 2: Hufeisen und Rad (TLA, Ad 26, fol. 12) Abb. 3: Waage (TLA, Ad 15, fol. 235) Abb. 4: Hand (TLA, Ad 15, fol. 3a) Abb. 5: Feuerwaffe (TLA, Ad 26, fol. 98)

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fu¨r die Reise nach Preußen um das Jahr 146428. Mit diesem Zeichen hat man auch die Visite der Ordensritter im Jahre 150929 sowie die Kosten fu¨r die Ausru¨stung des in Reval eingelaufenen da¨nischen ko¨niglichen Schiffes „Maria“ im Jahre 1519 hervorgehoben30. Neben der Kennzeichnung dieser Einzeleintra¨ge wurde das Handbild wa¨hrend eines kurzen Zeitabschnitts auch dazu verwendet, das Summieren zu erleichtern: Zu Beginn der 1480er Jahre wurde im Ka¨mmereibuch regelma¨ßig die wo¨chentliche Registrierung der Steuereinnahmen aus den Badeha¨usern mit dem Handzeichen hervorgehoben31. Diese Funktion hatten die Handbilder jedoch nicht lange, denn die Zeichnung wurde zunehmend auch dafu¨r verwendet, andere Einnahmeposten und – wie schon erwa¨hnt – Einzelereignisse zu kennzeichnen. Die Anzahl der restlichen Bildmotive ist bedeutend geringer. Zu diesen geho¨rt zum Beispiel das Radmotiv (siehe Abb. 2), das zwo¨lfmal vorliegt und gro¨ßtenteils in die 1450er–60er Jahre fa¨llt32. Dieses wird genau wie das Hufeisenbild als Lesezeichen verwendet, nur dass es sich diesmal um Zahlungen an die Radmacher handelte. Auch das Wort gereknet, das neben einigen dieser Bilder steht, deutet die Beziehung dieses Piktogramms mit der Buchhaltung an, markiert also das Ende eines Abrechnungszyklus. Dieser Zweck ha¨lt jedoch im Falle der Radmacher nur kurz an. Außerdem werden auch noch andere Ausgaben mit dem Radmotiv markiert: Bei den Eintra¨gen des Jahres 1501 ist dieses Motiv zum Beispiel neben der Lohnauszahlung fu¨r die Fuhrleute zu finden33. Es sticht eine Gruppe von Zeichnungen hervor, die von Februar 1519 bis Ma¨rz 1520 besonders ha¨ufig auftritt34. In diesem Zeitabschnitt hat der Schreiber neben die Baurechnungen fu¨r die Bake auf der Insel Dago¨ sogar zehnmal einen Turm gezeichnet, wenn auch in variierender Gestalt. Vereinzelt tauchen Turmzeichnungen auch fru¨her im Ka¨mmereibuch auf, und zwar bei den Angaben derjenigen Zahlungen, die der Rat fu¨r Arbeiten an Windfahnen und die Vergoldung von Mauer- oder Kirchtu¨rmen leisten musste35. In diesen Fa¨llen sollten die Zeichnungen nicht unbedingt nur dazu beitragen, die Buchfu¨hrung zu erleichtern. Stattdessen sind die Zeichnungen spontan entstanden, um die Ausgaben fu¨r die vielleicht sichtbarsten Objekte der Stadt sowie den bu¨rgerlichen Stolz hervorzuheben. Das letzte mehrfach gebrauchte Bildmotiv ist mit Ausgaben der Stadt fu¨r milita¨rische Zwecke verbunden. Am Anfang der 1490er Jahre werden die Angaben fu¨r Zahlungen an die Kanonenmeister sorgfa¨ltig mit einer kleinen Kanonenkugel gekennzeichnet. Daru¨ber hinaus hat man wa¨hrend des Moskovitischen Krieges in den Jahren 1480/81 auch die Feuerwaffen selbst abgebildet (Abb. 5)36. Auf der einen Seite ist

28 TLA, Ad 26, fol. 10. 29 TLA, Ad 32, fol. 19. 30 TLA, Ad 32, fol. 117a. 31 TLA, Ad 26, fol. 107a f. 32 z. B. TLA, Ad 15, fol. 235. 33 TLA, Ad 26, fol. 206a. 34 TLA, Ad 32, fol. 114ff. 35 TLA, Ad 26, fol. 98a, 104. 36 TLA, Ad 26, fol. 99a.

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dies vor allem ein Zeichen fu¨r die turbulenten Zeiten in Livland, die auch in anderen zeitgeno¨ssischen Quellen zum Ausdruck kommen. Andererseits waren Feuerwaffen damals immer noch Prestigeobjekte, die fu¨r die Stadt, wie im Falle der Tu¨rme, auch einen hohen Repra¨sentationswert hatten. Die u¨brigen Zeichnungen sind nur ein- oder zweimal verwendet worden und gelten deshalb als Einzelfa¨lle. Von einer besonderen Funktion der Zeichen fu¨r die Buchfu¨hrung kann man hier wohl kaum sprechen. Zufall und die mit dem Augenblick verbundenen Emotionen scheinen die Begriffe zu sein, die mindestens von hier an den Bilderkorpus charakterisieren. Trotzdem ko¨nnte man versuchen, verschiedene thematisch verbundene Gruppen zu bilden, um so ein Deutungsmuster zu finden. Zum Beispiel ko¨nnten die Objekte des sta¨dtischen Stolzes zu einer Gruppe zusammengefasst werden, wie es bereits bei den oben erwa¨hnten Zeichnungen von Tu¨rmen und Feuerwaffen angedeutet wurde. Nicht die einfachen Bauarbeiten an der Stadtmauer sind mit einem Bild markiert, sondern die Goldschmiedarbeiten an der Turmkugel. Als die Stadt die Reparatur und die Holtzschnitzarbeiten an der Turmuhr der Heiligen-Geist Kirche bezahlte, versuchte der Schreiber, den Eintrag mit einem Zifferblatt zu markieren. Eine Pferdedarstellung (Abb. 6) bezieht sich auf einen Eintrag u¨ber die Ausgabe fu¨r ein 42 Mark teures Pferd. Ein so teures Tier war kein gewo¨hnliches Reisepferd mehr, sondern galt bereits als Ehrengeschenk37. Des weiteren findet man zwei Schiffe am Seitenrand des zweiten Ka¨mmereibuches: Den Kauf einer Schute zum Holztransport, den die Stadt im Jahre 1497 ta¨tigte, markiert an der entsprechenden Stelle die Zeichnung eines gro¨ßeren Handelsschiffes38 und im Jahre 1505 wiederum la¨ßt man in Reval ein Schiff bauen, das gro¨ßere Dimensionen gehabt haben muß, da sich schon allein die Rechnung fu¨r Schmiedearbeiten auf 620 Mark bela¨uft (Abb. 7). Die dazugeho¨rige Zeichnung ist hier weniger realistisch als die vom vorigen Bild, doch erkennt man hier die christlichen Symbole. Die beiden Schiffsbilder sollten offensichtlich die markierten Ereignisse in ihrer Bedeutung etwas aufwerten. Eine bunte Gruppe bilden die Darstellungen verschiedener Trinkgefa¨ße. Auch hier hat man ein Auge fu¨r die Prachtstu¨cke (Abb. 8). Eine scho¨n ausgearbeitete Zeichnung illustriert die Schenkung einer silbernen Kanne, die die Stadt im Jahre 1509 anfertigen ließ, vermutlich als Geschenk fu¨r den scheidenden Stadtschreiber Christian Czernekow. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Kannen, die neben anderen kleineren Rechnungen stehen, die sich auf Zahlungen fu¨r das Anfertigen oder

37 Im Jahre 1497/98 hat der Revaler Rat dem Großfu¨rsten von Moskau ein Pferd von 40 Mark geschenkt,

siehe Liv-, est- und curla¨ndisches Urkundenbuch, hg. v. Leonid Arbusow, Abt. 2. Bd. 1, Riga/Moskau ¨ berlegungen verboten, das Land mit Pferden 1900, Nr. 630. Im Jahre 1500 war es aus milita¨rischen U zu verlassen, die teurer als 8 Mark waren (ebd. Nr. 1020). 38 Das Bild ist vero¨ffentlicht in Heinz von zur Mu ¨ hlen, Reval vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert. Gestalten und Generationen eines Ratsgeschlechts (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte 12), Ko¨ln/Wien 1985, S. 27, Abb. 1, als Schute bezeichnet. Rolf Hammel-Kiesow, Seefahrt, Schiff und Schifferbru¨der. 600 Jahre Schiffergesellschaft zu Lu¨beck 1401–2001, Lu¨beck 2001, Abb. 106, als Barge tituliert. Obwohl der genaue Schiffstyp unklar ist, deutet die Zeichnung nicht ein kleines Ku¨stenschiff, sondern ein gro¨ßeres Handelsschiff an.

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Abb. 6–9: Marginalien in Revaler Stadtbu¨chern: Abb. 6: Pferd (TLA, Ad 26, fol. 190) Abb. 7: Schiff (TLA, Ad 26, fol. 230) Abb. 8: Trinkgefa¨ß (TLA, Ad 32, fol. 16) Abb. 9: Pfahlgeld (TLA, Ad 32, fol. 118a)

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Reparieren von verschiedenen Trinkgefa¨ßen beziehen. Auf die Seite mit der eingenommenen Bierakzise hat der Schreiber ein Fass gezeichnet, ebenso bei den Einnahmen des sogenannten Seelegeldes. Die Rolle des „Trunkes“ im Leben der mittelalterlichen Stadt darf man nicht unterscha¨tzen. Der Umtrunk festigte nicht nur die korporativen Bu¨ndnisse der sta¨dtischen Gilden, sondern auch die des Rates. Wirft man einen noch allgemeineren Blick auf die Motive der Bilder, dann ko¨nnen viele mit dem allta¨glichen Transithandel Revals in Verbindung gebracht werden. Die singula¨ren Schiffe, Pferde oder Anker sowie die mehrfach genutzten Darstellungen der Waage, des Hufeisens und des Rades ko¨nnen unter dem Begriff Gu¨tertransport zusammengefasst werden. Dazu kommt noch eine Zeichnung, die neben den Pfahlgeld-Einnahmen steht (Abb. 9). Es handelte sich dabei um eine Steuer, die in Reval auf die nach Narva zu verschiffenden Gu¨ter gelegt wurde. Das Geld wurde gebraucht, um Pfa¨hle in den Fluss Narva zu rammen. In der Forschung hat man das Fahrwasserzeichen mit diesen Pfa¨hlen in Beziehung gesetzt39. Es sieht jedoch so aus, als ob das Bild im Ka¨mmereibuch eine Sanddu¨ne darstellt, die durch vier Pfa¨hle fixiert wird. Es ko¨nnte sein, dass die Pfa¨hle in den Fluss gerammt wurden, um eine Versandung des Hafens von Narva zu verhindern. ¨ bersicht sei außerdem darauf hingewiesen, dass auch scharfe Am Ende dieser U Kontraste vorhanden sind. Auf der einen Seite gibt es die Insignien der Herrscher (Abb. 10), um politische Ereignisse hervorzuheben: In 1521 hat man zweimal, als der Bischof von Dorpat und Reval Johann Blankenfeld in der Stadt weilte und vom Rat Geschenke bekam, die Mitra und den Stab dargestellt und als die Stadt die Gesandten des Ko¨nigs von Da¨nemark empfing, wurde im Ka¨mmereibuch eine Krone abgebildet. Auf der anderen Seite sind aber im Ka¨mmereibuch Objekte des Alltags dargestellt: Als im Jahre 1509 das Strafgeld eines Schuhmachers im Ka¨mmereibuch notiert wurde, hat der Schreiber dazu einen kleinen Schuh gezeichnet, und als der Rat die Steinbrecher fu¨r Kalkstein bezahlte, wurde im Buch ein Viereck abgebildet, das wohl eine Kalksteintafel darstellen sollte.

Die Schreiber ¨ bersicht u¨ber die allgemeinen Themen der Bilder wenden wir uns Nach dieser U nun zuna¨chst den Verfassern zu, den Stadtschreibern40. Der Einfluss des jeweiligen 39 Anti Selart, Eesti idapiir keskajal [Estlands Ostgrenze im Mittelalter], Tartu 1998, S. 72. Ebd. auch

weitere Literatur.

40 Zu Biographien der Revaler Stadtschreiber: Leonid Arbusow, Livlands Geistlichkeit vom Ende des 12.

bis ins 16. Jahrhundert, in: Separatabdruck aus dem Jahrbuch fu¨r Genealogie, Heraldik und Sphragistik (1900, 1901, 1902) Mitau 1904, S. 1–160. ‚Dritter Nachtrag‘, ebd. (1911/1912), Mitau 1913, S. 1–432; eine Liste erscheint im Dritten Nachtrag, S. 347–348. Die von Paul Johansen verbesserte Liste der Revaler Stadtschreiber befindet sich in Stadtarchiv Lu¨beck, Depositorium Johansen, nr. 35, fol. 11–14. Dazu auch, Ka¨mmereibuch 1432–1463, hg. v. Vogelsang (wie Anm. 3), S. 3–4. Ders., Ka¨mmereibuch 1463–1507 (wie Anm. 3), S. 4–5.

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Abb. 10–13: Marginalien in Revaler Stadtbu¨chern: Abb. 10: Mitra und Hirtenstab (TLA, Ad 32, fol. 144a) Abb. 11: Waage (TLA, Ad 15, fol. 90) Abb. 12: Hand (TLA, Ad 26, fol. 35a) Abb. 13: Turm (TLA, Ad 26, fol. 98a)

Stadtschreibers auf die praktische Gescha¨ftsfu¨hrung des Rates ist in vieler Hinsicht bekannt (zum Beispiel die Einrichtung von einzelnen Stadtbu¨chern, die Umorganisation der schon existierenden Stadtbu¨cher etc.)41. Deshalb ist es auch im Falle der 41 Salminen, Bu¨cher (wie Anm. 6).

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Ka¨mmereibu¨cher sinnvoll, die Entwicklung der zeichnerischen Tradition in Beziehung zu den Amtszeiten der Stadtschreiber zu setzen. Denn fu¨r die Eintra¨ge im Ka¨mmereibuch waren in erster Linie die Stadtschreiber zusta¨ndig. Es sind zwar auch Handschriften anderer Personen vorhanden und die Zuordnung der Bilder ist nicht immer eindeutig, aber besonders bei sich wiederholenden Bildern ist eine Handschrift des Schreibers klar zu erkennen. Der erste der neun Schreiber, die Bilder ins Ka¨mmereibuch gezeichnet haben, war Joachim Muter, ein aus Lu¨beck stammender Notar, der schon im Jahre 1427 einen Vertrag mit den Revalern abgeschlossen hatte und spa¨testens seit 1429 in Reval ta¨tig war. Dort war er bis 1456 Stadtschreiber, hat aber auch spa¨ter seinen Nachfolgern bei der Buchhaltung geholfen. Er starb in Reval im Jahre 146342. Joachim Muter hatte das erste von unseren Ka¨mmereibu¨chern eingefu¨hrt, und er hat auch den gro¨ßeren Teil davon vollgeschrieben. Allgemein gesagt, variieren die Bilder wa¨hrend der Amtszeit Muters wenig. Er ist der Schreiber, der am besta¨ndigsten Hufeisen und Waage gezeichnet hat. Das sta¨ndig wiederholte Zeichnen der Waage hat bei Muter auch dazu gefu¨hrt, dass er technisch absurde Waagen schuf (Abb. 11). Beim Hufeisen ist die praktische Funktion fu¨r die Buchfu¨hrung erkennbar, aber Muter hat auch sonst die Marginalien aktiv zum Notieren einzelner Wo¨rter genutzt, um einige Eintra¨ge besser wiederfinden zu ko¨nnen. Das Spektrum der Eintra¨ge, die am Textrand durch ein geschriebenes Wort hervorgehoben werden, ist ziemlich breit gefa¨chert, angefangen mit Gesandtschaftsabrechnungen bis hin zum Lohn fu¨r die Bergung eines im Hafen versunkenen Ankers. Kosten fu¨r Bauten, vor allem fu¨r Kalkbrennen und Steinbrechen, hat Muter mit einem du¨rftigen Kreuzchen am Rande markiert. Fu¨r Muter ist aber auch charakteristisch, dass er außerdem Bilder von Gefa¨ßen, na¨mlich Tonnen und Becher, gezeichnet hat. Muters Nachfolger, Reinhold Storning aus der Dio¨zese Utrecht43, hat an Bildtradition fortgesetzt, was er in Ka¨mmmereibu¨chern vorfand. Bei Storning fa¨llt auf, dass er deutlich weniger Waagen zeichnete. Die gezeichneten Waagen sind eher schematisch und kommen nur viermal vor. Wer von den beiden die Radfigur o¨fter benutzt hat, Muter oder Storning, la¨ßt sich allerdings schwer sagen. Die damit markierten Eintra¨ge stammen von beiden Ha¨nden. Fu¨r Storning ist charakteristisch, dass er deutlich weniger Marginalbemerkungen verwendet hat. Diese behandeln meist Abrechnungen mit Handwerkern. Reinhold Storning hat auch 1463 den Folgeband des Ka¨mmereibuches begonnen, starb aber schon im selben Jahr. Sein Nachfolger, Johann tor Hove44, setzte die bestehende Tradition fort. Bei ihm fa¨llt vor allem auf, dass er noch weniger Waagen gezeichnet hat als Storning. Diese wirken auch ziemlich ungeschickt gezeichnet. Es

42 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 121, Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 146. 43 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 166. Im Jahre 1437 ist ein Hans Storing als Bu¨rger in Reval

aufgenommen: Tallinna Kodanikkude raamat 1409–1624 [Das Revaler Bu¨rgerbuch 1409–1624], hg. v. Otto Greiffenhagen (Tallinna Linnaarhiivi va¨ljaanded 8), Tallinn 1932, S. 15. 44 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 77. Der Name tor Hove kommt im Revaler Bu¨rgerbuch auch vor, Tallinna Kodanikkude, hg. v. Greiffenhagen (wie Anm. 43), passim.

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scheint aber ein Bedu¨rfnis danch gegeben zu haben, die Einnahmen aus der Stadtwaage irgendwie zu markieren. So kommt es, dass tor Hove manchmal statt einer Zeichnung ein Wort an den Seitenrand geschrieben hat. Auch die Zeichnung einer Hand mit ausgestrecktem Finger hat er einmal dafu¨r verwendet (Abb. 12). Aber auch sonst wird die zeigende Hand von tor Hove ha¨ufig gebraucht. Fu¨r die zweite Ha¨lfte der 1470er Jahre weist das Ka¨mmereibuch Lu¨cken und Ungenauigkeiten auf, die mit einer Erkrankung von Johann tor Hove in Zusammenhang stehen ko¨nnen45. Auf jeden Fall war die Stadt zeitweilig ohne Schreiber46. Die Wirren enden mit dem Amtsbeginn von Burchard Kenappel47 im Jahre 1478. Kenappel hat seine Eintra¨ge mit einer scho¨nen, regelma¨ßigen Handschrift gemacht und auch gelegentlich die Initialien dekoriert48. Marginalien schreibt Kenappel selten, doch ist zu bemerken, dass er meistens die Zahlungen hervorhob, die ihm selbst zugute kamen. Von dem Repertoire des alten Ka¨mmereibuches u¨bernimmt Kenappel die Hufeisenbilder, aber sie wirken im Vergleich mit den fru¨heren Zeichnungen ungeschickt. Einmal vermerkt Kenappel ein Hufeisen auch an der falschen Stelle, na¨mlich beim Heuschlag, das Hufeisenbild wurde dann durchgestrichen49. Kenappel la¨sst zwar die Waagen weg, hat aber insgesamt einen gro¨ßeren Vorrat an Zeichnungen als seine Vorga¨nger. Als neue Elemente kommen bei ihm Tu¨rme (Abb. 13) und Kanonen hinzu. Zusammenfassend kann man sagen, dass zur Zeit Kenappels diejenigen Bilder deutlicher hervortreten, die weniger mit der Finanzverwaltung, als mit den Darstellungen des sta¨dtischen Stolzes zu tun haben, obwohl auch Kenappel die u¨blichen Marginalzeichnungen zur Erleichterung der Buchhaltung, vor allem das Bild der Hand, genutzt hat. Im Jahre 1487 wurde der aus Danzig stammende Magister Christian Czernekow50 Kenappels Nachfolger. Er hat mit Hilfe der Zeichnungen in den Jahren 1490/91 die Ausgaben an den Kanonenmeister markiert. Bei seinen sonstigen Bildern, die unregelma¨ßig auftauchen, kann von einer Rechnungshilfe nicht mehr die Rede sein. Czernekows Zeichnungen stellen im Vergleich zu denen seiner Vorga¨nger noch weit verschiedenere Themen dar. Von ihm kamen neben den Tu¨rmen und den Kanonen, die Schiffe und das Pferd. Zweimal hat er versucht, auch die Initialien zu dekorieren, einmal mit einem Gesicht51, ein Vorgang, den man auch in anderen Manuskripten wiederfindet.

45 Dazu Kotter, Tallinna rae (wie Anm. 7) S. 21. Siehe auch Tiina Kala, Linnakirjutaja Johannes tor

Hove ja hiliskeskaegse Tallinna asjaajamine [Stadtschreiber Johannes tor Hove und die Gescha¨ftsfu¨hrung der spa¨tmittelalterlichen Stadt Reval], in: Vana Tallinn 16 (20) (2005), S. 108–128. 46 Paul Moller war zwischenzeitlich kurz Stadtschreiber: Ka¨mmereibuch 1463–1507, hg. v. Vogelsang (wie Anm. 3), S. 5. Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 119. Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 143. 47 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 89. Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 99. 48 TLA, Ad 26, fol. 152. 49 TLA, Ad 26, fol. 99. 50 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 100–101. Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 117–118. 51 TLA, Ad 26, fol. 204.

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Im Jahre 1507 u¨bernahm der aus Lu¨beck stammende Magister Reinhold Korner52 das Amt des Stadtschreibers. Auch andere Quellen des Revaler Stadtarchivs zeigen, dass Korner auf die Gescha¨ftsfu¨hrung des Rates Einfluss hatte und versuchte, die Dokumente teilweise (neu?) zu organisieren. In dem neu angefangenen Ka¨mme-

Abb. 14: Marginalie in einem Revaler Stadtbuch Quelle: TLA, Ad 32, fol. 25a

reibuch hat Korner ziemlich durchga¨ngig die verschiedenen Gesandtschaftsabrechnungen oder regula¨ren Belohnungen der sta¨dtischen Dienstboten am Seitenrand mit einem Wort markiert. Aus dem fru¨heren Repertoire tauchen die Bilder der Ha¨nde wieder auf. Korner hat zweimal auch die Waage gezeichnet (Abb. 14). Diese Darstellungen unterscheiden sich aber von denen von Korners Vorga¨ngern durch eine besonders sorgfa¨ltige Ausfu¨hrung. An die Stelle des fru¨heren einfachen Piktogramms, das diese besondere Quelle der sta¨dtischen Einnahmen hervorheben sollte, tritt ein kompliziertes Dekorationselement, das insgesamt nur zweimal wa¨hrend der Amtszeit 52 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 95. Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 108.

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Korners vorkommt. Ein nicht leicht zu identifizierendes Zeichen, das wie ein Wappen aussieht und die Ausgaben zur Fastnachtfeier markiert, kann von a¨lteren Trinkgefa¨ß-Darstellungen des Joachim Muter inspiriert worden sein. Es kann auch sein, dass Korner gerade deshalb die Bilder ins Ka¨mmereibuch gezeichnet hat, weil er sie in fru¨heren Bu¨chern vorfand. Andererseits hat Korner die meisten Bilder nur einmal gezeichnet, sie ko¨nnen deshalb bei der Buchhaltung nicht die Rolle gespielt haben, wie es fru¨her bei den Hufeisen der Fall war. Neben dem dekorativen Waagezeichen hat Korner auch viel einfachere Bilder gezeichnet, vor allem Gegensta¨nde des sta¨dtischen Alltags, wie z. B. der schon erwa¨hnte Schuh. Vollsta¨ndigkeitshalber sei hier auch erwa¨hnt, dass Korner auch in seinem Handexemplar des Lu¨bischen Rechts gezeichnet hat53, dort sind die Bilder aber auf das Motiv der weisenden Hand beschra¨nkt, was die Besonderheit des Ka¨mmereibuches wieder unterstreicht. Wa¨hrend der Amtszeit der Nachfolger von Reinhold Korner, Otto Manow54 (seit 1512) und Marcus Tirbach55, nimmt die Gesamtzahl der Abbildungen ab. Manow hat nur fu¨r eine kurze Periode um das Jahr 1519 mehr gezeichnet, na¨mlich das schon oben erwa¨hnte Seezeichen von Dagerort auf der Insel Dago¨. Eine Neuerung in der Zeit Manows ist das Kronenzeichen. Die damaligen Spannungen der Stadt mit dem Da¨nischen Ko¨nig du¨rften hier der Hauptanlass dafu¨r gewesen sein, warum der Schreiber die Begegnungen mit den Da¨nen, die sich im Ka¨mmereibuch wiederspiegeln, mit der Zeichnung dekoriert hat. Marcus Tirbach u¨bernahm den Schreiberposten im Jahre 1520. Er hat aber nur wa¨hrend des ersten Jahres seiner Amtszeit Zeichnungen im Ka¨mmereibuch hinterlassen. Unter diesen befinden sich die Waage und zweimal auch die Mitra und der Stab des Bischofs. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass die Begegnung mit dem Bischof damals auch mit dem Konflikt um seinen Offizial, den gewesenen Stadtschreiber Otto Manow, zusammenhing56. Nach 1521 hat Tirbach nicht mehr gezeichnet, obwohl er noch bis 1535 im Amt blieb und das Ka¨mmereibuch weiter fu¨hrte.

Ausblick

Das Zeichnen am Rande verschiedenster Dokumente ist eine weit verbreitete Erscheinung. Dementsprechend ist auch die Vielfalt der Bilder immens. Es gibt die schon erwa¨hnten Federproben der Gebrauchsmanuskripte, die Gekritzel aus Langweile, die Gelegenheitszeichnungen in Konzepten und schließlich, am anderen Ende, 53 TLA, Cm 19. Jus municipale libicense Revaliensibus communicatum. Siehe auch Tiina Kala, Lu¨beck

law and Tallinn, Tallinn 1998, S. 45–46.

54 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 112, Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 131–132. 55 Arbusow, Geistlichkeit (wie Anm. 40), S. 175. Dritter Nachtrag (wie Anm. 40), S. 215. 56 Dazu ausfu¨hrlicher Leonid Arbusow, Die Einfu¨hrung der Reformation in Liv-, Est- und Kurland,

Leipzig/Riga 1919, S. 200–204.

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die komplexen pervertierten bildlichen Kommentare zum Text in dekorierten Manuskripten57. Es ist also eine Fu¨lle von Material vorhanden, in dem man Parallelen oder sogar Vorlagen fu¨r die Revaler Bilder suchen ko¨nnte. Die Bilder im Revaler Ka¨mmereibuch wurden zur Zeit des Schreibers Joachim Muter und seiner unmittelbaren Nachfolger vor allem als Suchhilfe benutzt. Es sind die massenhaften Piktogramme, wie das Hufeisenbild, die eine bestimmte, praktische Funktion fu¨r die Buchfu¨hrung hatten. Neben dem Hufeisenbild fanden außerdem systematisch die Darstellungen der Waage, der Hand und spa¨ter fu¨r eine kurze Zeit auch die der Kanonenkugeln und der Tu¨rme Anwendung. Das allgemein verbreitete NB-Zeichen, die Hand mit ausgestrecktem Finger, ist in zahlreichen Rechnungsbu¨chern verwendet worden, zum Beispiel in den Stadtrechnungen von Butzbach58, aber auch im Rigischen Ka¨mmereibuch, im letztgenannten kommt es aber nur einmal vor59. Bilder als Lesezeichen kommen zwar in anderen Kontexten vor60, eine vergleichbare Vielfalt von Bildern als Hilfe fu¨r das Summieren in einem Rechnungsbuch habe ich aber bisher nirgendwo gefunden. Die Suche nach Vorlagen im hansischen Raum wird eingeschra¨nkt durch die Tatsache, dass die Ka¨mmereibu¨cher dort schon relativ fru¨h systematisch zusammengefasste Rechnungen bildeten, wodurch eine solche detaillierte Suchhilfe nicht mehr no¨tig war. Bei den Bildern in den Revaler Ka¨mmereibu¨chern handelt es sich aber auch um eine Tradition, die sich sta¨ndig weiterentwickelte. Seit Burchard Kenappel, im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, la¨sst der serielle Aspekt nach und es nehmen diejenigen Bilder zu, die selten oder nur einmal benutzt und nicht mehr zum Summieren gebraucht worden sind. Die Bilder aus den ersten beiden Ba¨nden der Ka¨mmereibu¨cher haben mo¨glicherweise auch die Schreiber-Generation der Spa¨tzeit inspiriert. Obwohl das Ka¨mmereibuch a¨ußerlich genauso fortgefu¨hrt wurde, scheint sich die Funktion des ganzen Buches zu vera¨ndern, so dass sogar vermutet wurde, daß im 16. Jahrhundert die Reinschrift fu¨r la¨ngere Zeitabschnitten auf einmal ausgefertigt wurde61. Diese spa¨tere Entwicklung der Bilder in Revaler Ka¨mmereibu¨chern la¨sst sich nicht so einfach charakterisieren oder einer bestimmten Funktion zuordnen. Eine gewisse dekorative Neigung, die sonst in der pragmatischen Schriftlichkeit selten ist, ist den Rechnungsbu¨chern nicht ganz fremd. Die Rechnungen der Herzo¨ge von Holland aus den Jahren ca. 1360–1420 sind zum Beispiel fast wie illuminierte Manu-

57 Zu letzteren Camille, The Image (wie Anm. 2), S. 41. 58 Fu¨r diesen Hinweis bin ich Herrn Dr. Bodo Bachmann dankbar; er hat 2002 u¨ber die Butzbacher Stadt-

rechnungen an der Universita¨t Marburg promoviert.

59 Ka¨mmerei-Register der Stadt Riga 1348–1361 und 1405–1474, hg. v. August von Bulmerincq, Leipzig

1909, S. 81, Anm. Er bezieht sich auf eine Gesandtschaftsrechnung in Zeile 8. 60 Nurit Pasternak, Graphic Drawings as Signposts for easy Spotting of Prayers. A curious Navigation

Aid Found in a Judeo-italian Manuscript (MS London, BL Or. 2443), in: Gazette du Livre Me´dieval 39 (Automne 2001), http/www.oeaw.ac.at/ksbm/glm. 61 Kotter, Tallinna rae (wie Anm. 7), S. 21. Hinweis auf die Angaben von Ju¨ri Kivima¨e.

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skripte gestaltet62. Im Revaler Fall sind die dekorativen Bestrebungen aber nicht pri¨ usserlich a¨hneln die Bilder eher spontanem und scherzhaftem Gekritma¨r gewesen. A zel oder Graffitis, die nicht nur in a¨lteren Revaler Stadtbu¨chern63 und anderswo64, sondern auch in spa¨tmittelalterlichen Gebrauchsmanuskripten, wie zum Beispiel im Triviumkonspekt des Revaler Dominikaners David Sliper, vorkommen65. Gerade dieser letzte Vergleich zeigt aber auch, wie „ernsthaft“ oder gar „langweilig“ die Bilder in Ka¨mmereibuch sind. Es gibt keine mythologischen Tiere und nur ein „komisches“ Gesicht, der gro¨ßte Teil der Bilder von Trinkgefa¨ßen und Schuhen bis hin zu Schiffen und Kronen ist eher sachlich. Die Bilder der Ka¨mmereibu¨cher sind auch direkt mit dem Text verbunden. Es gibt Parallelen fu¨r eine solche schreiberische Reflexion auf den Dokumentinhalt, wie zum Beispiel das Ko¨lner Turmbuch aus der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts, in dem verschiedene Strafmethoden am Rande mit einer Skizze dargestellt sind66. Die Ratsprotokolle der Stadt Helsingør in Da¨nemark enthalten Skizzen, vor allem Ha¨nde, aber auch inhaltliche Reflexionen u¨ber Ratsentscheidungen67. In diesem Kontext ist das Revaler Ka¨mmereibuch kein Einzelfall, dabei ist aber hervorzuheben, dass in Reval die Bilder doch relativ zahlreich und konsequent sind und ha¨ufig variieren. Natu¨rlich handelt es bei diesen Bildern nicht um eine serio¨se Quelle im traditionellen Sinne. Der Kreis der Betrachter der Bilder eines Stadtbuchs ist eher begrenzt gewesen, mit großer Wahrsheinlichkeit war es neben dem Stadtschreiber selbst nicht einmal der ganze Rat. Die genaueren Motive der Schreiber bleiben im Dunkeln, wir ko¨nnen nur ahnen, welches Gefu¨hl hinten diesem quasi privaten Zeichnen steckt: war es z. B. der Ausdruck von Bewunderung fu¨r hohe Ausgaben oder die Erleichterung u¨ber Einnahmen oder inwieweit es eine Rolle spielt, dass ein wesentlicher Teil der gezeichneten Objekte zusa¨tzlich auch eine symbolische Bedeutung hatte (wie vor allem die Waage, aber auch Hufeisen, Turm, Becher, Anker, Rad etc.). Schließlich handelt es sich hier um ein ausgesprochen pragmatisches und weltliches Dokument, das zu weitergehenden Spekulationen aufgrund von fehlendem Beweismaterial keinen Anlass gibt.

62 Dick E. H. De Boer, Illumination of Accounts. Decorative Tradition in the Accounts of Holland, ca.

1360–1420, in: Masters and Miniatures, Proceedings of the Congress on Medieval Manuscript Illumination in the Northern Netherlands (Utrecht 10–13. Dec. 1989), hg. v. Koert van der Horst/JohannChristian Klamt, Doornspijk 1991, S. 303–314. 63 Tallinna ma¨rkmeteraamatud 1333–1374. Libri der diversis articulis 1333–1374, hg. v. Paul Johansen, Tallinn 1935, S. XI, XIX. 64 Zum Beispiel Merchant Roll, c 1190–1265, hg. v. Philomena Connolly/Geoffrey Martin, Dublin 1992, S. 56–57, 72–73. 65 Tiina Kala, Euroopa kirjakultuur hiliskeskaegsetes o˜ppetekstides. Tallinna Dominiiklase David Sliperi taskuraamat [Late Medieval Literary Culture and School Manuscripts. The Handbook of the Dominican Friar David Sliper from the Tallinn Friary (Summary)] (Tallinna Linnaarhiivi toimetised 5), Tallinn 2001, S. 170, 182. 66 Die Abbildungen sind teilweise abgedruckt in Franz Irsigler/Arnold Lassota, Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt Ko¨ln 1300–1600, Ko¨ln 1989, S. 63, 256, 258, 261, 269, 280. 67 Helsingør Stadsbog 1554–1555, 1559–1560 og 1561–1565. Ra˚dstueprotokol og bytingbog, hg. v. Karen Hjorth/Erik Kroman, København 1981.

Federzeichnungen in Revaler Ka¨mmereibu¨chern

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Wenn man die Revaler Bilder als einen Korpus betrachtet, muss man auch bedenken, dass dieser Korpus eine Rekonstruktion ist, die sich u¨ber 90 Jahre erstreckt, die Bilder aber beziehen sich auf einen nicht mehr abrufbaren Moment ihres Entstehens, auf einen Augenblick. Aber auch wenn wir bei Einzelbildern eine fast unbewusste Spontaneita¨t annehmen, so ist diese Spontaneita¨t immer mit einem einzigen Eintrag verbunden, also haben wir einen belegbaren Impuls zum Zeichnen. Weiter ermo¨glicht uns gerade die Vielzahl von so entstandenen Zeichnungen, aus mentalita¨tsgeschichtlicher Perspektive ein Muster von Spontaneita¨ten zu schaffen. Der Gesamtkorpus der Bilder im Ka¨mmereibuch deutet einige Facetten der sta¨dtischen Mentalita¨t an: was den Stadtschreiber besonders bewegt hat, wenn er die Einnahmen und Ausgaben der Stadt verzeichnet. Ein wesentlicher Teil der Bilder bezieht sich auf die Objekte des sta¨dtischen Stolzes im weitesten Sinne: Tu¨rme, Kanonen, Pferde und Schiffe etc. Verwandt mit solchen Gefu¨hlen sind auch die Bilder, welche die historisch-politischen Ereignisse hervorheben. Gerade dieses hat auch die Schreiber andernorts, z. B. den in Elbing, bewegt, der die Begegnungen mit dem Deutschen Orden mit einem Ordenswappen am Rande markiert hat68. Andererseits spiegeln sich im Revaler Ka¨mmereibuch aber auch die maßgebenden Bereiche des sta¨dtischen Alltags in zahlreichen gezeichneten Objekten wider. Die Bilder in den Revaler Ka¨mmereibu¨chern haben eine Vielzahl von Beru¨hrungspunkten mit der spa¨tmittelalterlichen Schriftkultur. Die aus Deutschland eingewanderten Revaler Stadtschreiber haben in diesem Sinne ganz in der westlichen Tradition gestanden. Die Bilder zeigen aber auch eine Eigenheit, die fu¨r diese Quelle spezifisch ist: Sie spiegeln ihre Entwicklung von einer „Suchmaschine“ zu einem breiten Spektrum von Einzelskizzen wider und geben daru¨ber hinaus in diesem wichtigen Dokument der sta¨dtischen Finanzen die – sonst sich entziehende – Wahrnehmung der Stadt aus der Sicht der Schreiber wieder.

English Summary

Drawing on the margin of a page is a widespread phenomenon. But it has always been the problem, what such illustrations can tell to the historian. This paper, therefore, presents a case study of the drawings to be found in the account books of Reval (today: Tallinn). Three volumes of Revalian account books, covering the years 1432 to 1533, contain about 400 illustrations which have a direct connection to the respective text passages. What is more, it is also possible to detect the handwriting of different scribes as well as their preferences of drawings. Although there are dynamics in the use of those drawings, the practice itself had been rather consistent since the beginning of the first book until the 1520s, when the illustrations disappear.

68 Nowa ksiega rachunkowa starego miaste Elblaga 1404–1414. Czesc 1 (1404–1410), hg. v. Markian

Peleck, Warszawa/Poznan/Torun 1987, S. 92, 161, 216.

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Juhan Kreem

Some of the drawings in the account book were used as a means of summarizing the expenses of the town, since there were no separate sections for different kinds of expenses. It was therefore necessary do draw on the margins of the pages as an aid to find out certain types of entries. Horseshoes, for example, were consistently drawn until the last quarter of the fifteenth century. Other pictograms, e. g. a pointing hand, a cannonball or a wheel were occasionally used as well. There are, however, also many drawings which appear only on very few occasions. These include towers, ships, horses, cannons, drinking-vessels and more. In such cases, it is not possible to conclude a pragmatic explanation from the drawings. It was much more the spontaneous decision of the scribe to mark an entry in order to distinguish it from other entries. In each case it is difficult to tell, why some, out of all other financial transactions of the town, inspired the scribe to draw a picture. Looking at these drawings as a corpus, certain patterns become visible. A lot of these illustrations have something to do with the most visible signs of civic pride.

DIE WEICHSELSTA¨ DTE IM BILD DER POLNISCHEN LITERATUR DES AUSGEHENDEN 16. ¨ LFTE DES 17. JAHRHUNDERTS * UND DER ERSTEN HA von Maria Bogucka

Als Weichselsta¨dte wird hier eine Gruppe von sehr unterschiedlichen Sta¨dten bezeichnet. Die zwei gro¨ßten Machtzentren in Polen – die alte, mittelalterliche Hauptstadt Krakau und die fru¨hneuzeitliche Hauptstadt Warschau, die seit Ende des 16. Jahrhunderts Sitz des Ko¨nigs und der Reichstage und Ort der Ko¨nigswahlen war – geho¨ren ebenso dazu wie ma¨chtige Handelszentren wie Thorn und Kazimierz Dolny sowie viele sich rasch entwickelnde masowische Sta¨dte. Von ihrer Gro¨ße her differierten sie stark: Krakau za¨hlte fast 18000 Einwohner, Thorn ca. 8000, Warschau etwa 5000 bis 6000, die u¨brigen hatten oft zwischen 2000 und 3000 Einwohnern im 16. Jahrhundert1. Die Sta¨dte in der Gruppe waren also nicht homogen, sondern sehr verschieden voneinander und nur durch die gemeinsame Lage an der Weichsel miteinander verbunden. Und gerade diese Lage war fu¨r die Entwicklung dieser Sta¨dte sehr wichtig. Das 16. und die erste Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts ist als eine Zeit anzusehen, in der fast alle polnischen Sta¨dte noch eine gu¨nstige Entwicklung durchmachten. Besonders schnell entwickelten sich Sta¨dte, die am Getreideexport und der Ausfuhr anderer Agrarerzeugnisse beteiligt waren – also die Weichselsta¨dte, die durch ihre Lage am zentralen Fluss Polens Vorteile fu¨r ihre Handelsta¨tigkeit hatten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kam aber eine große Krise, u. a. im Gefolge von Kriegen, und diese Blu¨tezeit ging zu Ende. Die Mitte des 17. Jahrhunderts wird also die Grenze unserer Betrachtungen sein. Bereits zu Beginn ist darauf hinzuweisen, dass das Sta¨dtelob – die laudatio urbis, dieses ganz bestimmte von der Antike u¨bernommene literarische Genre – im Mittelalter und in der Fru¨hen Neuzeit in ganz Europa blu¨hte, in Polen aber fast unbekannt

* Das Manuskript wurde bereits 2005 abgeschlossen. 1 Maria Bogucka, Entwicklungswege der polnischen Sta¨dte vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in:

Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Parallelen, Verknu¨pfungen, Vergleiche, hg. v. Marian Biskup/Klaus Zernack (VSWG, Beih. 74), Wiesbaden 1983, S. 174–191, bes. 175–176.

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Maria Bogucka

war. Die polnische Literatur pries vor allem das la¨ndliche Leben und den Ackerbau. Der Kult des adeligen Landlebens sowie die Verachtung gegenu¨ber dem Kaufmannsberuf und der Handwerkerta¨tigkeit wurde in Polen deutlich und oft gea¨ußert. In der polnischen Literatur wurde die Stadt als ein Platz voll von Gestank und Dreck gezeichnet und die Bu¨rger als unehrliche Leute, die von Betrug und List lebten. Solche kritischen Bemerkungen kann man in etlichen altpolnischen Werken finden, z. B. bei den Schriftstellern Mikołaj Rej und Jan Kochanowski oder bei den Publizisten Stanisław Orzechowski, Wojciech Gostkowski, Piotr Zaremba usw. Doch gab es auch einige Werke, die die Bu¨rger und Sta¨dte in positiverem Licht sahen, wenn auch nicht ohne kritische Vorbehalte. An erster Stelle sollen hier die Reisebeschreibungen erwa¨hnt werden, die zwar aus fremder Feder stammen, doch eine allgemeine Vorstellung von polnischen Sta¨dten und ihren Einwohnern zu geben versuchen. Ein italienischer Diplomat Ambrogio Contarini, der am Ende des 15. Jahrhunderts Polen bereiste, bemerkte: „es mangelt hier an feinen Sta¨dten“; doch Warschau bezeichnete er als „eine reiche Stadt“2. Antonio Maria Gratiani, der als Mitglied einer pa¨pstlichen Gesandtschaft im Jahre 1564 von Warschau nach Danzig reiste, hatte Gelegenheit, in einigen Weichselsta¨dten zu u¨bernachten. Doch nur Danzig hatte auf ihn einen großen Eindruck gemacht. Er beschrieb Danzig als eine beru¨hmte und sehr belebte Stadt, als den gro¨ßten Hafen des Nordens3. Ebenso wurde Danzig als reichste und ma¨chtigste Stadt Polens vom venetianischen Diplomaten Hieronimo Lippomano im Jahre 15754 geru¨hmt. Die erste und auch einzige la¨ngere Beschreibung von Krakau aus dieser Zeit finden wir im Tagebuch von Jean Paul Mucante, der im Jahre 1596 als Mitglied der Reisegesellschaft des pa¨pstlichen Gesandten Kardinal Enrico Gaetani Polen besuchte. Er beschrieb Krakau als von rundlicher Form, aber als keine allzu große Stadt: Man ko¨nne in einer Stunde um ihr Territorium gehen. Die Stadt sei jedoch gut befestigt mit Mauerwerk, Tu¨rmen und Gra¨ben. Die Ha¨user seien von Stein und Ziegeln gebaut, aber mit Schindeln gedeckt. Der Marktplatz sei gro¨ßer als die beru¨hmte Piazza Navona in Rom, doch mit ha¨sslichen Buden und Kra¨merladen vollgestopft. Mucante tadelte das schlechte Straßenpflaster, pries aber die scho¨nen Kirchen und den Brauch, vom Turm der Marien-Kirche jede Stunde feierlich mit einer Melodie anzuku¨ndigen, ru¨hmte auch die tu¨chtigen Bu¨rger von Krakau – unternehmerische Kaufleute und geschickte Handwerker –, die doch zum gro¨ßten Teil fremder Herkunft seien. Die Stadt treibe Großhandel mit vielen La¨ndern5. Jean Paul Mucante beschrieb im Jahre 1596 auch Warschau als eine kleine, inner¨ berhalb der Mauern dicht gedra¨ngte Stadt; es sei schwer – sagte er –, hier eine gute U nachtung zu finden. Er lobte jedoch die scho¨ne Lage der Stadt auf dem hohen Weichselufer. Einen gro¨ßeren Umfang als die Altstadt habe die Neustadt von Warschau und mehrere sich weit erstreckende Vorsta¨dte. Aus Ziegelha¨usern sei nur die Altstadt 2 Cudzoziemcy o Polsce. Relacje i opinie [Fremde u¨ber Polen. Beschreibungen und Meinungen], hg. v.

Jan Gintel, Krako´w 1971, S. 109.

3 Cudzoziemcy, hg. v. Gintel (wie Anm. 2), S. 149–150. 4 Ebd., S. 168. 5 Ebd., S. 187–189.

Die Weichselsta¨dte im Bild der polnischen Literatur

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gebaut; hier fa¨nden sich die scho¨nsten Kirchen und ein weiter Marktplatz, von hu¨bschen hohen Ha¨usern gesa¨umt. Mucante tadelte das schlechte Straßenpflaster, war jedoch von der langen Bru¨cke entzu¨ckt, die die Warschauer Altstadt mit der Prager Vorstadt jenseits der Weichsel vereinigt6. Eine ausfu¨hrliche Beschreibung der Stadt Thorn verdanken wir einem Danziger, Martin Gruneweg, der als Kaufmannsagent ganz Polen bereiste und spa¨ter seine Beobachtungen in seine Memoiren hat einfließen lassen7. In Thorn weilte er im August 1579. Gruneweg beschrieb die Scho¨nheit der Architektur, ru¨hmte die weltbekannten Jahrma¨rkte von Thorn und den regen Handel, den diese Stadt trieb, pries die Kleider, das Benehmen und die feinen Bra¨uche der Bu¨rger, doch betonte er, dass sie in allem die Danziger nachahmten. Der ganze Text ist von Grunewegs Danziger Herkunft gepra¨gt, denn Danzig war seiner Meinung nach einzigartig und mit keiner anderen Stadt zu vergleichen8. Eine lange, ganz poetische Beschreibung mehrerer Weichselsta¨dte finden wir im Gedicht „Flo¨ßerei, das ist das Aussehen von Schiffen auf der Weichsel und ihren Zuflu¨ssen“, von Sebastian Fabian Klonowic, einem polnischen Bu¨rger und Schriftsteller, der in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts wirkte. Er kann als typischer Repra¨sentant jener Gruppe von polnischen Bu¨rgern angesehen werden, die trotz ihrer Herkunft und ihrer Standeszugeho¨rigkeit die Denkweise und die Ideologie des Adels angenommen hatten. Sein Poem entha¨lt eine scharfe Kritik am Handel und eine Lobpreisung des Lebens eines Landedelmannes. Klonowic selbst versuchte sich in den Stand der Adeligen „einzuschmuggeln“ und pachtete im Jahre 1588 von Lubliner Benediktinern zehn Hufen Landes, auf denen er einen Gutshof und ein Dorf gru¨ndete. Schon im Jahre 1584 hatte er sich mit seinem Getreide auf die Reise nach Danzig begeben. Sein Poem entstand also buchsta¨blich auf der Weichsel9. In seinem Werk analysierte Klonowic vor allem die Technik und die Gefahren der Schifffahrt, beschrieb aber auch die Landschaft, die an ihm voru¨berglitt. Es war eine Wald-Wiesen-Landschaft, in der sich Bu¨sche, Wa¨lder und Haine abwechselten. Inmitten dieses Landschaftsbildes, in dem die Farben gru¨n (Haine, Bu¨sche, Wiesen) und blau (Wasser, Himmel) u¨berwogen, kamen von Zeit zu Zeit rote Flecken zum Vorscheinen. Das waren die voru¨bergleitenden Sta¨dte, die Klonowic als intensiv rote ´ Akzente sah. „Die alte Stadt von Czerwiensko ro¨tet sich“10, „links fa¨rbt sich karmin11 rot das alte Włocławek“ , „in Ku¨rze erblickst du das rote Nieszawa“12. In Thorn merkte der Flo¨ßer „flammena¨hnlich leuchtende Mauern“13. In Neustadt „auf der linken Seite erblickst du eine rote Mauer“14. In Danzig schu¨ttete man das Getreide „in 6 Ebd., S. 192–194. 7 Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Danzig, MS 1300, S. 602–626. 8 Włodzimierz Zientara, Sarmatia Europiana oder Sarmatia Asiana?, Torun´ 2001, S. 74–75. 9 Maria Bogucka, Das Bild der Stadt im Poem „Flo¨ßerei“ von Sebastian Fabian Klonowic, in: Litera-

tur und Institutionen der literarischen Kommunikation in nordeuropa¨ischen Sta¨dten, hg. v. Edmund ´ 1996, S. 38–45. Kotarski, Gdansk 10 Sebastian Fabian Klonowic, Flis [Flo¨ßerei], hg. und bearb. v. Stanisław Hrabec, Wrocław 1951, S. 75. 11 Ebd., S. 78. 12 Ebd., S. 78–79. 13 Ebd., S. 80. 14 Ebd., S. 84.

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rote Speicher“15. Fu¨r Klonowic war die rote Backsteinarchitektur, die sich ja so von der ho¨lzernen, grau-weißen Bauart der Do¨rfer unterschied, ein Symbol der Stadt. Auch die Ho¨he, das Aufstrebende jener Architektur geho¨rte zum Modellbild der Stadt in Klonowic’ Poem. Wyszogro´d beschrieb er als „eine sehr hohe Stadt, die bis an die Wolken heranreicht“16. Wenn man sich der Stadt Płock na¨herte, sah man „von der Schute aus u¨ber den Berg hinab wahrlich die goldenen Kreuze“17. In Thorn „geradehin siehst du Spitzen u¨ber den Bergen und hohe goldene Kuppeltu¨rme, die mit ihren Enden den blauen Himmel aufbrechen, die Wolken zerreißen“18. In Danzig sah man „hohe Masten, die mit ihren Mastkorben fast bis zu den Sternen hinaufreichen“19. Zum Bild einer Stadt geho¨rten auch verschiedene handels-industrielle Akzente. Auf der Wiesen bei Zakroczym bleichte Leinwand, um eine bessere Fa¨rbung zu erreichen, und der Flo¨ßer ho¨rte „das Klagen zahlreicher Mu¨hlra¨der“20. Nieszawa war ganz mit Speichern gefu¨llt. Um Bromberg herum zogen sich ganze Berge von To¨pfen, die fu¨r Verkauf und Ausfuhr bereitstanden21. Am breitesten ist natu¨rlich die Beschreibung von Danzig angelegt, der großen, lebendigen Hafenstadt, die den Schriftsteller einfach verblu¨ffte. Charakteristisch aber ist, dass Klonowic sich nicht fu¨r die Architektur von Danzig, fu¨r den Reiz seiner malerischen Gassen, Springbrunnen und Beischla¨ge, sondern nur fu¨r den Hafen begeisterte. „Hier erschaust du eine Menge von eigenartigen Dingen“ – warnt er den Leser. Es gibt hier nicht nur ma¨chtige Speicher, sondern auch verschiedene Ha¨fen- und Handelsanlagen, die Neugier und Bewunderung erwecken. Klonowic beschrieb mit Staunen den „kunstvollen Aufzug“ und die „eigentu¨mliche Haspel“ – also die Winde und andere Einrichtungen des beru¨hmten Krantors am Mottlau22. Der Hafen selbst, voller Schiffe und regen Treibens, wo man verschiedene Mundarten ho¨rte, wurde von Klonowic als ma¨chtiger Treffpunkt von Kaufleuten „aus fernen La¨ndern“ und von Einheimischen aus ganz Polen dargestellt; dies war ein Raum, der vom aktiven Verkaufs- und Kaufgeschehen erfu¨llt war: „verkaufe, kaufe, handle, dru¨cke den Preis, erziele Gewinn“ – riet Klonowic. Und gleichzeitig verriet er trotz der Entzu¨ckung doch seine tiefe handelsfeindliche Stimmung, als er den Handel als eine unehrliche, auf Betrug beruhende Ta¨tigkeit schilderte: „Ru¨hme, wann du verkaufst, tadele, wenn du kaufst; fu¨r Gescha¨ft nimm keinen Schlauen, such dir einen Dummen“23. „Sei immer auf der Hut“ in Danzig, ra¨t Klonowic24.Wie jeder in einer Großstadt ankommende Do¨rfler war er beherrscht vom Misstrauen gegenu¨ber den hier angewandten Praktiken und Bra¨uchen. „Denn hier hast du Flo¨ßer, verschiedene Ko¨pfe, von denen einige mit Geld handeln, andere mit Worten“25. Das Gespra¨ch mit einem Danziger sei nicht nur auf Grund sprachlicher 15 Ebd., S. 85. 16 Ebd., S. 100. 17 Ebd., S. 75. 18 Ebd., S. 76. 19 Ebd., S. 80. 20 Ebd., S. 93. 21 Ebd., S. 75. 22 Ebd., S. 83. 23 Ebd., S. 93. 24 Ebd., S. 93. 25 Ebd., S. 100.

Die Weichselsta¨dte im Bild der polnischen Literatur

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Missversta¨ndnisse, sondern auch im Hinblick auf unterschiedliche Begriffs-, Erfahrungs- und Wertwelten a¨ußerst schwierig; das Poem ga¨be ein Beispiel fu¨r einen solch „verdrehten“ Dialog26. Eine antista¨dtische Einstellung finden wir bei Klonowic nicht nur in bezug auf Danzig, auch kleine Weichselsta¨dte weckten großes Misstrauen bei ihm. Klonowic ra¨t all jenen, die sich auf den Weg machen wollen, genu¨gend Lebensmittel mitzunehmen, um unterwegs nichts kaufen zu mu¨ssen und somit nicht Gefahr zu laufen, betrogen zu werden und hohe Preise zu zahlen. Die Weichselsta¨dte assoziiert Klonowic nicht nur mit Betru¨gereien und u¨berflu¨ssigen Ausgaben, sondern ebenfalls mit dem peinlichen Entrichten von Zo¨llen. Um von Płock aus ruhig sein Korn weiterfahren zu du¨rfen „rate ich dir, den Zoll schnell dem Ko¨nig zu bezahlen“27. Die Stadt Włocławek erlangte ihre Beru¨hmtheit nicht nur als Bischofssitz und großes Bierproduktionszentrum, sondern auch (leider!) als Zollamt: „dort halten sie dir bestimmt das Schiff an – zahle deine Gebu¨hr!“28. Am besten ist es also, die Sta¨dte zu beiden Seiten der Weichsel von weitem zu betrachten und sich um keinerlei na¨here Bekanntschaft mit ihren Einwohnern zu bemu¨hen. Nur Thorn verdient in Klonowics Augen eine bessere Bewertung, als ein Ort „reich an Tugend“. Nur in Thorn, meinte der Poet, „ga¨be es eine Mo¨glichkeit, sittsame Bu¨rger zu sehen, dort herrsche Ruhe, dort herrsche Scham, dort blu¨hten Ehrlichkeit und Gerechtigkeit“29. Dieses Lob ist wahrscheinlich darin begru¨ndet, dass der Stadtrat von Thorn gerade in dieser Zeit alle Prostituierten in die Vorsta¨dte verbannt hatte. „Schiffer, meide die Sirene, hu¨te dich vor der Gangra¨ne“ – ra¨t Klonowic, immer ein Moralist30. Die a¨sthetischen Eigenschaften, die Scho¨nheit der sta¨dtischen Architektur, wurden vom Poeten kaum wahrgenommen. Alle voru¨bergleitenden Weichselsta¨dte sind von Klonowic „punktweise“ gesehen, als wandernde rote Flecken mit einem oder zwei charakteristischen Punkten, die manchmal ein Kloster, manchmal eine Kirche, eine gewaltige Mauer oder ein ma¨chtiges Schloss markierten. Dies ist eine oberfla¨chliche Betrachtungsweise, die hauptsa¨chlich dadurch bedingt war, dass Klonowic jene Sta¨dte vom auf dem Fluss dahingleitenden Schiff betrachtete, also aus der Ferne und in einer Perspektive der Bewegung. Er verharrte nur bei Thorn etwas la¨nger. Hier beschrieb er ausfu¨hrlich die „lieblichen Weinberge“ mit vielen Sommerha¨uschen und Altanen, sowie die von den Stadtbewohnern scho¨n gepflegten gru¨nen Ga¨rten. Die Da¨cher der Ha¨user und die Kirchtu¨rme von Thorn seien weithin sichtbar und schienen die Wolken zu beru¨hren. Auch wenn die Schute an der Stadt Thorn bereits voru¨bergeglitten sei, sehe man noch von weitem ihre „sauberen, scho¨nen Mauern“31. Die Bewunderung fu¨r Thorn ging einher mit einer kritischen Beurteilung anderer Weichselsta¨dte. Die u¨ber das Poem verstreuten kritischen Bemerkungen u¨ber Lebensweise und Ta¨tigkeit eines Kaufmanns, denen Klonowic die ehrliche Existenz eines Land-

26 Ebd., S. 94. 27 Ebd., S. 95–99. 28 Ebd., S. 76. 29 Ebd., S. 78. 30 Ebd., S. 80. 31 Ebd., S. 80.

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mannes gegenu¨berstellte, lassen keinen Zweifel daru¨ber aufkommen, welche Stellung der Autor dem Stadtleben gegenu¨ber bezieht. Im Jahre 1643 entstand endlich ein richtiges Stadtlob in der polnischen Literatur dieser Zeit, das aus der Feder von Adam Jarz˛ebski, eines Bu¨rgers und ko¨niglichen Hofkomponisten und Hofmusikanten stammte32. Es ist jedoch ein seltsames Stadtlob; man kann dieses Werk auch als Magnatenlob bezeichnen. Unter dem Titel „Geschenk oder kurze Beschreibung der Stadt Warschau“ finden wir eine gla¨nzende Darstellung der Residenzstadt Warschau, doch das Geschenk wurde nicht der Stadt selbst, sondern dem ma¨chtigen Kronmarschall Adam Kazanowski gewidmet. Auf diese Weise versuchte Jarz˛ebski die Gunst des Magnaten zu gewinnen. Die Darstellung beginnt mit der Beschreibung von zwei Warschauer Vorsta¨dten – Praga und Skaryszew, die in dieser Zeit Eigentum von Kazanowski waren. Es ist klar, dass der Schriftsteller seine besondere Aufmerksamkeit hierauf konzentrierte, weil er den ma¨chtigen Magnaten schmeicheln wollte. Eine weitere Analyse seines Werkes besta¨tigt diese Vermutung. Das Werk za¨hlt 3844 Verse; darin sind 630, also der sechste Teil, dem Palast Kazanowskis gewidmet. Es war wirklich ein prachtvolles Barockgeba¨ude. Jarz˛ebski beschreibt nicht nur seine gla¨nzende Architektur und sein wunderscho¨nes Aussehen, sondern auch die innere Gestaltung der Residenz, ihre ko¨stliche Ausschmu¨ckung mit Teppichen, Gobelins, Bildern und Mo¨beln; ihre verschiedenen ku¨nstlichen Einrichtungen wie z. B. die staunenerregende Badeanstalt, die scho¨n eingerichtete Hauskapelle, die imponierende Bibliothek, die reichen Sammlungen von Kuriosita¨ten und Waffen, große Gewa¨chsanlagen wie auch die weite umliegende Gartenanlage (ein Tierpark inbegriffen) mit wunderscho¨nen Perspektiven auf die Weichsel33. Einen zweiten Platz nach Kazanowskis Palast nimmt in Jarz˛ebskis Werk die Beschreibung des Ko¨niglichen Schlosses (150 Verse) und der sogenannten Villa Regia mit ihren Ga¨rten in der Krakauer Vorstadt (278 Verse) ein, zusammen also 428 Verse, das ist der achte Teil des ganzen Werkes34. Die Beschreibung der anderen Magnatenpala¨ste (Jarz˛ebski za¨hlt auf dem linken Ufer der Weichsel acht solcher großen Pala¨ste) und die Darstellung von u¨ber 60 gro¨ßeren und kleineren Ha¨usern von reichen Edelleuten umfaßt 1215 Verse, also fast ein Drittel des Werkes. Die Aufmerksamkeit des Dichters konzentrierte sich auch auf Kirchen; er za¨hlte auf dem linken Ufer der Weichsel mehr als 20 Gottesha¨user und Klo¨ster, deren Aussicht, Ausstattung und Funktionen sorgfa¨ltig analysiert wurden. Das bu¨rgerliche Warschau dagegen nimmt einen kleineren Platz im „Geschenk“ ein, mit nur 401 Versen fu¨r die Altstadt und 36 fu¨r die Neustadt. Zusammen ist also circa ein Achtel des ganzen Stadtlobes den Bu¨rgern gewidmet. Jarz˛ebski pries die scho¨nen, bunt bemalten Ha¨user der Altstadt, die sich besonders in der Na¨he des Marktplatzes befanden, ru¨hmte das ma¨chtige Rathaus, pries auch die Neustadt, wo ein recht ausgedehnter Zentralmarkt liege und wo man auch scho¨ne Kirchen sehen 32 Ebd., S. 80. 33 Adam Jarzebski, ˛ Go´sciniec albo kro´tkie opisanie Warszawy [Geschenk oder eine kurze Beschreibung

der Stadt Warschau], hg. v. Władysław Tomkiewicz Warszawa 1974.

34 Ebd., S. 104–122.

Die Weichselsta¨dte im Bild der polnischen Literatur

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ko¨nne. Neben Adelsha¨usern und Ga¨rten ga¨be es hier auch gute Handelseinrichtungen wie z. B. zahlreiche Gastha¨user und Speicher. Besondere Aufmerksamkeit ist doch nicht der Architektur, sondern den Menschen gewidmet. Jarz˛ebski za¨hlt 10 Patrizierfamilien auf, die im sta¨dtischen Regiment und im Handel eine große Rolle spielten, erkla¨rte die Grundsa¨tze der Regierung und der Rechtsprechung in Warschau35, konzentrierte sich aber ... auf Frauen, auf ihre Scho¨nheit, ihre bunten Kleider, ihre witzige Sprache. In das Lob mischte sich aber auch Tadel: Junge Ma¨dchen ha¨tten nur Spaß und teure Kleider im Kopf, sie wollten einen Adeligen und keinen Bu¨rger heiraten. Verheiratete Frauen ha¨tten zu große Anspru¨che auf Luxus. Schenkwirtinnen seien in Warschau besonders scho¨n, aber listig. Ganz schnell geht Jarz˛ebski vom Weibertadel zum Tadel des Lebens in der Stadt im allgemeinen u¨ber: Die Preise seien zu hoch – klagte er –, Handwerker verlangten zuviel Geld fu¨r ihre Arbeit, Kaufleute verkauften schlechte Ware als gute und betro¨gen ihre Kunden36. Der Spaziergang durch Warschau endete mit einem Ausflug ans Weichselufer, wo die Schiffe fu¨r eine Reise nach Danzig in Vorbereitung standen37. Ein Warschau gewidmetes Gedicht (wie fast alle Bemerkungen u¨ber polnische Sta¨dte) wird also mit einer Erinnerung an Danzig gekro¨nt. Es scheint, dass Danzig in dieser Zeit als ein Zentralort des bu¨rgerliches Lebens und als ein Maßstab fu¨r alle anderen Sta¨dte in Polen galt. Zusammenfassend mo¨chte ich feststellen: – Die in der europa¨ischen Literatur der Renaissance und des Barock sehr verbreiteten sog. laudatio urbis, war in der polnischen Literatur dieser Zeit fast unbekannt. – Bei den polnischen – sowohl den adeligen wie den bu¨rgerlichen – Schriftstellern gab es grundsa¨tzlich eine feindselige Haltung dem Stadtleben gegenu¨ber. Das Bild der Stadt wurde oft zum Symbol fu¨r Korruption und Verbrechen. – Eine objektivere Darstellung der Stadt kann man in den Reisebeschreibungen Polens finden. Fremde Reisende hatten jedoch die Tendenz, polnische Sta¨dte mit großen westeuropa¨ischen Sta¨dten zu vergleichen, was unvermeidlich zu kritischen Bemerkungen fu¨hrte. Der Vergleich mit Danzig war auch fu¨r polnische Sta¨dte ungu¨nstig. – Das Werk von Adam Jarz˛ebski, das bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts die einzige laudatio urbis in der polnischen Literatur war, sollte als Beweis fu¨r den außergewo¨hnlichen Aufstieg von Warschau dienen. Als ko¨nigliche Residenzstadt, als zentraler Ort, wo die Versammlungen des polnischen Parlaments stattfanden und mehrere Magnaten und Edelleute ihre prachtvollen Residenzen bauten, gewann Warschau eine Dimension der echten Großzu¨gigkeit. In der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts wurde diese Stadt zum Zentrum der politischen Macht und konnte mit Danzig in einigen Aspekten konkurrieren. Als wirtschaftliche Metro¨ bergewicht im Vergleich mit Warschau und pole hatte Danzig jedoch immer ein U

35 Ebd., S. 95–100. 36 Ebd., S. 71–78. 37 Ebd., S. 79–87.

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Maria Bogucka

anderen polnischen Sta¨dten. Der Schluß des Werkes von Jarz˛ebski beweist, dass in der gesellschaftlichen Mentalita¨t des 17. Jahrhunderts eine solche Meinung vorherrschte.

English Summary

The so-called laudatio urbis, a widespread topos in European literature of the Renaissance and the Baroque, was hardly known in Poland. Polish authors disapproved of city and urban life on principle: The image of cities often became a symbol of corruption and crime. However, a more positive portrayal of cities can be found in travelogues about Poland; though foreign travelers had a tendency to compare Polish cities to their West European counterparts. This practice inevitably led to critical remarks. The work of Adam Jarzebski, being the only laudatio urbis in Polish literature until the middle of the 17th century, was intended as evidence for the exceptional rise of Warsaw. Still, „Present or short description of the city of Warsaw“ was less a praise of the city than a praise of its magnates because the work was dedicated to Crown Marshal Kazanowski. Therefore, it mainly praises the noble inhabitants of Warsaw, their stately palaces, as well as their opulent life. On the other hand, only a small part in the „Present“ was dedicated to civic life itself.

ENTRE VISION IDE´ ALE ET REPRE´ SENTATION DU VE´ CU Nouveaux aperc¸us sur la conscience urbaine dans les Pays-bas a` la fin du Moyen Age* par Marc Boone et Elodie Lecuppre-Desjardin

La ville est un espace clos, bien diffe´rencie´ de la campagne qui l’entoure par les murs qui en de´limitent le pe´rime`tre, par son organisation politique, par la concentration des institutions eccle´siastiques qu’elle abrite, par la multiplicite´ des activite´s e´conomiques qui s’y installent et par l’effervescence culturelle qui la caracte´rise. Mais comment les hommes de la fin du Moyen Age percevaient-ils leur espace? Comment les citadins prenaient-ils conscience de leurs diffe´rences? Quelle image la ville souhaitaitelle donner d’elle-meˆme? Ces questions, nous ne sommes pas les premiers a` les poser. Et les e´tudes privile´giant les re´flexions sur l’identite´ urbaine et l’imaginaire de la ville, ont contribue´ a` e´claircir certains points – l’historiographie italienne ayant ouvert la voie1. D’ailleurs, dans un article fondamental, re´dige´ en 1982, Jacques Le Goff avait choisi le cadre de la pe´ninsule pour expliquer, en termes bien choisis, la dialectique fondamentale qui lie l’espace urbain a` son imaginaire2. Selon lui, l’imaginaire urbain doit eˆtre conside´re´ comme un ensemble de repre´sentations, d’images et d’ide´es, a` travers lesquelles la socie´te´ urbaine – ou tout au moins une partie de cette socie´te´ – se construit une propre personnalite´, une propre autorite´. Ce qui est important pour l’histoire, c’est de comprendre que cette personnalite´ a en quelque sorte deux faces: l’une mate´rielle, re´elle, repre´sentant la structure et l’aspect de la cite´; l’autre mentale, incarne´e dans les repre´sentations artistiques, litte´raires et the´oriques de la cite´. Cet imaginaire urbain consiste en somme en un dialogue permanent entre ces deux re´alite´s, entre la cite´ et son image. Et il se situe pour l’historien a` la confluence de l’image re´elle et de l’image ide´ale. Poursuivant ses efforts de de´cryptages, Jacques Le Goff propose alors de distinguer deux types de sources, celles qui rendent compte de l’image que la ville a voulu donner d’elle-meˆme, et parmi lesquelles ont peut ranger les travaux arche´ologiques, les quelques te´moignages iconographiques ainsi que les trai-

* Le manuscrit fut acheve´ de´ja` en 2005. 1 Voir par exemple, Jean-Claude Maire-Vigueur (e´d.), Images et mythes de la ville me´die´vale (Me´langes

de l’Ecole Franc¸aise de Rome, Me´langes 96), Rome 1984.

2 Jacques Le Goff, L’immaginario urbano nell’Italia medievale (secoli V–XV), dans: Il paesaggio, a cura

di Cesare de Seta (Storia d’Italia 5), Turin 1982, pp. 4–43.

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te´s d’urbanisme, et celles qui expriment un ide´al pre´sent dans les Laudes civitatum, dans les narrations le´gendaires, dans l’historiographie, etc. Depuis quelques anne´es, l’histoire urbaine des Pays-Bas, sous l’impulsion du groupe de recherche du Poˆle d’Attraction Interuniversitaire (P. A. I.), a emboıˆte´ le pas de l’historiographie italienne en proposant de passer au crible chacun des e´le´ments, chacune des phases d’e´volution qui ont progressivement construit, ide´es apre`s ide´es, fac¸onne´, images apre`s images, l’identite´ des villes de la fin du Moyen Age3. Si les e´clairages qui ont mis en lumie`re les villes des Pays-Bas sont ceux que nous retiendrons aujourd’hui, il faut dire que la dimension comparatiste a toujours e´te´ privile´gie´e, permettant d’estimer a` leur juste valeur non pas les progre`s ou les retards d’une re´gion par rapport a` l’autre, mais les spe´cificite´s qui, nuance´es par les rapports sociaux, l’emboıˆtement des espaces, et les jeux de pouvoirs, donnent naissance a` un discours de la ville fondamentalement originale. L’e´tude que nous pre´sentons ici, traquant derrie`re les mots et les images ce rapport dialectique entre identite´ et imaginaire urbain, retracera a` grands traits le re´pertoire symbolique dont les villes se dote`rent pour exprimer leur re´alite´ immanquablement teinte´e d’ide´al, avant d’exposer une e´tude plus neuve sur la repre´sentation du territoire urbain, profonde´ment ancre´e dans des re´alite´s bien tangibles. Pour comprendre les diffe´rentes e´tapes de la construction de l’identite´ urbaine dans cette re´gion, il faut bien suˆr avoir en teˆte les grandes lignes d’une histoire politique qui a fabrique´ l’espace urbain tout autant qu’elle a nourri l’image que la ville souhaitait afficher. Tre`s longtemps, les parame`tres e´conomiques ont guide´ les efforts des historiens en peine de comprendre et de mettre a` jour les spe´cificite´s de ce territoire dont l’exceptionnel dynamisme commercial e´clipsait toutes les autres caracte´ristiques4. Inscrite de nouveau dans une riche histoire e´ve´nementielle ou` les luttes de pouvoir ont scande´ les progre`s et les stagnations politiques, la re´flexion sur l’e´volution du phe´nome`ne urbain s’est donne´e un nouveau souffle, permettant de mettre a` l’honneur cette personnalite´ urbaine dont nous parlions pre´ce´demment. Nombreux sont les champs d’investigation qui ont en quelque sorte „secoue´“ la repre´sentation fortement positiviste d’une ville e´leve´e exclusivement au rythme de ses succe`s techniques et commerciaux. Parmi les avance´es conside´rables, l’arche´ologie a montre´ a` quel point la conqueˆte de l’espace urbain accompagnait plus qu’elle ne refle´tait les conqueˆtes du pouvoir distribue´ de fac¸on toujours ine´gale entre le prince, la commune et l’Eglise. Immanquablement, une symbolique tre`s forte permettait a` chacun de reconnaıˆtre sa marque et d’afficher plus ou moins directement ses ambitions. En suivant 3 Marc Boone/Peter Stabel (ed.), Shaping Urban Identity in late Medieval Europe, Louvain-Apel-

doorn 2000 et Marc Boone/Elodie Lecuppre-Desjardin/Jean-Pierre Sosson (e´d.), Le verbe, l’image et les repre´sentations de la socie´te´ urbaine au Moyen Age, Anvers-Apeldoorn, 2002. Sur le projet P. A. I. (phase V, 2002–2006) actuellement en cours, voir: www.ulb.ac.be/philo/urbs. Y participent des e´quipes appartenant aux universite´s belges de Gand, Anvers, Bruxelles et de l’universite´ de Leyde aux Pays-Bas, ainsi qu’une e´quipe base´e a` la Bibliothe`que Royale de Belgique (Bruxelles). Le programme P. A. I. est finance´ par l’organisme de la ‚politique scientifique fe´de´rale‘ (voir: www.belspo.be). 4 Pour une critique de cette vision re´ductrice installe´e dans le sillage de la tradition pire´nienne, voir Marc Boone, Urban Space and Political Conflict in Late Medieval Flanders, dans: Journal of Interdisciplinary History XXXII, 4 (Spring 2002), pp. 621–640.

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les e´tapes de l’ame´nagement de la Grand’Place de Lille et de la place du Marche´ du Vendredi a` Gand, on comprend que dans les grandes villes au moins, le de´cor urbain a e´te´ modele´ pour permettre de ritualiser les grands moments de la vie urbaine. Aussi bien a` Gand qu’a` Lille, la place centrale est le re´sultat d’une intervention de´libe´re´e dans le paysage urbain, qui, a` force d’asse`chement, de de´tournement des eaux et d’e´radication de l’habitat prive´, a permis l’e´mergence au XIIIe sie`cle d’une place centrale, ou` les autorite´s pouvaient se mettre en sce`ne5. A Lille, la pre´sence dans un rayon d’une trentaine de me`tres du beffroi, de la halle e´chevinale, de la chapelle des Ardents et du belve´de`re princier du Beauregard exprime parfaitement cette superposition des pouvoirs6. Le meˆme constat peut eˆtre fait pour Ypres ou pour d’autres villes secondaires, voire plus petites comme Dixmude, Damme ou Furnes7. C’est en effet en terme de superposition, d’he´ritage et non en termes de rupture ou de division qu’il faut envisager la lecture du patrimoine architectural urbain. Encore tre`s re´cemment, dans un livre d’excellente facture du reste, deux historiens de l’art s’e´tonnent de constater que la the´matique de´veloppe´e sur la fac¸ade de l’hoˆtel de ville de Saint-Omer a` la fin du XIVe sie`cle, s’inspirait d’un registre religieux compose´ d’anges ou de prophe`tes tenant des phylacte`res8. De meˆme, dans cette petite ville, marque´e par des efforts urbanistiques modestes, la salle dite „de le Selle“ ou` se tenaient les plaidoiries e´tait orne´e, a` partir de 1413/14, de peintures murales repre´sentant la vie de saint Omer, saint tute´laire de la ville. Ce registre de´coratif n’a pourtant rien d’exceptionnel. Comme l’a montre´ Raymond van Uytven, l’ide´e selon laquelle la production d’images urbaines ne pouvait que refle´ter les grandes luttes communales, fractionnant l’espace figuratif selon des cate´gories clairement identifie´es et antinomiques (a` l’Eglise les symboles du religieux, a` la ville les signes de son inde´pendance et au prince les marques de sa dynastie), n’a en re´alite´ inspire´ qu’une historiographie fortement impre´gne´e par les ide´es re´volutionnaires de son temps, celle du XIXe sie`cle9. Bien au contraire, a` Saint-Omer, les deux

5 Sur Lille: Gilles Blieck/A. Guiffray, Gene`se et e´volution d’une place publique. L’exemple de Lille,

dans: Pierre Demolon/Frans Verhaeghe (e´d.), Arche´ologie des villes dans le Nord-Ouest de l’Europe (VIIe-XIIIe sie`cle). Actes du IVe congre`s international d’arche´ologie me´die´vale Douai 1991, Douai 1994, pp. 219–221. Concernant Gand: Marie-Christine Laleman, Espaces publics dans les villes flamandes au moyen aˆge: l’apport de l’arche´ologie urbaine, dans: Boone/Stabel, Shaping urban identity (voir note 3), pp. 26–30. 6 Pour une re´flexion sur cet ame´nagement de la place publique, voir Elodie Lecuppre-Desjardin, La ville des ce´re´monies. Essai sur la communication politique dans les villes des anciens Pays-Bas bourguignons (Studies in European Urban History 4), Turnhout 2004, pp. 76–80. 7 La plupart des re´sultats des fouilles n’ont pas encore e´te´ publie´s (communication orale de Marc Dewilde, „Instituut Archeologisch Patrimonium“). Voir le rapport pre´sente´ par Anton Ervynck, lors de la confe´rence „archaeologica medievaelis“ a` Gand 1999 (sous presse). Concernant Ypres: Adriaan Verhulst, Les origines de la ville d’Ypres (XIe-XIIe sie`cles), dans: Revue du Nord 81 (1999), p. 12. 8 Marc Gil/Ludovic Nys, Saint-Omer Gothique, Valenciennes 2004: „On s’explique mal par contre la pre´sence en fac¸ade d’un e´difice civil de quatre culots sur lesquels sont sculpte´s des figures de prophe`tes, reconnaissables aux phylacte`res qu’ils tiennent dans les mains, a` leur longue barbes touffues et leurs coiffes en forme de turbans“, p. 80. 9 Voir Raymond van Uytven, Fla¨mische Belfriede und su¨dniederla¨ndische sta¨dtische Bauwerke im Mittelalter: Symbol und Mythos, dans: Alfred Haverkamp (e´d.), Information, Kommunikation und Selbstdarstellung in mittelalterlichen Gemeinden (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 40), Mu¨nchen 1998, pp. 125–159 et a` propos des e´ve´nements de 1302, qui ont donne´ lieu a` une re´interpre´ta-

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anges ornant le cul-de-lampe destine´ a` soutenir la saillie de la brete`che, accueillaient entre leurs bras un blason peint et grave´ aux armes du duc de Bourgogne, Philippe le Hardi10. Cette insertion d’un motif ducal au fronton d’un baˆtiment abritant les liberte´s urbaines n’est pas a` mettre sur le compte d’une certaine faiblesse de la ville face aux appe´tits de domination princie`re. Bruges, que l’on peut ranger dans la cate´gorie supe´rieure des villes secoue´es re´gulie`rement par les soubresauts de l’opposition au centralisme princier, avait fait polychromer par Jan van Eyck lui-meˆme, vers 1434/35, six statues comple´tant la galerie des comtes de Flandre ornant la maison des e´chevins11. A Bruxelles, la tour Saint-Michel qui borde l’hoˆtel de ville, dont la premie`re pierre fut pose´e par Charles de Charolais en 1444, e´tait orne´e de quatre statues place´es dans des niches repre´sentant Philippe le Bon, puis Charles le Te´me´raire, Marie de Bourgogne et Maximilien d’Autriche12. A Ypres, en 1450, le toit de la maison e´chevinale avait e´te´ de´core´ des armes du duc et de la duchesse de Bourgogne, de celles du comte´ de Flandre et de la ville, etc.13 Bref, force est de constater que toute la symbolique des de´corations urbaines a adopte´ consciemment ou non le stock des arche´types he´raldiques seigneuriaux. Certes, il faut eˆtre vigilant et ne pas nier pour autant toute spe´cificite´ urbaine dans ce grand champ du symbolique ou` notre seul but est de prouver la coexistence d’une multiplicite´ de pouvoirs, non leur dissolution ou leur anonymat14. L’image de la ville propose´e par ses pierres et ses murs est celle d’une histoire se´dimente´e, non celle d’un palimpseste. La de´monstration qui vient d’eˆtre mene´e aurait pu de la meˆme fac¸on s’appuyer sur le domaine de la communication symbolique attache´e a` la maıˆtrise de l’espace public. Corte`ges, processions, feˆtes, mettent en sce`ne tout autant ces meˆme rapports d’autorite´ qui, a` force de ne´gociations, d’e´pisodes re´pe´te´es de cohabitations – plus ou moins houleuses, il faut bien l’admettre – a permis a` la ville de passer de l’image ide´ale et simplifie´e du signe – songeons par exemple a` l’ide´ogramme simplificateur et parfois simpliste du sceau – a` la repre´sentation complexe et raffine´e de ses multiples re´alite´s tels que peuvent les exposer une fac¸ade d’hoˆtel de ville, un corte`ge processionnel, ou une se´rie de tableaux vivants. Ce foisonnement de supports figuratifs, qui chacun ve´hicule une image spe´cifique de la ville a` laquelle ils s’attachent,

tion romantique du Moyen Age flamand: Marc Boone, Une socie´te´ urbanise´e sous tension. Le comte´ de Flandre vers 1302, in: Raoul C. van Caenegem (e´d.), 1302. Le de´sastre de Courtrai. Mythe et re´alite´ de la bataille des Eperons d’or, Anvers 2002, pp. 27–77. Dans le meˆme livre Jo Tollebeek a traite´ le culte national attache´ a` la bataille dite des Eperons d’or. 10 Gil/Nys, Saint-Omer Gothique (voir note 8), pp. 80–81. 11 Sur l’implication des fre`res van Eyck dans les travaux e´dilitaires des villes de Flandre voir: Elisabeth Dhanens, Hubert et Jean van Eyck, Anvers 1980. 12 Alexandre Henne/Alphonse Wauters/Mina Martens, Histoire de la ville de Bruxelles. Nouvelle e´dition du texte original de 1845, Bruxelles 1968, t. I, pp. 234ss. 13 On peut retrouver ces exemples dans van Uytven, Fla¨mische Belfriede (voir note 9), p. 134 et pp. 140ss. 14 Pour plus d’informations sur cette concurrence de´cline´e dans les politiques e´dilitaires, voir Elodie Lecuppre-Desjardin, Des pouvoirs inscrits dans la pierre? Essai sur l’e´dilite´ urbaine dans les anciens Pays-Bas bourguignons au XVe sie`cle, dans: Memini. Travaux et documents (Socie´te´ des e´tudes me´die´vales du Que´bec 7), Que´bec 2003, pp. 7–35. Il faut constater une fois de plus, que les e´tudes de la question sont nettement plus avance´es dans le cas de l’Italie du bas Moyen Age, voir les diffe´rentes contributions dans: Elisabeth Crouzet-Pavan (e´d.), Pouvoir et e´dilite´. Les grands chantiers dans l’Italie communale et seigneuriale (Collection de l’Ecole franc¸aise de Rome 302), Rome 2003.

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permet de re´soudre ce qui aux yeux de nombreux historiens apparaıˆt comme un paradoxe. La question a de´ja` taraude´ les historiens de l’Italie communale, confronte´s aux meˆmes indices apparemment contradictoires: comment des villes, dont les luttes et les re´voltes ne cessent de diviser et de malmener les e´quilibres sociaux, peuvent-elles se re´ve´ler aussi puissantes, aussi dynamiques, aussi incroyablement fertiles? L’image de ces villes apporte une re´ponse somme toute assez claire, meˆme si elle n’a jamais e´te´ formule´e. Les luttes, la violence quotidienne, l’esprit de conqueˆte participent de la construction de l’identite´ urbaine. L’image de la ville, par son incroyable capacite´ de compilation, prouve que les luttes, les petites comme les grandes, concourent a` cette prise de conscience urbaine ou` se jouent ni plus ni moins que des enjeux identitaires. La violence et la culture politique marque´e par les soule`vements et les dissensions, a` la fois internes et contre la force princie`re, ont a` leur tour aide´ a` composer l’image des villes des anciens Pays-Bas me´ridionaux que l’historiographie traditionnelle nous a le´gue´e. Le XIXe sie`cle en premier lieu et l’historisme du de´but du XXe ont construit une vision des villes me´die´vales qui refle`te leurs propres pre´occupations et fixations. Apre`s la Commune de Paris, le discours sur les communes du Moyen Age, pour ne reprendre que cet exemple, ne fut plus jamais pareil15. Or, les tendances actuelles de l’historiographie ont re´e´value´ la signification des ‚fureurs‘. Elles ont pris ‚au se´rieux‘ ces soubresauts violents et les ont de´code´s comme les symptoˆmes d’une queˆte inlassable d’identite´: ainsi distingue-t-on une relation e´troite entre la grande tradition des soule`vements urbains contre le prince et la petite tradition des conflits sociaux et politique a` l’inte´rieur des villes16. Dans un espace aussi ouvert a` la concurrence que furent les anciens Pays-Bas, ou` chaque ville n’est jamais e´loigne´e de plus de 25 km de sa voisine, la lutte, l’esprit de conqueˆte, la de´fense des inte´reˆts par la ne´gociation ou par la violence, se re´ve`lent vitaux. Mais ne nous y trompons pas: ces luttes constituent un mode d’action habituel. Et la pre´sence des figures comtales au sein d’un hoˆtel de ville ne repre´sente pas seulement la vision ide´ale d’une harmonie souhaite´e par la commune avec ses seigneurs, mais bel et bien une cohabitation accepte´e, meˆme si elle est continuellement discute´e17. Cette conqueˆte des espaces de pouvoir figure´s par l’image apparaıˆt e´galement dans un autre type de documents, tre`s peu utilise´s jusqu’ici et qui permet e´galement de nuancer la vision ide´ale de verticalite´ syste´matiquement attache´e a` l’identite´ urbaine. La ville me´die´vale, dans les Pays-Bas comme ailleurs, apparaıˆt avant tout dans sa verticalite´. Comme nous le rappelions dans l’introduction: la ville, monde clos qui domine le plat pays environnant, s’impose avant tout par ses tours, ses clochers, ses 15 Sur ces discussions qui continuent jusqu’a` nos jours: Christian Amalvi, Le gouˆt du Moyen Age, Paris

1996, pp. 194–202. Un livre stimulant qui pose la question: comment le XIXe sie`cle a ‚construit‘ son Moyen Age? Ronald van Kesteren, Het verlangen naar de Middeleeuwen. De verbeelding van een historische passie, Amsterdam 2004. 16 Voir Marc Boone/Maarten Prak, Rulers, patricians and burghers: the Great and the Little Traditions of Urban Revolt in the Low Countries, dans: Karel Davids/Jan Lucassen (e´d.), A miracle mirrored. The Dutch Republic in European Perspective, Cambridge 1995, pp. 99–134 et Marc Boone, ‚Armes, coursses, assemblees et commocions‘. Les gens de me´tiers et l’usage de la violence dans la socie´te´ urbaine flamande a` la fin du Moyen Age, dans: Revue du Nord, 87 (2005), pp. 7–33. 17 Voir sur ce point les conclusions dans Lecuppre-Desjardin, La ville des ce´re´monies (voir note 6).

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portes surmonte´es de tourelles, ses beffrois. La symbolique attache´e a` cette conqueˆte du ciel est bien entendu celle du pouvoir, ou plus exactement des pouvoirs. Les textes, ceux des autochtones comme ceux des e´trangers ne disent pas autre chose. Au cours de sa visite des Pays-Bas a` la fin du XVe sie`cle, Je´roˆme Mu¨ntzer, pre´fe`re de´couvrir les villes qu’il visite depuis le point le plus haut de chacune d’entre elles, et son re´cit prend alors soin de comparer les hauteurs des diffe´rents beffrois et clochers dont il fit l’ascension. La plus haute tour d’Arras comporte 306 marches, celle de Bruges, 380, celle d’Anvers 385, etc.18. Mais cette verticalite´ ne fut pas uniquement l’affaire des collectivite´s. Dans la construction de l’identite´ sociale du patriciat classique des villes, les maisons en pierre, flanque´es de tours, a` l’imitation des demeures nobiliaires gantoises du XIIe sie`cle ont choque´ certains contemporains, tel l’archeveˆque Guillaume de Reims ou le chroniqueur hainuyer Gislebert de Mons pour qui ces donjons a` l’inte´rieur d’une ville e´taient une atteinte a` l’ordre social voulu par Dieu19. Les repre´sentations iconographiques des villes des Pays-Bas, pour la pe´riode qui pre´ce`de le XVIe sie`cle, sont rares. Ne´anmoins, les quelques te´moignages le´gue´s par les œuvres des primitifs flamands mettent immanquablement en avant la supe´riorite´ urbaine par l’e´le´vation des tours. Avant d’occuper le devant de la sce`ne, comme dans le ce´le`bre tableau attribue´ a` Pieter I Claeissens, „Les Sept merveilles de Bruges“, et datant de la moitie´ du XVIe sie`cle, la ville de Bruges fait une apparition timide dans quelques œuvres, comme dans celle du Maıˆtre de la le´gende de Sainte Lucie ou`, en arrie`re plan, les tours indiquent la domination de la cite´ brugeoise sur la campagne. Si, de manie`re ge´ne´rale, les murs sont difficilement identifiables, la ville est cependant un e´le´ment de de´cor essentiel dans la peinture flamande. Les exemples abondent: citons simplement l’arrie`re plan des „Trois Marie au tombeau“ de Hubert van Eyck, celui du „Martyre de saint Se´bastien“ de Hans Memlinc, ou bien encore celui de la „Vierge a` l’encrier“ du Maıˆtre de la Madone Andre´20. Mais, comme l’a souligne´ Peter Stabel a` de nombreuses reprises, l’irruption de la ville dans la peinture des primitifs flamands n’est pas simplement destine´e a` fournir un de´cor, un cadre a` une sce`ne inde´pendante. La ville, la plupart du temps, s’anime de dizaines de personnages, de multiples activite´s et renvoie ainsi l’image de sa dynamique21. Toutefois, la verticalite´ reste la dimension principale

18 Elodie Lecuppre-Desjardin, L’autre et la ville: l’apport des te´moignages e´trangers dans la connais-

sance des villes des anciens Pays-Bas bourguignons a` la fin du Moyen Age, dans: Le verbe et l’image (voir note 3), pp. 55–74. 19 On trouvera les re´fe´rences aux textes en question chez Marc Boone, La terre, les hommes et les villes. Quelques conside´rations autour du the`me de l’urbanisation des proprie´taires terriens, dans: Actes du 17e Colloque International, Spa 16–19 mai 1994 „La ville et la transmission des valeurs culturelles au bas moyen aˆge et aux temps modernes“ (Cre´dit communal de Belgique, se´rie in–8o, 96), Bruxelles 1996, p. 158 (note 12). 20 Hubert van Eyck, ‚Les trois Marie au tombeau‘, Muse´e Boymans-van Beuningen, Rotterdam; Hans Memlinc, ‚Le martyre de saint Se´bastien‘, Muse´es royaux des Beaux Arts de Belgique, Bruxelles; Maıˆtre de la Madone Andre´, La Vierge a` l’encrier, Muse´e Jacquemart Andre´, Paris. Ces trois tableaux figurent dans Brigitte de Patoul et Roger van Schoute, Les primitifs flamands et leur temps, Tournai 2000, respectivement aux pages 262 et 290; 196 et 500. 21 Peter Stabel, Social Reality and Artistic Image: The Urban Experience in the Late Medieval Low Countries. Some Introductory Remarks on the Occasion of a Colloquium, dans: Myriam Carlier/Anke Greve/Walter Prevenier/Peter Stabel (e´d.), Hart en marge in de laat-middeleeuwse ste-

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des ste´re´otypes que les peintres accolent a` l’entite´ urbaine et que la ville elle-meˆme privile´gie dans la vision ide´ale d’elle-meˆme. En effet, la ville n’a pas entendu les van Eyck ou les Ge´rard David pour formuler son identite´ par l’image. L’activite´ sigillaire dans cette re´gion est particulie`rement foisonnante et de´ja` „la ville ide´ogramme insiste sur la verticalite´“22. La ville ainsi re´sume´e, se fait e´glise, porte, tour et offre parfois un panorama urbain complet comme c’est le cas sur le sceau de Beauvais ou` rivalisent les nombreux clochers de la cite´ e´piscopale23. Ces repre´sentations urbaines sont a` ranger dans la cate´gorie des repre´sentations fictives de la cite´. He´ritie`res des the´ories se´miotiques essentialistes, ces villes ont de`s le XIIe sie`cle assimile´ le signe a` un mode`le de perfection vers lequel elles tendaient: vision d’une communaute´ unie et rassemble´e par exemple autour d’un objet de de´votion partage´ par tous, comme c’est le cas a` Saint-Omer ou` le saint local est repre´sente´ en habit e´piscopal24, vision de la conqueˆte des liberte´s communales comme c’est le cas a` Soissons qui a choisi de repre´senter son beffroi25 ou a` Gand qui a privile´gie´ l’alle´gorie de la Vierge de Gand – e´galement a` l’honneur dans la litte´rature – pour exprimer la de´fense des liberte´s urbaines26, vision de la Je´rusalem Ce´leste comme c’est le cas dans de nombreux sceaux qui profitent de leur forme pour se rapprocher de l’ide´al biblique inspirant la perfection a` tout un chacun. Les sceaux urbains sont charge´s d’une signification ide´ologique importante, qui n’e´chappe pas non plus aux attentions d’un seigneur ou d’un prince voulant marteler son autorite´. Ainsi, la ville modeste de Maubeuge se dote dans le contexte d’une re´bellion en 1293 d’un sceau ou` figure un cheˆne – arbre symbole de liberte´ par excellence. Ce dernier est remplace´ vers 1320 par un sceau ou` dominent les quatre lions du comte´ du Hainaut et la crosse aux aigles de l’abbesse seigneur de la ville. Et quand le ‚grand dompteur‘ de villes me´die´vales, Charles Quint, se meˆle en 1528 des affaires de l’ancienne ville e´piscopale d’Utrecht, il donne l’ordre de biffer de´sormais l’image

delijke maatschappij, Louvain-Apeldoorn 1997, pp. 11–31: „The city in late medieval Netherlandish art was not a pure architectural reality. In contrasts with many Italian painters of the trecento and quattrocento, Flemish artists have shown the city as a living social body“, p. 21. Id., Urbanization and its consequences: the urban region in late Medieval Flanders, dans: Peter Ainsworth/Tom Scott (e´d.), Regions and landscapes. Reality and imagination in late medieval and early modern Europe, Oxford/Bern/Berlin 2000, pp. 177–179. 22 Citation tire´e de l’e´tude de Brigitte Bedos-Rezak, Du mode`le a` l’image: les signes de l’identite´ urbaine au Moyen Age, dans: Le verbe, l’image (voir note 3), pp. 189–205. Signalons que dans le cadre du PAI de´ja` cite´, madame Lieve De Mey pre´pare un inventaire des sceaux des villes flamandes au Moyen Age. 23 Voir Brigitte Bedos-Rezak, Corpus des sceaux, tome 1: Les sceaux des villes, Paris 1980, no 94, p. 102. 24 Ibid., no 628 bis et no 629bis, p. 463 et p. 465. 25 Ibid., no 667bis, p. 489. 26 Germain Demay, Inventaire des sceaux de la Flandre, Paris 1873, I, p. 434. La re´fe´rence a` la litte´rature porte sur le poe`me de la „Vierge de Gand“ (De maghet van Ghend) compose´ lors de la grande re´volte gantoise contre le comte Louis de Male en 1379–1385. Le poe`te Boudin van de Leure y exalte les vertus de la re´sistance des citadins. La Vierge se tient dans un enclos (l’image entrera dans les repre´sentations traditionnelles de la ville, au point de devenir la marque des premiers imprimeurs gantois au de´but du XVIe sie`cle), entoure´e des deux rivie`res et de´fendue par une multitude de saints, souvent locaux, chacun brandissant un drapeau. Voir description et repre´sentations chez Walter Prevenier/Marc Boone, Les villes des Pays-Bas me´ridionaux au Bas Moyen Age: identite´ urbaine et solidarite´s corporatives, dans: Bulletin du Cre´dit Communal 47 (1993), p. 40.

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plurise´culaire de saint Martin des armes et des sceaux de la ville27.Toutefois, si la hauteur, l’ascension, le reˆve de transcendance, le de´sir d’afficher „la monte´e des valeurs terrestres vers le ciel“ – pour inverser la proposition de Jacques Le Goff, caracte´risent fortement l’identite´ urbaine en cette fin du Moyen Age, il ne faut pas oublier que les villes des Pays-Bas, serre´es les unes contres les autres, appartiennent e´galement a` des re´seaux au sein desquels il est important de signifier son existence, sa personnalite´, voire son autorite´28. Deux e´tudes de Raymond van Uytven, que nous avons de´ja` cite´es, sur les beffrois flamands, e´minences aure´ole´es de la superbe urbaine s’il en est, nous ont ainsi invite´s a` e´largir notre horizon29. Ce dernier a montre´ de fac¸on tout a` fait convaincante combien les travaux mene´s au XIXe sie`cle, dans le sillon de mouvements tel que celui du ‚gothic revival‘ avaient influence´ le regard porte´ sur de tels monuments30. Pour re´sumer brie`vement le sens de sa de´marche, rappelons simplement qu’en reprenant l’origine du mot et son apparition tardive en territoire ne´erlandophone, qu’en s’appuyant sur les sources me´die´vales qui privile´gient davantage l’e´tendard de la ville ou la cloche municipale, appele´e „bancloque“, comme signe du pouvoir urbain, Van Uytven a prouve´ que le beffroi ne constitue pas une manifestation typique de la monte´e en puissance du pouvoir municipal en Flandre. D’ailleurs, l’exemple du sceau de Soissons mentionne´ a` l’instant, ville situe´e hors des Pays-Bas mais au cœur de la re´gion ou` se sont de´veloppe´es de`s le XIIe sie`cle les communes picardes, n’e´tait pas une ne´gligence de notre part, mais bel et bien une preuve supple´mentaire apporte´e au dossier de van Uytven plaidant en faveur d’une importation de ce symbole identitaire urbain, devenu au fil des sie`cles, le ste´re´otype tronque´ des liberte´s communales flamandes31. En revanche, monuments a` part entie`re ou simples clochers d’e´glises, les beffrois flamands font surtout entendre la liberte´ de la ville graˆce a` la possession de cloches. Certes, la fin du Moyen Age inaugure une ve´ritable compe´tition entre les

27 Raymond van Uytven, Stadsgeschiedenis in het Noorden en het Zuiden, dans: Nieuwe algemene ges-

chiedenis der Nederlanden, tome 2 (Middeleeuwen), Haarlem 1982, p. 221. 28 La litte´rature sur les re´seaux urbains est abondante, bien qu’elle ait tendance a` favoriser une approche

classique en partant de l’histoire e´conomique. Voir: Le re´seau urbain en Belgique dans une perspective historique (1350–1850). Une approche statistique et dynamique. Actes du 15e colloque international. Spa, 4–6 sept. 1990 (Cre´dit Communal, collection Histoire, se´rie in–8o, 86), Bruxelles 1992 (rapports sur la Flandre par Walter Prevenier, Jean-Pierre Sosson et Marc Boone, sur le Brabant par Raymond van Uytven). Ce dernier a creuse´ le the`me: Raymond van Uytven, Die Sta¨dtelandschaft des mittelalterlichen Herzogtums Brabant, dans: Monika Escher/Alfred Haverkamp/Frank G. Hirschmann (ed.), Sta¨dtelandschaft – Sta¨dtenetz – zentralo¨rtliches Gefu¨ge. Ansa¨tze und Befunde zur Geschichte der Sta¨dte im hohen und spa¨ten Mittelalter, Mainz 2000, pp.131–168. 29 Van Uytven, Fla¨mische Belfriede (voir note 9), et Id., Architecturale vormen en stedelijke identiteit in de middeleeuwen, dans: Jana Catharina Dekker (e´d.), Sporen en spiegels. Beschouwingen over geschiedenis en identiteit, Tilburg 1995, pp. 17–21. 30 Sur le mouvement „gothique“ dans le monde anglo-saxon (et ses re´percussions dans les Pays-Bas): van Kesteren, Het verlangen (voir note 15), pp. 258–331. Des influences similaires se firent sentir en France: Amalvi, Le gouˆt (voir note 15), pp. 25–35 et passim. 31 On a inte´reˆt a` rapprocher le mouvement des communes dans le nord de la France (grosso modo l’actuelle re´gion de Picardie) avec ce qui se passait au meˆme moment, au XIIe sie`cle, dans les grandes villes flamandes, voir: Knut Schulz, „Denn Sie lieben die Freiheit so sehr ...“. Kommunale Aufsta¨nde und Entstehung des europa¨ischen Bu¨rgertums im Hochmittelalter, Darmstadt 1992, pp. 104–131.

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villes qui rivalisent de somptuosite´ et de hauteur dans la construction de leurs e´difices municipaux, mais le paysage sonore que ces dernie`res proposent ne doit pas eˆtre ne´glige´, tant il exprime quotidiennement et aux oreilles de tous l’ordre urbain32. Ces cloches urbaines faisaient retentir la voix d’une autorite´ qui s’imposait face a` celles du prince et de l’Eglise. Dans la plus ancienne description d’un mouvement de gre`ve a` Gand, en 1302, l’auteur, un franciscain anonyme, te´moin oculaire des faits, relate comment les gre´vistes avaient soigneusement occupe´ les rues et carrefours, utilisant bannie`res et signes de guerre. Il souligne ne´anmoins qu’ils s’e´taient abstenus d’occuper e´galement le beffroi et donc de mettre la main sur la cloche, bien qu’ils eussent pris soin d’accompagner leur action de sons particuliers33. En agissant de la sorte, ils de´montraient si besoin en e´tait, qu’ils maıˆtrisaient de´ja` parfaitement les instruments de mobilisation que les ge´ne´rations suivantes de gens de me´tiers allaient mettre en oeuvre afin d’exprimer leurs buts politiques. Rappelons ainsi que, lors des e´meutes, ce sont les cloches des villes qui font l’objet de toutes les convoitises. En 1328, les soldats du comte de Flandre abattent les cloches d’Ypres pour mater la re´bellion de la ville, en 1383, Philippe le Hardi s’empare du Jacquemart de Courtrai pour l’envoyer a` Dijon ou` il est toujours visible, et enfin, en 1540, Charles Quint e´crase la re´volte gantoise et fait descendre la cloche de la ville nomme´e „Roeland“. A coˆte´ des cloches, d’autres e´le´ments du paysage urbain se trouvaient parmi les cibles privile´gie´es des autorite´s princie`res qui voulaient, en les modifiant ou en les de´truisant, re´primer ou punir une ville rebelle. Souvent ces e´le´ments englobaient a` la fois sonorite´, images identitaires et symboles de pouvoir. Il faut donc ici mentionner la destruction de murs, mais e´galement d’institutions eccle´siastiques (abbayes et e´glises emble´matiques comme a` The´rouanne, Utrecht ou Gand sous Charles Quint) et, dans les villes du Pays de Lie`ge, le transport du symbole par excellence de l’identite´ urbaine, le perron, transporte´ de Lie`ge a` Bruges sur ordre de Charles le Te´me´raire, a` la fois pour punir Lie`ge et pour avertir la ville flamande34. L’e´vocation du paysage urbain sonore nous invite a` prendre en compte une autre dimension, jusque la` trop souvent ne´glige´e par les e´tudes historiques, celle de l’horizontalite´. Tout comme les sons se diffusent au loin dans les campagnes, il semble que les tentatives de prise de conscience du territoire urbain, e´loigne´es de tout ide´al, 32 Sur le paysage sonore dans les villes des Pays-Bas bourguignons voir: Lecuppre-Desjardin, La ville

des ce´re´monies (voir note 6), pp. 167–177.

33 quidam de communitate occulte se armaverunt, acceptisque vexillis et signis suis bellicis, processerunt in

publicum percutientesque pelves suas, quia ad campanam ville accedere non audebant, totam communitatem commoverunt: Frantz Funck-Brentano (e´d.), Annales Gandenses, Paris 1896, p. 19. Concernant cette source: Marc Boone, Der anonyme Minorit von Gent. Annales Gandenses, dans: Volker Reinhardt (e´d.), Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997, pp. 14–17. 34 Marc Boone, Destructions des villes et menaces de destruction, e´le´ments du discours princier aux Pays-Bas bourguignons, dans: Martin Ko¨rner (ed.), Stadtzersto¨rung und Wiederaufbau. Bd. 2: Zersto¨rung durch die Stadtherrschaft, innere Unruhen und Kriege. Destruction et reconstruction des villes. Tome 2. Destruction par le pouvoir seigneurial, les troubles internes et les guerres. Destruction and Reconstruction of Towns. Volume 2. Destruction by the Lord’s Power, Internal Troubles and Wars, Bern/Stuttgart/Wien 2000, pp. 106–108. Sur le perron lie´geois: Henri Pirenne, Le conflit lie´goisbourguignon et le ‚perron‘ lie´gois, dans: Annales du congre`s de Lie`ge 1932 de la fe´de´ration arche´ologique et historique de Belgique, Lie`ge 1933, 12 p.

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aient pris avant tout en compte l’e´tendue de l’espace domine´ par les institutions citadines. On sait que pour la pe´riode qui nous concerne la perception de la ge´ographie du territoire est assez limite´e. Il faut en effet attendre les releve´s de Pierre van der Beke en 1538 et de Ge´rard Mercator en 1540, pour assister a` la conception d’une carte de la Flandre. Toutefois quelques indices permettent de jalonner cette histoire de la repre´sentation cartographique dans les Pays-Bas, anime´e dans un premier temps par une conception somme toute line´aire de l’espace35. La connaissance du territoire par l’e´nume´ration, e´nume´ration de juridictions, de titres ou par la succession, succession de lieux, de haltes, de sites de production, etc. domine. D’ailleurs, la premie`re carte du comte´ de Flandre trouve´e dans une version italienne de la Chronique de Flandre et datant de 1452, se pre´sente comme une succession de villes caracte´rise´es par des tours cre´nele´es, sans que jamais ne soit convoque´ le repe´rage des quatre points cardinaux36. L’insertion de cette carte dans une chronique italienne permet de comprendre sa conception. Elle suit en effet le parcours du marchand e´tranger qui entre en Flandre par l’estuaire du Zwin, pour d’abord arriver dans le port de Bruges et se lancer, a` partir de ce point, a` la conqueˆte d’autres parties du marche´ flamand, graˆce aux informations livre´es par d’autres textes, du genre des ‚pratica` della mercatura‘ dont se munissaient les nombreux marchands italiens pre´sents dans cette Flandre du Moyen Age finissant37. Techniquement, la carte du comte´ de Flandre de 1452 est tre`s proche de celle du duche´ de Brabant (oriente´ cette fois vers le Nord comme une carte moderne) datant du XVe sie`cle et sur laquelle les villes et les voies de communication (par l’eau de pre´fe´rence) dominent e´galement la repre´sentation38. Cette conception line´aire de l’espace se retrouve dans une cate´gorie de documents que nous allons maintenant e´tudier, qui atteste non seulement le lien que nourrit la ville avec sa campagne, mais aussi la prise de conscience de l’identite´ urbaine dans son horizontalite´. Certes, l’histoire de la ville recadre´e dans celle de son espace environnant a e´te´ mise a` l’honneur graˆce a` la the´orie des re´seaux, mais ces travaux, qui ont privile´gie´ avant tout la dimension e´conomique de ces liens, n’ont pas attire´ l’attention sur l’impact de ces re´seaux dans la prise de conscience des re´alite´s proprement urbaines39. Cette histoire de la domination de la ville sur la campagne est bien entendu plus familie`re de l’historiographie italienne. Imme´diatement, les peintures du palais communal de Sienne viennent a` l’esprit. Mais, Ambrogio Lorenzetti, avant de s’attaquer a` la

35 Pour quelques remarques sur la perception de l’espace dans les Pays-Bas bourguignons, voir Lecup-

pre-Desjardin, La ville des ce´re´monies (voir note 6), pp. 15–26. 36 Bruges, Bibliothe`que municipale, ms. 685 („Chronique italienne de la Flandre“, 1452). La carte est re-

produite dans Andre´ Vandewalle (e´d.), Les marchands de la Hanse et la banque des Me´dicis. Bruges, marche´ d’e´changes culturels en Europe, Bruges 2002, p. 150. 37 Un argument pale´ographique soutient cette interpre´tation: la chronique et le texte qui accompagnent la carte sont conserve´s dans l’autographe de l’interpre`te qui e´crit en mercantesca, e´criture typique fort a` la mode dans le milieu des marchands italiens. Sur cette carte: Sabrina Corbellini, Cronache de singniori di Fiandra: een Italiaanse kroniek van Vlaanderen, dans: Handelingen van het genootschap voor Geschiedenis, gesticht onder de benaming „Socie´te´ d’e´mulation“ te Brugge 134 (1997), pp. 102–111. 38 Bruxelles, Bibliothe`que royale, de´partement des manuscrits, no 2088–89, fo 87vo, reproduit dans van Uytven, Stadsgeschiedenis (voir note 26), p. 252. 39 Voir supra, note 26.

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fresque du Bon Gouvernement, avait e´te´ de´peˆche´ dans la campagne pour pouvoir re´aliser, toujours sur les murs du palais communal, une fresque relatant la soumission des castra du contado40. Et si la ville italienne s’est impose´e par une domination e´conomique puis politique, elle ne tarda pas a` faire de la conqueˆte du contado l’un des symboles de sa puissance41. La notion de contado n’existe pas bien suˆr dans les Pays-Bas. Toutefois, un encadrement institutionnel du plat pays par les grandes villes n’y fut pas inconnu. Une division du comte´ de Flandre (et du Brabant) en ‚Quartiers‘, chacun sous le controˆle d’une (grande) ville avait pris forme graduellement dans le courant du XIVe sie`cle, dans le contexte de l’organisation des institutions dites ‚repre´sentatives‘ et suite au poids politique et e´conomique de plus en plus lourd des villes42. Les ‚quartiers‘ des villes se manifestaient dans des compe´tences qui sont analogues a` celles de leurs homologues italiennes: organisation de la fiscalite´, de la de´fense, recours en justice. Bref, des champs d’action qui traduisent une politique de´libe´re´e d’imposition d’un controˆle, voire d’une domination, qui toutefois ne se soldait pas par la gene`se d’une ville-Etat a` l’italienne, pour des raisons qui sont de nature ge´ographique (la Flandre et le Brabant e´tant nettement plus petits et donc beaucoup plus sensibles a` ce qu’un syste`me de partage du pouvoir entre villes s’e´tablisse, et cherchant a` e´viter absolument la domination de telle ou telle ville) et pour des raisons politiques (dans les Pays-Bas, le pouvoir princier e´tait plus proche et plus de´termine´ a` intervenir dans les processus de´cisionnels a` des moments clefs). Certes, nous ne disposons pas dans les Pays-Bas d’un document aussi remarquable que celui qu’abrite le palais communal de Sienne, ou` les effets du bon gouvernement prennent en e´charpe l’inte´rieur de la ville et les collines de la campagne. Mais d’autres te´moignages assez surprenants disent a` leur manie`re l’importance des environs dans la prise de conscience de la ville et par conse´quent dans l’e´laboration de son image. Prenons l’exemple de Saint-Omer. Cette petite ville, dont nous avons dit plus haut la pauvrete´ du de´cor civique, retient cependant notre attention pour la commande de vues topographiques qui viennent soutenir des actions juridiques. Le ce´le`bre rouleau topographique, conserve´ aujourd’hui aux archives municipales de Saint-Omer, et date´ d’environ 1470, montre ainsi sur plus de

40 Odile Redon, Sur la perception des espaces politiques dans l’Italie du XIIIe sie`cle, dans: Sergio Gen-

sini (e´d.), Le Italie del tardo Medioevo, Pise 1990, pp. 51–70.

41 Sur l’interpre´tation symbolique des effets du bon gouvernement sur les campagnes, voir par exemple

Enrico Castelnuovo (e´d.), Ambrogio Lorenzetti. Il Buon Governo, Milan 1995, p. 368ss.

42 Sur les Quartiers: David Nicholas, Town and countryside: social, economic, and political tensions in

fourteenth-century Flanders (Rijksuniversiteit te Gent, werken uitgegeven door de faculteit der Letteren en wijsbegeerte 152), Bruges 1971, pp. 152–172; Wim P. Blockmans, De volksvertegenwoordiging in Vlaanderen in de overgang van middeleeuwen naar nieuwe tijden (1384–1506) (Verhandelingen van de koninklijke Academie van Belgie¨, klasse der Letteren, XL, 90), Bruxelles 1978, pp. 107–127; Marc Boone, Gent en de Bourgondische hertogen, ca. 1384–ca. 1455. Een sociaal-politieke studie van een staatsvormingsproces (Verhandelingen van de koninklijke academie voor wetenschappen, letteren en schone kunsten van Belgie¨, Klasse der Letteren, jaargang 52, 133), Bruxelles 1990, pp. 191–198. Pour le Brabant, voir: Raymond van Uytven, Imperialisme of zelfverdediging: de extra-stedelijke rechtsmacht van Leuven, dans: Bijdragen tot de geschiedenis (La ville en Brabant, quatrie`me colloque, Bruxelles 29–30 mars 1974), 58 (1975), pp. 7–71 (avec un re´sume´ en franc¸ais). Plus ge´ne´ral: Raymond van Uytven/Claude Bruneel (e´d.), Geschiedenis van Brabant van het hertogdom tot heden, Zwolle 2004, pp. 217–218.

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trois me`tres de long, le cours de l’Aa depuis l’abbaye de Saint Bertin jusqu’a` Blendecques (voir illustrations 1 et 2). Ce document a sans doute servi de pie`ce justificative dans un proce`s concernant les moulins de l’abbaye43. Certes, la commande e´mane de

Illustration 1: Le cours de l’Aa: Vue de l’abbaye Saint Bertin, vers 1470 Original: Bibliothe`que de Saint-Omer (Pas de Calais, France): ms. 1489

l’abbaye – situation qui fait penser au contexte qui a vu naıˆtre le plus ancien plan de la ville de Gand datant de 1534, commande´ cette fois par l’abbe´ de Saint-Bavon Lieven Hughenois aupre`s du peintre gantois Gerard Horenbaut44 – et non de la ville, mais la conservation de cette aquarelle permet d’imaginer les documents aujourd’hui disparus et auxquels font allusion de nombreux paiements conserve´s dans les archives de la ville et ope´re´s a` sa demande. On sait ainsi que de`s 1436, en pleine guerre opposant

43 Pour davantage de de´tails sur la production de ces vues topographiques a` Saint-Omer, voir Gil/Nys,

Saint-Omer gothique (voir note 8), pp. 112–115.

44 Le plan se trouve actuellement dans le muse´e de la Biloque, ou` une ope´ration de digitalisation est en

cours. En attendant le re´sultat, on peut consulter Johan Decavele, Panoramisch gezicht op Gent in 1534 (Pro civitate, se´rie histoire in–4o, 5), Bruxelles 1975, pp. 15–16 (concernant l’identification de l’auteur).

Original: Bibliothe`que de Saint-Omer (Pas de Calais, France): ms. 1489

Illustration 2: Cours de l’Aa depuis l’abbaye de Saint Bertin jusqu’a` Blendecques, vers 1470

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Philippe le Bon aux Anglais, la ville s’adresse au peintre Yvain du Molin pour repe´rer la position des Anglais dans les alentours45. Plus tard, en 1516, la ville demande au peintre Antoine de le Moere, de re´aliser des releve´s autour de l’e´glise de St-Martin et de son cimetie`re, afin de re´gler un contentieux entre les marguilliers de St-Martin et la communaute´ abbatiale de St-Bertin46.Plusieurs e´le´ments doivent eˆtre retenus: tout d’abord, l’exemple de Saint-Omer n’est pas isole´ et la ville d’Amiens de`s 1399, par exemple, re´mune`re le peintre maıˆtre Pierre Des Quesnes, pour un travail de ce type47. Plus au nord, la ville d’Anvers est e´galement implique´e dans une affaire qui lui permet de se mettre en image en arrie`re plan de son fleuve, l’Escaut (voir illustration 3). A l’occasion d’une confrontation opposant le duc Charles le Te´me´raire a` la ville d’Anvers, cette dernie`re fit re´aliser un plan du cours d’eau, qui fut comple´te´ en 1504, dans une version cette fois-ci colore´e, mais aux contours plus simplistes que ceux de la version de 146848. Deuxie`mement, ces documents que l’on peut aise´ment rapprocher des tibe´riades, ne se limitent pas a` de simples releve´s cadastraux49. Ils be´ne´ficient d’une codification, d’une symbolique qui n’a pas encore fait l’objet d’une e´tude approfondie mais qui atteste, par son existence meˆme, un projet de communication, peut-eˆtre meˆme de propagande. Enfin, il est clair que l’image de la ville ne se limite pas a` son imaginaire, mais s’appuie e´galement sur une autre dimension celle d’un environnement synonyme d’espace de communication avec ses voisines. Si l’on voulait aller plus loin dans la dialectique e´voque´e plus haut, on pourrait meˆme dire que ces plans topographiques destine´s a` de´fendre un territoire ne sont pas seulement les supports d’une repre´sentation de l’espace, mais les instruments d’une production d’espace. Le plan de la ville de Bruges nous permet d’illustrer ce dernier point qui montre que le rapport entre re´alite´ urbaine et imaginaire urbain n’expose pas seulement un principe de sublimation mais aussi une logique fonctionnaliste. En effet, ce plan, dont la datation ne cesse de fluctuer dans une fourchette de pre`s de deux sie`cles (date´ du XIVe sie`cle, il est maintenant attribue´ a` la moitie´ du XVIe sie`cle, apre`s avoir 45 Gil/Nys, Saint-Omer gothique (voir note 8), p. 112. 46 Ibid. 47 Amiens, Archives Municipales, CC9, anne´e 1399, A maistre Pierre Des Quesnes, paintre pour avoir

fait par figure le situation de le maison et quarrie`re de maistre Raoul de Bery, advocat, XV s. Cite´ par Chre´tien Dehaisnes, L’art a` Amiens vers la fin du Moyen Age dans ses rapports avec l’e´cole flamande primitive, dans: Revue de l’Art chre´tien (1889–1890), p. 49–61. Pour d’autres exemples de peintres implique´s dans ce genre de travaux, voir la the`se de Marc Gil, Du Maıˆtre du Mansel au maıˆtre de Rambures. Le milieu des peintres et des enlumineurs de Picardie, ca. 1440–1480, Paris IV-Sorbonne 1999, III, p. 695. 48 Pour be´ne´ficier des reproductions de ce document voir Paul D. A. Harvey, The History of Topographical Maps. Symbols, Pictures and Surveys, Londres 1980, p. 92, et J. Brian Harley/David Woodward (e´d.), The History of Cartography, vol. 1: Cartography in Prehistoric, Ancient and Medieval Europe and the Mediterranean, Chicago 1987, p. 490. Les originaux sont conserve´s aux archives de Bruxelles et d’Anvers. Lire sur ce point Erik Thoen, Cartografie en historisch onderzoek, dans: Jan Art (e´d.), Hoe schrijf ik de geschiedenis van mijn gemeente. Deel 3b: Hulpwetenschappen, Gand 1996, pp. 131–185. 49 L’expression „tibe´riade“ est de´rive´e du traite´ De fluminibus seu tiberialis, re´dige´ en 1355 par l’homme de loi, Bartolo da Sassoferrato et qui propose d’utiliser des plans pour e´tablir les droits sur les rivie`res. Voir Franc¸ois de Dainville, Cartes et contestations au XVe sie`cle, dans: Imago Mundi 24 (1970), pp. 99–121.

Original: Archives Generales du Royaume (Bruxelles, Belgique), fonds Kaarten en Plannen: ms. 351

Illustration 3: Vue de l’Escaut et de la ville d’Anvers a` l’e´poque de Charles le Te´me´raire (1468)

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stagne´ un grand nombre d’anne´es aux alentours de la fin du XVe sie`cle), expose admirablement l’imbrication de la terre et de l’eau a` Bruges (voir illustration 4). Mais

Illustration 4: De´tail du plan de la ville de Bruges (vers le milieu du XVIe sie`cle) Original: Bruges (Belgique), Stedelijke Musea

le caracte`re tout a` fait remarquable de cette repre´sentation re´side surtout dans sa dimension fictionnelle, puisque, selon Marc Ryckaert, certains canaux figurant sur le plan n’existaient pas au moment de leur figuration50. Leur image est donc lie´e a` un

50 Ce plan est une huile sur toile dont l’auteur est inconnu. La date de confection l’est tout autant. Long-

temps attribue´ au XVe sie`cle, voire meˆme a` la fin de XIVe sie`cle – ce qui aurait fait de Bruges un poˆle a` la pointe de la production cartographique dans le monde occidental, le tableau a e´te´ date´ vers 1500, a` la suite des travaux de l’historien de l’art Dirk De Vos en 1979. Mais il y a quelques anne´es, de nouvelles recherches ont encore reporte´ la date, pour la placer au milieu du XVIe sie`cle. Le plan, qui montre la ville et ses environs imme´diats, ne forme que la partie droite du document original. La partie gauche,

Entre vision ide´ale et repre´sentation du ve´cu

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projet d’extension – la maıˆtrise de l’eau conditionnant la maıˆtrise de la terre. En effet, on sait par ailleurs que le controˆle de l’espace par les villes du plat pays s’effectue bien souvent par la me´diation des cours d’eau. Les exemples cite´s le plus souvent sont les canaux que les villes (telles Gand, Bruges, Ypres, Saint-Omer) ont creuse´s pour avoir un acce`s plus facile au commerce maritime, par exemple a` travers la ne´buleuse d’avant-ports et de petites villes dans l’estuaire du Zwin (Damme, Hoeke, Sint-Annater-Muide, Monnikerede, Lamminsvliet plus tard l’Ecluse) reliant Bruges a` la mer du Nord51. Confronte´es a` la ne´cessite´ d’he´berger un nombre grandissant d’immigrants, les villes ont poursuivi, tout au long du XIIIe sie`cle, le processus d’ame´nagement des terrains a` l’inte´rieur de leur espace. Il s’agit la` de processus souvent bien documente´s et donc bien connus. A Bruges, par exemple, une partie de la ville fut sure´leve´e vers 1200 pour orienter le centre vers l’extension portuaire en direction de Damme et du Zwin, ope´ration qui a cause´ une certaine fe´brilite´ spe´culative et qui a stimule´ l’implantation de banlieues en dehors des remparts primitifs52. Ainsi, en reliant image et fin pragmatique, en re´conciliant vision ide´ale et observation topographique, ces repre´sentations enrichissent d’un nouvel e´le´ment le lexique des expressions de l’identite´ urbaine dans ce territoire et a` cette pe´riode. Un reproche pourrait nous eˆtre adresse´. En quoi ces images qui, somme toute, appartiennent au registre des re´alite´s mate´rielles destine´es a` marquer l’emprise sur le sol, peuvent-elles enrichir la prise de conscience urbaine et par conse´quent ressortir d’un imaginaire de la ville? Tout simplement, parce que cette repre´sentation image´e clame le triomphe de la ville et de´fend l’honneur de la cite´. Il est ainsi tout a` fait remarquable que la de´cision de mesurer le pe´rime`tre de la ville de Gand a` la fin du XIVe sie`cle,

qui a e´te´ coupe´e a` une date inconnue (vers 1800?) montrait les liaisons de Bruges avec la mer, et notamment le nouveau Verse Vaart, canal projete´ dans les anne´es quarante du XVIe sie`cle et re´alise´ dans les anne´es cinquante et soixante. Il est assez probable que le document ait e´te´ conc¸u et re´alise´ dans le cadre de ces travaux ou de leur pre´paration. Les canaux ‚fictifs‘ a` l’inte´rieur de la ville doivent tre`s probablement eˆtre interpre´te´s dans le meˆme contexte. Un indice supple´mentaire apparaıˆt dans un des canaux ou` sont repre´sente´s deux vaisseaux, dont un trois-maˆts, donc vraisemblablement des bateaux de mer. Or, le but du nouveau canal e´tait pre´cise´ment de permettre aux navires de mer de rejoindre de nouveau la ville, ce qui n’e´tait plus possible depuis le XIe`me sie`cle. Nous remercions Marc Ryckaert pour ces pre´cieuses informations. Pour une vue de ce plan, voir Marc Ryckaert, Brugge. Historische stedenatlas van Belgie¨, Bruxelles 1991, pp. 15–17. 51 En ge´ne´ral: Marc Boone, Bru¨gge und Gent um 1250: die Entstehung der fla¨mischen Sta¨dtelandschaft, dans: Wilfried Hartmann (e´d.), Europas Sta¨dte zwischen Zwang und Freiheit. Die europa¨ische Stadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts, Regensburg 1995, pp. 97–110. Re´cemment, on a pu renouveler l’histoire la plus ancienne de Damme, ville portuaire ou` le canal en provenance de Gand, la Lieve, se jetait dans le canal Bruges-l’Ecluse: Adriaan Verhulst/The´re`se de Hemptinne/Lieve De Mey, Un tarif de tonlieu inconnu institue´ par le comte de Flandre Thierry d’Alsace (1128–1168) pour le port de Littersuerua, pre´curseur du port de Damme, dans: Bulletin de la Commission Royale d’Histoire CLXIV (1998), pp. 160–162. Les petites villes du Zwin ont fait l’objet de maintes e´tudes de Jean-Pierre Sosson, citons Jean-Pierre Sosson, Les „petites villes“ du Zwin (XIVe-XVe sie`cles): des „espaces urbains“ inviables?, dans: Philippe Contamine/Thierry Dutour/Bertrand Schnerb (e´d.), Commerce, finances et socie´te´ (Xie-XVIe sie`cles). Recueil de travaux d’histoire me´die´vale offert a` M. le professeur Henri Dubois, Paris 1993, pp. 171–184. 52 Ryckaert, Brugge (voir note 50), pp. 68–82 et Marc Ryckaert/Andre´ Vandewalle, Bruges. L’histoire d’une ville Europe´enne, Tielt 1999, p. 37; concernant Gand: Hans van Werveke, Kritische studie¨n betreffende de geschiedenis van de stad Gent, Anvers/Paris 1933, pp. 67–76.

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Marc Boone et Elodie Lecuppre-Desjardin

apparaisse dans un des „Memorieboeken“ (livres de me´moire) de la ville au titre des e´ve´nements constitutifs de la me´moire urbaine53. Rappelons e´galement que ces villes, si elles font appel a` des arpenteurs, passent la plupart du temps leur commande a` des peintres, prouvant encore une fois – et nous empruntons la formule a` Bernard Chevalier – que „l’imaginaire et le concret tendent a` se superposer dans une meˆme vision globale de la ville“54. Au meˆme titre que les processions urbaines qui inlassablement marquent l’espace concret de la cite´ d’une sacralite´ le´gitimante55, au meˆme titre que les jeux opposant et re´unissant des groupes sociaux issus des quartiers de la cite´ voire de villes exte´rieures dans des compe´titions symboliques sur fond de querelles e´conomiques, au meˆme titre qu’une architecture civile de´ploye´e tel un album re´capitulatif d’un passe´ fondateur, ces vues topographiques montrent a` quel point „toute socie´te´ instauratrice d’un ordre e´conomique et politique l’est en meˆme temps d’un ordre figuratif“56.

English Summary

The relationship a city or town has to its own image, is of dialectical nature. The Italian historiography has clearly pointed this out. The essay shows this dialectical aspect by applying Jaques Le Goff’s reflections to the former Burgundian Netherlands

53 Voir le Memorieboek de Joos vander Stoct: „Item, in dit jaer dede de hertoeghe van Dygoen meten de

sted van Ghendt bij Gillis de Groothere, lantmeeter. Eerst den ommeloop van der stede was XXXIIIc roeden, elke roed XIII voeten. Item, van der Mudepoorte tot Sente Lievinspoorte van binnen eyst XIc roeden. Item, van tenderweerelt toter Spetaelpoorte eyst Xc roeden“, dans: Anne-Laure van Bruaene, De Gentse memorieboeken als spiegel van stedelijk historisch bewustzijn (14de tot 16de eeuw), (Verhandelingen der Maatschappij voor Geschiedenis en Oudheidkunde te Gent XXII), Gent 1998, p. 223. Les „memorieboeken“ sont les produits locaux de l’historiographie urbaine, dont l’importance en ge´ne´ral reste a` e´tudier en ce qui concerne les anciens Pays-Bas. A titre de comparaison, voir: Peter Johanek (e´d.), Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit (StF A 47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, et Hanno Brand/Pierre Monnet/Martial Staub (e´d.), Memoria, communitas, civitas. Me´moire et conscience urbaines en Occident a` la fin du Moyen Age (Beihefte der Francia 55), Sigmaringen 2003. 54 Bernard Chevalier, Le paysage urbain a` la fin du Moyen Age: „Imaginations et re´alite´s“, dans: Le paysage urbain au Moyen Age, Actes du XIe Congre`s des historiens me´die´vistes de l’enseignement supe´rieur, Lyon 1981, pp. 7–21. 55 Voir a` ce sujet le livre novateur concernant une des processions urbaines les plus remarquables de la Flandre, la procession dite du Saint Sang a` Bruges: Thomas A. Boogaart II, An ethnogeography of late medieval Bruges. Evolution of the corporate milieu 1280–1349, Lewiston/Queenston 2004. Sur les processions et manifestations brugeoises, voir e´galement: Andrew Brown, Civic ritual: Bruges and the counts of Flanders in the later Middle Ages, dans: English historical review 13 (1997), p. 277–299. Enfin, pour une perspective plus large sur les processions religieuses et leur de´rive politique en Flandre et en Brabant voir Lecuppre-Desjardin, La ville des ce´re´monies (voir note 6), p. 86–102, et Id., Procession et propagande a` Valenciennes en 1472. L’inte´gration des cultes locaux dans la construction de l’image princie`re, dans: Revue du Nord 86 (2004), pp. 757–770. 56 Pierre Francastel, La figure et le lieu, Paris 1965.

Entre vision ide´ale et repre´sentation du ve´cu

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and by striking a balance of the newest research results concerning the self-projections of cities or towns in Flanders, in Brabant, as well as in Hainaut, to name but three regions. What is more, the paper offers new approaches by elaborating on the importance of the horizontal dimension in the perception of the city landscape. This dimension is far too often ignored in favor of the impressing vertical of belfries and town hall towers.

L’IMAGE DE BELGRADE DANS LES ŒUVRES DES CONTEMPORAINS (1403–1521) * par Desanka Kovaˇcevi´c-Koji´c

La recherche de l’image perdue du Belgrade (Beograd) me´die´val suscite depuis tre`s longtemps l’attention des chercheurs. Le castrum antique de Singidunum, un des nombreux camps militaires implante´s le long de la frontie`re naturelle de l’Empire romain forme´e par le cours du Danube, est l’anceˆtre de la ville me´die´vale de Belgrade1. Initialement fonde´e en tant que camp militaire sur un promontoire occupant une position ge´ostrate´gique exceptionnelle, au carrefour de voies terrestres et fluviales reliant l’Europe au Proche-Orient, la ville s’e´tant de´veloppe´e en ce lieu a souvent e´te´, durant presque deux mille´naires, le the´aˆtre de guerre et de destructions. Ce n’est toutefois qu’au XVe`me sie`cle, lorsqu’elle est de nouveau passe´e aux mains des Serbes (1403/04), que cette ville a reveˆtu une importance encore plus large en recevant un nouveau roˆle. Sous le re`gne du despote Stefan Lazarevi´c, Belgrade est en effet devenu la capitale de l’Etat serbe, et, de fait, son centre militaire, e´conomique et culturel. Afin d’acce´le´rer le peuplement de la ville, le souverain serbe s’est efforce´ d’attirer le plus possible de nouveaux habitants, tant serbes qu’e´trangers, en premier lieu Ragusains, par l’adoption de mesures e´conomiques favorables. En peu de temps, comme l’atteste un te´moin oculaire „cette ville a acquis une forte densite´ de population“. En re´ponse a` une superficie de la ville de´cuple´e, on a attache´ une grande importance a` la construction d’ouvrages de´fensifs. Pour la premie`re fois des remparts ont ceint la partie principale de l’agglome´ration urbaine. Belgrade a ainsi e´te´ construite de fac¸on syste´matique et intensive durant plusieurs anne´es jusqu’au de´ce`s du despote Stefan Lazarevi´c en 1427. Les changement ont e´te´ si rapides et d’une telle ampleur que les contemporains avaient l’impression que c’e´tait une nouvelle ville qui e´tait sortie de terre. L’image offerte par cette nouvelle ville et ses fortifications a e´te´ de´crite par Constantin le Philosophe dans sa ce´le`bre biographie du despote Stefan Lazarevi´c2. Cet auteur se´journait d’ailleurs a` la cour du despote et c’est avec un grand e´merveillement qu’il relate le de´veloppement et la construction de Belgrade. Il s’agit du te´moignage le plus remarquable et le plus digne de foi sur le Belgrade me´die´val duˆ a` la plume d’un contemporain. * Le manuscrit fut acheve´ de´ja` en 2005. 1 Marko Popovic, ´ Beogradska tvrdava, ¯ Beograd 1982, pp. 27–32. 2 Konstantin Filozof, Z ˇ itije despota Stefana Lazarevi´ca, Beograd 1989, pp. 71–130.

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Desanka Kovaˇcevi´c-Koji´c

Comme de nombreux autres auteurs, Constantin le Philosophe attire l’attention sur l’exceptionnelle position, dominant le confluent de deux fleuves – la Save et le Danube –, sur laquelle s’e´le`ve la „Ville blanche“, c’est-a`-dire Belgrade. Son texte, ou` Belgrade est souvent compare´ a` Je´rusalem, est accompagne´ de nombreux e´le´ments renfermant une symbolique poe´tique. La description de Belgrade commence d’ailleurs par la constatation que la ville s’e´tend sur sept collines, comme pour lui confe´rer ainsi un mode`le correspondant a` une ville ide´ale telle Rome et Constantinople3. Bien que la mention de sept hauteurs ne correspondent pas a` la topographie re´elle de la ville, il est possible d’identifier avec une assez grande certitude les diffe´rents secteurs de ses fortifications. De la suite de son texte il ressort que l’espace fortifie´ e´tait divise´ en une vaste Ville haute et une Ville basse, situe´e le versant s’abaissant vers le fleuve. La Ville haute renfermait les vestiges des constructions ante´rieures, de´sormais inclus dans la nouvelle conception des fortifications. A l’inte´rieur de cette Ville haute s’e´levait un chaˆteau, e´galement appele´ forteresse inte´rieure par les contemporains, se composant de deux forteresse. C’est dans l’une d’elles que se trouvait le palais du despote qui formait un ultime bastion inde´pendant compte tenu que le mur se´parant les deux secteurs rempare´s e´tait surmonte´ d’une puissante tour (appele´e stup en serbe, pyrgos en grec et turris en latin), de fait la plus haute de Belgrade. D’apre`s Constantin le Philosophe, cette haute construction de plusieurs e´tages faisait l’effet aux contemporains d’une ve´ritable merveille qui, de toute part, s’offrait a` la vue a` celui quiconque approchait de la ville4. Constantin le Philosophe rapporte que la vaste Ville haute comptait quatre portes. Les deux plus larges, flanque´es de tours et munies de ponts-levis, se trouvaient a` l’est et au sud. A l’ouest se trouvait une porte plus petite, elle aussi dote´e d’un pont-levis, alors qu’au nord s’ouvrait e´galement une petite porte donnant acce`s a` la Ville basse, et aux fleuves. Le long des rives cette dernie`re e´tait e´galement prote´ge´e par un rempart, mais de taille infe´rieure et plus e´troite que celui de´fendant l’acce`s par la terre. Cette partie plus accessible de la ville e´tait de´fendue par des tours massives. C’est la` que se trouvait, d’apre`s Constantin le Philosophe, le port, apparemment ame´nage´ sur le Danube, alors qu’un second port de taille infe´rieure se trouvait peut eˆtre sur la Save5. Cette description est pratiquement confirme´e dans ses moindres de´tails par les re´sultats des fouilles arche´ologiques et l’analyse des vestiges de la ville me´die´vale. Constantin le Philosophe nous renseigne e´galement sur la construction de plusieurs e´glises. On a tout d’abord renouvele´ et agrandi l’ancienne e´glise cathe´drale de´die´e a` l’Ascension de la Vierge, sise dans la Ville basse, qui e´tait le sie`ge du me´tropolite de Belgrade6. Cette e´glise faisait elle-meˆme partie d’un complexe conventuel. 3 Ibid., pp. 101–103. Ninoslava Radosˇevic, ´ Laudes Serbiae. The Life of Despot Stephan Lazarevi´c

by Constantine The Philosopher, in: Zbornik radova Vizantolosˇkog instituta XXIV–XXV (1986), pp. 445–451. 4 Konstantin Filozof, Z ˇ itije despota Stefana (voir note 2), pp. 101–102. 5 Ibid., p. 102. Jovanka Kalic-Mijus ´ ´ Beograd u srednjem veku, Beograd 1967, p. 100. Popovic, ´ ˇ kovic, Beogradska tvrdava ¯ (voir note 1), p. 65. 6 Un fragment de la pre´cieuse inscription de fondateur du despote Stefan Lazarevi´c inscrite sur le linteau ´ de l’e´glise est aujourd’hui l’unique vestige de cette importante construction. Marko Popovic/Vesna ´ Kompleks srednjovekovne mitropolije u Beogradu, Beograd 2004, p. 214. Bikic,

L’image de Belgrade dans les œuvres des contemporains (1403–1521)

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Le despote la dota de vastes possessions et de revenus importants. Simultane´ment fut e´galement e´leve´ l’e´glise des Trois-Hie´rarques qui, d’apre`s Constantin le Philosophe, e´tait destine´e a` devenir le mausole´e des me´tropolites de Serbie. Outre cela le despote Stefan Lazarevi´c fit construire un hoˆpital et, dans le cadre de celui-ci, une e´glise de´die´e a` saint Nicolas. L’espace occupe´ par cet hoˆpital se trouvait „a` proximite´ de l’eau la plus douce“ au milieu de jardins. De`s sa fondation le despote ce´da a` cet hoˆpital de nombreux villages et revenus de sorte que, comme le rapporte Constantin le Philosophe, les malades et les e´trangers pouvaient y trouver assistance7. On note e´galement le prestige particulier dont jouissait l’e´glise Sainte-Parasce`ve, situe´e dans la Ville basse, qui est mentionne´e de`s 1417 dans des documents conserve´s dans les Archives de Dubrovnik (Raguse) et, plus tard, a` plusieurs reprises dans des testaments de Ragusains. C’est dans cette e´glise qu’e´taient conserve´es les reliques de la sainte du meˆme nom8. A une e´poque ulte´rieure, alors que Belgrade e´tait de´ja` repasse´ sous l’autorite´ des rois de Hongrie, un palais conventuel vint se greffer sur le complexe forme´ par l’e´glise de l’Ascension de la Vierge. Cette nouvelle construction fut e´rige´e dans l’esprit de l’architecture gothique tardive d’Europe centrale9. Apre`s la mort de Stefan Lazarevi´c en 1427 Belgrade e´chut a` la Hongrie. Peu de temps apre`s la ville a e´te´ visite´e par le chroniqueur franc¸ais Bertrandon de la Brocquie`re. Son ouvrage „Le Voyage d’outremer“ re´dige´ en 1433 renferme de pre´cieuses donne´es. Apre`s avoir de´crit de fac¸on tre`s pre´cise le site exceptionnel de Belgrade au confluent de deux grands fleuves, la Save et le Danube, il conclut que „la ville et chastel de Belgrado“ constituent une tre`s belle place, puissamment fortifie´e, divise´e en cinq secteurs fortifie´s. Trois enceintes se de´veloppent sur une colline, en hauteur, et deux a` ses pieds, le long du fleuve, ou` se trouve un petit port. Nous reconnaissons ici la division en Ville haute et Ville basse. Bertrandon de la Brocquie`re expose les meˆmes remarques que Constantin le Philosophe, a` savoir que la forteresse de Belgrade e´tait ceinte de fosse´s creuse´s au pied des remparts et dote´ d’un double rempart flanque´ de tours10. Bertrandon de la Brocquie`re nous communique e´galement plusieurs autres de´tails inte´ressants. Il a ainsi assiste´, dans un village s’e´tendant hors de la ville entre la Save et le Danube, a` un office de Paˆques ce´le´bre´ par des hommes parlant slave „mais qui se soumettent a` Rome et dont les rites sont semblables aux noˆtres“, c’est-a`-dire aux rites catholiques. Il s’agissait peut-eˆtre d’une e´glise accueillant des commerc¸ants Ragusains11. Belgrade comptait en effet, de´ja` par le passe´, une e´glise rattache´e a` un e´veˆche´ catholique. Par ailleurs, nous savons que dans son testament un commerc¸ant ragusain le`gue en 1442 un don a` une e´glise Sainte-Marie qui se trouvait a` Belgrade, vraisemblablement a` coˆte´ d’un monaste`re franciscain, dans la Ville basse12.

7 Konstantin Filozof, Z ˇ itije despota Stefana (voir note 2), pp. 102–103. 8 Grada ´ Beograd 1958, pp. 16, 70, 88. ¯ za istoriju Beograda u srednjem veku II, objavio Mihailo J. Dinic, 9 Popovic/Biki ´ ´ Kompleks srednjovekovne mitropolije (voir note 6), p. 227. c, 10 Bertrandon de la Brokijer, Putovanje preko mora, Beograd 1950, pp. 130–132; Popovic, ´ Beogradska

tvrdava ¯ (voir note 1), p. 67.

11 Brokijer, Putovanje (voir note 10), p. 131. Kalic-Mijus ´ ´ Beograd (voir note 5), p. 93. ˇ kovic, 12 Grada ¯ za istoriju Beograda (voir note 8), p. 54.

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De petite place forte frontalie`re, Belgrade est devenu en un peu plus de deux de´cennies une ville fortifie´e de type europe´en, capable de de´fendre le centre de l’Etat serbe et de contenir durant plus d’un sie`cle l’avance´e des Ottomans en direction de l’Europe centrale. Mehmed II le Conque´rant tenta de prendre la ville en 1456, mais c’est sans succe`s qu’il assie´gea la ville que l’Europe appelait alors le „rempart de la chre´tiente´“13. C’est pre´cise´ment a` l’e´poque de ce sie`ge que le franciscain Jean (Giovanni) Tagliacozzo, originaire d’Italie, se´journait a` Belgrade. Dans une de ses lettres il donne une description pre´cise de Belgrade qui correspond avec l’image offerte par Constantin le Philosophe et Bertrandon de la Brocquie`re. En ce qui concerne la division en plusieurs secteurs fortifie´s il est meˆme plus pre´cis que ses pre´de´cesseurs en distinguant le castrum qu’il de´signe comme la Ville haute, alors qu’il emploie le terme civitas pour la Ville basse. La fiabilite´ du texte de Tagliacozzo est notamment atteste´e par le fait qu’il note, lui aussi, tout comme Constantin le Philosophe, que l’on peut acce´der a` la Ville basse depuis la Ville haute. Par ailleurs, compare´es au texte de Constantin le Philosophe, ses observations s’ave`rent plus claires et de´nue´es d’embellissements rhe´toriques. Tagliacozzo nous offre une description de´taille´e des diverses parties de la ville ou` il note, entre autre, que la Ville haute se scinde en trois secteurs. Le premier est forme´ par le plateau meˆme de la Ville haute, ceint de ses puissantes lignes de double rempart, flanque´es de nombreuses tours massives. A l’inte´rieur meˆme de cette Ville haute, se trouvent les maisons des seigneurs et meˆme les deux forteresses, dont la premie`re, ceinte d’un rempart renforce´ tours, est pre´ce´de´e d’un profond fosse´. De fait, l’acce`s a` la seconde forteresse secteur n’est possible que par une seule porte pre´ce´de´e d’un pont-levis. De cette premie`re forteresse on acce´dait a` une seconde, aux de´fenses encore plus imposantes. C’est la` que s’e´levaient les baˆtiments affecte´s au logement du souverain, l’ancien palais du despote Stefan Lazarevi´c, sur lesquels Tagliacozzo a note´ la pre´sence de hautes feneˆtres donnant sur la Ville basse (versus civitatem). C’est la` que se trouvait aussi une poterne donnant acce`s a` la Ville basse et au Danube. Cette poterne permettait ainsi la fuite par le fleuve au cas ou` la forteresse serait prise, ou inversement, l’envoi de renfort en direction de la Ville basse14. A plusieurs endroits Tagliacozzo mentionne une haute et puissante tour bien de´fendue. Cette tour a e´galement e´te´ vue et de´crite par Constantin le Philosophe qui ne mentionne pas son nom toutefois. Pour sa part Tagliacozzo pre´cise qu’elle est appele´e „Noli timere“, et en serbe Nebojsˇa. Elle se dressait a` l’endroit ou` on acce´dait du second au troisie`me secteur de la Ville-haute, et en l’occurrence le mieux de´fendu.

13 Popovic, ´ Beogradska tvrdava ¯ (voir note 1), pp. 65–101. La premie`re et plus ancienne repre´sentation

cartographique de Belgrade est une carte militaire due a` un auteur anonyme, date´e de 1430 et 1453, aujourd’hui conserve´e a` la Bibliothe`que Nationale de Paris. Sur celle-ci Belgrade, appele´ Belgrado, est repre´sente´e comme une forteresse dote´e de remparts et de quatre tours, dont l’une est surmonte´e d’un ´ Renesansa Ptolomejeve Geografije, in: Monumenta cartogradrapeau et d’une croix. Milica Nikolic, fica Jugoslaviae II. Srednjovekovne karte, Beograd 1979, pp. 81–83. 14 Jovanka Kalic, ´ Opis Beograda u XV veku, in: Zbornik Filozofskog fakulteta. Beograd XII–1 (1974), pp. 448–452.

L’image de Belgrade dans les œuvres des contemporains (1403–1521)

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Elle se trouvait a` proximite´ meˆme du palais du despote dont elle assurait la protection. Tagliacozzo ajoute e´galement que cette posse´dait une cloche a` son sommet qui servait a` avertir les de´fenseurs et les habitants de la ville de l’approche d’un danger. Par exemple, sur la direction d’ou` venaient les boulets de canons lors du sie`ge de la ville en 1456. Il s’agissait la` de la plus puissante tour, disposant des canons les plus puissants dont disposaient les de´fenseurs. La garde y e´tait re´gulie`rement releve´e15. De forme carre´e et dote´e de murs massifs, la tour Nebojsˇa e´tait, aux dires de tous les contemporains, d’une hauteur exceptionnelle. Par son roˆle dans le syste`me de de´fense de la ville elle surpassait toutes les autres constructions de´fensives. Bien qu’endommage´e, la tour Nebojsˇa a surve´cu a` de nombreux sie`ges pour, finalement, eˆtre de´truite lors de la guerre entre la Turquie et l’Autriche, vers la fin du XVIIe`me sie`cle. En octobre 1690, elle a e´te´ victime de l’explosion d’un magasin de poudre et d’armes situe´ a` l’inte´rieur de ses murs. Son nom lui a toutefois surve´cu et a e´te´ transfe´re´ ulte´rieurement a` une autre tour, sise sur la rive du Danube, qui existe encore de nos jours. Cette tour a e´galement laisse´ de nombreuses traces dans la tradition populaire et la poe´sie e´pique16. Belgrade me´die´val, tel que l’ont de´crit ses contemporains, s’est maintenu durant tout le XVe`me sie`cle en de´pit des dommages occasionne´s par les conflits17 et ce n’est qu’apre`s sa chute aux mains des Turcs, en 1521, que la ville a change´ d’aspect. De`s le lendemain de l’entre´e des assaillants, le sultan Soliman le Magnifique ordonna la transformation de l’e´glise cathe´drale en mosque´e, laquelle rec¸ut le nom de ce souverain. Il en fut tre`s rapidement de meˆme pour les autres e´glises de la ville, tant orthodoxes que catholiques. Pour leur part l’e´glise Sainte-Marie et le monaste`re franciscain furent de´truits. Par la suite le de´veloppement de Belgrade se fit en accord avec les principes urbanistiques et architecturaux typiques des villes orientales. Ceci se traduisit notamment par la modification comple`te de la structure urbaine de la Ville basse. En de´pit des bouleversements et de toutes les destructions subis, Belgrade pre´serva relativement longtemps son image me´die´vale he´rite´e de l’e´poque du despote Stefan Lazarevi´c. Ce n’est qu’a` la suite du sie`ge turc de 1690 et des guerres austro-turques du XVIIIe`me sie`cle que survint, a` l’exception de certaines parties des remparts, une nouvelle phase de destructions plus radicale et de´finitive. Les nouvelles recherches arche´ologiques, se fondant entre autre sur l’analyse des description des contemporains du XVe`me sie`cle, s’efforcent de retrouver l’image du Belgrade me´die´val et de ses principaux secteurs.

15 Idem, Kula Nebojsˇa u Beogradu, in: Zbornik Filozofskog fakulteta. Beograd XV–1 (1985),

pp. 115–121. 16 Ibid., pp. 122–123. 17 Desanka Kovacevi ˇ c-Koji ´ ´ La destruction des villes serbes au XVe sie`cle, dans: Martin Ko¨rner (e´d.), c,

Stadtzersto¨rung und Wiederaufbau. Bd. 2: Zersto¨rung durch die Stadtherrschaft, innere Unruhen und Kriege. Destruction et reconstruction des villes. Tome 2. Destruction par le pouvoir seigneurial, les troubles internes et les guerres. Destruction and Reconstruction of Towns. Volume 2. Destruction by the Lord’s Power, Internal Troubles and Wars, Bern/Stuttgart/Wien 2000, pp. 179–188, p. 184.

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Desanka Kovaˇcevi´c-Koji´c

English Summary

The classical castrum Singidunum acquired a broader significance and a new role only at the beginning of the fifteenth century. In the time of despot Ðurad¯ Lazarevi´c (1403–1427), Belgrade became the main town of the Serbian state as well as its military, commercial and cultural centre. Constantine the Philosopher leaves an enthusiastic picture of the intensive development and appearance of the new city (the upper town, the lower town, the fortress, the tower, the gates, various churches and hospitals) in his famous biography of Stefan Lazarevi´c. Like some other contemporary authors, he speaks of the exceptionally advantageous geographical position of Belgrade above the junction of two rivers, the Sava and the Danube. In 1427, Belgrade had been incorporated into Hungary. Soon afterwards it was visited by the French traveller Bertrandon de la Brocquie`re, who also gives a detailed description of Belgrade in his Voyage d’outre-mer, published in 1433. In 1456, Mehmed II the Conqueror laid siege to Belgrade, which had then been known as the bulwark of Christendom, and tried to capture it in vain. The Franciscan friar Giovani Tagliacozzo, a native of Italy, stayed in Belgrade during the siege. One of his letters contains an accurate description of Belgrade, which agrees with the description of the city given by Constantine the Philosopher and Bertrandon de la Brocquie`re. The (outer) appearance of Belgrade remained more or less as it was described by these authors until it fell under Turkish rule in 1521. From this time onwards, the city gradually began to change and developed along the principles of the Oriental type of towns. In spite of all the later devastations and alterations, Belgrade retained the mediaeval appearance it had since the reign of Stefan Lazarevi´c for a long time. Only at the time of the Turkish siege in 1690 as well as during the Austrian-Turkish wars in the eighteenth century, the old city was destroyed so thoroughly that just a few remains of its fortified walls have survived.

¨ DTISCHE GESCHICHTSSCHREIBUNG STA IN DEN NIEDERLANDEN IM 17. JAHRHUNDERT Chorographie und Erinnerungskultur* von Raingard Eßer

Die folgende Studie widmet sich einem besonders in den Niederlanden verbreiteten historiographischen Genre, das im 17. Jahrhundert eine Blu¨tezeit erlebte. Chorographien, topographisch-historische Beschreibungen von Sta¨dten und Regionen avancierten vor allem in den no¨rdlichen Niederlanden zu einer der beliebtesten literarischen Gattungen ihrer Zeit. Das Genre verdankte seinen Aufstieg einerseits neuen Formen historischer Forschung, andererseits sicherlich auch den neuen politischen Gegebenheiten in den Niederlanden, die eine Identifikation ihrer Bu¨rger mit den neuen politischen Gebilden im Norden und im Su¨den erforderlich machten. Stadtund Landesbeschreibungen waren ein Teil dieses Identifikationsprogramms. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass besonders nach Abschluss des zwo¨lfja¨hrigen Waffenstillstands 1609 und dann wieder nach 1648 eine besonders große Anzahl chorographischer Arbeiten in Bru¨ssel, Antwerpen und Amsterdam auf den Markt kam, die den Bu¨rgern der jungen niederla¨ndischen Republik einerseits und den Bewohnern der Spanischen Niederlande andererseits die topographische Aneignung ihres neuen ‚Vaterlandes‘ erleichtern sollten1. Als Wissensweise etablierte sich im 17. Jahrhundert der Antiquarianismus als Subdisziplin der Geschichtsschreibung, die ihre Kenntnisse nun nicht mehr nur aus den Geschichten der Alten oder der Zeitgenossen herleitete, sondern sich auf die ¨ berresten stu¨tzte und mit Hilfe der Archa¨oUntersuchung von Artefakten und U logie und der Topographie den historischen Raum einer Stadt oder einer Region erschloss. Neben den Niederlanden setzte sich das Genre vor allem in England als

* Das Manuskript wurde bereits 2005 abgeschlossen. Die Forschungen zu dieser Studie wurden ermo¨g-

licht durch die großzu¨gige Unterstu¨tzung der HLLS Fakulta¨t der University of the West of England, Bristol. 1 Zum Begriff „Vaterland“ in den Niederlanden siehe Simon Groenveld, ‚Nation‘ und ‚patria‘. Begriff und Wirklichkeit des kollektiven Bewußtseins im Achtzigja¨hrigen Krieg, in: Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederla¨ndischen Republik und im Deutschen Reich 1568–1648, hg. v. Dems./Horst Lademacher, Mu¨nster 1998, S. 77–112; N. C. F. van Sas (Hg.), Vaderland. Een geschiedenis van de vijftiende eeuw tot 1940, Amsterdam 1999.

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besondere Form der Geschichtsschreibung durch. Hier spielten ebenfalls politische Gru¨nde fu¨r die topographische Aneignung des Herrschaftsraumes der Tudors und der Stuarts eine entscheidende Rolle2. Chorographie als historiographische Gattung war im 17. Jahrhundert nicht neu. Sie berief sich auf italienische Vorla¨ufer in der Renaissance, wie etwa Flavio Biondo und Leonardo Bruni, deren Beschreibungen Roms und Florenz’ als Vorbilder dienten3. In den Niederlanden selbst dominierten im Spa¨tmittelalter und im 16. Jahrhundert Regionalgeschichten die wissenschaftliche Bescha¨ftigung mit der eigenen Vergangenheit. Das mag in den bis auf wenige Ausnahmen nicht sonderlich urbanisierten no¨rdlichen Provinzen noch versta¨ndlich sein, aber selbst in den alten urbanen Zentren Flanderns und Brabants, die in ihrer sozialen, o¨konomischen und kulturellen Komposition ja durchaus mit der oberitalienischen Sta¨dtelandschaft zu vergleichen sind, entwickelte sich die Stadtgeschichtsschreibung erst spa¨ter und dann auch anfa¨nglich recht fragmentiert4. Niederla¨ndische und belgische Historiker wie Marc Boone, Elodie Lecuppre-Desjardin, Robert Stein und Anne-Laure van Bruaene haben in den letzten Jahren verschiedene Erkla¨rungsmuster fu¨r dieses u¨berraschende Defizit vorgelegt5. Hierzu geho¨rt einerseits die Vorstellung, dass sich sta¨dtisches Bewusstsein in Antwerpen, Bru¨ssel, Ypern oder Gent sehr viel sta¨rker im Architekturprogramm des o¨ffentlichen Raumes und in der o¨ffentlichen Festkultur der Stadt manifestiert hat als im Buchauftrag an einen gelehrten Schreiber. Die visuelle Zurschaustellung der eigenen Gro¨ße einschließlich der eigenen Vergangenheit ermo¨glichte, so wird argumentiert, sehr viel offensivere und eindringlichere Darstellungsformen des Bu¨rgerstolzes einer o¨konomisch erfolgreichen Elite. Daneben spielte vor allem in Brabant der Rekurs auf die Geschichte des herzoglichen Hauses auch fu¨r das sta¨dtische Selbstbewusstsein eine wichtige Rolle, 2 Neben der wohl bekanntesten englischen Chorographie, William Camdens Britannia (London 1586),

sind hier etwa zu nennen: William Lambarde, The Perambulation of Kent, London 1575, und John Stow, A Survay of London, London 1598. Die umfassendste Untersuchung zum Genre bietet immer noch: Stan A. E. Mendyck, Speculum Britanniae. Regional study, antiquarianism, and science in Britain to 1700, Toronto 1989. 3 Flavio Biondo, Romae Instauratae, 1471; Ders., Italia Illustrata, 1471; Leonardo Bruni, Historiarum Florentini populi libri XII, Florenz 1473. 4 Der Libellus in Traiecto instauratio, eine topographisch-historische Beschreibung seiner Heimatstadt Maastricht von Matthaeus Herbenus aus dem Jahre 1485, ist meines Wissens die erste Chorographie einer niederla¨ndischen Stadt. Die in direkter Anlehnung an Biondos Roma Instauratae entstandene Arbeit in lateinischer Sprache kam nie zum Druck und liegt heute nur noch in einer Kopie vor. 5 Marc Boone, Urban space and urban identity in late medieval Europe. Espace urbain, identite´ dans l’Europe du bas moyen aˆge, in: Shaping Urban Identity in Late Medieval Europe. L’apparition d’une identite´ urbaine dans l’Europe du bas moyen aˆge, hg. v. Dems./Peter Stabel, Leuven/Appeldoorn 2000, S. VII–IX. Elodie Lecuppre-desjardin, La ville des ce´re´monies. Essais sur la communication politique dans les anciens Pays-Bas bourguignons, Turnhout 2004; Anne-Laure van Bruaene, De Gentse Memorieboeken als spiegel van stedelijk historisch bewustzijn (14de tot 16de eeuw), Gent 1998; dies., S’imaginer le passe´ et le pre´sent: conscience historique et identite´ urbaine en Flandre a` la fin ˆ ge, in: Memoria, Communitas, Civitas. Me´moire et Conscience Urbaines en Occident a` la du Moyen A ˆ ge, hg. v. Hanno Brand/Pierre Monnet/Martial Staub (Beiheft der Francia 55), OstFin du Moyen A fildern 2003, S. 167–181; Robert Stein, Politiek en Historiografie, Het ontstaanmilieu van Brabantse kronieken in de eerste helft van de vijftiende eeuw, Lo¨wen 1994; ders., Brabant en de Karolingische dynastie. Over het ontstaan van een historiografische traditie, in: Bijdragen en mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 110,3 (1995), S. 329–351.

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so dass Stadtgeschichten oft innerhalb der Landesbeschreibungen auftauchen anstatt eine unabha¨ngige Gattung auszubilden. Nicht selten waren die Autoren solcher Landesbeschreibungen Mitglieder sta¨dtischer Eliten. Schließlich warnt aber vor allem de Bruaene auch zur Vorsicht gegenu¨ber allzu eindeutig durch bestimmte Eliten festgelegte sta¨dtische Identifikationsprogramme. Sie argumentiert, dass gerade in den wirtschaftlich so erfolgreichen sta¨dtischen Zentren Flanderns eine von nur einer Bevo¨lkerungsgruppe getragene Erinnerungskultur nicht konsensfa¨hig gewesen sein mag und es deshalb nicht zur Ausbildung einer standardisierten Meistererza¨hlung von der Geschichte der Stadt gekommen sei. Zwar gab es im Su¨den vor allem in den ersten Jahren des niederla¨ndischen Aufstandes Erza¨hlungen zu den dramatischen Kriegsjahren und deren Einfluss auf Antwerpen oder Gent, diese Beschreibungen umspannten aber nur wenige Jahre und enthielten keine Darstellungen der Sta¨dte im eigentlichen topographisch-chorographischen Sinn6. Von einer Kontinuita¨t sta¨dtischer Historiographie vom Mittelalter in die Fru¨he Neuzeit, wenn auch unter gewandelten wissenschaftsgeschichtlichen Vorzeichen, kann also in den Niederlanden nicht die Rede sein. Typischerweise begann eine niederla¨ndische Chorographie im 17. Jahrhundert mit einer etymologischen Erkla¨rung des Namens der Stadt oder der Region, die sich nicht selten vor allem zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums auf legenda¨re Helden oder Nationen stu¨tzten. (Hier begegnen uns ebenso viele Trojaner wie in anderen La¨ndern Europas.) Es folgte in der Regel eine geographisch-topographische Beschreibung der Stadt und ihres Umlandes. Politische, wirtschaftliche, soziale und religio¨se Zentren des urbanen Raumes wurden hier in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit und nicht selten in Form fiktiver Stadtrundga¨nge vorgestellt (die es an Detailtreue mit den Baedekern des letzten Jahrhunderts durchaus aufnehmen konnten). Dabei verbanden die Autoren ha¨ufig das Medium der Schrift mit dem Medium des Bildes und erga¨nzten ihre Beschreibungen durch detailreiche Kupferstiche der jeweiligen Geba¨ude oder Landstriche. In der klassischen Tradition der viri illustri wurden dann die wichtigsten Perso¨nlichkeiten und die fu¨hrenden Familien der Stadt aufgelistet. Damit ist bereits der Gebrauchswert und die Zielgruppe dieser Bu¨cher angesprochen. Obwohl die meisten Ausgaben zu großformatig und zu umfangreich sind, um sie bei Stadterkundungen tatsa¨chlich mitzufu¨hren, so richteten sie sich doch vor allem in den expandierenden Sta¨dten Hollands an Bu¨rger und Besucher (und nicht etwa nur an die sta¨dtische Fu¨hrungsschicht von Ratsherren und Bu¨rgermeistern). Neben der Erla¨uterung des politisch-rechtlichen Systems der sta¨dtischen Ordnung machten sie Normen und Regeln durchschaubar, um es vor allem fremden Kaufleuten zu erleichtern, sich in der unbekannten Umgebung zurecht zu finden. Roland Gu¨nther hat die Amsterdamer Sta¨dtebu¨cher, von denen im 17. Jahrhundert allein sieben verschiedene Versionen in mehreren Sprachen erschienen, als „eine Art Reflexionsbu¨cher“ bezeichnet,

6 Siehe beispielsweise De Kroniek van Godevaert van Haecht, Over de Troebelen van 1565 tot 1574 te

Antwerpen en elders, hg. v. Robert van Roesbroeck, Antwerpen 1929; J. P. van Male, Philip de Kempenaere, Vlaemsche Kronijk of Dagregister van al het gene gedenkweerdig voorgevallen is binnen de Stad Gent sedert den 15 Julij 1566 tot 15 Julij 1585, Gent 1839.

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die „sowohl als Orientierung fu¨r auswa¨rtige Besucher gedacht waren wie als Handbu¨cher fu¨r die Einheimischen“7. Fu¨r den praktischen Nutzen dieser Werke fu¨r inla¨ndische und ausla¨ndische Reisende spricht auch die Tatsache, dass viele dieser Bu¨cher, vor allen fu¨r die Metropole Amsterdam in mehrsprachigen Ausgaben auf den Markt kamen. Neben lateinischen und niederla¨ndischen Editionen treffen wir hier deutsche ¨ bersetzungen8. Dieser praktische Gebrauchswert war im Su¨den und franzo¨sische U weniger ausgepra¨gt als im Norden. Hier wurden die meisten Arbeiten in lateinischer ¨ bersetzungen nur verSprache verfasst, denen niederla¨ndische oder franzo¨sische U einzelt und sehr viel spa¨ter folgten. Dennoch dienten auch hier die Stadtbeschreibungen der Selbstrepra¨sentation einer lokalen Elite und ihrer Bu¨rgerschaft. Gleichzeitig wurde die Rolle der Stadt in ihrem weiteren politischen Umfeld und auch im Vergleich mit anderen Sta¨dten der Umgebung gedeutet. Auftraggeber dieser Arbeiten, von denen im Norden fu¨r das 17. Jahrhundert u¨ber fu¨nfzig Stadtbeschreibungen erhalten sind, wa¨hrend die Zahlen im Su¨den deutlich niedriger liegen9 waren na¨mlich diese lokalen Eliten, also die Mitglieder der Stadtmagistrate, und im Su¨den auch der Habsburger-Hof in Brabant, dessen Vertreter, die Erzherzo¨ge Albert und Isabella zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein großangelegtes Chorographieprojekt in Auftrag gaben, u¨ber das spa¨ter noch zu reden sein wird. Zu den ausgesprochenen Stadtbeschreibungen treten zudem chorographische Regionalgeschichten, in denen Sta¨dte abgehandelt werden, die keine eigenen Historiographen gefunden hatten10. Zu den Aufgaben einer Chorographie geho¨rte, wie gesagt, nicht nur die topographische Erfassung einer Region oder Stadt, sondern auch die Vergewisserung des sta¨dtischen (oder regionalen) Selbstversta¨ndnisses durch die Konstruktion einer kulturellen und politischen Memoria. Das passierte einerseits in den eigentlichen Stadtbeschreibungen, in denen die Autoren auch auf das Erinnerungsprogramm der Stadtarchitektur hinwiesen und ausfu¨hrlich Statuen und Brunnen, Reliefs und Malerei im o¨ffentlichen Raum beschrieben11. Andererseits wurde die Geschichte im narrativen Teil der Chorographien den Bedu¨rfnissen der sta¨dtischen Elite angepasst und dementsprechend vorgestellt. Herzstu¨ck dieser Memoria war im 17. Jahrhundert vor

7 Roland Gu ¨ nther, Amsterdam. Sprache der Bilderwelt. Mediale und a¨sthetische Aspekte der histori-

schen holla¨ndischen Stadt-Kultur, Hamburg 1991, S. 254. Zu den Amsterdamer Stadtbeschreibungen siehe auch Raingard Esser, Schwierige Vergangenheit: Amsterdamer Stadtgeschichte(n) des 17. Jahrhunderts, in: ZHF 30 (2003), S. 53–74. 8 Philipp von Zesens Beschreibung der Stadt Amsterdam (Amsterdam 1664) erschien beispielsweise gleichzeitig in niederla¨ndischer, deutscher und franzo¨sischer Sprache. 9 Ich beziehe mich hier auf meine eigene Zusammenstellung. Zur Zeit arbeite ich an einer Studie zu niederla¨ndischen Chorographien des 17. Jahrhunderts, die in Ku¨rze abgeschlossen sein wird. 10 Siehe beispielsweise Johan Picardt, Korte Beschryvinge ven eenige vergetene en verborgene Antiquiteten, Der Provincien en Landen gelegen tusschen de Noord-zee, de Yssel, Emse en Lippe, waer by gevoeght zijn Annales Drenthiae. Dat zijn eenighe Anteyckeninghen en Memorien, Amsterdam 1660, und Arend van Slichtenhorst, XIV Boecken van de Geldersse Geschiedenis, Arnheim 1654. 11 So beschreibt beispielsweise der Amsterdamer Stadthistoriker Olfert Dapper den Bau und das ikonographische Bildprogramm des 1655 vollendeten Amsterdamer Rathauses, das den Zeitgenossen als achtes Weltwunder galt, auf u¨ber fu¨nfzig Seiten seiner ‚Historische Beschrijving der Stadt Amsterdam‘ (Amsterdam 1663, S. 328–377).

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allem im Norden zweifellos die Referenz auf den niederla¨ndischen Aufstand. Daneben spielte allerdings das Spa¨tmittelalter, die Burgunder- und dann die Habsburgerherrschaft, das Verha¨ltnis zum Heiligen Ro¨mischen Reich wa¨hrend der fu¨r die politische Welt Westeuropas so formativen Phase der Karolingerherrschaft unter der Leitfigur Karls des Grossen und schließlich die Ru¨ckbindung an die ro¨mische Zeit mit der besonderen Perspektive auf die Bataver und andere ro¨mische und spa¨tantike germanische Sta¨mme zumindest in der Chorographie des Nordens eine wichtige Rolle. Im Su¨den fehlte weitgehend der Rekurs auf Stammeslegenden. Hier dominierte eine an der Genealogie der jeweiligen Herrscherha¨user ausgerichtete Abstammungsgeschichte12. Die Erinnerungskonstruktionen fielen nicht nur in den Sta¨dten des Nordens und des Su¨dens unterschiedlich aus. Auch innerhalb der neuen politischen Gebilde der Vereinigten Provinzen und der Spanischen Niederlande wurde die Vergangenheit recht unterschiedlich gedeutet. Ursache hierfu¨r waren die politischen und o¨konomischen Rivalita¨ten der einzelnen Provinzen und Sta¨dte, aber auch die mittelalterliche (Vor-)Geschichte der Niederlande, in der sich die Provinzen ha¨ufig erbitterte Kriege geliefert hatten, ehe sie fu¨r kurze Zeit unter der Habsburgerherrschaft Karls V. vereinigt waren13. Trotz der großen und im Druck relativ leicht zuga¨nglichen Anzahl niederla¨ndischer Stadt- und Landesbeschreibungen ist das Interesse an diesem Genre unter Historikern weder in den Niederlanden noch in Belgien bislang besonders groß. Die wichtigsten Arbeiten sind hier im Umfeld der Amsterdamer Universita¨ten entstanden. E. O. G. Haitsma Mulier hat in den letzten Jahren eine Reihe von Aufsa¨tzen zu den Stadtbeschreibungen vornehmlich Amsterdams und seiner holla¨ndischen Rivalinnen Haarlem und Leiden vorgelegt14. Hier sind in ju¨ngster Zeit auch Studien zum intellektuellen Milieu des Antiquarianismus erschienen15. Weniger Interesse haben indessen die Stadtbeschreibungen anderer niederla¨ndischer Sta¨dte außerhalb des urbanisierten Randstad-Gu¨rtels wie etwa Groningen, Nijmegen oder gar das Garnisonssta¨dtchen Coevorden im Osten der Republik gefunden, obwohl hier ein gutes und interessantes Oeuvre chorographischer Arbeiten aus dem

12 Siehe hierzu Karin Tilmans, De ontwikkeling van een vaderlands-begrip in de laat-middeleeuwse en

vroeg-moderne geschiedschrijving van de Nederlanden, in: Vaderland, hg. v. van Sas (wie Anm. 1), S. 36–38; Stein, Politiek en Historiografie (wie Anm. 5). 13 Siehe dazu ausfu¨hrlich Alastair Duke, The Elusive Netherlands. The Question of National Identity in the Early Modern Low Countries on the Eve of the Revolt, in: Bijdragen en mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden 119 (2004), S. 10–35. 14 E. O. G. Haitsma Mulier, De eerste Hollandse Stadtbeschrijvingen uit de Zeventiende Eeuw, in: De Zeventiende Eeuw 9 (1993), S. 97–116; ders., Het begrip ‚vaderland‘ in de Nederlandse geschiedsschrijving van de late zestiende eeuw tot de eerste helft van de achttiende, in: Vaderland, hg. v. van Sas (wie Anm. 1), S. 163–179; ders., Description of Towns in the seventeenth century province of Holland, in: The Public and the Private in Dutch Culture of the Golden Age, hg. v. Arthur L. Wheelock/Adele Seef, Newark 2000, S. 24–32. Siehe auch Henk van Nierop, How to honour one’s city: Samuel Ampzing’s vision of the history of Haarlem, in: Theoretisch Geschiedenis 20 (1993), S. 268–282. 15 Sandra Langereis, Petrus Scriverius’ monument voor de graven van Holland. Een antiquarische voorstellung van de Middeleeuwen uit 1650, in: Theoretisch Geschiedenis 25 (1998), S. 201–217; dies., Geschiedenis als Ambacht. Oudheitskunde in de Gouden Eeuw, Arnoldus Buchelius en Petrus Scriverius, Hilversum 2001.

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17. Jahrhundert vorliegt16. Ein vielleicht noch gro¨ßeres Desinteresse an den Chorographien des 17. Jahrhunderts ist in Belgien zu verzeichnen. Hier liegt der historiographische Forschungsschwerpunkt nach wie vor auf dem ‚Goldenen Zeitalter‘ Brabants und Flanderns, also dem Spa¨tmittelalter und der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts17. Was den Vergleich chorographischer Arbeiten im Norden und im Su¨den der Niederlande angeht, so sind ebenfalls bislang keine la¨nderu¨bergreifenden Studien entstanden. Nach wie vor beruft sich die Forschung vielmehr auf a¨ltere Arbeiten wie etwa Herman Kampinas ‚De Opvatting over onze oudere vaderlandsche Geschiedenis by de Historici der XVIe en XVII Eeuw‘ von 1917. Bezeichnenderweise ist dieses Werk 1980 von E. O. G. Haitsma Mulier in revidierter Form neu herausgegeben worden18. Erst seit ku¨rzester Zeit bescha¨ftigt sich unter der Leitung von Wim Blockmans ein Forschungsprojekt an der Universita¨t Leiden mit einem regionalen Vergleich zwischen der Historiographie von Gelderland und Brabant zwischen 1250 und 1585. Hier sind interessante Ergebnisse zu erwarten, die allerdings die historiographische Wasserscheide des Achtzigja¨hrigen Krieges nicht u¨berschreiten werden19. Dass sich allma¨hlich ein breiteres Interesse fu¨r die Historiographiegeschichte der Niederlande auch im 17. Jahrhundert entwickelt, la¨sst sich vielleicht auch an den Neueditionen chorographischer Werke ablesen, die in den letzten Jahren vorgelegt worden sind. Hierzu geho¨ren beispielsweise Jan Papys Neuedition von Justus Lipsius Lo¨wener Stadtbeschreibung von 1604 und die von A. A. R. Bastiaensen, Sandra Langereis und L.G.J.M. Nellissen u¨bersetzte und kommentierte zweiba¨ndige Ausgabe von Johannes Smetius’ ‚Nijmegen, stad der Bataven‘ aus dem Jahre 166320. Wa¨hrend sich nach 1609 und in noch sta¨rkerem Maße nach 1648 in den Kernbereichen der Niederla¨ndischen Republik und den Spanischen Niederlanden recht eindeutige Interpretationen von der Teilung des Landes und der Ru¨ckprojektion der politischen Ereignisse des 17. Jahrhunderts in die mittelalterliche und spa¨tantike Geschichte herausbildeten, die sich allerdings in ihren jeweiligen regionalen Nuancen

16 Augustus Houck, Gronningae urbis illustrissima admiranda, Groningen 1699; Johannes Smetius sen.,

¨ bersetzung mit ausfu¨hrlichem Nijmegen, Stad der Bataven, Nijmegen 1644/45, in niederla¨ndischer U Anmerkungsapparat bearb. und hg. v. A. A. R. Bastiaensen/Sandra Langereis/L. G. J.. Nellissen, Nijmegen 1999; Johannes Smetius jun., Chronyck van de oude Stadt der Batavieren, Nijmegen 1666/67; Johan Picardt, Chronyxken van Covorden, Amsterdam 1660. 17 Siehe hierzu die in Anm. 5 angegebene Literatur. Mit Duys’ Dissertation an der Universita¨t Lo¨wen liegt seit kurzem erstmals auch eine wissenschaftliche Untersuchung zur sta¨dtischen Geschichtsschreibung in den su¨dlichen Niederlanden des 17. und 18. Jahrhunderts vor, hier fokussiert auf das Sta¨dtchen Lier: Karel Duys, Over Chronycken,antiquiteten en beschrijvingen der stad Lier. Een onderzoek naar de lokale geschiedsschrijving te Lier in de 17de en 18de eeuw. Unvero¨ffentlichte Dissertation Universita¨t Lo¨wen 2003. 18 Nicht auf das 17. Jahrhundert fokussiert, aber doch hilfreich ist auch: De palimpsest. Geschiedsschrijving in de Nederlanden 1500–2000, hg. v. Tom Verschaffel/Jo Tollebeek, Hilversum/Heerlen 2002. 19 Centralization or Particularism? The Development of National Identities in the Low Countries (1250–1585), http://www.pallas.leidenuniv.nl. 20 Johannes Smetius, Nijmegen, stad der Bataven (wie Anm. 16) und Leuven, Beschrijving van de Stad en Haar Universiteit, hg. v. Jan Papy, Leuven 2000. Siehe auch zuletzt: Gerardimontium Oppidum (1611), De oudste Geschiedsschrijving van de Stad Geraardsbergen, hg. v. Jacques De ro/Filip van Trimpont, Geraardsbergen 2004.

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erheblich voneinander unterschieden, blieb die Situation und damit auch die historische Reflektion in den Frontgebieten des Achtzigja¨hrigen Krieges im Fluss. Eine chorographische oder auch rein historische Studie zu Sta¨dten innerhalb der umka¨mpften Grenzregion zwischen Norden und Su¨den erwies sich angesichts des wechselnden Kriegsglu¨cks und den damit wechselnden politischen Allianzen als schwierig. Diesem Problem widmet sich die folgende Untersuchung. Im Zentrum stehen dabei zwei chorographische Arbeiten zu zwei Sta¨dten in Brabant, die besonders von den Wechselfa¨llen des Krieges betroffen waren und die schließlich nach Abschluss des Westfa¨lischen Friedens einerseits im habsburgischen Teil der Niederlande und andererseits im von den Generalstaaten verwalteten Staaten-Brabant politisch verankert waren. Gleichzeitig wurden zwei Sta¨dte ausgewa¨hlt, die in ihrer Bedeutung vor allem als religio¨se Zentren in ihrer Zeit durchaus zu vergleichen sind, deren Geschicke im Achtzigja¨hrigen Krieg Kernfunktionen in der jeweiligen Meistererza¨hlung des Nordens und des Su¨dens eingenommen haben und die in den verschiedenen graphischen Medien der Zeit vielfach abgebildet worden sind: Mechelen und ’s-Hertogenbosch. Die Geschichte Mechelens reicht bis in das fru¨he Mittelalter zuru¨ck. 915 wurde die Stadt als Machlinia als zum Bistum Lu¨ttich geho¨rig erwa¨hnt. Seit 1369 burgundisch, wurde Mechelen 1473 Sitz des ho¨chsten Gerichts der Niederlande, des Großen ¨ sterreich ab 1507 die Regierungsgescha¨fte in Rates. Von hier leitete Margarete von O den nun habsburgischen Niederlanden. Wa¨hrend des Achtzigja¨hrigen Krieges durchlief Mechelen dramatische politische Wendungen. 1572 schloss sich die Stadt spontan dem Aufstand an. Nur wenige Monate spa¨ter, im Oktober 1572 wurde sie von den Truppen des Herzogs von Alva erobert und gnadenlos geplu¨ndert. Mechelen ging ihrer traditionellen Privilegien verlustig. 1580 wurde die Stadt von einem englischen Regiment erneut fu¨r die Generalstaaten erobert, fiel nach 1585 aber wieder in habsburgische Gewalt. Mechelen litt schwer unter den politischen Turbulenzen. Die Bevo¨lkerungszahlen gingen von 30 000 im Jahre 1550 auf 11 000 im Jahr 1590 zuru¨ck. Die beiden großen Belagerungen Mechelens 1572 und 1580 wurden in der Druckgraphik der Zeit eindringlich dargestellt. Frans Hogenberg, der vielleicht bekannteste und produktivste Kupferstecher des Achtzigja¨hrigen Krieges widmete den Gewalttaten nach dem Fall der Stadt im Abstand von nur acht Jahren zwei Kupferstiche, die in großer Zahl reproduziert und verbreitet wurden21. Wa¨hrend der Vordergrund der Drucke von den Massakern der plu¨ndernden Soldaten einmal unter spanischem, dann unter niederla¨ndischem beziehungsweise englischem Kommando, dominiert ist, hat sich Hogenberg bei der Darstellung seiner Vaterstadt um Detailtreue bemu¨ht. Der charakteristische Turm von Mechelens Hauptkirche, der St. Rombouts-Kathedrale, erleichtert das Wiedererkennen der Stadt durch ihre beeindruckende Architektur. Der Fall Mechelens erscheint angesichts der Gro¨ße der Stadt und der Pracht seiner Geba¨ude damit um so dramatischer. Wie nun verarbeiteten Chorographen diese traumatische Geschichte?

21 Frans Hogenberg, Die Plu¨nderung von Mechelen, 1. Oktober 1572, Rijksmuseum Amsterdam, Kup-

¨ berfall auf Mechelen, 9. April 1580, u. a. Biblioteca National, ferstichkabinett; Ders., Der englische U Madrid.

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Jean-Baptiste Gramayes Geschichte von Mechelen, um die es im Folgenden gehen ¨ bersetzung von wird, erschien im lateinischen Original 1607. Eine niederla¨ndische U Peter de Nielis, dem Apostolischen Protonotar von Mechelen wurde 1667 unter dem Titel ‚Historie der Antiquityten vande Stadt ende Provincie van Mechelen, ghedeylt in dry Boecken‘ herausgegeben. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die niederla¨ndische Ausgabe zusammen mit einer Hagiographie zu Sankt Rumoldus, alias Rombout, dem lokalen Ma¨rtyrer und Schutzheiligen von Mechelen aus der Feder des Bischofs von Namur, Johannes von Wachtendonck, erschien22. Beide Arbeiten sind deutlich im gegenreformatorischen Programm der Erzherzo¨ge Albert und Isabella verortet. Seit 1606 war Gramaye, ein gebu¨rtiger Antwerpener und Protonotarius Apostolicus in Arnheim, Hofhistoriograph in Bru¨ssel. Er wurde beauftragt, eine neue Fassung von Ludovico Guicciardinis beru¨hmter Geschichte der Niederlande aus dem Jahr 1567 zu verfassen23. Zu diesem Zweck erhielt Gramaye die finanzielle Unterstu¨tzung und die erzherzo¨gliche Autorisation, um Stadt-, Kirchen- und Regionalarchive in den Spanischen Niederlanden aufzusuchen. Das Endprodukt war zwar kein neuer Guicciardini, aber eine beachtliche Zahl chorographischer Landes- und Stadtbeschreibungen, an dessen Anfang die Geschichte Mechelens stand. Wie repra¨sentierte der Hofhistoriker Alberts und Isabellas nun diese Geschichte? Gramaye unterteilte seine Darstellung in drei Teile. In typisch chorographischem Stil diskutierte er zuna¨chst den etymologischen Ursprung der Stadt, spekulierte u¨ber ¨ bersicht u¨ber die Umgebung. deren erste Bewohner und lieferte eine geographische U Hier pra¨sentiert sich der Autor als weltoffener, ‚moderner‘ Intellektueller, der Volkserza¨hlungen u¨ber legenda¨re Abstammungsmythen bela¨chelt und seine eigene Interpretation auf Originaldokumente stu¨tzt, die er im Stadtarchiv und anderen Archiven einsehen konnte. Seine Version der Stadtgru¨ndung basiert auf einer Bulle Ko¨nig Pippins von 753, in der von Maris Linam, dem Ort am Ende des Meeres die Rede ist, was in spa¨teren Aufzeichungen als Machlinia, schließlich als Mechelen erscheint24. Gramaye zitiert ausfu¨hrlich aus kirchlichen Quellen, die er in Klo¨ster- und Dio¨zesanarchiven und Bibliotheken studiert hat. Daneben diskutiert er die Arbeiten anderer Wissenschaftler seiner Zeit. Er verweist sogar auf den schottischen Philosophen und Historiker George Buchanan, dessen Vorstellungen zum Vertragscharakter des Ko¨nigtums und dessen Verwurzelung im schottischen Presbyterianismus ganz ¨ berzeugungen Gramayes u¨bereinstimmten, der aber, so das sicherlich nicht mit den U

22 Die folgenden Ausfu¨hrungen beruhen auf dieser Ausgabe: Historie der Antiquityten vande Stadte ende

Provincie van Mechelen, ghedeylt in dry Boecken, beschreven inde latynsche taele door den Hooghgeleerden Heer. J. B. Gramaye, Prost van Arnheym, ende Historie schryver der Prince in’t Jaer 1607, ende nu over-geset in onse neder-landtsche taele, tot beter verstaenbaerheyt van het leven ende Mirakelen van de H. Rumoldus, Patroon de selver Stadt, in: Jan van Wachtendonck, Het Leven ... van den H. Romboudt, Artsch-Bisschop van Dublin, ... ghemasckt in’t Latyn, ... over-geset inde Nederlandtsche taele, door ... F. van den Bossche ... Waer by is gevoeght de Chronycke van Mechelen, beschreven in de Latynsche Taele door ... J. B. Gramaye ... ende nu over-gheset inde Neder-landtsche taele ... door ... P. De Nielis, Mechelen 1667. 23 Ludovico Guicciardini, Descrittione di tutti i Paesi Bassi, altrimenti detti Germania Inferiore, Antwerpen 1567. 24 Gramaye, Historie (wie Anm. 22), S. 5f.

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Urteil des Niederla¨nders, als ein kompetenter Experte der schottischen Geschichte zu loben ist. Die topographische Beschreibung Mechelens konzentriert sich zuna¨chst ganz auf die weltlichen Geba¨ude des Stadtregiments wie das Rathaus und die o¨konomischen Zentren der Stadt wie die Fleisch- und die Tuchhalle. Eine noch bedeutendere Rolle in diesem Ensemble spielen fu¨r Gramaye aber der kaiserliche Hof, die Stadtha¨user der wichtigsten Adelsfamilien der Umgebung (erwa¨hnt werden etwa die Geschlechter van Nassau, van Egmont, van Arensberch und andere) und die Ha¨user der nahegelegenen ma¨chtigen Abteien von Grimbergen, Tongerloo, St. Bernaert und Villiers. Nicht fehlen darf außerdem der Hinweis auf den bereits von den Burgunderherzo¨gen gestifteten Stadtbrunnen25. Obwohl der Autor hier gelegentlich auf die kriegsbedingten Besitzwechsel und Baubehinderungen hinweist, erha¨lt der Leser nicht den Eindruck, dass diese großartige und politisch hochkara¨tige Ansammlung wichtiger Geba¨ude durch den Achtzigja¨hrigen Krieg sonderlich in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Von Kriegszersto¨rungen ist hier nirgendwo die Rede. In seiner Geschichte der Stadt Mechelen konzentriert sich Gramaye vor allem auf das vierzehnte und das fu¨nfzehnte Jahrhundert. Nur gelegentlich werden Begebenheiten aus dem Krieg in die Darstellung eingebunden, wobei die no¨rdlichen Niederla¨nder als ‚Rebellen‘ und ‚Barbaren‘ diskreditiert werden26. In einem kurzen Kapitel streift Gramaye die Periode unter no¨rdlicher Herrschaft als slechten Borgherlijcke Oorloghen. Obwohl er auch das Regiment Alvas und seiner Truppen kritisiert, so scheinen sie in seinen Augen doch weniger Unheil angerichtet zu haben als die Engla¨nder im Dienst der Generalstaaten, die fu¨r die zweite Plu¨nderung Mechelens 1580 verantwortlich waren. Alvas Leute heeft gheplundert, aber die Truppen unter dem englischen Offizier Temple heeft seer ellendichlijck gheplundert27. Fu¨r Gramaye ist die Geschichte Mechelens hauptsa¨chlich die Geschichte der katholischen Kirche in Mechelen. In einem gesonderten Kapitel unter dem Titel ‚Lof van Mechelen‘, das sich in der Form am mittelalterlichen Sta¨dtelob orientiert, preist der Autor die Standhaftigkeit ihrer Bu¨rger und lobt ihre katholische Glaubensfestigkeit in den ju¨ngsten, schwierigen Zeiten. Gottesfurcht, Verstand und Tugendhaftigkeit sind die Kardinaltugenden der Mechelener, die sie in Krisenzeiten bewiesen haben28. Der zweite Teil des Buches ist den Stadtrechten und Privilegien gewidmet, die hier zusammen mit einer Beschreibung des Stadtregiments aufgefu¨hrt sind. Der dritte Teil, der auch etwa ein Drittel des gesamten Buches ausmacht und in dreizehn Kapitel aufgeteilt ist, beschreibt die religio¨sen Ha¨user und Institutionen der Stadt. Dieser Teil beginnt mit einer Diskussion von Mechelens Stadtheiligen und deren Einfluss auf die Stadtentwicklung. Auch hier pra¨sentiert sich Gramaye als fortschrittlicher Intellektueller, der Volkserza¨hlungen und Heiligenlegenden kritisch gegenu¨bersteht, ohne allerdings die Wirkungsma¨chtigkeit etwa von Sankt Rumoldus (alias Rombout) grundsa¨tzlich in Frage zu stellen. Seine Beschreibungen von Fasten- und Festumzu¨gen und 25 Gramaye, 26 Gramaye, 27 Gramaye, 28 Gramaye,

Historie (wie Anm. 22), S. 13–14. Historie (wie Anm. 22), S. 17, 50. Historie (wie Anm. 22), S. 18. Historie (wie Anm. 22), S. 48–50.

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Interventionen der Heiligen zugunsten der Stadt werden immer von Referenzen zu den Quellen dieser Berichte begleitet29. Es folgt eine Einfu¨hrung in die katholischen Institutionen und Gottesha¨user Mechelens, die in hierarchischer Ordnung nach ihrer Wichtigkeit vorgestellt werden. Chronologische Listen von kirchlichen und sta¨dtischen Wu¨rdentra¨gern im Sinne der mittelalterlichen Bischofskalender erga¨nzen die Darstellung. In scheinbar ununterbrochener Reihe bis in die Zeit des Verfassers vermitteln sie ein Bild von katholischer Kontinuita¨t, die nicht durch Krieg und Zersto¨rung angefochten ist. Wo Klo¨ster in der niederla¨ndischen Zeit aufgelo¨st worden sind, entstehen sie nach der Ru¨ckkehr unter das spanische Regiment um so pra¨chtiger30. Es du¨rfte nicht u¨berraschen, dass fu¨r Gramaye die gro¨ßten So¨hne der Stadt zwei Ordensleute aus dem Karmeliterorden sind: na¨mlich die promovierten Theologen Joannes Paludorpius und Joannes Pascasius31. Das Werk blieb nicht die einzige Darstellung Mechelens in seiner Zeit. Die Stadt wurde auch in Gramayes Landesbeschreibungen, seinen ‚Antiquitates Illustrissimi Ducatus Brabantia‘ von 1610 und in seiner vielzitierten ‚Taxandria‘, ebenfalls 1610, gestreift. Mechelen und vor allem ihre Kirchen und Klo¨ster wurden auch in den großen chorographisch-hagiographischen Werken der Zeit, wie etwa Antonius Sanderus’ ‚Chorographia Sacra Brabantiae‘ (1659 mit Fortschreibungen bis in die 1670er Jahre) vorgestellt32. Eine ausschließlich der Stadt gewidmete, aber im Stil sehr chronikalisch gehaltene Geschichte legte schließlich 1675 Remigius Wouters, alias Remmerus Valerius vor33. Seine Arbeit orientierte sich nicht an den chorographischen Standards seiner Zeit, sondern liefert lediglich eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse, die fu¨r den Autor, einen Pastor aus dem nahegelegenen Do¨rfchen Muysen, eng mit der katholischen Kirche und deren Einfluss auf die Geschicke der Stadt verbunden ist. Jacob van Oudenhovens ‚Beschrijvinge der Stadt ende Meyerye van ’s HertogenBossche‘, die 1649 in Amsterdam erschien, pra¨sentiert ihr Thema, die Geschichte der umstrittenen Grenzstadt ’s-Hertogenbosch, in einem ganz anderen Licht. Die Stadt in Staaten-Brabant hatte sich 1579 der Union von Utrecht angeschlossen, was allerdings nicht von allen Bewohner begru¨ßt worden war. Blutige Straßengefechte unter den Einwohnern waren die Folge. Zwischen 1598 und 1629 fiel ’s-Hertogenbosch unter spanische Herrschaft und wurde sowohl physisch als auch spirituell zum Bollwerk und Zentrum der Gegenreformation ausgebaut. Die Stadt wurde zum Bischofssitz, dem einzigen in Nord-Brabant erhoben. Erst im Westfa¨lischen Frieden fiel ’s-Hertogenbosch dann endgu¨ltig an die Generalstaaten, wurde aber zusammen mit ihrem Umland Teil der sogenannten Generalita¨tslanden, die von Den Haag

29 Gramaye, Historie (wie Anm. 22), S. 55. 30 Gramaye, Historie (wie Anm. 22), S. 61–63. 31 Gramaye, Historie (wie Anm. 22), S. 74. 32 Siehe auch Christophe Butkens, Throphe´es tant sacre´s que prophanes de la duche´ de Brabant. Tome I.

Contenant l’origine, succession et descendance des ducs et princes de ceste maison avec leurs actions plus signale´es, Antwerpen 1641. 33 Remigius Wouters, Chronyke van Mechelen ... Vermeerdeert met een kort verhael van het Leven en Schriften van den aucteur als oock met eene achtervolgende Tafel &c makende een korte generale Chronyke van den Jaere 355 tot den Jaere 1680. Mechelen (o. D.).

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direkt verwaltet wurden und nicht den Status der sieben Vereinigten Provinzen hatten. Die Bevo¨lkerung von ’s-Hertogenbosch blieb im 17. und 18. Jahrhundert gro¨ß¨ hnlich wie Mechelen spielte auch ’s-Hertogenbosch im Bildprotenteils katholisch. A gramm des Achtzigja¨hrigen Krieges eine wichtige Rolle. Im Zentrum der ikonographischen Darstellung stand hier, wie vielleicht nicht anders zu erwarten, die Belagerung der Stadt 162934. Jacob van Oudenhoven war ein Sohn der Stadt. Er war protestantischer Prediger und Autor verschiedener Stadt- und Regionalgeschichten. Er hatte seine Jugend im Wilhelmiten-Kloster in ’s-Hertogenbosch verbracht. 1620 konvertierte er zum Protestantismus und studierte Theologie in Leiden. In Stil und Pra¨sentation passte seine ‚Beschrijvinge‘ genau in den Typus chorographischer Arbeiten seiner Zeit. In seinem Vorwort preist er Gramayes ‚Taxandria‘ als ein Vorbild fu¨r seine eigenen Studien. Wie bei Gramaye gliedert sich auch van Oudenhovens Arbeit in drei Teile. Sie beginnt mit einem Ero¨ffnungskapitel zu den Anfa¨ngen der Stadt. Auch er pra¨sentiert sich als ‚moderner‘ Intellektueller, der die Volkserza¨hlungen seiner Vorga¨nger bela¨chelt und seine eigene, quellengestu¨tzte Version der Stadtgru¨ndung vorlegt, die er als Stiftung Herzog Gottfrieds auf 1184 datiert. Ebenso wie Gramaye streut er in seiner Einleitung Zitate klassischer Autoren wie Cicero, Plato und Ovid ein, um seine eigene humanistische Bildung zu betonen35. Es folgen detaillierte Beschreibungen der religio¨sen und sa¨kularen Topographie der Stadt und ihres Umlandes. Dazu geho¨ren (ehemalige) Ma¨nner- und Frauenklo¨ster ebenso wie Waisenha¨user, Alten- und Armenha¨user und Verwahranstalten fu¨r Geisteskranke. Die Pra¨sentation der Stadtrechte und -privilegien sowie eine Aufza¨hlung von ’s-Hertogenboschs wichtigsten Familien runden das Bild einer ausgesprochen bu¨rgerlich gepra¨gten Stadtlandschaft ab. Unter der Beschreibung der Stadtarchitektur ragt aber dennoch die Hauptkirche St. Jan heraus. Sehr detailliert beschreibt van Oudenhoven den Innenraum der Kirche und die Kunstwerke, die die ‚Reductie‘, die protestantischen Sa¨uberungen nach 1629, u¨berlebt haben36. Besonders wichtig sind dem Autor außerdem die Glocken, von denen die Kirche 1641 29 vorzuweisen hatte. Daneben beschreibt er ausfu¨hrlich ein 1647/48 installiertes, kunstvolles Uhrwerk. Die Schilderungen der Kirche sind sa¨kular. Die Beschreibungen der noch vorhandenen Altarbilder (die allesamt aus dem protestantischen Bildprogramm von Christus- und Kreuzesdarstellungen und Szenen aus dem Alten Testament stammen) beschra¨nken sich auf Attribute der Scho¨nheit und Kunstfertigkeit. In dieser Darstellung ist die Kirche deutlich ihres ehemaligen, katholischen, sakralen Charakters verlustig gegangen. Anstelle der Alta¨re beschreibt van Oudenhoven die ma¨chtige und reich verzierte Kanzel, die nun

34 Siehe beispielsweise Balthasar van Breckenrode mit Salomon Savery, Adriaen van de Venne und Theo-

dor Niels, Die Belagerung von ’s-Hertogenbosch, 1629, Rijksmuseum Amsterdam, Kupferstichkabinett und Cornelius Danckaertsz, Solomon Savery und Jan Cornelis van Rodenburgh, Die Belagerung von ’s-Hertogenbosch, 1629, ebenfalls Rijksmuseum Amsterdam, Kupferstichkabinett. 35 Jacob van Oudenhoven, Beschrijvinge der Stadt ende meyerye van ’s Hertogen-Bossche, Amsterdam 1649, Dedicatie, o. S.; Gramaye, Historie (wie Anm. 22), S. 3, 13, 14. 36 Van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 21–27.

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zum Zentrum des Reformierten Gottesdienstes geworden ist37. Anstelle der Heiligen, die in Gramayes Stadtbeschreibungen angerufen werden, za¨hlt van Oudenhoven die Stifter und Ku¨nstler auf, die der Kirche ihr gegenwa¨rtiges Aussehen als Kunst-, Versammlungs- und Repra¨sentativraum sta¨dtischen Wohlstandes gegeben haben38. Lediglich die traditionellen Wallfahrten zu einer seit dem 14. Jahrhundert in der Kirche verehrten Marienstatue mit wundersamen Kra¨ften erwa¨hnt er ausfu¨hrlich und ohne Polemik39. Die Aufzeichnungen der Marienwunder in einem im 16. Jahrhundert zusammengestellten und weit u¨ber ’s-Hertogenbosch hinaus bekannten Mirakelbuch werden allerdings dann als u¨berflu¨ssig und einfo¨rmig abgetan. Anders als in Gramayes Schilderung von Mechelen nimmt der Aufstand der Niederlande im narrativen Teil der Chorographie einen breiten Raum ein. Obwohl die Stadt von der Pazifikation von Gent bis zur Belagerung von 1629 eine wichtige Habsburgerfestung war, liegt der Schwerpunkt von van Oudenhovens Darstellung auf der protestantischen Periode der Stadtgeschichte. Zwar werden die sta¨dtischen Befestigungsanlagen im topographischen Teil detailreich beschrieben, deren spanische Erbauer, etwa im Falle von Fort Isabella, erwa¨hnt van Oudenhoven aber mit keinem Wort40. Ein umfangreiches Kapitel ist dem Bildersturm und der Etablierung des protestantischen Stadtregiments gewidmet, ein weiteres Großkapitel bescha¨ftigt ¨ bernahme der Stadt durch die Spanier. Es folgt schließsich mit der Belagerung und U lich ein Kapitel, das der Wiedereroberung durch die oranischen Truppen und der Re-Installierung des protestantischen Regiments gewidmet ist41. Anders als Gramaye bedient sich van Oudenhoven in seiner Darstellung eines ausgesprochen lebhaften, narrativen Stils. Bu¨rger, Prediger und Soldaten erscheinen als aktiv Handelnde. Van Oudenhoven steht eindeutig auf der Seite der Protestanten. Wo Katholiken auftauchen, sind sie die Schurken seiner Erza¨hlung. Sie unterminieren die Friedensverhandlungen, sie lassen sich auf faule Kompromisse mit den Spaniern ein und verweigern jede Zusammenarbeit mit den Calvinisten42. Wa¨hrend Gramaye ein statisches Bild einer Stadt entwirft, die von ihren Institutionen – Kaiserhof, Kirchen und Stadtrat – regiert wird und kaum von den Erschu¨tterungen der Zeit betroffen ist, sind es bei van Oudenhoven die Bu¨rger der Stadt, die aktiv Geschichte machen. Seine Protagonisten haben Namen: ‚D. Conradus Markinius, Predikant‘, ‚Henricus Agilaeus, Doctor in 37 Van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 26. Das kunstvolle Schnitzwerk der Kanzel wurde

von nicht wenigen protestantischen Zeitgenossen van Oudenhovens als zu katholisch kritisiert. Schließlich verha¨ngte man einige allzu katholische Figuren mit gru¨nem Tuch. Daru¨ber berichtete van Oudenhoven allerdings nicht. 38 Bezeichnend ist hier vielleicht die folgende A ¨ ußerung: Dese kerk heeft extraordinaer veel ghekost, van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 26. 39 Van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 27–29. 40 Van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 18–19. 41 Van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 96: Verhael van de eerste beginselen, aenwas ende vervolginge van de gereformeerde Religie binnen de Stadt van ’s Hertogen-Bossche, Beeld Stormen ende andere gedenckweerdighe geschiedenissen; S. 121: Verhael van ghedenckweerdigste Geschiedenissen, in den Schermers tyden ende daer na, hier voor-gevallen, als deze Stadt de partye der Staten verliet, ende haer met den Coningh reconcilieerden; S. 137: De Stadt van ’s Hertogen-Bossche vor de laetste reyse belegert ende ghewonnen. 42 Siehe beispielsweise van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 141.

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de Medecyne‘43. Gramayes Geschichte handelt von Prinzen und Pra¨laten, Jacob van Oudenhoven erza¨hlt von Stadtbu¨rgern, die ihr Geschick in die eigene Hand genommen haben. Was er dabei verschweigt, ist allerdings die Tatsache, das die Mehrheit der ’s-Hertogenboscher katholisch war und das auch nach 1629 bis ins 18. Jahrhundert blieb44. Beide Arbeiten sind typische Repra¨sentanten ihres Genres in seiner no¨rdlichen und su¨dlichen Auspra¨gung. No¨rdliche Chorographien waren sehr viel sta¨rker auf den niederla¨ndischen Aufstand fokussiert als ihre su¨dlichen Gegenstu¨cke. Dieses durch die politische Neuordnung und die dadurch notwendig gewordene Traditionssuche der jungen Republik bedingte Interesse schla¨gt sich besonders in den narrativen Kapiteln der Stadtbeschreibungen nieder. Stilistisch findet sich hier eine sta¨rkere Fokussierung auf den chronologischen Teil der Stadtbeschreibungen. Die Einbettung der Geschichte in einen dramatischen Handlungsstrang mit deutlich identifizierbaren Protagonisten aus dem sta¨dtischen Bu¨rgertum und der Gebrauch von (fiktiver) wo¨rtlicher Rede geho¨ren ebenso dazu wie Zitate in indirekter Rede. Diese rhetorischen Kunstgriffe zur Dramatisierung der Handlung fehlen in den su¨dlichen Chorographien, die durch eine ‚ruhigen‘ Stil auch die Kontinuita¨t der Habsburgerherrschaft untermauern wollen. Der dramatischen Handlung steht hier der langsamere Fluss der Zeiten gegenu¨ber. Gleichzeitig konzentrieren sich, wie wir gesehen haben, die Autoren des Nordens und des Su¨dens auf unterschiedliche soziale Gruppen, die als Hauptakteure ihrer Beschreibungen auftreten. Eng verbunden mit der Darstellung des niederla¨ndischen Aufstandes sind natu¨rlich auch die jeweiligen Interpretationen des konfessionellen Streites zwischen dem Norden und dem Su¨den. Die Darstellung kirchlicher Institutionen tra¨gt diesem Unterschied deutlich Rechnung. Kirchenra¨ume werden im Norden in der Beschreibung deutlich sa¨kularisiert und dienen zur Sta¨rkung des Ansehens und des politischen Prestiges der jeweiligen Stadt. Im Su¨den bleibt die Darstellung eine Verherrlichung der katholischen Kirche, ihres himmlischen und irdischen Personals und ihrer weltlichen Vorka¨mpfer: den Habsburgerherrschern und ihrem adeligen Anhang. Hier wird sehr viel sta¨rker an die a¨lteren, katholischen historiographischen Genres, wie an die Hagiographie und die Bischofskalender angeschlossen, die nun in die topographisch-historischen Beschreibungen integriert sind45. Diese Tradition ist in den no¨rdlichen Niederlanden unterbrochen. 43 Van Oudenhoven, Beschrijvinge (wie Anm. 35), S. 129. 44 In ganz a¨hnlicher Weise beschreibt van Oudenhoven auch die Ereignisse im nahegelegenen Heusden.

Auch hier legt er im narrativen Teil großen Wert auf die namentliche Erwa¨hnung der am Krieg Beteiligten und ihrer Taten, die detailreich nacherza¨hlt werden. Siehe Jacob van Oudenhoven, Beschryvinge der wijt vermaerde frontier-Stadt Heusden, Amsterdam 1650/51. 45 Der Einfluss der Hagiographie und der Bischofskalender auf die Ausbildung regionaler und urbaner Identita¨t im 17. Jahrhunderts ist meines Erachtens noch nicht genu¨gend von der historischen Forschung gewu¨rdigt worden. Fu¨r den Bereich des gegenreformatorischen Italien siehe Simon Ditchfield, Historia Sacra between Local and Universal Church, in: Europa Sacra, Raccolte agiografiche e identita` politiche in Europa fra Medioevo ed Eta` moderna, hg. v. Sofia Boesch Gajano/Raimondo Michetti, Rom 2002, S. 405–409; ders., Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy. Pietro Maria Campi and the preservation of the particular, Cambridge 1995. Fu¨r die Wittelsbacher Erinnerungspolitik siehe Trevor Johnson, Holy Dynasts and Sacred Soil: Politics and Sanctity in Matthaeus Rader’s Bavaria Sancta (1615–1628), in: Europa Sacra, hg. v. Boesch Gajano/Michetti, S. 83–103.

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Kommen wir zuru¨ck zu der Beschreibung Mechelens und ’s-Hertogenboschs. Um den Vergleich zu vervollsta¨ndigen, scheint es reizvoll, die Darstellung beider Sta¨dte aus der Sicht des jeweils anderen zu untersuchen. Wie nahm also ein Protestant von Staaten-Brabant die Stadt im Su¨den, wie ein Katholik aus den Spanischen Niederlanden das umstrittene ’s-Hertogenbosch wahr? Grundsa¨tzlich interessierten sich Historiker und Chorographen im Norden sehr viel weniger fu¨r die umstrittene Grenzregion Brabant als fu¨r die Kernprovinzen des Republik, wie Holland und Seeland. Adrian Havermans’ kurze Studie zu Brabant, die ‚Kort Begrip en Bericht van de Historie van Brabant‘, die 1652 in Leiden erschien, blieb hier die Ausnahme46. Wie van Oudenhoven ist auch Havermans ein typischer Vertreter der neuen antiquarianischen Bewegung. Nach einem Studium in Leiden arbeitete der gebu¨rtige Bredaer in seiner Heimatstadt als Stadtschreiber. Er widmete seine Arbeit seinem fru¨heren Lehrer, dem bekannten protestantischen Theologen Johann vande Kerckhove alias Polyander und Constantin Huygens, der unter anderem als Kurator an der Hohen Schule in Breda ta¨tig war. In seiner Beschreibung Brabants folgte Havermans den wissenschaftlichen Standards der chorographischen Geschichtsschreibung seiner Zeit. Wie seine Kollegen, kritisierte er die mittelalterliche Historiographie aus den Klo¨stern und Bischofsarchiven der Region als unzuverla¨ssig und unwissenschaftlich. Wa¨hrend Havermans im topographischen Teil seiner Studie sorgfa¨ltig die Grenzen Brabants nach dem Westfa¨lischen Frieden nachzeichnet, beschra¨nkt er sich in seiner Beschreibung brabanter Sta¨dte allein auf zwei Orte: Mechelen und das heute in der Provinz Limburg liegende Maastricht. Gru¨nde fu¨r diese Bevorzugung gibt der ¨ ber seine eigene Stadt, Breda, merkt er lediglich an, dass sie gelijcke Autor nicht. U in Heerlijckheit in Europa niet heeft und preist in einem anderen Zusammenhang die akademischen Standards von Bredas Hoher Schule. In seiner Beschreibung von Mechelen beschra¨nkt Havermans sich deutlich auf das 14. und 15. Jahrhundert und nennt hier lediglich die wichtigsten Bu¨rger- und Adelsfamilien und deren Aufstieg und Fall sowie die Beziehungen zum Heiligen Ro¨mischen Reich unter Kaiser Maximilian, unter dem die Stadt den doppelko¨pfigen Reichsadler in ihr Wappen aufgenommen hatte. Obwohl er die Grenzverschiebungen durch den Westfa¨lischen Frieden ausfu¨hrlich aufzeigt, findet der Achtzigja¨hrige Krieg in seiner Mechelener Stadtgeschichte nicht statt47. Havermans vermeidet ausdru¨cklich eine religio¨se Polemik. Kirchen und kirchliche Institutionen kommen in seiner Beschreibung von Mechelen nicht vor48. Selbst nach dem Friedensschluss fanden es Autoren in Staaten-Bra46 Adrian Havermans, Kort Begrip en Bericht van de Historie van Brabant, Leiden 1652. Die kurze Stu-

die beruht auf umfangreichen Vorarbeiten, die Havermans Vater zusammengetragen hatte. Havermans senior hatte selbst eine Geschichte Brabants geplant, die er aber nicht mehr ausfu¨hren konnte. Diese und die folgenden Informationen zur Familie Havermans verdanke ich Otto van der Meijl. 47 Havermans, Kort Begrip (wie Anm. 46), S. 9, 29. 48 In seiner Beschreibung Maastrichts erwa¨hnt allerdings er die Hauptkirche St. Servatius als eine Stiftung Bischof Monulfus’. Wie bei van Oudenhoven ist auch hier die Beschreibung der Kirche nach Repra¨sentationskriterien ausgerichtet. Havermans betont die finanzielle Unterstu¨tzung Karls des Großen, durch dessen Stiftungen der ma¨chtige Kirchturm erbaut werden konnte und die ein Ausdruck der Wertscha¨tzung des Kaisers fu¨r die Stadt war: Havermans, Kort Begrip (wie Anm. 46), S. 7. Havermans selbst hatte in eine wohlhabende und einflussreiche katholische Familie aus Breda eingeheiratet. Es besteht die Vermutung, dass er selbst zum katholischen Glauben neigte.

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bant offensichtlich schwierig, die verschlungene Geschichte der umka¨mpften Grenzregion ausfu¨hrlich darzustellen. Wa¨hrend Gramaye ’s-Hertogenbosch in seiner ‚Taxandria‘ noch ausfu¨hrlich vorgestellt hatte, verschwand die Stadt in der su¨dlichen Geschichtsschreibung nach dem Westfa¨lischen Frieden49. In der bereits genannten umfangreichen Sammlung von Antonius Sanderus unter dem Titel ‚Chorographia Sacra Brabantiae‘ aus den 1660er und 1670er Jahren erscheint ’s-Hertogenbosch mit seinen Klo¨stern und Kirchen nur noch in der mittelalterlichen Ru¨ckschau. Zeitgeno¨ssische Referenzen zu der Stadt mit ihrer auch nach 1629 noch gro¨ßtenteils katholischen Bevo¨lkerung tauchen nicht auf. Im Norden und im Su¨den der nach dem Westfa¨lischen Frieden endgu¨ltig geteilten Niederlande entwickelte sich eine neue Form chorographisch-topographischer Aneignung der eigenen Geschichte. Wie am Bespiel der Repra¨sentation der umstrittenen Grenzsta¨dte Mechelen und ’s-Hertogenbosch gezeigte werden konnte, unterschied sich die jeweiligen Behandlung des Themas nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form der Darstellung. Die beiden hier besonders behandelten Autoren Jean Baptiste Gramaye und Jacob van Oudenhoven erwiesen sich als typische Repra¨sentanten ihrer Zeit und ihres politischen Lagers. Sie waren allerdings offensichtlich bereit, sich u¨ber den eigenen Referenzhorizont hinaus durch andere Historiker und Chorographen auch jenseits der Grenze belehren und informieren zu lassen. Trotz aller anti-katholischen Polemik preist van Oudenhoven den Katholiken Gramaye als sein Vorbild. Gramaye zitiert Buchanans Geschichte Schottlands. Chorographen im Norden und im Su¨den pra¨sentierten sich als ‚moderne‘ Autoren, die mit den neuesten wissenschaftlichen Methoden vertraut waren. Sie u¨bten das, was wir heute als Quellenkritik bezeichnen wu¨rden und diskutierten die Werke ihrer Zeitgenossen und a¨lteren Autoren. Bei allen ideologischen und politischen Differenzen blieb das Interesse an den Werken von jenseits der Grenze doch erhalten. Stadt- und Regionalgeschichte war immer mehr als nur die Referenz auf den eigenen Gegenstand. Sie reflektierte auch die weitere Politik und deren Erinnerungsprogramm in den Spanischen Niederlanden und in den Vereinigten Provinzen und trug damit zur Ausbildung der Vorstellung eines wie auch immer gearteten Vaderlands bei50.

English Summary

The study looks at the representation of the past in a historiographical genre that witnessed a major boom in the Netherlands during the 17th century: i. e. Chorographies. These topographical and historical descriptions of towns and regions became important indicators of a (new) identity in the United Provinces and, to a lesser extent, in 49 Jean Gramaye, Taxandria, Bru¨ssel 1610. 50 Siehe hierzu Langereis, Geschiedenis als ambacht (wie Anm. 15), bes. S. 20; E. O. G. Haitsma

Mulier, Het begrip ‚vaderland‘ in de Nederlandse geschiedschrijving van de late zestiende eeuw tot de eerste helft van de achttiende in: Vaderland, hg. v. van Sas (wie Anm. 1), S. 163–179.

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the Spanish Netherlands. In the north, these works were commissioned by urban or regional magistrates. In the Spanish Netherlands, it was the Habsburg Court at Brussels, particularly under the Archdukes Albert and Isabella, who patronized the publications. Although the authors of these studies, who were recruited from the intellectual elite of the respective countries, applied the same historiographical standards to their works, the results, and in particular their interpretation of the distant and the more recent part of their town, city or region, differed substantially. The works were either shaped by a Protestant agenda, which created a distinct civic, ‚bourgeois‘ master narrative of Dutch History or followed and modified older Catholic historiographical traditions such as hagiographies and bishops’ calendars. Through case studies of the histories of Mechelen (by Jean-Baptiste Gramaye) and ’s-Hertogenbosch (by Jacob van Oudenhoven), the paper analyses the consequences of these different historiographical traditions for the description of urban space and its role in the history of these two cities and thus offers new insights into the mechanisms of identity formation in the shadow of war and division in the Netherlands.

¨ DTE, ALTE STA¨ DTE, KAUFMANNSSTA¨ DTE HEILIGE STA Zum Image deutscher Metropolen um 1500* von Wolfgang Schmid

1531 vero¨ffentlichte der aus dem Bistum Konstanz stammende Wanderhumanist Johann Haselberg bei dem Ko¨lner Drucker Melchior von Neuss einen lobspruch der Keyserlichen freygstath Coellen. Der Text ist in der literarischen Form einer Stadtwanderung angelegt1. Er umfasst 408 Zeilen in manchmal etwas holprigen Paarreimen, an die sich eine 511 Zeilen lange Legende der Hl. Drei Ko¨nige anschließt. Haselberg ging in Rodenkirchen an Land und wanderte von hier aus am Rhein entlang durch einen Wald auf die Stadt zu. Bei seinem Zug auf Ko¨ln stieß Haselberg auf eine gro¨ßere Schar von Personen. Es handelte sich dabei nicht etwa um Studenten, Professoren und Humanisten, um Mo¨nche und Stiftsherren, um Adelige, Krieger und um sta¨dtische Boten, um Handwerker und Kaufleute aus Bonn, Koblenz oder Frankfurt oder gar um Bettler, Dirnen und Ra¨uber, sondern um Pilger. Vil Pilgram sach ich bethferth gan / Tag vnd nacht on vnderlon; / Aller welt was es gar offenbar,/ Erst gedach ich an das guldin iar, / da man das heyltam weist tzu ach; / Gen Trier was auch dem volck so gach; / Vil koment gen Coellen an den rein / Gar schon enpfing mans vnd lies sie ein. / Gen duren zugent sie von dannen / zu der heyligen muter sent Anna. / Wer got wol dienth enpfacht sein lon: / dar bey wil ichs ietz pleiben lon.2 Haselbergs Verse zeigen anschaulich, wie sehr Pilger das Stadtbild Ko¨lns pra¨gten. Die alle sieben Jahre stattfindende Wallfahrt nach Aachen, Du¨ren und Trier za¨hlte zu den regelma¨ßig wiederkehrenden Ereignissen. Auch der alle 25 Jahre verku¨ndete Jubila¨umsablass war Haselberg gela¨ufig. Er spielt auf den erst 1502 publizierten Ablass zum Jubeljahr 1500 an, ko¨nnte sich aber auch auf den bisher nicht eindeutig nachweisbaren

* Das Manuskript wurde bereits 2008 abgeschlossen. 1 Johann Jacob Merlo, Johann Haselberg und sein Lobgedicht auf die Stadt Ko¨ln, in: AHVN 44 (1885),

S. 139–175; Josef Benzing, Johann Haselberg, ein fahrender Verleger und Schriftsteller 1515–1538, in: ArchGeschBuchwesen 7 (1967), S. 302–316; Ursula Rautenberg, Stadtlob und Topographie. Johannes ¨ berliefeHaselbergs „Lobspruch der Stadt Ko¨ln“ von 1531, in: JbKo¨lnGV 65 (1994), S. 55–79; Dies., U rung und Druck. Heiligenlegenden aus fru¨hen Ko¨lner Offizinen (Fru¨he Neuzeit 30), Tu¨bingen 1996, S. 210–218. 2 Merlo, Haselberg (wie Anm. 1), Verse 23–34.

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Ablass von 1525 beziehen3. Wenn man seiner Aussage vertrauen darf, dann kam es im „goldenen Jahr“ zu einem Pilgeransturm, der wesentlich gro¨ßer gewesen sein muss als der bei den Siebenjahresfahrten von 1510, 1517, 1524 oder eben im Erscheinungsjahr 1531; in jedem Fall nennt Haselberg nicht dieses, sondern das Jubeljahr als Auslo¨ser und Maßstab fu¨r eine große Pilgerzahl. Hinzuweisen ist außerdem auf die Wallfahrtsorte, die er anfu¨hrt: Auch wenn es dem Autor um ein Lob des Heiligen Ko¨ln geht, so erwa¨hnt er dennoch Aachen, Trier und Du¨ren, nicht aber Kornelimu¨nster und Maastricht, die sich ebenfalls dem siebenja¨hrigen Wallfahrtszyklus angeschlossen hatten4. Auch der Zeitpunkt ist hervorzuheben: 1531, 14 Jahre nach dem Beginn der Reformation, erscheint die Bedeutung Ko¨lns als Pilgerzentrum ungebrochen. Haselberg schildert weiter das Kornhaus, das Zeughaus, das Bauhaus, das Werkhaus und das Frauenhaus, die Badstuben, die Kaufha¨user und Waagen der Stadt, alles Anzeichen einer gut organisierten Verwaltung. Die zahlreichen Gastha¨user werden ebenso beru¨cksichtigt wie die Zunftverfassung, das pra¨chtige Rathaus, die Universita¨t und die zahlreichen Kirchen und Klo¨ster. In einem Lobgedicht auf die Stadt Ko¨ln du¨rfen auch die Heiligen nicht fehlen. Die hl. Ursula geho¨rt ebenso zu den Grundpfeilern des Erscheinungsbildes der Stadt wie die Tore, die Kirchen und das Rathaus. ¨ berleitung zu Es folgt eine ausfu¨hrliche Beschreibung des Domes, die Haselberg als U einer umfangreichen Geschichte der Hl. Drei Ko¨nige nutzt, mit der das Lobgedicht endet. Zahlreiche Parallelen ergeben sich mit antiken Stadtbeschreibungen und mit vergleichbaren zeitgeno¨ssischen literarischen Zeugnissen5, etwa den Nu¨rnberger Stadtbeschreibungen von Konrad Celtis (1500), Johann Wimpheling (1501) und Johann

3 Christiane Neuhausen, Das Ablaßwesen in der Stadt Ko¨ln vom 13. bis zum 16. Jahrhundert (Ko¨lner

Schrr. zu Geschichte und Kultur 21), Ko¨ln 1994, S. 140–142, 152–153.

4 Erich Stephany, Der Zusammenhang der großen Wallfahrtsorte an Rhein-Maas-Mosel, in: Acht-

hundert Jahre Verehrung der Heiligen Drei Ko¨nige in Ko¨ln. 1164–1964 (Ko¨lnDombl 23–24), Ko¨ln 1964, S. 163–179; Wolfgang Schmid, Die Wallfahrtslandschaft Rheinland am Vorabend der Reformation. Studien zu Trierer und Ko¨lner Heiltumsdrucken, in: Wallfahrt und Kommunikation – Kommunikation u¨ber Wallfahrt, hg. v. Bernhard Schneider (QAbhMrhKG 109), Mainz 2004, S. 17–195; ders., Wallfahrtspublizistik am Niederrhein am Vorabend der Reformation, in: Heiligenverehrung und Wallfahrt am Niederrhein, hg. v. Dieter Geuenich (Schrr. der Niederrhein-Akademie 6), Essen 2004, S. 71–98; Dieter Wynands, Wallfahrten 1000–2000 (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande XI/12 = PublGesRhGkd 1 b NF), Ko¨ln 2002; Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Ko¨ln im spa¨ten Mittelalter. 1191–1515 (Geschichte des Erzbistums Ko¨ln 2), Tl. 2, Ko¨ln 2003, S. 356–376. 5 Paul Gerhard Schmidt, Mittelalterliches und humanistisches Sta¨dtelob, in: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der Kontinuita¨t zwischen Mittelalter und Renaissance, hg. v. August Buck (Wolfenbu¨tteler Abhh. zur Renaissanceforschung 1), Hamburg 1981, S. 119–128; Klaus Arnold, Sta¨dtelob und Stadtbeschreibung im spa¨teren Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, in: Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter Johanek (StF A 47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. 247–267; Rolf Hammel-Kiesow, Hansesta¨dte im Sta¨dtelob der fru¨hen Neuzeit, in: Das Bild und die Wahrnehmung der Stadt und der sta¨dtischen Gesellschaft im Hanseraum im Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Roman Czaja, Torun´ 2004, S. 19–55; Susanne Dzeja, Die Geschichte der eigenen Stadt. Sta¨dtische Chronistik in Frankfurt vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Europa¨ische Hochschulschriften 3, 946), Frankfurt 2003.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

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Cochlaeus (1512)6 oder zu Du¨rers Idealstadtentwurf von 15277, in denen stets ein in etwa gleicher Katalog von o¨ffentlichen Geba¨uden genannt und die besondere Wertscha¨tzung fu¨r Brunnen und Stadtmauern zum Ausdruck gebracht wird. Der hohe Stellenwert, den Pilger und Kirchen, vor allem aber die Heiligen in Haselbergs Lobgedicht spielen, zeigt, dass es sich um keine „rein“ humanistische Stadtbeschreibung handelt, sondern dass Elemente hinzukamen, die fu¨r die Gattung Heiltumsdruck charakteristisch sind, Sammlungen lateinischer und deutscher Texte unterschiedlichster literarischer Gattungen, die an Pilger verkauft wurden8. Haselbergs Lobgedicht zeigt anschaulich, wie in einer Stadt, fu¨r deren Selbstversta¨ndnis die Heiligen und ihre Reliquien ungeheuer wichtig waren und fu¨r die Wallfahrten eine große Rolle spielten, eine Sonderform des katholischen Humanismus entstand, eine eigensta¨ndige Verbindung alter und neuer Elemente. Haselbergs Lobgedicht ist fu¨r den rheinischen Sonderweg eine ebenso aufschlußreiche Quelle wie die Tagebu¨cher des Ko¨lner Bu¨rgers Hermann Weinsberg († 1597). Auch die Publikation des Textes in der Volkssprache ist in diesem Zusammenhang von Interesse: Es gab neben dem Humanismus als einer lateinsprachigen Gelehrtenkultur auch eine breite Rezeption von Renaissance und Humanismus in der Bevo¨lkerung, die des Lateinischen nicht ma¨chtig war. Herman Weinsberg

6 Zu Celtis: Gernot Michael Mu ¨ ller, Die „Germania generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edition,

¨ bersetzung und Kommentar (Fru¨he Neuzeit 67), Tu¨bingen 2001. Zu Wimpheling: Ernst Martin, U Germania von Jacob Wimpfeling. Mit ungedruckten Briefen von Geiler und Wimpfeling. Ein Beitrag zur Frage nach der Nationalita¨t des Elsasses und zur Vorgeschichte der Strassburger Universita¨t, Straßburg 1885. Zu Cochlaeus s. u. Anm. 14. 7 Alexander von Reitzenstein, „Etliche vnderricht zu befestigung der Stett, Schloß vnd flecken“. Albrecht Du¨rers Befestigungslehre, in: Albrecht Du¨rers Umwelt. Festschrift zum 500. Geburtstag Albrecht Du¨rers (Nu¨rnbF 15), Nu¨rnberg 1971, S. 178–192; Kersten Kru¨ger, Albrecht Du¨rer, Daniel Speckle und die Anfa¨nge fru¨hmoderner Stadtplanung in Deutschland, in: MittVGNu¨rnberg 67 (1980), S. 79–97. Vgl. zur fru¨hneuzeitlichen Plan- bzw. Idealstadt: Architekt und Ingenieur. Baumeister in Krieg und Frieden, Kat. Wolfenbu¨ttel 1984; Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute – Repra¨sentation und Gemeinschaft, hg. v. Martin Warnke, Ko¨ln 1984; Hanno-Walter Kruft, Sta¨dte in Utopia. Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zwischen Utopie und Wirklichkeit, Mu¨nchen 1989; Virgilio Vercelloni, Europa¨ische Stadtutopien. Ein historischer Atlas, Mu¨nchen 1994; Ruth Eaton, Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2003; Bernd Roeck, Stadtkunstwerke, in: Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, hg. v. Dems./Wolfgang Behringer Mu¨nchen 1999, S. 15–25; Cord Meckseper, Die deutsche Stadt der Renaissance. Probleme ihrer zeitlichen und architektonischen Definition, in: Bu¨rgertum und Kunst in der Neuzeit, hg. v. Hans-Ulrich Thamer (StF A 57), Ko¨ln/Weimar/Wien 2002, S. 159–189; Eva-Maria Seng, Stadt – Idee und Planung. Neue Ansa¨tze im Sta¨dtebau des 16. und 17. Jahrhunderts (Kunstwissenschaftliche Studien 108), Mu¨nchen 2003. 8 Falk Eisermann, Art. Heiltumsbu¨cher, in: VL2, Bd. 11,2 (2001), Sp. 604–609; Hildegard Erlemann/Thomas Stangier, Art. Heiltumsbuch, in: LexMA, Bd. 4 (1989), Sp. 2032f.; Hanns Rosenfeld, Art. Heiltumsbuch, in: Lex. des gesamten Buchwesens, 2. Aufl., Bd. 3 (1991), S. 428–429. Vgl. allg. Volker Honemann/Sabine Griese/Falk Eisermann, Zu Wesen und Bedeutung des textierten Einblattdrucks im 15. und fru¨hen 16. Jahrhundert, in: Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Vera¨ndern, hg. v. Hagen Keller/Christel Meier/Thomas Scharff (MMS 76), Mu¨nchen 1999, S. 333–348; Einblattdrucke des 15. und fru¨hen 16. Jahrhunderts, hg. v. Volker Honemann, Tu¨bingen 2000; Sabine Griese, Kommunikationsmo¨glichkeiten von Einblatt-Druckgraphik im 15. Jahrhundert, in: Dialoge. Sprachliche Kommunikation in und zwischen Texten im deutschen Mittelalter, hg. v. Nikolaus Henkel/Martin H. Jones/Nigel F. Palmer, Tu¨bingen 2003, S. 315–335; Schmid, Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 4).

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Wolfgang Schmid

berichtet, sein Vater habe sich die Werke von Cicero, Livius und Herodot von einem Studenten u¨bersetzen lassen9. Auch die Spruchgedichte des Nu¨rnbergers Hans Sachs sind ein Beispiel fu¨r diesen „Trivialhumanismus“. In jedem Fall blieb im 16. Jahrhundert das Interesse an Fragen der Geschichte und Geographie nicht auf gelehrte Kreise beschra¨nkt.

I. Dass die Stadt Ko¨ln das Image einer heiligen Stadt besaß, ist hinreichend bekannt10. Als heilige Stadt und als getreue Tochter Roms wird sie bereits auf dem vieldiskutierten romanischen Stadtsiegel von 1114/19 bezeichnet, als zweites Rom, als irdisches Abbild des himmlischen Jerusalem gedeutet. In der in einer Handschrift von 1412 u¨berlieferten Sequenz Gaude felix Agrippina heißt es: „Freue Dich Ko¨ln so hochgepriesen / weit geru¨hmt als heilge Stadt / Ob der vielen treuen Zeugen / wunderbarer Heiligkeit“. Die Koelhoffsche Chronik von 1499 tra¨gt den Titel Cronica van der hilliger stat van Coellen, ihr Titelblatt zeigt die Gruppe der sieben heiligen Ko¨lner Bischo¨fe, unter deren besonderem Schutz die Kommune steht, ein Thema, das auch

9 Wolfgang Schmid, Ko¨lner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg

(1518–1597) (Vero¨ff. des Ko¨lnischen Stadtmuseums 8), Ko¨ln 1991; Das Buch Weinsberg. Ko¨lner Denkwu¨rdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, bearb. von Konstantin Ho¨hlbaum/Friedrich Lau/Josef Stein (PublGesRhGkd 3, 4, 16), 5 Bde., Leipzig/Bonn 1886–1926, Bd. 1, S. 69, Bd. 5, S. 198, zum Buchbesitz S. VIV–XVIII; Ermentrude von Ranke, Der Interessenkreis des deutschen Bu¨rgers im 16. Jahrhundert, in: VSWG 20 (1928), S. 474–490; Rudolf Juchhoff, Was lasen die Ko¨lner um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zu ihrer Unterhaltung und Belehrung?, in: Essays in Honour of Victor Scholderer, Mainz 1970, S. 201–212; Severin Corsten, Ko¨lner Kaufleute lesen Brants Narrenschiff. Humanistisch gesinnte Großbu¨rger zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: De captu lectoris. Wirkungen des Buches im 15. und 16. Jahrhundert dargestellt an ausgewa¨hlten Handschriften und Drucken, hg. v. Wolfgang Milde/Werner Schuder, Berlin/New York 1988, S. 67–80; Susanne Rau, Stadthistoriographie und Erinnerungskultur in Hamburg, Ko¨ln und Breslau, in: Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, hg. v. Franz Brendle u. a. (Contubernium 56), Stuttgart 2001, S. 227–257; Helmut Tervooren, Was liest man in niederrheinischen Kleinsta¨dten im 15. und 16. Jahrhundert?, in: Literaturgeschichte. Beitra¨ge zur media¨vistischen Literaturwissenschaft. Festschrift fu¨r Volker Honemann, Frankfurt 2003, S. 277–293. 10 Karl Corsten, Gaude Felix Agrippina, in: AHVN 149 (1950–1951), S. 238–243; Klaus Militzer, Collen eyn kroyn boven allen steden schoyn. Zum Selbstversta¨ndnis einer Stadt, in: Colonia Romanica 1 (1986), S. 15–32; Joachim Oepen, Sancta Colonia – Heiliges Ko¨ln, in: Klosterfu¨hrer Rheinland (JbRhVDenkm 2003), Ko¨ln 2003, S. 45–57; Anton Legner, Ko¨lner Heilige und Heiligtu¨mer. Ein Jahrtausend europa¨ischer Reliquienkultur, Ko¨ln 2003; Hans-Joachim Kracht/Jakob Torsy (Hg.), Reliquiarium Coloniense (StudKo¨lnKG 34), Ko¨ln 2003; Franz Irsigler, Außensicht und Selbstversta¨ndnis der Stadt Ko¨ln im 15. und 16. Jahrhundert, in: Czaja, Bild und Wahrnehmung (wie Anm. 5), S. 57–74; Wolfgang Schmid, Die Stadt und ihre Heiligen. Die Sancta Treviris und die Sancta Colonia am Ende des Mittelalters, in: Kurtrierisches Jahrbuch 48 (2008), S. 123–154; ders., Rheinische Schatzkammern im Zeitalter der katholischen Reform. Bildpublizistik, Goldschmiedekunst und Wallfahrten in Trier, Aachen und Ko¨ln, in: Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft 1250–1750, Ko¨ln 2010, S. 261–292.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

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Stephan Lochners bekannter ‚Altar der Stadtpatrone‘11 und Anton Woensams Ko¨lnprospekt von 1531 verbildlichen12. In diesem Zusammenhang sei nur kurz ein Zeitgenosse Haselbergs angefu¨hrt, welcher der Ko¨lner civitas sancta-Forschung weitgehend unbekannt geblieben ist, der Nu¨rnberger Humanist Johann Cochlaeus. Er hebt in seiner 1512 erschienenen Deutschlandbeschreibung die Fro¨mmigkeit der Nu¨rnberger durchaus hervor, jedoch ist dies nur einer von vielen Aspekten, mit denen er seine Heimatstadt charakterisiert13. Von der hochberu¨hmtem Stadt Ko¨ln zeichnet er dagegen ein Bild, das durch die unza¨hligen Heiligen bestimmt wird. Ko¨ln berge in seinen Mauern mehr heilige Ma¨nner als jede andere Stadt in Deutschland. Ihre Reliquien wu¨rden in goldenen Schreinen aufbewahrt sowie in vielen und großartigen Kirchen verehrt (Urbs plurimis ac magnificis decorata templis, ubi innumere sanctorum reliquie tumbis ceterisque vasis auro, argento gemmisque exornatis reservantur).Wegen der Hl. Drei Ko¨nige, der hl. Ursula und der Theba¨er ko¨nne die Stadt sich glu¨cklich scha¨tzen. Außerdem sei Ko¨ln Sitz eines Erzbistums, sei reichsunmittelbar und besitze eine Hohe Schule mit einer besonders lobenswerten Theologischen Fakulta¨t, die Cochlaeus als ehemaliger Ko¨lner Student lobt14. Das Image der Stadt Ko¨ln wird also an erster Stelle von der großen Zahl der Heiligen bestimmt, deren Reliquien in prachtvollen Kirchen und in goldenen Schreinen geborgen sind, weiter ist Ko¨ln Sitz einer Universita¨t, die von anderen Autoren wesentlich weniger positiv geschildert wurde – drei Jahre spa¨ter erschienen die ‚Dunkelma¨nnerbriefe‘, die ein von Spott und Satire gepra¨gtes Bild der Ko¨lner Hochschule zeichneten15. Andere Aspekte, die z. B. im Rangstreit zwischen Ko¨ln und Aachen auf dem Regensburger Reichstag von 1454 eine Rolle gespielt hatten und bei dem zum Teil dieselben Argumente verwandt wurden, fehlen dagegen16, etwa das hohe Alter

11 Wolfgang Schmid, Stefan Lochners ‚Altar der Stadtpatrone‘. Zur Geschichte eines kommunalen

Denkmals im Heiligen Ko¨ln, in: WallrafRichartzJb 58 (1997), S. 257–284.

12 Wolfgang Braunfels, Anton Wonsams Ko¨lnprospekt von 1531 in der Geschichte des Sehens, in:

WallrafRichartzJb 22 (1960), S. 115–136; Hugo Borger/Frank Gu¨nter Zehnder, Ko¨ln. Die Stadt als Kunstwerk. Stadtansichten vom 15. bis 20. Jahrhundert, Ko¨ln 1982; Wolfgang Herborn, Ko¨ln, in: Behringer/Roeck, Bild der Stadt (wie Anm. 7), S. 256–263; Jutta Seyfarth, Das Ko¨lner Stadtpanorama von 1411. „Genre-Szene“ als Metapher, in: Thesaurus Coloniensis. Beitra¨ge zur mittelalterlichen Kunstgeschichte Ko¨lns. Festschrift fu¨r Anton von Euw (VKo¨lnGV 41), Ko¨ln 1999, S. 341–356. 13 Johannes Cochlaeus: Brevis Germaniae Descriptio (1512) mit der Deutschlandkarte des Erhard Etzlaub von 1501, hg. v. Karl Langosch (FSGA NZ 1), 2. Aufl. Darmstadt 1969, S. 156–157; Franz Machilek, Johannes Cochlaeus, in: Fra¨nkische Lebensbilder 8 (VGesFrkG 7 A), Neustadt a. d. Aisch 1978, S. 51–69; Remigius Ba¨umer, Johannes Cochlaeus (1479–1552). Leben und Werk im Dienst der katholischen Reform (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 40), Mu¨nster 1980. 14 Langosch, Cochlaeus (wie Anm. 13), S. 157. 15 Erich Meuthen, Die alte Universita¨t (Ko¨lner Universita¨tsgeschichte 1), Ko¨ln/Wien 1988; Go¨tz-Ru¨diger Tewes, Die Bursen der Ko¨lner Artisten-Fakulta¨t bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Stud. zur Geschichte der Universita¨t zu Ko¨ln 13), Ko¨ln 1993. 16 Johannes Helmrath, Sitz und Geschichte. Ko¨ln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhunderts, in: Ko¨ln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift Odilo Engels, Ko¨ln/Weimar/Wien 1993, S. 719–760; ders., Ko¨lner Geschichtsbewußtsein: Der Rangstreit mit Aachen nach einem Bericht des Humanisten Enea Silvio Piccolomini, 1454, in: Spa¨tes Mittelal-

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und die Gro¨ße der Stadt, die Bevo¨lkerungszahl und die große Zahl stattlicher Bauten17. Auch einen Hinweis auf die Wirtschaftskraft und den Reichtum der erfolgreichen Exportgewerbe- und Fernhandelsmetropole vermisst man bei Cochlaeus, obwohl dieses Thema in seiner Nu¨rnbergbeschreibung breiten Raum einnimmt18. Der Begriff Image im Titel meines Beitrags soll deutlich machen, dass Stadtbeschreibungen und Stadtansichten kein realistisches Bild einer Stadt zeigen. Der deutsche Begriff „Bild“ ist dafu¨r zu unpra¨zise, er deckt das Wortfeld Abbild, Ebenbild, Sinnbild, Vorbild und Trugbild ab. Auch das lateinische imago besitzt zahlreiche ¨ bersetzungsvarianten. Der Begriff Image wurde in der Soziologie und PsycholoU gie entwickelt, er bezeichnet die Summe von Informationen, vor allem aber Vorstellungen und Wertungen, die mit einem Gegenstand verknu¨pft werden. Ein Image ist etwas Ku¨nstliches, vom Menschen Geschaffenes. Politiker feilen heute an ihrem Image. Werbestrategen versuchen, Produkte des Alltags mit einer Aura von Jugend, Freiheit und Abenteuer zu verbinden, und auch Kommunalpolitiker bemu¨hen sich darum, das Image ihrer Stadt Touristen und Investoren schmackhaft zu machen. Eng verwandt, aber nicht identisch mit dem Begriff Image ist der des Milieus: Trotz aller Parallelen besaß jede Stadt um 1500 hinsichtlich ihrer politischen, wirtschaftlichen, kirchlichen und kulturellen Rahmenbedingungen ein eigenes Milieu, spezifische Rahmenbedingungen der Kunstproduktion, die sich deutlich voneinander abhoben: Das Verha¨ltnis von Malerei und Ma¨zenatentum z. B. unterschied sich in Nu¨rnberg deutlich von der Situation in Ko¨ln, wobei sich z. B. die Relation von lokaler Tradition und internationalem Austausch oder die Bedeutung ungeschriebener Normen und Standards recht unterschiedlich gestalten konnte. Der Begriff Milieu deckt also reale und mentale Rahmenbedingungen ab, wa¨hrend ein Image eher Werthaltungen impliziert19. Der Image-Begriff wurde inzwischen von der kunsthistorischen Forschung nach dem viel zitierten iconic turn rezipiert, man kann mit ihm deutlich machen, dass ein

ter und Fru¨he Neuzeit (1396–1794), hg. v. dems./Joachim Deeters (Quellen zur Geschichte der Stadt Ko¨ln 2), Ko¨ln 1996, S. 84–90. 17 Zur Ko¨lner Gru¨ndungslegende und zur sta¨dtischen Chronistik vgl. Robert Meier, Heinrich van Beeck und seine „Agrippina“. Ein Beitrag zur Ko¨lner Chronistik des 15. Jahrhunderts (Ko¨lner Historische Abh. 41), Ko¨ln 1998, S. 90–108. Vgl. auch ders., Zeitgema¨ßes und Unzeitgema¨ßes. Die „Koelhoffsche“ Chronik und ihre Vorga¨ngerin Agrippina im Vergleich, in: Spa¨tmittelalterliche sta¨dtische Geschichtsschreibung in Ko¨ln und im Reich. Die „Koelhoffsche“ Chronik und ihr historisches Umfeld, hg. v. Georg Mo¨lich/Uwe Neddermeyer/Wolfgang Schmitz (VKo¨lnGV 43), Ko¨ln 2001, S. 69–77; Wolfgang Hasberg, Reichssta¨dtisch-bu¨rgerliches Geschichtsbewusstsein im Spa¨tmittelalterlichen Ko¨ln, in: JbKo¨lnGV 72 (2001), S. 9–52; Militzer, Collen (wie Anm. 10); Rau, Stadthistoriographie und Erinnerungskultur (wie Anm. 7). 18 Franz Irsigler, Ko¨lner Wirtschaft im Spa¨tmittelalter, in: Zwei Jahrtausende Ko¨lner Wirtschaft, 2 Bde., hg. v. Hermann Kellenbenz, Ko¨ln 1975, Bd. 1, S. 217–319. 19 Wolfgang Schmid, Die Stadt der Heiligen und die Stadt der Erfinder? Der Ko¨lner und der Nu¨rnberger Kunstmarkt im 15./16. Jahrhundert, in: Economia e arte. Secc. XIII–XVIII, hg. v. Simonetta Cavaciocchi (Istituto internazionale di storia economica „F. Datini“ Prato, II, 33), Florenz 2002, S. 761–793; Schmid, Die Stadt und ihre Heiligen (wie Anm. 10); ders., Ko¨ln – Frankfurt – Nu¨rmberg. Lokale Traditionen und u¨berregionaler Austausch, in: Hans Holbein und der Wandel in der Kunst des fru¨hen 16. Jahrhunderts, hg. v. Bodo Brinkmann/Wolfgang Schmid, Turnhout 2005, S. 91–112.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

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Bildnis20 oder ein Grabmal21 keineswegs ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild einer Person zeigen, sondern dass es daru¨ber hinaus eine Botschaft vermitteln sollte. So gilt Albrecht Du¨rers Selbstportra¨t von 1500 als Idealbild des gottesbilda¨hnlichen Ku¨nstlers der Renaissance22, sein Kupferstichbildnis des Philipp Melanchthon von 1526 zeigt den Prototypen eines vergeistigten Humanisten23. Lukas Cranach schuf mit seinen Portra¨ts von Martin Luther eine „Ikone“, die des protestantischen Geistlichen und Hausvaters24. Grabma¨ler – z. B. das des Pfalzgrafen Heinrich in Maria Laach25 – mit ihren Inschriften und Bildprogrammen dienten zu ha¨ufig der Pra¨sentation von Reichtum und Gelehrsamkeit sowie der politischen und dynastischen Propaganda, als dass man sie als wirklichkeitsgetreues Abbild eines Verstorbenen ansehen ko¨nnte. Dass Stadtansichten, die seit vielen Jahren als historische Quellen ausgewertet werden, mit der entsprechenden Sorgfalt gedeutet werden mu¨ssen, ist nach den einschla¨gigen Arbeiten von Michael Schmitt26, Wolfgang Behringer und Bernd Roeck27 20 Ernst Rebel, Die Modellierung der Person. Studien zu Du¨rers Bildnis des Hans Kleberger, Stuttgart

1990; Andreas Ko¨stler, Das Portrait: Individuum und Image, in: Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, hg. v. Dems./Ernst Seidl, Ko¨ln 1998, S. 9–14. 21 Michael Viktor Schwarz, Image und Memoria. Statt einer Zusammenfassung, in: Grabma¨ler der Luxemburger. Image und Memoria eines Kaiserhauses, hg. v. Dems. (Publ. du CLUDEM 13), Luxemburg 1997, S. 175–182. 22 Fedja Anzelewsky, Das Selbstbildnis von 1500 [1981], in: ders., Du¨rer-Studien. Untersuchungen zu den ikonographischen und geistesgeschichtlichen Grundlagen seiner Werke zwischen den beiden Italienreisen, Berlin 1983, S. 90–100; Klaus H. Ju¨rgens, Neue Forschungen zu dem Mu¨nchener Selbstbildnis des Jahres 1500 von Albrecht Du¨rer, in: KunsthistJbGraz 19–20 (1983–1984), S. 167–190; 21 (1985), S. 143–164; Joseph Leo Koerner, Self Portraiture and the Crisis of Interpretation in German Renaissance Art: Albrecht Du¨rer, Hans Baldung Grien and Lucas Cranach the Elder, Ph. Diss. Berkeley 1988; Daniel Hess, Du¨rers Selbstbildnis von 1500. „Alter Deus“ oder Neuer Apelles?, in: MittVGNu¨rnberg 77 (1990), S. 63–90; Charles D. Cuttler, Undercurrents in Du¨rer’s 1500 „Self-Portrait“, in: Pantheon 50 (1992), S. 24–27; Rudolf Preimesberger, „... proprijs sic effingebam coloribus ...“. Zu Du¨rers Selbstbildnis von 1500, in: The Holy Face and the Paradox of Representation, hg. v. Herbert Kessler/Gerhard Wolf (Villa Spelman Colloquia 6), Bologna 1998, S. 279–300; Georges Didi-Huberman, L’autre miroir. Autoportrait et me´lancolie christique selon Albrecht Du¨rer, in: Il ritratto e la memoria. Materiali 2 , hg. v. Augusto Gentili/Philippe Morel/Claudia Cieri Via (Europa delle corti. Centro studi sulle societa` di antico regime. Biblioteca del Cinquecento 55), Rom 1993, S. 207–240. 23 Wolfgang Schmid, Denkma¨ler auf Papier. Zu Du¨rers sechs Kupferstichportra¨ts der Jahre 1519–1526, in: Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des spa¨teren Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Klaus Arnold/Sabine Schmolinsky/Urs Martin Zahnd (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), Bochum 1999, S. 223–259. 24 Martin Warnke, Cranachs Luther. Entwu¨rfe fu¨r ein Image (Kunststu¨ck), Frankfurt 1984; Otto Kammer, Non Cultus sed Memoriae causa – zum Geda¨chtnis des hochwu¨rdigen Mannes. Ein Blick auf die Vorgeschichte der Lutherdenkma¨ler, in: Luther mit dem Schwan. Tod und Verkla¨rung eines großen Mannes, Kat. Wittenberg 1996, S. 33–61. 25 S. u. Anm. 67. 26 Z. B. Michael Schmitt, Vorbild, Abbild und Kopie: Zur Entwicklung von Sehweisen und Darstellungsarten in druckgraphischen Stadtabbildungen des 15. bis 18. Jahrhunderts am Beispiel Aachen, in: Civitatum Communitas. Studien zum europa¨ischen Sta¨dtewesen. Festschrift fu¨r Heinz Stoob (StF A 21), Bd. 1, Ko¨ln/Wien 1984, S. 322–354; ders., Das Stadtbild in Druckgraphik und Malerei. Neuss 1477–1900 (StF C 5), Ko¨ln/Wien 1991. 27 Behringer/Roeck, Bild der Stadt (wie Anm. 7); ders., Identita¨t und Stadtbild. Zur Selbstdarstellung der deutschen Stadt im 15. und 16. Jahrhundert, in: Aspekte und Komponenten der sta¨dtischen Identi-

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sowie Ulrike Fuß28 – um nur wenige Autoren zu nennen – hinla¨nglich bekannt. In einem kurzen Beitrag fu¨hrte ku¨rzlich Gerhard Jaritz den Begriff des Image einer spa¨tmittelalterlichen Stadt ein29. Wenn ich jetzt mit dem Terminus Image an der Erforschung von Stadtansichten arbeite, dann ergeben sich neue Probleme, die bei der Frage nach dem Quellenwert von Stadtansichten von zentraler Bedeutung sind. Erstens: Wer ist der Erfinder des Image, der Autor einer Stadtansicht? Zweitens: Welches Publikum sollte mit den Stadtansichten – etwa in den Werken von Hartmann Schedel, Sebastian Mu¨nster oder Mattha¨us Merian – angesprochen werden? Und drittens: Was ist eigentlich die Botschaft einer Stadtansicht, wenn diese denn nicht nur ein Abbild der Realita¨t sein sollte?

II.

Um beim Thema heilige Sta¨dte zu bleiben und um die Frage der Image-Bildung etwas genauer zu untersuchen, soll im zweiten Teil die Beschreibung der Stadt Trier bei Johann Cochlaeus untersucht werden. Der 1512 vero¨ffentlichte Bericht ist nicht ganz so ausfu¨hrlich wie der u¨ber Ko¨ln: Die Stadt sei vor allem durch ihr Alter ruhmreich, sei a¨lter als Rom, sei 2000 Jahre vor Christi gegru¨ndet worden, was durch das Alter der Bauten besta¨tigt werde30. Trier besitze außerdem viele Reliquien, namentlich den Ko¨rper des hl. Matthias, und verfu¨ge u¨ber einen Bischofssitz sowie ein Gymnasium. Von dem erst 1512 erhobenen Hl. Rock berichtet Cochlaeus noch nichts31. ta¨t in Italien und Deutschland (14.–16. Jahrhundert), hg. v. Giorgio Chittolini/Peter Johanek, Berlin 2003, S. 227–247; ders., Stadtdarstellungen der fru¨hen Neuzeit: Realita¨t und Abbildung, in: Stadtbilder der Neuzeit, hg. v. dems. (Stadt in der Geschichte 32), Ostfildern 2006, S. 19–39. 28 Ulrike Valeria Fuss, Landschaftsspezifische Charakteristika in den Stadtansichten der fru¨hen Neuzeit, in: Sta¨dtelandschaft, Re´seau urbain, urban network. Sta¨dte im regionalen Kontext in Spa¨tmittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Holger Th. Gra¨f/Katrin Keller (StF A 62), Ko¨ln/Weimar/Wien 2004, S. 199–217; Nils bu¨ttner, Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels (Rekonstruktion der Ku¨nste 1), Go¨ttingen 2000. 29 Gerhard Jaritz, Das Image der spa¨tmittelalterlichen Stadt. Zur Konstruktion und Vermittlung ihres a¨ußeren Erscheinungsbildes, in: Die Stadt als Kommunikationsraum. Beitra¨ge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Festschrift fu¨r Karl Czok, Leipzig 2001, S. 471–479; Frank-Dietrich Jacob, Bemerkungen zur bildhaften Kommunikation am Beispiel historischer Selbstdarstellungen, in: ebd., S. 441–464; Helmut Hundsbichler, Stadtbegriff, Stadtbild und Stadtleben des 15. Jahrhunderts ¨ sterreich, in: Das Leben in der Stadt des Spa¨tmittelalters nach ausla¨ndischen Berichterstattern u¨ber O ¨ sterrAkWiss, Phil.-Hist. Kl., Sbb. 325), Wien 1977, S. 111–133; Bild und Wahrnehmung der Stadt, (O hg. v. Ferdinand Opll (BGStM 19), Linz 2004; Roeck, Stadtbilder (wie Anm. 27). 30 Gottfried Kentenich, Die Trierer Gru¨ndungssage in Wort und Bild, in: Trierer Heimatbuch. Festschrift zur Rheinischen Jahrtausendfeier, Trier 1925, S. 193–212; Hermann Knaus, Vor Rom stand Trier. Die Trierer Gru¨ndungssage, Trier 1948; Ilse Haari-Oberg, Die Wirkungsgeschichte der Trierer Gru¨ndungssage vom 10. bis zum 15. Jahrhundert (EuropHochschulSchrr 3, 607), Bern/Berlin/Frankfurt 1994; Lukas Clemens, Tempore Romanorum constructa. Zur Nutzung ¨ berreste no¨rdlich der Alpen wa¨hrend des Mittelalters (Monogr. zur und Wahrnehmung antiker U Geschichte des Mittelalters 50), Stuttgart 2003. 31 Langosch, Cochlaeus (wie Anm. 13), S. 159–160; Michael Matheus, Das Verha¨ltnis der Stadt Trier zur Universita¨t in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts, in: KurtrJb 20 (1980), S. 60–139; ders.,

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

129

¨ berlegungen etwas zu vertiefen, mo¨chte ich die Trier-Ansicht in der Um diese U 1548 gedruckten Cosmographia des Baseler Humanisten, Hebraisten und Geographen Sebastian Mu¨nster heranziehen. Das umfassendste, bis dahin erschienene geographische Kompendium umfasst 659 Seiten und ist mit ca. 540 Holzschnitten ausgestattet. Zum Erfolg dieses Werkes trugen nicht zuletzt auch die zahlreichen Stadtansichten bei, die Mu¨nster aus ganz Europa zusammengetragen hatte. Dabei wurde er vielfach von den Stadt- und Landesherren gefo¨rdert. In Kurtrier setzte sich Erzbischof Johann von Isenburg fu¨r das Unternehmen ein, sein humanistisch gebildeter Leibarzt Simon Reichwein besorgte die Ansichten und Beschreibungen von Trier und Koblenz sowie von der Eifel und von Ko¨ln32. ¨ berDie 22,5 × 38 cm große Trierer Stadtansicht tra¨gt die programmatische U schrift Contrafeyhtung der vralten Statt Trier / sampt des umligenen Bodens vnd fu¨rfliessenden Wassers Mosel genannt (Abb. 1). Sie ist vom Markusberg aus aufgenommen, einem idealen Standort, an dem 1866 die Mariensa¨ule errichtet wurde. Die Stadt wird vor einer Landschaftskulisse wie auf einem Pra¨sentierteller in Szene gesetzt: Umfangen von einer Mauer mit Tu¨rmen erkennt man ein Ha¨usermeer, das von zahlreichen Ba¨umen aufgelockert und von den Kirchen der Stadt u¨berragt wird. Das Moselufer mit Kran und Schiffsmu¨hlen ist ebenso detailgetreu wiedergegeben wie die Ro¨merbru¨cke und der Treidelpfad am anderen Moselufer, auf dem ein Reiter mit drei Pferden ein Segelschiff die Mosel hinaufzieht. Die Stadt ist von Hu¨geln ¨ ckern, Weinbergen und Wa¨ldern bedeckt sind. Im und Bergen umgeben, die mit A Norden und Su¨den der Stadt sind die vor den Mauern gelegenen Klo¨ster und Stifte mit ihren Kirchen und Nebengeba¨uden recht treffend geschildert, auf der linken Seite sind es St. Paulin und St. Maximin sowie St. Martin und St. Maria ad Martyres; rechts erkennt man St. Matthias, Lo¨wenbru¨cken, St. Barbara und die Kartause ¨ berragt wird das rechteckige, von der Mauer umwehrte Ha¨user(Abb. 2; Abb. 3). U meer der Stadt durch eine Reihe von hohen Kirchen bzw. Kirchtu¨rmen; am deutlichsten ist dies beim Dom, bei Liebfrauen und bei St. Gangolf zu erkennen (Abb. 4). Neben den Kirchen ragen die ro¨mischen Ruinen hervor, die ebenfalls bezeichnet sind: Die Palastaula, die Porta Alba und die Porta Nigra sowie veteres ruinae im Su¨den, die Barbarathermen (Abb. 3); die Kaiserthermen vermisst man dagegen. Eine Bildunterschrift wiederholt die Beschriftungen der Kirchen und der antiken Geba¨ude in ¨ berresten vorhanden Deutsch und Latein. Die Ruinen, auch wenn allenfalls noch in U

Die Trierer Universita¨t im 15. Jahrhundert, in: Trier im Mittelalter, hg. v. Hans Hubert Anton/Alfred Haverkamp (2000 Jahre Trier 2), Trier 1996, S. 531–552. 32 Karl Heinz Burmeister, Sebastian Mu¨nster. Versuch eines biographischen Gesamtbildes (Basler Beitrr. zur Geschichtswissenschaft 91), 2. Aufl. Basel/Stuttgart 1969; Sebastian Mu¨nster, Kat. Ingelheim am Rhein 1988. Die Korrespondenz zwischen dem Erzbischof, Reichwein und Mu¨nster ist ausgewertet bei Peter H. Meurer, Der kurtrierische Beitrag zum Kosmographie-Projekt Sebastian Mu¨nsters, in: KurtrJb 35 (1995), S. 189–225; ders., Sebastian Mu¨nsters Karte der Eifel in quellenkundlicher Sicht, Liber amicorum necnon et amicarum fu¨r Alfred Heit. Beitra¨ge zur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde (THF 28), Trier 1996, S. 517–531; Gunther Franz, Trier, in: Behringer/Roeck, Bild der Stadt (wie Anm. 7), S. 383–391; Bernd Rosar, Gedruckte Trierer Gesamtansichten von den Anfa¨ngen bis ca. 1800, Magisterarbeit Trier 1995; Fuss, Charakteristika (wie Anm. 28), S. 204–205.

Abb. 1: Ansicht der Stadt Trier 1548 Quelle: Cosmographia Sebastian Mu¨nsters 1548. Kunsthaus am Museum Trier

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Abb. 2: Die im Norden vor der Stadt Trier gelegenen Klo¨ster und Stifte St. Paulin, St. Maximin, St. Simeon in der Porta Nigra und St. Martin Quelle: Ausschnitt aus der Cosmographia Sebastian Mu¨nsters 1548. Kunsthaus am Museum Trier

Abb. 3: Die im Su¨den vor der Stadt Trier gelegenen Klo¨ster der Karta¨user, St. Barbara, St. Matthias, die Barbarathermen und die Ro¨merbru¨cke Quelle: Ausschnitt aus der Cosmographia Sebastian Mu¨nsters 1548. Kunsthaus am Museum Trier

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wie die Porta Alba oder aber unbekannter Funktion wie die Barbarathermen, waren also fu¨r einen humanistisch gebildeten Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts ein wesentliches Element der Trierer Stadttopographie33.

Abb. 4: Die Trierer Innenstadt mit dem Dom, der Liebfrauenkirche, St. Gangolph und der Basilika Quelle: Ausschnitt aus der Cosmographia Sebastian Mu¨nsters 1548. Kunsthaus am Museum Trier

Aber handelt es sich um ein reales Abbild des fru¨hneuzeitlichen Trier? Details machen stutzig. Zuna¨chst einmal fa¨llt die Hierarchisierung der Geba¨ude auf, die Kirchen der Stadt sind deutlich gro¨ßer dargestellt als die Ha¨user der Bu¨rger. Der Holzschnitt bedient sich der mittelalterlichen Bedeutungsperspektive, er will eine Botschaft mitteilen: Trier ist eine heilige Stadt, die von den Tu¨rmen der Kirchen, welche die in ihnen verehrten Heiligen repra¨sentieren, beschu¨tzt wird34. Nicht ganz korrekt ist auch die Wiedergabe des dreibeinigen Galgens am rechten Bildrand; er ist von der

33 Diese Deutung la¨sst sich aus einem Brief Erzbischof Johanns von Isenburg an Mu¨nster von 1548 unter-

mauern, wonach es sein besonderes Anliegen sei, die Stadt mit ihren vielen Altertu¨mern der ganzen Welt und ku¨nftigen Generationen bekanntzumachen, vgl. Meurer, Beitrag (wie Anm. 32), S. 200–201. Vgl. Wolfgang Binsfeld, Triers Altertu¨mer und die Humanisten, in: LdkdlVjbll 14 (1968), S. 67–74; Lukas Clemens, Aspekte der Nutzung und Wahrnehmung von Antike im hochmittelalterlichen Trier, in: Stadt und Archa¨ologie, hg. v. Bernhard Kirchga¨ssner/Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 26), Stuttgart 2000, S. 61–83; ders., Zum Umgang mit der Antike im hochmittelalterlichen Trier, in: Anton/Haverkamp, Trier im Mittelalter (wie Anm. 31), S. 167–202; ders., Tempore Romanorum constructa (wie Anm. 30). 34 Alfred Haverkamp, „Heilige Sta¨dte“ im hohen Mittelalter [1987], in: ders., Verfassung, Kultur und Lebensform. Beitra¨ge zur italienischen, deutschen und ju¨dischen Geschichte im europa¨ischen Mittelalter, Mainz 1997, S. 361–402; Wolfgang Schmid, Sancta Treveris. Zur Bedeutung der Formel vom Heiligen Trier in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit, in: RhHeimatpfl 37 (2000), S. 12–18; ders., Sancta Treviris – Stadt und Bistum Trier, in: Klosterfu¨hrer Rheinland (wie Anm. 10), S. 29–43.

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Hinrichtungssta¨tte auf der Eurener Flur nach links geru¨ckt, er erschien dem Auftraggeber aber wichtig, weil er landesherrliche Hochgerichtsbarkeit signalisierte35. Ebenso hat er den linken Bildrand so gewa¨hlt, dass er die Amtsstadt und Nebenresidenz Pfalzel (Pallatiolum) gerade noch wiedergeben konnte. Bedenken sind auch beim Bild der fast bis zum Rand mit Geba¨uden gefu¨llten, also prosperierenden Stadt angebracht; die Bebauung des fru¨hneuzeitlichen Triers war weitaus weniger dicht. Auch der rechteckige Stadtko¨rper wirkt konstruiert, die repra¨sentative Moselfront ist breit angelegt, die Mauern im Norden und Su¨den bilden die Seiten eines gleichschenkligen Dreiecks, in dessen Mittelachse der u¨berho¨hte Turm der Liebfrauenkirche liegt, der den die Stadt u¨berragenden Petrisberg schneidet36. Der Holzschnitt greift auf zwei unverzichtbare Elemente zuru¨ck, mit denen seit den Stadtsiegeln des hohen Mittelalters Kommunen repra¨sentiert werden, na¨mlich Heilige und Mauern, die als Abbreviatur fu¨r das sta¨dtische Gemeinwesen stehen37. Kirchen, Befestigungen, Bebauung und Details, die den Gewerbefleiss der Bu¨rger andeuten, zeigen, dass es sich um eine gut regierte und wohl geordnete Stadt handelt. Der Himmel u¨ber Trier ist nicht nur von Wolken bedeckt, genau in der Mitte und u¨ber den Hauptkirchen der Stadt erkennt man einen Wappenschild. Er wird von einem Lorbeerkranz mit weit ausschwingenden Ba¨ndern geschmu¨ckt, unter ihm ha¨ngt ein Schild mit dem Namen der Stadt, welcher von zwei Engeln pra¨sentiert wird. Das Amtswappen des Erzbischofs Johann von Isenburg soll uns eine Botschaft mitteilen: Sein Wappenschild schwebt u¨ber der Kommune, er ist der Stadtherr, auf ihn gehen Ordnung und gute Regierung des Gemeinwesens zuru¨ck. Damit wird ein verfassungspolitischer Anspruch formuliert, der nur bedingt den Tatsachen entsprach; der Prozess um die Reichsunmittelbarkeit der Stadt Trier sollte sich erst 1580 zu Gunsten des Kurfu¨rsten entscheiden, der Holzschnitt dient hier also als Medium territorialpolitischer Propaganda38. Mo¨glicherweise kann man auch die u¨berho¨ht dargestellten Kirchen als Hinweis nicht nur auf die Fro¨mmigkeit der Bewohner, sondern auch als Bekenntnis zum katholischen Glauben deuten: Wir befinden uns im Zeital-

35 Gunther Franz, Das Trierer Gerichtsbild von 1589, in: Hexenglaube und Hexenprozesse im Raum

Rhein-Mosel-Saar, hg. v. Dems./Franz Irsigler (Trierer Hexenprozesse 1), Trier 2. Aufl. 1995, S. 519–526; ders., Trier (wie Anm. 32), S. 385; Richard van Du¨lmen, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der fru¨hen Neuzeit, Mu¨nchen 1988, S. 97–101. 36 Der Petrisberg in Trier. Vom Ro¨merlager zum Wissenschaftspark, Trier 2004. 37 Peter Johanek, Die Mauer und die Heiligen. Stadtvorstellungen im Mittelalter, in: Behringer/Roeck, Bild der Stadt (wie Anm. 7), S. 26–38; Sergiusz Michalski, Vom himmlischen Jerusalem bis zu den Veduten des 18. Jahrhunderts – Symbolik und Darstellungsparadigmen der Stadtprofilansichten, in: ebd., S. 46–55. 38 Richard Laufner, Triers Ringen um die Stadtherrschaft vom Anfang des 12. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, in: Trier. Ein Zentrum abendla¨ndischer Kultur (JbRhVDenkm 34), Neuss 1952, S. 151–174; Benedikt Caspar, Das Erzbistum Trier im Zeitalter der Glaubensspaltung bis zur Verku¨ndigung des Tridentinums in Trier im Jahre 1569 (RefStud 90), Mu¨nster 1966; Hansgeorg Molitor, Kirchliche Reformversuche der Kurfu¨rsten und Erzbischo¨fe von Trier im Zeitalter der Gegenreformation (VInstEurG Mainz 43), Wiesbaden 1967; ders., Kurtrier, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 5: Der Su¨dwesten, hg. v. Anton Schindling/Walter Ziegler (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 53), Mu¨nster 1993, S. 51–71.

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ter von Reformation und katholischer Reform, und dieses Thema war eng mit dem der Stadtherrschaft verwoben; der Trierer Reformationsversuch scheiterte 155939. Sebastian Mu¨nsters Stadtansicht bzw. ihr erzbischo¨flicher Auftraggeber wollen also ein bestimmtes Image der Stadt vermitteln. Die Botschaft ist eindeutig. Trier ist eine heilige Stadt, die vom erzbischo¨flichen Stadtherrn gut regiert wird, was sich in ihrem geordneten und scho¨nen Erscheinungsbild zeigt, und die von den Tu¨rmen der Kirchen, welche die in ihnen verehrten Heiligen repra¨sentieren, u¨berragt und beschu¨tzt wird. Das Modell der Heiligen Stadt steht dabei in einer langen, bis ins hohe Mittelalter zuru¨ckreichenden Tradition40, die im konfessionellen Zeitalter neu formuliert wird. Trier ist außerdem eine alte Stadt, besitzt neben den Kirchen noch zahlreiche ro¨mische Altertu¨mer, die im Zeitalter von Renaissance und Humanismus natu¨rlich auf besonderes Interesse stießen. Um diese Botschaft zu formulieren und ¨ ffentlichkeit mitzuteilen, sie in einem geographischen Sammelwerk einer breiten O hat der Trierer Kurfu¨rst viel Aufwand betrieben; darin ist wohl auch der Grund zu suchen, warum die Trierer Stadtansicht wesentlich aufwa¨ndiger gestaltet ist als die der Metropolen Mainz oder Nu¨rnberg. Es gibt neben der Deutschlandbeschreibung des Cochlaeus auch noch andere Quellen, die das Image Triers als alte und heilige Stadt besta¨tigen. Im Zusammenhang mit der nach der Erhebung des Hl. Rocks 1512 einsetzenden Wallfahrt erschien eine Vielzahl von Heiltumsschriften, welche die Trierer Weisung zu einem der wichtigsten Medienereignisse am Vorabend der Reformation machten41. Von den Publi39 Hans-Christoph Rublack, Gescheiterte Reformation. Fru¨hreformatorische und protestantische

Bewegung in su¨d- und westdeutschen Residenzen (Spa¨tmittelalter und Fru¨he Neuzeit 4), Stuttgart 1978, S. 92–104; J. F. Gerhard Goeters, Der Trierer Reformationsversuch von 1559 im Rahmen der deutschen Reformationsgeschichte, in: MhEvKGRhld 37–38 (1988–1989), S. 267–285; Fu¨r Gott und die Menschen. Die Gesellschaft Jesu und ihr Wirken im Erzbistum Trier (QAbhMrhKG 66), Mainz 1991; Hansgeorg Molitor, Universita¨t und Politik. Das Gutachten der Tu¨binger Juristischen Fakulta¨t von 1559 zur stadttrierischen Reformation, in: Anknu¨pfungen. Kulturgeschichte – Landesgeschichte – Zeitgeschichte. Geda¨chtnisschrift fu¨r Peter Hu¨ttenberger (Du¨sseldorfer Schrr. zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens 39), Essen 1995, S. 97–104. 40 Vgl. allg. Hans Conrad Peyer, Stadt und Stadtpatron im mittelalterlichen Italien (Wirtschaft Gesellschaft Staat. Zu¨rcher Studien zur allgemeinen Geschichte 13), Zu¨rich 1955; Ernst Voltmer, Leben im Schutz der Heiligen. Die mittelalterliche Stadt als Kult- und Kampfgemeinde, in: Die Okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugeho¨rigkeit in Antike und Mittelalter, hg. v. Christian Meier (HZ, Beih. NF 17), Mu¨nchen 1994, S. 213–242; Toni Diederich, Stadtpatrone an Rhein und Mosel, in: RhVjbll 58 (1994), S. 25–86; Wilfried Ehbrecht, Die Stadt und ihre Heiligen. Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Sta¨dte, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande (Studien zur Regionalgeschichte 5), Bielefeld 1995, S. 197–257; Klaus Graf, Maria als Stadtpatronin in deutschen Sta¨dten des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, in: Fro¨mmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, ko¨rperliche Ausdrucksformen, hg. v. Klaus Schreiner, Mu¨nchen 2002, S. 125–154; Beate Weifenbach, Freiheit durch Pri¨ berlegungen zur spa¨tmittelalterlichen Inszenierung reichsvilegien und Schutz durch Reliquien. U sta¨dtischer Freiheit anla¨ßlich des Besuchs Kaiser Karls IV. in Dortmund, in: BllDtLG 137 (2001), S. 223–256; Dies./Thomas Schilp (Hg.), Die mittelalterliche Stadt und ihr heiliger Patron. Reinoldus und die Dortmunder Bu¨rgergemeinde (VStadtADortmund 15), Essen 2000; Sta¨dtische Repra¨sentation. St. Reinoldi und das Rathaus als Schaupla¨tze des Dortmunder Mittelalters, hg. v. Nils Bu¨ttner u. a. (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 5), Bielefeld 2005. 41 Wolfgang Seibrich, Die Heilig-Rock-Ausstellungen und Heilig-Rock-Wallfahrten von 1512 bis 1765, in: Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi, Trier 1995,

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kationen seien nur zwei herausgegriffen: 1512 erschien in Nu¨rnberg ein Druck mit dem Titel Wahrhafftige Sag oder red von dem Rock Jesu Christi / Neulich in der heyligen Stat Trier Erfunden. Der Text des Heftes, ein Werk des Straßburger Humanisten Johann Adelphus Muling, besteht aus vier Teilen, von denen sich der erste mit der Geschichte und Topographie der Stadt Trier befasst. Referiert wird die Gru¨ndungslegende durch den assyrischen Ko¨nigssohn Trebeta 2220 Jahre vor Christus, eine Geschichte, die auch Johann Cochlaeus vertraut war. Dann werden die Lage der Stadt zwischen Weinbergen, die Mauern und Tu¨rme sowie die Ro¨merbauten – Basilika und Moselbru¨cke – beschrieben. Breiten Raum nehmen die geistlichen Institutionen ein, etwa das Simeonstift in der ro¨merzeitlichen Porta Nigra, St. Maximin, wo unza¨hlige Heiltu¨mer gezeigt wurden, sowie St. Matthias mit seiner beru¨hmten Bibliothek und dem silbernen Apostelschrein. Nach dieser Einleitung, die das humanistische Interesse des Autors an Geschichte, Geographie und Vo¨lkerkunde erkennen la¨sst, folgt das zweite Kapitel Von dem heiltumb neulich erfunden42. Noch einseitiger ist das Bild, das der bedeutendste Trierer Heiltumsdruck, die Medulla Gestorum Treverensium des Trierer Weihbischofs Johann Enen, von dem 1514 eine deutsche und 1517 eine lateinische Ausgabe erschien, von der Stadt zeichnet. Das Buch entha¨lt in seinem ersten, historischen Teil eine Geschichte der Trierer Kirche und in seinem zweiten, dem topographischen Teil, eine Stadtbeschreibung, die nach den verschiedenen Kirchen gegliedert ist und dann sa¨mtliche in ihnen verehrten Reliquien auflistet. Enen lobt das Verhalten des ersamen raedt der statt Trier und der Bu¨rgermeister, die sich bei der Erhebung und Weisung des Hl. Rocks ehrbar gezeigt und einvernehmlich mit den Domherren gehandelt ha¨tten. Dennoch habe der Teufel seine Boten an einige Orte geschickt, die verbreiteten, die Trierer ha¨tten alle Geistlichen totgeschlagen. In Wirklichkeit sei das Gegenteil der Fall, die Trierer wu¨rden ihren Klerikern allen Respekt erweisen43. Fu¨r die Bu¨rger, die Handwerker und Kaufleute, ist in diesem Panorama einer civitas sancta kein Platz. Trier ist eine Stadt der Erzbischo¨fe, Kanoniker, Mo¨nche und Nonnen, der Pilger und Bu¨ßer, vor allem aber der zahlreichen Heiligen. Der Rat wird zwar gelobt, weil er sich vorbildlich um die Organisation der Hl. Rock-Weisung bemu¨ht hat. Dass sein Selbstversta¨ndnis durchaus auch religio¨s legitimiert war, wird dagegen verschwiegen. Wenige Jahre vor der Erhebung des Hl. Rocks wurde 1481/83 die Steipe am Hauptmarkt als Fest- und Empfangshaus des Rates umgebaut. An dem ¨ ., dem Patron des Jakobsspitals, Helena, der Geba¨ude sind Figuren von Jakobus d. A ¨ Uberbringerin des Hl. Rocks, und Paulus, dem Schutzpatron der Universita¨t, sowie Petrus angebracht – also ein Bildprogramm, das sta¨dtisches Selbstbewusstsein unter S. 175–217, hier S. 177–190; ders., Die Trierer Heiltumsfahrt im Spa¨tmittelalter, in: ArchMrhKG 47 (1995), S. 45–125. 42 Wolfgang Seibrich, Die Heiltumsbu¨cher der Trierer Heiltumsfahrt der Jahre 1512–1517, in: ArchMrhKG 47 (1995), S. 127–147, Nr. 13; Hans-Joachim Ko¨hler, Bibliographie der Flugschriften des 16. Jahrhunderts, 7 Bde., Tu¨bingen 1991–1999, Nr. 32, Fiche 1323, Nr. 3463; Schmid, Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 4), S. 33–42. 43 Schmid, Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 4), S. 55–103; Die Medulla Gestorum Treverensium des Johann Enen. Ein Trierer Heiltumsdruck von 1514. Faksimileausgabe und Kommentar, hg. v. dems./Michael Embach (Armarium Trevirense 2), Trier 2004.

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Beweis stellt und signalisiert, dass Stadt, Rat und Marktgeschehen unter dem unmittelbaren Schutz der Heiligen stehen44. Nicht nur die Steipe, auch der spa¨tgotische Marktbrunnen von 1496 mit dem hl. Petrus und die 1513 eingerichtete Ratskapelle mit ihrem „Altar der Stadtpatrone“, alle diese Elemente religio¨s begru¨ndeter kommunaler Selbstdarstellung fehlen in der Medulla45. Anhand der Trierer Heiltumsdrucke, von denen hier nur zwei herausgegriffen werden konnten, la¨sst sich belegen, dass sie ein a¨hnliches Image der Stadt vermitteln sollten wie die Stadtansicht in Sebastian Mu¨nsters Topographie und die Trierbeschreibung bei Johann Cochlaeus. Hinzuweisen ist außerdem auf die große Popularita¨t der Quellengruppen Heiltumsschrift und Stadtbeschreibung, die in beachtlichen Auflagen und zudem in lateinischen sowie deutschsprachigen Ausgaben auf den Markt gebracht wurden. Um die Interpretation der Stadtansicht der Cosmographia in einigen Aspekten zu vertiefen, sollten wir noch eine weitere Stadtansicht heranziehen. Auf einen Vergleich mit der Trieransicht in der Schedelschen Weltchronik von 1493 sei verzichtet, weil dieselbe phantastische Stadtansicht fu¨r Trier wie auch fu¨r Padua, Marseille, Metz und Nica¨a verwendet wurde (Abb. 5)46. Statt dessen mo¨chte ich einen Blick in die 1646 in Frankfurt erschienene Topographia Archiepiscopatuvm Moguntinensis, Treuirensis, ¨ . werfen. Das et Coloniensis des Kupferstechers und Verlegers Mattha¨us Merian d. A Gesamtwerk, die Topographia Germaniae, umfasst insgesamt 16 Ba¨nde und erschien in den Jahren 1642 bis 1654; es ist mit ca. 2000 Stadtansichten ausgestattet47.

44 Hermann Spoo, Beitra¨ge zur Geschichte der Steipe zu Trier, in: TChr 17 (1921), S. 25–27, 43–44, 62–63,

76–80; Walter Queck (Hg.), Die Steipe. Eine Dokumentation, Trier 1972; Michael Matheus, Trier am Ende des Mittelalters. Studien zur Sozial-, Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte der Stadt Trier vom 14. bis 16. Jahrhundert (THF 5), Trier 1984, S. 68, 130, 226, 250; Wolfgang Schmid, Der Bischof, die Stadt und der Tod. Kunststiftungen und Jenseitsfu¨rsorge im spa¨tmittelalterlichen Trier, in: Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Michael Borgolte (Stiftungsgeschichten 1), Berlin 2000, S. 171–256, hier S. 172–174; Christoph Ku¨hn, Heilige und Bu¨rger – Die Skulpturenfassade der Trierer Steipe, in: Der Jakobuskult in „Kunst“ und „Literatur“, hg. v. Klaus Herbers/Robert Plo¨tz (Jakobus-Studien 9), Tu¨bingen 1998, S. 51–60. 45 Matheus, Trier am Ende (wie Anm. 44), S. 132; Uwe Heckert, Die Ratskapelle als religio¨ses und politisches Zentrum der Ratsherrschaft in deutschen Sta¨dten des spa¨ten Mittelalters, Diss. phil. Bielefeld 1997. 46 Elisabeth Ru ¨ cker, Die Schedelsche Weltchronik. Das gro¨ßte Buchunternehmen der Du¨rer-Zeit. Mit einem Katalog der Sta¨dteansichten (Bibl. des Germanischen National-Museums Nu¨rnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte 33), Mu¨nchen 1973; Adrian Wilson, The Making of the Nuremberg Chronicle, Amsterdam 1976; 500 Jahre Schedelsche Weltchronik, hg. v. Stephan Fu¨ssel (Pirckheimer Jb. 9), Nu¨rnberg 1994; ders., Hartmann Schedel: Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Ko¨ln 2001. 47 Lucas Heinrich Wu ¨ thrich, Das druckgraphische Werk von Matthaeus Merian d. Ae. 3 Bde., Basel 1966–1993; Wilhelm Bingsohn/Ute Schneider (Red.), Catalog zu Ausstellungen im Museum fu¨r Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn und im Kunstmuseum Basel als unsterblich Ehren-Geda¨chtnis zum 400. Geburtstag des hochberu¨hmten Delineatoris (Zeichners), Incisoris (Stechers) et Edi¨ lteren: Worin eygentlich beschrieben und abgebildet wird toris (Verlegers) Matthaeus Merian des A sein gantzes Leben, seine Handzeichnungen, die Wercke zur Topographia, die Icones Biblicae ... ¨ ltere: Von der lieblichen LandKat. Frankfurt 1993; Ulrike Valeria Fuss, Matthaeus Merian der A schaft zum Kriegsschauplatz. Landschaft als Kulisse des 30ja¨hrigen Krieges (EuropHochschulSchrr ¨ .: A ¨ tzku¨nstler und Verleger (VStadtASchweinfurt 17), 28, 350), Frankfurt 2000; Mattha¨us Merian d. A

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Ein Blick auf die Trierer Stadtansicht zeigt, welche Fortschritte die Kupferstecher des 17. Jahrhunderts gegenu¨ber den Holzschnitten der ein Jahrhundert a¨lteren Cosmographia gemacht haben (Abb. 6). Der Zeichner bzw. Kupferstecher hat den glei-

Abb. 5: Ansicht der Stadt Trier 1493 Quelle: Schedelsche Weltchronik 1493. Bibliothek des Bischo¨flichen Priesterseminars Trier

chen Standort aufgesucht und zahlreiche Details aus dem Stadtprospekt von Sebastian Mu¨nster u¨bernommen. Detailvergleiche zeigen, dass er keine Neuaufnahme vorgenommen hatte und sich auch nicht um eine Aktualisierung bemu¨ht hat (Abb. 7): Die Tu¨rme von St. Paulin wurden 1552 zersto¨rt, die Turmspitze von Liebfrauen 1631 durch einen Sturm bescha¨digt und die Barbarathermen 1610/14 zur Steingewinnung teilweise gesprengt. Dagegen fehlen das 1605 geweihte Noviziat des Jesuitenordens hinter dem Moselkran und der Westturm der 1621 neu geweihten Kir-

Kat. Schweinfurt 2003; Mattha¨us Merian, Topographia Archiepiscopatuvm Moguntinensis, Treuirensis, et Coloniensis ... 1. Aufl. Frankfurt 1646, 2. Aufl. 1675, Neuausgabe, hg. v. Lucas Heinrich Wu¨thrich, Kassel/Basel 1969. Zur Trieransicht siehe Franz, Trier (wie Anm. 32), und Rosar, Gesamtansichten (wie Anm. 32).

Abb. 6: Ansicht der Stadt Trier 1646

Quelle: Mattha¨us Merians Topographia Germaniae 1646. Original: 20,8 × 33,6 cm. Kunsthaus am Museum Trier

138 Wolfgang Schmid

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che St. Maximin48. Dom und Liebfrauen sind weiterhin deutlich u¨berho¨ht dargestellt. Das Moselschiff hat bei Merian ein gebla¨htes Segel bekommen, die umliegenden Mittelgebirge mit Weinbergen und Wa¨ldern sind ebenso beruhigt wie der Himmel. Die

Abb. 7: Die Trierer Innenstadt mit dem Dom, der Liebfrauenkirche, St. Gangolph und der Basilika Quelle: Ausschnitt aus Merians Topographia Germaniae 1646. Kunsthaus am Museum Trier

Wappenkartusche ist vereinfacht, was vor dem neu gestalteten Himmel ihre monumentale Wirkung eher noch steigert: Es ist das Amtswappen des regierenden Erzbischofs Philipp Christoph von So¨tern. Rechts davon schwebt das Trierer Petruswap¨ cker am diesseitipen. Trier ist also eine Weinstadt und eine Stadt der Bauern, deren A gen Moselufer liegen. Es ist eine Stadt der Kaufleute und Schiffer, die die Uferpartien bevo¨lkern, wo eine große Zahl von Personen damit bescha¨ftigt ist, die vielen angelegten Schiffe zu entladen. Trier ist mitten im Dreißigja¨hrigen Krieg eine wirtschaftlich prosperierende Stadt, bei der die Mauer und die zahlreichen Kirchen vom Wohlstand der Bu¨rger, von ihrer Rechtgla¨ubigkeit und von der guten Regierung Zeugnis ablegen. Mit der Wirklichkeit hat dieses Bild wohl wenig zu tun. Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass Stadtansichten des 15., 16. und 17. Jahrhunderts kein realistisches

48 Franz, Trier (wie Anm. 32), S. 386.

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Bild der Wirklichkeit darstellen, sondern dass sie versuchen, ein bestimmtes Bild, wie sich die Stadt selbst, der Landesherr oder die Auftraggeber des Holzschneiders sahen, einem Publikum zu vermitteln. Dieses Image sollte nicht ausschließlich die Realita¨t widerspiegeln, sondern das Bild der Stadt einem bestimmten Modell anna¨hern, eine Vorgehensweise, wie sie auch von Portra¨ts und Medaillen der Renaissance bekannt ist. Wichtig ist neben der topographischen Genauigkeit das Image des Gemeinwesens, das die Holzschnitte vermitteln wollen: Das hohe Alter ha¨tte man auch in Mainz und Ko¨ln hervorheben ko¨nnen, zumal in Ko¨ln auf den Randleisten des MercatorPlans von 1570 auch Antiken aus den Sammlungen Ko¨lner Bu¨rger gezeigt werden. Hier bot der Himmel u¨ber der Stadt genug Platz, zusa¨tzliche Bedeutungstra¨ger darzustellen49. Darstellungen der Ursulalegende zeigen, dass nicht nur der Himmel, sondern auch der Stadtrand Ko¨lns als Staffage fu¨r das Martyrium von Heiligen genutzt wurde. In Mu¨nsters Cosmographia finden wir viele Wappen, aber auch Putten und allegorische Gestalten, die u¨ber die Sta¨dte Ulm und Freiburg fliegen. Vor allem blieb die Vorstellung der Heiligen, die vom Himmel aus ihr Gemeinwesen beschu¨tzen, nicht auf das Mittelalter beschra¨nkt. Beispiele sind drei Ko¨lnansichten des 17. Jahrhunderts, bei der die heilige Stadt von einer Schar von Heiligen beschu¨tzt wird. Es handelt sich um Wenzel Hollars große Ko¨lnansicht von 1635 sowie um die beiden Vogelschaupla¨ne von 1658 und 167050. Dass das Image der frommen und wohlregierten Gemeinde auch in den Stadtbeschreibungen evangelischer Sta¨dte eine wichtige Rolle spielt, sei hier nur am Rande erwa¨hnt51.

III. ¨ berlegungen ließen sich noch erheblich verDie am Beispiel Triers skizzierten U tiefen, wenn weitere Stadtansichten aus der Schedelschen Weltchronik, aus Sebastian Mu¨nsters Cosmographia oder der Topographie Mattha¨us Merians herangezogen wu¨rden. Doch soll im dritten Teil noch eine andere Quelle ausgewertet werden, die bereits angesprochene Brevis Germaniae Descriptio des Nu¨rnberger Lateinlehrers Johann Cochlaeus von 1512, ein geographisches Lehrbuch fu¨r den Schulgebrauch. Das Werk behandelt in den ersten beiden Kapiteln die Geschichte der Germanen bzw. Deutschen, wobei der Hinweis auf Autoren nicht fehlen darf, die behaupten, die Stadt Trier sei weitaus a¨lter als Rom. Cochlaeus la¨sst die Epoche zwischen

49 Wolfgang Schmid, Ko¨lner Sammler im Renaissancezeitalter, in: Lust und Verlust – Ko¨lner Sammler

zwischen Trikolore und Preußenadler, hg. v. Hiltrud Kier/Frank Gu¨nter Zehnder, Kat. Ko¨ln 1995, S. 15–30; Isabelle Kirgus, Die Rathauslaube in Ko¨ln (1569–1573). Architektur und Antikerezeption (Sigurd Greven-Studien 4), Bonn 2003, S. 28–31. 50 Werner Scha¨fke (Bearb.), Ko¨ln in Vogelschauansichten, Kat. Ko¨ln 1992, Nr. 11–12; ders. (Hg.), Wenzel Hollar – Die Ko¨lner Jahre. Zeichnungen und Radierungen 1632–1636, Kat. Ko¨ln 1992, S. 39–51. 51 Hammel-Kiesow, Hansesta¨dte im Sta¨dtelob (wie Anm. 5).

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Karl dem Großen und Kaiser Maximilian aus; auch in der Medulla klafft eine Lu¨cke zwischen den Martyrien der Trierer Heiligen in der Spa¨tantike und der Erhebung des Hl. Rocks durch Kaiser Maximilian 1512. Das dritte Kapitel entha¨lt eine allgemeine Deutschlandbeschreibung. In ihr wird selbstbewußt auf die unza¨hligen Sta¨dte mit ihren großartigen Geba¨uden und Mauern, Wa¨llen, Gra¨ben, Tu¨rmen, mit zahlreichen Kirchen, guten Gesetzen und o¨ffentlichen Einrichtungen verwiesen; sie stehen an urbaner Lebensqualita¨t hinter den italienischen Sta¨dten nicht zuru¨ck. Das umfangreiche Kapitel vier ist seiner Heimatstadt Nu¨rnberg gewidmet. Die wohlregierte Pegnitzstadt mit ihren fleißigen und frommen Bu¨rgern wird ausfu¨hrlich beschrieben. Die Kapitel fu¨nf bis acht beschreiben die Vo¨lker, Sta¨mme und Regionen Deutschlands und deren Sta¨dte, von denen etwa 60 kurz charakterisiert werden. Die Quellen von Cochlaeus sind eigene Ortskenntnis, antike Autoren (Tacitus, Ptoloma¨us) fu¨r die Ortsnamen und die historischen Teile sowie zeitgeno¨ssische Werke von Celtis, Wimpheling und Aeneas Sylvius. Schließlich war Nu¨rnberg, quasi centrum europae – wie ku¨rzlich der Titel einer Ausstellung lautete –, eine Stadt, die wie die Spinne im Netz der europa¨ischen Fernhandelsstraßen saß, der geeignete Platz, um Informationen u¨ber alle Sta¨dte Deutschlands zu beschaffen52. Johann Cochlaeus hat die meisten dieser Sta¨dte mit wenigen Worten beschrieben. Ein wichtiges Element – das ja auch bei Stadtansichten eine zentrale Rolle spielt – ist die Lage: Salzburg habe seinen Namen nach der Salzach, Basel liege am Rhein, Augsburg am Lech, Lu¨beck und Rostock seien fu¨r den Handel gu¨nstig am Meer gelegen, Passau befinde sich an der Donau am Zusammenfluss von Inn und Ilz, und Koblenz liege anmutig an der Moselbru¨cke53. Daneben spielt auch die Topographie eine wichtige Rolle, Burghausen z. B. besitze eine große und stark befestigte Burg, und in Breslau ga¨be es großartige Geba¨ude. Humanistisches Interesse a¨ußert sich auch in Aufzeichnungen zur Philologie und zur Geschichte. So wird Wien irrtu¨mlich mit dem bei Ptoloma¨us genannten Flexum identifiziert, Salzburg sei einst Badacum genannt worden, Merseburg wu¨rde auch Marsipolis heißen, Bingen sei bereits bei Tacitus erwa¨hnt, ebenso Mainz; auch bei Ko¨ln, Worms, Speyer und Straßburg werden die ro¨mischen Ortsnamen genannt. Philologische Kenntnisse zeigen sich auch daran, dass bei Lu¨ttich und Metz die Zweisprachigkeit der Bevo¨lkerung hervorgehoben wird, ebenso in Trient; in Krakau werden die zahlreichen Deutschen erwa¨hnt. Als drittes ist die Historie ein zentrales Element einer jeden Stadtbeschreibung. Basel und Konstanz waren Sta¨dte, in denen beru¨hmte Konzilien stattgefunden hatten. Bei Landau an der Isar werden die Kriegszersto¨rungen von 1504 erwa¨hnt, bei Erfurt

52 Hermann Maue´ u. a. (Hg.), Quasi Centrum Europae. Europa kauft in Nu¨rnberg. 1400–1800, Kat.

Nu¨rnberg 2002. Zur ‚Spinne im Netz‘ vgl. Hanns Hubert Hofmann, Nobiles Norimbergenses. Beobachtungen zur Struktur der reichssta¨dtischen Oberschicht, in: Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Sta¨dte in Europa, hg. v. Theodor Mayer (VuF 11), Konstanz/Stuttgart 1966, S. 53–92, S. 62. 53 Die Lage einer Stadt am Fluß spielt in antiken und humanistischen Stadtbeschreibungen, aber auch bei Stadtdarstellungen der Renaissance eine wichtige Rolle, vgl. Helmrath, Geschichtsbewußtsein (wie Anm. 16), S. 86.

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das Feuer von 1472. Bei Prag wird ausfu¨hrlich u¨ber die scha¨ndlichen Ketzer berichtet; die Hussitenkriege ha¨tten auch das goldene Bistum Breslau zu einem schmutzigen gemacht. Bru¨gge sei durch die Gefangenschaft Maximilians in Ungnade gefallen. In Neuss blieb die Erinnerung an die Belagerung durch Karl den Ku¨hnen wach. Weiterhin ist die Verfassung ein Thema, das Cochlaeus sehr interessiert. Kurz und pra¨gnant wird in vielen Fa¨llen angegeben, ob es sich bei einer Stadt um eine Bischofsstadt, eine Reichsstadt oder um eine landesherrliche Residenz handelt. Wien ist die ¨ sterreich, eine hochberu¨hmte Residenz und eine Begra¨bnissta¨tte Hauptstadt von O der Kaiser. Mu¨nchen wird als Amme der Bayernherzo¨ge bezeichnet, habe ein Wildgehege und sei fu¨r seine Lo¨wenzucht beru¨hmt. Prag wird als ko¨nigliche Hauptstadt und als Bischofsstadt charakterisiert. Regensburg sei gleichzeitig eine Bischofs- und eine Reichsstadt, ebenso Augsburg, und die Bischofsstadt Bamberg habe so viele Privilegien, dass sie gleichsam dem Papst selbst unterstellt sei. Wa¨hrend die Bescha¨ftigung mit Geschichte, Geographie und Philologie fu¨r einen Humanisten nichts Ungewo¨hnliches ist, zeigt sich Cochlaeus auch u¨ber die Wirtschaftsschwerpunkte der einzelnen Sta¨dte erstaunlich gut informiert. Basel sei als Druckereizentrum beru¨hmt, ebenso Straßburg. In Schwaz und Hall ga¨be es viele Erzbergleute, der Salzburger Bischof besitze Metallgruben, und vor der Stadt liege eine Saline, deren Salz man auf Pferden und Wagen nach Bayern ausfu¨hre. Von Graz kennt er die Metallindustrie und insbesondere die Herstellung von Winzermessern. In Eisleben werden die reichen Erzgruben genannt, in Goslar die Silbergruben, in Einbeck und Ansbach die Bierherstellung und in Lu¨neburg die Salinen, mit denen großer Gewinn erwirtschaftet werde. In Frankfurt wird die Rolle der Stadt als weit bekannte Handelsstadt und als Ort der zweimal ja¨hrlich stattfindenden Messen hervorgehoben. In Groningen erwa¨hnt Cochlaeus die Mitgliedschaft in der Hanse, die ansonsten in seiner Beschreibung eine bemerkenswert geringe Rolle spielt54. In Gent werden die zahlreichen Weber hervorgehoben, in Mecheln das Tuchgewerbe, in Herzogenbosch die Messerschmiede; Antwerpen sei die hervorragendste Handelsstadt in Deutschland. Boppard, Oberwesel, Kaub und Andernach schließlich seien fu¨r ihren Wein bekannt. Auch u¨ber die Wirtschaftsstruktur einzelner Regionen erfa¨hrt man Interessantes. Tirol z. B. mu¨sse Getreide einfu¨hren, sei aber fu¨r seine Metallindustrie und seinen Wein beru¨hmt. Brabant sei mit reichen Kaufleuten, begabten Ku¨nstlern, vortrefflichen Malern, hervorragenden Eisen- und Silberschmieden und ausgezeichneten Webern ausgestattet. Zudem ga¨be es hier an Gestalt und an Geschicklichkeit hervorragende Frauen. Auch das Thema Bildung besitzt einen hohen Stellenwert. Nachdem die Hochschulen von Ko¨ln (1388) und Trier (1473) bereits erwa¨hnt wurden, lassen sich noch Ingolstadt (1459), wo die artes liberales und die Rechtswissenschaft blu¨hen, und Heidelberg (1385) anfu¨hren, eine weitere Pflegerin der sieben freien Ku¨nste. Neben Freiburg (1457) wird Prag (1347) genannt, vor der Hussitenzeit eine blu¨hende Wissen-

54 Czaja, Bild und Wahrnehmung (wie Anm. 5), darin insbesondere Hammel-Kiesow, Hansesta¨dte im

Sta¨dtelob (wie Anm. 5), der auf der Grundlage von laudes fu¨r acht Hansesta¨dte aufzeigen kann, dass hier die gleichen literarischen Modelle verwendet wurden wie bei den Binnensta¨dten.

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schaftsstadt; heute weise es nur noch den Bodensatz geistiger Ta¨tigkeit auf. Es folgen Wien (1365) und Leipzig (1409), eine holde Pflegerin der freien Ku¨nste und eine blu¨hende Handelstadt. In Krakau (1364) werde neben den freien Ku¨nsten vor allem die Astronomie gelehrt (Kopernikus, Regiomontan)55. Nach Frankfurt an der Oder (1498), Rostock (1419) und Erfurt (1378) wird Lo¨wen (1425) als Universita¨ts¨ berschwa¨nglich gelobt wird das erst 1502 gegru¨ndete Wittenberg, wo stadt genannt. U die Wissenschaftsfo¨rderung des sa¨chsischen Kurfu¨rsten hervorgehoben wird, der die Hohe Schule mit von u¨berall her herbeigerufenen Gelehrten geschmu¨ckt und sie mit reichen Einku¨nften ausgestattet habe. Schließlich nennt Cochlaeus noch die Schulen der devotio moderna in Deventer und Emmerich56. Cochlaeus kennt also fast alle Hochschulen in Deutschland, von denen er die Ko¨lner alma mater besonders scha¨tzt. Nach der Beschreibung von Trier und Ko¨ln sowie nach dem Druckdatum 1512, also im Jahr der Erhebung des Hl. Rocks und am Vorabend der Reformation, zu urteilen, wu¨rde man eigentlich erwarten, dass Kirchen, Heilige und Reliquien in der Charakterisierung der einzelnen Sta¨dte eine bedeutende Rolle spielen. Wenn die knappen Bemerkungen u¨ber Deutschland im allgemeinen in Kapitel drei und die Schilderung der Stadt Nu¨rnberg in Kapitel vier, wo die Fro¨mmigkeit, die Spita¨ler, die Almosen und die Stiftungen der Nu¨rnberger genannt werden, einmal beiseite gelassen werden, dann lassen sich folgende Belege zur Unterstu¨tzung dieser Vermutung anfu¨hren: An Kirchen und Klo¨stern hebt er in Franken das besonders reiche Kloster Heilsbronn hervor, ein 1132 gestiftetes Zisterzienserkloster mit der Grabsta¨tte der Nu¨rnberger Burggrafen und einer wertvollen Bibliothek. In Magdeburg hat ihn die stattliche Kirche des hl. Mauritius beeindruckt, die aus behauenem Stein errichtet und ein edles Werk der Ottonen sei; es handelt sich um das 937 gegru¨ndete spa¨tere Domstift. In Halberstadt erwa¨hnt er die 804 von Kaiser Karl dem Großen gegru¨ndete Domkirche St. Stephan und Sixtus, die auf einem Berg liege, vom dem aus man die großartigen Sitze der Domherren betrachten ko¨nne. Das hessische Fulda sei das ma¨chtigste Kloster in Deutschland, in dem einst die theologischen Wissenschaften geblu¨ht ha¨tten und das sich jetzt durch weltliche Macht auszeichnet. Das 744 gegru¨ndete Kloster, das unmittelbar dem pa¨pstlichen Stuhl unterstellt war, barg das Grab des hl. Bonifatius. Geradezu als Weltwunder galt die Liebfrauenkirche in Antwerpen, eine spa¨tgotische

55 Jo´zef Babicz, Die exakten Wissenschaften an der Universita¨t zu Krakau und der Einfluß Regiomon-

¨ sterAkWiss, Phil.tans auf ihre Entwicklung, in: Regiomontanus-Studien, hg. v. Gu¨nther Hamann (O Hist. Kl., Sbb. 364), Wien 1980, S. 301–314; Wolfgang von Stromer, Krakau und Nu¨rnberg zur Zeit des Veit Stoß, 1477–1533, in: Veit Stoß. Die Vortra¨ge des Nu¨rnberger Symposiums, hg. v. Rainer Kahsnitz, Mu¨nchen 1985, S. 9–18; Matthias Mende, Krakau und Nu¨rnberg, in: Krakau und Nu¨rnberg. Zur Topographie zweier Kultursta¨dte Europas, Kat. Nu¨rnberg 1989, S. 11–15; Andrea Langer/Georg Michels (Hg.), Metropolen und Kulturtransfer im 16. Jahrhundert. Prag – Krakau – Danzig – Wien (Forsch. zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropas 12), Stuttgart 2001. 56 Edith Ennen, Die Lateinschule in Emmerich – niederrheinisches Beispiel einer bedeutenden Schule in einer kleinen Stadt, in: Studien zum sta¨dtischen Bildungswesen des spa¨ten Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Bernd Moeller/Hans Patze/Karl Stackmann (AbhAkWissGo¨tt, Phil.-Hist. Kl., 3. F. 137), Go¨ttingen 1983, S. 235–242; Jutta Prieur, Zur „devotio moderna“ am Niederrhein, in: Kurko¨ln. Land unter dem Krummstab (Vero¨ff. der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen C 33 = Schriftenreihe des Kreises Viersen 35a), Kat. Kevelaer 1985, S. 215–223.

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siebenschiffige Kirche mit einem 123 Meter hohen Turm, die wenige Jahre spa¨ter auch den Nu¨rnberger Maler Albrecht Du¨rer auf seiner Reise in die Niederlande faszinierte. An Reliquien und Wallfahrten wird in Trient erwa¨hnt, dass hier eines der unschuldigen Kindlein gezeigt wu¨rde, die Herodes hatte hinrichten lassen. In St. Wolfgang am Wolfgangsee werden die Wunder des Regensburger Bischofs Wolfgang, 994 gestorben und in Regensburg begraben, genannt. Marburg sei durch die Reliquien der 1231 verstorbenen hl. Elisabeth geadelt, und in Bamberg werden der Bistumsgru¨nder Kaiser Heinrich II. († 1024) und seine Gattin Kunigunde verehrt. Im brandenburgischen Wilsnack wird berichtet, dass sich hier drei Hostien befa¨nden, die Blut schwitzten. Zahlreiche Pilger wu¨rden deshalb hier zusammenstro¨men, darunter Schiffer, die ein Gelu¨bde abgelegt hatten57. In Aachen wird der multifunktionale Charakter der Stadt als Zentrum der Tuchweberei und als Ba¨derstadt hervorgehoben, weiter die Kirche der hl. Jungfrau Maria sowie die Reliquien und Denkma¨ler Kaiser Karls des Großen. Einen Hinweis auf die Aachenfahrt, die wohl wichtigste Wallfahrt im westdeutschen Raum, vermisst man ebenso wie eine Nachricht auf die Rolle Aachens als Kro¨nungsort der ro¨mischen Ko¨nige58. Auch bei Frankfurt fehlt jeder Hinweis auf die Ko¨nigswahl, und sogar in seiner Heimatstadt vermisst man einen Hinweis auf die 1424 nach Nu¨rnberg gebrachten Reichskleinodien, deren Weisung im Mittelpunkt der Nu¨rnberger Heiltumsmesse stand59. Angesichts des Stolzes, mit dem Cochlaeus die Geschichte und die Leistungen der Deutschen hervorhebt, erscheint dies zumindest befremdlich. Die leider nur sehr kursorische Auswertung der Deutschlandbeschreibung des Johann Cochlaeus hat zu zwei Ergebnissen gefu¨hrt. Erstens besitzt jede Stadt ein Image, sie verfu¨gt u¨ber Eigenschaften, die einem Zeitgenossen auf Anhieb einfielen. Dies ko¨nnen Einzelfakten sein wie der Wein in Boppard, Oberwesel und Bacharach oder die Fu¨lle der Fische, die fu¨r Greifswald, Wismar und Stralsund charakteristisch ist. Große Sta¨dte wie Antwerpen, Basel, Ko¨ln oder Nu¨rnberg besitzen eine Vielzahl typischer Elemente, bei denen immer wieder erstaunt, was den Zeitgenossen im Geda¨chtnis haften blieb und was nicht. Inhaltlich besaßen diese Images eine breite Streuung von der Lage u¨ber die Geschichte, die Verfassung, die Topographie,

57 Hartmut Boockmann, Der Streit um das Wilsnacker Blut, in: ZHF 9 (1982), S. 385–408; Claudia

Lichte, Die Inszenierung einer Wallfahrt. Der Lettner im Havelberger Dom und das Wilsnacker Wunderblut, Worms 1990. 58 Edith Ennen, Aachen im Mittelalter. Sitz des Reiches – Ziel der Wallfahrt – Werk der Bu¨rger [1981], in: Dies., Gesammelte Abhandlungen zum europa¨ischen Sta¨dtewesen und zur rheinischen Geschichte, Bd. 2, Bonn 1987, S. 3–27; Birgit Lermen/Dieter P. J. Wynands, Die Aachenfahrt in Geschichte und Literatur, Aachen 1986; ders., Geschichte der Wallfahrten im Bistum Aachen (Vero¨ff. des Bischo¨flichen Dio¨zesanarchivs Aachen 41), Aachen 1986; ders., Die Aachener Heiltumsfahrt. Kontinuita¨t und Wandel eines mittelalterlichen Reliquienfestes (Ortstermine 8), Siegburg 1996; Dagmar Preising, Die Aachener Heiligtumsfahrt. Bildzeugnisse und Dokumente, Kat. Aachen 1993; Klaus Herbers, Stadt und Pilger, in: Stadt und Kirche, hg. v. Franz-Heinz Hye (BGStM 13), Linz 1995, S. 199–233; Kro¨nungen. Ko¨nige in Aachen – Geschichte und Mythos, Kat. 2 Bde., Aachen 2000. 59 Julia Schnelbo ¨ gl, Die Reichskleinodien in Nu¨rnberg. 1424–1523, in: MittVGNu¨rnberg 51 (1962), S. 78–159; Hartmut Ku¨hne, Ostensio Reliquiarum. Untersuchungen u¨ber Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsanweisungen im ro¨misch-deutschen Regnum (ArbKG 75), Berlin 2000, S. 133–152.

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die Wirtschaft, die Bildungseinrichtungen bis zu den Kirchen. Viele dieser Images beruhten auf literarischen Quellen, auf antiken Autoren wie auf Weltchroniken, sie spiegeln den Bildungshorizont des Humanisten wider, aber auch die Kenntnis von Waren, die er auf dem Nu¨rnberger Markt kaufen konnte: Messer aus Solingen, Ko¨lner Borten und Augsburger Silber waren Produkte, die durch ein fru¨hes Markenzeichenrecht, durch Stadt- und Zunftmarken oder Tuchplomben, geschu¨tzt werden sollten und eben auch das Image ihrer Erzeugerstadt pra¨gten60. Ein Gedicht des 15./16. Jahrhunderts charakterisiert zwo¨lf Hansesta¨dte nach ihren Hauptprodukten; Lu¨beck sei ein Kaufhaus, Ko¨ln ein Weinhaus, Braunschweig ein Zeughaus und Danzig ein Kornhaus ... 61 Ein zweites Ergebnis sei hervorgehoben. Die lange Liste der Stadtbeschreibungen bei Johannes Cochlaeus wurde vor allem deshalb angefu¨hrt, um Vergleichsmaterial zur Analyse des Image von Trier und Ko¨ln zu gewinnen. Das Ergebnis ist dann doch u¨berraschend. Es gab in der Zeit um 1500 keine andere deutsche Stadt, die in ihrem ‚Marketing‘ so sehr auf ihre Heiligen und Reliquien gesetzt hat wie die beiden alten Kathedralsta¨dte an Rhein und Mosel. Merkwu¨rdigerweise fehlt das ‚goldene Mainz‘, im hohen Mittelalter die große Konkurrentin von Trier und Ko¨ln62. Ob der enorme Stellenwert der Heiligenverehrung eine Begleiterscheinung von Krise und Niedergang, eine Ru¨ckbesinnung auf die große Zeit des fru¨hen und hohen Mittelalters war, ob die starke Pra¨senz des Klerus der zahlreichen Klo¨ster und Stifte das kulturelle Milieu beider Sta¨dte in besonderer Weise gepra¨gt hat, ob Universita¨t und Humanistenkreise dabei eine Rolle gespielt haben und inwieweit Reformation und katholische Reform von Bedeutung waren, all dies sind Einzelaspekte, aus denen sich eine Antwort zusammensetzen ko¨nnte. Neben den Heiligen und ihren Reliquien setzt Trier auf ein zweites Argument, das ebenfalls als Krisensymptom, als Flucht aus der Gegenwart in die ruhmreiche Vergangenheit der Stadt gedeutet werden kann. Trier sei na¨mlich bereits durch sein Alter eine ruhmreiche Stadt, sei a¨lter als Rom, sei 2000 bzw. 2220 Jahre vor Christus 60 Bruno Kuske, „Ko¨ln“. Zur Geltung der Stadt, ihrer Waren und Maßsta¨be in a¨lterer Zeit (12.–18. Jahr-

hundert), in: ders., Ko¨ln, der Rhein und das Reich. Beitra¨ge aus fu¨nf Jahrzehnten wirtschaftsgeschichtlicher Forschung, Ko¨ln/Graz 1956, S. 82–119; Reinhold Kaiser, Imitationen von Beschau- und Warenzeichen im spa¨ten Mittelalter. Ein Mittel im Kampf um Absatz und Ma¨rkte, in: VSWG 74 (1987), S. 457–478; ders., Fa¨lschungen von Beschauzeichnungen als Wirtschaftsdelikte im spa¨tmittelalterlichen Tuchgewerbe, in: Fa¨lschungen im Mittelalter (MGH, Schrr. 33), Bd. 5, Hannover 1988, S. 723–752; ders., Wirtschaftsdelikte als Zeichen wirtschaftlichen und sozialen Wandels im Mittelalter, in: GWU 39 (1989), S. 278–293; Bernd Ulrich Hucker, Handwerker- und Sta¨dtewahrzeichen. Ein mittelalterliches Legitimationssystem auf der Grundlage handwerklicher Technik, in: Europa¨ische Technik im Mittelalter. 800 bis 1400. Tradition und Innovation. Ein Handbuch, hg. v. Uta Lindgren, 2. Aufl. Berlin 1966, S. 531–535. 61 Gothard von Hansen (Hg.), Aus baltischer Vergangenheit. Miscellaneen aus dem Revaler Stadtarchiv, Reval 1894, S. 147; Philippe Dollinger, Die Hanse, 4. Aufl. Stuttgart 1989, S. 171. 62 Langosch, Cochlaeus (wie Anm. 13), S. 158–159; Michael Matheus, Zur Romimitation in der Aurea Moguntia, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte. Festschrift fu¨r Alois Gerlich (GeschLdkd 42), Stuttgart 1995, S. 35–48; Israel Jacob Yuval, Heilige Sta¨dte, heilige Gemeinden – Mainz als das Jerusalem Deutschlands, in: Ju¨dische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Robert Ju¨tte/Abraham P. Kustermann (Aschkenas, Beih. 3), Wien/Ko¨ln/Weimar 1996, S. 91–101.

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gegru¨ndet worden. Nach den im fru¨hen 12. Jahrhundert entstandenen Gesta Treverorum war Trier eine Gru¨ndung des assyrischen Ko¨nigssohnes Trebeta 1250 Jahre vor Rom, zu Lebzeiten des Patriarchen Abraham63. Die Treverer ha¨tten die antike Stadt mit ihren Großbauten, die in den Gesta Treverorum detailliert beschrieben werden, kurz nach dem Tod ihres Stadtgru¨nders und lange vor der Ankunft der Ro¨mer erbaut. Sie waren so ma¨chtig, dass Caesar sie bei der Eroberung Galliens nicht besiegte, sondern sich mit ihnen verbu¨ndete. Die Trebeta-Sage, die er gleich an zwei Stellen seiner Deutschlandbeschreibung aufgriff, kannte Cochlaeus womo¨glich aus den Nu¨rnberger Chroniken von Sigismund Meisterlin und Hartmann Schedel oder aus der Ko¨lner Koelhoffschen Chronik. Alter war immer ein ausschlaggebendes Argument, wenn es um Fragen von Reputation und Rang ging. Lange vor den Humanisten versuchten die Geschichtsschreiber der Sta¨dte, Bistu¨mer und Dynastien, ein hohes Alter, eine Abkunft von bedeutenden Ahnen und eine ungebrochene Kontinuita¨t nachzuweisen. Auch auf dem Regensburger Reichstag von 1454 argumentierten die Sta¨dte Aachen und Ko¨ln als erstes damit. Insofern ist es nicht ungewo¨hnlich, dass Cochlaeus immer wieder auf das Alter und die ro¨mischen Namen der Sta¨dte hinwies. Aber Geschichte als Argument finden wir nur noch in zwei anderen Sta¨dten, na¨mlich in Bonn, das wegen seines durch mehrere antike Autoren bezeugten Alters und seiner Residenz der Erzbischo¨fe gepriesen wird64, und in Augsburg. Die am Lech gelegene Stadt sei groß und alt, sie werde von reichen Kaufleuten bewohnt, sei gleichzeitig eine kaiserliche und eine bischo¨fliche Stadt, die einst vom hl. Ulrich regiert wurde, u¨ber dessen Reliquie die Stadt sich noch heute freue. Nach der Augsburger Gru¨ndungslegende war die Stadt nicht etwa von Trojanern oder Ro¨mern, sondern von Schwaben erbaut worden; die Bewohner der 600 Jahre vor Rom errichteten Gemeinde verbu¨ndeten sich spa¨ter a¨hnlich wie die Treverer mit den Ro¨mern. Die Augsburger Gru¨ndungslegende findet sich erstmals um 1200 im Annolied und wurde dann bis zu Sigismund Meisterlins Chronographia von ¨ ber 1456 und der anonymen Stadtchronik von 1469 immer mehr ausgeschmu¨ckt. U dem Grab des 973 verstorbenen Augsburger Bischofs wurde im 11. Jahrhundert die Kirche einer Benediktinerabtei und von 1474 bis 1500 die Kirche St. Ulrich und Afra errichtet. Im spa¨ten Mittelalter wurde er als Stadtpatron verehrt. Wir haben also beim Image von Augsburg die gleiche Kombination von Alter und Heiligkeit vor uns wie in Trier, wobei die beiden Stadtgru¨ndungslegenden hinsichtlich Entstehungszeit und Strickmuster eine Reihe von Parallelen, merkwu¨rdigerweise aber keine Querverbindungen aufweisen65.

63 Heinz Thomas, Studien zur Trierer Geschichtsschreibung des 11. Jahrhunderts insbesondere zu den

Gesta Treverorum (RhArch 68), Bonn 1968; ders., Art. Gesta Treverorum, in: VL, Bd. 3 (1981), Sp. 34–37. Zur Trierer Gru¨ndungslegende s. o. Anm. 30. 64 Edith Ennen/Dietrich Ho ¨ roldt, Kleine Geschichte der Stadt Bonn (BonnGBll 20), Bonn 1966, S. 12–13, 17. 65 Vgl. zur Augsburger Gru¨ndungslegende Karl Schnith, Mittelalterliche Augsburger Gru¨ndungslegenden, in: Fa¨lschungen im Mittelalter (wie Anm. 60), Bd. 1, S. 497–517; Wilhelm Sto¨rmer, Beobachtungen zu Aussagen und Intentionen der bayerischen Stammes-„Sage“ des 11./12. Jahrhunderts. Fiktionen – Sage – „Geschichtsklitterung“, in: ebd., S. 451–470; Peter Johanek, Geschichtsschrei-

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Dass Johannes Cochlaeus weniger kritisch war als andere Humanisten, zeigt auch ein Umgang mit der Ursprungslegende der Franken. Sie sollen von den Trojanern abstammen, die sich nach der Zersto¨rung ihrer Stadt in Skythien niederließen. Als sie von den Ro¨mern besiegt wurden, wanderten sie nach Franken aus, wo sie ein gewaltiges Reich errichteten. Die Trojaner seien ein kra¨ftiges und waffenma¨chtiges Volk gewesen, das u¨ber zahlreiche Adelige, Sta¨dte und Burgen verfu¨gt habe. Auch diese Abstammungssage, die vor allem bei den franzo¨sischen Ko¨nigen sehr popula¨r war, wird von Cochlaeus kommentarlos referiert66.

IV.

Letztlich bleibt aber beim Leser ein erhebliches Unbehagen zuru¨ck. Wenn Johann Cochlaeus mit Abstammungs- und Gru¨ndungslegenden so unkritisch umging, was sind dann seine Stadtbeschreibungen wert? Schlimmer noch: Der Nu¨rnberger Schulmeister, Humanist und spa¨tere Luthergegner war in seinem im modernen Sinne unkritischen Umgang mit Historien keine Ausnahme, denn drei Jahrzehnte spa¨ter finden wir Ausfu¨hrungen u¨ber das hohe Alter von Trier und Augsburg auch bei Sebastian Mu¨nster. Geographische Kompendien erweisen sich also als problematische Quellen, und dies gilt in ho¨herem Maße noch fu¨r Stadtbeschreibungen wie die von Johann Haselberg fu¨r Ko¨ln oder von Celtis und Cochlaeus fu¨r Nu¨rnberg. Sie sind Panegyrici auf eine gute Stadtherrschaft, welche die Ideale einer guten Regierung pra¨sentieren und durch zahlreiche Anspielungen auf antike Autoren die eigene

bung und Geschichtsu¨berlieferung in Augsburg am Ende des Mittelalters, in: Literarisches Leben in Augsburg wa¨hrend des 15. Jahrhunderts, hg. v. Johannes Janota/Werner Williams-Krapp, Tu¨bingen 1995, S. 160–182; Rolf Kiessling, Zum Augsburg-Bild in der Chronistik des 15. Jahrhunderts, in: ebd., S. 183–215; Paula Giersch, Die Augsburger Gru¨ndungslegende. Motiventwicklung und Motivverknu¨pfung im Mittelalter, in: ZHVSchwab 97 (2004), S. 7–45. 66 Philippe Contamine, Art. Trojanerabstammung, in: LexMA, Bd. 8 (1997), Sp. 1041; Gert Melville, Troja: Die integrative Wiege europa¨ischer Ma¨chte im ausgehenden Mittelalter, in: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverba¨nde, Christenheit, hg. v. Ferdinand Seibt/Winfried Eberhard, Stuttgart 1987, S. 415–433; Horst Brunner, Die deutsche Trojaliteratur des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit. Materialien und Untersuchungen (Wissensliteratur im Mittelalter 3), Wiesbaden 1990; Eugen Ewig, Troja und die Franken, in: RhVjbll 62 (1998), S. 1–30; Hans Hubert Anton, Troja-Herkunft, origo gentis und fru¨he Verfasstheit der Franken in der gallisch¨ G 108 (2000), S. 1–30; Wolfgang Bru¨ckle, fra¨nkischen Tradition des 5. bis 8. Jahrhunderts, in: MIO Noblesse oblige. Trojasage und legitime Herrschaft in der franzo¨sischen Staatstheorie des spa¨ten Mittelalters, in: Genealogie als Denkform in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit, hg. v. Kilian Heck/Bernhard Jahn (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), Tu¨bingen 2000, S. 39–68; Heike Hawicks, Sanctos – Xantum – Troia. Zum Einfluss ottonisch-byzantinischer Beziehungen auf die Toponymie im Xantener Raum, in: Mittelalter an Rhein und Maas. Beitra¨ge zur Geschichte des Niederrheins. Dieter Geuenich zum 60. Geburtstag, Mu¨nster 2004, S. 27–41; Hans Hubert Anton, Art. Trojanersagen (Kontinent und Britannien), in: RGA 31 (2006), S. 265–272; ders., Trojaner, Franken, Deutsche im Ko¨nigsspiegel des Gottfried von Viterbo, in: Studien zur Literatur, Sprache und Geschichte in Europa. Wolfgang Haubrichs zum 65. Geburtstag, St. Ingbert 2008, S. 617–633.

148

Wolfgang Schmid

Gelehrsamkeit zum Ausdruck bringen sollen. Beides soll dem Auftraggeber, dem Stadtherrn, dem Bu¨rger der Stadt und dem gebildeten Leser schmeicheln. Und inwieweit gilt das fu¨r Texte Erarbeitete auch fu¨r Bilder? Wie hoch ist deren Quellenwert

Abb. 8: Grabmal des Pfalzgrafen Heinrich in der Benediktinerabtei Maria Laach Quelle: Rheinisches Bildarchiv Ko¨ln, Nr. 52273

fu¨r historische Fragestellungen? Auch Stadtansichten waren Medien der kommunalen bzw. territorialen Repra¨sentation, die zudem teilweise mit Versatzstu¨cken effektiv hergestellt wurden und in einigen Fa¨llen auch ku¨nstlerische Anspru¨che erfu¨llen sollten. Sind sie denn u¨berhaupt als stadtgeschichtliche Quellen zu gebrauchen? ¨ berlegungen davor, in Stadtansichten und In jedem Fall warnen die skizzierten U Stadtbeschreibungen der Renaissance realistische Abbildungen der Wirklichkeit zu sehen. Aber wie soll der Historiker dann damit umgehen? Lassen Sie mich zur Beantwortung dieser Frage einen kurzen Umweg einschlagen: In der Benediktinerabtei Maria Laach befindet sich das Grabmal des 1095 gestorbenen Stifters, des Pfalzgrafen Heinrich (Abb. 8)67. Die u¨berlebensgroße Liegefigur ist aus Holz geschnitzt und 67 Rainer Kahsnitz (Hg.), Die Gru¨nder von Laach und Sayn. Fu¨rstenbildnisse des 13. Jahrhunderts, Kat.

Nu¨rnberg 1992.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

149

farbig gefasst. Der Verstorbene steht auf einem Lo¨wen und einem Drachen. Er tra¨gt einen roten Mantel, der innen mit Hermelin gefu¨ttert ist und dessen Tasselschnur er mit der linken Hand nach vorne zieht. Mit der anderen Hand pra¨sentiert er ein erstaunlich genaues Modell der von ihm gegru¨ndeten Abtei. Außerdem tra¨gt er einen Fu¨rstenhut und einen seidenen Rock, an dessen Gu¨rtel ein Dolch und ein Almosenbeutel ha¨ngen. Haben wir hier das wirklichkeitsgetreue Abbild des hochadeligen Klostergru¨nders aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert vor uns? Tatsa¨chlich wurde das Grabmal erst 200 Jahre spa¨ter, um 1270 angefertigt. Der Pfalzgraf war zuna¨chst vor dem Eingang zum Kapitelsaal beigesetzt worden. Abt Theoderich von Lehmen, der die wirtschaftliche Krise des Klosters meistern und das geistliche Leben erneuern konnte, ließ ein aufwa¨ndiges Stiftergrab mit Altar im Westchor der Abtei errichten. Nicht mehr erhaltene Inschriften und Bilder schilderten die Klostergru¨ndung. Auch Abt Theoderich verewigte sich mit einem Stifterbild und einer Inschrift. Das Grabmal ist also eine Quelle fu¨r die Klosterreform des 13. Jahrhunderts, sie zeigt das u¨berlebensgroße, idealisierte und zeitgeno¨ssischen Scho¨nheitsvorstellungen angena¨herte ¨ ber die Frage einer Portra¨ta¨hnlichkeit la¨sst sich in Anbetracht Bild des Gru¨nders. U der Zeitunterschiede eigentlich nicht streiten, der Verstorbene wird in jugendlicher Scho¨nheit dargestellt, wahrscheinlich im Alter von 33 Jahren, in dem wir am Ju¨ngsten Tag auferstehen werden. Stadtansichten sind also ebenso fiktive bzw. realistische Quellen68 wie Grabdenkma¨ler69, Portra¨ts70, Heiligenviten71, Mirakelberichte72, Translationsprotokol68 Zu den im Folgenden angeschnittenen Themen ko¨nnen nur wenige Titel genannt werden, vor allem

die zahlreichen Einzelaufsa¨tze in dem fu¨nfba¨ndigen Werk Fa¨lschungen im Mittelalter (wie Anm. 60); ¨ berlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen Frantisˇek Graus, Lebendige Vergangenheit. U vom Mittelalter, Ko¨ln/Wien 1975; Thomas Bauer, Lotharingien als historischer Raum. Raumbildung und Raumbewußtsein im Mittelalter (RhArch 136), Ko¨ln/Weimar/Wien 1996; Gerd Althoff, Formen und Funktionen von Mythen im Mittelalter, in: Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hg. v. Helmut Berding (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1246), Bd. 3, Frankfurt 1996, S. 11–33; Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, hg. v. Johannes Laudage (Europ. Geschichtsdarstellungen 1), Ko¨ln/Weimar/Wien 2003, darin insbes. Otto Gerhard Oexle, Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundsatzfragen der historischen Erkenntnis, S. 1–42. 69 Vgl. z. B. Michael Borgolte, Fiktive Gra¨ber in der Historiographie. Hugo von Flavigny und die Sepultur der Bischo¨fe von Verdun, in: Fa¨lschungen im Mittelalter (wie Anm. 60), Bd. 1, S. 205–240. Weitere Beispiele bei Christine Sauer, Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergru¨nder im Bild 1100 bis 1350 (VMPI 109), Go¨ttingen 1993; Stefan Heinz/Barbara Rothbrust/Wolfgang Schmid, Unternehmen Traditionsbildung. Die Grabma¨ler der rheinischen Erzbischo¨fe (976–1768) zwischen Memoria, Repra¨sentation und Geschichtskonstruktion, in: Francia 31,1 (2004), S. 165–180. 70 S. o. Anm. 20. 71 Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer, Ostfildern 1990; Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. v. Ju¨rgen Petersohn (VuF 42), Sigmaringen 1994; Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom fru¨hen Christentum bis zur Gegenwart, Mu¨nchen 1994, NA 1997; ders., Der „ganze“ und „unverweste“ Leib – eine Leitidee der Reliquienverehrung bei Gregor von Tours und Beda Venerabilis, in: Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift Raymund Kottje (Freiburger Beitra¨ge zur mittelalterlichen Geschichte 3), Frankfurt 1992, S. 33–50; Henk van Os, Der Weg zum Himmel. Reliquienverehrung im Mittelalter, Regensburg 2001. 72 Constanze Rendtel, Hochmittelalterliche Mirakelberichte als Quelle zur Sozial- und Mentalita¨tsgeschichte und zur Geschichte der Heiligenverehrung untersucht an Texten insbesondere aus Frank-

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Wolfgang Schmid

le73, Klostergru¨ndungsgeschichten74, Stammesgru¨ndungsmythen75, Stadt- und Bistumsgru¨ndungslegenden76 und genealogische Phantasien77 wie die Abstammungsreihe Kaiser Maximilians, der sich u¨ber 77 Generationen hinweg von den Merowingern und den Trojanern ableitete, der 123 Heilige und 47 Selige zu seinen Vorfahren za¨hlte78. Aber im Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit konnten Fiktionen durchaus Fakten sein. Sie wurden fu¨r „echt“ gehalten und nahmen bestimmte Aufgaben wahr. Als echt konnten sie gelten, wenn sie die zeitgeno¨ssischen Anspru¨che auf Plausibilita¨t erfu¨llten. An Heiligenlegenden und Mirakelberichte wurden strenge Maßsta¨be angelegt, mussten sie doch nicht nur das ungebildete Volk, sondern auch die kritischen

reich, Diss. phil. FU Berlin, 2 Bde., 1985; Annegret Wenz-Haubfleisch, Miracula post mortem. Studien zum Quellenwert hochmittelalterlicher Mirakelsammlungen vornehmlich des ostfra¨nkisch-deutschen Reiches (Siegburger Studien 26), Siegburg 1998; Mirakel im Mittelalter. Konzeptionen Erscheinungsformen Deutungen, hg. v. Martin Heinzelmann/Klaus Herbers/Dieter R. Bauer (Beitra¨ge zur Hagiographie 3), Stuttgart 2002; Maria Wittmer-Butsch/Constanze Rendtel, Miracula. Wunderheilungen im Mittelalter. Eine historisch-psychologische Anna¨herung, Ko¨ln/Weimar/Wien 2003. 73 Martin Heinzelmann, Translationsberichte und andere Quellen des Reliquienkultes (Typologie der sources du moyen aˆge occidental 33), Turnhout 1979; Klaus Herbers, Bemerkungen zu Reliquientranslationen im fru¨heren Mittelalter, in: Von Goldenen Gebeinen. Wirtschaft und Reliquie im Mittel¨ konomie 9), Innsbruck/Wien/Mu¨nchen 2001, S. 221–231; alter, hg. v. Markus Mayr (Geschichte und O ¨ ber Kommunikation, Hedwig Ro¨ckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. U ¨ ffentlichkeit im Fru¨hmittelalter (Beih. der Francia 48), Stuttgart 2002. Mobilita¨t und O 74 Katherine Walsh, Wie ein Bettelorden zu (s)einem Gru¨nder kam. Fingierte Traditionen um die Entstehung der Augustiner-Eremiten, in: Fa¨lschungen im Mittelalter (wie Anm. 60), Bd. 5, S. 585–610; Thomas Hill, Stiftermemoria und Gru¨ndungsgeschichte als Argument. Zum historischen Selbstversta¨ndnis norddeutscher Klo¨ster im Hochmittelalter, in: Gemeinschaft und Geschichtsbilder im Hanseraum, hg. v. Dems./Dietrich W. Poeck (Kieler Werkstu¨cke E 1), Frankfurt 2000, S. 1–25. 75 Olaf Mo ¨ rke, Bataver, Eidgenossen und Goten: Gru¨ndungs- und Begru¨ndungsmythen in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden in der Fru¨hen Neuzeit, in: Berding, Mythos und Nation (wie Anm. 68), S. 104–132. 76 S. o. Anm. 17, 30, 63 und 65; Markus Mu ¨ ller, Die spa¨tmittelalterliche Bistumsgeschichtsschrei¨ berlieferung und Entwicklung (AKG, Beih. 44), Ko¨ln 1998; Stefan Benz, Zwischen Tradition bung. U und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Ro¨mischen Reich (HStud 473), Husum 2003; Schmid, Schatzkammern (wie Anm. 10). 77 Vgl. den instruktiven Artikel von Eckard Freise, Genealogie, in: LexMA, Bd. 4 (1989), Sp. 1216–1221; Gert Melville, Vorfahren und Vorga¨nger. Spa¨tmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spa¨tmittelalter und zur fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter-Johannes Schuler, Sigmaringen 1987, S. 203–309; Gerd Althoff, Genealogische und andere Fiktionen in mittelalterlicher Historiographie, in: Fa¨lschungen im Mittelalter (wie Anm. 60), Bd. 5, S. 417–441; Borgolte, Fiktive Gra¨ber (wie Anm. 69); Heck/Jahn, Genealogie als Denkform in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit (wie Anm. 66); Kilian Heck, Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (KunstwissStud 98), Mu¨nchen/Berlin 2002. 78 Umfassendste Darstellung bei Simon Laschitzer, Die Genealogie des Kaisers Maximilian I., in: Jb. der Kunsthist. Sammlungen des Allerho¨chsten Kaiserhauses 10 (1889), S. 1–199; Alphons Lhotsky, Apis Colonna. Fabeln und Theorien u¨ber die Abkunft der Habsburger. Ein Exkurs zur Cronica Austrie ¨ G 55 (1944), S. 171–245; Gerd Althoff, Studien zur habsburgischen des Thomas Ebendorfer, in: MIO ¨ G 86 (1979), S. 71–100; Dieter Mertens, Die Habsburger als Nachfahren Merowingersage, in: MIO und als Vorfahren der Za¨hringer, in: Die Za¨hringer. Eine Tradition und ihre Erforschung, hg. v. Karl Schmid (Vero¨ff. zur Za¨hringer-Ausstellung 1), Sigmaringen 1986, S. 151–174.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

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Vertreter der benachbarten geistlichen Institutionen u¨berzeugen79. Dies gilt auch fu¨r Gru¨ndungslegenden, Gru¨ndergra¨ber und Stadtansichten. Ob Traditionen erfunden oder „echt“ waren, sie begru¨ndeten Kommunita¨ten und Identita¨ten. Und das zum Teil u¨ber Jahrhunderte hinweg80. Gerade darin und nicht nur in der „Dokumentation“ der Anfa¨nge liegt ihr besonderer Wert. Betreffs der Funktion solcher Texte lassen sich zwei Stoßrichtungen unterscheiden, eine nach innen und eine nach außen gerichtete. Erinnerung, sei es als Darstellung der Gru¨ndungsgeschichte oder als Gru¨ndergrab, stiftete Gemeinschaft81. Grabma¨ler dienten der Identita¨tsstiftung von Gruppen, von geistlichen Institutionen wie auch fu¨r die Familie der Nachkommen82. Stadtansichten und Stadtbeschreibungen richteten sich vorrangig an die Bewohner einer Kommune, beschworen die gemeinsame Geschichte sowie die Scho¨nheit der gut regierten Heimatstadt und schmeichelten dem Lokalpatriotismus der Bu¨rger und Ratsherren. Zum anderen besaßen sie eine Außenwirkung, zeigten den Bewohnern der benachbarten Sta¨dte und Territorien, was fu¨r ein altes, frommes und gut regiertes Gemeinwesen sie vor sich hatten. Eine weitere Ebene politischer Kommunikation konnte bei Konflikten zwischen Stadt und Stadtherren verbildlicht werden: Hier zeigte die Stadtansicht z. B. durch Wappen, unter wessen Herrschaft das Gemeinwesen stand, ein Thema, das auch bei Cochlaeus stets eine wichtige Rolle spielte. Mein Beitrag versuchte, das Image einzelner deutscher Sta¨dte in der Zeit um 1500 herauszuarbeiten und griff dabei als Quellen auf ein popula¨res geographisches Handbuch mit zahlreichen Stadtansichten und auf eine wesentlich ku¨rzere Deutschlandbeschreibung fu¨r den Schulgebrauch zuru¨ck. Erga¨nzend wurden noch ein Lobgedicht auf die Stadt Ko¨ln und zwei Trierer Heiltumsdrucke herangezogen. Die Quellenbasis ließe sich leicht noch vergro¨ßern, etwa ko¨nnten aus Sebastian Mu¨nsters oder aus Mattha¨us Merians Sammelwerk Stadtbeschreibungen bzw. -ansichten herangezogen werden. Auch ko¨nnte das Verha¨ltnis zwischen

79 Um hier nur wenige Titel zu nennen, die auch den Aspekt der zeitgeno¨ssischen Kritik beru¨cksichtigen:

Klaus Schreiner, „Discrimen veri ac falsi“. Ansa¨tze und Formen der Kritik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters, in: AKG 48 (1966), S. 1–53; Klaus Guth, Guibert von Nogent und die hochmittelalterliche Kritik an der Reliquienverehrung (SMGB 21), Ottobrunn 1970; Klaus Herbers, Rom im Frankenreich. Rombeziehungen durch Heilige in der Mitte des 9. Jahrhunderts, in: Mo¨nchtum – Kirche – Herrschaft. 750–1000, hg. v. Dieter R. Bauer/Rudolf Hiestand/Brigitte Kasten u. a., Sigmaringen 1998, S. 133–169. 80 The Invention of Tradition, hg. v. Eric Hobsbawm/Terence Ranger (PP), Cambridge u. a. 1983; Bilder der Macht – Macht der Bilder. Zeitgeschichte in Darstellungen des 19. Jahrhunderts, hg. v. Stefan Germer/Michael F. Zimmermann (VZIKunstg 12), Berlin 1997. 81 Sauer, Fundatio und Memoria (wie Anm. 69); Klaus Schreiner, Erneuerung durch Erinnerung. Reformstreben, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung im benediktinischen Mo¨nchtum Su¨dwestdeutschlands an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Historiographie am Oberrhein im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Kurt Andermannn (ObrhStud 7), Sigmaringen 1988, S. 35–87; Stephan Albrecht, Die Inszenierung der Vergangenheit im Mittelalter. Die Klo¨ster von Glastonbury und Saint-Denis (Kunstwissenschaftliche Studien 104), Berlin 2003; Christoph Brachmann, Memoria – fama – historia. Schlachtengedenken und Identita¨tsstiftung am lothringischen Hof (1477–1525) nach dem Sieg u¨ber Karl den Ku¨hnen, Berlin 2006. 82 Stefan Heinz/Wolfgang Schmid, Grab und Dynastie. Zur Bildhauerei der Renaissance in geistlichen und weltlichen Residenzen an Mittelrhein, Saar und Mosel, in: WallrafRichartzJb 63 (2002), S. 159–196; Dies./Barbara Rothbrust, Unternehmen Traditionsbildung (wie Anm. 69).

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der deutschen und der lateinischen Ausgabe der Cosmographia untersucht werden; fu¨r Trier konnte nachgewiesen werden, dass die lateinische Ausgabe ein klassisches Produkt der gelehrten Welt des Humanismus darstellt, wa¨hrend die deutschsprachige Version vieles vereinfacht und verku¨rzt, wohingegen die Stadtansichten allen¨ berschriften versehen wurden83. Auch wa¨re es lohnend, andere falls mit anderen U Quellengruppen heranzuziehen, insbesondere Karten und Atlanten, dann Reiseberichte84 und Aufzeichnungen von Pilgern85, die u¨ber die Heiligen, die Reliquien und Abla¨sse der einzelnen Sta¨dte viele Nachrichten, perso¨nliche Eindru¨cke und kritische Bemerkungen enthalten. Ein weiteres Problem, das noch nicht na¨her untersucht werden konnte, ist das Verha¨ltnis zum Vorbild bzw. zur Realita¨t bei Bildern und Texten. Provozierend gefragt: Galten fu¨r den Umgang mit Texten gegenu¨ber der Vorlage andere Regeln als beim Umgang mit Bildern? Hatten womo¨glich Bilder nur illustrativen Charakter, worauf die fiktiven Landschaftshintergru¨nde oder die ha¨ufig mehrfach verwandten Personengruppen im Vordergrund86 oder die frei erfundenen Stadtansichten in der Schedelschen Weltchronik hinweisen? Galten fu¨r den Umgang mit Texten die strengen Regeln der Theologen und Philologen, wa¨hrend sich im Bild – in gewissen Grenzen – ku¨nstlerische Freiheit entfalten konnten? War hier eine gewisse Virtuosita¨t bei der Gestaltung von Landschaften und Wolken sogar gewu¨nscht? Waren artifizielle Meisterschaft und Bilderfindung eine Eigenschaft, welche die Kunden scha¨tzten? Auf diese nur schwer in allgemeingu¨ltiger Form zu beantwortenden Fragen wirft ein Prozess, in dem 1410 in Paris um die „Echtheit“ einer Reliquie gestritten wurde, ein kleines Schlaglicht. Dabei wurden neben den einschla¨gigen Texten auch alte Bildwerke als Beweisstu¨cke herangezogen. Ein hohes Alter, eine ununterbrochene Kontinuita¨t der Darstellung, prominente Auftraggeber und eine o¨ffentliche Aufstellung waren dabei außerordentlich wichtig; ikonographische Abweichungen wurden dagegen sehr kritisch beurteilt87. Ein ga¨nzlich anderes Bild zeigen die verschiedenen zykli83 Meurer, Beitrag (wie Anm. 32), S. 194. 84 Um hier nur wenige Titel zu nennen: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deut-

schen Literatur, hg. v. Peter J. Brenner, Frankfurt 1989; ders., Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsu¨berblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte (Internat. Arch. fu¨r Sozialgeschichte der deutschen Literatur 2), Tu¨bingen 1990; Beschreibung der Welt. Zur Poetik der Reiseund La¨nderberichte, hg. v. Xenja von Ertzhoff (Chloe. Beih. zum Daphnis 31), Amsterdam 2000, S. 119–151; Hans-Ulrich Seifert, Trier in alten und neuen Reisebeschreibungen, Du¨sseldorf 1993; Folker E. Reichert, Ko¨ln und das Rheinland in Reisebeschreibungen des spa¨ten Mittelalters, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift fu¨r Hermann Jakobs, Ko¨ln u. a. 1995, S. 451–471. 85 Ursula Ganz-Bla¨ttler, Andacht und Abenteuer. Berichte europa¨ischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320–1520) (Jakobus-Studien 4), Tu¨bingen 1990; Ulrike Bausewein, Deutsche und Niederla¨ndische Pilgerberichte von Pala¨stinareisenden im spa¨ten Mittelalter und der Fru¨hen Neuzeit, in: Wissensliteratur im Mittelalter. Bedingungen, Typen, Publikum, Sprache, hg. v. Horst Brunner/Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993; Europa¨ische Reiseberichte des spa¨ten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, hg. v. Werner Paravicini (Kieler Werkstu¨cke. Reihe D 5), 3 Bde., Frankfurt 1994–2000; Paula Giersch/Wolfgang Schmid, Rheinland – Heiliges Land. Pilgerreisen und Kulturkontakte im Mittelalter (Armarium Trevirense 1), Trier 2004, S. 97–218. 86 Vgl. zu den Staffagefiguren auch Fuss, Merian (wie Anm. 47), S. 50–52. 87 Ingeborg Ba¨hr, Aussagen zur Funktion und zum Stellenwert von Kunstwerken in einem Pariser Reliquienprozeß des Jahres 1410, in: WallrafRichartzJb 45 (1984), S. 41–57. S. o. Anm. 79.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

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schen Darstellungen vom Leben Mariens, die um 1500 entstanden. Ihre Urheber sind Martin Schongauer, der Meister E. S., Hans Scha¨ufelein, Lukas Cranach und Albrecht Du¨rer, um nur die prominentesten Ku¨nstler zu nennen. Jeder von ihnen hat sich bemu¨ht, die klassischen Szenen aus dem Leben der Gottesmutter noch eindrucks-

Abb. 9: Zeichner vor dem Panorama der Stadt Meissen Quelle: Ausschnitt aus der Cosmographia Sebastian Mu¨nsters 1558. Bibliothek des Bischo¨flichen Priesterseminars Trier

voller in Szene zu setzen: Die Ra¨ume wurden nach den Regeln der Perspektive und wie Lektionen aus einem architekturtheoretischen Traktat angelegt. Die menschliche Figur wurde nach den Regeln der Proportion und der Anatomie konstruiert. Zahllose Gegensta¨nde fu¨llen die freien Fla¨chen, und auch in die Landschaftsausblicke wird viel Handarbeit investiert88. Die genannten Holzschneider wollten also nicht nur das Marienleben illustrieren, sondern das Interesse des Marktes an „Kunst“ befriedigen. Wenn sich diese Beobachtungen auf Stadtansichten u¨bertragen lassen – und nichts spricht dagegen – dann gibt es ein neues Problem: Wir haben nicht nur einen Auftraggeber, der sich von einem Zeichner bzw. Holzschneider ein Stadtbild zu einem Image umformen la¨sst, sondern wir haben auch noch einen Ku¨nstler, der aus einer Stadtansicht ein Kunstwerk machen mo¨chte. Den ku¨nstlerischen Anspruch machen nicht nur die Signaturen, sondern auch die Ku¨nstlerselbstbildnisse deutlich: In der Ansicht der Stadt Freiburg im Breisgau bei Mu¨nster sieht man im Vordergrund, links 88 Wolfgang Schmid, Das Stundenbuch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Zu Du¨rers

vier Bu¨chern der Jahre 1511/12, in: Metamorphosen der Bibel. Beitra¨ge zur Tagung ‚Wirkungsgeschichte der Bibel im deutschsprachigen Mittelalter‘, hg. v. Ralf Plate/Andrea Rapp (Vestiga Bibliae 24–25), Bern u. a. 2004, S. 433–508, hier S. 487–501.

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Wolfgang Schmid

von der Bildmitte, einen Mann, der auf einer Anho¨he u¨ber der Stadt und den Weinbergen sitzt. Er tra¨gt einen Hut und hat ein Blatt vor sich, auf das er mit einem Stift etwas zeichnet (Abb. 9). Links und rechts von seiner Signatur – Ku¨nstlerselbstbildnisse mit Signaturfunktion kennen wir von Du¨rer89 – steht die Datierung 1558. Einen

Abb. 10: Zeichner vor dem Panorama der Stadt Alzey Quelle: Ausschnitt aus Merians Topographia Germaniae 1645. Bibliothek des Bischo¨flichen Priesterseminars Trier

a¨hnlichen Mann findet man auf der Mu¨nster-Ansicht von Meissen. Bei Merian finden sich diese Darstellungen noch o¨fters, jetzt ist der Zeichner mit Hut und Mantel noch viel detaillierter dargestellt, etwa auf der Ansicht von Alzey, wo er von einer zweiten Person mit Stock oder Degen, vielleicht seinem Auftraggeber, Lehrer oder Freund, begleitet wird (Abb. 10). Bei einer Darstellung der Festung Gustavsburg an der Mainmu¨ndung in den Rhein sieht man auf einer Anho¨he zwei Kavaliere, von denen der rechte mit dem Arm eine ausholende Geste ausfu¨hrt; er scheint dem anderen die Festungsanlage zu erla¨utern. In der Ansicht von Bacharach stehen auf dem 89 Wolfgang Schmid, Du¨rer als Unternehmer. Kunst, Humanismus und O ¨ konomie in Nu¨rnberg um

1500 (BeitrLKG 1), Trier 2003, S. 319–321.

Heilige Sta¨dte, alte Sta¨dte, Kaufmannssta¨dte

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anderen Rheinufer rechts im Vordergrund zwei Ma¨nner, wohl Ja¨ger oder Soldaten, von denen der linke die Stadtansicht erkla¨rt. Die Figur des Zeichners in der Landschaft kam im 15. Jahrhundert in Italien auf und wurde im 16.–18. Jahrhundert auch no¨rdlich der Alpen außerordentlich popula¨r; sie signalisierte die Authentizita¨t der Stadtansicht, ihre realistische Aufnahme vor Ort90. Ohne dass ich Fragen der Urheberschaft der einzelnen Holzschnitte hier na¨her verfolgen mo¨chte, erscheint der Hinweis wichtig, dass diese Stadtansichten nicht nur von ihren Zeichnern, Stechern, Herstellern und Auftraggebern, sondern auch von den Ka¨ufern und Sammlern als Kunstwerke verstanden wurden, die mit Neugier und Genuß betrachtet wurden. Auf die bereits mehrfach angesprochene Frage nach dem Quellenwert von Stadtansichten la¨sst sich jetzt eine differenziertere Antwort finden: Der Historiker muss sich vor Augen fu¨hren, was er sucht. Stadtansichten sind einerseits Quellen fu¨r ein bestimmtes Image, das Auftraggeber und Ku¨nstler dem Publikum vermitteln wollten, und sie sind Quellen zur Topographie und zum Erscheinungsbild einer Stadt, zu ihren Mauern und Tu¨rmen. Der Betrachter muss sich vor Augen fu¨hren, dass er die Stadt durch eine bunte Brille sieht. Es ist seine Stadt, aber sie ist scho¨n gefa¨rbt und kein wirklichkeitsgetreues Abbild der Realita¨t. Das Verha¨ltnis von Abbild und Sinnbild kann dabei von Stadtansicht zu Stadtansicht unterschiedlich sein, im Extremfall handelt es sich – wie einige Beispiele in der Schedelschen Weltchronik zeigen – um fiktive, ja um austauschbare Sta¨dtebilder. Fu¨r eine detailliertere Analyse ist zuna¨chst nach dem Absender bzw. Urheber der Botschaft zu fragen: Sebastian Mu¨nster wollte ein Kompendium des geographischen Wissens seiner Zeit pra¨sentieren, er war aber gleichzeitig auf die Mitarbeit der Landesherren und Sta¨dte sowie auf den spa¨teren Verkauf seiner Bu¨cher an ein breites Publikum angewiesen. Das Interesse der Stadtregierungen war dabei ho¨chst unterschiedlich, Nu¨rnberg z. B. begnu¨gte sich mit einem halbseitigen Holzschnitt, die Kleinstadt Simmern im Hunsru¨ck nimmt dagegen eine Doppelseite ein, und fu¨r besonders ambitionierte Kommunen wie Wien gab es großformatige Ausklapptafeln91. Fu¨r Herzog Johann II. von Simmern und fu¨r den Trierer Kurfu¨rsten Johann von Isenburg la¨sst sich nachweisen, dass sie hier mit der Darstellung einer wohl regierten Stadt ihre Rolle als gute Landesherren zum Ausdruck bringen wollten. Johann Haselberg und Johann Cochlaeus wollten Werke produzieren, die sich vor allem auf dem lokalen Markt verkaufen ließen, wofu¨r eine kra¨ftige Portion Lokalpatriotismus von Vorteil war. Cochlaeus wandte sich vorrangig an Lateinschu¨ler, Haselberg an ein breiteres, lateinunkundiges, aber durchaus humanistisch interessiertes Publikum. Adolf Muling und Johann Enen, die zum Trier-Ko¨ln-Straßburger

90 Bruno Weber, Die Figur des Zeichners in der Landschaft, in: ZSchweizArchKunstG 34 (1977),

S. 44–82; Disegno. Der Zeichner im Bild der Fru¨hen Neuzeit, Kat. Berlin 2007.

91 Werner Wunderlich, Johann II. von Simmern. Autor und Gelehrter auf dem Fu¨rstenthron, in:

Euphorion 85 (1991), S. 1–37; Heinz/Schmid, Grab und Dynastie (wie Anm. 82), S. 170–174. Zu Wien: Ferdinand Opll, Wiener Stadtansichten im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, in: ders., Bild und Wahrnehmung der Stadt (wie Anm. 29); ders., Kontinuita¨t und Wandel. Zur Entwicklung des Wien-Bildes an der Wende vom Mittelalter zur fru¨hen Neuzeit, in: Aspekte und Komponenten (wie Anm. 27), S. 69–95.

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Humanistenkreis za¨hlten, wollten das Trierer Ereignis der Erhebung des Hl. Rocks einem breiten Publikum vermitteln und gleichzeitig die fu¨r das Selbstversta¨ndnis der Stadt so bedeutsame Reliquie gegen die Angriffe ihrer Gegner und Kritiker verteidigen. Auch hier wird Geschichte zum Argument, mit philologischen und archa¨ologischen Methoden wird versucht, die „Echtheit“ der umstrittenen Reliquie zu beweisen. Zu den recht unterschiedlichen Intentionen der Verfasser kommt eine betra¨chtliche Spannbreite hinsichtlich Aufwand und Qualita¨t der Stadtdarstellungen: Texte konnten als Einblattdrucke oder als Bu¨cher, konnten in Deutsch oder in Latein abgefasst sein. Die Holzschnitte konnten kleine oberfla¨chliche Skizzen oder aber großformatige und detailversessene Darstellungen sein. Neben Holzschnitten konnte man Kupferstiche verwenden, und der Vergleich zwischen den Mu¨nster- und den Merianbla¨ttern zeigt hier eine betra¨chtliche Spannbreite. Versatzstu¨cke waren ebenso weit ¨ berdimensionale Panoramen verbreitet wie ku¨nstlerisch anspruchsvolle Lo¨sungen. U aus der Vogelschau, auf denen jedes Haus zu erkennen ist, oder dreidimensionale Modelle – der Gattung Stadtansicht waren keine Grenzen gesetzt92. Vielfach geben die Widmungsbriefe u¨ber die Intentionen von Autoren, Ku¨nstlern, Verlegern und Empfa¨ngern na¨here Ausku¨nfte, oftmals erweisen sich Widmung und Geschenkcharakter freilich aber auch als literarische Form93, die an die Dedikationsminiaturen von mittelalterlichen Handschriften erinnern94. Auch bezu¨glich der Images la¨sst sich eine erhebliche Bandbreite erkennen. Ein gemeinsamer Nenner scheint die Tatsache zu sein, dass Sta¨dte als friedvolle Idylle, nicht aber als u¨belriechender und lauter Ort geschildert werden, an dem sich Menschen pru¨geln, bestehlen und betrinken. Zur verkla¨rten Stadt geho¨rt die friedvolle Landschaft, die von Bauern, Ja¨gern und wohlgekleideten Bu¨rgern, nicht aber von Liebespaaren, Ra¨ubern oder Fußballspielern bevo¨lkert ist95. Inzwischen ist teilweise auch schon die dritte Frage nach dem Empfa¨nger beantwortet: Die Ka¨ufer der Cosmographia wollten ihre Heimatstadt wiederfinden, woll92 Beispiele bei Thomas Besing, Produktion und Publikum – Aspekte der Herstellung, Verbreitung und

Rezeption fru¨hneuzeitlicher Stadtdarstellungen, in: Behringer/Roeck, Bild der Stadt (wie Anm. 7), S. 94–100. 93 Carl C. Christensen, Du¨rers’s ‚Four Apostles‘ and the Dedication as a Form of Renaissance Art Patronage, in: Renaissance Quarterly 20 (1967), S. 325–334; Wolfgang Schmid, Warum schenkte Albrecht Du¨rer dem Nu¨rnberger Rat die ‚vier Apostel‘?, in: Pictura quasi fictura. Die Rolle des Bil¨ sterrAkdes in der Erforschung von Alltag und Sachkultur des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit (O Wiss, Phil.-Hist. Kl., Forschungen des Instituts fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, Diskussionen und Materialien 1), Wien 1996, S. 129–174; Karl Arndt/Bernd Moeller, Albrecht Du¨rers „Vier Apostel“. Eine kirchen- und kunsthistorische Untersuchung (SVRefG 202), Gu¨tersloh 2003. 94 Joachim Prochno, Das Schreiber- und Dedikationsbild in der deutschen Buchmalerei. Tl. 1: Bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (800–1100) (Die Entwicklung des menschlichen Bildnisses 2), Leipzig/Berlin 1929; Wolfgang Schmid, Stifterbilder als historische Quelle – Ko¨ln und Nu¨rnberg im 15. und 16. Jahrhundert, in: AnzGNM 1994, S. 111–128; Klaus Gereon Beuckers, Das ottonische Stifterbild. Bildtypen, Handlungsmotive und Stifterstatus in ottonischen und fru¨hsalischen Stifterdarstellungen, in: Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte, hg. v. dems./Johannes Cramer/Michael Imhof, Darmstadt 2. Aufl. 2006, S. 63–102. 95 Roeck, Stadtkunstwerke (wie Anm. 7, S. 24; Fuss, Charakteristika (wie Anm. 28), S. 210; HammelKiesow, Hansesta¨dte (wie Anm. 5), S. 23.

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ten eine Ansicht ihrer Stadt besitzen und etwas u¨ber deren Geschichte nachlesen. Hier war wenig Platz fu¨r kritische Bemerkungen, auch nicht gegenu¨ber dem Landesherrn. Daru¨ber hinaus gab es im 16. Jahrhundert ein allgemeines Interesse an Geschichte und Geographie, an Darstellungen in Text und Bild, das durch die Werke der Antike nicht gedeckt werden konnte, da sie weder die Geschichte und noch weniger die Geographie des Deutschen Reichs behandelten. Die Leser wollten dabei nicht nur Texte, sondern sie wollten Bilder, scho¨ne und großformatige Holzschnitte oder Kupferstiche. Wir haben also eine recht bunte Mischung aus wissenschaftlicher und popula¨rwissenschaftlicher Begeisterung an Geschichte und Geographie, an Lokalpatriotismus sowie am Sammeln und am Besitz von Kunst vor uns. Das 16. Jahrhundert ist zudem das Zeitalter der großen bu¨rgerlichen Kunstsammlungen. Zusammengetragen wurden nicht nur Gema¨lde, Bu¨cher und Kupferstiche, sondern auch antike Plastiken und ro¨mische Mu¨nzen. Genannt seien nur die Kollektionen der Familien Helmann und Lyskirchen in Ko¨ln, der Praun und Pirckheimer in Nu¨rnberg oder der Fugger und Welser in Augsburg. In diesen Kollektionen hatten auch geographische Werke und Sammlungen von Stadtansichten ihren festen Platz96. Wie betra¨chtlich dieser Markt war, zeigt zum vierten, dass die 1512 ohne Abbildungen erschienene Deutschlandbeschreibung des Cochlaeus in der modernen Ausgabe 60 Druckseiten umfasst. Sebastian Mu¨nsters Cosmographia erschien 1544 als deutsche und 1550 als lateinische Ausgabe, sie umfasst 1172 Seiten und ist mit ca. 540 Holzschnitten ausgestattet. Von dem Werk erschienen bis 1628 21 deutschsprachige Auflagen mit ca. 50 000 Exemplaren und fu¨nf lateinische Auflagen mit ca. 10 000 Exemplaren. Merians Topographia Germaniae, die in den Jahren 1642 bis 1654 erschien, bedeutete den Ho¨hepunkt: Sie umfasst 16 Ba¨nde und ist mit ca. 2000

96 Um aus der Fu¨lle der Literatur nur wenige Titel zu nennen vgl. als U ¨ berblick: Hans-Ulrich Tha-

mer, Der Bu¨rger als Sammler in der Fru¨hen Neuzeit, in: Bu¨rgertum und Kunst in der Neuzeit, hg. v. dems. (StF A 57), Ko¨ln/Weimar/Wien 2002, S. 99–113. Vgl. fu¨r Ko¨ln Schmid, Weinsberg (wie Anm. 9), S. 69–130; ders., Ko¨lner Sammler (wie Anm. 49); Kirgus, Rathauslaube (wie Anm. 49), S. 25–62, 221–240; Jutta Seyfarth, Ein Schatzhaus des Apelles (Iconophylacium). Beschreibung der Bildersammlung des Ko¨lner Ratsherrn Franz von Imstenraedt, 1667, in: Coellen eyn Croyn. Renaissance und Barock in Ko¨ln, hg. v. Werner Scha¨fke (Der Riss im Himmel 1), Ko¨ln 1999, S. 157–254. Fu¨r Augsburg: Benedikt Mauer, Der Patrizier als Archa¨ologe. Marcus Welser und Augsburgs ro¨mische Vergangenheit, in: Kirchga¨ssner/Becht, Stadt und Archa¨ologie (wie Anm. 33), S. 81–100. Vgl. fu¨r Nu¨rnberg Theodor Hampe, Kunstfreunde im alten Nu¨rnberg und ihre Sammlungen (Nebst Beitra¨gen zur Nu¨rnberger Handelsgeschichte), in: MittVGNu¨rnberg 16 (1904), S. 58–124; Wilhelm Schwemmer, Aus der Geschichte der Kunstsammlungen der Stadt Nu¨rnberg, in: MittVGNu¨rnberg 40 (1949), S. 97–206; Peter R. Jante, Willibald Imhof. Kunstfreund und Sammler. Die Ausgaben Willibald Imhoffs fu¨r seine Kunstsammlung und der Versuch ihrer wertma¨ßigen Erfassung aufgrund handschriftlicher Aufzeichnungen Willibald Imhoffs unter besonderer Beru¨cksichtigung des Haushaltsbuches vom 13. 6. 1564–12. 6. 1578, Diss. phil. Go¨ttingen 1985; Jeffrey Chipps Smith, The Transformations in Patrician Tastes in Renaissance Nuremberg, in: New Perspectives on the Art of Renaissance Nuremberg. Five Essays, hg. v. Dems., Austin 1985, S. 83–100; Be´atrice Hernard (Bearb.), Die Graphiksammlung des Humanisten Hartmann Schedel, Kat. Mu¨nchen 1990; Kunst des Sammelns. Das Praunsche Kabinett. Meisterwerke von Du¨rer bis Carracci, Kat. Nu¨rnberg 1994; Ursula KubachReutter, Nu¨rnbergs Umgang mit seiner reichssta¨dtischen Vergangenheit. Die Kunstsammlungen der Stadt Nu¨rnberg um 1800, in: AnzGNM 2002, S. 345–355.

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Stadtansichten ausgestattet. Wir ko¨nnen also im 16./17. Jahrhundert ein geradezu inflationa¨res Interesse an Stadtansichten und Stadtdarstellungen konstatieren97. Als fu¨nftes und letztes will ich darauf hinweisen, dass sich die Belege dafu¨r, wie scheinbar fiktive Geschichten das Image der genannten Sta¨dte gepra¨gt haben, noch betra¨chtlich vermehren ließen, wenn man einen Blick auf andere Medien richtet: Es gab um 1500 nicht nur gedruckte Stadtbeschreibungen mit und ohne Stadtansichten, in denen sich das Selbstbewußtsein einer Kommune pra¨sentiert, es gab nicht nur die zahlreichen Werke kirchlicher und privater Kunst, sondern es gab auch Monumente an o¨ffentlichen Pla¨tzen, die das Selbstbild einer Stadt darstellten. Um nur wenige Beispiele herauszugreifen: In Trier wurde 1595 der manieristische Petrusbrunnen auf dem Hauptmarkt errichtet, der das Ideal eines von den vier Kardinaltugenden regierten Gemeinwesens verbildlicht, dessen katholische Bevo¨lkerung vom Bistumspatron St. Peter beschu¨tzt wird. Etwa ein Jahrhundert spa¨ter wurde der Trebetabrunnen erbaut, der darauf hinweist, dass die inzwischen bedeutungslos gewordenen Treverer von alters her die natu¨rlichen Bundesgenossen der Ro¨mer waren98. In Ko¨ln wurde ab 1567 eine Rathauslaube errichtet, deren Bildprogramm das hohe Alter, die antike Tradition und die engen Beziehungen der Reichsstadt zum Kaisertum zum Ausdruck brachte99. Anna¨hernd gleichzeitig ließ der Trierer Rat fu¨r das Rathaus ein Trebetabild herstellen, und um 1600 wurden in Augsburg drei Bronzebrunnen in Auftrag gegeben, bei denen der Herkulesbrunnen drei Reliefs besitzt, welche die Urbarmachung des Landes, die Begegnung der Roma und der Augusta sowie den siegreichen Einzug der Augusta darstellen100. Auch hier zeigt sich, dass Fiktionen Fakten schufen. Und genau das muss auch bei der Deutung von Stadtansichten dieser Zeit beherzigt werden.

97 Wolfgang Behringer, Die großen Sta¨dtebu¨cher und ihre Voraussetzungen, in: ders./Roeck, Bild der

Stadt (wie Anm. 7), S. 81–93. 98 Wolfgang Schmid, Der Petrusbrunnen auf dem Trierer Hauptmarkt. Ein Werk Hans Ruprecht Hoff-

manns von 1595, Trier 1995; ders., Das Herrenbru¨nnchen in Trier – eine Ratsherrentrinkstube der fru¨hen Neuzeit, in: Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften in spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Sta¨dten, hg. v. Gerhard Fouquet/Matthias Steinbrink/Gabriel Zeilinger (Stadt in der Geschichte 30), Sigmaringen 2003, S. 215–253. 99 Kirgus, Rathauslaube (wie Anm. 49). 100 Helmut Friedel, Bronzebilddokumente in Augsburg 1589–1606. Bild und Urbanita¨t (AbhGAugsburg 22), Augsburg 1974; Peter Hirschfeld, Najaden oder Weibsbilder? Bemerkungen zu Adrian de Vries’ Herkulesbrunnen in Augsburg, in: ZKunstg 43 (1980), S. 54–64; Bruno Bushart, Die Augsburger Brunnen und Denkmale um 1600, in: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock, Kat. Bd. 3, Augsburg 1981, S. 82–94; Lars Olaf Larsson, Die großen Brunnen und die Stadterneuerung um 1600, in: Elias Holl und das Augsburger Rathaus, Kat. Regensburg 1985, S. 135–147; Jo¨rg Martin Merz, Skulptur im o¨ffentlichen Raum. Der Fall Augsburg um 1600, in: ZKunstwiss 51 (1997), S. 9–42; Volker Krahn, Der Merkurbrunnen. Bemerkungen zu Adrian de Vries anla¨ßlich der Restaurierung seiner Augsburger Brunnen, in: Weltkunst 12 (1998), S. 2290–2293; zum allgemeinen statt nutzen. Brunnen in der europa¨ischen Stadtgeschichte, hg. v. Dorothee Rippmann/Wolfgang Schmid/ Katharina Simon-Muscheid, Trier 2008.

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English Summary

This paper takes a look at the question whether urban views of the Early Modern Age reflect reality or whether they were used to create a certain image of a city. The study starts off with the characterization of the metropolis Cologne as a „holy“ city, being subject both in urban views and in narrative descriptions. Cologne’s urban views can hardly be seen as topographical sources. What is more, they contain a certain message from a respective addressor to an audience. These considerations are further elaborated on the second example of Trier, a city, which is not only characterized as „holy“ but also as „old“. With regard to Trier, a number of urban views as well as prints of relics and geographical textbooks will be interpreted. Taking a look at the description of Germany by the Nuremberg humanist Johann Cochlaeus of 1512 makes evident that apart from Trier and Cologne, no other city had the image of being „holy“. All other German towns, only dealt with briefly by Cochlaeus, were highlighted because of their location, their buildings, their educational institutions and their economic performances. Therefore, the focus on age and holiness is a uniqueness which can be construed as a return to, even an escape into a glorious past. A comparison of different types of sources such as funerary monuments, portraits, hagiographies and foundation legends demonstrates that other art and literary genres also had the purpose of communicating a certain image. The last section of this paper elaborates on the community-building functions of an image, on its purpose of communal inner and outer self-portrayal, on its creators, addressees and recipients, as well as on the different rules in the creation of illustrations and texts and their artistic or literary purpose. In conclusion, urban illustrations or views may show an actual depiction of reality; at the same time, however, this reality is adjusted to a certain ideal.

FRAGMENTARITA¨T, FREMDHEIT, FIKTIONALITA¨T Literarische Großstadtbilder zwischen Wahrnehmung und Vision* von Angelika Corbineau-Hoffmann

In einer bildverliebten Zeit wie der jetzigen1 scheint der Literaturwissenschaftler ein Außenseiter zu sein, ist doch die Doma¨ne seiner Arbeit nicht jene optische Dimension unserer Erfahrung, die in den ‚Bild‘-Medien ihren Niederschlag findet. Vielmehr arbeitet der Literaturwissenschaftler mit literarischen Texten, und zuna¨chst gilt: Texte sind keine Bilder. Trotzdem ist die Frage nach Bildern in Texten, die Vorstellung von Texten als Medien der Bilderzeugung nicht per se unsinnig. Denn durch Texte kann aufgerufen, in Texten kann beschrieben werden, was sich auch in Bildmedien wie Malerei, Photographie und Film darstellen la¨sst, weil Texte u¨ber ein hohes kognitivimagina¨res Potenzial verfu¨gen. Wa¨hrend des Lesevorgangs und sogar noch u¨ber diesen hinaus produzieren wir mentale Bilder, indem wir in unsere Vorstellung u¨bertragen, was der Text beschreibt; pikturale Umsetzungen von Texten wie Illustrationen2 und Verfilmungen geho¨ren deshalb zur intermedialen Doma¨ne der Literatur genuin dazu. Doch freilich: Nicht selten fu¨hren Illustrationen oder Verfilmungen von literarischen Texten beim Leser zu Entta¨uschungen: Plo¨tzlich sieht das Schloss der Marquise von O. ganz anders aus als in meiner Vorstellung, und bei mir trug Effi Briest auch nicht die Zu¨ge der Schauspielerin im Film. Die Bilder, wie sie durch die Lektu¨re literarischer Texte entstehen, sind unscharf wie verwackelte Photos oder Motive im u¨berma¨ßigen Weichzeichner – schemenhaft, schattenhaft. Sie zu fixieren und medial

* Das Manuskript wurde bereits 2005 abgeschlossen. 1 Aus der reichen Literatur, die ihrerseits die Aktualita¨t der Fragestellung unterlegt, sei zitiert: Die Welt

im Bild. Wirklichkeit im Zeitalter der Virtualita¨t, hg. v. Bernd Flessner Freiburg i. Br. 1997. Zu den kritischen Stimmen vgl. die Behandlung der Positionen von Dietmar Kramper und Peter Sloterdijk bei ¨ sthetisches Denken, Stuttgart 5. Aufl. 1998, S. 107f. Das Verha¨ltnis von Sprache Wolfgang Welsch, A und Bild findet eine erhellende Behandlung bei Hans-Werner Eroms, ‚Anschauung‘ und ‚Bildlichkeit‘ in der Bilderflut, in: Bild im Text – Text und Bild, hg. v. Ulla Fix/Hans Wellmann, Heidelberg 2000, S. 31–51. 2 Beispiele fu¨r Textillustrationen sind zahlreich (speziell bei ‚klassischen‘ Werken wie Dantes Divina commedia oder Goethes Faust) und mu¨ssen hier nicht angefu¨hrt werden. Besondere Na¨he zwischen literarischem Text und Illustration ist in Rodenbachs Bruges – la morte gegeben: Diese Geschichte einer Stadt verlangt nach dem Willen des Autors ausdru¨cklich eine Bebilderung. Ein Sonderfall fu¨r das Verha¨ltnis von Text und Bild ist der Anfang des Petit Prince von Antoine de Saint-Exupe´ry, wo das Textversta¨ndnis direkt von den (aus der Feder des Autors stammenden) Bildern abha¨ngt.

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zu konkretisieren bedeutet unweigerlich einen Verlust der Vielfalt ihrer Bedeutungen. Denn jene Unscha¨rfe provoziert, bei der Begegnung mit den ‚Bild‘-Medien, nicht nur Entta¨uschungen, sondern birgt auch die Chance zu eigener Durchdringung dessen, was der Text an vagen Vorstellungen evoziert und zur weiteren Gestaltung offen la¨sst. Insbesondere fiktionale Texte, die ihrer Definition nach in einem unbestimmten Verha¨ltnis zu realen Sachverhalten stehen, ja nach u¨blichem Versta¨ndnis diese sogar negieren, verfu¨gen u¨ber ein besonders hohes Bildpotential3, da sie an die jeweils individuelle Vorstellungskraft appellieren. Denn fiktionale Texte stehen nicht prima¨r in Relation zur außerliterarischen Wirklichkeit, sondern zur jeweils perso¨nlichen Welt des Rezipienten: Sie rufen nicht die umgebende Wirklichkeit auf, sondern appellieren an uns selbst in unserer je besonderen Weise, Individuen zu sein4. Die so beschaffenen ‚Bilder‘ der Literatur sind uns zu eigen, und bei der Lektu¨re von (insbesondere la¨ngeren) Texten produziert jeder Leser seine individuellen Bilderreihen. Durch die mentalen Bilder, die vor seinem inneren Auge entstehen, leistet der Leser – in Dimensionen, die von den Medien nicht eingeholt werden ko¨nnen – die Umsetzung, die Metamorphose des Textes ins Bild. ¨ ber Sta¨dtebilder in der Literatur zu sprechen, von denen erwartet werden kann, U dass auch sie dem Imagina¨ren der Stadt gehorchen5, ist vor diesem Hintergrund denkbar einfach und denkbar schwierig zugleich. Einfach, weil jeder Text (und folglich auch eine literarische Darstellung der Großstadt) Bilder evoziert, schwierig, weil diese Bilder in einem sehr problematischen Verha¨ltnis zu dem stehen, was sie abbilden. In Anbetracht des fiktionalen Charakters literarischer Stadtdarstellungen, die vorrangig in den narrativen Gattungen oder in der Lyrik ihren Ort haben, erweist sich die Bezugsetzung derartiger Bilder zur Realita¨t und ihrer Wahrnehmung als ein Vorgang von besonderer Komplexita¨t: Stehen nicht die Fiktionen, mehr von den Gesetzma¨ßigkeiten der Poetologie gepra¨gt als von wahrnehmbarer ‚Wirklichkeit‘, den Fak¨ bertragung der Wahrnehmung ten fremder gegenu¨ber, als dass von einer bruchlosen U in den literarischen Text die Rede sein ko¨nnte? Mehr noch: Bilden die ‚Bilder‘ der 3 Es ist insofern folgerichtig, dass Iser sein Konzept des Imagina¨ren an fiktionalen Texten entwickelt; vgl.

Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imagina¨re. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt am Main 1991, bes. Kap IV, 5: „Das Zusammenspiel des Fiktiven und des Imagina¨ren“. 4 In der Literaturbeilage der FAZ vom 6. Oktober 2004, S. L 15, geht Felicitas von Lovenberg bei ihrer Besprechung von Amos Oz’ Geschichte von Liebe und Finsternis auf dieses Pha¨nomen ein und weiß dabei den Autor an ihrer Seite: (Kontext: Scheinbar gewa¨hrt der Schriftsteller Einblick in seine Werkstatt) „Daß dennoch Vorsicht geboten ist, verra¨t nur ein einziges Wort: ‚Roman‘. Zwar beschreibt Amos Oz scheinbar ganz ohne Filter die Geschichte seiner Familie, doch heißt das nicht, dass sich alles so zugetragen hat, wie es seine Schilderungen ausmalen. Der – ihm offenbar ha¨ufig gestellten – Frage, was autobiographisch sei an seinen Bu¨chern, widmet er ein ganzes Kapitel. Der ‚gute Leser‘, so Oz, versetze sich in die Lage des Erza¨hlers, um das zu empfinden, was dieser empfindet. Dann stelle er Vergleiche an: nicht zwischen der Romanfigur und dem, was er u¨ber den Autor weiß, sondern zwischen der Figur und sich selbst. ‚Und du, frage bitte nicht: Was, sind das wirklich Tatsachen? Geht ¨ ber dich selbst. Und die Antwort kannst du fu¨r dich es bei diesem Autor so zu? Frage dich selbst. U behalten.‘“ Felicitas von Lovenberg, „Der Mann, der ein Buch werden wollte“. Der große ju¨dische Roman, endlich aus Israel: Amos Oz’ „Geschichte von Liebe und Finsternis.“ 5 Auf den imagina¨ren Charakter der fru¨hesten u¨berlieferten Stadtdarstellungen in der Malerei weist Jacques Le Goff hin: Vgl. Die Liebe zur Stadt. Eine Erkundung vom Mittelalter bis zur Jahrhundertwende, Frankfurt am Main/New York 1998, S. 119f.

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Literatur u¨berhaupt etwas ab? Mu¨sste die Betonung des Abbildcharakters von Bildern der Großstadt nicht den Kunstcharakter der Literatur verkennen, jene auch hier wirksame Autonomie der Ku¨nste, die spa¨t erst in der Geschichte, am Ausgang des 18. Jahrhunderts, erstritten wurde? Dennoch: Bilder stehen der Definition nach zu ¨ hnlichdem, was sie darstellen, in einem Verha¨ltnis der mehr oder minder großen A keit6. Von literarischen Bildern der Großstadt sprechen zu wollen mu¨sste demnach fast zwangsla¨ufig den Gedanken einer Entsprechung zwischen der Stadt und ihrer Darstellung hervorrufen, so dass sich Stadt und Bild gleichsam u¨bereinanderlagern, gegeneinander verschoben werden ko¨nnen und sich zu mehr oder weniger großen Teilen u¨berlappen. Der darstellende Text wu¨rde damit, als ‚Bild‘ der Stadt aufgefasst, seinem Gegenstand a¨hnlich und ko¨nnte zumindest partiell reproduzieren, was der Stadt eigen ist, indem er zum Beispiel durch entsprechende Vokabeln und weitra¨umige Satzkonstruktionen die Gro¨ße der Stadt wiedergibt, so wie sie wahrgenommen wurde von jenem Autor, jener ‚Stimme‘, die am Ursprung des Textes stehen7. Fu¨r das Verha¨ltnis von Stadt und Literatur ist zuna¨chst festzuhalten, dass es aus gutem Grund alt, bewa¨hrt und solide ist. Stadtgeschichten, Stadtbeschreibungen und Laudes urbium geho¨ren zu den a¨ltesten Gattungen, in denen Sta¨dte auftreten, Diskurse alimentieren und im besten Fall Geschichte schreiben. Insbesondere fu¨r Stadthistoriker, mo¨chte der Fachfremde meinen8, sind dies Quellen aus erster Hand – freilich vielleicht nicht immer von erster Qualita¨t. Obwohl Darstellungen der genannten Art auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive von Interesse sein ko¨nnen9, gel¨ berlegungen. Vielmehr steht der Kunstcharakter ten nicht ihnen die kommenden U der Stadtdarstellungen im Fokus des Interesses; dass die Beispieltexte der folgenden ¨ berlegungen alle der Lyrik entstammen, ha¨ngt mit dem dezidierten, teilweise forU ciert artistischen Anlage dieser ‚formalsten‘ aller literarischen Gattungen zusammen. Darstellungen von Großsta¨dten in lyrischen Texten stehen zudem vor der besonderen Herausforderung, das denkbar Große, Komplexe, Fluktuierende in einer trotz aller Liberalisierungen noch immer strengen Gattung einzufangen. Wo der Begriff ‚Einfangen‘ an Festlegung und Stillstellen denken la¨sst, wird in Wahrheit die Literatur als ein Kunstmittel verstanden, das Sta¨dte nicht nur abbildet und darstellt, sondern

6 Vgl. hierzu Angelika Corbineau-Hoffmann, Die andere Wirklichkeit. Zur Konstituierung literari-

scher Bilder in Gu¨nter Kunert, Der andere Planet. Ansichten von Amerika, in: Bild im Text – Text und Bild, hg. v. Fix/Wellmann (wie Anm. 1), S. 75–91, bes. S. 76–81. 7 In Ablehnung positivistischer Konzepte vom konkreten Autor und dessen Willen sprechen Theoretiker der Postmoderne vom Tod des Autors: Roland Barthes, La mort de l’auteur, in: Ders., Œuvres Comple`tes, Bd. II: 1966–1975, hg. v. Eric Marty, Paris 1994, S. 491–495. Barthes nimmt gegenu¨ber dem von ihm beschriebenen Vorgang vom Tod des Autors eine durchaus ambivalente Haltung ein: [...] la naissance du lecteur, schreibt er, doit se payer de la mort de l’Auteur (S. 495); das klingt wie ein Opferritus. Ohne so weit zu gehen wie Barthes, sieht auch Michel Foucault den Autor weniger als Person, denn als Zuschreibungsmodus von Diskursen; vgl. Michel Foucault, Was ist ein Autor?, in: ders., Schriften in vier Ba¨nden, hier Bd. I, Frankfurt am Main 2001, S. 1003–1043. 8 Dass auch sie in teilweise großem Ausmaß Fiktionen enthalten, wurde bei den Diskussionen der Mu¨nsteraner Tagung vielfach thematisiert. 9 Verf. hatte am Beispiel der Parisliteratur auch Quellen dieser Art untersucht: vgl. Brennpunkte der Welt: C’est l’abre´ge´ de l’univers. Großstadterfahrung und Wissensdiskurs in der pragmatischen Parisliteratur 1780–1830, Bielefeld 1991.

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auch Reflexionen, geistige Spiegelungen in Gang setzt, die den besonderen Charakter der Stadt als Thema eines literarischen Werkes beleuchten. Solche Kunst-Sta¨dte finden ihren Ort nicht nur in Bu¨chern und gedruckten Texten, sondern vor allem in unserer Vorstellungskraft. Es wird zu zeigen sein, dass sie gezielt und entschlossen in unsre Ko¨pfe eindringen, hier eine je eigene, ganz individuelle Innenwelt allererst schaffen und diese mit Bildern bevo¨lkern: All das la¨sst einen Prozess von hohen Spannungsgraden erwarten. Ein markantes Beispiel dafu¨r, wie Bild und Wahrnehmung der Stadt auseinander klaffen ko¨nnen, liefert Ovid in Stu¨ck III des ersten Buches seiner „Tristia“10. Man erinnert sich: Aus bis heute nicht eindeutig gekla¨rten Gru¨nden wird der Autor der „Amores“ und der „Ars amatoria“ von Augustus aus Rom verbannt; innerhalb einer Nacht muss er die Stadt verlassen. Wie dramatisch sich dieser Abschied gestaltet11, erhellt aus dem Vergleich des Jammers in seinem Hause mit dem Leid der Trojaner bei der Eroberung ihrer Stadt durch die Griechen12 – ein nicht unschuldig gewa¨hlter Vergleich, ist doch der Untergang Trojas in Vergils „Aeneis“ der Ausgangspunkt fu¨r den Gru¨ndungsmythos des Ro¨mischen Reiches. Ein Begru¨ndungsgestus – der Ursprung einer neuen, so perso¨nlichen wie elegischen Dichtung – ist auch Ovids Abschied von Rom. Im Mondschein fa¨llt der Blick des sprechenden Ich auf das Capitol, und es folgt, dem genius loci entsprechend, eine Rede an die Go¨tter: Iamque quiescebant voces hominumque canumque Lunaque nocturnos alta regebat equos. Hanc ego suspiciens et ab hac Capitolia cernes, Quae nostro frustra iuncta fuere Lari, Numina vicinis habitantia sedibus, inquam, iamque oculis numquam templa videnda meis, dique relinquendi, quos urbs habet alta Quirini,este salutati tempus in omne mihi. [...] (Vers 27–34) Was sich im Text als Abschiedsschmerz solcherart pra¨gnant artikuliert und den Leser bis heute so betroffen macht, dass er mitzuleiden vermeint, entsteht nicht aus dem unmittelbaren Erleben selbst: Weder der Mond noch das Kapitol sind Daten der Wahrnehmung, sondern vielmehr Bilder der Erinnerung. Schon zu Beginn wird deutlich, dass alles Gesagte sich auf die Vergangenheit bezieht, jenen letzten Moment in Rom, da das ‚Ich‘, von allen beklagt und beweint wie ein Toter, Rom verlassen muss. Trotzdem ist das Gedicht einer Trostrede vergleichbar, denn das Bild des Verlorenen geho¨rt zum unverlierbaren Bestand des Geda¨chtnisses:

10 Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Publius Ovidius Naso, Briefe aus der Verbannung. Tristia.

Epistulae ex Ponto. Lat. und dt, Darmstadt 1995.

11 Der Abschied von Rom wurde im Weiteren zu einem literarischen Topos, fu¨r den es zahlreiche Bei-

spiele gibt – bis hin zu Goethe, der sich bei seinem Abschied von Rom dieser Elegie von Ovid erinnert. Vgl. Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise, hg. v. Andreas Beyer/Norbert Miller (Mu¨nchner Ausgabe 15), Mu¨nchen 1992, S. 653: „Und wie sollte mir gerade in solchen Augenblicken Ovids Elegie nicht ins Geda¨chtnis zuru¨ckkehren, der, auch verbannt, in einer Mondnacht Rom verlassen sollte.“ 12 Vers 25–26: i licet exemplis in parvo grandibus uti / haec facies Troiae, cum caperetur, erat.

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Cum subit illius tristissima noctis imago, qua mihi supremum tempus in urbe fuit, cum repeto noctem, qua tot mihi cara reliqui, labitur ex oculis nunc quoque gutta meis. (Vers 1–4) Was der Text aufruft, ist nicht die Gleichzeitigkeit von Geschehen und lyrischem Diskurs, ist nicht derselbe Ort von Handlung und Sprechen: nicht die „tristissima nox“ ist Gegenstand des Elegeions, sondern die tristissima noctis imago (Vers 1, Hervorhebung A. C.-H.). Schmerz und Trost zugleich schaffend, ist das gedanklich und im Text pra¨sente, tatsa¨chlich aber als Lebensraum verlorene Rom eine innere Realita¨t von eigenartigem ontologischem Status. Es wird suggeriert, der Abschied habe sich abgespielt, wie er dargestellt ist, und dem Leser der Eindruck gemahnt die Erinnerung tro¨ge nicht; gleichwohl und a fortiori gemahnt aber das Gedicht in der Dramatik seines Inhalts und seines Aufbaus an eine poetische Konstruktion, die das Geschehen u¨berzeichnen muss, um a¨sthetisch glaubhaft zu sein. Die ku¨nstlerische Inszenierung ¨ hnlichen und doch Verschiedenen: Der Mond verhieß verlangt die Analogie des A noch einen Aufschub, der Morgenstern hingegen verku¨ndet Unheil; dreimal betritt der Scheidende die Schwelle, dreimal wird er zuru¨ckgerufen und folgt nur allzu willig diesen Stimmen; auch geht er nicht aus eigener Kraft, sondern muss fortgetragen werden wie ein Leichnam – mit struppigen Haaren und beschmutztem Gewand. Wenn es wie unwillku¨rlich unterlief, das im Kontext eigentlich angebrachte Kunstwort vom ‚lyrischen‘ Ich durch ‚den Scheidenden‘ und das Personalpronomen ‚er‘ zu ersetzen, ist der Lapsus sprechend, denn die Fiktion eines ‚literarischen‘ Ich wird durch die wie aus dem Leben gegriffene Schilderung immer wieder unterlaufen, paradoxerweise eben dadurch, dass alles Geschehen dieser letzten Nacht in Rom in der Erinnerung sedimentiert ist. Sollte der Innenraum der ‚imago‘ die Stadt zu besonderer Pra¨gnanz bringen, die Erinnerung sie gegenwa¨rtiger machen, der Verlust sie na¨her bringen, als sie vorher je war? Das Bild der geliebten Stadt wurde tragischerweise von der Wahrnehmung getrennt, hat aber eben deshalb Bestand auch unter den Umsta¨nden des Exils, die eine Begegnung mit Rom gar nicht mehr ermo¨glichen. Dass Rom in den Text eingeht, hat wiederum eine tiefere Bedeutung: Das Buch na¨mlich, das in der Heimat gelesen wird, erreicht, was seinem exilierten Autor verwehrt ist: Rom. Sta¨dten begegnet man nicht unschuldig – schon gar nicht der Stadt Rom. Als Joachim du Bellay, ein junger Mann noch13, im 16. Jahrhundert das große Rom besucht, entsteht daraus, bis dahin singula¨r in der Literaturgeschichte, ein Zyklus von Stadtgedichten, „Les antiquitez de Rome“ (1558)14. Rom verstand sich, einer langen Tradition gema¨ß, als caput mundi, ruhte auf einer ehrwu¨rdigen geschichtlichen Tradition und verband das antike Erbe mit dem Christentum. Komplexer konnte/ko¨nnte ein 13 Du Bellay (*1522) befand sich 1553 bis 1557 als Sekreta¨r seines Onkels, des Kardinals Jean du Bellay,

in Rom. Dort verfasste er den Zyklus mit dem an Ansichtenwerke erinnernden Titel „Les antiquitez de Rome“. Seine ro¨mischen Jahre waren jedoch keineswegs eine fruchtbare Zeit, sondern von privaten Sorgen u¨berschattet und abrupt beendet durch die Beziehung zu einer verheirateten Ro¨merin und die dadurch bedingte Flucht aus Rom. 14 Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Poe`tes du XVIe sie`cle, hg. v. Albert-Marie Schmidt, Paris 1953, S. 418–431.

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Ort kaum sein, denn Rom verwies in die Tiefe der Zeiten zuru¨ck und beherrschte die aktuelle christliche Welt. Wie am Zielpunkt jener Wege, die sprichwo¨rtlich allesamt nach Rom fu¨hren, ist die Stadt ein Kraftzentrum von unvergleichlicher Ausstrahlung – Roma aeterna steht fu¨r die Koinzidenz der Zeiten und die Konzentration des historischen Raumes an einem Ort. Fast scheint es zwangsla¨ufig zu sein, dass Rom auch Thema der Literatur ist15. Schon fu¨r das sechzehnte Jahrhundert, noch bevor sich die Volkssprachen des Themas bema¨chtigen und es bis in die heutige Zeit nicht wieder freigeben, gilt: Einen poetischeren Gegenstand ha¨tte sich du Bellay kaum erwa¨hlen ko¨nnen: Nouveau venu, qui cherches Rome en Rome Et rien de Rome en Rome n’aperc¸ois, Ces vieux palais, ces vieux arcs que tu vois, Et ces vieux murs, c’est ce que Rome on nomme. [...] Rome de Rome est le seul monument, Et Rome Rome a vaincu seulement. Le Tibre seul, qui vers la mer s’enfuit, Reste de Rome. O mondaine inconstance!16 Ob die ‚Poesie‘ dieser Zeilen jener des in ihnen beschriebenen Ortes angemessen ist, scheint nichts weniger als ausgemacht zu sein. Nicht weniger als zehn Mal fa¨llt in dem Sonett von du Bellay der Name Rom, so als wollte der entta¨uschte und entmutigte Betrachter sich a¨ngstlich an dem festklammern, was sich bei allem Wandel der Zeiten nicht vera¨nderte: Rom heißt (noch) immer Rom. Der Name beschwo¨rt die Einheit, wo doch aller Evidenz nach die Stadt in Fragmente zerfallen ist: nicht nur in eine Ansammlung von Ruinen, sondern auch in mehrere Bilder. Das Bild, das der fiktive Betrachter, das sprechende Ich vor Augen hat, entspricht nicht den mitgefu¨hrten und an die Stadt herangetragenen Erwartungen, und aus dieser Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit speist sich das Gedicht, gewinnt es seine Qualita¨t als Klage. Das Sonett wird elegisch. Rom ist keine lebendige Stadt mehr, sondern nur noch eine Ansammlung von Resten und Ruinen; allein das Flu¨chtige, das Wasser des Tibers, hat der Zeit widerstanden und ist, paradoxe Einsicht, gleich geblieben. Die sich wandelnde, proteische Natur erweist sich so der immer dem Verfall preisgegebenen Kultur als vielfach u¨berlegen. Versucht man aus heutiger Sicht zu rekonstruieren, welch grandioses Erlebnis es eigentlich fu¨r einen jungen Menschen der Renaissance sein musste, das große Rom zu sehen, ist die gleich in einem ganzen Lyrik-Zyklus dargelegte, quasi bis zum Exzess ¨ berraschungsmoment jenseits aller Erwartung und ausgekostete Entta¨uschung ein U Wahrscheinlichkeit. Die befremdlichen emotionalen Dimensionen der Entta¨uschung sind aber zugleich auch der Grund dafu¨r, dass die von der Liebeslyrik inaugurierte

15 Walter Rehm, Europa¨ische Romdichtung, 2. Aufl. Mu¨nchen 1960. 16 Du Bellay (wie Anm. 14), Stu¨ck 3, S. 419f.

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Form des Sonett-Zyklus auf eine Stadt u¨bertragen werden kann – ein Begru¨ndungsgestus von kaum zu u¨berscha¨tzender Relevanz, der auch die dekonstruktivistische Deutung erlaubt, die Abwehr gegenu¨ber Rom sei in Wahrheit eine larvierte Liebeserkla¨rung17. Lebensraum wurde Rom fu¨r du Bellay nicht; vielmehr entsteht ein Stadtbild, das deutliche Zu¨ge des nicht Bewohnbaren, des Zerrissenen tra¨gt. Allenthalben in den „Antiquitez de Rome“ kollidiert die Realita¨t auf zunehmend schmerzliche Weise mit der Erwartung und der Vorstellung: Inneres und a¨ußeres Bild wollen nicht zur Deckung kommen. Doch was im Leben Entta¨uschungen und Frustrationen hervorbringen mu¨sste, la¨sst in der Literatur einen Raum entstehen, in dem sich Gesehenes und nur Gedachtes, Gegenwa¨rtiges und Vergangenes nicht nur durchdringen, sondern sogar in der strengen Form des Sonetts zur preka¨ren Einheit kommen. Eine solche spannungsreiche Synthese des Widerspru¨chlichen gelingt nur in jenen mentalen Bildern, die der Text entwirft und seinem Leser u¨berantwortet; mehr noch: Sie ist eine Leistung der Fiktion, die auch Gegensa¨tzliches ausspielen kann, ohne der Wirklichkeit verpflichtet zu sein. Bevor der Fiktion der Makel des Defizita¨ren, bloß Erdachten, gar lu¨genhaft Vorgegebenen angeheftet wird, ließe sich mit derselben, wenn nicht noch gro¨ßerer Evidenz behaupten: Fiktionalita¨t heißt immer auch – Freiheit. Rom ist bei du Bellay anders als alle Erwartungen, wurde fremd dem eigenen Bilde. Es muss der Bereich des ‚anderen‘18, konkret: der Tiber mit seinen Wassern, evoziert werden, um das Ausmaß der Zersto¨rung Roms am Gegenbild der Natur zur Anschauung zu bringen. Es klingt wie ein ketzerischer Satz: Die Stadt allein vermag offensichtlich noch keine literarische Beschreibung zu alimentieren, sondern ruft anderes, von ihr selbst Verschiedenes, herauf. Die Stadt ist der Ort der Differenz19. Es geho¨rt zu den befremdlichsten, aber auch zu den fu¨r ihn einnehmendsten Kunstgriffen du Bellays, dass er die innere Fremdheit der Stadt an der Identita¨t des Namens zur Anschauung bringt. Vor allem dort, wo ‚Rom‘ zweimal in unmittelbarer Na¨he zu sich selbst oder im Hiatus auftritt, Rome de Rome est le seul monument resp. Rome Rome a vaicu seulement, werden Identita¨t und Differenz ipso passu fassbar. Rom ist in sich so fremd und selbstwiderspru¨chlich, dass es des Fremden oder anderen gar ¨ ber Rom fu¨hrt nicht bedarf, um Rom zu besiegen oder es im Denkmal zu feiern: U

17 Hierzu Wayne A. Rebhorn, Du Bellay’s Imperial Mistress: Les Antiquitez de Rome as Petrarchist

Sonnet Sequence, in: Renaissance Quarterly 33 (1980), S. 609–622. 18 Hans Robert Jauss, Alterita¨t und Modernita¨t in der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsa¨tze

1956–1976, Mu¨nchen 1971.

19 Hier ereignen sich ‚Verschiebungen‘ im Sinne Derridas, welche wiederum die ‚Gro¨ße‘ der Großstadt

veranschaulichen. (Vgl. Jacques Derrida, La diffe´rance, in: ders., Marges de la philosophie, Paris 1972, S. 1–29.) Vgl. ebenfalls : Richard Sennett, Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, Frankfurt am Main 1994. Sennett freilich versteht ‚Differenz‘ nicht im Sinne Derridas, sondern folgt der alltagssprachlichen Verwendung: „[...] statt Ganzheit kann die Großstadt die Erfahrung von Differenz vermitteln. Die Kraft, die die Stadt zu entfalten vermag, wenn sie die Menschen in dieser Weise orientiert, erwa¨chst aus ihrer Mannigfaltigkeit; im Angesicht der Unterschiede haben die Menschen jedenfalls die Mo¨glichkeit, aus sich herauszutreten.“ (S. 161). Der Zusammenhang ist literarisch, bezieht sich doch Sennett hier auf Baudelaires Großstadterfahrung, von der weiter unten die Rede sein wird.

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nichts hinaus, denn es ist die coincidentia oppositorum, sich selbst genug in seinen unauflo¨slichen Widerspru¨chen. Als du Bellay seinen Rom-Zyklus verfasst, besitzt Rom bereits eine lange, aus der Antike u¨berkommene, durch die mittel- und neulateinische Dichtung befestigte literarische Tradition20. Ein vergleichbares Herrschaftssigel in der Doma¨ne der Literatur zeichnet die modernen Großsta¨dte nicht aus. Die erste und lange Zeit bedeutendste unter ihnen, London, tritt zwar im 18. Jahrhundert als Schauplatz von Romanen in Erscheinung21, kann aber kaum als eigensta¨ndiges literarisches Thema gelten, zumal London nicht u¨ber entsprechende Sprachformen, spezifische Gattungen oder gar einen eigenen Diskurs verfu¨gt. Es geho¨rt zu den Paradoxien der Literaturgeschichte der Großstadt, dass London erstmals bei dem Franzosen Louis-Se´bastien Mercier zu einem von narrativen Kontexten unabha¨ngigen Thema der Literatur wird. Als der spa¨tere Verfasser des vielba¨ndigen, 1781 bis 1788 entstandenen „Tableau de Paris“ nach London reist, verfasst er im Anschluss seinen „Paralle`le de Paris et de Londres“ (1781)22 und vergleicht die Kapitale Englands mit seiner Heimatstadt – unerwarteterweise geht die Parallelfu¨hrung ganz zu Gunsten Londons aus. Knappe Beschreibungen der Stadt im Roman, ihr gewidmete kurzlebige Genres wie die Town Eclogue oder der London Spy begru¨nden keine literarische Tradition Londons, und es bedarf in viel spa¨terer Zeit der Romane des Charles Dickens von „Oliver Twist“ und „Our Mutual Friend“ bis „Bleakhouse“, um London den pride of place in der Geschichte der Großstadtliteratur zu sichern. Ein beru¨hmtes Gedicht freilich scheint diesem Befund zu widersprechen: Ist nicht Wordsworths Sonett „Composed upon Westminster Bridge“, in seiner Qualita¨t schon geadelt durch seinen Verfasser, ein flagrantes Gegenbeispiel, vor dem die These von der mangelnden Pra¨senz Londons in der Literatur in sich zusammenbricht? Earth has not anything to show more fair: Dull would he be of soul who could pass by A sight so touching in its majesty: This city now doth, like a garment, wear The beauty of the morning: silent, bare Ships, towers, domes, theatres, and temples lie Open unto the fields, and to the sky; All bright and glittering in the smokeless air. Never did sun more beautifully steep

20 Eine hervorragende Textgrundlage bietet der Band : Roma aeterna. Lateinische und Griechische Rom-

dichtung von der Antike bis in die Gegenwart [...], ausgewa¨hlt, u¨bersetzt und erla¨utert von Bernhand Kytzler, Darmstadt 1984. 21 Um eine umfassende Arbeit u¨ber London in der Literatur zu finden, muß man weit zuru¨ck gehen und findet dann auch nur eine auf die englische Literatur bezogene Untersuchung: Percy H. Boynton, London in English Literature, Chicago 1913. 22 Der Text, wohl 1780 entstanden, wurde erstmals von Claude Bruneteau und Bernard Cottret aus dem Fonds der Bibliothe`que de l’Arsenal publiziert unter dem Titel Un ine´dit de Louis-Se´bastien Mercier. Paralle`le de Paris et de Londres, Paris 1982. Gleich das erste Kapitel tra¨gt den Titel „Paris compare´ a` Londres“.

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In his first splendour, valley, rock, or hill; Ne’er saw I, never, felt, a calm so deep! The river glideth at his own sweet will: Dear God! The very houses seem asleep; And all that mighty heart is lying still!23 Majesta¨t und Gro¨ße, Glanz und Leuchtkraft werden der Stadt zugeschrieben: Ma¨chtig ist London, sprachma¨chtig so weit, dass es sogar dieses Gedicht hervorbringt. Nicht nur Großstadtgedicht, sondern eigentlich Großstadtgema¨lde, ist das Sonett von Wordsworth eine malerische Komposition, in der sich London im Morgenlicht pra¨sentiert als eine soeben erwachte Scho¨nheit. Das Blicken und Schauen, vom Licht als seiner physischen Voraussetzung durchsetzt, wird im Text mehrfach zum Thema: Fair, splendour und bright unterstreichen die morgendliche Helligkeit, show, sight, saw die nicht enden wollende Faszination des Anblicks. Aus der Perspektive der Westminster Bridge, die offenbar Stand- und Schreibort zugleich sein soll, so wie der Maler sein Motiv zum selben Zeitpunkt sieht und wiedergibt, bietet sich London als Gesamtbild dar, in Ruhe noch, aber kurz vor dem Aufwachen. Wordsworth verfasst plein-air-Literatur in Analogie zur plein-air-Malerei. Allegorisch im Ansatz (durch garment oder heart), erscheint London wie eine Frau, deren Scho¨nheit das sprechende Ich tief affiziert, es zum panegyrischen Diskurs inspiriert und sogar dessen Ausruf „Dear God“ am Rande der Sprachlosigkeit provoziert: Im Angesicht der Scho¨nheit der Stadt muss die Literatur ihre Grenzen bekennen. Die Begeisterung ist dem Text eingeschrieben, die Form so vollendet wie der Gegenstand selbst. Doch wird London wirklich als Großstadt wahrgenommen, ist sein ‚Bild‘ das einer modernen Metropole? Hier fehlt alles, was sich (im peˆle-meˆle der Assoziation) mit der Großstadt verbindet: Bevo¨lkerungsreichtum, Handelszentrum, Industriestandort, Konzentration von Wissen(schaften) und Kultur – nichts davon in der kunstvollen ‚Komposition‘ einer Stadt am Morgen. Auch bei Wordsworth wird, a¨hnlich wie bei du Bellay, anderes heraufbeschworen, erscheint die Großstadt als Paradigma der Fremdheit. Denn nicht die weltgro¨ßte Stadt jener Zeit, nicht der Ort fru¨hester Industrialisierung kommt bei Wordsworth zur Darstellung, sondern eine Stadt im Zeichen der Natur und damit das Gegenteil dessen, was mit der Großstadt konzeptionell verbunden ist: Kultur, Geschichte, Handel, Technik. Auch die Verwendung des traditionellen Konzepts der Scho¨nheit ist eine Folge des von Natur und Kunst gepra¨gten Blickwinkels, einer Perspektive, die zum besonderen Charakter der modernen Großstadt geradezu im Widerspruch steht. Rief bei du Bellay das aktuelle Rom ein anderes Rom herauf, so ist London in Wordsworths Sonett bei aller Scho¨nheit ein Gebilde des Mangels. Die moderne Großstadt wird nicht dargestellt, sondern im Gegenteil ausgeblendet und durch Natur substituiert. Was die Literatur

23 Versehen mit der Angabe „Sept. 3, 1802“ erschien das Gedicht 1807 im Druck. Hier zitiert nach der

Ausgabe The Poetical Works of Wordsworth, Cambridge Edition [...] by Paul D. Sheats, Boston 1982, S. 284.

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in Ermangelung poetologischer Konzepte zur Darstellung der Großstadt nicht vermag, wird der Malerei u¨berantwortet: Dieses Bild von London ist ein Gema¨lde, faszinierend und verscho¨nernd, ein Idealbild; wahr aber ist es nicht. Paris ist die Stadt, die im Werk Baudelaires ihr Bild der Moderne einpra¨gte. Sowohl in den „Tableaux parisiens“ (1861), die einen Teil der „Fleurs du mal“ bilden, als auch im „Spleen de Paris“ von 1869, in dem Paris als zentraler, titelgebender Ort auftritt, ist die franzo¨sische Kapitale die Hauptstadt der literarischen Moderne24. Einer der komplexesten Texte, die Baudelaire Paris widmete, soll nun zu einer fragmentarisierten Darstellung kommen, denn einholbar ist dieses Gedicht, „Le Cygne“, auch in der gedachten Totalita¨t seiner Deutungen kaum. Der Text, aus Erinnerungen bestehend, steht im Zeichen der Melancholie, jenes Geisteszustandes somit, dem die Welt, so wie es Walter Benjamin beschrieb, in Tru¨mmer fa¨llt25. Die verlorene Einheit ist die Signatur der Melancholie, so wie sie jene der Moderne ist26. Text in Teilen wie das Produkt eines Zerfalls, besteht „Le Cygne“ nicht nur aus zwei Abschnitten, sondern zudem noch aus ganz verschiedenen Gegensta¨nden und Motiven. Die Stadt Paris scheint im Aufgebot der Vertriebenen, Heimatlosen, Exilierten nur eine Nebenrolle zu spielen, eine undankbare Rolle zudem, denn sie ist Ort des Exils. Nicht nur der titelgebende Schwan, nicht nur der Widmungstra¨ger Victor Hugo, auch nicht allein Andromache und die namenlosen, elenden Figuren am Rande der Großstadt sind Exilierte; ihnen reiht sich vielmehr auch das sprechende Ich selbst ein, denn die Stadt wurde ihm fremd. Wie die beiden schon behandelten Rom-Gedichte, ist auch Baudelaires „Le Cygne“ von Erinnerungen gepra¨gt, ja geradezu strukturiert. In drei Schritten, die als negative Klimax abwa¨rts in die Vergangenheit fu¨hren, evoziert das sprechende Ich, das soeben den Platz des Nouveau Carrousel nahe dem Louvre u¨berquerte, zuerst eine Baustelle: Je ne vois qu’en esprit tout ce camp de baraques, Ces tas de chapiteaux e´bauche´s et de fuˆts, Les herbes, les gros blocs verdis par l’eau des flaques, Et, brillant aux carreaux, le bric-a`-brac confus.27 Die Bauarbeiten, die unter der Leitung des Barons Haussmann das alte, verwinkelte Paris zu einer modernen Metropole machten, fu¨hren in der Erinnerung des lyrischen

24 Wer dies aus dem Geist der Kongenialita¨t zuerst erkannte, war Walter Benjamin; vgl. Charles Bau-

delaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, in: Ders., Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenha¨user, Frankfurt am Main 1991, hier Bd. I, 2, S. 509–689. 25 Vgl. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: Ders., Gesammelte Schriften (wie Anm. 24) I, 1, S. 317–335. 26 Die Moderne als Verlust der Einheit von Mensch und Natur ist der Grundgedanke in Schillers Abhand¨ ber naive und sentimentalische Dichtung. Von hier aus erkla¨rt sich das Bestreben der Moderne, lung U in der Totalita¨t des Kunstwerks die verlorene Einheit zu substituieren. Konzeptionen wie jene des Gesamtkunstwerks oder die Tendenz zu Werken, die sich als ‚Summa‘ verstehen, gehen zu einem großen Teil auf die von Schiller theoretisierte Verlusterfahrung zuru¨ck. 27 Charles Baudelaire, Le Cygne„ in: Ders., Œuvres Comple`tes, hg. v. Claude Pichois, 2 Bd. Paris 1975, hier Bd. I, S. 86.

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Ich zu einem Ruinenfeld, in dem, wahres bric-a`-brac, Sa¨ulenstu¨mpfe von wuchernden Pflanzen durchsetzt sind. Das fruchtbar gemachte Geda¨chtnis (auch hier, in fe´conder, taucht das Bild der Natur wieder auf) bringt den Schwan zum Vorschein, der am selben Ort vorher in einem kleinen Tiergehege seine Heimat hatte oder besser: sich dort im Exil befand, denn ihm fehlte, vitaler Mangel, Wasser. Kaum no¨tig hinzuzufu¨gen, dass der Schwan, um sein Lebenselement klagend, ein Bild des Dichters ist, der in dieser von Grund auf vera¨nderten Stadt nicht mehr heimisch zu werden vermag. Das typisch moderne Tempo des Wandels nahm den melancholischen Dichter nicht mit in die neue Zeit: La forme d’une ville / Change plus vite, he´las! Que le cœur d’un mortel. In Baudelaires Gedicht ist Paris ein Ort des Aufbruchs, der Vera¨nderung und des Wandels, ein Lebensraum von typisch moderner Dynamik, gepra¨gt vom alles mitreißenden Fortschritt und zugleich ein Ort, der eben damit in einen ebenso flagranten wie qualvollen Widerspruch zu dem gera¨t, was die hier nicht mehr heimischen Figuren repra¨sentieren: Innenwelten, die aus Vorstellungen, Wu¨nschen, Gedanken und Bedu¨rfnissen, aus Trauer und Klagen bestehen. Hinter diesem einen, fremd gewordenen Ort liegt, in der Perspektive des Gedichts betrachtet, ein weiterer verborgen. Der Blick richtet sich in ferne Zeiten und Ra¨ume, so dass die Gegenwart der Stadt gleichsam unterwandert wird von einer Gegenwart der Gedanken und Erinnerungen. Im sich rasant vera¨ndernden Paris bleibt nur die Melancholie eine feste Gro¨ße – alles ist Gegenstand des Nachdenkens: [...] mes chers souvenirs sont plus lourds que des rocs. Statt der Bewegung des Fortschritts zu folgen, nimmt das sprechende Ich die Position dessen ein, der sich lastenden (lourd) Erinnerungen hingibt, an ihnen tra¨gt wie an schweren Felsbrocken und seinen Blick in die Vergangenheit richtet. Zum Gegenstand der Melancholie und der Allegorisierung geworden, verweigert sich Paris, als Innenraum des Nachdenkens und der Erinnerung verstanden, dem Zugriff der Zeit. Eben deshalb ist es Ort des Mythos viel mehr als Ort der Geschichte: Andromache, an die sich die erste Zeile im Appellativ richtet, ist eine mythische Figur. Der modernste aller Dichter jener Epoche, Charles Baudelaire, scheint seinen Blick in die Vergangenheit der Stadt zu richten und nicht auf ihre aktuellen Vera¨nderungen. Dieser passatistische Zug mag an Baudelaire u¨berraschen, zumal die dargestellte Vergangenheit nicht eigentlich eine historische, sondern viel eher eine mythische ist. Der Eskamotierung der Zeit entspricht, in der Figur der kran¨ berwindung des Raumes. Auch bei Baudelaire, dem Dichter, der ken Negerin, eine U die moderne Großstadt als Gegenstand der Lyrik entdeckte, ist die Stadt von bestu¨rzender Alterita¨t. Konkrete Wahrnehmung vollzieht sich kaum, wird im Ansatz schon zuru¨ckgedra¨ngt zugunsten einer Fu¨lle von Visionen – Baudelaire nennt sie „Gedanken“ wie in der Tradition der Liebeslyrik28 –, vor denen die banale Gegenwart nicht bestehen kann. Paris wird zum Schauplatz eines Dramas, dessen Personen allesamt Heimatlose sind; dass Baudelaire das Versmaß der klassischen franzo¨sischen Trago¨die, den Alexandriner, verwendet, fu¨gt sich diesem Befund bruchlos ein. Das Tru¨mmerfeld Paris gewinnt, ebenso wie das Schicksal der dort lebenden Exilierten, antike Gro¨ße, tragische Ausmaße und paradigmatische Kraft. 28 Zu dieser ‚Gedankenwelt‘ Petrarcas vgl. Karlheinz Stierle, Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im

Europa des 14. Jahrhunderts, Mu¨nchen/Wien 2003, S. 525–594.

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Es wa¨re verwunderlich, ga¨be es in diesem an die Wurzeln der Großstadterfahrung ru¨hrenden Gedicht Baudelaires keine Erinnerungen an die Mutter aller Sta¨dte im Abendland, an Rom: Die „gute Wo¨lfin“ ist gegenwa¨rtig, die „maigres orphelins“ ko¨nnen als Romulus und Remus gedeutet werden. Und nicht zu vergessen: Rom ist nicht nur die erste aller abendla¨ndischen Sta¨dte, sie ist auch die erste und lange Zeit einzige, die eine eigene Literaturgeschichte schreibt. Rom ist aber in Baudelaires Gedicht auch und konkreter die Stadt, von der aus Ovid ins Exil ging. Dadurch kann Rom in Analogie treten zu Paris, der Metropole der Moderne, die la¨ngst nicht mehr Heimat ist, denn sie a¨ndert sich schneller als das Herz eines Sterblichen. Die Verbindungen, ja Verknu¨pfungen zwischen den Großsta¨dten und ihren Darstellungen erweisen sich als außerordentlich eng – ein Reflex mo¨glicherweise der Tatsache, dass auch die Gegensta¨nde einander sehr a¨hnlich sind in ihrem großsta¨dtischen Charakter: Die Anonymita¨t, die nach landla¨ufiger Ansicht das Leben in der Großstadt pra¨gt, kennzeichnet auch diese selbst. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass Texte, die urspru¨nglich auf eine bestimmte Großstadt bezogen waren, auch zur Darstellung einer anderen dienen ko¨nnen. Ein Beispiel fu¨r einen solchen Rezeptionsprozess bildet folgende Passage aus T. S. Eliots lyrischem Zyklus „The Vaste Land“: Unreal City, Under the brown fog of a winter dawn, A crowd flowed over London Bridge, so many, I had not thought death had undone so many. Sighs, short and infrequent, were exhaled, And each man fixed his eyes before his feet. Flowed up the hill and down King William Street, To where Saint Mary Woolnoth kept the hours With a dead sound on the final stroke of nine.29 Im Gegensatz zu Wordsworths leuchtendem Bild des sommerlichen London entwirft Eliot das du¨stere Tableau einer Morgenda¨mmerung im Winter. Die Bru¨cke ist auch nicht mehr der gleichsam selbst schon poetische Ursprung des Gedichts, sondern Schauplatz fu¨r einen Totentanz, dessen a¨chzende Gestalten keinen Blick haben fu¨r die Stadt, sondern ihre Augen nur auf das Pflaster vor ihren Fu¨ßen richten. Nicht das Wasser der Themse, sondern das Fluten eines Zuges aus Toten, durchteilt die Stadt, die das makabre Bild mit dem „dead sound“ eines ‚finalen‘ Glockenschlages begleitet: In der Stadt schla¨gt den Menschen die Stunde, und doch wird das Bild insgesamt vor- oder ausgegeben als das einer unwirklichen Stadt. Indem Unreal city der Darstellung fast wie ein Titel voransteht, wird das Bild der ‚realen‘ Stadt aufgerufen, die, so mo¨chte man vermuten, in allem das Gegenbild zum du¨ster grundierten Tableau des Textes ist. Oder wird das Gedicht, auch diese Deutung scheint mo¨glich,

29 T. S. Eliot, The waste land, Vers 60–68: (= I: „The Burial of the Dead“). Zitiert nach der Ausgabe

T. S. Eliot, The Complete Poems and Plays 1909–1950, New York usw. 1950 u. o¨., S. 37–55. Eliot bezieht sich in seinem Kommentar zu dieser Stelle auf den Anfang von Baudelaires, Les sept vieillards, und im weiteren auf Dante, Divina Commedia, Inferno III, 55–57 und IV, 25–27.

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der realen Stadt in ihren vielfa¨ltigen Erscheinungsformen nicht habhaft? Soll nicht der Leser ganz nach Lust und Vermo¨gen erga¨nzen, was der Text nicht sagt, so dass jenes ‚andere‘ der unreal city, ihr reales Bild, ihm und seiner Vorstellungskraft u¨berantwortet ist? Seltsam verkehrt sind bei Eliot die Verha¨ltnisse, verschoben die Verbindungen zwischen Wahrnehmung und Bild, Wirklichkeit und Vorstellung der Stadt: Das jeweils Erste, vermeintlich Einfachere, wird in die Virtualita¨t transponiert, das Komplexere, auf Wahrnehmung und Wirklichkeit erst Aufbauende, ist Gegenstand des Textes. Dieser selbst erha¨lt auf diese Weise einen sekunda¨ren, abgeleiteten Charakter gema¨ß dem Satz Lockes, dass erst in den Sinnen war, was dann den Intellekt erreicht. Doch liegen die Dinge so einfach? Ist nicht vielleicht die als unwirklich ausgegebene Stadt die faktisch wahrgenommene, wirkliche? Und darf man nicht noch einen Schritt weiter gehen und mutmaßen, die erdachten Gegensta¨nde seien um ein Bedeutendes wirklicher als die realen? Erreichte man dann die paradoxe Position, dass ficta die eigentlichen facta sind? Wie immer diese Fragen auch beantwortet werden, zo¨gerlichverzagt im Sinne einer Fiktionstheorie, die Fiktionen als Erfindungen ohne Realita¨ts¨ bergrund ansieht (oder vielmehr: brandmarkt30) oder aber ku¨hn im Sinne einer U 31 bietung der Realita¨t durch die Fiktion , einer aemulatio, in welcher jene u¨berhaupt erst zu sich selbst findet – als pra¨gender Eindruck bleibt jener der unreal city erhalten. Ein Blick auf die intertextuelle Herkunft des Textes von Eliot hilft, die genannte Alternative zur Entscheidung zu fu¨hren. Wa¨re man zuna¨chst geneigt, ein elendes Bild Londons mit seinen fru¨hmorgendlichen Spektren den seit Engels bekannten entwu¨rdigenden Zusta¨nden in den Londoner Arbeitervierteln zuzuschreiben, fu¨hrt stattdessen und nach Auskunft des Dichters selbst32 der Weg zuru¨ck zu Baudelaire und dessen ‚danse-macabre‘-Gedicht von den sieben Greisen, das im Rahmen der „Tableaux parisiens“ das vervielfachte, perpetuierte Entsetzen thematisiert: Fourmillante cite´, cite´ pleine de reˆves, Ou` le spectre en plein jour raccroche le passant ! Les myste`res partout coulent comme des se`ves Dans les canaux e´troits du colosse puissant.33 Schon die Lesarten des Gedichts vom heimatlosen, seinen Zustand beklagenden Schwan verweisen die These, Baudelaire habe ein reales Bild von Paris, gestu¨tzt auf seine allta¨gliche Wahrnehmung, entwerfen wollen, ins Reich der Spekulation. Paris ist nicht an sich schon ein poetischer Gegenstand, sondern kann (und muss) durch ¨ ußerste verfeinerte Gaben der Kunst anverwanbestimmte, beim Dichter bis aufs A delt werden: durch Erinnerung und Imagination. Es sind somit innere Kra¨fte, die zu 30 Fu¨r Searle bestehen fiktionale Texte ihrem logischen Status gema¨ß aus nicht-ernsthaften A ¨ ußerungen.

Vgl. John R. Searle , Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie, Frankfurt am Main, 3. Aufl. 1990, bes. Kap. 3 : „Der logische Status fiktionalen Diskurses“. 31 Der Literaturwissenschaftler Genette steht demgegenu¨ber anders zur Fiktion; fu¨r ihn sind fiktionale Texte nicht negativ durch ihren (fehlenden) Bezug zur Realita¨t definiert, sondern positiv durch ihre Fa¨higkeit, in einem perlokutiona¨ren Akt Vorstellungen im Leser hervorzurufen. Vgl. Ge´rard Genette, Fiktion und Diktion, Mu¨nchen 1992, Kap. 2: „Die Fiktionsakte“. 32 Vgl. die in Anm. 27 genannten Kommentare des Autors. 33 Charles Baudelaire, Les sept vieillards, in: Ders., Œuvres comple`tes (wie Anm. 27), vol. I, S. 87.

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ebenfalls internalisierten Bildern – solchen der Erinnerung oder solchen der Imagination – fu¨hren. Es ist hier weder der Raum noch bleibt die Zeit, diese fu¨r Baudelaire (insbesondere als Dichter der Stadt) zentralen Konzepte na¨her zu erla¨utern34. Es liefe dem Kunstversta¨ndnis der Moderne radikal zuwider, ihr eine Darstellung der Wirklichkeit im Sinne von mimesis und repraesentatio anzusinnen. Den radikalen Weg, der T. S. Eliot instand setzte oder ermutigte, die Vorstellung ho¨her zu bewerten als die Wirklichkeit, eine unreal city zu entwerfen und die real city fu¨r zu leicht ¨ bertragung des Reazu befinden, ging Baudelaire noch nicht. Ihm war es um eine U len ins Imagina¨re zu tun, die im Sinne der Imagination u¨berraschend neue Anordnung dessen, was die Wirklichkeit an Daten, zumeist Fragmenten, im Innenraum des dichtenden Ich hinterlassen oder abgelegt hatte. Erfreuliches im landla¨ufigen Sinne ist nicht darunter (und es ist auch nicht mehr die Aufgabe der Kunst, ihre Rezipienten zu erfreuen gema¨ß dem Horazischen „delectare“); vielmehr vollzieht sich im dichterischen Akt die Transformation jenes Strandguts der Wirklichkeit in ein Bild der Vorstellung. Die Fiktion des literarischen Textes, radikalisiert durch die Kunstmittel der Lyrik, bewahrt Fragmente der Realita¨t. Fiktion und Realita¨t, facta und ficta sind im Raum literarischer Texte keine Gegensa¨tze, sondern bilden in einem gemeinsamen Akt den Textraum selbst. Der fiktionale Text gibt nicht vor zu sein (im Sinne des ‚Fingierens‘), sondern ist und verleiht dem, was er thematisiert, den ontologisch ho¨chst anspruchsvollen Status eines Gebildes, fu¨r dessen Versta¨ndnis die Frage, ob es nun wirklich oder nur erfunden sei, ohne jede Relevanz ist. Fiktionen befreien von dem Zwang, entscheiden zu mu¨ssen, was tatsa¨chlich sei, und ko¨nnen deshalb ¨ sthetischen als Freiraum begru¨nden35. Im Modus einer Fiktion der den Genuss des A Großstadt reflektiert, bu¨ßt der im Titel unseres Kongresses evozierte Unterschied von (realer) Wahrnehmung und (mehr oder weniger verfremdetem) Bild seine kon¨ ber einen verla¨sslichen Maßstab, was denn tatsa¨chzeptionelle Scha¨rfe teilweise ein. U lich wahrgenommen wurde und was demgegenu¨ber ‚nur‘ ein unverbindliches Vorstellungsbild sei, verfu¨gen fiktionale Texte nicht. Sie mu¨ssen vielmehr an das Wissen, die Erfahrung des Lesers appellieren, der im Rezeptionsprozess dem fiktionalen Text reale Erfahrungen, die eigenen na¨mlich, anlagert. Aufgrund des unspezifischen Charakters der Aussagen im Text (diese sind gleichsam allesamt schwankende Gestalten) kann Reales und Erdachtes in eine wa¨hrend des Textverlaufs hergestellte, freilich preka¨re und immer vom Auseinanderbrechen bedrohte Einheit u¨berfu¨hrt werden. Diesem spezifischen Verha¨ltnis von Wahrnehmung und ‚Bild‘ der (Groß-)Stadt gelten die ¨ berlegungen. abschließenden U

34 Bei Baudelaire wird das Vermo¨gen zur Dichtung in den Innenraum des Geda¨chtnisses verlegt, was zum

entscheidenden Anstoss fu¨r Prousts Poetik der Erinnerung wurde. Vgl. L’art mne´monique, in: Charles Baudelaire (wie Anm. 27), hier II, 697–700. Das Konzept der Imagination, die auch als „Ko¨nigin der Fa¨higkeiten“ bezeichnet wird, dient der Neuschaffung der Wirklichkeit durch eine andere, von der Vorstellungskraft herbeigefu¨hrte Anordnung der Erfahrungsdaten. Vgl.: „La Reine des faculte´s“ und „Le Gouvernement de l’imagination“, ebd., S. 619–628. 35 Obwohl er den Begriff der Fiktion nicht verwendet, thematisiert Schiller in seiner Schrift „U ¨ ber die ¨ sthetische Erziehung des Menschen“ de facto diese Fa¨higkeit der Fiktion, den Menschen jenseits des A Drucks der Wirklichkeit in Freiheit zu setzen.

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Es mag auch im Kontext einer Publikation der Geschichtswissenschaft erlaubt sein, die Chronologie zu durchbrechen, gestu¨tzt auf die These, dass von einer ‚Geschichte‘ der Großstadtliteratur ohnehin nur sehr bedingt, sondern viel eher von Serien gleichsam fruchtbarer Augenblicke die Rede sein kann36, in denen sich die Bilder der Sta¨dte verdichten und miteinander in einen Dialog treten (oder von der Literaturwissenschaft zu einem solchen angeregt werden). Bevor sich der Kreis dieser Darlegungen mit der Betrachtung eines Rom-Gedichts schließt, soll die These von der genuinen, dem Gegenstand inha¨renten Fremdartigkeit der Großstadt in der Literatur durch ein weiteres Beispiel untersetzt werden. Bisher mussten die Großsta¨dte in den schon betrachteten Texten weitgehend ohne ihre Bewohner auskommen, jene Mengen von Menschen, die das nicht zu u¨bersehende Großstadtgewimmel in den Sta¨dten unserer Kenntnis und Erfahrung ausmachen. Das Gesetz der Perpetuierung und der Wiederholung lebt von jenen flutenden Menschenmassen, die auch in pikturalen Darstellungen der Großstadt, vor allem im Umkreis des Futurismus und Expressionismus, ihren anonymisierenden Aktionsraum finden – ha¨ufig in Darstellungen Berlins, seiner Straßen, Pla¨tze, Menschen37. Die ju¨ngste der großen modernen Metropolen erlebte ihre Blu¨tezeit mit dem Aufkommen des Expressionismus, der in Berlin wie in keiner anderen Stadt ein Modell fu¨r das ihm eigene, moderne Kunstversta¨ndnis fand. Menschenmassen und die Vermassung des Menschen werden in neuerer Zeit zum Thema in einigen Großstadt-(Berlin-)Gedichten von Durs Gru¨nbein. Schon ein Titel wie „Die meisten hier“38 signalisiert die Verbindung von Großstadt und Masse, die ihrerseits verknu¨pft ist mit den Errungenschaften der Technik oder der Massenmedien. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass, wie als erster Do¨blin in „Berlin Alexanderplatz“ zu bedra¨ngender Anschauung brachte, die modernen mass media ihren Ort in den Metropolen haben. Als Rede eines nicht na¨her bezeichneten, faktisch anonymen Sprechers auftretend, weist der Roman den Massen ein Pha¨nomen zu, das sie geradezu su¨chtig macht: eine Wirklichkeit wie aus zweiter Hand. Baudrillards Vorstellung von der fatalen Bedeutung der Simulation in Zeiten der Massenmedien39 findet hier ihre literarische Vorla¨uferschaft. Diese Wirklichkeit produziert „diese eiskalten Reizwortho¨llen“, in denen die Sprache den Menschen gleichsam anfa¨llt, und die „Massen zersplitterter Bilder“. Sprache gera¨t, auf Reizworte reduziert, ebenso aus ihrem Zusammenhang wie die Bilder, die wie die Ausschnitte der Kamera als eines

36 Falls sich der Leser fragt, warum eine Publikation von mir just den Titel „Kleine Literaturgeschichte

der Großstadt“ tra¨gt: Der Verlag, die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, bestand trotz meines Widerstands auf diesem von ihm erdachten Titel, der, wie einige Rezensenten zu Recht herausstellen, dem Buch nicht angemessen ist. 37 Hier sind vor allem Ludwig Meidner, George Grosz und Ernst Ludwig Kirchner zu nennen. Zum Motiv der Großstadt in der Malerei vgl.: Ich und die Stadt. Mensch und Großstadt in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts, Katalog der Ausstellung in der Berlinischen Galerie, Berlin 1987. 38 Die Texte von Durs Gru¨nbein werden zitiert nach der Ausgabe: Von der u¨blen Seite. Gedichte 1985–1991, Frankfurt am Main 1994. 39 Vgl. Jean Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978, bes. S. 35–44. Wo es keine Realita¨t mehr gibt, lautet die These Baudrillards, verliert die Unterscheidung von Fiktion, Simulation und Realita¨t ihre raison d’eˆtre. In einer Zeichenwelt ohne Wirklichkeitsa¨quivalent vollzieht sich nicht nur die Agonie des Realen, sondern dessen ‚realer‘ Tod.

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gleichsam fremden Auges wirken. Beiden fehlt der Kontext der Erfahrung. Trotz dieser Fragmentierung, die ihrem Sinne nach die Vereinzelung von Bruchstu¨cken impliziert, treten die Menschen in Massen auf, als Konsumenten der Medien oder als Fahrga¨ste in u¨berfu¨llten Straßenbahnen. Wahrnehmung, Wirklichkeit, Erfahrung scheinen sich zu paaren in diesem Bild der Großstadt, doch vergisst eine solche Deutung den zweiten Teil des Textes, der aus einer appellativ angeregten Vorstellung besteht: Stell dir vor: ein Cafe´ voller Leute, alle mit abgehobenen Scha¨deldecken, Gehirn bloßgelegt (Dieses Grau!) und dazwischen nichts mehr was eine Resonanz auf den Terror ringsum da¨mpfen ko¨nnte. Amigo, du wu¨rdest durchdrehn bei diesem einen nervento¨tenden Sinuston von garantiert 1000 Hz ... 40. Durch die besondere typographische Anordnung dieses Gedichts entsteht eine Korrespondenz der Zeilen nicht in gewohnter Art durch den Reim, sondern den jeweils gleichen Standort auf der Seite: „Stell dir vor“, „nichts mehr“, „wu¨rdest durchdrehn“, „mit abgehobenen Scha¨deldecken“ und „nervento¨tenden Sinuston“ treten (und nach diesem Schema die anderen Verse auch) in eine teilweise spektakula¨re Entsprechung: Hier wird die Großstadt nicht abgebildet oder dargestellt, sondern in einem mentalen konstruktiven Akt u¨berhaupt erst geschaffen. Mo¨gen die entblo¨ßten Gehirne einerseits an die Mo¨glichkeiten moderner Medizin (Pathologie) gemahnen, ko¨nnen sie andererseits auch und im gegebenen Kontext wohl in erster Linie Mittel der Folter, und sei es ‚nur‘ durch „einen / nervto¨tenden Sinuston von / garantiert 1000 Hz“ evozieren: In der Großstadt wird die sprachlich als Umwelt verharmloste Atmospha¨re ¨ berspanntheit dem Menschen zum Verpermanenter nervlicher Anspannung oder U ha¨ngnis: Mit entblo¨ßtem Gehirn ist er, zumindest in der diesem wiederum entspringenden Vorstellung, dem Terror ausgeliefert. Nur als Stimme in ho¨chster Abstraktion ist der Mensch pra¨sent, als Angesprochener figuriert ein Mitglied der Mafia: Amigo. Die anonyme Menge im Cafe´ mit ihren aufgedeckten Scha¨deln zeigt nur eine Farbe: das wiederum anonymisierende, gleichmacherische Grau der Großstadt. Dieses Vorstellungsbild, das zu realisieren jener „Amigo“ der oder mit ihm weitgehend identische Leser aufgerufen wird, fa¨ngt in einer Welt fortschreitenden Versachlichung den tatsa¨chlichen Zustand der Sta¨dte und ihrer Menschen ein – u¨berzeichnet zwar, doch das ist ein legitimes Mittel der Verdeutlichung. Was als Vorstellung ausgegeben wird, ist somit cum grano salis der Wahrnehmung geschuldet, einer Wahrnehmung jedoch, welche in die kryptischen Tiefen der Sta¨dte vordringt. Das „Stell dir vor“ sagt somit gleichzeitig: ‚Seht, so ist es.‘ „In Tunneln“ thematisiert, als

40 Gru¨nbein (wie Anm. 38), S. 15.

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Sprechakt des dichterischen Ich, eine Fahrt in der U-Bahn, die den Befund des parzellierten, fragmentierten Ich in der Großstadt befestigt: Vielleicht war diese Stille nichts als die Halbwertzeit einzelner Wo¨rter In mir, und wer war ich: ein genehmigtes Ich, Blinder Fleck oder bloßer Silbenrest ... (-ich), zersplittert und wiedervereinigt im Universum von Tag zu Tag, Gehalten vom Bruchband der Stunden zusammengeflickt Stu¨ckweise und in Fragmenten „I feel so atomized“.41 Das Leben/Sprechen/Schreiben in der Großstadt gera¨t zu einer Erfahrung der Zersplitterung, die sogar nur den „Silbenrest“ eines Wortes umfasst: „(-ich)“ – das Ich als nicht einmal semantisierter Appendix. An einem Ort wie der Großstadt, der seiner Natur nach eine (wie auch immer strukturierte) Ansammlung von Menschen ist, gera¨t das Sprechen des Einzelnen zum Idiom aller. Die fremd gewordene Stadt fu¨hrt zu einer Entfremdung des Ich, das indes in seiner potentiellen Allgemeinheit, seiner ‚Vermassung‘, zum Sprecher eines Kollektivs mutiert. Die Stimme wird chorisch. In den Großstadttexten von Durs Gru¨nbein vollzieht sich, unterstu¨tzt durch die Pra¨senz der Wissenschaft (Entropie, Halbwertzeit, Freud) die Verallgemeinerung der Individualita¨t, entsteht die generelle Gesetzma¨ßigkeit modernen urbanen Lebens als ein definitiver Verlust der individuellen Besonderheit. Wie unter dem gnadenlosen ‚Objektiv‘ der Kamera oder unter dem kalten klinischen Blick eines Pathologen offenbart sich das Individuum, schutzlos, als atomisierter Teil einer nicht u¨berschaubaren Masse, befangen wie alle im Bannkreis der Medien. Dies alles spielt sich ab im Modus der Fiktion, ko¨nnte wohl auch als Wirklichkeitsaussage in seiner Radikali¨ berspanntheit, wie schon das Wort ta¨t keinen Bestand haben. Doch liegt in dieser U signalisiert, Spannung, so viel, dass Illusionen zerreißen. Langsam schließt sich der Kreis, indem wir uns wieder Rom na¨hern, mit dem wir begannen. An du Bellays Wiederholung des Namens ist zu erinnern: Das sich selbst fremd gewordene Rom wird noch u¨berboten durch ein Rom-Bild, das nun auch die Verfasstheit des Textes selbst radikal vera¨ndert. Rolf Dieter Brinkmann, der RomReisende wider Willen, der eine schon zersto¨rte Stadt noch einmal destruiert und dabei immer wieder den Rom-Reisenden Johann Wolfgang Goethe wie eine obsessiv

41 Ebd., 113.

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besetzte Vaterfigur in Stu¨cke zu schlagen versucht, kreiste (kreißte) um Rom, schreibend, auf vielfache Weise42. Das Gedicht „Roma di Notte“43 aus dem Band „Westwa¨rts 1 & 2“ hat nicht nur einen Blick auf Rom zum Thema, sondern muss selbst wie ein Bild entschlu¨sselt werden. Schon ein erster Blick auf den Text zeigt, dass hier die u¨bliche Abfolge der Zeilen und Verse, ja dass insgesamt zersto¨rt ist, was man als Verlauf eines Textes, als dessen Diskurs, kennt. In fremder Sprache ist der Titel abgefasst, fremdartig, mit einem Doppelpunkt und einem „&“-Zeichen na¨mlich, setzt das Gedicht ein, um schon bald, wieder im Idiom des Landes, mit „natura morta“ fortzufahren. Auf ein Genus der Malerei bezogen, bedeutet Natura morta hier in erster Linie Stillleben, daru¨ber hinaus aber wo¨rtlich „tote Natur“. Kunstcharakter im traditionellen Sinne eignet diesem Text nicht, und der Titel mit seinen na¨chtlich-romantischen Implikationen wird durch den dann einsetzenden Text gru¨ndlich desavouiert: Ein Nachtstu¨ck im Sinne der medialen Begegnung von Literatur, Malerei und Musik ist „Roma di Notte“ sicher nicht. An einer Stelle entha¨lt der Text den Begriff „Bruchstu¨cke“, wie um sich damit selbst zu charakterisieren. Es gibt hier keine Einheit der Wahrnehmung mehr, und Rom rundet sich auch nicht zu einem Bild, etwa einem Stillleben. Wortfetzen werden aufs Papier geworfen, Entsprechungen entstehen wie zufa¨llig oder wie obsessiv: Fliegen, Blut, Rot, Schwarz, Tod, Gra¨ber. Wie aus unmittelbar festgehaltenen, kunstlos scheinenden Eindru¨cken und Wahrnehmungen bestehend, bietet sich ein Text dar, der einen Gegenstand Jahrhunderte langer Geschichte kurzerhand in Stu¨cke schla¨gt. Vom antiken Rom blieben nur Tru¨mmer und Gra¨ber, das moderne Rom unterscheidet sich nicht von anderen Großsta¨dten – nur dass dort die Kanaldeckel nicht die SPQR-Initialen tragen: fu¨r „Senatus PopulusQue Romanus“. Mit einigen Wiederholungen versehen, deutet der Text eine innere Struktur an, die freilich jedem Ganzheits-Gedanken Hohn spricht. Worin liegt nun der auf den ersten Blick kaum erkennbare Kunstcharakter des Textes? Das elektronische Zeitalter brachte mit den Computern auch einen neuen Text-Begriff hervor, den Begriff der Hypertextualita¨t. Dahinter verbirgt sich etwas sehr Einfaches – die Einheit na¨mlich all jener Texte, die im Internet durch sogenannte ‚links‘ miteinander verbunden sind. Mit solchen Verbindungen entsteht ein Text zweiter Ordnung, ein die Einzeltexte u¨berlagernder Text. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch Brinkmanns „Roma di Notte“ als ein Hypertext, der sich erst auf einer ho¨heren, im Medium Buch nicht mehr zu realisierenden Ebene ausgestaltet. Hypertexte sind Texte im Werden, sind virtuell und deshalb nur noch in einem dauernden Prozess der Konstituierung, des Verfalls und der Erneuerung gegeben – jeweils durch unterschiedliche Zusammensetzung des Sprachmaterials. Dass nun gerade eine Großstadt wie Rom Gegenstand eines solchen Textes wird, muss in einem letzten Interpretationsschritt bedacht und kommentiert werden. An keinem Ort der Welt, in Bezug auf keine Stadt ist die Literaturgeschichte so ergiebig wie in Hinsicht auf Rom. Diese Stadt verfu¨gt u¨ber einen u¨berreichen, nicht 42 Hier ist der Hinweis auf die aus dem Nachlass herausgegebenen, nicht vollendeten Aufzeichnungen:

Rom, Blicke, Reinbek bei Hamburg 1979, von Interesse, weil sich in diesem Konvolut Rom als Fragment darstellt. 43 Rolf Dieter Brinkmann, Westwa¨rts 1 & 2. Gedichte, Reinbek 1982, S. 86–90.

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u¨berschaubaren Fundus aus pikturalen oder im weiteren Sinne auch sprachlichen ‚Bildern‘, die sich im Lauf der Geschichte im kulturellen Geda¨chtnis u¨bereinander geschoben und ‚ra¨umlich‘ abgelagert haben. Wie in einem Spiel – sagen wir: mit Bauklo¨tzen – wird bei Rolf Dieter Brinkmann das Gemenge aus Wahrnehmungen und Vorstellungen immer wieder neu durchgemischt – solange, bis Rom selbst mit seinen kaum zu za¨hlenden internen Entsprechungen, mit der Fu¨lle seiner Bruchstu¨cke, bis Roma aeterna zum Paradigma der Computerwelt – ja soll man sagen: avanciert? Der Rom-Reisende u¨blicher Art, auch der Bildungsbu¨rger auf den Spuren Goethes kann kaum anders, als auf den Text von Brinkmann mit Entsetzen, Empo¨rung oder mit Indifferenz zu reagieren – jedwede bequeme Konsumhaltung wird hier eskamotiert, der potentielle oder tatsa¨chliche Tourist verschreckt. Brinkmann bewegt sich, von ihr ga¨nzlich unberu¨hrt, jenseits der gewichtigen Geschichte Roms und kann doch in der Anlage seines hypertextuell ausgerichteten Gedichts auf historisches Material nicht verzichten, so wenig er auf der anderen Seite vermeiden kann wahrzunehmen, was er so hasst: die u¨berdimensionierte Vaterfigur Goethe, Rom, die Ewige Stadt. Hier nun ergibt sich ein u¨berraschender Ru¨ckbezug zu du Bellay. Die hypertexuelle Anlage von Brinkmanns „Roma di notte“ findet einen fernen Vorla¨ufer in einem Ordnungsgedanken du Bellays. Um den Zykluscharakter seines Werkes zu unterstreichen und die durchgehende Thematik der „Antiquitez de Rome“ formal zu untersetzen, wa¨hlt du Bellay in seinen Sonetten zwei Versformen, den 10–Silber und den Alexandriner, und la¨sst sie auf jeder Buchseite alterieren44. Damit wird eine Lektu¨re jenseits der linearen Abfolge mo¨glich in der Weise, dass man in der Folge der 10– bzw. der 12–Silber vorgeht, jeweils im oberen oder unteren Teil der Seite fortfahrend. Die Linearita¨t der Lektu¨re wird damit unterlaufen, Lektu¨reformen der Hypertextualita¨t schon vorausnehmend. Der Gedanke einer Entsprechung, einer Doppelung bestimmt auch im Weiteren den Zyklus du Bellays, sind doch die Bilder Roms wie Tag und Nacht einander zugeordnet, indem auf der einen Seite, im Licht des Tages, die Verbindung von Wahrnehmung und Vorstellung entsteht, auf der anderen Seite die Schreckensbilder der Nacht entworfen werden – den „Antiquitez de Rome“ auf der einen, ‚lichten‘ Seite entsprechen die du¨steren Traumbilder des „Songe“45. Dabei besteht der na¨chtliche Alp keineswegs aus bloßen Erfindungen jenseits aller Realita¨t, sondern bildet sich durch die Transformationen des Wirklichen. Aus dem ruhig dahinfließenden Tiber, der die Konstanz u¨ber die Zeiten Roms gewa¨hrleistete, wird ein reißender Sturzbach, der eine Ruinenstadt unterspu¨lt. Diese nun formt einen Leib mit sieben Ko¨pfen – den sieben Hu¨geln Roms –, und diese Hydra verschlingt alle lebenden Tiere um sich herum, so wie Rom alle umliegenden Vo¨lker und Staaten unterwarf. Aus dem Norden tut sich, entsprechend dem Ansturm der Barbaren, ein Sturm auf, der das Schreckbild zerstreut, das sich buchsta¨blich in Luft auflo¨st46. Mit diesem Traumbild ist die Extremform all jener Visionen erreicht, die als Bilder 44 Hierzu Marie-Madeleine Fontaine , Le syste`me des Antiquitez de Du Bellay : L’alternance entre de´ca-

syllabes et alexandrins dans un recueil de sonnets, in: Le sonnet a` la Renaissance. Des origines au XVIIe sie`cle, hg. v. Yvonne Bellenger, Paris 1988, S. 67–81. 45 Ebenfalls in: Poe`tes du XVIe sie`cle (wie Anm. 14), S. 431–437. 46 Ebd., S. 434.

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der Phantasie die Darstellung der Großsta¨dte begleiten. So steht am Ende des kurzen, stakkatoartigen Ganges durch die Literaturgeschichte der Großstadtdarstellung in der Lyrik jener u¨berraschende Befund, der in den a¨ltesten Texten schon die kryptische Signatur des erst noch Kommenden entdeckt – je nach Sicht eine Offenbarung oder die Apokalypse. Bleibt ein Resu¨mee. Wie steht es am Ende um die Wahrnehmung, die Bilder der Sta¨dte aus literarischer, literaturwissenschaftlicher Sicht? Großsta¨dte sind Orte der Differenz. In ihnen wird anderes, Ungewohntes, Unerwartetes erfahrbar, Großsta¨dte sind mit Simmel47 Ra¨ume ungeahnter Freiheit und Bu¨hnen fu¨r die Darstellung jeweils perso¨nlicher Eigenart, die man nicht entwickeln darf oder kann, die man vielmehr entwickeln muss. An dieser Stelle ergibt sich ein ‚link‘ zur Literatur. Die Großsta¨dte sind, auch in literarischen Werken, von Differenz, Eigenart und Individualita¨t gepra¨gt. Deshalb fu¨hrt aus den Sta¨dten der Literatur immer ein Weg in die Sta¨dte der Wirklichkeit, auch dann, wenn uns Rom, Paris, London oder Berlin in ihrer Realita¨t gegenu¨ber den Bildern der Literatur vielleicht fremd geworden sind. Die Gegenwart der Sta¨dte in der Literatur macht aus ihnen einen Text-Raum, den wir, egal wo wir uns gerade aufhalten, durchschreiten ko¨nnen. Mit diesem sta¨dtebaulichen Material, mit diesen gewaltigen Massen von Bildern ko¨nnen wir, wie Kulissenschieber, nach Wunsch und Belieben unsere Sta¨dte bauen, umbauen und ihnen Namen geben, so wie Italo Calvino es uns vormachte mit seinen „Citta` invisibili“, den unsichtbaren Sta¨dten48. Diese innere Architektur aus Sta¨dten der Phantasie mag erscheinen wie ein Utopia oder ein geistiges Arkadien, das zu erreichen wir alle nicht schnell genug aufbrechen ko¨nnen. Endlich besitzen wir unsere Sta¨dte nach Wunsch in einem Stadtraum, den wir gestalten nach unseren Bedu¨rfnissen und den uns, weil er ein Innenraum ist, auch niemand mehr nehmen kann. Diese Perspektive freilich muss man nicht fu¨r verlockend halten, sondern kann ihr auch mit Skepsis begegnen. Denn solche aus jeder Wirklichkeit gerissenen Sta¨dte liegen letzten Endes im Niemandsland, an unwirtlicher Stelle jenseits aller Kommunikation. Sta¨dte von solch entlegener Art inspirieren zerklu¨ftete Texte, Fragmente von Diskursen, die in ihrer Fremdheit gegenu¨ber der Wirklichkeit zugleich faszinieren und schaudern machen. Derart zerbrochene Sta¨dte, zerbrochene Texte aber sind Ra¨ume unserer Vorstellungskraft und schaffen Platz fu¨r Visionen. An den Bruchstellen ero¨ffnen sich weitere Dimensionen der Wahrnehmung und Vorstellung von Sta¨dten. Auf dem Hintergrund einer Epoche wie der gegenwa¨rtigen, die der Virtualita¨t, den mentalen Konstruktionen, der jeden festen Standort u¨berschreitenden Globalisierung huldigt, mag es u¨berraschen, dass die betrachteten Texte demgegenu¨ber ein so ganz anderes, dem Erwarteten fremdes Fazit nahe legen. Zwar bilden die Sta¨dte der Literatur eine Eigenwelt, in gewisser Weise auch eine Gegenwelt im Vergleich zu den Sta¨dten der Wirklichkeit. Insofern ist die Fiktion unhinterfragbar und unhintergehbar. Die Sta¨dte der Literatur beno¨tigen aber die Wirklichkeit als Korrelat, will nicht

47 Georg Simmel, Die Großsta¨dte und das Geistesleben, in: Georg-Simmel-Gesamtausgabe, hg. v. Ott-

hein Rammstedt, hier Bd. 7: Aufsa¨tze und Abhandlungen 1901–1908, Frankfurt/M. 1995, S. 116–131. 48 Torino 1972, deutsche U ¨ bersetzung, Mu¨nchen 1984.

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die Literatur, wollen nicht die Ku¨nste generell sich in einer eigenen Welt isolieren, zu der, wenn u¨berhaupt jemand, allenfalls der Ku¨nstler selbst und vielleicht der Fachwissenschaftler noch Zugang haben. Das Leben ist keine Gefahr fu¨r die Kunst, so wenig wie die Fiktion eine Bedrohung fu¨r die Wirklichkeit ist. Beide Bereiche in absoluten Einklang bringen zu wollen, mu¨sste falsche Harmonisierung bedeuten; zwischen ihnen aber einen Dialog zu stiften, wa¨re fu¨r jede Seite eine Bereicherung. Wie die Realita¨t der Fiktion nichts nimmt, sondern ihr etwas hinzufu¨gt, gilt umgekehrt fu¨r die Realita¨t, dass sie in ihrer Eigenart durch die Fiktion gescha¨rft hervortritt. Fiktionale Texte mu¨ssen die Nagelprobe der Wirklichkeit wagen, wollen sie nicht in einem lebensfremden Abseits verbleiben, um nicht zu sagen: vermodern. Der besondere Reiz, der sich fu¨r Historiker aus einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung von Sta¨dten ergibt, ko¨nnte in jenem komplexen Verha¨ltnis von Wahrnehmung und Bildkonstitution, von Wirklichkeit und Fiktion liegen. Sta¨dte werden konkret in der Realita¨t erbaut, aber auch mental umgebaut und sogar durch die Imagination neu erschaffen. Sie bieten uns nicht nur Lebens-, sondern auch Denkra¨ume, mentale Gebilde, die im fiktionalen Modus der Literatur kommuniziert werden. Die Sta¨dte der Literatur sind kaum generalisierend zu charakterisieren und zu beschreiben, denn in Sprache gefasst, zu Fiktionen geronnen, bilden sie individuelle Innenra¨ume, die wir als Leser betreten, um dann unsere eigenen Vorstellungen, Visionen von Sta¨dten zu schaffen. ¨ ber diesen Prozess ist kaum mehr zu sagen, als dass er so wenig abschließbar ist wie U die fortdauernde Faszination der Sta¨dte zwischen Wahrnehmung und Vision.

English Summary

The question of image and perception of the city is subject to a shift in the sense of Derrida’s diffe´rance as far as literature is concerned. Literature, being mostly comprised of fictional texts, does not contain perceptions, but rather purports them. It also does not conceive images in the sense of reflections, but creates mental constructions, whose connection to reality is doubtful and unstable. Especially lyrical selfprojections demonstrate to what extent the (purported) perception is fragmented and how the image is, therefore, only a vision in reality. But even if the texts are fictional and apparently self-referential, their concepts do not only depend on a confrontation of the reader with reality, but on a retranslation into reality. Otherwise, literature is threatened with becoming an unworldly automatism (German: Selbstlauf ), in which it fails to fulfill its request and purpose: i. e. to induce communication with the reader, who, in the present case of the portrayal of big cities, might him/herself be familiar with this subject. Thus, the shattered cities of literature might be converted but also be rebuilt in mental constructions. The result will be other cities than those of reality, though there are similarities.

INDEX DER ORTS- UND PERSONENNAMEN

Aachen 121, 122, 144, 146 Aeneas Sylvius siehe Pius II. ´ lvarez de Toledo, Alba (Alva), Fernando A Hz. v., Generalstatthalter d. Niederlande 111 ¨ sterreich, S. v. Albrecht (Albert) (VII.) v. O Ks. Maximilian II., Generalstatthalter d. Niederlande (Hz. v. Burgund) 108, 112 Alzey 154 Amiens 92 Amsterdam 105, 107, 108 Andernach 142 Anno, Ebf. v. Ko¨ln 12 Ansbach 142 Antwerpen (Anvers) 80, 84, 92, 105–107, 112, 142–144 Arnheim 112 Arras (Atrecht) 84 Augsburg 141, 142, 145–147, 157 Augustus, ro¨m. Ks. 164 Babylon 11, 17 Bacharach 144, 154 Bamberg 142, 144 Banda, Fam. in Verona 39 Barbari, Jacopo 26 Barcelona 8 Basel 141, 142, 144 Bath 8 Baudelaire, Charles 170–174 Behringer, Wolfgang 5 Beke, Pierre van der 88 Belgrad (Beograd) 99–103 Berlin 19, 175, 180 Bern 14 Bertrandon de la Brocquie`re 101 Bevilacqua, Fam. in Verona 39 Bingen 141 Biondo, Flavio 106 Blankenfeld, Johann, Bf. v. Dorpat u. Reval 61 Boldieri, Gerardo 39 Bonn 146 Boppard 142, 144

Bosch siehe Hertogenbosch Botho (Bote), Konrad 3, 4, 12 Braun, Georg 3 Braunschweig 3, 15, 145 Breda 118 Bremen 15 Brenzoni, Fam. in Verona 42 Breslau (Wrocław) 141, 142 Brinkmann, Rolf Dieter 177–179 Brody (Pfo¨rten) i. d. Niederlausitz 8, 19 Bromberg (Bydgoszcz) 74 Bru¨gge (Bruges) 18, 82, 84, 87, 88, 92, 95, 142 Bru¨ssel (Bruxelles) 80, 82, 105, 106, 112 Bruni, Leonardo 106 Buchanan, George 112 Burghausen 141 Butzbach 67 Bydgoszcz siehe Bromberg Camden, William 106 Celtis, Konrad 122, 141, 147 Cerda, Ildefonso 8 Charles siehe Karl Chester 9 Chicago 20, 21 ¨ . 84 Claeissens, Pieter d. A Cochlaeus, Johann 123, 125, 126, 128–136, 140–147, 155, 157 Coevorden 109 Contarini, Ambrogio 72 Corbusier siehe Le Corbusier Cranach, Lukas 127, 153 Czernekow, Christian, Stadtschreiber v. Reval 64 Czernowitz 19 ´ (Rothenburg a. d. Oder) 73 Czerwiensk Damme 81, 95 ´ Danzig (Gdansk) 64, 72–75, 77, 145 David, Ge´rard 85 De Kremer siehe Mercator Den Bosch siehe Hertogenbosch Den Haag (’s-Gravenhage) 21, 23 Deventer 143

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Index der Orts- und Personennamen

Dickens, Charles 19 Dijon 87 Diksmuide (Dixmude) 81 Do¨blin, Alfred 19 Dolce, Bartolomeo 39 Dos Passos, John 19 Du Bellay, Joachim 165, 167–169, 177, 179 Dublin 19 Du¨ren 121, 122 Du¨rer, Albrecht 123, 127, 144, 153 l’E´cluse siehe Sluis Edinburgh 19 Einbeck 142 Eisleben 142 Elbing 69 Eliot, T. S. 172–174 Emmerich 143 Enea Silvio Piccolomini siehe Pius II. Enen, Johann 155 Erfurt 141, 143 van Eyck, Malerfam. 85 Eyck, Hubert van 84 Florenz 106 Frankfurt a. M. 21, 142, 144 Frankfurt/Oder 143 Freiburg i. Br. 140, 142, 153 Freudenstadt 8 Fulda 143 Furnes siehe Veurne Gaetani, Enrico, Kardinal 72 Gand siehe Gent Gaskell, Elizabeth 19 ´ siehe Danzig Gdansk Gent (Gand) 80, 81, 85, 87, 90, 95, 106, 107, 142 Geraardsbergen (Gerhardsbergen, Grammont, Giesbaargen) 110 Gislebert de Mons 84 Goethe, Johann Wolfgang v. 164, 177, 179 Goslar 142 Gostkowski, Wojciech 72 Gottfried VII., Hz. v. Niederlothringen 115 Gramaye, Jean-Baptiste 112–120 Grammont siehe Geraardsbergen Gratiani, Antonio Maria 72 ’s-Gravenhage siehe Den Haag Graz 142 Greifswald 144 Grimbergen, Kloster 113 Groningen 109, 142 Gru¨nbein, Durs 175 Gruneweg, Martin 73 Guillaume de Joinville, Ebf. v. Reims 84

Haag siehe Den Haag Haarlem 109 Habsburger, Dyn. 108 Halberstadt 3, 4, 16, 143 Hall in Tirol 142 Hamburg 3 Haselberg, Johann 121–125, 147, 155 Havermans, Adrian 118 Heidelberg 142 Heilsbronn, Kloster 143 Helsingør 68 Herbenus, Matthaeus 106 ’s-Hertogenbosch (Den Bosch) 111, 114–120, 142 Hildesheim 3 Hoeke (heute zu Damme) 95 Hogenberg, Frans 3, 111 Hohenburg a. d. Weichsel siehe Wyszogro´d Hollar, Wenzel 140 Hove, Johann tor, Stadtschreiber v. Reval 63 Hugo, Victor 19 Husum 2, 7 Huygens, Constantin 118 Ingolstadt 142 Isabella, T. v. Kg. Philipp II. v. Spanien, Gem. ¨ sterreich, Generalv. Ehz. Albrecht v. O statthalterin d. Niederlande (Hzn. v. Burgund) 108, 112 Jarz˛ebski, Adam 76–78 Jeanneret-Gris, Charles-E´douard siehe Le Corbusier Jerusalem 11, 17, 100, 124 Johann V. v. Isenburg, Ebf. v. Trier 129 Johannes v. Wachtendonck, Bf. v. Namur 112 Joyce, James 19 Kairo 19 Karl V., Ks. 85, 87, 109 Karl d. Ku¨hne (Charles le Te´me´raire), Hz. v. Burgund 82, 87, 92 Karl v. Charolais siehe Karl d. Ku¨hne Kaub 142 Kazanowski, Adam 76 Kazimierz Dolny 71 Keller, Gottfried 8, 20 Kenappel, Burchard, Stadtschreiber v. Reval 64, 67 Kerckhove, Johann vande, alias Polyander 118 Klonowic, Sebastian Fabian 73–75 Koberger, Anton 3 Koblenz 129, 141 Kochanowski, Jan 72 Ko¨ln 68, 121–126, 129, 140–147, 151, 157, 158

Index der Orts- und Personennamen Koevorden siehe Coevorden Konstantin v. Kostenez (Kostenezki) 99–102 Konstantinopel 100 Konstanz 121, 141 Kornelimu¨nster 122 Korner, Reinhold, Stadtschreiber v. Reval 65 Kostenezki siehe Konstantin v. Kostenez Krakau 71, 72, 141, 143 Kremer, de siehe Mercator Lafranchini, Fam. in Verona 39 Lafranchini, Cristoforo 39 Lafranchini, Valeria, T. v. Cristoforo, Gem. v. Bartolomeo Dolce 39 Lambarde, William 106 Lamminsvliet siehe Sluis Landau a. d. Isar 141 Lavagnoli, Fam. in Verona 42 Le Corbusier (Charles-E´douard Jeanneret-Gris) 9 Le Goff, Jacques 5, 7, 16, 18, 20, 23 Leiden (Leyde) 80, 109, 118 Leipzig 143 Leon, Donna 19 Leslau siehe Włocławek Leuven siehe Lo¨wen Lie`ge siehe Lu¨ttich Lier 110 Lille 81 Lippomano, Hieronimo 72 Lippstadt 4 Lochner, Stephan 125 Lo¨wen (Leuven) 110, 143 London 19, 168, 169, 173, 180 Lorenzetti, Ambrogio 13 Lu¨beck 63, 65, 141, 145 Lu¨neburg 142 Lu¨ttich (Lie`ge, Luik) 87, 111, 141 Luik siehe Lu¨ttich Lynch, Kevin 6 Maastricht 106, 118, 122 Mabuse siehe Maubeuge Machiavelli, Niccolo` 46, 47 Maffei, Fam. in Verona 42 Magdeburg 143 Mahfouz, Naguib 19 Mahomet siehe Mehmed Mainz 140, 141, 145 Malaspina, Leonardo 43 Malines siehe Mechelen Manow, Otto, Stadtschreiber v. Reval 66 Marburg 144 ¨ sterreich, T. v. Ks. MaximiMargarete v. O lian I., Generalstatthalterin d. Niederlande 111

185

Maria, Hzn. v. Burgund, Gem. v. Ks. Maximilian I. 82 Marseille 136 Maubeuge (Mabuse) 85 Maximilian I., Ks. 82 Mechelen (Mecheln, Malines) 111–120, 142 Medici, Bertolino 39, 40 Medici, Francesca, T. v. Bertolino 42 Medici, Niccolo` 39, 42 Mehmed II. Fatih (d. Eroberer), Sultan d. Osmanischen Reiches 102 Meinwerk, Bf. v. Paderborn 9 Meissen 154 Meister E. S. 153 Meisterlin, Sigismund 146 Memling (Memlinc), Hans 84 Mercator, Gerhard (Gerard De Kremer) 88 Mercier, Louis-Sebastien 168 ¨ . 3, 27, 136, 140, 151, Merian, Mattha¨us d. A 154 Merseburg 141 Metz 136, 141 Miniscalchi, Fam. in Verona 39 Moere, Antoine de le 92 Mohammed siehe Mehmed Molin, Yvain du 92 Monnikerede (heute zu Oostkerke) 95 Mucante, Jean Paul 72 Mu¨nchen 142 Mu¨nster (Westf.) 3, 16, 21 Mu¨nster, Sebastian 129, 140, 147, 151, 155, 157 Muling, Adolf 155 Muter, Joachim, Stadtschreiber v. Reval 63, 67 Narva (Narwa) 56, 61 Nessau siehe Nieszawa Neuss 4, 142 Neuss, Melchior v. 121 Neustadt (in Polen) 73 New York 19, 20, 23 Manhattan 20, 21 Nica¨a 136 Nieszawa (Nessau) 73, 74 Nijmegen 109, 110 Nu¨rnberg 3, 19, 122, 125, 141, 143, 144, 146, 147, 155, 157 Oberwesel 142, 144 Orzechowski, Stanisław 72 Oudenhoven, Jacob van 114–117, 119 Ovid (Publius Ovidius Naso) 164, 172 Paderborn 9 Padua 136 Palma Nova 8

186

Index der Orts- und Personennamen

Paris 19, 170–173, 180 Passau 141 Pellegrini, Fam. in Verona 39, 42 Pfettisheim, Konrad v. 13 Pfo¨rten siehe Brody Philipp II. d. Ku¨hne (Philippe le Hardi), Hz. v. Burgund 82, 87 Philipp III. d. Gute (Philippe le Bon), Hz. v. Burgund 82 Piccolomini, Enea Silvio siehe Pius II. Pius II. (Enea Silvio Piccolomini, Aeneas Sylvius), Papst 141 Płock (Plotzk) 74, 75 Polyander siehe Kerckhove, Johann vande Prag 142 Prus, Jan 19

Soliman siehe Su¨leyman Solingen 145 Soria, Arturo 8 Speyer 141 St. Bernaert, Kloster 113 St. Wolfgang 144 Stefan Lazarevi´c, Fst./Despot v. Serbien 99, 101, 103 Storm, Theodor 2, 7 Storning, Reinhold, Stadtschreiber v. Reval 63 Stow, John 106 Stralsund 144 Straßburg 13, 14, 141, 142 Su¨leyman I. d. Pra¨chtige, Sultan d. Osmanischen Reiches 103 Sylvius, Aeneas siehe Pius II.

Raabe, Wilhelm 19 Rankin, Ian 19 Ravenna 3 Regensburg 142, 144 Rej, Mikołaj 72 Reval siehe Tallinn Rezzori, Gregor v. 19 Richen, Johann v. 56 Richter, Ludwig 19 Rizzoni, Benedetto 37 Roeck, Bernd 5 Rom 10, 29, 100, 106, 124, 128, 140, 145, 164, 169, 170, 172, 175, 177–180 Rostock 141, 143 Roth, Josef 19 ´ Rothenburg a. d. Oder siehe Czerwiensk Rotterdam 21

Tagliacozzo, Giovanni 102, 103 Tallinn (Reval) 51–70 The´rouanne (Terwaan, Terenburg) 87 ´ 71, 73–75 Thorn (Torun) Tirbach, Marcus, Stadtschreiber v. Reval 66 Tongerloo, Kloster 113 Tor Hove siehe Hove, tor Torun´ siehe Thorn Toulouse 3 Trient 141, 144 Trier 121, 122, 128, 129, 140, 142, 143, 145, 147, 151, 152, 156, 158 Trollope, Anthony 19 Turco, Fam. in Verona 42 Tusculum 3

Sabbionetta 8 Sachs, Hans 124 Sagramoso, Cristoforo 43 Saint-Omer (Sint-Omaars) 81, 85, 89, 92, 95 Salzburg 141 San Gimignano 18, 20, 21 Sanderus, Antonius 114, 119 Scha¨ufelein, Hans 153 Schedel, Hartmann 3, 136, 140, 146 Schilling, Diebold 14 Schongauer, Martin 153 Schwaz 142 Seta, Cesare de 5, 12 Seuse, Heinrich 11 ’s-Gravenhage siehe Den Haag ’s-Hertogenbosch siehe Hertogenbosch Simmern 155 Sint Anna ter Muiden (Gem. Sluis) 95 Sint-Omaars siehe Saint-Omer Sluis (l’E´cluse, Lamminsvliet) 95 Soissons 86

Ulm 140 Utrecht 63, 87 Valerius, Remmerus siehe Wouters, Remigius Van der Beke siehe Beke, van der Vande Kerckhove siehe Kerckhove, vande Velthusen, Johann 56 Venedig 19, 26, 45 Verona 25–49 Veurne (Furnes) 81 Villiers, Kloster 113 Vitruv (Marcus Vitruvius Pollio) 8 Wagner, Richard 19 Warschau 19, 71, 72, 76, 77 Weinsberg, Hermann 123 Wien 141–143, 155 Wilsnack 144 Wimpheling, Johann 122, 141 Wismar 144 Włocławek (Leslau) 73, 75 Woensam, Anton 125 Wordsworth, William 168, 169, 172

Index der Orts- und Personennamen Worms 141 Wouters, Remigius (Remmerus Valerius) 114 Wrocław siehe Breslau Wyszogro´d (Hohenburg a. d. Weichsel) 74 Ypern (Ypres) 81, 82, 87, 95, 106

Zakroczym 74 Zamo´sc´ 8 Zaremba, Piotr 72 Zola, Emile 19 Zu¨rich 8

187

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