Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter 3110139839, 9783110139839

Die "Historische Kommission zu Berlin" betreibt die Erforschung der Landesgeschichte und der Historischen Land

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Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter
 3110139839, 9783110139839

Table of contents :
Vorwort von Gerd Heinrich
Einführung des Herausgebers
Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung
Slawische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung
Archäologische Beiträge zur Frühgeschichte von Alt- und Neustadt Brandenburg
Zur Genese der Stadtanlage der Altstadt und Neustadt Brandenburg
Hildesheim - Brandenburg - Posen. Godehardkult und Fernhandelsverkehr im 12. Jahrhundert
Wer waren die urbani Brandenburgenses? Betrachtungen zu einem kurzzeitigen Quellenausdruck aus den Jahren um 1200
Brandenburg und das Magdeburger Recht
Handwerk und Gewerbe im spätmittelalterlichen Brandenburg
Die Bettelorden und ihre Niederlassungen in der Mark Brandenburg
Schulen in der mittelalterlichen Stadt Brandenburg
Der mittelalterliche Stadtkern von Brandenburg. Ergebnisse der Neubewertung des Denkmalbestandes aus dem Zeitraum vor dem 30jährigen Krieg
Die Rathäuser in Brandenburg im Vergleich mit den Rathäusern in anderen norddeutschen Städten
Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg
Die von Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. veranlaßten Restaurierungen des Brandenburger Domes. Intentionen und Ergebnisse
Ausgewählte Literatur und Quelleneditionen zur Geschichte der Stadt Brandenburg, vornehmlich im Mittelalter
Abkürzungen
Abbildungsnachweis
Autorenverzeichnis

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VERÖFFENTLICHUNGEN DER

HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN BAND 84

w _G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1993

BEITRÄGE ZUR E N T S T E H U N G U N D E N T W I C K L U N G DER STADT B R A N D E N B U R G IM MITTELALTER

Herausgegeben von WINFRIED

SCHICH

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1993

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Potsdam, und der Stadt Brandenburg a. d. H. Die Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin erscheint mit Unterstützung des Senators für Wissenschaft und Forschung, Berlin.

Lektorat der Schriftenreihe Christian Schädlich

Die Deutsche Bibliothek

— CIP-Einheitsaufnahme

Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter / hrsg. von Winfried Schich.

-

Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin ; Bd. 84) ISBN 3-11-013983-9 NE: Schich, Winfried [Hrsg.]; Historische Kommission : Veröffentlichungen der Historischen ...

© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Umbruch: Werksatz Marschall, Berlin Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

VORWORT Die Geschichte der Bürger- und Bischofsstadt Brandenburg ragt aus der Vielzahl brandenburgischer Städte zwischen der altmärkischen Westgrenze und der neumärkischen Ostgrenze heraus. Die Größe der von den askanischen Markgrafen geförderten Stadt stellt sie im Mittelalter und Nachmittelalter in eine Reihe mit den wenigen anderen „Großstädten" wie Berlin-Cölln, Frankfurt/Oder und dem altmärkischen Hauptort Stendal. Die Erforschung der Doppelstadt Brandenburg hingegen weist wie bei vielen anderen Orten der Mark erhebliche Rückstände auf. Die solide und respektable Darstellung der Stadtgeschichte aus der Feder des Gymnasialprofessors Otto Tschirch erschien 1927/28 am Ende der wenigen besseren und zugleich kulturträchtigen Jahre vor der Weltwirtschaftskrise. Tschirch konnte sich neben eigenen Forschungen auf teilweise vorzügliche Arbeiten stützen, die in dem Jahresbericht des Brandenburger Geschichtsvereins seit 1870 veröffentlicht worden waren. Seit Tschirchs ausführlichem Werk, das noch einmal zeitangepaßt 1941 gedruckt worden war, erscheint Brandenburgs Geschichte lediglich in einigen verläßlichen Nachschlagewerken, während die Spezialforschung, zumal nach 1945, mehr im Verborgenen im Domstiftsarchiv oder im Stadtarchiv gedieh oder in Westdeutschland betrieben worden ist. Hier ist besonders an die frühen Arbeiten von Hans-Dietrich Kahl und Herbert Ludat (t 1993) zu erinnern. In Brandenburg selbst ging das Geschichtsinteresse zurück. Die Ideologisierung der Landes- und Heimatgeschichte besonders in den fünfziger und sechziger Jahren sowie die Vertreibung oder Verdrängung von Angehörigen der Bildungsschichten, in Brandenburg wie auch anderswo intolerant durchgesetzt, begrenzte die Arbeitsmöglichkeiten. Die Hefte einer Zeitschrift aus dem Stadtmuseum {Brandenburger Blätter, 1979 ff ), welche Günter Mangelsdorf zu verdanken waren, erweckten Hoffnungen. Aber erst die Wende von 1989 hat die Freiheit von Diskussion und Forschung wiederhergestellt.

VI

Vorwort

Eine qualitätsvolle Geschichtskultur war nie, weder vor noch nach 1945, mit einem Hebeldruck zu erreichen. Wer Einheitskultur befiehlt, wie man es erleben mußte, zerstört Kultur und gibt zu erkennen, daß ihm geistiges Leben etwas Fremdes ist. Wieviel bildreiche Elternhauskultur ist nötig, wieviel von wohlwollendem Verstehen bestimmter Geschichtsunterricht in den Schulen, wieviel Denkmalpflege und Kunsterziehung im Sichtkreis eines Elternhauses, wieviel erlebbare Familientradition, damit sich eine mit starkem Kulturselbstverständnis und Verantwortungsgefühl erfüllte Bildungsschicht entwickeln kann. Und welches Unglück bedeutete es für das Land, als dann wiederum Schulen, Hochschulen und auch Akademien in Teilen von Parteibürokraten okkupiert worden sind, deren Aufsicht bereits lähmend wirkte. Unter diesen Beschwernissen der langen Besatzungszeit ist andererseits in nicht wenigen Städten mit kleinen Archiven und Museen mehr geleistet und erarbeitet worden, als füglich zu erwarten war und als im Westen zur Kenntnis genommen worden ist. Auch bleibt es immer ein Glücksfall, wenn irgendwo ein Einzelner für die Stadt seiner Wahl oft lebenslang stadtgeschichtlich arbeitet und den Diktaturen zum Trotz den Weg von der Quellenarbeit bis zu einer neue Erkenntnisse enthaltenden lesbaren Darstellung bewältigt. Für eine neue Geschichte der Havelstadt ist mit diesem Bande der Anfang gemacht worden. Mein herzlicher Dank gilt allen, die an der Forschungsarbeit zur mittelalterlichen Verfassungs- und Siedlungsgeschichte teilgenommen haben, vorab dem Kollegen Winfried Schich, Humboldt-Universität zu Berlin, der die volle Last der Tagungsorganisation getragen hat und der aufgrund seiner eigenen eindringlichen Studien die Notwendigkeit einer fächerübergreifenden Tagung erkannt und das Projekt durchgesetzt hat. Es wird zu prüfen sein, ob sich das Modell der Tagung nicht auch auf andere brandenburgische Städte übertragen ließe, bei denen ähnliche Defizite bestehen. Dabei ist an 1944/45 zerstörte und beschädigte Städte wie Frankfurt, Cottbus oder Prenzlau ebenso zu denken wie an relativ unzerstörte, jedoch bedrohte Orte wie Stendal, Salzwedel oder Havelberg, die wie der havelländische Hauptort sämtlich der unverkennbar brandenburgisch geprägten Kulturlandschaft angehören. Prof. Dr. Gerd Berlin-Nikolassee, den 30. April 1993

Heinrich

Leiter der Sektion für brandenburgisch-preußische Landesgeschichte der Historischen Kommission zu Berlin

INHALT VORWORT

von Gerd Heinrich

EINFÜHRUNG

des Herausgebers

JÜRGEN

UDOLPH

Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung GERHARD

V IX

1

SCHLIMPERT

Slawische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung

29

GÜNTER MANGELSDORF

Archäologische Beiträge zur Frühgeschichte von Alt- und Neustadt Brandenburg

39

W I N F R I E D SCHICH

Zur Genese der Stadtanlage der Altstadt und Neustadt Brandenburg

51

W O L F G A N G H. F R I T Z E

Hildesheim - Brandenburg - Posen. Godehardkult und Fernhandelsverkehr im 12. Jahrhundert

103

H E L M U T ASSING

Wer waren die urbani Brandenburgenses Betrachtungen zu einem kurzzeitigen Quellenausdruck aus den Jahren um 1200... 131 FRIEDRICH EBEL

Brandenburg und das Magdeburger Recht

157

VIII

Inhalt

KNUT SCHULZ

Handwerk und Gewerbe im spätmittelalterlichen Brandenburg

175

HANS-JOACHIM SCHMIDT

Die Bettelorden und ihre Niederlassungen in der Mark Brandenburg

203

DIETRICH KURZE

Schulen in der mittelalterlichen Stadt Brandenburg

227

GÜNTHER KÖPPING

Der mittelalterliche Stadtkern von Brandenburg. Ergebnisse der Neubewertung des Denkmalbestandes aus dem Zeitraum vor dem 30jährigen Krieg

279

ELMAR NOLTE

Die Rathäuser in Brandenburg im Vergleich mit den Rathäusern in anderen norddeutschen Städten 295 ERNST B A D S T Ü B N E R

Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg GERD-Η.

317

ZUCHOLD

Die von Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. veranlaßten Restaurierungen des Brandenburger Domes. Intentionen und Ergebnisse 333

AUSGEWÄHLTE LITERATUR UND QUELLENEDITIONEN

zur Geschichte der Stadt

Brandenburg, vornehmlich im Mittelalter

369

ABKÜRZUNGEN

373

ABBILDUNGSNACHWEIS

375

AUTORENVERZEICHNIS

378

EINFÜHRUNG Vom 4.-7. September 1991 fand in Brandenburg an der Havel und in Netzen bei Brandenburg eine Arbeitstagung zum Thema „Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter" statt, die von der Volkswagen-Stiftung in Hannover finanziert wurde. Entscheidend für die Idee, eine interdisziplinäre Tagung über Brandenburg zu planen, war die Aufnahme der Stadt in die Reihe der ersten Pilotprojekte für Altstadtsanierung in den neuen Bundesländern, die von der Bundesregierung besonders gefördert werden, und der Beginn der Sanierungsarbeiten in der Stadt. Neben Brandenburg an der Havel (im heutigen Land Brandenburg) gehörten zu den am 5. Januar 1990, also schon bald nach der „Wende", von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und des Bauministeriums der damaligen DDR ausgewählten „Modellstädten" zunächst Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern), Meißen (Sachsen) und Weimar (Thüringen); ihnen war gemeinsam, „daß es sich um bau- und kulturhistorisch bedeutende Mittelstädte handelte, deren strukturell noch weitgehend erhaltene mittelalterliche Stadtzentren sich in einem besorgniserregenden baulichen Zustand befanden". 1 Als klar wurde, daß sich auf dem Boden der bisherigen DDR fünf neue Bundesländer konstituieren würden, wurde zusätzlich für Sachsen-Anhalt Halberstadt in die Liste aufgenommen, obwohl dort der mittelalterliche Stadtkern, abgesehen von den bedeutenden Kirchenbauten, weitgehend verschwunden ist. Noch kurz nach der „Wende" wurden in Halberstadt ganze Häuserzeilen mit Fachwerkhäusern „abgeschoben".2 Nach der Vereinigung wurden im Rahmen des Gemeinschaftswerks „Auf-

1

Michael Krautzberger/Peter Bote, Modellvorbaben der Stadtemeuerung in den neuen Bundesländern, in: Stadterneuerung in den neuen Ländern - zwei Jabre Modellstadtprogramm, hrsg. vom Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn-Bad Godesberg 1992, S. 7-12, hier S. 7. 2 Der Tagesspiegel, Berlin, Nr. 13961 vom 28. 8. 1991, und eigene Beobachtungen.

Einführung

χ

schwung Ost" sechs weitere Städte in den neuen Bundesländern in das städtebauliche Modellvorhaben aufgenommen, und zwar Güstrow, Cottbus, Naumburg, Görlitz, Jena und Mühlhausen. 3 Brandenburg gehörte in der einstigen DDR offensichtlich nicht zu denjenigen Städten, deren historischer „Stadtkern" über die einzelnen kunsthistorisch wertvollen Bauwerke hinaus erhalten werden sollte.4 Unter den 23 Städten, die in einem 1989 erschienenen Führer „Historische Stadtkerne" in der DDR zusammengestellt worden sind und für die die „städtebauliche Denkmalpflege" zuständig war, finden sich im Bereich des heutigen Bundeslandes Brandenburg überhaupt nur die Namen von Potsdam und Neuruppin. 5 Die besondere Situation von Brandenburg an der Havel besteht darin, daß die im Mittelalter entstandene Stadtanlage den Kern einer vergleichsweise bedeutenden Industriestadt bildet. Diese entwickelte sich im 19- und 20. Jahrhundert bei weitestgehender Bewahrung des vorindustriellen Kerns. Eine wesentliche Grundlage für den industriellen Aufschwung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war die verkehrsgünstige Lage zwischen den beiden großen Industriestädten Berlin und Magdeburg - sowohl an der zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu angelegten Chaussee von Magdeburg (über Genthin und Plaue und weiter über Potsdam) nach Berlin (heute Bundesstraße 1) als auch an der 1846 eröffneten Bahnlinie Magdeburg-Potsdam. 6 Die Havel war eine seit langem genutzte wichtige Wasserstraße. Mit dem Bau des Silokanals (1910) wurde der Schiffsverkehr noch erleichtert. Der Hauptbahnhof im Süden und der Silokanal im Norden bildeten neben den beiden alten Ausfallstraßen aus der Altstadt und aus der Neustadt in Richtung Westen wichtige Bezugspunkte und Leitlinien für die Bebauung mit Industrieanlagen und Wohngebäuden vor

3

Hinzu kommen ausgewählte Modelldörfer wie Langerwisch und Wiesenburg im Land Brandenburg; vgl. Stadterneuerung... (wie Anm. 1), Karte auf S. 106. 4 Zum Begriff „Stadtkern" vgl. den Band Stadtkernforschung, hrsg. von Helmut Jäger (= Städteforschung A/27), Köln-Wien 1987, vor allem die Einführung von Helmutjäger (S. VIII f.) und den Beitrag von Dietrich Denecke (S. 11-21). 5 Historische Stadtkerne. Städte unter Denkmalschutz, hrsg. von Uwe Kieling u. Gerd Priese (Tourist-Führer), Berlin-Leipzig 1989. 6 Wolfgang Scharfe, Chausseen 1792-1875 (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Lief. 42), Berlin 1973; Harry Methling, Entwicklung des Eisenbahnnetzes 1838 bis 1966 (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Lief. 22), Berlin 1967.

Einführung

XI

allem für Industriearbeiter. Während anfangs in Brandenburg die Textilindustrie vorherrschte, erfolgte mit der verstärkten Industrialisierung seit etwa 1870 ein Strukturwandel in Richtung auf die Metallund dann die Schwerindustrie. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Brandenburg ein Zentrum der Rüstungsindustrie. Dies hatte zur Folge, daß die Stadt schwere Kriegszerstörungen erlitt, von denen auch der mittelalterliche Kern, nämlich der südöstliche, zum Hauptbahnhof hin gelegene Teil der Neustadt, betroffen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zunächst die Schwerindustrie besonders gefördert. Wie in anderen Industriestädten setzte die Stadtplanung auf den Wohnungsbau „auf der grünen Wiese". Im Wohnungsbauprogramm der DDR entstanden die großen Siedlungen in Brandenburg-Nord, Görden und Hohenstücken - auf der ausgedehnten Brandenburger Gemarkung, die sich schon bis zum 14. Jahrhundert herausgebildet hatte. Die einseitige Konzentration der Bautätigkeit auf den Neubau hatte zur Folge, daß der Stadtkern weitestgehend vernachlässigt wurde und heute etwa die Hälfte seiner Wohnhäuser leer steht. Bei wiederholten Besuchen mußte man mit Bedauern feststellen, daß die Zahl der Lücken in den nach dem Zweiten Weltkrieg noch geschlossenen Reihen alter Häuser zunahm, oder man konnte sogar den Abriß eines stattlichen alten Bürgerhauses (am Rathenower Torturm) unmittelbar miterleben. 7 Nach der „Wende" 1989 lieferte Brandenburg, auch als „Aschenputtel der Mark" bezeichnet, 8 für die Presse eher negative Schlagzeilen, vor allem im Hinblick auf die Zukunft des Stahlwerkes und der übrigen, die Stadt beherrschenden Großbetriebe, aber auch deswegen, weil „Vernachlässigung und Verfall" das Stadtbild weithin prägen. 9 In den Überlegungen über die künftige Struktur des Landes Brandenburg, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden, spielte die namengebende Stadt kaum eine Rolle. Die 1991 eingerichtete Intercity-Verbindung der Bahn läßt auf der Strecke von Magdeburg bis Potsdam Brandenburg ohne Halt „links liegen". Brandenburg sollte

7

Zum Vorkriegsbild von Brandenburg Klauß Heß, Brandenburg so wie es war, Düsseldorf 1992; zur Situation vor der Wende Thomas Drachenberg, Brandenburg Stadt unter Denkmalschutz, Berlin-München 1992, S. 48 ff. 8 Der Tagesspiegel, Berlin, Nr. 13958 vom 24. 8. 1991. 9 Der Tagesspiegel, Berlin, Nr. 13799 vom 14. 2. 1991.

XII

Einführung

nach Plänen des Innenministeriums des Landes zeitweise sogar den Status einer kreisfreien Stadt verlieren und drohte damit immer stärker in den Schatten von Berlin und Potsdam zu geraten. Diese Pläne sind aber inzwischen zu den Akten gelegt worden. In den neuesten Planungen zur „zentralörtlichen Gliederung" des Landes Brandenburg ist Brandenburg an der Havel neben den früheren Bezirkshauptstädten Potsdam, Frankfurt und Cottbus als viertes „Oberzentrum" festgelegt worden. 10 Wenn auch die namengebende Stadt kaum jemals wieder die Funktion der Hauptstadt des Landes Brandenburg erhalten wird, 11 so kann sie doch im Westen des Landes zu einem Schwerpunkt in dem im größeren Umkreis um Berlin geplanten System tangentialer Verbindungen werden. Inzwischen gibt es in dem Stadtkern, der Gegenstand der Tagung war, erfreuliche Neuansätze, die zeigen, daß auch in diesem Bereich eine Wende bereits eingeleitet ist. Die an den zur Sanierung anstehenden Häusern begegnenden Plakate mit dem saloppen Spruch „Bis bald, altes Haus" und die vom treuhänderischen Sanierungsträger, der Gesellschaft für Stadterneuerung mbH (GSW), gestaltete Ausstellung „Brand Neu" in einem der ehemaligen Mühlengebäude (der Heidrichschen Mühle) auf dem alten Mühlendamm stimmen hoffnungsvoll. 12 Die Voraussetzungen für eine behutsame Sanierung, die auch manchen bei der Sanierung von Städten in den alten Bundesländern gemachten Fehler vermeidet, sind nicht schlecht. Nicht zuletzt infolge der Vernachlässigung haben sich bedeutende Reste der vorindustriellen Struktur erhalten: von den Kirchen, öffentlichen Gebäuden und ansehnlichen Bürgerhäusern bis hin zu den Grundstücksgrenzen, Straßenzügen, Wirtschaftsgebäuden und geringen Niveauunterschieden. Wenn man die älteste Abbildung von Brandenburg aus dem Jahre 1582 zur Hand nimmt, 13 die einen Ausschnitt aus der Altstadt enthält, 10

Der Tagesspiegel, Berlin, Nr. 14117 vom 18. 2. 1992. Den Vorschlag, „mit der Wahl zum Beispiel der Stadt Brandenburg als Landeshauptstadt ein Signal für die gewünschte polyzentrische Entwicklung" eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg zu setzen, soll laut Tagesspiegel, Berlin, Nr. 14206 vom 20. 5. 1992, Jürgen Linde, der Chef der Staatskanzlei der Landesregierung Brandenburg, gemacht haben. 12 Vgl. den Bericht der GSW in: Stadterneuerung... (wie Anm. 1), S. 23-30, und die seit dem Dezember 1990 (Heft 1) erscheinende, von der GSW herausgegebene Zeitung Brand Neu. Die Zeitung zur Stadterneuerung Brandenburg. 11

Einführung

XIII

so findet man sich rasch zurecht. Abgesehen von der schon 1722/23 abgebrochenen Marienkirche mit den zugehörigen Stiftsgebäuden auf dem Marienberg, erkennt man leicht im Hintergrund (von links) die Stadtmauer mit dem Plauer Torturm, mit dem Rathenower Torturm und einem benachbarten Weichhaus und mit einem im Unterbau heute noch erhaltenen Wachtturm sowie im Vordergrund am Gotthardtkirchplatz links die alte Schule der Altstadt und rechts am Rande das Pfarrhaus von St. Gotthardt mit dem benachbarten Pfarr14

garten. Die Sanierung wird in Brandenburg von archäologischen, bauund kunsthistorischen Untersuchungen, auch im Detail, wissenschaftlich begleitet.15 Das wissenschaftliche Interesse richtet sich auf die Aufnahme der gewachsenen Substanz, die trotz aller Behutsamkeit bei der Sanierung notwendigerweise erhebliche Eingriffe und Verluste erleiden wird. Diese Arbeit sollte in den Rahmen möglichst umfassender historischer Untersuchungen gestellt werden, wofür eine Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen erforderlich ist. Die Arbeitstagung fügt sich hier ein. Sie diente einer Bestandsaufnahme der Forschung und der Herstellung von persönlichen Kontakten zwischen den Vertretern der verschiedenen Disziplinen, die sich mit der Geschichte Brandenburgs beschäftigen, sowie mit denjenigen, die am Ort in den für die Erforschung der Geschichte Brandenburgs wichtigen Institutionen (Domstiftsarchiv und -museum, Stadtarchiv, Stadtmuseum) oder als Archäologen, Bau- und Kunsthistoriker an der Stadtsanierung unmittelbar beteiligt sind. Brandenburg, der namengebende einstige Hauptort der Mark Brandenburg, tritt in der schriftlichen Überlieferung zuerst zu 928/29 als slawische Fürstenburg hervor. Die Burg hatte sich seit der slawischen Einwanderung im 7. Jahrhundert auf der heutigen Dominsel entwickelt. Die neuen Erkenntnisse über den Namen Brandenburg und andere Ortsnamen im Brandenburger Raum deuten auf eine stärkere germanisch-slawische Siedlungskontinuität hin, als sie bisher angenommen wurde (Beitrag Udolph). Es bleibt abzuwarten, ob 13

Vgl. unten Abb. 9. Vgl. Otto Tschirch, Das älteste Bild der Altstadt Brandenburg (von 1582), in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg 26/28 (1896), S. 90-95. 15 Vgl. die Beiträge in: Brandenburgische Denkmalpflege 1 (1992); ferner Harald Bodenschatz/Carsten Seifert, Stadtbaukunst in Brandenburg an der Havel, Berlin 1992 (mit umfassender Bibliographie). 14

XIV

Einführung

die archäologische Forschung in Brandenburg zu vergleichbaren Ergebnissen kommen wird. Die Tagung konzentrierte sich auf die beiden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandenen Nachbarstädte Altstadt und Neustadt Brandenburg. Während die Situation der slawischen Fürstenburg auf der Insel mit ihren frühstädtischen Funktionen bis zum 12. Jahrhundert durch die archäologischen Untersuchungen wenigstens in den Grundzügen geklärt werden konnte, erweist sich der archäologische Befund im Bereich der beiden Städte noch als völlig unzureichend. Anders als auf der Burginsel fehlen auf dem Gebiet der Altstadt und des benachbarten Kietzes bisher eindeutige Hinweise auf eine slawenzeitliche Besiedlung. Die Entstehung der Altstadt verdient schon deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil sich auf sie die Frage nach der Entwicklung im Bereich von Handel und Gewerbe von der slawischen zur deutschen Zeit konzentriert. Der Kern der Altstadt, der Marktort Parduin, entstand in deutscher Zeit, das heißt nach der Einnahme der Brandenburg durch Albrecht den Bären im Jahre 1157, im Suburbium der Burg auf der Insel. Parduin bildet gewissermaßen die Zwischenstufe zwischen der slawischen „Burgstadt", die ihr befestigtes Zentrum auf der Insel hatte, und den voll ausgebildeten Städten Altstadt und Neustadt Brandenburg. Auch deren Entwicklung bis hin zur endgültigen Umwehrung um bzw. kurz nach 1300 bedarf der weiteren Klärung. Zur Erhellung der Entstehung und Entwicklung der beiden Städte im 12. und 13· Jahrhundert tragen mehrere hier veröffentlichte Arbeiten bei, und zwar auf der Grundlage verschiedener Quellenkategorien wie der Ortsnamen (Schlimpert), der archäologischen Funde (Mangelsdorf), der schriftlichen Quellen und des Stadtgrundrisses (Fritze, Assing und der Herausgeber, dessen Beitrag gleichzeitig als Einführung in die Tagung diente); die Untersuchung von Assing wurde zusätzlich zum Tagungsprogramm in den Band aufgenommen. Weitere Einsichten bietet die kunstgeschichtliche Forschung über die seit der Mitte des 12. Jahrhunderts errichteten Kirchenbauten (Badstübner). Hinzu kommen die Umstände der Ansiedlung der beiden wichtigsten Bettelorden, deren Niederlassungen in die endgültige Umwehrung der Stadt einbezogen wurden und die einen Beitrag zur rascheren Urbanen Entwicklung leisteten (Schmidt). Nicht hinreichend geklärt erscheinen in diesem Zusammenhang unter anderem die Anfänge der Siedlung Parduin, des anschließen-

Einführung

XV

den Kietzes und der Nachbarsiedlung Luckenberg, die endgültige Herausbildung der Altstadt unter Einbeziehung von Luckenberg, die Erstanlage der Neustadt, ihre Erweiterung bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts einschließlich der Errichtung des markgräflichen Hofes und des daraus hervorgegangenen Dominikanerklosters sowie die Damm- und Wasserbauten. Zur weiteren Erhellung dieser Fragen bedarf es neuer archäologischer, bau- und kunsthistorischer Forschungen. Doch auch die intensive Beschäftigung mit den schriftlichen Quellen einschließlich des ungedruckten Materials verspricht wertvolle neue Erkenntnisse. Dies belegen für die Zeit des späten Mittelalters bereits die Untersuchung der Schulen (Kurze) und die des Handwerks in Brandenburg (Schulz). Die Beiträge zu bestimmten Aspekten der Geschichte Brandenburgs im späten Mittelalter und zu dem aus dieser Zeit überlieferten Baubestand liefern eine Reihe von Belegen für die vergleichsweise große Bedeutung der Doppelstadt an der Havel, jedenfalls innerhalb der Mark Brandenburg. Dies gilt etwa für die großzügigen Um- und Neubauten der Stadtkirchen, für das Bestehen von zwei Bettelordensniederlassungen, für die Existenz mehrerer Schulen (von der Domschule bis zu den Stadtschulen), die Brandenburg zu einem Zentrum der Bildung in der Mark machten, für die Entstehung weiträumig agierender Gesellenorganisationen, für den nach Magdeburger Vorbild eingerichteten Schöffenstuhl, der den gerichtlichen Oberhof in der Mark bildete (Ebel), für den Bau des (im Zweiten Weltkrieg zerstörten) Neustädter Rathauses, das zu den größten seiner Art in Norddeutschland gehörte und in Größe und Funktionsaufteilung bemerkenswerte Übereinstimmungen mit dem Magdeburger Rathaus zeigte (Nolte), oder für die Reste bedeutender Bürgerhäuser (Köpping). An die hervorragende Rolle der alten „Kur- und Hauptstadt" Brandenburg knüpften im 19. Jahrhundert die Hohenzollern bei ihrem Rückgriff auf die Tradition zeitweise an (Zuchold). Den Teilnehmern der Tagung wurde auf einer abschließenden Stadtführung von Günther Köpping und bei einem Besuch der Ausstellung „Brand Neu" von Hans-Peter Kloß, dem Geschäftsführer der GSW, ein Einblick in die gegenwärtigen Methoden der Restaurierung und in die Intentionen der Stadtsanierung geboten. Es ist der beiden Referenten zu gedenken, die nicht lange nach der Tagung verstorben sind: Wolfgang H. Fritze am 21. September 1991 und Gerhard Schlimpert am 24. Dezember 1991.16 Sie haben

XVI

Einführung

mit ihren Vorträgen, W. H. Fritze zusätzlich mit seinen zahlreichen fundierten und engagierten Diskussionsbeiträgen, wesentlich zum Gelingen der Tagung beigetragen. W. H. Fritze hat sich seit langem intensiv mit der Vor- und Frühgeschichte der Mark Brandenburg und der benachbarten Gebiete im östlichen Mitteleuropa beschäftigt. 17 Dazu gehörte auch die Detailfrage nach der Entstehung der Brandenburger Gotthardtkirche und nach einer möglichen Parallele zur Situation in Posen; schon lange hatte er vor, sie in einem größeren Zusammenhang zu behandeln. Die Brandenburger Tagung bot ihm dazu eine Gelegenheit. Jeder, der W. H. Fritze kannte, weiß, daß er seine vorgetragenen Gedanken nicht in dieser, sondern in einer stark überarbeiteten Form veröffentlicht hätte. Diese Möglichkeit blieb ihm versagt. Mit seinem Vortragsmanuskript hat er uns seine letzte wissenschaftliche Arbeit hinterlassen. Es wird ebenso wie das von G. Schlimpert nur geringfügig überarbeitet abgedruckt. Die notwendigen Literaturhinweise wurden vom Herausgeber nachgetragen. Dazu gehören auch neuere Veröffentlichungen, die W. H. Fritze und G. Schlimpert nicht mehr benutzen konnten. Dies gilt unter anderem für den Aufsatz über den „archäologischen Beitrag zur Problematik der Entwicklung Prags" von Vaclav Huml, Zdenek Dragoun und Rostislav Novy, den die Autoren W. H. Fritze gewidmet haben, 1 8 um auf diese Weise, wie sie in einem Brief vom 24. Juni 1988 an ihn betont haben, für seine langjährige wissenschaftliche Arbeit, mit der er auch ihrem Land sein Interesse gezeigt hat, ihren herzlichen Dank auszusprechen. Es war W. H. Fritze stets ein besonderes Anliegen, die slawische wie die deutsche Komponente in der Geschichte der Mark Brandenburg, ebenso wie in den anderen Ländern des östlichen Mitteleuropas, bewußt zu machen. 1 9 Brandenburg, der slawische Fürstensitz

16

Vgl. den Nachruf von Peter P. Rohrlach in: Mitteilungsblatt

der

Landesgeschicht-

lichen Vereinigung für die Mark Brandenburg е. V., 93· Jg. (1992), Nr. 2, S. 29 f. 17

Vgl. etwa Wolfgang H. Fritze, Frühzeit zwischen

Ostsee und Donau.

Ausge-

wählte Beiträge zum geschichtlichen Werden im östlichen Mitteleuropa vom 6. bis zum 13-Jahrhundert, hrsg. von Ludolf Kuchenbuch u. Winfried Schich (= Germania Slavica III; Berliner Historische Studien 6), Berlin 1982 (die hier nachgedruckten bzw. neu veröffentlichten und die auf S. 451 f. angezeigten Beiträge). 1 8 Siehe im Literaturverzeichnis zum Beitrag von Wolfgang H. Fritze. 19

Vgl. etwa Wolfgang H. Fritze, Der slawische Aufstand von 983-

eine

Schicksals-

wende in der Geschichte Mitteleuropas, in: Festschrift der Landesgeschichtlichen Verei-

Einführung

XVII

und namengebende Hauptort der deutschen Markgrafschaft, stellt dafür einen besonders geeigneten Ort dar. Dem Andenken Wolfgang H. Fritzes ist dieser Band gewidmet. Zu danken ist der Volkswagen-Stiftung für die großzügige Finanzierung der Tagung, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und dem Rat der Stadt Brandenburg an der Havel für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Der Historischen Kommission zu Berlin gilt mein Dank für die Aufnahme des Bandes in ihre Schriftenreihe. Dem Direktor des Stadtarchivs Brandenburg, Dr. Klaus Heß, danke ich für die Vorbereitung der Tagung am Ort, ihm und dem Domstiftsarchivar, Wolfgang Schößler, für die Unterstützung bei der Arbeit in den Archiven zu Brandenburg, meiner Wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Annegret Wenz-Haubfleisch, für die tatkräftige Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung ebenso wie bei der Redaktion des Bandes, meiner langjährigen Sekretärin, Gislinde Wagner, für die Anfertigung der Druckvorlage und Christian Schädlich für die Betreuung des Druckes.

Kassel, im Oktober 1992

Winfried Schich

nigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen, hrsg. von Eckart Henning u. Werner Vogel, Berlin 1984, S. 9-55; ders., Die Begegnung von deutschem und slawischem Ethnikum im Bereich der hochmittelalterlichen deutschen Ostsiedlung. Mit besonderer Berücksichtigung des Forschungsprogramms ,Germania Slavica' am Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin, in: Siedlungsforschung. Archäologie - Geschichte - Geographie 2 (1984), S. 187-219; ders., Villae slavicae in der Mark Brandenburg. Zur Bedeutung eines urkundlichen Terminus des hohen Mittelalters im Bereich der Germania Slavica, in: Dona Brandenburgica. Festschriftfür Werner Vogel zum 60. Geburtstag, hrsg. von Eckart Henning u. Wolfgang Neugebauer (= Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 41), Berlin 1990, S. 11-68.

Dem Andenken Wolfgang H. Fritzes (1916-1991)

Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung JÜRGEN UDOLPH Göttingen

Zu den schwierigsten und heikelsten Aufgaben der Namenforschung gehören Versuche, unter einer einzelsprachlichen Schicht eines geographischen Bereichs nach noch älteren Relikten zu suchen. Erst die Forschungen von Hans Krähe 1 und Wolfgang P. Schmid2 haben uns auf diesem Gebiet mehr Sicherheit gegeben. Sie haben wahrscheinlich machen können, daß sich in weiten Teilen Europas Namen auffinden lassen, die nicht der dort jetzt gesprochenen jeweiligen Einzelsprache oder einer ihrer Vorstufen zugerechnet werden können, sondern aus morphologischen, semasiologischen und anderen Gründen einer älteren, aber indogermanischen Sprachschicht entstammen müssen. Es ist daher nicht von vornherein auszuschließen, daß sich auch in Brandenburg und seiner Umgebung entsprechende Namen nachweisen lassen. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß es sich bei der von H. Krähe aufgedeckten sogenannten „alteuropäischen Hydronymie" in erster Linie um Gewässernamen handelt. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein alter Flußname in einem Orts- oder Siedlungsnamen weiterlebt. Entsprechendes

1 Man vergleiche dessen zahlreiche Aufsätze in den Beiträgen zur Namenforschung sowie das Büchlein Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964. 2 Vgl. ζ. B. Alteuropäisch und Indogermanisch (1968), in: Probleme der Namenforschung im deutschsprachigen Raum, hrsg. von Hugo Steger (= Wege der Forschung 383), Darmstadt 1977, S. 98-116; Baltische Gewässernamen und das vorgeschichtliche Europa, in: Indogermanische Forschungen 77 (1972), S. 1-18; Die alteuropäische Hydronymie. Stand und Aufgaben ihrer Erforschung, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 16 (1981), S. 1-12.

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Jürgen Udolph

werden wir wahrscheinlich auch im Fall des Namens Brandenburg annehmen müssen. Aus der näheren Umgebung Brandenburgs kommen dafür vor allem die Namen Havel, Emster und Brandenburg in Frage. Es sind nur drei Beispiele, und man mag meinen, daß sich daraus nur wenig gewinnen ließe. Um eine annähernd richtige Einordnung der entsprechenden Namen vornehmen zu können, müssen wir aber zum Teil sehr weit ausholen, um erkennen zu können, welch wichtige Hinweise für die Siedlungsgeschichte in diesen Hydro- und Toponymen verborgen sind. Es handelt sich bei diesen Namen insofern um besondere Fälle, als sie zwar in der voreinzelsprachlichen Schicht der alteuropäischen Namen verankert sind, aber zugleich durch bestimmte Erscheinungen auf eine Verbindung zu einer indogermanischen Einzelsprache, dem Germanischen, weisen. Aus diesen einleitenden Bemerkungen wird nochmals deutlich, welch schwieriges und heikles Gebiet man mit der Untersuchung dieser altertümlichen geographischen Namen betritt. Hinzu kommt, daß die Aufarbeitung der Gewässernamen in den neuen Bundesländern trotz der intensiven Bearbeitung der geographischen Nomenklatur durch die Leipziger und Berliner Arbeitsgruppen um Ernst Eichler, Hans Walther und Gerhard Schlimpert noch Lücken aufweist. Immerhin besitzen wir für die Umgebung von Brandenburg mit den Untersuchungen von Reinhard E. Fischer über die Ortsnamen des Havellandes3 und die Ortsnamen der Zauche^ gute und wichtige Werke, die ich für meine Überlegungen immer wieder dankbar benutzt habe. Wie in allen Teilen Europas sind auch die geographischen Namen in Brandenburg und seiner Umgebung historisch geschichtet. Aus Reinhard E. Fischers Untersuchungen geht das zweifelsfrei hervor. Auch ein Laie erkennt ohne Mühe, daß Namen wie Schönwalde, Mittelfeld, Neuhof einer hochdeutschen Sprachschicht entstammen. Problematischer ist für einen hochdeutsch Sprechenden aber bereits die Deutung niederdeutscher Namen wie Rohrbeck, Ribbeck (alt Ritbeke)

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Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (= Brandenburgisches Namenbuch 4), Weimar 1976. Vgl. dazu die Rezension von Ernst Eichler, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 32 (1979), S. 87-88. 4 Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche (= Brandenburgisches Namenbuch 1), Weimar 1967.

Alteuropäische und germanische Namen

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und Butenfelde. Allerdings ist auch bei hochdeutschen Namen schon Vorsicht dahingehend geboten, daß gelegentlich ältere Relikte eingedeutscht worden sind. Die älteren Belege eines Namens sind daher immer mit heranzuziehen. Dennoch gibt es kaum Probleme, hochund niederdeutsche Flur-, Orts- und Gewässernamen in Brandenburg und seiner Umgebung nachzuweisen. Ebenso sicher ist die Existenz slavischer Orts- und Gewässernamen, über die Gerhard Schlimpert in diesem Band handelt. Nach Abhebung der slavischen Schicht bleiben aber offenbar in Brandenburg und seiner Umgebung einige Namen übrig, die sich einer deutschen und slavischen Deutung entziehen. Die Durchsicht der einschlägigen Literatur (es handelt sich dabei im wesentlichen um Arbeiten von Gerhard Schlimpert und Reinhard E. Fischer)5 zeigt, daß hierunter wahrscheinlich fallen: Havel, Dosse, Finow, Eide, Spree, Nuthe, Fuhne, Saar, Reglitzgraben und andere mehr. Die entscheidende Frage dabei ist die, ob es sich bei den genannten Hydronymen um germanische Relikte handelt oder ob sich darunter auch noch ältere, indogermanische (in der Terminologie von Hans Krähe und Wolfgang P. Schmid: alteuropäische) Namen verbergen. Wie schon oben angemerkt wurde, werde ich die damit zusammenhängenden Probleme an drei Beispielen diskutieren. Beginnen möchte ich mit dem Namen der Havel. Dieser Flußname ist schon oft behandelt worden. Ich fasse die bisherige Diskussion kurz zusammen. Ausführlich haben sich Reinhard E. Fischer und Gerhard Schlimpert in ihrem grundlegenden Beitrag Vorslawische Namen in Brandenburg6 und später nochmals Reinhard E. Fischer7 mit diesem Hydronym befaßt. Die frühe Überliefe-

Reinhard E. Fischer/Gerhard Schlimpert, Vorslawische Namen in Brandenburg, in: Zeitschriftfür Slawistik 16 (1971), S. 661-697; Gerhard Schlimpert, Germanisch-slawische Kontakte im Lichte der Namen Brandenburgs, in: Berichte über den II. Internationalen Kongreß für Slawische Archäologie, Bd. 2, Berlin 1973, S. 471-478; Gerhard Schlimpert, Zur Überlieferung vorslawischer Namen in der DDR, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 20 (1986), S. 25-28; Gerhard Schlimpert, Die Gewässernamen Brandenburgs, in: Namenkundliche Informationen, Beiheft 11 (1987), S. 40-47; Gerhard Schlimpert, Germanische Gewässernamen in Brandenburg, in: Studia Onomastica. Festskrift tili Th. Andersson, Stockholm 1989, S. 349-356. 5

^ R. E. Fischer/G. Schlimpert, Vorslawische Namen... (wie Anm. 5), S. 667 ff. 7 R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 61 f.

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rung des Namens (789 Habola, 981 Hauela, um 1075 iuxta Habolam usw.) zeigt die Bedeutung dieses Gewässers, das auch namengebend geworden ist für den Stammesnamen der Heveller (um 845 Hehfeldi, um 900 Wilte, ре топ Haefeldan haet, 937 Heuelduri), für die Landschaft an der Havel (1188 terre de Havela, 1216 terre de Havelant) und für den Ortsnamen Havelberg (946 [Kopie 18. Jahrhundert] Havelberg, 968 ultra ... Haualbergenseni). Der Name wird heute im allgemeinen für germanisch gehalten und auf eine Grundform *Hab(u)la zurückgeführt. In dieser wird eine Bildung mit dem Suffix -(u)la zu einer Wurzel *hab- gesehen, die auch in nhd. Haff und Hafen vorliegt. So argumentierten zum Beispiel Kaspar Zeuss, Karl Müllenhoff, Johann Koblischke, Ernst Schwarz, Max Vasmer, Ernst Eichler und andere.8 Von den Slaven wurde der Name in der Form *ОЬь1а übernommen, davon abgeleitet sind mit dem Suffix -ica die Nebenflüsse Woblitz, Wublitz (polab. *Voblica).9 Die verschiedentlich vorgetragene Etymologie aus dem Slavischen (so zum Beispiel von Jerzy Nalepa)10 ist verfehlt.11 Zur Frage der Übernahme in das Slavische heißt es bei Reinhard E. Fischer: „Im Unterschied zu allen anderen germ. Namen in der Mark Brandenburg, die erst durch slaw. Vermittlung wieder ins Deutsche gelangten, setzt der heutige Name Havel direkt die germanische Form fort."12 Nur am Rande erwähne ich den verfehlten Beitrag von Michael Fraenkel, Spree und Havel. Eine sprachwissenschaftliche Betrach-

A.a.O., S. 62. Vgl. auch Anneliese Bretschneider, Die Havel und ihr Name in alter und neuer Zeit, in: Brandenburger Blättert (1981), S. 71-80. 9 Ernst Eichler, Alte Gewässernamen zwischen Ostsee und Erzgebirge, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 16 (1981), S. 40-54, hier S. 48; R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 62. 1 0 Jerzy Nalepa, Obla, Oblica, Oblisko. Pierwotna nazwa rzeki Havel ijej derywatöw, in: Spräkliga Bidrag, vol. 2, Nr. 9, Lund 1959, S. 12-27 (dazu die Rezension von Marian Radtowski, in: Onomastica 6 [I960], S. 290-294). Ähnlich auch Mikotaj Rudnicki, Praslowiariszczyzna - Lechia - Polska, Bd. 1, Poznan 1959, S. 196 f. und Stanislaw Urbariczyk, Havelberg, in: Slownik Starozytnosci Slowiatiskich, Bd. 2, Wroclaw usw. 1964, S. 196. 11 Vgl. schon Herbert Ludat, Beiträge zur brandenburgischen Namenkunde (1936), in: ders., Deutsch-slawische Frühzeit und modernes polnisches Geschieh tsbewußtsein. Ausgewählte Aufsätze, Köln-Wien 1969, S. 16-37, hier S. 21 f. 1 2 R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 64. 8

Alteuropäische und germanische Namen

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tung,13 der Vergleichsmaterial aus den semitischen Sprachen beizubringen versuchte. Wie schon erwähnt wurde, ist die Annahme germanischer Herkunft weit verbreitet. Das gilt auch für Flußnamen, die offenbar mit dem der Havel verwandt sind. So gehören hierher: Hever, Wattströme auf Nordstrand und Pellworm, mit ON. Westerhever, 1196 Henere (lies: *Heuere), wahrscheinlich eine „ -r-Erweiterung zu afries. hef,Haff, Meer', an. haf nhd. Haff, Hafen, woraus man einen germ. Stamm *hab- (hier auf fliessendes Wasser bezogen) vermuten kann", 14 und Heve ( - > Möhnesee), 1523 vp geensyt... der Heuen, < *Hab-ina.15 Mit der Einbeziehung dieser Namen beginnen jedoch die Probleme, auf die auch Wolfgang P. Schmid in einer gerade erschienenen Untersuchung1^ aufmerksam macht und bemerkt: „Wenn man ... Hever und ... Heve mit germ. Haff verbindet, ergibt sich eine aus dem Germanischen nicht erklärbare Suffixvariation."17 Zwar kann im Fall der Havel an der Existenz einer germanischen Form *Habula sowie an dem Anschluß an deutsch Haff und Hafen kaum gerüttelt werden, die verwandten Namen Heve und Hever enthalten jedoch die Suffixe -r- und -n-, die in der alteuropäischen Hydronymie fest verankert sind, und es fragt sich, wie man das Wortbildungselement -ula im Namen der Havel beurteilen soll. Ist darin wirklich noch eine germanische Bildung zu sehen? Alteuropäische Namen wie *Adula, *Amula, 'Apula, Orla < *Orula könnten dagegen sprechen. Nach Wolfgang P. Schmid18 gibt es in der alteuropäischen Hydronymie wenig primäre -/-Ableitungen, aber häufiger ila- und -ulaAbleitungen. Hier könnte die Havel gut eingefügt werden. Anderer13 In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 199 (1963), S. 178-181. 14 Gudrun Kvaran, Untersuchungen zu den Gewässernamen in Jütland und Schleswig-Holstein, Phil. Diss., Göttingen 1981, S. 55. Vgl. auch Dagmar Schmidt, Die Namen der rechtsrheinischen Zuflüsse zwischen Wupper und Lippe, unter besonderer Berücksichtigung der älteren Bildung, Phil. Diss., Göttingen 1970, S. 49. 15 Ebda. 16 Der Name der Havel- ein methodologisches Problem?, in: Studia Onomastica VII. Festschriftfür Gerhard Schlimpert (= Namenkundliche Informationen, Beih. 15), Leipzig 1991 [1992], S. 53-58. 17 A.a.O., S. 54. 18 Urheimat und Ausbreitung der Slawen, in: Zeitschriftfür Ostforschung 28 (1979), S. 405-415, hier S. 413.

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seits kennt auch das Germanische suffixale Bildungen mit -ula, allerdings vor allem als „reguläre Beziehung zu и-Stämmen ...; so ... in got. magu-la ,Knäblein' (zu magu-s) und ahd. angul, an. Qgull ,Angelhaken' ... (vgl. awest. anku-, ai. anku-sä- .Haken')"·19 Hier kann auch norweg. dial, sikla „kleiner Bach" angeschlossen werden, sofern die Verbindung mit slavisch sigla20 und dem in den Corveyer Traditionen um das Jahr 1000 belegten Ortsnamen Siculithi akzeptiert werden kann. Weder deutsch Haff und Hafen noch die verwandten germanischen Wörter zeigen aber Spuren eines м-Stammes. Es scheint daher, als weise das Suffix eher auf einen Zusammenhang mit voreinzelsprachlichen Namen, darunter auch und vor allem mit entsprechenden Bildungen in Osteuropa. Das wird vor allem bei einem Vergleich mit litauischen Namen wie Tät-ula, Därb-ule, Babülis, Dub-ülis, Vart-ulys und vielen anderen mehr21 deutlich. In seinem bereits erwähnten Beitrag zum Namen der Havel ist Wolfgang P. Schmid auch auf dieses Problem eingegangen und hat unter Hinweis auf den baltischen Namen Cabula und dessen vermutlichen thrakischen Verwandten Καβύλη wahrscheinlich gemacht, daß der Name der Havel „nicht direkt aus Haff Hafen [zu] erklären [ist]", sondern „morphologisch und semantisch ältere vorgermanische Verhältnisse voraussetzt]".22 Aus diesen und weiteren Überlegungen darf zusammenfassend gefolgert werden, daß man den Namen der Havel zwar an germanisches Material anknüpfen kann, jedoch nicht auszuschließen ist, daß der Name auf einer älteren alteuropäischen Grundlage basiert. Wir werden bei dem Namen Emster, zu dem wir gleich übergehen werden, den etwas ähnlichen Fall beobachten können und dabei zu dem Schluß kommen müssen, daß es sich um Bindeglieder zwischen den voreinzelsprachlichen, indogermanischen, alteuropäischen Namen und einzelsprachlichen, germanischen Bildungen handelt. Ich möchte daher zusammenfassend sagen, daß man nach dem heutigen 1 9 Hans Krahe/Wolfgang Meid, Germanische Sprachimssenschaft, Bd. 3, Berlin 1967, S. 85. 2 0 Dazu Jürgen Udolph, Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen, Heidelberg 1979, S. 388-393; vgl. auch W. P. Schmid, Urheimat... (wie Anm. 18), S. 413. 21 Siehe Aleksandras Vanagas, Lietuvos TSR hidronimu daryba, Vilnius 1970, S. 199-201. 2 2 W. P. Schmid, Der Name der Havel... (wie Anm. 16), S. 56.

Alteuropäische und germanische

Namen

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Stand unseres Wissens den Namen der Havel nicht kommentarlos der germanischen Schicht brandenburgischer Gewässernamen zurechnen darf.23 Der Havelzufluß Emster, um 1442 von der deinster,24 ist schon mehrfach namenkundlich untersucht worden. Er hat noch in jüngster Zeit einem Ort seinen Namen gegeben: erst 1937 wurde Schwina in Emstal umbenannt.25 Die Diskussion wurde lange von einem Aufsatz von Max Bathe bestimmt. In seinem Beitrag Die Emster und die л/

Amstel, hat er - getreu der von ihm immer wieder nachhaltig vertretenen Auffassung einer Übertragung aus dem Westen (vor allem aus dem Niederländischen)27 - wahrscheinlich zu machen versucht, daß der Name der Emster dem alten deutschen Sprachgebiet entstammen muß, „weil ihre Form an Alster oder Ulster erinnert".28 Weiter heißt es bei Bathe: „Da aber zur Zeit der Namengebung, im 12. Jahrhundert, weder Stamm ,Em-' noch Suffix ,-ster' im Gebrauch waren, kann der Name nur übertragen sein."29 Darauf wird noch genauer einzugehen sein. Mit Recht weist Max Bathe allerdings Heffters Auffassung im Namenverzeichnis zu Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis, Berlin 1867, zurück, der alte Name habe Demster gelautet. Von Bedeutung ist auch sein Hinweis auf das „Flußnamensuffix -ster, das in Alster, Ulster, Geister, Niester, Wilster begegnet und in Beemster, 989, 1083 Bamestra, sich auch in Nordholland findet".30 Wäre Max Bathe dieser Bemerkung weiter nachgegangen, hätte er sicher erkannt, daß diese Flußnamen nur zum geringen Teil aus dem Germanischen erklärt werden können und ein hohes Alter besitzen müs-

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Zu weiteren

Einzelheiten vgl. den in Anm. 16 genannten

Beitrag von

W. P. Schmid, Der Name der Havel. 24 Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil III, Bd. 1, Berlin 1859, S. 248 Nr. 152.

Siehe R. E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche... (wie Anm. 4), S. 56. In: Niederdeutsches Jahrbuch 79 (1956), S. 85-95. 27 Ζ. B. in seinem Aufsatz Lichtervelde - Lichterfelde, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe A 25

26

(1954/55), S. 95-121. 28 29 30

M. Bathe, Die Emster... (wie Anm. 26), S. 85. Ebda. A.a.O., S. 93.

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sen, so daß an eine erst in einzelsprachlicher Zeit erfolgte Übertragung nur schwerlich zu denken ist. Auf den wahrscheinlich verwandten Namen Amstel, der auch in dem Ortsnamen Amsterdam fortlebt, gehe ich hier nur kurz ein. Zur Diskussion verweise ich auf den schon von Max Bathe herangezogenen Beitrag von J. W. Muller, Amsterdam en Amstel,31 auf Moritz Schönfeld, 32 die Ablehnung von Max Bathes These durch Dirk P. Blok 33 und das jüngst erschienene Lexicon van nederlandse toponiemen tot 1200, in dem Amstel als „gebied random Ouderamstel (Noordholland)" aufgefaßt wird und in dem nach Auffassung der Autoren des neuen niederländischen Ortsnamenbuches „waarschijnlijk een archaische waternaam" vorliegt. 34 In dem Schlußwort seines schon mehrfach zitierten Beitrags hat Max Bathe geäußert: „Die brandenburgische Emster bezeugt durch ihren Namen die Ansiedlung von Holländern .,." 35 Seine These einer Übertragung aus dem Westen ist von Reinhard E. Fischer 36 akzeptiert worden. Gegen diese Auffassung hat Gerhard Schlimpert völlig berechtigt Einspruch eingelegt 37 und unter Bezug auf Hans Krähe 38 knapp dargelegt: „Der Name der Emster läßt sich ohne Schwierigkeiten auf eine germanische Form *Amistra, zu ide. *am- ,Flußbett, Graben', zurückführen." Ich möchte an dieser Stelle ausführlicher auf den Namen der Emster eingehen, da wir es offenbar mit einem Hydronym zu tun haben, das zwar zu den voreinzelsprachlichen Bildungen der alteuropäischen Hydronymie gerechnet werden kann, aber in seiner Bildung auch germanischen Einfluß zu erkennen gibt. Zudem fehlt bis-

In: Nomina Geographica Neerlandica 9 (1934), S. 133-156. Nederlandse waternamen, Amsterdam 1955, S. 43 ff. 33 Merwede, in: Beiträge zur Namenforschung 10 (1959), S. 283 (mit Anm. 4). 34 Lexicon van nederlandse toponiemen tot 1200, Amsterdam 1989, S. 66 f. 3 5 M. Bathe, Die Emster... (wie Anm. 26), S. 95. Die Ortsnamen der Zauche... (wie Anm. 4), S. 56. 37 Probleme der Gewässernamenforschung in Brandenburg, in: Zeitschrift für Slawistik 28 (1973), S. 70-77, hier S. 76; ders., Gedanken zu einer Konzeption für ein Brandenburgisches Gewässernamenbuch, in: Geografia Nazewnicza, red. von Kazimierz Rymut, Wroclaw usw. 1983, S. 94. 38 Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42, wo aber nur zur Wurzel, nicht zum Flußnamen Emster selbst Stellung genommen wird. 31

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her eine Zusammenstellung der hiermit verwandten Gewässer- und Ortsnamen.39 Eine Wurzel *am-/om- dürfte in den folgenden Appellativen vorliegen: alban. атё „Flußbett", griech. άμάρα „Graben, Kanal", ion. αμάρα, hethit. amiiar(a)- „Kanal".40 Geht man von dem Wortmaterial zu den davon abgeleiteten Namen über, so fällt schon bald auf, daß die „klassischen" alteuropäischen Bildungen, also etwa diejenigen mit -n-, -nt-, -r-, - 5 - u n d -t-, gut vertreten sind. Auch die Ableitungsgrundlage, also einfaches *Ama bzw. *Amia, läßt sich nachweisen. Im einzelnen vergleiche man: *Ama evtl. in dem schwed. GN. Am(m)en·41 *Amia in Große, Kleine Emme (Nordschweiz), 42 auch in Emme(bach), mua. auch Emsbach,43 bei Ems, auch Hobenems, ON. im Vorarlberger Rheintal, 766 amede, 9. Jahrhundert Amates44 dort auch Ortsname Emmebach,·45 *Amia auch wohl in Amiette —> Aisne, 1141 Amia,·46 weiter-

" Die Sammlung von Albert Brand, Die Ems und ihre Namensverwandten. Ein grundsätzlicher Beitrag zur vergleichenden Fluß-, Berg- und Ortsnamenkunde, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 76, Abt. 1 (1918), S. 1 55, befriedigt heute nicht mehr. 4 0 S. Wilh. Nicolaisen, Die alteuropäischen Gewässernamen der britischen Hauptinsel, in: Beiträge zur Namenforschung % (1957), S. 209-268, hier S. 228; Hans Krähe, Alteuropäische Flußnamen, in: Beiträge zur Namenforschung 4 (1953), S. 37-53, hier S. 51-53; ders., Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42; Julius Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Bern-München 1959, S. 502. 4 1 Elof Heilquist, Studier öfver de svenska sjönamen, Τ. 1, Stockholm 1903, S. 766; vgl. auch Max Vasmer, Schriften zur slavischen Altertumskunde und Namenkunde, Bd. 2, Berlin 1971, S. 941. 4 2 Belege und Etymologie siehe Albrecht Greule, Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein, Heidelberg 1973, S. 113 ff.; Erika Waser, Die Entlebucher Namenlandschaft, Luzern-Stuttgart 1988; dazu die Rezension von Wolfgang Kleiber, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 24 (1989), S. 432-434, hier S. 432. 4 3 Bruno Boesch, Die Gewässernamen des Bodenseeraumes, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 16 (1981), S. 13-39, hier S. 19. 4 4 A. Greule, Vor- und frühgermanische Flußnamen... (wie Anm. 42), S. 115, und Theodora Geiger, Die ältesten Gewässernamen - Schichten im Gebiet des Hoch- und Oberrheins, in: Beiträge zur Namenforschung 16 (1965), S. 113-126, hier S. 126; wei-

tere Belege bei Erika Boedecker, Studien über das Weiterleben und die Neuverwendung antiker Orts- und Provinznamen im österreichischen Mittelalter bis um 1250, Phil. Diss., Wien 1970, S. 84 f. 45

B. Boesch, Die Gewässernamen... (wie Anm. 43), S. 19.

Albert Dauzat/Gaston Deslandes/Christian Rostaing, Dictionnaire des noms de rivieres et de montagnes en France, Paris 1978, S. 20. 46

etymologique

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hin gehört hierzu der in der Flexion an die germanischen 70-Stämme (Nominativ *Amt bzw. in den obliquen Kasus *Amiä-)47 angelehnte F1N. Eem —> Ijsselmeer bei Amersfort, III (Kopie 10. u. 11. Jahrhundert) super alueum Hemi, ... partes Hemi, um 1000 ab aqua Erna nominata, 1012-1018 (Kopie 14. Jahrhundert; Thietmar) ab aqua Erna, um ll60 (Vita Meinwerci) ad aquam Emme,48 dazu auch die Ortsnamen Eembrugge, Eemdijk, Eemnes und der Flurname Eemland. Der am Fluß liegende Ort Amersfort geht mit seinem Namen auf dieselbe Wurzel wie der Flußname zurück, enthält aber nach Dirk P. Blok49 ein -r-Suffix (dazu siehe unten), dessen Bildung mit einem Mittelvokal (Typus *Amer-/Amar-) im Germanischen unbekannt und als altertümlich zu betrachten ist. Bildungen mit einem Formans -n- sind sicher nachweisbar; man vergleiche Ohm —> Lahn, (um 750-779, Kopie um 1160) Amana usw., mit den ON. Ober-, Nieder-Ohmen, Amöneburg Kopie um 800 АтапаЬигф, < *Amana?() weiterhin * Amana, erschlossener Name für ein Teilstück der Maas, auch *Amana in *Aman-ea, jetzt Ampney Brook, FIN. in Gloucestershire, ca. 1540 Amney Water, Amneybroke usw.; 51 ein -n-Element enthält auch der mittelrussische Flußname Amon', Varianten Omonja, Amon'ka;52 vielleicht ist hier auch Άμένας, Flußname bei Catania,53 anzuschließen.

47 Siehe A. Greule, Vor- undfrühgermanische Flußnamen... (wie Anm. 42), S. 115; ähnlich Dirk P. Blok, Probleme der zeitlichen Schichtung niederländischer Flusznamen, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 2 (1967), S. 13-20, hierS. 18; R. E. Runzel u. a., Lexicon van nederlandse toponiemen tot 1200, Amsterdam 1989, S. 123, nehmen eine Grundform 'Ami an. 48 Hydronymia Germaniae, Lieferung A 11, Wiesbaden-Stuttgart 1977 (künftig: Hydro nymia Germaniae A 11; weitere Lieferungen analog), S. 9; R. E. Künzel u. a., Lexicon... (wie Anm. 47), S. 12349 D. P. Blok, Probleme... (wie Anm. 47), S. 18. 50 Belege nach Lutz Reichardt, Die Siedlungsnamen der Kreise Gießen, Alsfeld und Lauterbach in Hessen, Göppingen 1973, S. 232; H. Krähe, Alteuropäische Flußnamen... (wie Anm. 40), S. 53; ders., Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie, Mainz-Wiesbaden 1963, S. 312; ders., Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42. 51 H. Krähe, Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 312. 52 Siehe Wolfgang P. Schmid, Alteuropa und der Osten im Spiegel der Sprachgeschichte, Innsbruck 1965, S. 6. -53 Weitere Belege bei Helmut Rix, Bausteine zu einer Hydronymie Alt-Italiens, Phil. Diss., Heidelberg 1950, S. 146.

Alteuropäische und germanische

Namen

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Bildungen mit -r- wie Amer, Am(m)er< *Amara sind vor allem im deutschen und niederländischen Sprachgebiet bezeugt, etliche Namen begegnen als Seegatten in Brabant und Zeeland. 54 Nach Dirk P. Blok 55 sind es eher junge Bildungen, deren Grundlage in den Niederlanden offenbar länger bekannt und produktiv gewesen ist. Vgl. weiterhin Emmersloot, 1490 aenden aemere ... onder twatergeheeten den Emer... aenden eemet56 und den ON. Amersfort, 1028 deAmersfoirde usw. 57 Aus Deutschland wären zu nennen: Ammersbek, F1N. in Schleswig-Holstein,58 hierzu evtl. auch Hamerbek, 1290 in amerbeke, et ab amerbeke usw. 59 Vgl. weiterhin die Ammerswurther Au in Schleswig-Holstein mit dem ON. Ammerswurt, 1496 to Ammersword, „am wahrscheinlichsten ... *Amara"6o sowie 1692 Amer Wisch, Gewässername im Bereich der oberen Wümme. 61 Auch der Name Großer Hamerloh, 1721 up dat grote Amerlohe usw. geht nach Pierre Hessmann auf einen FlN. *Amer zurück, bei weiteren norddeutschen Hammer-Namen kann ähnliches vermutet werden. 62 Die Amorbäche Süddeutschlands bleiben wohl eher fern, aber gilt das zum Beispiel auch für den Amorbach im Maingebiet, 1464 in der A merbach ? 63

5 4 Siehe M. Schönfeld, Nederlandse watemamen... (wie Anm. 32), S. 44 f.; G. Kvaran, Untersuchungen... (wie Anm. 14), S. 5; H. Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42; J. V. v. Loon, Wateren watemamen in Noord-Brabants zuidivesthoek, Leuven-Brussel 1965, S. 19 f. 5 5 D. P. Blok, Probleme... (wie Anm. 47), S. 19. 5 6 J. V. v. Loon, Water... (wie Anm. 54), S. 19. 57 Hydronymia Germaniae A 11 (wie Anm. 48), S. 54. Siehe auch oben s. v. Eem. 58 Hydronymia Germaniae К 16, Stuttgart 1990, S. 11; mit -r-Suffix gebildet nach Wolfgang Laur, Gewässernamen in Schleswig-Holstein, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 16 (1981), S. 107-124, hier S. 120. 59 Hydronymia Germaniae А 16, S. 145: anders (< 'ambhr-): Antje Schmitz, Die Ortsnamen des Kreises Herzogtum Lauenburg und der Stadt Lübeck, Neumünster 1990, S. 395. 6 0 G. Kvaran, Untersuchungen... (wie Anm. 14), S. 5; ähnlich W. Laur, Gewässernamen... (wie Anm. 58), S. 120. 6 1 Pierre Hessmann, Gewässernamen im Flußgebiet der oberen Wümme, in: Name und Geschichte. Henning Kaufmann zum 80. Geburtstag, München 1978, S. 195-202, hier S. 198. 6 2 Pierre Hessmann, Bedeutung und Verbreitung einiger nordwestdeutscher Sumpf bezeichnungen, in: Gießener Flurnamen-Kolloquium, hrsg. von Rudolf Schützeichel (= Beitrage zur Namenforschung, N. F., Beih. 23), Heidelberg 1985, S. 190-200, hier S. 196. ^ Hydronymia Germaniae К 7, Wiesbaden-Stuttgart 1970, S. 4.

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Jürgen Udolph

Die für die alteuropäische Hydronymie typischen -ni-Bildungen sind ebenfalls gut bezeugt. Es lassen sich anführen: Amance —> Saone, mit ON. Amance, < *Amantia·, Amance —> Aube, mit ON. Amance, < *Amantia;64 *Amantia in einem Flußnamen in Pannonien, zu erschließen aus dem bei Plinius und Ptolemaeus erwähnten VN. Amantini;65 wahrscheinlich sind auch die Ortsnamen Amantea in Bruttium, alt Amantiaund Amantia in Südillyrien, auch Ethnikon Amantini,67 anzuschließen. Häufig sind -s-Bildungen,68 die schon lange durch den Namen der Ems aufgefallen sind. Man vergleiche: Ems —> Nordsee, Tacitus, Annalen ad flumen Amisiam, Mela Amissis, Adam von Bremen Emisa, < *Amisia;69 weiterhin Emsbach —> Lahn, 795 fluvium Hemisa, 805 fluminis ... Emisa,70 < *Amisa;71 Emse —> Hörsei —> Werra, 1003 Emisa, < *Amisa;72 Emse(nbach) —> Ilm bei Bad Sulza, mit abgegangenem ON. Emsen, 9· Jahrhundert Umisa, 1063 Imese, 1271 Emesa, < *Amisa;73 Ems —> Eder, 1404 Eymese, dazu 1325 Emseberg usw. , 74 < *Amisa. 75

Hans Krähe, Alteuropäiscbe Flußnamen, in: Beiträge zur Namenforschung 2 (1951), S. 113-131, hier S. 123; ders., Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 312; G. Kvaran, Untersuchungen... (wie Anm. 14), S. 5. 65 H. Krähe, Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 312. 66 H. Krähe, Alteuropäische Flußnamen... (wie Anm. 40), S. 52; Julius Pokorny, Zur Urgeschichte der Kelten undlllyrier, Sonderdruck, Halle 1938, S. 127. 67 H. Krähe, Alteuropäische Flußnamen... (wie Anm. 40), S. 52. ^ Dazu zusammenfassend: Wolfgang P. Schmid, Art. Ems, § 1, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 7, Lieferung 3/4, Berlin-New York 1989, S. 274. 69 H. Krähe, Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 313; jetzt ausführlich W. P. Schmid, Art. Ems, § 1... (wie Anm. 68). 70 Hydronymia Germaniaek 4, Wiesbaden-Stuttgart 1966, S. 22 f. 71 H. Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42; ders., Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 312. 72 H. Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42; ders., Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 313; Hans Walther, Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsgeschichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9- Jahrhunderts, Berlin 1971, S. 235. 73 H. Walther, Namenkundliche Beiträge... (wie Anm. 72), S. 235. 74 Hydronymia GermaniaeA 5, Wiesbaden-Stuttgart 1966, S. 23. 75 H. Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42; ders., Die Struktur... (wie Anm. 50), S. 313-

Alteuropäische

und germanische

Namen

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-ί-Formantien sind vor allem in Osteuropa nachweisbar: Amata, F1N. in Litauen;76 Amata — > Gauja in Lettland;77 Amitäs, FlN. in Apulien, < *Amitä;78 Άμμίτης- (griech.), FlN. in Makedonien;79 Amota, Seename bei Vecuni, 1554podle bolota Amotja;S0 Omet—> Alle/tyna, 1370-1374 Omeyte, 1398 Amet usw., < preuß. *Amete.8i Julius Pokorny82 schließt hier auch den Flußnamen Amatissa, heute Amasse, Touraine, an. Ein besonderes Problem sind -/-Ableitungen. In Westeuropa sind sie weniger häufig. Der Osten bietet da jedoch ein anderes Bild,83 und das zeigt sich auch bei den hier diskutierten Namen. Allerdings gibt es im baltischen Bereich durch die Kreuzung mit dem baltischen Wort für die „Mistel" (siehe unten) besondere Probleme. Sicheres Material bietet daher vor allem Westeuropa: *Amalä, heute Amalburna, nach 991 to, from Amalburnan, alter Name des Flusses Box in Suffolk;84 *Amalä in Amble, Ortsname in Cornwall, sehr wahrscheinlich alter Name eines Flusses, 1086 Amal, 1306 Amaleglos;85 Amel, Ortsname im Departement Meuse, 982 Amelia·, Amel, Bach bei Eltville;86 Malone, linker Nebenfluß des Po, Geogr.Rav. Amalune,

7i> A.a.O., S. 312; Jan Otr^bski, La formation des notns physiographiques en lithuanien, in: Lingua Posnaniensis 1 (1949), S. 199-243, hier S. 228; H. Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42; Aleksandras Vanagas, Lietuviu hidronimtf etimologinis zodynas, Vilnius 1981, S. 41. 7 7 H. Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42. 7 8 H. Krähe, Alteuropäische Flußnamen... (wie Anm. 40), S. 53; W. Nicolaisen, Die alteuropäischen Gewässernamen... (wie Anm. 40), S. 228; allerdings erwägt H. Rix, Bausteine... (wie Anm. 53), S. 118 auch die Lesung Aritas (!). 7 9 H. Krähe, Alteuropäische Flußnamen... (wie Anm. 40), S. 53; W. Nicolaisen, Die alteuropäischen Gewässernamen... (wie Anm. 40), S. 228. 80 Opisanie zmudckoj zemli ν 1554f., in: Archeograficeskij slovnik dokumentov, otnosjascichsja k istorii severozapadnoj Rusi, Bd. 8, Vil'na 1870, S. 109. 81 Maria Biolik, Hydronimia dorzecza Pregoly ζ terenu Polski, Olsztyn 1987, S. 160. 8 2 Zur Urgeschichte... (wie Anm. 66), S. 127. 8 3 Siehe etwa Jürgen Udolph, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie, Heidelberg 1990, S. 319 f.

84

W. Nicolaisen, Die alteuropäischen Gewässernamen... (wie Anm. 40), S. 228; Max Förster, DerFlußname Themse und seine Sippe, München 1941, S. 117. 8 5 W. Nicolaisen, Die alteuropäischen Gewässernamen... (wie Anm. 40), S. 228; Ellert Ekwall, English River Names, Reprint, Oxford 1968, S. 11. 8 6 Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 2, hrsg. von Hermann Jellinghaus, Bonn 1916, S. 122.

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Jürgen Udolph

11. Jahrhundert Amalone, dort auch unbekannter Nebenfluß Amalona.S7 Fraglich ist die Zugehörigkeit von Ammelbach —> Röllbach —> Main und Ammels-Bach —> Schondra.88 Schwer ist auch der Flußname Emmelke, 1185 Amlake usw.,89 einzuorden. Altpreußisch emelno, litauisch ämalas, lettisch ämuls, amuls, amuols „Mistel" ist sicher die Grundlage für einige oder mehrere der folgenden Namen: Ämalvas, Amäle, Amälis, Amalka, Amule, Amulle, Amelung, Ammeling, Amälve, Omoli, Omoly, Amoli, Amoly, Omulle, Amuole, Amalka, *Amalvas in Omelovka, Omolva und andere mehr.90 Gelegentlich wird aber auch Zugehörigkeit zu unserer Sippe um idg. *am-/om- erwogen, so von Gudrun Kvaran91 für den F1N. Amalis-, auch Maria Biolik92 schwankt bei der Deutung des Seenamens Klebarskie Jezioro, 1352 in lacu amelung, 1357 circa lacum Amelung usw. zwischen der Verbindung mit bait. *amel- „Mistel" und unserer Wurzel *am-·, ähnlich hat Ivan Duridanov bei der Diskussion von 'Amala oder *Amela (-as), der mutmaßlichen Grundlage des verschwundenen balkanischen Ortsnamens Amlaidina, argumentiert,93 indem er an zahlreiche baltische Namen und an das baltische Mistelwort anknüpfte. Für Hans Krähe ist der Name Amule < *Amula, Nebenfluß der Abava in Lettland, in die voreinzelsprach-

H. Rix, Bausteine... (wie Anm. 53), S. 5; Institvta regalia et ministeria camerae regvm Longobardorvtn et honorantiae civitatis Papiae, hrsg. v. Adolf Hofmeister, MGH 5530,2, Hannover 1934, ND Stuttgart-New York 1964, S. 1444-1460, hier S. 1455. 88 Hydronymia Germaniaek 1 (wie Anm. 63), S. 4. 89 Hydronymia GermaniaeA 16 (wie Anm. 58), S. 101. 9 0 Peeter Arumaa, Zur Geschichte der u-stämmigen Gewässernamen im Baltischen und Slawischen, in: Aus dem Namengut Mitteleuropas. Festgabe zum 75. Geburtstag von Eberhard Kranzmayer, hrsg. von Maria und Herwig Hornung, Klagenfurt 1972, S. 1-12, hier S. 6; A. Vanagas, Zodynas... (wie Anm. 76), S. 41; Vladimir N. Toporov, Prusskij jazyk, Bd. 1, Moskva 1975, S. 81; Kazimieras Buga, Rinktiniai rastai, Bd. 3, Vilnius 1961; Georg Gerullis, Die altpreußischen Ortsnamen, Berlin-Leipzig 1922, S. 9; M. Vasmer, Schriften... (wie Anm. 41), Bd. 2, S. 941; Janis Endzelins, Latvijas PSR vietvärdi, Bd. 1, Riga 1956, S. 25; F. Daubaras, Priesagos -ng-prusu hidronimai, in: Baltistica \1 (1981), S. 84; Knut O. Falk, Wody wigierskie i huciariskie, Phil. Diss., Uppsala 1941, S. 199 f.; Anna Pospiszylowa, Toponimapoludniowej Warmii. Naztvyterenowe, Olsztyn 1990, S. 102 f.; Valentin Kiparsky, Die Kurenfrage, Helsinki 1932, S. 78. 91 Untersuchungen... (wie Anm. 14), S. 5. 92 Hydronimia... (wie Anm. 81), S. 105. 9 3 Thrakisch-dakische Studien, 1. Teil: Die thrakisch- und dakisch-baltischen Sprachbeziehungen, Sofia 1969, S. 28. 87

Alteuropäische und germanische

Namen

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liehen Bildungen einzureihen. 94 Schließlich habe ich Bedenken, den bedeutenden Zufluß des Narew in Polen, Omulew, dessen Grundform auf einen alten ΰ-Stamm weist (*Omoly, *Omoh>ve), als einzelsprachliche Bildung mit dem baltischen Mistelwort zu verbinden. Wir können nur eine Zwischenbilanz ziehen. An der Existenz einer indogermanischen, alteuropäischen Sippe um eine Wurzel *am-/om- ist meines Erachtens nicht zu zweifeln. Allerdings kann ich Anton Scherers Meinung, 95 den Flußnamen Ohm, Ems, Amance usw. liege die Wurzel „ *отэ- (in) ai. äma- ,Andrang, Ungestüm'; an. ama .plagen, belästigen'" und „kaum ... alb. атё ,Flussbett'" zugrunde, nicht zustimmen. Die von Scherer herangezogene Wurzel liegt zweifellos in Personennamen vor (so vor allem im Germanischen, man vergleiche den Namen des ostgotischen Königshauses), kaum jedoch in Flußnamen. Wenn andererseits Hjalmar Frisk in seinem Griechischen etymologischen Wörterbuch für griech. αμάρα Herkunft aus dem Orient annimmt, so ist diese Auffassung angesichts der europäischen Flußnamen ebenso abzulehnen wie die von westeuropäischen Forschern vertretene Meinung, diese Wurzel könne nicht mit der alteuropäischen Hydronymie in Verbindung gebracht werden, „puisqu'aujourd'hui cette theorie est manifestement depassee". 97 Man wird allen Anforderungen am ehesten gerecht, wenn man Hans Krahes Vorschlag folgend eine voreinzelsprachliche Sippe annimmt (dafür sprechen semasiologische und morphologische Gründe, aber auch die Streuung der Namen) und die oben zusammengestellten Namen in ihrer überwiegenden Mehrheit (in einzelnen Fällen werden immer offene Fragen bestehen bleiben) der alteuropäischen Hydronymie zuordnet. Von hier aus können wir uns nun dem Flußnamen Emster zuwenden. Wie oben schon ausgeführt wurde, hat Gerhard Schlimpert den Namen der Emster auf eine Vorform *Amistra zurückgeführt und mit Hans Krähe, Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 42. Der Ursprung der „alteuropäischen" Hydronymie, in: Atti e Memorie VII Congresso Internazionale di Scienze Onomastiche, Bd. 2, Firenze 1961, S. 415. 9 6 Bd. 1, Heidelberg I960, S. 87. 9 7 Albert J. van Windekens, Contributions ä Interpretation du wcabulaire bittite et indo-europeen, in: Studies in Diachronic, Synchronic, and Typological Linguistics. Festschrift for Oswald Szemerenyi, ed. by Bela Brogynyi (= Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 11,2), Amsterdam 1979, Bd. 2, S. 909-925, hier S. 924. 94 95

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Jürgen Udolph

der Wurzel *am-/om- verbunden. Unsere Zusammenstellung der davon abgeleiteten Hydro- und Toponyme zeigt nun, daß eine Bildung mit dem Suffix *-istra sonst nicht belegt werden kann. Die Emster steht somit, was die Ableitung von der Wurzel betrifft, isoliert. Diese Isolation kann aber durchbrochen werden, wenn man nach entsprechenden Bildungen von anderen Ableitungsgrundlagen Ausschau hält. Im folgenden seien die mir bekannt gewordenen Bildungen mit dem Element *-str-, meistens als *-istra oder *-astra belegt, aufgelistet. Am bekanntesten dürfte die Sippe um die deutschen Flußnamen Alster und Elster sein. Zu ihr gehören zahlreiche Namen in Deutschland und Skandinavien, zu denen ich vor kurzem an anderer Stelle 98 ausführlicher Stellung genommen habe. Die Namen gehören mit den Grundformen *Al-astra und *Al-istra (> Elster, bildungsgleich mit Emster!), zu idg. *el-/ol- „fließen usw."; weiterhin sind mir bekannt geworden: Ballestre, 940 (Kopie 12. Jahrhundert) Ballestran, Flußname in England; 99 Beemsterbei Alkmaar in den Niederlanden, 1083 (Fälschung 12. Jahrhundert) flumen Bamestra100 (die Etymologie ist noch unklar); 101 Beuster —> Innerste bei Hildesheim, 1305 Bostere, 1308 Botestere usw.; 102 evtl. Deister, Bergname bei Hannover; Falster, dänische Insel; 103 Falsterbach, Flußname im Gebiet des Oberrheins; 104 Fl0str, Inselname in Skandinavien; 105 Geister —> Werra, 1246 (Abschrift 1623) inter Gelstram, 1292 (Abschrift 16. Jahrhundert) obir di Gelstra, 1358 obir di Gelstra,106 nach Hans Walther „germ. *Galistra, *Gelistra, zu ahd. gellan ,gellen', mhd. gelster ,laut Jürgen Udolph, Germanische Hydronymie aus kontinentaler Sicht, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 24 (1989), S. 271-274. ^ E. Ekwall, English River Names... (wie Anm. 85), S. 26; vgl. Thorsten Andersson, Namn i Norden och detfoma Europa, Uppsala 1989, S. 93. 1 0 0 Maurits Gysseling, Toponymisch woordenboek van Belgie, Nederland, Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland, Bd. 1, Brussels I960, S. 114. 1 0 1 M. Schönfeld, Nederlandse waternamen... (wie Anm. 32), S. 38. 1 0 2 Zu weiteren Belegen und der Deutung siehe Bernd-Ulrich Kettner, Flußnamen im Stromgebiet der oberen und mittleren Leine, Rinteln 1972, S. 25 f. 1 0 3 T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 92, 98 f. 1 0 4 Theodora Geiger, Die ältesten Gewässernamen-Schichten im Gebiet des Hochund Oberrheins, in: Beiträge zur Namenforschung 15 (1964), S. 26-54, hier S. 51. 105 Ebda. 1 0 6 Thorsten Andersson, Geister und Kelsterbach, in: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 5 (1970), S. 122-127, hier S. 122. 98

Alteuropäische und germanische Namen

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erklingend'";107 Kelsterbach, ON. und Flußname bei Groß Gerau, 830-850 (Abschrift Ende 12. Jahrhundert) De Gelsterbach, In Gelsterbach usw. 108 und ON. Gelsenkirchen (12. Jahrhundert Geilistirinkirkiri)"; aus Norwegen bringt Per Hovda 109 die Gewässernamen J0Istra, Imstra und *f0stra/*Jostra (in Jostedalen) bei; Lästern in Schweden;110 Koster, schwed. Inselname;111 aus Deutschland vergleiche weiter Lister, Flußname im Westerwald, 1532 in der Lyster usw., ON. Listernohl, 1256 Listernole,·112 hierzu wohl Lister, Inselname in Schweden;113 weiter Lustr, Fjordname in Skandinavien;114 Medestre, Flußname in England;115 Mostr, Inselname in Skandinavien;116 Nister, Flußname im Westerwald, 1064 ad ... Nistram usw.; 117 0rstr, Fjordname in Skandinavien;118 Öster, Flußname im Westerwald, 1607 Oosterflu. usw.; 119 Rekstr, Inselname in Schweden;120 Salstern, Stora, Lilla, Seenamen in Schweden;121 Seester(au), alter Name der Krückau —> Elbe, 1141 (Fälschung um 1180, Kopie nach 1200) iuxta ßuuiurn Ciestere usw., mit ON. Seester, Seesterau, Seestermühe und anderen;122 Susteren, ON. in den Niederlanden, 1277 Rususteren,

H. Walther, Namenkundliche Beiträge... (wie Anm. 72), S. 236. Zu diesem Wort ausführlich: T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 17 ff. 1 0 8 T. Andersson, Geister... (wie Anm. 106), S. 122. 109 Norske elvenamn, Oslo-Bergen 1966, S. 15. 1 1 0 T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 92. 111 Ebda. 1 1 2 Nach Erhard Barth, Die Gewässernamen im Flußgebiet von Sieg und Ruhr, Glessen 1968, S. 156, und D. Schmidt, Die Namen... (wie Anm. 14), S. 67 f., sehr wahrscheinlich -sfr-Bildung < 'Legistra. 1 1 3 T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 92. 114 Ebda. 115 A.a.O., S. 93; E. Ekwall, English River Names... (wie Anm. 85), S. 285. η ί > T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 93. 1 1 7 Nach Adolf Bach, Deutsche Namenkunde, T. 2, Bd. 1, Heidelberg 1953, S. 207, Zuordnung zu den Bildungen mit -str- fraglich, keine Zweifel hat dagegen E. Barth, Die Gewässernamen... (wie Anm. 112), S. 101 f. 1 1 8 T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 92. 1 1 9 Nach E. Barth, Die Gewässernamen... (wie Anm. 112), S. 163, -sir-Bildung wahrscheinlich. 1 2 0 T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 92. 121 Siehe E. Hellquist, Studier... (wie Anm. 41), S. 520. 1 2 2 Zu Belegen und Literatur siehe Hydronymia Germaniae A 16, (wie Anm. 58), S. 199 ff·; Deutung noch unsicher: siehe W. Laur, Gewässernamen... (wie Anm. 58), S. 116. 107

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Jürgen Udolph

beruht auf einem Flußnamen Suster, 714 (Kopie 1191), 718 (Kopie 1191) Svestra, 891 (Kopie um 1100) Suestra usw.; 123 Ulster ~> Werra, 819, 836 Ulstra, sehr wahrscheinlich schwundstufige Bildung zu Alster, Elster,124 auch der Name der Unstrut könnte hier angeschlossen werden, sofern eine Grundform *Un-str- angesetzt werden darf und der unverkennbar vorhandene Einfluß von Strut 125 sekundär ist; weiterhin vielleicht in Vänstern, Seename in Schweden; 126 sicher in Wüster --> Medem (—> Elbe) und Wüster Au (Wüsteraü) —> Stör (—> Elbe); 127 schließlich Zester, abgegangener Flußname im Alten Land, 1197 iuxta Szasteram, mit verschwundenem ON. Zesterfleth, 1221 Sestersvlete usw. 128 Fraglich ist die Zugehörigkeit von Asdorf(bach) im Westerwald.129 Damit können wir die Zusammenstellung der mit dem Flußnamen Emster in Lexem und Suffix verwandten Namen beenden. Es wird dabei deutlich, daß gegenüber anderen Bildungen der alteuropäischen Hydronymie Namen mit einem -sir-Element auf einen bestimmten Raum beschränkt sind. Der Schwerpunkt liegt meines Erachtens in Deutschland, vor allem auf Grund der Tatsache, daß sich darunter bedeutende Flüsse befinden, während Skandinavien vor allem mit Fjord- und Inselnamen Anteil hat. Man vergleiche aus Deutschland Alster, Beuster, dazu eventuell den Bergnamen Deister, weiter Elster, Emster, Gelsenkirchen, Geister, Kelsterbach, Lister, Nister, Öster, SeesterCau), Ulster, Wilster, Wilsterau, Zester. Daneben sind nur die Niederlande (Beemster; Sustereri), England (Ballestre, Medestre) und Skandinavien (Alster, Ftostr, J0lstra, Imstra, Jostedalen, 1 2 3 M. Gysseling, Toponymisch woordenboek... (wie Anm. 100), Bd. 2, S. 948. Der Gewässername enthält nach A. Bach, Deutsche Namenkunde... (wie Anm. 117), S. 207, das Suffix -str- Zweifel hat M. Schönfeld, Nederlandse watemamen... (wie Anm. 33), S. 80, zustimmend jedoch P. L. M. Tummers/Dirk P. Blok, Watemamen in Limburg en Drente, Amsterdam 1978, S. 28 f. 1 2 4 Hans Krähe, Über einige Gewässernamen mit st-Suffix, in: Beiträge zur Namenforschung 10 (1959), S. 1-17, hier S. 11; H. Walther, Namenkundliche Beiträge... (wie Anm. 72), S. 236. 1 2 5 Dazu Jürgen Udolph, Ex Oriente lux- auch in deutschen Flurnamen, in: Gießener Flurnamen-Kolloquium... (wie Anm. 62), S. 272-298, speziell S. 290. 1 2 6 Siehe E. Hellquist, Studier... (wie Anm. 41), Τ. 1, S. 741. 1 2 7 Zu beiden Namen siehe Hydronymia Germaniae A 16 (wie Anm. 58), S. 364 ff. (mit Hinweis auf weitere Literatur). 1 2 8 Siehe a.a.O., S. 371 ff. 1 2 9 Nach E. Barth, Die Gewässernamen... (wie Anm. 112), S. 66, -sir-Bildung.

Alteuropäische

und germanische

Namen

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Koster, Lästern, Lister, Lustr, Mostr, 0rstr, Rekstr) von der Streuung betroffen. So hatte schon Erhard Barth formuliert: „Da sich GN mit dem -sir-Suffix ... nur in einem beschränkten Gebiet Mitteleuropas finden ..., so ist es zu erwägen, ob die ,alteuropäischen' Gewässernamen nicht in Untergruppen zu teilen wären, wobei neben einer weiträumigen, zugleich älteren Gruppe eine kleinräumige, gleichzeitig jüngere Gruppe von Gewässernamen Mitteleuropas stände."130 Zu den Konsequenzen, die sich daraus für den mutmaßlichen Raum der Entfaltung des Germanischen ergeben könnten, habe ich an anderer Stelle131 zunächst nur kurz Stellung genommen. Heute möchte ich eine notwendig gewordene Ergänzung hinzufügen. Schon lange ist aufgefallen, daß gerade das Germanische in seinem Wortschatz Bildungen mit -str- („Es handelt sich offensichtlich um ein sehr altertümliches Suffix")132 kennt, man vergleiche etwa got. awistr „Schafstall" und die Bemerkungen von Siegmund Feist in dessen Vergleichendem Wörterbuch der gotischen Sprache,133 Weiteres Material findet sich bei Hans Krähe, Wolfgang Meid und Thorsten Andersson, so zum Beispiel dt. Laster < *lah-stra-, Polster < *bulhstra-, anord. mostr < *muh-stra-, altwestnord. naust, norw. (mua.) naustr „Bootsschuppen" und anderes mehr.134 Neben diesen offenbar älteren Bildungen, in denen das Suffix an Wurzeln mit gutturalem Auslaut antrat, sind auch Bildungen mit Zwischenvokal bzw. in sekundärer Ableitung an vokalisch auslautenden Vorderstücken zu beobachten. „Diese Bildungen sind vornehmlich Ortsbezeichnungen." 135 Hierunter fallen zum Beispiel got. hulistr „Hülle" neben ablautendem altenglischen helustr, heoloster, weiterhin altenglisch giliA.a.O., S. 102. GermanischeHydronymie... (wie Anm. 98), S. 273 f. 1 3 2 T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 35. 1 3 3 Leiden 1939, S. 70. 1 3 4 H. Krahe/W. Meid, Germanische Sprachwissenschaft... (wie Anm. 19), Bd. 3, S. 184; T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 33 ff., und vor allem S. 92-112 (mit Hinweis auf weitere Literatur); Wolfgang Meid, Über s in Verbindung mit t-haltigen Suffixen, besonders im Germanischen, in: Indogermanische Forschungen 69 (1964/ 65), S. 218-255; ders., Zu einigen keltischen und germanischen Bildungen mit st-Sufflx, in: Die Sprache 11 (1965), S. 122-130; ders., Spuren eines Parallelismus von -found -st-Suffix im Germanischen, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 79 (1965), S. 291-293. 130 131

135

S. 184.

H. Krahe/W. Meid, Germanische Sprachwissenschaft... (wie Anm. 19), Bd. 3,

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Jürgen Udolph

ster, geoloster „Geschwür", das schon erwähnte gotische awistr und andere mehr. Ergänzt man diese Bemerkungen durch den Vergleich mit den oben zusammengestellten Orts- und Gewässernamen, so kann es kaum einen Zweifel daran geben, daß diese in ihrer Wortbildung durch germanischen Einfluß geprägt sind. 136 Daraus ergeben sich für die Gruppe der Bildungen mit -str- und ihre Streuung sowie für die Einordnung des Flußnamens Emster verschiedene Konsequenzen. 1. Obwohl sich unter diesen Namen etliche befinden, deren Lexem im Germanischen ohne sicheren Anschluß ist (Alster/Elster, Beu5ter[?], Emster, Ulster, Wilster),137 ist der Einfluß des Germanischen in der Wortbildung unverkennbar. 2. Die schon angesprochene auffällige Streuung der Namen erfordert einen Kommentar. Ich sehe in dieser Verbreitung ein weiteres Indiz für die Annahme, daß sich das Germanische nicht unbedingt in Skandinavien entfaltet hat. 138 3. Die Emster, zu der wir nun nach einem längeren Ausholen zurückkommen, ist in diesem Zusammenhang ein typischer und repräsentativer Name. Während die zugrundeliegende Wurzel dem Germanischen fremd ist, verrät die Wortbildung germanischen Einfluß. Der Name scheint mir daher dafür zu sprechen, daß Sprecher indogermanischer Dialekte auch die Umgebung von Brandenburg besiedelt haben und es eine Kontinuität zu den sich entwickelnden germanischen Mundarten gegeben hat. Aus dieser Zusammenfassung wird deutlich, welche Bedeutung dieser Name besitzt. Während nicht sicher entschieden werden kann, von welchem Teilbereich aus die Havel benannt worden ist, zeigt die Emster zweifelsfrei, daß in Brandenburg und seiner Umgebung auch sehr alte Namen nachgewiesen werden können. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes wollen wir uns nun dem schwierigen Namen Brandenburg zuwenden.

Ähnlich T. Andersson, Geister... (wie Anm. 106), S. 126, Anm. 29: für einen durch -sir-Ableitung gebildeten Flußnamen wäre also am ehesten an germanischen Ursprung zu denken." 137 Es sind vor allem Hydronyme in Deutschland, deren Erklärung schwerfällt; leichter ist die Deutung der skandinavischen Verwandten, siehe T. Andersson, Namn... (wie Anm. 99), S. 92 ff. 138 Siehe dazu meinen Beitrag GermanischeHydronymie... (wie Anm. 98).

Alteuropäische und germanische Namen

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Ein unbefangener Beobachter wird sicher der Ansicht sein, daß Brandenburg etwas mit deutsch Brand und brennen zu tun hat. Diese Deutung überzeugt jedoch - wie wir noch sehen werden nicht. Die ältesten Belege zeigen ein Schwanken zwischen Formen wie Brendan-burg, Brenna-burg, Branden-burg. Nach Reinhard E. Fischer139 lauten die ältesten Belege wie folgt: 948 Brendanburg, um 967 (zum Jahr 928/29) Brennaburg (Varianten: Brandenburg, brinnaburg, branneburb, brennaburch), um 967 (zum Jahr 939) Brennaburg (Varianten: Brandanburg, Brandenburg, brandeburh), um 1014 (zum Jahr 970) Brandeburgiensis aecclesiae, um 1014 (zum Jahr 983) Brandenburgiensem episcopatum usw. Es ist bemerkenswert, daß für den Ort offenbar kein slavischer Name überliefert ist.140 Der immer wieder unternommene Versuch, den Namen aus dem Slavischen zu deuten (zum Beispiel zu slavisch *Ьгъп- „Morast, Sumpf"),141 ist abzulehnen.142 Eine völlig überzeugende Deutung fehlt noch immer. Die letzte Äußerung zu diesem schwierigen Namen findet sich im Städtenamenbuch der DDR.143 Dort heißt es: „In den Formen *Brand(e)bzw. Brand(en)burg liegt auf jeden Fall eine deutsche Bildung vor, jedoch bleibt ein Kompositum mit dem frühmittelalterlichen Heiligen(namen) Brandan bzw. Brendan für diese Zeit und diesen Raum sehr zweifelhaft; eher besteht doch wohl ein Zusammenhang mit dt. Brand und branden." Gegen diese These, die schon früher von Otto Tschirch vertreten wurde, wendet sich (meines Erachtens mit Recht) Reinhard E. Fischer:144 „Das überzeugt weder sprachlich noch sachlich. Der Name müßte dann *Brandburg oder *Brandesburg lauten." Von Bedeutung sind dagegen einige Beobachtungen über die lautliche Entwicklung des Namens und die daraus zu ziehenden Schlüsse von Reinhard E. Fischer und Gerhard Schlimpert: „Unwahrscheinlich ist die Entstehung des Namens im 10. Jahrhundert, denn die überlieR. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 83. Ebda. 1 4 1 Dazu vergleiche man J. Udolph, Studien... (wie Anm. 20), S. 499-514. 1 4 2 Vgl. dazu etwa Hans-Dietrich Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts (= Mitteldeutsche Forschungen 30), KölnGraz 1964, Halbbd. 2, S. 589-593, und R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 83 f. 1 4 3 Verfaßt von Ernst Eichler und Hans Walther, Leipzig 1986, S. 60 f. 1 4 4 R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 85. 139 140

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ferten Formen zeigen im 2. Drittel des 10. Jahrhunderts schon Lautentwicklungen des Altsächsischen ( n d > nn, a > e, Ausfall des η in der Form Brandeburg), was davon zeugt, daß der Name schon fest eingebürgert war."145 Die Autoren folgern zum Abschluß ihrer Überlegungen: „Es liegt eher ein Personenname zur Wurzel germ. *branda- „Brand" zugrunde ... Gegen diese Deutung wird das Argument vorgebracht, daß bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Burgen meist Stellenbezeichnungen als Bestimmungswörter haben ...1,146 Es seien aber Ausnahmen möglich und eine germanische Form *Brandanburg könne nicht ausgeschlossen werden. Ich meine, daß keiner der bisher vorgebrachten Vorschläge überzeugt (das klingt auch bei allen Forschern an). Auch der Hinweis von Reinhard E. Fischer147 auf die Etymologie von Anneliese Bretschneider148 und deren Verbindung mit dem Namen des Heiligen Brendan bringt meines Erachtens (wie ich unten wahrscheinlich zu machen versuche) nicht die Lösung.149 Es fragt sich, ob man bei der Deutung des Namens nicht die geographische Lage Brandenburgs mehr berücksichtigen sollte, als bisher geschehen. Wir wollen diesem auch aus namenkundlicher Sicht nachgehen und einige Argumente zusammentragen. Zunächst ist festzuhalten, daß „in historischer Sicht ... mit dem Namen Brandenburg immer die Burg auf der Dominsel gemeint [ist]".150 Brandenburg ist aber nicht nur mit der Dominsel, sondern auch mit seiner Altstadt eng mit Wasser, Flußarmen und -buchten verbunden. Das läßt sich auch aus namenkundlicher Sicht bestätigen. So sprechen dafür sowohl der Name Parduin, 1166 Parduin

145 146

R. E. Fischer/G. Schlimpert, Vorslawische Namen... (wie Anm. 5), S. 680. Ebda.; ebenso: R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3),

S. 85. 147 Überzeugende Deutung des Namens Brandenburg, in: Namenkundliche Informationen 38 (1980), S. 32 f. 148 Ferdinand Wrede, ein Spandauer Kind, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 29 (1978), S. 62-76, speziell S. 71 f. 1 4 9 Die darauf basierenden weitreichenden Folgerungen in dem Beitrag von Jerzy Strzelczyk, Ζ dziejow wplywöw iroszkockich w Europie: iryjska geneza nazwy Brandenburga? in: Kultura sredniowieczna i staropolska. Studia ofiarowane Aleksandrowi Gieysztorowi, Warszawa 1991, S. 89-97 (auf den mich W. Schich dankenswerterweise hinwies), bleiben daher ebenfalls mehr als fraglich. 1 5 0 R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 83, Anm. 16.

Alteuropäische und germanische Namen

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usw., 151 „der ursprüngliche Name der Altstadt Brandenburgs",152 und der an der gegenüberliegenden Seite des Flußarms abgegangene Ortsname Krakau (heute noch Krakauer Landstraße), dessen slavische Benennung nach Sophie Wauer,153 Reinhard E. Fischer und anderen 154 mit slavisch krak „Arm eines Flusses" zu verbinden ist. Geographische und onomastische Überlegungen führen mich zu der Frage, ob man nicht versuchen sollte, auch den Namen Brandenburg vom Wasser her zu erklären. Daß dieses möglich ist, werden wir gleich erkennen können. Bezeichnenderweise findet man schon bei dem Altmeister der deutschen Namenforschung Ernst Förstemann eine Notiz, die in diese Richtung weist. Es heißt dort: 155 „Die folgenden n. tun dar, dass es einen stamm für flussnamen von der Form Brand oder Brant gegeben haben muß. Deutsch ist derselbe wahrscheinlich nicht." Ernst Förstemann führt im Anschluß daran zwei Flußnamen auf (zu denen wir gleich kommen werden) und - getrennt durch eine Zusammenstellung der von dem Personennamen Brand usw. gebildeten Ortsnamen - wenige Zeilen später den ON. Brandenburg. Die von Förstemann genannten Flußnamen sind die Brend in der Rhön und die Brenz; ein Zufluß der Donau. Beide Namen sind inzwischen mehrfach untersucht worden und machen in ihrer Deutung heute keine Probleme. Die Brend, Fluß in der Rhön, ist durch den Ortsnamen Brendlorenzen früh überliefert: 823 in uilla branda, 837 Brenti, 889 in uilla adbrante, 974 Brenden, 982 in villa Brenden, 1156 Brenden, 1165 Brenden, 1184 in Brenden, usw. 156 Es verdient, vermerkt zu werden, daß der Ort bis in das 14. Jahrhundert hinein fast auschließlich in der

151

Zu den Einzelheiten der Deutung als „Nebenarm eines Gewässers" siehe R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 179 f. 152 R. E. Fischer/G. Schlimpert, Vorslawische Namen... (wie Anm. 5), S. 679; R- E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 85. 153 Die Ortsnamen +KRAKOV- impolabo-pomoranischen und altsorbischen Gebiet, in: Namenkundliche Informationen 33 (1978), S. 58-66. 154 Vgl. auch Winfried Schich, Das Verhältnis der frühmittelalterlich-slawischen zur hochmittelalterlichen Siedlung im Havelland, in: Das Havelland im Mittelalter, hrsg. von Wolfgang Ribbe (= Germania Slavica V; Berliner Historische Studien 13), Berlin 1987, S. 22. 155 Altdeutsches Namenbuch... (wie Anm. 86), S. 565. 156 Hydronymia Germaniae A 7 (wie Anm. 63), S. 20.

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Form Brenden belegt ist. Die Etymologie des Namens unterliegt keinem Zweifel. Es ist von dem Flußnamen auszugehen, der „zur idg. Wurzel *brendh- ,quellen, schwellen'" gehört.157 Die Wortbildung des Namens läßt sich noch sehr viel genauer fassen. H. Krähe hat sich mehrfach zu diesem Namen geäußert und einen idg. Ansatz *bhrondht, Gen. *bhrondhiäs „Quelle, Quellfluß" angenommen. Dieser „ergab über germ. *brandi, *brandjös den FlN. Brend ... Zugehörige Verba mit e-stufiger Wurzel-Form liegen vor in ir. brenn- hervorquellen, sprudeln' (< *brend-na), lit. brgstu, brendau ,schwelle, reife', lett. briestu ,quelle, reife'."158 Es liegt also ein germanischer г-/ ш-Stamm zugrunde. Zu den indogermanischen Anschlüssen siehe Alois Walde/Julius Рокоту 1 5 9 und erneut Julius Pokorny.160 Die Wurzel ist nur im Keltischen, Tocharischen, Baltischen und Slavischen belegt, wobei das Keltische 0. Pokorny: „Air. wahrscheinlich in brenn- i*bhrendh-nä-) .hervorquellen, sprudeln'")161 eine Sonderrolle spielt, da es die Erweiterung *brend-na- kennt, die den übrigen Sprachen fremd ist.162 Zur baltischen Sippe äußert sich Vladimir N. Toporov.103 Der Donauzufluß Brenz ist vor kurzem von Lutz Reichardt164 ausführlich behandelt worden. Die Überlieferung zeigt allerdings keinen Hinweis auf eine Form Brenden, Branden oder ähnlich: um 750-802 (Kopie 1150-1165) super fluvium Brenze, um 774 super fluvium Brancia, 875 cappellam ad Prenza usw. Nach Reichardt ist ein Zusammenhang mit dem FlN. Brend wahrscheinlich. Albrecht Greule geht für den Namen der Brenz von einer Grundform *Brandiso aus.165 1 5 7 Adolf Bach, Deutsche Namenkunde, T. 2, Bd. 2, Heidelberg 1954, S. 106, unter Bezug auf Marieluise Belschner/Hans Krähe, Süddeutsche Flußnamen, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literaturen (1945), S. 371-386, hier S. 374. 1 5 8 Hans Krähe, Seckach und Sechta, in: Beiträge zur Namenforschung 5 (1954) S. 86-90, hier S. 86 f.; ähnl. ders., Unsere ältesten Flußnamen... (wie Anm. 1), S. 27. 1 5 9 Alois Walde/Julius Pokorny, Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen, Bd. 2, Berlin-Leipzig 1932, S. 205. Indogermanisches etymologisches Wörterbuch... (wie Anm. 40), S. 167. 161 Ebda. 1 6 2 J. Pokorny, Urgeschichte... (wie Anm. 66), S. 63. 1 6 3 V. N. Toporov, Prusskij jazyk.... (wie Anm. 90), Bd. 1, S. 249 f. 164 Ortsnamenbuch des Kreises Heidenheim, Stuttgart 1987, S. 36 ff. 1 6 5 Zitiert a.a.O., S. 38.

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An der Etymologie der beiden Flußnamen Brend und Brenz kann kaum gezweifelt werden. Während man bei der Brenz vielleicht noch an keltischen Ursprung denken mag (entsprechende Hinweise finden sich auch bei Lutz Reichardt), ist dieses für den Rhönfluß abzulehnen. Daraus darf gefolgert werden, daß die Flußnamen auf einer indogermanischen Grundlage ruhen, die in morphologischer Hinsicht germanisiert worden sind. In diesem Zusammenhang sind Bemerkungen von Bruno Boesch über die germanischen nominalen 70-Bildungen, die als Flußnamen fungieren, von Bedeutung. Unter Einbeziehung des Namens der Brend führt er aus: „In allen diesen Fällen eignet der yö-Ableitung eine Bedeutung, die über ein Nomen agentis hinausweist: es ist nicht bloß die fließende', .Schwellende', ,reißend Strömende', sondern zugleich der ,Fluß', der ,Schwall', die ,Strömung' und umfaßt so die ganze Gegend, wo sich das Fließen, das Schwellen, das Strömen ereignet. Die Bildungsweise findet sich auch bei Stellenbezeichnungen, ja hier liegt wohl die älteste Verwendung vor; die Bezeichnung von Flüssen schließt sich sekundär an ,.."166 Ich habe keine Bedenken, den Namen Brandenburg an die idg. Wurzel *bhrendh- anzuschließen. Es bleibt allerdings ein Problem bestehen: Nicht sicher bestimmbar ist die mutmaßliche Grundform des Namens. Daß dt. Burg hinzugetreten ist, unterliegt keinem Zweifel. Wie aber sind die wechselnden Formen Brendan-, Brenna-, Branden-, Brandene- usw. zu erklären? Es gibt mehrere Möglichkeiten. 1. Entsprechend dem Verhältnis von altindisch stndhu- „Fluß", Gen.Abl. *sindh-n-es, Lokat. *sindb-n-i,167 dessen -и-Bildungen als *Sind-n-a/Sind-n-os in verschiedenen europäischen Gewässernamen begegnen dürften,168 könnte der für das Keltische vorauszusetzende Ansatz *brend-na- auch die Grundlage für Brandenburg abgegeben haben. Allerdings kann man dagegen einwenden, daß die -ид-Bildung im Keltischen nur im verbalen Bereich belegt ist und ein Ansatz *brend-na- im Germanischen eigentlich zu *brind-n- mit weiterer Assimilation führen müsse. Ob die für

166

Bruno B o e s c h , Töss und Reuss, in: Beiträge zur Namenforschung 5 (1954),

S. 228-244, hier S. 233. 167 168

J. Pokorny, Urgeschichte... (wie Anm. 66), S. 145 f. Siehe J. Udolph, Die Stellung... (wie Anm. 83), S. 268 f.

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Brandenburg nur einmal belegte Form brinnaburg in dieser Hinsicht interpretiert werden kann, ist sehr zweifelhaft. Eher dürfte Einfluß von ahd., asä. brinnan „brennen" (intransitiv) vorliegen. 2. Langsilbige 70-Stämme des Altsächsischen traten gelegentlich in die schwache Deklination über oder bildeten Formen nach dieser.169 Diese Tendenz setzte sich (zum Teil verstärkt) im Mittelniederdeutschen fort. Problematisch ist diese Annahme im Fall von Brandenburg deshalb, weil hier eigentlich Umlaut, also *Brendenburg, zu erwarten wäre. Vielleicht ist daher eine dritte Möglichkeit vorzuziehen. 3. Wenn man für die Brenz von einer -s-Bildung ausgeht, so sind auch andere Bildungsmittel möglich. Für Brandenburg ist ein -nFormans wahrscheinlich. Den norddeutschen Flußnamen ist dieses Formans keineswegs fremd. Die Arbeit von Bernd-Ulrich Kettner über die Flußnamen des oberen Leinegebietes170 zeigt in ihrer Auswertung, daß als Bildungselement neben einfachem -nauch erweiterte Formantien wie -ina- und -ana- verwendet worden sind. Mit der Annahme eines Elements -ana- ließe sich für unseren Namen eine Grundform *Brand-ana- konstruieren, die zu späterem Branden-burg geführt haben kann. Von allen drei Möglichkeiten scheint mir die dritte die wenigsten Probleme zu bieten. Mit diesem Ansatz und der Verbindung zu einem indogermanischen Wasserwort könnten die bisher eine Deutung erschwerenden Fakten ausgeräumt werden: 1. Für den Ort Brandenburg ist kein slavischer Name überliefert. Geht man von einer Bezeichnung für den die Dominsel umschließenden Flußarm oder einen Teilabschnittsnamen der Havel aus, der die Grundlage für den deutschen Ortsnamen Brandenburg abgab, so ist eine slavische Benennung für den Ortsnamen nicht unbedingt zu erwarten.

Belege bei Johan Hendrik Gallee, Altsächsische Grammatik, 2. Aufl., Halle-Leiden I9IO, S. 206. Ähnlich äußern sich M. Belschner/H. Krähe, Süddeutsche Flußnamen... (wie Anm. 157), S. 375, Anm. 2, zu den Brenden-Belegen des Flußnamens Brend: „Die Form Brenden zeigt das auch sonst gerade bei den yö-Feminina nachgewiesene Schwanken nach der schwachen Deklination." Vgl. auch Wilhelm Braune/ Hans Eggers, Althochdeutsche Grammatik, 13. Aufl., Tübingen 1975, § 20, Anm. 3. 170 B.-U. Kettner, Flußnamen... (wie Anm. 102), S. 348 ff.

Alteuropäische und germanische Namen

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2. Die oben geschilderten Probleme bei einer Deutung aus deutsch Brand, brennen usw. entfallen. 3. Die Annahme, das Bestimmungswort des Namens Brandenburg enthalte einen Personennamen, ist verschiedentlich mit dem Hinweis darauf kritisiert worden, daß „bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Burgen meist Stellenbezeichnungen als Bestimmungswörter haben ,..". 171 Die Deutung aus einem ursprünglichen Gewässernamen trägt diesem Rechnung. Man vergleiche ähnlich gebildete Namen wie Boizenburg, Camburg, Ilsenburg, Merseburg, und die Bemerkung von Adolf Bach: „Nicht selten lehnen sich diese Namen an Flußnamen an: Weilburg ..., Limburg ... Dillenburg. " m 4. Eine letzte Bemerkung erfordert der archäologische Befund, wonach „bisher in Brandenburg noch keine spätgermanischen Funde gemacht wurden". 173 Das spricht nach Reinhard E. Fischer „gegen die in der historischen Literatur verbreitete Auffassung, daß der Name vorslawisch sei". 1 7 4 Als Laie auf diesem Gebiet weiß ich nicht, ob sich die Fundsituation in letzter Zeit verändert hat. Geht man aber im Fall des Namens Brandenburg von einer Gewässerbezeichnung aus, so ist der Nachweis einer Siedlung nicht unbedingt erforderlich. Mit der Erörterung des schwierigen Namens Brandenburg möchte ich die Überlegungen zu den germanischen und alteuropäischen Namen in Brandenburg und seiner Umgebung abschließen. Übergangen habe ich den Namen der Dosse, zu dem jetzt die Ausführungen von Wolfgang P. Schmid in den Namenkundlicben Informationerl·15 zu vergleichen sind, sowie den umstrittenen Ortsnamen Marzahne, der aus dem Slavischen erklärt werden, aber auch zu germanisch *mark- „Grenze" (eventuell über eine Entlehnung in das Slavische) gestellt werden kann.

171 172 173 174 175

R. E. Fischer/G. Schlimpert, Vorslawische Namen... (wie Anm. 5), S. 680. A. Bach, Deutsche Namenkunde... (wie Anm. 117), T. 2, Bd. 1, S. 230. R. E. Fischer/G. Schlimpert, Vorslawische Namen... (wie Anm. 5), S. 679. R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 84. Zum Namen der Dosse, in: Namenkundliche Informationen 58 (1990), S. 1-6.

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Als Ergebnis der Untersuchung möchte ich festhalten: 1. In Brandenburg und seiner Umgebung lassen sich neben hochdeutschen, niederdeutschen und slavischen Namen Spuren älterer Sprachen oder Sprachschichten nachweisen. 2. Wie an den ausgewählten Fällen Havel, Emster und Brandenburg gezeigt werden konnte, handelt es sich dabei um Topo- und Hydronyme, deren Zuordnung zu der alteuropäischen Hydronymie mit Problemen verknüpft ist. 3. Die Schwierigkeiten der Zuweisung bestehen darin, daß ein bedeutender Einfluß einer indogermanischen Einzelsprache, zweifellos des Germanischen, konstatiert werden muß. Daraus ergibt sich 4. daß mit einem germanischen Substrat in Brandenburg und seiner Umgebung gerechnet werden darf. Ich bin gespannt, ob diese aus dem Namenmaterial zu gewinnende Vermutung von selten der Archäologie gestützt werden kann.

Slawische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung GERHARD SCHLIMPERT t Berlin

Die slawischen Namen des Havellandes und der Zauche, insbesondere die Siedlungsnamen, sind in den Arbeiten Reinhard E. Fischers bereits untersucht worden. In den folgenden Ausführungen über slawische Namen in und um Brandenburg wird daher weniger von slawischen Siedlungsnamen als vor allem von slawischen Gewässer- und Flurnamen die Rede sein, wobei auch einige neuere, durch den Forschungsstand bedingte Gesichtspunkte zur Sprache kommen sollen. An mittelalterlichen Siedlungsnamen auf dem Territorium der heutigen Stadt Brandenburg werden Krakau, Luckenberg, Parduin, Silow, Woltitz und Stütz genannt. Krakau, das im 14. Jahrhundert wüst wurde, lag an einem Havelarm nordöstlich der Stadt, während Parduin die spätere Altstadt Brandenburg bildete. Das mittelalterliche Luckenberg wurde im Jahre 1295 mit der Altstadt vereinigt, und Silow, das westlich der Altstadt lag, ist nach 1234 wüst geworden. Sein Name lebt in den Flurnamen Silobreiten und Silower Enden weiter. Woltitz ist der Name des ehemaligen Kleinen Domkietzes und des Neustädtischen Kietzes, der heute unter dem Namen Mühlendamm einen Teil der Neustadt bildet. Schließlich ist Stütz der Name eines mittelalterlichen Dorfes, der später als Straßenname Deutsches Dorf in der Neustadt erhalten blieb. Krakau (zu aplb. *krak „Flußarm"), Silow (zu einem Personennamen *Zil, aplb. *Zilov- „Ort des Zil"), Woltitz (zu einem Personennamen *Volat oder ähnlich, aplb. *Volatici oder ähnlich „Leute eines Volat oder ähnlich") und Stütz (1406 villa Stutz, möglicherweise zu aplb. *scuk „Hecht") sind slawische (altpolabische) Namen, während Parduin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu niederländisch pardoen „Tau,

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Seil" gehört, womit metaphorisch ein Havelarm gemeint ist, was der Lage von Parduin entspricht. Luckenberg ist sehr wahrscheinlich ein slawisch-deutscher Mischname, der im Bestimmungswort einen slawischen Orts-, Flur- und Gewässernamen enthält, über den noch zu sprechen sein wird. Die von R. E. Fischer für Woltitz - 1319 zum ersten Mal als (vicus), qui dicitur Kytz seu Woltytz, erwähnt - gegebene altpolabische Erklärung *Volatici „Leute eines Volat oder ähnlich" ist durch den tschechischen Ortsnamen Voletici gut abgesichert. Spätere Belege für diesen Ortsnamen lauten: 1321 cum Slavis morantibus a dextris in vico, qui dicitur Kytz, 1327 cum Slavis, morantibus in villa Woltitz, 1383 tu Brandenburg kitze, den man hett dy Wolkitz (wohl verlesen oder verschrieben für Woltitz) vor der Borch tu Brandenborg. Im Landbuch von 1375 schließlich heißt es: usque ad vicum, qui dicebatur Woltitz. Woltitz wird letztmalig im Jahre 1409 als Wolsitz erwähnt ( u p den Wolsitz unses beides, Provestes und Capittels, beyden Kytzen vor der Borgh tu Brandenborgh beseteri). Später lautet der Name des slawischen Dorfes nur Kietz. Die ausführlich zitierten Belege für Woltitz scheinen mir für die Diskussion um die Herkunft des Namens Kietz nicht ohne Bedeutung zu sein. Woltitz wird nur einmal, nämlich im Jahre 1327, als villa bezeichnet. In allen anderen Fällen heißt es vicus oder Kietz. Dies scheint ein eindeutiger Hinweis darauf zu sein, daß die slawische Siedlung Woltitz erst unter deutscher Herrschaft zu einem Kietz, also zu einer Dienstsiedlung, umfunktioniert wurde. Woltitz war der slawische Name der villa, während Kietz offensichtlich ihr Name zu deutscher Zeit wurde. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch das Imperfekt dicebatur im Landbuch (ad vicum, qui dicebatur Woltitz). Die offensichtliche Tatsache, daß Kietz erst zu deutscher Zeit den slawischen Namen Woltitz ablöste und dann zum Namen wurde, spricht meines Erachtens auch dafür, daß Kietz ein Appellativum war, das während der mittelalterlichen deutschen Besiedlung im Wortschatz des Mittelniederdeutschen fest verankert war. Die appellativische Verwendung von Kietz zeigt auch der Beleg von 1409, in dem von Wolsitz (Woltitz) in Verbindung mit den beyden Kytzen vor der Borgh tu Brandenborgh die Rede ist. Meines Wissens gibt es auch keine eindeutigen Belege dafür, daß die Slawen selbst in vordeutscher Zeit eine Siedlung *Chyc, das bisher immer als Grundlage für deutsch Kietz angesehen wurde (aplb. *chyc-, vgl. poln. 15. Jahrhundert chyc, chyca „Hütte"), benannt haben. Lautliche

Slawische Namen in Brandenburg

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Gesichtspunkte sprechen ebenfalls dagegen, denn ein slawischer Name *Chyc wäre normalerweise im Mittelniederdeutschen in der Form *Gits eingedeutscht worden, da anlautendes altpolabisches chgrundsätzlich durch mittelniederdeutsches g- substituiert wurde. Neben den bereits an anderer Stelle genannten Argumenten Anlage der Kietze erst zu deutscher Zeit; Kietz „Tragkorb" wie Kober „Korb" als metaphorische Bezeichnung für Fischerbehausungen; etymologischer Zusammenhang von Kietz mit Kote „Hütte", anord. kytja „kleine Hütte", mnd. kitzen „kleine Wohnung" - spricht meines Erachtens daher alles für eine deutsche Herkunft sowohl des Appellativums als auch des Namens Kietz. Die ältesten Belege für Luckenberg lauten 1179 und 1188 Lucheberg, 1209 Lucberge und 1216 Lukkeberge, die alle aus Originalurkunden stammen. Die von R. E. Fischer in Erwägung gezogene Erklärung „Berg im Luche" (zu aplb. *lug neben *lqg „sumpfiger, morastiger Boden") ist unwahrscheinlich, da die hierher gehörenden aplb. Orts-, Flur- und Gewässernamen das -g- in der Regel bewahren (vereinzelt steht auch -ch-), in keinem Fall aber -k- für -g- geschrieben wird. So kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das -ch- in den beiden Originalbelegen des 12. Jahrhunderts als -k- zu lesen ist. Beispiele dafür, daß ch für k geschrieben wird, sind im Altsächsischen mehrfach belegt, und noch im Mittelniederdeutschen konnte abgesehen vom Anlaut - im Auslaut und „auch sonst" ch für k stehen. Auszugehen ist also von einem Bestimmungswort Luke-, das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu aplb. *luk „Lauch, Zwiebel" gehört, ohne daß dabei die genaue Grundform des zugrunde liegenden altpolabischen Namens angegeben werden kann. Sie konnte *Luka oder ähnlich, evtl. auch *Lukov-, gelautet haben. Slaw. *luk, das nicht zuletzt auch in Gewässernamen häufig vertreten ist (vgl. zum Beispiel polnische Gewässernamen wie Luka, Luki oder Lukowö), stellt bekanntlich eine Entlehnung aus germ. *lauka, asä. lök, ahd. louch „Allium, Porrum" dar. Es kann jedoch angesichts der zahlreichen, aus vorslawischer Zeit stammenden Gewässernamen in Brandenburg nicht ausgeschlossen werden, daß der zugrunde liegende altpolabische Name auf einem vorslawischen, das heißt germanischen, Substrat basiert. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Laucha, ein Nebenfluß der Thüringischen Saale, deren Name 1039 Louchaha lautet. Jedenfalls ist es denkbar, daß die altpolabische Form *Luk- auf einer germanischen Form *Lauk- bzw. altsächsi-

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sehen Form *Lök- beruht, die in beiden Fällen altpolabisch *Lukergeben hätte. Liegt ein Gewässername vor, so wäre auf die in Brandenburg mehrfach vertretenen Orts- und Flurnamen mit dem Grundwort -berg zu verweisen, die im Bestimmungswort einen Gewässernamen enthalten; man vgl. Ortsnamen wie Havelberg, Oderberg, Perleberg, Rheinsberg oder Strausberg. Im Zusammenhang mit dem Ortsnamen Luckenberg soll noch einmal hervorgehoben werden, daß die bisherigen Untersuchungen des brandenburgischen Namenmaterials gezeigt haben, daß wir mit slawischen Namen und Formen zu rechnen haben, die auf einem vorslawischen bzw. germanischen oder noch älteren Substrat beruhen. Wegen der sehr zahlreichen, aus vorslawischer Zeit stammenden Namen in Brandenburg, die übrigens auch für eine stärkere germanisch-slawische Siedlungskontinuität sprechen als man bisher annehmen konnte, ist mit der Möglichkeit eines solchen Substrates auch bei den Namen zu rechnen, die sich problemlos aus dem Slawischen erklären lassen. Ein solcher Name könnte zum Beispiel Wernitz sein. In Pritzerbe ist der Flurname Wernitzlake überliefert, der ein großes, sumpfiges Niederungsland bezeichnet und dessen Bestimmungswort Wernitz bereits 1207/17 als Silvarn Wernitz und 1420 uff dem Werniez bezeugt ist. Spätere Belege lauten zum Beispiel 1752 hinter dem Wernitz von der Bammischen Grentze an oder im selben Jahr nach der Heyde hinter dem Wernitz. Das Bestimmungswort Wernitz geht auf eine altpolabische Form *Varnica zurück, eine Bildung mit dem Suffix -ica, die sich ohne weiteres mit aplb. *varn „Rabe" oder *varna „Krähe" verbinden läßt, wobei das -e- in Wernitz durch Umlaut im Deutschen erklärt werden kann. Zu beachten sind jedoch Gewässernamen wie die Werre, ein rechter Nebenfluß der Schwarza bei Blankenburg in Thüringen, 1272 Werna, oder die Werre, ein Fluß im Flußgebiet der Lippe, 1088 Werna, mit dem dazugehörenden Ortsnamen Werna, der 834 UUerina lautet. Den genannten Namen liegt eine germanische oder indogermanische Form *Warina, *Werina bzw. *Varina, *Verina zugrunde, die zur indogermanischen Wurzel *uer-/*uor-/*ur- „Wasser, Regen, Fluß" gehört. Eine altpolabische Form *Varnica kann also durchaus auf einer germanischen Form *Warina beruhen, die mit dem insbesondere in Gewässernamen häufigen Suffix -ica (*Varnica) erweitert wurde. Im übrigen ist auch auf einen Gewässernamen wie die Wörnitz, den Namen eines linken Nebenflusses der Donau, zu verweisen, der im 9- Jahrhundert

Slawische Namen in Brandenburg

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Warinza und 1053 Werinze lautete und der nach Hans Krähe auf eine alteuropäische Form *Varantia zurückgeht. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, soll jedoch ausdrücklich betont werden, daß bei Namen wie Wernitz natürlich zunächst immer erst an slawische Herkunft zu denken ist. Wenn von slawischen Namen in Brandenburg und seiner Umgebung die Rede ist, dann darf der Name des Beetzsees nicht fehlen. Der Name dieses Sees, der 1308 den se to Betz, 1383 in den Beitz, lautet, hat in Brandenburg noch mehrere Parallelen: den Ortsnamen Beetz, Kreis Oranienburg, 1397 tu Betz, 1397 in Beitz, 1552 Beetz, Große und Kleine Beetzlake bei Babelsberg mit Beetzwinkel, Vorderer Beetz, Hinterer Beetz, 1683 Beutz Bruch, Beutz Winkel. Trotz anderer Lautung sind die genannten Namen von dem des Bötzsees bei Strausberg, 1367 der Böczow, 1424 ut deme bottzow, nicht zu trennen. Weiter sind hier anzuführen: ein im Jahre 1259 genannter locus Botbscowe bei Küstrin/Kostrzyn, der Ortsname Bötzow (heute Oranienburg), dessen älteste Belege 1216 Bothzowe, 1288 Botzowe und 1315 Botsowe lauten, sowie ein abgegangener Gewässername Botzow oder Betzow bei Geltow, Kreis Potsdam: 1644 am Baumgartten, die Grube genandt, an das Betzowsche Land... Biß an Botzow ... daß Betzowsche Lanndt biß gegen Betzow. Der zuletzt genannte Name ist auch deshalb interessant, weil er offensichtlich nicht zu trennen ist von dem der Wüstung Petzin, die in unmittelbarer Nähe des genannten Gewässers liegt. Der Name der Wüstung ist urkundlich nicht überliefert. Es wird angenommen, daß dieser im Namen des Petzinsees fortlebt, der 1317 Heyde-Botzin (cum stagno Heyde Botzin), 1452 See genant Heyde Butzin und 1702 dem Heydepetzin lautet. Vielleicht aber war ihr Name Botzow oder Betzow, wie man aus den angeführten Belegen Betzowsche Land, Botzow und Betzow schließen könnte. Etymologisch gehören möglicherweise hierher auch die Namen des Bützsees bei Altfriesack im Kreis Neuruppin, 1525 die Buz, l6l3 der Bütz, und des Bützowsees bei Alt Ruppin, 1799 Bützow, der 1908 Boetzow-See und auch in der Brandenburgischen Flurnamensammlung Bötzow-See lautet. Es kann meines Erachtens nicht ausgeschlossen werden, daß auch der Name des nordwestlich Brandenburgs am Beetzsee gelegenen Dorfes Butzow in diesem Zusammenhang zu nennen ist (1208 in Buzow, 1220 Buzowe, 1335 Butzouwe). Bei den angeführten Namen handelt es sich bis auf Bötzow (Oranienburg) und Butzow um Gewässernamen.

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Da Bötzow (Oranienburg) und Butzow aber auch an Gewässern liegen, nämlich an der Havel bzw. am Beetzsee, kann man vielleicht auch bei diesen Namen von ursprünglichen Gewässernamen ausgehen. Im einzelnen spiegeln die angeführten Namen die altpolabischen Grundformen *Bec, *Bocov-, *Bocin-, vielleicht auch *Buc und *Bucov- wider, für deren Erklärung meines Erachtens in erster Linie slowenisch bec „großes Gefäß", boc, buc „ein mit einem hölzernen Kasten umzimmerter Feldbrunnen" in Betracht kommen, an die bereits R. E. Fischer bei der Erklärung des Ortsnamens Beetz, Kreis Oranienburg, dachte. Weiter gehören hierher bulg. bbcova, bbceva, bacova, neben der Normalform bbcva „Faß", skr. bacva, tschech. becva ebenfalls „Faß" (hierher auch der mährische Flußname Becvä), die alle in Gewässernamen gut bezeugt sind. Zugrunde liegt ursl. *Ььсь, *bbci/bbceve, deren Etymologie jedoch umstritten ist. Erwähnt sei hier lediglich, daß von mehreren Forschern eine Entlehnung aus dem Germanischen angenommen wird, so von Valentin Kiparsky, der eine Entlehnung aus spätaltbairisch *butse, *butsa, „eine Art Gefäß, in welchem, von den Salzstätten aus, das Salz verführt (transportiert) wurde", annimmt. Der oben genannte lacus Bothscowe hat in einem im Jahre 1186 bezeugten Gewässernamen Betscowa im altsorbischen Sprachgebiet eine fast genaue Entsprechung. Der Unterschied zwischen beiden Namen besteht lediglich darin, daß der hintere Halbvokal ъ einmal zu o, das andere Mal zu e vokalisiert wurde. Dazu ist zu sagen, daß die Entwicklung des hinteren Halbvokals ъ in urslawisch *Ььсь in den einzelnen slawischen Sprachen sehr unterschiedlich gewesen ist. Neben den bereits genannten Kontinuanten seien hier noch bulg. dial, bocka, slowen. backa, becka, bucka und slowak. bocka, dial, becka neben backa, genannt. Hinzugefügt sei, daß ursl. ъ nach Labialen auch in anderen Wörtern unterschiedlich vokalisiert wurde, vgl. aplb. *bazd neben *bez „Holunder", oso. böz neben nso. baz ebenfalls „Holunder", oso. moch neben nso. mech (ursl. *bbzb bzw. *тьсЬь). Bei den eben erörterten Namen handelt es sich sicherlich um archaische Namen. Ein archaischer Name ist auch der in Brandenburg-Plaue überlieferte Fischzugname Die Kijaue, auch Hintere, Vordere Kieaue und Mittel-Kijaue, der sehr wahrscheinlich mit einer schon 1294 genannten aqua Coione identisch ist: item aquam а castro Plaue, que Coione dicitur. An späteren Belegen sind bisher nur noch zwei, allerdings wichtige aus dem Jahre 1692 bekannt: zu

Slawische Namen in Brandenburg

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Brandenburg auf der Kiegaue, Wend- und Wusterwitzischen Seen ... in der sogenannten Kügaue, welche sich Biß an den Forth zur Kleinen Wendsee erstrecket. Zugrunde liegt offensichtlich aplb. *Kujava, das als Appellativum in poln. dial, kujawa „Sanddüne" oder „Waldblöße" (poln. dial, auch „Nordwind") und ukrainisch kujev „schneller, steiniger Bach" in der polnischen und ukrainischen hydrographischen Terminologie verankert ist. Ursl. *kujavb, *kujava gilt als Ableitung von ursl. *kujati „brummen, murmeln". Ein weiterer alter Name ist der nach Karl Schlottmann zur Altstadt gehörende und 1324 genannte Gewässername Wazmok: in ßuuium Wazmok et vsque in aquas que Plauerwater nuncupantur. Im Jahre 1420 lautet er Wosmick oder Wusmick: und vischen vp den wusmik, dat des heiligen geystes eigen hegewater bzw. in den wusmik, dat dar j s gheheyten plawer water. Die angeführten Belege geben eine altpolabische Grundform *Vosmik wieder, die zu ursl. *osmb „acht" gehört. Der Name geht vermutlich auf eine Gewässereinteilung zurück, vgl. nso. wosme „die achten Teile bzw. acht Beete". Ein alter Flurname in Brandenburg sind auch die Plütnickstücke, die sich nach K. Schlottmann vor dem Krakauer Tore befanden. Das Bestimmungswort Plütnick ist bereits 1412 belegt: tuschen dem Plutenick vnd dem Carppwer. Es handelt sich wohl auch hier um einen alten Gewässernamen, für dessen Erklärung sich poln. pluta „stürmisches Regenwetter", plutny „naß und stürmisch", altpoln. auch pluta „Regen, Regenguß" anbietet, das nach Aleksander Brückner aus einer Kürzung von poln. pluskota mit der gleichen Bedeutung entstanden sein soll. Zu beachten sind jedoch bulg. pluta „Kork", pl'uto „Schwimmkork beim Netz", skr. pluto, pluta, slowen. plüta „Kork", die zu ursl. jöluti, *plovQ „schwimmen" gehören, wozu mit einer anderen Ablautstufe auch der Name von Plaue und des Plauer Sees zu stellen sind. Plüthnick ist außerdem als Flurname belegt in Klein Kreutz, 17. Jahrhundert Plüthnick, sowie als Bestimmungswort in dem Flurnamen Plütenickwische (17. Jahrhundert?) in Mötzow, also in unmittelbaren Nachbarorten Brandenburgs, so daß diese offenbar ebenfalls auf den 1412 genannten Plutennick zurückgehen. Als Vergleichsnamen kommen eventuell ein nicht lokalisierbarer Gewässername poln. Pluta im Flußgebiet der Glatzer Neiße sowie der Gewässername Plutnick oder Plutno, deutsch Plutno-See, im Flußgebiet der Warthe in Betracht. Weitere alte slawische Namen aus der Umgebung Brandenburgs sind der Zummel, die verlandete nördliche Ver-

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Gerhard Schlimpert

längerung des Görden-Sees, 1179 villam Gome cum duobus lacubus adjacentibus videlicet Zumit et reliquo lacu proximo ville Gorne, 1209 Zumith, 1852 Zummel, 1918 der Zummel, sowie der Flurname Zilizt, nach der Flurnamensammlung älter Roditschen, in Götz, 1853 die Zielitzen, dessen älteste Belege aus dem Ende des 14. Jahrhunderts wie folgt lauten: 1394 dy Czachowsche und Parne Havelen und Wateren und Cidelitze und di halve Cotzinsche Havele tu viseben ... van der Czidelitze, 1398 in villa Götz in terra Czuge ... medium gurgustum, dictum Czidelitzer Wehr. Die ältesten Belege Zumit des Gewässernamens Zummel sind mit denen des Orts- und Gewässernamens Summt im Kreis Oranienburg identisch (1375 Czümit, Czumit) und geben eine altpolabische, zu *sum „Wels" gehörende Grundform *Sumit wieder, die wegen des zur Namenbildung verwendeten Suffixes -it gleichfalls archaisch ist. Der Flurname Zilizt oder Zielitzen, bei dem es sich offenbar auch um einen Gewässernamen handelt, beruht auf einer altpolabischen Grundform *Sedlica, zu aplb. *sedlo „Sitz, Wohnsitz, Siedlung". Inwieweit zwischen den Flurnamen Zilizt bzw. Zielitzen und dem in der Flurnamensammlung als älter bezeichneten Flurnamen Roditschen, der sicherlich ebenfalls slawischer Herkunft ist, ein sachlicher Zusammenhang besteht, muß wegen fehlender älterer Belege offenbleiben. Abschließend sei noch auf zwei Namen aufmerksam gemacht. Im Jahre 1419 wird bei der Burg Brandenburg ein Rositzer Wehr genannt: van der borch thu Brandenborg vmme dat Rosittzer weer. Zugrunde liegt auch hier ein Gewässername, nämlich aplb. *Rosica, der aplb. *rosa „Tau" enthält, und im Ortsnamen Roez, Kreis Waren, 1278 Rosiz, eine Parallele hat. Der andere Name ist Pretzlag, der im Jahre 1540 in Phöben erwähnt wird: hat ivisen zw pretzlag genant. Dieser Name ist auch insofern wertvoll, als er mit hoher Wahrscheinlichkeit eine /-Ableitung von einem Vollnamen *Predslav oder *Preslav mit der altpolabischen Grundform *Predslav' oder *Preslav' „Ort des Predslav oder Preslav" darstellt, also einen sehr archaischen Namentyp repräsentiert. In Phöben, dessen Name aus den Niederlanden übertragen wurde, sind archäologisch neben zwei jungslawischen Siedlungen auch zwei altslawische Siedlungen nachgewiesen worden. Es ist also durchaus möglich, daß der Flurname Pretzlag einen altpolabischen Siedlungsnamen tradiert. Ich breche hier ab. Weitere Flur- und Gewässernamen slawischer Herkunft ließen sich anführen, doch würde es zu weit führen, sie

Slawische Namen in Brandenburg

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hier alle zu nennen. Mir kam es darauf an, anhand einiger ausgewählter Namen in und um Brandenburg auf sprachliche wie auch auf historische Probleme aufmerksam zu machen, die mit ihrer historischen Überlieferung zusammenhängen. Ich möchte jedoch nicht schließen ohne den Hinweis, daß die Flurnamenlandschaft des Havellandes und auch der Zauche in unserem Jahrhundert weniger durch slawische, sondern vor allem durch solche niederländischer Herkunft geprägt wird.

LITERATURVERZEICHNIS Brandenburgische Flurnamensammlung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (Pr. Br., Rep. 16): Kreis Westhavelland; Kreis Zauche. Aleksander Brückner, Siownik etymologiczny jezyka polskiego, Krakow 1927, ND Warszawa 1974. Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (= Brandenburgisches Namenbuch 4), Weimar 1976. Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche (= Brandenburgisches Namenbuch 1), Weimar 1967. Reinhard E. Fischer, Zur Struktur und Semantik altpolabischer Flurnamen in Brandenburg, in: Zeitschrift für Slawistik 17 (1972), S. 432^440. Reinhard E. Fischer/Gerhard Schlimpert, Vorslawische Namen in Brandenburg, in: Zeitschrift für Slawistik 16 (1971), S. 661-697. Valentin Kiparsky, Russische historische Grammatik, Bd. 3: Entwicklung des Wortschatzes, Heidelberg 1975. Hans Krähe, Unsere ältesten Flußnamen, Heidelberg 1964. Reinhold Olesch, Cideleist. Ein sprachwissenschaftliches Problem, in: Festschrift Walter Schlesinger, hrsg. von Helmut Beumann (= Mitteldeutsche Forschungen 74), Bd. 1, Köln-Wien 1973, S. 78-86. Gerhard Schlimpert, Die Gewässernamen Brandenburgs, in: Namenkundliche Informationen, Beih. 11 (1987), S. 40-47. Gerhard Schlimpert, Alte Gewässernamen in Brandenburg und Mecklenburg, in: Probleme der älteren Namenschichten. Leipziger Symposion 21. bis 22. November 1989, hrsg. von Emst Eichler, Heidelberg 1991, S. 43-52. Gerhard Schlimpert, Zu den sogenannten Mischnamen in Brandenburg, in: Onomastica Slavogermanica 19 (1990), S. 91-97. Gerhard Schlimpert, Die Ortsnamen des Kreises füterbog-Luckenwalde (= Brandenburgisches Namenbuch 7), Weimar 1991 (S. 87 zu Luckenwalde). Gerhard Schlimpert, Die Ortsnamen des Teltow (= Brandenburgisches Namenbuch 3), Weimar 1972 (S. 107 ff. zu „Kietz").

Gerhard Schlimpert

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Gerhard Schlimpert, Slawische Personennamen

in mittelalterlichen Quellen zur deut-

schen Geschichte (=Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 32), Berlin 1978. Gerhard Schlimpert, Probleme der Gewässernamenforschung

in Brandenburg,

in:

Zeitschrift für Slawistik 28 (1983), S. 70-77. Gerhard Schlimpert, Zur Überlieferung vorslawischer Namen in der DDR, in: Veröffentlichungen

des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 20 (1986), S. 25-

28.

Karl Schlottmann, Die Flurnamen Gedenkfeier des 50jährigen

der Brandenburger

Gegend, in: Festschrift zur

Bestehens des Historischen

Vereins

Brandenburg

(Havel) [= Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg 50], Brandenburg 1918, S. 169-214. Antje Schmitz, Die Orts- und Gewässernamen des Kreises Ostholstein (= Kieler Beiträge zur deutschen Sprachgeschichte 3), Neumünster 1981 (S. 164 ff. zu „Kietz"). Jürgen Udolph, Zum Problem der Slavisierung alteuropäischer

Gewässernamen in

Franken, in: Ortsnamenwechsel. Bamberger Symposion 1. bis 4. Oktober 1986, hrsg. von Rudolf Schützeichel, Heidelberg 1986, S. 155-166 (zu den slawischen -ica-Namen, u. a. Wörnitz).

Archäologische Beiträge zur Frühgeschichte von Alt- und Neustadt Brandenburg GÜNTER

MANGELSDORF Greifswald

Archäologische Forschungen in Brandenburg an der Havel während der letzten Jahrzehnte bezogen sich in erster Linie auf eine intensive Erkundung und Ausgrabungstätigkeit auf der Dominsel. Sie führten zur Entdeckung der Fürstenburg der Heveller. Darüber liegen zahlreiche Einzelberichte vor.1 Danach bestand dort in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine große einteilige Burganlage des letzten Hevellerfürsten PribislawHeinrich nebst Burgkapelle und Bestattungsplatz (?). Auf der Westseite der Burg- bzw. nachmaligen Dominsel befand sich eine Vorburgsiedlung, ein Suburbium, das sich vermittels einer Brücke am Westufer der Havel fortsetzte. Durch die langjährigen Grabungen von Klaus Grebe sind wir sehr eingehend über die Größe und Konstruktionsweise der Fürstenburg sowie über die Sachkultur am Stammesmittelpunkt der Heveller unterrichtet. Über die Anfänge der nördlich und südlich der Dominsel vorgelagerten und im 12. Jahrhundert entstandenen Alt- und Neustadt Brandenburg liegen neben einer spärlichen schriftlichen Quellenüberlieferung nur wenige archäologische Funde und die Ergebnisse einiger Notbergungen vor. Eine flächendeckende archäologische Stadtkernforschung steht noch aus. Dies trifft vor allem für die Altstadt zu. Sie hatte nahezu unzerstört den Zweiten Weltkrieg überstanden. Während der letzten Jahre sind 1 Vgl. zuletzt Klaus Grebe, Archäologische Forschungen auf der Dominsel zu Brandenburg (Havel), in: Das Altertum 25 (1979), S. 231-240; ders., Die Brandenburg vor 1000Jahren, Potsdam 1991.

40

Günter Mangelsdorf

U

Siedlungsfund

0

500 m

Urnengrab Ά '

Körpergrab

Μ

Münzfund

1 Altstädtischer Kietz, nördlich der Mühlentorstraße; 2 Altstädtischer Kietz, Nr. 8 und 13; 3 Altstädtischer Kietz, Mühlentorstraße 41 und 42; 4 Turm und Turmvorplatz der Gotthardtkirche; 5 Marktplatz der Altstadt; 6 Südostteil der Friedensstraße; 7 Friedensstraße/Ecke Temnitz; 8 Neustädtischer Markt; 9 Hauptstraße/Ecke Wollenweberstraße; 10 Katharinenkirchplatz; 11 Hauptstraße 8 und 14; 12 Friedensstraße; 13 Friedensstraße/Ecke Neustädtischer Markt; 14 Friedensstraße/Ecke Deutsches Dorf; 15 Hauptstraße zwischen Neustädtischem Markt und Wollenweberstraße Abb. 1 Slawische und frühdeutsche Fundplätze im Gebiet von Alt- und Neustadt Brandenburg. Zeichnung von M. Wagner, Stralsund.

Archäologische Beiträge

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kaum nennenswerte Tiefbaumaßnahmen durchgeführt worden, die zum Aufschluß archäologischer Befunde hätten führen können. Erste Funde traten 1941/42 bei Erdarbeiten dicht nördlich des Altstädtischen Kietzes, nördlich der Mühlentorstraße, zutage. In einer Kulturschicht fanden sich ein Topf und zahlreiche Gefäßreste aus spätslawischer und frühdeutscher Zeit des 12./13. Jahrhunderts. Die spätslawischen Keramikreste wiesen eine starke Profilierung der Ränder auf und waren mit Gurtfurchen verziert. Die frühdeutsche Keramik ergab neben einigen Bruchstücken der weichen Grauware vor allem solche der blaugrauen harten Grauware. Durch den Zusammenfund dieser drei Warenarten ergab sich eine Datierung der Fundschicht in das späte 12. und 13. Jahrhundert. Skelette, die unterhalb der Kulturschicht im angeblich anstehenden Kiessand lagen, konnten von Paul Krause, dem damaligen Pfleger für die kulturgeschichtlichen Bodenaltertümer, nicht näher eingeordnet werden. Sie waren beigabenlos. Möglicherweise rührten sie von einem Bestattungsplatz des hier im 12. Jahrhundert entstandenen St. SpiritusHospitals her. 2 Ein eindeutiger Beweis für eine slawische Besiedlung in der Zeit vor 1150 ließ sich an dieser Stelle nicht erbringen. Ebenso wie dieser Fundplatz liegt auch der Marienberg außerhalb der von Wall, Graben und Mauer umschlossenen Altstadt. Hier befand sich nach der Überlieferung ein Triglaw-Heiligtum, offenbar der Hauptkultplatz der Heveller. Tempel und dreiköpfiges Götterbild wurden um oder nach 1150 beseitigt. An ihrer Stelle entstand vor 1161 als Zentralanlage auf der Kuppe des Berges eine Marienkirche, welche in nachreformatorischer Zeit verfiel und im 18. Jahrhundert bis auf die Grundmauern abgetragen wurde. Beim Bau eines Wasserbehälters auf dem Plateau des Berges wurde das Gelände I960 größtenteils zerstört. Im Rahmen einer Notgrabung konnte Horst Geisler 3 eine 25 cm starke spätslawische Kulturschicht feststellen, die jungsla-

2 Siehe den Bericht von Paul Krause in der Tageszeitung Brandenburger Anzeiger vom 1./2. Nov. 1941 und den Bericht in der Ortsakte des Museums Brandenburg. Die Funde z.T. im Museum Brandenburg erhalten. Zur Lage des Fundplatzes siehe Bruno

Krüger, Die Kietzsiedlungen im nördlichen Mitteleuropa (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 11), Berlin 1962, S. 148.

Horst Geisler, Archäologische Beobachtungen auf dem Marienberg in Brandenburg (Havel), in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Pots3

dam 1 (1962), S. 66-71.

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Günter Mangelsdorf

wische Randscherben-und sogenannte ottonische Standbodenkeramik erbrachte. Eine gezielte archäologische Sondierung im Umfeld der Altstadt nahm Bruno Krüger im Altstädtischen Kietz vor. Dabei legte er auf den Grundstücken Kietz Nr. 8 und 13 je einen Suchschnitt an. Beide Grundstücke grenzen an die Havel. Unter einer bis zu 75 cm mächtig aufgeschütteten und gestörten Schicht traten Teile der alten Oberfläche zutage. Sie enthielt glasierte und blaugraue Keramik. Slawische Scherben fehlten gänzlich, so daß eine Besiedlung an diesen Stellen erst seit dem 13- Jahrhundert nachweisbar ist. Die harte Grauware lag unmittelbar über dem anstehenden Boden. 4 Ob damit insgesamt die Aussage gerechtfertigt ist, daß der Altstädtische Kietz erst im 13. Jahrhundert angelegt worden ist, bedarf weiterer Grabungen auch auf anderen Grundstücken des Kietzes. Eine auf zwei kleine Suchschnitte beschränkte Untersuchung erlaubt nur für diese Plätze eine konkrete Aussage. Weitere Einblicke in die Frühzeit der Besiedlung im Gelände unmittelbar vor dem nördlichen Eingang zur Altstadt und somit noch im Gelände des Altstädtischen Kietzes wurden 1975 im Zusammenhang mit der Erneuerung des innerstädtischen Gasleitungsnetzes möglich. Beim Ausheben der Leitungstrasse entlang der Mühlentorstraße waren die Bauarbeiter auf mittelalterliche Kulturschichten gestoßen, die an drei Stellen von Klaus Grebe und dem Verfasser näher untersucht wurden. Die erste Stelle lag nördlich des Einganges zum Kietz vor den Häusern Mühlentorstraße 41 und 42. Unter einer 90 cm starken Sandschicht traten drei mittelalterliche Kulturschichten auf, die bis in 1,55 m Tiefe reichten. In der Schicht C, die unmittelbar auf dem gewachsenen Sand auflag, fanden sich neben wenigen spätslawischen Wandungsscherben Bruchstücke von Kugelbodentöpfen der weichen Grauware. Die darüber befindliche Schicht В enthielt Scherben von Kugelbodentöpfen einer Übergangsware von der weichen zur harten Grauware. In diese Schicht war eine vergoldete und mehrfarbig emaillierte Limoger Gürtelschnalle eingelagert. Daneben fand sich das Randstück eines Gefäßes der Keramik nach

4

B. Krüger, Die Kietzsiedlungen...

(wie Anm. 2), S. 48, 148.

Archäologische Beiträge

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Pingsdorfer Art.5 Der zweite Profilaufschluß konnte vor dem Haus Nr. 44a der Mühlentorstraße an der Stelle des Stadtgrabens der Altstadt, dessen obere Breite mit 14 m ermittelt wurde, aufgenommen werden. Leider war es aufgrund der schmalen Leitungstrasse nicht möglich, die ursprüngliche Tiefe des Stadtgrabens zu ermitteln. Bei 2 m unter der heutigen Oberfläche - ca. 1 m unter der mittelalterlichen Oberfläche - war die anstehende Grabensohle noch nicht erreicht. Das dritte Profil lag an der Stelle, w o von der Mühlentorstraße der Zugang zum Gotthardtkirchplatz möglich ist. Hier befanden wir uns schon im östlichsten Teil der eigentlichen Altstadt. Das Profil zeigte von der heutigen Oberfläche bis in 1,4 m Tiefe mehrere Sandauftragungen und zwischen 1,4 und 1,5 m eine dunkelgraue bis braune Sandschicht, die über einem Ziegelbruch- und Feldsteinpflaster lag. Dieses Pflaster bildete die obere Zone der ursprünglichen Oberfläche über dem gewachsenen Sand, also die Straßenbefestigung am östlichen Ausgang der Stadt in Richtung Kietz. Einzelne spätslawische und frühdeutsche Scherben der weichen Grauware datierten diese Schicht in das späte 12. und frühe 13- Jahrhundert. Wie sind diese Befunde für die Besiedlungsgeschichte zu werten? Das Profil in der Mühlentorstraße 41/42 bestätigte für dieses Areal den Beginn der Besiedlung am Rande des Altstädtischen Kietzes für die Zeit des ausgehenden 12. und frühen 13. Jahrhunderts. Eine ähnliche Fundschichtung dürfte der oben von Paul Krause in der von der Mühlentorstraße abzweigenden Ziegelstraße beschriebene Aufschlug gezeigt haben, worüber leider keine nähere Dokumentation erhalten ist. Bemerkenswert ist ferner, daß auch in dem angeschnittenen Teil der Mühlentorstraße, der bereits innerhalb der Altstadt und unweit der Gotthardtkirche und damit in der primären Kernsiedlung, nämlich von Parduin, liegt, ebenfalls keine ausgesprochen spätslawische Siedlungsstrate aus der Zeit vor der Mitte des 12. Jahrhunderts angetroffen werden konnte. Einen ähnlichen Befund ergab eine 1980 vorgenommene Sondierung am und im Turm der Gotthardtkirche. Für den Einbau von Sanitäranlagen in der südlichen Turmkammer des doppeltürmigen Westwerkes erfolgten Schachtarbeiten, um Rohrleitungen vom Turmvor-

Vgl. die detaillierte Fundvorlage von Klaus Grebe/Günter Mangelsdorf, Eine Limoger Gürtelschnalle aus Brandenburg (Havel), in: Veröffentlichungen des Muse5

ums für Ur- und Frühgeschichte

Potsdam

17 (1983), S. 213-230.

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Günter Mangelsdorf

platz durch das Westportal und die Mittelhalle zur südlichen Turmkammer zu führen. Dabei konnten der unmittelbare Bereich am Turmeingang und die Schichtenabfolge in der Turmmittelhalle untersucht werden. Der Leitungsgraben vor dem Turm zeigte im Profil von der heutigen Oberfläche bis in 60 cm Tiefe eine Schuttschicht. Darunter folgte eine mit zahlreichen Skelettresten durchsetzte Schicht, die in 1,6 m Tiefe auf dem gewachsenen Boden endete. Die Skelettreste rührten ohne Zweifel von dem Friedhof her, der sich bis in die frühe Neuzeit im Umfeld der Kirche befand. Bestattungen hatten unmittelbar bis an das Westportal heran stattgefunden. Das Portal war in nachmittelalterlicher Zeit vermauert worden und ist erst Anfang unseres Jahrhunderts im Zuge von Restaurierungsarbeiten wieder geöffnet worden. Neben einer Aufnahme des Aufbaues des Eingangsportals und seiner Gründung in 1,7 m Tiefe unter der heutigen Oberfläche konnte auch in der Turmmittelhalle ein Profil erstellt werden. Hier folgte unter dem heutigen Ziegelfußboden eine mit Ziegelbrocken durchsetzte Schuttschicht und darunter ein Sandband und eine feine Schuttschicht mit weißen Mörtelbrocken, in welche ein Ziegelfußboden in Fischgrätenmuster eingelassen war. Diese Ziegel lagen auf der alten Oberfläche, die durch eine festgetretene schwärzliche Schicht nach oben hin abgeschlossen war. Zwischen dieser alten Oberfläche in etwa 80 cm Tiefe folgte bis zum gewachsenen Boden eine olivgraue bis graumelierte Schicht. Aus dieser Schicht konnten einige graue Wandungsscherben und eine kleine Randscherbe eines Kugelbodentopfes sowie eine ältere braune, aber atypische Wandungsscherbe geborgen werden, die vor allem in das 13· bis 15. Jahrhundert zu datieren sind. Eine Kulturschicht und damit eine Vorbesiedlung bzw. Vorbebauung an dieser Stelle ließ sich nicht ermitteln.6 Damit ist aber nicht gesagt, daß es eine solche im weiteren Umfeld der Kirche nicht gegeben hat. Auch hier haben weitere Untersuchungen in den nächsten Jahren Klarheit zu erbringen. Neue Möglichkeiten zur archäologischen Erkundung ergaben sich 1981 bei der Fortsetzung der Erneuerung des Gasleitungsnetzes im Gebiet der Altstadt. Von der Straße Parduin (früher Marktstraße) über den Marktplatz der Altstadt und durch die Plauer Straße (früher Plau6

Günter Mangelsdorf, Untersuchungen am Westwerk der Brandenburger hardtkirche, in: Ausgrabungen und Funde 27 (1982), S. 75-80.

Gott-

Archäologische

Beiträge

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ertorstraße) wurde eine Leitungstrasse mit Abzweigungen zu den einzelnen Hausgrundstücken gezogen. Dabei bot sich für uns die Gelegenheit, an fünf verschiedenen Stellen den Leitungsgraben bis zum gewachsenen Boden einzutiefen und entsprechende Profile aufzunehmen. Da die Resultate dieser Sondierungen bereits an anderer Stelle ausführlich besprochen wurden, 7 sollen hier nur die Ergebnisse erneut zusammengefaßt werden. Profil 2, das wir in der Osthälfte des Marktplatzes aufnehmen konnten, zeigte unter der heutigen Oberfläche bis in etwa 1,0 m Tiefe mehrere Sandauftragungen. Darunter lag eine knapp 30 cm starke Kulturschicht über dem gewachsenen Boden, der in 1,3 m Tiefe erreicht wurde. In der Kulturschicht fanden sich einige blaugraue Kugelbodentopfscherben, die die Ablagerung in das späte 13. und 14. Jahrhundert datierten. Das Profil 3 am nördlichen Rand des Marktplatzes ergab in der untersten Kulturschicht ebenfalls Reste der harten Grauware des späten 13· Jahrhunderts und die Wandungsscherben eines braunen Steinzeuggefäßes. Der gewachsene Boden wurde in 2,05 m Tiefe erreicht. Profil 4 unmittelbar neben dem Rathaus ergab einen kaum abweichenden Befund. Das Profil 5 lag außerhalb des Marktbereiches. Auch hier konnten drei durch eine Sandauftragung voneinander getrennte mittelalterliche Kulturschichten erkannt werden. Die beiden oberen enthielten neben Tierknochen blaugraue Kugelbodentopfscherben. Die dritte über dem anstehenden Talsand in 2,15 m Tiefe blieb leider ohne Funde, wodurch eine Datierung unmöglich war. In Auswertung der Befunde und des keramischen Fundgutes kann gefolgert werden, daß an den untersuchten Stellen eine Besiedlung vor dem 13. Jahrhundert nicht nachweisbar ist. Die Funde sprechen sogar erst für einen Besiedlungsanfang im fortgeschrittenen 13. und frühen 14. Jahrhundert. Damit sind die bisher untersuchten Plätze aus dem Gebiet der Altstadt besprochen. Wenden wir uns nun der Neustadt zu. Hier sind bereits seit dem späten 19. Jahrhundert wiederholt bei Tiefbauarbeiten im Stadtkern Bodenfunde aus der Frühzeit der Stadtentstehung zutage getreten. Darüber hat Günther Tillack in Zusammenarbeit mit dem Verfasser

7

Günter Mangelsdorf, Archäologische Untersuchungen am Markt der Altstadt Brandenburg, in: Brandenburger Blätter A (1983), S. 86-92.

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Mangelsdorf

einen Überblick gegeben. 8 Von besonderer Bedeutung für das Ende der spätgermanischen Besiedlung des Brandenburger Gebietes ist dabei ein Urnengrab der späten Kaiserzeit bzw. der frühen Völkerwanderungszeit. Es wurde am östlichen Ende der Friedensstraße (früher St. Annen-Straße) gefunden. 9 Hier waren auch drei byzantinische Münzen aus der Zeit zwischen 527 und 773 entdeckt worden. Leider sind die Fundumstände unklar geblieben. Auch über den Verbleib der Stücke ist nichts Näheres bekannt. 10 Ebenfalls im östlichen Teil der Friedensstraße/Ecke Temnitz wurden 1880 bei Bauarbeiten slawische Skelettgräber mit Gefäßbeigaben aufgefunden, die hier ein spätslawisches Gräberfeld vermuten ließen. 11 Ein weiterer spätslawischer Bestattungsplatz ist am Neustädtischen Markt angeschnitten worden. Hier fanden sich acht Bestattungen. Ein Grab enthielt fünf Schläfenringe.12 Slawische Siedlungsreste wurden bei Erdarbeiten in der Hauptstraße/Ecke Wollenweberstraße angetroffen. 13 Eine slawische Abfallgrube enthielt Scherben, Tierknochen und eine Bernsteinperle. Dieser Fundplatz gehört möglicherweise zu einer größeren jungslawischen Siedlung, die sich bis in das Gebiet des heutigen Katharinenkirchplatzes erstreckte. Es kann trotz aller bruchstückhaften Quellenüberlieferung davon ausgegangen werden, daß das Gebiet der nachmaligen Neustadt in slawischer Zeit seit dem späten 10. oder 11. Jahrhundert mit einer oder zwei kleineren Siedlungen, die nebeneinander bestanden, 8

Günther Tillack, Ur- und frühgeschichtliche Funde aus der Neustadt Brandenburg, in: Brandenburger Blätter A (1983), S. 79-85. 9 Siehe Richard Schillmann, Geschichte der Stadt Brandenburg a. d. H. von den ältesten Zeiten bis zur Einführung der Reformation, Brandenburg 1882, S. 111, und o. Verfasser, Fundberichte, in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg 26/28 (1896), S. 96-102, vor allem S. 99 f. 10 Siehe Corpus archäologischer ΟμβΙΙβη zur Frühgeschichte auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (7.-12. Jahrhundert), hrsg. von Joachim Herrmann u. Peter Donat, Lief. 3, Textbd., Berlin 1979, S. 237, Nr. 80/12. 11 А. а. O., S. 236, Nr. 80/11. 12 А. а. O., S. 236, Nr. 80/7 und Paul Krause, Vorgeschichtsforschung in Brandenburg 1929-1940, in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg (>Ы1\ (1941), S. 37-50, hier S. 44 u. Taf. 9 im Anhang. 13 Corpus...{wie Anm. 10), S. 235, Nr. 80/6, und Otto Felsberg, Das vorgeschichtliche Brandenburg a. d. H., in: Brandenburgisches Jahrbuch 3 (1928), S. 17-35, besonders S. 30 u. Abb. 68.

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Beiträge

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besetzt war. Die Zugehörigkeit der beiden Gräberfelder zu dieser oder jener Siedlung ist noch völlig ungeklärt. Funde des hohen und späten Mittelalters aus der Zeit seit der Gründung der Neustadt im späten 12. Jahrhundert sind an zahlreichen Stellen der Innenstadt geborgen worden. 14 Darauf soll hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Hierfür liegen zum überwiegenden Teil keine genauen Fund- bzw. Befunddokumentationen vor. In der Hauptstraße 8 und 14 wurde 1894 und 1899 je ein Gefäß mit mittelalterlichen Münzen entdeckt. Beide Münzschätze sind nicht erhalten. 15 Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden das Rathaus der Neustadt, die Bebauung entlang der Friedensstraße sowie das Gelände zwischen Abtstraße und Temnitz als auch das Paulikloster zerstört. Im Zuge des Wiederaufbaues ergab sich etwa seit 1967 die Möglichkeit, beiderseits der Friedensstraße großflächige archäologische Untersuchungen in den Baugruben durchzuführen. Da zu dieser Zeit leider kein geschulter Archäologe zur Verfügung stand, konnten von Mitarbeitern des Museums Brandenburg und ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern nur einige Befunde und zahlreiche Funde gesichert werden. Dabei sind Überreste von Häusern (Ständerbauten), steinerne Brunnen und solche mit Holzkasten festgestellt worden. Bedauerlicherweise konnten im Zuge der fortschreitenden Bauarbeiten nur einige Befunde dokumentiert und Profile gezeichnet werden. Die sehr zahlreich geborgenen Funde wie Keramik, Metall und Glas sind zum überwiegenden Teil nicht stratigraphisch gesichert und daher für die Besiedlungsgeschichte nur bedingt auswertbar. Die typologisch ältesten Funde aus diesem Areal gehören in die Übergangszeit vom 12. zum 13- Jahrhundert. Es handelt sich vor allem um Reste von Kugelbodentöpfen der ausklingenden weichen Grauware. In der Friedensstraße wurde auch ein bedeutender Münzfund des 15. Jahrhunderts entdeckt. 16

1/1 Siehe G. Tillack, Ur- und frühgeschichtliche Funde... (wie Anm. 8), S. 85 Anm. 14. 15 А. а. O., S. 85 Anm. 15. 16 Vgl. Max Kunze, Der Münzfund von Brandenburg, in: Brandenburger Kulturspiegel 1972, H. 1, S. 13-15, und Günter Mangelsdorf, Münzschatzgefäße des 15. Jh. aus Brandenburg/H. und Buckau, Kr. Brandenburg, in: Ausgrabungen und Funde 24 (1979), S. 95-98, hier S. 96.

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Günter Mangebdorf

Beim Verlegen von Fernsprechleitungen am Eingang der Straße Deutsches Dorf sind mittelalterliche Siedlungsreste des 13 /14. Jahrhunderts angeschnitten worden. Als bemerkenswerter Fund kam ein kleiner Bildstein mit eingeritzten Buchstaben und Gesichtsdarstellungen ans Licht.17 Wichtige Aufschlüsse über die stratigraphischen Verhältnisse im Stadtkern der Neustadt konnten 1979 im Zuge der Umgestaltung der Hauptstraße zwischen dem Marktplatz und der Kur- bis Wollenweberstraße zur Fußgängerzone gewonnen werden. Bei der Neuverlegung des Gasleitungsrohres ergab sich die einmalige Gelegenheit, an sechs Stellen der Gasleitungstrasse bis zum anstehenden Talsand vorzudringen. Erstmals konnten dabei aus dem Zentrum der Neustadt der Aufbau der Kulturschichten und darin eingelagertes Fundmaterial studiert werden. Von besonderem Interesse war dabei ein Profil unweit der Nordostseite der Katharinenkirche.18 Hier wurde der anstehende Talsand in ca. 2,25 m Tiefe erreicht. Darüber befanden sich vier mehr oder weniger mächtige Kulturschichten, die jeweils durch eine graubraune Auffüllschicht deutlich voneinander getrennt waren. Die unterste Kulturschicht über dem gewachsenen Boden war stark versintert, was offenbar auf einen zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich hohen Grundwasserspiegel zurückzuführen ist. Leider war diese Schicht D ebenso wie die Schicht С darüber fundleer. Datierendes Fundmaterial erbrachte erst die Kulturschicht Α zwischen 0,6 und 1,15 m Tiefe unter der heutigen Oberfläche. Es handelte sich dabei hauptsächlich um blaugraue hartgebrannte Kugelbodentopfscherben, Reste von Dreiknubbenkannen, Bruchstücke einiger Trinkbecher, eines Glockendeckels und Scherben von Steinzeug. Das Fundgut datiert im wesentlichen in das 14. Jahrhundert. Die Schichten B-D dürften in das 13. bis ausgehende 12. Jahrhundert zurückreichen. Soweit die bisher bekannt gewordenen Funde und Befunde vom Gebiet der Neustadt. Bei den seit 1990/91 eingeleiteten umfangreichen Sanierungsarbeiten zum Erhalt von Alt- und Neustadt werden sicherlich aufschlußrei-

17

Günter Mangelsdorf, Ein Bildstein des 13- Jh. aus Brandenburg/Havel, in: Ausgrabungen und Funde 23 (1978), S. 100-102, besonders Taf. 15. 18 Günter Mangelsdorf, Mittelalterliche Siedlungsaufschlüsse des 14. Jh. aus der Neustadt Brandenburg, in: Ausgrabungen und Funde 26 (1981), S. 109-113.

Archäologische Beiträge

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che neue Entdeckungen gemacht werden. 19 Für die Klärung vieler Fragen zur Entstehung und räumlichen Entwicklung von Alt- und Neustadt Brandenburg sind allerdings planmäßige und gezielte archäologische Ausgrabungen notwendig. Bei der Altstadt wären solche Grabungen vor allem im Gelände und weiteren Umfeld der Gotthardtkirche, im Kietz, in der Großen und Kleinen Heidestraße, am Huck und am Johanniskirchplatz durchzuführen, um Aufschluß zu gewinnen über das Verhältnis von spätslawischem Suburbium, Parduinsiedlung und Kietz einerseits und der vollen Herausbildung der spätmittelalterlichen Stadt mit Marktplatz, mit der Ansiedlung der Franziskaner und der Aufnahme umliegender Dorfbewohner andererseits. Ein besonderes Forschungsproblem stellt die Aufhellung der ursprünglichen Bedeutung und Funktion der Siedlung Luckenberg mit der vor den Toren der Altstadt befindlichen Nikolaikirche dar. Auch für die Frühzeit der Neustadt lassen sich Schwerpunkte weiterer archäologischer Forschungen aufzeigen. Hier wäre zunächst die Frage nach Zeit und Umfang der slawischen Vorbesiedlung und ihrer Integration in die sich im späten 12. Jahrhundert abzeichnende planmäßige Gründung der Neustadt abzuklären. Möglicherweise wurden eine oder zwei Siedlungen in die sich formierende Stadt aufgenommen. Auch dürfte das ursprüngliche Stadtgebiet kleiner, das heißt der von Graben und möglicherweise Wall umgebene Stadtraum enger gewesen sein. Zu klären wäre auch die Frage der Ausdehnung, Anlage und zeitlichen Entstehung des markgräflichen Hofes im Gebiet der Neustadt. Hier entstand im 13. Jahrhundert das Dominikanerkloster. Wichtige Erkenntnisse könnten schließlich Grabungen zur Bebauungsstruktur und zum Hausbau erbringen. Ein breiter Kenntniszuwachs zur Sachkultur des hohen und späten Mittelalters ergäbe sich nebenbei.

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Neue Funde aus dem Mittelalter wurden in der zweiten Hälfte der achtziger

Jahre im Zuge von Lückenbebauungen in der Nähe des Neustädtischen Mühlentorturmes, in der Steinstraße, in der Neustädtischen Heidestraße, im Umfeld des Pauliklosters sowie im Gelände der ehemaligen altstädtischen Schule am Gotthardtkirchplatz geborgen. Ihre Auswertung steht noch aus.

Zur Genese der Stadtanlage der Altstadt und Neustadt Brandenburg W I N F R I E D SCHICH Berlin

Der Siedlungskomplex Brandenburg bestand seit dem hohen Mittelalter, das heißt seit dem 12./13. Jahrhundert, lange Zeit aus den beiden selbständigen Städten Altstadt Brandenburg und Neustadt Brandenburg sowie dem kirchlichen Bezirk der sogenannten Burg oder des Domes Brandenburg auf der Dominsel.1 Erst 1715 wurden die beiden Städte auf Anordnung König Friedrich Wilhelms I. zur „Kur- und Hauptstadt" Brandenburg vereinigt, und sogar erst 1928/ 29 wurde die Dominsel (zusammen mit einigen unbewohnten kleinen Nachbarinseln) eingemeindet. 2 Wir können diese drei Teile

1 Allgemein zur Geschichte von Brandenburg: Moritz Wilhelm Heffter, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg von den frühesten bis auf die neuesten Zeiten, 2. Aufl., Potsdam o. J. (nach 1840); Richard Schillmann, Geschichte der Stadt Brandenburg a.d.H. von den ältesten Zeiten bis zur Einführung der Reformation, Brandenburg 1882; Otto Tschirch, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg (Havel), 3. Aufl., Brandenburg 1941; Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912; Historisches Ortslexikon für Brandenburg, T. 3: Havelland, bearb. von Lieselott Enders (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam 11), Weimar 1972, S. 35-44; Günter Mangelsdorf/Günter Weigelt, Brandenburg. Stadtführer (= Brandenburger Blätter 1), Brandenburg 1977; Helmut Assing/Klaus Hess/Günter Weigelt, Brandenburg. Stadtführer (= Brandenburger Blätter 5), Brandenburg 1986. 2 1928 der Gutsbezirk Burg Brandenburg, d. h. der eigentliche Dombezirk, 1929 der Gemeindebezirk Dom Brandenburg; Historisches Ortslexikon... (wie Anm. 1), S. 35 f. Vgl. die Karte „Brandenburg. Alte und neue Stadtgrenze" von 1929 im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, XI. HA Karte A 50 089 (Einzeichnung der eingemeindeten Teile auf einem Exemplar der Topograph. Kt. 1: 25 000).

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Winfried Schich

1 Dom 2 Petrikapelle 3 Großer Domkietz 4 Kleiner Domkietz 5 Neustädter Kietz 6 Krakow 7 Altstädter Kietz 8 Slawenzeitliche Brücke? 9 Mühlentor 10 Gotthardtkirche 11 Parduin 12 Rathenower Tor 13 Markt mit Rathaus 14 Huck 15 Marienkirche 16 Nikolaikirche (Luckenberg) 17PlauerTor 18 Franziskanerkloster 19 Wassertor 20 Katharinenkirche 21 Markt mit Rathaus 22 Mühlentor 23 Wassertor 24 Stutzdorf 25 Annentor 26 Dominikanerkloster 27 Steintor

Abb. 2

B r a n d e n b u r g im Mittelalter. Skizze von Winfried Schich aus:

schung,

hrsg. v o n Helmut Jäger (= Städteforschung A/27), Köln-Wien 1987, S. 219.

Stadtkernfor-

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noch heute gut erkennen, zumal über weite Strecken die Gewässer eine deutliche Grenze markieren. Der Name Brandenburg haftete ursprünglich an der Dominsel.3 Von ihr nahm die städtische Entwicklung in slawischer Zeit ihren Ausgang. Auf ihr befanden sich ein befestigter Fürstensitz und ein gewerbliches Wirtschaftszentrum, das an den Fernhandel angeschlossen war. Die archäologischen Untersuchungen, vor allem von Klaus Grebe, haben genügend Nachweise erbracht, die es uns erlauben, Brandenburg im 11./12. Jahrhundert dem Typ der sogenannten slawischen Burgstadt zuzuordnen; auf Einzelheiten ist hier nicht einzugehen. 4 Der letzte, 1150 gestorbene slawische Herrscher in Brandenburg, Pribislaw-Heinrich, der bereits Christ war, errichtete eine Kirche in seiner Burg, vermutlich an der Stelle der heutigen Petrikapelle, und berief an eine weitere Kirche, St. Gotthardt im suburbium von Brandenburg, eine Gemeinschaft von Prämonstratensern.5 Diese gründeten in ihrer Nachbarschaft wahrscheinlich bereits ein Heiliggeistspital.6 Der dortige Siedlungskomplex, der später (seit 1166)

3

Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (= Brandenburgisches Namenbuch 4), Weimar 1976, S. 83 ff. Vgl. den Beitrag von Jürgen Udolph in diesem Band. 4 Klaus Grebe, Die Brandenburg (Havel) - Stammeszentrum und Fürstenburg der Heveller, in: Ausgrabungen und Funde 21 (1976), S. 156-159 (mit Angabe älterer Literatur); ders., Archäologische Forschungen auf der Dominsel in Brandenburg (Havel), in: Das Altertum 25 (1979), S. 231-240; ders., Brandenburg, die Heveller und der Lutizenaufstand, in: Das Altertum 29 (1983), S. 17-25; ders., in: Corpus archäologischer Quellen zur Frühgeschichte auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (7.-12. fahrhundert), hrsg. von Joachim Herrmann u. Peter Donat, Lief. 3, Textbd., Berlin 1979, S. 229 ff.; jetzt ders., Die Brandenburg vor 1000fahren, Potsdam 1991; vgl. auch Wolfgang Podehl, Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung von Altmark, Neumark und Havelland (= Mitteldeutsche Forschungen 76), Köln-Wien 1975, S. 465 ff. 5 Heinrici de Antwerpe, can. Brandenb., Tractatus de urbe Brandenburg, hrsg. von Georg Sello, in: fahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte und Industrie zu Salzivedel, Abt. für Geschichte 22, Η. 1 (1888), S. 1-33, hier S. 11. Vgl. dazu vor allem Hans-Dietrich Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des zwölften fahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes Stodor (= Mitteldeutsche Forschungen 30), Köln-Graz 1964, Halbbd. 1, S. 236 ff., 477 ff., sowie den Beitrag von Wolfgang H. Fritze in diesem Band. 6 H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), S. 265 f.; Helmut Assing, Neue Überlegungen zur Entstehung der Altstadt Brandenburg, in: Hansische Stadtgeschichte - Branden-

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Schich

unter dem niederdeutschen Ortsnamen Parduin (gesprochen: Pardun) erscheint,7 bildete den westlichen, eine weitere Siedlung mit dem Namen Krakau8 offenbar den östlichen Brückenkopf der Burg auf der Insel.9 Es kann nämlich ein ehemaliger Verkehrsweg mit zwei Havelbrükken erschlossen werden, der von Parduin über die Dominsel nach Krakau führte und der in deutscher Zeit die Domimmunität begrenzte. Die Immunitätsgrenze wird im Vertrag von 1237, der den Zehntstreit zwischen dem Bischof und den Markgrafen von Brandenburg beendete, wie folgt beschrieben: vom Osttor gegenüber Krakau (a porta orientali, que ducit versus Cracowe) den Weg hinauf bis zum Friedhof und weiter hinab zum Tor gegenüber Parduin (ad portam, que ducit versus Parduwin) und von diesem entlang der Stiftsgebäude bis zur Havel.10 Wenn man diese Situation mit den Ergebnissen der archäologischen Untersuchungen auf dem slawischen Burgwall zu Spandau, der zweiten bedeutenden „Burgstadt" im Gebiet der Havelslawen, vergleicht,11 so drängt sich die Vermuburgische Landesgeschichte (Festschrift Eckhard Müller-Mertens), hrsg. von Evamaria Engel, Konrad Fritze u. Johannes Schildhauer (= Hansische Studien 8; Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 26), Weimar 1989, S. 15-28, hier S. 19. 7 Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I, Bd. 8, Berlin 1847 (künftig CDB1/8 zitiert), S. 107 Nr. 19; Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, bearb. von Hermann Krabbo u. Georg Winter, Leipzig-Berlin 19Ю/55 (künftig KW zitiert), Nr. 355. Vgl. R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 179 f. 8 A.a.O., S. 148 f.; Historisches Ortslexikon... (wie Anm. 1), S. 194 f. 9 Vgl. Winfried Schich, Stadtwerdung im Raum zwischen Elbe und Oder im Übergang von der slawischen zur deutschen Periode, in: Germania Slavica I, hrsg. von Wolfgang H. Fritze (= Berliner Historische Studien 1), Berlin 1980, S. 191-238, hier S. 196 ff. Hier ist nicht der Platz, auf alle Überlegungen zum Suburbium auf dem westlichen Brückenkopf einzugehen. Nur weitere archäologische Untersuchungen können zur Klärung des Problems beitragen, wie diese Gegend in spätslawischer Zeit strukturiert war. Dies gilt für die Frage, ob hier ebenso wie auf der Insel gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt wurden, ob hier der noch nicht ständige Markt abgehalten wurde und schließlich, ob sich hier bereits deutsche Kaufleute niederließen. 10 CDB 1/8, S. 153 Nr. 67; KW, Nr. 645; Christiane Schuchard, Keine Gründungsurkunde. Symeon plebanus de Colonia als Zeuge - Die erste urkundliche Erwähnung von Cölln an der Spree 1237/38, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart (Jahrbuch des Landesarchivs Berlin), Jg. 1987, S. 7-36, hier S. 20. Der Weg hat sich in dem Straßenzug Krakauer Straße - Domlinden - Burgweg erhalten. 11 Adriaan von Müller/Klara von Müller-Muci, Die Ausgrabungen auf dem Burgwall in Berlin-Spandau (= Berliner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, N. F. 3),

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tung auf, daß ebenso wie dort auch in Brandenburg die Burginsel über Brücken mit den gegenüberliegenden Havelufern verbunden war, daß über sie in slawischer Zeit die wichtige West-Ost-Straße von Magdeburg über die Havelübergänge Plaue, Brandenburg und Spandau (bzw. Potsdam) und weiter über Lebus (an der Oder) nach Posen führte.12 1216 werden im Pfarrsprengel von St. Gotthardt eine „alte" und eine „neue Brücke" genannt. 13 Der Bau der letzteren hängt sicher mit den Umstrukturierungen zusammen, die in der Zeit kurz nach dem Übergang Brandenburgs in deutsche Hände vorgenommen wurden. 14 Pribislaw-Heinrich hatte Albrecht den Bären zum Erben bestimmt, nachdem er schon früher (1127/30) dessen Sohn Otto als Patengeschenk das ganze, südlich der Havel gelegene Land Zauche überlassen hatte, das über das Gelände der späteren Neustadt bis an die Brandenburg heranreichte.15 Hier befand sich gegenüber der Burginsel ebenfalls eine slawische Siedlung, die durch archäologische Funde gesichert ist und auf die wohl auch der später genannte Orts-

T. 1, Textbd., Berlin 1983, S. 87 ff.; Adriaan von Müller, Spandau, eine bedeutende mittelalterliche Stadt in der Mark Brandenburg, in: Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen. 1884-1984, hrsg. von Eckart Henning u. Werner Vogel, Berlin 1984, S. 78-103, hier S. 91. 1 2 Zu dieser Straße vgl. Joachim Herrmann, Magdeburg - Lebus. Zur Geschichte einer Straße und ihrer Orte, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam! (1963), S. 89-106; Winfried Schich, Die Entstehung des Städtewesens im Havelland. Die großen Städte, in: Das Havelland im Mittelalter, hrsg. von Wolfgang Ribbe (= Germania Slavica V; Berliner Historische Studien 13), Berlin 1987, S. 341-381, hier S. 374 ff. (mit Karte nach S. 364).

CDB1/8, S. 133 Nr. 48; KW, Nr. 558. Vgl. auch H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 23. Die Lage der älteren, slawenzeitlichen Brücke zwischen Dominsel und Parduin ist bisher nicht geklärt. Angesichts der natürlichen Situation auf der Insel (der Teil gegenüber dem Altstädter Kietz liegt wohl zu tief) sowie der Lage der Gotthardtkirche und des Heiliggeistspitals kommt vielleicht die Gegend der späteren „Altstädter Gärten" etwa gegenüber dem Altstädter Stadtgraben als Standort für die Brücke in Frage. Dies nehmen auch Günther Köpping und Günter Mangelsdorf an. Andererseits weist die Führung des. Burgwegs auf der Insel eher in Richtung Kietz nahe der Krakauer Brücke. 13

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15 Heinr. de Antwerpe... (wie Anm. 5), S. 8; KW, Nr. 18; vgl. H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), Halbbd. 1, S. 30, 50 ff.

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name Stütz hinweist. 16 Albrecht der Bär brachte endgültig 1157 Brandenburg in seine Hand. Da in Anknüpfung an die Verhältnisse der ottonischen Zeit (vor dem Slawenaufstand von 983) auch der König und der Bischof Anspruch auf Brandenburg erheben konnten, setzte der König als seinen Vertreter einen Burggrafen ein, und der Bischof nahm im erwähnten nördlichen Teil der Insel seinen Sitz.17 Es kam in Brandenburg, so Hans K. Schulze, zu einem „Kondominat von Markgraf, Burggraf und Bischof". 18 Unter ihnen wurden in frühdeutscher Zeit grundlegende Umstrukturierungen im Siedlungs-, Wirtschafts- und Rechtsgefüge der bisherigen slawischen Burgstadt auf der Insel und der zugehörigen suburbanen Siedlungen auf den Gegenufern vorgenommen. Ein Teil der ansässigen Slawen wurde in vier herrschaftlichen Dienstsiedlungen, den sogenannten Kietzen, zusammengefaßt; von ihnen befanden sich drei auf der Insel und einer im Bereich des Suburbiums auf dem nordwestlichen Havelufer. 19 Adolf Stölzel, der in seinem 1901 erschienenen Buch über den Brandenburger Schöppenstuhl für die Dominsel bereits die Bezeichnung „Burgstadt" gewählt hatte, nahm noch fälschlich an, die Stadtentwicklung habe sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf der Insel fortgesetzt und die westlich derselben gelegene Siedlung Parduin sei nur ein Suburbium oder eine Art Nebenstadt der eigentlichen Stadt auf der Insel gewesen. 20 In Wahrheit verlagerte sich aber in dieser Zeit das wirtschaftliche Zentrum gerade von

16 Corpus... (wie Anm. 4), S. 235 f. Nr. 80/6 und 9; vgl. auch den Beitrag von Günter Mangelsdorf in diesem Band; ferner Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen derZauche (= Brandenburgisches Namenbuch 1), Weimar 1967, S. 53 f. 17 W. Podehl, Burg... (wie Anm. 4), S. 496 ff.; Eberhard Böhm, Albrecht der Bär, Wibald von Stablo und die Anfänge der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (künftig JGMOD zitiert) 33 (1984), S. 62-91. 18 Hans K. Schulze in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 83 (1966), S. 378. 1 9 Herbert Ludat, Die Kietze auf der Dominsel in Brandenburg (1935), in: ders., Deutsch-slawische Frühzeit und modernes polnisches Geschiehtsbeimßtsein. Ausgewählte Aufsätze, Köln-Wien 1969, S. 45-52; ders., Die ostdeutschen Kietze, Bernburg 1936 (passim), ND Hildesheim-Zürich-New York 1984 mit Nachwort; Bruno Krüger, Die Kietzsiedlungen im nördlichen Mitteleuropa (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 11), Berlin 1962, S. 147 f. 2 0 Adolf Stölzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, untersucht auf Grund der Akten des Brandenburger Schöppenstuhls, Bd. 1: Der Brandenburger

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der Insel weg zunächst auf den Brückenkopf westlich vor der Burg (ante Castrum), der 1166 erstmals unter dem Namen Parduin in der schriftlichen Überlieferung erscheint.21 Mit der betreffenden Urkunde bestätigte Bischof Wilmar, daß er den ( l l 6 l ) zum Domkapitel erhobenen Prämonstratenserkonvent ( I I 6 5 ) von der Kirche St. Gotthardt auf die Burg umgesiedelt habe. Er überließ ihm die Gotthardtkirche, jetzt die Pfarrkirche der villa, que dicitur Parduin, ferner die Marienkirche auf dem Harlungerberg, die an der Stelle des slawischen Stammesheiligtums erbaut und von Albrechts Sohn Otto geschenkt worden war, und die weiteren Kirchen, die in der genannten villa noch errichtet würden. Es spricht alles dafür, daß die villa, deren Ausbau hier offenbar ins Auge gefaßt war, nicht eine rein agrarische Siedlung darstellte, sondern daß es sich bereits um einen Marktort handelte. Der vollständige Terminus forensis villa findet sich zwar erst in einer Urkunde von 1216.22 Der betreffende Passus geht aber, wie schon Fritz Curschmann 1906 erkannt hat, auf eine mehrere Jahrzehnte ältere verlorene Urkunde (wahrscheinlich von 1187) zurück.23 In einer zweiten Fassung der Urkunde von 1216 erscheint an anderer Stelle der zeitgemäße Begriff civitas (vetus).24 Villa forensis Parduin war also allem Anschein nach die für die Frühzeit deutscher Herrschaft treffende Bezeichnung für die städtische Siedlung gegenüber der Brandenburg. Diese wird damit sowohl im Ortsnamen als auch hinsichtlich der Siedlungsart deutlich von dem alten herrschaftlichen Zentrum auf der Insel, der Burg (älter civitas, jünger Castrum oder urbs) Brandenburg, geschieden. Schöppenstuhl, Berlin 1901, S. 44 f.; zur „Burgstadt" vgl. Winfried Schich, Die slawische Burgstadt und die frühe Ausbreitung des Magdeburger Rechts ostwärts der mittleren Elbe, in: Studien zur Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Deutschland und Polen, hrsg. von Dietmar Willoweit u. Winfried Schich (= Rechtshistorische Reihe 10), Frankfurt a. M.-Bern-Cirencester 1980, S. 22-61, hier S. 30 ff. (mit weiterer Literatur, vor allem von Herbert Ludat und Walter Schlesinger, die den Begriff „Burgstadt" in die stadtgeschichtliche Literatur eingeführt haben). CDB1/8, S. 107 Nr. 19; KW, Nr. 355. CDB 1/8, S. 133 Nr. 48; KW, Nr. 558. 23 Fritz Curschmann, Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgescbichte eines ostdeutschen Kolonialbistums, Leipzig 1906, S. 369-384, bes. S. 381 f.; vgl. auch KW, Nr. 558; H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), S. 264 f. 24 CDB 1/8, S. 136, Anm. (Zusatz in der zweiten Redaktion der Urkunde). 21

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Die Wahl bzw. die Übernahme des besonderen Ortsnamens Parduin für den neuartigen Marktort zu Brandenburg bot sich schon deswegen an, weil der Name Brandenburg noch in erster Linie an dem herrschaftlichen Zentrum auf der Insel haftete. Der Begriff forensis villa bzw. villa forensis bezeichnet für die Siedlungsart das entscheidend Neue. Anders als im Siedlungskomplex der slawischen Zeit war der Markt nicht mehr randliches Zubehör eines Herrschaftsund Wirtschaftszentrums, sondern der funktionale und räumliche Mittelpunkt eines eigenständigen Handels- und Gewerbeortes besonderen Rechtes. 25 Dieser bot gewiß ein noch weithin dörfliches Bild, doch handelte es sich bereits um eine im neuen Sinne städtische Bildung, um die erste Stufe der kommunalen Stadt. Zu ihr gehörten der siedlungsgebundene, umbaute Marktplatz - häufig noch in der frühen Form der (erweiterten) Marktstraße - und ein besonderes Recht, das ius fori, vor allem für die Regelung der Grundbesitzverhältnisse und des Marktgeschehens unter Mitwirkung der Marktbewohner. Vorbild für das in Brandenburg geltende Recht war das der Stadt Magdeburg, des alten Handelsplatzes an der Ostgrenze des Reiches, zu dem von Brandenburg aus die wichtigste Fernstraße führte. 26 Den Rechtsstatus der villa forensis kann Parduin erst in deutscher Zeit erhalten haben. Auf die Frage, ob dem Marktort Parduin der Zeit nach 1157 eine gleichnamige Kaufmannssiedlung vorausging, ist an dieser Stelle ebenfalls nicht einzugehen. 27 In der zuletzt dem Thema der Entstehung der Altstadt Brandenburg gewidmeten Untersuchung ist Helmut Assing zu dem Ergebnis gekommen, der Marktort Parduin sei unter der Leitung des königlichen Burggrafen, der hier, in einem Hof bei St. Gotthardt, und nicht auf der Burg seinen Sitz gehabt habe, unmittelbar nach Aufrichtung der deutschen Herrschaft konstituiert und bereits in den siebziger

25 Vgl. Walter Schlesinger, Forum, villa fori, ins fori. Einige Bemerkungen zu Marktgründungsurkunden des 12. Jahrhunderts aus Mitteldeutschland (I960), in: ders., Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Göttingen 1961, S. 275-305; W. Schich, Die slawische Burgstadt... (wie Anm. 20), S. 35 ff. 2(> Hans K. Schulze, Die brandenburgischen Stadtrechte im Mittelalter. Bemerkungen zu einer Karte im Historischen Handatlas von Brandenburg und Berlin, in: JGMOD13/14 (1965), S. 348-369, hier S. 363 ff. Vgl. den Beitrag von Friedrich Ebel in diesem Band. 27 Vgl. den Beitrag von Wolfgang H. Fritze in diesem Band und hier Anm. 9.

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Jahren zur Altstadt Brandenburg ausgebaut worden. 28 1174/76 wird nämlich Parduin erstmals als civitas bezeichnet. 29 Der Name Altstadt begegnet in der urkundlichen Überlieferung allerdings erst 1216, also nach Entstehung der Neustadt Brandenburg. 30 Bis dahin wird in den Urkunden stets von Parduin gesprochen. 31 Daß es sich bei der Altstadt Brandenburg anders als bei der Neustadt um eine königlichburggräfliche Bildung handelte, wurde schon früher, namentlich von Johannes Schultze, geschlossen - vor allem aus dem Siegelbild, das im Gegensatz zu dem der Neustadt und denen anderer Stadtgründungen der Markgrafen kein auf diese hinweisendes Kennzeichen enthält. 32 Darauf werden wir noch einmal zurückkommen. Zu den Umstrukturierungen, die in der Frühzeit deutscher Herrschaft vorgenommen wurden, gehörte auch die Änderung der Verkehrsführung von Parduin nach Krakau. Die Hauptstraße verlief künftig nicht mehr über die Insel, sondern über die Homeienbrücke 33 und den Homeiendamm oder Langen Damm, den heutigen Grillendamm.34 Dieser Damm diente, anders als die später zu behandelnden Mühlendämme zwischen Neustadt und Krakau, allein dem Verkehr. Die Verkehrsverbindung zu Wasser zwischen dem Beetzsee

H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 15 ff. CDB1/8, S. 109 Nr. 22; KW, Nr. 420. 3 0 Wie Anm. 24. 31 Dies betont zu Recht H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 25 f. Die Belege für civitas Parduin. CDB 1/8, S. 109 Nr. 22, S. 112 Nr. 25, S. 117 f. Nr. 30, S. 126 f. Nr. 40; KW, Nr. 420, 430, 545. 3 2 Johannes Schultze, Die brandenburgischen Städtesiegel (1937), in: ders., Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Wilhelm Berges (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 13), Berlin 1964, S. 177-195, hier S. 182; ders., Caput marchionatus Brandenburgensis. Brandenburg und Berlin (1952), in: a.a.O., S. 155-176, hier S. 160 f.; vgl. auch H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), Halbbd. 2, S. 762 f. Anm. 52; W. Schich, Stadtwerdung... (wie Anm. 9), S. 206 f. Vgl. aber die Beilage unten S. 97 ff. 3 3 Niederdeutsch hameide bedeutet Gattertor o. ä.; August Lübben, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, Norden-Leipzig 1888, ND Darmstadt 1979, S. 134; O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 125. 3 4 Vgl. a.a.O., I, S. 26 f., 131; Johannes H. Gebauer, Aus alten Tagen auf BurgBrandenburg, in: Festschrift zur 200jährigen Jubelfeier der Ritterakademie auf dem Dome zu Brandenburg a.d.H., Brandenburg 1905, S. 33-66, hier S. 42; H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 23. Das Problem der Damm- und Brückenbauten muß einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben. 28 29

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Winfried Schich

Abb. 3 Plan Intra et extra Moenia der beyden Chur- und Haupt-Städte Brandenburg von Christoph Gottlieb Hededmann, 1722/24. Nachzeichnung aus: Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912, Tafel 35 nach S. 233.

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und der Unterhavel blieb durch die erwähnte Brücke gewährleistet.35 Daß die Altstadt Brandenburg aus dem Marktort Parduin hervorgegangen war, ist seit den Untersuchungen von Fritz Curschmann und Paul Jonas Meier zu Beginn unseres Jahrhunderts unbestritten.36 Da 1241 - bei ihrer ersten Nennung - einmal zwei Schultheißen (prefecti) der antiqua civitas neben dem Schultheißen der nova civitas auftreten,37 kann man weiterhin vermuten, daß sich die Altstadt zeitweise aus zwei Teilgemeinden zusammensetzte38 - falls sich nicht eine andere Erklärung für die zwei Schultheißen finden läßt. Werfen wir einen Blick auf den ältesten Katasterplan der (seit 1715 vereinigten) Stadt Brandenburg, den Christoph Gottlieb Hedemann in den Jahren 1722-1724 mit äußerster Sorgfalt aufgenommen hat39 und der die „wichtigste und zuverlässigste Grundlage für alle topographischen Fragen" in Brandenburg darstellt,40 so lassen sich in der Altstadt zwei in gewisser Hinsicht eigenständige Teile erkennen: erstens die Kernsiedlung mit der alten Kirche St. Gotthardt, die nach der Übersiedlung der Prämonstratenser die Pfarrkirche des Marktortes war; zweitens ein offensichtlich jüngerer Teil mit dem Marktplatz. Die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen der letztere entstanden ist und wie weit sich die villa (forensis) ParCDB1/8, S. 346 Nr. 354; CDB1/9, Berlin 1849, S. 120 Nr. 157. ^ F. Curschmann, Die Diözese... (wie Anm. 23), S. 381 f.; Paul Jonas Meier, Die Entstehung und Grundrißbildung der Alt- und Neustadt Brandenburg a. H., in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 20 (1907), S. 125131; ders., Entstehung und Grundrißbildung der Stadt Brandenburg a. H., in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg (künftig JHVB zitiert) 38/40 (1908), S. 1-23; vgl. vor allem auch Eckhard Müller-Mertens, Untersuchungen zur Geschichte der brandenburgischen Städte im Mittelalter (I), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, 5. Jg. (1955/56), S. 191-221, hier S. 199 ff. 37 CDB 1/8, S. 155 Nr. 68. 3 8 W. Schich, Stadtwerdung... (wie Anm. 9), S. 204 Anm. 60; H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 21 f. 3 9 Die beiden Originalexemplare des Plans Intra et extra Moenia der beyden Churund Haupt-Städte Brandenburg befinden sich im Stadtarchiv Brandenburg (Karte 5.0.19) und im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (XI. HA, Karte A 923). 40 Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. XCV. Zur Karte vgl. auch Winfried Bliß, Frühe Karten brandenburgischer Landstädte im Geheimen Staatsarchiv, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte (künftig JBLG zitiert) 41 (1990), S. 216-225, hier S. 219. 35

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duin von 1166 erstreckte. Sicher ist nur, daß St. Gotthardt ihre Pfarrkirche war. Man kann mit Assing annehmen, daß der Marktort bald nach 1166 ausgebaut wurde, weil in der erwähnten Urkunde von 1174/76 erstmals die Bezeichnung civitas Parduin erscheint. 41 Deswegen muß man aber nicht den in zwei bischöflichen Urkunden aus den achtziger Jahren wieder auftauchenden Terminus villa bzw. forensis villa42 als nicht mehr zeitgemäß betrachten und die entsprechenden Passagen auf die Zeit vor 1174/76 beziehen, wie Assing dies tut. 43 Siedlungsausbau und Wechsel in der Terminologie müssen sich hier keineswegs konsequent entsprochen haben. Auch eine zeitweise Unsicherheit ist in dieser Übergangszeit möglich. Im Gegensatz zu den Bischofsstädten im Westen waren in Brandenburg die civitas im alten Sinne, also die Burg mit Bischofssitz, und die Marktsiedlung sowohl räumlich als auch im Namen deutlich getrennt. Wenn auch die Burg seit den sechziger Jahren nach dem neuen Sprachgebrauch überwiegend korrekt als Castrum oder urbs bezeichnet wurde, 44 so war die Tradition von der civitas auf der Insel gerade bei den Bischöfen noch lebendig. 45 Bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts setzte sich dann hier wie andernorts auch der Terminus civitas für das neuartige Siedlungs- und Rechtsgebilde „Stadt"

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H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 21 f. D.h. in einer Urkunde von 1186 und in dem erschlossenen Deperditum von 1187; CDB 1/8, S. 114 Nr. 27, S. 132 f. Nr. 48; KW, Nr. 457, 558; vgl. Anm. 23. 43 H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 22. Für die Urkunde von 1216 hatte bereits H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), S. 785 Anm. 202, eine derartige Möglichkeit erwogen. 44 CDB1/8, S. 104 ff. Nr. 15, 16, 19- Die im Merseburger Vertrag von 1237 genannte urbs Brandenburg bezeichnet selbstverständlich ebenfalls die Burg und nicht die Stadt, wie Ch. Schuchard, Keine Gründungsurkunde... (wie Anm. 10), S. 21, irrtümlich übersetzt. 45 Bei der Beschreibung der Lage des Bischofssitzes wurde seit seiner Gründung die Burg auf der Insel als civitas bezeichnet. Dies gilt auch noch für die Urkunde, mit der Papst Clemens III. 1188 dem Bistum seine Besitzungen bestätigte; CDB 1/8, S. 120 Nr. 31. Das Problem mag auch eine Urkunde Friedrich Barbarossas von 1179 für das benachbarte Bistum Havelberg verdeutlichen. In ihr wird der Begriff civitas einmal in Wiederholung des Wortlautes einer Urkunde Konrads III. von 1150 bzw. ottonischer Vorurkunden (MGH DK III Nr. 241) für den bestehenden Bischofssitz, ein anderes Mal für die in seiner Nachbarschaft geplante bischöfliche „Stadt" gebraucht; MGH DF\ Nr. 780. Vgl. Anm. 144. 42

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der

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endgültig durch.46 Der Ausbau des Marktortes kann die Durchsetzung des Begriffes civitas beschleunigt haben. Ebenso wie die Bezeichnung civitas wechselte, allerdings später, auch der Ortsname in die „Altstadt" (civitas vetus) Brandenburg hinüber.47 Schwerwiegender erscheint folgendes Problem. Die verbreitete Frühdatierung des Ausbaues von Parduin, das heißt, die Datierung in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts, kann mit den bisher publizierten archäologischen Funden aus der Gegend des Marktplatzes nicht bestätigt werden.48 Diese weisen im Gegenteil eher auf die Mitte (oder sogar das Ende) des 13- Jahrhunderts. Günter Mangelsdorf hat deshalb auch geschlossen, daß dieser Teil der Altstadt erst im Zusammenhang mit einer Siedlungskonzentration besiedelt worden ist.49 Darauf wird später zurückzukommen sein. Im Falle der Spätdatierung fällt bei einem Vergleich mit anderen um die Mitte des 13· Jahrhunderts ausgebauten bedeutenden Städten in der Mark jedoch auf, daß diese Stadtanlagen in der Regel großzügiger waren. Die in dieser Zeit entstandenen Teile von Berlin und Frankfurt an der Oder etwa erhielten ein neues Zentrum mit einem rechtwinkligen Straßennetz, einem weiträumigen Marktplatz und einer neuen ^ Zu den Termini civitas und villa in dieser Zeit vgl. etwa Heinz Stoob, Kartographische Möglichkeiten zur Darstellung der Stadtentstehung in Mitteleuropa, besonders zwischen 1450 und 1800 (1962), in: ders., Forschungen zum Städtewesen in Europa, Bd. 1, Köln 1970, S. 15-42, hier S. 22 ff.; Walter Kuhn, Die deutschrechtlichen Städte in Schlesien und Polen in der ersten Hälfte des 13- Jahrhunderts, Marburg 1968, S. 17 f.; Hubert Höing, Die „civitas Wnstorpensis" von 1181. Die Ortsbezeichnungen zwischen Weser und unterer Leine in Urkunden des 12/13-Jahrhunderts, in: Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen (Festschrift Heinz Stoob), hrsg. von Helmut Jäger, Franz Petri u. Heinz Quirin, Τ. 1, Köln-Wien 1984, S. 96-114; Walter Schlesinger, Bischofssitze, Pfalzen und Städte im deutschen Itinerar Friedrich Barbarossas (1975), in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger 1965-1979, hrsg. von Hans Patze u. Fred Schwind (= Vortrage und Forschungen 34), Sigmaringen 1987, S. 347-401, hier S. 374 f. 4 7 So zuerst 1216; vgl. oben mit Anm. 24. Älter wäre lediglich die Umschrift Sigillum Brandenburgensis civitatis auf dem Altstädter Siegel, falls dieses tatsächlich aus der Zeit vor 1196, der ersten Erwähnung der Neustadt, stammen sollte. Das Datum wird aus dem fehlenden Zusatz vetus oder antiqua geschlossen; vgl. die Beilage unten S. 97 ff. 48 Günter Mangelsdorf, Archäologische Untersuchungen am Markt der Altstadt Brandenburg, in: Brandenburger Blätter A (1983), S. 86-92; vgl. auch den Beitrag desselben Verfassers in diesem Band. 4 9 G. Mangelsdorf, Archäologische Untersuchungen... (wie Anm. 48), S. 92.

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Bürgerkirche. 50 In Brandenburg blieb die Gotthardtkirche die einzige Pfarrkirche innerhalb der Stadt.51 Sie bildet sogar für Jahrzehnte das einzige topographische Element, das für die Altstadt in den Quellen genannt wird. Vergleichsweise früh kann auch die Befestigungslinie in ihrer Nachbarschaft wenigstens erschlossen werden. In einer Urkunde von 1209 wird neben der Gotthardtkirche mit dem zugehörigen Hof in der civitas Parduin nämlich eigens das Spitalgelände (fundus secus aquam, in quo situm est hospitale) mit Zubehör aufgeführt. 52 Es gehörte allem Anschein nach nicht mehr zum umwehrten Bereich der Stadt Parduin. 53 Mit der Befestigung wurde das Heiliggeistspital des Domkapitels, das einst mit der Gotthardtkirche und dem dortigen Prämonstratenserstift eine topographische Einheit gebildet hatte, räumlich von der Stadt Parduin abgetrennt, 54 in den zwanziger Jahren des 13- Jahrhunderts beim Dom in der „Burg" ein neues Spital des Domkapitels errichtet und das alte Heiliggeistspital der Stadt überlassen. 55 Wie weit sich die Stadt Parduin um 1200 in der anderen Richtung erstreckte, ist mit den schriftlichen Quellen nicht nachzuweisen und allein auf der Grundlage des Stadtgrundrisses nicht zuverlässig zu rekonstruieren. Eine gewisse Verzögerung im Ausbau von Parduin könnte in der Konkurrenz zwischen dem Markgrafen und dem königlichen Burggrafen eine Erklärung finden. Sie führte nämlich dazu, daß sich die städtische Entwicklung in Brandenburg während der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nicht auf einen Platz konzentrierte. Zusätzlich ist noch auf den Erzbischof von Magdeburg zu verweisen. Dieser versuchte schon 1159, also zwei Jahre nach dem endgültigen Übergang Brandenburgs in deutsche Hand, mit der Gründung des Markt50 Winfried Schich, Das mittelalterliche Berlin (1237-1411), in: Geschichte Berlins, hrsg. von Wolfgang Ribbe, Bd. 1, München 1987, S. 137-248, hier S. 162 ff.; ders., Stadtwerdung... (wie Anm. 9), S. 231 ff·; Ernst Walter Huth, Die Entstehung und Entwicklung der Stadt Frankfurt (Oder) und ihr Kulturbild vom 13· bis zum frühen 17. Jahrhundert auf Grund archäologischer Befunde, Berlin 1975, S. 26, 33· Das Bistum Brandenburg, Τ. 1, bearb. von Gustav Abb u. Gottfried Wentz (= Germania Sacra I, 1, 1), Berlin-Leipzig 1929, S. 168 ff. 52 CDB1/8, S. 126 f. Nr. 40; KW, Nr. 545. 53 Genannt werden, offenbar als jeweils besonderer Komplex, die Gotthardtkirche mit dem Hof in der Stadt Parduin, die Nikolaikirche in Luckenberg und die Marienkirche auf dem Harlungerberg mit Zubehör, das Spitalgelände und der Hof Krakau. 54 Vgl. auch H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), Halbbd. 1, S. 262 ff. 55 Das neue Spital war 1234 fertiggestellt; CDB 1/8, S. 137 ff. Nr. 50, 53, 54, 55, 58.

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ortes Großwusterwitz vor dem Havelübergang Plaue einen Teil des Handelsverkehrs auf der alten West-Ost-Straße im weiteren Brandenburger Raum unter seine Kontrolle zu bringen, hatte damit allerdings keinen Erfolg.56 Die Burg Brandenburg auf der Insel wurde von den Markgrafen beansprucht - auch wenn sie in ihrem nördlichen Teil den Sitz des Bischofs akzeptierten. Als Markgraf Otto mit einer 1179 in seiner Burg (in urbe nostra) Brandenburg ausgestellten Urkunde das Domstift unter seinen Schutz stellte, unterstrich er, daß sich die Kathedralkirche in eben dieser seiner Burg befinde. 57 Zu ihrem baulichen Unterhalt mußten auch die Leute der Kirche, die von sonstigen weltlichen Diensten befreit wurden, einen Beitrag leisten. Nach der Burg nannten sich die Markgrafen; 1197 bezeichneten sie dieselbe als caput Marchie nostre,58 Der Markgraf betrachtete also - ungeachtet des Anteils des Bischofs und auch des Burggrafen - Brandenburg als seine Burg. Von ihr ausgehend, beanspruchte er auch einen Anteil an der städtischen Entwicklung in ihrem Einflußbereich. Auf diesen wendete er ebenfalls den Namen Brandenburg an. Der dem Markgrafen nahestehende Domherr Heinrich von Antwerpen berichtet von der Gründung der Gotthardtkirche im Suburbium von Brandenburg.59 Markgraf Otto begünstigte mit einer 1170, im ersten Jahr seiner Regierung, ausgestellten Urkunde seine Brandenburger Bürger (cives nostri Brandenburgenses), 6 0 und mit der schon genannten Urkunde von 1179

Urkunden und erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung im Mittelalter, hrsg. von Herbert Heibig u. Lorenz Weinrich (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 26), Τ. 1, 2. Aufl., Darmstadt 1975, Nr. 12; vgl. W. Schlesinger, Forum... (wie Anm. 25), S. 278 ff.; Günter Mangelsdorf, Zur Entstehung von Groß Wusterwitz im 12. Jahrhundert, in: Brandenburger Kulturspiegel, Jg. 1975, H. 3, S. 21-28; Winfried Schich, „Zwei Wege von Brandenburg nach Magdeburg" eine Straßenkarte von 1688, in: Gedenkschrift für Reinhold Olesch, hrsg. von Hans Rothe, Roderich Schmidt u. Dieter Stellmacher (= Mitteldeutsche Forschungen 100), Köln-Wien 1990, S. 139-165, hier S. 147 f. 57 CDB1/8, S. 112 f. Nr. 25; KW, Nr. 430. Vgl. Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1961, S. 98 f. Urbs bedeutet hier zweifellos „Burg" und nicht, wie Schultze übersetzt, „Stadt". 58 CDB 1/7, Berlin 1847, S. 469 Nr. 1; KW, Nr. 494; vgl. E. Böhm, Albrecht der Bär... (wie Anm. 17), S. 88 ff.; J. Schultze, Caput... (wie Anm. 32), S. 155-176. 5 9 Wie Anm. 5. 60 CDB 1/9, S. 2 Nr. 1; KW, Nr. 398.

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bestätigte er dem Domkapitel Einkünfte aus dem Zoll Brandenburg (teloneum Brandeburg) - wogegen in der inhaltlich gleichlautenden kaiserlichen Urkunde aus demselben Jahr vom teloneum in Parduin gesprochen wird.61 Parduin war die städtische Siedlung zu Brandenburg, in der auch der „Brandenburger Zoll" erhoben wurde. Die cives Brandenburgenses sind von den bald darauf in den Quellen erscheinenden urbani Brandenburgenses, den Burgmannen auf der Burg, zu unterscheiden. 62 Während für die Burggrafen Maßnahmen zur Förderung der städtischen Entwicklung nur vermutet werden können, sind sie für die Askanier nachzuweisen. Brandenburg gehörte zu denjenigen Handelsplätzen, in denen Albrecht der Bär um 1160 den Bewohnern des von ihm in der Altmark geförderten Stendal Zollfreiheit gewährte. 63 Umgekehrt verlieh sein Sohn Otto mit der genannten Urkunde von 1170 den cives Brandenburgenses in seinem Herrschaftsbereich weitgehende Zollfreiheit.64 In Brandenburg wurde zudem die erste markgräfliche Münzstätte rechts der Elbe eingerichtet. 65 Burg und Handelsplatz Brandenburg galten also als markgräfliche Münz- und Zollstätte. Die Markgrafen versuchten, den Handelsverkehr am Hauptort ihres neuen Territoriums östlich der Elbe unter ihre Kontrolle zu bringen. Es gelang ihnen aber anscheinend nicht, die volle Verfügungsgewalt über die junge städtische Bildung Parduin zu gewinnen, die wahrscheinlich an eine ältere Kaufmannssiedlung anknüpfte und die als königliche Stadt galt. Aus diesem Grunde richteten die Markgrafen ihr Augenmerk bald stärker auf das der Burg gegenüberliegende südliche Ufer der Havel, das bereits zu ihrem Allodialbesitz Zauche gehörte. Hier gründeten 61 CDB1/8, S. 112 f. Nr. 25; MGHDFI Nr. 781. Der Markgraf gebrauchte auch bei der Ausstattung des 1180 gegründeten Klosters Lehnin die Bezeichnung „Brandenburger Zoll" (in theloneo Brandenburgensi}, CDB 1/10, Berlin 1856, S. 183 f. Nr. 5 (zu 1193); KW, Nr. 480. 6 2 Vgl. W. Podehl, Burg... (wie Anm. 4), S. 513 ff. Vgl. auch die Gegenüberstellung der cives und urbani in der Urkunde Erzbischof Wichmanns von Magdeburg von 1174 für Jüterbog: Urkunden und erzählende Quellen... (wie Anm. 56), Nr. 13; W. Schich, Stadtwerdung... (wie Anm. 9), S. 212; ferner den Beitrag von Helmut Assing in diesem Band. 63 KW, Nr. 386; Urkunden und erzählende Quellen... (wie Anm. 56), Nr. 32. 64 CDB 1/9, S. 2 Nr. 1; KW, Nr. 398. 6 5 Wolfgang Fried, Zur Münzprägung Albrechts des Bären in Brandenburg, in: Brandenburger Blätter 4 (1983), S. 56-61.

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der

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sie die Neustadt Brandenburg. Die nova civitas Brandenburg wird erstmals 1196 zusammen mit der Zauche unter den markgräflichen Gütern genannt.66 Es handelt sich um die erste nachweisbare askanische Stadtgründung östlich der Elbe. Das Siegel der Neustadt zeigt anders als das der Altstadt die Figur des Markgrafen im Bild. Die Neustadt war die neue Stadt zu Brandenburg; Parduin wurde ihr gegenüber zur „Altstadt Brandenburg". Deren Siegel zeigt lediglich die Stadtbefestigung mit Stadttor als Abbreviatur des neuen Rechtsund Siedlungsgebildes der „Stadt" und trägt die Umschrift Sigillum Brandenburgensis civitatis. Das Altstädter Siegel wird - allerdings allein wegen des fehlenden Zusatzes „Alt" zum Stadtnamen - auf die Zeit vor II96, der ersten Nennung der Neustadt, datiert.67 Die Situation der Siegel ist in Brandenburg jedoch bei weitem nicht so klar, wie sie bisher dargestellt wurde. Der älteste Abdruck des Siegels, das als das der Altstadt bekannt ist, findet sich nämlich ausgerechnet an einer Urkunde der Neustadt aus dem Jahre 1267.68 Der Teil des Siedlungskomplexes, in dem die Neustadt angelegt wurde, hatte in der Frühzeit deutscher Herrschaft offenbar eine geringere Bedeutung. Die Burg wandte ihm gewissermaßen den Rücken zu. Während Parduin 1166 ante Castrum, lag, befand sich der Abschnitt der Havel zwischen Dominsel und dem zur Zauche gehörenden Gelände im selben Zeitraum retro urbem 6 9 Die hier archäologisch nachgewiesene slawische Besiedlung hat anscheinend keinen Einfluß auf die Gestaltung der Stadtanlage genommen. Ebenso

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CDB III/l, Berlin 1895, S. 2 ff. Nr. 2; KW, Nr. 491. So schon M. W. Heffter, Geschichte... (wie Anm. 1), S. 157.

Vgl. unten die beiliegenden Bemerkungen zur Siegelführung der Altstadt und Neustadt Brandenburg im 13- Jahrhundert. 69 CDB 1/8, S. 116 f. Nr. 29; KW, Nr. 460. Es handelt sich um eine auf das Jahr 1187 datierte Fälschung aus dem 14. Jahrhundert, in der es um die Verfügungsgewalt über die Unterhavel (unterhalb des Mühlendammes) geht und die Teile echter Urkunden des Domkapitels enthält. Vgl. auch Melle Klinkenborg, Die Urkunden des Domkapitels zu Brandenburg über seine Rechte an der Havel, in: Papsttum und Kaisertum. Paul Kehr zum 65. Geburtstag, hrsg. von Albert Brackmann, München 1926, ND Aalen 1973, S. 561-570. Daß der betreffende Passus etwa aus der Zeit um 1187 stammt, bezeugt die Bezeichnung Parduin statt Altstadt. Urbs Brandenburg bedeutet die Burg und nicht, wie Krabbo (KW, Nr. 460) meint, die Stadt Brandenburg. In einer Urkunde von 1378 wird etwa dieselbe Lage, nämlich die von Woltitz, mit ante urbem Brandenburg angegeben; CDB 1/8, S. 322 Nr. 326. Dies berücksichtigt die mit dem Bau des Mühlendammes veränderte Situation. Die Urkunde von 1166: wie Anm. 21.

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wie auf der Burginsel und im westlich gegenüberliegenden Suburbium kam es auch hier zu Umstrukturierungen. Das Grundrißschema der Neustadt erscheint als großzügiges Straßenkreuz. Dies hat zu der Vermutung geführt, daß die Neustadt Brandenburg an einem bestehenden Verkehrskreuz neben einem weiteren Übergang von der Altstadt über die Havel angelegt wurde. Zwei an der Langen Brücke zwischen Alt- und Neustadt gefundene Waffen der slawischen Zeit dienen als Beleg für die Annahme eines alten Havelüberganges auch an dieser Stelle. In den Rekonstruktionen des spätslawischen Brandenburg wird deshalb auch stets das spätere Straßenkreuz eingezeichnet. 70 Unabhängig davon hat Berent Schwineköper in seiner 1980 erschienenen, weit ausholenden Untersuchung über Stauferstädte, Zähringerstädte und andere frühe Stadtanlagen im westlichen Deutschland in der Frage der Beurteilung des berühmten sogenannten „Zähringerkreuzes", das heißt, der gemeinsamen Planung zweier sich kreuzender Marktstraßen wie in Rottweil und Villingen, die Neustadt Brandenburg geradezu als Modellfall dafür herangezogen, daß sich eine städtische Siedlung an einem bereits vorhandenen, auf natürliche Weise entstandenen Wegekreuz bilden konnte, und zwar hier an der Kreuzung der über die Dominsel von Nordosten nach Südwesten verlaufenden Fernstraße mit der von der Altstadt über die Havel nach Südosten führenden Straße. 71

70 J.Herrmann, Magdeburg-Lebus... (wie Anm. 12), S. 93; Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert. Ein Handbuch, Neubearbeitung, hrsg. von Joachim Herrmann (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 14), Berlin 1985, S. 246; K. Grebe, Die Brandenburg..., 1991 (wie Anm. 4), S. 14 f.; Barbara Sasse, Die spätslawische und frühdeutsche Zeit. Der archäologische Befund, in: Das Havelland... (wie Anm. 12), S. 77-175, hier S. 98. 7 1 Berent Schwineköper, Die Problematik von Begriffen wie Stauferstädte, Zähringerstädte und ähnlichen Bezeichnungen, in: Südwestdeutsche Städte im Zeitalter der Staufer, hrsg. von Erich Maschke u. Jürgen Sydow (= Stadt in der Geschichte 6), Sigmaringen 1980, S. 95-172, hier S. 154 f., 169; allgemein zur Frage des Achsenkreuzes in der Stadtanlage vgl. auch Jürgen Treffeisen, Die Legende vom Zähringerkreuz, in: Die Zähringer. Anstoß und Wirkung, hrsg. von Hans Schadek u. Karl Schmid (= Veröffentlichungen zur Zähringer-Ausstellung 2), Sigmaringen 1986, S. 294-296; Ernst Schirmacher, Stadtvorstellungen. Die Gestalt der mittelalterlichen Städte - Erhaltung und planendes Handeln, Zürich-München 1988, S. 113 ff.

Abb. 4 Fernwege in frühdeutscher Zeit. Eintragung von Winfried Schich, in: Dekkersche Karte von Brandenburg, 1816-1821, Bl. 195 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Haus 2 [West], Kart N 1036).

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Die Beschäftigung mit der Geschichte der beiden von Brandenburg - über Plaue oder über Ziesar - nach Magdeburg führenden Fernwege auf der Grundlage einer Straßenkarte von 1688 brachte weitere Einsichten und hat zur Folge, daß hier die Akzente anders gesetzt werden. 72 Es zeigte sich, daß etwa seit der Zeit um 1200 die beiden Wege alternative Verbindungen nach Magdeburg darstellten. Beide umgingen das Seengebiet (mit dem Plauer See), das sich westlich vor Brandenburg erstreckt - der eine auf der Süd-, der andere auf der Nordseite. Der südliche führte von Brandenburg aus zunächst durch die feuchte Havelniederung, dann durch die sandige „Heide" der Neustadt und hatte schließlich (zwischen Rogäsen und Ziesar) das Hindernis des Fiener (bzw. des Fiener Bruchs), eines Sumpfwaldes, zu überwinden, der nördliche mußte (bei Plaue) erneut die Havel überqueren und führte im Bogen um das Bruch. Die Existenz der südlichen, von der Neustadt ausgehenden Straße ist mit dem Bericht über die Schlacht zwischen dem Erzbischof von Magdeburg und dem Markgrafen von Brandenburg für das Jahr 1229 belegt. Die Magdeburger überfielen am Damm (agger) über das Flüßchen Plane die brandenburgischen Truppen, die sich dann auf das Tor der Neustadt zurückzogen.73 Doch der andere, nördliche Weg erscheint etwa um die Mitte des 12. Jahrhunderts als der wichtigere. Dafür spricht zunächst die Führung des Weges von Krakau über die Insel nach Parduin und die Lage Parduins in den sechziger Jahren des 12. Jahrhunderts ante Castrum, dagegen die der Gegend der späteren Neustadt retro urbem, weiterhin die Situation von Plaue, das sich von seinem Namen her als Fährort erweist und wo 1244 im Zusammenhang mit einem Angriff der Magdeburger auf Brandenburg eine Havelbrücke zerstört wurde, und schließlich der Versuch des Erzbischofs von Magdeburg, 1159 einen eigenen Marktort in Großwusterwitz südwestlich von Plaue zu gründen. Man kann dann weiter vermuten, daß die südliche Straße erst im Zusammenhang mit dem Bau der Neustadt angelegt oder zumindest weiter ausgebaut wurde. Sie bildet die Achse der Neustadt, deren Markt stellt eine regelmäßige Erweiterung der Straße dar. Die Neustadt war primär auf die Burg ausgerichtet. Sie wurde gegenüber der Burg auf dem Gelände errichtet, das - als Teil der Zauche - anders als Bran-

72 73

W. Schich, Zwei Wege... (wie Anm. 56). KW, Nr. 598.

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denburg (samt Parduin) zum askanischen Allodialbesitz gehörte. Die beiden Arme des Neustädter Straßenkreuzes waren also keineswegs gleichrangig. 74 Die Straße über den Planedamm, die Steinstraße und den Markt der Neustadt sowie weiter über den Mühlendamm und den Steinweg der Dominsel nach Krakau, also von der Zauche in das eigentliche Havelland, gewann zusätzlich an Bedeutung, seit 1244 bei der erwähnten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den erzbischöflichen und den markgräflichen Truppen die Havelbrücke bei Plaue zerstört worden war; sie blieb es bis 1459- 75 Die Zunahme des Verkehrs durch die Neustadt kann mit zu einer Stagnation in der Entwicklung der Altstadt beigetragen haben. Die Querachse der neuen Stadtanlage hatte in Richtung Altstadt allem Anschein nach anfangs keine oder nur eine geringe Bedeutung, da die Brücke über die Havel fehlte. Man könnte höchstens eine Fähre vermuten. Eine feste Verkehrsverbindung zwischen dem Neuen Tor der Neustadt und dem gleichnamigen Tor der Altstadt über die Lange Brücke entstand offenbar erst einige Zeit später, nachdem etwa in den 1230er Jahren auch die ältere städtische Siedlung ganz in markgräflichen Besitz gelangt war. Schon der Name der beiden Tore zeigt, daß es sich hier um eine jüngere Verbindung handelte. 76 Die ältere führte über die Dominsel. Charakteristisch ist, daß

7 4 Es geht hier um die Rekonstruktion der Hauptverkehrslinien in der frühdeutschen Zeit. Über weitere in spätslawischer Zeit bestehende Furten an der Stelle der späteren Brücken, wie sie von den Archäologen angenommen werden (wie Anm. 70), kann hier nicht befunden werden. Auch J. Herrmann, MagdeburgLebus... (wie Anm. 12), S. 93, gibt dem Weg über Parduin und Plaue in slawischer Zeit eindeutig den Vorrang. Hinsichtlich der Frage nach der Kontinuität im Bereich der Neustadt ist daran zu erinnern, daß der erschließbare Weg von Parduin zur Burg im späteren Grundriß nicht mehr zu erkennen ist. Danach erscheint die „Rückschreibung" auch im Bereich der Neustadt problematisch. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, daß es „Achsenkreuze" mit einem „blinden" Arm auch in anderen neu gegründeten Städten gab; vgl. etwa Wolfgang Heß, Hessische Städtegründungen der Landgrafen von Thüringen (= Beiträge zur hessischen Geschichte 4), Marburg-Witzenhausen 1966, S. 122 (Creuzburg an der Werra). 75 KW, Nr. 693; CDB1/10, Berlin 1856, S. 23 f. Nr. 15; vgl. W. Schich, Zwei Wege... (wie Anm. 56), S. 150 f. 7 6 O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 25; A. Stolzel, Die Entwicklung... (wie Anm. 20), S. 48. Die Existenz der Langen Brücke ist mit der Erwähnung des gemeinsamen Rathauses beider Städte indirekt zu 1348 belegt (wie Anm. 179).

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die Bezeichnung „zwischen beiden Städten" (inter ambas civitates) sich bis zum 14. Jahrhundert auf die Gegend um die Dominsel bezog. 77 Die Neustadt hielt gegenüber Parduin zunächst Abstand vom Havelufer. Wichtiger dürfte dagegen von Anfang an die Straße in östlicher Richtung gewesen sein. Sie führte durch das später so genannte Schmertzker oder Lehniner Tor über den Smerdamm (1345) und weiter über Netzen zum Zisterzienserkloster Lehnin sowie über Schmertzke vermutlich nach Beizig.78 Die Zisterze Lehnin hatte Markgraf Otto I. 1180 - ebenfalls in seinem Allodialbesitz Zauche - gestiftet, und zwar als neues Hauskloster, das heißt als Grablege und Memorialstätte sowie als ländliches Kultur- und Wirtschaftszentrum in einer für Niederlassungen dieses Reformordens charakteristischen Lage am Rande des altbesiedelten Landes.79 Gleichzeitig kann die Gründung der Festigung des Glaubens bei den neubekehrten Slawen und - zusammen mit der Ansiedlung von deutschen Klosterbauern - der Sicherung des Gebietes gegen noch heidnische Slawen in der Nachbarschaft gedient haben, und schließlich mag sie auch gegen die territorialen Ansprüche der Grafen von Beizig gerichtet gewesen sein, die zugleich Burggrafen von Brandenburg waren. 80 1184 wurde der Stifter als erster seines Geschlechtes in Lehnin begraben. 81 Zwischen der Gründung der 77

CDB1/9, S. 17 Nr. 24 (1320 der Fischmarkt vor dem Neustädter Mühlentor tusghen beiden Steiden up deme steinwege), S. 21 Nr. 29 (1323 Mühle auf dem Damm inter ambas civitates). 78 Johannes Mündt, Die Heer- und Handelsstraßen der Mark Brandenburg vom Zeitalter der ostdeutschen Kolonisation bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin 1932 (Phil. Diss. Berlin), S. 90 f.; zum Smer tarn anteportam Leninensem: CDB 1/9, S. 39 Nr. 61. 79 KW, Nr. 436; vgl. Georg Sello, Lehnin. Beiträge zur Geschichte von Kloster und Amt, Berlin 1881, S. 1 ff.; Wolfgang Ribbe, Zur Ordenspolitik der Askanier. Zisterzienser und Landesherrschaft im Elbe-Oder-Raum, in: Zisterzienser-Studien I (= Studien zur europäischen Geschichte 11), Berlin 1975, S. 77-96. Zur Situation der Besiedlung: Wolfgang H. Fritze/Winfried Schich, Vorkoloniale und hochmittelalterliche Besiedlung der Zauche und des Hohen Teltow (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Abt. IV, Lief. 56), Berlin 1977; Günter Mangelsdorf, Mittelalterliche Wüstungen zwischen Havel und Flämingnordrand, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 17 (1983), S. 231-260. 80 Helmut Assing, Neue Überlegungen zur ursprünglichen Funktion des Klosters Lehnin, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 10 (1986), S. 99-119, hier S. 116 ff. 81 KW, Nr. 454.

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neuen markgräflichen Stadt und der des Hausklosters bestand offensichtlich nicht nur zeitlich, sondern auch kausal ein Zusammenhang. Beide Elemente, die zentrale städtische Siedlung und das ländliche Zisterzienserkloster, waren wesentliche Bestandteile eines in dieser Zeit nach westlichen Vorstellungen ausgebauten Landes östlich der Elbe. Eine Parallele bietet in der Nachbarschaft das magdeburgische Land Jüterbog, in dem in den siebziger Jahren Erzbischof Wichmann das Kloster Zinna und, in etwa fünf Kilometern Entfernung, als Hauptort die Stadt Jüterbog gründete. 82 Wir wenden uns wieder dem Grundriß der Neustadt zu. Sicher ist, daß der ursprünglich weiträumige Marktplatz zusammen mit der anschließenden Steinstraße die Hauptachse und - zusammen mit der diagonal versetzt errichteten Pfarrkirche - den Kern der ersten Stadtanlage bildete. Ihre anfängliche Begrenzung ist bisher nicht klar zu erkennen. 8 3 Eine jüngere Erweiterung in Richtung Ost-Südost zeichnet sich im Stadtgrundriß allerdings deutlich ab. Außerhalb blieb zunächst wohl auch das Gelände des Dorfes Stütz oder Stützdorf, das vielleicht - vergleichbar mit der Entstehung der Kietze - durch Umlegung der im Bereich der Neustadt archäologisch nachgewiesenen slawischen Siedlung entstanden ist und dessen Name später auf volksetymologischem Wege in Deutsches Dorf umgewandelt wurde. 8 4 Ebenfalls außerhalb blieben die sogenannte Heide und das Gelände Temnitz. 85 In dieser Gegend richteten im 13- Jahrhundert die

8 2 Vgl. den Bericht über das Wirken Wichmanns in einem Zusatz zu den Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium (ed. Wilhelm Schum, in: MGH SS 14, 1883, S. 417): Anno regiminis sui 19-fundamenta cuiusdam opidiprope claustrum Czennense posuit, cui civitatis iura debit, nomen Iuterbock ei imponens, que bodie in ista parte terre metropolis habetur.; dazu Willy Hoppe, Erzbischof Wichmann von Magdeburg (1908/09), in: ders., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Herbert Ludat, Köln-Graz 1965, S. 1-152, hier S. 29 ff.; Dietrich Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert (= Mitteldeutsche Forschungen 67), T. 2, Köln-Wien 1975, S. 109 ff. 8 3 Vgl. auch Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. CVI f., 144 ff.; Eduard Jobst Siedler, Märkischer Städtebau im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Entstehung, Planung und baulichen Entwicklung der märkischen Städte, Berlin 1914, S. 102. 8 4 R. E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche. .. (wie Anm. 16), S. 53 f· Die Siedlung dürfte sich anfangs auf die beiderseits bebaute Gasse nahe der St. Annen-Straße beschränkt haben. 85 Der Geländename Temnitz hängt zweifellos nicht mit slawisch temnica (= Gefängnis) zusammen, das auch in verschiedenen Teilen des östlichen Deutsch-

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Markgrafen einen Hof ein, den sie dann am Ende des Jahrhunderts für die Anlage des Dominikanerklosters zur Verfügung stellten.86 In der Höhe bzw. etwa in der Verlängerung der Heidestraße (in Richtung St. Annen-Straße) sind im Grabungsbefund möglicherweise erste Spuren ermittelt worden, die auf eine frühere Befestigung hinweisen. 87 Auch die Wollenwebergasse wurde dem Stadtgrundriß zufolge erst später angelegt. Sicherheit können in dieser Frage freilich nur weitere archäologische Untersuchungen bringen. Wenn auch die Neustadt zunächst bei weitem nicht die spätere Ausdehnung hatte, so handelte es sich doch bereits um eine vergleichsweise planmäßige und großzügige Anlage einer Handels- und Gewerbestadt mit einem weiträumigen Marktplatz und breiten zu ihm führenden Straßen, die ein Kreuz bildeten und die bei Bedarf ebenfalls für den Marktbetrieb genutzt werden konnten. Der Markt und die Hauptstraßen im Bereich der Pfarrkirche wurden erst später durch Überbauung von Marktbuden, der Markt zusätzlich durch den Bau des Rathauses eingeengt. Durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges wurden diese Bauten zum größten Teil wieder beseitigt. Die Neustadt war 1229 bereits befestigt - vermutlich zunächst mit Wällen, Palisaden und Gräben 8 8 Die Pfarrkirche ist schon für das Jahr 1216 indirekt bezeugt. 89 Während sich die Altstädter Pfarrkirche St. Gotthardt im Besitz des Domkapitels befand, besaßen den Patrolands zeitweise als Lehnwort Verbreitung fand; vgl. Hans Holm Bielfeldt, Die Wege der Verbreitung slawischer Wörter im Deutschen

nach ihrer Entstehung,

sprache. Zeitschrift für Pflege und Erforschung

der deutschen

in: Mutter-

Sprache!!

(1967),

S. 80-95, hier S. 86 f. Es dürfte sich vielmehr um einen slawischen Flur- oder Gewässernamen mit dem Bestandteil temny (= dunkel) handeln. Den Namen Temnitz führte nämlich einst auch der weit südlich außerhalb der Stadt gelegene Sandfurtgraben; O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 117. 86

KW, Nr. 1399; Eberhard Böhm, Teltow und Barnim. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte und Landesgliederung brandenburgischer Landschaften im Mittelalter (= Mitteldeutsche Forschungen 83), Köln-Wien 1978, S. 259 f. 87 Günther Tillack, Ur- und frühgeschichtliche Funde aus der Neustadt Brandenburg, in: Brandenburger Blätter 4 (1983), S. 79-85, hier S. 82 u. S. 85 Anm. 18, und briefliche Mitteilung des Autors. Nach Auskunft von Günter Mangelsdorf fehlt eine Dokumentation des Befundes. 88 KW, Nr. 598. 89 CDB1/8, S. 136 Nr. 48 Anm. Zur Kirche vgl. Das Bistum Brandenburg... (wie Anm. 51), S. 174 ff.; Siegfried Schultz/Karl Boelke, Beiträge zur Geschichte der St. Katharinenkirche und -gemeinde zu Brandenburg a.d.H., Brandenburg 1901.

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nat über die Neustädter Pfarrkirche anfangs die Markgrafen, bevor sie ihn 1305 ebenfalls dem Domkapitel überließen. 90 Bei dieser Gelegenheit werden die Patrozinien, St. Katharinen und St. Amalberga, erstmals erwähnt. 91 Bei der Verehrung der hl. Amalberga, die besonders in Flandern (Gent) verbreitet war, 92 kann man an den Einfluß flandrischer Siedler denken. 9 3 Da die Neustadt eine unbestritten markgräfliche Stadtgründung war und auch die Mühlen zwischen ihr und der Dominsel sowie zwischen der Dominsel und Krakau ebenso wie die Kietze gegenüber der Neustadt sich bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts in markgräflichem Besitz befanden, 94 darf man schließen, daß auch die Anlage der von der Neustadt über die Dominsel und zwei Dämme führenden Verkehrsstraße unter markgräflicher Leitung erfolgte. Von der Neustadt aus wurde eine feste Verkehrsverbindung über die Dominsel nach dem alten Brückenkopf Krakau geschaffen, den auch die auf der anderen Seite der Havel geführte Straße von Parduin her erreichte. Von dort aus ging der Verkehr weiter durch das eigentliche Havelland in Richtung Spandau - Berlin bzw. Nauen - Kremmen. 95 Zwischen Dominsel und Krakau konnte man vermutlich an das ältere, slawenzeitliche Bauwerk anknüpfen. Zwischen der neuen Straße von Parduin nach Krakau und der von der Neustadt ausgehenden bestand allerdings ein bemerkenswerter Unterschied. Die Markgrafen bedienten sich eines zusätzlichen modernen Mittels zur wirtschaftlichen Förderung ihres Teiles von Brandenburg, nämlich der Anlage von Mühlen. Umgekehrt spielte das agrarische Element allem Anschein nach kaum eine Rolle, denn die Neustadt besaß anders als Parduin zunächst keine ackerbaulich nutzbare Gemarkung. 96 Die Brüche in der näheren Umgebung waren für den Ackerbau nicht geeignet. Die Neustadt wurde also offen-

CDB1/8, S. 201 Nr. 144, 145; KW, Nr. 1948, 1951. Vgl. auch Das Bistum Brandenburg... (wie Anm. 51), S. 175 f. 9 2 Alfons Maria Zimmermann, Amalberga, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, 2. Aufl., Freiburg 1957, ND 1986, Sp. 414. 9 3 So schon O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 50. 94 CDB 1/9, S. 8 f. Nr. 12, S. 21 Nr. 29, S. 25 Nr. 34, S. 26 Nr. 36; KW, Nr. 2057. 9 5 J. Mündt, Die Heer- und Handelsstraßen... (wie Anm. 78), S. 87 ff.; Friedrich Bruns/Hugo Weczerka, Hansische Handelsstraßen, Textbd., Weimar 1967, S. 224 f. 9 6 O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 40. 90

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bar als reine Handels- und Gewerbestadt gegründet. Und dazu gehörten allem Anschein nach auch die Mühlen. Veränderungen in der Führung von Wasserläufen und Bauten von Staudämmen waren in Norddeutschland vielfach ein Bestandteil neuer Stadtanlagen. Dies gilt etwa für den Braunschweiger Hagen, für die Hildesheimer Dammstadt, für Haldensleben und Lippstadt.97 Diese Wasserbaumaßnahmen, an denen auch Niederländer beteiligt waren, dienten vor allem der Bewässerung der Stadtgräben und dem Mühlenstau. Daß der Mühlenbetrieb im wirtschaftlichen Leben vieler Städte, die im hohen Mittelalter entstanden, von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt hat, ist von der dänischen Stadtgeschichtsforschung besonders hervorgehoben worden. 98 Für den Bereich der späteren Mark Brandenburg sei auf die pommersche Gründung von Prenzlau 1234/35 hingewiesen. Herzog Barnim erkannte in seiner Urkunde, mit der er auch das Magdeburger Recht übertrug, ausdrücklich an, daß die Bürger ohne Mühlen nicht auskommen könnten. 99 Der etwa zehn Jahre früher im Herrschaftsbereich des Herzogs von Schlesien gegründete deutschrechtliche Marktort Frankfurt war

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Heinz Stoob, Haldensleben, Burg und Stadt, bis zum späteren Mittelalter, in: Festschrift für Berent Schwineköper, hrsg. von Helmut Maurer u. Hans Patze, Sigmaringen 1982, S. 219-236, hier S. 225 f.; Manfred R. W. Garzmann, Stadtherr und Gemeinde in Braunschweig im 13- und 14. Jahrhundert (= Braunschweiger Werkstücke 53), Braunschweig 1976, S. 45; Hartmut Rotting, Archäologische Befunde zu prae-historischen Siedlungsformen Braunschweigs vor Heinrich dem Löwen, in: Brunswiek 1031 - Braunschweig 1981. Die Stadt Heinrichs des Löwen von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von Gerd Spies u. Matthias Puhle, Braunschweig 1981, S. 695-723, hier S. 696; ders., in: Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland, hrsg. von Cord Meckseper, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, S. 57-59; Martin Eckoldt, Die Mühle als integrierender Bestandteil unserer Städte, in: Geschichte der Wasserkraftnutzung, hrsg. von Martin Eckoldt, Ulrich Löber u. Frank Tönsmann (= Veröffentlichungen des Landesmuseums Koblenz, Reihe B, 13), Koblenz 1985, S. 61-66; zu den Städten im Havelland vgl. auch W. Schich, Die Entstehung des Städtewesens... (wie Anm. 12), S. 378 f. 98 Egon Thun, Die Wassermühlen, ein ökonomischer Entwicklungsfaktor der mittelalterlichen Städte Schonens, in: Meddelanden frän Lunds Universitets Historiska Museum, Jg. 1962/63, S. 224-237; Per Kristian Madsen, Melledrift og kongelige rettigheder i den tidlige middelalders Odense, in: Fynske Arbßger, Jg. 1986, S. 54-68 (mit weiterer Literatur). 99 Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1, 2. Aufl., bearb. von Klaus Conrad (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern II, 1), Köln-Wien 1970, Nr. 308a; Urkunden und erzählende Quellen... (wie Anm. 56), Nr. 87.

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mit zwei Mühlen in der Klinge, einem Nebental der Oder, verbunden. 100 Die Zahl der Beispiele kann leicht erhöht werden. In Brandenburg wurde mit den Dammbauten beiderseits der Dominsel die Havel gestaut, so daß ihre Wasserkraft für den Mühlenbetrieb genutzt werden konnte. Ein derartiger Betrieb blieb freilich nicht ohne Nachteile. Der Bau des Mühlendammes erleichterte zwar den Landverkehr, schuf aber ein Hindernis für die Schiffahrt. Ein Anlege- und Stapelplatz entstand dicht oberhalb des Mühlendammes am Rande der Neustadt.101 Die durchgehende Schiffahrt von der Ober- zur Unterhavel mußte in einem Bogen um die Neustadt herumgeführt werden. Wann genau diese Anlagen errichtet wurden, wissen wir nicht. Der Mühlendamm ist sicher im 13- Jahrhundert und später im Zusammenhang mit der Entwicklung der Mühlentechnik weiter ausgebaut worden. Eine erste urkundliche Erwähnung einer sogenannten „Flutrinne" (vlotrenne) in Brandenburg, die gemeinhin als Schleusengraben für die Schiffahrt verstanden wird, stammt aus dem Jahre 1315. 102 Als Parallele bietet sich Spandau an, wo schon für 1232 die Anlage einer Flutrinne (canale fluvium, quod est vulgari nomine Fluttrenne) bezeugt ist, die offensichtlich ebenfalls mit dem Mühlenstau zusammenhing. 103 Wenn auch auf der Grundlage der technikgeschichtli1 0 0 Friedrich Schilling, Ursprung und Frühzeit des Deutschtums in Schlesien und im Land Lebus (= Ostdeutsche Forschungen 4/5), Leipzig 1938, S. 405 ff. 101 Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. CVIII f.; O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 158. 102 CDB1/9, S. 12 f. Nr. 17; KW, Nr. 2440. 103 CDB 1/U, Berlin 1856, S. 1 Nr. 1; KW, Nr. 607; dazu Wolfgang H. Fritze, Die Spandauer Stadtrechtsurkunden von 1232 und 1240 und die Anfänge Berlins, in: JBLG 38 (1987), S. 7-35; Winfried Schich, Die Entstehung der mittelalterlichen Stadt Spandau, in: Slawenburg, Landesfestung, Industriezentrum. Untersuchungen zur Geschichte von Stadt und Bezirk Spandau, hrsg. von Wolfgang Ribbe, Berlin 1983, S. 55-95, hier S. 56 ff.; Wolfgang Ribbe, Spandau (= Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke 6), Berlin 1991, S. 46 ff.; Martin Eckoldt, Die Entwicklung der Kammerschleuse, in: Die Wasserwirtschaft 40 (1949/50), S. 255-260 und S. 290-295, hier S. 259. Neuerdings wird von technikhistorischer Seite die Spandauer Flutrinne nicht mehr wie früher als Schiffsgraben, sondern als „Wasserlauf, der eine Mühle speist", erklärt - obwohl die Markgrafen die Bürger auf ihr vom Zoll (teloneuni) befreiten; so Hans Joachim Rieseberg, Mühlenstandorte der Spandauer Altstadt, in: Heinrich Herzberg, Mühlen und Müller in Berlin, Berlin 1987, S. 232-258, hier S. 233. Vgl. auch Thomas Biller, Die Entstehung der Stadt Spandau im hohen Mittelalter, Berlin 1980, S. 11 ff.

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chen Literatur nicht eindeutig zu entscheiden ist, ob es sich bei einer bestimmten Flutrinne (oder „Flut") um einen Graben zur Speisung der Mühle, um einen Umflutgraben zur Regulierung des Mühlenstaues oder (zugleich mit letzterem) um einen Schiffsgraben handelte, 104 so hat die Brandenburger Flutrinne jedenfalls auch der Schiffahrt gedient; 1420 konnte man nämlich „durch die Flutrinne fahren". 105 Um die Neustadt führen zwei Wassergräben, die für die Schiffahrt in Frage kommen: einerseits in einem weiten Bogen der Flutgraben oder Jakobsgraben und andererseits in einem engen Bogen unmittelbar vor der Stadtmauer die sogenannte Schiffahrt mit einer Schleuse vor dem Steintor.106 Eine Kesselschleuse vor dem Steintor wurde auf Geheiß Kurfürst Joachims II. in der Mitte des 16. Jahrhunderts (ab 1548) errichtet. 107 Die ältere Brandenburger „Flutrinne" wird allgemein in dem Umflutgraben lokalisiert, von dem die Flutstraße in der Nähe des heutigen Hauptbahnhofs ihren Namen erhalten hat. 108 Der Brandenburger Schiffsgraben gehörte danach zu dem Typ „kanalartiger Flußarme", die den Mühlenstau in möglichst großem Bogen umgingen, um das Gefälle zu ermäßigen und den Wasserverlust für die Mühlen zu verringern. 109 An der Brücke, über die die von Ziesar kommende Hauptverkehrsstraße den Graben überquerte, folglich an einem Verkehrsknotenpunkt, wurde vor 1349 die Jakobskapelle mit einem Spital errichtet; 110 die Jakobskapelle steht, leicht verschoben, noch heute an der Brücke über den Jakobsgraben. 111

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H. J. Rieseberg, Mühlenstandorte... (wie Anm. 103), S. 233; H. Herzberg, Müh-

len... (wie Anm. 103), S. 85; vgl. auch Werner Peschke, Das Mühlenwesen der Mark Brandenburg. Von den Anfängen der Mark bis um 1600, Phil. Diss., Berlin 1937, S. 8 f. 105

CDB1/9, S. 103 und S. 105 Nr. 151.

E. Klehmet, Beiträge zur Geschichte der märkischen Wasserstraßen bis zum Jahre 1600, in: Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 3 (1908), S. 177-181 106

(Nr. 35) und S. 190-195 (Nr. 37), bes. S. 192. 107 A.a.O., S. 193 f. 1549 wird die „neue Schiffschleuse" der Neustadt genannt 0CDB Suppl.bd., Berlin 1865, S. 506 Nr. 107). 108

Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. CXIII; O. Tschirch, Geschichte... (wie

Anm. 1), I, S. 27.

M. Eckoldt, Die Mühle... (wie Anm. 97), S. 63. In einer Urkunde von 1349 wird die capella sanctijacobi apostoli extra muros dicte civitatis Brandenburg apud infirmos (CDB 1/9, S. 44 Nr. 70), 1375 das hospitale 109 110

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Mit dem Bau der neuen Schleuse im Stadtgraben verlor der alte Graben seine bisherige Funktion für die Schiffahrt. Dies zeigen deutlich die Urkunden Joachims II. über die neue Schleuse für die Neustadt und die Altstadt von 1550 und 1551.112 Allerdings hat es Baumaßnahmen zur Regulierung der Schiffahrt vor der Neustadt auch schon etwa hundert Jahre früher gegeben. Für 1455 ist nämlich der Bau von ßud oder arche (= Schleuse) und schepfard (= Schiffahrt) vor der Neustadt und der Bau von Häusern zwischen beiden Städten belegt,113 und dies kann sich in dieser Zeit nur auf den Bereich des Neustädter Stadtgrabens und die Gegend der späteren Vorstadt „Venedig" beziehen. Hier war wegen der an einem Nebengraben neu errichteten Walk- und Lohmühle eine Neuregulierung der Wasserzufuhr erforderlich.114 Die Nachricht von 1315 über Baumaßnahmen an der Flutrinne könnte schließlich mit der Befestigung der erweiterten Stadtanlage der Neustadt zu Beginn des 14. Jahrhunderts,115 näherhin mit der Wasserregulierung einerseits für den Umflutgraben und andererseits für den neuen Stadtgraben zusammenhängen. Der Markgraf erlaubte nämlich den Bürgern der Neustadt, daß sie die Flutrinne in ihrem Stadtgraben bauten, unterhielten und reparierten (ut sepedicti burgenses edificent, teneant et reparent locum in fossato eiusdem civitatis edificatum, qui theutonice vlotrenne nuncupatur). Die eigentliche Flutrinne muß danach vielleicht im ersten Teil des Umflutgrabens nahe dem Mühlenstau und im Bereich der Abzweigung des Stadtgrabens, etwa vor der „Brausebrücke", dem Übergang der Lehniner

sancti Jacobi prope Brand, genannt (Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375, hrsg. von Johannes Schultze [= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin VIII, 2], Berlin 1940, S. 220). Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. CXIV. Im Copiar der Neustadt und in dem der Altstadt (Stadtarchiv Brandenburg: 9/3, S. 159; 9/1, fol. 78); vgl. auch O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), II, S. 59 f. 113 CDB1/9, S. 186 Nr. 242: ... ein archen und scbiffart vor unnser newen stat Brandenburg zu bauwen, Georg Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen, in: Märkische Forschungen 18 (1884), S. 1-108, hier S. 70 Nr. 32: ... umme die flud unde schepfard to buwende unde die hussere to buwende tuschen beide Steden Brandeborch. P. Eichholz, in: Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. CXIII, schließt daraus, der Stadtgraben sei 1455 zur Schiffahrt ausgebaut worden. 114 Siehe auch unten mit Anm. 186. 115 Vgl. Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. 146 f. 111

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Straße, gesucht werden. Die ältere Situation der Wasserläufe in Brandenburg verlangt ebenso wie die der Brücken, Dämme und Mühlen eine eingehendere Untersuchung. Die ursprüngliche Anlage der Neustadt wurde vor allem entlang der Hauptstraßen erweitert. Dies geschah möglicherweise sogar in zwei Etappen. Eine erste Erweiterung in südöstlicher Richtung (also in Richtung Lehnin) könnte mit der Errichtung des markgräflichen Hofes zusammenhängen, den Markgraf Otto V. laut Bauinschrift 1286 den Dominikanern zum Bau ihres Klosters, namentlich der Kirche, zur Verfügung stellte.116 Der markgräfliche Hof nahm vermutlich nur den westlichen Teil des späteren, ausgedehnten Komplexes der Dominikaner ein. 1311 soll nämlich der Rat den Predigerbrüdern zusätzlich ein Gelände zum Bau weiterer Klostergebäude überlassen haben. 117 Die Errichtung des markgräflichen Hofes fiel möglicherweise in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, als sich die Markgrafen von der Burg zurückzogen und diese dem Brandenburger Bischof überließen. Im Vertrag zur Beendigung des Zehntstreites traten 1237 die Markgrafen dem Bischof jedenfalls die Burgkapelle St. Petri ab. 118 Die Neustadt war, wie erwähnt, bereits 1229 hinreichend befestigt. Bei ihrer (ersten) Erweiterung dürfte auch die Siedlung Stütz einbezogen worden sein. Die in östlicher Richtung vergrößerte Anlage des Dominikanerklosters wurde dann am Anfang des 14. Jahrhunderts in die endgültige Befestigungslinie der Neustadt einbezogen, mit der die oben erwähnte Neuregelung der Wasserführung zusammenhing. Stadterweiterung und Bau einer Bettelordensniederlassung fielen in dieser Zeit häufig zusammen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts führten die Markgrafen ihr Fürstentum auf die Neustadt zurück, von der, wie es in einer Urkunde

Wie Anm. 86; vgl. auch Das Bistum Brandenburg... (wie Anm. 51), S. 394 f., und den Beitrag von Hans-Joachim Schmidt in diesem Band. 117 So laut Bauinschrift, in der auch die Schenkung des Grundstückes durch Markgraf Otto erwähnt wird. Vgl. Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. 96 ff. mit Plan nach S. 146. 118 CDB1/8, S. 152 Nr. 67; KW, Nr. 645; Ch. Schuchard, Keine Gründungsurkunde... (wie Anm. 10), S. 9, 13. Nach den Ausführungen von Helmut Assing in diesem Band könnte man die Anfänge dieses Vorganges schon recht früh ansetzen. Die 1254 und 1255, u.a. vom Papst, eingeholten Bestätigungen der Übertragung der Kapelle lassen andererseits vermuten, daß die Markgrafen bis zu dieser Zeit die Burg noch nicht vollständig aufgegeben hatten; CDB 1/8, S. 162 f. Nr. 84-87; KW, Nr. 776.

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Markgraf Johanns V. von 1315 heißt, „ihre Herrschaft ihren Ursprung herleitete wie die Bächlein von der Quelle". 119 Die Stadt trat also gewissermaßen als askanischer Herrschaftsmittelpunkt der „Mark Brandenburg" die Nachfolge der Burg an, die 1197 als caput Marchie bezeichnet worden war. Die Neustadt war ihr gegenüber als (markgräfliches) Wirtschaftszentrum gegründet worden und hatte mit dem Ausbau während des 13- Jahrhunderts auch deren Befestigungsfunktion übernommen. Wir wenden uns wieder dem Stadtgrundriß zu. Am Westrand der erweiterten Stadt wurde die Wollenwebergasse angelegt. Bei Stadterweiterungen wurden auch andernorts im 13· Jahrhundert Wollweber angesiedelt. 120 In die erweiterte Neustadt zogen auf jeden Fall Bauern aus der Umgebung. Die Viehhaltung ist hier schon früh, zum Jahre 1315, nachgewiesen. 121 Die heutige Kurstraße hieß früher Kuhstraße (1353 platea vaccarum).122 In den Besitz einer größeren landwirtschaftlichen Nutzfläche, vor allem von Äckern, gelangte die Neustadt aber erst seit dem Ende des 13. Jahrhunderts mit dem Erwerb und der Auflassung von Siedlungen in der Umgebung, und zwar sowohl südlich im Anschluß an das alte Stadtgebiet (Planow) 123 als auch jenseits der Dominsel nördlich der Havel (Steinau und Krakau). 124 Das Steinauer Mühlenfeld wurde zum Hauptackerfeld der Stadt, der Hof Krakau fiel an das vor 1298 errichtete Heiliggeistspital der Neustadt.125 Planow, Steinau und Krakau wurden aufgelassen. Die Stadterweiterung und der Mauerbau in der zweiten Hälfte des

CDB1/9, S. 12 Nr. 17; KW, Nr. 2440; vgl. Anm. 154. Vgl. ζ. B. W. Schich, Das mittelalterliche Berlin... (wie Anm. 50), S. 224 f.; Heinz Stoob, Fritzlars Stadtgrundriß im Spiegel seiner mittelalterlichen Geschichte, in: Fritzlar im Mittelalter. Festschrift zur 1250-Jahifeier, Fritzlar 1974, S. 302-320, hier S. 318 Anm. 63 und Kt. im Anhang. 121 CDB 1/9, S. 12 Nr. 17; KW, Nr. 2440. 1 2 2 G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 113), S. 17 und S. 53 Nr. 201. 123 CDB 1/8, S. 188 Nr. 128; KW, Nr. 1685. 124 CDB 1/9, S. 14 Nr. 19, S. 93 Nr. 141; KW, Nr. 1710, 2681. 1 2 5 Vgl. O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 47 f. und Plan nach S. 114; G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 113), S. 21 f.; R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 148 f., 213; ders., Die Ortsnamen der Zauche... (wie Anm. 16), S. 97; Günter Mangelsdorf, Die Ortswüstungen des Havellandes, Hist.-phil. Diss., PH Potsdam 1974, Т. II, S. 102 f., 166 ff.; ders., 119

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13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts gingen also mit einer Siedlungskonzentration einher. 126 Das gleiche, wenn auch vielleicht in etwas geringerem Ausmaß, gilt für die Altstadt. In den dreißiger Jahren des 13- Jahrhunderts haben allem Anschein nach die Markgrafen die Burggrafen aus Brandenburg verdrängt. 127 Jedenfalls verschwand in dieser Zeit das nach dem Statutum in favorem principum - nicht mehr zeitgemäße Amt aus Brandenburg. Die Markgrafen leiteten kurz darauf, in den vierziger Jahren, Maßnahmen zur Förderung der in ihrer Entwicklung stagnierenden Altstadt ein. Dazu gehörte nicht nur die Siedlungskonzentration, sondern auch hier wurde in die endgültige Stadtanlage die Niederlassung eines Bettelordens, nämlich die der Franziskaner, einbezogen. Diese ließen sich etwa zu Beginn der vierziger Jahre in Brandenburg nieder. 128 Geht man davon aus, daß sich ihre Niederlassung von Anfang an an der Stelle der St. Johanniskirche befand, 129 so haben wir nach der Gotthardtkirche einen zweiten Fixpunkt für die Ausdehnung der Altstadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Kirche und die zugehörigen Gebäude erhielten ihren Platz außerhalb des von Natur her siedlungsgünstigen Bereichs in einem künstlich aufgeschütteten, vorher feuchten Gelände unmittelbar an der Südostecke der Stadtmauer. Man möchte annehmen, daß der Teil der Altstadt mit dem Markt bereits bestand und nur der Streifen mit der Fischer- und Klosterstraße oder auch noch der Bäckerstraße angefügt wurde, doch der bisherige archäologische Befund spricht gegen die frühe Entstehung des Marktteiles.130 Sollte er durch Neue slawische Fundplätze des 6J7. bis 12. Jh. aus dem Stadt- und Landkreis Brandenburg, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 21 (1987), S. 243-261, hier S. 244 (Planow). 126 A.a.O., S. 255; vgl. Eberhard Böhm, Zum Stand der Wüstungsforschung in Brandenburg zwischen Elbe und Oder, in: JGMOD18 (1969), S. 289-318, hier S. 300; W. Schich, Die Entstehung... (wie Anm. 12), S. 379 f.; Felix Escher/Wolfgang Ribbe, Städtische Siedlungen im Mittelalter (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Nachträge 3), Berlin-New York 1980, S. 12, 22 f. 127 w Podehl, Burg... (wie Anm. 4), S. 508 f.; Johannes Schultze, Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer Städte (I960), in: ders., Forschungen... (wie Anm. 32), S. 137-154, hier S. 143. 128 кур N f Bistum Brandenburg... (wie Anm. 51), S. 364 f., und Vgi Das den Beitrag von Hans-Joachim Schmidt in diesem Band. 1 2 9 Vgl. Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. 34 ff. 130 vgl. oben mit Anm. 48 und 49. Baubefunde an einem Haus an der Ecke Ritterund Fischerstraße sind als mögliche Reste einer früheren Stadtbefestigung gedeutet

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weitere Untersuchungen bestätigt werden, so würde die Vermutung von Günter Mangelsdorf über die Entstehung dieses Teiles der Stadt im Zusammenhang mit der Siedlungskonzentration im 13- Jahrhundert erhärtet. Die erweiterte Stadtanlage ließ allem Anschein nach zunächst noch Flächen frei, die erst später von Bauern aus der Umgebung besetzt wurden. 1249 übergab Markgraf Johann der Altstadt die beiden villae Lukkenberg und Blosendorp, deren Bewohner künftig die Rechte der Stadt genießen sollten. 131 Vermutlich war bereits zu dieser Zeit die Umsiedlung von Bauern in die Stadt geplant. Doch die Einbeziehung von Luckenberg bereitete offenbar Schwierigkeiten. 1295 überwiesen nämlich die Markgrafen Otto und Konrad auf die dringenden Bitten der Bürger erneut villam seu locum Luckenberge

cum, omnibus suis attinentiis, agris, pratis, pascuis, viis et inviis der Altstadt Brandenburg nach „Stadtrecht" (tali jure, quod Stadt-Recht dicitur in vulgari), und zwar mit der Maßgabe, daß die Äcker künftig nur von der Stadt aus bestellt werden sollten. 132 Wenige Tage zuvor hatten die Markgrafen den Bürgern der Altstadt ihre Rechte mit dem Zusatz bestätigt, daß diese auch für diejenigen gelten sollten, die sich neu in der Stadt niederlassen würden. 1 3 3 Die Bauern von Luckenberg wurden also in die Stadt umgesiedelt. Die Luckenberger Hufen bildeten künftig einen Teil der Altstädter Feldmark neben den 1275 genannten alten und neuen Hufen; Blosendorp war schon vorher zum altstädtischen Kämmereidorf Neuendorf umstrukturiert worden. 1 3 4 Luckenberg fiel wüst, nur seine Kirche hat sich bis heute erhalten. 135 worden; vgl. Johannes Herrn, Mittelalterliche Baufunde in der Apotheke in der Altstadt zu Brandenburg (Havel), in: JHVB 61/63 (1932), S. 3-9. Vgl. auch E. J. Siedler,

Beiträge... (wie Anm. 83), S. 102. CDB1/9, S. 2 Nr. 2; KW, Nr. 725. CDB 1/9, S. 6 Nr. 8; KW, Nr. 1613. Eine Hufe und der Zehnte werden schon 1209 als Zubehör der Nikolaikirche zu Luckenberg genannt; CDB 1/8, S. 127 Nr. 40; KW, Nr. 545. 133 CDB 1/9, S. 5 Nr. 7; KW, Nr. 1612. 1 3 4 H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 24, wendet sich gegen die Gleichsetzung der alten und neuen Hufen mit denen von Parduin und der ausgebauten Altstadt durch O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 45, und identifiziert die neuen Hufen mit den Hufen des 1249 von der Altstadt erworbenen und dann aufgelassenen Blosendorp. Dagegen spricht die Tatsache, daß in der Altstadt Brandenburg selbst die Erwerbung von 1249 als die von Neuendorf galt, wie sich aus einem 131 132

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Nach diesen Angaben könnte man den Eindruck gewinnen, es habe sich bei Luckenberg um eine rein agrarische Siedlung gehandelt. Allein der in der Urkunde von 1295 zweimal gebrauchte Doppelbegriff villa seu locus könnte vielleicht auf eine andere Qualität der Siedlung verweisen. Weiter hilft die Betrachtung ihrer Kirche. Ihr Patrozinium, St. Nikolaus, hat zusammen mit dem für die Pfarrkirche einer rein agrarischen Siedlung ungewöhnlich stattlichen Bau 136 schon längst Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß zu Luckenberg ein kaufmännisches Element gehört haben müsse. 137 Danach muß Luckenberg mit in die Überlegungen zur frühen Entwicklung der Altstadt einbezogen werden. Die Nikolaikirche zu Luckenberg wird zuerst in einer Urkunde von 1174/76 erwähnt 138 und hat sicher 1166 noch nicht bestanden. In der Besitzbestätigung für das Domkapitel werden 1166 nämlich die Kathedralkirche in der Burg Brandenburg, die Marienkirche auf dem Harlungerberg und die Gotthardtkirche in der villa Parduin aufgefrühen Dorsalvermerk Dyt is von Nyendorp (jünger: itzo Nyendorf) auf der Urkunde im Stadtarchiv Brandenburg (0.0.0/2) eindeutig erweist. Auf der Rückseite der Urkunde von 1295, mit der die Altstadt Luckenberg endgültig erwarb, steht der Vermerk Dyt is de bref van Luckenberghe. Es findet sich kein sonstiger Hinweis auf den Erwerb des Kämmereidorfes Neuendorf. Dies spricht für die schon früher geäußerte Ansicht, daß die Altstadt nach 1249 (und vor 1286, dem Zeitpunkt der Erstnennung von Neuendorf) Blosendorp zum „neuen Dorf" umstrukturiert hat; vgl. Winfried Schich, Das Verhältnis der frühmittelalterlich-slawischen zur hochmittelalterlichen Siedlung im Havelland, in: Das Havelland... (wie Anm. 12), S. 177-245, hier S. 212. Für einen Teil der Altstädter „neuen Hufen" kommt möglicherweise auch das Dorf Silow in Frage, das westlich von Brandenburg im Grenzbereich der neuen zu den Luckenberger Hufen lag und das ebenfalls um die Mitte des 13. Jahrhunderts aufgelassen wurde, ohne daß allerdings aus der schriftlichen Überlieferung Einzelheiten bekannt werden. Zu Silow: Historisches Ortslexikon... (wie Anm. 8), S. 357; G. Mangelsdorf, Die Ortswüstungen... (wie Anm. 125), II, S. l 6 l f.; R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 208 f. 135

G. Mangelsdorf, Die Ortswüstungen... (wie Anm. 125), II, S. 120 ff. Zur Kirche vgl. Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. 82 ff.; Hans Josef Böker, Die mittelalterliche Backsteinarchitektur Norddeutschlands, Darmstadt 1988, S. 29, und den Beitrag von Ernst Badstübner in diesem Band. 137 Karlheinz Blaschke, Nikolaipatrozinium und städtische Frühgeschichte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 84 (1967), Kanonistische Abteilung 53, S. 273-337, hier S. 279 f.; Günter Mangelsdorf, Die Brandenburger St. Nikolai-Kirche. Einige Bemerkungen zur städtischen Frühgeschichte, in: Brandenburger Kulturspiegel, Jg. 1974, H. 9, S. 10-16. 138 CDB 1/8, S. 109 Nr. 22; KW, Nr. 420. 136

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führt. 139 Es wird aber bereits damit gerechnet, daß künftig in der genannten villa bzw. in ihrer parrochia weitere Kirchen entstehen würden (si que alie ecclesie in eadern villa fuerint in posterum edificate). In der etwa zehn Jahre jüngeren Bestätigung wird dann zusätzlich die Nikolaikirche genannt. Sie lag als Filialkirche von St. Gotthardt im Pfarrbezirk des jetzt, und zwar zum erstenmal, civitas genannten Ortes Parduin. Entsprechend modifiziert wurde der Passus über die künftigen Kirchenbauten: si quae aliae in eiusdem civitatis parrochia in posterum fuerint aedificatae ecclesiae.140 Es scheint danach, daß der Pfarrbezirk von St. Gotthardt zu Parduin um 1175 einen aus zwei (oder mehr) Siedlungen bestehenden Siedlungskomplex umfaßte. Man darf vermuten, daß es sich bei der villa Luckenberg anfangs um eine Agrar-Marktsiedlung der Art handelte, wie sie Erzbischof Wichmann von Magdeburg kurz zuvor (1159) in dem nicht weit entfernten Großwusterwitz (bei Plaue) hatte anlegen lassen. Es erscheint weiterhin möglich, daß Luckenberg ein Ergebnis der 1166 erwarteten baulichen Maßnahmen im Bereich der villa Parduin war - neben dem Ausbau von Parduin selbst (oder sogar an dessen Stelle). Da Luckenberg innerhalb des Sprengeis der Pfarrkirche von Parduin in räumlicher Trennung von dem vorhandenen Marktort errichtet wurde, so könnte es sich um die Gründung für eine besondere Siedlergruppe oder (oder zugleich) um die eines anderen Herrn handeln. Bei den Siedlern könnte man an Niederländer denken. 141 Die in dieser Zeit (1196) in Hildesheim am „Damm" angesiedelten flämischen Tuchmacher besaßen ebenfalls eine Nikolaikirche als Pfarrkirche. 142 Geringe Hinweise auf Siedler aus dem niederländischen Raum besitzen wir aber auch von anderen Stellen in Brandenburg. Dies gilt, wie schon erwähnt, für das Patrozinium der hl. Amalberga

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CDS 1/8, S. 107 Nr. 19; KW, Nr. 355. Wie Anm. 138. 141 Der Ortsname hilft in dieser Frage anscheinend nicht weiter; vgl. dazu R. E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 162 f., und den Beitrag von Gerhard Schlimpert in diesem Band. 142 Walter Schlesinger, Stadt und Vorstadt. Einführung in die Problematik der Tagung, in: Stadterweiterung und Vorstadt, hrsg. von Erich Maschke u. Jürgen Sydow (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 51), Stuttgart 1969, S. 1-20, hier S. 1 f. 140

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in der Neustadt und wohl gleichfalls für den Gassennamen „Huck" (= Ecke) in der Altstadt.143 Wenn wir mit H. Assing den Einfluß des Burggrafen in Parduin berücksichtigen, so kommt als Gründer von Luckenberg am ehesten der Markgraf in Frage - entweder noch Albrecht der Bär (gest. 1170) oder bereits sein Sohn Otto. Andernfalls müßte man entsprechende Aktivitäten des Brandenburger Bischofs vermuten. Solche sind, wie das Beispiel des Bischofs von Havelberg zeigt, dem Friedrich Barbarossa 1179 die Erlaubnis erteilte, an seinem Bischofssitz eine eigene, bischöfliche Stadt zu gründen,144 zwar nicht auszuschließen, doch fehlen entsprechende Hinweise in Brandenburg völlig. Auch der kunsthistorische Befund läßt vermuten, daß der Bau der erstmals 1174/76 erwähnten Nikolaikirche gerade von den Markgrafen gefördert wurde.145 Laut Helmold von Bosau hat schon Albrecht der Bär Siedler aus dem niederländisch-niederrheinischen Raum in seine neuen Lande östlich der Elbe gerufen.146 An Albrecht als Gründer von Luckenberg könnte man auch deswegen denken, weil schon 1166 der Bau weiterer Kirchen im Bereich von Parduin geplant war. Dann müßte man allerdings annehmen, daß das Zollprivileg, das Otto I. 1170, kurz nach Albrechts Tod, zugunsten seiner cives Brandenburgenses ausstellte,147 auch für die Luckenberger gelten sollte.148 Dies ist keines143

W. Schich, Stadtwerdung... (wie Anm. 9), S. 203, 214 f.; Max Bathe, Zur Entwicklung der Stadt Stendal, in: Ausgrabungen und Funde 3 (1958), S. 333-335, hier S. 335. Ein Altstädter Bürger mit dem Namen Walter Flamingus wird 1282, ein anderer, Baldekin de Brugis (.von Brügge?), 1285 genannt; CDB1/8, S. 172 №. 104, S. 174 Nr. 107. 144 MGHDFl Nr. 780: ut idem episcopus liberam ... habeat facultatem in kathedrali sede edificandi civitatem (Zusatz zur Urk. Konrads III. v. 1150; vgl. Anm. 45). Der Versuch der Gründung einer bischöflichen Stadt in Havelberg blieb ohne Erfolg. 145 Wenn man davon ausgeht, daß in dieser Zeit allein die Markgrafen über eine Ziegelhütte verfügten (Ernst Badstübner, Bauschmuck der Backsteingotik in der Marienkirche, Frankfurt/Oder 1988, S. 11; vgl. auch den Beitrag desselben Verfassers in diesem Band), so kommt ihnen ein wesentlicher Beitrag zum Bau der Nikolaikirche ebenso wie zu dem der Bischofskirche in der von ihnen beanspruchten Burg, den beiden frühen Backsteinbauten in Brandenburg, zu. 14i " Helmold von Bosau, Slawenchronik, hrsg. von Heinz Stoob (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 19), Darmstadt 1963, S. 312 f. 147 Wie Anm. 64. 148 So etwa G. Mangelsdorf, Die Brandenburger St. Nikolai-Kirche... (wie Anm. 137), S. 13.

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wegs auszuschließen; denn der Name Brandenburg könnte hier in einem umfassenden Sinne gebraucht worden sein. 149 Andererseits kann man an einen Zusammenhang der Gründung von Luckenberg mit den Differenzen zwischen Markgraf Otto (1170-1184) und Burggraf Siegfried denken, auf die schon Johannes Schultze hingewiesen hat. 150 Aber diese gaben vielleicht eher den Ausschlag zugunsten der Gründung einer neuen Stadt durch Markgraf Otto in seinem allodialen Teil von Brandenburg. 151 Sicher ist, daß die Markgrafen schon vor der Gründung der Neustadt versucht haben, ihren Einfluß auf die städtische Entwicklung in Brandenburg geltend zu machen, und dies allem Anschein nach zuerst auf der Seite der Havel mit der alten Haupthandelsstraße. Hier könnten sie um 1170 neben Parduin einen zweiten Marktort gegründet haben, nachdem ihre Bemühungen um Parduin selbst nicht zum Erfolg geführt hatten. Wir hätten dann hier den ersten markgräflichen Versuch vor uns, mit einer eigenen Marktgründung die urbane Entwicklung zu Brandenburg stärker unter die unmittelbare Kontrolle zu bringen. Die aber weiterhin von Parduin kontrollierte Verkehrsführung könnte dann Markgraf Otto I. mit dazu veranlaßt haben, schon bald darauf auf der unbestritten askanischen Seite der Havel mit der nun so genannten Neustadt und einer neu ausgebauten Straße auf einer breiteren Grundlage einen völligen Neuanfang zu wagen. Dies sind gewiß sehr weitgehende Vermutungen, die sich nicht durch direkte Quellenaussagen stützen lassen. Es handelt sich um den Versuch, einen Beitrag zur Klärung der bisher dunklen Geschichte von Lukkenberg zu leisten. Kaufleute und Handwerker aus Luckenberg könnten schon am Aufbau der markgräflichen Neustadt beteiligt gewesen sein. Luckenberg mag dann als lediglich agrarische Siedlung weiterbestanden haben, bis gegen Ende des Jahrhunderts auch die Hufenbauern in die nun ebenfalls markgräfliche Altstadt übersiedelten. 152 Sicher ist wieder, daß nach dem Ausscheiden der Burggra149

Vgl. oben mit Anm. 60. Joh. Schultze, Die Mark und das Reich (1954), in: ders., Forschungen... (wie Anm. 32), S. 70-103, hier S. 90 f.; ders., Die Mark Brandenburg... (wie Anm. 57), S. 99; H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 6), S. 27 f.; KW, Nr. 437, 453. 151 Vgl. oben S. 66 f. 152 Wichtig für weitere Überlegungen zu Luckenberg werden die Ergebnisse der beabsichtigten archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen an der Niko150

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fen aus Brandenburg die Markgrafen die städtische Entwicklung auf der rechten Seite der Havel auf die Altstadt konzentrierten. Diese erhielt im 13· Jahrhundert ihre endgültige Ausdehnung. In diese Anlage wurden die Gebäude der Franziskaner ebenso wie die Höfe der Bauern von Luckenberg einbezogen. Dabei kann es auch zu leichten Veränderungen im älteren Grundriß gekommen sein. Im Zusammenhang mit dem Ausbau der beiden nun askanischen Städte dürfte die Lange Brücke als direkte Verbindung zwischen ihnen erbaut worden sein. 153 Vielleicht sah man auch aus diesem Grunde nach 1244 den Wiederaufbau der Brücke bei dem zwischen den Erzbischöfen von Magdeburg und den Markgrafen umstrittenen Plaue nicht für vordringlich an. Der Fernverkehr konnte von Westen her die Altstadt ebenso durch die Neustadt und über die Lange Brücke erreichen. Die breite Kurstraße in der Neustadt und die Bäkkerstraße in der Altstadt konnten neben den alten Hauptdurchgangsstraßen Steinstraße und Plauer Straße einen Teil des wachsenden Landverkehrs aufnehmen. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde nicht nur, wie schon erwähnt, die Neustadt, sondern auch die Altstadt mit dem Prädikat ausgezeichnet, von ihr leite sich die markgräfliche Herrschaft ab. In den Begründungen finden sich allerdings bemerkenswerte Unterschiede. Die Neustadt zeichnete sich der Urkunde Markgraf Johanns von 1315 zufolge vor anderen Städten mit dem „Königsbann" aus. 154 In der Altstadt dagegen war - so Markgraf Ludwig in

laikirche sein, die im 13. Jahrhundert noch ausgebaut wurde; vgl. den Beitrag von Ernst Badstübner in diesem Band. Eine besondere Gruppe von Luckenbergern läßt sich innerhalb der beiden Städte mit den zur Verfügung stehenden Quellen nicht fassen. 1455 wird einmal eine Nikolaigilde (guide et fraternitas sancti Nicolai) genannt ('CDB1/9, S. 182 Nr. 239), die vielleicht für den Unterhalt der Nikolaikirche zuständig war. Wegen der Gebetsgemeinschaft, die sie mit den Franziskanern einging, könnte man sie eher in der Altstadt lokalisieren. In beiden Städten wurde das Alter Haus (antiquus Nicolaus) genannte Bier gebraut; vgl. H. Rnaust, Fünf Bücher von der göttlichen und edlenn Gabe der ... Kunst Bier zu brawen, Erfurt 1614, S. 43; M. Nicolai, Descriptio urbis Brandenburgs, Berlin 1735, S. 16. 153 Vgl. Anm. 76. 154 CDB 1/9, S. 12 Nr. 17: Quia ipsa civitas nostra pre omnibus fulget Banno regio, qui vulgo dicitur Koningesban, turn quia nostri principatus titulum recepimus ab eadem, tum quia totum nostrum dominium ab eadem nostra civitate traxit originem, tanquam a fonte rivuli derivantur.

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seinem Privileg von 1324 - das kaiserliche Erzkämmereramt lokalisiert, und sie war mit dem Erzbischofssitz geschmückt. 155 Man wird an die berühmte Beschreibung von Brandenburg als regale Castrum, cambera imperialis, sedes eptscopalis in der markgräflichen Zollurkunde von 1170 erinnert. 156 Die drei Elemente, mit denen Markgraf Otto 1170 seine vornehmste Burg (castrum) charakterisieren ließ, finden sich in zum Teil abgewandelter Form in den Urkunden von 1315 und 1324 für die Neustadt und die Altstadt wieder. Sie waren vielleicht in Brandenburg selbst tradiert worden, ohne daß man sie allerdings noch richtig verstand. Auch für uns ist die Situation nur schwer verständlich, erscheint doch in den zuletzt genannten Urkunden das Verhältnis zwischen Alt- und Neustadt im Vergleich mit unseren sonstigen Erkenntnissen geradezu vertauscht: An der Neustadt haftet der Königsbann, an der Altstadt dagegen das Erzkämmereramt und die Kurwürde der Markgrafen. Deswegen hat Johannes Schultze die Urkunde von 1315 mit der Erwähnung des Königsbannes stets auf die Altstadt bezogen. 157 Zwar wird als Empfänger der Urkunde nur die civitas Brandenburg ohne Zusatz genannt, aber der Kontext zeigt eindeutig, daß sie für die Neustadt bestimmt war. 158 Dies muß nun aber keineswegs bedeuten, daß der Burggraf in der Neustadt amtliche Funktionen wie CDB1/9, S. 26 Nr. 36: ... пес поп ipsi cimtati nostre veteri Brandenborch, a qua noster principatus traxit originem, in qua etiam officium Archicamerarii sacri imperii, qua Elector imperii dicimur et sumus, principaliter radicatur, que quoque sede episcopali digne et laudabiliter decoratur... Die Altstadt hatte als erste der märkischen Städte Verbindung zu König Ludwig dem Bayern aufgenommen, der 1323 seinem gleichnamigen Sohn die Mark und die Erzkämmererwürde übertrug; vgl. O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 59 f. 155

CDB 1/9, S. 2 Nr. 1; KW, Nr. 398. J. Schultze, Caput... (wie Anm. 32), S. 161; ders., Die Mark... (wie Anm. 150), S. 89; ders., Die Mark Brandenburg... (wie Anm. 57), S. 77; ebenso Karl-Heinz Ahrens, Bemerkungen zur Mittelpunktsfunktion Berlins und Tangermündes im 14. und 15. Jahrhundert, in: Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage, hrsg. von Peter Johanek (= Residenzenforschung 1), Sigmaringen 1990, S. 147-173, hier S. 154. 1 5 8 Dies zeigen u.a. die Erwähnung des Baues der Flutrinne und die Bestätigung der Urkunde im Jahre 1324 durch Markgraf Ludwig, in der die Neustadt ausdrücklich genannt wird; CDB 1/9, S. 23 ff. Nr. 33; vgl. auch KW, Nr. 2440. Außerdem findet sich der Text der Urkunde nicht im Kopialbuch der Altstadt, sondern in dem der Neustadt (Stadtarchiv Brandenburg: 9/3, S. 132-134). Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1961, S. 27, bezog auch die Urkunde vom 4. Februar 1324 irrtümlich auf die Altstadt. 156

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die Hochgerichtsbarkeit ausgeübt hat. 159 Das Verhältnis zwischen Markgraf und Burggraf entwickelte sich, wie Herbert Heibig für den Raum zwischen Saale und Elbe gezeigt hat, eher in der Richtung, daß die königlichen Rechte, die ursprünglich die Burggrafen wahrnahmen, in steigendem Maße auf die Markgrafen übergingen. 160 Im Zuge einer zielstrebigen Territorialpolitik drängten die Markgrafen mittels der landesherrlichen Vogteiverfassung die Burggrafen zurück. Daher ist kaum anzunehmen, daß in Brandenburg die Burggrafen jemals gerichtliche und andere Befugnisse gerade in dem Teil des Siedlungskomplexes besaßen, der allein sich auf askanisch-allodialem Boden befand. Das Problem dürfte eher so zu lösen sein, daß die Markgrafen ihre Würde vom Königtum ableiteten und sie mit der ererbten Hauptburg des Slawenfürsten verbanden. Die Tatsache, daß sie den Hauptort eines geschlossenen Herrschaftsgebietes bildete, kam dem Streben der Markgrafen nach Territorialherrschaft entgegen. Sie beanspruchten zumindest seit Otto I. die „königliche" Burg und auf dieser Grundlage den „Königsbann",161 den sie auf ihre von der Burg aus gegründete Stadt übertrugen, die die Funktion des Mittelpunktes der markgräflichen Herrschaft übernahm. Markgraf Otto 159

Wie W. Podehl, Burg... (wie Anm. 4), S. 509, meint. Herbert Heibig, Der wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (= Mitteldeutsche Forschungen 4), Münster-Köln 1955, Nachdruck 1980, S. 255 f.; vgl. W. Podehl, Burg... (wie Anm. 4), S. 510 f. Der angebliche Königsbann von 1315 bezog sich sicher auf den deutschen König. Doch wie verhält es sich mit der Bezeichnung regale Castrum von 1170? W. H. Fritze hat in der Diskussion zu bedenken gegeben, ob sich Markgraf Otto mit dieser Charakterisierung Brandenburgs nicht auf das Königtum Pribislaw-Heinrichs berufen und Anspruch auf dessen „königliche Burg" erhoben haben könnte. Vielleicht muß man hier nicht streng trennen. Seine Amtsgewalt leitete der Markgraf vom deutschen König ab. In seinem Amtsbereich lag die Burg, die der König in Anknüpfung an die Verhältnisse des 10. Jahrhunderts beanspruchen konnte, die aber Albrecht der Bär als Erbe des mit dem Königstitel ausgezeichneten Slawenfürsten in Besitz genommen hatte. Die Brandenburg war der Hauptort eines geschlossenen Territoriums. Diese Bedeutung der „königlichen Burg" war entscheidend für die hohe Bewertung durch die nach Gebietsherrschaft strebenden Askanier. Zur Verbindung des Markgrafentitels mit der Brandenburg vgl. vor allem E. Böhm, Albrecht der Bär... (wie Anm. 17), S. 62 ff., bes. S. 82 ff.; zum möglichen Lehnskönigtum Pribislaw-Heinrichs H.-D. Kahl, Slawen... (wie Anm. 5), S. 73, 273 ff·; allgemein Johannes Fried, Königsgedanken Heinrichs des Löwen, in: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973), S. 312351, hier S. 344 ff. 160

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bestritt die Rechte des Reiches an Brandenburg ebensowenig wie die des Bischofs, aber er band sie gewissermaßen in seine markgräfliche Burgherrschaft mit ein, so wie er auch bei der Datierung der Urkunde von 1170 ausdrücklich auf die Herrschaft Kaiser Friedrichs und Bischof Wilmars Bezug nahm (regnante domino Friderico impe-

ratore et domino episcopo Willemaro Brandenburgensi).

Der Bischof

saß in „seiner" Burg, der Kaiser war nicht am Ort, der Burggraf wird in der Urkunde nicht erwähnt; mit ihm mußte der Markgraf sich noch auseinandersetzen. Der Burggraf wahrte diejenigen Rechte des Reiches am Ort, die 1170 wohl mit dem Begriff cambera imperialis im Sinne von „Reichsgut" oder genauer „Reichskammergut" bezeichnet wurden 162 und zu denen sicher auch Einnahmen aus der Gerichtsbarkeit gehörten. 163 Berücksichtigt man schließlich den erschlossenen königlich-burggräflichen Anteil an der Entwicklung von Parduin, so ist man versucht, die 1170 genannten drei Elemente auch topographisch zu fixieren: erstens die (vom letzten Slawenherrscher übernommene) „königliche" Burg Brandenburg in markgräflicher Hand; zweitens der in ihrem Suburbium gelegene und zur kaiserlichen Kammer gehörende Marktort Parduin, später als Bestandteil der vom Kaiser verliehenen Erzkämmererwürde des Markgrafen interpretiert; drittens der Bischofssitz im nördlichen Teil der Burginsel. Im Zusammenhang mit dem Ausbau der Neustadt zogen sich, wie erwähnt, die Markgrafen von der Burg zurück. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts überließen sie dann jeweils einen von den Kietzen 1 ή? Vgl. J. Schultze, Die Mark... (wie Anm. 150), S. 93 ff.; dort auch zur Frage eines Zusammenhanges mit dem Erzkämmereramt der Markgrafen; zur camera imperatoris Hagenau W. Schlesinger, Bischofssitze... (wie Anm. 46), S. 374; zur camera sacri imperii in der Umschrift des Siegels der Reichsstadt Düren Erich Kittel, Die städtischen Siegel und Wappen und der Landesherr im Mittelalter, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Herold zu Berlin 1869-1969, Berlin 1969, S. 83-107, hier S. 89; zum Reichskammergut im Unterschied zum Reichslehngut allgemein KarlFriedrich Krieger, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 12001473) ( " Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23), Aalen 1979, S. 374 ff. In den Bestätigungsurkunden Konrads III. und Friedrich Barbarossas für die Bischofskirchen von Havelberg und Brandenburg von 1150 und 1179 heißt es, Verstöße gegen das betreffende kaiserliche Privileg sollten mit einer Strafe in Höhe von 10 Pfund reinen Goldes geahndet werden, von denen jeweils die Hälfte an die kaiserliche Kammer (camere nostre) und die Kirche fiel; MGHDK III Nr. 241; MGHDFl Nr. 780, 781.

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dem Domkapitel, der Neustadt und der Altstadt.164 Beiden Städten verkauften sie zusätzlich die Mühlendämme mit den Mühlen. 165 Erst 1432 ging auch der letzte der Kietze, der sogenannte Große Domkietz, in den Besitz des Domkapitels über. Das Domkapitel gewann alle Besitzungen und Rechte an der Burginsel mit Ausnahme des Kietzes gegenüber der Neustadt. 166 Damit erhielt schließlich der Siedlungskomplex Brandenburg seine dauerhafte dreigliedrige Gestalt mit den zwei markgräflichen Städten Altstadt und Neustadt sowie dem vom Gebiet der beiden Städte eingeschlossenen selbständigen kirchlichen Verwaltungsbezirk der „Burg" bzw. des „Domes" Brandenburg. Der letztere wurde zum weithin geistlichen Bereich mit Dom, Konvents- und Wirtschaftsgebäuden, Spital und Petrikapelle, mit den Kietzen und mit der insgesamt charakteristischen lokkeren Bebauung, die diesen Teil Brandenburgs bis heute prägt. Altstadt und Neustadt Brandenburg besaßen im späten Mittelalter ihre eigene Selbstregierung. In beiden Städten galt dasselbe nach Magdeburger Vorbild ausgebildete Recht, das als Brandenburger Recht für alle weiteren Städte in dem nach Osten ausgeweiteten askanischen Herrschaftsbereich maßgebend wurde. 167 Seit 1263 werden in der Altstadt und der Neustadt consules genannt. 168 Das Rathaus erhob sich in beiden Städten auf dem Markt.169 Auch die Gerichtsbarkeit war getrennt. An den beiden nach Westen führenden Fernstraßen ist auf jüngeren Abbildungen jeweils ein Galgen zu erkennen: der der Altstadt an der Straße nach Plaue 170 und der der Neustadt an der nach Ziesar.171 Beide Städte besaßen im 14. Jahrhundert jeweils eine Pfarrkirche, eine mit dieser verbundene Schu164 CDB1/9, S. 8 Nr. 11; KW, Nr. 2057 (Altstädter Kietz); zu den Kietzen auf der Dominsel: H. Ludat, Deutsch-slawische Frühzeit... (wie Anm. 19), S. 47 f. 165 Wie Anm. 94. 166 1320 überließ der Bischof dem Domkapitel auch das Patronatsrecht über die Petrikapelle; CDB 1/8, S. 220 Nr. 177. 167 Wie Anm. 26. 168 CDB 1/8, S. 164 Nr. 89. Vgl. die Beilage unten S. 97 f. 169 Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. 153 ff.; vgl. den Beitrag von Elmar Nolte in diesem Band. 170 Brandenburg in der Chur Marek und Havelländischen Creise belegen, 18. Jh. (Staatsarchiv Merseburg: Allg. Kartenabtlg. VI, Nr. 182): Galgen in der Flur „Galg Berge". 171 Die Galgen beider Städte zeigt eine Straßenkarte von 1688; W. Schich, Zwei Wege... (wie Anm. 56), S. 158 ff. mit Abb. nach S. 146. Der Galgen der Neustadt fin-

Zur Genese der Stadtanlage

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le, 172 eine Bettelordensniederlassung 173 und ein Heiliggeistspital.174 Die Neustadt errichtete zusätzlich das Jakobsspital (vor 1349) vor dem Steintor 175 und das Elisabethspital (vor 1541) vor dem Neuen Tor, 176 die Altstadt (1431) das Gertraudenspital bei der Nikolaikirche vor dem Plauer Tor. 177 Brandenburg war eine echte Doppelstadt. 178 Beide Städte waren eigenständig, aber es gab auch gemeinsame Belange. Dafür wurde (vor 1348) eigens ein gemeinsames Rathaus auf der beide Städte unmittelbar verbindenden Langen Brücke errichtet 179 - eine Parallele zu Berlin-Cölln. 180 Im Brandenburger Rathaus auf der Brücke tagte auch das gemeinsame Schöffengremium von Alt- und Neustadt, das den gerichtlichen Oberhof für die märkischen Städte und schließlich für alle Gerichte in der Mark bildete. 181 Gemeinsame Kosten wurden von beiden Städten entsprechend der Bevölkerungszahl im Verhältnis zwei zu eins getragen, wie man schon 1321 beobachten kann. 182 Die Neustadt zählte später (1573) 694 Häuser und 97 Buden, die Altstadt 375 Häuser und 87 Buden. 183

det sich z.B. noch auf folgenden Karten: Carte von der Alt- und Neustadt Brandenburg und ihren Territorio, um 1700 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin [West]: Kart. N 10-8); Alt- und Neustadt, um 1750 {a.a.O., N 4168); Die Alt- und Neustadt mit dem Lauffe der Havel, um 1770 (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, XI. HA, Karte F 816). Eine Erinnerung an den Galgen der Neustadt hat sich im Namen „Büttelhandfaßgraben" (westlich der Wilhelmsdorfer Straße) erhalten. 1 7 2 Vgl. den Beitrag von Dietrich Kurze in diesem Band. 1 7 3 Vgl. den Beitrag von Hans-Joachim Schmidt in diesem Band. 1 7 4 M. W. Heffter, Geschichte... (wie Anm. 1), S. 191; R. Schillmann, Geschichte... (wie Anm. 1), S. 548; O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), I, S. 53. 1 7 5 Wie Anm. 110. 1 7 6 O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 1), II, S. 21; Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 1), S. CXII. 177 CDB1/24, Berlin 1863, S. 422 Nr. 128. 1 7 8 Allgem. vgl. Heinz Stoob, Doppelstädte, Gründungsfamilien und Stadtwüstungen im engrischen Westfalen, in: ders., Forschungen... (wie Anm. 46), S. 138-186. 1348 schlossern die Altstadt und die Neustadt Brandenburg in deme rathus beyderstede ein Bündnis mit Rathenow und Nauen; CDB 1/9, S. 42 Nr. 66. Zur Lage vgl. CDB 1/9, S. 51 Nr. 82; H. Knaust, 5Bücher... (wie Anm. 152), S. 43. 180 Hier wird das gemeinsame Rathaus auf der Langen Brücke zuerst 1342 genannt; W. Schich, Das mittelalterliche Berlin... (wie Anm. 50), S. 191. 1 8 1 A. Stölzel, Die Entwicklung... (wie Anm. 20), S. 40 f. 182 CDB 1/9, S. 18 f. Nr. 25. 1 8 3 Adolph Friedrich Riedel, Notiz über die Zunahme des Ausbaues der Städte in der Mittelmark und Uckermark, in: Märkische Forschungen 2 (1843), S. 191.

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Diese Zahlen sind trotz beträchtlicher Zerstörungen im 30jährigen Krieg bis zum 18. Jahrhundert ziemlich konstant geblieben. 184 Die Neustadt begann im 15. Jahrhundert ihre Bebauung über die Mauer hinaus entlang der zur Altstadt führenden Straße auszuweiten. Dies waren die Anfänge der später (im 17. Jahrhundert) so genannten Vorstadt Venedig (mit dem erwähnten Elisabethspital), in der nach einer zeitgenössischen Charakterisierung vor allem Handwerker angesiedelt waren, „die mit Feuer und Wasser umgingen". 185 Neue Gewerbemühlen (Walk-, Säge-, Lohmühle) waren seit etwa 1420 auf den Mühlendämmen der Neu- und Altstadt und an einem Nebengraben des Neustädter Stadtgrabens errichtet worden. 186 Dies war ein Ausdruck der in dieser Zeit allgemein verbreiteten Diversifikation der Wassermühle von der Getreide- zur vielfältig spezialisierten Gewerbemühle. Beide Städte dehnten im 14. und 15. Jh. ihr Weichbild beträchtlich aus - vor allem in westlicher Richtung, wo auf weniger fruchtbaren Böden weitere Dörfer (Görden, Schmollen, Görisgräben, Wendgräben, Dusterreckahn) dem spätmittelalterlichen Wüstungsprozeß zum Opfer fielen und sich neben Äckern größere Heideflächen ausbreiteten. 187 Der Prozeß der Siedlungskonzentration, der mit dem Ausbau der beiden Städte im 13. Jahrhundert begonnen hatte, setzte sich also auch in der Zeit einer allgemein zurückgehenden Bevölkerungszahl fort. Er bewirkte jetzt die weitere Füllung der ummauerten

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Vgl. Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 5, Berlin 1969, S. 106; Friedrich Wilhelm August Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1805, S. 71 (Neuausgabe, hrsg. von Otto Büsch u. Gerd Heinrich als Bd. 22 der Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Berlin 1968); Historisches Ortslexikon... (wie Anm. 1), S. 37 f. 185 Joachim Fromme, Beschreibung der Stadt Alt-Brandenburg in der Mittel-Mark (1679), erweiterte Aufl., hrsg. von Caspar Gottschling, Brandenburg 1727, S. 121 f. Eine Siedlung auf feuchtem Grund wird in Hildesheim schon 1289 als Venedig (Veneciae) bezeichnet; W. Schlesinger, Vorstadt... (wie Anm. 142), S. 7 f. 186 CDB1/9, S. 106 Nr. 151, S. 118 Nr. 156, S. 179 Nr. 236. Die Ausführungen von Paul Eichholz in den Kunstdenkmälem... (wie Anm. 1), S. CXII, sind nicht zuverlässig. 187 Zu den Wüstungen vgl. G. Mangelsdorf, Die Ortswüstungen... (wie Anm. 125), II, S. 59 f.; ders., Mittelalterliche Wüstungen... (wie Anm. 79), S. 239, 242 f.; ders., Neue slawische Fundplätze... (wie Anm. 125), S. 243; R· E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes... (wie Anm. 3), S. 122 f.; ders., Die Ortsnamen der Zauche... (wie Anm. 16), S. 65 f., 103, 116 f.

Zur Genese der

Stadtanlage

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Städte (bzw. die Ergänzung der Bevölkerung) und die Stärkung des ackerbürgerlichen Elementes, nicht mehr eine Ausweitung der Stadtanlagen. - Auf die weitere Entwicklung ist hier nicht einzugehen. Es ging um die Genese des Stadtkerns der heutigen Beinahe-Großstadt Brandenburg. Vieles mußte hypothetisch bleiben. Im Augenblick bietet sich, knapp zusammengefaßt, etwa die folgende Sicht der Entwicklung an: vor 1166 Entstehung der villa forensis Parduin, vor 1175 Anlage des (markgräflichen?) Marktortes Luckenberg, vor 1195 (unter Markgraf Otto I. vor 1184?) Gründung der markgräflichen Neustadt, vor 1209 (um 1175?) Ausbau von Parduin (Altstadt) mit dem Marktplatz, in den 1230/40er Jahren zunächst Erweiterung der Neustadt mit markgräflichem Hof und unter Einbeziehung der villa Stütz, sodann weiterer Ausbau der Altstadt mit dem Franziskanerkloster und Bau der Langen Brücke zwischen beiden Städten, 1295 Umsiedlung der Bauern von Luckenberg in die (bereits ca. fünfzig Jahre früher erweiterte) Altstadt, um 1300 erneute Erweiterung der Neustadt mit Neuregulierung der Wasserführung für den Stadtgraben und die Schiffahrt. Sicher ist, daß beide Stadtanlagen nicht in einem Zuge entstanden sind. Es gab mehrere Siedlungskerne und Planungsvorgänge, und es kam auch zu strukturellen Veränderungen, bevor gegen Ende des 13. oder sogar erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts die beiden Städte ihre für lange Zeit feste Gestalt erhielten. Die langjährigen archäologischen Untersuchungen in Lübeck haben deutlich gemacht, daß auch die Anlage dieser in der Mitte des 12. Jahrhunderts in der deutsch-slawischen Kontaktzone „gegründeten" Stadt nicht auf eine einzige Planung zurückgeht.188 Es ist zu hof-

Rolf Hammel, Die Anfänge Lübecks: Von der abotritischen Landnahme bis zur Eingliederung in die Grafschaft Holstein-Stormam, in: Lübeckische Geschichte, hrsg. von Antjekathrin Graßmann, Lübeck 1988, S. 7-76, hier S. 43 ff.; 25 Jahre Archäologie in Lübeck: Erkenntnisse von Archäologie und Bauforschung zur Geschichte und Vorgeschichte der Hansestadt (= Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 17), Bonn 1988; Baugeschichte und Handwerk auf dem Lübecker Stadthügel (= Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 16), Bonn 1989; Günter P. Fehring, Lübeck und die hochmittelalterliche Gründungsstadt im einst slawischen Siedlungsraum: Voraussetzungen, Entwicklungen und Strukturen, in: Frühgeschichte der europäischen Stadt. Voraussetzungen und Grundlagen, hrsg. von Hansjürgen Brachmann u. Joachim Herrmann (= Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 44), Berlin 1991, S. 281-293. 188

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fen und auch zu erwarten, daß in Brandenburg im Zuge der wissenschaftlich begleiteten Stadtsanierung von archäologischer, bau- und kunsthistorischer Seite der Stadtgeschichtsforschung ebenfalls neue „Quellen" zur Verfügung gestellt und neue Einsichten eröffnet werden.

BEILAGE

Bemerkungen zu den Siegeln der Altstadt und Neustadt Brandenburg im 13. Jahrhundert

Bisher geht man davon aus, daß der älteste Abdruck des Altstädter Siegels an einer Urkunde der Altstadt aus dem Jahre 1282 hängt. 1 Das Siegel mit dem auf Städtesiegeln verbreiteten Bild des Stadttores und der anschließenden, mit Türmen bewehrten Mauer und mit der Umschrift Sigillum Brandenburgensis civitatis, das als das der Altstadt bekannt ist, hängt aber bereits an einer Urkunde, die im Jahre 1267 consules et scabini nove civitatis Brandeburg, also die Ratmannen und Schöffen der Neustadt Brandenburg, ausgestellt haben. 2 Den Hinweis auf diese bemerkenswerte Tatsache verdanke ich Herrn Archivar Wolfgang Schößler im Domstiftsarchiv Brandenburg, mit dessen nachdrücklicher Zustimmung der Sachverhalt hier zur Kenntnis gebracht wird. Es stellt sich die Frage, wie der Befund zu deuten ist. Hat die Neustadt zeitweise das Altstädter Siegel übernommen, oder galt in dieser Zeit überhaupt ein- und dasselbe Siegel für beide (Teil-)Städte? Die Tatsache, daß 1263 prefecti, consules et scabini veteris civitatis et nove in Brandenburg, also die Schultheißen, Ratmannen und Schöffen der Alt- und Neustadt in Brandenburg, nur ein Siegel an eine Georg Sello, Siegel der Alt- und Neustadt Brandenburg (a.H.). Ein Beitrag zur älteren Geschichte der Stadt Brandenburg, Brandenburg 1886 (als Anhang zu Gustav Düllo, Communalgeschichte der Stadt Brandenburg, Brandenburg 1886, und zu JHVB17/19 [1887]), S. 8 mit Abb. Tafel I Nr. 1; vgl. Johannes Schultze, Die brandenburgischen Städtesiegel (1937), in: ders., Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewählte Aufsätze (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 13), Berlin 1964, S. 177-195, hier S. 182. 2 CDB1/8, S. 167 Nr. 931

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Neustadt Abb. 5 Siegel der Altstadt und Neustadt Brandenburg an Urkunden von 1267 Apr. 4 {CDB1/8, S. 167 Nr. 93) und 1303 Juli 26 (CDS 1/8, S. 195 Nr. 137) im Domstiftsarchiv Brandenburg (U 67 und U 100).

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von ihnen gemeinsam ausgestellte Urkunde hängten,3 spricht dafür, daß nur ein Siegel benutzt wurde, und bei diesem müßte es sich dann um das der „Stadt Brandenburg" handeln. Die Urkunde von 126З ist zwar nicht als Original mit dem Stadtsiegel erhalten, sondern nur als Abschrift im Kopialbuch des Domkapitels überliefert, aber in der Siegelankündigung heißt es: sub sigillo nostro. Mit dieser Urkunde treten übrigens die Ratmannen der Alt- und Neustadt überhaupt zum erstenmal in Erscheinung. Schon Richard Schillmann hatte 1882 - nicht zuletzt wegen des seit 1348 erwähnten gemeinsamen Schöppenstuhls - die Vermutung geäußert, Alt- und Neustadt hätten ursprünglich eine gemeinsame Bürgergemeinde gebildet, die das Siegel mit der Umschrift „Siegel der Stadt Brandenburg" geführt habe.4 Georg Sello allerdings hat ihm mit Nachdruck widersprochen und für zwei getrennte Gemeinden plädiert.5 Bei dem Siegel von 1267 handelt es sich um den ältesten im Domstiftsarchiv Brandenburg vorhandenen Abdruck eines städtischen Siegels aus Brandenburg. Johannes Schultze hielt es irrtümlich für das bekannte Siegel der Neustadt, das die Figur des Markgrafen im Bild führt und die Umschrift Siigillum] burgensium nove civitatis in Brandeburch trägt.6 Der älteste im Domstiftsarchiv nachweisbare Abdruck dieses Siegels findet sich erst an einer Urkunde des Dompropstes Heidenreich von 1286.7 Sie wurde von den Repräsentanten der Neustadt bezeugt und besiegelt.8 Irritierend wirkt allerdings die Tatsache, daß im Urkundentext der Dompropst das Siegel des Domkapitels ankündigt. Dieser Widerspruch kann hier nicht erklärt werden. Der Neustädter Rat benutzte schließlich im Jahre 1303 für zwei Urkunden sein bekanntes Siegel, das in beiden Fällen ausdrücklich CDB1/8, S. 165 Nr. 89. Richard Schiümann, Geschichte der Stadt Brandenburg a.d.H. von den ältesten Zeiten bis zur Einführung der Reformation, Brandenburg 1882, S. 176 f. 5 G. Sello, Siegel... (wie Anm. 1), S. 4 ff. Hinsichtlich des Schöppenstuhls ist ihm zuzustimmen. Die Urkunde von 1263 wäre nach seiner Meinung beweiskräftiger, wenn es sich nicht um eine Abschrift handeln würde. Die Urkunde von 1267 berücksichtigt er nicht. 6 J. Schultze, Die brandenburgischen Städtesiegel... (wie Anm. 1), S. 182. 7 CDB 1/8, S. 176 Nr. 109. 8 Als Zeugen treten u.a. Johannes Monkesberge und Waltherus de Camerwode auf. Der erste ist für 1303, der zweite für 1267 als Bürger der Neustadt bezeugt; CDB 1/8, S. 167 Nr. 93, S. 195 Nr. 136. Hinzu kommt Rogosen monetarius; die Münzprägestätte befand sich in der Neustadt. 3 4

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als sigillum nove civitatis Brandenburg(ensis) angekündigt wird.9 Die Vertreter der Bürger der Altstadt (cives veteris civitatis Brandenburgensis) gebrauchten 1282 das andere Siegel, das heißt, das mit der Umschrift Sigillum Brandenburgensis civitatis, als das Siegel ihrer Stadt (sigillum civitatis nostre).10 Es kann hier nur versucht werden, eine vorläufige Erklärung für den zunächst verwirrenden Befund zu bieten. Möglicherweise haben die Markgrafen nach der Übernahme der Altstadt die (noch stärker herrschaftlich geprägte) Verwaltung beider jetzt markgräflicher Städte zusammengelegt. 1260 wurden dann die beiden Städte ebenso wie schon 1258 der Großteil des übrigen markgräflichen Besitzes zwischen den Brüdern Johann I. und Otto III. geteilt; Johann erhielt die Altstadt, Otto die Neustadt. Die Zugehörigkeit zu zwei getrennten Herrschaftsgebieten könnte, vor allem nach dem Tod der Brüder (1266/67), die auseinanderstrebenden Kräfte gestärkt und schließlich, in Anknüpfung an die unterschiedliche Entstehungsgeschichte, eine getrennte Verwaltung und eine eigenständige Siegelführung zur Folge gehabt haben. Bevor weitergehende Schlüsse gezogen werden, müssen die Siegel an den Brandenburger Urkunden in anderen Archiven geprüft werden. Es läßt sich allerdings schon jetzt sagen, daß das (spätere) Altstädter Siegel mit der Umschrift Sigillum Brandenburgensis civitatis nicht mehr ohne Bedenken als das Siegel der Stadt Parduin (oder Altstadt Brandenburg) der Zeit vor 1196 betrachtet und damit auch nicht mehr in der bisherigen Weise als Beleg für die Anwendung des Namens Brandenburg schon im 12. Jahrhundert auf die civitas Parduin herangezogen werden kann. 11 Gewiß lag es schon früh nahe, den Namen Brandenburg auf die städtischen Siedlungen gegenüber der Burg auszudehnen, aber den offiziellen Namen „Altstadt Bran-

9

CDB1/8, S. 195 f. Nr. 136 und 137. CDB 1/8, S. 172 Nr. 104. 11 Zuletzt Helmut Assing, Neue Überlegungen zur Entstehung der Altstadt Brandenburg, in: Hansische Stadtgeschichte - Brandenburgische Landesgeschichte (Festschrift Eckhard Müller-Mertens), hrsg. von Evamaria Engel, Konrad Fritze u. Johannes Schildhauer (= Hansische Studien 8; Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 26), Weimar 1989, S. 15-28, hier S. 22; ähnlich in meinem Beitrag Stadtwerdung im Raum zwischen Elbe und Oder im Übergang von der slawischen zur deutschen Periode, in: Germania Slavica I, hrsg. von Wolfgang H. Fritze (= Berliner Historische Studien 1), Berlin 1980, S. 191-238. 10

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denburg" nahm die aus dem Marktort Parduin hervorgegangene ältere Stadt zu Brandenburg vielleicht erst nach dem Übergang an die Askanier an. In einer Urkunde von 1241 treten die beiden Schultheißen der „Altstadt Brandenburg" (antique civitatis Brandenburg) neben dem der Neustadt auf, 12 und 1249 schenkte Markgraf Johann seiner antiqua civitas Brandeburg die villae Luckenberg und Blosendorp.13 Zwar bezeichnete der (in der Burg Brandenburg sitzende) Bischof von Brandenburg schon 1216 die Bewohner beider Städte zusammenfassend als utriusque civitatis tarn nove quam, veteris elend et laici, setzte aber nicht den Ortsnamen hinzu; „Brandenburg" gebrauchte er für die Burg und die Kirche.14

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CDB1/8, S. 155 Nr. 68.

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CDB 1/9, CDB 1/8,

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S. 2 Nr. 2. S. 136 Nr. 48;

KW,

Nr. 558.

Hildesheim - Brandenburg - Posen Godehard-Kult und Fernhandelsverkehr im 12. Jahrhundert W O L F G A N G H. F R I T Z E Berlin

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Begriff und Verbreitung der Kauf mannssiedlung Was ist eine Kaufmannssiedlung? In der Forschung ist die Frage, ob zu der slawischen Burgstadt, als die sich die Brandenburg in voraskanischer Zeit darstellt, auch eine deutsche Kaufmannssiedlung gehört hat, umstritten. Im Kontext unserer Tagung ist sie vor allem deshalb von Bedeutung, weil eine voraskanische Kaufmannssiedlung, wenn sie bestanden haben sollte, als ein wesentlicher Faktor in der Entstehung einer kommunalen Stadt in Brandenburg anzusehen wäre. Bevor ich aber an diese konkrete Frage herantrete, scheinen mir einige kurze Bemerkungen zur Bedeutung des Begriffes „Kaufmannssiedlung" angezeigt. In der Literatur wird der Begriff zwar oft gebraucht, aber, wie mir scheint, häufig in unscharfer, mehrdeutiger Fassung. Eine monographische Untersuchung des Phänomens der Kaufmannssiedlung, ihrer Rechtsgestalt, ihrer wirtschaftlichen Funktion und ihrer Rolle in der Genese der kommunalen Stadt fehlt bisher. Bezeichnend für den Stand der Forschung in dieser Frage scheint, daß das sonst so reichhaltige Lexikon des Mittelalters das Stichwort Kaufmannssiedlung nicht aufgenommen hat. Der Begriff der Kaufmannssiedlung ist nicht erst von der modernen Wissenschaft geprägt; als colonia mercatorum begegnet er vielmehr bereits im 12. Jahrhundert. Nimmt man den Begriff als strukturgeschichtlichen Realtypus, dann läßt sich über ihn etwa das Folgen-

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de sagen. Zunächst ist unter einer Kaufmannssiedlung die ortsfeste, dauerhafte Niederlassung einer Gruppe von Fernhandel treibenden, persönlich freien oder doch freizügigen Berufskaufleuten zu verstehen. Berufskaufleute dieser Art treten im westlichen Europa jedenfalls seit der Karolingerzeit auf. In den westslawischen Ländern sind sie dagegen zur gleichen Zeit nicht zu beobachten; hier werden einerseits Saison- oder Gelegenheitshändler erkennbar, andererseits unfreie, fest an die Herrschaft gebundene Kaufleute. Wird also eine Kaufmannssiedlung in diesen Ländern vor dem Entstehen kommunaler Städte faßbar, dann muß man annehmen, daß es sich um eine Niederlassung auswärtiger, vor allem deutscher Kaufleute handelt. Die Kaufmannssiedlung besteht nicht isoliert für sich, als eine in sich abgeschlossene, sich selbst genügende Siedlungseinheit. Sie lehnt sich vielmehr räumlich wie funktional an andere Elemente der Siedlung und Wirtschaft an, mit denen zusammen sie eine strukturelle Einheit bildet, nämlich an einen Burgort und einen diesem zugeordneten Markt, an eine „Burgstadt" also, wie wir mit Herbert Ludat und Walter Schlesinger einen solchen Siedlungskomplex, auf altdeutschem Gebiet ebenso wie auf slawischem, bezeichnen. Während aber die Burgstadt mit ihrer Bevölkerung in herrschaftlicher Bindung steht, genießt die Kaufmannssiedlung zwar den Schutz des Burgherren, besteht aber als autonome Siedlung freier Leute. Aus ihrem Status als eines der Elemente einer Burgstadt erklärt sich, daß die Kaufmannssiedlung nicht eine Lokal-, sondern eine Personalgemeinde bildet. Der sie konstituierende Verband der Kaufleute ist gildemäßig verfaßt und stellt somit eine sich selbst verwaltende Körperschaft dar. Als solche empfängt die Kaufmannssiedlung herrschaftliche Privilegien (iura mercatorum), die ihr Siedelrecht und ihren Handelsverkehr betreffen. Als ihr Zentrum ist in einer Reihe von Fällen eine ecclesia mercatorum, eine Kaufmannskirche, bezeugt, mit dem Rechtsstatus einer Eigenkirche der Kaufmannsgemeinschaft, die als Versammlungsort und auch als Warenstapelplatz dient. Dieser besondere Charakter der Kaufmannssiedlung bedingt es, daß sie weder räumlich noch rechtlich mit Bevölkerung und Siedlung der Burgstadt eine Einheit bildet; sie hat nicht innerhalb der Burgstadt ihren Stand, sondern - wenn auch in räumlich naher Anlehnung an sie - neben ihr, so eng auch ihr funktionaler Zusammenhang mit ihr ist.

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Aus alledem ergibt sich, daß das Phänomen der Kaufmannssiedlung jenem Horizont des stadtgeschichtlichen Werdens im nordalpinen Europa angehört, der von der präkommunalen Burgstadt geprägt ist und nur in ihm seinen strukturgeschichtlichen Ort findet. Mit der Steigerung des Handelsverkehrs in Deutschland seit dem 10. Jahrhundert und der entsprechenden Verdichtung des Netzes der Märkte mußte sich hier auch die Gruppe der freien Berufskaufleute erheblich vermehren. Daraus ergab sich einerseits die Möglichkeit, andererseits aber auch das Bedürfnis einer gemeinsamen Organisation in Siedlung und Gesellungsrecht. Ob und wie weit die Kaufmannssiedlung des 10.-12. Jahrhunderts in einem genetischen Zusammenhang mit den Empörten oder Wik-Orten des 8. und 9. Jahrhunderts steht, scheint eine offene Frage. Mit dem Entstehen der kommunalen Stadt, in deren Bürgerschaft die Fernhandel treibenden Berufskaufleute bekanntlich eine führende Rolle spielten, ist auf jeden Fall das Ende des Strukturtyps der Kaufmannssiedlung gekommen.

Kaufmannssiedlungen im östlichen Altdeutschland und östlich von Elbe und Saale in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Kaufmannssiedlungen der beschriebenen Art sind im ganzen Nordwesten und der Mitte des kontinentalen Europa nachweisbar. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts lassen sich im Osten Altdeutschlands etwa die folgenden Plätze ausmachen - ich beschränke mich auf einige bedeutende Orte, für die eine Kaufmannssiedlung sicher bezeugt oder doch zu erschließen ist - : im Süden Erfurt, Naumburg, Merseburg, weiter Magdeburg, Halberstadt, Hildesheim, vielleicht auch Braunschweig, im Norden Hamburg und vermutlich Stade. Jenseits der Ostgrenze Altdeutschlands auf slawischem Gebiet lagen die Kaufmannssiedlungen von Alt-Lübeck und von Stettin, im Süden die von Leipzig und von Prag. Reicht die Prager Siedlung bis in das ausgehende 11. Jahrhundert zurück, so sind die Kaufmannssiedlungen von Alt-Lübeck, Stettin und Leipzig erst in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden. Besonders der Blick auf diese letzten drei Plätze gibt der Frage nach einer Kaufmannssiedlung in dem alten Vorort der Heveller den Hintergrund, vor dem sich ihre Berechtigung erweist.

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gesicherte

Besiedlung

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Fürstenhaus. Magazine. Stallungen. Kirche. B r u n n e n , S i e l , H ä u s e r : Kaufmannssiedlung

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Befund

vermutete aus F u n d e n

durch Grabungen 1882 u n d

Besiedlung erschlossen gesichert

Helmold - C h r o n i k

Abb. 6 Alt-Lübeck in spätslawischer Zeit; Lageplan von Günter P. Fehring nach Werner Neugebauer, 1975, aus: Seehandelszentren des nördlichen Europa. Der Strukturwandel vom 12. zum 13. Jahrhundert (= Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 7), Bonn 1983, Anhang, Abb. 2.

Instruktiv für die Erhellung der Brandenburger Frage wirkt das Bild der Burgstadt Alt-Lübeck. Hier haben wir, von zeitgenössischen Autoren, vor allem Helmold von Bosau, bezeugt und durch intensive Grabungen nachgewiesen, auf einer von Trave und Schwartau umflossenen Insel als funktionales Zentrum einen Burgwall, der eine fürstliche Residenz mit ihren Bauten samt einer kleinen Kirche und wohl auch eine Münzprägestelle birgt. Ihm nach Westen und Süden vorgelagert ist ein ausgedehntes, offenes Suburbium, das sich nach

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den archäologischen Befunden in verschiedene Quartiere gliedert. Erkennbar wird ein Handwerkerviertel; in anderen Teilen des Suburbiums haben wir uns fürstliche milites wie höriges Burggesinde zu denken. Von der sozialen Zusammensetzung des Suburbiums einer westslawischen Burgstadt, die nach ihrer Anlage der von Alt-Lübeck entspricht, gibt uns eine Urkunde von 1301 eine Vorstellung, die das altpomoranische Danzig betrifft und die einerseits die consules et cives der civitas, das ist, der Rechtstadt Danzig, andererseits die milites, die piscatores und die homines des Castrum Gdanense aufführt; die Gruppe der homines umschließt vermutlich sowohl Handwerker als auch höriges Gesinde, die ebenso wie die Krieger und die Fischer zur Burg gehörten. Auf dem gegenüberliegenden Ufer der Trave bezeugt Helmold in Alt-Lübeck eine von dem Obodritenfürsten Heinrich (t 1127) berufene colonia поп parva mercatorum mit einer eigenen Kirche, einer Kaufmannskirche also. Nicht eindeutig ermittelt ist die Lage des von Helmold genannten Hafens und des mit Sicherheit zu erschließenden Marktes von Alt-Lübeck. Die Kaufmannssiedlung von Alt-Lübeck ordnet sich in geradezu klassischer Weise dem Strukturzusammenhang der slawischen Burgstadt zu. Räumlich von ihr getrennt, aber funktional auf sie bezogen, mit ihrer Kirche erkennbar eine autonome Personalgemeinde bildend, bietet sie ein Bild, wie es sich mit gleicher Klarheit auch an einigen, wenn auch nicht zahlreichen, altdeutschen Plätzen zeigt.

Die Frage einer im voraskanischen

Kaufmannssiedlung Brandenburg

Strukturelle Voraussetzungen einer Kaufmannssiedlung in Brandenburg im frühen 12. Jahrhundert Treten wir nun, mit solchen Vorkenntnissen ausgerüstet, an die Frage einer Kaufmannssiedlung in Brandenburg in voraskanischer Zeit, das heißt, in der Zeit vor 1150, heran, so müssen wir zunächst nach den strukturellen Voraussetzungen fragen, ohne die eine Kaufmannssiedlung hier nicht hätte bestehen können. Obgleich weder die schriftlichen Quellen noch die archäologischen Befunde für die slawische Brandenburg auch nur annähernd so reichhaltig sind wie

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für Alt-Lübeck, so lassen sich doch zentrale Funktionen ebenso wie gewisse Grundzüge der Siedlungsstruktur erkennen. Vieles bleibt aber undeutlich, solange die Grabungsbefunde nicht in gleicher Ausführlichkeit ausgewertet vorliegen, wie wir das von anderen Grabungen an bedeutenden elb- und ostseeslawischen Burgwällen kennen. Die Brandenburg erscheint im 10. Jahrhundert zunächst als Fürstensitz, später als Bischofssitz. Nach dem großen Slawenaufstand von 983, der die Zerstörung des Bistums und eine pagane Restauration bewirkte, und nach den anschließenden Kämpfen um die Burg verschwindet sie im 11. Jahrhundert aus den schriftlichen Quellen, um erst im frühen 12. Jahrhundert wieder aufzutauchen, und zwar erneut als Sitz slawischer Fürsten. Der Fürst Meinfried (t 1127) war wahrscheinlich, sein Nachfolger Pribyslav-Heinrich mit Sicherheit Christ, während ihr Volk im Heidentum verharrte. Es hat den Anschein, als habe die Herrschaft des Fürsten Pribyslav-Heinrich fast die ganze Mittelmark umfaßt, vielleicht auch Teile der Uckermark, nicht aber die Prignitz. Nach dem Tode des bedeutenden Obodritenfürsten Heinrich im Jahr 1127 war Pribyslav-Heinrich der mächtigste slawische Herrscher zwischen Elbe und Oder. Wie Hans-Dietrich Kahl in seinem grundlegenden Werk über den letzten Abschnitt in der Geschichte des slawischen Brandenburg gezeigt hat, nahm er, ebenso wie vor ihm der Obodrite Heinrich (dessen Residenz sich in Alt-Lübeck befand), den Königstitel an. Es will so scheinen, als habe der Hevellerfürst durchaus bewußt die Nachfolge des Obodriten angetreten. Auf jeden Fall war die Brandenburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts der Vorort eines bedeutenden Herrschaftsbereiches. Der Fürst hatte, wie aufgrund der Angaben der Gründungsurkunde für das Bistum Brandenburg von 948 stets angenommen und wie nun von den seit 1962 unter der Leitung von Klaus Grebe durchgeführten Grabungen bestätigt ist, seinen Sitz innerhalb eines mächtigen, dicht bebauten Rundwalles auf der von Havelarmen umflossenen späteren Dominsel; dort hatte er für seinen Hof eine kleine Kapelle errichtet, in der er auch sein Grab fand. Im Westteil der Dominsel haben die Grabungen ein offenes Suburbium festgestellt, in dem sich eine Reihe von Handwerkerstätten befand. Schriftlich bezeugt, und zwar durch den bekannten Tractatus de urbe Brandenburg des Heinrich von Antwerpen, ist ein Suburbium auf dem nordwestlich gegenüberliegenden Havelufer; in ihm stand gleichfalls nach dem Zeugnis des Heinrich von Antwerpen - die

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ebenfalls voraskanische Gotthardt-Kirche, von der ich noch zu sprechen haben werde. Archäologisch ist ein Suburbium auf diesem Ufer der Havel nicht nachgewiesen. Zwar verzeichnen die von K. Grebe vorgelegten Karten der spätslawischen Siedlungsballungen im Bereich der Brandenburg einen Siedlungsteil auf dem Gebiet des späteren Altstädter Kietzes. Die zwei von Bruno Krüger hier angelegten Suchschnitte haben jedoch nur die bekannte blaugraue deutsche Keramik zutage gefördert, und die bei Erdarbeiten im Jahre 1941 geborgene spätslawische Keramik war mit frühdeutscher vergesellschaftet. Nach diesen Befunden scheint es einstweilen kaum möglich, das von Heinrich von Antwerpen genannte Suburbium auf dem Gebiet des Altstädter Kietzes zu lokalisieren. Günter Mangelsdorf sucht es im „Seidenbeutel", dem anschließenden Gelände am Havelufer dicht innerhalb der Stadt, wo W. Schich auch den 1187/1216 bezeugten antiquus pons ansetzt, der beide Teile des Suburbiums, den auf der Dominsel und den auf dem gegenüberliegenden Havelufer, miteinander verband. Offene Siedlungen der spätslawischen Zeit unbestimmten Charakters sind archäologisch auch im Gebiet der späteren Neustadt und östlich des Beetzsees erkannt. Nach einigen Urkunden aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lag nun die Gotthardt-Kirche in einer villa, que dicitur Parduin- so die bekannte Urkunde Bischof Wilmars von 1166, nach der die Kirche der villa Parduin als Pfarrkirche diente. Die ältere Forschung bis hin zu H.-D. Kahl hat deshalb die Identität der villa Parduin mit dem von Heinrich von Antwerpen als Ort der Gotthardt-Kirche bezeugten Suburbium angenommen. Ich komme auf diese Frage noch zurück und beschränke mich für jetzt auf die Feststellung, daß das Suburbium, wo immer es gelegen haben mag, institutionell keinesfalls mit dem Altstädter Kietz identisch war; der Siedlungstyp des Kietzes muß - trotz seiner unbezweifelbaren slawischen Wurzel - als frühaskanische Schöpfung gelten. Wohl aber darf man annehmen, daß die Bevölkerung des Altstädter Kietzes aus dem alten Suburbium gekommen ist. Was die wirtschaftlichen Funktionen in dem Burgort Brandenburg betrifft, so haben die Grabungen die handwerkliche Verarbeitung von Glas, Holz, Knochen und Geweih, Textilien, Leder, Buntmetall und Eisen festgestellt; daß Keramik hergestellt wurde, versteht sich. Importwaren weisen auf Handelsbeziehungen mit Polen und dem

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Kiewer Rußland hin. Die auf den Namen des Fürsten Heinrich geprägten, erhaltenen Münzen, die als Prägeort Brandenburg nennen, erweisen die Burg als Münzprägestätte. Wenn der Brandenburger Münztyp zeitgenössischem sächsischen Vorbild folgt, dann deutet das auf Handelsbeziehungen auch zu diesem Räume hin. Eine Fernverkehrsstraße von Magdeburg über Brandenburg, Spandau bzw. Potsdam, Köpenick nach Lebus und weiter nach Posen hat Joachim Herrmann anhand von Schatzfunden des 11. Jahrhunderts, die diesem Straßenzug folgen, nachgewiesen. Offenbar war der Raum der späteren Mittelmark, der im 9. und 10. Jahrhundert nach Ausweis der Verbreitung der Schatz- und der Münzfunde mit seinem Fernhandel hinter dem Raum der südlichen Ostseeküste weit zurückblieb, seit dem 11. Jahrhundert in einem wirtschaftlichen Aufstieg begriffen, der ihn auch für den Fernhandel attraktiv machte. Das wird auch durch das Bild der Verbreitung sächsischer Münzprägungen des 11. und 12. Jahrhunderts bestätigt, das an der mittleren Havel und der unteren Spree deutliche Verdichtungen aufweist, die sich denen des Ostseeraumes durchaus vergleichen lassen. Nach alledem wird man anzunehmen haben, daß, wie in den obodritischen Burgstädten Oldenburg i. H., Alt-Lübeck und Mecklenburg, so auch in der Brandenburg, jedenfalls in der Zeit des Fürsten Pribyslav-Heinrich, ein Markt im rechtlichen wie im wirtschaftlichen Sinne des "Wortes bestanden hat. Daß ein voraskanischer Markt hier in den schriftlichen Quellen nicht erscheint, will wenig besagen, wenn man bedenkt, daß der Text, in dem man am ehesten noch eine entsprechende Angabe erwarten könnte, nämlich der Traktat des Heinrich von Antwerpen, im Rahmen seiner ganz andere Absichten verfolgenden Schrift, keinerlei Anlaß hatte, einen Markt zu erwähnen.

Die villa forensis Parduin und die Frage einer Kaufmannssiedlung im voraskanischen Brandenburg Aus dem gleichen Grunde kann auch das Schweigen der schriftlichen Quellen über eine Niederlassung von Kaufleuten in der voraskanischen Brandenburg nicht als argumentum e silentio verwandt werden. Die Frage ist in der Forschung umstritten. Während Eckhard Müller-Mertens, der von einem „Einsickern" deutscher Kaufleute in

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das von ihm so genannte slawische Suburbium Parduin vor 1150 spricht, offenbar eine voraskanische Kaufmannssiedlung im eigentlichen Sinne nicht annimmt, hält J. Herrmann sie für gesichert, W. Schich nennt sie sehr wahrscheinlich. H.-D. Kahl aber hat sich nach gründlicher Erörterung der Frage gegen die Existenz einer Kaufmannssiedlung in der voraskanischen villa Parduin ausgesprochen. Ein schriftliches Zeugnis für das Vorhandensein einer Kaufmannssiedlung in dieser Zeit könnte das sogenannte Nienburger Fragment, die erhaltenen Bruchstücke von Aufzeichnungen über den Besitz des Klosters Nienburg/Saale, bieten, wenn die Datierung auf die Zeit um 1150 sicher wäre. Denn hier werden mercatores de Brandeburch erwähnt, die häufig das Seengebiet an der mittleren Spree in der Niederlausitz aufsuchten (frequenter illuc adventantes), um dort Fische zu kaufen. W. Schich geht in seiner Behandlung der Frage von der uns bereits bekannten, in einer Urkunde des Bischofs Wilmar von Brandenburg von 1166 zuerst erwähnten villa Parduin aus, die in einer bischöflichen Urkunde von 1187/1216 als forensis villa, in weiteren Urkunden des späten 12. Jahrhunderts auch als civitas bezeichnet wird. Mit Bestimmtheit kann gesagt werden, daß die villa Parduin ihren Rechtsstatus als villa forensis, also als eines „Ortes nach Marktrecht", wie ihn W. Schlesinger klassisch beschrieben hat, erst nach 1157 erhalten hat, sehr wahrscheinlich aber noch unter Albrecht dem Bären (t 1170). Als Siedlungseinheit kann sie jedoch sehr wohl ein höheres Alter haben. Keinesfalls ist sie deckungsgleich mit dem Suburbium, in dem oder bei dem nach Heinrich von Antwerpen die Gotthardt-Kirche lag; ein Suburbium ist keine selbständige, mit einem eigenen Namen bedachte, als villa zu bezeichnende Siedlungseinheit. Überdies ist der Ortsname, wie Anneliese Bretschneider gezeigt hat, nicht slawisch, sondern niederfränkisch oder niederdeutsch. Wenn Heinrich von Antwerpen die Gotthardt-Kirche in suburbio Brandenburg liegen läßt, ihre Lage in der Urkunde Bischof Wilmars von 1166 aber mit inparrochia ... ville, que diciturParduin, angegeben wird, dann ist dieser scheinbare Widerspruch wohl am ehesten so aufzulösen, daß die villa Parduin räumlich an das slawische Suburbium im engeren Sinne anschloß und auch funktional ihm eng verbunden war, so daß es möglich war, beide Siedlungseinheiten trotz ihrer rechtlichen Scheidung als Suburbium im weiteren Sinne zu bezeichnen.

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1174/1176 figuriert Parduin als civitas mit Hofstellen (areae); 1179 wird eine Salzzollstelle in Parduin genannt, 1187 und wieder 1209 ein Hospital - es handelt sich um das Heiliggeisthospital, das zwischen Gotthardt-Kirche und Altstädter Kietz, vor dem Mühlentor, gelegen hat. Die villa forensis Parduin präsentiert sich somit im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts als Siedlung von frühstädtischem Charakter. Seit 1238 verschwindet der Name Parduin aus den Urkunden. Die villa forensis Parduin ist mit der inzwischen begründeten Altstadt Brandenburg rechtlich vereinigt. Die Ummauerung des 13. Jahrhunderts, die die Altstadt einschließlich Parduin umschließt, besiegelt den Zusammenschluß. Doch läßt sich mit W. Schich vermuten, daß die 1241 bezeugte Doppelung des Brandenburger Schultheißenamtes als Relikt einer ursprünglichen rechtlichen Trennung von Parduin und Altstadt Brandenburg zu deuten ist. Daß die Altstadt und Parduin als rechtlich getrennte Siedlungseinheiten eine Zeitlang nebeneinander bestanden haben, hat Paul Jonas Meier seinerzeit - mit einer nach meiner Ansicht beachtenswerten Argumentation - aus der Altstädter Straßenführung erschließen zu können geglaubt. Keinesfalls aber ist anzunehmen, daß die Altstadt Brandenburg und die villa forensis Parduin gleichzeitig nebeneinander angelegt worden sind. Vielmehr kann als sicher gelten, daß die villa forensis Parduin die ältere Gründung ist. Die Altstadt Brandenburg läßt sich mit ihrem Kern, dem Markt, dem ihn von West nach Ost durchziehenden Straßenzug, der vom Plauer Tor kommenden Plauer Straße und der auf das Mühlentor führenden Mühlenstraße und dem Bogen, der dieser Längsachse zunächst parallel laufenden, dann auf ihn zustrebenden Bäckerstraße, im historischen Stadtgrundriß gut fassen. Von ihm deutlich abgesetzt liegt die Siedlungseinheit um St. Gotthardt, die nur durch zwei schmale Durchlässe mit der südlich an ihr vorbeiziehenden Mühlenstraße verbunden ist; ein ebenso schmaler Durchlaß öffnet sie zur Rathenower Straße hin, die zum Rathenower Tor führt. Eine solche Rand- und Winkellage könnte die Siedlung nicht einnehmen, wäre sie gleichzeitig mit der Altstadt oder gar später als diese angelegt worden. Die Siedlung um St. Gotthardt, die sich im Stadtgrundriß so deutlich als besondere Siedlungseinheit von der Altstadt abhebt, muß mit der schriftlich bezeugten villa Parduin, deren Pfarrkirche eben St. Gotthardt war, identisch sein. Zu fragen bleibt nur, ob die villa Parduin nicht ursprünglich, vor der

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Anlage der Mühlenstraße, weiter nach Süden bis an den „Seidenbeutel" gereicht hat, in dem G. Mangelsdorf das Suburbium im engeren Sinne sucht. Die Frage, wann die Altstadt in ihrem Kern angelegt ist, läßt sich, wenn überhaupt, dann nur durch archäologische Untersuchungen beantworten. Zwar läge es nahe, die frühen Nennungen des Namens Brandenburg als Stadtnamen auf die Altstadt zu beziehen. In diesem Falle würde das Jahr 1170 den Terminus ante quem für die Anlage der Altstadt bilden, denn eine in diesem Jahre ausgestellte Urkunde Markgraf Ottos I. gewährt den cives Brandenburgenses Zollbefreiungen für ihren Handel in der Mark und kennzeichnet sie damit als Kaufleute, die in einer Siedlung des Namens Brandenburg ansässig sind. Die Urkunde ist damit das älteste Zeugnis für den Gebrauch des Namens Brandenburg als Benennung einer städtischen Siedlung, das wir besitzen. Nun werden aber die Namen Brandenburg und Parduin im 12. Jahrhundert offensichtlich für ein und dieselbe Lokalität gebraucht. 1179 bezeugt das Privileg Kaiser Friedrich Barbarossas für das Bistum Brandenburg einen Salzzoll in Parduin, das Privileg Markgraf Ottos I. vom selben Jahr aber eben diesen Zoll in Brandenburg. Deshalb ist mir wahrscheinlich, daß die ältesten Belege für den Stadtnamen Brandenburg seit 1170 sich noch nicht auf die Altstadt beziehen, sondern auf die villa Parduin. Der Name Brandenburg wurde für die villa Parduin und dann später für die Altstadt wohl gebraucht, um auf die rechtliche Unterstellung der Siedlung unter die Burgherrschaft hinzuweisen. Als die Altstadt angelegt wurde, hat man die villa Parduin mit Bewußtsein links liegen lassen, weil sie wesentliche wirtschaftliche Funktionen an die Altstadt abgegeben und ihre alte Bedeutung damit verloren hatte. Ein Teil der Bewohner der villa forensis Parduin dürfte in die Altstadt übergesiedelt sein; dafür spricht, daß die St. Gotthardt-Kirche die Pfarrkirche auch für die Altstadt wurde. Ein ganz entsprechender Vorgang ist mit aller wünschenswerten Deutlichkeit in Gandersheim zu beobachten, an anderen Plätzen wird er erschließbar, wie zum Beispiel in Naumburg. Ich kann hier aber nicht näher auf diese Vergleichsfälle eingehen.

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Wolfgang Η. Fritze Die Kirche St. Gotthardt in Parduin: die Frage ihres Alters und ihrer ursprünglichen Funktion

Soweit führen uns in der Geschichte der villa Parduin die schriftlichen Quellen und die Analyse des historischen Stadtgrundrisses. Fragen wir aber weiter nach einer möglichen Wurzel der Siedlung in voraskanischer Zeit, so müssen wir uns ihrer alten Pfarrkirche, der Kirche St. Gotthardt, zuwenden. Als Pfarrkirche von Parduin ist uns die Kirche, wie erinnerlich, in einer Urkunde Bischof Wilmars von 1166 bezeugt. Die gleiche Urkunde teilt weiter mit, Bischof Wigger (1138-116О) habe in dieser Kirche einen Prämonstratenserkonvent angesetzt. Heinrich von Antwerpen bestätigt und ergänzt diese Angabe, indem er die Initiative für die Berufung des Konventes dem Fürsten Pribyslav-Heinrich zuschreibt, der dabei die Hilfe Bischof Wiggers erhalten habe, und indem er die Herkunft des Konventes aus dem Prämonstratenserstift Leitzkau, einem von Bischof Wigger gegründeten Tochterstift des Stiftes Unserer lieben Frauen in Magdeburg, mitteilt, dessen Kapitel er die Rechte eines Brandenburger Domkapitels verliehen hatte. Damit ist gesichert, daß die Kirche St. Gotthardt in Parduin in die voraskanische Zeit zurückreicht. Die Berufung des Prämonstratenserkonventes legen Johannes Schultze und Hans-Dietrich Kahl überzeugend in das Jahr 1147, das Jahr des Wendenkreuzzuges. Die Frage bleibt aber, ob die Gotthardt-Kirche erst zu dieser Zeit eigens für den neu berufenen Prämonstratenserkonvent erbaut worden ist, oder ob sie vielmehr 1147 bereits bestand und als bestehende Kirche dem Konvent übertragen wurde. Liest man die beiden Texte, die Urkunde von 1166 und den Traktat des Heinrich von Antwerpen, unbefangen, unbelastet von allen Vorkenntnissen, so muß man zu der Feststellung gelangen, daß Bischof Wigger bzw. der Fürst den Konvent in einer bereits bestehenden Kirche angesiedelt hat: canonicos ... in ecclesia beati Godehardt scilicet in parrochia eiusdem ville, que dicitur Parduin, collocaverat, heißt es in der Urkunde Bischof Wilmars, und entsprechend lesen wir im Traktat, der sich hier wohl auf die Urkunde stützt: canonicos... in ecclesia s. Godehardt in suburbio Brandenburg collocavit. Besonders ins Gewicht fällt, daß der Bischof nicht nur die Kirche, sondern auch den Pfarrsprengel von Parduin als bereits bestehend behandelt und daß er Kirche und Parochie als eine rechtliche Einheit faßt. Nicht der Kirche St. Gotthardt wird die Pfarre übertragen, sondern

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die Kanoniker empfangen die Kirche zusammen mit der Pfarre, wie es die Urkunde mit klaren Worten sagt: ecclesiam beati Godehardt... cum parrochia prefate ville Parduin a pie memorie episcopo Wigero receperant. Es ergibt sich somit der Schluß, daß vor der Berufung eines Prämonstratenserkonventes aus Leitzkau nach Parduin hier eine Gotthardt-Kirche als Pfarrkirche der villa Parduin bereits bestanden hat. Damit kann zunächst einmal als sicher gelten, daß es vor 1150 eine villa Parduin gegeben hat. Halten wir daran fest, daß die Kirche St. Gotthardt in Parduin schon vor ihrer Übertragung an den neuberufenen Prämonstratenserkonvent (wahrscheinlich 1147) bestanden hat, und zwar als Pfarrkirche für die villa Parduin, dann stellt sich uns die Frage nach dem Wesen dieser villa. Um ein Dorf im Sinne einer rein agrarischen Siedlung kann es sich nicht gehandelt haben. Dafür ist der Kirchenbau zu mächtig; vor allem aber kann es vor 1150 noch keine christlichen Bauern in Brandenburg gegeben haben. Die voraskanische villa Parduin hatte demnach eine nichtagrarisch tätige christliche, und das bedeutet wohl deutsche, Bevölkerung. Darauf weist denn auch der niederdeutsche oder niederfränkische Ortsname Parduin hin. Diese Erkenntnis hat W. Schich und auch mich schon früher zu der Annahme geführt, daß es deutsche Kaufleute waren, die die Bevölkerung der voraskanischen villa Parduin bildeten. Über ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit konnten wir aber in dieser Frage nicht hinausgelangen. An diesem Punkte kann nun wohl eine Beschäftigung mit dem Patrozinium und seiner Verbreitung weiterhelfen.

Ursprung und östliche Verbreitung des Godehard-Kultes Ursprung und allgemeine Verbreitung des Kultes im 12. Jahrhundert Der hl. Godehard war bekanntlich Bischof von Hildesheim, und zwar - als Nachfolger des berühmten Bischofs Bernward - von 1002 bis 1038. Seiner Herkunft nach Baier, war er vorher Mönch, Prior und zuletzt Abt des Klosters Niederaltaich gewesen und hatte sich in dieser Zeit als monastischer Reformer einen Namen gemacht. Aus

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der Vita Godehardt episcopi prior gewinnt man den Eindruck eines überaus tätigen Mannes, der sich auf den verschiedensten Gebieten Verdienste erwarb. Es scheint, daß er schon unter Bischof Hezilo (1054-1079) in der Diözese Hildesheim als Heiliger verehrt wurde. Aber erst dem vierten Nachfolger Hezilos, Bischof Bernhard, gelang es im Jahre 1131, die Kanonisierung durch den Papst zu erreichen. 1133 begründete Bischof Bernhard das bekannte Godehard-Kloster in Hildesheim. Wie aus der von Josef Fellenberg gen. Reinold angefertigten Karte der Verbreitung der Godehard-Kultstätten abzulesen ist, war der Godehard-Kult im Raum des südlichen Niedersachsen zwischen der Weser im Westen und der Elbe und Saale im Osten bereits im 12. Jahrhundert weit verbreitet. Eine erheblich weniger dichte Verbreitung fand der Kult zu dieser Zeit in Süddeutschland zwischen dem Main und den Alpen. Ein weiteres Verbreitungsgebiet des 12. Jahrhunderts bildet in Mittelböhmen der Raum um Prag; Fellenberg führt es auf das Wirken des Bischofs Johann von Prag zurück. Nur fünf Kultstätten des 12. Jahrhunderts liegen im Raum zwischen Elbe und Saale im Westen und der Oder im Osten. Eine davon ist das Stift in Parduin. Die vier übrigen verteilen sich auf das Gebiet der südlichen Ostseeküste. Von ihnen gehen drei auf das Wirken des Bischofs Berno von Schwerin zurück, der aus dem Zisterzienserkloster Amelungsborn kam. Amelungsborn war eine Gründung jenes Bischofs Bernhard von Hildesheim, auf dessen Betreiben die Kanonisierung Godehards erfolgt ist. Auch das 1143 gegründete Zisterzienserkloster Georgenthal bei Gotha wurde ein Träger des Godehard-Kultes, dem zwei Tochterklöster Georgenthals geweiht waren, ebenso die 1137 unter Mitwirkung Bischof Bernhards von Hildesheim gegründete Zisterze Walkenried. Können wir also sagen, daß die Zisterzienser sich dem Kult des Hildesheimer Heiligen aufgeschlossen haben, so gilt durchaus nicht das gleiche für die Prämonstratenser. Neben Parduin ist mir nur ein weiteres Prämonstratenser-Stift mit dem Godehard-Patrozinium bekannt; es handelt sich um das Stift Grobe auf Usedom, von dem ich noch kurz sprechen werde. Das Godehard-Patrozinium der Kirche von Parduin gibt also, wie ich hier einfügen möchte, keinen Anlaß, den Bau der Kirche den Prämonstratensern zuzuschreiben.

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Herzog Boleslaus III. von Polen und der Godehard-Kult Eine Godehard-Kultstätte des 12. Jahrhunderts verzeichnet die Fellenbergsche Karte auch in Schlesien. Es ist die St. Gotthard-Kirche von Kostenblut (Kostomloty, Kr. Neumarkt/Sroda). Über den Marktort verfügte vor 1149 der polnische Herzog Boleslaus III. Von Boleslaus III. wissen wir, daß er zu den Verehrern des hl. Godehard gehört hat; das Godehard-Patrozinium der Kirche von Kostenblut werden wir deshalb auf ihn zurückführen dürfen. Wenn, wie schon bemerkt, das vor 1155 begründete Prämonstratenser-Stift Grobe auf Usedom unter dem Schutz des Hildesheimer Heiligen stand, dann geht das offenbar auf die Stifter, Herzog Ratibor von Pommern und seine Ehefrau Pribyslava, zurück. Pribyslava aber war eine Tochter Herzog Boleslaus III. Inwiefern sind wir nun aber berechtigt, von einer Verehrung des hl. Godehard durch den polnischen Fürsten zu sprechen? Im Jahre 1135 erschien Boleslaus vor Kaiser Lothar III. auf dessen Hoftag zu Merseburg (15. August). Beide Herrscher handelten hier in realistischer Einschätzung der Lage ein Übereinkommen aus, in dem sie ihre im Oderraum hart aufeinanderstoßenden Interessen miteinander ausglichen, wie W. Schlesinger in seinen Bemerkungen zur Stiftungsurkunde des Bistums Havelberg den Vorgang treffend charakterisiert hat. Bald darauf trafen sich beide Herrscher ein zweites Mal in Magdeburg, wo Lothar dem polnischen Fürsten einen überaus ehrenvollen Empfang bereitete. In der Zeit zwischen diesen beiden Treffen aber hat Boleslaus eine Wallfahrt nach Hildesheim an das Grab des hl. Godehard unternommen, wie uns die Annales Magdeburgenses berichten. Zwar wissen wir, daß bereits in dieser Zeit die Kunde von den wunderbaren Heilungen am Grabe Godehards bis nach Polen gedrungen war, aber darauf allein wird man die überraschende Wallfahrt, die der polnische Herrscher zwischen zwei hochpolitischen Akten vornahm, nicht zurückführen wollen. Den festlichen Empfang, der Boleslaus in Magdeburg zuteil wurde - ihm zu Ehren wurden in der Stadt die Glocken geläutet, wie der Magdeburger Annalist erbittert festhält - , muß man als ein Element in jenem Ausgleich ansehen, den der Fürst zuvor in Merseburg mit Lothar ausgehandelt hatte. Magdeburg bildete ja seit der Begründung eines Erzbistums 967/ 968 und der gleichzeitigen Begründung des ersten polnischen Bistums in Posen in polnischen Augen das Zentrum der deutschen

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Ansprüche auf eine deutsche Oberherrschaft über Polen. Ich kann auf die aus dieser Zeit herrührenden kirchenpolitischen Spannungen zwischen der Magdeburger Kirche und der seit dem Jahre 1000 in einer eigenen Kirchenprovinz mit dem Erzbistum Gnesen an der Spitze zusammengefaßten Kirche Polens hier nicht näher eingehen. Erwähnen muß ich aber, daß im Jahre 1133 Erzbischof Norbert von Magdeburg bei Papst Innozenz II. jenes überraschende Privileg erwirkt hat, dessen Inhalt Helmut Beumann sehr mit Recht als sensationell bezeichnet. Es verfügte nichts geringeres als die Unterstellung sämtlicher polnischer Bistümer und dazu zweier noch zu gründender Bistümer für Pommern unter die Jurisdiktion des Erzbischofs von Magdeburg; die Kirchenprovinz Gnesen wurde als nicht bestehend behandelt. Den allgemeinen politischen Hintergrund, vor den das Dokument zu stellen ist, hat H. Beumann dargelegt. Nach seiner überzeugend begründeten Auffassung ist das Privileg „als Element einer umfassenden Strategie des Kaisers" zu deuten. Die engen Beziehungen Lothars zu Erzbischof Norbert sind bekannt. Erwähnen muß ich ferner, daß Kaiser Heinrich V. im Zusammenhang mit seinem Polenfeldzug von 1109 dem Erzstift Magdeburg die polnische Oder-Feste Lebus übertragen hatte. Wenn überhaupt dieser Anspruch damals realisiert worden ist, dann jedenfalls nur für kurze Zeit; 1124/25 war Lebus wieder in polnischer Hand. Herzog Boleslaus III. gründete zu dieser Zeit hier ein neues polnisches Bistum, dessen Aufgabe offensichtlich die Missionierung der heidnischen Slawen an Havel und Spree bildete. Die Gründung des Bistums Lebus gehört in den gleichen weiten Zusammenhang einer Verbindung von Mission und politischer Expansion in der Politik Boleslaus III. wie die Gründung des kujawischen Bistums Leslau (Wloctawek), das auch für Pommerellen zuständig war, und vor allem wie die von Boleslaus inaugurierte und nachhaltig unterstützte Pommernmission des Bischofs Otto von Bamberg.

Behält man alle diese Vorgänge im Auge, in denen sich die einander entgegengesetzten Ambitionen Magdeburgs und Polens mit unüberbietbarer Deutlichkeit manifestieren, dann kann man ermessen, welchen Triumph für Boleslaus der feierliche Empfang bedeuten mußte, den Lothar ihm gerade in Magdeburg bereiten ließ. Es wird hier deutlich, daß Lothar 1135 auf Kosten Magdeburgs von den weitgespannten Plänen der Vorjahre abgerückt ist, um zu einem im

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Interesse beider Seiten liegenden deutsch-polnischen Ausgleich zu gelangen. Rückt man die Wallfahrt des Polenherrschers an das GodehardGrab in Hildesheim vor den Hintergrund der Begebnisse in Merseburg und in Magdeburg, dann fällt es schwer zu glauben, daß sie einem nur privaten Antrieb gefolgt sei. Näher liegt es, in ihr eine politische Demonstration zu erblicken, die den unpolitischen, friedfertigen hl. Bischof von Hildesheim dem militanten Schutzpatron des Erzstiftes Magdeburg, dem hl. Mauritius, entgegenstellen sollte. Daß auch ein anderer Aspekt in Hildesheim eine Rolle gespielt haben dürfte, werde ich noch darzulegen haben.

Die St. Gotthard-Kirche in Posen: Alter und ursprüngliche

Funktion

Schriftliche Bezeugung, stadttopographische Situation und archäologischer Befund Vergegenwärtigt man sich die so klar bezeugte Verehrung Boleslaus III. für den hl. Godehard, dann gewinnt es ein besonderes Interesse, wenn wir in Posen, dem alten Sitz der Piasten und zugleich dem Sitz des ältesten polnischen Bistums, einer St. GotthardKirche (koscioi sw. Gotarda) begegnen. Freilich ist die auf dem westlichen Ufer der Warthe gelegene Posener Kirche erst im Jahre 1244 erstmals erwähnt, als Herzog Przemysl I. sie dem Dominikanerorden übergab, vielleicht bereits im Hinblick auf die geplante Lokation der Rechtsstadt von Posen westlich der Warthe, die 1253 vorgenommen wurde und in die die St. Gotthard-Kirche einbezogen wurde. Ausgrabungen, die der Posener Archäologe Jan Zak an der St. Gotthard-Kirche vorgenommen hat, haben eine romanische Vorgängerkirche unter der heute bestehenden gotischen Kirche aufgedeckt, deren Entstehung in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts gesetzt wird. Im Hinblick auf die Verehrung des hl. Godehard, die uns für Herzog Boleslaus III. so sicher bezeugt ist, glaube ich dennoch nicht fehlzugehen, wenn ich die Errichtung der Posener Gotthard-Kirche bereits diesem Herrscher (t 1138) zuschreibe. Ebenfalls auf dem linken Warthe-Ufer stand die im selben Jahr 1244 erstmals erwähnte Kirche des hl. Adalbert (koscioi sw. Wojciecha), deren Entstehung die Posener archäologische Forschung

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gleichfalls in das 12. Jahrhundert setzt. Auch der hl. Adalbert hatte für Boleslaus III. eine besondere Bedeutung als heiliger Missionar, der unter dem Schutze des großen Vorgängers Boleslaus III., Boleslaus I., gestanden hatte. Ihn machte Boleslaus III. zum Schutzpatron des Bistums Lebus. Auch die beiden Adalbert-Kirchen, die Otto von Bamberg während seiner ersten, von Polen ausgehenden Fahrt nach Pommern 1124 in Stettin und in Wollin gründete, gehören in diesen Zusammenhang. Ich nehme deshalb an, daß beide Posener Kirchen, die Gotthard- ebenso wie die Adalbert-Kirche, auf Boleslaus III. zurückgehen.

Ursprüngliche Zweckbestimmung der Posener Gotthard-Kirche Fragen wir nach der Funktion der Posener Gotthard-Kirche vor 1244, dann müssen wir zunächst einen kurzen Blick auf die altpolnische Stadt Posen werfen, wie sie sich im 12. Jahrhundert darstellt. Im Gegensatz zum slawischen Brandenburg, aber auch zu Alt-Lübeck oder dem altpomoranischen Danzig bietet Posen nach den schriftlichen Zeugnissen und den archäologischen Befunden das Bild einer vielkernigen Stadt, ebenso wie Breslau und Krakau. Das Zentrum liegt auf der Dominsel (Oströw Tumski). Dort steht inmitten eines starken Walles die Kathedralkirche St. Peter. Südlich der Domburg vorgelagert ist ein Suburbium mit der 1146 zuerst genannten Pfarrkirche St. Nikolai. Die im Suburbium gefundenen Waagen und Gewichte zeigen, daß hier nicht nur Handwerk betrieben worden ist, sondern auch Handel stattgefunden hat. Auf dem linken Ufer der Warthe, wo später die Lokationsstadt entstand, finden wir drei Kirchen, im Norden die Kirche St. Adalbert, südöstlich von ihr die St. Gotthard-Kirche und weiter im Süden die St. Martinskirche. Anscheinend dienten alle drei als Pfarrkirchen von Siedlungen, die sich um sie lagerten; sicher bezeugt ist das für die Martinskirche. Die bedeutendste dieser Siedlungen befand sich nach den archäologischen Befunden an der St. Gotthard-Kirche, die schon zu Ende des 11. Jahrhunderts entstanden zu sein scheint. Auch hier wurden neben Hinweisen auf handwerkliche Tätigkeit Waagen und Gewichte gefunden, so daß der Ausgräber J. Zak an dieser Stelle einen Marktort annimmt.

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1 Dom 2 St. Maria 3 St. Nikolaus 4 St. Margareta 5 St. Johannes (Johanniter) 6 St. Gotthard (Dominikaner) 7 ehem. Marktort (locus sancti Gothardi) 8 Markt (Ring) 9 Schloß 10 St. Maria Magdalena 11 St. Martin 12 St. Adalbert 13 St. Georg

Abb. 7 Posen im 12./13. Jahrhundert. Skizze von Winfried Schich nach Zdzislaw Kaczmarczyk, 1954, und Stanistawa Zajchowska, 1977, aus.· Deutsche-Polen-Juden, hrsg. von Stefi Jersch-Wenzel (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 58), Berlin 1987, S. 90.

Danach hat die Posener Gotthard-Kirche im 12. Jahrhundert als Pfarrkirche einer Siedlung gedient, in der Handwerk betrieben wurde und ein Markt bestand. Ob an der St. Gotthard-Kirche eine deutsche Kaufmannssiedlung bestanden hat, ist umstritten. Die Lokationsurkunde von 1253 erwähnt neben dem aus Guben kommenden Lokator Thomas einen antiquus scultetus Henricus, über dessen Kompetenzbereich die Urkunde jedoch keine Angaben macht. Einige polnische Forscher halten Heinrich für den Schultheißen einer deutschen Kaufmannssiedlung an der St. Gotthard-Kirche. Ich schließe mich jedoch Walter Kuhn und anderen Forschern an, die in Heinrich den Schultheißen einer älteren deutschrechtlichen Siedlung in Posen sehen, der Srödka, die im frühen 13. Jahrhundert auf dem rechten Warthe-Ufer wohl nach dem Recht der Stadt Neumarkt (polnisch Sroda) in Schlesien angelegt worden ist und deren Bürger nach dem Bericht der Großpolnischen Annalen 1253 in die neue Lokationsstadt auf dem linken Wartheufer überführt worden sind.

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Es bleibt aber die Frage einer deütschen Kaufmannssiedlung an der Posener St. Gotthard-Kirche vor der Begründung der Srödka. Eindeutig entscheiden läßt sie sich nicht. Vor dem Hintergrund dessen aber, was wir über die Funktion der Posener Gotthard-Kirche im 12. Jahrhundert wissen, erscheint die Wallfahrt Herzog Boleslaus III. an das Godehard-Grab in Hildesheim, so meine ich, in einem neuen Lichte. Neben ihrem politischen verfolgte sie, so scheint es mir, auch ein handelspolitisches Ziel. Ich halte es für wahrscheinlich, daß der Herzog in Hildesheim Verhandlungen über die Ansiedlung deutscher Kaufleute geführt hat, denen er mit der Errichtung der St. GotthardKirche in Posen eine Heimstatt unter dem Schutze ihres heimischen Heiligen bieten wollte. Denkt man an die Ambitionen, die das Erzstift Magdeburg gegenüber Polen hatte, insbesondere an seinen Anspruch auf die Feste Lebus, an dem es bekanntlich über das ganze 12. Jahrhundert hindurch festgehalten hat, so wird möglich und wahrscheinlich, daß Herzog Boleslaus einer eventuellen Ansiedlung Magdeburger Kaufleute in Polen entgegenwirken wollte, indem er Kaufleute aus Hildesheim anwarb. Ob dieser Plan ausgeführt worden ist, wissen wir nicht. Daß er aber bestanden hat, halte ich für sehr wahrscheinlich.

Hildesheim in der ersten Hälfte des

12.fahrhunderts

An dieser Stelle ist ein kurzer Blick auf die Stadt Hildesheim unerläßlich, wie sie sich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts dem Betrachter darbietet. Auch Hildesheim ist, wie viele andere Bischofsstädte, eine vielkernige Stadt. Keimzelle der städtischen Entwicklung ist die umfangreiche Domburg. Nördlich und südlich von ihr liegen das Michaelskloster und das Godehard-Kloster, im Westen das Moritzstift, im Nordosten das Bartholomäus-Stift, die sämtlich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bestanden haben. Das gleiche gilt für die St. Andreas-Kirche, die, auffälligerweise auf einer Anhöhe abseits des Altstädter Marktes gelegen, dennoch als ecclesia forensis bezeugt ist. Aber auch zu dem schon 1146 als vetus forum bezeugten Alten Markt, einem zwischen Domburg und Michaelskloster von West nach Ost ziehenden Straßenmarkt, hat die Andreas-Kirche keinen unmittelbaren Zugang. Da 1195 bei der Kirche Kaufbuden erwähnt werden, kann mit W. Schlesinger angenommen werden,

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daß bei St. Andreas jener lutteke market zu suchen ist, den das Hildesheimer Stadtrecht um 1300 vom groten market unterscheidet. Die Hildesheimer Forschung erklärt das Nebeneinander von Altem Markt und Altstädter Markt einleuchtend damit, daß sie den Alten Markt als den Markt einer anzunehmenden älteren Kaufmannssiedlung vor der Domburg und somit als den Markt bestimmt, der der Entstehung einer kommunalen Stadt in Hildesheim vorausging. Den bei der Kirche St. Andreas erkennbar werdenden lutteken market aber hält W. Schlesinger im Gegensatz zu dem dem Fernhandel dienenden Alten Markt und dem groten market im Zentrum der Altstadt für einen älteren Nahmarkt, der gleichfalls in der Zeit vor Entstehung der kommunalen Stadt entstanden sei. Schlesinger kann sich hier auf die analoge Entwicklung von Halberstadt berufen. An die Marktsiedlung bei St. Andreas Schloß die Altstadt Hildesheim an. Der Kern der Altstadt mit dem Altstädter Markt und wohl auch der Kirche St. Jacobi, einer Filialkirche von St. Andreas, bestand ebenfalls bereits in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Aus diesen knappen Angaben zum Stande der städtischen Entwicklung von Hildesheim bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts ergibt sich jedenfalls soviel, daß die Stadt in dieser Zeit in raschem Aufschwung begriffen war. Dazu trug ihre günstige Verkehrslage bei. Die Stadt lag an einer Stelle, an der eine Verlängerung des alten, vom Rhein kommenden Hellweges die Niederung der Innerste in Richtung auf Braunschweig und Magdeburg überschritt und sich mit einer Süd-Nord-Verbindung kreuzte. Seit der Zeit Bischof Bernwards, also der Zeit um 1000, wurden in Hildesheim Münzen geprägt. Über den Hildesheimer Handelsverkehr in östlicher Richtung können wir nicht viel sagen. Immerhin ist uns Handel mit Rußland im 12. Jahrhundert bezeugt. Nach einer Aufzeichnung in der Sammlung der Wunderheilungen am Godehard-Grabe in Hildesheim haben um 1135 sächsische Kaufleute, die im Heidenland überfallen worden und in Gefangenschaft geraten waren, eine Wallfahrt an das Godehard-Grab gelobt. Offensichtlich ist hier von Kaufleuten aus dem ostfälischen Raum die Rede, die Handel in slawischen Gebieten trieben. Die Stadt bot also, so können wir zusammenfassend sagen, im Jahre 1135 alle Voraussetzungen, um sie für einen mit Magdeburg konkurrierenden Handel nach Osten interessant zu machen. Von dem Handelsverkehr Magdeburgs über die Elbe nach Osten in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wissen wir ebenfalls nicht

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viel. Um so wertvoller ist uns daher der Nachweis von Erwin Aßmann, daß die deutschen Kaufleute, die sich zu dieser Zeit in Stettin niedergelassen haben, aus Magdeburg bzw. aus dem Raum der mittleren Elbe gekommen sind. Wenn also das Magdeburger Interesse am ostelbischen Handel erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts unter Erzbischof Wichmann in den schriftlichen Quellen erkennbar wird, und zwar dadurch, daß jetzt der Erzbischof östlich der Elbe Marktorte begründet, dann dürfen wir aus dem Schweigen der Quellen keinesfalls schließen, daß es nicht auch im frühen 12. Jahrhundert einen Magdeburger Osthandel gegeben hat, so wie er uns bereits im 9· und im 10. Jahrhundert bezeugt ist. Ein Magdeburger Interesse am Handel mit Posen in dieser Zeit ist also möglich und auch wahrscheinlich. Archäologisch ist ein Handelsverkehr von Magdeburg nach Lebus und weiter nach Posen für das 11. und frühe 12. Jahrhundert nachgewiesen, wie ich schon mitgeteilt habe. Ebenso wahrscheinlich ist es aber, daß dies dem polnischen Fürsten im höchsten Grade unerwünscht war und daß er sich, um den an sich willkommenen Handelsverkehr mit dem sächsischen Raum dennoch zu aktivieren, lieber an eine andere, politisch weniger bedrohliche Stadt wie Hildesheim gewandt hat.

Die Begründung einer deutschen Kaufmannssiedlung mit der Kirche St. Gotthardt in Parduin An diesem Punkte meiner Überlegungen angelangt, kann ich zum Ausgangspunkt, der St. Gotthardt-Kirche in Parduin, zurückkehren, die ich, wie dargelegt, für die Pfarrkirche einer voraskanischen deutschen Siedlung mit dem Namen Parduin halte. Das anscheinend so schwer erklärbare, östlich der Elbe so seltene, in der späteren Mark Brandenburg isoliert stehende Godehard-Patrozinium in Parduin findet eine, wie mir scheint, einleuchtende Erklärung, wenn man die Kirche von Parduin in Beziehung setzt zu der das gleiche Patrozinium aufweisenden und wahrscheinlich in der gleichen Zeit entstandenen Kirche in Posen. Brandenburg bildete eine bedeutende Station auf dem mehrfach erwähnten Fernhandelsweg von Magdeburg nach Lebus und Posen. Die Anlage einer deutschen Kaufmannssiedlung in Posen oder doch der Plan dazu, der sich im Bau einer

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St. Gotthard-Kirche dort sinnfällig kundtat, konnte in der Brandenburg nicht unbemerkt bleiben. Ich kann an dieser Stelle die schwierige politische Situation nicht näher darlegen, in der sich der Fürst Pribyslav-Heinrich befand. Nur soviel sei gesagt, daß seine Herrschaft einem starken Druck von polnischer Seite her ausgesetzt war, der sich in der Begründung des Bistums Lebus 1124/25 als Missionsbistum für die Slawen an Spree und Havel deutlich markierte, ebenso aber auch in dem von Polen unterstützten pomoranischen Vordringen aus dem Raum der Odermündung nach Südwesten in die spätere Uckermark hinein. Wie Heinrich von Antwerpen mitteilt, suchte Pribyslav-Heinrich in dieser Lage Anlehnung bei deutschen Fürsten, in erster Linie bei dem Grafen von Ballenstedt und Markgrafen der Nordmark Albrecht. Es könnte nun gerade das Zusammenwirken mit Albrecht dem Bären gewesen sein, das den Brandenburger Fürsten dazu bewogen hat, die polnischen Pläne zu durchkreuzen, indem er selber eine unter dem Schutze des hl. Bischofs von Hildesheim stehende deutsche Kaufmannssiedlung am Rande des Suburbiums seiner Burg begründete. Die Existenz einer voraskanischen deutschen Kaufmannssiedlung in Parduin ist mit dieser Hypothese gewiß nicht stringent bewiesen. Nimmt man aber alle vorgetragenen Indizien zusammen, dann wird ihre Wahrscheinlichkeit, wie ich meine, doch recht groß. Eines scheint mir sicher: Wer sie ablehnt, der ist gezwungen, eine andere Erklärung für das so seltsam wirkende Godehard-Patrozinium in Parduin zu finden. Solange das nicht gelungen ist, möchte ich daran festhalten, daß die voraskanische villa Parduin eine deutsche Kaufmannssiedlung unter dem Schutze des hl. Godehard von Hildesheim gewesen ist. Ihre Entstehung scheint mir aus den Bedingungen des schwierigen Spannungsfeldes zwischen Magdeburg und Posen, in dem sich die Politik des Fürsten Pribyslav-Heinrich zu bewegen hatte, erklärbar zu sein.

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Wer waren die urbani Brandenburgenses? Betrachtungen zu einem kurzzeitigen Quellenausdruck aus den Jahren um 1200 HELMUT ASSING Potsdam

1157 war es Albrecht dem Bären im Bündnis mit anderen Fürsten endgültig gelungen, die Brandenburg den Slawen zu entreißen. Sie war fortan eine deutsche Burg, deren weiteres Schicksal jedoch der Forschung immer noch große Rätsel aufgibt. Dazu zählt auch das kurzzeitige Auftauchen des Begriffs urbani Brandenburgenses in den Quellen der Jahre um 1200, das zwar schon einige Male in der Literatur behandelt wurde, aber - worauf noch einzugehen ist - bisher unseres Erachtens ohne befriedigende Ergebnisse. Worin besteht das Problem? Gemäß der Gründungsurkunde des Bistums Brandenburg von 9481 blieb die Burg nicht im alleinigen Besitz Albrechts. Damals war festgelegt worden, daß sie jeweils zur Hälfte dem Bischof und dem König gehören solle, und so sah sich Albrecht genötigt, spätestens 1165 eine Burghälfte dem Bischof abzutreten.2 Ja, ob er die gesamte andere Hälfte als Vertreter des Königs behielt, wird dadurch etwas fraglich, daß der seit 1160 in den Quellen erscheinende Burggraf von Brandenburg mit hoher Wahr-

Siehe dazu mit Erläuterungen: Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, Τ. 1: 937-1192, bearb. von Friedrich Israel unter Mitwirkung von Walter Möllenberg (= Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, N.R. 18), Magdeburg 1937 (künftig ЫШ zitiert), Nr. 15, S. 21 ff. 2 Das Domkapitel war zwar schon 1161 auf der Burginsel gegründet worden (Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I, Bd. 8, Berlin 1847 [künftig CDBl/8 zitiert; andere Bände dieses Hauptteils analog], S. 104 f. Nr. 15), doch erst 1165 ließen sich die Domherren dort nieder 1

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Helmut Assing

scheinlichkeit als Beauftragter des Königs zu verstehen ist.3 Die daraus erwachsende Vermutung, daß Albrecht vielleicht die gesamte Burg wieder herausgeben mußte, läßt sich aber mit dem Hinweis darauf, daß Albrecht seine Markgrafschaft seit 1157 nach der Brandenburg benannte 4 und daß sein Sohn Otto 1179 von der urbs nostra sprach, 5 zurückweisen. Eingeräumt werden muß allerdings zunächst, daß beide, Markgraf und Burggraf, Rechte an der königlichen Hälfte der Brandenburg erhielten. Wenn nun einige Jahrzehnte nach 1157 urbani Brandenburgenses ohne Herrschaftszugehörigkeit erscheinen und sich zeigen läßt, daß dies Burgmannen waren, so wäre zu fragen, ob sie dem Markgrafen, dem Burggrafen oder dem Bischof unterstanden. Ferner wäre zu untersuchen, warum dieser Ausdruck erst kurz vor 1200 auftaucht - in den Jahren unmittelbar nach 1157 werden ja mit Sicherheit Burgmannen auf der Brandenburg gewesen sein - und dann bald wieder verschwindet. Stellen wir zuerst die Zeugnisse vor. Es sind vier Urkunden, die den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden.6 Drei von ihnen bringen den Ausdruck urbani Brandenburgenses, eine verwendet burgensis de Brandeburg. Datiert sind sie in die Jahre 1194, 1195, 1197 und 1207, wobei die letzte Urkunde als Datum die VIII. Kaienden (Heinrici de Antwerpe, Can. Brandenb., Tractatus de urbe Brandenburg, neu hrsg. und erläutert von Georg Sello, in: Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte und Industrie zu Salzwedel, Abteilung für Geschichte, 22, Η. 1 [1888], S. 13 f.). Möglicherweise hielt sich der Bischof schon eher hier auf. i Diese These wurde erstmals von Johannes Schultze vertreten: Die Mark und das Reich. Der Markgraf von Brandenburg, sein Titel und sein Kurrecht, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (künftig JGMOD zitiert), 3 (1954), S. 1-31; erneut in: ders., Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Ge:schichte. Ausgewählte Aufsätze (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 13), Berlin 1964, S. 70-103. Inzwischen konnten weitere Indizien zu ihrer Stützung gesammelt werden: Helmut Assing, Neue Überlegungen zur ursprünglichen Funktion des Klosters Lehnin, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 10 (1986), S. 99-119, hier S. 104 ff. 4 Es geschah erstmalig am 3. Oktober 1157 {Codex diplomaticus Anhaltinus, hrsg. von Otto v. Heinemann, Τ. 1: 936-1212, Dessau 1867-1873 [künftig CDA zitiert], Nr. 436, S. 319 f.). Die umstrittenen Königsurkunden aus der vorhergehenden Zeit bleiben unberücksichtigt. Dazu u.a.: Eberhard Böhm, Albrecht der Bär, Wibald von Stablo und die Anfänge der Mark Brandenburg, in: JGMOD 33 (1984), S. 62-91. 5 CDS 1/8, S. 112 f. Nr. 25. 6 CDB1/7, Berlin 1847, S. 468 ff. Nr. 1; CDB1/8, S. 121 Nr. 33, S. 122 Nr. 34, S. 126 Nr. 39. Zu den dort verzeichneten Jahreszahlen siehe die folgenden Ausführungen.

Wer waren die urbani Brandenburgenses?

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des Januar trägt, so daß nach heutiger Datierung die Urkunde dem 25. Dezember 1206 zugeordnet werden müßte. Die Indiktionszahl XI stimmt damit allerdings nicht überein, und so hat Adolph F. Riedel im Codex Brandenburgensis als Datum den 25. Dezember 1208 gewählt. Die Indiktionszahl XI gilt zwar für 1208, doch ist fraglich, ob der 25. Dezember damals noch diesem Jahr zugerechnet wurde oder ob nicht in dem Fall die Indiktionszahl des nächsten Jahres genommen worden wäre. Die Indiktionszahl XI paßt besser zum 25. Dezember 1207, und da dieses Jahr vermerkt ist, hätte sich der Kopist - die Urkunde ist nicht im Original erhalten - nur bei der schwierigen Handhabung der Januar-Kalenden etwas vertan. Ein Datierungsfehler liegt auch in der Urkunde vor, die am 6. Dezember 1195 ausgestellt worden sein soll. Wieder paßt die Indiktionszahl X nicht zu 1195; es kommt hinzu, daß Markgraf Otto II., der diese Urkunde in Brandenburg bezeugte, am 7. Dezember 1195 in Worms Zeuge einer Urkunde Kaiser Heinrichs VI. war.7 Eine derart weite Entfernung konnte nicht an einem Tag zurückgelegt werden. Die Indiktionszahl paßt zu 1192, so daß - auch hier besitzen wir nur eine Kopie - die römische V in der Jahresangabe verschrieben sein und im Original eine II gestanden haben könnte. Hermann Krabbo vermutet es, 8 muß sich aber damit einverstanden erklären, daß dann Otto in zwei Tagen die nicht geringe Strecke von Brandenburg nach Merseburg geschafft hätte, wo er am 8. Dezember 1192 weilte.9 Unmöglich ist dies nicht, und so soll mit dem Jahr 1192 gerechnet werden. Die verwendeten Datierungen lauten deshalb 1192, 1194, 1197 und 1207. Drei Urkunden sind vom Brandenburger Bischof ausgestellt - die von 1192 und 1194 von Bischof Norbert, die von 1207 von Bischof Balduin - , die vierte Urkunde stammt von Markgraf Otto II. Ausstellungsort ist in jedem Fall die Brandenburg, wobei die bischöflichen Urkunden mit ecclesia präzisieren, während Otto urbs verwendet. Bischof Norbert ist Zeuge in der Urkunde Ottos und Markgraf Otto in den Urkunden Norberts. Im Diplom Bischof Balduins fehlt dage-

Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askaniscbem Hause, bearb. von Hermann Krabbo u. Georg Winter, München-Leipzig-Berlin 1910/55 (künftig KW zitiert), Nr. 473. 8 Ebda. 9 A.a.O., Nr. 473 und 474. 1

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gen Markgraf Albrecht II., der 1205 seinem Halbbruder in der Mark gefolgt war. Wenn also die Urkunden den Ausdruck urbani oder burgenses10 benutzen, ist stets der Bischof anwesend, ebenso Markgraf Otto II., soweit diese Urkunden zu seinen Lebzeiten ausgestellt sind. Nach Ottos II. Tod erscheint nur noch eine Urkunde dieser Art, ohne daß Albrecht II., der neue Markgraf, dabei ist. Im Gefolge seines Bruders Otto, als er noch nicht das markgräfliche Amt bekleidete, war er dagegen ausnahmslos unter den Zeugen dieser Urkunden. Alle Urkunden beinhalten Schenkungen, Rechtsverleihungen oder Besitz- und Rechtsbestätigungen zugunsten des Brandenburger Domkapitels. Der Gegenstand selbst läßt wenig Gemeinsamkeiten erkennen. 1192 erhält das Domkapital die Patronatsrechte für die Kirchen in Oehna und Göhlsdorf südlich von Jüterbog, und sie werden 1207 bestätigt. 1194 schenkt der Bischof dem Domkapitel das nördlich von Brandenburg gelegene Dorf Marzahne, und 1197 überträgt Markgraf Otto II. verschiedene Rechte und Hebungen in einigen Dörfern des östlichen Havellandes und bestätigt eine ältere Schenkung. Wenn wir anschließend die Zeugen betrachten, wäre zunächst nach dem Burggrafen zu fragen, der ja als Herr der urbani möglich ist. Er tritt zweimal als Zeuge auf: 1194 bei Bischof Norbert und 1197 bei Markgraf Otto II. In Norberts Urkunde führt Burggraf Siegfried zusammen mit Otto II., dessen Bruder Albrecht und dem eigenen Bruder Baderich die Zeugenliste vor der Geistlichkeit an, darunter recht hohen Würdenträgern wie den Pröpsten von Brandenburg und Leitzkau. Deutlich abgesetzt vom Burggrafen erscheinen dann einige burgenses. In der Urkunde Ottos II. ist Burggraf Siegfried nach den geistlichen Zeugen piaziert, im Unterschied zu Otto - der seine eigene Urkunde bezeugt - und dessen Bruder Albrecht, deren Namen zwar hinter dem des Bischofs stehen, doch vor denen der anderen geistlichen Zeugen. Außer Markgraf Otto II., Burggraf Siegfried und den Brüdern der beiden werden folgende weltliche Zeugen namentlich genannt: 1192 sind es die urbani Otto, Hinricus, item Hinricus, Bartholomeus, Gerardus. 1194 heißt die Reihenfolge der weltlichen Zeugen - von den Grafen abgesehen - Burchardus de Plozeke, Otto, burgensis de 10

Wir verzichten in Zukunft auf „Brandenburg", da der Bezug klar sein dürfte.

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Brandeburg, Rodolphus de Wedinge, Heinricus de Stegeliz, Bartholomeus, Alvericus de Stegeliz, Heinricus, burgensis de Brandeburg, Conradus de Stoltenhagen et Heidenricus, frater eius, Alexander, advocatus. Der urbanus-Begriff fehlt hier; dafür werden ein Otto und ein Heinrich, worin wir sicherlich die erstgenannten Zeugen von 1192 wiedererkennen, als burgenses bezeichnet. Daraus folgt, daß ein burgensis auch ein urbanus ist. Die Umkehrung ist dagegen nicht möglich. Da sich 1192 urbanus unter anderem auch auf Bartholomäus bezieht, dürfte der Begriff eine weitere Bedeutung als burgensis besitzen, denn der Bartholomäus von 1194 ist wegen der Seltenheit des Namens sicher der von 1192, wird aber 1194 offenbar bewußt - im Unterschied zu Otto und Heinrich - nicht burgensis genannt. 1197 sind dapifer Henricus, Rudolfus pincerna, Everardus advocatus in Spandowe, Fridericus advocatus in Brandeburch, Henricus advocatus in Vorlande, urbani Brandeburgenses videlicet Rudolfus de Weddinge, Henricus de Stegeliz, Conradus, Henricus, Albertus, Alexander advocatus Sifridi castellani zu unterscheiden. Von den Personen, die 1194 zeugten, sind hier auf alle Fälle Rudolf von Weddingen, Heinrich von Steglitz und der burggräfliche Vogt Alexander vertreten, obendrein wohl auch Conrad von Stolzenhagen, der sich hinter Conrad verbergen wird. Ohne weiteres darf allerdings für sie die Bezeichnung urbani nicht auf 1194 vorverlegt werden, da ja möglicherweise die betreffenden Zeugen erst nach 1194 zu urbani wurden. Doch galt diese Bezeichnung schon 1192 für Bartholomäus, der 1194 zwischen ihnen aufgeführt ist. Außerdem darf jetzt auch berechtigt vermutet werden, daß der zweitgenannte Heinrich von 1192 Heinrich von Steglitz ist. 1207 begegnen als namentlich aufgeführte weltliche Zeugen nur urbani, und sie sind durchweg schon bekannt: Burchardus de Plotzeke, Rodolphus de Weddinge, Conradus de Stoltenhagen, Hinricus de Stegeliz. Über diese vier Urkunden hinaus gibt es zwei, die auf Grund der vorliegenden Ergebnisse so interpretiert werden können, daß sie in versteckter Form urbani enthalten. Die Urkunden sind zu 1193 und - in fehlerhafter Weise - zu 1106 datiert.11 Aussteller ist Markgraf Otto II. Bischof Norbert tritt in beiden Urkunden als Zeuge auf, Burggraf Siegfried nur 1193, doch geht es in der anderen Urkunde 11 CDB1/10, Berlin 1856, S. 408 f. o. Nr.; CDB1/10, S. 185 f. Nr. 8. Eine Urkunde Markgraf Albrechts II. von 1209 (CDB 1/8, S. 126 ff. Nr. 40), die einen Ervinus in

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um seine Besitzungen. Der Ausstellungsort ist nicht angegeben. Nutznießer ist in beiden Fällen Kloster Lehnin: Einmal bestätigt Otto II. alle bisherigen Rechte und Einkünfte des Klosters und fügt neue hinzu, zum anderen handelt es sich um eine spezifische Schenkung des Burggrafen Siegfried an das Kloster, die Otto II. bestätigt. Die falsche Datierung der zweiten Urkunde löste Riedel zu 1196 auf, während Georg Sello und Hermann Krabbo mit guten Gründen das Jahr 1204 vorschlugen. 12 Wir übernehmen diese Datierung. Als Ausstellungsort darf wohl in beiden Fällen Brandenburg vermutet werden. 1193 war der Erzbischof von Magdeburg anwesend, und er wird, da die Urkunde innermärkische Angelegenheiten beinhaltet, in die Mark gekommen sein. Ein Aufenthalt beim Bischof in Brandenburg, der ebenfalls der Rechtshandlung beiwohnte, liegt dann am nächsten. 1204 war neben dem Bischof der Dompropst Zeuge, und dies weist die zweite Urkunde ebenfalls nach Brandenburg. In beiden Urkunden zeugt - und das ist der Grund, warum sie hier behandelt werden - ein Otto von Brandenburg mit seinen Söhnen Conrad und Heidenreich. Außerdem wird 1193 noch ein Hildebrand von Brandenburg genannt. Es dürfte sicher sein, daß Otto derjenige ist, der 1192 als urbanus und 1194 als burgensis erscheint. Wegen dieser Urkunden wäre für 1193 und 1204 mit einer verkürzten Formulierung zu rechnen, die dasselbe zum Ausdruck bringt. Beide Urkunden geben deshalb indirekt oder im weiteren Sinne Kunde von den urbani bzw. burgenses. Für Otto gilt dies ganz gewiß, und für Hildebrand liegt es nahe. Die Urkunden sind aber noch in anderer Hinsicht aufschlußreich. 1194 ist als Bruder Conrads von Stolzenhagen ein Heidenreich erwähnt, während 1193 und 1204 ein ohne Beinamen genannter Conrad einen Bruder Heidenreich besaß. Der Vater beider war nach diesen Urkunden Otto von Brandenburg, der gerade als urbanus und burgensis wahrscheinlich gemacht wurde. Da Conrad von Stolzenhagen ebenfalls urbanus war, ist es sicher berechtigt, ihn als Sohn Ottos von Brandenburg anzusehen. 13 Ferner lernen wir zu Brandeburch erwähnt, braucht nicht berücksichtigt zu werden, da das Wort advocati - von Ervinus durch einen anderen Namen getrennt - sich auch auf ihn bezieht. 12 KW, Nr. 520, mit dem Verweis auf G. Sello. ^ 1193 wird noch ein Bruderpaar Conrad-Heidenreich erwähnt, wobei aber ein

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1193 einen Bartholomäus de Chare kennen, der - gemäß der Seltenheit des Namens - anscheinend der schon bekannte urbanus Bartholomäus war. Darüber hinaus begegnet von den urbani 1204 Rudolf von Weddingen. Zusammenfassend läßt sich feststellen: 1192 werden fünf urbani erwähnt, 1194 neun, darunter wohl vier - die burgenses Otto und Heinrich, außerdem Bartholomäus und Heinrich von Steglitz - , die schon 1192 genannt sind. 1197 treten neu maximal drei Personen hinzu: Conrad, Heinrich und Albert, doch könnte Heinrich der burgensis von 1194 und Conrad - wie bereits gesagt - der Conrad von Stolzenhagen aus demselben Jahr sein. Die urbani von 1207 sind dagegen ohne Ausnahme auch 1194 ausgewiesen. Die zusätzlich herangezogenen Urkunden von 1193 und 1204 geben sechs urbani zu erkennen, wobei nur Hildebrand von Brandenburg neu hinzukäme. Insgesamt sind daher für die fünfzehn Jahre zwischen 1192 und 1207 zwölf bis vierzehn urbani namentlich bekannt, von denen zwei darüber hinaus die anscheinend eine engere Bedeutung besitzende Bezeichnung burgensis trugen. Offen blieb bisher, ob sich die Namen urbanus und burgensis auf die beiden Städte Brandenburg oder auf die Burg beziehen. Die Beinamen einiger urbani deuten auf einen edelfreien oder ministerialen Status hin, und diese Deutung erhärtet sich, wenn die anderen Urkunden herangezogen werden, in denen die gleichen Personen erscheinen, ohne als urbani gekennzeichnet zu sein. 14 Edelfreie und Ministeriale lebten damals im ostmitteldeutschen Raum nicht in den Städten15 - Magdeburg vielleicht ausgenommen - , und so dürften in den urbani Burgbewohner oder vorübergehend zur Burgbesatzung gehörende Ritter zu sehen sein. Hinzu kommt, daß in den ostelbischen Territorien in den Zeugenlisten der Urkunden jener Zeit Bürger so gut wie nicht zu finden sind, so daß, wenn die urbani als solche gedeutet würden, die betreffenden Urkunden völlig aus dem Rahmen fielen. Die urbani werden deshalb keine Bürger der Städte Brandenburg gewesen sein, sondern wären als Brandenburger Burg-

nach Burg benannter Heidenreich zuerst aufgeführt ist. Dieser Umstand und fehlende Hinweise auf den urbanus-StäXxis erlauben es, beide Personen auszuschließen. Siehe S. 141-143. Mitunter lag zwar eine Burg innerhalb der Stadtumwallung bzw. -ummauerung, doch sollen deren Bewohner deshalb nicht als Städtebürger bezeichnet werden. 14

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mannen zu kennzeichnen mit ständigem oder auch vorübergehendem Wohnsitz auf der Burg.16 Die Feststellung weicht nicht von dem ab, was bisher in der Literatur zu den Brandenburger urbani gesagt worden ist. Unter der Voraussetzung, daß darin Burgmannen zu sehen sind, ergaben sich jedoch unterschiedliche Standpunkte zu ihrer Herrschaftszugehörigkeit. Meistens erfolgten die Meinungsäußerungen etwas am Rande in Arbeiten, die anderen Themen gewidmet waren. Dazu zählen Wilhelm v. Sommerfeld,17 Hans K. Schulze,18 Wolfgang H. Fritze,19 Werner Vogel 20 und Felix Escher.21 Für Sommerfeld, Schulze und Escher sind es markgräfliche Burgmannen, wobei der letztere ein wenig einschränkt, indem er „zumindest in militärischer Hinsicht" hinzu-

^ Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß z.B. im Bereich der Mark Meißen ebenfalls urbani in den Quellen der damaligen Zeit erscheinen, die eindeutig Burgmannen waren. Siehe dazu u.a.: Herbert Heibig, Der wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (= Mitteldeutsche Forschungen 4), Münster-Köln 1955; Harald Schieckel, Herrschaftsbereich und Ministerialität der Markgrafen von Meißen im 12. und 13- Jahrhundert. Untersuchungen über Stand und Stammort der Zeugen markgräflicher Urkunden (= Mitteldeutsche Forschungen 7), Köln-Graz 1956. Allerdings könnte deren Stellung eine etwas andere gewesen sein; vielleicht sollten die dortigen Burgmannen aber noch gründlicher untersucht werden. Auf einen Vergleich wird deshalb in dieser Arbeit verzichtet. 17 Wilhelm v. Sommerfeld, Beiträge zur Vetfassungs- und Ständegeschichte der Mark Brandenburg im Mittelalter, Т. 1 (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), Leipzig 1904, S. 107 mit Anm. 2. 18 Hans K. Schulze, Adelsherrschaft und Landesherrschaft. Studien zur Verfassungs- und Besitzgeschichte der Altmark, des ostsächsischen Raumes und des hannoverschen Wendlandes im hohen Mittelalter (= Mitteldeutsche Forschungen 19), KölnGraz 1963, vereinzelt auf S. 141-169, besonders S. 163. 19 Wolfgang H. Fritze, Das Vordringen deutscher Herrschaft in Teltow und Barnim, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 22 (1971), S. 81-154, hier S. 120 mit Anm. 14920 Werner Vogel, Stolzenhagen. Beobachtungen zum askanischen Herrschaftsbeginn in der Uckermark, in: Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze zum 90. Geburtstag, hrsg. von Gerd Heinrich u. Werner Vogel, Berlin 1971, S. 35-54, hier S. 38. 21 Felix Escher, Askanier und Magdeburger in der Mittelmark im 12. und frühen 13-Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zur Entstehung Berlins, in: Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen, hrsg. von Eckart Henning u. Werner Vogel, Berlin 1984, S. 56-77, hier S. 73 f.

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fügt.22 Fritze und Vogel wollen dagegen in Conrad von Stolzenhagen einen bischöflich-brandenburgischen Dienstmann sehen, 23 und da sie ihm keine Sonderstellung gegenüber den anderen Burgmannen einräumen, dürfte dies ihre Meinung zu den Burgmannen überhaupt sein. Die Beweisführung spielt bei den fünf Autoren eine untergeordnete Rolle, und so soll sich die Auseinandersetzung auf Ernst Kaeber 24 und Wolfgang Podehl 25 konzentrieren, die sich mit den Burgmannen gründlicher beschäftigen. Kaeber entwickelt seine Auffassung in Polemik mit Sommerfeld und ordnet die Burgmannen dem Brandenburger Bischof zu. Podehl kommt zu dem entgegengesetzten Ergebnis, daß die Burgmannen wahrscheinlich dem Markgrafen unterstanden, daß höchstens der Burggraf Rechte über die Burgmannen besaß. Leider unterläßt er es gänzlich, sich mit Kaeber auseinanderzusetzen, und so wäre diese Aufgabe zunächst nachzuholen. 26 Kaeber versucht zu zeigen, daß die Brandenburger Burgmannen stets in Verbindung mit dem Bischof auftraten, daß aber der Markgraf einige Male fehlte.27 Eine genauere Aufschlüsselung auf Otto II. und 2 2 Im Detail sind kleine Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten erkennbar, auf die nur kurz hingewiesen werden soll. So spricht Η. K. Schulze (Adelsherrschaft... [wie Anm. 181) allgemein von markgräflichen Burgmannen (S. 163), ordnet die Herren von Karow, zu denen Bartholomäus gehörte, jedoch der erzbischöflichen Ministerialität zu (S. 148). Unverständlich ist auch, warum er Otto von Brandenburg nicht zu den Burgmannen rechnet (S. 163). Escher (Askanier... [wie Anm. 21]) wiederum belegt das Vorkommen der urbani gerade mit der Urkunde von 1194, in der dieser Ausdruck gar nicht vorkommt (S. 73). 2 3 W. H. Fritze (Das Vordringen... [wie Anm. 191, S. 120) ist allerdings inkonsequent, denn im Text nennt er ihn - im Unterschied zu den längeren Ausführungen in der Anmerkung - einen askanischen Vasallen. 2 4 Emst Kaeber, Die Gründung Berlins und Kölns, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 38 (1926), S. 30-55, hier S. 50 ff. 2 5 Wolfgang Podehl, Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung von Altmark, Neumark und Havelland (= Mitteldeutsche Forschungen 76), Köln-Wien 1975, S. 513 ff. Auch hier seien kleine Unzulänglichkeiten vernachlässigt. So behauptet E. Kaeber (Die Gründung... [wie Anm. 24], S. 51), in einer bischöflichen Urkunde habe Otto von Brandenburg zusammen mit den Söhnen gezeugt. Diesen Irrtum hat W. H. Fritze (Das Vordringen..., [wie Anm. 19], S. 120) übernommen. 2 7 E. Kaeber, Die Gründung... (wie Anm. 24), S. 52.

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Albrecht II. erfolgt nicht, und so werden Erkenntnismöglichkeiten vergeben. Größeres Unbehagen ruft hervor, wie Kaeber hierbei vorgeht. Die Burgmannen werden in einer Reihe mit anderen Rittern aufgezählt, die durch nichts als Burgmannen gekennzeichnet sind und es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht waren. In einigen der von ihm verwendeten Urkunden sind nur Zeugen dieser Art genannt. 28 Sein Ergebnis überzeugt deshalb nicht. Des weiteren beweist Kaeber unzureichend, daß die Burgmannen, die mit Beinamen erwähnt sind, sie nicht nach Orten in Teltow und Barnim führten. 29 Auch diese an sich bedeutsame Feststellung kann daher nicht einfach übernommen werden. Besonders fragwürdig ist aber seine Erklärung dafür, daß einige Beinamen von Burgmannen in Ortsnamen des Teltow und Barnim wiederkehren. Kaeber setzt die Besiedlung dieser Landschaften in die Jahre um 1230 und schreibt sie den Markgrafen Johann I. und Otto III. zu. 30 In jener Zeit spitzten sich bekanntlich die Beziehungen zwischen den beiden Markgrafen einerseits und Bischof Gernand von Brandenburg andererseits zu, so daß es unwahrscheinlich ist, daß bischöfliche Dienstleute sich an der Besiedlung beteiligten und ihre schon vorhandenen Beinamen auf dortige Dörfer übertrugen. Trotzdem heißt es bei Kaeber, daß die älteren Orte - nach denen seines Erachtens die Burgmannen ihre Beinamen hatten „vielleicht durch Vermittlung von nach ihnen genannten Rittern, die Namengeber für die jüngeren Gründungen in Teltow und Barnim" 31 gewesen wären. Nimmt man schließlich hinzu, daß Kaeber die Kurzzeitigkeit des urbanus-Begriffs in den Quellen weder anführt noch erklärt, so darf zusammenfassend gesagt werden, daß er zu vieles schuldig bleibt. Wenden wir uns Podehl zu. Die Schwäche seiner Auffassung erwächst schon daraus, daß er den zweifelsohne vorhandenen Indizien über eine Nähe der Burgmannen zum Bischof von Brandenburg nicht nachgegangen ist. Auch spielt bei ihm - wie bei Kaeber 28

Die Urkunden von 1213 und 1214 (a.a.O, S. 51). W. v. Sommerfeld (Beiträge... [wie Anm. 17]) hatte das Gegenteil behauptet und dabei auf das plötzliche Auftreten der Beinamen in brandenburgischen Urkunden aufmerksam gemacht. E. Kaeber trat ihm entgegen und verwies auf seine These von der bischöflichen Herrschaftszugehörigkeit der Burgmannen (Die Gründung... [wie Anm. 24], S. 52), die aber, wie eben dargelegt, noch nicht überzeugt. 30 E. Kaeber, Die Gründung... (wie Anm. 24), S. 54 f. 31 A.a.O., S. 54.

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keine Rolle, daß einige Ritter nur für wenige Jahre als Brandenburger Burgmannen bezeichnet werden. Verdienstvoll ist, daß er den Burggrafen als möglichen Herrn der Burgmannen erörtert hat. Die dabei angewandte Methode wägt jedoch zu wenig ab. Die Indizien runden sich zu keinem Gesamtbild, was für die markgräfliche Oberhoheit, die letztlich favorisiert wird, ebenso gilt. Die Gedankengänge brechen zu früh ab, es bleibt oft bei Andeutungen. 32 Ja, diese gehen sogar in Richtungen - zum Beispiel bei der Behandlung des Burgmannen Bartholomäus, den er als erzbischöflichen Ministerialen charakterisiert,33 - die er ansonsten gar nicht im Auge hat und die seinen Hauptergebnissen zuwiderlaufen. Auch Podehls Ausführungen zu den Burgmannen können deshalb nicht befriedigen. Diese Bemerkungen zu wichtigen Meinungsäußerungen über die Brandenburger Burgmannen bedeuten nicht, daß jeder der dargelegten Standpunkte falsch wäre. Sie sind unzureichend bewiesen worden - das ist der Kern unserer Kritik. Um die Beweisführung zu verbessern, wären nunmehr die Urkunden zu berücksichtigen, in denen einzelne der namentlich ermittelten Burgmannen genannt werden, ohne daß einer von ihnen dieses Prädikat besitzt. Gewißheit, daß es die Burgmannen sind, besteht für sieben Urkunden, von denen allerdings drei gefälscht sind. Sie müssen aber wegen ihrer echten Bestandteile beachtet werden. Die vier echten Urkunden stammen aus den Jahren 1186, 1198, 1214 sowie 1216 und sind einerseits vom Brandenburger Bischof, andererseits vom Magdeburger Erzbischof ausgestellt: je eine von den Bischöfen Balderam, Norbert und Siegfried II. sowie von Erzbischof Albrecht II. 34 Die Bischofsurkunden, denen wir uns zuerst zuwenden wollen, bezeugen 1186 und 1198 Markgraf Otto II. und

3 2 Als Beispiel sei das folgende Zitat angeführt: „Ungefähr gleichzeitig mit der Verdrängung des letzten Burggrafen aus der Brandenburg scheinen auch die letzten Burgmannen von dort verschwunden zu sein. Ein ursächlicher Zusammenhang braucht jedoch nicht vorzuliegen." (W. Podehl, Burg und Herrschaft... [wie Anm. 251, S. 520).

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A.a.O., S. 516.

1186 (CDB1/8, S. 114 f. Nr. 27), 1198 (CDB1/10, S. 186 f. Nr. 10), 1214 (Regesta Archieptscopatus Magdeburgensis, hrsg. von George Adalbert v. Mülverstedt, T. 2: 1192-1269, Magdeburg 1881, Nr. 463), 1216 {CDB 1/8, S. 132 ff. Nr. 48). Zur Datierung dieser Urkunde siehe KW, Nr. 558, mit Literaturverweisen. Die Urkunde liegt in zwei Ausführungen vor, die an einigen Stellen differieren. 34

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Burggraf Siegfried; 1216 ist Markgraf Albrecht II. anwesend, 35 doch nicht der neue Burggraf Baderich. Brandenburg ist 1186 und 1216 Ausstellungsort, daneben 1216 Ziesar. 1198 fehlt diese Angabe, doch weisen Bischof, Dompropst, Markgraf und Burggraf auf Brandenburg. Empfänger sind das Domkapitel und Kloster Lehnin: 1186 und 1216 werden dem Domkapitel alle Besitzungen und Rechte bestätigt, 1198 erhält Kloster Lehnin Zehnthebungen. Gewiß dürfte sein, daß von denen, die in den neunziger Jahren als Burgmannen bezeichnet werden, 1186 Burchard von Plozeke zeugt, 1198 Heinrich von Steglitz und 1216 Conrad von Stolzenhagen. 1186 sind in der Zeugenliste hinter Burchard von Plozeke noch Conrad in Lindow, Otto, Rudolf, Gero, Theoderich und Bartholomäus aufgeführt. Zumindest Bartholomäus wird der spätere Burgmann sein, doch auch bei Otto und Rudolf liegt es nahe, an Otto von Brandenburg und Rudolf von Weddingen zu denken. Es ist aber zu unsicher, die zwischen Burchard und Bartholomäus erwähnten Conrad, Gero und Theoderich als Burgmannen zu veranschlagen. Für 1186 ist dieser Ausdruck noch nicht überliefert, so daß es durchaus möglich ist, daß sie im Unterschied zu Burchard und den anderen später nicht zu jener Gruppe gehörten. Die erzbischöfliche Urkunde von 1214, in Magdeburg ausgestellt, fällt aus dem Rahmen. Bischof, Markgraf und Burggraf von Brandenburg sind nicht zugegen, und die Rechtshandlung selbst weist in jeder Hinsicht - gemessen an den Beteiligten, den Zeugen und dem Objekt - ins Altsiedelgebiet links der Elbe. Trotzdem ist sie beachtenswert, und nicht nur deshalb, weil Heinrich von Steglitz Zeuge ist. Doch dazu später mehr. Die drei Fälschungen sind in die Jahre 1187, 1197 und 1204 datiert; als Aussteller ist stets Otto II. angegeben. 36 Nur zu 1197 wird ein Brandenburger Bischof als Zeuge erwähnt; der Burggraf fehlt ganz. Ausstellungsort ist 1197 und 1204 Brandenburg, und auch die dritte Urkunde weist dahin, denn das Domkapitel - in den beiden anderen Urkunden ebenfalls als Empfänger g e n a n n t - soll 1187

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Ob dies auch für Ziesar gilt, dem Ausstellungsort der zweiten Ausführung, ist zweifelhaft. Siehe dazu: KW, Nr. 558. 36 1187 {CDB1/8, S. 116 f. Nr. 28), 1197 (CDB1/8, S. 123 f. Nr. 36), 1204 (CDB1/8, S. 125 Nr. 38). Zur Fälschung und zu den möglichen echten Bestandteilen: KW, Nr. 460, 498 und 519.

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einen bei Brandenburg gelegenen See erhalten haben. Die Urkunden zu 1187 und 1204 haben insofern einen gemeinsamen Nenner, als sie keinen der Burgmannen als anwesend führen, sondern nur vermerken, daß einige der Schenkungsobjekte vorher im Besitz Burchards von Plozeke waren, der sie dem Markgrafen resigniert habe. Da gerade diese Objekte in der nächstfolgenden Generalbestätigung der Besitzungen des Domkapitels, die Markgraf Albrecht II. 1209 vornahm, im Unterschied zu den anderen angeblichen Schenkungsobjekten der Fälschungen erscheinen, 37 wären hierin echte Bestandteile zu erblicken,38 die den ausgewiesenen Jahreszahlen angehören dürften. Deshalb können wir festhalten, daß Burchard von Plozeke zu jener Zeit dem Domkapitel Besitzungen schenkte. Ob der Markgraf ihn damit belehnt hatte, wie die Fälschung meint, ist dagegen nicht so sicher. Immerhin fällt auf, daß in keiner der beiden Urkunden Burchard als homo oder fidelis des Markgrafen angesprochen wird. Die Fälschung zu 1197 nennt einen der Burgmannen, Heinrich von Steglitz, unter den Zeugen. Es ist die Urkunde, die auch Bischof Norbert bezeugt haben soll. Nach Krabbo gehört die Zeugenliste einer echten Urkunde des Jahres 1197 an, 39 und wir möchten ihm darin folgen. Über diese sieben Urkunden hinaus könnte ein Name in zwei Urkunden von 1170 Aufschluß geben. Ein gewisser Otto war damals Zeuge für Bischof Wilmar und für Markgraf Otto I.40 Es könnte Otto von Brandenburg gewesen sein, der am Ende des 12. Jahrhunderts, als er zusammen mit seinen Söhnen genannt wurde, kein jüngerer Mann mehr war. Das historische Umfeld der Urkunden von 1170 glich dem der Urkunden der neunziger Jahre, in denen Otto von Brandenburg auftrat: Brandenburg als Ausstellungsort, Markgraf und Bischof wechselnd Aussteller und Zeuge, das Domkapitel als Empfänger. Damit wäre das Feld der Urkunden abgesteckt, 41 die uns genaueren Bescheid über die Burgmannen geben können. Was darf ihnen 37

CDB1/8, S. 126 ff. Nr. 40. So auch KW, Nr. 519, für die zu 1204 datierte Fälschung. 39 KW, Nr. 498. 40 CDB 1/8, S. 108 f. Nr. 20 und 21. 41 Unberücksichtigt bleiben Urkunden zwischen 1232 (CDB VW, Berlin 1856, S. 2 Nr. 1) und 1251 (.CDB VW, S. 3 f. Nr. 3), die einen Heinrich von Steglitz nennen. 38

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entnommen werden? Um die Fehlerquelle gering zu halten, sollen die beiden Urkunden von 1170 vorerst vernachlässigt werden. Dann hätten wir insgesamt elf Urkunden, darunter eine Fälschung, aus denen die Anwesenheit derjenigen hervorgeht, die zwischen 1192 und 1207 Burgmannen genannt werden. 42 Aus zwei weiteren Urkunden, die gefälscht sind, ist nur ersichtlich, daß Burchard von Plozeke dem Domkapitel eigene Besitzungen schenkte, die eventuell vom Markgrafen zu Lehen gingen. Von den elf Urkunden gehört eine der Zeit vor 1192 an - dem Jahr, in dem erstmals der urbanus-Begciii auftauchte - , acht fallen in die fünfzehn Jahre bis 1207, als dieser Begriff letztmalig verwendet wurde, und zwei in die nachfolgenden Jahre. Bis 1207 ist stets auch einer der Brandenburger Bischöfe anwesend, wenn die Burgmannen zeugen. Nur 1214, nachdem der urbanus-Begriii wieder aus den Quellen verschwunden ist, tritt Heinrich von Steglitz ohne Brandenburger Bischof in ganz anderer Umgebung auf. Soweit die Burgmannen in Urkunden der Zeit Ottos II. zeugen, ist der Markgraf ebenfalls Zeuge oder Urkundenaussteller. Markgraf Albrecht II. dagegen - drei der Urkunden gehören seiner Zeit an - erscheint nur einmal zusammen mit Conrad von Stolzenhagen, ohne daß dieser als Burgmann gekennzeichnet wird. Burggraf Siegfried zeugt in fünf der acht Urkunden, die zu seinen Lebzeiten43 auch Burgmannen in der Zeugenliste führen; bei der Ausfertigung einer weiteren Urkunde könnte er ohne offizielle Zeugenschaft zugegen gewesen sein, da es um seine Schenkung ging. Doch sein Sohn Baderich, in dessen Zeit mindestens zwei der elf Urkunden fallen, wird nicht mehr zusammen mit den Burgmannen erwähnt. Mit Ausnahme der Urkunde von 1214 können alle Rechtsakte der Brandenburg zugewiesen werden, und sie galten - mit der gleichen Ausnahme - dem Rechts- und Gütererwerb des Domkapitels bzw. Wegen des großen zeitlichen Abstandes ist es sehr unwahrscheinlich, hier noch den Burgmann zu vermuten. 42 Um die Ausdrucksweise zu vereinfachen, wird im folgenden abstrakt der Begriff des Burgmannen verwendet, ohne zu beachten, daß der Betreffende nicht zu jedem Zeitpunkt der Erwähnung diese Eigenschaft besessen haben muß. 43 1 204 erscheint er letztmalig in den Quellen (CDßI/10, S. 188 Nr. 14, oder KW, Nr. 520, und seit 1211 (CDB1/10, S. 81 Nr. 12) tritt sein Nachfolger Baderich auf. Wir ordnen deshalb die Urkunden bis 1204 der Zeit Siegfrieds zu und die von 1214 sowie 1216 der des Nachfolgers. Die Urkunde von 1207 bleibt ohne Bezug.

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des Klosters Lehnin. Genannt werden zwölf bis vierzehn Burgmannen, konzentriert auf die 15 Jahre, in denen sie auch so bezeichnet werden. 44 1186 und 1187 - die einzigen gesicherten Erwähnungen vor diesem Zeitraum - werden maximal vier Burgmannen genannt, von denen einer in beiden Urkunden genannt ist, während 1214 und 1216 sogar nur jeweils ein Burgmann erscheint. Alle „BurgmannenUrkunden" der Jahre von 1192 bis 1207 enthalten auf den Brandenburger Raum bezogene Rechtsvorgänge zugunsten des Domkapitels bzw. des Klosters Lehnin, und sie sind wahrscheinlich ausnahmslos in Brandenburg ausgestellt. Daraus wäre zu schließen, daß sich die als Burgmannen bezeichneten Ritter in den Jahren um 1200 anscheinend vornehmlich in der Brandenburg aufhielten, und zwar in einer Weise, der eine noch nicht entdeckte Besonderheit zukam. Die Burgmannen erscheinen in den Quellen sowohl in enger Verbindung mit Markgraf Otto II. als auch mit den jeweiligen Bischöfen. Erst unter Albrecht II. änderte sich offenbar das Verhältnis zum Markgrafen, während das zu den Bischöfen konstant blieb. Schon deshalb kann für die Zeit Ottos II. zunächst nicht gesagt werden, wessen Herrschaft einige Ritter als Burgmannen unterstanden. Aber auch der Burggraf darf als möglicher Herr der Burgmannen noch nicht vergessen werden, obwohl diese mehrfach ohne ihn zeugten. Das könnte sich jedoch so erklären, daß die Burgmannen den Burggrafen als dessen Ministeriale vertraten. Nur für einen Burgmann, für Burchard von Plozeke, ist etwas über seine Besitzungen zu erfahren, und diese spärlichen Hinweise scheinen ihn in die Nähe des Markgrafen zu rücken, vorausgesetzt, daß die gefälschte Urkunde die Lehnsvergabe richtig erfaßt hat. Dieser Spur soll im folgenden weiter nachgegangen werden. Die zu 1204 datierte Fälschung teilt uns mit, daß Burchard das Dorf Crelin vom Markgrafen zu Lehen besessen habe. 45 Crelin lag im südlichen Havelland und war Nachbardorf von Zachow, 46 wo bis 1170 ein Hier sind jetzt die Fälschungen zu 1187 und 1204, die einen Burgmann bloß erwähnen, einbezogen. 45 CDB1/8, S. 125 Nr. 38. 4 6 Siehe dazu: Winfried Schich, Das Verhältnis der frühmittelalterlich-slawischen zur hochmittelalterlichen Siedlung im Havelland, in: Das Havelland im Mittelalter. Untersuchungen zur Strukturgeschichte einer ostelbischen Landschaft in slawischer und deutscher Zeit, hrsg. von Wolfgang Ribbe (= Germania Slavica V; Berliner Historische Studien 13), Berlin 1987, S. 177-245, hier S. 199.

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gewisser Evererus Rechte innehatte.47 Er übergab sie damals dem Domkapitel, und sein Bruder Hermann bezeugte neben anderen den Eigentumswechsel. Nun werden 1160 Everhardus et Hermannus de Plozeke als Zeugen nebeneinander aufgeführt,48 und es liegt nahe, in ihnen Brüder zu sehen. Da Burchard von Plozeke um 1200 in der Zachower Nachbarschaft Besitz hatte und zu 1170 zwei Brüder Evererus und Hermann überliefert sind, von denen einer in Zachow begütert war, ist es recht wahrscheinlich, daß diese Brüder die schon Ибо erwähnten Plozekes waren. Das Eigentum, das Evererus damals dem Domkapitel übertrug, hatte er dem Bischof und dem Markgrafen resigniert, die am gleichen Tag darüber je eine Urkunde ausstellten.49 Beide sind in der Urkunde des jeweils anderen Zeuge, und so darf angenommen werden, daß die Formulierungen der Urkunden, die bezüglich Evererus verschieden sind, auf Einverständnis beruhten. Evererus heißt in der bischöflichen Urkunde fidelis noster, während in der markgräflichen Urkunde eine Zuordnung dieser Art fehlt. Das bedeutet, daß man Evererus als Vasallen oder Ministerialen des Bischofs anzusehen hat. Und da Burchard wahrscheinlich ein Nachfahre, vielleicht sogar der Sohn von Evererus war, dürfte er ebenfalls eher der bischöflichen Dienstmannschaft zuzurechnen sein. Als deren Mitglied kann er selbstverständlich, wie die zu 1187 und 1204 datierten Fälschungen behaupten, auch einige Besitzungen vom Markgrafen zu Lehen erhalten haben. Es muß aber ebenso mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß der Markgraf sich eine Lehnshoheit lediglich anmaßte, wie dies im Falle des Zauche-Dorfes Plötzin schon gezeigt werden konnte.50 Ein Indiz dafür, daß die Lehnsresignation Burchards nur markgräflicher Anspruch war, wäre vielleicht darin zu sehen, daß der Brandenburger Bischof sie nicht bezeugte. Einige Tatbestände fügen sich in die Version, Burchard der bischöflichen Herrschaftssphäre zuzuordnen, nicht ohne weiteres ein. Da wären zunächst zwei Urkunden, die einen Evererus bzw. diesen und einen Hermann als Ministerialen Markgraf Albrechts des Bären ausweisen. 1162 setzte Albrecht seinen Ministerialen Evererus als

47 48 49 50

CDB1/8, S. 108 Nr. 20 und 21; KW, Nr. 396 und 397. CDA I, Nr. 455, S. 332. Siehe Anm. 47. H. Assing, Neue Überlegungen... (wie Anm. 3), S. 114.

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Untervogt für Kloster Leitzkau ein.51 1211 erfahren wir, daß er lange in dem Amt blieb und sich nach Lindow nannte,52 so daß ein Evererus von Lindow in einer Urkunde Markgraf Ottos I. von 1179 5 3 derselbe gewesen sein dürfte. Dieser Evererus wird demnach stets der markgräflichen Dienstmannschaft angehört haben. Doch nie wird er zusammen mit einem Bruder Hermann erwähnt, so daß, nimmt man den nicht auf Plozeke weisenden Beinamen hinzu, auch davon ausgegangen werden kann, daß es sich hier um eine andere Person handelt.54 Schwerer wiegt aber eine Urkunde Markgraf Albrechts von II63, 5 5 die nebeneinander - doch ohne Hinweis auf ein Bruderverhältnis - ein Evererus und ein Hermann bezeugen. Albrecht nennt sie ministerielles mei. Es sind die Namen, die wir 1170 ebenfalls finden, und so ist eine Identität dieser Personen nicht auszuschließen. Bedenken erwachsen ferner aus Burchards Beinamen, der auf Plötzkau an der Saale oder Plötzky an der Elbe weist. Das erstere gehörte den Askaniern seit 1152,56 und auch das letztere könnte askanischer Besitz gewesen sein: Plötzky selbst wird damals nicht erwähnt, doch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft lagen askanische Besitzungen.57 Die Plozekes werden daher wohl aus der askanischen Ministerialität stammen. Aber der bischöfliche fidelis noster von 1170 ist ebenfalls Realität, und da diese Zuordnung jünger ist als die von II63, wäre ein Übergang der Plozekes von der askanischmarkgräflichen in die bischöflich-brandenburgische Ministeralität vielleicht durch einen nicht überlieferten Tausch - eine annehmbare Lösung. Die nähere Betrachtung der Plozekes hat somit doch den Blick auf den Brandenburger Bischof als möglichen Herrn der Burgmannen gerichtet. Der Beiname wies diese Richtung allerdings nicht, und so CDA I, Nr. 464, S. 338. CDBVIQ, S. 80 Nr. 12. 53 CDB1/8, S. 113 Nr. 25. 5 4 Ohne die Quellen näher zu befragen, sehen Η. K. Schulze, Adelsherrschaft... (wie Anm. 18), S. 143, und W. Podehl, Burg und Herrschaft... (wie Anm. 25), S. 514, darin ein und dieselbe Person. 55 CDA I, Nr. 483, S. 351 f. 56 KW, Nr. 220. 5 7 Für den Elbenauer Werder und für Pretzien - beides Plötzky benachbart - ist askanischer Besitz überliefert (CDA I, Nr. 362, S. 272 f.; zur Datierung KW, Nr. 193). 51 52

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wäre zu fragen, auf welche Herrschaftszugehörigkeit die Beinamen hindeuten, die für einige der übrigen Burgmannen überliefert sind. Sieht man von Brandenburg ab, das sicher nicht aussagekräftig ist, so verbleiben Weddingen, Stolzenhagen, Steglitz und Karow. Diese Namen finden sich einerseits für Orte im Teltow (Steglitz) und im Barnim (Wedding,58 Stolzenhagen, Karow), andererseits für Orte in Gebieten, die viel früher als Teltow und Barnim unter deutsche Herrschaft gekommen waren bzw. zum Altsiedelgebiet westlich der Elbe gehörten: mehrere Dörfer namens Weddingen südlich von Magdeburg, Steglitz südlich von Burg oder südlich von Stendal, Stolzenhayn südlich von Jüterbog und Karow südöstlich von Genthin. Stolzenhayn wird deshalb berücksichtigt, weil die Ersterwähnung dieses Ortes 1376/87 Stolczenhagen lautete.59 Zunächst zu den Dörfern der letztgenannten Gruppe. Die Weddingen-Dörfer südlich von Magdeburg befanden sich im Einflußbereich des Magdeburger Erzbischofs.60 Auch Karow bei Genthin darf wohl mit großer Gewißheit dem erzbischöflichen Territorium zugeordnet werden, denn das nicht weit entfernte Wusterwitz gehörte spätestens 1159 dem Erzbischof.61 Stolzenhayn lag damals im wettinisch-erzbif9 schöflichen Grenzgebiet. Kirchlich unterstand es dem Bistum Brandenburg, das im 12. Jahrhundert das magdeburgische Land Jüterbog einschloß. Viel später, im 16. Jahrhundert, übten allerdings die wettinischen Herzöge von Sachsen das Patronatsrecht in Stolzenhayn

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Das Dorf war dem mittelalterlichen Berlin benachbart und wohl schon 1251 bei der Ersterwähnung {CDB Vll, S. 3 Nr. 3) wüst. 59 Gerhard Schlimpert, Die Ortsnamen des Barnim (= Brandenburgisches Namenbuch 5), Weimar 1984, S. 242. Für Magdeburger Klöster sind Rechte und Hebungen in den Weddingen-Dörfern bekannt, die der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts angehören: 1183 (UBM, Nr. 388, S. 509 ff.), 1189 {UBM, Nr. 424, S. 558 f.), 1189 {UBM, Nr. 425, S. 559 ff.). Außerdem existieren Eigentumsübertragungen bzw. -bestätigungen für das Moritzkloster und das Erzstift aus dem 10. Jahrhundert, die diese Dörfer betreffen (z.B. UBM, Nr. 74, S. 105 ff., zu 973). Die entsprechenden Rechte werden zumindest teilweise auch noch im 12. Jahrhundert vorhanden gewesen sein. 61 UBM, Nr. 300, S. 374 ff. Helmut Assing, Herrschafisbildung und Siedlungspolitik in Teltow und Barnim währenddes 12. und 13- Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 9 (1985), S. 53-80, hier S. 69 f.

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aus. 63 Doch das taten sie im 16. Jahrhundert auch in den etwas weiter nördlich gelegenen Dörfern Oehna und Göhlsdorf, 64 die um 1200 eindeutig zum Land Jüterbog gehörten. 65 Eine ursprüngliche Zugehörigkeit Stolzenhayns zum erzbischöflichen Land um Jüterbog und eine spätere Verschiebung der Herrschaftsrechte zugunsten der Wettiner wären daher recht überzeugende Annahmen. Sehr schwierig ist dagegen die Einordnung von Steglitz. Wenn das Dorf südlich von Stendal gemeint sein sollte, gäbe es Indizien für askanischen Besitz, 66 während das andere Steglitz im magdeburgisch-askanischen Grenzgebiet lag. 67 Da nun aber 1214 Heinrich von Steglitz, als der urbanus-Status aus noch unbekannten Gründen beseitigt war oder nicht mehr erwähnt wurde, im Gefolge des Erzbischofs von Magdeburg zeugte, 68 dürfte ein magdeburgisches Steglitz eher in Frage kommen, und das wäre dann der Ort bei Burg, sofern nicht das Teltow-Dorf namengebend war. Zu den Dörfern des Teltow und Barnim. Die seit einigen Jahren währenden Diskussionen über die Herrschaftsträger, die diese Landschaften dem deutschen Staatsverband eingliederten, 69 tasteten nicht die altbekannte Auffassung an, daß die Askanier im nordwestlichen Barnim, in dem Stolzenhagen liegt, als erste die deutsche Herrschaft errichteten. Bis heute sind Indizien, die in eine andere Richtung gehen, nicht vorhanden. Wenn sich daher Conrad von Stolzenhagen

^ Fritz Curschmann, Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums, Leipzig 1906, S. 406 f. 64 Ebda. 65 CDB1/8, S. 122 Nr. 34 und S. 126 Nr. 39. 6 6 H. Assing, Herrschaftsbildung... (wie Anm. 62), S. 68 f. 6 7 Möckern z.B. gehörte bis 1195/96 den Askaniern (CDA\, Nr. 700, S. 517, und Nr. 710, S. 523 ff ). Burg wiederum weisen mehrere Urkunden (z.B. UBM, Nr. 362, S. 475 f., zu 1179) als erzbischöflich-magdeburgisch aus. 6 8 Siehe Anm. 34. 6 9 Dazu zuletzt mit einem Überblick über die Diskussion: Rolf Barthel, Die frühen Herrschaftsverhältnisse im Berliner Raum. Zwischenbilanz einer Diskussion, in.· Frühgeschichte der europäischen Stadt. Voraussetzungen und Grundlagen, hrsg. von Hansjürgen Brachmann u. Joachim Herrmann (= Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 44), Berlin 1991, S. 25-33. Barthel war es auch, der Anfang der achtziger Jahre die Diskussion ausgelöst hatte, als er den Anteil der Wettiner neu zu bestimmen suchte und neben den Askaniern und Wettinern das Erzbistum Magdeburg als Initiator von Herrschaft und Siedlung für den Berliner Raum erörterte.

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nach diesem Dorf genannt haben sollte, wäre er als askanischer Vasall oder Ministeriale anzusprechen. Dann wäre aber auch anzunehmen, daß er gerade in markgräflichen Urkunden diesen Beinamen führt. Doch das ist nicht der Fall. Die drei markgräflichen Urkunden, die für ihn zutreffen, führen ihn nur unter dem Namen Conrad, 70 während alle entsprechenden bischöflichen Urkunden seinen Beinamen nennen. 71 Daraus wäre zu folgern, daß Conrad sich anscheinend nicht nach dem Barnim-Dorf nannte, sondern nach Stolzenhayn. Das würde wieder rückwirkend die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß Stolzenhayn im 12. Jahrhundert unter erzbischöflicher Herrschaft stand, da Beziehungen der Wettiner oder ihrer Dienstleute zu Brandenburg für die Zeit um 1200 nicht bekannt sind, wohl aber, wie zu zeigen ist, sich Beziehungen des Erzbistums vermuten lassen. Karow, Steglitz und Wedding gehören zu den Dörfern, die nach Rolf Barthel ursprünglich erzbischöflich waren. 72 Die Ortsnamen selbst unterstützen teilweise diese These: Wedding kann nur ein übertragener Name sein, da Namen auf ,,-ing" im 12. Jahrhundert nicht neu gebildet wurden, und wird aus der Magdeburger Gegend gekommen sein; auch das Barnim-Dorf Karow dürfte seinen Namen von dem magdeburgischen Karow bei Genthin erhalten haben. Die Dörfer, so wird weiter gesagt, seien im Gefolge eines magdeburgischen Vorstoßes aus dem Jüterboger Raum gegründet worden. In Anbetracht der weiten Entfernung und der relativ geringen Zeitspanne für die Kolonisierung eines derart großen Raumes sind diese Überlegungen jedoch nicht ganz überzeugend. 73 Neuere Forschungen eröffnen jetzt eine andere Möglichkeit. 74 Danach fiel die östliche Seite des Stammesgebietes der Heveller um Potsdam und Spandau 1157 an Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der von hier aus in

1193 {CDB1/10, S. 409 o. Nr.), 1197 {CDB1/7, S. 469 Nr. 1), 1204 (KW, Nr. 520). 7 1 1194 {CDB 1/8, S. 121 Nr. 33), 1207 (nach eigener Datierung, vgl. S. 133), 1216 {CDB 1/8, S. 136 Nr. 48, zur Datierung vgl. Anm. 34). 7 2 Rolf Barthel, Neue Gesichtspunkte zur Entstehung Berlins, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 30 (1982), S. 691-710, hier S. 694 und 696. 7 3 Besonders die eigene Version zum Magdeburger Herrschafts- und Siedlungsvorstoß, die ungefähr den Zeitraum zwischen 1160 und 1180 veranschlagt (H. Assing, Herrschaftsbildung... [wie Anm. 62], S. 75), war in diesem Punkt angreifbar. 7 4 Dazu erscheint demnächst ein Aufsatz, dessen Ergebnisse hier nicht vorweggenommen werden sollen. 70

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den Südbarnim und den Westteltow eindrang. Die drei Dörfer Karow, Steglitz und Wedding würden auch aus dieser Sicht zu den erzbischöflichen Gründungen in Teltow und Barnim gehören, womit diese These ein besseres Fundament erhalten hätte. Die bald nach 1157 eingeleitete Okkupation von Teilen des Teltow und Barnim durch das Erzbistum Magdeburg als richtig vorausgesetzt, darf nunmehr gesagt werden, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit die Brandenburger Burgmannen Bartholomäus von Karow, Heinrich und Alvericus von Steglitz, Conrad von Stolzenhagen sowie Rudolf von Weddingen ihre Beinamen nach Dörfern im damals erzbischöflichen Territorium führten, ohne daß entschieden werden kann - Conrad von Stolzenhagen ausgenommen - , ob es sich dabei um die Dörfer in Teltow und Barnim oder um die weiter westlich gelegenen Orte gehandelt hat. Das bedeutet aber, einen Übertritt aus der erzbischöflichen Dienstmannschaft in eine der brandenburgischen Dienstmannschaften anzunehmen. Vergleicht man unter diesem Gesichtspunkt Bischof, Markgraf und Burggraf von Brandenburg, so kommt sicher am ehesten der Bischof als Adressat in Frage. Für eine Stärkung seiner Dienstmannschaft lassen sich die besten Erklärungen finden. Nachdem Bischof Siegfried I. von Brandenburg, der Sohn Albrechts des Bären, 1180 Erzbischof von Bremen geworden war, gelang es offenbar Erzbischof Wichmann, Männer seines Vertrauens auf den Brandenburger Bischofsstuhl zu bringen, denn die drei folgenden Bischöfe - Balderam (1180-1190), Alexis (1190/ 91-1192) und Norbert ( 1 1 9 2 - 1 2 0 5 ) - kamen höchstwahrscheinlich aus der Magdeburger Geistlichkeit.75 Balderam bekleidete sogar das hohe Amt eines Propstes des Klosters Unser Lieben Frauen, während die beiden anderen dort anscheinend Stiftsherren waren, bevor sie zum Bischof von Brandenburg erwählt wurden. Die Politik Wichmanns, die von Erzbischof Ludolf fortgesetzt wurde, zielte anscheinend darauf, das Bistum Brandenburg als Bundesgenossen gegen die askanische Markgrafschaft zu gewinnen, die für das Erzbistum ein immer stärkerer Konkurrent wurde. Diese Linie entsprach voll den Interessen des Brandenburger Bischofs, der de iure Mitglied des sich gerade formierenden Reichsfürstenstandes geworden war, in der Praxis aber Gefahr lief, von den askanischen Markgrafen mediatisiert

75 Das Bistum Brandenburg, Τ. 1, bearb. von Gustav Abb u. Gottfried Wentz (= Germania Sacra, 1,1,1), Leipzig-Berlin 1929, S. 27 f.

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zu werden. Eine Delegierung magdeburgischer Dienstleute nach Brandenburg oder auch eine Rückkehr ehemals bischöflicher Dienstleute76 fügt sich in diese Interessenlage nahtlos ein. Damit ist nicht gesagt, daß alle Brandenburger Burgmannen aus der erzbischöflichen Dienstmannschaft kamen. Für Burchard von Plozeke wurde ja schon eine andere Wurzel erwogen, und obendrein ist mit einem älteren Stamm bischöflicher Dienstleute zu rechnen. Dazu zählten anscheinend Otto und Heinrich von Brandenburg, worauf nicht nur der Beiname, sondern auch die eine engere Bedeutung besitzende Bezeichnung burgensis77 hinweist. Ob damit eine Vorrangstellung auf der Brandenburg oder nur eine längere Anwesenheit daselbst zum Ausdruck gebracht werden sollte, muß offenbleiben. Zusammenfassend darf aber festgestellt werden, daß alle Indizien sich auf den Brandenburger Bischof als den Herrn der Burgmannen konzentrieren. Die so bezeichneten Personen bildeten um 1200 die mit erzbischöflicher Hilfe vergrößerte Dienstmannschaft des Bischofs von Brandenburg. Dieses wichtige Ergebnis verlangt nun aber nach weiteren Erklärungen. Da wäre die erste Frage, wo sich die zahlenmäßig verstärkte Burgmannschaft innerhalb der Brandenburg aufhielt. Im bischöflichen Teil wird durch die 1165 erfolgte Übersiedlung des Domkapitels auf die Burginsel78 kein Platz mehr gewesen sein. Und da anzunehmen ist, daß der Große Domkietz, der östlich der bischöflichen Burghälfte lag, und die übrigen Kietze im Süden der Insel gleich nach der Umstrukturierung der slawischen Burg entstanden waren,79 könnten im nördlichen Teil der Insel wie auch an ihrem südlichen 7(>

Wenn Conrad von Stolzenhagen sich nach Stolzenhayn nannte und ein Sohn Ottos von Brandenburg war, der letztere aber möglicherweise schon 1170 in bischöflichen Diensten stand (vgl. S. 143), so hätte es auch einen Wechsel von Brandenburg nach Magdeburg gegeben und Conrad wäre nunmehr zurückgekehrt. 77 Siehe S. 135! Da Otto von Brandenburg offenbar der Vater Conrads von Stolzenhagen war und dieser, wie dargelegt, anscheinend nicht im markgräflichen Dienst stand, gewinnen wir auch für Otto über diese Verwandtschaft ein Indiz, daß er bischöflicher Dienstmann war. 78 Siehe Anm. 2. 79 Siehe dazu: Winfried Schich, Stadtwerdung im Raum zwischen Elbe und Oder im Übergang von der slawischen zur deutschen Periode. Beobachtungen zum Verhältnis von Recht, Wirtschaft und Topographie am Beispiel von Städten in der Mark Brandenburg, in: Germania Slavica I, hrsg. von Wolfgang H. Fritze (= Berliner Historische Studien 1), Berlin 1980, S. 191-238, hier S. 205 f.

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Rand keine Möglichkeiten für die Unterbringung der Burgmannen vorhanden gewesen sein. So bliebe eigentlich nur der Schluß, daß dem Bischof die südliche Burghälfte am Ende des 12. Jahrhunderts ganz oder partiell abgetreten wurde. Doch hält ein solcher Schluß überhaupt den Realitäten stand ? Erörtern wir zunächst die Haltung des Markgrafen, dem ja zumindest ein Teil der südlichen Burghälfte gehörte. Diese Wehranlage hatte durch den Bau der Klostergebäude ihre Funktion nach Norden weitgehend verloren. Hinzu kam, daß mit der Gründung der Neustadt Brandenburg, die 1196 als anscheinend fertige Stadt genannt wird, 80 der Markgraf selbst die Wirksamkeit seiner Burg auch nach Süden beschnitten hatte, so daß ihr Wert, da sie zwischen einem Kloster und einer Stadt eingekeilt lag, bereits einige Jahrzehnte nach 1157 stark gesunken war. Von daher ist es durchaus denkbar, daß der Markgraf seinen Burganteil an den Bischof abtrat. Andererseits war es nicht irgendeine Burg, sondern die, nach der Albrecht der Bär seiner Mark den Namen gegeben hatte. Der daraus resultierende Stolz der Askanier zeigt sich unter Markgraf Otto I. auch ganz deutlich. Als er 1179 die Rechte des Domkapitels bestätigte,81 geschah es nach seinen Worten in urbe nostra Brandeburg. Und die Dienstbefreiung, die er für die homines des Domkapitels aussprach, enthielt Einschränkungen: excepta communi edißcatione urbis Brandeburg. Otto I. fühlte sich demnach als Herr der Burg; zu seiner Zeit werden dem Bischof keine Rechte im markgräflichen Burgteil eingeräumt worden sein. Die bisher gewonnene Zäsur „nach 1180" - gemessen an den Bestrebungen und Handlungen Erzbischof Wichmanns wäre deshalb so zu präzisieren, daß erst nach 1184, dem Todesjahr Ottos I., die erwogenen Veränderungen auf der Brandenburg eingetreten sein werden. Damit konzentrieren sich die Überlegungen auf Otto II. In seine Zeit fällt die berühmte, aber immer noch nicht aufgeklärte Lehnsauftragung der askanischen Allode an das Erzstift Magdeburg,82 die Otto II. als einen Mann ausweist, für den Besitzstolz kein Hauptprinzip im politischen Kräftespiel war. Ihm ist auch von daher eine Aufgabe seines Anteils an der Brandenburg zuzutrauen, und eine zu 1197 datierte Fälschung liefert dafür sogar ein

80 81 82

CDA I, Nr. 710, S. 523 ff. CDB1/8, S. 112 f. Nr. 25. Siehe Anm. 80.

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deutliches Indiz. In dieser Urkunde 83 erläßt Otto II. - im Unterschied zu seinem Vater - den homines des Domkapitels ohne Einschränkung alle öffentlichen Dienste. Eine solche Konzession wird in der echten Urkunde, die wohl existiert haben wird, 84 enthalten gewesen sein. Denn die vorliegende Urkunde wurde im 14. Jahrhundert gefälscht, als die Brandenburg nicht mehr bestand, so daß kein Anlaß vorhanden war, Burgdienstforderungen zu löschen. Da auch die anderen Urkunden Ottos II. zugunsten des Domkapitels keine Anzeichen für einen Burgdienst aufweisen, 85 möchten wir annehmen, daß Otto II. ihn nicht mehr verlangt hat. Dieser Umstand bettet sich ebenfalls in eine Burgaufgabe ein. In der soeben herangezogenen Fälschung bezeichnet Otto II. die Brandenburg aber als caput marchie, und diese Formulierung kehrt auch in einer anderen Urkunde des Jahres 1197 wieder. 86 Sie scheint einer Burgaufgabe zu widersprechen, muß dies jedoch nicht. Sie erlaubt sogar eine Interpretation, die neue Motive der Burgaufgabe sichtbar macht. Die Auffassung vom caput marchie schließt nicht von vornherein ein, daß die Burg Residenz war. Wenn die Burg an den Bischof übergeben worden war, bedeutete das caput marchie die Unterstellung des Bischofs unter den Markgrafen, einen Angriff auf die reichsfürstliche Position des Bischofs, einen Schritt zu dessen Mediatisierung. Otto II. hätte mit diesem diplomatischen Schachzug eine Antwort gegeben auf die Versuche des Erzbistums Magdeburg und des Bistums Brandenburg, den Aufstieg der Mark Brandenburg zu bremsen. Die Übergabe des markgräflichen Anteils an der Brandenburg wäre im Interesse eines größeren politischen Gewinns als Bauernopfer Ottos II. zu verstehen, das der Bischof annahm, um seinerseits eventuell doch daraus strategische Vorteile zu erlangen. Das in den Urkunden so friedlich erscheinende Nebeneinander von Markgraf, Bischof und Burgmannen dürfte in Wirklichkeit eine gegenseitige Lauerstellung gewesen sein. Nun einige Bemerkungen zum Burggrafen, obwohl die sich abzeichnenden Ergebnisse ihn schon etwas in Vergessenheit haben 83

CDB1/8, S. 123 f. Nr. 36.

84

Siehe KW, Nr. 498. 1187 (CDB 1/8, S. 115 f. Nr. 28), 1187 (CDB 1/8, S. 116 f. Nr. 29 - Fälschung;

85

KW, Nr. 460), 1197 (CDBV1, S. 468 ff. Nr. 1), 1204 (CDBl/H, S. 125 Nr. 38- Fälschung; KW, Nr. 519). 86

CDB 1/7,

S. 469 Nr. 1.

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geraten lassen. Die bereits erörterte Wertminderung der Brandenburg nach 1157 galt selbstverständlich auch für den Burgteil, den er eventuell besaß. Obendrein belastete ihn, daß die vorgelagerte Neustadt ihm nicht gehörte. Es ist daher unwahrscheinlich, daß er auf der Burginsel verblieb, als sich die Veränderungen der dortigen Herrschaftsverhältnisse anbahnten. Da aber noch bis 1236 ein Burggraf in den Quellen auftritt,87 wird er sich nicht schon am Ende des 12. Jahrhunderts von Brandenburg zurückgezogen haben. Aus anderer Sicht gewonnene Erkenntnisse 88 lassen es möglich erscheinen, daß sich sein Sitz auf der anderen Havelseite neben der Altstadt Brandenburg befand. Diese Auffassung könnte vielleicht so modifiziert werden, daß sich der Burggraf spätestens am Ende des 12. Jahrhunderts dort niederließ. Näher liegt aber, wenn man den massiven Anspruch Albrechts des Bären und Ottos I. auf die Brandenburg beachtet, daß der Burggraf gar nicht erst seinen Sitz auf der Burginsel nahm. Unabhängig davon halten wir jedoch fest, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit am Ende des 12. Jahrhunderts die gesamte Brandenburg in den Besitz des Bischofs überging, der in der südlichen Burghälfte seine Dienstleute, die zahlenmäßig verstärkt worden waren, stationierte. Erst von dieser Zeit an verwenden die Quellen den Burgmannen-Begriff. Das deutet darauf hin, daß nicht nur fortan mehr Dienstleute des Bischofs auf der Brandenburg weilten, sondern daß sie auch - sicher in Abhängigkeit von ihrer größeren Zahl - zu einer Burgmannschaft mit einer festen Struktur zusammengeschlossen worden sein könnten. Damit hätten wir partiell eine zweite wichtige Frage beantwortet, die noch der Klärung bedurfte, die nach dem kurzzeitigen Quellendasein des Burgmannen-Begriffs. Doch warum verschwand er bereits nach fünfzehn Jahren wieder aus den Quellen? Dies wird verständlich, wenn man die Politik von Ottos II. Nachfolger betrachtet. Albrecht II. setzte offenbar die Politik seines Bruders nicht fort. Als er 1209 dem Domkapitel die Rechte bestätigte,

87 Siehe dazu: W. Podehl, Burg und Herrschaft... (wie Anm. 25), S. 508 mit Anm. 435. 8 8 Helmut Assing, Neue Überlegungen zur Entstehung der Altstadt Brandenburg, in: Hansische StadtgeschichteBrandenburgische Landesgeschichte (Festschrift Eckhard Müller-Mertens), hrsg. von Evamaria Engel, Konrad Fritze u. Johannes Schildhauer (= Hansische Studien 8; Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 26), Weimar 1989, S. 15-28, hier S. 27.

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verlangte er erneut die Burgdienste. 89 Deutlicher als 1179 ist jetzt auch nicht von einer urbs, sondern von einem Castrum, die Rede. Spätestens 1209 wird er also seine Burghälfte wieder in Besitz genommen und die bischöfliche Burgmannschaft verdrängt haben. Sie löste sich auf, wenn auch Dienstleute beim Bischof verblieben. Doch Heinrich von Steglitz könnte zum Erzbischof von Magdeburg zurückgekehrt sein und Conrad von Stolzenhagen zum Markgrafen gewechselt haben, in dessen Auftrag er dann das gleichnamige Dorf im Barnim gründete. Auf der Brandenburg herrschten wieder die alten Zustände, die keinen Anlaß boten, den spezifischen Burgmannen-Begriff in den Quellen zu verwenden. Albrechts II. Vorgehen auf der Brandenburg war der Anfang seines Konfrontationskurses gegenüber dem Bistum, der dann zum Zehntstreit führte und den seine Söhne fortsetzten. Im Falle der Brandenburg brachte er keinen Erfolg, denn 1237 verzichteten Johann I. und Otto III. schließlich doch auf die Burg, 90 die aber wohl auch der Bischof bald darauf zugunsten des Domkapitels verließ. In der Mitte des 13- Jahrhunderts bot die nunmehrige Dominsel ein Bild, mit dem sicher weder Otto II. und Albrecht II. noch die Bischöfe ihrer Zeit gerechnet hatten.

89

CDB1/8, S. 126 ff. Nr. 40. In der Urkunde, die den Zehntstreit abschloß, übergaben Johann I. und Otto III. dem Bischof die in der markgräflichen Hälfte gelegene Burgkapelle (CDB 1/8, S. 152 Nr. 67) und drückten sich in einer Weise über die Befestigung der* Burg aus (S. 153: Si vero urbem Brandeburg muniendam esse contigerit..?), die deutlich von den Formulierungen der Jahre 1179 und 1209 abwich und wohl so zu deuten ist, daß die Markgrafen die Burg kaum noch oder gar nicht mehr nutzen wollten. 90

Brandenburg und das Magdeburger Recht FRIEDRICH Berlin

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Thema Das Thema ist ein wenig irreführend formuliert. Genauer, wenn auch dann noch nicht präzise, müßte es lauten: Brandenburger Recht und Magdeburger Recht. Die Begriffe sind freilich schillernd, in der Zeit nicht stets eindeutig - bis heute weiß der Jurist nicht, was eigentlich Recht ist - , können Spannungen und Kräfte ebenso bedeuten wie Ursprungsverhältnisse oder Ruhelagen. Gerade für das Brandenburger Recht freilich kann ich nicht fertige Ergebnisse moderner Forschung referieren. Die Ungunst der jüngstvergangenen Verhältnisse galt stark dem Recht überhaupt, folglich weitgehend auch der Rechtsgeschichte. Die Ausnahmen, die allerdings nicht das Brandenburger Recht in specie betreffen, sind deshalb um so stärker zu rühmen. Auch die vergangene Zeit ist freilich nicht so intensiv mit dem Brandenburger Recht befaßt gewesen, wie es dies verdient hätte. Ich meine dabei weniger den Schöffenstuhl, über den wichtige Arbeiten des 19. Jahrhunderts vorliegen wie vornehmlich die Arbeiten Adolf Stölzels, die um die Jahrhundertwende entstanden sind. Schlecht steht es vor allem um die Erforschung des materiellen Brandenburger Rechts im Mittelalter. Wenn hier Abhilfe geschaffen werden könnte, wäre es schön. Ich versuche gerade, Doktoranden dafür zu interessieren. Besser informiert sind wir über das Magdeburger Recht - hier sind allerdings die verschiedensten ideologischen Vorverständnisse bis hin zur politischen Propaganda zu beachten - , besser steht es auch um die in sich freilich nicht so bedeutende Existenz der Berliner Spielart des mittelalterlichen Brandenburger Rechts und

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die Erforschung der Rechtsgeschichte der Mark in der frühen Neuzeit. Zeitlich beschränke ich mich auf die Zeit der Stadtgründungen meist Bewidmungen mit Stadtrecht - bis zur Wende zur Neuzeit. Für die Mark kann man dafür in Übereinstimmung mit der herkömmlichbequem ungenauen Unterscheidung zwischen Mittelalter und Neuzeit durchaus die Grenze vom 15. zum 16. Jahrhundert annehmen. Es ist für die Mark die Joachimica, die in vielerlei Hinsicht in die neue Zeit hineinführt, aber Altes, wie etwa den Brandenburger Schöffenstuhl, jedenfalls äußerlich unangetastet läßt. Kennzeichnend ist es, wenn der Rat von Prenzlau, der seit alters sein Recht in Magdeburg geholt hat (Nha deme und diewill ivy von olders mit meideborgischen rechte ... privilegirt... gewest und nhu denne unlängst in vergangenen körten jaren dorch unsen gnedigsten herrn churfursten, marggraven to Brandenborgh etc. ... under keiszer und Brandenborgischen rechte szalen hinfurder entholden weszen), wie dies die brandenburgischen Schöffenstuhlakten 1531 mitteilen,1 fragen läßt, wie es die Brandenburger in einigen Dingen halten. Die Antworten freilich beschreiben wohl neuere Entwicklungen des Verfahrens und vor allem des Kostenrechts, was die Prenzlauer schon zu den billigeren Magdeburger Zeiten sich zurücksehnen läßt. Ich habe hier zu fragen nach dem Verhältnis der beiden Rechte zueinander - genetisch, in der Entwicklung, der Organisation und in der Konkurrenz zueinander - und habe das alles einzubinden in die allgemeine Entwicklung dieser Zeit, die märkische Geschichte, zumal der Stadt Brandenburg insbesondere. Das wird mir nicht gelingen. Ich kann deswegen aus dem nicht befriedigend erschlossenen Quellenmaterial nur rechtshistorisch kurz bellen, statt die notwendige Arie zu singen; ich kann nur mit der Taschenlampe hineinleuchten in einen Keller, von dem ich weiß, daß ein Bündel von High-Tech-Scheinwerfern nötig wäre, um das dort liegende Material, das keineswegs Gerümpel ist, zu erhellen. Dabei bin ich mit dem Gepäck beladen, den hier Versammelten viel Bekanntes erzählen zu müssen. Doch damit der captatio bene-

1 Adolf Stölzel, Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten, Bd. 1, Berlin 1901, Nr. 78, S. 125 f.; ders., Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, untersucht auf Grund der Akten des Brandenburger Schöppenstuhls, Bd. 1: Der Brandenburger Schöppenstuhl, Berlin 1901, S. 301.

Brandenburg

und das Magdeburger

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volentiae genug - die Mahnung, gegebene Schwierigkeiten nicht zu übersehen, ist dem Kundigen gegenüber nicht am Platze.

Magdeburger Recht Magdeburger Recht bedeutet zunächst das städtische, auf Herkommen, Privilegien und Willküren gegründete Recht der Stadt Magdeburg. Die älteste Urkunde, die sich inhaltlich mit dem Magdeburger Recht befaßt, das Privileg Erzbischof Wichmanns von 1188, 2 enthält bereits Änderungen im Blick auf die Entwicklung städtischen Rechtslebens, setzt aber schon voraus, daß Abweichungen von dem im umliegenden Land geltenden ostfälischen Sachsenrecht eingetreten sind. Magdeburger Recht ist im 12. Jahrhundert ein feststehender Begriff. Das Magdeburger Recht ist wie die meisten der auf Altsiedelgebiet liegenden Stadtrechte neben dem Landrecht entstanden, und inhaltlich bleibt es mit dem Sachsen-Landrecht verwandt. Letzteres wandert gewissermaßen auf den Schultern des Magdeburger Rechts im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters mit nach Osten. Aus älterer Zeit sind Aufzeichnungen offiziellen Charakters nicht erhalten, sondern nur Quellen, die - herkömmlich als Rechtsweisungen oder -mitteilungen bezeichnet - aus Städten des Magdeburger Rechtskreises stammen. Kopien dieser Rechtsmitteilungen sind sicher zurückgehalten worden, wie sich aus der inhaltlich weitgehenden Gleichheit unterschiedlicher Rechtsmitteilungen ebenso wie aus späteren Rechtssprüchen ergibt, die auf ältere verweisen. Die wichtigsten Quellen des Magdeburger Rechts sind die erwähnte Konstitution Erzbischof Wichmanns von 1188, das sogenannte Magdeburg-Goldberger Recht von vielleicht 1238 (eventuell für Breslau bestimmt), die Rechtsmitteilungen für Breslau von 1261 und 1295, für Görlitz von 1304, Kulm 1338, Schweidnitz 1363, Halle 1364, Jüterbog 1367. Vom ersten Drittel des 14. Jahrhunderts an setzt die schriftlich überlieferte Reihe der Sprüche der Magdeburger Schöffen ein, die teils in Originalen, teils in Kopiaren oder in verarbeiteter Fassung das Magdeburger Recht zum wohl wichtigsten, jedenfalls

2 Vgl. hierzu jüngst: Rolf Lieberwirth, Das Privileg Erzbischof Wichmanns und das Magdeburger Recht, in: Magdeburger Blätter, Jg. 1990, S. 4-13.

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am stärksten verbreiteten Stadtrecht des deutschen Mittelalters machen. Das Archiv der Magdeburger Schöffen ist 1631 vollständig vernichtet worden, weshalb die Spruchtätigkeit von der Empfängerseite her rekonstruiert werden muß. Älteren Ansätzen folgend wird eine entsprechende Edition zur Zeit durchgeführt. - Eine gewöhnlich als Privatarbeit bezeichnete Quelle magdeburgischen Ursprungs ist das sogenannte Sächsische "Weichbild, in mehreren Schichten überliefert, in ersten Teilen um die Mitte des 13- Jahrhunderts niedergeschrieben, dann in einer Vulgatfassung auch glossiert, seit dem 15. Jahrhundert gedruckt. Inhaltlich bedeutet Magdeburger Recht zunächst die Magdeburger Stadt- und Gerichtsverfassung. Im 12. Jahrhundert jedenfalls hat Magdeburg bürgerschaftliche Selbstverwaltung mit einem Stadtschultheißen und ein Schöffengericht (ein Richter und elf Schöffen), dazu Krämer- und Handwerkerinnungen. Endgültig seit 1294 trennen sich die Kompetenzen von Schöffengericht und Rat, letzterer mit der Befugnis zum Erlaß von Willküren. Kennzeichnendes Moment des Magdeburger Rechts wie auch anderer deutscher Stadtrechte war die Freiheit der Bürger. Der Rechtszug außermagdeburgischer Städte ging an die Schöffen, deren Spruch keine formelle Bindung des anfragenden Gerichts bedeutete (Ausnahmen konnten die Statuten der anfragenden Städte vorsehen); es konnten auch Parteien anfragen. Die Zahl der Schöffen konnte in Städten Magdeburger Rechts niedriger als in Magdeburg sein. In gewissem Umfang fungierte der Schöffenstuhl auch als Schiedsgericht. Geurteilt wurde bis ins späte Mittelalter nur nach Magdeburger Recht, nicht nach den Statuten der anfragenden Städte, auch nicht nach Lehnrecht. Im 16. und 17. Jahrhundert ändert sich dies. Sachlich umfaßte das Magdeburger Recht das heute so zu nennende Straf- und Zivilrecht mit einer Fülle von Sonderbereichen. Das Magdeburger Recht bildete eine große Anzahl eigener Rechtsinstitute aus, die teils dem sächsischen Landrecht entsprachen, teilweise neuen Entwicklungen des Rechtsverkehrs (Prozeßrechtsinstitute, Erbrecht, Ausgestaltung der Grundpfandrechte, Kaufmannsrecht und anderes) entstammten. Die Städte Magdeburger Rechts haben der Rezeption des römischen Rechts durchweg länger widerstanden als etwa süd- oder westdeutsche Stadtrechte, aber nicht so dauerhaft wie die Städte des lübischen Rechts. Andererseits hat sich, begünstigt durch den Druck der wesentlichen Quellen und die früh eintretende

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Glossierung, eine auf dem ius commune beruhende Wissenschaft und Rechtsprechung vom sogenannten gemeinen Sachsenrecht gebildet, die als Gegenstand auch das Magdeburger Recht3 umfaßte.

Der Oberhof Magdeburg Der Rechtskreis Magdeburgs umfaßt zunächst das erzbischöfliche Territorium, strahlt auch nach Westen in das heutige Niedersachsen aus, verbreitet sich vor allem aber im Zuge der Siedlungsbewegung nach Osten: in die Mark Brandenburg, einzelne Städte Pommerns, nach Preußen (vor allem in der Sonderform des Kulmer Rechts), Thüringen und Sachsen, in die Lausitzen, nach Schlesien, Böhmen und Mähren. Großteils auch ohne eine Anbindung an Magdeburg als Oberhof wird Magdeburger Recht das Stadtrecht schlechthin in Po-

3 Literatur: Gertrud Schubart-Fikentscher, Die Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Osteuropa (= Forschungen zum Deutschen Recht IV, 3), Weimar 1942; Friedrich Ebel, Die Spruchtätigkeit des Magdeburger Schöppenstuhls für Niedersachsen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung (künftig ZRG GA zitiert) 98 (1981), S. 30-55; ders., Art. Magdeburger Recht, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, Lief. 1, München-Zürich 1992, Sp. 77-79; ders., Der Magdeburger Schöppenstuhl, in: Jus, Jg. 1981, S. 330 f.; Jürgen Weitzel, Zum Rechtsbegriff der Magdeburger Schöffen, in: Studien zur Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Deutschland und Polen, hrsg. von Dietmar Willoweit u. Winfried Schich (= Rechtshistorische Reihe 10), Frankfurt a.M.-Bern-Cirencester 1980, S. 62-93; Jan Ziekow, Recht und Rechtsgang, Pfaffenweiler 1986; Heiner Lück, Magdeburger Recht in der Ukraine, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 12 (1990), S. 113-126; R. Lieberwirth, Das Privileg... (wie Anm. 2). Quellen: Jakob Friedrich Behrend, Ein Stendaler Urteilsbuch aus dem vierzehnten Jahrhundert als Beitrag zur Kenntnis des Magdeburger Rechts, Berlin 1868; Paul Laband, Magdeburger Rechtsquellen, Königsberg 1869; Viktor Friese/Erich Liesegang, Die Magdeburger Schöffensprüche für Groß-Salze, Zerbst und Anhalt, Naumburg und aus dem Codex Harzgerodanus, Berlin 1901; Theodor Goerlitz/Paul Gantzer, Die Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen für Schweidnitz, Stuttgart-Berlin 1940; Wilhelm Weizsäcker, Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen für den Oberhof Leitmeritz, Stuttgart-Berlin 1943; Theodor Goerlitz, Magdeburger Schöffensprüche für die Hansestadt Posen und andere Städte des Warthelandes, Stuttgart-Berlin 1944; Friedrich Ebel, Magdeburger Recht (= Mitteldeutsche Forschungen 89), Bd. I und 11,1, Köln-Wien 1983-1989; Guido Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung, Leipzig 1919; Reinhold Grosch/Karl Theodor Lauter/Willy Flach, Die Schöffenspruchsammlung der Stadt Pößneck, Τ. 1, Weimar 1957.

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len, Litauen und der Ukraine.4 Das Kulmer Recht verschwindet erst im 19- Jahrhundert in Westpreußen, in Kiew wird 1834 die Geltung des Magdeburger Rechts beseitigt. Zunächst beruht die Geltung Magdeburger Rechts in einer anderen Stadt weitgehend auf Bewidmung (Verleihung), oftmals schon bei der Gründung der Stadt durch Privileg des Stadtherrn erteilt, doch unter Umständen auch später erworben (früheste Fälle Stendal nach ll60, Leipzig zwischen 1156 und 1170, wohl letzter Fall Poltawa/ Ukraine 1752). Vielfach bedeutet auch die bloße Erwähnung der Bewidmung einer Stadt mit deutschem Recht im Osten die Bewidmung mit Magdeburger Recht; die Begriffe werden teilweise synonym gebraucht. Im Spätmittelalter richten sich teilweise auch Städte mit eigener Stadtrechtstradition nach Magdeburger Recht, indem sie den Rechtszug dorthin nehmen.

Die Stadtrechte der Mark Bereits der Anfang der stadtrechtlichen Beziehung zwischen Magdeburg und Brandenburg liegt im dunkeln und ist zweifelhaft. Im Ergebnis sind sich freilich alle Autoren einig, daß ursprünglich Brandenburg mit magdeburgischem Recht bewidmet war.5 Es lassen sich für diese Meinung, die ich auch teile, freilich nur Indizienbeweise anführen. Zum einen ist es die allerdings nur als wissenschaftliche Behauptung tradierte Tatsache, daß Brandenburg selbst Recht in Magdeburg einholte. Dies erklärt im 18. Jahrhundert Diez, wird aufgenommen im Jahre 1811 von dem bekannten, später berüchtigten preußischen Justizminister Karl Albert von Kamptz, wandert von hier aus über verschiedene Autoren des 19. Jahrhunderts in das Standardwerk von Gertrud Schubart-Fikentscher und ist seitdem communis opinio. Urkundliche Belege hierfür freilich finden sich nicht. Im Gegenteil wird bereits 1315 der Schöffenstuhl zu Brandenburg für eine große Anzahl märkischer Städte als Oberhof genannt, nämlich

4 Vgl. zu diesem Aspekt: Rolf Lieberwirth, Das sächsisch-magdeburgische Recht als Quelle osteuropäischer Rechtsordnungen (= Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. 127, H. 1), Berlin 1986. 5 A. Stölzel, Die Entwicklung... (wie Anm. 1), S. 256; R. Lieberwirth, Das Privileg... (wie Anm. 2), S. 10.

Brandenburg

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für Berlin und Cölln, Spandau, Landsberg, Rathenow, Falkenburg, Strausberg, Drossen, Müncheberg, Mittenwalde, Eberswalde, Bernau, Nauen, Treuenbrietzen. Daß es sich bei dessen Entscheidungen um solche nach magdeburgischem und nicht nach brandenburgischem Recht handelte, wird selbstverständlich nicht gesagt. Dies gilt auch für einige Städte außerhalb der eigentlichen Mark, dazu wird von den Markgrafen das brandenburgische Recht einiger dieser Städte an andere weiterverliehen, so daß ein großer einheitlicher Rechtsfamilienverband mit Brandenburg als Mittelpunkt entstanden ist.6 Von den Versuchen der Markgrafen, innerhalb der Mark ein Monopol für den Brandenburger Schöffenstuhl zu bilden, wird noch die Rede sein. Während für Stendal und die Tochterrechtsstädte Stendals in der Prignitz und im Land Ruppin die Beziehungen zum Magdeburger Schöffenstuhl recht klarliegen und dies auch für die übrigen Städte der Altmark gilt, ist die Bewidmung Brandenburgs selbst nicht nachzuweisen. Die Doppelstadt an der Havel mit ihren beiden Schöffenstühlen scheint rechtlich nicht differenziert gewesen zu sein. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß sich bei aller grundsätzlicher Übereinstimmung zwischen magdeburgischem und Brandenburger Recht bereits früh, das heißt schon im 13. Jahrhundert, Abweichungen zwischen beiden Rechten feststellen lassen. Darüber später mehr! Jedenfalls aber die Stadtverfassung entspricht weitgehend der magdeburgischen, auch wenn - wie im Kolonialgebiet nicht anders zu erwarten - nicht alles einheitlich und gleich ist. Charakteristisch ist insbesondere das Rechtsinstitut des Schöffenstuhls. Dieser findet sich so in den west- und nordniedersächsischen Stadtrechten nicht - weder in den weifischen Städten noch in denen des lübischen Rechtskreises; bemerkenswerterweise auch nicht in der altmärkischen Stadt Salzwedel,7 obgleich für diese im 15. Jahrhundert der Rechtszug nach Magdeburg nachweisbar ist.8 Auch die Sätze des Straf- und Prozeßrechts sind sich so weitgehend ähnlich, daß es sich beim Brandenburger Recht in seinen frühen verfolgbaren Formen nicht um

^ G. Schubart-Fikentscher, Die Verbreitung... (wie Anm. 3), S. 81 mit Nachweisen. 7 Zum Salzwedeler Recht vgl. Hans K. Schulze, Die brandenburgischen Stadtrechte im Mittelalter, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 13/ 14 (1965), S. 348-369, hier S. 357 ff. 8 Vgl. F. Ebel, Die Spruchtätigkeit... (wie Anm. 3), S. 51 f.

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eine stadtrechtliche Emanation des Sachsenrechts (Landrechts) in selbständiger Form handelt - wie etwa bei Salzwedel, Lüneburg, Helmstedt - , sondern um eine besondere Form des Magdeburger Rechts.

Der Schöppenstuhl

Brandenburg

Die bekannte Darstellung Adolf Stölzels fußt auf den in der Literatur nicht ausreichend ausgewerteten brandenburgischen Schöppenstuhlakten, auf die erst jüngst wieder verdienstvollerweise Dieter Pötschke aufmerksam gemacht hat mit dem interessanten Vorschlag, sie mittels EDV zu erschließen. 9 Die Stölzelsche Quellenausgabe selbst 10 ist nur eine Auswahl mit speziellem Interesse - durchaus ergiebig, doch keineswegs irgendwie vollständig. Die älteste Erwähnung Brandenburgs als Oberhof ist im bekannten Privileg für Spandau von 1232 enthalten, 11 dem 1240 das Brandenburger Recht nach Ablauf der acht Freijahre nochmals garantiert wurde. 12 1262 wird Gransee mit Brandenburger Recht (demjenigen der Altstadt) bewidmet. 13 Die äußere Geschichte des Brandenburger Oberhofs ist oftmals dargestellt worden; er wurde von den Markgrafen planmäßig eingesetzt, um die Geschlossenheit des Landes durchzusetzen, um sofern dieser strittige Begriff erlaubt ist - die Landesherrschaft zu festigen. Die wesentlichen Daten liegen zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Um 1335 formulierte der bekannte Hofrichter Johann von

Dieter Pötschke, Sachsenspiegel und Glosse als Quellen des brandenburg-berlinischen Stadt- und Schöffenrechts, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 41 (1990), S. 76-107, hier S. 79, 101. 1 0 Adolf Stölzel, Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten, Bd. Berlin 1901. 11 Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I, Bd. 11 (künftig CDB1/11 zitiert), Berlin 1856, S. 1 Nr. 1; vgl. A. Stölzel, Urkundliches Material... (wie Anm. 10), Bd. 1, S. 256; Η. K. Schulze, Die brandenburgischen Stadtrechte... (wie Anm. 7), S. 364. 12 CDB VW, S. 3 f. Nr. 2. 13 CDB 1/4, Berlin 1844, S. 413 und S. 426 Nr. 1; vgl. Friedrich J. Kühns, Geschichte der Gerichtsverfassung und des Prozesses in der Mark Brandenburg vom X. bis zum Ablauf des XV. Jahrhunderts, Bd. 1, Berlin 1865, S. 182.

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Buch 14 den Richtsteig Landrechts, einen dem Sachsenspiegel gewidmeten ordo iudiciarius, und beschrieb dort im bekannten Kapitel 50 den Rechtszug in der Mark zu Klinke, Krempe und Linde und des kemerers kartiere, dat is tu Tangermünde,15 Das Privileg Markgraf Johanns von 1315, 16 mit dem Brandenburg als alleiniger Oberhof bestimmt wurde, galt zunächst nur für den Landesteil Johanns und nur für die Neustadt Brandenburg; vielleicht ist es deshalb von Johann von Buch, der es sicher kannte, nicht mit aufgenommen worden. (Johann von Buch befand sich zunächst am Hof Ottos des Milden von Braunschweig, dieser war seit 1323 Mitregent der Mark.) Das Berliner Stadtbuch aus dem Ende des 14. Jahrhunderts ist dann deutlich und sagt: Tu Brandenborch, dat is пи di hogestede dingestat, dat hir vormals was tu der Klinke by Brandenborch Ρ Dabei bleibt es konzentriert bis zum 16. Jahrhundert - die eingangs erwähnte Prenzlauer Anfrage kennzeichnet die Zäsur. Da vor allem die als allgemeines Gesetz akzeptierte Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532 in Sachen Kapitalverbrechen die obligatorische Anfrage nicht nur bei einer Juristenfakultät, sondern auch bei einem Schöffenstuhl erlaubte,18 konnten die Schöffen beider Städte Brandenburg - seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ist es ein gemeinsamer Schöffenstuhl - trotz der seit Mitte des 15. Jahrhunderts immer stärker werdenden landesherrlichen Gerichtsbarkeit, vor allem im Kammergericht konzentriert, sich lange behaupten. 19

^ Zu Johann von Buch statt aller: Ingeborg Buchholz-Johanek, Art. Johannes von Buch, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., neu bearb. Aufl., Bd. 4, Berlin-New York 1983, Sp. 551-559. 1 5 Carl Georg Homeyer, Der Richtsteig Landrechts, Berlin 1857. 16 CDB1/9, Berlin 1849, S. 12 Nr. 17. 17 Schöffenrecht Ε Nachtrag § 16, ed. Paul Clauswitz, Das Berliner Stadtbuch, Berlin 1883, S. 180. 1 8 Art. 219 CCC, in: Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. Constitutio Criminalis Carolina, hrsg. von Josef Kohler und Willy Scheel, Halle 1900, S. 101 f. Zum Problem: vgl. Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965, § 118. 1 9 A. Stölzel, Die Entwicklung... (wie Anm. 1), S. 278 f., 289.

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Zum Schöffenstuhl nur einige Anmerkungen: Stölzels Darstellung müßte umfassend an die neuen Fragestellungen der Rechtsgeschichte angepaßt werden - eine Aufgabe, die meine heutige übersteigt. Zunächst sind die Schöffen mit den Ratmannen vielleicht identisch, ein Ergebnis der Kolonisationsproblematik bei kleineren Städten überhaupt. 20 Bei den märkischen Städten wiederholt sich die Entwicklung etwas später, die wir in Magdeburg vorgefunden haben. Die Organisation der Schöffenwahl und die Kompetenz dazu waren im Lauf der Zeit und bei den verschiedenen Brandenburger Städten unterschiedlich, meist vom Rat abhängig, es gab aber auch Kooptation. In Brandenburg herrschte letztere mit markgräflicher Bestätigung noch im 15. Jahrhundert. 21 Schon 1384 werden aber die Schöffen von Markgraf Siegmund eingesetzt. 22 Der Schöffenstuhl selbst erscheint jedenfalls, ganz wie in Magdeburg, 23 als eine der vielen Erscheinungsformen mittelalterlichen genossenschaftlichen Lebens, wie dies die - wenn auch übertriebene grandiose These Otto Gierkes gewesen ist. 24 Er ist Treuhänder für Stiftungen und ähnliches, eigene - beschränkte - Rechtsperson. Es entsteht an ihm gelehrte Rechtsliteratur,25 die Unterschiede zur und die Gemeinsamkeiten mit der Magdeburger Praxis abhandelt. Kurfürst Friedrich erläßt für den Schöffenstuhl 1451 eine eingehende Gebührenordnung. 26 1492 werden Schöffen-Statuten erlassen. 27 Das Formular über die Schöffenkur, das sich bei Riedel findet,28 handelt ausführlich die Pflicht zur Annahme des Schöffenamts ab; die erheb-

Vgl. F. J. Kühns, Geschichte... (wie Anm. 13), Bd. 2, Berlin 1867, S. 216. A.a.O., S. 223. 22 CDB1/9, S. 65 Nr. 101. 2 3 Hierzu vor allem: Rudolf Schranil, Stadtverfassung nach Magdeburger Recht. Magdeburg und Halle (= Gierkes Untersuchungen 125), Breslau 1915, S. 101 ff.; Quellen dazu bei F. Ebel, Magdeburger Recht..., Bd. I (wie Anm. 3), Nr. VIII, 1 ff., S. 312 ff. 2 4 Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1—4, ND der Ausgabe 1868-1913, Graz 1954; ders., Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 2. ND der Ausgabe Berlin 1887, Zürich 1983. Vgl. den Traktat bei A. Stölzel, Urkundliches Material... (wie Anm. 10), Bd. 4, S. 43 ff. 26 CDB 1/9, S. 172 Nr. 226. 27 CDB 1/9, S. 243 ff. Nr. 318. 28 CDB 1/9, S. 252 f. Nr. 330. 20 21

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liehen Einnahmen aus den Ämtern, jedenfalls zu dieser Zeit, lassen doch auch eine bestimmte Beurteilung solcher Textzeugen zu. Bemerkenswert ist, daß seit dem 15. Jahrhundert der Kurfürst nicht selten direkt in einzelne Prozesse eingreift.29 Es bereitet sich hier vor, was sein Ende erst in dem Verbot der Machtsprüche des absoluten Staates gegen Ende seiner Wirksamkeit findet. Die berühmten Probleme Friedrichs des Großen müßten hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Behandlung hier ansetzen. Doch hat auch der Alltag seinen Platz! Es erscheint das ganze Leben der Brandenburger Patrizier mit genauen Vorschriften über die Beköstigung anläßlich ihrer Sitzungen in den Akten, wobei der Verpflichtete Salz und Bier, Essig und Speck und Ostern noch Köstlicheres bezahlen muß: Item up osteren schal men dye eyerkessen ock nicht bethalen.30 Der fleißige Kühns klärt uns auf, daß es „ein noch heute übliches, sehr wohlschmeckendes Gericht (sei). Es besteht in Sahne und Eiern, die man über heissem Feuer durch einander rührt und so das Gerinnen der Sahne bewirkt. Man lässt, wenn der Käse fest wird, die Molken durch ein Seihtuch ablaufen. Zuthaten wie feine Corinthen und Orange erhöhen das Arrhoma der Speise." 31 Also ein rechtshistorisches Rührei.

Brandenburger

Recht

Will man Gemeinsamkeiten und Unterschiede von magdebuigischem und brandenburgischem Recht untersuchen, so hat man sich zunächst zu vergegenwärtigen, was unter dem Begriff Stadtrecht32 zu verstehen ist. Dieser Begriff ist mit dem des Privilegs verwandt, doch keineswegs mit demselben zu verwechseln. Am Anfang der Bewid-

Z.B. CDB1/9, S. 248 ff. Nr. 324 (1497) und 326 (1498), S. 254 f. Nr. 333 (1501). CDB 1/9, S. 245 Nr. 318 (1497). 3 1 F. J. Kühns, Geschichte... (wie Anm. 13), Bd. 2, S. 243, Anm. 428. 3 2 Vgl. hierzu: Gerhard Dilcher, Art. Stadtrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (künftig HRG zitiert), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1863-1873; Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Karlsruhe 1962, S. 355 ff.; Heinrich Mitteis/Heinz Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 18. Aufl., München 1988, Kap. 37 I 6-7, S. 293; Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, 8. Aufl., Opladen 1987, S. 253 ff. 29 30

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mung mit Stadtrecht - und um Bewidmungsvorgänge handelt es sich fast durchweg im Bereich der Mark - steht ein Akt der Privilegienerteilung. Privilegierender ist der Stadtherr, Privilegienempfänger die Bürgergemeinde. Sie ist Genossenschaft und wird repräsentiert durch die Gesamtheit ihrer Mitglieder oder durch Organe; in der Regel, so im magdeburgischen Rechtskreis, sind dies die Schöffen, der Rat, der als spätere, doch allgemeine Bildung überall auftaucht (in der Mark wohl stets, so in der Neustadt Brandenburg zu Beginn des Schöffenbuchs 1297, gemeinsam urkundend in den Angelegenheiten der heute sogenannten Freiwilligen Gerichtsbarkeit) 33 und der Burggraf oder Schultheiß. Hier ist die doppelte Ebene der Wirkung von Privilegien 34 zu beachten. Zum einen gibt das Privileg den Privilegierten ein subjektives Recht gegenüber dem Privilegienerteiler auf Respektierung der privilegierten Positionen, auf der anderen Ebene schafft es gegenüber Dritten eine geschützte Rechtsposition. Damit ist zugleich die Besonderheit des Stadtrechts gekennzeichnet. Im Umfang sich wandelnd, doch im Kern stets bei der Bewidmung angelegt, handelt es sich um die Stadt- und Gerichtsverfassung, in die der Stadtherr nur noch beschränkt, in einem bestimmten Stadium der Entwicklung fast gar nicht mehr eingreifen konnte. Auf der anderen Seite handelt es sich um die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander, die ebenso als privilegial garantiert angesehen wurden. Hier ist zugleich der Weg eröffnet, durch Fortbildungen im Wege der Willkürgebung neues innerstädtisches Recht zu schaffen, das für die Bürger durch den Bürgereid, der gewöhnlich jährlich erneuert werden mußte, verbindlich wurde. 35 Da wir sogleich zu erörternde Unterschiede zwischen brandenburgischem und magdeburgischem Recht konstatieren können, fragt sich, in welcher Art und Weise diese Unterschiede zu rechtlicher Geltung erhoben werden konnten. Die Bewidmung mit Magdeburger Recht als solchem brachte keine Abweichungen vom Recht der Mutterstadt zum Tragen, wenn in der 3 3 Vgl. Georg Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen, in: Märkische Forschungen 18 (1884), S. 1-108, hier S. 25. 34 Vgl. H. Krause, Art. Privileg, mittelalterlich, in: HRG, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 1999-2005 mit weiteren Nachweisen. 3 5 Hierzu: Wilhelm Ebel, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958.

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privilegierenden Urkunde des Stadtherrn keine Reservatrechte vorbehalten waren, wie dies vielfach, etwa für Breslau, überliefert ist. Dies konnte im Verlauf der Entwicklung nur durch die eigene Rechtssetzung der Tochterstädte oder Privilegien und andere Rechtssätze des Stadtherrn erfolgen. Es geschah das natürlich in der Mark mannigfach und ist Gegenstand vieler Arbeiten, müßte aber noch systematisch zusammengestellt werden. Abweichungen der Rechtsübungen, etwa aus mitgebrachten Traditionen gespeist, können auch frühzeitig durch Willküren festgelegt werden. Zu denken ist natürlich vor allem an die holländische Herkunft der Siedler, wenn auch vielleicht erst in zweiter oder dritter Generation und dann auch erst in entsprechender Station nach der Ansiedlung der Eltern in Niedersachsen. Hier ist noch viel aufzuarbeiten, wozu die rechtlichen Quellen hilfreich sein könnten. Die Willküren sind dann Horte alten Rechts, ohne sich als solche erkennen zu geben. Für Thüringen hat Gerhard Buchda das Überleben fränkischen Ehegüter- und Erbrechts in dieser Form gegenüber dem im Spätmittelalter eindringenden Sachsenrecht erwiesen. 36 Für die Stadt Brandenburg ist dies aber nicht bekannt, wir haben keine Reservate bei der Bewidmung - schon weil wir keine Bewidmungsurkunde haben - , es ist auch sonst nichts überliefert. Dennoch sind die Unterschiede des märkischen Stadtrechts seit alters bekannt und bemerkt worden. Dies gilt auch für die von Brandenburg unabhängige Stadt Salzwedel. Die Erklärung kann nur die sein, daß sich das mitgebrachte Recht der Siedler - vielleicht, wie gesagt, holländischen Ursprungs - als Gewohnheitsrecht neben dem Widmungsstadtrecht durchgesetzt hat. Freilich müßte die Annahme dieser These zu einer Neudiskussion der Grundlagen des mittelalterlichen Stadtrechts im 13. Jahrhundert, seines Verhältnisses zum Landrecht und der Frage, inwieweit Willküren Recht37 sind, führen. Wo und wie steht hier der Stadtherr?

36 Gerhard Buchda, Die Schöffenspruchsammlung der Stadt Pößneck, T. 3, Weimar 1962, S. 7 ff.; ders., Kinder und Jugendliche im Deutschen Recht, in: Recueils de la SocieteJean Bodin XXXVI. L'enfant II: Europe medievale et moderne, Brüssel 1976, S. 381-il5.

Vgl. hierzu: Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, ND der 2. Aufl. 1958, Göttingen 1988, S. 52 ff.; Friedrich Ebel, Statutum und ius fori im deutschen Spätmittelalter, in: ZRG GA 93 (1976), S. 100-153, hier S. 132 ff. 37

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Ich notiere immerhin einige Abweichungen. Quelle hierfür ist weniger die Brandenburger Spruchpraxis, denn die Akten setzen erst 1455 ein und enthalten damit eine mehrhundertjährige Tradition eigener Stadtrechtsweiterentwicklung, die kaum aufzulösen sein wird. Die Quellen sind verstreut; seit langem benutzt und in der Tat auch ergiebig ist das Berliner Stadtbuch, das doch wohl einigermaßen genau die Brandenburger Besonderheiten gegenüber dem Magdeburger Recht wiedergibt, insbesondere das Fehlen oder die Einschränkungen der sächsischen Sondererbfolgekomplexe Heergewäte und Gerade und die brandenburgische Halbteilung im Ehegüterrecht. Die bereits von Sello bekannt gemachten Quellen der Neustadt Brandenburg 38 bieten schon Genaueres. Es ist zu unterstellen, daß das Brandenburger innerstädtische Recht auch im Oberhofverkehr weitergegeben worden ist - auch wenn selbst dies nicht selbstverständlich ist: Magdeburg sprach nicht so, 3 9 Lübeck doch. 4 0 Schon Ludwig E. Heydemann hat die Abweichungen des Brandenburger Rechts im Berliner Stadtrecht zusammenzustellen versucht; 41 die Berliner juristische Preisschrift von Joseph Seeboth lotete das Problem 1928 nochmals aus. 42 Die Einbettung in die allgemeine Rechtsentwicklung der Zeit hat jüngst der Augsburger Rechtshistoriker Hans Schlosser skizziert. 43 Nicht nur das Ehe- und Erbrecht, auch schuldrechtliche Besonderheiten finden sich hier, und ebenso wie für den Magdeburger Oberhof wird man trotz Fehlens wirklich genauer Untersuchungen sagen können, daß zeitgemäße deutschrechtliche Entwicklungen dem Brandenburger Schöffenstuhl gelungen sind ich nenne nur die gesamthänderische Schuldner- wie Gläubigerschaft, die Ausgestaltung des Treuhandwesens und anderes, das dem

G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 33), S. 1-108. Vgl. F. Ebel, Die Spruchtätigkeit... (wie Anm. 3), S. 30 ff., 32 f., 52 ff. 4 0 Vgl. Wilhelm Ebel, Lübisches Recht, Bd. 1, Lübeck 1971, S. 24 ff., 103 ff. 4 1 Ludwig E. Heydemann, Die Elemente der Joachimischen Constitution vom Jahre 1527, Berlin 1841, ND Graz 1972, S. 172 ff. 4 2 Joseph Seeboth, Das Privatrecht des Berliner Stadtbuches vom Ende des 14. Jahrhunderts (= Einzelschriften der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin 2), Berlin 1928. Hans Schlosser, StadtrechtsentuHcklung in Berlin seit den Anfängen, in: Rechtsentwicklungen in Berlin, hrsg. von Friedrich Ebel u. Albrecht Randelzhofer, Berlin 1988, S. 47-70, hier S. 59 ff. 38 39

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Bedarf an Rechtsentwicklungen der mittelgroß orientierten und ackerbäuerlichen Stadtwirtschaft durchaus entsprach.

Der Magdeburger Oberhof in Brandenburg Bislang noch nicht Gegenstand eigener Untersuchungen war die Tätigkeit des Magdeburger Schöffenstuhls, bezogen auf das Territorium Brandenburg. Doch liegt bereits in der Fragestellung die Pointe. Im Spätmittelalter - um das 15. Jahrhundert vor allem geht es mir war dieses Territorium wohl auch unter den heutigen Augen des Rechtshistorikers nicht so geschlossen, wie es die Bemühungen um das Oberhofmonopol seit 1315 mit dem nochmaligen Ansatz Anfang des 16. Jahrhunderts erscheinen lassen. Immer wieder tauchen sie nämlich in den Akten auf, diese Magdeburger. So dicht, wie es manche wollen, war der Territorialstaat auch nicht in der Frühen Neuzeit. Ansatzpunkte sind natürlich diejenigen nicht völlig oder gar nicht mediaten Gewalten, die der Landesherrschaft lange getrotzt haben. Hier gilt gleiches, wie es für die Thüringer Orlalandschaft Gerhard Buchda angedeutet hat.44 Vor allem die Klöster sind es, die den Magdeburgern Raum für Einfluß schaffen. Häufig gibt es Konkurrenz zwischen Magdeburg und Brandenburg, vor allem, wenn es um Schiedssachen geht. Hier versuchen Beteiligte, sich möglichst rundumschlagend juristische Bündnisgenossen und Autoritäten zu besorgen. Um die Weidegerechtigkeit im Bereich von Ketzin gibt es umfangreiche Akten mit Sprüchen der Schöffen von Magdeburg und Brandenburg um 145545 aus dem Jurisdiktionsbereich des Klosters Lehnin; es geht um die Rechtsfragen betrügerischer Bediensteter der Herren von Bismarck, 46 die Zulässigkeit der Folter (eine Anfrage des Fiskals)47 noch 1531: So wenig wie faktisch heute konnte damals rechtlich der Staat das Gewaltmonopol erlangen. Es geht manchmal aber auch direkt vor die Haustür: Um 1428 sind mehrfach handschriftlich überliefert Magdeburger Schöffensprüche, 44 G. Buchda, Die Schöffenspruchsammlung... (wie Anm. 36); vgl. auch Willy Flach, Die Schöffenspruchsammlung der Stadt Pößneck, T. 2, Weimar 1958. 45 Urkunden im CDB1/10, Berlin 1856, S. 210 ff.; dazu A. Stölzel, Die Entwicklung... (wie Anm. 1), S. 276 ff. ^ Ebda. 47 A. Stölzel, Urkundliches Material... (wie Anm. 10), Bd. 1, Nr. 78, S. 78 (1531).

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die so spezifisch städtische Belange betreffen wie die Pflicht zur Verschoßung von Grundeigen in der Neustadt Brandenburg. 48 Interessant hierbei, daß die Magdeburger auf die Besonderheiten wegen der Gerade in Brandenburg keinerlei Rücksicht nehmen und auch sonst - im Sinne ihres Auftraggebers - rigide gegen die Ansicht des Brandenburger Rates entscheiden. Ob es genützt hat, weiß ich nicht.

Die Rezeption des römischen Rechts in Brandenburg Die Magdeburger Schöffen beenden ihre Tätigkeit, jedenfalls für Interessenten außerhalb der Stadt, mit der Tätigkeit Tillys 1631. Das Ende des Brandenburger Schöffenstuhls - viel später - hat A. Stölzel geschildert - dort sind die äußeren Daten verzeichnet. Der eigentlichen Aufarbeitung bedarf es noch. Eine Auflistung der wellenweise erfolgenden Einäscherung zu geben, enthebe ich mich; es ist eine Frage der Neueren Geschichte; sie hat ihr Eckdatum sicher im bekannten Edikt Friedrichs des Großen von 1746 mit dem Verbot der Aktenversendung an ausländische wie auch inländische Kollegien. Ein gewisser Ausklang vermochte dies nicht abzumildern. Die eigentliche Zäsur, auch die zwischen Mittelalter und Neuzeit, war der Erlaß der Joachimica 1 5 2 7 . D i e gehaltvolle Kommentierung Wolfgang Kunkels50 macht den Stellenwert dieses nicht kodifikatorischen Werks zwischen gemeinem Recht und Rechtstradition auf märkischem Sand dem Rechtshistoriker vorbildlich für andere Rechtsreformationen deutlich. Die Eigenheiten des märkischen, also brandenburgischen Rechts, seine Abweichungen gegenüber dem gemeinen Sachsenrecht wie gegenüber dem ius commune werden festgelegt, dazu erfolgen entsprechende Procedere-Vorschriften. Der Schöffenstuhl zu Brandenburg - längst mit Juristen vom (gelehrten) Fach besetzt - kann das Seinige beitragen, das vielfach ergänzte Territorium zusammenzuschmieden. Doch muß er im Absolutismus, der aus der Mehrzahl von Territorien einen Staat macht, kapitulieren.

48

Abschrift Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin: Ms. germ. fol. 284, Bl. 238 f. A. Stölzel, Die Entwicklung... (wie Anm. 1), S. 287 ff. 50 In: Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, hrsg. von Wolfgang Kunkel, Hans Thieme u. Franz Beyerle, Bd. I, 2, Weimar 1938, S. 334 ff.

Brandenburg und das Magdeburger Recht

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Für das Mittelalter sind eben nicht Gleichheit, Konsequenz, Logik die Konstituentien. Außerdem sind auch hier hundert Jahre eine lange Zeit. Unsere Aufgabe dürfte es sein, aus den vielen Facetten ein Auge werden zu lassen, auch wenn es nur für kurze Zeit einen eben bloß heute gültigen Blick erlaubt.

Handwerk und Gewerbe im spätmittelalterlichen Brandenburg KNUT SCHULZ Berlin

Nach Notizen von Hartmann Schedel aus den Jahren 1464/65 befand sich in der Bibliothek des Prämonstratenserstifts von Brandenburg - entweder in der des Dombezirks oder der des Marienstifts auf dem Harlunger Berg - ein Wandgemälde,1 das die verschiedenen artes zeigte.2 Dabei kamen sowohl die „Freien Künste" partes liberales), also Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) als auch die artes mechanicae zur Darstellung. Letztere umfaßten in Korrespondenz zu den artes liberales ebenfalls sieben Bereiche, waren diesen aber als sogenannte artes minores nachgeordnet, auch wenn durch Hugo von St. Viktor (um 1130) und die Wiederauffindung der Problemata Alwin Schultz, Die Wandgemälde im früheren Prämonstratenserkloster der Burg Brandenburg, in: Jahrbuch der königlich preussischen Kunstsammlungen, Jg. 1880, I, 1, S. 35 ff.; wieder abgedruckt durch Rudolf Grupp, in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg (künftig JHVB zitiert), 7/12 (1881), S. 79-84. Eine weitere Wiedergabe des Berichts von Hartmann Schedel bei: Julius von Schlosser, in: Jahresbericht der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 17 (Wien 1896), S. 96-100. Alle diese Editionen sind sehr fehlerhaft und lassen die Fragen der zeitlichen und räumlichen Zuordnung offen oder vermitteln dazu falsche Angaben. Eine kritische Veröffentlichung und Kommentierung ist erst durch К. A. Wirth (vgl. Anm. 2) vorgenommen worden. Vgl. auch den Beitrag von Dietrich Kurze im vorliegenden Band. 1

2 Karl-August Wirth, Eine bekannte Quellenschriftneu gelesen, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 3. Folge, 25 (1974), S. 47-76; ders., Neue Schriftquellen zur deutschen Kunst des 15-Jahrhunderts. Einträge in einer Sammelhandschrift des Sigmund Gossembrot {Cod. Lat. Mon. 3941), in: Stadel Jahrbuch 6 (1977), S. 319408, hier bes. S. 384 ff.

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mechanica des Aristoteles um 1400 eine Steigerung der Wertschätzung erfolgte. Zu ihnen zählten: 1. Lanificium (die Verarbeitung flexibler organischer Stoffe), 2. Armatura (die Bearbeitung und Gestaltung der festen Rohstoffe der Natur wie Stein, Holz, Metall, Sand und Tonerde), 3. Navigatio (Handel zu Wasser und zu Land), 4. Agricultura (Ackerbau, Viehzucht und Gartenbau), 5. Venatio (Jagd und Lebensmittelgewerbe), 6. Medicina (Heilkunde im weiten, auch praktischen Sinne) sowie 7. Theatrica (Ritterspiele und Sport). Das vielgestaltige, mit Textkommentaren versehene Bildprogramm in der Brandenburger Stiftsbibliothek erfaßte nach Schedel für die mechanischen Künste an erster Stelle das Tuchgewerbe, nämlich die zur Vorbereitung des Scherens aufgespannten Tücher, an denen ein Mann und eine Frau mit Karden bzw. Disteln arbeiteten, sodann den Tuchausschnitt und -verkauf, danach die Herstellung von Seilen, Frauen beim Spinnen und Weben und schließlich einen Mann mit Joppe beim Wollschlagen. Es folgten der Schneider bei der Arbeit an einer Tunika (Untergewand), unterstützt von seiner Frau, die Garnmacherin an der Haspel und der Schuhmacher bei dem Zuschneiden des Leders und dem Anpassen des Schuhs. Für die Armatura, die zweite mechanische Kunst, wurden aus dem Baugewerbe die Tätigkeiten des Steinmetzen, des Maurers, der Steinträger sowie der Zimmerleute zur Darstellung gebracht. Den Abschluß bildeten die Spezialgewerbe des Schmiedehandwerks, die Schwertfeger und andere Waffenschmiede. Was fehlte, das waren die eigentlich bei der Venatio zu suchenden Nahrungsmittelgewerbe, an erster Stelle die Bäcker und Fleischer, die besonders in den Städten der Mark Brandenburg schon aufgrund ihrer Mitgliederstärke deutlich im Vordergrund standen und spürbaren öffentlichen und gesellschaftlichen Einfluß nahmen und zeitweilig auch ein politisches Mitspracherecht erlangten. 3 Wenn wir uns diese auf der Darstellung noch hinzudenken, dann hätte man damit schon ein recht repräsentatives Bild von dem Brandenburger Handwerk an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in diesem Bibliotheksraum vor Augen gehabt. 4 Wieviel Brandenburg-Spezifi3 Zur überblicksartigen Orientierung mit wichtigen Literaturhinweisen vergleiche man Herbert Heibig, Gesellschaft und Wirtschaft in der Mark Brandenburg im Mittelalter (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 41), Berlin-New York 1973, S. 22 ff. und bes. S. 110 ff. 4 Am Ende seines sorgfältigen Beitrags von 1974 gelangt K.-A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie Anm. 2), S. 73, beinahe nebenbei zu der kritischen

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und

Gewerbe

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sches allerdings dabei zur Abbildung gelangt sein mag, bleibe dahingestellt, sehr ausgeprägt wird es vermutlich nicht gewesen sein, ist doch die Darstellung der verschiedenen Künste Сartes) ein in damaliger Zeit nicht ganz seltenes Bildmotiv gewesen, 5 das in eine Festund Marktszene mündete, zu der - wie in unserem Fall - Tanz, Spiel und eine festlich-fröhliche Stimmung gehörten. 6 Eine andere, ebenso bildhafte und zugleich informative Vorstellung von den Brandenburger Gilden oder Innungen vermittelt eine vermutlich dem Anfang des 15. Jahrhunderts entstammende Notiz des Altstädter Stadtbuches über die Rang- und Reihenfolge, die die Gewerbegruppen mit ihren Kerzen bei der Fronleichnamsprozession durch die Stadt einzuhalten hatten:7 nämlich vornweg die vornehmen und reichen Gewandschneider, direkt dahinter bereits die Bäkker und die Knochenhauer genannten Fleischer, danach die Schuhmacher und die Wollenweber, dazwischen gruppiert die Elendenbruderschaft, sodann die Schneider und Kürschner und schließlich die Altschuhmacher und die Leineweber. Damit ist das Spektrum der in Brandenburg zu der damaligen Zeit anzutreffenden Gewerbe natürlich bei weitem noch nicht erschöpft. Aber wir gewinnen mit dieser Auflistung doch einen Überblick über die Gewerbe, die vom Alter, der Mitgliederstärke und vor allem der Organisationsform her schon seit längerem ein größeres Gewicht und eine eigene Gestalt erlangt hatten. Ihre Entstehungszeit reicht zumindest bis in das 13. Jahrhundert zurück, was sich allerdings nur aus der Rechtsweisung des Rats von Berlin an den von Frankfurt а. O. vermutlich aus dem Jahr 1253

Frage, ob das mit einem Textkommentar versehene Bildprogramm, wie es bei Schedel beschrieben wird, überhaupt zur Ausführung gelangt sei: „War die ,Beschreibung' am Ende gar nur ein Programmkonzept?" 5 J. Seibert, Art. Künste, Mechanische - Künste, Sieben Freie, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 2, Rom 1990, Sp. 701-713 mit weiterführender Literatur. 6 Vgl. K.-A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie Anm. 2), S. 60: Pictura Teatrica: Hic saltent cum falanga. Untisponit metam. Hicproiciunt lapidem. Hic falangam in longum liciunt. Hic fistulatores et buccinatores in loco alto stant ftstulantes... 7 Carl Faulhaber, Über Handel und Gewerbe der beiden Städte Brandenburg im 14. und 15. Jh., in: JHVB 32/33 (1901), S. 62, Nr. 6: Sequitur de ordinacione luminum in die corporis Christi qualiter guide et opera debent portare lumina secundum ordinem ante corpus Christi in circuitu civitatis ut sequitur.

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ermitteln läßt.8 Darin wird zwar ausdrücklich den Bäckern, Schuhmachern, Fleischern und allen anderen Gewerben untersagt, ohne Genehmigung des Rats Innungen (Innincghe) zu bilden, aber gleichzeitig die Höhe der Zunftaufnahmegebühr sowie Wahl und Zuständigkeit der Zunftmeister geregelt. Ebenfalls aus dem Berliner Quellenmaterial ist für 1288 die Existenz einer sehr viel älteren Brandenburger Schneidergilde zu erschließen.9 Insgesamt ist jedoch an der zutreffenden Einschätzung des großen Kenners der Geschichte Brandenburgs, Otto Tschirch, festzuhalten, wenn er fast resignierend bemerkt: „Die Überlieferung über die Entwicklung der Brandenburger Gewerke ist so außerordentlich dürftig, daß es unmöglich ist, eine zusammenhängende Darstellung ihres Aufkommens zu geben." 10 Schaut man neben der urkundlichen Überlieferung noch in die eine oder andere Quellengruppe hinein, wie sie etwa die 1884 von Georg Sello in den Märkischen Forschungen veröffentlichten Notizen aus dem Schöffenbuch und dem Stadtbuch der Neustadt Brandenburg widerspiegeln,11 so erfahren wir zwar noch manch eine interessante Einzelheit aus dem gewerblichen Bereich, aber dies ändert an der grundsätzlichen Feststellung von Tschirch nur kaum etwas. Immerhin ist etwa dem Schöffenbuch der Neustadt zu entnehmen,

8 Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik, hrsg. von Ferdinand Voigt, Berlin 1869, Nr. 10, S. 8/9; Eberhard Faden, Berlin im Mittelalter, in: Max Arendt/Eberhard Faden/Otto-Friedrich Gandert, Geschichte der Stadt Berlin. Festschrift zur 700-Jahrfeier der Reichshauptstadt, Berlin 1937, S. 71 ff.; H. Heibig, Gesellschaft... (wie Anm. 3), S. 22 ff. 9 Urkundenbuch... (wie Anm. 8), Nr. 25, S. 17/18: Der Rat erteilt den Berliner Schneidern libertatem astandi eo jure et perfruendi, quo sartores civitatis Brandenborg a primeva eiusdem civitatis constructioneperfruerunt. 1 0 Otto Tschirch, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel, 2 Teilbde., 2. Aufl., Brandenburg 1936, I, S. 156. Weiter stellt Tschirch fest: „Wenn wir von den Gewandschneidern absehen, die wir ja nicht zu den Handwerkern rechnen dürfen, die vielmehr Tuchhändler und überhaupt Kaufleute im großen und kleinen sind, so erfahren wir Näheres über die Brandenburger Gewerke erst am Ende des 14. Jahrhunderts, wo sie natürlich längst in voller Blüte standen." 11 Georg Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen, I. Schöffenbuch der Neustadt Brandenburg, II. Stadtbuch der Neustadt Brandenburg, III. Weistum der Stadt Brandenburg für Frankfurt a.O., IV. Gerichtsordnung für Frankfurt a.O., in: Märkische Forschungen 18 (1884), S. 1-108.

Handwerk

und

Gewerbe

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daß bereits 1297 eine Anzahl weiterer Handwerke bestand.12 Etwas dichter und aussagekräftiger werden Hinweise, die das handwerklich-gewerbliche Leben in Brandenburg beleuchten, erst im 15. Jahrhundert. So findet sich in dem besagten Stadtbuch unter anderem zu 1466, 1472 und 1477 eine kleine Gruppe von Einträgen über Darlehen, die drei Schmiedemeister aufnahmen und dafür ihre Werkstatt mit dem Arbeitsgerät als Sicherheit verpfänden mußten, und zwar an erster Stelle Hans Schulte, der Messerschmied, an die Grobschmiede der Neustadt für einen Kredit von 3 Schock Groschen gegen einen Jahreszins von einer Mandel (= 15 Groschen), das heißt gegen den mäßigen Zinssatz von gut 8 Prozent.13 Ein gleichartiges Darlehensgeschäft Schloß sein Berufskollege mit der Hl.-Blut-Bruderschaft (Gilde) ab, während Hentze Brumme sich einen Kredit von 6 Schock Groschen bei dem Stadtrat gegen Verpfändung seiner Arbeitsgeräte verschaffte, nämlich des großen Ambosses, des großen Sperrhakens, des großen Nageleisens, der beiden Blasebälge, der Hämmer, Zangen und der übrigen Ausstattung.14 Das sind noch recht einfache und überschaubare Kreditgeschäfte zum beiderseitigen Vorteil! Ebenso läßt sich der Quelle mancherlei über das Badewesen entnehmen, etwa daß die Baderwitwe Awa aus der vermieteten Badestube am oberen Kuhmarkt 1336 den beachtlichen Jahreszins von zwei Talenten, das heißt 40 Schillingen, bezog. 15 Gar der doppelte Zinsertrag flöß 1342 aus dem Badehaus apud mericam,16 das später (1428) unter der Bezeichnung heydestoven anläßlich der Vergabe eines Ratskredites genannt wird. Daneben findet noch die Badestube vor dem Mühlentor Erwähnung (1316), die auch eine schöne Rendite abwarf.17 Man war eben reinlich und ging oft und gern ins Bad! Mancherlei ließe sich auch über das wichtige, häufig im Nebengewerbe betriebene Brauwesen18 und über die verschiedenen Mühlen

12 A.a.O., I, Nr. 1, S. 25 f.; neben Schustern und Schneidern sind dies noch Ölschläger, Bader und Faßbinder. 13 A.a.O., II, Nr. 128, S. 93. 14 A.a.O., II, Nr. 129 und 130, S. 93. 15 A.a.O., I, Nr. 160, S. 46: Ava relicta Petri balneatoris habet annuatim super stupam super „komarkd" duo talenta in vero censu, etfilii eius Johannes et Mathias. 16 A.a.O., I, Nr. 175, S. 48. 17 A.a.O., I, Nr. 87, S. 36, und a.a.O., II, Nr. 91 A, S. 84. 1 8 Für die Neustadt Brandenburg vgl. Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I, Bd. 9, Berlin 1849 (künftig CDB1/9 zitiert),

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und Betriebe in städtischer Regie ermitteln, 19 aber insgesamt handelt es sich dabei um mehr oder weniger zufällige Einzelerwähnungen, die nur den Rückschluß zulassen, daß verschiedene Einrichtungen und auch gewerbliche Spezialisierungen bestanden haben, von denen wir ansonsten nichts oder nur wenig wissen. Sehr viel detaillierter, wenn auch erst ganz am Ende unserer Betrachtungszeit, werden wir über die Böttcher informiert, nämlich im Jahr 1511 anläßlich der Genehmigung ihrer von den Gesellen getragenen Bruderschaft. 20 Errichtet wurde sie mit Zustimmung und Unterstützung der Böttchermeister, die hier mit den Gesellen eine bemerkenswert enge Gemeinschaft unterhielten. Dies bezieht sich jedoch mehr auf die gotlige Bruderscap als auf die erlige Kumpanie.21 Zur Zahlung der Beiträge für die Kerze des in der Katharinenkirche unterhaltenen Marienaltars trugen die Meister ebenso wie die Gesellen bei. Beide Gruppen waren zur Teilnahme an Beerdigungsfeierlichkeiten wie auch an der alljährlichen Seelenmesse zum Gedächtnis verstorbener Mitglieder verpflichtet. Wenn die Kumpane jedoch beim Biere sich versammelten oder in giselscap waren, dann ist von den Meistern keine Rede. Hier zeigt sich insofern deutlich der

S. 33 Nr. 38 (Verleihung des Braumonopols für die Bürger in einem Umkreis von drei Meilen um die Stadt durch Markgraf Ludwig vom 9. Juni 1325); a.a.O., S. 212 f. Nr. 278. (Errichtung der Brauergilde in der Altstadt Brandenburg am 3. Dezember 1473). Einen Überblick auch über unveröffentlichte Quellen zum Brandenburger Brauwesen bietet Friedrich-Wilhelm Jeroch, Innungsverfassungen der Stadt Brandenburg (Havel) vom 13- bis 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur tausendjährigen Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg (Havel), in: JHVB 58/60 (1929), S. 3 f. Zur Sache vgl. auch H. Heibig, Gesellschaft... (wie Anm. 3), S. 114 f. 19 Vgl. CDB1/9, S. 25 Nr. 34, S. 106 Nr. 151, S. 155 Nr. 200, S. 164 Nr. 204, S. 167 f. Nr. 217 f., S. 197 Nr. 257, S. 203 Nr. 267 (alles für die Neustadt); a.a.O., S. 8 f. Nr. 12, S. 21 Nr. 29, S. 26 f. Nr. 36, S. 29 Nr. 40, S. 47 Nr. 74, S. 118 f. Nr. 156 (alles für die Altstadt). Vgl. dazu O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 10), I, S. 25-27 u. S. 140-142, und Werner Peschke, Das Mühlenwesen der Mark Brandenburg. Von den Anfängen der Mark bis um 1600 (= Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Technikgeschichte des Vereins Deutscher Ingenieure), Berlin 1937. 2 0 Vgl. CDB 1/24, Berlin 1863, S. 478 f. Nr. 190. 21 A.a.O., S. 478: Bürgermeister und Ratsmannen der Neustadt Brandenburg bekennen vnd botugen ... dath wie vmme meringe willen gades dinstes met guden willen und gantzer fulborth der bodekeren vnd den bodekerknechten togestaden hebben, to stichtende eyne erlige Kumpanie vnd gotlige Bruderscap.

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Doppelcharakter, als an der B r u d e r s c h a f t in gleicher Weise Meister und Gesellen beteiligt waren, während die kumpanie und giselscap nur den G e s e l l e n diente. Ал der zwischen Meistern und Gesellen vermittelnden Rolle, die die Meisterknappen einnahmen, indem sie die Gesellen etwa zur pünktlichen Heimkehr und sorgfältigen Arbeit beim Meister anzuhalten hatten, kann man den Charakter dieser Gemeinschaft ermessen. Sie ist als kontrollierte Freiheit oder als kontrollierter Freiraum auf der Grundlage eines durchaus noch vorhandenen Gemeinschaftsbewußtseins zu bestimmen. Dieses Verhältnis ist wohl Ausdruck der bestehenden Verfassungsund Gesellschaftsstruktur, die dem Handwerk und Gewerbe, sofern es überhaupt in Zünften organisiert war, kaum ein Mitwirkungsrecht im Stadtrat konzedierte. Am Anfang und am Ende des 15. Jahrhunderts hat es interessante Ansätze zu einer Revision dieser verfestigten Verfassungsverhältnisse gegeben, 22 wobei allerdings nur die vier Gewerke Bäcker, Fleischer, Schuster und Tuchmacher (später Schneider) vorübergehend Erfolg hatten und ein den Rat ergänzendes Mitspracherecht in wichtigen Fragen erlangten.23 Diese Rahmenbedingungen, die hier allerdings nicht weiter erörtert werden können, muß man im Auge behalten, wenn im folgenden der Versuch unternommen werden soll, am Beispiel von ausgewählten Quellenstücken, das Verhältnis von Meister und Gesellen in weiteren Bezügen zu erfassen. Wenn in der 1985 erschienenen, stark rechtsgeschichtlich argumentierenden Dissertation von Dietmar Peitsch über Zunftgesetzgebung und Zunftverwaltung Brandenburg-Preußens die Rede davon ist, daß das Territorialsystem die Grundlage dafür geboten habe, daß „die Stadtverwaltungen einseitig Gesetze zur Regulierung des Gewerbewesens erlassen" konnten,24 ist diese Feststellung zwar über-

22 Vgl. dazu die sehr knappen Bemerkungen bei F.-W. Jeroch, Innungsverfassungen... (wie Anm. 18), S. 24 f. 2 3 Die wichtigsten Belege CDS 1/9, S. 129 f. Nr. 164 (Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Bürgermeister und Rat sowie Gewerken und gemeiner Bürgerschaft durch Markgraf Johann am 15. August 1427), sowie a.a.O., Nr. 314 S. 241 f. (Einschränkung der gemeindlichen Mitspracherechte durch Kurfürst Johann und den Rat der Neustadt im Jahre 1490). 24 Dietmar Peitsch, Zunftgesetzgebung und Zunftverwaltung Brandenburg-Preu-

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akzentuiert, aber nicht falsch. Zumindest vermitteln die Brandenburger Quellen zu Handwerk und Gewerbe nicht gerade den Eindruck eines besonders aktiven und engagierten Zunftwesens, sondern stärker den einer obrigkeitlichen Bevormundung. Zu diesem Bild trägt sicher auch die Tatsache bei, daß von einer besonderen Spezialisierung mit der Ausbildung eines auffälligen Exportgewerbes in Brandenburg und den benachbarten Städten kaum etwas zu verzeichnen ist. ι Wenn man schon meint, man müßte sich mit den schlichten Verhältnissen und kargen Aussagen der Stadt Brandenburg zufriedengeben, dann läßt ein Schweifen der Blicke in die Ferne doch noch das eine oder andere Brandenburger Licht aufleuchten. Und wenn es gar noch aus Florenz oder Rom herüberstrahlt, dann mag es den Anschein von Glanz gewinnen. Im Schatten des Petersdoms, bewacht durch die Schweizer Gardisten, liegt - ein wenig verborgen, aber doch immer wieder aufgesucht - der Campo Santo Teutonico. Mit diesem deutschen Friedhof verbindet sich eine ehrwürdige Tradition, die bis auf Karl den Großen zurückreicht und bis in die Gegenwart hinein lebendig geblieben ist. Zu Friedhof, Herberge, Bruderschaft und Kirche sind heute noch das Priesterkolleg der Görres-Gesellschaft und nicht zuletzt das Archiv gekommen, das die prächtigen Handschriften der hier interessierenden deutschen Handwerkerbruderschaften birgt.25 Den entscheidenden Impuls für die im Spätmittelalter erfolgte Wiederbelebung der lange Zeit verwahrlosten Niederlassung vermittelte Friedrich Fried aus Magdeburg, wie es die große Grab- und Erinnerungsplatte am Eingang des Campo Santo berichtet. 26

ßens in der frühen Neuzeit (= Europäische Hochschulschriften, R. II, Bd. 442), Frankfurt a.M.-Bern-New York 1985, S. 13. 2 5 Anton de Waal, Der Campo Santo der Deutschen in Rom. Geschichte der nationalen Stiftung, zum elfhundertjährigen Jubiläum ihrer Gründung durch Karl d. Gr., Freiburg i.Br. 1896; Albrecht Weiland, Der Campo Santo Teutonico in Rom und seine Grabdenkmäler (= Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und KirChengeschichte [künftig RQ zitiert], Suppl. 43: Der Campo Santo Teutonico in Rom, hrsg. von Erwin Gatz, Bd. 1), Rom-Freiburg i.Br.-Wien 1988; A. Schmidt, Das Archiv des Campo Santo Teutonico nebst geschichtlicher Einleitung (= RQ, Suppl. 31), RomFreiburg i.Br.-Wien 1967. Karl August Fink, Die Anfänge der Bruderschaft am Deutschen Campo Santo in Rom, in: RQ44 (1936), S. 221-230.

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Es waren die entscheidenden Jahre und Jahrzehnte vor der Mitte des 15. Jahrhunderts, die 1450 mit dem Heiligen Jahr ihren Höhepunkt fanden, in denen das verfallene Rom einen ungeahnten Aufschwung erlebte. 27 Dazu trugen auch die zahlreichen und großen Gruppen von Fremden bei, die nun die Heilige Stadt aufsuchten. 28 In diesem Strom von Pilgern befanden sich auch - unabhängig voneinander, so weit man sehen kann - Herman Rodecke von Brandenburg und Jakob von Brandenburg, beide ihres Zeichens Schuhmacher. 29 Ihr religiöses Anliegen können und wollen wir ihnen nicht absprechen, aber dies war sicherlich nicht der einzige Grund, der sie veranlaßte, sich auf den weiten und gefährlichen Weg nach Rom zu machen. Denn ihre Namen finden sich nicht in irgendeinem Verzeichnis von Rompilgern, sondern in der Mitgliederliste der deutschen Schuhmacherbruderschaft zu Rom. 30 Dabei kann es sich auch nicht um eine kurzfristige Zugehörigkeit gehandelt haben, die - wie in manchen Fällen - nur darauf abzielte, das nötige Geld für die Rückwanderung zu verdienen. Jakob von Brandenburg befand sich nämlich zum Zeitpunkt seiner Registrierung gar nicht in Rom, sondern in Florenz, und zwar mit weiteren 44 deutschen Schuhmachern, die der Kurie dorthin gefolgt waren. Dabei handelt es sich um eine interessante kleine Geschichte, die allerdings nicht ganz unkompliziert ist. Seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert hatten sich aus verschiedenen Zusammenhängen

27

Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Vom 5. bis zum 16. Jahrhundert, 8 Bde., 3., verb. Aufl., Stuttgart 1880, Bd. 7, S. 109 f.; Ludwig Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bde., 3. u. 4., verm. Aufl., Freiburg i.Br. 1901, Bd. 1, S. 414-418 u. S. 427-443. 28 Egmont Lee, Foreigners in Renaissance Rome, in: Renaissance and Reformation 19 (1983), S. 135-146; ders., Changing Views of Foreigners in Rome at the End of the Middle Ages, in: Cultura e Societä nell'Italia Medievale. Studi per Paolo Brezzi (= Istituto Storico Italiano per il Medioevo - Studi Storici, Fasc. 184-187), 2 Bde., Rom 1988, Bd. 2, S. 457-477. 29 Vgl. Archiv des Campo Santo, Lib. 96, S. 7. 30 Alfred Dören, Deutsche Handwerker und Handwerkerbruderschaften im mittelalterlichen Italien, Berlin 1903; Friedrich Noack, Deutsche Gewerbe in Rom, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (künftig VSWG zitiert) 19 (1926), S. 237-268; Clifford W. Maas, The German Community in Renaissance Rome 13781523, hrsg. von Peter Herde (= RQ, Suppl. 39), Freiburg i.Br. 1981; Knut Schulz, Deutsche Handwerkergruppen im Rom der Renaissance. Mitgliederstärke, Organisationsstruktur, Voraussetzungen. Eine Bestandsaufnahme, in: RQ 86 (1991), S. 3-22.

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heraus mehr und mehr deutsche Schuhmacher in Rom niedergelassen.31 Dort hatten sie erst einzeln und dann als Gruppe Privilegien erlangt, bis sie schließlich 1432 durch päpstliche Verleihung den Status von cortesani, das heißt der Kurie folgenden Hofhandwerkern, erlangten.32 Zwei Jahre später trat tatsächlich der Fall ein, daß Papst Eugen IV. Rom fluchtartig verlassen mußte und bis 1443 gezwungen war, seinen Hofstaat in Florenz zu etablieren.33 Dorthin folgte ihm ein Teil der deutschen Schuhmacher Roms, und dieser Kreis erweiterte sich bis 1439 auf 45 Gewerbegenossen. Im August dieses Jahres erlangten sie vom Papst die Bestätigung ihres rechtlichen Sonderstatus und die Bewilligung ihrer Bruderschaftsordnung.34 An dritter Stelle und damit als einer der Hauptverantwortlichen findet unser Jakob von Brandenburg in diesem Dokument Erwähnung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehörte er nicht zu denjenigen, die später dazugekommen waren, sondern zu den Sprechern der Bruderschaft, die mit dem Papst und der Kurie von Rom nach Florenz gezogen waren. Wie viele andere deutsche Handwerker hatte er sich in Rom bzw. in Florenz beruflich niedergelassen. Fragt man nun, was ihn veranlaßt haben könnte, eine solche Entscheidung zu treffen, dann ließe sich mit der Literatur über die Stadt Brandenburg argumentieren, daß der Trend zur Abschließung der Zünfte den Anlaß zur handwerklichen Neuorientierung gegeben habe.35 Hatten die Schuhmacher Herman Karl Heinrich Schäfer, Das römische Deutschtum im 14. Jahrhundert, in: Kirchengeschichtliche Festgabe Anton de Waal zum goldenen Priesterjubiläum (11. Oktober 1912) dargebracht, hrsg. von Franz Xaver Seppelt (= RQ, Suppl. 20), Freiburg i. Br. 1913, S. 234-250. 32 Repertorium Germanicum. Regesten aus päpstlichen Archiven zur Geschichte des Deutschen Reiches und seiner Territorien im XIV. и. XV. Jahrhundert. Pontificat Eugens IV. (1431-1447), Bd. 1, bearb. von Robert Arnold, Berlin 1897, Nr. 2727, S. 437. Original im Archivio Segreto Vaticano, Diversa Cameralia 16, fol. 183 rs. 3 3 Vgl. L. Pastor, Geschichte... (wie Anm. 27), S. 289-300 u. S. 320-322. 3 4 Archiv des Campo Santo, Lib. 96. 3 5 Bei F.-W. Jeroch, Innungsverfassungen... (wie Anm. 18), S. 31, findet sich folgende Formulierung: „Wie wir eingangs schon erwähnt haben, rissen mit der Zeit große Mißstände in dem Zunftwesen ein, und diese fanden ihren Ursprung zu allererst in der wachsenden Erschwerung des Meisterwerdens." Vgl. O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 10), I, S. 161: „Je mehr der Wohlstand zunahm und das Ansehen des Standes sich steigerte, machte sich eine Überfüllung in den Handwerkergruppen bemerkbar, die dazu führte, daß die Innungen Sperrvorschriften erließen, die den Zutritt zum Gewerk erschweren, dem einzelnen Meister aber sein genügendes Auskommen verbürgen sollten." 31

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und Jakob tatsächlich in Brandenburg keine Chance, war es Neugier oder hat es ihnen in Italien einfach besser gefallen? Betrachtet man die Zusammensetzung des Kreises der 45 deutschen Schuhmacher in Florenz, so scheidet e i η Argument von vornherein aus, nämlich der wirtschaftsräumliche Erklärungsansatz. Denn so gut wie keine Region des deutschen Herkunftsgebietes bleibt hier unerwähnt: vom baltisch-russischen Grenzraum über Ostpreußen, Brandenburg, Sachsen und Schlesien bis nach Holland, zum Niederrhein oder nach Schwaben, Franken und Bayern reicht das Spektrum. Oder sollten etwa alle diese verschiedenen Herkunftsgebiete aus der Sicht der Gesellen in ähnlicher Weise von einer krisenhaften Entwicklung betroffen gewesen sein? Wohl kaum! Denn die bekanntlich hohen Bevölkerungsverluste dieser Zeit ließen in den Städten eher das umgekehrte Problem entstehen, wie man die spürbaren Lücken wieder durch einen qualifizierten Nachwuchs ergänzen könnte. 36 Auch die lokalen Brandenburger Quellenzeugnisse für das Gewerbe dieser Zeit enthalten - das sei vorweg gesagt kaum einen Anhaltspunkt für ausgrenzende Maßnahmen und geringe Berufschancen für Gesellen. Die Hauptquelle, die für Brandenburg in dieser Hinsicht beigebracht wird, ist die von der Schuhmacher- und Lohgerbergilde der Altstadt 1424 beantragte und vom Rat genehmigte Zunftordnung. 37 Werfen wir deshalb erst einmal einen etwas sorgfaltigeren Blick auf dieses zentrale Dokument zur Brandenburger Zunft- und Gewerbegeschichte, das in der Literatur eine maßgebliche Rolle gespielt hat, da es einen weit höheren Informationswert aufweist, als vergleichbare andere Stücke. Während Jeroch und Faulhaber diese Quelle mehr oder weniger für bare Münze genommen und davon auf die weitgehende Abschließung der Brandenburger Zünfte für das frühe 15. Jahrhundert rückgeschlossen haben, hat Tschirch bereits vermutet, daß die nur abschriftlich überlieferte Quelle wesentlich spätere Elemente enthalten muß. Er bezieht sich dabei besonders auf die erwähnten Geldsorten, sowie auf religiöse und sprachliche

^ Knut Schulz, Handwerksgesellen und Lohnarbeiter. Untersuchungen zur oberrheinischen und oberdeutschen Stadtgeschichte des 14. bis 17. Jahrhunderts, Sigmaringen 1985, S. 28 ff. u. 209 ff. 37 CDB1/9, S. 121-125 Nr. 158.

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Aspekte, die bereits nachreformatorisch seien. 38 Eine Aussage darüber, welche Bestimmungen aus inhaltlichen Gründen für das 15. und frühe 16. Jahrhundert auszuschalten seien, trifft er jedoch nicht. Durch eine vergleichende Zu- und Einordnung dürfte dies zwar im Prinzip möglich sein, wir können hier aber nur die für uns relevanten Faktoren herausgreifen. Besonderes Interesse hat die angebliche Ausdehnung der Gesellenzeit durch die Forderung von Wander- und Muthjahren gefunden und zu Fehlinterpretationen geführt. Was wird tatsächlich gefordert? Die ursprünglich in diesem Gebiet gültige Lehrzeit von einem Jahr wurde erst 1573 in Berlin auf zwei Jahre verlängert.39 Da aber im spätmittelalterlichen Schuhmachergewerbe der Mark Brandenburg eine zweijährige Berufserfahrung Voraussetzung für die Zunftaufnahme war, fremde Bewerber jedoch erst einmal der Gilde bekannt werden mußten, wurde für diese außer der einjährigen Lehrzeit eine einjährige Muthzeit am Ort zur Bedingung gemacht. 40 Von ungewöhnlichen Forderungen, die auf einen Ausschluß von Fremden abzielten, kann dabei wohl kaum die Rede sein, wenn man bedenkt, daß rein rechnerisch ein 17- bis 18jähriger Geselle aus der Fremde einen Antrag auf die Meisterschaft stellen konnte. Denn die zweite, angeblich in diesem Zusammenhang erhobene Forderung nach vierjähriger Wanderzeit, ist eine wesentlich spätere Hinzufügung. Noch der bei dem Brandenburger Schöffenstuhl hinterlegte Gildebrief der Gerber- und Schuhmacherzunft von Stendal aus dem Jahre 1488, der gerade in seinen Aufnahmebedingungen dem von Brandenburg sehr ähnelt (ein Jahr Lehre, ein weiteres Jahr Amtserfahrung; ein Meistersohn leistet eine Morgensprache und Gebühren, ein Fremder: drei 3 8 „Weitergehende Sperrvorschriften zeigt der Gildebrief der Schuster von 1424, der aber nur in jüngerer Abschrift erhalten ist und in vielen seiner Artikel, wie die Sprache, erwähnte Geldsorten und kirchliche Gebräuche erkennen lassen, erst aus der Zeit nach der Glaubenserneuerung stammt"; O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 10), I, S. 162. 3 9 Ferdinand Meyer, Das Berliner Schuhmachergewerk, Berlin 1884, S. 57 f. Da es sich hierbei um die landesherrliche Genehmigung der Einführung einer zweijährigen Lehrzeit handelt, erscheint eine frühere Einführung anderen Ortes unwahrscheinlich. 4 0 H. Heibig, Gesellschaft... (wie Anm. 3), S. 22 f., sowie Ernst Walter Huth, Die Entstehung und Entwicklung der Stadt Frankfurt (Oder) und ihr Kulturbild vom 13bis zum frühen 17. Jahrhundert aufgrund archäologischer Befunde, Berlin 1975, S. 54-59. Vgl. im übrigen die Stendaler Gerber- und Schuhmacherordnung von 1488 (siehe Anm. 41).

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Morgensprachen, Gebühren und Zunftaufnahmegeld), enthält keine Verpflichtung zum Wandern. 41 Besonders die angeblich bereits 1424 merklich erhöhten Aufnahmegebühren, die in Brandenburg für fremde Gesellen die Höhe von 25 Gulden plus Nebengebühren erreicht hätten, lassen bei vergleichender Betrachtung deutlich werden, daß die genannten Veränderungen der Zunftordnung kaum vor der Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgt sein können. Denn in Brandenburg selbst bewegte sich dieses Aufnahmegeld 1388 noch in sehr bescheidenen Größenordnungen, 42 während 1488 bei den Stendaler Schuhmachern immerhin schon sechs Mark Stendaler Pfennige verlangt wurden, ein Betrag, der aber auch noch die normalen Grenzen einhielt. 43 Die Unterschiede, die zwischen Meistersöhnen und fremden Gesellen bei den Aufnahmeverfahren (eine Morgensprache bzw. drei Morgensprachen) und den Aufnahmegeldern bestanden, werden zwar auch schon im 15. Jahrhundert faßbar, sind aber letztlich nicht von entscheidender Bedeutung für den Zugang zum Gewerbe gewesen. Wenn man also bedenkt, daß die wirklich einschneidenden Bestimmungen, übrigens einschließlich derjenigen über die Lehrlingsannahme und die Lehrgeldforderungen,44 gar nicht von 1424, sondern vermutlich erst von der Mitte oder aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen, dann sollte man die Schlußfolgerungen über Abschließungstendenzen in den Brandenburger Gilden zu Beginn des 15. Jahrhunderts vergessen oder zumindest stark einschränken. Diese Fehleinschätzung ist ohnehin sehr verbreitet 45

Adolf Stölzel, Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten, Bd. 1, Berlin 1901, Nr. 19, S. 24-31. 42 C. Faulhaber, Über Handel... (wie Anm. 7), AnhangC, S. 61 f., sowie O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 10), I, S. 157. 4 3 A. Stölzel, Urkundliches Material... (wie Anm. 41), S. 25, Art. 1. Von den 6 Mark Stendaler Pfennigen gingen 4 an die Stadt und 2 an die Gilde. Außerdem wurden kleinere Beträge für die Meister, Schreiber und Diener der Gilde sowie ein Pfund Wachs für die Kerze verlangt. 44 CDB1/9, S. 122 Nr. 158: ... tmd soll derselbe lehrjunge alsofort, wen er angenommen wirdt, zwene gulden Merckisch in des wercks lade, dem Lehrmeister Acht gulden vnd den Vorstehern der pfarkirchen zwey pfundt wachs oder so iHel geldt, als solch wachs jederzeyt geltten wirdt, ohne Weigerung erlegen vnd zwey Jahre lernen. 4 5 Vgl. etwa die Handbuchbeiträge von Josef Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 1: Das Mittelalter, 1928, 3. Aufl. München-Wien 1965, S. 197-209, und Friedrich Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3-, verm. u. verb. Aufl., Berlin-New York-Heidelberg 1966, S. 259-262. 41

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und wird bei der relativ schmalen Quellenbasis für Brandenburg durch den unkritischen Abdruck eines so aussagekräftigen Dokuments wie dem für die Schuhmachergilde von 1424 noch verstärkt, angeblich sogar quellenmäßig abgesichert. Anders sieht es hingegen mit den Forderungen nach der „rechten" Abkunft aus, die in den Gewerben märkischer Städte schon im Laufe des 14. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnen. Im späten 15. Jahrhundert drohen sie die Zunftordnungen durch immer rigidere Moralund Ehrvorstellungen geradezu zu überwuchern. 46 Lassen wir das sorgfältig aufgearbeitete Problem der deutschen und nicht wendischen Geburt einmal beiseite, 47 so bleibt der Zuwachs an Sittlichkeitsnormen doch signifikant. Eine Zwischenstufe stellt in gewisser Hinsicht unser Schuhmacher- und Gerberbrief von 1424 dar. Nebeft der Beibringung eines Geburtsbriefes beschäftigt ihn vor allem die Frage der künftigen Ehefrauen von Gildebrüderift Generell soll danach gestrebt werden, daß man eine jungfer frye, die des wercks werth sey. Im übrigen gewinnt die Frage der Einheirat, sei es über Meisterwitwen oder -töchter, ein größeres Gewicht. Dabei dürfte allerdings der Vorteil nicht so sehr in der von der Fachliteratur immer wieder beschworenen Ermäßigung der Eintrittsgebühren liegen weil dies naturgemäß der Gegenstand der Zunftordnung ist, findet dieser Gesichtspunkt auch vorrangig Erwähnung - , sondern vor allem in einem erleichterten beruflichen Zugang eventuell durch die Einheirat in eine Werkstatt. Auf Seiten der Zunft tritt stärker das Anliegen hervor, die Versorgung der hinterbliebenen Witwen und der Zunfttöchter zu sichern, um nicht gegebenenfalls selbst eine Fürsorgepflicht übernehmen zu müssen.

^ Ferdinand Frensdorff, Das Zunftrecht insbesondere Norddeutschlands und die Handwerkerehre, in: Hansische Geschichtsblätter (künftig HGbll zitiert) 34 (1907), S. 1-89; Rudolf Wisseil, Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 2., erw. Ausg., hrsg. von Ernst Schraepler (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 7), Bd. 1, Berlin 1971, S. 125 ff. 4 7 Dora Grete Hopp, Die Zunft und die Nichtdeutschen im Osten, insbesondere in der Mark Brandenburg (= Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas 16), Marburg 1954; Werner Vogel, Der Verbleib der wendischen Bevölkerung in der Mark Brandenburg, Berlin I960; Winfried Schich, Braunschweig und die Ausbildung des sogenannten Wendenparagraphen, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (künftig JGMOD zitiert) 35 (1986), S. 2 2 1 233.

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Die Stendaler Ordnung von 1488 geht hinsichtlich der Ehrvorstellungen, zumindest in ihrer sprachlichen Ausgestaltung, noch deutlich weiter. Vom Antragsteller wird nicht nur erwartet, daß er hofesch und fram, sondern auch ein echte bederve mann und ein echte kint und unvorlecht alle sines rechten sei.48 Neu ist nunmehr die Forderung, daß auch die Eltern des neuen Schuhmachermeisters ehelicher, angesehener und deutscher Abkunft sein mußten. Weiterhin hatten die Antragsteller durch glaubwürdige Zeugen oder beweiskräftige Briefe zu belegen, daß sie fry und nymants eygen und erlyke, unnberuchtede bederve lüde seien. Die Altstädter Schneider faßten dies in ihrem Zunftbrief aus der Mitte des 15. Jahrhunderts dahingehend zusammen, daß ein Bewerber um das Zunftrecht einen „versiegelten Adelsbrief" beizubringen habe, dat he echte und rechte gebaren is dudisch und nicht wendischer art van al synen vir anenf® Die Schustergilde zu Rathenow fügte ihrer Ordnung an, daß auch nachträglich bekanntgewordene Verfehlungen oder Defizite dieser Art bei Gildebrüdern und ihren Ehefrauen zum Ausschluß führen würden.50 Die ausgrenzende Wirkung, die man angeblich damit von Seiten der Zunft zu erzielen bemüht war, sollte allerdings nicht überbewertet werden. Der Gilde ging es hierbei, wie es schon die Formulierungen erkennen lassen, viel stärker um Ehre und Reputation als um materielle Vorteile durch Ausgrenzung unliebsamer Konkurrenz, auch wenn das für Uneheliche und „Unehrliche" zweifellos eine Marginalisierung bedeutete. Ein Quellenstück, das ungewöhnliche Einblicke in die Brandenburger Handwerksgeschichte gewährt, ist aus unerfindlichen Gründen in der einschlägigen Literatur zwar zitiert, aber nicht ausgewertet worden.51 Es handelt sich um einen Gildebrief der Schuhmacherund Gerberknechte der Altstadt von 1422, der Selbstverständnis und Organisation einer Gesellengruppe widerspiegelt, die durch ihre Aktivitäten in dieser Zeit immer wieder von sich reden machte.52 Dies war vor allem am Mittel- und Oberrhein bis hin zum BodenseeA. Stölzel, Urkundliches Material... (wie Anm. 41), S. 25 f. C. Faulhaber, Über Handel... (wie Anm. 7), S. 59. 50 A. Stölzel, Urkundliches Material... (wie Anm. 41), Nr. 3, Art. 26. 51 C. Faulhaber, Über Handel... (wie Anm. 7), S. 10; F.-W. Jeroch, Innungsverfassungen... (wie Anm. 18), S. 63; O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 10), I, S. 159162. 48

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Stadtarchiv Brandenburg, Urk. A 1/97 1/81.

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räum und der Schweiz der Fall, wo drei großräumige, aber durchaus aufeinander bezogene Gruppierungen entstanden. 53 Die nördlichste umfaßte den Raum von Bingen und Koblenz über Mainz und Frankfurt bis nach Speyer im Süden. Auffallendstes Merkmal ist hier, daß sich die Zünfte dieser Städte schon 1390 und 1412 veranlaßt sahen, einen regionalen Handwerkerbund abzuschließen, um die Gesellenbewegung unter Kontrolle zu halten. 54 Die mittlere, besonders aktive Region erstreckte sich von Hagenau und Straßburg im Norden bis Basel und Rheinfelden im Süden. Hier hatten sich die Schuhmachergesellen Ende des 14. Jahrhunderts und erneut 1407 regional zusammengeschlossen und den Vogt zu Rufach zu ihrem Herrn erwählt, eine eigene Gerichtsbarkeit errichtet und eine selbständige interurbane Gesellenorganisation gebildet.55 Die Zünfte allein konnten sich gegenüber dieser Entwicklung nicht behaupten. Hier schalteten sich die Stadträte und Herrschaftsträger der Region, zu denen auch der Kaiser zählte, ein und ergriffen strenge Gegenmaßnahmen von allerdings nur begrenzter Wirkung. Das dritte und südlichste Gebiet umfaßte die Schweiz und den Bodenseeraum mit Zürich als Zentrum, wo die Schumachergesellen zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein sogenanntes „Königreich" errichtet hatten, wie es besonders 1421 und 1424 Erwähnung findet.56 Energische und großräumig koordinierte Gegenmaßnahmen führten zwar 1424 und 1436 zu strengen Verboten der Gesellenverbände, die sich allerdings bald wieder verselbständigten.

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K. Schulz, Handwerksgesellen... (wie Anm. 36), S. 58 ff.; Georg Schanz, Zur Geschichte der deutschen Gesellen-Verbände, Leipzig 1877, ND Glashütten 1973; Wilfried Reininghaus, Die Entstehung der Gesellengilden im Spätmittelalter (= VSWG, Beih. 71), Wiesbaden 1981. 54 Frank Göttmann, Handwerk und Bündnispolitik. Die Handwerkerverbände am Mittelrhein vom 14. bis 17. Jahrhundert (= Frankfurter Historische Abhandlungen 15), Wiesbaden 1977; Kurt Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein (= Studien zur Frankfurter Geschichte 18), Frankfurt a. M. 1985. 55 Vgl. Johannes Fritz, Der Aufstand der oberrheinischen Schuhmachergesellen im Jahr 1407, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 45 (1891), S. 132-140, und Luden Sittler, Les associations artisanales en Alsace au Mögen Age et sous l'Ancien Regime, in: Revue d'Alsace 97 (1958), S. 36-80. Albert Lutz, Jünglings- und Gesellenverbände im alten Zürich und im alten Winterthur, Phil. Diss., Zürich 1957; Anne-Marie Dubler, Handwerk, Gewerbe und Zunft in Stadt und Landschaft Luzem (= Luzemer Historische Veröffentlichungen 14), Luzern 1982.

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Eine gleichartige Virulenz wiesen die Brandenburger Schuhmacher zwar nicht auf, aber auch sie waren, wie wir noch sehen werden, in ein weitgespanntes Netz eingebunden. Ob allerdings mehr als nur indirekte Verbindungen zur starken Gesellenbewegung des Westens und Südwestens bestanden, bleibe dahingestellt. Ein Zufall ist die zeitliche Parallelität dieser Entwicklung aber gewiß auch nicht gewesen. Sachsen - über das wir seit der Arbeit von Bräuer sehr viel besser informiert sind 57 - als verbindende Landschaft zwischen der Mark Brandenburg und Frankfurt am Main tritt mit einer aktiven Organisation der Schuhmachergesellen (Herbergswesen und Arbeitsvermittlung) erst gegen 1465 hervor. Die aus diesem Jahr überlieferte Ordnung der Leipziger Gesellen ist aber bereits so vielseitig ausgestaltet, daß man auf eine erheblich ältere Tradition und eine Verbindung zum südwestdeutschen Raum schließen kann. 58 Wie fügt sich in diesen größeren Zusammenhang nun die Brandenburger Gesellenordnung ein? Sie stellt insofern ein ungewöhnlich frühes Dokument dar, als sie inhaltlich ganz eng an die Statuten der Berliner Schuhmacherknechte von 1384 anknüpft. 59 Somit dürfte schon um 1400 in der Mittelmark eine Verbindung dieser Gesellengruppen bestanden haben. Diese - soweit mir bekannt - bisher unveröffentlichten Statuten der Schuhmacher- und Gerbergesellen der Brandenburger Altstadt von 1422 sind unter Mitwirkung der Gildemeister beschlossen und vom Rat bewilligt worden. Dabei werden 21 Gesellen, einschließlich der vier Meisterknappen, namentlich genannt. Gemeinsam unterhalten sie eine Lichterkrone in der St. Godehardkirche (St. Gotthardtkirche), deren Kerzen an den großen Festtagen angezündet werden sollen. Somit bildeten sie, wie nicht anders zu erwarten, eine Bruderschaft, ohne daß jedoch dieser Begriff Anwendung finden würde. Überhaupt ist die religiöse Seite auffallend schwach ausgeprägt und wird nur noch im Zusammenhang mit den Beisetzungsfeierlichkeiten 57

Helmut Bräuer, Gesellen im sächsischen Zunfthandwerk des 15. und 16. Jahrhunderts, Weimar 1989. 58 Urkundenbuch der Stadt Leipzig, hrsg. von Karl Friedrich von Posern-Klett, Bd. 1 (= Codex diplomaticus Saxoniae Regiae, Hauptteil 2, Bd. 8), Leipzig 1868, Nr. 396, S. 324-326. 59 Ernst Kaeber, Ein unbekannter Berliner Schuhmachergesellenbrief aus dem Jahre 1384, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 42 (1929), S. 135-144.

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und Totenmessen eines verstorbenen Gesellen, er sei fromm oder nicht, angesprochen. Ihre Vereinigung trägt den Namen Gilde oder selschap (Gesellschaft), und die Mitglieder heißen Kumpanen. Daneben kommen wechselweise die Begriffe „Gesellen" und „Knechte" zur Anwendung, womit die Innen- oder Außenbeziehung akzentuiert wird.60 Unterschieden wird zwischen drei Kategorien von Gesellen: dem sogenannten grodtknecht, dem Mittelknecht und dem luttich knecht, die verschieden hohe Beiträge zu entrichten haben. Dabei geht es vor allem um die Versorgung erkrankter Gesellen durch Gewährung von Krediten, die nach der Genesung zurückzuerstatten sind. Ein wichtiges Element für die Eigenständigkeit der Gilde ist die eigene Gerichtsbarkeit gewesen, die von den beiden gewählten Meisterknechten ohne Berufung auf die Zunft- und Ratsgerichtsbarkeit ausgeübt wird. Diese Entscheidungskompetenz in Straffragen, die natürlich auf die inneren Angelegenheiten der Gesellenvereinigung beschränkt bleibt, findet noch durch einen bemerkenswerten Zusatz zu dieser Ordnung eine Verstärkung, nämlich durch das Element, das man auf Ratsebene das Willkürrecht nennen würde. 61 Gemeint ist damit die Kompetenz, selbständig Satzungen zu erlassen, das heißt, die Artikel zu ergänzen und den Bedingungen anzupassen. Allerdings besteht die Einschränkung, daß diese Beschlüsse nicht gegen Rat oder Gilde gerichtet sein dürfen. Im übrigen spiegelt die Ordnung die beschwingte Lebensform unverheirateter Männer oder junger Burschen wider, die zusammenkommen, drincken undefroliken sindt. Besonders zu Pfingsten wurden viele Krüge geleert, dann sollten alle Knechte helpen drincken eyn fernell byr bie der kumpane brake. Am Fastnachtsabend wurde im Meisterhaus eine ganze Tonne Bier vertrunken; Würste waren die Zuspeise. Daneben wurde gern gespielt, nämlich gewürfelt, gekegelt und handelspol betrieben, wobei höhere Einsätze als ein Pfennig von den Meisterknappen mit Strafe belegt wurden. Daß es dabei nicht ganz einfach war, Disziplin

Brandenburger Schuhmachergesellenordnung (wie Anm. 52), vgl. Art. 2-4. A.a.O., Art. 23: Offt ock gescheghe, dat wie edder unse nhakomelinghe etelike artikele unde gesette erdechten offte funden, die nicht wedder deme rade weren unde unser guide nutsam unde frarn inbrochten, die maghe wie hyr nha lathen ansetten und schriven und holden siegelike den anderen artikell unde stucken. 61

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einzuhalten, zeigen zahlreiche Strafandrohungen: etwa für Streitigkeiten wegen Spielschulden, das häufige Übertrinken, Flüche und Beschimpfungen, aber auch für Raufereien, bei denen man vermeiden sollte, daß sich Meister und Gesellen mit olden schuhen bewürfen. Um einer höheren Kultur und Reinlichkeit willen wurden so wichtige Bestimmungen erlassen wie diejenige, daß jeder Kumpan, der tihet borsten uth einem swine in der Stadt, drei Pfennig Strafe zu zahlen hatte. Außerdem sollte ein anständiger Geselle nicht mit barffte benen oder in kny- und schothasen in der Öffentlichkeit erscheinen. Im Zentrum stand jedoch die allgemeine Versammlung, bei der dieser Gesellenbrief verlesen, Gerichtsbarkeit geübt und die Verpflichtung auf die gemeinsamen Normen immer wieder bekräftigt wurden. 62 Deshalb legte man auf die Anwesenheit aller Gesellen und auf ihr würdiges Verhalten hohen Wert. Insgesamt vermittelt diese Ordnung nicht den Eindruck einer spannungsreichen Beziehung zu den Meistern und der Zunft, läßt aber eine beachtliche Selbständigkeit dieser Gesellengruppe erkennen. Wie es bereits angedeutet wurde, steht die Ordnung der Brandenburger Schustergesellen in einer klaren Beziehung und Abhängigkeit zu der der Berliner Gewerbegenossen von 1384. Das geht bis in die wörtliche Übereinstimmung hinein, etwa daß die Gesellen thusamende dryncken unde vrolick synth,63 Unterschiedliche Gegebenheiten in den beiden Städten finden etwa in folgender Weise Berücksichtigung: War es den Berliner Schuhmachergesellen untersagt, zerbrochene Speere und Hufeisen bei Turnieren aufzuheben, die by rulande stattfanden,64 so galt in Brandenburg dieses Verbot up deme markete. Ich möchte hier nicht auf das Problem des Berliner und

A.a.O., Art. 29: Wan ehr ock die kumpane vorbadet werden, den briff hören tho leszen edder umme ander saken uHlle, so soll nimanth, were [= Wehr, Waffen) bie sik dragen offte hebben alse vorfurer, kolven, pake edder langhe metzer. Wie dat deith unde bosihen werth, die sal geven IIIpenninge tho brake. ^ E. Kaeber, Ein unbekannter Berliner Schuhmachergesellenbrief... (wie Anm. 59), S. 143, Art. 19. ^ A.a.O., Art. 18. Im übrigen unterscheidet sich die Berliner von der Brandenburger Schuhmachergesellenordnung dadurch, daß erstere noch mehrere Artikel über die Anfertigung von Kinderschuhen durch die Handwerksgesellen nach Feierabend oder am Wochenende enthält, während in Brandenburg davon noch keine Rede ist, also dieser Nebenverdienst den Gesellen offensichtlich nicht gestattet war.

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Brandenburger Rolands eingehen oder über den Unterschied von einem Spiel- oder Freiheitsroland diskutieren, 65 sondern auf die interurbane Verbindung der Gesellen aufmerksam machen. Die weitgehende Übernahme der Berliner Ordnung durch die Brandenburger erfolgte mit einer deutlichen Verzögerung und läßt darauf schließen, daß in der Sache längst Übereinstimmung bestand. Als es den Brandenburger Schustergesellen 1422 gelang, auch ihrerseits die Bestätigung des Rates für ihre Ordnung zu gewinnen, da griffen sie auf die vorhandene Berliner Ordnung zurück und paßten sie lediglich den örtlichen und zeitlichen Veränderungen an. Da Berlin und Brandenburg bei einer damals noch annähernden Gleichrangigkeit eindeutig die Häupter der Markgrafschaft Brandenburg waren, ist davon auszugehen, daß die hier anzutreffende Organisation der Gesellen eine regionale Ausdehnung hatte. Damit gehört die Mark Brandenburg, was die Schuhmachergesellen, aber wie wir noch sehen werden, auch die Wollenweberknechte betrifft, zu den frühesten Beispielen einer regionalen Gesellenorganisation. Zeitlich verläuft diese Entwicklung parallel zur Gesellenbewegung im Südwesten des Reiches, wobei allerdings ein Qualitätsunterschied nicht zu übersehen ist. Erinnern wir uns noch einmal an die eingangs erwähnten Ausstrahlungen von Italien nach Brandenburg und an die daran geknüpften Fragen, so lassen sich nun doch etwas besser begründete Antworten geben. Allein der Wunsch, eine Pilgerreise an die heiligen Stätten nach Rom zu unternehmen, kann - wie wir sahen - nicht ausschlaggebend gewesen sein; denn dieses Motiv fügt sich nicht mit der Tatsache zusammen, daß sich unsere Brandenburger in Verbindung mit der deutschen Schuhmacherbruderschaft als Hofhandwerker an der Kurie niederließen. Ebensowenig hat der angebliche Wanderzwang - und gar noch von vier Jahren - den Anlaß zu dem Zug in die Ferne geboten; denn ein solcher hat noch 65

Vgl. die umfangreiche Rezension von Konrad Beyerle zu den Rolandstudien von Karl Heldmann und Franz Jostes, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 25 (1904), S. 393-414. Neuerdings Anton David Gathen, Rolande als Rechtssymbole. Der archäologische Bestand und seine rechtshistorische Deutung (= Neue Kölner rechtswissenschaftliche Abhandlungen 14), Berlin I960; Material des 2. stadtgeschichtlichen Kolloquiums anläßlich des 550jährigen Bestehens des Halberstädter Rolands, in: Nordharzer Jahrbuch 11 (1986), S. 5-48; Dieter Pötschke, Rolande als Problem der Stadtgeschichtsforschung, in: JGMOD 37 (1988), S. 4-45.

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gar nicht bestanden. Auf dem gleichen quellenmäßigen Mißverständnis beruht schließlich die dritte und von der bisherigen Forschung am stärksten in den Vordergrund gerückte Annahme, daß es die Abschließungstendenzen der Zünfte im allgemeinen und der Brandenburger Schuhmacher im besonderen gewesen wären, die die Gesellen gezwungen hätten, ihr Glück in der Fremde zu suchen. Sämtliche für eine solche Argumentation in Frage kommenden Bestimmungen und Hinweise haben sich als sehr viel spätere Ergänzungen der Ordnung erwiesen. Was waren dann die Impulse und Zusammenhänge, aus denen sich statt dessen die geschilderten Entwicklungen erklären ließen? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach und indirekt auch schon ausgesprochen. Sie liegen in der Gesellenorganisation selbst begründet, wie sie bei den Schuhmachern seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen des Reiches mit besonderer Entschlossenheit vorgenommen worden ist. Der Aufbau und Ausbau eines solchen weitgespannten Netzes erfaßte auch sehr schnell das Ausland, besonders den Hanseraum im Norden und Italien im Süden, 66 und bot den zunehmend (noch aus dem Gefühl der wirtschaftlichen Sicherheit heraus) wanderfrohen Gesellen die Gewähr, an den wichtigsten Stationen ihrer Wanderschaft auf eine Gesellenvereinigung ihres Gewerbes zu stoßen, bei der sie Aufnahme, Unterstützung und nicht zuletzt die vertraute Geselligkeit finden würden. Gesellenorganisation und Wanderwesen sind der stärkste Ausdruck dafür, daß es den Gesellen in dieser Zeit letztlich darum ging, eine zwar auf diese Durchgangsstufe beschränkte, aber eine ihrer Jugend entsprechende eigene Lebensform zu gestalten, die eine zu starke Anbindung an eine Stadt und die jeweilige Zunft verhindern sollte und auf die Mobilität der Gesellen hin orientiert war. Das Ganze erinnert in mancher Hinsicht an wandernde Scholaren und Studenten, soweit es die bewußte Ausgestaltung dieser Alters- und Ausbildungsphase anbelangt. Die zweite Gesellengruppe, die schon vergleichsweise frühzeitig organisiert in Erscheinung trat und ein ausgeprägtes Eigenleben führte, waren die Wollenweberknappen, auch Tuchmacher oder Lakenweber genannt. Die Überlieferung für diese ist älter als die für ^ K. Schulz, Deutsche Handwerkergruppen... Hinweisen auch auf den Hansebereich).

(wie Anm. 30), bes. S. 19-22 (mit

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die Meister desselben Gewerbes, die 1422 auf Bitten der drei anderen Vierwerke, also der Knochenhauer, Bäcker und Schuhmacher, vom Rat eine Ordnung ihres Gewerks oder Gilde bestätigt bekamen. 67 Eine ältere Organisation ist zweifellos vorhanden gewesen, aber der stark von Gewandschneidern und deren Interessen bestimmte Stadtrat ließ eine eigenständige Entfaltung dieses Gewerbes nicht aufkommen. 68 Das hinderte ihn jedoch nicht daran, die Tuchmacher wirtschaftlich zu fördern. Die 1422 im gleichen Zusammenhang vom Stadtrat für die Tuchmacher errichtete Walkmühle läßt dieses Bestreben ebenso erkennen wie das Bemühen um eine Oberaufsicht und Kontrolle über dieses Gewerbe. Um so bemerkenswerter ist die Anerkennung der Gesellenorganisation durch den Stadtrat bereits im Jahre 1407. 69 Genauso wie bei den Schuhmachern ist bei den Wollenweberknappen die Orientierung an einer älteren Überlieferung der Berliner Gewerbegenossen signifikant. Was den fidelibus et dilectis lantficibus et textoribus in Berlin et Collen 1331 in einer lateinischen Urkunde vom Stadtrat zugestanden worden war,70 wurde in seinen wesentlichen Elementen 1407 in einer mittelniederdeutschen Fassung den Gesellen des Tuchgewerbes in Brandenburg ausdrücklich bestätigt. Dieser Sachverhalt weist erneut auf die interurbanen Bezüge dieser Gesellenorganisation hin und läßt darauf schließen, daß in Brandenburg auch vor Bewilligung der Ordnung entsprechende Regeln und Gewohnheiten geübt wurden. Natürlich treten die beiden miteinander verbundenen Bereiche der Bruderschaft auf der einen Seite (Altar, Totenfolge, Seelenmessen, Kerzen, Krankenunterstützung) und der Gesellschaft auf der anderen Seite (gewählte Meisterknappen, förmliche Versammlungen, Trinkgelage bzw. Convivium, Ehr- und Redlichkeitsnormen der Gesellen) mit zahlreichen Bestimmungen hervor. Aber im Zentrum unseres und wohl auch des CDS 1/9, S. 118 f. Nr. 156. A.a.O., S. 119: Dar hebben vns dy ander dry werk fere innyghe arbeydet, alse dat knokewerk, dy beker vnd dy schumecker, dy tuschen vns vnd er med flite ghededinget hebben. 6 9 Moritz Wilhelm Heffter, Nachlese zu den Urkunden Brandenburgs im. Riedeischen Cod. dipl. Brandenb., in: JHVB 1 (1870), Teil a, S. 55-57 (Bürgermeister und Rat der Neustadt Brandenburg verleihen den Wollenweberknappen eine Bruderschaftsordnung, 1407). 70 Urkundenbuch... (wie Anm. 8), Nr. 15, S. 57-59. 67

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damaligen Interesses stehen und standen doch die drei Aspekte, die einen näheren Einblick in die besondere Struktur dieses Gewerbes ermöglichen. 1. Bei den Tuchmachern handelte es sich um ein Gewerbe, das zwar nicht ausschließlich, aber in starkem Umfang gegen Lohn arbeitete - übrigens bis hin zum Wolleschlagen für Mönche und Beginen umme penninghe by daghe, also gegen Tageslohn.71 2. Besonders beim Weben der Tücher bestand vielfach ein verlagsartiges Verhältnis, wobei besonders die Gewandschneider als Verleger auftraten. Dies hatte zur Folge, daß im Tuchgewerbe der Abstand zwischen Meister und Knappen relativ gering war, da auch der Meister, der immerhin über das Arbeitsgerät (Webstuhl) verfügte, gegen Lohn arbeitete. 3. Außerdem waren die Gesellen zum Teil „beweibt", sollten allerdings nicht zwei Frauen haben, was vielleicht auf eine besondere Form der Mitarbeit bei Gesellen schließen läßt.72 Die angedeutete Nähe zwischen Meister und Gesellen kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß die Knappenordnung einen eigenen Artikel über die Aufnahme von Meistern in die Gesellenvereinigung enthält: Welk wüllenweuer meister adir werkgenote in orer kumpanie wesen wil, die schal si wynnen met twen schillingh penningen vnde met eynen pund masses to oren lichten. Ein markanter Unterschied zwischen Meistern und Gesellen bestand jedoch in der ausgeprägten Mobilität der letzteren, wie sie in beiden Ordnungen zum Ausdruck kommt: Die Berliner Statuten von 1331 können geradezu als einer der frühesten Belege für die Gesellenwanderung überhaupt dienen. Hier findet sich die Bestimmung, daß ein Tuchmacherknappe, der nach Berlin kommt und bei einem Bürger Quartier nimmt, nicht weiterwandern soll, bevor er nicht

71 Aus der Urkunde von 1407 (wie Anm. 69), S. 56: Wie birarbeidet van gesellen, die en schul in der alden Stad ne(nen) meister bebben noch dar arbeiden by eynen haluen pünde tvasses. Monneken, Begghinen adir anderss ymand schal men umlle slan vmmepenninghe by daghe. 72 A.a.O., S. 56: Neme eyn ivullenweuerknape eyne lyneweuersche to ehte, eynerleighe hantwerk schal he anegan adir schal hir nicht arbeiden. Wörde ok ennich knape berüchtighet, dat he mer echte wyffhadde wen eine oder eine andere ... Die entsprechende Bestimmung in der „Vorlage", also der Ordnung der Berliner Tuchmacherknappen von 1331 (Urkundenbuch... [wie Anm. 8], Nr. 15, S. 58) lautet: Item si aliquis eorum duas legitimas uxores habens, hie similiter opere suoprivabitur in omni parte Marchie.

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seine Außenstände beglichen hat. 73 Wenn es in der Brandenburger Ordnung dann etwa heißt, daß kein Knappe von seinem Meister wegziehen soll, wenn er ihn nicht acht Tage zuvor von dieser Absicht in Kenntnis gesetzt habe, so ist dies natürlich Ausdruck eines relativ lockeren Beschäftigungsverhältnisses, aber auch einer stärkeren Fluktuation und Mobilität. Gleich der erste Artikel der Ordnung rechnet mit der Möglichkeit einer wiederholten Zuwanderung nach Brandenburg, denn nur bei der erstmaligen Ankunft und Aufnahme eines fremden Gesellen war die Einschreibgebühr zu entrichten. 74 Mit diesen etwas vereinzelten Quellenaussagen läßt sich zwar kaum ein anschauliches und lebendiges Bild der gewerblichen Verhältnisse Brandenburgs in dieser Zeit gewinnen, wie es für andere Regionen mit einer sehr viel dichteren Überlieferung möglich ist. Aber die Einbettung in die damaligen Bezüge läßt doch deutlich werden, daß auch Brandenburg und die Städte der Mittelmark zumindest in einigen wichtigen Gewerben durchaus ihren Platz in den großräumigen Entwicklungszusammenhängen eingenommen haben. Gewiß ist dies nicht in der Weise geschehen, wie es Tschirch und seine Mitautoren durch die mißverstandene Übernahme der Forschungsergebnisse der Jahrhundertwende glauben machen wollten, daß nämlich seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert eine Gesellenwanderung aus dem Südwesten des Reiches in die östlichen Gebiete, wenn auch nicht in die Markgrafschaft Brandenburg, eingesetzt habe. 75 Georg Schanz, Bruno Schoenlank, Karl Bücher und Eberhard Gothein, wie die klangvollen Namen dieser Forschungsrichtung lauten, haben natürlich aufgrund der reichen Materialien der rheinischen und oberdeutschen Städte die entgegengesetzte TatA.a.O., S. 57: Item si quis huius opens advena veniens Berlin vel Colne ibidem moram faciens in hospicio alicuius civis, hoc exire поп debet nisiprius satisfaceret de consumpstibus. 7 4 In der Urkunde von 1407 (wie Anm. 69), S. 55, heißt es, ... dateyn islik tvullenwever knape, wen he hir irsten kompt vnde vpspannet, einen Beitrittspfennig an die geselschap zahlen soll. 7 5 O. Tschirch, Geschichte... (wie Anm. 10), I, S. 163 f.: „Man hat beobachtet, daß die Wanderungen der westdeutsch-rheinischen Gesellen sich zu Anfang des 15. Jahrhunderts nur den Rheinstrom auf- und abwärts bewegten, gegen Ende desselben aber den ganzen deutschen Osten mit umfaßten. Sieht man genauer zu, so ergibt sich, daß die südwestdeutschen Gesellen wohl nach Südosten bis Liegnitz, Breslau, Krakau, Wien, Ofen pilgerten, daß aber das niederdeutsche Gebiet besonders östlich der Elbe, von ihnen nicht berührt wurde."

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sache registriert, nämlich die Zuwanderung aus den einfacheren Verhältnissen der östlichen Regionen, etwa nach Nürnberg, Frankfurt, Straßburg, Basel, Zürich und Konstanz, um die bekannteren Beispiele zu nennen. 76 Eine Gesellenwanderung in entgegengesetzter Richtung bleibt doch sehr unwahrscheinlich. Wichtiger als Einzelbelege für Brandenburgs Wandergesellen, so illustrativ und instruktiv sich solche wie im Fall von Rom ausnehmen, sind die Interdependenzen, die sich in dem fast zeitgleichen Erlaß von Ordnungen ähnlicher Grundorientierung widerspiegeln. Ob am Oberrhein oder in Brandenburg, in beiden Fällen nimmt um 1400 eine Gesellenorganisation Gestalt an, deren Struktur auf Wanderungen und einem gewissen Eigenleben beruht. Diese vergleichbaren Grundgegebenheiten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bedeutende Unterschiede fortbestanden. Die oberdeutschen Verhältnisse bewegten sich auf einem viel fortgeschritteneren und differenzierteren Niveau, was etwa in folgenden Punkten zum Ausdruck kam: der Einrichtung eigener Trinkstuben durch die Gesellen, Finanzierung eigener Spitalbetten, Führung eigener Siegel, Ausübung einer eigenen, über den Kreis der Gesellen auch hinausgreifenden Gerichtsbarkeit, Durchführung von Boykottmaßnahmen, Unterhalt von Streikkassen und Abhaltung von regionalen Gesellentagen. Alle diese Elemente waren bei den Brandenburgern höchstens ansatzweise vorhanden. Im übrigen waren auch, wenn man so will, die Rahmenbedingungen in diesen Städtegruppen sehr unterschiedlich, also die Verfassungs- und Gesellschaftsverhältnisse. Zwar gab es auch in den Städten der Mark Brandenburg und in Brandenburg selbst Ansätze zu

G. Schanz, Zur Geschichte... (wie Anm. 53); ders., Zur Geschichte der Gesellenwanderungen im Mittelalter, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 28 (1877), S. 313-343; Bruno Schoenlank, Zur Geschichte des altnürnbergischen Gesellenwesens, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 19 (1889), S. 337-395, S. 588-615; ders., Sociale Kämpfe vor dreihundert Jahren. Altnürnbergische Studien, Leipzig 1894; Karl Bücher, Die Bevölkerung von Frankfurt am Main im 14. u. 15. Jh. (= Socialstatistische Studien 1), Tübingen 1886; ders., Mittelalterliche Handwerksverbände, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 77 (1922), S. 295-327; Eberhard Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Bd. 1: Städte- und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892. Die einschlägigen Materialien für Basel und Straßburg sind in meiner Arbeit (wie Anm. 36) auch in Form von Wanderkarten zur Darstellung gebracht worden (vgl. bes. S. 279-284).

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einer Einschränkung der oligarchischen Ratsherrschaft und einer gewissen Mitwirkung zumindest der Vierwerke, aber die Vitalität und Vielfalt einer ausgeprägten Zunftverfassung wie im Südwesten wurde nie erreicht. Von daher bestimmt sich auch das Verhältnis von Meistern und Gesellen. Bei einer so klaren Dominanz des Rates und der herrschenden Geschlechter, wie sie in Brandenburg überwiegend bestand, rückten die Handwerksmeister und -gesellen naturgemäß näher zusammen. Der gesellschaftliche Abstand war geringer, die Gemeinsamkeiten waren größer. Dies galt besonders für die Tuchmacher bzw. Wollenweber und die Böttcher in Brandenburg. 77 Im Falle der Wollenweber gingen die Gemeinsamkeiten so weit, daß die Einhaltung der alten Rechte und Gewohnheiten zwischen Meistern und Gesellen auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit vereinbart war. 78 Anders war die Situation bei den Schuhmachern, bei denen die Abgrenzung stärker hervortritt. Hier haben wir es ohnehin mit einem Gewerbe zu tun, das sehr frühzeitig und energisch eine regional gegliederte, aber weiträumig gespannte Gesellenorganisation errichtet hatte, die auch in fremde Sprach- und Kulturräume hineinragte. Wenn wir mit dem Blick auf Rom begonnen haben, so lassen Sie mich mit einem Ausblick nach Norden enden. In den Schwerpunkten des hansischen Interesses, besonders in den skandinavischen Ländern, waren die Schuhmacher deutscher Herkunft so zahlreich und dominant, daß ihre Berufsbezeichnung als Sammelbegriff für deutsche Handwerker überhaupt Anwendung fand. 79 Wie lebendig 77 Letztere erlangten vom Rat der Neustadt Brandenburg im Jahr 1511 eine Bruderschaftsordnung bewilligt (vgl. CDB1/24, S. 478 f. Nr. 190), wobei die Böttchermeister zugleich als Vermittler für die Gesellen und Beteiligten auftraten. 78 M. W. Heffter, Nachlese... (wie Anm. 69), S. 55: Okscolensiidie Knappen) unde willen holden oren meistern unde werken aidegesethe unde gude wonheit, alsedatvan aider geholden is; des sulven geliik scolen unde willen en (= ihnen/den Wollenweberknappen) ore meister unde werken weder don. Begnügen wir uns hier mit einem Hinweis auf Norwegen und Bergen: В. E. Bendixen, De tyske haandverkere paa norsk grund i middelalderen, Kristiania 1912; dazu Friedrich Techen, Die deutschen Handwerker in Bergen, in: HGbll 19 (1913), S. 561-576; Johan Schreiner, Der deutsche Schumacher in Bergen, in: HGbll 81 (1963), S. 124-129; Friedrich Techen, Die deutsche Brücke in Bergen, in: Hansische Volkshefte 1 (1923); Richard Carstensen, Bergen, Entwicklungsbild einer norwegischen Hafenstadt, besonders im Hinblick auf Bergens Beziehungen zur Hanse (= Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in Lübeck 53), Lübeck 1973; Knut Helle, Die

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und Gewerbe

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diese Beziehungen jedoch von Brandenburg aus waren, steht auf einem anderen Blatt. Die Verbindungen zum Hanseraum und die Gesellenorganisation in den wendischen Hansestädten wird möglicherweise bald eine neue Studie herausarbeiten.80

Deutschen in Bergen während des Mittelalters, in: Hanse in Europa. Brücke zwischen den Märkten 12.-17. Jahrhundert, Köln 1973, S. 137-156 u. S. 421; Friedrich Bruns, Die Lübecker Bergenfahrer und ihre Chronistik, in: Hansische Geschichtsquellen, N.F. 2, Lübeck 1900; Carsten Müller-Boysen, Das Bergener Kontor und die hansischen Niederlassungen in Tönsberg und Oslo, in: Die Hanse- Lebenswirklichkeit und Mythos. Ausstellungskatalog, Hamburg 1989, Bd. 1, S. 165-171. 80 Gemeint sind die Untersuchungen von Elfie Marita Eibl, Humboldt-Universität Berlin.

Die Bettelorden und ihre Niederlassungen in der Mark Brandenburg H A N S - J O A C H I M SCHMIDT Gießen

I Der Franziskaner Jordanus von Giano, der Chronist der Frühgeschichte seines Ordens in Deutschland, berichtet, daß im November 1221, also noch im selben Jahr, als eine kleine Gruppe von teils italienischen, teils deutschen Brüdern, von Assisi aufbrechend, die Alpen überquert hatte, ihr Leiter Cesarius von Speyer mehrere von ihnen nach Saxonia entsandte und gar einen eigenen Kustos für dieses so bezeichnete Gebiet vorsah. Die ersten Städte, in die die Franziskaner kamen, unter anderen Halberstadt und Eisenach, wurden sehr schnell auch zu Orten für die Anlage von Konventen, und sehr schnell dehnte der erste Kustos, Johannes da Piano Carpino, seinen Orden weiter nach Norden und Osten aus: 1223 schickte er Brüder unter anderem nach Magdeburg, das zu einem der wichtigsten Zentren des Ordens für Nord- und Ostdeutschland werden sollte. Für das folgende Jahr berichtet Jordan davon, daß videns incrementum Saxonie weitere Brüder dorthin entsandt wurden.1 Auch die Ausdehnung des Ordens in den erst seit kurzem missionierten Gebieten östlich der Elbe machte rasche Fortschritte. Bis zur Mitte des Jahrhunderts waren Konvente in Brandenburg und Prenzlau, in Rostock, Parchim und Greifswald gegründet worden; in Berlin waren die Brüder in der Seelsorge tätig, wenn nicht schon mit einem eigenen Kon-

1 Chronica fratris Jordanis, hrsg. von Heinrich Boehmer (= Collection d'etudes et de documents 6), Paris 1908, S. 29, 33-^2.

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Abb. 8 Bettelorden in der Mark Brandenburg im späten Mittelalter. Skizze Hans-Joachim Schmidt, Zeichnung Karsten Bremer.

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vent vertreten. Bereits 1230 wird eine eigene Provinz Saxonia von der älteren Teutonia abgetrennt.2 Beim Dominikanerorden, zu dessen Frühgeschichte in Deutschland uns keine zuverlässigen zeitgenössischen Quellen vorliegen, sind die Verhältnisse ähnlich: Auch bei ihm ist ein sehr schnelles Ausgreifen in das Gebiet des östlichen Deutschlands festzustellen; allerdings ist, angesichts der Tatsache, daß der Predigeforden größere Konvente bevorzugte und insgesamt auch weniger Mitglieder hatte, dieser bis ca. 1250 mit einer geringeren Anzahl von Klostemiederlassungen vertreten: in Magdeburg, Freiberg, Leipzig und Neuruppin.3 Große zeitliche Verzögerungen zwischen dem Entstehen der Ordensgemeinschaften und ihrem ersten Ausgreifen in das östliche Deutschland lassen sich dagegen bei den zwei anderen Mendikantenorden feststellen, das heißt, bei den erst 1256 auf päpstliche Anweisung gegründeten Augustinereremiten sowie bei den Karmelitern, die sich erst nach der Vertreibung aus dem Heiligen Land und internen Konflikten von einer beschaulichen Eremitengemeinschaft zu einem Stadt- und seelsorgeorientierten Bettelorden wandelten. Gegen Ende des 13- Jahrhunderts entstanden zwei Augustinereremitenkonvente in der Neumark, in Königsberg und in Friedeberg, an der Wende zum folgenden Jahrhundert wurde in Anklam (Pommern) ein Kloster gegründet. Im Gebiet der Alt- und der Mittelmark hatten die Augustinereremiten auch später keine Klosterniederlassungen.4 Sie waren als ein erst später auftretender Bettelorden darauf angewiesen, sich in den Nischen, das heißt in den von den älteren Dominikaner- und Franziskanerorden noch wenig erfaßten Räumen, zu etablieren. Dasselbe galt für die Karmeliter. Sie waren in den Gebie-

A.a.O., S. 49; Norbert Nagel, Das Franziskanerkloster in Prenzlau, in: Franziskanische Studien 21 (1934), S. 179-184, hier S. 179-182; Burchard Thiel, Die Franziskaner im Bereich des Bistums Berlin (= Studien zur katholischen Bistums- und Hostergeschichte 3), Leipzig 1962. 3 Vgl. John B. Freed, The Friars and German Society in the Thirteenth Century, Cambridge (Mass.) 1977, S. 26-32, 43-48. 4 Carl Nagel, Die Augustiner-Eremiten in der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 38 (1963), S. 9-27; Adalbero Kunzelmann, Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten (= Cassiciacum 26), T. 5: Die sächsisch-thüringische Provinz und die sächsische Reformkongregation bis zum Untergang der beiden, Würzburg 1974, S. 228-233, 250 ff., 269 f., 296. 2

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ten des nördlichen Elbe-Oder-Raumes sogar erst am Ende des Mittelalters, kurz vor der Wende zum 16. Jahrhundert, präsent. Konvente entstanden in Perleberg, Tangermünde, Rathenow und in der pommerschen Hauptstadt Stettin, ohne daß diese über die Existenzform von „Kümmerkonventen" hinausgekommen wären. Ihre Breitenwirkung in der Bevölkerung war sehr gering, und wegen der durch die Reformation bald nach der Gründung bedingten Auflösung war ihnen auch weiterhin keine Entfaltungsmöglichkeit gegeben. 5 Im Raum zwischen Elbe und Oder war die Christianisierung erst in der ersten Hälfte des 13- Jahrhunderts durch die Errichtung von Pfarreien, die Durchsetzung bischöflicher Amtsgewalt und nicht zuletzt durch das Wirken von Ordensgeistlichen zum Abschluß gebracht worden. 6 Mit der verstärkten Einwanderung aus dem Westen Deutschlands und aus den Niederlanden, mit der Anlage neuer ländlicher Siedlungen, vor allem aber mit der Gründung von Städten erfolgte eine Intensivierung der demographischen und wirtschaftlichen Grundlagen dieses Gebietes, dessen herrschaftliche Einbeziehung in das Heilige Römische Reich gleichfalls erst zu dieser Zeit erfolgreich beendet wurde. Der Raum, in dem im 12. und 13. Jahrhundert auch die Markgrafschaft Brandenburg Gestalt annahm, gehörte im klassischen Sinne zu den „Neusiedelgebieten" mit einem besonders zu den von römischer urbaner Kultur geprägten westund süddeutschen Landschaften erkennbaren Entwicklungsrückstand, wobei aber sehr schnell in einem Prozeß der forcierten „Verwestlichung" die Unterschiede verringert wurden. Die Niederlassung der Mendikanten im östlichen Neusiedelland ist in den Zusammenhang dieses Angleichungsvorganges zu stellen. Die Expansion der Bettelorden in diesen erst spät dem Christentum gewonnenen Raum erfolgte sofort, nachdem die einzelnen Orden entstanden waren. Anders als bei den älteren Gemeinschaften der Cluniacenser und Zisterzienser und auch der der Prämonstratenser7

5 Francis Bernard Lickteig, The German Carmelites at the Medieval Universities (= Textus et studia historica carmelitana 13), Rom 1981, S. 37, 113. 6 Dietrich Kurze, Christianisierung und Kirchenorganisation zwischen Elbe und Oder, in: Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichtsvereins Berlin, N. F. 1 (1990/91), S. 11-30. 7 Frederik van der Meer, Atlas de Vordre cistercien, Paris-Brüssel 1965; Franz Winter, Die Prämonstratenser des 12. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstli-

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erfolgte das Ausgreifen in den ostmitteleuropäischen Raum nicht in einem von Zwischenstationen markierten, eher bedächtigen Vordringen von einem Verdichtungszentrum aus. Die Dominikaner und Franziskaner waren bestrebt, schon während der Generation ihrer Gründer überall in der abendländischen Christenheit präsent, möglichst umfassend für jeden Gläubigen erreichbar zu sein. Die Konvente verteilten sich in der Tat, spätestens am Ende des 13- Jahrhunderts, über das gesamte Gebiet des der römischen Kirche zugeordneten Europa, ohne, wie es bei den anderen Ordensgemeinschaften der Fall war, große Räume auszulassen und weite Abstände zwischen den Konventen entstehen zu lassen. Daher läßt sich bei den Mendikanten ein anderes Muster der Ausbreitung erkennen: Von Südfrankreich und Mittelitalien ausgehend, etablierten sich die Brüder innerhalb weniger Jahrzehnte in den wichtigsten Zentren auch entfernt liegender Gebiete, dabei auch in kürzester Frist große Distanzen überwindend, um dann von diesen frühen Niederlassungen aus weitere Konvente zu gründen, die das Netz zunehmend verdichteten, um schließlich auch in unbedeutendere Orte zur Anlage von Klöstern vorzudringen. Verdichtung des Netzes der Niederlassungen und Intensivierung in der Erfassung des Raumes kennzeichneten die Expansion der Bettelorden in ganz Europa schon seit den zwanziger und dreißiger Jahren des 13· Jahrhunderts. Diese Ansiedlungsstrategie, die auch weitgehend unabhängig von den Zufälligkeiten örtlicher Gönner und Stifter verfolgt wurde, 8 traf

che Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Christianisierung und Germanisierung des Wendenlandes, Berlin 1865, ND 1966; Norbert Backmund, Die Entwicklung der deutschen Prämonstratenserzirkarien, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 95 (1984), S. 215-222; Wilhelm Kohl, Die frühen Prämonstratenserklöster Nordwestdeutschlands im Spannungsfeld der großen Familien, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für foseph Fleckenstein, hrsg. von Lutz Fenske, Werner Rösener u. Thomas Zotz, Sigmaringen 1984, S. 393-414. H William A. Hinnebusch, The History of the Dominican Order. Origins and Growth to 1500, Staten Island (Ν. Y.) 1965; J. B. Freed, The Friars ... (wie Anm. 3), S. 26-32, 43—48; John R. Moorman, L'espansione francescana dal 1216-1226, in: Francesco d'Assisi e Francescanesimo dal 1216 al 1226. Atti del IVconvegno intern. Assist 1517 ott. 1976, Assisi 1977, S. 265-277; Rosalind B. Brooke, La prima espansione francescana in Europa, in: Espansione delfrancescanesimo tra Occidente e Oriente nelsecolo XIII. Atti del VIconvegno intern. Assisi 12-14 ott. 1978, Assisi 1979, S. 123-150; Alain Guerreau, Analyse factorielle et analyse statistique classique: le cas des ordres mendiants dans la France medievale, in: Annales E.S.C. 36 (1981), S. 869-912.

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im ostdeutschen Neusiedeiland auf eine Ausnahmesituation, in der Neugewinnung von Siedlungsland, Rodung, Vermehrung der Dörfer und Urbanisierung noch keineswegs zum Abschluß gelangt waren und die beschleunigten Angleichungsprozesse an den Westen erst einsetzten. Im Ergebnis trugen die Mendikanten dazu bei, Modernierungsdefizite zu überwinden: Bereits gegen Ende des 13- Jahrhunderts war das Netz der Niederlassungen der Dominikaner und Franziskaner grosso modo genauso eng gespannt wie im Westen des Reiches, in Nordfrankreich oder in Spanien. Hier wie auch anderswo intensivierten die Termineien, Außenstationen der Konvente für Predigt, Beichthören und Bettel, den Kontakt zur Bevölkerung und ermöglichten eine flächendeckende Aktivität. Als Institutionen, die zu Beginn des 13- Jahrhunderts entstanden waren, haben die Bettelorden am schnellsten die Gebiete östlich der Elbe in die abendländische Christenheit integriert und am besten die Abstände zu den weiter westlich und südlich liegenden Landschaften eingeebnet. Die Ansiedlung der Mendikanten im Gebiet zwischen Elbe und Oder war bereits am Ende des 13. Jahrhunderts zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Nur selten entstanden nachher noch neue Konvente, zum Beispiel das zur Kustodie Brandenburg gehörende Kloster in Jüterbog erst am Ende des Mittelalters im Zuge der Observanzbestrebungen im Orden. 9 Entgegen dem in der Forschung häufig postulierten Zusammenhang zwischen dem Grad der Entwicklung des Städtewesens und der Anwesenheit von Mendikantenkonventen 10 gilt es festzuhalten, daß die Orden auch in peripheren Gebieten, dort, wo sich Stadtbür-

B. Thiel, Die Franziskaner... (wie Anm. 2), S. 16. Jacques Le Goff, Apostolat mendiant et fait urbain dans la France ηιέάίέναΐβ. L 'implantation des ordres mendiants. Programme-questionnaire pour une enquete, in: Annales E.S.С. 23 (1968), S. 335-352; ders., Ordres mendiants et urbanisation dans la France medievale. Etat de l'enquete, in: Annales E.S.C. 25 (1970), S. 924-946; Micheline de Fontette, Villes mediävales et ordres mendiants, in: Revue historique de droit frangais et etrangerAl (1970), S. 390-407; Andre Vauchez, Les nouvelles orientations de l'histoire religieuse de la France medievale, in: Actes du 100e congres national des societes savantes, Paris 1975. Section de Philologie et d'histoire jusqu'en 1610, t. 1, Paris 1977, S. 96-112; Jean Claude Schmitt, Ой en est l'enquete „Ordres mendiants et urbanisation dans la France medievalё', in: Stellung und Wirksamkeit der Bettelorden in der städtischen Gesellschaft, hrsg. von Kaspar Elm (= Berliner Historische Studien 3; Ordensstudien 2), Berlin 1981, S. 13-18. 9

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gertum und Städtewesen erst entwickelten, möglichst schnell ihre Wirkung zu entfalten suchten. Gleichwohl gibt es auch im brandenburgischen Raum den engen Konnex von Stadt und Mendikantenniederlassung; hier stehen die Gründung von Bettelordenskonventen und die Herausbildung einer Urbanen Siedlung sogar zeitlich viel näher, sind beide auch faktisch sehr viel enger verknüpft, da neben den Pfarrkirchen und Hospitälern und in wenigen Städten den Domkirchen zunächst keine weiteren geistlichen Institutionen, insbesondere nicht die weiter im Westen und Süden anzutreffenden Kanonikerstifte und auch Benediktinerklöster existierten, die Bedeutung der Mendikanten hier also einen sehr viel höheren Stellenwert hatte. Die Bettelordensniederlassung war mehr als ein Kriterium für die Existenz einer städtischen Siedlung; sie hatte den Urbanisierungsvorgang häufig schon in der Frühphase gefördert und war nicht nur wie in den entwickelteren Städtelandschaften des Westens - lediglich Anreicherung der religiösen Ausstattung einer Stadt. In statu nascendi des Städtewesens hatten die Mendikanten das Netz der Niederlasssungen einzurichten. Im östlichen Elbegebiet trafen sich nicht nur zeitlich zwei Prozesse - Urbanisierung und Expansion der Mendikanten - , sie waren auch miteinander zu koordinieren. Da die Bettelorden sich in Siedlungen etablierten, deren urbane Entwicklung oft erst in den Anfängen steckte, war für sie die Entscheidung, wo Konvente gegründet werden sollten, besonders schwierig, mußten sie doch das künftige Entwicklungspotential der jeweiligen Stadt mit ins Kalkül ziehen, wollten sie nicht riskieren, in bevölkerungsarmen und verkehrsungünstig gelegenen Orten die Effizienz ihres seelsorgerischen Wirkens zu gefährden. Bezeichnend für das Gebiet östlich von Elbe und Saale ist die Tatsache, daß, entgegen der ansonsten üblichen Praxis, meist nicht die Bischofsstädte zu den ersten Zielen der Orden gehörten, daß einige unter ihnen sogar bis ans Ende des Mittelalters ohne Mendikantenniederlassung blieben. So hatten bis ca. 1300 Franziskaner und Dominikaner keine Konvente in Naumburg, Merseburg und Meißen, wohl aber in Leipzig, Freiberg, Zwickau und Plauen, auch nicht in Havelberg und Lebus, dagegen in Frankfurt, Prenzlau und Berlin gegründet. Im Neusiedeiland setzte sich ein anderer Typus von dominierendem städtischen Zentrum durch. Bischofsstädte - ohne die mitunter aus der Antike tradierte Fülle der Urbanen Funktionen, auch ohne die zentralörtliche Bedeutung als Residenz einer großen Landesherr-

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schaft 1 1 - traten den ersten Rang ab zugunsten von Städten, die durch landesherrliche Gründung und Förderung und dank ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einen schnellen Aufschwung nahmen. Sie zeichnen sich meist durch einen regelmäßigen Stadtgrundriß aus. Die Mendikantenkonvente sind auch hier Indikatoren für den „Bedeutungsüberhang" der Städte, 12 sie sind auch Indikatoren für Unterschiede in den Städtelandschaften, 13 vor allem aber zeigt sich hier, worauf es den einzelnen Orden ankam: nicht, wie mitunter in der Literatur behauptet, 14 das Bestreben, von den Bischofsstädten ausgehend, innerhalb des vorgegebenen Rahmens der Diözese zu wirken, sondern die Ausnutzung der zentralörtlichen Funktionen und der größeren Bevölkerungszahl einer Stadt zwecks einer bewußten Optimierung der Seelsorge. Im nachhinein erweist es sich, daß die Mendikanten bei der Anlage ihrer Konvente meist die richtige Wahl getroffen hatten: Die kümmerliche Existenz der Bischofsstadt Lebus, in der nie Bettelordenskonvente eingerichtet wurden, ist nur ein besonders krasses Beispiel. Freilich hat bei der Konventsgründung die Initiative der Landesherren, die im Elbe-Oder-Raum eine viel größere Bedeutung als sonst in Deutschland besaß, auch Abweichungen vom üblichen Schema bewirkt. Städte wie Strausberg, Seehausen, Gransee, in denen Bettelordensniederlassungen existierten, haben den Status von Kleinststädten nie überschritten. Bezeichnenderweise war in diesen Fällen die Wahl des Ortes Angelegenheit der Markgrafen, 15 während die Orden eine eher passive Rolle einnahmen. AnscheiVgl. Georg Wilhelm von Raumer, Die Unterordnung der Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus unter die Landesherrschaft der Kurfürsten von Brandenburg, in: Märkische Forschungen 1 (1841), S. 44-55. 1 2 Vgl. Franz Irsigler, Raumkonzepte in der historischen Forschung, in: Zwischen Gallia und Germania, Frankreich und Deutschland. Konstanz und Wandel raumbestimmender Kräfte. Vorträge auf dem 36. Deutschen Historikertag Trier 8.-12. Okt. 1986, hrsg. von Alfred Heit (= Trierer Historische Forschungen 12), Trier 1987, S. 1127; siehe auch die Beiträge in: Zentralität als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung, hrsg. von Emil Meynen (= Städteforschung, Reihe A. Darstellungen 8), Köln-Wien 1979. ^ Heinz Stoob, Forschungen zum Städtewesen in Europa, Bd. 1: Räume, Formen und Schichten der mitteleuropäischen Städte. Eine Aufsatzfolge, Köln 1970. So Martina Wehrli Johns, Geschichte des Züricher Predigerkonvents (12301524). Mendikantentum zwischen Kirche, Adel und Stadt, Zürich 1980, S. 8 f. 15 Allgemein siehe hierzu Peter Michael Hahn, Kirchenschutz und Landesherr11

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nend ließen sich hier die geistlichen Gemeinschaften bei der schwierigen Entscheidung, wo ein Konvent etabliert werden sollte und wie die zukünftige Entwicklung der Siedlung eingeschätzt werden könnte, stärker von den Vorstellungen der Stifter leiten, als dies in Gebieten mit stabilen und länger zurückreichenden Urbanen Strukturen der Fall war.

II Hinsichtlich der Bischofsstädte bildet Brandenburg an der Havel eine Ausnahme. Aber es ist bezeichnend für die recht frühe Niederlassung der Franziskaner, daß zunächst die Schenkung des Plebans im benachbarten Ziesar, der 1237 in den Gewändern des Minoritenordens verstarb, eine Niederlassung der Franziskaner dort ermöglichte.16 Erst einige Jahre später - zur Mitte des 13. Jahrhunderts wurde sie in die bedeutendere Bischofsstadt verlegt. Es war dies ein Vorgang, der ähnlich bei den Franziskanern im Westen und Süden Europas recht häufig zu beobachten ist: Die ersten Schritte zu einer festen Unterkunft erfolgten vor den Mauern der Städte, und in einer zweiten Phase, meist im Abstand von nur wenigen Jahren, fanden die Brüder eine feste Bleibe in der Stadt selbst, die ihnen bessere Wirkungsmöglichkeiten und nicht zuletzt besseren Schutz bot. 17 Das letztgenannte Motiv dürfte vielleicht auch bei der Übersiedlung in die Stadt Brandenburg eine Rolle gespielt haben - angesichts von

schaft im späten 15. Jahrhundert undfrühen 16. Jahrhundert, in: Jahrbuchfür die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28 (1979), S. 179-220, bes. S. 186 f. ^ Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, 41 Bde., Berlin 1838-1869, hier Hauptteil I, Bd. 10, Berlin 1856 (künftig CDBVIO Zilien, weitere Bände analog), S. 41, Nr. 1; Moritz Wilhelm Heffter, Regesten zur Geschichte Brandenburgs a.d. Η. 927-1297, in: Jahresbericht des historischen Vereins zu Brandenburg 2/3 (1872), S. 18-59, hier S. 49 f. 17 Jürgen Sydow, Kirchen- und spitalgeschichtliche Bemerkungen zum Problem der Stadterweiterung und Vorstadt, in: Stadterweiterung und Vorstadt. Protokoll der 6. Arbeitstagung des Arbeitskreisesfür südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Konstanz 10.-12. Nov. 1967, Stuttgart 1969, S. 107-111; Norbert Hecker, Bettelorden und Bürgertum. Konflikte und Kooperation in deutschen Städten des Spätmittelalters, Frankfurt a.M. usw. 1981, S. 55-67; Arno Herzig, Die Beziehungen derMinoriten zum Bürgertum im Mittelalter. Zur Kirchenpolitik der Städte im Zeitalter des Feudalismus,

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Auseinandersetzungen zwischen dem Erzbischof von Magdeburg und den Markgrafen zwischen 1238 und 1245. Den Status eines vollberechtigten Konventes erlangten die Brüder erst nach ihrer Etablierung in der Stadt Brandenburg, es dauerte aber noch geraume Zeit bis 1271 bis hier der Orden ein Provinzialkapitel der Saxonia abhielt. 18 Die Niederlassung der Franziskaner unmittelbar an der südwestlichen Ecke der Mauer der Altstadt, im Anschluß an ein durch handwerkliche und kaufmännische Aktivitäten gekennzeichnetes Viertel, nicht weit vom Markt und von der Brücke über die Havel zur Neustadt entfernt, ist nicht allein ein topographisches Indiz für die besonderen seelsorgerischen Intentionen, sie steht auch im Kontext der Bildung einer eigenständigen, von der Burg- bzw. Dominsel abgesonderten Urbanen Siedlung, die vermutlich zeitgleich mit der Anlage des Konvents eine geschlossene Ummauerung erhielt. Daß die Ansiedlung des Konventes mit der eventuellen Neugestaltung des Stadtgrundrisses zusammenhängt, dessen Straßen sich an der neuen Brückenverbindung über die Havel, die zu dieser Zeit geschaffen wurde, orientierten, ist wahrscheinlich. Zusammen mit dem Markt, mit dem Rathaus, mit der Pfarrkirche St. Gotthardt bildete die Niederlassung der Franziskaner einen zentralen Fixpunkt der von deutschen und niederländischen Einwanderern bewohnten Altstadt, die sich als Rechtsstadt und als vom Umland abgesonderter Bezirk, als Gemeinde, konstituierte.19 Die Lage des Minoritenkonvents weist wohl darauf hin, daß bereits bis zur Mitte des 13- Jahrhunderts auch der südwestliche Teil der Altstadt besiedelt war und die vorhandene Bebauung nur noch dicht an der Stadtmauer Platz für eine Klosterniederlassung ließ. Die Nähe des Konvents zur „Lanin: Die Alte Stadt. Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege в (1979), S. 35 f.; Bernhard E. J. Stüdeli, Mendikantenniederlassungen und mittelalterliche Stadt. Beiträge zur Bedeutung von Minoriten- und anderen Mendikantenanlagen im öffentlichen Leben der mittelalterlichen Stadtgemeinde, insbesondere der deutschen Schweiz (= Franziskanische Forschungen 21), Werl i. Westf. 1969, S. 68-79. 18 Das Bistum Brandenburg, Т. 1, bearb. von Gustav Abb u. Gottfried Wentz (= Germania Sacra 1,1,1), Berlin-Leipzig 1929. 1 9 Vgl. Winfried Schich, Stadtwerdung im Raum zwischen Elbe und Oder im Übergang von der slawischen zur deutschen Periode. Überlegungen zum Verhältnis von Recht, Wirtschaft und Topographie am Beispiel von Städten in der Mark Brandenburg, in: Germania Slavica I, hrsg. von Wolfgang Fritze (= Berliner Historische Studien 1), Berlin 1980, S. 191-238, hier S. 196-207.

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gen Brücke" erlaubte darüber hinaus günstige Kontaktmöglichkeiten auch zur Neustadt auf dem südlichen Havelufer. Die Dominikaner richteten gegen Ende des 13. Jahrhunderts gleichfalls einen Konvent in der Stadt Brandenburg ein. Dabei unterstützte sie Markgraf Otto V.: Nach Ausweis einer im 16. Jahrhundert angebrachten Inschrift habe dieser ihnen am 24. Februar 1286 seinen Hof in der Neustadt sowie eine Geldsumme übergeben. Im selben Jahr sei die Weihe einer Kirche erfolgt. Die Inschrift erwähnt auch, daß im Jahre 1311 der neustädtische Rat zur Erweiterung des Klosters Grundstücke geschenkt habe. 20 Diese Informationen scheinen zuverlässig zu sein. Jedoch gilt es, gegenüber den präzisen Datierungen vorsichtig zu sein. Es erscheint unwahrscheinlich, daß innerhalb eines Jahres nach Überlassung des Grundstückes der Bau der Kirche erfolgt sein soll. Wie für andere Städte21 kann auch für Brandenburg vermutet werden, daß die Brüder bereits seit einiger Zeit das Grundstück genutzt und dort Gebäude bewohnt hatten, bevor ihnen das volle Eigentum übertragen wurde. Möglich ist indes auch, daß sich die Inschrift auf die Weihe einer nur provisorischen Kapelle oder eines Altars im teilweise errichteten Chor bezieht. Zum Teil wird die Inschrift bestätigt durch eine im Jahre 1306 ausgestellte Urkunde, wonach der Rat dem Konvent erlaubt, auf dem durch Otto V. überlassenen Grund weitere Gebäude - auch solche, die er zur Vermietung an Dritte nutzen könne - zu errichten. 22 In dem von Bernard Gui im Jahre 1303 angefertigten Verzeichnis der Dominikanerkonvente ist Brandenburg aufgenommen. 23 Erst 1384 fand hier erstmals ein Provinzialkapitel statt. Das späte Datum läßt darauf schließen, daß der Konvent im Provinzverband eine eher untergeordnete Rolle spielte. 24 Das Kloster befand sich an der südlichen Mauer, die die Neustadt umgab, weniger verkehrgünstig als das der Franziskaner gelegen. 20 Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, bearb. von Hermann Krabbo u. Georg Winter, Leipzig-Berlin 1910/55 (künftig KW zitiert), Nr. 1399; Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Prov. Brandenburg 11,3), Berlin 1912, S. 96, 108. 2 1 Vgl. B.E.J. Stüdeli, Mendikantenniederlassungen... (wie Anm. 17). 22 CDB1/9, Berlin 1849, S. 7 Nr. 9. 2 3 Jacobus Quetif/Jacobus Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum, t. 1, Paris 1719, S. XI. 2 4 Zur Geschichte des Konventes vgl. Gottfried Müller, Die Dominikanerklöster der

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Beide Konvente lagen hinreichend voneinander entfernt, um der erstmals von Papst Clemens IV. 1265 erlassenen Verordnung über den Mindestabstand zwischen Mendikantenniederlassungen innerhalb einer Siedlung Genüge zu tun. 25 Beide lagen nahe an der Stadtmauer, eine Situation, die auch andernorts in der Mark zu beobachten ist. Brandenburg a.d.H. gehörte - neben Prenzlau - zu den wenigen Städten östlich der Elbe mit zwei Bettelordensniederlassungen. Dies ist gewiß ein Hinweis auf die Bedeutung der Stadt, ebenso zeigt sich daran aber auch der Dualismus der rechtlich voneinander unabhängigen Teile Alt- und Neustadt; eine ähnliche Positionierung der Konvente ist auch in der Doppelstadt Berlin-Cölln zu beobachten. Städte mit drei oder vier Mendikantenkonventen fehlen in der Mark Brandenburg wie auch insgesamt im ostdeutschen Neusiedelland Magdeburg mit Niederlassungen der Dominikaner, Franziskaner, Augustinereremiten und Karmeliter ist die am weitesten östlich gelegene Stadt mit vier Konventen. Die zwei Konvente nicht übersteigende Zahl ist ein Indiz für das Fehlen von großen, bevölkerungsreichen Urbanen Siedlungen mit bedeutender Zentralitätsfunktion - ein Indiz auch für das trotz vieler Ausgleichsprozesse weiterhin erkennbare Gefalle zu den weiter westlich und südlich gelegenen Regionen Europas.

III Die Mendikanten mit ihrem bewußten Konzept räumlicher Verteilung und Gliederung gestalteten die ordensinternen Circumscriptionen im Gebiet des östlichen Deutschland in engerer Anlehnung an politische Territorien, als dies im Westen des Reiches geschah oder gar möglich war. Dazu lud gewiß die großflächigere Herrschaftsbildung ein, die auf der Basis von Rodung und Kolonisation eher in der ehemaligen Ordensnation „Mark Brandenburg1, Berlin-Charlottenburg 1914, S. 117125; G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 18), S. 393-401; Fritz Bünger, Zur Mystik und Geschichte der märkischen Dominikaner, Berlin 1926, S. 95-105. 25 Adolar Zumkeller, Urkunden und Regesten zur Geschichte der Augustinerklöster Würzburg und Münnerstadt von den Anfängen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 18), Würzburg I960, Nr. 39, S. 69; Testamentum privilegii cannarum minoribus etpraedicatoribus concessi, in: Analecta Augustiniana 4 (1911/12), S. 249 ff.

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Lage war, konkurrierende kleinere Herrschaftsträger zur Seite zu drängen. Bei den Franziskanern war die innerhalb der Provinz Saxonia eingerichtete Kustodie Brandenburg zwar nie deckungsgleich mit der Markgrafschaft - der Konvent Cottbus gehörte zur Kustodie Meißen und die Konvente Prenzlau, Angermünde, Arnswalde zur Stettiner Kustodie, aber mit Brandenburg, Berlin, Stendal, Frankfurt, Salzwedel, Kyritz und Gransee bildeten die Kernlande der brandenburgischen Kurfürsten und des Hochstifts Brandenburg eine eigene Verfassungseinheit innerhalb des Ordens. 26 Deutlicher noch zeichnen sich bei den Dominikanern die Übereinstimmungen zwischen ordensinterner Grenzziehung und politischem Territorium ab: Die Provinz Saxonia wurde auf dem Kapitel in Seehausen 1308 in acht nationes aufgeteilt, worunter die natio Brandenburg ausnahmslos alle in der Markgrafschaft gelegenen Konvente umfaßte. 27 Der Zusammenhalt der brandenburgischen Lande wurde sicherlich von diesen Territorialeinheiten der Dominikaner und Franziskaner gefördert. Die Markgrafen waren an der territorialen Ausgestaltung der internen Ordensinstitutionen interessiert und suchten sie ihren politischen Intentionen anzupassen. Dies zeigen die Auseinandersetzungen um die Provinzzugehörigkeit des Dominikanerklosters in Prenzlau. Markgraf Johann I. hatte in den sechziger Jahren des 13- Jahrhunderts wiederholt an das Ggneralkapitel der Dominikaner geschrieben, um seine Bitte nach Errichtung eines Konventes in Prenzlau vorzutragen. Es galt, den Bestrebungen polnischer Ordensbrüder zuvorzukommen, die unter Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Diözese Kammin und auf die ursprüngliche Besiedlung durch slawische Stämme die Stadt und das gesamte Gebiet der Provinz Polonia eingliedern wollten. Johann erklärte, nur ein Konvent, der der Teutonia angehöre, sei für ihn akzeptabel, insbesondere da er fürchte, daß eine Angliederung an die polnische Provinz gegen ihn gerichtete

N. Nagel, Das Franziskanerkloster... (wie Anm. 2); Patricius Schlager, Verzeichnis der Klöster der sächsischen Franziskanerprovinz, in: Franziskanische Studien 1 (1914), S. 230-242. 27 Paulus von Loe, Statistisches über die Ordensprovinz Teutonia (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Dominikaner in Deutschland 1), Leipzig 1907, S. 36; G. Müller, Die Dominikanerklöster... (wie Anm. 24); F. Bünger, Zur Mystik ... (wie Anm. 24), S. 134 f.

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politische Ansprüche nach sich ziehen könnte. 28 Die Frage, die schließlich zugunsten der Vorstellungen Johanns geregelt wurde, war in der Tat um so brisanter, als die Herzöge von Pommern die Stadt Prenzlau im Jahre 1234 gegründet hatten und die Uckermark erst einige Jahre vor der Initiative des Markgrafen (1250) den pommerschen Herrschern, die die Lehnsoberhoheit des polnischen Königs akzeptiert hatten, entrissen worden und als Reichslehen den Markgrafen übertragen worden war.29 Strausberg gehörte bereits der deutschen Provinz an, Greifswald weiter nördlich dagegen der polnischen. Die Initiative von Markgraf Johann II., den in Pasewalk, im pommerschen Teil der Uckermark gelegenen Dominikanerkonvent der Teutonia einzugliedern, wurde von den Ordensoberen abgelehnt. Zur Kompensation verfügten sie die definitive Zugehörigkeit von Prenzlau wie auch des neumärkischen Soldin zur deutschen Ordensprovinz.30 Kurz darauf scheiterte erneut der Versuch, Pasewalk von der polnischen Provinz zu lösen; eine Initiative, beschlossen auf dem Generalkapitel der Dominikaner des Jahres 1279, stieß auf heftigen Widerstand, der verhinderte, daß sie von den beiden folgenden Generalversammlungen bestätigt und damit rechtswirksam gemacht wurde.31 Das Engagement der brandenburgischen Markgrafen für die Dominikaner beschränkte sich nicht auf die territoriale Ausgestaltung ihrer Ordensinstitutionen, auch in anderen Bereichen waren sie ihnen, wie bereits vorher erwähnt, eng verbunden. Es war der Prior der deutschen Dominikanerprovinz, neben dem Abt von Lehnin, der sich bei Papst Alexander IV. für Markgraf Johann I. einsetzte, um einen Dispens für dessen Ehe mit einer Tochter Herzog Albrechts I.

28 Ungedruckte Dominikanerbriefe des 13- Jahrhunderts, hrsg. von Heinrich Finke, Paderborn 1891, Nr. 15, S. 59; siehe auch das ausweichende Antwortschreiben, das von heftigen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und polnischen Ordensangehörigen berichtet; a.a.O., Nr. 16, S. 60 f.; Regest bei: KW, Nr. 893 f. 2 9 Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1961, S. 141 ff. 30 Ungedruckte Briefe... (wie Anm. 28), Nr. 63-66, S. 91-94. 31 Acta capitulorum generalium ordinis Praedicatorum, hrsg. von Benedictus Maria Reichert, t. 1 (= Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum Historica 3), Rom 1898, S. 202, 206, 212 f., 216; vgl. J. B. Freed, The Friars... (wie Anm. 3), S. 70 ff.; ders., The Friars and the Delineation of State Boundaries in the 13?h Century, in: Order and Innovation in the Middle Ages. Essays in Honor to Joseph R. Strayer, Princeton 1976, S. 31-40, hier S. 33 ff.

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von Sachsen zu erhalten; die beiden Geistlichen wurden dann auch von der Kurie mit der Erteilung des Dispenses beauftragt.32 Johanns Bruder Otto förderte in den fünfziger Jahren die Gründung zweier Dominikanerklöster: in Seehausen in der Altmark und in Strausberg. 33 Besonders den Konvent in Seehausen bedachte er auch nach seiner Gründung weiterhin mit Schenkungen, die einen Umzug in ein günstiger gelegenes Klostergebäude ermöglichten; außerdem stellte er ihnen Geld zur Anschaffung von Büchern zur Verfügung.34 Die beiden Markgrafen Otto und Johann zogen auch einen Dominikaner als Zeugen hinzu, als sie im Jahre 1258 die Lande unter sich aufteilten.35 Die gegenüber den Predigerbrüdern gezeigte Devotion war auch unter dem Gefolge der beiden Markgrafen verbreitet: einige traten selbst in den Orden ein, andere förderten ihn durch Gaben, viele leisteten in deren Kirche Gebete und Bußübungen, hörten ihre Predigten 3 6 Als Otto III. am 9. Oktober 1267 in der Stadt Brandenburg starb, waren Predigerbrüder an seinem Sterbebett; bestattet wurde er gemäß seinem Wunsch im Chor des Dominikanerklosters Strausberg.37 Sein Sohn Otto V. der Lange erwies sich ebenfalls als eifriger Förderer des Ordens. Er stellte den Brüdern in der Stadt Brandenburg vermutlich im Jahre 1286 seinen Hof zur Verfügung, vermachte ihnen Geld und ermöglichte so die Einrichtung eines Konventes.38 Auch die Franziskaner erhielten von Otto III. Vergünstigungen. Die Konvente in Görlitz und in Bautzen, bereits in den dreißiger Jahren gegründet, sind von ihm gefördert worden 3 9 Sein Beichtvater

32 CDBWl, Berlin 1843, S. 43 Nr. 64; EpistolaesaeculiXIIIeregestispontißcumRomanorum, t. 3, hrsg. von Georg H. Pertz (MGH Epp.), Nr. 399, S. 358; KW, Nr. 782. 33 Chronica principum Saxoniae et monumenta Brandenburgensia, hrsg. von Oswald Holder-Egger, in: MGH SS 25, Hannover 1880, S. 468-486, hier S. 479; CDB1/4, Berlin 1844, S. 281 Nr. 1; KW, Nr. 773, 784; vgl. W. Zahn, Die Geschichte des Dominikanerklosters in Seehausen, in: Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte zu Salzwedel 37 (1910), S. 80-8934 Chronica principum Saxoniae ampliata, hrsg. von Oswald Holder-Egger, in: MGH SS Ъ0, Hannover 1896, S. 27-34, hier S. 34. 35 Chronica principum Saxoniae ... (wie Anm. 33), S. 478 f.; KW, Nr. 824. 36 Chronica principum Saxoniae ampliata... (wie Anm. 34), S. 34; KW, Nr. 837. 37 Chronica principum Saxoniae ... (wie Anm. 33), S. 479 f.; KW, Nr. 946. 3 8 Siehe oben Anm. 20. 39 CDB 1/25, Berlin 1863, S. 171 f. Nr. 8; KW, Nr. 627, 667, 734, 946.

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war der Lektor im Franziskanerkloster Berlin Heinrich von Langete. 40 Die Markgrafen zogen auch Minoriten als Zeugen für Beurkundungen heran. 41 Es war im Franziskanerkloster in der Stadt Brandenburg, wo Markgraf Woldemar kurz vor seinem Tode eine Versammlung der märkischen Städte abhielt. 42 Dies änderte aber nichts an der besonderen Zuneigung der brandenburgischen Herrscher zu den Dominikanern, was unter anderem zur Folge hatte, daß sie in der Mark besonders zahlreich mit Konventen vertreten waren, so zahlreich, daß seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts ein quantitativer Unterschied zu dem üblicherweise mit sehr viel mehr Niederlassungen vertretenen Minoritenorden nicht festgestellt werden kann. Es ist dies eine Besonderheit, wie sie ansonsten nur in einigen Regionen des Königreiches Polen zu beobachten ist.43 Die Gründung eines weiteren Dominikanerkonventes in Neuruppin zeigt das Engagement einer kleinen Landesherrschaft, die sich neben der der Markgrafen für eine gewisse Zeit behaupten konnte. Die Initiative der Grafen Gebhard von Arnstein und seines Bruders Wichmann, der selbst dem Orden beitrat, war entscheidend für die frühe Niederlassung 44 Erst nach Abschluß der expansiven Phase der beiden Orden veränderten sich die Beziehungen zu den Markgrafen. Die Herrscher aus dem Haus Wittelsbach waren besonders den Franziskanern verbunden. In der Berliner Minoritenkirche waren die Frauen Ludwigs des Älteren und Ludwigs des Römers bestattet. Vielleicht war auch letzterer in ihrer Kirche beigesetzt. Dem Kloster wurden wichtige 40

B. Thiel, Die Franziskaner... (wie Anm. 2), S. 36, 50. CDB1/25, S. 171 Nr. 8. 42 CDB II/1, S. 463. 43 Jerzy Kloczowski, Zakon Braci Kaznodziejow w Polsce 1222-1972. Zarys dziejowi= L'ordre des freres Precheurs en Pologne 1222-1972. Precis d'histoire), in: Studio nadhistoric} dominikanow wPolsce 1222-1972, hrsg. von dems., Bd. 1, Warschau 1975, S. 19-158; siehe auch ders ., Les ordres mendiants en Europe de centre-est et du nord, in: L 'Eglise et le peuple ehret ten dans les pays de l'Europe du centre-est et du nord (14е- 15еsiecles). Actes du colloque Rome 27-29Janvier 1986(= Collection de l'Ecole Fra^aise de Rome 128), Rom 1990, S. 187-200. 44 CDB 1/4, S. 281 Nr. 1; F. Bünger, Zur Mystik... (wie Anm. 24), S. 43 ff.; G. Müller, Die Dominikanerklöster... (wie Anm. 24), S. 21-24; Das Bistum Havelberg, bearb. von Gottfried Wentz (= Germania Sacra I, 2), Berlin 1933, S. 350-360; siehe auch Gerd Heinrich, Die Grafen von Arnstein (= Mitteldeutsche Forschungen 21), Köln 1961, S. 245 ff. 41

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Urkunden zur Aufbewahrung anvertraut, dort fanden Land- und Hoftage statt - eine Tradition, die auch von den Hohenzollern fortgesetzt wurde. Die Dominikaner dagegen, der päpstlichen Kurie in ihrem Kampf gegen die Wittelsbacher enger verbunden, büßten ihren Einfluß bei den Markgrafen ein. Erst am Ende des Mittelalters gelang es wiederum den Dominikanern, die besondere Gunst der Markgrafen aus dem Hause der Hohenzollern zu gewinnen. Dabei zeigt sich sowohl bei den Predigern wie bei den Minoriten die immer größere Bedeutung von Berlin/Cölln, das als kurfürstliche Residenz die zentralörtliche Funktion stärken konnte und auch für die beiden Bettelorden attraktiver wurde - auch als Stätte für Wissenschaft und Ausbildung.45

IV Die Mendikanten leisteten schon zu Anfang ihrer Tätigkeit im Elbe-Oder-Raum einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Bildung und Wissenschaften in der Region. Das durch die Orden installierte Studiensystem hatte sich zwar, wie die überlieferten Kapitelsbeschlüsse berichten, mit zahlreichen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, es fehlte insbesondere an geeigneten Brüdern, die als Lehrende in den Konventen und den ordensinternen Studienanstalten eingesetzt werden konnten. Dank des Insistierens der Ordensleitung der Franziskaner, die 1228 darüber klagte, daß in der gesamten deutschen Provinz kein Lektor vorhanden sei, entwickelte sich seit den dreißiger Jahren ein florierendes Konventsstudium in Magdeburg. Bartholomäus Anglicus, der als Lektor am Pariser Generalstudium

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Karl-Heinz Ahrens, Bemerkungen zur Mittelpunktsfunktion Berlins und Tangermündes im 14. und 15. Jahrhundert, in: Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage, hrsg. von Peter Johanek (= Residenzenforschung 1), Sigmaringen 1990, S. 148184, bes. S. 133 f.; Gerard Achten, Die theologischen lateinischen Handschriften in Quarto der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Wiesbaden 1984; Karl Colberg, Art. Döring, Matthias, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., neu bearb. Aufl., Bd. 2, Berlin-New York 1978, Sp, 207-210; Volker Honemann, Art. Kannemann, Johannes, in: a.a.O., Bd. 4, Berlin-New York 1983, Sp. 983986; Dietrich Kurze, Die Kirche, in: Bürger, Bauer, Edelmann. Berlin im Mittelalter. Katalog der Ausstellung Berlin 1987, Berlin 1987, S. 130-162, bes. S. 153-157.

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gewirkt hatte, wurde 1231 dem Magdeburger Konvent zugewiesen* 6 und wirkte dort bis zu seinem Tod vermutlich kurz vor 1250. Bekannt ist sein literarisches Werk: Sein kurz nach 1235 geschriebenes Buch Deproprietatibus rerum gehörte zu den am weitesten verbreiteten enzyklopädischen Schriften des Mittelalters und war neben dem Werk des Dominikaners Vinzenz von Beauvais für die Vermittlung grundlegenden Wissens ein Standardwerk. Es sollte, wie Bartholomäus schrieb, zu einem vertieften Verständnis der in der Heiligen Schrift genannten Begriffe und Realien dienen, vermittelte aber stärker noch als das Opus von Vinzenz zeitgenössische, auf Erfahrung basierende Kenntnisse, insbesondere im Abschnitt zum geographischen und naturkundlichen Wissen.47 Über die Lehrtätigkeit von Bartholomäus sind wir wenig unterrichtet; gesichert ist der große Einfluß und Einzugsbereich des Magdeburger Konventsstudiums innerhalb Deutschlands, und damit auch ganz gewiß für die brandenburgischen Konvente der Franziskaner. Nachfolger von Bartholomäus Anglicus im Lehramt wurde Helwicus, der aber nur kurze Zeit in Magdeburg blieb, bevor er in Erfurt lehrte. Er ist Verfasser eines ebenfalls weit verbreiteten Werkes zur lehrmäßigen Aufbereitung und zum Repetieren der Sentenzenkommentare des Petrus Lombardus. Außerdem schrieb er einen von Hugo von St. Viktor und Bonaventura beeinflußten Prosatext, der die Wohltaten Gottes verherrlichte. 48 Zur selben Zeit wirkte in Magdeburg Heinrich von Merseburg als Lektor, der als Autor kanonistischer Studien bekannt ist. Unter anderem schrieb er eine Summe zu den Dekretalen Gregors I X 4 9 Sein Mitbruder und Nachfolger, Balduin von Brandenburg, verfaßte eine Chronica fratrisJordanis... (wie Anm. 1), S. 47 f. Bartholomaeus Anglicus, Deproprietate rerum, Frankfurt a.M. 1601; Michael Seymour, Bartholomaeus Anglicus and his Encyclopedia, Aldershot 1992. 4 8 Ferdinand Doelle, Beiträge zum Studium und zur wissenschaftlichen Tätigkeit der Franziskaner zu Erfurt, Τ. 1: Von der Gründung des Klosters bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der sächsischen Franziskanerprovinz vom Hl. Kreuze 1 (1908), S. 65-86. 4 9 Ferdinand Doelle, Die Rechtsstudien der deutschen Franziskaner im Mittelalter und ihre Bedeutung für die Rechtsentivicklung der Gegenwart, in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Suppl.-Bd. 3 (1935), S. 10371064; Winfried Trusen, Forum internum und gelehrtes Recht im Spätmittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 88 (1971), S. 83-126. 46

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kirchenrechtliche Summa titulorum, ein wegen des Einflusses der kanonistischen Arbeiten des Johannes von Erfurt nur wenig verbreitetes Werk. Balduin hat vermutlich auf Anweisung des Provinzialministers der Saxonia im Jahre 1262 die Chronik Jordans von Giano redigiert. Über sein Leben gibt es nur wenige eindeutige Quellenaussagen. Das wenige, was wir von ihm wissen, beschränkt sich auf die oft widersprüchlichen Aussagen in seinen Werken. Daß er tatsächlich vor dem Eintritt in den Minoritenorden Weltpriester in der Stadt Brandenburg war, wird von der Forschung inzwischen verworfen. 50 Insgesamt zeichnen sich die Werke der in Magdeburg tätigen Franziskaner durch primär didaktische Intentionen aus. Die schulmäßige Aufbereitung von Texten und die Vermittlung von grundlegendem Wissen standen im Vordergrund, nicht das Streben nach originellen theologischen oder kanonistischen Problemlösungen. Meist setzten die Lehrenden ihre Karriere, nach oft nur wenigen Jahren des Wirkens in Magdeburg, in Erfurt fort. Die herausragende Bedeutung des Franziskanerstudiums in Magdeburg noch in der ersten Hälfte des 13- Jahrhunderts ging in der folgenden Zeit zugunsten des Generalstudiums in Erfurt zurück. 51 Die wichtigste Ausbildungsstätte für den Orden in der Provinz Saxonia befand sich damit nicht mehr im ElbeSaale-Gebiet; in den Konventen innerhalb der Mark Brandenburg entwickelte sich kein reges wissenschaftliches Leben, entstanden keine auch auswärtige Brüder anziehenden Konventsstudien. Eine der Magdeburger Konventsschule vergleichbare Einrichtung hat es bei den anderen Bettelorden im Elbe-Oder-Raum nicht gegeben. Für sie war von Anfang an Erfurt der Sitz der jeweiligen Generalstudien für die Brüder aus dem östlichen Deutschland. 52 Insbe50

Heinrich Denifle, Zur Quellenkunde der Franziskanergeschicbte. Balduin von Braunschweig (Brandenburg), in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 1 (1885), S. 630-640; T. Teetaert, Baudouin de Brandebourg, in: Dictionnaire de droit canonique, hrsg. von Raoul Naz, t. 2, Paris 1937, Sp. 263-266. 51 Dieter Berg, Armut und Wissenschaft. Beiträge zur Geschichte des Studienwesens der Bettelorden im 13• Jahrhundert (= Geschichte und Gesellschaft. Bochumer Historische Studien 15), Düsseldorf 1977, S. 114 f.; Jerzy Kloczowski, Panorama geografico, cronologico e statistico sulla distribuzione degli Studia degli ordini mendicanti: Europa centro-orientale, in: Le scuole degli mendicanti (secoli XIII-XIV). Convegni del Centro di Studi sulla Spiritualitä medievale 17, 11-14 Ott. 1976, Todi 1978, S. 127-145, hier S. 142 ff. 52 Vgl. F.B. Lickteig, The German Carmelites... (wie Anm. 5), S. 207-215, 318-322, 493-498; Erich Kleineidam, Universitas studii Erffordensis. Überblick über die Ge-

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sondere die Augustinereremiten konzentrierten Lehre und Wissenschaft auf den thüringischen Konvent. Heinrich von Friemar d. Ä., von 1315 bis 1318 Provinzial der sächsischen Provinz, der außer in Erfurt in Paris und Bologna dozierte, ist die wohl bedeutendste Persönlichkeit, bekannt als Autor weit verbreiteter philosophischer Werke in der Tradition der Aristotelesrezeption.53 Daß für den Dominikanerorden das Gebiet der Saxonia bereits in der Frühphase seiner Geschichte einen herausragenden Platz einnahm, davon zeugen Jordan von Sachsen, Nachfolger von Dominikus in der Leitung des Gesamtordens, 54 Dietrich von Apolda, Verfasser zweier Lebensbeschreibungen von Elisabeth von Thüringen und einer Vita von Dominikus sowie Betreuer der Mystikerin Gertrud von Helfta.55 Zu nennen sind Hermann von Havelberg, der um 1268 Leiter des Kölner Konvents wurde, der bekannte Philosoph Dietrich von Freiberg56 und schließlich Meister Eckehard. 57 Bei allen hier

schichte der Universität Erfurt, 4 Bde. (= Erfurter Theologische Studien 14, 22, 42, 47), Leipzig 1964-1983, Bd. 1, S. 3-40; Sönke Lorenz, Studium Generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13• und 14. Jahrhundert (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 34), Stuttgart 1989; Monika Asztalos, The Faculty of Theology, in: A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, hrsg. von Hilde de Ridder-Symoens, Cambrigde 1992, S. 409-441, hier S. 417. 53 Clemens Stroick, Heinrich von Friemar. Leben, Werke, philosophisch-theologische Stellung in der Scholastik, Freiburg i.Br. 1954; Adalbero Kunzelmann, Geschichte der deutschen Augustinereremiten (= Cassiciacum 26), Τ. 1, Würzburg 1969, S. 201-205; T. 5, Würzburg 1974, S. 13-25. 54 D. Berg, Armut... (wie Anm. 51), S. 11 ff.; Raoul Manselli, Imperator homo est. A proposito di un giudizio su Frederico II, in: Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf hrsg. von Hubert Mordek, Sigmaringen 1983, S. 309-314; Isnard Frank, Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens, Stuttgart 1988, S. 14 f., 309 ff. 55 Matthias Werner, Die Elisabeth-Vita des Dietrich von Apolda als Beispiel spätmittelalterlicher Hagiographie, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hrsg. von Hans Patze (= Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 523-554. ^ An neuerer Literatur siehe Loris Sturlese, Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk Dietrichs von Freiberg, Hamburg 1984; Kurt Flasch, Von Dietrich zu Albert, in.· Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 32 (1985), S. 7-26. 57 An neuerer Literatur siehe u.a. Kurt Ruh, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker Von der Eigenart christlicher Mystik. Meister Eckhart als Maßstab, in: Theologische Zeitschrift 45 (1989) (= Festschrift für Martin Anton Schmidt), S. 175-191.

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genannten Personen gilt aber, daß ihre Lehrtätigkeit und ihr wissenschaftliches Arbeiten wie auch die Ausübung übergeordneter Leitungsfunktionen außerhalb ihrer Heimatregion stattfanden. Anders ist dies bei dem wohl bekanntesten Dominikaner der Mark Brandenburg, bei Wichmann von Arnstein. Dieser, ein entfernter Verwandter des staufischen und des welfischen Herrscherhauses, zunächst Prämonstratenser in Magdeburg, 1221 zum Bischof von Brandenburg gewählt, unterstützte in dieser Stellung die Dominikaner bei ihrer Niederlassung in Magdeburg und trat im Jahre 1230 selbst in den Orden ein. Er war Prior der Konvente in Eisenach und Erfurt und gründete zusammen mit seinem Bruder den Konvent in Neuruppin. Seine erhaltenen Briefe weisen ihn als einen Anreger und Ansprechpartner religiöser Frauen aus, unter anderen der Gräfin von Öttingen und ihrer Töchter im Zisterzienserinnenkloster Zimmern bei Nördlingen. Seine in der Tradition Bernhards von Clairvaux stehende Liebesmystik - sie verzichtet auf Spekulationen und philosophisch fundierte Ausführungen - gründet sich auf Bibel und Schriften der frühen Kirchenväter. Einflüsse und Beziehungen zum Kreis der mitteldeutschen Mystikerinnen, zu Mechtild von Magdeburg, Gertrud von Helfta und Mechtild von Hackeborn, sind wahrscheinlich,58 schließlich waren es Dominikaner, die als geistliche Leiter der Zisterzienserinnen von Helfta zu ihnen regen Kontakt hatten, unter ihnen besonders Heinrich von Halle, der 1260 Lektor im Neuruppiner Predigerkloster wurde. 59 Trotz der hier erkennbaren Verbindungen zwischen Dominikanern und dem weiblichen Religiosentum entstanden im Elbe-Oder-Raum keine Dominikanerinnenklöster, und bis auf ein 1460 gegründetes 58 Zu Wichmann von Arnstein siehe M. A. van den Oudenrijn, Miracula quaedam et collationes fratris Wicbmanni, in: Analecta Ordinis Fratrum Praedicatorum 16 (1924), S. 396 ff., 446 ff., 504 ff.; F. Bünger, Zur Mystik... (wie Anm. 24), S. 1-35; Wilhelm Oehl, Deutsche Mystikerbriefe des Mittelalters, o.O. 1931, S. 208-215. 59 Rolf Hünicken, Studien über Heinrich von Halle, in: Thüringisch-Sächsische Zeitschrift für Geschichte 23 (1935), S. 102-117; Hans Neumann, Beiträge zur Textgescbichte des „Fließenden Lichts der Gottheit" und zur Lebensgeschichte Mechtilds von Magdeburg, Göttingen 1954; ders., Mechtild von Magdeburg und die niederländische Frauenmystik, in: Medieval German Studies, presented to F. Norman, London 1965, S. 231-246; ders., Art. Mechtild von Magdeburg, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., neu bearb. Aufl., Bd. 6, Berlin-New York 1987, Sp. 261-270; Alois Maria Haas, Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik, Freiburg i.Br. 1979, S. 67-135; ders., Mechtild von Hackeborn. Eine Form zi-

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Klarissenkloster in Stendal gab es auch sonst keine Frauenkonvente, die einem Mendikantenorden rechtlich verbunden waren. 60 Das fast vollständige Fehlen von Franziskanerinnen und Dominikanerinnen ist eine Besonderheit der brandenburgischen Kirchengeschichte und unterscheidet sich so deutlich von der Situation im Westen und Süden des Reiches - man denke etwa an Straßburg oder Prag - , daß eine Erklärung, die auf den Widerstand der Orden gegen die cura monalium hinweist, nicht ausreicht.61 Auch die Tatsache, daß der Kardinal Hugo von St. Cher, der auf seinen Legationsreisen den Widerstand so vieler Dominikanerkonvente gegen die Pflichten zur Seelsorge weiblicher Religiösen brach, den Osten Deutschlands nicht besuchte, vermag als Begründung nicht zu genügen. Daß in Brandenburg und in den umliegenden Landschaften das Semi-Religiosentum, oft ein Rekrutierungsfeld für die weiblichen Ordenszweige der Mendikanten, weniger verbreitet war, könnte eine Erklärung sein. Allerdings haben neuere Forschungen gezeigt, daß auch außerhalb der bislang angenommenen Zentren des Beginenwesens in den Rheinlanden einzeln und gemeinschaftlich lebende weibliche Religiose häufig anzutreffen waren. 62 Am Ende des Vortrages bleibt also

sterziensischer Frauenfrömmigkeit, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit, Ergänzungsband, hrsg. von Kaspar Elm (= Schriften des Rheinischen Museumsamtes 18), Köln 1982, S. 221-239; Peter Dinzelbacher, Vision und Visionsliteratur (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 23), Stuttgart 1981, S. 19 ff., 38, 115-126, 157-160, 191; Margot Schmidt, Elemente der Schau bei Mechtild von Magdeburg undMechtild von Hackeborn. Zur Bedeutung der geistlichen Sinne, in: Frauenmystik im Mittelalter, hrsg. von Peter Dinzelbacher u. Dieter R. Bauer, Ostfildern 1985, S. 123-151. 6 0 Vgl. Eberhard Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniem (11341320) (= Mitteldeutsche Forschungen 71), Köln 1973, S. 101 f., 169 f. 6 1 Herbert Grundmann, Religiöse Beilegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13- Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, 1935, ND Darmstadt 1970, S. 142-155, 208-284; Otmar Decker, Die Stellung des Predigerordens zu den Dominikanerinnen (1207-1267) (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Dominikaner in Deutschland 31), Vechta 1935; Kaspar Elm, Die Stellung der Frau in Ordenswesen, Semireligiosentum und Häresie zur Zeit der hl. Elisabeth, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentation und Katalog zur Ausstellung zum 750. Todesjahr der hl. Elisabeth, Marburg 19. Nov. 1981- 6. Jan. 1982, Sigmaringen 1981, S. 7-28. Brigitte Hotz, Beginen und willige Arme im spätmittelalterlichen Hildesheim

Die Bettelorden und ihre Niederlassungen

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nichts anderes übrig, als die Frage nach den Gründen für diese weitere Besonderheit der mendikantischen Existenz in Brandenburg offenzulassen. Es ist eine Frage, die wohl nur im Zusammenhang einer umfassenden und ordensübergreifenden Untersuchung des weiblichen Religiosentums in dieser Region beantwortet werden kann. Dies freilich wäre ein neues Thema und mit Sicherheit „ein weites Feld".

(= Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim 17), Hildesheim 1988.

Schulen in der mittelalterlichen Stadt Brandenburg DIETRICH KURZE Berlin

Die Altmeisterin der europäischen Stadtgeschichtsforschung, Edith Ennen, hat in einem ihrer Aufsätze unter universalgeschichtlicher Perspektive festgestellt, „in der Entstehung der Stadt selbst ist es begründet, daß Stadt und Schule von ihren Ursprüngen her aufeinander bezogen und miteinander verknüpft sind", weil sie sich als ein zugleich siedlungsmäßiger und soziologischer Prozeß vollzog.1 Wenn sich Frau Ennen auch im weiteren bei der Applikation ihrer These auf die mittelalterliche Stadt nach meiner Einschätzung zu stark an Fritz Rörig anlehnte und zu prononciert auf die seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Flandern und seit der Mitte des 13· Jahrhunderts auch in Deutschland (Lübeck!) zu beobachtenden Schulkämpfe zwischen den Stiften und dem städtischen Patriziat hinwies, 2 so bleibt ihre Grunderkenntnis doch gültig und mag rechtfertigen, im Rahmen von Studien über die Entstehung und Entwick-

1 Edith Ennen, Stadt und Schule in ihrem wechselseitigen Verhältnis, vornehmlich im Mittelalter, zuerst in: Rheinische Vierteljahrsblätter 22 (1957), S. 56-71; Wiederabdruck in: Die Stadt des Mittelalters, hrsg. von Carl Haase, Bd. 3 (= Wege der Forschung 245), Darmstadt 1973, S. 455-479, 3. Aufl., 1984, S. 463-472; und mit einem bibliographischen Nachtrag in: Edith Ennen, Gesammelte Abhandlungen zum europäischen Städtewesen und zur rheinischen Geschichte [1], Bonn 1977, S. 154-168 (Zitat S. 154).

A.a.O., S. 159 f.; vgl. Fritz Rörig, Mittelalter und Schriftlichkeit, in: Die Welt als Geschichte 13 (1953), S. 29-41. Zur Kritik an Rörigs Thesen jetzt mit kräftigem Pendelausschlag Stuart Jenks, Werkzeug des spätmittelalterlichen Kaufmanns: Hansen und Engländer im Wandel von memoria zur Akte, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52 (1992), S. 283-319. 2

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lung der Stadt Brandenburg auch einen Annäherungsversuch an das Thema „Schulen" im mittelalterlichen Brandenburg zu wagen. Ein Wagnis ist es vornehmlich wegen der Quellenarmut, denn, gemessen an der Überlieferungsdichte anderer Städte und Landschaften im deutschen Sprachbereich, die in den letzten Jahren zu erheblichem Erkenntnisgewinn für den Komplex „Stadt, Schule und Bildung" im Mittelalter geführt hat, ja selbst im Vergleich mit der schulgeschichtlichen Tradition mancher märkischer Ortschaften ist das für Brandenburg zur Verfügung stehende Material besonders spröde und karg.3 Erst mit dem Neuaufbau eines bewußt evangelisch-protestantischen Schulwesens setzt eine dichtere, auch reflektierende und zur Reflexion einladende, historiographisch zu verwertende Tradition ein. Zu denken wäre - abgesehen von den Schulordnungen 4 - besonders an die am Andreastag des Jahres 1570 durch den Superintendenten an der (Neustädter) Katharinenkirche Doctorem Johannem Garcaeum gehaltene und 1571 in Wittenberg gedruckte Rede zur Einweihung 3

Eine von E. Ennen, Stadt... (wie Anm. 1), nicht genutzte, gleichwohl hilfreiche Zusammenfassung der älteren Forschung bietet Eva Hesselbach, Die „deutsche" Schule im Mittelalter, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 10 (1920), S. 1-56. Aus der nach E. Ennen (1977) erschienenen Literatur seien nur herausgehoben: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter, hrsg. von Josef Fleckenstein u. Karl Stackmann (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., F. 3, Nr. 121), Göttingen 1980; Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und derfrühen Neuzeit, hrsg. von Bernd Moeller, Hans Patze u. Karl Stackmann (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., F. 3, Nr. 137), Göttingen 1983 (bes. S. 152-172: Klaus Wriedt, Schulen und bürgerliches Bildungswesen in Norddeutschland im Spätmittelalter, S. 173-214: Rudolf Endres, Das Schulwesen in Franken im ausgehenden Mittelalter, S. 432-439: Ulrich Schindel, Die „auctores" im Unterricht deutscher Stadtschulen); Schulen und Studium imsozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hrsg. von Johannes Fried (= Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986 (bes. S. 487-525: Klaus Wriedt, Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters)·, Laetitia Boehm, Art. Erziehung und Bildungswesen. A. Westliches Europa, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München 1986, Sp. 2196-2203. - Was bei günstiger Quellenlage für eine Stadt zu leisten ist, zeigt auf 608 (!) Seiten Martin K i t zinger, Das Bildungswesen in der Stadt Braunschweig im hohen und späten Mittelalter. Verfassungs- und institutionengeschichtliche Studien zu Schulpolitik und Bildungsförderung (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 32), Köln-Wien 1990 (mit ausführlicher, über Braunschweig hinausweisender Bibliographie). 4 Vgl. Evangelische Schulordnungen, hrsg. von Reinhold Vormbaum, 3 Bde., Gütersloh 1860-1864. - Die einschlägigen Texte sind bereits genutzt von O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8) und von E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9)·

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der neuen Schule in der Neustadt Brandenburg Eine vermanung von Schulen, gefasset aus den Schrifften vnsers tewren ... Lutheri, in der sich Garcaeus nicht nur angesichts der jesuitischen Herausforderung über den Nutzen von Schulen für Frömmigkeit und mancherlei Berufe ausläßt, sondern auch einen die mittelalterlichen Stiftsschulen positiv würdigenden Abriß einer christlichen Unterrichtsgeschichte einfügt.5 Es könnte ebenso an die Oratio de inclyta Brennopoli Marchica erinnert werden, mit der sich der bekannte märkische Geschichtsschreiber Andreas Engel/Angelus 1587 als Neustädter Konrektor, mit der Stadt auch ihr Schulwesen preisend, von Brandenburg verabschiedete.6 Immerhin hat trotz der für die vorreformatorische Zeit miserablen Quellenlage lokaler und regionaler Forscherfleiß die mittelalterliche Schul- und Bildungsgeschichte Brandenburgs nicht einfach links liegen gelassen. Dankbar und mit bleibendem Respekt sind für die Stadt die Arbeiten von Moritz Wilhelm Heffter,7 Otto Tschirch8 und Eduard Rasmus9 sowie für die ganze Mark die von Felix Prie-

5 Von mir benutztes Exemplar in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, das 1. Stück im Sammelband 8557. 6 Druck: Berlin 1588; auch in: Georg Gottfried Küster, Collectio opusculorum Historiam Marchicam illustrantium, 2. Stück, Berlin 1727, S. 35-62; zu Engel/Angelus (1561-1598) vgl. Johannes Schultze, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 4, Berlin 1959, S. 499 (mit ungenauem Hinweis auf Küster); weitere Lit. in: Bibliographie zur Geschichte der Mark Brandenburg, bearb. von Hans-Joachim Schreckenbach, Bd. 1, Weimar 1970, S. 106 f., Nr. 598-607. 1 Moritz Wilhelm Heffter, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg von den frühesten bis auf die neuesten Zeiten, Potsdam 1840; vgl. auch Richard Schillmann, Geschichte der Stadt Brandenburg a. d. Havel von den ältesten Zeiten bis zur Einführung der Reformation, Brandenburg 1882. 8 Otto Tschirch, Geschichte der Chur-und Hauptstadt Brandenburg an der Havel. Festschrift zur Tausendjahrfeier der Stadt 1928/29, 2 Bde., Brandenburg 1928-1929; 2. Aufl. 1936; 3. Aufl. 1941; ders., Die Stiftung und erste Blütezeit der Salderischen Schule, in: Beiträge zur Geschichte der Saldria in Brandenburg a.d.H. Festschrift hrsg. zur Feier des dreihundertjährigen Bestehens der Saldemschen Schule, Brandenburg 1889, S. 1-78. - Die Festschrift zur350-Jahr-Feier der von Saldem-Schule..., Brandenburg 1939, ist nur als trauriges zeitgeschichtliches Dokument interessant, sie enthält keinerlei historische Beiträge. 9 Eduard Rasmus, Beiträge zur Geschichte des Alt- und Neustädtischen Gymnasiums zu Brandenburg a.H. 1. Das neustädtische Lyceum (1330-1797) (= Beilage zum Jahresbericht über das Vereinigte Alt- und Neustädtische Gymnasium zu Bran-

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batsch 10 zu nennen, nicht zu vergessen den eifrigen und eifernden Karlheinrich Schäfer.11 Was können unter diesen Umständen meine Aufgaben sein? Da keine terra incognita zu entdecken ist, lautet der leicht aufzulistende, aber immer nur bruchstückhaft zu erfüllende methodische Aufgabenkatalog: emsthafte Kenntnisnahme der älteren Forschung; möglichst noch sorgfältigere und gründlichere Lektüre der gedruckten Quellen; Suche nach noch ungedruckten oder bislang nicht ausgewerteten Texten; hilfsweises, vorsichtiges Heranziehen von entsprechenden Nachrichten aus der engeren und weiteren Nachbarschaft, besonders aus dem märkischen Raum, sowie Aufgreifen und Anwenden neuerer Erkenntnisse und Fragestellungen aus dem allgemeineren schul- und bildungsgeschichtlichen Forschungsfeld. Insgesamt beherbergte das mittelalterliche Brandenburg (einschließlich der Dominsel und des Harlungerberges) fünf - vielleicht auch sechs oder gar sieben - schulische oder schulähnliche Einrichtungen, dazu in der Regel jeweils eine Bibliothek, während die auch viele lateinische, juristische Werke enthaltende Bücherei des Schöppenstuhls nur dem Bildungswesen im weiteren Sinne zuzurechnen ist.12 Vorzustellen wären mithin: die Domschule, mit Fragezeichen denburg a.H., Programm Nr. 68), Brandenburg 1897. - Beste quellennahe Darstellung, die auch die ältere Literatur - wie Caspar Gottschling, Respraeceptorum Neo-Brandenburgensium..., Brandenburg 1714; ders., Beschreibung der Stadt Alt-Brandenburg, Brandenburg 1732 - nutzte. E. Rasmus war 1897 Gymnasialdirektor. l u Felix Priebatsch, Geistiges Leben in der Mark Brandenburg am Ende des Mittelalters, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (künftig FBPG zitiert) 12 (1899), S. 325-409, bes. S. 399 ff.; ders., Staat und Kirche in der Mark Brandenburg am Ende des Mittelalters, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 19 0 8 9 9 ) , S. 397-430; 20 (1900), S. 159-185 u. S. 329-365; 21 (1901), S. 45-90. 1 1 Karlheinrich Schäfer, Märkisches Bildungswesen vor der Reformation, Berlin 1928, bes. S. 47 ff.; ders., Märkisches Bildungswesen vor der Reformation [2]. Neue Funde und Ergänzungen, in: Wichmann-Jahrbuch 2 / 3 (1931/32), S. 63-97. - Genutzt habe ich zudem die von mir angeregte (ungedruckte) wissenschaftliche Hausarbeit für das Amt des Studienrats von Beate Blum, Das Schulwesen in der mittelalterlichen Mark Brandenburg, Berlin 1989, dort S. 1 f. über den „Archivratsstreit" zwischen K. Schäfer, G. Wentz, J. Schultze u.a. 1 2 Zum Schöppenstuhl in diesem Band den Beitrag von Friedrich Ebel; aus der älteren Literatur: Rudolf Grupp, Schoppen, Schöppenstuhl und Klinke. Ein Beitrag zur brandenburg-märkischen Geschichte, in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg (künftig JHVB zitiert) 31 (1899), S. 1-103; Adolf Stölzel, Noch einiges über den Brandenburger Schöppenstuhl, in: FBPG 16, 2 (1903), S. 1-58. Ohne Rele-

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das Marienstift auf dem Harlungerberg, die Klöster der Franziskaner und Dominikaner, die beiden Schulen bei St. Gotthardt und bei der Katharinenkirche, die für das Schule-Stadt-Verhältnis natürlich am wichtigsten sind, sowie - mit zwei Fragezeichen - eine von Schäfer bei der Petripfarrei entdeckte weitere „Lateinschule". Wer mit Dom- oder Stiftsschulen13 Namen wie Chartres oder Bamberg 14 assoziiert, wird für Brandenburg nur ein mitleidiges Lächeln übrig haben. Eine überregionale oder gar internationale Rolle hat die Schule auf der Domburg nie gespielt. Aus der rund 350jährigen prämonstratensischen Kapitelsgeschichte sind überhaupt nur die Namen von drei Schulleitern überliefert, denen diejenigen von 48 Dompröpsten, 61 Prioren und Dekanen sowie immerhin 24 Kellnern (cellerarii, Kellermeister) gegenüberstehen.15 Zwei der drei 16 Namen tau-

vanz für die Stadt Brandenburg: Bernhard Hinz, Die Schöppenbücher der Mark Brandenburg, Berlin 1969- - Zur Bibliothek siehe Anneliese Schmitt, Die Inkunabeln des Brandenburger Schöppenstuhls, in: Beiträge zur Inkunabelkunde, 3. Folge, 3, Berlin 1967, S. 122-134. 1 3 Vgl. Joachim Ehlers, Art. Domschulen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München 1986, Sp. 1226-1229. - Eine zusammenfassende Darstellung der spätmittelalterlichen Dom- und Stiftsschulen scheint noch ein Desiderat zu sein. Vgl. Johannes Fried, Die Bamberger Domschule und die Rezeption von Frühscholastik und Rechtswissenschaft in ihrem Umkreis bis zum Ende der Stauferzeit, in: J. Fried (Hrsg.), Schulen... (wie Anm. 3), S. 163-201; Claudia Märtl, Die Bamberger Schulen - ein Bildungszentrum des Salierreichs, in: Die Salier und das Reich, hrsg. von Stefan Weinfurter, Bd. 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 1991, S. 327-345. 1 5 Errechnet aus den Angaben über die Mitglieder des Kapitels durch Gustav Abb/ Gottfried Wentz (Bearb.), Das Bistum Brandenburg, Т. 1 (» Germania Sacra [Alte Folge] 1,1), Berlin 1929, ND 1963, S. 114-147. 1 6 G. Abb/G. Wentz, a.a.O., S. 126, nennen als Schulleiter noch einen „Henning 1346". Tatsächlich ist dieser Henning jedoch Schulrektor in der Brandenburger Neustadt (s. u. S. 253)· Der Irrtum beruht vermutlich auf unkritischer Übernahme aus dem von Heffter bearbeiteten Namenverzeicbniss zum CDB, Bd. 1, Berlin 1867, S. 170. Als fünften Schulleiter führen sie (S. 126) an: „Peter v. Klitzing c. 1415/17". Einen Beleg bleiben sie jedoch schuldig. Bei ihrer Präsentation des späteren Dompropstes (S. 138 f.) schreiben sie, daß Peter (von) Klitzing 1415 als Student in Leipzig begegnet, dort zum dr. decr. promoviert wird und daß der Brandenburger Domherr Heinrich Gotzke ihn als graciosum doctorem decretorum et huius scole lectorem ordinarium bezeichnet. Wahrscheinlich haben sie übersehen, daß Gotzke mit huius scole nicht die Brandenburger Domschule, sondern die Leipziger Universität meinte; vgl. Valentin Rose, Verzeichniss der lateinischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin, II, 2, Berlin 1903, S. 924 (zu Nr. 831, theol. fol. 572, f. 77 a).

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chen lediglich einmal in Zeugenlisten auf: Dietrich 1209 und Balduin 1237.17 Die Existenz der Domschule dürfte den Erwartungen des dritten Laterankonzils vom Jahr 1179 (c. 18) und der verschärfenden Erinnerung durch das vierte Laterankonzil von 1215 (c. 11) entsprochen haben, wonach an jeder Kathedralkirche ein Magister zur Unterweisung der Kleriker und der armen Schüler mit einer hinreichenden Pfründe ausgestattet werden sollte.18 Für Brandenburg war es ein besonderer Glücksfall, daß 1222 der hochangesehene, in Magdeburg propter morum et scientiae elegantiam vom Domscholaster zum Dekan aufgestiegene Gernand hier an der Havel kraft päpstlichen Ernennungsrechtes Bischof wurde. 19 Über ihn berichtet die sogenannte Brandenburgische Bischofschronik, er sei ein so feiner, leutseliger, gelehrter und gebildeter Mann gewesen, daß ihm auch Adelssöhne geschickt wurden disciplina et moribus imbuendi. Täglich habe er Arme und Schüler (pauperes et scolares) an seiner Tafel gespeist.20 Die Notizen über Gernands Erziehung junger Adliger und seine Schülerspeisung belegen den angesichts fehlender anderer Möglichkeiten naheliegenden und durchaus üblichen Externenunterricht, der aber am Dom keine eigene schola exterior erfordert haben muß. 21 Nach Bischof Gernand (1222-1241) und den Scholastern der Jahre 1209 und 1237 vergehen fast zweihundert Jahre, bis 1413/14 der nächste und zugleich letzte Schulleiter greifbar wird: Johannes Cas17

CDB 1/8, S. 127 Nr. 40, zu 1209 Okt. 18, Brandenburg: Theodericus scholasticus. - CDB 1/13, S. 314 Nr. 7, zu 1237 Aug. 4, Brandenburg: Baldemnus scolasticus. 18 Conciliorum oecumenicorum decreta, hrsg. von Joseph Alberigo, Basel usw. 1962, S. 196 u. 216. 19 Vgl. Hermann Krabbo, Die brandenburgische Bischofswahl im Jahre 1221, in: FBPG17 (1904), S. 1-20; ders., Gernand vor seiner Ernennung zum Bischof (1222), in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 2/3 (1906), S. 1-9; G. Abb/ G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 30 f. 20 Hier zitiert nach der kommentierten Ausgabe von Georg Sello, Die Brandenburger Bistums-Chronik, in: JHVB 20 (1888), bes. S. 46 f. - Zu den anderen Editionsversuchen vgl. Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg (= Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 61), Berlin 1977, S. 14. 21 Vgl. zum Problem schon Franz Anton Specht, Geschichte des Unterrichtswesens in Deutschland, von den ältesten Zeiten bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, Stuttgart 1885, ND Wiesbaden 1967, bes. S. 175-177.

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sei. Er selbst, der urkundlich sonst im Brandenburgischen nicht nachzuweisen ist, läßt uns die Daten und Fakten mit eigener Hand wissen. Im zweiten Teil einer aus Brandenburg stammenden Sammelhandschrift, die heute in der Berliner Staatsbibliothek eingesehen werden kann, sind einige seiner Schriften, die er gerne mit genauen Angaben über Zeit, Ort und Stellung versah, vereint.22 So ist zu erfahren, daß er 1413 im Alter von 23 Jahren als Lokat in Treuenbrietzen {in britzenä) - also als Gehilfe oder Vertreter des dortigen Schulleiters - einen Speculum ecclesie mit Anweisungen für das priesterliche Amt schrieb,23 ebendort am 17. Februar 1413 das Hohe Lied und am 12. März (Pseudo-)Augustins Kampf der Tugenden und der Laster abschloß.24 Am 27. Mai 1413 beendet er - jetzt auf der Brandenburger Dominsel {in urbe Brandenburg)*. - einen pseudoaugustinischen Sermo25 und daselbst am Sonntag, dem 9. Juli, als die Sonne im Krebs und der Mond im Skorpion stand, ein Klagelied über die verlorene Jungfräulichkeit mit der ihn für das brandenburgische 2 2 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin: theol. fol. 47, ab f. 253. Ausführlich beschrieben durch V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 906-909 als Nr. 826, wo alle im folgenden wiedergegebenen Zitate schon zu finden sind. Insgesamt füllen 21 Stück aus der Hand Cassels 206 Blätter. - Erst nachträglich bin ich auf folgenden Literaturhinweis gestoßen: Karl-Heinrich Schäfer, Jobannes Cassel, ein unbekannter Lehrer der Lateinschule zu Treuenbrietzen vom Jahre 1413, in: Heimatwissenschaftlicbe Blätter der Märkischen Volkszeitung 2 (1936), Nr. 3, S. 21 f. Schäfer sieht in Cassel keinen Domherrn. Er soll vielmehr das „Rektorat über die Elementarschüler in der Altstadt Brandenburg" gehabt haben. Diese Konsequenz scheint angesichts der weiter unten behandelten Hrfos-Terminologie sehr fragwürdig. Fol.363rb:... per manus iohannis Cassel Scriptum in britzena Anno AfCCCC?XIIf-, vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 908. - G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 137, sehen ihn „vermutlich als Pfarrer" in Treuenbrietzen. Zur Terminologie von locatus im Sinne von Helfer oder Vertreter des Lehrers vgl. u.a. M. Kintzinger, Das Bildungswesen... (wie Anm. 3), S. 132, sowie unten S. 266. 2 4 Fol. 338vb: Expliciunt cantica canticorum per manus iohannis Cassel finita sub annodni. 1413. 17kalend. mensis marcii; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 907. - Fol. 333vb: Explicit liber augustini depugna virtutum et viciorum finitus in bricenaper iohannem Cassel tunc temporis ibi locatus. Sub anno dni. 1413• In die gregorii; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 907, der auch schon weiß, daß es sich um einen Auszug aus Autperts bekannter Schrift Confiictus vitiorum atque virtutum (ed. in Migne PL 40, Sp. 1091-1106) handelt. Zu dem benediktinischen Theologen des 8. Jhs. vgl. jetzt Jacques Winandy, Ambroise Autpert, moine et theologien, Paris 1953. 2 5 Fol. 364vb; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 908 mit Hinweis auf Ps. Aug. sermo 293 (Migne PL 39, Sp. 2301-2303).

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Schulwesen interessant machenden Angabe: ibi tunc temporis magister et rector noviciorum пес поп aliorum iuvenum ibi existen9С

dum. Im Explicit zur Stella clericorum vom 28. Juli teilt er mit, daß er nunmehr im 24. Lebensjahr ist. 27 Am 15. August 1413, als die Sonne im ersten Grad der Waage und der Mond im Stier stand, verweist er am Schluß einer Kopie des Drei-Könige-Buchs Johannes' von Hildesheim wiederum auf seine Stellung als Lehrer (rector) für Novizen und andere Schüler.28 Sein letztes Lebenszeichen gibt Johannes Cassel aus Brandenburg im Explicit sensus litteralis cantici canticorum am 18. Januar 1414.29 Bei aller inselhaften Zufälligkeit vermitteln Cassels autobiographische Schreibernotizen für das Schulwesen im Dombereich Brandenburg doch ziemlich relevante Erkenntnisse: Auch nach der Aufnahme des Schulbetriebs in der Neustadt und in der Altstadt Brandenburg sind auf der „Burg" nicht nur Novizen ausgebildet worden. Der dortige Schulleiter war höchstwahrscheinlich kein Domherr, 30 fungierte vielmehr vor seinem Amtsantritt als Lokat in Treuenbrietzen. Titel und Amtsstellung lauteten magister et rector,31 nicht mehr scholasticus. Seit wann man an der Fol. 374vb: Explicit planctus amisse virginitatis per manus iohannes (!) Cassel Anno domini 1413 septimo ydus iulii sole existente in cancro luna in scorpione. In urbeBnd. ibi...; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 908. - Der Planctus hat übrigens eine vielleicht für die Nöte des Verfassers aufschlußreiche Nähe zum pseudoaugustinischen Sermo 293! 27 Fol. 383rb: ... in diepantaleonis. In urbe Bnd. ibi tunc temporis rector noviciorum. In anno etatis sueXXIIlf ; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 908 f. 28 Fol. 405vb: Explicit liber trium regum ... Scriptusper iohannem Cassel rectorem noviciorum et aliorum scolarium in urbe Bnd. Anno dni. NfCCCCXllf decimo octavo kalendas septembris sole existente in libra in primo gradu luna in tauro ...; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 909. - Zu Johannes von Hildesheim (ca. 1310/20-1375) siehe den betr. Artikel von Franz Joseph Worstbrock/Sylvia C. Harris, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., neu bearb. Aufl., Bd. 4, Berlin-New York 1982, Sp. 638-647, wo (Sp. 643) auf eine Ausgabe der Historia Trium Regum (hrsg. von Ernst Köpke im Programm der Ritterakademie Brandenburg, 1878), die auf einer anderen, aber ebenfalls aus Brandenburg stammenden Handschrift (theol. fol. 565) beruht, hingewiesen wird. 29 Fol. 4l6r: ... scriptus Anno dni. NtCCCCXlIlf in urbe Bnd. finitus in dieprisce martiris ...; vgl. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), S. 909. 30 G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 138, wollen ihn „vielleicht als Domherrn" ansprechen. 31 Ob Cassel mit der Selbstbezeichnung magister auf den akademischen Grad oder nur auf sein Lehrersein verweisen will, muß offen bleiben; an den „naheliegenden"

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Havel auf das Kapitelsamt eines Scholasters verzichtet hatte, ohne damit auch die Unterrichtung des Nachwuchses und externer Jugendlicher einzustellen, ist nicht auszumachen. Man wird wohl in Analogie zu anderen Stiften noch an das 13. Jahrhundert zu denken haben. 3 2 Statuten sind aus dieser Zeit nicht überliefert, und in denjenigen, die man sich nach der 1506 erfolgten Umwandlung des Prämonstratenserdomkapitels in ein weltliches Chorherrenstift gab, erscheint das Amt des Scholasters nicht, obwohl die Schule hier noch bis 1571 mindestens pro forma und de iure bestanden haben muß. 3 3 Zu den institutionsgeschichtlich nicht gerade am Wege liegenden Bemerkungen in einigen Explizits des Johannes Cassel kommt noch eine letzte unmittelbare, von ihrem Fundort jedoch ähnlich überraschende Quelle aus dem Jahr 1435 hinzu: eine Turmknopfurkunde. Wie heute bei Grundsteinlegungen auch mancherlei auf den Bau und seine Zeit bezogene Dokumente beigefügt werden, war es früher Brauch, bei der Fertigstellung von Gebäuden oder Gebäudeteilen in den Turmknopf Nachrichten über die Verantwortlichen und über denkwürdige Daten zu deponieren. 3 4 Jüngst wiederUniversitäten Erfurt, Leipzig und Köln wird er jedenfalls zwischen 1405 und 1425 nicht in den Matrikeln geführt. 3 2 Aus dem bisher für die Schulgeschichte nicht ausgewerteten Breviarium Brandenburgense, Leipzig, M. Brandis 1488, ist noch nachzutragen, daß es hier im liturgischen Zusammenhang gelegentlich heißt: pueri cantant (z.B. fol. 62v) und daß auch die schola cum conuentu (z.B. fol. 63r) erwähnt wird. Vermutlich lag die Verantwortung für die schola beim Prior: Im Zusammenhang mit einer Messtiftung für die Gruftkirche d e s D o m s am 25. Okt. 1440 und die entsprechenden G e s ä n g e ist zweimal die Rede von des Priors schüler, siehe CDB1/8, S. 410 Nr. 452. - In Lebus gibt es einen Domscholaster noch bis in das ausgehende Mittelalter; vgl. z.B. CDB 1/8, S. 454 Nr. 496, zu 1496 Juli 15. - Da die Überlieferung für das Havelberger Domkapitel noch trostloser ist als die für das Brandenburger, fehlt möglichen Vergleichen die unmittelbare Stringenz; für Braunschweig vgl. Ernst Doli, Die Kollegiatstifle St. Blasius und St. Cyriacus zu Braunschweig (= Braunschweiger Werkstücke 36), Braunschweig 1967, bes. S. 209 ff·; M. Kintzinger, Das Bildungswesen... (wie Anm. 3), S. 91 ff. 3 3 Der Brandenburger Domstiftsarchivar, Herr Wolfgang Schößler, hat mich freundlicherweise auf diese noch nicht veröffentlichte, aber von mir zur Edition vorgesehene Quelle aufmerksam gemacht; Archivsignatur: BDK U 704 S 3, F 6. - Von mir vermutete Entstehungszeit: 1525/27. - In der Ordnunge des Capittels Weltlichen Regiments vnndHaushalltung von 1571 - Archivsignatur: BDK 628/755 - heißt es (fol. Юг): Das gemeine holtz für die Schule soll hinforth getheilet, vnd nicht mehr vor die Schule, darinnen dan bißhero unter der Predigt nur buberey getrieben worden gefhuret tverden ...

Albert Emelius, Verzeichnis der Abhandlungen und Vorträge des Historischen Vereins von 1858-1918, in: Festschrift zur Gedenkfeier des 50jährigen Bestehens des

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entdeckt wurde eine anläßlich der Errichtung eines hölzernen Turms durch den Stiftszimmermann deponierte Notiz, in der unter anderem mitgeteilt wird, wer 1435 als Kanoniker oder Profeß der brandenburgischen Kirche angehörte. 35 Nach der Nennung von Propst, Prior, Senior und weiterer 27 Namen und vor der Liste mit vier Konversen erscheinen in der Sparte In scholis sechs Personen, unter ihnen als derzeit einzig identifizierbare Dietrich von Stechow, der 1439 als Student in Leipzig immatrikuliert, 1451 Propst des Brandenburger Domkapitels und 1459 Bischof wurde. 36 Die Immatrikulationsverzeichnisse vom Wintersemester 1439 weisen ihn als frater bzw. canonicus Brandenburgensis aus. 37 Er könnte demnach 1435 zur Casselschen Kategorie der Novizen gehört haben. Ob die übrigen fünf Personen in scholis oder einige von ihnen ebenfalls in den Prämonstratenserorden eintraten und Domherren wurden oder ob sie der Gruppe aliorum iuvenum zuzurechnen sind, ist eine offene, jedoch nicht müßige Frage. 38 Eine Antwort könnte nämlich Aufschluß darüber geben, ob die Gesamtschülerzahl zur Zeit der Turm-

Historischen Vereins Brandenburg (Havel), hrsg. von Otto Tschirch (= JHVB 50), Brandenburg 1918, S. 308-324, dort S. 313, bietet nicht weniger als fünf Titelhinweise auf Turmknöpfe und ihre dort bis 1874 hinterlegten Schriftstücke. - Allein die Neustadt verfügte über vier geeignete und genutzte Turmknöpfe, siehe JHVB 4/6 (1872/ 1874), S. XXXVI-XXXVIII. - Der Text einer vom Stadtarchivar Otto Tschirch anläßlich der Wiederherstellung des altstädtischen Rathauses im November 1911 im Turmknopf niedergelegten „Urkunde" ist abgedruckt in: JHVB 43/44 (1912), S. 121-124. 3 5 Von Herrn Schößler (wie Anm. 33) für eine jetzt im Druck erschienene Dissertation zur Verfügung gestellt: Annette Wigger, Stephan Bodeker O. Praem., ein Bischof von Brandenburg (1421-1459). Leben, Wirken und ausgewählte Werke (= Europäische Hochschulschriften, R. 3. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 532), Frankfurt a.M. usw. 1992, S. 203-206 als Anhang IV; die dort nicht genannte Archivsignatur lautet: BDK 4244/U 698. 3 6 Vgl. G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 49 f., 118 u. 140. 37 Die Matrikel der Universität Leipzig, hrsg. von Georg Erler, Bd. 1 (= Codex diplomaticus Saxoniae Regiaell,\6), Leipzig 1895, S. 128. 3 8 A. Wigger, Stephan Bodeker... (wie Anm. 35), S. 205: Johannes Himeke CO (wohl zu lesen: Huneke); Theodericus de Stechow, Petrus Buck, Arnoldus Ulrici; Ludolfus de Dalem, Borkynus Bredow. - Obwohl hier recht bekannte Familien wie Buck/Buch, von Dahlem und von Bredow vertreten sind, konnte ich - bis auf Dietrich von Stechow - bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), im Namenverzeichnis zum CDB (wie Anm. 16) und in den Matrikeln der Universitäten Erfurt, Leipzig und Köln keine Person mit diesen oder ähnlichen Namen ausfindig machen.

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knopfurkunde, als sich das Domstift in prospero statu befand,39 größer war als sechs. Sollten Auskünfte über Studiengänge und Lehrinhalte erbeten werden, müßte hilfsweise auf Stiftsschulen mit besserer Quellenüberlieferung ausgewichen 40 oder wenigstens die Brandenburger Stiftsbibliothek analysiert werden, 41 was beides jedoch an dieser Stelle nicht geschehen soll. Bleibt somit das Bild von der Brandenburger Domschule als Ausbildungsstätte fast unerträglich leer, so soll darüber doch nicht vergessen werden, daß das Domkapitel keineswegs sich nur aus mehr oder weniger ungebildeten Verlegenheitsklerikern adliger Abstammung zusammensetzte. Es war vielmehr durch die Jahrhunderte hindurch - wie es scheint, mit einem gewissen Höhepunkt in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als der Gelehrteste unter ihnen, Stefan Bodeker, das Bischofsamt ausübte und dabei nicht nur an das Domkapitel, sondern auch an die Unterweisung der Schulkinder dachte 42 - immer auch ein Hort respektablen Wissens. ^ A. Wigger, Stephan Bodeker... (wie Anm. 35), S. 206: etfuittunccapitulumdicte ecclesie in prospero statu ... 4 0 Vgl. die Lit. bei J. Ehlers, Domschulen... (wie Anm. 13), Sp. 1229; für St. Blasien in Braunschweig s. die Schulordnungen des Kapitels von 1308 und 1442 bei Friedrich Koldeweg, Braunschweigische Schulordnungen von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1828, Bd. 1 (= Monumenta Germaniae Paedagogica 1), Berlin 1886, S. CLXVIII f. u. S. 5—7; dazu E. Doli, Die Kollegiatstifte... (wie Anm. 32), S. 209 ff.; für Fritzlar: Karl Lennarz, Propstei und Pröpste des St. Petersstifts in Fritzlar. Nebst einem Anhang·. Vom Scholaster und der Stiftsschule zu Fritzlar (= Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda 15), Fulda 1936, S. 97-118 (der „Anhang"). 4 1 Bequemer Einstieg über G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 8897. 4 2 Jetzt grundlegend die oben in Anm. 35 genannte Dissertation von Annette Wigger. - Auf einer am 3. Juni 1436 in Brandenburg gefeierten Provinzialsynode befahl er u.a., daß die Pfarrer in Schulstädten ihre männlichen und weiblichen Gemeindeglieder in Predigten und bei der Beichte dazu anhalten sollten, ihren Kindern Schulbücher (libros scolasticos) zu kaufen, wobei allerdings das Lernen kirchlich-religiöser Grundtexte - darunter das Glaubensbekenntnis in der Muttersprache - das Hauptziel war. Text der Verordnung bei Richard Heydler, Materialien zur Geschichte des Bischofs Stephan von Brandenburg (= Programm der Ritterakademie zu Brandenburg 10), Brandenburg 1866, S. 42. - Zu Bodekers eigener Bildungsgeschichte vgl. außer A. Wigger immer noch James J. John, The University Career of Bishop Stephan Bodeker (1384-1459) of Brandenburg with the text of his repetition of the judge and his conscience, in: Studium generale. Studies offered to Astrik L. Gabriel, hrsg. von L. S. Domonkos u. R. S. Schneider (= Texts and Studies in the History of Mediaeval Education 11), Notre Dame, Indiana, USA, 1967, S. 131-157.

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Die Städte Brandenburg konnten einerseits von ihm profitieren, weil ja die Pfarrer an St. Gotthardt und St. Katharinen Domherren waren, andererseits unter ihm leiden, da - etwa bei Rechtsstreitigkeiten mit dem Stift - gut geschulte Gegner auf den Plan traten. Um 1300 studierten allein vier Brandenburger Kanoniker in Bologna (Recht!), 43 wo sich noch 1490 der spätere Bischof Hieronymus Schultz (15071521) immatrikulierte.44 Im letzten Drittel des 14. und im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ist Prag die bevorzugte Universität künftiger oder schon ordinierter Domherren, unter ihnen die späteren Bischöfe Heinrich von Bodendiek und Stefan Bodeker, weiter Nikolaus Plönitz (Pfarrer an St. Katharinen), Johannes Testorp (Pfarrer in Klein-Kreutz bei Brandenburg), Nikolaus von Klitzing, Johannes Fabri (Smed) und andere mehr, 45 die ihre Studienbücher und Sammelhandschriften nach Brandenburg mitnahmen: Manuskripte, die Valentin Rose vorbildlich erschlossen hat, die aber zum größten Teil immer noch auf ihre wissenschaftliche Auswertung und Nutzung 4ή

warten Nach Erfurt zieht es 1403 - also bevor er 1408 nach Prag wechselt - Nikolaus von Burgsdorff, der 1415 zum Bischof gewählt, aber nicht bestätigt wird und noch 1425 als Pfarrer in Brandenburgs Neustadt wirkt. 47 1406 - ebenfalls vor seiner Immatrikulation in Prag läßt sich Stephan Bodeker in Erfurt einschreiben, 48 gefolgt 1424 von

4 3 Es waren Arnold von Hildesheim (1296), Heinrich von Gardelegen (13Ю u. 1315), Dietrich von Dalchau (1314) und Johannes von Milow (1315); vgl. G. Abb/ G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 130 f. Die Identität ist nicht in jedem Fall gesichert, wie hervorgeht aus der alphabetisch geordneten Zusammenstellung durch Gustav Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562), Berlin 1899, S. 59 f., Nr. 402, 403, 404 u. 405 (alle unter „Brandenburg, ..."). 4 4 G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 144; G. Knod, Deutsche Studenten... (wie Anm. 43), Nr. 3414. 4 5 Sämtlich aufgeführt bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 134139, insgesamt 13 Namen. V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16), für die einzelnen Autoren und Schreiber am leichtesten über G. Abb/G. Wentz zu benutzen. 4 7 G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 138. 48 Acten der Erfurter Universität, hrsg. von Johann Christian Hermann Weissenborn, Bd. 1 (= Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 8,1), Halle 1881, S. 76; vgl. auch A. Wigger, Stephan Bodeker... (wie Anm. 35), S. 1 f.; J. J. John, The University Career... (wie Anm. 42), S. 136 f.

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Peter Klitzke, noch später von Johannes Bard (1435) und Moritz Schönau (1455) 49 Am häufigsten wurde seit dem Sommersemester 1411 die neue Universität in Leipzig aufgesucht. Den Reigen eröffnet Stephan Bodeker, der hier seine in Erfurt und Prag begonnenen Studien nach einer Disputation über die bei Theologen und Kirchenrechtlern umstrittene Frage Utrum debet iudicare secundum allegata et probata an secundum conscienciam suam, die er als Bischof in seinem Buch über die 10 Gebote noch einmal aufgriff, 1412 beendete und zum baccalaureus simplex iuris canonici promoviert wurde. 50 Ihm folgt im Wintersemester 1415 Peter (von) Klitzing (Klitzke):51 als Rechtsgelehrter Bodeker weit überragend, für Brandenburg wichtig als Offizial des Propstes und von 1425 bis 1447 als Dompropst, darüber hinaus in diplomatischen Diensten für den Markgrafen, auf dem Konzil zu Basel und erneut (1445) an der Universität Leipzig eine einflußreiche Persönlichkeit, auf die man in der Havelstadt stolz sein könnte. 52 Aus der Zahl der anderen Leipziger Studenten seien nur noch diejenigen genannt, die es in Brandenburg zur Bischofsoder Propstwürde gebracht hatten: Bertram von Holtzendorff, Nikolaus Storbeck, Dietrich von Stechow, Peter Hufner, Joachim von Bredow, Friedrich von Britzke, Busso von Alvensleben, Hieronymus Schultz und Johannes Horneburg. 53 An der im Oktober 1456 eröffneten Universität Greifswald hatte die familia Bischofs Stephan Bode-

Diese sowie Johannes Krüger (1490) und Wilhelm von Noppen (1494) bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 138-143. - J. С. H. Weissenborn (Hrsg.), Acten... (wie Anm. 48), S. 272: Henningus (Heynricus) Stechaw de Brandeburg p. dedit 6gr. \ immatrikuliert zu Michaelis 1458, auch sonst nicht als Mitglied des Kapitels bezeugt, ist wohl von G. Abb/G. Wentz zu Recht nicht berücksichtigt, da er als p. = pauper wohl kaum ein Verwandter des späteren Bischofs Dietrich von Stechow war. 50 G. Erler, Matrikel... (wie Anm. 37), S. 37. 51 A.a.O., S. 49 (Petrus Clietzk). 52 Zur ersten Information: G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 138 f. (mit weiteren Hinweisen auf V. Rose, Verzeichniss... [wie Anm. 16], dessen Beschreibung der einschlägigen Codices zum Anlaß genommen werden sollte, die Texte selbst zu lesen und für die brandenburgische Kirchen-, Geistes- und Rechtsgeschichte zu nutzen) und S. 117 f. 53 Insgesamt wären mindestens 18 Namen zu nennen. Von den bei G. Abb/ G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 139 f., vermerkten Daten sind lediglich die zu Michael Blossem und Johannes Hess von 1424 in 1425 zu korrigieren.

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ker, der im päpstlichen Auftrag an der Gründung mitgewirkt hatte und einer ihrer Konservatoren wurde, eine Reihe von Freiplätzen. 54 Ohne Verwunderung wird man schließlich registrieren, daß im nähergelegenen Wittenberg 1503 vier junge Männer, die 1507 als Brandenburger Domherren erscheinen, inskribiert sind, 55 daß schon am Ende des 15. Jahrhunderts die Kanoniker eine Stiftung zur Finanzierung von auswärtigen Studienaufenthalten ins Leben riefen 56 und daß die Kapitelstatuten nach der Trennung vom Prämonstratenserorden verbindlich vorschreiben, künftig solle als Kanoniker, wie an anderen Stiften auch, nur zugelassen werden, wer die von einer Uni5 4 Vgl. Roderich Schmidt, Die Anfänge der Universität Greifswald, in: Festschrift zur 500-Jabrfeier der Universität Greifswald 17. 10. 1956, Bd. 1, Greifswald 1956, S. 9-52; ders., Kräfte, Personen und Motive bei der Gründung der Universitäten Rostock (1419) und Greifswald (1456), in: Beiträge zur pommerschen und mecklenburgischen Geschichte, hrsg. von Roderich Schmidt (= Tagungsberichte des Johann-Gottfried-Herder Forschungsrates 6), Marburg 1981, S. 1-33- Zu der begünstigten familia, die jedoch nicht zum Domkapitel gehörte, siehe den Auszug aus dem Album der Universität in: Johann G. L. Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald, Bd. 2, Greifswald 1856, S. 261, auch in: Aeltere Universitäts-Matrikeln, II: Universität Greifswald, hrsg. von Ernst Friedländer, Bd. 1 (1456-1645) (= Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 52), Leipzig 1893, S. 3; Angehörige des Domkapitels sind nicht nachzuweisen; immerhin ist 1458 ein Schweriner Kleriker auf Fürsprache des Brandenburger Propstes gratis immatrikuliert worden; siehe E. Friedländer, a.a.O., S. 11. 5 5 Thomas (von) Diericke, Joachim Smedt, Ambrosius von Otterstedt und Werner (von) Stechow; vgl. G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 143 f. (mit teilweiser Korrektur der Matrikel). - Insgesamt ist freilich die nachweisbare Immatrikulation der Domherren auffallend kümmerlich. Von den 24 Kanonikern, die in der Bekundung der Transmutation des Domstiftes durch die Bischöfe von Ratzeburg und Lebus am 16. Dez. 1507 aufgezählt werden (CDB 1/8, S. 467 Nr. 512), ist außer den vier genannten nur noch einer - der Prior Peter (von) Diericke - bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 141 als Student in Leipzig (1469) erfaßt. Auch wenn man die im November 1478 in Köln eingeschriebenen d. SigismundusBritzken ... und d. Matheus Randau de Brandenburch - siehe Die Matrikel der Universität Köln, bearb. von Hermann Keussen, Bd. 2 (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bonn 1919, ND Düsseldorf 1979, S. 51 - noch hinzurechnet, bleiben zur Zeit mehr als zwei Drittel ohne Studienbeleg. Unter ihnen sind, was wenig glaubhaft, weil zu blamabel anmutet, der spätere Propst Philipp (von) Klitzing, der Thesaurar Nicolaus (von) Brösigke, der Kellner Hermann (von) Schapelow und der magister et cantor Peter Behme. 56 CDB1/8, S. 455 Nr. 498, zu 1497 März 29. Daß man schon lange mit auswärtigen Studien, die ja durch die Matrikel bezeugt sind, rechnete, zeigt auch eine Bestimmung über die Gerichtszuständigkeit, die Bischof Dietrich I. von Brandenburg am 9. Jan. 1350 seinen canonicis, etiam in scolis degentibus mitteilte: CDB 1/8, S. 265 Nr. 242.

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versität oder Akademie besiegelte Bestätigung vorlegt, se triennale Studium in eadem continue complevisse.57 Bei so standardisierten Bildungsansprüchen ist es freilich eine Bestätigung weit unter der Norm liegender Mangelhaftigkeit, wenn einer der die Statuten unterzeichnenden Domherren das sub beim subscripsi mit „p" schrieb. Es war Thomas (von) Britzke, von dem, gleich vielen anderen, auch kein Studiennachweis vorliegt.58

Auf Blatt 5r der in Anm. 33 genannten Quelle. Wie Anm. 57, aber Blatt 3r; zu Thomas (von) Britzke, erwähnt 1491-1524, vgl. G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 141. - CDB1/8, S. 448 Nr. 410 nennt zum 22. Mai 1491 insgesamt 33 Domherren, aber nur sechs (!) können als Immatrikulierte nachgewiesen werden. CDB 1/8, S. 467 Nr. 512, zu 1507 Dez. 16, listet ohne den Bischof 24 Personen auf, nur fünf sind bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15) als Studenten erkannt; deren Zahl läßt sich um zwei auf stolze sieben erhöhen: der spätere Propst Sigmund Britzke sowie der spätere Kantor und Prior Matheus Randow waren im November 1478 in Köln eingeschrieben; siehe H. Keussen, Die Matrikel... (wie Anm. 55), S. 51. - Fraglich bleibt allerdings, ob nicht das Netz zur Erfassung studierter Domherren zu grobmaschig ist; ein Beispiel: Peter Behme - als Domherr zuerst 1491 (s.o.) bezeugt, am 10. Mai 1542 gestorben (G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... [wie Anm. 151, S. 141) - hatte nicht nur zeitweilig das Kantoramt inne, sondern wird auch mehrfach als magister bezeichnet (CDB 1/8, S. 480 Nr. 525, zu 1519 Mai 2; CDB 1/10, S. 171 Nr. 72, zu 1528 Febr. 26), gleichwohl sucht man diesen oder einen ähnlichen Namen in den Matrikeln der Universitäten Bologna, Erfurt, Frankfurt, Freiburg, Greifswald, Heidelberg, Ingolstadt, Leipzig, Köln, Mainz, Paris, Rostock, Tübingen und Wien vergebens. Mit dem Petrus Bechern Basiliensis, der im Frühjahr 1485 in Basel eingeschrieben wurde (siehe Die Matrikel der Universität Basel, hrsg. von Hans Georg Wackernagel, Bd. 1: 1460-1529, Basel 1951, S. 158), dürfte er als Basiliensis kaum identisch sein, zumal dort der einzige Student de Marchia Brandenburg erst 1525 auftaucht (H. G. Wackernagel, a.a.O., S. 358 u. 411). Wo und wie kam er zu seinem Magistertitel? Vielleicht in Prag oder in Krakau, für die geeignete Verzeichnisse nicht herausgegeben wurden? - Nach F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 10), S. 331, erscheint in Tübingen „im Jahre 1511 der erste Märker, ein Doktor und Kanonikus zu Brandenburg, Jodocus Lorcher". Mit ihm können sich allerdings die Mark und das Brandenburger Domstift nur sehr bedingt schmücken. Zwar ist er zum 10. März 1511 verzeichnet in den Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus den Jahren 1476 bis 1550, Tübingen 1877, S. 584 Nr. 139, als Jodocus Lorcher Doctor et can. de Brandenburg, doch ist er, wenn auch zeitweilig im Dienst der Markgrafen stehend, kein eigentlicher Märker, taucht als Domherr an der Havel m.W. sonst nicht auf und hat das möglicherweise als erfahrener Pfründenjäger ergatterte Kanonikat wohl nur kurzfristig innegehabt; vgl. über ihn M. von Rauch, Jodokus Lorcher von Heilbronn, Kanzler in Ansbach und Ablaßkommissar, in: Zeitschrift für bayrische Kirchengeschichte 2 (1927), S. 1-21 (dort S. 5 Hinweis auf seine Immatrikulation in Tübingen, aber insgesamt ohne ein Wort zu seinem Brandenburger Kanonikat); knap57

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Das 1435 gegründete und 1443 weitestgehend vom Domkapitel gelöste Prämonstratenserstift St. Marien in monte ist oben mit einem Fragezeichen versehen worden, weil es - abgesehen davon, daß es 1457 einen Hermann zum Studium nach Greifswald und 1462 den professus Symon Giß nach Erfurt schickte 59 - nicht als Ausbildungsstätte belegt ist und zudem nur b e i Brandenburg lag. Das Fragezeichen war auch ein Symbol für die immer noch bestehende Unsicherheit, ob die für die Veranschaulichung brandenburgischer Bildungsprogrammatik im späten Mittelalter wichtigste Überlieferung die berühmte und vieldiskutierte 60 Beschreibung der Picture nobiles Septem arciurn liberalium et mechanicarum, theologie et medicine cum pulcherrimis sententiis philosophorum - sich auf die Bibliothek der Domherren oder auf diejenige des St. Marienstifts auf dem Harlunger Berg bezog. Sie ist auf uns gekommen in zwei Autographen des Nürnberger Humanisten und Geschichtsschreibers Hartmann Schedel (1440-1514). Das eine - A - gilt als die ältere Handschrift und „dürfte kaum nach 1463 aufgezeichnet worden sein". 61 Es ist pe Zusammenfassung bei Werner Kühn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534. Ihr Studium und ihre spätere Lebensstellung (= Göppinger Akad. Beiträge 37/38), Göppingen 1971, S. 363, Nr. 2223. - Sollten allerdings die oben festgestellten Relationen von studierten und unstudierten Domherren auch nur ungefähr stimmen, könnte mit diesem Beispiel der bekannte Vorwurf von Melanchthon, in der Mark habe es zahlreiche, aber überaus ungebildete und schlechte Kleriker gegeben, bestätigt werden; siehe den Brief vom 14. Mai 1538 an Justus Jonas, in: Philippi Melanchthonis, Opera quae supersunt omnia, Vol. 3, ed. Carolus Gottlieb Bretschneider (= Corpus Reformatorum 3), Halle 1836, Sp. 521-523, hier Sp. 522; der Vorwurf ist nicht vermerkt bei Heinz Scheible (Bearb.), Melanchthons Briefwechsel, Bd. 2: Regesten 1110-2335 (1531-1539), Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, S. 369, Nr. 2031. Vgl. E. Friedländer, Aeltere Universitäts-Matrikel... (wie Anm. 54), S. 8; J. С. H. Weissenborn, Acten... (wie Anm. 48), S. 295; Karl Eduard Förstemann (Hrsg.), Album Academiae Vitebergensis, Ältere Reihe, Bd. 1, Leipzig 1841, ND Aalen 1976, S. 50; G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 205. Daß auch Michael Hermtropff/ Herrentrup, 1514 Student in Wittenberg, Stiftsherr von St. Marien war (G. Abb/ G. Wentz, Das Bistum... [wie Anm. 15], S. 205), wird von Fritz Bünger/Gottfried Wentz (Bearb.), Das Bistum Brandenburg, T. 2 (= Germania Sacra [Alte Folge] 1,3), Berlin 1941, S. 188 korrigiert; er gehörte zum Prämonstratenserstift Leitzkau. Zuletzt ausführlich und mit Hinweisen auf die ältere Literatur durch Karl-August Wirth, Eine bekannte Quellenschrift - neu gelesen, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. F., Bd. 25 (1974), S. 47-76; dort S. 50-62 auch die neueste Edition. 61 A.a.O., S. 69- - A = Bayerische Staatsbibliothek München cod. lat. 650, fol. 277r284r. - Zur Frage, ob die Schrift nicht Hermann Schedel zugewiesen werden muß, siehe unten Anm. 83 am Ende.

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möglich, daß Schedel die kommentierten Bilder selbst gesehen hat, denn er machte sich im Juni 1462 auch in Tangermünde, Wilsnack und Magdeburg Notizen. Da er aber einen Aufenthalt in oder bei der Stadt Brandenburg nicht erwähnt, ist es auch denkbar, daß er seine Beschreibung aus zweiter Hand übernahm. Das andere Autograph В - ist eine „flüchtige und fehlerhafte Abschrift von A" und wird auf die Zeit 1464-1465 datiert. 62 Allerdings enthält nur В die oben zitierte Überschrift Picture..., und nur sie bietet den entscheidenden, aber deutungsbedürftigen Lokalisierungshinweis mit dem Colophon Finiunt quedam pulcetrime picture septem arcium liberalium et mechanicarum, theologie et medicine. Et omnia prescripta ita sunt ordinata in liberaria brandeburgensi in Marchia extra vrbem, vbi sunt premonstratenses,63 Das auf anderen Wegen - wie etwa der Untersuchung des Baubefundes der Domstiftsanlagen - nicht lösbare Rätsel, ob mit der Prämonstratenserbibliothek extra vrbem die außerhalb der Doppelstadt Brandenburg gelegene Dombibliothek gemeint war oder die des 1435 von Markgraf Friedrich gegründeten Prämonstratenserstiftes St. Marien in monte, das durch den Erwerb von 62, ehedem dem böhmischen Kloster Plass gehörender Bücher im November 1441 sein einschlägiges Interesse bewiesen hatte, 64 kann auch mittels quantifizierenden Fragens nach sonstigen Örtlichkeitshinweisen für den Dom und das Marienstift nicht definitiv gelöst werden. Es ist ja zum einen nicht sicher, ob Schedel sich bei seinem Nachtrag überhaupt zeugenfähig äußern konnte und wollte, und zum anderen ist die Terminologie „vor Ort" selbst nicht hundertprozentig beweisträchtig. Trotzdem mag sich der Versuch lohnen, weil er gleichsam zu den unerledigten Aufgaben der stadtbrandenburgischen Geschichtsforschung gehört und eine ernsthafte Hypothese erlauben könnte. 65 Mustert man die Bezeichnungs- und Lageanga-

62 K.-A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie Anm. 60), S. 47 (Zitat) u. S. 70. - В = Bayerische Staatsbibliothek München cod. lat. 418, fol. 289r-293v. 63 K.-A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie Anm. 60), S. 50 bzw. S. 62; dort S. 66 u. 67 auch photographische Wiedergabe der betreffenden Stellen. ^ Bester Druck der die Buchtitel enthaltenden Verkaufsurkunde bei G. Abb/ G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 198-200. - Zur inhaltlichen Gewichtung der angekauften Bibliothek vgl. das zurückhaltende Urteil von K.-A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie Anm. 60), S. 76 Anm. 78. Während der Entdecker und erste (Teil-)Editor Alwin Schultz, Wandmalereien im Prämonstratenserkloster zu Brandenburg, in: Jahrbuch der Königlich Preussischen

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ben für das Domstift St. Peter, für das Marienstift und die beiden Städte Brandenburg unter besonderer Berücksichtigung der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowie im steten Blick auf die Schedeischen Reizworte extra, urbs und Praemonstratenses,66 so stellt sich folgendes heraus: Civitas wird die spätere Domburg bzw. Dominsel im Sinn von Bischofssitz zwar in der Gründungsurkunde von 948 und sodann in Diplomen bis in die achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts genannt, 67 steht aber seit dem 13. Jahrhundert ausschließlich für Alt- und Neustadt Brandenburg. 68 Auch alle „Stadt"-Bezeichnungen beziehen sich niemals auf die Domburg. Für diese steht seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts castrunft oder in deutschsprachigen Dokumenten seit dem 14. Jahrhundert „Burg",70 gelegentlich auch claustrum, Kunstsammlungen 1 (1880), S. 35-39, die genaue Lokalisierung in seinem Titel noch offen ließ, wußte schon im folgenden Jahr beim Abdruck und bei der Emendation dieses Textes Rudolf Grupp, Die Wandgemälde im frühem Prämonstratenserkloster der Burg Brandenburg, in: JHVB7/12 (1881), S. 79-84, die Ortsangabe in seiner Titelfassung zu präzisieren (Burg!). Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912, S. 348 - wichtig für die Breitenwirkung! - gingen mit ihren Vermutungen („höchst wahrscheinlich"!) noch weiter („auf den schmalen Endseiten mit der langen nur von wenigen Türen durchbrochenen Wand des breiten Ganges über dem Kreuzgange ..." im Nordflügel der Konventsgebäude). Zuvor schon fast identisch: Johannes Gebauer, Aus alten Tagen auf der Burg Brandenburg, in: Festschrift zur 200jährigen Jubelfeier der Ritterakademie, Brandenburg 1905, S. 33-66, hier S. 44 Anm. 1. Mit ähnlicher Gewißheit plädierte für das Stift auf dem Harlunger Berg Emil Jacobs, Ars scripturarum, in: Aufsaetze Fritz Milkau gewidmet, Leipzig 1921, bes. S. 177 f. - Edgar Lehmann, Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster im Mittelalter (= Schriften zur Kunstgeschichte), Berlin 1957, S. 31 - unter: Brandenburg. Domstift - hält eine Entscheidung allein nach dem Wortlaut bei Schedel für „nicht zu treffen"; auch für K.A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie Anm. 60), S. 73, reichen die verfügbaren Angaben nicht aus, „um eine begründete Hypothese ... aussprechen zu können". ^ Durchgesehen wurden vor allem CDB1/7-9; im folgenden werden nur exemplarisch Belege geboten. Wo die Namensform nicht betroffen ist, wurde darauf verzichtet, neuere Editionen wie z.B. in den MGH zu zitieren. 67 Z.B. CDB 1/8, S. 102 f. Nr. 14, zu l l 6 l Juni 20 (Bestätigung durch Kaiser Friedrich I.), S. 119 f. Nr. 31, zu 1188 Mai 29 (Bestätigung durch Papst Clemens III.). 68 Z u n ä c h s t - 1209 u. 1 2 3 4 - Parduin als civitas·. CDB 1/8, S. 126 ff. Nr. 40 u. S. 147 f. Nr. 63; consules et scabini veteris civitatis et nove in Brandeburg: a.a.O., S. 164 f. Nr. 89, zu 1263 Juni 28; civium antique et nove Brandenborg civitatum·. a.a.O., S. 247 Nr. 216, zu 1335 Apr. 1. 69 CDB 1/8, S. 104 f. Nr. 15, zu 1161, S. 232 Nr. 193, zu 1326 Aug. 26. 70 CDB 1/8, S. 344 Nr. 351, zu 1383 и.о.

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1 Marienkirche auf dem Marienberg 2 Gebäude des Prämonstratenserstiftes auf dem Berg 3 Altstädter Schule 4 Altstädter Pfarrhaus 5 Pfarrgarten, rückwärtige Stadtmauer und Wachtturm 6 Plauer Torturm 7 Rathenower Torturm mit Vortor und Brücke über den Stadtgraben, rechts Stadtmauer mit Weichhaus Abb. 9 Älteste Abbildung der Altstadt Brandenburg (Blick von St. Gotthardt) in der Handschrift des Zacharias Gartz (Garcaeus), Successiones familiarum et res gestae illustriss[im]orum praesidum Marchiae Brandenburgensis (1582), S. 683-686. Staatsbibliothek zu Berlin, Haus 1 [Ost]: Ms. Boruss. quart. 510; früher Gräflich Stolbergische Bibliothek zu Wernigerode: Zh 31. Die Numerierung wurde hier hinzugefügt.

„Kloster", wenn das Haus der Domherren hervorgehoben werden soll.71 Daneben trifft man mit erstaunlicher Kontinuität seit der dreimaligen Verwendung des Wortes urbs in der Urkunde, durch die Bischof Wilmar im Jahr l l 6 l das Domkapitel auf der (einmal hier auch Castrum, genannten) Burg Brandenburg einrichtet,72 und mit bemerkenswerter Häufigkeit, bis im 15. Jahrhundert lateinische Urkunden immer rarer werden, auf urbs, und zwar vornehmlich, wenn

CDB 1/8, S. 224 Nr. 182, zu 1321 Aug. 19 (claustrum), S. 271 Nr. 252, zu 1355 Febr. 23 (Closter). 72 CDB 1/8, S. 104 f. Nr. 15. 71

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auf die sedes episcopalis oder auf die Funktion der Dompröpste abgestellt wird. 73 Es wäre nun zu schön, wenn die brandenburgische Überlieferung keinen urbs-Beleg aufwies, der sich nicht auf die Domburg bezöge. Aber so leicht machen es uns die Quellen nicht. Mindestens zweimal meinen sie mit urbs wahrscheinlich die Neustadt, davon einmal ausdrücklich die nova urbs. Und für unsere Frage versinken diese beiden Beispiele nicht im Meer der civitas- und „Stadt"-Belege, sondern tanzen auf ihm wie zwei Korken. Könnte man noch versucht sein, das Actum et datum in nova urbe Brandenburg in der Urkunde, durch die Bischof Dietrich II. von Schulenburg dem Domstift 1389 die Pfarrei in Bottsin inkorporiert, wegen der nur kopialen Überlieferung anzuzweifeln oder einen Fehler des Schreibers anzunehmen, der eine Zeile höher als Zeugen einen Altaristen in nova civitate festhielt, 74 so bleibt noch das Acta sunt hec in quadam aula episcopali in urbe Brandenburg des Notariatsinstrumentes vom 19. Juli 1472 über die Resignation, erneute Wahl und angekündigte Bestätigung Bischofs Arnold von Burgsdorff.75 Die aula episcopalis, das bischöfliche Haus, war von Dietrich III. von Stechow im Jahr 1461 in der Altstadt errichtet worden, 76 diente auch in der Folgezeit als Beurkun7 3 Z.B. CDB1/8, S. 114 Nr. 27, zu 1186, S. 132 f. Nr. 48, zu 1217 Dez. 28, S. 316 Nr. 316, zu 1377 Juni 6, S. 376 Nr. 404, zu 1398 Febr. 6. - Die älteren erzählenden Quellen, angefangen bei Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg über die Annales Hildesheimenses und den Annalista Saxo bis hin zur Fundatio ecclesiae Letzkensis, benutzten ebenfalls überwiegend das Wort urbs, seltener Castrum, vgl. trotz der Zitierung z.T. überholter Editionen Moritz Wilhelm Heffter, Regesten zur Geschichte Brandenburgs a. d. H. 927-1297 n. Chr., in: JHVB 2/3 (1872), S. 18-59. 74 CDB 1/8, S. 361 Nr. 379, zu 1389 Aug. 13, nach „Gercken's Stifts-Historie, S. 635", dort (Philipp Wilhelm Gercken, Ausführliche Stifts-Historie von Brandenburg. Nebst einem codice diplomatico aus dem Brandenburgischen Stifts-Archiv, BraunschweigWolffenbüttel 1766, S. 635 f. Nr. 134 - Ex antiqua Copia - ) heißt es ecclesia in Böttsin. Gemeint sein könnte die Kirche in Pessin (Possyn, Possin); vgl. Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (= Brandenburgisches Namenbuch 4), Weimar 1976, S. 183 Nr. 257; Die Kunstdenkmäler des Kreises Westhavelland (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg 11,1), Berlin 1913, S. 118-124. 75 CDB 1/8, S. 433 f. Nr. 479, wieder nach „Gercken's Stifts-Historie" (vgl. Anm. 74), S. 662-666; dort wird verwiesen auf „Stiftsh. v. Brand.". 7 6 So die Inschrift der bischöflichen Wohnung (Saldern'schen Schule); siehe CDB I/ 8, S. 506 Nr. 549 - mit falscher Lokalisierung in der Neustadt. - Zum Verkauf des Bischofshofes in der Altstadt neben der Pfarrkirche an Matthias von Saldern siehe CDB I/ 10, S. 322 Nr. 417, zu 1567 Dez. 15.

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dungsort,77 und es läßt sich nicht widerlegen, daß der Notar dieses Anwesen gemeint und mithin die Altstadt als urbs bezeichnet hat. Im Sinne einer Zwischenbilanz ist festzuhalten, daß mit der urbs des Schedeischen Textes auch nach brandenburgischem, freilich ganz exzeptionellem Sprachgebrauch die Stadt gemeint gewesen sein könnte. Es bleibt damit denkbar, daß mit den Prämonstratensern extra urbem die diesem Orden angehörenden Domherren gemeint waren. Nur sei schon jetzt betont, daß ihre Stätte niemals definiert wird als „außerhalb der Stadt (Brandenburg)" liegend und daß auch ihr Prämonstratensertum nie als Lokalisierungshilfe benötigt wurde. Die Vermutung gegen den Bilderzyklus in der Dombibliothek wird erhärtet durch toponomastische Argumente, die für den Bibliotheksstandort Marienstift auf dem Harlunger Berg sprechen. Die Lage dieser geistlichen Einrichtung wird oft gekennzeichnet mit extra muros Brand., extra veterem civitatem Brandenburgensem, mit prope antiquam civitatem Brandeburgensem oder prope et extra civitatem Brandenburgensem78 und sehr häufig mit vor der Oldenstad Brandeborch, bey vnnser Aldenstat Branndenburg gelegen, vor Brandemborg usw. 79 Schließlich fehlt hier auch nicht der wiederholt für die Identifizierung genutzte Hinweis ordinis Premonstratensis, premonstrates orden oder ähnlich.80 Befremdlich an Schedels Formulierung Z.B. CDB1/8 , S. 435-437 №. 479, zu 1474 Apr. 11, S. 452-454 Nr. 495, zu 1496 Juni 4, S. 462 f. Nr. 506, zu 1505 Juni 6; obwohl hier weder (novo) urbs oder civitas zu Brandeborgh hinzugefügt wird, verweisen die Zeugen und die Sachverhalte nicht auf den Dombereich, sondern eher auf die Neustadt. - Nachzutragen ist noch, daß in der frühen Neuzeit die beiden Städte Brandenburg mit urbs {in utraque urbe) bezeichnet wurden, so 1565 im Widmungsbrief ad consules et senatores totius reipublicae urbis Brandenburgensis bei Johannes Garcaeus, Harmonia de ratione institutionis scholasticae, Wittenberg 1565 (wieder abgedruckt bei R. Vormbaum, Schulordnungen... [wie Anm. 4], Bd. 1, S. 519 ff·; zitiert auch bei E. Rasmus, Beiträge... [wie Anm. 9], S. 14) oder in den handschriftlichen Annales des Stiftspfarrers Heins aus den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts; vgl. Johann H. Gebauer, Beiträge zur Geschichte der Marienkirche und des Prämonstratenserklosters auf dem Marienberg, in: JHVB 38-40 (1908), S. 79-83, hier S. 83. 77

7 8 Z.B. CDB 1/9, S. 57 Nr. 90, zu 1369, S. 169 Nr. 220, zu 1448 Juli 1; CDB 1/8, S. 414 f. Nr. 459, zu 1448 Febr. 5; CDB 1/9, S. 230 Nr. 301, zu 1483 Juli 7. 7 9 Z.B. CDB 1/9, S. 146 Nr. 187, zu 1438 Mai 1, S. 187 f. Nr. 244, zu 1456 Apr. 12, S. 250 Nr. 327, zu 1499 Aug. 5, S. 312 f. Nr. 408, zu 1552 Apr. 30. 8 0 Z.B. CDB 1/9, S. 163 f. Nr. 213, zu 1446 Apr. 25, S. 169 Nr. 220, zu 1448 Juli 1, S. 187 f. Nr. 244, zu 1456 Apr. 12, S. 230 Nr. 301, zu 1483 Juli 7, S. 312 f. Nr. 408, zu 1552 Apr. 30.

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ist allein, daß sie das auffallendste und in Brandenburg nahezu stereotyp verwendete Lagemerkmal in monte, vf dem berge oder ähnlich wegläßt. Abgesehen von dieser Unterlassung, die aber keinen Beweischarakter hat, gibt es kein Wort aus dem Schedeischen Text, das sich gegen den Harlunger Berg ins Feld führen ließe, zumal die Mrfos-Terminologie im Blick auf das Marienstift nur für dieses spricht: Sollte mit extra urbem die (Alt-)Stadt Brandenburg gemeint gewesen sein, würde das gut zu den üblichen Angaben passen; wollte er aber unter urbs die Domburg verstanden wissen, dann hätte er vollends jene als intendierten Bibliotheksort ausgeschlossen. So weit wie irgend möglich abgesichert, könnte nun die ungeteilte Aufmerksamkeit dem Inhalt des von dem Nürnberger Humanisten überlieferten, für Brandenburg übernommenen Bildprogramms gelten. Weil es schon intensive Beachtung gefunden hat, braucht an dieser Stelle nur an das Wesentliche erinnert zu werden. Entscheidend ist, daß der Text mit seiner Beschreibung und Deutung der einzelnen Wissenschaften (Philosophie, Theologie, Jurisprudenz), des Triviums und des Quadriviums, der ars scripturarum bildlich dargestellt durch eine sitzende alte Frau, die in der einen Hand eine Spindel81 und in der anderen ein offenes Buch hält, durch einen Rute und Zweig (?) bzw. zwei Ruten tragenden Lehrer, vor dem seine Schüler sitzen, weiter durch zwei disputierende „Sophisten", einen Stuhlschreiber und einen Schmied, in der einen Hand ein Buch, in der anderen Hammer und Zange82 - sowie der detail81 ... habens in manu .rocken'; Α hat darübergeschrieben colum, B: rocken colum. - rocken, colum darf nicht als „Seihsieb", wie colum ms dem Lateinischen auch übersetzt werden könnte, mißverstanden werden. Es ist von colus = Spinnrocken auszugehen, der im Mittelalter offenbar von Frauen als Züchtigungsmittel, das immer zur Hand war, benutzt wurde; vgl. die Belege bei Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Bd. 2, Leipzig 1883, Sp. 480 s.v. „rocke", und bei Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, Leipzig 1893, ND München 1984, Bd. 14, s.v. Rocken, bes. Sp. 1102. 8 2 In der Edition dieses schulorientierten Abschnitts durch K.-A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... (wie oben Anm. 60), S. 54: Ymago vetule sedentis, habens in manu .rocken', et in alia librum apertum scriptum. - Ymago rectoris scolarum, habens virgam in manu vna et palmiterium in alia; coram quo sedent scolares studentes. - Duo simul disputant, inter quos stat scriptum „Sophiste". - Item catedralis scribens. - Item faber, habens librum in manu ma, in alia forpicem et malleum. Schwierigkeiten bereitet im lateinischen Text das Wort palmiterium. K.-A. Wirth bietet in seiner Edition keine Erklärung, während sein von ihm kritisierter Brandenburger Vorgänger R. Grupp, Die Wandgemälde... (wie Anm. 65), S. 79, beim ersten Auftauchen des Wortes wenigstens ein Fragezeichen in Klammern hinzufügte. Dieses ist in

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freudig geschilderten handwerklichen Tätigkeiten (artes mechanicae: lanificium, armatura, navigacio, agricultura, venacio, teatricä) so etwas wie ein umfassendes pädagogisches gesellschaftstheoretisches Programm und seine didaktische Vermittlung bietet. Er erinnert ein wenig an einen Ständespiegel oder an Rodrigo Sanchez de Arevalos Speculum vite humane, von dem die Dombibliothek eine der Tat berechtigt. In großen Lexika und Glossaren ist palmiterium überhaupt nicht zu finden, doch erweist sich Lorenz Diefenbach, Novum glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis. Beiträge zur wissenschaftlichen Kunde der neulateinischen und germanischen Sprachen, Frankfurt a.M. 1867, ND Aalen 1964, als hilf-reich. Dort (S. 277) von palma- bzw. palmitorium u.a. auf ferula verwiesen, kann man (S. 171) lernen, daß ferula wie palmitorium die Schulrute bedeuten kann, do mit man die schuler in die hende schlecht. Beleg zu palmatorium bei Alexander Neckam (gest. 1217) im Novum glossarium mediae latinitatis ab anno DCCC usque ad annum MCC (P-Panis), conf. Yves Lefevre, Hafniae 1985, Sp. 142. Daß Schedel statt ... orium das seltenere ... erium schrieb, mag man hingehen lassen. Aber warum gab sein Text wie zuvor der Gramatica ... habenspalmiterium in manu vna et virgam in altera (K.A. Wirth, Eine bekannte Quellenschrift... [wie Anm. 60], S. 50) - dem Schulmeister in jede Hand ein Züchtigungsinstrument? Die Holzschnitte mit Lehrerdarstellungen in Inkunabeln des ins Deutsche übersetzten Speculum vite humane des Roderigo Sanchez de Arevalo (vgl. Anm. 83), deren inhaltliche Nähe zu unserer Beschreibung u. a. dadurch gegeben ist, daß im Hintergrund der Abbildungen zu Grammatik und Logik zwei disputierende Schüler (einer mit Eselskopf) stehen, trägt der Lehrende jeweils lediglich eine Rute, während die andere Hand auf einem aufgeschlagenen Buch liegt oder einen belehrenden Gestus vollzieht; vgl. Spiegel des menschlichen Lebens, o.O u. J. (Augsburg, Gunther Zainer 1475?), fol. 74r (zu c. 35, betr. die zwei ersten freien Künste, Grammatik und Logik: am Pult mit Buch vor Schülern sitzender Lehrer; im Hintergrund Disputanten) und fol. 138 ν (Der Scolasticus versieht die schul: dozierender Lehrer); Spiegel des menschlichen Lebens, Augsburg, Peter Berger 1498, fol. 69r und 128 v. Auch die Abbildungen bei Emil Reicke, Magister und Scholaren. Illustrierte Geschichte des Unterrichtswesens, Leipzig 1901, ND Düsseldorf-Köln 1971, S. 50 f., und bei Horst Schiffler/Rolf Winkeler, Tausend Jahre Schule- Eine Kulturgeschichte des Lernens in Bildern, Stuttgart-Zürich 1985 (Abb. 27, 32, 35, 54 u. 55), zeigen die Lehrpersonen im Stil der oben genannten Inkunabeln nur mit einer Rute. Trotzdem kann Schedels Beschreibung korrekt sein. In einer zu 1241 datierten Handschrift der Münchener Staatsbibliothek (clm 17405) der Scolastica Historia des Petrus Comestor trägt die Grammatik ebenfalls schon in beiden Händen eine Rute; siehe die Abbildung bei Georg Steinhausen, Geschichte der Deutschen Kultur, Bd. 1, 2. Aufl., Leipzig-Wien 1913, S. 231, und 3., neu bearb. Aufl., Leipzig 1929, S. 95; dieser Bildtradition wäre noch nachzugehen. Zwei Ruten kennt die Sprichwortweisheit, entweder im Sinne von besser mit einer Rute gestrichen als mit zweien oder als man soll niemand mit zwei Ruten streichen-, vgl. K. F. W. Wander (Hrsg.) Deutsches Sprichwörter-Lexikon... (wie Anm. 194), Bd. 3, Sp. 1779-1782 Nr. 4, 38, 45, 46 und 79. - Auch Schedels catedralis scribens wird übrigens in den eben genannten Inkunabeln abgebildet, er heißt dort Sesselschreiber, siehe fol. 36 r bzw. 42 v.

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Augsburger Inkunabel aus dem Jahr 1471 besaß. 83 Noch stärkere Verwandtschaft verbindet ihn mit dem um 1480 von dem Augsburger Frühhumanisten Sigmund Gossembrot überlieferten Bildprogramm, und er gehört insgesamt in einen weit zurückreichenden ikonographischen Zusammenhang, 84 dort einen mit Recht vielbeachteten Platz einnehmend - und das alles in, bei oder doch für Brandenburg an der Havel! Würde man Schedels Aufzeichnungen kombinieren mit den aus Prag, Erfurt und Leipzig in die Bibliotheken des Domund Marienstiftes mitgebrachten Studienmanuskripten und den anderen dort angeschafften Handschriften und Büchern, 85 könnte ein Vgl. das Verzeichnis der Wiegen- und Erstdrucke bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 95. - Zu dem spanischen, aber in Rom schreibenden Autor und seinem oft gedruckten Speculum vgl. Teodora Toni, Don Rodrigo Sanchez de Ar0valo, 1404-1470, in: Anuario de historia del derecho espanol 12 (1935), S. 97360, bes. S. 283-286 u. S. 356 f.; Juan Maria Laboa, Rodrigo Sanchez de Arevalo, Alcaide de Sant'Angelo (= Publicaciones de la Fundacion Universitaria Espanola, Monografias 8), Madrid 1979, bes. S. 279-283. Vgl. Karl-August Wirth, Neue Schriftquellen zur deutschen Kunst des 15. Jahrhunderts. Beiträge zu einer Sammelhandschrift des Sigmund Gossembrot {Cod. lat. топ. 3941}, in: Städel-Jahrbuch, N.F., 6 (1977), S. 3 1 9 ^ 0 8 , dort S. 384-387 der Hinweis, daß die bei Gossembrot über mehrere Seiten verstreuten lateinischen Texte „eine nicht ganz vollständige Abschrift" der überlieferten Beschreibung sind, ohne daß von einer Bibliothek oder von Brandenburg die Rede ist; ders., Von mittelalterlichen Bildern und Lehrfiguren im Dienste der Schule und des Unterrichts, in: B. Moeller u.a. (Hrsg.), Studien... (wie Anm. 3), S. 256-370, dort S. 331 in Anm. 212 - unter Hinweis auf Richard Stauber/Otto Hartig, Die Schedeische Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der Ausbreitung der italienischen Renaissance, des deutschen Humanismus und der medizinischen Literatur (= Studien und Darstellungen aus döm Gebiet der Geschichte, Bd. 6, H. 2/3), Freiburg 1908, S. 31 - die Anregung, die Zuweisung an Hermann statt an Hartmann Schedel erneut zu erörtern. 85 Vgl. die bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 89-97 abgelisteten, z.T. durch V. Rose, Verzeichniss... (wie Anm. 16) beschriebenen Handschriften, Inkunabeln und Frühdrucke des Domkapitels sowie a.a.O., S. 198-201 das Wenige, das man über die Bibliothek des Stiftes auf dem Harlunger Berg, deren Grundbestand aus dem rooster Plass stammt und 1441 vom Kloster Dobrilugk erworben wurde, weiß. - Aus den Domrechnungen geht hervor, daß die Stiftsbibliothek schon 1546 durch den kurfürstlichen Sequesterbeamten verschleppt worden war; vgl. Johann H. Gebauer, Der Untergang des Prämonstratenserklosters auf dem Harlunger Berge, in: /ЯУВ 34/35 (1904), S. 55-74, dort S. 56, Anm. 2; weiteres bei F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 10), S. 396 („von einem lausitzischen Kloster erworben"; gemeint war Dobrilugk); K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... (wie Anm. 11), S. 17 f., verdreht (unter Hinweis auf Priebatsch!) den Sachverhalt: „... ist nach der Reformation in ein Lausitzer Kloster gekommen."

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wichtiger Beitrag zur märkischen Bildungsgeschichte und ihrer Verflechtung in die gesamteuropäische des Mittelalters geleistet werden. Wenigstens ganz knapp ist auf die beiden Bettelordensklöster hinzuweisen. In Abhandlungen über das städtische Schulwesen werden die Stadtklöster in der Regel nicht mitbehandelt, weil sich deren Ausbildungstätigkeit im wesentlichen nach innen richtete, den eigenen Novizen und Brüdern, nicht aber einer auch nur beschränkten Öffentlichkeit galt. 86 Diese wissenschaftliche Abstinenz sollte überdacht werden, zumal ja der eine oder andere Novize und Mönch aus der jeweiligen Stadt selbst stammen kann und die Unterweisung von Bettelordensmönchen auf dem Weg über Predigt und Seelsorge durchaus für den städtischen Alltag von hoher Relevanz war. In dem an dieser Stelle (noch) nicht zu sprengenden Rahmen der älteren und institutionengeschichtlich durchaus vertretbaren Tradition sei hier lediglich angezeigt, daß bei den Franziskanern in der Brandenburger Altstadt der magister noviciorum - seit 1472 Johannes Northeym und noch 1554 Jakob Huvie oder Hune(n) - sowie der Lektor Hermann Königsberg, Verfasser einer Passio und 1446-1448 zugleich Provinzialvikar der sächsischen Observanten, bezeugt sind 87 und daß eine ansehnliche Bibliothek gelehrte Tätigkeit möglich machte. 88 8i)

Von der Sache her begründete Ausnahme mit hohem Informationswert: Sönke Lorenz, Studium Generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jahrhundert (= Monographien des Mittelalters 34), Stuttgart 1989. 87 Die Personaldaten bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 368 f. Allgemein sei auf den Beitrag von Hans Joachim Schmidt in diesem Band verwiesen; ders., Bettelorden in Trier. Wirksamkeit und Umfeld im hohen und späten Mittelalter (= Trierer Historische Forschungen 10), Trier 1986, bes. S. 319 f., mit der Feststellung, daß die Mendikanten für die Schul- und Bildungssituation der in der Stadt lebenden Bevölkerung keine nennenswerte Rolle spielten. Mit ähnlicher Tendenz, jedoch positiver hinsichtlich der Ausbildung von Weltklerikern: Dieter Berg, Bettelorden und Bildungswesen im kommunalen Raum. Ein Paradigma des Bildungstransfers im 13Jahrhundert, in: Zusammenhänge, Einflüsse, Wirkungen. Kongreßakten zum ersten Symposium des Mediävistenverbandes in Tübingen, 1984, hrsg. von Joerg O. Fichte, Karl Heinz Göller u. Bernhard Schimmelpfennig, Berlin-New York 1986, S. 414-425. 88 Vgl. Gustav Abb, Die ehemalige Franziskanerbibliothek in Brandenburg a.d.H., in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 39 (1922), S. 4 7 5 ^ 9 9 , u. 40 (1923), S. 173; Fritz Schillmann, Die juristische Bibliothek des Georgius Sabinus, in: a.a.O., 28 (1911), S. 487-495; einen echten Beitrag zur illuminatio civitatis et ecclesie arbeitete auch heraus Kaspar Elm, Mendikantenstudium, Laienbildung und Klerikerschulung im spätmittelalterlichen Westfalen, in: ders., Mittelalterliches Ordensleben in Westfalen und am Niederrhein (= Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 27), Paderborn

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Bei den Dominikanern in der Brandenburger Neustadt sind zwei magistri studentium, ein Namenloser im Jahr 1400 und Johannes de Libra zwischen 1418 und 1430 sowie zehn Lektoren bzw. Lesemeister belegt.89 Wissenschaftliche Studien wurden hier bekanntlich groß geschrieben. Als hervorragende Köpfe sei nur auf Clemens Lossow und Johannes Botzin hingewiesen.90 Wer über die Stadtmauern hinausschaut und nach bildungs- und wisssenschaftsgeschichtlichen Kanälen fragt, die Brandenburg an die großen Ströme der mittelalterlichen Universitätshistorie anschlossen, wird Brandenburger Predigerbrüdern nach Magdeburg, Erfurt, Rostock, Frankfurt oder auch bis hin nach Paris und Siena folgen und die große Mobilität innerhalb der Ordensgemeinschaft nachvollziehen,91 falls er nicht den Bücherschätzen der 1497 eigens errichteten, zweigeschossigen Bibliothek auf der Spur ist.92 Auf die Vorstellung der beiden Schulen bei St. Gotthardt und bei St. Katharinen werden die Stadthistoriker besonders neugierig sein. Leider gleicht jedoch die Überlieferung einem dürren und von der älteren Forschung bereits fleißig benagten Knochen. Das ist übrigens keine Eigentümlichkeit der Stadt Brandenburg, sondern trifft für viele Schulen der mittelalterlichen Mark zu. Von den insgesamt 49 nachweisbaren Schulorten sprudeln nur aus Berlin-Cölln, Frankfurt, Neuruppin, Salzwedel und Stendal die Quellen etwas reichlicher, für bestimmte Fragen wären auch noch Beeskow und Schönfließ zu nennen. Für Arneburg, Beizig, Bernau, Brück,

1989, S. 184-213; zuerst in: B. Moeller u.a. (Hrsg.), Studien...

(wie Anm. 3), S. 5 8 6 -

617. 89

Vgl. mit den Einzelbelegen und den Hinweisen auf die ältere Literatur G. Abb/

G. Wentz, Das Bistum... 90

(wie Anm. 15), S. 393-404.

Vgl. Fritz Bünger, Zur Mystik und Geschichte der märkischen

Dominikaner

(= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), Berlin 1926, bes. S. 95-109; dort S. 99 ff. zu Johannes Botzin und S. 113 ff. zu Clemens Los-

sow; Thomas Kaeppeli, O.P., Scriptores Ordinis Praedicatorum, I, Rom 1970, S. 268 f. (zu C. Lossow). 91

Vgl. zum Einstieg das Verzeichnis der Mitglieder des Konvents bei G. Abb/

G. Wentz, Das Bistum...

(wie Anm. 15), S. 397-399; F. Bünger, Zur Mystik...

(wie

Anm. 89), S. 97 и.о. 9 2 Ernst Riedel, Der Bau der Bibliothek und der Rosenkranzkapelle des Dominikanerklosters zu Brandenburg. Nach einer Urkunde des Zerbster Stadtarchivs, in:

JHVB32/33

(1901), S. 93 f.; vgl. auch Die Kunstdenkmäler...

119 mit Abb. 72-75.

(wie Anm. 65), S. 1 1 6 -

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Eberswalde, Friesack, Gransee, Köpenick, Kremmen, Nauen, Niemegk, Osterburg, Perleberg - ja selbst für Havelberg kann man sogar erst den reformationszeitlichen Visitationsprotokollen die Existenz einer städtischen Schule, die schon im Mittelalter vorhanden gewesen sein muß, entnehmen. 93 Im folgenden wird versucht, zu den zentralen schulgeschichtlichen Fragen- 1. erste Nennung und vermutete Entstehungszeit; 2. topographische Lage der Schulen, Gebäude; 3. Lehrer; 4. Schüler und Unterrichtsstoff; 5. Verhältnis zum Rat und zur Kirche - die Brandenburger Aussagen zu präsentieren und sie unter besonderer Berücksichtigung der Region Mark Brandenburg s о in den jeweiligen allgemeineren Sachzusammenhang einzuordnen, daß die stadtbrandenburgischen Fragmente über Anleihen verstehbar werden, ohne durch leichtfertiges Generalisieren mögliche Eigentümlichkeiten zu verwischen. (1) Erste Erwähnung und vermutliche E n t s t e h u n g s z e i t : In dem von Sello teilweise herausgegebenen Schöffenbuch der Neustadt steht die Aufzeichnung, daß ein Arnoldus Iwan dem Schulmeister und Stadtschreiber Eberhard am 11. Januar 1330 auf ein Grundstück eine Rente verkauft habe. 94 Dies ist der erste Beleg für eine städtische Schule in Brandenburg. Ein Jahr später beziehen sich zwei Eintragungen im Schöffenbuch auf dieselbe Schuldsache, doch wird hier Eberhard als magister Everboldus bezeichnet. 95 Der nächste Beleg stammt aus dem Jahr 1346, er ist zugleich der früheste für die Altstädter Schule: Als Zeugen in einem Notariatsinstrument werden aufgeführt für die Altstadt der rector scolarum Albrecht und für die Neustadt der rector scholarum Henning. 96 Mit diesen Daten (1330, 1331 und 1346) liegen Neu- und Altstadt im märkischen Altersver-

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Mehrere der genannten Zahlen, Namen und Fakten sind nach Überprüfung übernommen aus der Arbeit von B. Blum, Das Schulwesen... (wie Anm. 11) und aus K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... (wie Anm. 11). 94 Georg Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen, in: Märkische Forschungen 18 (1884), S. 1-108, hier S. 42 f., Nr. 136: Everhardo rectore (!) scolarium et scriptori nostro et suis legitimis heredibus ...In certitudinem vero ampliorem dictus Arnoldus diclo Everhardo, scriptori nostro, dictam heredidatem... resignavit. 95 G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94), S. 44 f., Nr. 148 u. 149: ... magistro Everboldo ... bzw. ... magister Everboldus. 96 CDB1/8, S. 260 f. Nr. 236, zu 1346 Mai 21. Es handelte sich um nichts Geringeres als die in beiden Stadtkirchen verkündete Zitation am Mord des Bernauer Propstes

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gleich sehr günstig. Der früheste, aber nicht ganz eindeutige Hinweis aus dem Jahr 1321 stammt aus Neuruppin, wo zur Ausstattung eines Altars auch eines „scholers" gedacht wird. 97 Sollte damit kein richtiger Schüler, sondern nur ein Altaristengehilfe gemeint sein - die Schule als Gebäude wird erst 1365 erwähnt - , 9 8 könnte Wittstock mit einem Zeugnis von 1328 den ältesten Beleg vorweisen, 99 gefolgt von Salzwedel 1329, 100 so daß Brandenburg Neustadt an die dritte Stelle zu piazieren wäre, rasch gefolgt von Spandau (20. Januar 1330) 101

Beteiligter. Die Schulleiter werden jeweils am Ende der Zeugenreihe aufgeführt: (für die Altstadt) ... Viris dominis Petro de Rathenow, Johanne altarista et Alberto rectore scolarum, presbyteris... bzw. (für die Neustadt) ... viris domino Johanne Knovel, priore ecclesie Brandenburgensi, Nicoiao Valkenrede, Petro de Jano et Henningo, rectore scolarum, testibus ... 97 CDB1/4, S. 286 Nr. 6, am 23. Febr. 1369 transumierte Urkunde von 1321 März 6. Der Rat bekennt, dat wy Scholen pleghen dem pristere thu deme Altere eynes scholers, buke, kelkes, wynes, oblathen, lichtes und alles, des man thu godes dinste bedarf. Zum Begriff scolaris nicht nur als Schüler, sondern im allgemeineren Sinn für jemanden, der in einem dienenden Verhältnis steht, vgl. S. Lorenz, Studium Generale... (wie Anm. 86), S. 34 mit weiterer Literatur. 9 8 Im Gebäudesteuerregister: CDB 1/4, S. 297-304 Nr. 18, hierS. 300: ...Amtcoche apudscolam ... Die Schule lag in der Scharrenstraße in der Nähe der Pfarrkirche, so Johannes Schultze, Geschichte der Stadt Neuruppin, 2. Aufl., Berlin 1963, S. 45; des scholers von 1321 gedenkt J. Schultze nicht, nur des 1416 ersterwähnten Schulmeisters. 9 9 Ludolf von Zechlin, magister scolarum in Wittstock, wird zuerst am 14. Januar 1328 in den Akten eines langwierigen Prozesses zwischen einem Schweriner Geistlichen und einem Rostocker Laien erwähnt: Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 7, Schwerin 1872, S. 461-464, Nr. 4830; vgl. ohne nähere Hinweise auch B. Blum, Das Schulwesen... (wie Anm. 11), S. 36 u. 66. 100 CDB 1/25, S. 200 Nr. 53, zu 1329 Jan. 20; für die Teilnahme an Gedenkgottesdiensten ... Magistro scholarum solidum, et vigintiquatuorscholaribus, quos idem magister secum ad vigilias et ad missam ordinabit quatuor silidos [sie!] ... 1 0 1 Johann Ludwig Dilschmann, Diplomatische Geschichte der Stadt und Festung Spandow, Berlin 1784, S. 32 Anm. h unter Verweis auf eine „Original-Urkunde von 1330" betr. Altarstiftung in der Nicolaikirche, wo vorkommt ein Johannes de Genfenberg oder Gerpendorf Sacerdos, quondam Rector nostrorum parvulorum, ähnlich Daniel Friedrich Schulze, Zur Beschreibung und Geschichte von Spandau. Gesammelte Materialien, hrsg. von Otto Recke, Bd. 2, Spandau 1913, S. 6 der Priester Johannes von Gerpendorff, der sonst rector parvulorum hier gewesen"; ungenau: Richard Lamprecht, Die große Stadtschule von Spandau von ca. 1300 bis 1853, Berlin 1903, S. 1. Eine Abschrift der Urkunde im Spandauer Stadtarchiv (IV U 173, fol. 45r--46 r) bietet die Tagesangabe; Mitteilung von Herrn Joachim Pohl, der demnächst seine Dissertation über Spandau im Mittelalter abschließen wird.

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und Königsberg (1333), 1 0 2 dann 1338 von Stendal, 103 1340 von Gardelegen, 104 1341 von Frankfurt 105 und Beeskow, 106 1346 von Brandenburg Altstadt, 1 0 7 - danach erst von Berlin (1347), 1 0 8 Kyritz (1351) 1 0 9 und Treuenbrietzen (1370). 1 1 0 Von den genannten Daten ist lediglich 1338 - Stendal - als Gründungstermin zu verstehen, wobei zu beachten ist, daß es schon vorher eine Stiftsschule - auch für die Stadtkinder - gegeben hatte. 111 Eigentliche Gründungsurkunden oder bewußte Erstnennungen wie bei Vikareien, Kapellen, Altären oder auch städtischen Pfarreien sind wohl nie ausgestellt worden. Das ist wichtig für die Einschätzung der Rechtsqualität der Schulen durch die Städte und für das tatsächliche Alter der Unterrichtsanstalten. Nichts macht dies deutlicher, als daß die Spandauer Schule im Jahr ihrer Ersterwähnung als baufällig bezeichnet wurde, also bereits einige Zeit bestanden haben muß. 112 Wann aber mögen

CDB1/19, s. 193 Nr. 34, zu 1333 Jan. 7, betr. Patronat des Altars der Elendengilde, unter den Zeugen magister Egidius nostrarum scholarum. 103 CDB 1/5, S. 87 f. Nr. 131, und Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe, hrsg. von Gustav Schmidt, T. 3 (= Publikationen aus den Königlich Preußischen Staatsarchiven 27), Leipzig 1887, S. 403 f., Nr. 2305, zu 1338 Nov. 13, betr. Bannung der Stadt wegen Errichtung der neuen Schule: ... novas scolas ...et rectores et magistros institutes ... Schon am 26. Mai 1338 hatte der Bischof seine zuvor erteilte Erlaubnis zurückgezogen, a.a.O., S. 397 f., Nr. 2300. 104 CDB 1/6, S. 98 Nr. 132, zu 1340 Nov. 9, der Rat erhält vom Halberstädter Bischof das Verfiigungsrecht super dictis scolis und soll nicht belästigt werden occasione dictarum scholarum. 105 CDB 1/23, S. 34 Nr. 47, unter den Zeugen einer Appellation an den Papst Sabello Seger rectori scolarium opidi Vrankenvorde. 106 CDB 1/20, S. 345 Nr. 9, zu 1341 Apr. 25, die Schustergilde betreffendes Ratsstatut ... Permanus Johannis Paschtag, rectoris nostre schole. 1 0 7 Wie Anm. 95. - Daß der Altstädter Schulrektor Albert identisch ist mit dem späteren Domprior und Pfarrer von St. Katharinen, Albrecht von Thümen - bezeugt zwischen 1355 und 1364 (siehe G. Abb/G. Wenz, Das Bistum... [wie Anm. 151, S. 124 u. 132) - , ist wohl nicht anzunehmen. 108 Urkunden-Buch zur Berlinischen Chronik, hrsg. von Friedrich Voigt, Berlin 1869, S. 97, Nr. 67, zu 1347 Aug. 18, betr. Vigilien und Seelenmessen für den ermordeten Propst von Bernau cum magistro et scolaribus. 109 CDB 1/25, S. 26 Nr. 38, zu 1351 Jan. 6, wieder für ein Anniversar ... Rectori scholarum cum scholaribus IIsolidos ... 110 CDB 1/9, S. 381 f. Nr. 41, zu 1370 Juni 23, betr. eine Seelgerätstiftung: ... missas cum sacerdotibus et singulis scolaribus-, unter den Zeugen: magister Petrus Pianeman. 1 1 1 Das ergibt sich aus dem Schulstreit von 1338 ff., siehe oben Дпт. 103. 1 1 2 J. L. Dilschmann, Diplomatische Geschichte... (wie Anm. 101), S. 6, und D. F. 102

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die genannten Städte (bis auf Stendal) ihre Schulen bekommen haben? Eine Frühzeit wie etwa in Flandern kommt selbstverständlich nicht in Frage, aber auch an die Mitte oder an die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts wie bei den fortschrittlicheren Ostseestädten wird man wohl nicht denken dürfen. 113 Anzunehmen ist, daß in Stadt und Markgrafschaft Brandenburg die Gründungswelle am Anfang des 14. Jahrhunderts, vielleicht in seinem zweiten Jahrzehnt, einsetzte, um sodann in den zwanziger bis vierziger Jahren anzuschwellen. Politisch-wirtschaftlich scheint das nur schlecht in den damaligen historischen Kontext zu passen: Niedergang und Aussterben der Askanier, Wirren um deren Nachfolge, wittelsbachisches Interregnum. Auf den zweiten Blick „paßt" es dann doch: Es war einfach Zeit, nun dem hansischen Vorbild nachzulaufen, und gerade die Herrschaftsschwäche im Territorium könnte vor Ort Initiativhemmungen beseitigt haben. Beginn also des städtischen Schulwesens in Brandenburg an der Havel wahrscheinlich um oder bald nach 1320 vielleicht im strukturellen Zusammenhang mit der Errichtung des Schöppenstuhls im Jahr 1315. 1 1 4 Die gegenüber dem Neustädter Schulrektor um eineinhalb Jahrzehnte spätere Erwähnung seines Altstädter Kollegen könnte eine analoge zeitliche Differenz der SchulSchulze, Zur Beschreibung... (wie Anm. 101), S. 6 (aus der Kämmereirechnung): „Ausbesserung der Schule". 1 1 3 Vgl. K. Wriedt, Schulen... (wie Anm. 3). - Lieselott Enders, Die Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam 28), Weimar 1992, S. 72 und - an erster Stelle von Nachrichten über das Schulwesen in der Uckermark - S. 63 verweist zu 1240 auf einen „Lateinschulmeister in Pasewalk". Beleg ist Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1, 2. Aufl., neu bearb. von Klaus Conrad (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, R. 2, Bd. 1), Köln 1970 (künftig PUB 1 zitiert), S. 304 ff. (statt richtig: S. 451 ff.), Nr. 377, zu 1240 Apr. 24, wo (S. 453) unter den einen wichtigen Vertrag Herzog Barnims I. von Pommern mit dem Bischof vor Kammin bezeugenden Personen, piaziert nach einigen Kanonikern und vor einigen Priestern, genannt wird Amoldus scolasticus in Posewalc. Die mögliche Assoziation Lateinschulmeister - Lateinschule in Pasewalk dürfte in die Irre führen, wenn an eine städtische Einrichtung gedacht wird. Welche Rolle der Scholaster Arnold, dessen Titel eher auf ein Stiftsamt verweist und dessen Reihung unter den Zeugen in dieselbe Richtung deutet, in Pasewalk neben oder unter dem zu 1239 und 1241 erwähnten Pasewalker Propst Heinrich (PUB 1, S. 435 u. 463) gespielt hat, ist aus Mangel an anderen Zeugnissen nicht auszumachen. 1 1 4 Siehe den Beitrag von Friedrich Ebel in diesem Band. Die Behauptung von Richard Galle, Bildung, Wissenschaft und Erziehung, in: Landeskunde der Provinz

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gründungen widerspiegeln, weil auch auf anderen Gebieten die Neustadt gegenüber der Altstadt die Nase vorn gehabt hat. Kein Problem ist darin zu sehen, daß jedenfalls innerhalb kurzer Frist in beiden Städten Unterricht erteilt wurde. Das entspricht den Erfahrungen aus anderen Doppelstädten wie Berlin-Cölln und hängt zudem eng mit der doppelpoligen Pfarrkirchenstruktur zusammen. 115 (2) Damit ist der Übergang zur t o p o g r a p h i s c h e n Frag e angeboten, denn Pfarrkirche und Schule gehörten in Brandenburg wie in den meisten Städten der Mark institutionell, personell und eben auch von der örtlichen Lage her zusammen, und noch der heutige Befund weist ja bekanntlich auf diese alte Bindung hin. Bei der altstädtischen Schule muß freilich die Einschränkung gemacht werden, daß die Saldria kein Nachfolgebau der mittelalterlichen Schule ist, sondern auf dem Gelände des ehemaligen Bischofshofes errichtet wurde. Vor der 1591 vollendeten Saldria befanden sich die Schulräume im späteren Subdiakonatshaus am St. Gotthardtskirchplatz. Eine Nachricht von 1552 besagt, daß der Bau zweistöckig war, der eine Giebel zum Küsterhaus und der andere zum Pfarrhaus wies und ein Neubau für notwendig erachtet wurde. 1 1 6 Die älteste Abbil-

Brandenburg, Bd. 4: Die Kultur, hrsg. von Ernst Friedel u. Robert Mielke, Berlin 1916, S. 407-554, hier S. 422, von „Lateinschulen in der Altstadt und in der Neustadt (schon seit dem 13. Jahrhundert)" ist völlig unbegründet, ebenso wie die, daß die St. PetriKirchschule in Cölln schon vor 1276 bestanden habe (S. 543). 1 1 5 Zu Berlin (Schulen bei St. Nikolai, später auch bei St. Marien) und Cölln (Schule bei St. Petri) s. B. Blum, Das Schulwesen... (wie Anm. 11), S. 11-13; Wilhelm Richter, Berliner Schulgeschichte. Von den mittelalterlichen Anfängen bis zum Ende der Weimarer Republik (= Historische und Pädagogische Studien 13), Berlin 1981, S. 3 ff. Zum Problem „Pfarrkirchen und Schulwesen" allgemein und speziell in Braunschweig siehe M. Kintzinger, Das Bildungswesen... (wie Anm. 3), S. 187-229. - Ein schönes Beispiel für die lange währende Auswirkung der Parochialgliederung auf das Schulwesen bieten die aneinander grenzenden Ober- und Niederfreden im ehemaligen Herzogtum Braunschweig, wo noch im 18. Jahrhundert neben den beiden Kirchen ein eigenes Schulhaus stand; vgl. Hermann Lange, Scbulbau und Schulverfassung der frühen Neuzeit (= Pädagogische Studien 12), Weinheim-Berlin 1967, S. 180 u. 515 (Abb. 58 a). 1 1 6 O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 18. Tschirch stützt sich auf Levin Johann Schlicht, Historische Nachricht von dem Ursprung und den Fatis der Lutherischen und insonderheit der Salderischen Schule hierselbst in der Chur- und HauptStadt Alt Brandenburg, Brandenburg 1713, S. 11, und verweist außerdem auf das Stadtbuch von 1551, S. 38: „Verdingung der Schulen an Zimmerer, Maurer ... von 1552".

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dung der Altstadt von 1582 in der Chronik des Zacharias Garcaeus veranschaulicht die heute noch greifbare Situation.117 Für die Lokalisierung der Neustadt-Schule kann man auf eine Kaufbestätigung vom 2. März 1386, die in der Forschung lange Zeit als älteste Neustädter Schulnachricht galt, zurückgreifen. 118 Damals bekundeten die Kalandsbrüder der Neustadt den Kauf eines Erbes, dat dar steit an den Parrekerkhof by der Scholen. Weitere Erkenntnisse bieten Verse im Stadtbuch der Neustadt Brandenburg. 119 Unter der Überschrift: Nota versus de ecclesia nostra heißt es nach den leoninischen Notizen über den Einsturz der Katharinenkirche (1395) und die Aufstellung des Rolands (1402): De scola: Stans scola refecta murifice120 quoque tecta // cum scribunt Christo quater CCCC et Μ iota quarto. Georg Sellos Vermutung, daß also 1404 die Schule ein Ziegeldach bekommen habe, was angesichts der sonstigen Strohoder Holzdächer erwähnungswürdig gewesen sei, ist gut nachvollziehbar.121 Die relativ solide Bauweise paßt jedenfalls zu Überlieferungen aus anderen Ortschaften. Zwischen 1560 und 1570 abgerissen, wurde sie 1570/72 durch ein noch ansehnlicheres Gebäude ersetzt.122 117

S. Abb. 9 in diesem Band auf S. 245; vgl. Otto Tschirch, Das älteste Bild der Altstadt Brandenburg (von 1582), in: JHVB 26/28 (1896), S. 90-95. - Zum Vergleich: Ein ganz ähnlicher Bau im 18. Jahrhundert war die Deutsche Schule in Heilbronn, siehe dagegen den prächtigen hochgotischen Backsteinbau der Alten Schule bei der Marienkirche zu Wismar, siehe H. Lange, Schulbau... (wie Anm. 115), S. 506 Abb. 54 a bzw. S. 418 Abb. 5. 118 CDBV9, S. 65 f. Nr. 103; ältere Drucke nennt der gründliche E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 8 f., wo auch Riedels unsinnige Datierungsauflösung (7. Februar) zu Recht korrigiert wird. 119 G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94), S. 57 ff., hier S. 64. - Diese Verse sind auch vor und nach Sello zitiert und interpretiert worden, so bei M. W. Heffter, Geschichte... (wie Anm. 7), S. 240; Ernst Wernicke, Die St. Katharinenkirche zu Brandenburg nebst ihren Altertümern und Denkmälern, Brandenburg 1876, S. 2; E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 9. 120 Dieses abgekürzt geschriebene Wort ist unterschiedlich gelesen worden. M. W. Heffter, Geschichte... (wie Anm. 7), las mirifice; G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94), S. 65, hielt auch magnificefür möglich, bevorzugt aber murifice; E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 9, plädiert mit guten Gründen für munifice, ihm haben sich angeschlossen Siegfried Schultz/Karl Boelke, Beiträge zur Geschichte der St. Katharinenkirche und -gemeinde zu Brandenburg a.H. (= Festschrift zum fünfhundertjährigen Bestehen der Kirche), Brandenburg 1901, S. 33. 121 G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94), S. 65. 122 Quelle aus den Magistratsakten ediert bei Friedrich Wilhelm Wölner, Zur Ge-

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Im Nachtrag zu seinem Märkischen Bildungswesen vor der Reformation hat Karlheinrich Schäfer gemeint, außer der Domschule und den beiden Stadtschulen „noch eine vierte Lateinschule" nachweisen zu können, „nämlich bei der Personalpfarrkirche St. Peter vor dem Dom, werden doch im Jahre 1409 ihre Scholaren mit dem Pfarrer genannt". 123 In der Tat ist von der stadtbrandenburgischen Schulgeschichtsforschung dieser Beleg vor Schäfer nicht beachtet worden, obwohl er Aufmerksamkeit verdient. Worum geht es? Die Geburen des markgräflichen und domstiftischen Kietzes vor der Burg zu Brandenburg stiften mit Erlaubnis Bischof Hennings eine Begräbnis- und Memorienbruderschaft am 11. November 1409.124 Dabei wird unter den zahlreichen Einzelbestimmungen auch festgelegt, daß man bei den jährlichen Gedächtnisfeiern am Sonntagabend und am Montagmorgen auf dem Markgrafenkietz eine gemeinsame Mahlzeit halten soll, und unse Meystere Scholen unsen Perrer und den Schulre dazu bitten, und nach dem Morgenmahl soll man aus der Kammer deme Parrer eynen Kroschen und Schulre vyr Pennynghe geben vor dy Vilge. Ist damit aber eine vierte Lateinschule in Brandenburg nachgewiesen? Ganz absurd ist die Annahme wohl nicht, weil ja die Zuordnung einer Schule zu jeder städtischen Pfarrei häufig vorkommt und die Kietzer im Kontext den Pfarrcharakter von St. Peter beim Dom deutlich betonen (tu sunte Peters in unser Parre). Andererseits überwiegt der Zweifel. Schulre mag wohl als „Schüler" ins Neuhochdeutsche übertragen werden. Hier ist jedoch nur von einem Schüler die Rede, der mit dem Pfarrer die Vigilie feiert, mithin eine ministrantenähnliche Funktion ausübt, und dann wäre schulre = scholarius, im Sinne von Scholar = etwas älterer Pfarrgehilfe, nicht auszuschließen. Und selbst wenn Schulre hier nicht Ministrant meint, sondern wirklich Schüler im eigentlichen Sinne: Wo war bei der Peterskapelle die Schule, und wer war der Schulleiter? Liegt es nicht, anstatt von einem einzigen Schulre auf eine sonst nicht bezeugte und für Kietzer auch wohl kaum eingerichtete Lateinschule zu schließen, näher, an die

schichte des Gymnasiums der Neustadt Brandenburg, in: JHVBHY1 (1881), S. 66-78, hier S. 75 f.; vgl. E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 18, mit Abbildung des bis 1784 genutzten Hauses auf S. 19 und Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 65), S. 217, dort Abb. des Nachfolgebaues. 123 K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... [2] (wie Anm. 11), S. 74. 124 CDB1/8, S. 385-387 Nr. 418; die folgenden Zitate auf S. 386 unten.

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oben erwähnte, nur vier Jahre später aufgeschriebene Notiz von 1413 zu denken, derzufolge damals Johannes Cassel außer Novizen auch andere junge Leute unterrichtete?125 Demnach wäre Schäfers vierte Lateinschule bestenfalls die schola exterior des Domstiftes. (3) Zu den L e h r e r n . Die Quellen sind auch zu diesem Fragenkomplex so rar, daß es erlaubt und geboten erscheint, auf jede einzelne das Augenmerk zu richten. Zunächst ist noch einmal zu erinnern an den zu 1330 und 1331 schon erwähnten Everhard/Everbold. Er wird nur 1330 als rector scolarium der Neustadt bezeichnet, 1331 lediglich als magister.126 Ob er studiert und irgendwo den Magistertitel erworben hat, oder ob magister lediglich ein anderer Ausdruck für rector scolarium ist, kann hier nicht entschieden werden. Aus zeitnahen Quellen der Mark Brandenburg läßt sich beides belegen: magister im Sinne von Schullehrer 127 und der Schulrektor, der zusätzlich als magister oder meister bezeichnet wird. 128 Auf ganz sicherem Gebiet befinden wir uns durch die im Schöppenbuch beigefügten Funktionsangaben, nämlich einmal: rectori scolarium et scriptori nostro und einmal nur: scriptori nostro. Er war also gleichzeitig und vielleicht sogar vorrangig Stadtschreiber. Schließlich geht aus der Eintragung hervor, daß er kein ganz armer Mann war, legitime Erben hatte und über seinen Besitz testamentarisch verfügen konnte. Das Grundstück, auf das er sein Darlehen gab, war prope forum sitam, der jährliche Zins betrug 32 Schillinge, die Obligation 6 Silbermark. Wenn von suis legitimis heredibus (bzw. sui heredes) gesprochen wird, muß wohl nicht an

Siehe o. S. 234. Siehe o. Anm. 94 u. 95. 1 2 7 1 328 in Wittstock (wie Anm. 99); 1329 in Salzwedel (wie Anm. 100); 1333 in Königsberg (wie Anm. 102); 1347 in Berlin-Cölln (wie Anm. 108). 1 2 8 1 350 in Jüterbog; vgl. K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... (wie Anm. 11), S. 55, u. Erich Sturtevant, Chronik der Stadt Jüterbog, Jüterbog 1935, S. 201, beide ohne Quellenangabe, aber unabhängig voneinander: Schulrektor aus Jüterbog, Magister Heinrich von Hagen. - 1387 Juni 6 in Perleberg unter den Zeugen einer Verkaufsurkunde: ... de erlekeprester mester Conrad, de scolemeister tuperleberch ..., CDS 1/3, S. 404 Nr. 111. - Die meisten und zeitnächsten Zeugnisse lassen also nicht auf ein mit dem Erwerb des Magistergrades abgeschlossenes Studium des ersten namentlich bekannten Lehrers in den Städten Brandenburg schließen. Zur möglichen Unterscheidung von Magistern der Sache nach und solchen mit dem Titel - deutlich formuliert durch Konrad von Megenberg - vgl. S. Lorenz, Studium Generale... (wie Anm. 86), bes. S. 35. 125

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Vaterschaft gedacht werden, das heißt, er kann durchaus Geistlicher gewesen sein. Er kann es aber eben auch nicht gewesen sein, zumal er nicht als „Herr" oder dominus, wie es für Priester üblich war, bezeichnet wird. Als laikaler Schulmeister und Stadtschreiber hätte er allerdings besser nach Lübeck gepaßt als an den Anfang der klerikal dominierten Tradition in Brandenburg. Stadtschreiber in der Alt- und Neustadt waren höchstwahrscheinlich auch die Schulleiter Albrecht und Henning vom Jahr 1346.129 Am 26. Mai 1381 kaufen der wise Mann Nicolaus Bredow, Schulemeistere in der Aldenstadt, und seine Mutter Margarete mit Einwilligung des Domkapitels und des ebenfalls zum Kapitel gehörenden Pfarrers der Gotthardtskirche, Arnold, das Wedemhaus an dem Kirchhof und den Hof, der zu dem Wedemhaus gehört. 130 Vier Jahre später (11. Mai 1385) erlaubt das Domkapitel dem weisen Mann, der Schulmeister war, den Verkauf.131 Daß Claus oder Nicolaus Bredow verwandt war mit dem zeitgleichen Brandenburger Domherrn und späteren Bischof Henning von Bredow, dem Sohn des markgräflichen Küchenmeisters, ist unwahrscheinlich. 132 Immerhin geht aus diesen Dokumenten hervor, daß der Schulmeister nicht nur ein weiser, also vermutlich ein studierter, sondern auch ein recht wohlhabender Mann war, daß er seine Mutter bei sich hatte, also möglicherweise aus Brandenburg selbst stammte, vielleicht auch, daß er nicht, wie es sonst üblich war, im Schulhaus wohnte, sondern während seiner Lehrerzeit in einem benachbarten Gebäude, das zwar zur Kirche gehörte, das er sich aber kaufen mußte und nicht etwa als Dienstwohnung nutzen konnte. Ob der dominus (also Priester) Johann Golwitz, der 1386 das Neustädter Stadtbuch anlegte 133 und zu 1410 von Engelbert Wusterwitz

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Wie Anm. 96. CDB1/8, S. 333 Nr. 332. 131 CDB 1/7, S. 134 Nr. 20. Er verkauft es deme ivisen manne, Er nicolasefabri, der sonst im Namenverzeichnis des CDB nicht vorkommt, so daß die Frage, ob dieser gelehrte Geistliche auch die Schulleitung übernahm, nicht beantwortet werden kann. 132 Zu Henning von Bredow siehe G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 42 f. u. S. 117. - Der Name Claus/Nikolaus ist im 14. Jahrhundert in der Familie von Bredow nicht geläufig (Namenverzeichnis des CDB). 133 G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94), S. 5 u. 61. Daß der Titel dominus nur den Priestern, Kanonikern und höheren Ordensgeistlichen 130

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als Stadtschreiber erwähnt wird, 134 vermutlich also auch der Dichter der oben erwähnten leoninischen Verse ist, auch die Schule zu führen hatte, ist für 1386 nicht auszumachen und, wie wir gleich sehen werden, für 1409 mit großer Sicherheit auszuschließen. 1409 - ein Datum, das die lokale Schulgeschichtsforschung bislang ganz übersehen hat - rexit scolas in nova civitate Brandenburg Jakob Krytzeke. Der Beleg hatte sich versteckt in dem Fragment des vom cand. theol. Sprengel um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert angefertigten Verzeichnisses der Brandenburger Domkapitelsbibliothek. 135 Unter den mittlerweile verschollenen, aber von Sprengel katalogisierten 14 Manuskripten 136 befanden sich nun auch zwei Bände mit Werken, die Krytzeke (ab)geschrieben hatte: Anathomia Mundini, scripta 1404 per Jacobum Kryciken. Hugo, Super cantica canticorum. Libellus de tribulationibus et consulationibus iustorum 1409. Liber Augustini depugna virtutum et vitiorum, finitus in Brandenburg per Jacobum Krytzken 1409. Cantica canticorum per manus Jacobi Krytzken tempore illo, quo rexit scolas in nova civitate Brandenburg a.d.H. 1409-iy] Und im anderen Band: ... cantica canticorum cum sensu literaliper manus Jacobi Krytzken, rectoris scolarium in nova civitate Brandenburg.1^ Nehmen wir zu dieser Überlieferung die Eintragung in das Leipziger Immatrikulationsverzeichnis vom Sommersemester 1418 hinzu - dns. Petrus Patz, darunter: dns. Jacobus Krytzeken, daneben durch Klammer auf beide Namen bezozukam, betont u.a. H. Keussen, Die Matrikel... (wie Anm. 55), in seiner Einleitung S. 23 *. 1 3 4 Wolfgang Ribbe, Die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz. Überlieferung, Edition und Interpretation einer spätmittelalterlichen Quelle zur Geschichte der Mark Brandenburg (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 12), Berlin 1973, S. 7 u. 110. 1 3 5 G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 88 f. Sprengeis „Catalogue bibliothecae Brandenburgensis" wurde aufbewahrt im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin-Dahlem (Pr. Br., Rep. 16 III b 5 e), ist dort aber heute nicht mehr nachweisbar; wahrscheinlich ist es nach Potsdam abgegeben. 1 3 6 Deren Inhaltsangabe durch Sprengel bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 93-95. 137 A.a.O., S. 93 aus Nr. 7. 138 A.a.O., S. 93 f. aus Nr. 9· - Von den übrigen 12 Handschriften enthält nur eine einen Schreiberhinweis: Nr. 1 ... scripta per Petrum Clen presb. 1431. G. Abb/ G. Wentz, a.a.O., S. 141 konnten aufgrund dieses Belegs nur vermuten, daß Peter Clen Domherr war. Daß er 1435 zu den canonici etprofessi gehörte, geht aus der oben S. 235 f. genannten Turmknopfurkunde hervor.

Schulen in der mittelalterlichen Stadt

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gen: canonici Brandenburgenses, und in Höhe der Jacob-KrytzekenZeile: Pragensis,139 - dann könnte man als Rahmendaten der Vita Krytzekes erschließen, er habe in Prag studiert, mit den anderen deutschen Studenten die Stadt an der Moldau verlassen, zunächst als Lehrer in Brandenburg Unterschlupf gefunden und als Domherr 1418 sein Studium in Leipzig wieder aufgenommen. Zu gern würde man wissen, wann er Kanoniker wurde: vor Prag, als Schulleiter in der Neustadt oder erst danach?140 So bleibt auf die doch recht wichtige Frage nach der personellen und damit auch institutionellen Verschränkung von Domkapitel und Stadtschule mit der erforderlichen Sicherheit nur ein Nacheinander feststellbar. Der letzte Lehrername,141 der hier dank Otto Tschirch mitgeteilt werden kann, ist der des Petrus Sartach, de wass die Stadtschriuer undte Schulmeister 1412 in der Altstadt. So wird er auf einem Pergamentzettel, der beim Aufhängen der großen Glocke in der Gotthardtskirche in die Welle eingespundet worden war (vgl. die Turmknopfurkunden!), mit anderen Amtsträgern bezeichnet. 142 Bei dem in der Neustadt 1452-1467 tätigen Stadtschreiber Johannes Grüningen ist nur klar, daß er Geistlicher gewesen ist, irgendein Zusammenhang mit der Schule ist nicht zu erkennen und hat wohl auch nicht mehr bestanden. 143 Über die Finanzierung der Schulen und ihrer Rektoren ist kaum etwas auszumachen. Für die Einrichtung in der Altstadt bei St. Gotthardt stellen die Visitationsakten von 1541 nüchtern fest: Der Rath hat von alters nichts zur schule geben, sondern sich die schulen von

139 G. Erler, Die Matrikel... (wie Anm. 37), S. 56. - In einer zweiten Überlieferung lauten die Namen „Racz", was besser zu dem tatsächlich gemeinten Peter Rätz/Ratz (G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... [wie Anm. 151, S. 139) paßt, bzw. „Kriczeken". 140 Auch bei G. Abb/G. Wentz, a.a.O., S. 137, keine weitere Auskunft. 141 Andreas Bochow, den ca. 1536 aus Wittenberg an die Schule der Altstadt berufenen und 1538 an die der Neustadt übergewechselten Lehrer, rechne ich nicht mehr zum katholischen Mittelalter; vgl. zu ihm O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 9 f.; E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 11 f. 142 O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 7: „Noch ungedruckt im Memorial v. 1577, f. 357." 143 Er ist jeweilig als „Herr" und „Stadtschreiber" bezeugt, am 6. Dez. 1452 ('Grünyngk; CDB1/10, S. 151 Nr. 47), 22. Juli 1455 (Gruningk; G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... [wie Anm. 94], S. 70) und am 17. Jan. 1467 (Grannick; CDB 1/9, S. 199 Nr. 260). - Über die mittelalterlichen Stadtschreiber der beiden Städte

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den Schulern enthalten lassen.l44 Zur Schule in der Neustadt gibt es keine entsprechende Notiz. Aus einem „vermoderten Ausgaberegister für Kirche und Schule von 1536-1613" soll hervorgehen, daß im ersten Jahr der Buchführung der Schulmeister „6 fl. 16 Gr. (offenbar vierteljährlich) als Lohn erhielt".145 Dies wäre jedenfalls eine schon reformatorisch geprägte Lösung, die spätestens 1542 so aufgebessert war, daß nunmehr 60 Gulden Besoldung gegeben wurden. Dem Pfarrer standen zur selben Zeit l60 Gulden zu. 146 Eine ähnliche Einkommensrelation (ca. 1 : 2 1/2) könnte in der Neustadt Tradition Brandenburg, die abwechselnd auch als Schöffenstuhlschreiber eingesetzt wurden und bis zur Reformation ihr Gehalt aus Altarlehen, deren Patrone die Magistrate waren, bezogen, informiert Georg Draeger, Verfassung und Verwaltung von Alt- und Neustadt Brandenburg bis zum 30jährigen Kriege. Ein Beitrag zur Geschichte der märkischen Städte, in: Festschrift... (wie Anm. 34), S. 1-120, bes. S. 12, 57 f. u. 106. E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 10, und ihm folgend S. Schultz/K. Boelke, Beiträge... (wie Anm. 120), S. 33, nehmen an, daß auch in Brandenburg die Verbindung des Stadtschreiber- mit dem Schulmeisteramt bis zur Einführung der Reformation dauerte. Dagegen wird man fragen dürfen, ob nicht zwar in kleineren Ortschaften sehr häufig die Koppelung bestehen blieb, wie z.B. in Plaue, wo der Schulmeister außer der Stadtschreiberei auch noch die Küsterei und die Orgel verweset {CDB 1/10, S. 33 aus Nr. 26 - Visitationsprotokoll von 1541), oder in Schönfließ, wo der Schulmeister zu Schreibdiensten verpflichtet war (СШ1/19, S. 105 f. Nr. 64, 15. Jahrhundert), aber in größeren Gemeinden seit dem späten Mittelalter die Schulleiter mit den Stadtschreibern nur noch selten identisch waren; vgl. etwa das Beispiel aus Cölln an der Spree unten Anm. 147 am Ende - oder aus Frankfurt: CDB1/23, S. 174 f. aus Nr. 229 zu ca. 1425 (deutliche Unterscheidung von Schulmeister und Stadtschreiber im Stadtbuch). Hier scheint ein Forschungsdesiderat vorzuliegen. Für den gegenwärtigen Kenntnisstand mit dem vorsichtigen Ergebnis: „Die Verbindung von Schule und Rat kommt auch darin zum Ausdruck, daß in manchen Städten der Stadtschreiber gleichzeitig das Amt des rector scholarum innehatte", siehe K. Wriedt, Schulen... (wie Anm. 3), bes. S. 165 (dort auch die ältere Literatur) und M. Kintzinger, Das Bildungswesen... (wie Anm. 3), S. З62 ff. u. 468 ff. - Für die Mark vgl. noch F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 10), S. 344 ff. u. 400 f. CDB 1/9, S. 282 Nr. 379. E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 12 u. 13. - Zu diesem 24 Blätter füllenden Rechnungsbuch vgl. Rudolf Grupp, Urkunden des Magistrats-Archivs zur Reformationsgeschichte der Stadt Brandenburg, in: JHVB 13/16 (1884), S. 92-109, bes. S. 98 f. mit einigen Textproben ohne Schulbezug. Aus einem kleinen Zettel mit Gehaltsverzeichnis bei R. Grupp, a.a.O., S. 102 f.; vgl. auch O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 18, der auch noch die freie Wohnung und, unter Hinweis auf den das bisher Übliche einschärfenden Visitationsabschied von 1575, das vom Rat anzufahrende freie Brennholz erwähnt. Dieselbe Besoldung erhielt der Rektor in Salzwedel, während der Stendaler 100 Gulden bekam. 144

145

Schulen

in der mittelalterlichen

Stadt

265

gehabt haben. Gerne möchte man annehmen, daß die Schulleiter ebenso wie die Stadtschreiber, deren Aufgaben sie ja anfangs vornehmlich zu erledigen hatten, durch eine Altaristenstelle oder ein Meßstipendium finanziell grundversorgt waren,147 doch wird diese Vermutung in den Visitationsaufzeichnungen nicht verifiziert. In den ziemlich gründlichen Notizen über die Altäre und Kommenden kommt als einziger Hinweis auf das Schulwesen nur vor, daß das Lehen Crucis Ambrosii in der Katharinenkirche nach dem Tod des gegenwärtigen Inhabers zum Unterhalt der kirchendiner vnd Schulen gebraucht werden soll.148 Wenigstens über die allgemein üblichen Nebeneinkünfte, die den Rektoren für ihre und ihrer Schüler Teilnahme an Begräbnissen, Hochzeiten, feierlichen Messen usw.

1 4 7 O. Tschirch, a.a.O., S. 8, behauptet, daß der Schulmeister der Altstadt „die Einkünfte vom geistigen Lehen Thomae, die damals 8 Gulden 31 Gr. jährlich betrugen, sowie von einigen Memorien und einem Calandslehen" hatte. Sein Hinweis auf „Riedel, A EX, 283" (wie Anm. 148) bietet jedoch keinen Beleg für „Schulmeister"; es heißt dort nur: Commenda Thome, Collatores der Rath, Hat ein haus, darjn der Organist Whanet, hat I kelch, die Ornat in der kapsen. Summa des jehrlichen Einkommens VIIIβ. XXXIgr., mit dem das vngewis ist, jst dem kästen eroffendt. - Auch Hansjürgen Bünger (Überarb. von Walter Delius), Altarpfründen im Bistum Brandenburg. Die mittelalterlichen Seelgerätstiftungen im Archidiakonat des Dompropstes von Brandenburg unter besonderer Berücksichtigung der Altar- und Vikariestiftungen, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 42 (1967), S. 7-76, bes. S. 28 u. S. 69 Anm. 196 verweist, aus seinem Untersuchungsbereich für die „Vereinigungen des Schulamtes mit einer Pfründe" lediglich auf das Stadtarchiv Jüterbog (A I 32) zu 1530 sowie auf „A DC 447 1541"; dort - CDB1/9, S. 446-453 Nr. 139 (Protokoll über die zu Treuenbrietzen im Mai 1541 gehaltene Kirchen-Visitation) - heißt es (S. 447) zur Schule: hat hieuor gehabt XXX w. gr. vom Rathhause das Precium jn der Schule von Vigilien, Selmessen vnd Memorien, hat jtzo die Lehen Barbare vnd Petri, dis hat der Schulmeister... In der „Kirchen-Visitations-Ordnung der Stadt Treuenbrietzen, vom 29. Mai 1 5 4 1 " - CDB 1/9, S. 454-459 Nr. 1 4 0 - mit ihren ausführlichen Schulbestimmungen wird u.a. geregelt, daß der Schulmeister in Zukunft eine Besoldung von jährlich 40 Gulden erhalten soll, dafür aber das Einkommen der Lehn Petri und Barbara abtreten muß. Da in der ohne Tagesangabe überlieferten Fassung von jtzo die Rede ist und nicht wie in andern Fällen voralters, ist nicht auszuschließen, daß das Altarlehen nur kurzfristig und übergangsweise für den Schulmeister genutzt wurde. - Mit Sicherheit mittelalterlich, aber auch erst geraume Zeit nach der Einrichtung der Schule ist die Zuweisung einer bei der Cöllner Gertraudenkirche durch Rat und Gotteshausleute gestifteten Kommende an den schulemeyster tho Colen (eine zweite erhält der Stadtschreiber), siehe CDB Suppl., S. 339 f. Nr. 155, zu 1474 Febr. 5. 148 CDB 1/9, S. 285 Nr. 381; a.a.O., S. 282-285 Nr. 380: Übersicht der geistlichen Lehne und ihrer Dotation in der Altstadt.

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zustanden, lassen uns die Brandenburger Quellen nicht ganz im Stich. Seelenmessen, dy men singet med den Schulemester und Schuleren gemeyne, sind bezeugt,149 und noch 1516, anläßlich der Errichtung einer neuen Kapelle an dem Ort, wo Juden den Leib Christi angeblich mißhandelt hatten, wird für die Beteiligung des Schulleiters am Meßgesang jährlich ein Gulden festgesetzt.150 Fassen wir unser Rektoren-Wissen zusammen, so wird als erstes daran erinnert werden müssen, daß aus gut 200 Jahren stadtbrandenburgischer Schulgeschichte insgesamt nur sechs, für beide Schulen nur jeweils drei Namen bekannt sind, davon einer aus dem Glockenzettel und ein anderer aus einem Bücherkatalog. Methodisch bedeutet das große Vorsicht bei der Verallgemeinerung der gewonnenen Einzelkenntnisse wie: relativ hoher Bildungsstand, häufigere zusätzliche Wahrnehmung des Stadtschreiberamtes, Haus- und Kapitalbesitz sowie zeitlich befristete Amtsausübung. Widerstanden sei an dieser Stelle der Versuchung, die stadtbrandenburgischen Daten und Fakten aufzupäppeln durch übernehmbares Wissen aus anderen märkischen Städten. Nur noch ein Problem sei angeschnitten, das bislang in den Schuldarstellungen kaum beachtet wurde: die Hilfslehrerfrage. Selbstverständlich hatten die Schulleiter zu ihrer Entlastung und Unterstützung Hilfspersonal, meist Lokaten genannt:151 Studienabbrecher, arbeitslose Kleriker, mobile Aufsteiger, denen in erster Linie der Elementarunterricht übertragen wurde. Ihre Erwähnung in stadtbrandenburgischen Quellen ist allerdings noch zufälliger als die ihrer Vorgesetzten, etwa bei der Aufzählung der bei Hochzeitsessen zugelassenen Gäste in einer Ordnung des Altstädter Rates von 1473152 oder - unter der Bezeichnung schola-

CDB1/8, S. 436 Nr. 479, zu 1474 Apr. 11; hier ohne Angabe der Kosten. CDB 1/8, S. 475^77 Nr. 521, zu 1516 Nov. 6; S. 476: pro quo rector ejusdem Capelle pro tempore existens rectori scholarum prenarrato similiterpro tempore existenti unum florenum annuatim semotis excusationibus persolvat. 1 5 1 Vgl. oben S. 233 Joachim Cassel. - Lokat (locatus) heißt eigentlich allgemein Stellvertreter, scheint sich jedoch, was die gängigen Lexika, Glossare usw. nicht vermerken, seit dem 14. Jahrhundert in seiner Bedeutung auf Vertreter des Schulleiters, dessen Geselle u. a. verengt zu haben. Die Ableitung von loca = (Schüler-)Haufen so u.v.a. E. Hesselbach, Die „deutsche" Schule... (wie Anm. 3), S. 8 - halte ich für irrig. 152 CDB 1/9, S. 212-214 Nr. 278, zu 1473 Dez. 3, Ratsverordnung über die Errichtung der Brauergilde in der Altstadt sowie über kindelbyer, kerckgange, Hochtidt vffte 149 150

Schulen stici von

267

Stadt

i m Z u s a m m e n h a n g mit d e r o b e n e r w ä h n t e n n e u e n

1516.153

schen

in der mittelalterlichen

Kapelle

E i n e r v o n d i e s e n S c h u l g e s e l l e n h a t t e e s im altmärki-

Gardelegen

zum

evangelischen

Stadtpfarrer

gebracht,

und

w e i l m a n d o r t s e i n e E r i n n e r u n g pflegte, k e n n e n w i r s e i n e n N a m e n : B a r t h o l o m ä u s R i e s e b e r g . E r w a r bis 1 5 1 8 a u ß e r in B r a n d e n b u r g a u c h in R u p p i n , W i t t e n b e r g u n d B e r l i n L o k a t u n d mit d i e s e r Mobilität vielleicht e i n E x p o n e n t s e i n e r G r u p p e . 1 5 4 (4) Zu den

S c h ü l e r n :

Vorreformatorische unmittelbare Quel-

l e n s c h w e i g e n s i c h h i e r fast g a n z a u s . A u ß e r zufälligen H i n w e i s e n a u f s o n s t i g e P f l i c h t e n 1 5 5 u n d e i n i g e n , n u n allerdings vielleicht für d e n U n t e r r i c h t a n d e r Altstädter S c h u l e h ö c h s t i n t e r e s s a n t e n P a p i e r zetteln

mit

Schreibübungen

für

das

Wirtschaftsleben:156

keine

wirtscbapp (S. 213 f.). Es sollen nicht mehr als 30 Paare eingeladen werden, ausgenommen Jungfrauen, 12 Diener, vnse parnere met twen Capeliane, den schulemester mit den locaten, dykostere, dy Stadt dyner vndefromde gesle. eine für die soziale Rangordnung und funktionale Differenzierung aufschlußreiche Reihung. !53 wje Anm 15О: ... tres missas ... cum certis scholasticis sibiper rectorem scholarumprenarrato ... associates ... 1 5 4 Adolf Parisius, Bartholomäus Rieseberg, ein altmärkischer Stadtpfarrer der Reformationszeit, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 1 (1904), S. 236-263, hier S. 238. - Parisius stützt sich auf Christoph Schultze, Auf- und Abnahme der löblichen Stadt Gardelegen..., Stendal 1668, der seinerseits inzwischen verlorengegangene Aufzeichnungen des gleichnamigen Sohnes von Bartholomäus Rieseberg benutzte. 1 5 5 Vgl. oben Anm. 148; zum Problem allgemein vgl. auch Dietrich Kurze, Hochund spätmittelalterliche Wahlen im Niederkirchenbereich als Ausdruck von Rechten, Rechtsansprüchen und als Wege zur Konfliktlösung, in: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hrsg. von Reinhard Schneider u. Harald Zimmermann (= Vortrage und Forschungen 37), Sigmaringen 1990, S. 197-225, bes. S. 221 und die dort genannte Literatur. 1 5 6 Johannes H. Gebauer, Kleine Mitteilungen, in: JHVB 36/37 (1906), S. 86-90, berichtet (S. 86) über die Zettel, die er auf dem „Deckel eines Foliobandes der Gotthardtkirchbibliothek" fand, und druckt fünf der kurzen, mehrmals hintereinander geschriebenen Texte über den Kauf von Korn und Pferden sowie über Schulden ab. Man wird erinnert an die Wachstafeln aus der Lübecker Schule an St. Jakobi von ca. 1370 mit ihren Stilübungen für Briefe des kaufmännischen Geschäftsverkehrs, siehe Johannes Warncke, Mittelalterliche Schulgeräte im Museum zu Lübeck. Ein Kloakenfund vom Grundstück der alten Lübecker Stadtschule, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 2 (1912), S. 227-251, bes. S. 238-251: Beschreibung und Texte der Wachstafeln; E. Hesselbach, Die „deutsche" Schule... (wie Anm. 3), S. 27 f.; vgl. K. Wriedt, Schulen... (wie Anm. 3), S. 159, und Alltag im Mittelalter, hrsg. von Harry Kühnel, 2. Aufl., Graz-Wien-Köln 1985, S. 172 (mit Abb. 217). Gebauer gibt leider nicht an, in welchem Buch er die Zettel gefunden hat, so daß seine Vermutung,

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Namen, keine Zahlen, keine Angaben über das Schulgeld und über die Lehrpläne - eben nur die schon vorgestellten Nachrichten über die Extraneer an der Domschule, über die Schulgebäude und Lehrer. Und doch besteht kein Grund zu völliger Resignation oder zur blinden Übernahme von Nachrichten aus Salzwedel, 157 Stendal, 158 Frankfurt, 159 Cölln 160 oder Schönfließ. 161 Es ist nämlich für unsere Frage sehr hilfreich, daß das evangelische Schulwesen in Brandenburg trotz der Absage an allen Papismus und Jesuitismus und trotz der engen Anlehnung an Melanchthons pädagogische Vorstellungen sowohl inhaltlich als auch strukturell und organisatorisch viel mehr aus der mittelalterlichen Tradition übernahm, als es an Kontinuitätsbrüchen interessierten Zeitgenossen und Historikern vielleicht lieb sein mag. Um nur das Auffallendste in die Erinnerung zu bringen: Kirche, Schule und Stadt verschmolzen eher noch enger miteinander; die neue Frömmigkeit war nicht so modern-reformatorisch, daß sie aus die Schrift deute auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, noch nicht überprüft werden konnte. Über die Verlegung der Gotthardtsbibliothek in das erste Obergeschoß des Westbaues nach der Renovierung in den Jahren 1905 und 1906 und die damalige Inventarisierung von 162 Inkunabeln informieren Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 65), S. 28 f. 1 5 7 Johann Friedrich Danneil, Geschichte des Gymnasiums zu Salzwedel, Abt. 1, Salzwedel-Halle 1822; ders., Kirchengeschichte der Stadt Salzwedel mit einem Urkundenbuch, Halle 1842; Quellen u.a.: CDB1/14, S. 72 Nr. 98, S. 321 f. Nr. 390, S. 337 Nr. 409, S. 347 Nr. 418. 1·'8 Ludwig Götze, Geschichte des Gymnasiums zu Stendal von den ältesten Zeiten his zur Gegenwart. Nach archivalischen Quellen bearbeitet, Stendal 1865; ders., Urkundliche Geschichte der Stadt Stendal, Stendal 1873; Quellen u.a.: CDB 1/5, S. 87 f. Nr. 131, S. 90 f. Nr. 136, S. 140 f. Nr. 211; siehe auch oben Anm. 103. 1 5 9 R. Schwarze, Geschichte des ehemaligen städtischen Lyceums zu Frankfurt a.O. von 1329-1813, in: Mittheilungen des Historisch-Statistischen Vereins zu Frankfurt а. O. 9/12 (1873), S. 65-147 (nicht eingesehen); Elisabeth Reuß-Caspari, Kirche und Klerus in Frankfurt а. O. im Mittelalter. Verfassung und Verhältnis zur Stadtgemeinde, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 35 (1940), S. 5-119, bes. S. 91 f. (auch ohne Nutzung von R. Schwarze); Quellen u.a.: CDB 1/23, S. 174 aus Nr. 229, c. 26 u. 27 des Stadtbuchs von ca. 1425. 1 6 0 Lit. oben Anm. 115 ; Schulordnung von ca. 1420 bei Ernst Fidicin, Historischdiplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin, Τ. 1: Berlinisches Stadtbuch, Berlin 1837, S. 256, auch in: Berlinisches Stadtbuch. Neue Ausgabe, Berlin 1883, S. 253 Nr. 65 (hier zu 1417). 161 CDB 1/19, S. 105 f. Nr. 64, aus einer Aufzeichnung des 15. Jahrhunderts betr. u. a. Lohn und Pflichten des Schulmeisters.

Schulen

in der mittelalterlichen

Stadt

269

Liturgie und Unterricht das Latein verbannte. Kirchengesang und Grabgeleit gehörten wie selbstverständlich nach wie vor zum sozialen Miteinander und Füreinander. Schließlich waren auch die alten Probleme der Lehrerbesoldung und des Schülerunterhalts nicht einfach durch einen neuen Katechismus zu lösen. Was mithin für die Schüler in der Havelstadt erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts überliefert ist, darf auch schon für das mittelalterliche Brandenburg angenommen werden, sofern es nur in gleich- oder sehr ähnlichlautenden Zeugnissen aus anderen mittelalterlichen Städten belegt werden kann:162 also Unterricht im Kirchen- und Chorgesang, sodann im Bereich des Triviums Grammatik, Dialektik und Rhetorik, das heißt Lesen und Schreiben (sowohl Deutsch als auch Latein) und Rechnen.163 Ein klassisches mittelalterliches Lehrbuch für fortgeschrittene Lateinschüler, das Doctrinale puerorum des Alexander von Villa Dei (1160/70-1240/50), 164 befand sich im 19- Jahrhundert noch in der Gotthardts-Bibliothek und ist vielleicht Teil des magistralen Rüst-

1( ' 2

Im folgenden werden im wesentlichen nur einige brandenburgische Belege des 16. Jahrhunderts angeboten; die entsprechenden mittelalterlichen Quellen sind über die einschlägigen Sammlungen und Darstellungen relativ leicht zu finden; vgl. außer den oben Anm. 3 u. 4 genannten Werken u.a. noch Erziehung und Unterricht im Mittelalter. Ausgewählte pädagogische Quellentexte, hrsg. von Eugen Schoelen, 2., durchges. u. erw. Aufl. (= Schöninghs Sammlung pädagagischer Schriften. Quellen zur Geschichte der Pädagogik), Paderborn 1965; Vor- und frühreformatorische Schulordnungen und Schulverträge in deutscher und niederländischer Sprache, hrsg. von Johannes Müller, 2 Bde. (= Sammlung von selten gewordenen pädagogischen Schriften, hrsg. von Aug. Israel u. Joh. Müller, Bd. 12 u. 13), Zschopau 1885-1886; Sekundärliteratur bei Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestaltung, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft (= UTB für Wissenschaft: Große Reihe), Stuttgart 1988, S. 205 f. - Den Blick vornehmlich auf Italien, Frankreich und England öffnet Shulamith Shahar, Kindheit im Mittelalter. Deutsch von Barbara Brumm, München-Zürich 1991, bes. S. 257-274 u. 375-383 (Lit.). 1 6 3 Für die Altstadt vgl. O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 19 f. unter Hinweis auf Melanchthons sächsischen Schulplan von 1528. Für die Neustadt vgl. E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 13 ff-, ebenfalls unter Hinweis auf Melanchthon, dazu auf die 1565 veröffentlichte, mit einem Widmungsbrief an den Brandenburger Rat versehene Schulordnung des Johannes Garcaeus (Harmonia de ratione institutionis scholasticae, auch gedruckt bei R. Vormbaum, Schulordnungen... [wie Anm. 4], S. 519 ff.). 1 6 4 G. Müller/E. Neuenschwander, Art. Alexanderde telalters, Bd. 1, München-Zürich 1980, Sp. 381.

Villa Dei, in: Lexikon des Mit-

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zeugs der Altstädter Schule gewesen. 1 6 5 Die Disticha Catonis166 brauchten für den Übergang vom katholischen Mittelalter zur evangelischen Neuzeit ebenfalls nicht umgeschrieben oder gar übersetzt zu werden. 1 6 7 Weiter zum Schulgeld: eine Aufnahmegebühr und ein vierteljährliches pretium, von dem der Rektor an seine Helfer bis zur Hälfte abgeben mußte. 168 Gut mittelalterlich war ganz gewiß die Leichenbegleitung durch die Schülerchöre, die in der Regel nicht schlecht bezahlt wurde und deshalb heftigen Konkurrenzkampf auslösen konnte, 1 6 9 und das ebenfalls fest besoldete Singen beim Gottesdienst (im Mittelalter bei Messen) und bei Hochzeiten oder sonstigen Festen. 170 Schließlich die Kurrenden: die großen Bettel-Singumzüge zu Martini, Neujahr und besonders am Gregors-Tag (17. März), 171 auf denen mindestens die ärmeren Schüler mit ihren Kiepen 1 7 2 für sich und die Lehrer sammelten, angehalten, lateinisch zu 165 Katalog Inkunabeln 4°22; siehe E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 11 Anm. * - Der mehr für Anfänger gedachte „Donat" wurde in seiner Bearbeitung durch Gerson 1488 in Stendal bei Joachim Westphal gedruckt; vgl. F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 11), S. 398. Hinweise auf die weiter benutzten Dicta vel disticha Catonis, mimi Publiani, elementa Donati usw. bei E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 16, und O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 69. 1( 7 > vgl. Nikolaus Henkel, Deutsche Übersetzungen lateinischer Schultexte. Ihre Verbreitung und Funktion im Mittelalter und in derfrühen Neuzeit. Mit einem Verzeichnis der Texte (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 90), München-Zürich 1988; U. Schindel, Die „auctore?... (wie Anm. 3). 168 O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 18. A.a.O.ί S. 19. - Ein deftiges Beispiel - ein blutiger Streit zwischen den Berliner und Cöllner Schulen um die „Präcedentz" beim Leichenzug des Grafen von Wittgenstein im Mai 1657 - findet sich bei Leopold von Ledebur, Des Markgrafen Christian Ernst von Bayreuth Jugend-Geschichte, in: Märkische Forschungen 4 (1850), S. 280320, hier S. 292. 170 O. Tschirch, Die Stiftung... (wie Anm. 8), S. 19. 171 E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 13. - Zur weiten Verbreitung dieses Festes und seiner Ausgestaltung im Mittelalter vgl. E. Hesselbach, Die „deutsche" Schule... (wie Anm. 3), S. 52 (mit falscher Datierung zum 12. März). 172 Noch 1679 schreibt der Neustädter Schulrektor Joachim Fromme in seiner deutsch-lateinischen Nomenclatura rerum, quae Brandenburgi sunt: „Es wird genennet das Kiepending: den es werden der Curenten Knaben ihre Kiepen darin verwahret. - Est receptaculum cophinorum, quibus queri Eleemosynarii in circuito suo utuntur", aus der Teiledition bei Eduard Rasmus, Joachim Fromme, Kaspar Gottschling, Daniel Fincke, drei Brandenburgische Schulrektoren und Lokalchronisten, in: JHVB 29/30 (1898), S. 52-63, hier S. 55.

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singen, damit sie nicht mit gewöhnlichen Bettlern verwechselt würden. 173 Wenn Johannes Garcaeus 1570 in seiner Vermanung von Schulen ... auch die anspricht, die für der thür Ρ a пет propter De um sagen und den Brodreigen singen,17^ fühlt sich der Mediävist weit in sein vertrautes Mittelalter zurückversetzt. Eine Rarität oder doch eine in der wissenschaftlichen Literatur zum Teil schief- oder falschverstandene Einrichtung in der Havelstadt, die es nach der Reformation nicht mehr gegeben hat, muß noch angesprochen werden: die Schülergilde. Karlheinrich Schäfer schrieb: 175 An St. Godehard „bestand, wie an Universitäten, eine besondere Scholarenfraternität" - eine aus Schüler-Studenten also sich zusammensetzende Bruderschaft oder Gilde zur Vertretung der eigenen Interessen? Das wäre in einer gewöhnlichen Schulstadt ohne Universität doch wohl eine rechte Sensation. Mustern wir die Quellen: Der erste Beleg stammt aus einer Seelgerätsstiftung vom Markustag des Jahres 1444. Demnach sollen unter anderem jährliche Gedächtnisse gehalten werden mit allen Brüdern aus der Schülergilde (Schulre-Gulde) mit einer loveliken Vilge und Sylemisse. Und dafür soll dem Obersten (oversten) der Schülergilde jährlich ein halbes Schock zur Memorienzeit gegeben werden. 176 Im Stadtbuch der Brandenburger Neustadt heißt es (fol. 63 b) zu 1477: Dominus Matthes hat drei Schock genommen von der Schülergilde (schulregulde), davon gibt er alle Jahre dem Altaristen bzw. Kaplan 15 Groschen, und zu 1478 (fol. 65): 177 Klaus Heyß hat drei Schock auf seine Schmoll'sche Hufe von der Schülergilde in der Neustadt. Sodann 1 7 ' Die Bestimmung geht auf die Kirchenvisitationsordnungen zurück. So wird z.B. für Treuenbrietzen am 25. Mai 1541 den Schülern befohlen - CDB1/9, S. 457 Nr. 140 Gesänge vor den Thüren lateinisch zu singen, damit sie für andern mögen erkannt werden. 1 7 4 J. Garcaeus, Eine Vermanung... (wie Anm. 5), S. J 1. 1 7 5 K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... (wie Anm. 11), S. 52. Eine zweite „Schülergilde" bemerkte er „an der Pfarrschule von St. Katharinen". - Vielleicht hatte Schäfer Schülerkongregationen und Sodalitäten vor Augen, wie sie unter jesuitischem Einfluß eingerichtet wurden, ζ. B. seit 1575 an Kölner Gymnasien; vgl. Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln-Wien 1988, S. 354-356. 176 CDB 1/9, S. 138 f. Nr. 179, zu 1444 Apr. 25; Stifter ist die Gilde der Schröder (Schneider) der Neustadt. 1 7 7 Beide Belege bei E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 9, nicht bei G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94) und nicht im CDB; von K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... (wie Anm. 11) übersehen.

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geben die Visitationsprotokolle von 1541 die Auskunft, auf die sich die Literatur im wesentlichen stützt, nämlich zur Katharinenkirche, also zur Neustadt:178 Commenda Scolarum. Collatores die Bruderschafft, hat kein haus, den kelch vnd pacem (also das Kußtäfelchen) hat der Rath, hat jerlichs einkommens Summa 3 fl- 26 gr. (ist dem kästen geöffnet); und in der Übersicht der geistlichen Lehen und ihrer Dotation in der Altstadt:179 Das Lehen der Fraternitet Scholarium, haben die Kalandshern, diese gilde unter sich gehabt, dar vielleicht das einkommen dauon jrem einkommen vereinigt gewesen. Das Stichwort Kaland zeigt die Lösung an: Zweifellos handelt es sich nicht um eine Vereinigung v o n Schülern, sondern f ü r Schüler, ähnlich wie die Elendenbruderschaften, mit einem eigenen Altar oder hier einer eigenen Commende, einer Führungsspitze und einem gewissen Vermögen bzw. Einkünften. 180 Wer immer noch Zweifel haben sollte, zumal in der ganzen Diözese Brandenburg nur die stadtbrandenburgischen Schüler-Commenden und -Gilden bezeugt sind, kann sich - wie so oft für schulgeschichtliche Fragen - nach Salzwedel wenden, wo nach Belegen von 1491 und 1513 die broderscop der armen scholer aus mehreren Pfarrern und angesehenen Laien besteht und mit dem kleinen Kaland an der Liebfrauen-Kirche gleichgesetzt wird, 181 oder er mag sich die Statuten und umfangreichen Mitgliederverzeichnisse der noch unmittelbar vor der Reformation in Zwickau ins Leben gerufenen Fraternitas scholarium ansehen. 182

178

CDB1/9, S. 285-289 Nr. 381 (hier S. 289). CDB 1/9, S. 282-285 Nr. 380 (hier S. 284). - In der Matrikel von St. Gotthardt vom selben Jahr - a.a.O., S. 281 f. Nr. 379 - wurden an Memorien aufgeführt: Kalendarium, Rosarium, Scholarium, Statio corporis Christi. 180 Zutreffend bereits E. Rasmus, Beiträge... (wie Anm. 9), S. 9 f. - Den Weg zu Schäfer scheint bereitet zu haben F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 11), S. 402, der die Brandenburger Schülergilde definierte als „eine von Schülern - ehemaligen und gegenwärtigen - ausgehende Meßstiftung"; teils irrig, teils richtig: O. Tschirch, Die Geschichte... (wie Anm. 8), S. 175 u. 177. 179

181

CDB 1/14, S. 441 ff. Nr. 519, zu 1491; a.a.O., S. 504 Nr. 585, zu 1513 Febr. 15. Ernst Fabian, Die Zwickauer Schulbrüderschaft (Fraternitas scholarium), in: Mitteilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgebung 3 (1891), S. 50-81, bes. S. 58 ff. - In Berliner und Leipziger Bibliotheken nicht vorhanden: Heike Kuschmierz/ Siegfried Wolf, Das Wirken der Zwickauer Schulbrüderschaft Anfang des l6.Jahrhunderts, in: Martin Luthers Wirken im frühbürgerlichen Schulwesen Deutschlands, Zwikkau 1987. 182

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(5) S с h u 1 e, S t a d t und K i r c h e im mittelalterlichen Brandenburg. Nicht nur weil Streit und Kampf ohnehin quellenträchtiger sind als ruhige Normalzustände, sondern auch weil die Schulstreitigkeiten das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Stadt und Kirche paradigmatisch auf den Punkt zu bringen scheinen, klerikales Bildungsmonopol hier offenbar emanzipatorisch, antithetisch in Frage gestellt wird, haben die Schulkämpfe in Darstellungen des mittelalterlichen bürgerlichen Bildungswesens oder der Kirche-und-StadtRelationen einen bevorzugten Platz erhalten. 183 Alt- und Neustadt Brandenburg gehören nicht in eine solche „Heldenreihe". Der Märker muß sich damit begnügen, daß wenigstens in Stendal 1338-1342 eine sehr heftige Auseinandersetzung zwischen Rat und Bürgerschaft auf der einen und dem (sog.) Domstift auf der anderen Seite tobte 184 und daß in Beeskow Vergleiche zwischen dem Rat und dem Propst hinsichtlich Wahl und Bestätigung des Schulmeisters und 1418 ein neuerlicher Vergleich, der diesmal die kirchlichen Aufgaben des Schulmeisters und seiner Lokaten betraf, abgeschlossen werden mußten. 185 So relativ einfach und nachvollziehbar wie die Frontstellung in Stendal und Beeskow war freilich die Situation in Brandenburg nicht: eine Bischofsstadt, in der nicht der Bischof, sondern der Markgraf Stadtherr war; eine Domschule (wenn sie denn wirklich funktionierte) außerhalb der beiden Städte; für jede der beiden Städte eine eigene Pfarrkirche; von diesen St. Gotthardt seit je im Patronatsbesitz des Domstiftes, neben St. Gotthardt ein bischöflicher Stadthof; St. Katharinen in der Neustadt seit 1305, also wohl noch vor Bestehen einer Schule, ebenfalls in der Verfügungsgewalt der Domherren, von denen je einer auch in den beiden Gotteshäusern

1 8 3 Immer noch gerne genutzt: F. A. Specht, Unterrichtswesen ... (wie Anm. 21), S. 252 f.; Martin Meister, Die deutschen Stadtschulen und der Schulstreit im Mittelalter (= Programm des Gymnasiums zu Hadamar), Weilburg 1868; E. Hesselbach, Die „deutsche" Schule... (wie Anm. 3), bes. S. 5 ff.; E. Ermen, Stadt... (wie Anm. 1), bes. S. 159 ff·; K. Wriedt, Schulen... (wie Anm. 3), S. 158 f. mit weiterer Literatur. 184 CDB1/5, S. 87 f. Nr. 131, zu 1338 Nov. 15, S. 90 f. Nr. 136, zu 1342 März 9; CDB1/15, S. 134-141 (hier S. 140) Nr. 185, zu 1351 Nov. 13; vgl. auch B. Blum, Das Schulwesen... (wie Anm. 11), S. 41 f. 1 8 5 Erster Vergleich am 1. Okt. 1385: CDB 1/20, S. 362 f. Nr. 35; zweiter Vergleich am 2. April 1418: CDB 1/20, S. 380-382 Nr. 58.

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als Pfarrer amtierte.186 Mit einem Satz: Die Karten waren eigentlich so verteilt, daß alle Trümpfe in der Hand der Prämonstratenser lagen. Die Markgrafen als Stadtherren hätten vielleicht zur Wittelsbacher Zeit wie in Stendal die Stadt unterstützt, aber es wäre wohl nicht sehr klug gewesen, während der schweren Konflikte mit dem avignonesischen Papsttum sich auch noch die Domgeistlichkeit zum Feind zu machen. Ebenso ist es zu bezweifeln, ob die Luxemburger und Hohenzollern sich anders verhalten hätten - wenn es überhaupt ernsthafte Differenzen und städtische Hilfserwartungen gegeben hat. Wir tasten ja aus Quellenmangel völlig im Dunkeln. Ganz konfliktfrei können die Verhältnisse aber nicht gewesen sein, zumindest nicht in den Jahren um 1330 in der Neustadt und um 1412 in der Altstadt, als Schulmeister und Stadtschreiber identisch waren. Was - wie in anderen Städten nachweislich geschehen - Rat und Bürgerschaft tun konnten, um gleichsam von innen kirchherrschaftlich zu partizipieren, war die gezielte Stiftung von Kapellen, Altären und Commenden mit Patronatsvorbehalt.187 Irgendeine schulbezogene Stiftungspolitik ist - abgesehen von einigen, sich im üblichen Rahmen haltenden Stellen für Studenten 188 - aus Brandenburg nicht bekannt geworden. Oder waren die beiden Schülergilden einsetzbare Instrumente? Auch hier: Zweifel! Der Kalandscharakter der Brüderschaften, ihre gemischt geistlich-weltliche Zusammensetzung (in Salzwedel mit plebanem Übergewicht), ihre vorwiegend fromme und zugleich gesellige Ausrichtung machten sie in der mittelalterlichen städtischen Konfliktswelt eher zu Blauhelmen als zu Kombattanten. 189 186

CDB1/8, S. 201 Nr. 144, zu 1305 Febr. 1. - Liste der Domherren als Pfarrer in Brandenburg bei G. Abb/G. Wentz, Das Bistum... (wie Anm. 15), S. 127 ff. 187 Vgl. den allgemeinen Überblick bei Dietrich Kurze, Der niedere Klerus in der sozialen Welt des späteren Mittelalters, in: Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters. Festschrift für Herbert Heibig zum 65. Geburtstag, hrsg. von Knut Schulz, Köln-Wien 1976, S. 273-305, bes. S. 281 ff.; zeitlich weiterführend und die juristischen Probleme schärfer herausarbeitend: Jörn Sieglerschmidt, Territorialstaat und Kirchenregiment. Studien zur Rechtsdogmatik des Kirchenpatronatsrechts im 15. und 16. Jahrhundert (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 15), Köln-Wien 1987. 188 Vgl. die Hinweise auf verschiedene geistliche Lehen der Neustadt, die weiterhin adstudia o.a. gebraucht werden sollen, in: CDB 1/9, S. 285 ff. Nr. 381, aus den Visitationsaufzeichnungen von 1541: Matthei et Augustini (S. 285 f.), Severi (S. 286), Jodoci et Cristoferi (S. 289). Allgemein für die Mark einige Beispiele bei F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 10), S. 333 f. u. 401 f. 189 Vgl. D. Kurze, Der niedere Klerus... (wie Anm. 187), S. 301 ff.

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Nun ist das für Brandenburg so schwer zu durchschauende Problembündel: Schule, Stadt und Kirche glücklicherweise nicht nur ein institutionengeschichtliches Thema. Dasselbe oder vielleicht noch ein gesteigertes Interesse müßte der Frage gelten, die abschließend nur noch formuliert, aber nicht mehr beantwortet werden kann: Wie denn das schulische Bildungsangebot angenommen wurde und ob sich nicht an möglichst vielen Einzelschicksalen die berühmt-berüchtigte Maxime überprüfen ließe, daß wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen. 190 Personenbezogene Quellen von Brandenburgern und über Stadtkinder, die hier groß geworden sind und die Schulen besucht haben werden, stehen in ziemlicher Fülle zur Verfügung: Immatrikulationsverzeichnisse,191 Ämterlisten usw. bis hin zu Bürgertestamenten, die 1 9 0 Im späten Mittelalter drastischer von einem „teutschen" Schulmeister aus Franken formuliert: „Denn welcher Knab thut lernen wol, // Der wirt gepratner Huner vol. // Hergegen welcher lernet Übel, // Muß mit der Sau über den Kübel"; zitiert bei R. Endres, Das Schulwesen... (wie Anm. 3), S. 202 unter Hinweis auf: Germanisches Nationalmuseum, Scheurlsches Familienbuch, fol. 146 b. 1 9 1 F. Priebatsch, Geistiges Leben... (wie Anm. 10), S. 407-409, hat eine erste, für die Doppelstadt Brandenburg allerdings nicht sehr schmeichelhafte, nach Herkunfts- und Studienorten gegliederte Studentenstatistik bis 1500 vorgelegt. Demnach stammten von insgesamt 2980 erfaßten Personen nur 190 aus Brandenburg (Stadt und Diözese), aber aus Frankfurt allein 259, aus Stendal 229, aus Salzwedel 196, aus Berlin 192 und aus Beeskow 49; nach K. Schäfer, Märkisches Bildungswesen... (wie Anm. 11), S. 52, „soll sich die Zahl der Stadtbrandenburger, mit Namen genannter Akademiker vor der Reformation auf fast 300" belaufen haben (ohne Beleg). Auch nach Verbreiterung der Quellenbasis und Anwendung moderner Methoden - vgl. nur Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 123, Abt. Universalgeschichte; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Nr. 6), Stuttgart 1986 - mögen die Proportionen im wesentlichen stimmen. Es käme aber über das reine Quantifizieren und über die Verlegung der Zeitgrenze bis mindestens 1520 hinaus darauf an, möglichst viele Namen und über diese möglichst viele Einzelschicksale auch nach dem Studium zu erfassen. Erst dann käme man zu schul-, bildungs- und sozialgeschichtlich aussagekräftigen Daten; vgl. die Ansätze durch Wilhelm Zahn, Altmärker auf der Universität Frankfurt а. О. 1506-1648, in: Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für Vaterländische Geschichte und Industrie zu Salzwedel, Abt. für Geschichte 27 (1900), S. 30-75; ders., Altmärker auf der Universität Erfurt 1312-1636, in: a.a.O., S. 76-88; ders. Altmärker auf der Universität Bologna, in: Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für Vaterländische Geschichte und Industrie zu Salzwedel, Abt. für Geschichte 31 (1904/ 1909), S. 56-62, und die Aufstellung der „Akademiker" aus Brück, Beelitz, Niemegk, Luckenwalde, Trebbin und Treuenbrietzen bei Karlheinrich Schäfer, Treuenbrietzens

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den Besitz wertvoller - meist juristischer - Bücher in Laienhand bezeugen, 192 und noch weiter bis zu eher zufälligen Funden wie dem, daß der Schulmeister in Neuruppin im Jahre 1477 ein Brandenburger war. 193 Aber das ist, wie nicht erst Fontane, sondern schon im 15. Jahrhundert Roderigo Sanchez, der Bischof vom spanischen Zamora, dessen ständekritisches und ständedidaktisches Hauptwerk auch in Brandenburg aufbewahrt und hoffentlich gelesen wurde, bemerkte: ein weites Feld!194 tausendjährige Deutsch-Christliche Kultur, Treuenbrietzen 1928, bes. S. 19 f. Ich selbst bin noch beim Sammeln der Namen mit den Schwierigkeiten, die sich u. a. daraus ergeben, daß in den Matrikeln nicht immer deutlich geschieden wird zwischen Ankömmlingen aus der Diözese und der Stadt Brandenburg und daß nicht immer die Stadt an der Havel gemeint ist, konfrontiert worden: Vivant et laborent sequentes! 192 Ein Beispiel aus dem Stadtbuch der Neustadt vom 14. Juni 1415 bei G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 94), S. 102 f.: ... relicta Nicolai Blangkenfelden presentavit Frickoni Blangkenfelden speculum Saxonie in speciali libro, et glossam eiusdem speculi in speciali libro sub tali condicione... Die Zahl der Belege ist auch für diesen Bereich in anderen brandenburgischen Städten größer; deshalb hier noch der Hinweis auf zwei, heute in München (Ms. germ. fol. 284 u. 285) aufbewahrte Handschriften juristischen Charakters, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts der „Altbrandenburger Bürgermeister" Albrecht Wustrauwe geschrieben hatte; siehe Ulrich-Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 2: Beschreibung der Handschriften der einzelnen Bibliotheken, Köln-Wien 1990, S. 368. 193 M. Jacobus aus Brandenburg, nach: Heinrich Begemann, Die Lehrer der Lateinischen Schule zu Neuruppin 1477-1817. Beilage zum Jahresbericht des FriedrichWilhelm-Gymnasiums zu Neuruppin Ostern 1914, Neuruppin 1914, S. 7; vgl. B. Blum, Das Schulwesen... (wie Anm. 11), S. 23^ Rodericus episcopus Zamorenis, Speculum vite humane, о. O., J. u. Seitenzählung (Augsburg, Günther Zainer, 1471), am Anfang des zweiten Buches: ... Etquodad dicendum campus latus est; ähnlich Roderigo Sanchez de Arevalo, De regno divisibile, in: Cod. Vat. lat. 4181, fol. 107va, Z. 7 u. 8: campus ad dicendum magnus est. - Der campus-Topos (ohne magnus/latus) geht auf Cicero, De officiis 162, zurück; Cicero, De oratore III 70 und 124, spricht sogar von immenso campo. Ähnlich wie Arevalo benutzt ihn in seinem Fürstenspiegel von 1498 auch Jakob Wimpfeling, Agatharchia; siehe die Edition durch Bruno Singer, Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Bibliographische Grundlagen und ausgewählte Interpretationen (= Humanistische Bibliothek. Abhandlungen. Texte. Skripten, R. I, Bd. 34), München 1981, S. 229, Z. 13. 14. - Die mir zugänglichen Übersetzungen des Speculum ins Deutsche benutzen das Bild vom „weiten Feld" noch nicht. Der Weg von Cicero/Arevalo bis hin zu dem beliebten Fontanezitat scheint noch unerforscht zu sein, zumal die einschlägigen Nachschlagewerke - zaghafte Ausnahme: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das Deutsche Volk, hrsg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander, Bd. 1, Leipzig 1867, ND Stuttgart 1987, S. 977 Nr. 43 u. 52 - ihre Hil-

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Stadt

III

fe versagen. - Für Neugierige eine Zufallslesefrucht aus Fontanes Umwelt, aber schon vom Jahr 1817: Im ungedruckten Protokoll einer Synode von Dom-Havelberg wird von Schikanen gesprochen, denen „ein weites Feld eröffnet" werde; zitiert aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (X. HA, Pr. Br., Rep. 40, Nr. 1878) durch Hans-Dietrich Loock, „Undpißten ihm in den Schuh". Aus dem Leben des Landpredigers Carl Christian Friedrich Schulze (1792-1846). Nach den Quellen erzählt, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 55 (1985), S. 199-234, hier S. 232. - H.-D. Loock sei diese Studie nachträglich zu seinem 65. Geburtstag in Freundschaft gewidmet.

Der mittelalterliche Stadtkern von Brandenburg Ergebnisse der Neubewertung des Denkmalbestandes aus dem Zeitraum vor dem 30jährigen Krieg GÜNTHER K Ö P P I N G Potsdam

Die Siedlungsstruktur der Mark Brandenburg wird noch heute von den seit dem Mittelalter bestehenden Marktflecken und Stadtanlagen bestimmt. Es sind etwa 90 Orte im Bereich des neu gebildeten Landes Brandenburg. Von diesen sind bisher nur wenige als Denkmale des Städtebaus und der Architektur auf den Denkmallisten erfaßt. Die geschichtliche Bedeutung des städtischen Siedlungsnetzes, das im Zuge der deutschen Ostkolonisation von den Askaniern im 12. und 13- Jahrhundert in ihrem Herrschaftsgebiet angelegt wurde, ist von den Historikern schon im 19- Jahrhundert erkannt worden. Eine Bewertung als bewahrenswertes Erbe erfolgte damit jedoch nicht. Die wissenschaftlich begründete Bestandsaufnahme der Denkmale, wie sie im 19. Jahrhundert vor allem mit dem Inventar der Bauund Kunstdenkmäler in der Provinz Brandenburg von Rudolf Bergau 1878 begonnen wurde, legt der Beurteilung und Einschätzung eines Denkmales dessen „Kunstwert" zugrunde. Geschichtliche und kulturhistorische Aspekte wurden dagegen erst in zweiter Linie berücksichtigt. Das änderte sich mit dem neuen Konzept der Inventarisation, nach dem mehrere Kreise mit kunsttopographischen Gemeinsamkeiten in einem Band beschrieben werden sollten. In diesen Inventaren, die mit dem Kreis Ost-Prignitz seit 1907 herauskamen, wurden auch die Stadtanlagen mit einer knappen Ortsgeschichte und wichtigen siedlungsgeschichtlichen und historischen Plänen und Ansichten dargestellt. Den Angaben zur Ortsgeschichte folgen Angaben zu den Denkmälern, beginnend mit Sakralbauten über die Befestigungsanlagen bis zu einigen wenigen Profanbauten. Mit Unter-

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brechungen durch Krieg und Inflation wurde dieses Programm, wenn auch wiederholt in seiner Methodik verändert, bis zum Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Als letztes Werk erschien das Inventar des Kreises Teltow 1941. Leider waren aber damit große Bereiche des Landes Brandenburg bei der Inventarisierung nicht erfaßt worden, so die Landschaft, die sich vom hohen Fläming um Beizig bis in das Osthavelland mit dem Kerngebiet um Potsdam hinzieht. Ebenfalls konnten begonnene Inventare für die Bereiche des niederen Fläming um Jüterbog, Teile des Barnim, der Uckermark sowie das Beeskow-Storkower Gebiet bis Fürstenberg nicht fertiggestellt werden. Damit entfiel die Darstellung wesentlicher Quellen zur jeweiligen Stadtgeschichte und zur Schutzwürdigkeit des Hausbestandes und der Stadtanlagen. Im landesweiten Zusammenhang ist märkischer Städtebau nur im Werk von Jobst Siedler1 dargestellt worden. Denkmallisten aus der Zeit der ehemaligen DDR haben zwar verstärkt historische Stadtkerne mit ihren Straßen und Platzräumen berücksichtigt, aber die Summe der die Stadt als Denkmal bestimmenden Faktoren blieb im wesentlichen auf die künstlerisch-räumliche Bedeutung beschränkt. So wurde die in dem Demkmalpflegegesetz der DDR enthaltene Denkmalart, damals bezeichnet mit „Denkmale zur Kultur und Lebensweise der werktätigen Klassen und Schichten des Volkes wie typische Siedlungsformen, Wohn- und Arbeitsstätten mit ihren Ausstattungen", nur im geringen Umfang auf die stadttypischen Haus- und Hofanlagen ausgedehnt. Dies gilt es, verstärkt nachzuholen. Bei der 1990 angelaufenen Erfassung von Bürgerhäusern als Einzeldenkmalen im innerstädtischen Bereich von Brandenburg - dazu zählen Altstadt, Neustadt und Dominsel - stehen den ca. 40 Positionen von bestätigten Einzeldenkmalen nach dem gegenwärtigen Denkmalverständnis 390 Gebäude mit Denkmalwert gegenüber. Hinzu kommt ein noch nicht vollständig ermittelter Bestand von älteren, zum Teil mittelalterlichen Kelleranlagen, deren Erfassung und Kartierung in diesem Jahr abgeschlossen werden soll. Bei der Bewertung älterer Bürgerhäuser in Brandenburg wirkt erschwerend, daß die Entwicklung des Bürgerhauses im Land Brandenburg weitgehend unerforscht blieb und mit Ausnahme der Residenzstädte Berlin und Potsdam auch kein Überblick über den 1

Eduard Jobst Siedler, Märkischer Städtebau im Mittelalter, Berlin 1914.

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Hausbestand gegeben wurde. Ein erster, sehr summarischer Überblick über die Entwicklung des Bürgerhauses in der Stadt Brandenburg stammt aus dem Jahre 1912 und findet sich in dem Inventarband von Paul Eichholz.2 Allerdings werden hierbei nur die künstlerisch herausragenden Beispiele vorgestellt, während stadttypische kleinbürgerliche Häuser kaum behandelt werden. Die Betrachtung beschränkt sich in der Regel auf die Fassaden und einzelne Baudetails. Auf die Raumstruktur der Gebäude, auf Kelleranlagen oder für die Haustypologie wichtige Dachtragwerke wird dagegen kaum eingegangen. Außerdem bleibt zu berücksichtigen, daß das Einzelgebäude als Bestandteil des „Stadtdenkmales" zu begreifen ist. Im Land Brandenburg finden sich, trotz schmerzender Lücken im Hausbestand, noch Hauptwerke der Bürgerhausarchitektur aus allen Stilepochen seit der Gotik. Aus Gründen mangelnder Baukapazität in DDR-Zeiten kam es zwar zu einer beklagenswerten Verwahrlosung des Hausbestandes, aber die überlieferte Bausubstanz blieb von eingreifenden Veränderungen verschont. Allerdings sollte auch in Brandenburg nach Untersuchungen der Bauakademie der DDR modernisiert werden, wobei mit einer Abrißquote der bestehenden Gebäude von 50 Prozent gerechnet wurde. Jetzt droht den Baudenkmalen eine neue Veränderungs- und Modernisierungswelle, die den geschichtlichen Aussagewert der Gebäude erneut gefährdet. Deswegen ist die Erfassung des Denkmalbestandes an historischen Wohnhäusern in den Städten eine Schwerpunktaufgabe des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege. Speziell in der Stadt Brandenburg ist es möglich, die Erforschung des märkischen Bürgerhauses und seiner Entwicklung seit dem Mittelalter im Rahmen der Vorarbeiten für eine Stadttopographie vorzunehmen. Sie erfolgt im Zusammenhang mit der 1990 begonnenen Stadtsanierung, die in Brandenburg als einer der fünf Modellstädte in den neuen Bundesländern vom Bundesbauministerium besonders gefördert wird. Allerdings können hier nur die Hauptlinien denkmalpflegerischer Arbeit aufgezeigt werden, die zu einem Teil bei der Schnellinventarisation liegen und zum anderen Teil praktische Entscheidungen bei den Arbeiten an Denkmalen umfassen. Dabei ist es wichtig, daß bei

2 Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912.

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dem Umgang mit dem Einzeldenkmal niemals der Zusammenhang mit der Stadtgeschichte und dem heute vorhandenen Denkmalbereich Brandenburg vernachlässigt wird. Deswegen sei es mir gestattet, zunächst den historischen und topographischen Rahmen zu skizzieren, in den sich die Ergebnisse der Hauserfassung in Brandenburg einordnen, dem Ort, der namengebend für die Territorien unter askanischer Herrschaft im Mittelalter und letztlich für das heutige Land Brandenburg wurde. Im 12. Jahrhundert hatte sich das auf dem westlichen Havelufer gelegene Parduin zur Altstadt entwickelt, während noch vor 1196 die Neustadt als erste askanische Stadtgründung auf markgräflichem Eigenland östlich der Elbe angelegt wurde. Die Städte liegen am Übergang wichtiger Fernhandelsstraßen von Magdeburg nach Posen über die Havel. Von der Burg auf der Dominsel konnte der Übergang kontrolliert werden. Heute bilden Altstadt und Neustadt das Zentrum der auf ca. 100 000 Einwohner angewachsenen Gesamtstadt, deren Grenze sich durch Erweiterungen im 19- Jahrhundert und die Anlage von Industriegebieten und Wohnkomplexen im 20. Jahrhundert beträchtlich ausgedehnt hat. Die mittelalterliche Doppelstadt ist auch heute noch deutlich erlebbar durch den Verlauf der jeweiligen Stadtmauer und umgebende, teilweise erhaltene Wallanlagen und Grünbereiche, die das Zentrum von den Stadterweiterungen scheiden. Einige topographische Besonderheiten müssen hervorgehoben werden: Am Westrand der Altstadt liegt die einzige natürliche Erhebung der Gegend, der Harlunger-, später Marienberg. Darauf befand sich die 1222 als Wallfahrtsstätte errichtete, im Mittelalter bedeutende Marienkirche. Die verzweigten Havelarme schützten die Dominsel und ermöglichten im Mittelalter durch Stau der Havel die Anlage von Mühlen und die bessere Schiffbarkeit des Stromes. Der Schiffsgraben, der heutige Schleusenkanal, ist ein künstlicher Durchstich um die Neustadt, der gleichzeitig das Grabensystem der Neustadt speiste und als Umfahrungsweg für den Schiffsverkehr diente. Bis heute blieb daher auf der Ostseite der Dominsel und angrenzend an die Neustadt ein unbebautes sumpfiges Gebiet erhalten, das die mittelalterliche Situation der ummauerten Stadt in Korrespondenz mit der umgebenden offenen Landschaft erlebbar macht. Diese topographischen und siedlungsgeschichtlichen Besonderheiten müssen als Bestandteil des Stadtdenkmals geschützt werden.

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Wir haben in diesem Sinne einen Antrag an den Stadtrat von Brandenburg gerichtet, den ganzen mittelalterlichen Kern als Denkmal mit Gebietscharakter, also als Denkmalbereich, unter Schutz zu stellen. Eine definitive Antwort steht noch aus, aber die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Stadtplanungs- und Bauordnungsamtes zielt schon jetzt in diese Richtung. Erleichternd kommt hinzu, daß unsere Arbeit durch die „Gesellschaft für Stadterneuerung", die als Treuhandgesellschaft für den Stadtrat tätig ist, unterstützt wird. Als wichtige Quelle für eine geschichtliche Wertung des Stadtdenkmals müssen frühe Stadtpläne herangezogen werden. Im Hedemannschen Plan von 1722/24 ist der Grundriß beider Städte Brandenburgs dargestellt.3 Daraus wird ablesbar, daß sich Rechtstitel und Besitzverhältnisse relativ langsam verändert haben. Der Plan des 18. Jahrhunderts stellt bei näherer Betrachtung die Stadt des späten Mittelalters dar. Die Stadtbefestigung und wichtige Einzelbauten wie Kirchen, Rathäuser und andere öffentliche Gebäude sind in ihrem Bestand seit dieser Zeit unverändert. Die unterschiedliche Bedeutung der Straßenräume entspricht ihrer Funktion im Mittelalter. Die soziale Differenzierung der Bevölkerung macht sich an den Grundstücksgrößen bemerkbar. Die ursprünglich vermutlich gleich großen Haus- und Hofplätze sind oft im rückwärtigen Bereich in kleinere Grundstücke unterteilt, die Hausplätze für Handwerker oder Tagelöhner wurden. Ähnliche Buden finden sich als Reihenhäuser am Rande von Kirchhöfen. Die zunächst sehr weitläufig angelegten Stadtgrundrisse werden entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung der Städte erst langsam ausgefüllt. Für die Frühzeit muß daher mit einer lockeren Bebauung, in Trauf- und Giebelstellung an den Straßenfronten, gerechnet werden. Diese Aussage wird von der ältesten Abbildung eines Teiles der Altstadt Brandenburg aus der Chronik des Zacharias Garcaeus von 1582 unterstützt, aus der auch hervorgeht, welche gärtnerisch genutzten Freiräume innerhalb der Stadt vorhanden waren. 4 Ursprünglich wurden die Grundstücke durch Mauern und Zäune voneinander getrennt. Ein erhaltenes Beispiel stellt die gotische Backsteinmauer 3 A.a.O., Tafel 35 nach S. 223; vgl. im vorliegenden Band Abb. 3; zum Plan Winfried Bliß, Frühe Karten brandenburgischer Landstädte im Geheimen Staatsarchiv, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 41 (1990), S. 216-225 - dort auf S. 219 als „von Hedemann um 1730 gezeichnet" datiert. 4 Vgl. im vorliegenden Band Abb. 9.

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mit Spitzbogenportal in der Büttelstraße dar, die wahrscheinlich vom Kalandshof stammt. Die Grundstücksgrenzen wurden noch nicht von den Häusern selbst markiert, sondern diese standen oft in einer lockeren Anordnung auf dem Grundstück. Seitlich ließ man zum Nachbarhaus schmale Gassen frei, die selbst bei der späteren dichten Bebauung als Bauwiche zur Ableitung des Regenwassers genutzt wurden. Ehemals häufig vorhandene Hofeinfahrten wurden vor allem im 18. Jahrhundert überbaut, wobei manchmal das alte Gebäude im Hofbereich erhalten bleibt und beide Bauteile zur Straße hin durch eine einheitliche Fassade zu einem Gebäude in Traufstellung umgedeutet werden. Ein weiterer Hinweis auf alte Bebauungsstrukturen kann aus der Aufnahme der älteren Kellergrundrisse abgeleitet werden. Die großen erhalten gebliebenen Kelleranlagen aus der Zeit vor dem 30jährigen Krieg konzentrieren sich in den bedeutenden Straßen wie Haupt-, Stein-, Kurstraße, Molkenmarkt, Neustädter Markt, Parduin usw., während in den Nebenstraßen wie Deutsches Dorf, Große Heidestraße oder Lindenstraße eher kleinere und fast immer auch spätere Anlagen zu finden sind. In manchen Bereichen schieben sich Keller in den heutigen Straßenraum vor - so am Steintorturm und am Haus Hauptstraße 9 - und lassen damit den Schluß auf eine andere Straßenraumstruktur zu, die zunächst eher angerartig mit deutlichen Verengungen am jeweiligen Ende der Straße anzunehmen ist und die bis in die jüngste Vergangenheit einer Aufweitung und Begradigung unterlag. Allerdings läßt sich aus der Form der Keller nicht zwangsläufig die genaue Grundrißgestalt des einst darüber vorhandenen Hauses rekonstruieren. In der Regel war nämlich nur ein Teil des Hauses unterkellert, wie die erhaltenen mittelalterlichen Bauten belegen. Dagegen sind mit Hilfe der Keller durchaus Hinweise auf die damalige Struktur der Bebauung zu gewinnen, beispielsweise wenn der Keller nicht an der Straße, sondern im hinteren Teil des Grundstückes unter dem Hof oder einem Seitenflügel liegt. Das frühere Haus könnte also weiter zurückgesetzt gestanden haben. Denkbar wäre auch, daß ein Keller in einem rückwärtigen Hausteil angelegt wurde. Der Hausbestand in Brandenburg aus der Zeit vor dem 30jährigen Krieg ist bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Ein sehr wichtiger Gebäudekomplex, das Haus Storbeck, ehemals an der Ecke Stein- und Hauptstraße gelegen, ist nur aus den Angaben des Inventarbandes 1912 von Eichholz zu erschließen. Er umfaßte die für

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Brandenburg charakteristischen gewölbten Erdgeschoßräume neben einer flachgedeckten Halle. Ähnliche Raumstrukturen finden wir aber noch in der Altstadt im Haus Parduin 11 und in der Neustadt im Haus Hauptstraße 9· Unter den gewölbten Erdgeschoßräumen sind in den genannten Häusern mittelalterliche Kelleranlagen vorhanden. Der gleiche Haustyp findet sich im Haus Breite Straße 32 in Spandau und in Resten in Jüterbog in der Leninstraße. Keller, gewölbte Erdgeschoß- und auch Obergeschoßräume, wie im Haus Storbeck, und die besondere Lage im Gefüge der mittelalterlichen Stadt weisen auf einen besonderen sozialen Status des ehemaligen Besitzers hin. Die Lage in Marktnähe - Haus Storbeck, Haus Hauptstraße 9, Haus Parduin 11 - oder der besondere Zugang zum Wasserweg wie in Spandau läßt auf Handelsherren schließen. Bei diesen Überlegungen bedauern wir schmerzlich die Vernichtung großer Teile des Brandenburger Stadtarchivs während des Zweiten Weltkrieges. Trotzdem bleibt die Forderung nach der Erforschung der Nutzungs- und Funktionsgeschichte der Bürgerhäuser über eine reine Baugeschichte hinaus bestehen. In diesen Zusammenhang gehört auch das glücklicherweise erhalten gebliebene gotische Steinhaus Schusterstraße 6, das sogenannte Ordonnanzhaus. Eine Bauaufnahme ist erfolgt, eine genaue Bauuntersuchung steht noch aus, aber schon jetzt kann darauf hingewiesen werden, daß die bekannte Giebelfront in der Schusterstraße einer zweiten Bauphase angehört, in der die aus dem 14. Jahrhundert stammenden gewölbten Räume auf der Nordseite mit der in die Tiefe des Grundstückes sich erstreckenden Halle zu einem größeren Patrizierhaus umgebaut wurden, dem auch die noch erhaltene Holzkonstruktion des Dachstuhles und der Speichergeschosse angehören. In diesem Zusammenhang muß auf die noch nicht realisierte Möglichkeit von dendrochronologischen Altersbestimmungen der meist aus Nadelhölzern errichteten Dachstühle in Brandenburg aufmerksam gemacht werden. Bei der jetzt vorgenommenen Erfassung der Bürgerhäuser zeigt sich immer deutlicher, von welcher umfassenden Aussagekraft für die Baugeschichte solche meist wenig veränderten Konstruktionen sein können. Allerdings benötigen wir auch hier eine Typologie der vorhandenen Dachstühle, einschließlich ihrer konstruktiven Verbände und der Zierformen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Inventar der noch erhaltenen Dachstühle aus mittelalterlicher Zeit vorrangig auf den Sakralbauten, aber auch bei wichtigen Bürgerhäusern und ehemals öffent-

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liehen Gebäuden anmahnen, 5 um bei jetzt verstärkt zu erwartenden Eingriffen durch Instandsetzungen und Nutzungsveränderungen einen Bestandsschutz zu erreichen und die Forschung auf eine solide Basis zu stellen. Ausgehend von den durch datierte Umbauphasen zeitlich einzugrenzenden Dachstühlen und ihren Holzverbänden wie den auf der Katharinenkirche von ca. 1400 - und unter Einbeziehung der datierbaren Holzkonstruktionen von Fachwerkgebäuden - wie der des ehemaligen Schulgebäudes der Altstadt, Gotthardtkirchplatz 5, von 1552 - könnten weitere Bürgerhäuser, deren Wohngeschosse oft entstellend umgebaut wurden, zeitlich genauer eingeordnet werden. Das trifft vor allem auf die Fachwerkkonstruktionen der Bürgerhäuser vor dem 30jährigen Krieg zu, die in Brandenburg, abweichend vom Harzvorland, weniger durch Schmuckformen an Hölzern der Fassaden auffallen als durch Ständerkonstruktionen und meist deutlich steilere Dachgebinde gegenüber den Dächern des 18. Jahrhunderts wie in der Altstädtischen Fischerstraße 11/12. Bei diesen in Brandenburg wahrscheinlich für das 15. oder die erste Hälfte des frühen 16. Jahrhunderts typischen Konstruktionsformen wurden, im Gegensatz zum später allgemein üblichen Stockwerkbau, die Geschosse zwischen die von der Schwelle bis zum Rähm durchgehenden Wandständer eingehängt. Das geschieht in Form von durch die Ständer gesteckten Ankerbalken, deren Zapfen herausschauen und durch einen Holznagel gesichert sind. Eine Aussteifung erfolgte durch Riegel und Kopfstreben. Über die Raumstruktur dieser Gebäude ist wegen der meist später erfolgten eingreifenden Umbauten wenig bekannt. Auch hier kann zunächst nur eine sorgfältige Bauaufnahme, in wichtigen Fällen durch verformungsgerechte Aufmaße, verbunden mit einer genauen Bauanalyse, weiterhelfen. Erste Ergebnisse solcher Bauaufnahmen, so für das Haus Gotthardtkirchplatz 5, liegen vor. Neben diesen ersten Angaben zu Ergebnissen und Untersuchungsmethoden bei der Erfassung des Denkmalbestandes in Brandenburg möchte ich zum Ende der Ausführungen den Blick auf die laufenden denkmalpflegerischen Arbeiten an bedeutenden mittelalterlichen

5

Vgl. Günther Binding, Das Dachtragewerk auf Kirchen im europäischen Sprachraum vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert, München 1991.

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Bauwerken richten und die dabei gewonnenen neuen Einsichten umreißen. Am Dom und dem Domkloster gehen die nun schon über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren laufenden Arbeiten weiter und konzentrieren sich zur Zeit auf die Gebäude der Klausur. Der Ostflügel wird neu gedeckt, und am Nordflügel konnte die schon von Ludwig Dihm 1905 angeregte Rückführung des Gebäudekörpers auf die mittelalterliche Bauhöhe durch Abtragung der Aufstockung aus der Zeit der Ritterakademie um 1870 vorgenommen werden. 6 Der Nordflügel wird ein neues durchlaufendes Dach mit Anschluß an den Westgiebel erhalten. Bei den Fassadenuntersuchungen der durch Risse und Setzungen statisch gefährdeten Nordwand konnte ein durchlaufendes Gliederungssystem durch Strebepfeiler mit dazwischenliegenden Biforien in Spitzbogenblenden im Erdgeschoß und großen, mit Maßwerk gegliederten Fenstern im Obergeschoß aufgedeckt werden. Der aufgefundene Baubestand weicht von der von Paul Eichholz im Inventarband von 1912 gegebenen Rekonstruktion - vor allem am westlichen Fassadenende - ab. Es lassen sich zwei Bauphasen annehmen, deren erste einen eingeschossigen Bau im Anschluß an den Ostflügel, einschließlich des Nordportals, umfaßt und deren zweite Bauphase sich auf die Erweiterung nach Westen und die Aufstockung, einschließlich des aufgedeckten Portals im Obergeschoß für einen Übergang zur ehemaligen Dechanei, erstreckt. Als Datierung für die erste Bauphase ist das Ende des 13- Jahrhunderts anzunehmen, während für die Erweiterung und Aufstockung im Zusammenhang mit Umbaumaßnahmen im Ostflügel die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts anzusetzen ist. Gleichlaufend mit den Bauarbeiten am Domkloster mußte auch der Westgiebel des gegenüberliegenden mittelalterlichen Siechenhauses, der späteren Seniorenkurie und des heutigen Predigerseminars, wiederhergestellt werden, nachdem ein aus dem 18. Jahrhundert stammender Fachwerkbau wegen Baufälligkeit abgebrochen worden war. Bei den Arbeiten konnte im Giebel des 15. Jahrhunderts der Seniorenkurie gleichzeitig ein vermutlich aus dem 13. Jahrhundert stammender Giebel mit ehemaligen Fensternischen und dem Innengiebel eines ursprünglich anstoßenden Hauses gleicher Bauzeit sichtbar gemacht werden. 6 Ludwig Dihm, Die Wiederherstellung des Domkreuzganges a.d.H., in: Die Denkmalpflege! (1905), S. 57-61.

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Brandenburg

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Die größte und denkmalpflegerisch bedeutendste Baustelle stellt zur Zeit die Katharinenkirche dar, deren erhaltene, äußerst qualitätvolle mittelalterliche Innenraumfassung aus der Mitte des 15. Jahrhunderts freigelegt und restauriert wird. Das reiche ornamentale und figürliche Programm war bei der Restaurierung 1910/12 aufgedeckt und der Raumfassung zugrunde gelegt worden. Allerdings hatte die damals verwendete Leimfarbenmalerei eine zu geringe Lebensdauer, so daß jetzt nach Voruntersuchungen von 1985 die Abnahme erfolgen mußte, um gleichzeitig die Konservierung des mittelalterlichen Putzes und der Farbschichten zu ermöglichen. Dabei sind noch vorhandene Putze aus nachmittelalterlicher Zeit ohne künstlerisch relevante Bemalungen abgenommen worden, um die mittelalterliche Wand-Rippen- und Pfeilerstruktur mit ihrer Farbfassung freizulegen, zu festigen oder wiederherzustellen. Die Einbettung der schon 1912 freigelegten Malereien in die zugehörige mittelalterliche Raumfassung bestätigt die künstlerische Einheit von Bauwerk und Ausmalung, der sich auch die später hinzugefügten Kunstwerke und Ausstattungsstücke einfügen. Für das Land Brandenburg ist es ein einmaliger Sonderfall, daß die Stadt im Rahmen der Förderung als Pilotprojekt gleichzeitig eine solche Vielzahl von denkmalwerten Bauwerken in einer bedeutenden mittelalterlichen Doppelstadtanlage vor dem Verfall retten und wiederherstellen kann. Weitere Baugerüste stehen an der Gotthardtkirche und dem Paulikloster. Die Johanniskirche erhielt ein Notdach. Teile der Stadtmauer wurden instandgesetzt. Für die Türme der Mauer wird die Wiederherstellung vorbereitet. An den leerstehenden Bürgerhäusern wurde der Verfall gestoppt, und an 30 zum Teil unbewohnten Häusern mit „Denkmalverdacht" beginnen im Herbst die Bauarbeiten. Vor diesem Hintergrund soll mein Beitrag als Bericht über Ergebnisse bei der Erfassung denkmalwerter Substanz gleichzeitig als Arbeit an den Denkmalen verstanden werden. Wir stehen einer einmaligen Herausforderung gegenüber, verbunden mit der vielleicht letzten Möglichkeit einer Erforschung des noch erhaltenen Bestandes eines mittelalterlichen Stadtdenkmales.7 7

Vgl. Marcus Cante/Thomas Drachenberg, Brandenburg an der Havel. Erste Ergebnisse der denkmalpßegerischen Häusererfassung 1991, in: Brandenburgische Denkmalpflege 1 (1992), Η. 1, und Mathias Metzler, Brandenburg an der Havel. Die historischen Keller der Neustadt, a.a.O.

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Gotische Backsteinmauer in der Neustädter Büttelstraße. Foto (1992) Bran-

denburgisches Landesamt für Denkmalpflege (künftig: BLD).

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Abb. 11 Altstadter Rathaus mit dem Eckgebäude Parduin 11. Foto (1992) Dieter Möller, BLD.

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Abb. 12 Haus Altstädter Fischerstraße 11/12 (Dachgebinde und Reste der Ständerkonstruktion an der Hoffassade weisen auf eine Entstehung im 16. Jahrhundert hin). Foto (1992) Dieter Möller, BLD.

Abb. 13 Domkloster Brandenburg, Nordflügel mit den aufgedeckten und probeweise ergänzten Fensterformen des 13. und 14. Jahrhunderts. Foto (1992) Dieter Möller, BLD.

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Abb. 14 Domkloster Brandenburg, Westgiebel des heutigen Predigerseminars, der ehemaligen Seniorenkurie, mit freigelegten Bauteilen des 13. Jahrhunderts. Foto (1991) Dieter Möller, BLD.

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Abb. 15 Neustädter Katharinenkirche, Innenraum nach der Restaurierung der Gewölbe mit dekorativer Bemalung aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts. Foto (1991) Dieter Möller, BLD.

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Stadtkern

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Abb. 16 Neustädter Katharinenkirche, Gewölbe im Chorbereich nach der Restaurierung mit dekorativer und figürlicher Bemalung aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts. Foto (1991) Dieter Möller, BLD.

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Abb. 17 Ruine der Altstädter Johanniskirche mit Notdach, Blick von Westen mit Stützgerüsten zur Stabilisierung der sich neigenden Langhauswände. Foto (1992) Dieter Möller, BLD.

Die Rathäuser in Brandenburg im Vergleich mit den Rathäusern in anderen norddeutschen Städten ELMAR N O L T E Kassel

Geschichte nach den Schriftquellen Die erste Erwähnung eines Rathauses in Brandenburg finden wir im ältesten Schöppenbuch der Neustadt Brandenburg zum Jahre 1297. Es wird dort ein als pretorium bezeichnetes Gebäude genannt. 1 Der Begriff praetorium geht bekanntlich auf die römische Antike zurück, als mit praetor die beiden obersten, jährlich auf ein Jahr gewählten Richter bezeichnet wurden. In der römischen Kaiserzeit wurde der Amtssitz des Statthalters in der Provinz praetorium genannt. In der Frühzeit der mittelalterlichen, noch herrschaftlich durch einen Stadtgrafen oder Vogt regierten Stadt wurde der Begriff für dessen Behausung als Sitz der politischen und juristischen Macht verwendet, so in Fritzlar um 11092 und in Gelnhausen um 1170. Das Aufkommen der städtischen Ratsverfassung fand sehr bald auch in neuen lateinischen Bezeichnungen für den Sitz der städtischen Regierung seinen Niederschlag. Die am weitesten verbreitete ist später domus consulum, die unter anderem in Soest, Lübeck, 1 Georg Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen, in: Märkische Forschungen 18 (1884), S. 1-108, hier S. 26. 2 Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Fritzlar im Mittelalter; bearb. von Karl • E. Demandt (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 13,3), Marburg 1939, Nr. 2, S. 14. 3 Zu Gelnhausen vgl. Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel Der Kreis Gelnhausen, bearb. von Ludwig Bickell, Marburg 1901.

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Dortmund, Hamburg, Braunschweig, Goslar und Rostock gebraucht wurde. 4 Als weitere Bezeichnungen finden wir domus civium in Köln ab 11355 und später in Münster, domus communionis 1217 in Hildesheim,^ domus concilii 1238 in Lippstadt7 und später in Rostock, domus burgensium 1241 in Dortmund 8 und später in Braunschweig, domus consistoria 1260 in Wismar9 und domus communitatis 1269 in Goslar.10 Die deutsche Bezeichnung für diese Häuser lautet jedoch von Anfang an rathus, radhus oder ratzhus und taucht erstmals um 1216 in Hamburg auf.11 Wenn nun 1297 in Brandenburg ein Gebäude mit pretorium bezeichnet wird, darf daraus jedoch nicht der Schluß gezogen werden, die Stadt sei zu der Zeit noch durch einen Statthalter oder Grafen oder Vogt verwaltet worden. In pretorio wurden 1297 testamentarische Verfügungen vor Schultheiß und Schöffen der Neustadt getroffen und in das Schöffenbuch eingetragen. Wir wissen, daß 1263 bereits consules der Altstadt und der Neustadt genannt sind, die Stadt zu der Zeit also bereits eine Ratsverfassung hatte. 12 Der Aus-

4

Verbreitet ist in der Literatur die Behauptung, in Soest sei bereits 1120 eine domus consulum erwähnt: Karl Gruber, Das Deutsche Rathaus, München 1942, S. 11; Georg Ludwig von Maurer, Geschichte der Stadtverfassung in Deutschland, Bd. 2, Erlangen 1870, S. 51; Otto Stiehl, Das deutsche Rathaus im Mittelalter, Leipzig 1905. Diese Behauptung ist mit den Quellen nicht zu belegen; vgl. Jürgen Paul, Rathaus und Markt, in: Stadt im Wandel. Ausstellungskatalog, Bd. 4, Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, S. 89118, hier S. 105. 5 J. Paul, Rathaus... (wie Anm. 4), S. 90. ^ Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, hrsg. von Richard Doebner, Т. 1, Hildesheim 1881, ND Aalen 1980, Nr. 74. 7 Hartwig Walberg, Lippstadt (= Deutscher Städteatlas, Lief. III, 5), Altenbeken 1984. 8 Horst Appuhn/Eberhard G. Neumann, Das alte Rathaus zu Dortmund, Dortmund 1968, S. 10. 9 Das älteste Wismarsche Stadtbuch, hrsg. von Friedrich Techen, Wismar 1912, § 448, zitiert nach Friedrich Techen, Rathaus und Kaufhaus im nördlichen Deutschland, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 14 (1918), S. 532-541, hier S. 534. 10 O. Stiehl, Das deutsche Rathaus... (wie Anm. 4), S. 128. 11 Heinrich Reincke, Die ältesten hamburgischen Stadtrechte und ihre Quellen, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 25 (1924), S. 1—40, hier S. 1 f.: raethus (1236 domus consulum). 12 Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I, Bd. 8 (künftig CDS 1/8 zitiert), Berlin 1847, S. 164 Nr. 89.

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druck pretorium wurde auch weiter für den Sitz der städtischen Regierung beibehalten, insbesondere im mittleren und östlichen Teil Deutschlands, so um 1278 in Stralsund,13 1279 in Paderborn, 14 1325 in Wismar,15 1367 in Rostock16 und 1471 in Kassel.17 Daß zum Beispiel in Paderborn damit das Rathaus und nicht etwa das Richthaus gemeint war, geht aus der dortigen Urkunde des Rates von 1279 hervor, in der es ausdrücklich heißt: de domo nostra, que vocatur rathus sive pretorium. Wo das erste Brandenburger pretorium gestanden hat, wissen wir nicht. Oft handelte es sich bei den ersten Rathäusern noch um relativ kleine Gebäude, ehemalige Kurien oder Bürgerhäuser, die in einer Straßen- oder Platzseite eingebaut waren, so bei den ersten Rathäusern in Fritzlar, Gelnhausen, Dortmund, Lübeck, Breslau und vielen anderen Städten. Im Jahre 1376 wurde für Brandenburg ein consistorium (Versammlungsraum) in einer Urkunde des Markgrafen Ludwig erwähnt. 18 Wahrscheinlich handelte es sich hier bereits um das bis 1945 bestehende ehemalige Rathaus der Neustadt Brandenburg, das nach kunsthistorischer Einschätzung zwischen 1320 und 1402, dem Aufstellungsjahr des Rolands, erbaut wurde. 19 In einer Urkunde von 1420 über die Schlichtung eines Streites wird ein kophus (Kaufhaus) der Neustadt erwähnt, in dem die Neustädtischen Gewandschneider eigene Kaufkammern besaßen und auch die Altstädter Gewandschneider und Schuhmacher zugelassen waren. Da ein besonderes Kaufhaus in der Neustadt Brandenburg 13 Das älteste Stralsundische Stadtbuch, hrsg. von F. Fabricius, I § 79, zitiert nach: F. Techen, Rathaus... (wie Anm. 9), S. 540. 14 Westfälisches Urkundenbuch, Bd. 4, bearb. von Heinrich Finke, Münster 1894, Nr. 1565; vgl. Paul Michel, Aus der Baugeschichte des Paderbomer Rathauses, Paderborn 1962, S. 7. 15 Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 3, Schwerin 1865, Nr. 2267, S. 534: in consistorio interpannicidas. 16 Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 16, Schwerin 1893, Nr. 9644, S. 206: in pretorio eiusdem civitatis. 17 Alois Holtmeyer, Kreis Cassel-Stadt (= Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel 6), Text, Bd. 1, Kassel 1923, S. 463; Hugo Brunner, Die Geschichte der Casseler Rathäuser, Kassel 1909, S. 7. 18 CDB1/8, S. 164, Nr. 81. 19 Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912, S. 158 f.

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nicht bekannt ist, kann man analog zu der Situation in anderen Städten vermuten, daß das Rathaus auch als Kaufhaus gedient hat. 20 Die Kaufgüter mußten auf der Ratswaage gewogen werden, wozu die Bürger noch im Jahre 1685 bei Strafe angehalten wurden. 21 Ferner diente das Haus auch als Festhaus, so zum Beispiel bei einer Hochzeit des Ritters von Waidenfels, an dem auch der Kurfürst teilnahm,22 und es hatte in der frühen Neuzeit eine Kegelbahn, die 1773 einging. 23

Beschreibung des Neustädter Rathauses Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gebäude stand einst wahrscheinlich frei auf dem Marktplatz, mit seinem Giebel an der Hauptstraße, genau gegenüber der Einmündung der von Südwesten kommenden Steinstraße, und hatte somit eine sehr dominierende Stellung im Stadtbild. Es ist anzunehmen, daß der Markt ursprünglich ein zusammenhängender Platz von 80 χ 220 m Größe war, der das gesamte Areal zwischen dem heutigen Neustädter Markt und dem Molkenmarkt umfaßte. Die spätere Bebauung dieses Platzes ist als eine Verfestigung ehemaliger Marktstände und Buden im späten Mittelalter zu deuten, wie es in vielen großen Städten zu beobachten war (Frankfurt, Lübeck). Mit seiner Größe von 45,43 χ 12,8 m bei zwei Geschossen hatte das Neustädter Rathaus eine ähnliche Länge wie das ehemalige Rathaus von Magdeburg.24 Damit war es nicht nur der größte Profanbau der Stadt, sondern gehörte zu den längsten Rathäusern im damaligen Reichsgebiet. Das Gebäude war ausschließlich in Backsteinbauweise errichtet. Von der mittelalterlichen Giebelfassade an der Hauptstraße waren vor der Zerstörung nur noch einige Reste erhalten: im Erdgeschoß 20

CDB1/9, Berlin 1849, S. 120 Nr. 157. G. Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen... (wie Anm. 1), S. 62: libra civitatis (1388). 22 Felix Priebatsch, Beziehungen der beiden Städte Brandenburg zu Kurfürst Albrecht Achilles, in: Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg 29/30 (1898), S. 66-69, hier S. 69. 23 Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 156. 24 Die Maße nach dem Plan der Stadt Brandenburg 1 : 4000 von 1922. Zur Lage der Rathäuser vgl. oben Abb. 3 d e n Hedemann-Plan. 21

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zwei spitzbogige Türöffnungen in der Mitte, die zusammen mit einer darüberliegenden Kreisöffnung von einer umlaufenden Portalumrahmung gefaßt wurden, links und rechts davon je eine hohe Blende um die Erdgeschoßfenster und schließlich zwei profilierte, aufsteigende Kanten ehemaliger Blenden im Giebeldreieck.25 Im übrigen war diese wichtige, da im Blickfeld der Steinstraße stehende Fassade von 1723 an mit neuen Fenstern durchgreifend umgebaut und mit einem zuvor nicht vorhandenen Turm versehen worden.26 Auf einer Abbildung auf einer Schießscheibe von 1818 ist links neben dem Rathaus ein über 5 m in die Hauptstraße hereinspringendes Gebäude dargestellt, das in seiner zum Rathausvorplatz grenzenden Wand gleichfalls hohe gotische Blendbögen erkennen läßt.27 Ferner wurden 1885 an der Südwestecke des Gebäudes an der Hauptstraße Fundamente entdeckt, die von Paul Eichholz als Reste einer ehemaligen Gerichtslaube gedeutet wurden.28 Das Vorhandensein einer solchen Laube vor der Südfassade würde zwar manchen Vorbildern (Dortmund, Münster, Berlin) entsprechen und auch das Fehlen über Eck gestellter Strebepfeiler an der Südwestfassade erklären. Andererseits müßte eine solche Halle eine gewaltige Höhe gehabt haben, damit es nicht zu Überschneidungen mit den beschriebenen Blenden kam. Oder es handelte sich bei der Gerichtslaube - wie in Berlin und Braunschweig - um eine spätere Zutat, die das Fehlen der Strebepfeiler und die Höhe der Wand des benachbarten Gebäudes nicht erklären würde. Genaueres wäre wahrscheinlich nur durch eine nochmalige gezielte Ausgrabung in diesem Bereich festzustellen. Die südöstliche Traufseite besaß gleichfalls eine dichtgedrängte Reihe schlanker Spitzbogenblenden mit wechselnden Kantenprofilen, in denen schlitzartige Fenster saßen. 29 Sie hatte dadurch einen sehr repräsentativen Charakter, wobei die Blendenreihe offenbar einen echten Laubengang wie bei zahlreichen anderen mittelalterlichen Rathäusern symbolisieren sollte. Über dem noch teilweise alten Horizontalgesims wurde auch hier das Obergeschoß im 18. JahrhunDie Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 154, Abb. 92. A.a.O., S. 161. 27 A.a.O., S. 153, Abb. 91. 2 8 Wie Anm. 22. 29 Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 153, Abb. 91; Gustav Düllo, Communalgeschichte der Stadt Brandenburg, Brandenburg 1886, S. 2. 25 26

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dert so stark verändert, daß dort keine mittelalterlichen Befunde mehr geblieben sind. Dem nordöstlichen Teil der Fassade wurden in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein kurzer zweigeschossiger Querflügel mit einem kreuzgratgewölbten Erdgeschoß vorgelagert, dessen geschweifter Giebel bereits eindeutige Renaissanceformen zeigte. In der Mitte des 17. Jahrhunderts folgte ein zweiter Querflügel links neben dem ersten, so daß durch die neuen Anbauten der größte Teil der mittelalterlichen Trauffassade verdeckt wurde. 3 0 Am besten war die hintere Giebelfassade erhalten. 31 Auch hier befand sich ein spitzbogiges, ursprünglich wohl ebenfalls zweigeteiltes Portal in der Mitte, das hier von einer wimpergartigen Überdachung bekrönt und von zwei in rundbogigen Blenden gerahmten Fenstern flankiert wurde. Auch die im 18. Jahrhundert zusammengefaßten Obergeschoßfenster sind noch recht leicht als eine Reihe von ursprünglich acht schmalen Fenstern zu rekonstruieren. Der mit sieben fialenbekrönten Pfeilern vertikal gestaltete Giebel setzt sich mit einem reichgeschmückten Maßwerkfries von den darunterliegenden Geschossen klar ab. Angesichts der Lage eines Einganges und des reichen Fassadenschmuckes an dieser Seite ist offensichtlich, daß es sich um eine dem freien Platz zugewandte Schaufassade gehandelt haben muß, die als Rückseite des Rathauses wohl erst später zugebaut wurde. Die nordwestliche Seite war dagegen recht schlicht und ohne Blendenwerk. 3 2 Hier erkannte man außer den Spuren der im Stichbogen geschlossenen Erdgeschoßfenster auch die ebenso geformten des Obergeschosses, die in größeren Stichbogenblenden saßen. Beide Stockwerke trennte ein Kaffgesims mit Schräge und Wassernase. Insgesamt zeigte die architektonische Gestaltung eine kräftige, hochgotische Formensprache, wie sie für die Mitte des 14. Jahrhunderts typisch ist. Im Innern wurde das Erdgeschoß - wie bereits erwähnt - für Verkaufszwecke insbesondere von den Gewandschneidern und Schustern genutzt. Es handelte sich um einen ursprünglich offenen, wei-

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Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 159 f. A.a.O., S. 158, Abb. 94; G. Düllo, Communalgeschichte...

(wie Anm. 29), Abb.

S. 9. 32 Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 159 f·; G. Düllo, te... (wie Anm. 29), Abb. S. 10.

Communalgeschich-

Die Rathäuser in Brandenburg

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ten Raum, der durch eine Reihe von noch bis zur Zerstörung in den Wänden erkennbaren Holzpfeilern zweischiffig unterteilt war. Die erwähnten „Kaufkammern" waren dann wohl mit leichten hölzernen Trennwänden voneinander abgeteilt. Im Obergeschoß befand sich an der Giebelseite die ehemalige Ratsstube, noch 1669 Audienzstube 33 und 1778 Hauptsessionszimmer 34 genannt. Sie war durch einen auf mächtigem Unterbau stehenden Kamin beheizt. Der hintere Teil des Obergeschosses umfaßte wohl einen großen Rats- und Gerichtssaal, der auch als Hochzeitssaal dienen konnte. Dieser Bereich wurde in der Neuzeit mehr und mehr in einzelne Schreibstuben unterteilt, eine Entwicklung, die wir in fast allen mittelalterlichen Rathäusern beobachten können und die mit der politischen Entwicklung, nämlich mit dem Bedeutungsverlust des Rates zugunsten der ausführenden Verwaltung im absolutistischen Staat, zusammenhängt. Ein Keller befand sich zunächst nur unter der südwestlichen, größeren Hälfte des Rathauses und wurde von außen durch eine Tür in der Nähe des Rolands im Westgiebel erschlossen. Die Flachdecke wurde von einer in drei breite Spitzbögen aufgelösten Mittelwand getragen. Ursprünglich wird er - wie in norddeutschen Rathäusern üblich - vor allem dem Umschlag von Wein und Bier gedient haben. Einen Hinweis darauf finden wir in der von 1515 stammenden Verordnung von Kurfürst Joachim von Brandenburg, nach der „die Stadtkeller zu jeglicher Zeit mit guten Weinen und Bieren zu versorgen" seien, „damit der Wandersmann gut Getränk und volles Maß um einen billigen Pfennig bekommen kann". 35 Daneben war im Keller, zum Teil bis in die Neuzeit hinein, das bürgerliche und gemeine Kriminalgefängnis untergebracht. Im späten 16. Jahrhundert wurde im damals errichteten ersten Querflügel ein neuer Ausschank eingerichtet, der nach dem dort vorzugsweise ausgeschenkten Zerbster Bier „Zerbster Keller" genannt wurde. 36

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Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 155. A.a.O., S. 155. A.a.O., S. 160. Ebda.

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Elmar Nolte Beschreibung

des Altstädter

Rathauses

Das ehemalige Rathaus der Altstadt stand ursprünglich ebenfalls frei auf dem trapezförmigen Altstädter Marktplatz, der mit einer Größe von ca. 93 x 50 m erheblich kleiner als der Neustädter ist. Es hatte einen Vorgängerbau, für den archäologische Belege vorhanden sind. 37 Dieser Vorgängerbau stand etwa mitten auf dem Platz, im rechten Winkel zum bestehenden Bau. Der westliche Teil seines Kellers ist noch im Boden vorhanden, der östliche steckt noch teilweise in der Ostwand des heutigen Rathauses, so daß seine Abmessungen mit ca. 19,5 χ 9 m zu bestimmen sind. Der Keller war mit zwei Längstonnengewölben, die in der Mitte auf einer Arkadenreihe ruhten, zweischiffig gegliedert, so daß seine Bauzeit in den Anfang des 14. Jahrhunderts zu legen wäre. Es liegt auf der Hand, daß dieser recht kleine Bau den wachsenden Anforderungen schon bald nicht mehr genügte, was wir ja auch aus der Tatsache erkennen können, daß die Altstädter Gewandschneider und Schuhmacher um 1420 das Neustädter Rathaus mitnutzten. Wohl um die dadurch entstehenden Einkommenseinbußen zu vermeiden, wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts, also ca. hundert Jahre nach dem großen Neubau des Neustädter Rathauses, auch in der Altstadt ein Neubau in Angriff genommen. Um die Anforderungen von Rat und Verwaltung zu erfüllen, wurde um 1450 zunächst nordöstlich, getrennt vom alten Rathaus, ein separates zweistöckiges Backsteinhaus errichtet. In den recht schlichten Außenfassaden hatte es zwei Fenster pro Geschoß, Wappenfelder in den Brüstungszonen und flache Strebepfeilervorlagen zum Auffangen des Gewölbeschubes. Das kreuzgratgewölbte Erdgeschoß enthielt nach Paul Eichholz vermutlich Kämmerei, Schreibstube und bis 1540 die mittelmärkische Städtekasse. Im durch eine separate Außentreppe erschlossenen Obergeschoß befand sich offenbar die Ratsstube. Der Neubau des Hauptgebäudes mit der Markthalle erfolgte nach kunsthistorischer Datierung etwa um 1470, also in direktem Anschluß an den Ratsstubenbau. Die Außenmaße des Gebäudes betragen etwa 33,8 χ 11,5 m (ca. 100 χ 34 Fuß) und entsprechen damit 37

A.a.O., S. 166.

Die Rathäuser in Brandenburg

303

den Maßen der meisten nach Dortmunder Vorbild errichteten Rathäuser. Von den Fassaden des Gebäudes ist die südwestliche Hauptfront durch den halb eingezogenen rechteckigen Turm besonders bemerkenswert. Auch hier finden wir ein mittig angeordnetes Portal, das von zwei Spitzbogenfenstern flankiert wird. In den Einzelformen weisen die Motive bereits auf die Spätgotik, wie zum Beispiel das Fischblasenmotiv im Maßwerk über den Fenstern. Der in Pfeilern aufgelöste Giebel ist mit dem Turm durch schräge Übergänge verbunden, der Turm selbst durch hohe Blendnischen gegliedert. Ursprünglich war der Turm niedriger als heute, das Obergeschoß wurde nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet. Die Nordostfassade dagegen ist in ihrem unteren Teil ein wenig asymmetrisch, das zweigeteilte Spitzbogenportal wird links von einem doppelten, rechts von einem einfachen Segmentbogenfenster in spitzbogigen Blenden flankiert. Der in zehn Pfeilern aufgelöste Giebel ist noch etwas graziler als der der Südwestfassade, so daß hier eine etwas spätere Bauzeit zu vermuten ist. Die Traufseiten sind im Erdgeschoß mit einfachen Segmentbogenfenstern recht schlicht gehalten, während das Obergeschoß im südwestlichen Bereich durch eine Reihe von großen Spitzbogenfenstern, die in einem Rahmenwerk aus zierlich gegliederten Maßwerkfriesen sitzen, besonders betont ist. Insgesamt deuten die filigranen Bauformen eindeutig auf die Spätgotik des 15. Jahrhunderts. Die ursprüngliche innere Gliederung des Gebäudes ist in der Literatur umstritten, da es einige Unregelmäßigkeiten im Mauerwerk und in der Lage der Mauerwerkabsätze bei den Längswänden aufweist, die eine eindeutige Bestimmung der Lage der Geschoßdecke erschweren. Paul Eichholz vermutete daher, daß es sich bei den Mauerabsätzen nicht um Geschoßdeckenauflager, sondern um Auflager von Emporen handelt und daß die Halle ursprünglich auch das Obergeschoß umfaßte und bis unter die Dachbalken reichte.38 Die Emporen an den Wänden seien durch Treppen im Bereich der südwestlichen Ecke und an den Längsseiten erschlossen gewesen. 38 Vgl. den Wiederherstellungsversuch von Paul Eichholz, in: Die Kunstdenkmäler... (wie Anm. 19), S. 175, Abb. 102.

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Elmar Nolte

Otto Stiehl widersprach dieser Auffassung jedoch entschieden, unter anderem mit dem überzeugenden Hinweis, daß ein solcher Großraum keinen Bezug zu der Fensteranordnung habe und daß hierzu jegliche mittelalterlichen Vorbilder fehlten.39 Nach seiner Darstellung, der wir uns anschließen möchten, war das Gebäude unabhängig von der Lage der Mauerabsätze und analog zu anderen Rathäusern - durch eine durchgehende Balkendecke ca. 0.70 m unterhalb der Obergeschoßfenster horizontal geteilt. In der Mitte wurde diese Decke durch einen auf der Pfeilerreihe ruhenden Unterzug unterstützt. Für das Erdgeschoß läßt die gleichmäßige Reihung von Segmentbogenfenstern und die schlichte, jeglicher Verschlußmöglichkeit ermangelnde Gestaltung dieser Fenster ursprünglich das Vorhandensein einer offenen, durchgehenden Kaufhalle vermuten. Im Obergeschoß dagegen befanden sich offenbar - nach den unterschiedlichen Fensterformen zu schließen - zwei nahezu gleichgroße Säle. Der nordöstliche Saal diente wahrscheinlich als Rats- und Gerichtssaal und hatte einen direkten Zugang zum Obergeschoß des benachbarten, älteren Ratsstubenbaues. Auf der gegenüberliegenden Traufseite lag eine weitere Tür, die über eine nicht mehr vorhandene Freitreppe nach draußen führte. Für den südwestlichen Saal vermutete Stiehl wegen seiner sehr schmalen Fensteröffnung eine Nutzung als Speicher oder Zeughaus. Hierfür spricht auch die Gestalt der beiden schmalen Ladeluken links und rechts des Fassadenturmes, durch welche Güter in den Speicher geladen werden konnten.

Vergleichsbeispiele In ihrer städtebaulichen Position, ihrem inneren architektonischen Aufbau und der Vielfalt ihrer Nutzungen entsprechen die Brandenburger Rathäuser weitgehend dem norddeutschen Rathaustyp, der sich seit dem 13- Jahrhundert wahrscheinlich aus den Gildehäusern der Kaufleute entwickelt hat.

Otto Stiehl, Die Rathäuser und der Markt der Altstadt Brandenburg, malpflege und Heimatschutz 31 (1929), Nr. 7, S. 65-69. 39

in: Denk-

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Die Rathäuser in Brandenburg

Das früheste bekannte Beispiel für ein solches Rathaus ist das alte, erst 1945 zerstörte Rathaus von Dortmund,40 Da Dortmund als ehemals freie Reichsstadt unter direktem Schutz des Kaisers stand, hatten sich seine Bürger schon früh große Selbständigkeit und Handlungsfreiheit erworben. 1232 hatte König Heinrich nach einem großen Stadtbrand der Stadt zur Entschädigung einen zweiten großen Freimarkt für Fernkaufleute bewilligt, der jeweils von Michaelis (29. September) an 14 Tage dauern sollte. Beim Wiederaufbau der Stadt wurde daher gleich ein neuer, 150 χ 150 m großer Marktplatz südlich des Hellweges ausgespart, auf dessen Mitte die ReinoldiGilde, in der die Dortmunder Gewandschneider und Fernkaufleute organisiert waren, ihr Gewandhaus baute. Da im Dortmunder Stadtrat nur Mitglieder der Reinoldigilde vertreten sein durften, lag es nahe, das Gildehaus auch gleichzeitig als Rathaus zu nutzen, und es entstand die typische Kombination von Rathaus und Gewandhaus, die seitdem in vielen mit Tuchhandel befaßten Städten, soweit sie kein eigenes Gewandhaus hatten, üblich wurde. Das Gebäude bestand aus einem 31,5 m (100 Fuß) langen, zweigeschossigen und unterkellerten Baukörper, der - den seitlichen, später vermauerten Fensteröffnungen nach zu schließen - ursprünglich frei stand. Der Haupteingang im Norden war als Laubengang zur Überdachung der repräsentativen Freitreppe ausgebildet. Die Treppe diente nicht nur der Erschließung des Hauptgeschosses, sondern auch der Bekanntmachung von Ratsentscheidungen und Richtsprüchen, da dem Dortmunder Stadtrat bereits seit dem 13- Jahrhundert auch die niedere Gerichtsbarkeit oblag. Im Erdgeschoß befand sich die große Tuchhalle mit den abgeteilten Kaufkammern, die vermietet wurden und somit wesentlich zu den städtischen Einnahmen beitrugen. Im Obergeschoß lag der große Ratssaal, der wohl auch als Festsaal und für andere Zwecke genutzt wurde. In späterer Zeit wurde von ihm eine separat beheizbare Ratsstube abgetrennt. Der flachgedeckte Keller wurde als Weinkeller genutzt, da der Weinausschank ebenfalls nur auf dem Rathaus stattfinden durfte. Da die hohe Gerichtsbarkeit oder Blutgerichtsbarkeit weiterhin einem vom König bzw. Kaiser ernannten Grafen vorbehalten war, der allerdings vom 12. Jahrhundert an das Amt meist an einen Dortmunder Bürger verpachtete, gab es 40 Vgl. H. Appuhn u. E. G. Neumann, Das alte Rathaus Anm. 8).

zu Dortmund...

(wie

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außer dem Rathaus auch noch ein Richthaus. Es handelte sich dabei um ein kleines, zweigeschossiges Gebäude, das zwischen der Reinoldikirche und dem Ostenhellweg stand und eine offene Laube im Erdgeschoß hatte. Das letztbekannte Richthaus stammte aus dem 15. Jahrhundert, hatte aber wohl einen ähnlichen Vorgängerbau gehabt. Das Altstadtrathaus von Braunschweig wurde um 1253, also kurz nach dem Dortmunder, erstmals erwähnt. 41 Mit einer Grundfläche von 20,86 χ 10,50 m war es zunächst um ein Drittel kleiner als das Dortmunder Rathaus. Es hatte ebenfalls einen flachgedeckten Keller, romanische Doppelfenster und eine - 1345 erwähnte - Laube an seiner Längsseite zum Marktplatz hin. Diese Laube ist 1393 bis 1396 durch die noch vorhandenen repräsentativen zweistöckigen Lauben ersetzt worden, als das Rathaus gleichzeitig mit einem Querflügel zu dem heutigen Winkelbau erweitert wurde. Die noch recht bescheidenen Maße des Ursprungsbaues lassen vermuten, daß die wirtschaftliche Nutzung hier nicht eine allzugroße Rolle spielte, sondern das Haus vor allem den Anforderungen des Rates gedient haben mag. Für den Handel wurde ein Gewandhaus auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes erbaut, und hinter dem Rathaus entstand ein sogenannter Kleiderhof. Der Keller wird jedoch von Anfang an als Weinkeller gedient haben, wie aus einem Beschluß des gemeinen Rates von 1269 zu ersehen ist, nach dem dem Altstädter Rat in seinem Ratskeller der Weinzapf jederzeit erlaubt war, während Hagen und Neustadt abwechselnd nur ein Faß ums andere ausschenken durften. Diese Bestimmung änderte sich bald, als die Neustadt sich ein größeres Rathaus errichtete. Das um 1299 erstmals erwähnte Neustadtrathaus von Braunschweig hatte bereits die stattlichen Maße des Dortmunder Rathauses, nämlich 32 χ 11,3 m, war ebenfalls voll unterkellert und hatte auch zwei Obergeschosse. 42 Über seine Nutzung ist in der Urkunde von 1299 geregelt, daß den Ratsherren und Bürgern der Neustadt das Privileg erteilt wurde, auf dem Rathaus Tuch, Wein und andere

4 1 Vgl. Rudolf Fricke, Aus der Baugeschichte des Altstadtrathauses, in: Braunschweigische Heimat (1952), H. 4, S. 107-111, und ders., Das Rathaus zu Braunschweig im 13- Jahrhundert, in: Braunschweigische Heimat 42 (1956), Η. 1, S. 34-38. 4 2 Vgl. Fritz von Osterhausen, Die Baugeschichte des Neustadtrathauses in Braunschweig (= Braunschweiger Werkstücke, Reihe B, 3), Braunschweig 1973.

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Güter zu verkaufen. Dabei bestand Verkaufszwang auf dem Rathaus, so daß der Rat durch die jährlichen Mieten aus den Gewandbuden im Erdgeschoß eine sichere Einnahmequelle hatte. Noch in einer Bauaufnahme von 1741 wird das Haus als Gewandhaus bezeichnet. Der als Weinkeller genutzte Keller wurde um 1350 erstmals als solcher erwähnt. Für eine Laube haben wir bei diesem Rathaus jedoch zunächst noch keinen Beleg. Erst um 1452, über fünfzig Jahre nach der des Altstädter Rathauses, wurde vor dem Südgiebel eine ähnlich reichverzierte Laube angebaut, die jedoch einen hölzernen Vorgänger gehabt haben mag. Das mittelalterliche Rathaus von Magdeburg lag an der Südseite des Alten Marktes. Dieser Marktplatz war bereits im 11. Jahrhundert östlich der wichtigen Durchgangsstraße Breiter Weg neu angelegt worden und hatte für den Osthandel eine große Bedeutung. Ein Kaufhaus der Bürger, das foro civitatis commodo adiacet, ließ Erzbischof Wichmann um 1176 in einer ehemaligen Kurie einrichten. Auch die seit dem 12. Jahrhundert neu entstandenen Gilden der Krämer, Knochenhauer, Kürschner, Schuhmacher, Schmiede und Leinwandhändler errichteten zu der Zeit geräumige Hallenbauten am Markt, von denen ein dreischiffiger Keller an der Buttergasse, der wohl zu einem Lederhof gehörte, noch heute erhalten ist. Das vom Ende des 13. Jahrhunderts stammende mittelalterliche Rathaus selbst geht vermutlich - wie das Dortmunder - auf das Gildehaus der Gewandschneider zurück. 43 In der Magdeburger Gewandschneidergilde waren - ähnlich wie in der Dortmunder Reinoldigilde - die führenden Kaufleute, die auch im Fernhandel tätig waren, organisiert. Seit 1183 war von Erzbischof Wichmann der einträgliche Tuchschnitt auf die Angehörigen der Gewandschneidergilde beschränkt worden. 1631 und 1945 zerstört, ist heute von dem mittelalterlichen Rathausbau nur der langgestreckte, zweischiffig gewölbte Keller erhalten. Danach hatte der Bau eine Länge von über 45 m und lag längs zum Alten Markt, zwischen der auch als ecclesia mercatorum bezeichneten Johanniskirche und dem Platz. Es ist zu vermuten, daß

43

Vgl. Ernst Nickel, Ein mittelalterlicher Hallenbau am Alten Markt in Magdeburg, und Berent Schwineköper, Zur historischen Deutung des Magdeburger Hallenbaus (= Ergebnisse der archäologischen Stadtkernforschung in Magdeburg, hrsg. von Wilhelm Unverzagt, Т. 1 und 2; Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 8), Berlin I960.

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der Bau ebenfalls im Erdgeschoß eine genauso lange, geräumige Kaufhalle und darüber einen großen Rats- und Festsaal gehabt hat. Offenbar war das Rathaus auch mit Lauben ausgestattet. In einer Nachricht über den Stadtbrand wurde bereits 1293 ein lobium civitatis erwähnt, eine zweite Erwähnung erfolgte 1487 anläßlich einer Bewirtung von Erzbischof Ernst up de lovern up dem groten Huse. Im späten Mittelalter wurde das Hauptgebäude mit zahlreichen Anbauten versehen, von denen zum Teil noch die Keller erhalten sind, und der gesamte Gebäudekomplex bekam schließlich durch ein quer davor angeordnetes Gebäude eine neue, repräsentative Fassade zum Marktplatz. Das Vorbild dieser frühen, noch aus dem 13- Jahrhundert stammenden Rathausbauten hat sich in der folgenden Zeit auf die Rathäuser der zahlreichen neugegründeten Städte ausgewirkt. Bauhistorische Untersuchungen und Ausgrabungen an den Rathäusern von Göttingen (1270), Warburg-Neustadt (ca. 1300), Duderstadt (1303), Volkmarsen (vor 1327), Lüneburg (1331), Warburg-Altstadt (1336), Höxter (vor 1351), Hannoversch Münden (14. Jahrhundert), Hannover (ca. 1350) und anderen zeigen, daß sich die Ursprungsbauten dieser Rathäuser in ihrer freien Stellung auf dem Markt, in ihrem inneren Aufbau von übereinander angeordneten zweischiffigen Hallen (Weinkeller, Kaufhalle, Rats- und Tanzsaal) und oft auch ihrer Größe von ca. 32-33 m (= 100 Fuß) sehr ähneln. 44

^ Zu Göttingen: Jens-Uwe Brinkmann, Altes Rathaus Göttingen, hrsg. vom Fremdenverkehrsamt der Stadt Göttingen, Göttingen 1987, S. 19; zu Warburg-Neustadt: Elmar Nolte, Das Neustädter Rathaus in Warburg, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe, 4. Jg., hrsg. von Bendix Trier, Münster 1986, S. 381-392; zu Duderstadt: Horst Masuch, Zur Baugeschichte des Rathauses, in: Das Rathaus in Duderstadt, hrsg. von Hans-Herbert Möller (= Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen 6), Hannover 1989, S. 41-98; zu Volkmarsen: Wolf Vervoort, 750Jahre Stadt Volkmarsen, Volkmarsen 1983, S. 39—41; zu Warburg-Altstadt: Elmar Nolte, Zum Profanbau der mittelalterlichen Stadt Warburg, in: Die Stadt Warburg 1036-1986, Bd. 2, hrsg. von Franz Mürmann, Warburg 1986, S. 147-150; zu Höxter: Karl Thiele, Chronik der Stadt Höxter, Höxter 1928, S. 5; zu Hannover: Auskunft von Herrn Bernd Adam, Universität Hannover.

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Schluß

In der Mitte des 14. Jahrhunderts war also der Bautyp des klassischen norddeutschen Rathauses bereits voll entwickelt und in den meisten norddeutschen Städten anzutreffen, so daß man bei dem Bau der Brandenburger Rathäuser auf eine Vielzahl von Vorbildern zurückgreifen konnte. Insbesondere das Magdeburger Rathaus scheint wegen seiner Länge von über 45 m und seiner ursprünglich freien Lage längs zum Marktplatz für das Neustädter Rathaus von besonderer Bedeutung gewesen zu sein. Als weitere Parallelbeispiele in Backsteinausführung wären die ebenfalls aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammenden Rathäuser von Hannover und Stendal zu nennen. Als Unterschied zu diesen drei letztgenannten Bauten ist jedoch auffällig, daß das Brandenburger Neustadtrathaus nach bisherigen Informationen keinen durchgehenden Keller hatte. Ob dies immer schon oder aufgrund von späteren Umbauten so war, müßte durch eine Grabung geklärt werden. Bei dem ca. einhundert Jahre später entstandenen Altstädter Rathaus erscheint vor allem die Anlage des halbeingezogenen Turmes an der Giebelseite bemerkenswert. Solche in den Niederlanden und Belgien öfter vorhandenen Rathaustürme sind in Deutschland nur recht selten zu finden. Offenbar sollte mit diesem Turm das wachsende Selbstbewußtsein der Altstädter Bürgerschaft seinen Ausdruck finden. Daß dieses nicht ohne Einfluß auf die Neustädter Bürger blieb, zeigte sich daran, daß diese schließlich noch im Jahre 1723 auch ihren Rathausgiebel mit einem ähnlichen Turm schmückten, was die Altstädter wiederum veranlaßte, ihren Rathausturm 1826 um ein weiteres Geschoß zu erhöhen. Zur Geschichte der Brandenburger Rathäuser sind noch etliche Fragen offen, die mit den verfeinerten Methoden der Mittelalterarchäologie zumindest zum Teil beantwortet werden könnten. Es wäre daher zu wünschen, daß insbesondere zur Erforschung des Neustädter Rathauses bei eventuell geplanten Umgestaltungsarbeiten am Neustädter Markt die Fundamente ausgegraben und einer sorgfältigen archäologischen Untersuchung unterzogen würden. Dabei ließe sich nicht nur die Frage der ursprünglichen Unterkellerung, sondern auch die Existenz eventueller Vorgängerbauten und damit die frühe Geschichte des Neustädter Marktes in Brandenburg klären.

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Abb. 18 Neustädter Rathaus (südöstliche Traufseite) und Hauptstraße. Foto (1927) Stadtarchiv Brandenburg.

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Abb. 19 Neustädter Rathaus, nordöstliche Giebelfassade und Erdgeschoßgrundriß aus: Die Kunstdenkmäler... (wie Abb. 3), S. 155 Abb. 93 und S. 158 f. Abb. 94 f.

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Abb. 20

Abb. 21

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Altstädter Rathaus von Westen. Foto (1910) Stadtarchiv Brandenburg.

Altstädter Rathaus, Nordostfassade. Foto (19Ю) Stadtarchiv Brandenburg.

Die Rathäuser

in

Brandenburg

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Abb. 22 Altstädter Rathaus, Erdgeschoßgrundriß, aus: Die Kunstdenkmäler... (wie Abb. 3), S. 169 Abb. 99 und Querschnitt, aus: Otto Stiehl, Die Rathäuser und der Markt der Altstadt Brandenburg, in: Denkmalpflege und Heimatschutz 31 (1929), Nr. 7, S. 66 Abb. 2.

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Dortmund

Braunschweig

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Magdeburg Abb. 23 Erdgeschoßgrundrisse der Rathäuser von Dortmund, Braunschweig/Neustadt und Magdeburg, aus: Horst Appuhn/Eberhard G. Neumann, Das alte Rathaus zu Dortmund, Dortmund 1968, S. 22; Fritz von Osterhausen, Die Baugeschichte des Neustadtrathauses in Braunschweig, Braunschweig 1973, Zeichnung 16; Ernst Nikkei, Ein mittelalterlicher Hallenbau am alten Markt in Magdeburg (= Ergebnisse der archäologischen Stadtkernforschung in Magdeburg, hrsg. von Wilhelm Unverzagt, Τ. 1; Deutsche Akademie der Wissenschaften, Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 8), Berlin I960, S. 44 Abb. 19 b.

Abb. 24 Rekonstruktion des Rathauses von Dortmund, Ansicht von Nordwesten von E. G. Neumann, aus: H. Appuhn/E. G. Neumann, Das alte Rathaus... (wie Abb. 23), S. 40.

Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg ERNST

BADSTÜBNER Berlin

Aufgrund seiner günstigen Lage an einem Wegepaß, der durch Talsandinseln zwischen den Seen und den Flußarmen über die Havel möglich wird, war Brandenburg ein früh besiedelter Ort. Er ist wohl schon Ziel des Vorstoßes gewesen, den Karl der Große 789 unternommen hatte. 928 eroberte König Heinrich I. den Flußübergang mit der Insel, auf der anstelle einer zu vermutenden slawischen Burg eine deutsche angelegt wurde, und 948 begründete sein Sohn Otto I. dort einen Bischofssitz. Königlicher Burgsitz und Bischofsresidenz gingen beim Slawenaufstand 983 dem Reich wieder verloren. Brandenburg wurde Herrschaftsmittelpunkt der Heveller oder Stodoranen und kam erst in der Mitte des 12. Jahrhunderts erneut in deutsche Hand, nachdem Albrecht der Bär 1150/57 das Erbe des letzten Hevellerfürsten Pribislaw angetreten hatte. Pribislaw war bereits getauft und hieß mit christlichem Namen Heinrich. Er hatte im Suburbium seiner Burg im Bereich des späteren Marktortes Parduin und der daraus hervorgegangenen Altstadt Brandenburg auf dem rechten Havelufer spätestens 1147 Kleriker vom Orden der Prämonstratenser aus Leitzkau angesiedelt und mit dem Bau einer Kirche beginnen lassen, von der sich der Rest einer Doppelturmfassade aus Feldsteinquadern erhalten hat. Über die zugehörige Kirche ist nichts bekannt, man wird sich eine Basilika in Kreuzform vorstellen dürfen. Es müßte sich um den ältesten monumentalen Sakralbau in der Mark Brandenburg gehandelt haben. Er war dem heiligen Godehard geweiht. Ältere Sakralbauten, solche aus dem 10. Jahrhundert, wären allerdings nach der Geschichtsüberlieferung auf der Dominsel zu erwarten. Immerhin hat der Bischofssitz zumindest nach schriftlichen

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Quellen zwischen 948 und 983 bestanden. Ein Kirchbau ist auf der Dominsel vorauszusetzen, vielleicht weniger aus Stein als aus Holz. Auf keinen Fall aber hat er an der Stelle des bestehenden, 1165 begonnenen Dombaus seinen Platz gehabt. Das widerlegen archäologische Untersuchungen recht eindeutig: Das Gebäude erhebt sich über den Kulturschichten der slawischen Burgsiedlung des 11. Jahrhunderts. Der 11. Oktober 1165 gilt als der Tag der Grundsteinlegung für den Dom. 1166 übersiedelte das Domkapitel, der 1161 dazu erhobene Prämonstratenserkonvent von St. Godehard, auf die Insel. Die Godehard- oder Gotthardtkirche wurde zur Pfarrkirche der Altstadt, ihre begonnene Doppelturmfassade, einer anderen Bedeutung zugedacht, blieb unvollendet und wurde mit nur einem mittleren Turm zu Ende geführt. Die Zweiturmfront kam nun der Kathedralkirche auf der Insel zu. Wie es scheint, war im ersten Baukonzept nach 1165 eine solche jedoch noch nicht enthalten, die bauarchäologischen Befunde geben vielmehr Hinweise auf einen beabsichtigten Querriegel an der Westseite, dem des Havelberger Doms ähnlich. Dazu müßte ein einschiffiger kreuzförmiger Saal geplant gewesen sein, möglicherweise als Rezeption eines für den Bauherren vorbildlichen älteren Musters. Dieses Muster ist spätestens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter Bischof Gernand (1222-1241), der als besonders baufreudig gilt, zugunsten eines Kathedralkonzeptes aufgegeben worden. Wahrscheinlich geschah dies aber doch schon früher, und unter Gernand wurde nur durch einen Umbau, in dem bereits Einflüsse des gotischen Magdeburger Doms (nach 1209 begonnen) erkennbar werden, das Baukonzept vollendet: als eine dreischiffige Pfeilerbasilika in Kreuzform mit Querschiff und Chorjoch sowie einer stattlichen Doppelturmfassade an der Westseite. Unter dem Chorjoch und der Vierung wurde eine Krypta eingefügt, die Apsis war bereits mit fünf Seiten eines Zehnecks polygonal gebrochen. Den Armen des Querschiffes fehlen die sonst üblichen Apsiden. Nur an der Nordseite ist zwischen Chorjoch und Querarm die doppelgeschossige „Bunte Kapelle" angebaut, eine interessante Analogie zu den bei askanischen Zisterzienserkirchen, in Lehnin und Chorin, anzutreffenden Chorseitenkapellen. Hinweise auf eine beabsichtigte Hochschiffwölbung gibt es im Querhaus, ausgeführt wurde sie nicht, der Dom blieb flachgedeckt bis zu seinem Umbau in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.

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Die Petrikapelle südlich des Domes könnte ihrer Lage in der ehemaligen Kernburg nach als ein Folgebau der vorauszusetzenden Burgkapelle gedeutet werden, ihr tatsächlicher Ursprung und Zweck sind jedoch nicht geklärt. Es wird der Begräbnisort des 1150 verstorbenen Hevellerfürsten Pribislaw-Heinrich dort vermutet. Die heute zweischiffige, mit Zellengewölben gedeckte Halle (1520) war in der Erbauungszeit des 13- Jahrhunderts ein rechteckiger Saal; der Ostgiebel besitzt von daher seine bemerkenswerte frühgotische Gliederung. Zu den ersten Kirchen der Stadt Brandenburg, die sich auffallenderweise mit Ausnahme von St. Katharinen in der Neustadt in peripherer Lage erhalten haben, gehört auch die Nikolaikirche des ehemaligen Dorfes Luckenberg. Das Patrozinium deutet auf die Kirche einer Marktsiedlung, und die Vermutung, daß diese eine askanische Gründung sein könnte, findet Nahrung in der Gestalt einer querschifflosen Backsteinbasilika mit einer besonders betonten Ostpartie dergestalt, daß sich das östliche Langhausjoch als gewölbte Travee vom flachgedeckten Schiff absetzt und an den Seitenschiffen mit Apsiden auf hufeisenförmigem Grundriß schließt, während das Mittelschiff sich mit zwei gewölbten Jochen fortsetzt und der so längsrechteckige Chor mit der großen Hauptapsis endet. Die Westseite ist als verstärkte und turmartig erhöhte Mauer ausgebildet, die Treppenläufe in der Mauer suggerieren eine beabsichtigte oder einst vorhandene Empore. Der Anteil der Landesherren als Auftraggeber scheint offensichtlich und die Möglichkeit eines prämonstratensischen Stifts bei der starken Präsenz des Ordens in Brandenburg durchaus gegeben. Die Baugeschichte weist zwei Etappen aus, die ältere der Ostteile wird nach 1170 datiert, die jüngere des Langhauses in das zweite Viertel des 13- Jahrhunderts, also in die Zeit des Ausbaus des Domes zur Kathedrale unter Gernand und in die Zeit der Entstehung des grandiosen viertürmigen Zentralbaues auf dem Harlunger Berg. Wollte man Benennungen für die beiden Bauperioden wählen, so müßte man die erste als askanisch-prämonstratensisch, die zweite als bischöflich-prämonstratensisch bezeichnen. Soweit die substantiellen Zeugen der Sakralarchitektur aus der Gründungszeit der Stadt. Die Hauptkirche der Neustadt, St. Katharinen, hat keine Reste aus dieser Zeit, vom Feldsteinmauerwerk am Fuße des Turms einmal abgesehen. Vielleicht war sie ein Feldsteinsaal mit westlichem Querturm, wie er sich in Angermünde als ein

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allerdings wesentlich jüngeres Beispiel eindrucksvoll erhalten hat. Es gibt aber im Nachfolgebau des Hinrich Brunsberg keinerlei Reminiszenz an den Vorgänger, so daß Aussagen über dessen Gestalt eigentlich überhaupt nicht gemacht werden können. St. Katharinen ist die einzige Kirche in der Stadt mit zentraler Lage in einer Beziehung zum Platzraum des Marktes. Die Kirchen der Bettelorden, deren Gründung in das 13- Jahrhundert fällt, liegen wieder, allerdings typisch für Bauten dieser Kongregationen, am Rande, St. Johannis der Franziskaner dicht am Altstädter Havelufer, St. Pauli der Dominikaner an der Stadtmauer der Neustadt auf dem Gelände des markgräflichen Stadthofes. Das Kloster der Franziskaner gilt als einige Jahre nach 1237 gegründet, seine Kirche soll im 13- Jahrhundert ein niedriger Saal gewesen sein, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts gotisch um- oder besser neu gebaut worden ist, mit einem sechs Joche langen Schiff (das nördliche Seitenschiff ist eine nachträgliche Anfügung) und einem 7/10-Polygon als Chorschluß. Das Portal an der Nordseite mit Trumeaupfeiler und Wimperg vor einem rechteckigen Maßwerkfeld hat seine Entsprechungen in Berlin (Klosterkirche der Franziskaner) und in Frankfurt an der Oder (Marienkirche), auch in Angermünde an der dortigen Franziskanerklosterkirche aus dem späten 13. Jahrhundert; und der 7/10-Schluß findet sich ebenfalls in Berlin an der Klosterkirche. Die übliche späte Datierung der Brandenburger Johanniskirche will nicht so recht einleuchten. Das späte Datum der Stiftung des Dominikanerklosters durch Markgraf Otto den Langen 1286 ist charakteristisch für die märkischen Niederlassungen dieses Ordens. Die Gesamtanlage von Kloster und Kirche ist in bemerkenswerter Vollständigkeit erhalten, wenn auch durch Krieg und Nachkrieg arg in Mitleidenschaft gezogen. Die Kirche, deren Paulspatrozinium ein älteres, nämlich Andreas und Maria Magdalena, abgelöst hat, ist eine Halle mit langgestrecktem, polygonal geschlossenem Chor, in dieser Ausprägung einem schon verbindlichen Typ von Dominikanerkirchen folgend, wie er in Mittel- und Norddeutschland verbreitet war (Halle, Leipzig, Prenzlau, Stralsund); zu deren Kennzeichen gehörten die achteckigen Pfeiler und kreuzrippengewölbten Joche, von denen die der Mittelschiffe querrechteckig, die der Seitenschiffe quadratisch bis längsrechteckig sind. Die märkischen Kirchen haben weniger gestreckte Langhäuser, dafür um so längere Chöre, in Brandenburg sechs zu drei Joche. Das Chorportal hat Trumeau und Wimperg wie an St. Jo-

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hannis, das Maßwerk im Chor verbindet die Paulskirche mit der askanischen Bauschule. Für alles das scheint auch hier eine Datierung zwischen 1311 und 1340 zu spät, man wird noch vor dem Aussterben der Askanier 1319 mit der Fertigstellung rechnen können, die angezogenen Daten von der Gründung 1286 und der Landschenkung 1311 müssen für die Baugeschichte nicht als verbindlich angesehen werden. Das gilt auch für die Klostergebäude, von denen vor allem der Ostflügel mit der inneren Dreigeschossigkeit, den gewölbten Keller- und Erdgeschoßräumen sowie dem hoheitsvollen Südgiebel die Kennzeichen des späten 13. Jahrhunderts trägt. Die Sakralarchitektur der Mark änderte ihren Charakter nach dem Zusammenbruch der askanischen Landesherrschaft. Die städtischen Kommunen traten als Bauherren an die Stelle der Markgrafen, sie übernahmen auch die vorher wesentlich als Privileg der Landesherren erscheinende Backsteinbauweise, die nun ganz andere Formen entwickelte: dem Material „gerechtere", die Rationalität des seriell vorzufertigenden Stoffes nutzende und entsprechend vereinfachte. Größere Leistungen erkennt man erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. St. Marien in Neubrandenburg, eine noch askanische Schöpfung, und St. Marien in Prenzlau sind in dieser Hinsicht retrospektiv einzuordnen, das eigentlich Neue beginnt erst mit der Aufnahme von Hallenumgangschören in der Mark. Es handelt sich um jene Form der Hallenkirchen, bei denen die Seitenschiffe in Form eines Umgangs - wie bei Kathedralen - um den Schluß des Mittelschiffs herumgeführt werden und die Zahl der Polygonseiten des Binnenchores geringer ist als die des Umgangs. Zum ersten Mal begegnet diese Form an St. Marien in Frankfurt an der Oder (1367) und an St. Nikolai in Berlin (1379). In Brandenburg folgen beide Hauptkirchen diesem Konzept, St. Katharinen nach 1401 und St. Gotthardt nach 1456. Eine Inschrift neben dem Portal an dem nördlichen Kapellenanbau nennt als Datum für den Baubeginn der neuen Katharinenkirche das Jahr 1401 und als Baumeister Hinrich Brunsberg aus Stettin. Man errichtete zunächst nur das fünfjochige Langhaus der dreischiffigen Hallenkirche ohne den polygonalen Umgangschor. Über dem zweifelsohne nur provisorisch gedachten Abschluß erhob sich ein farbig gefaßter Blendengiebel, der sich unter dem Dach des dann wohl um 1430/40 gebauten Chores bis heute sehr gut erhalten hat. Chor und Langhaus sind nach einheitlichem, offensichtlich von Anfang an vor-

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liegendem Plan gebaut worden, und die wie auch immer verursachte Unterbrechung ist nicht die Folge veränderter Gestaltungsabsichten gewesen. Die Brunsbergsche Art, Strebepfeiler nach innen zu nehmen, sie laufgangartig zu durchbrechen und mit schmalen Gewölbebaldachinen zu verbinden, ist an Chor und Langhaus gleichermaßen durchgeführt. Im Außenbau bleiben flache Lisenenbänder, die mit Stabprofilen und Figurennischen (Figuren von 1864/65) unter Maßwerkbaldachinen höchst dekorativ belebt sind. Ein Maßwerkfries unterhalb des sich um die Lisenen verkröpfenden Dachgesimses schließt die flächige, beinahe wie eine Säulenordnung wirkende Wandgliederung gebälkartig ab. Der Schichtenwechsel aus roten und grün glasierten Ziegeln wirkt wie Inkrustation. Hinrich Brunsberg hat diesen Dekorationsstil an den Kapellen voll entfaltet, an der Fronleichnamskapelle oder Marienkapelle an der Nordseite und an der Schöppenkapelle an der Südseite. Die Flächen der Sockelwände um die Portale sind von einem Filigran aus aneinandergereihten Vierpässen überzogen, und die freistehenden Wimpergreihen der Giebel mit zahlreichen Rosetten bieten fein gesponnene Maßwerknetze dem Auge des Betrachters dar, der die Einzelheiten nicht wahrnimmt, sondern nur das flimmernde Spiel dekorativer Formen auf der Schauwand. Im Inneren tragen Achteckpfeiler mit Eckdiensten die Gewölbe, Kreuzrippen- und Sterngewölbe in den Seitenschiffen, ein Parallelrippengewölbe böhmischer Prägung im Mittelschiff. Interessant und eigenwillig sind die Gewölbefigurationen im Chor, die die fünfseitige Brechung des Umgangs räumlich aufheben. Vom Typ her ist St. Gotthardt wie St. Katharinen eine dreischiffige Backsteinhalle von sieben Jochen mit einem Umgang, der sich fünfseitig um den dreiseitigen Binnenchor legt. Aber der 1456 mit der Anlage der Chorpfeiler durch Heinrich Reinstorp begonnene und um 1475/80 vollendete Bau stellt gegenüber dem Brunsbergbau etwas völlig anderes dar. Rundpfeiler mit spiralig gedrehten Diensten tragen kräftig gegliederte Arkaden mit Schildwänden, zwischen die hochgebuste Kreuzrippengewölbe gespannt sind; die Scheitelhöhen in den Seitenschiffen liegen bei gleich hohem Rippenansatz beträchtlich tiefer als im Mittelschiff. Die Wände sind ungegliedert, die Strebepfeiler stehen konventionell außen, und lediglich an den Polygonseiten des Umgangs sind Kapellennischen zwischen sie gestellt, die aber nur die Höhe der Wandsockelzone haben. Es ist das Schema des Chores der Berliner Nikolaikirche, allerdings wesentlich verein-

Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg

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facht und hier mehr einem altmärkischen Vorbild folgend, wie denn auch die Formen im einzelnen und die Altertümlichkeit im ganzen auf die Altmark weisen. Das Rippenmuster der Gewölbe im mittleren Kapellenanbau an der Südseite könnte das Vorbild namhaft machen: Es gleicht dem in der um 1470 entstandenen Taufkapelle an der Marienkirche in Stendal. Wie es scheint, ist die ältere Gestalt des romanischen Domes gegenüber den neueren, in modernen Formen gebauten Kirchen in der Stadt bald als veraltet empfunden worden. Versuche zur Erneuerung im gotischen Stil sind seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert festzustellen. Entscheidend umgestaltet wurde der Dom jedoch erst im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts (nach 1377?). Zunächst wurde die Apsis des 13. Jahrhunderts durch ein schlankes Polygon, mit hohen spitzbogigen Fenstern und von Strebepfeilern umstellt, ersetzt; es behielt die fünf Seiten eines Zehnecks vom älteren Grundriß aber bei. Das Querhaus wurde erhöht, und die Fronten wurden mit neuen Giebeln versehen, erhalten hat sich nur der an der Nordseite. Im Inneren erhielten die Ostteile nun ihre Kreuzrippenwölbung. In die gleiche Bauzeit wird auch das große Portal an der Westseite mit seinen qualitätvoll skulptierten Kämpfern aus Kalkstein datiert. Der Umbau des Langhauses fiel erst in das 15. Jahrhundert. Ein älterer Plan für eine Halle (Befunde an der Westwand des südlichen Querarmes) ist nicht aufgegriffen worden, man behielt die konservative basilikale Form bei. Doch die Seitenschiffe und der Obergaden des Mittelschiffes wurden wesentlich erhöht und das südliche Seitenschiff dabei sogar gänzlich neu gebaut. Es zeichnet sich durch die charakteristischen Kreisblenden zwischen den spitzbogigen Fenstern aus. Das in die Kreisblenden eingelegte plastische Maßwerk aus Terrakotta verrät deutlich die Wirkung der Brunsbergschule. Die Wölbung im Inneren erfolgte in den Seitenschiffen entsprechend der romanischen Arkadenzahl mit sieben Jochen. Das Mittelschiff bekam dagegen nur fünf Joche in anderen Abmessungen. Auf sichtbare Strebepfeiler ist am Langhaus verzichtet worden, die älteren Stützen haben deswegen nach den Seitenschiffen zu bedeutende Verstärkungen erfahren. Zum Mittelschiff hin treten dagegen Pfeiler und Arkaden ungestört in ihrer romanischen Gestalt in die Erscheinung. Die Westfassade blieb auch in dieser Bauphase Fragment, obwohl an ihr ebenfalls gebaut worden ist.

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Badstübner

B r a n d e n b u r g verfügt ü b e r d e n z a h l e n m ä ß i g g r ö ß t e n B e s t a n d a n mittelalterlicher Sakralarchitektur u n t e r d e n m ä r k i s c h e n Städten. Es ist in dieser Hinsicht a u c h v o n d e m in d e r Landespolitik allmählich g r ö ß e r e B e d e u t u n g e r l a n g e n d e n Berlin nicht übertroffen w o r d e n . Im e i n z e l n e n sind die Kirchen k e i n e Initialbauten im Hinblick auf e i n e kunstlandschaftliche Architekturentwicklung d e r Mark mit einer entsprechenden

N a c h f o l g e g e w e s e n w i e e t w a die Klosterkirchen

in

J e r i c h o w u n d Chorin o d e r die Stadtkirchen in Frankfurt a n d e r O d e r (St. Marien) u n d Berlin (St. Nikolai). Sie sind v i e l m e h r unikale H ö h e p u n k t e in d e r Architekturgeschichte d e r Mark B r a n d e n b u r g , w i e es d e r eigentlichen Hauptstadt d e s Landes a u c h gebührt.

LITERATURVERZEICHNIS Friedrich Adler, Mittelalterliche Backsteinbauwerke des preußischen Staates, Berlin 1862 und 1898. Ernst Badstübner, Klosterbaukunst und Landesherrschaft. Zur Interpretation der Baugestalt märkischer Klosterkirchen, in: Architektur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, hrsg. von Friedrich Möbius u. Ernst Schubert, Weimar 1983. Emst Badstübner, Stadtkirchen in der Mark Brandenburg, Berlin 1983. Bau- und Kunstdenkmale der DDR. Bezirk Potsdam, Berlin 1978. Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Neubearbeitung: Bezirke Berlin/DDR und Potsdam, Berlin 1983Thomas Drachenberg, Brandenburg - Stadt unter Denkmalschutz, Berlin 1992. Klaus Grebe, Untersuchungen im Dom zu Brandenburg (Havel), in: Ausgrabungen undFundeS (1963), S. 155-160, und 10 (1965), S. 145-150. Günther Köpping, Neue Ergebnisse zur Geschichte und zur Gestalt der Gründungsbauten von Dom und Domkloster in Brandenburg, in: Denkmale in Berlin und der Mark Brandenburg, Weimar 1987. Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912. Deutsche Kunstdenkmäler. Ein Bildhandbuch. Bezirke Cottbus, Frankfurt/Oder, Potsdam und Berlin, bearb. von Joachim Fait, Leipzig 1972. Hans Müther, Baukunst in Brandenburg bis zum beginnenden 19. Jahrhundert, Dresden 1955. Günther Schade, Der Hallenumgangschor als bestimmende Raumform der bürgerlichen Pfarrkirchenarchitektur in den Brandenburgischen Städten von 1355 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Diss., Halle 1962.

Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg

Abb. 25

Dom von Süden. Foto Dieter Möller, BLD.

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Ernst

Abb. 26

Badstübner

Dom, Langhaus nach Osten. Foto Dieter Möller, BLD.

Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg

Abb. 28

Nikolaikirche, Chor und Apsis. Foto Dieter Möller, BLD.

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Ernst Badstübner

Abb. 29 Paulikloster, Dormitoriumsflügel und Chorpolygon der Kirche. Foto Renate Worel, BLD.

Abb. 30

Katharinenkirche, Langhaus nach Westen. Foto Renate Worel, BLD.

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Kirchen in Brandenburg

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Abb. 31 Katharinenkirche, Schöppenkapelle an der Nordseite. Foto Deutsche Fotothek Dresden.

Abb. 32 Katharinenkirche, Bemalung des Giebels zwischen Langhaus und Chor unter dem Dach. Foto Ernst Badstübner.

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I

Abb. 33 Gotthardtkirche, Chor von Osten. Foto Ernst Badstübner.

Die mittelalterlichen Kirchen in Brandenburg

Abb. 34

Gotthardtkirche, Langhaus nach Osten. Foto Ernst Badstübner.

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Die von Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. veranlaßten Restaurierungen des Brandenburger Domes Intentionen und Ergebnisse GERD-Η. ZUCHOLD Berlin

Am 1. Oktober 1836 sprach während der Einweihung des restaurierten Domes der Bischof und Generalsuperintendent Johann August Wilhelm Neander (1789-1869) ein Weihegebet, das folgende Passage enthielt: „Ewiger Erbarmer! Laß keine falsche oder abergläubische Lehre hier aufkommen. Die Schatten des Unglaubens müssen vor dem Lichte Deines Wortes verschwinden, des Irrthums Finsternisse vor der Kraft Deiner Wahrheit. Mögen hier allezeit gläubige und erleuchtete Hirten auftreten, die getrieben von Deinem Geiste, ... Dein Reich erweitern, Deine Rathschlüsse verkündigen und die Irrenden zu Deiner wahren Erkenntnis und Anbetung zurückführen. Segne das Wort, das Du hier zur Besserung, zum Glauben und zur Heilung predigen lässest. Lehre Dein Volk aufmerken auf Deine Wahrheiten, gehorchen Deinen Geboten, wachen über seine Pflichten und beglücke es durch die Vollbringung Deines heiligen Willens." 1 Die Einweihung war ein Staatsakt; König Friedrich Wilhelm III. war mit seinem Hofstaat zugegen. Von den Söhnen des Königs nahm lediglich Prinz Karl teil, der stets danach trachtete, Zeugnisse der 1 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4585/2125; desgl. A. Schröder, Kurzer Abriß... (wie Anm. 18), S. 55 - Herrn Domstiftsarchivar Wolfgang Schössler, Brandenburg, danke ich herzlich für die bereitwillig eingeräumte Möglichkeit, die das Thema dieses Vortrages betr. Akten des Domstiftsarchivs studieren zu dürfen.

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Geschichte in Sinnzeugnisse für die Historisierung der Herrschaft der Hohenzollern umzuwandeln. 2 Der Kronprinz und sein jüngerer Bruder, Prinz Wilhelm, ebenso Prinz Albrecht konnten aufgrund anderer Verpflichtungen an dieser Feierlichkeit nicht teilnehmen. 3 Der König hatte die Restaurierung zu seiner eigenen Sache gemacht; er förderte die Instandsetzungsarbeiten nach Kräften und kümmerte sich vielfach um jedes Detail. Für Friedrich Wilhelm III. waren Dom und Domstift Brandenburg schon wegen ihrer Geschichte von großer Bedeutung. Nachdem er auf Druck der napoleonischen Fremdherrschaft 1810 auch das Brandenburger Domstift auflösen mußte, 4 gehörte es 1826 zu den ersten, die er reaktivierte.5 Als ihm Anfang 1834 mitgeteilt wurde, die Brandenburger Domkirche habe durch Sturmschäden so gelitten, „daß vor ihrer Wiederherstellung kein Gottesdienst darinn gehalten werden könne", 6 stiftete er sofort zwanzigtausend Taler aus seiner Privatschatulle und ordnete die Wiederherstellung des alten Zustandes der Kirche an. Er erweist sich als ein Bauherr, der bestimmmend eingreift und keineswegs das zu erwartende Ergebnis seinem Starbaumeister Schinkel überläßt: „Das Innere der Kirche betreffend genehmige Ich den Vorschlag, die Kirchenstühle so aufzustellen, daß in der Mitte der Kirche ein Gang der zum Hochaltar führt, und der, in derselben Breite, auch die Treppe zum Hochaltar durchschneidet, frey bleibt; die Kirchenstühle müßten aber alle in derselben Richtung bleiben und die Kanzel muß nur einen Pfeiler weiter nach der Treppe versetzt werden.

2 Vgl. hierzu Gerd-Η. Zuchold, Der „Klosterhof" des Prinzen Karl von Preussen im Park von Schloss Glienicke in Berlin, Bd. 1: Geschichte und Bedeutung eines Bauwerkes und seiner Kunstsammlung (= Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, Beih. 20), Berlin 1991. 3 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4170/223. 4 Edict vom 30. Oktober 1810, § 2: „Alle Höster, Dom= und andere Stifter, Balleyen und Commenden, sie mögen zur katholischen oder protestantischen Religion gehören, werden von jetzt an als Staatsgüter betrachtet", zitiert nach: Gesetz=Sammlungfür die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1810, Nr. 2, S. 32. 5 August Schröder, Programm einer Geschichte des Bisthums Brandenburg, Brandenburg 1849, S. 33. 6 Schreiben Friedrich Wilhelms III. an den Dechanten des Brandenburger Domstifts, Otto Ludwig Leopold von Erxleben, vom 14. Februar 1834: Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4170/223.

Restaurierungen des Brandenburger Domes

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Der Punct A. auf der Zeichnung № IV. w o nach Ihrem Vorschlag das Pult für den Geistlichen der die Liturgie hält, aufgestellt werden soll, scheint nicht ganz zweckmäßig gewählt zu seyn; die auf dieser Zeichnung markirte Stelle vor der zum Hochaltar führenden Treppe ist angemessener. Die Versetzung des in В В. der Zeichnung № IV. befindlichen Chors für die Domherren in den Punct C. unter der Orgel finde ich nicht genehm und eben so wenig die Versetzung der mit D D in derselben Zeichnung bezeichneten für den Act der Einführung eines Domherrn bestimmten Sitze in С С. Der vorspringende Chor in В В. kann weggenommen und statt derselben können erhöhte Sitze für die Domherren aufgestellt werden. Die Zusammenstellung der Alterthümlichkeiten, Epitaphien und Wappen in F. derselben Zeichnung kann geschehen, und den Abputz des Inneren der Kirche mit einer gelben Steinfarbe finde ich angemessen." 7 Leider ist die Zeichnung, von der Friedrich Wilhelm III. hier schreibt, nicht mehr vorhanden. 8 Es ist kein geringerer als Karl Friedrich Schinkel, der hier einige Kritik seines königlichen Auftraggebers einstecken muß. Als Chef der Ober-Bau-Deputation war er für die Begutachtung von Restaurierungsvorhaben zuständig - doch in diesem Falle kamen die Entwürfe von ihm selbst. Doch es war nicht nur Friedrich Wilhelm III., der entscheidenden Einfluß auf den Gang der Restaurierung nahm, sondern auch der Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., beteiligte sich seiner Neigung entsprechend - nachhaltig an den Arbeiten. Der Kronprinz schätzte den Brandenburger Dom sehr; er war ihm - wie er später einmal bekundete - „das verehrte Heiligtum der Marken". 9 Daher hatte er großes Interesse gerade an diesem Bauwerk, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die große Freitreppe, die während der Restaurierungsarbeiten zwischen 1834 und 1836 geschaffen wurde, um den Hohen Chor mit dem Kirchenschiff zu verbinden, auf den Kronprinzen zurückgeht (Abb. 35). In der Sammlung der

7 Schreiben Friedrich Wilhelms III. an den Domherrn Otto Ludwig Leopold von Erxleben vom 17. April 1834: Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4170/223. 8 Freundliche Mitteilung von Herrn Domstiftsarchivar W. Schössler. 9 Zitiert nach: Hans Kania/Hans-Herbert Möller, Mark Brandenburg (= Karl Friedrich Schinkel - Lebenswerk 10), Berlin I960, S. 252.

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Zeichnungen auf der Berliner Museumsinsel wird eine Skizze des Innenraumes des Brandenburger Domes aufbewahrt, 10 die von der Hand des Sohnes König Friedrich Wilhelms III. stammt. Sie zeigt die große Freitreppe zum Hohen Chor, die Triumphkreuzgruppe und den im Jahre 1548 gestifteten Radkronleuchter 11 (Abb. 36) sowie separat, aber auf demselben Blatt den Grundriß des Domes (Abb. 37), ebenfalls mit der großen Freitreppe. Da auf ihr auch ein Geistlicher gezeichnet ist, der den Johanniter-Orden an der Brust trägt, könnte es sein, daß der Kronprinz schon um 1834 - dem Jahr des Beginns der Restaurierungen, in das die Zeichnungen wohl zu datieren sein werden - den Gedanken hatte, den Johanniter-Orden wiedereinzusetzen. Wie sehr Friedrich Wilhelm sich schon als Kronprinz für den Brandenburger Dom und sein Stift engagierte, läßt ein Brief des preußischen Staatsministers von Klewitz an den Minister Altenstein vom 29. Juni 1823 erkennen: „Indessen ist auch durch die an des Kronprinzen Königliche Hoheit ergangene allerhöchste Kabinettsorder vom 27,e" August v(ergangenen) J(ahres) das Fortbestehen des Dom=Kapitels zu Brandenburg nach einer neuen Einrichtung, worüber die näheren Bestimmungen ... noch zu erwarten stehen, ausgesprochen." 12 In den architektonischen Entwurfsskizzen des Kronprinzen und späteren Königs spielt die große Freitreppe, die einen Hohen Chor mit dem Kirchenschiff verbindet, eine bedeutende Rolle. Es gibt mehrere Zeichnungen von der Hand des Kronprinzen, die in einer gotischen Kathedrale eine solche große Freitreppe zeigen, 13 und daher liegt also zumindest die Vermutung nahe, daß vielleicht die

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Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung der Zeichnungen, Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV.: IV-A-2. 11 Der Radkronleuchter wurde Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gründlich restauriert und ergänzt; daher wurde er während der letzten Restaurierung des Domes zwischen 1962 und 1965 nicht mehr als mittelalterliches Original angesehen und zugunsten von Beleuchtungskörpern im Stil der frühen sechziger Jahre unseres Jahrhunderts in das südliche Querhaus verbracht; zur Restaurierung siehe Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 6083, Bl. 189 ff. 12 Bundesarchiv Koblenz, Außenstelle Potsdam, Reichskirchenministerium Rep. 51.01, Akte Nr. 23356: „Domstift Brandenburg und Havelberg. Stiftssachen", unpag· 13 Vgl. ζ. B. Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung der Zeichnungen, Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV.: IV-D-122.

Restaurierungen des Brandenburger Domes

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Idee der großen Freitreppe im Dom zu Brandenburg vom Kronprinzen stammt. Auf ihn geht die schlichte blau-weiße Verglasung der Chorfenster zurück (Farbtafel 1, Abb. 44). „Die Gnade des Kronprinzen in jener Zeit schenkte damals auch die schönen farbigen Fenster am Altar."14 Aus einem Schreiben Schinkels vom 16. Mai 1835 an den Dechanten des Brandenburger Domstifts, Otto Ludwig Leopold von Erxleben (1787-1856), 1 5 geht hervor, „daß seine Königliche Hoheit der Kronprinz in dieser Woche über die Fenster entschieden haben ...". l 6 In einem Bericht über die Einweihungsfeierlichkeiten spricht ein unbekannter Autor später vom „ehrwürdig schönen Hochaltar, ... (der) in dem milden Lichte der, durch die Freigiebigkeit Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen mit reicher Glasmalerei verzierten Fenstern ... herrlich prangte". 17 Und letztlich schreibt August Schröder, Superintendent und Erster Professor an der Ritterakademie in Brandenburg, im Jahre 1836 über das Engagement des Kronprinzen: „Durch die Gnade Sr. Königlichen Hoheit fällt auf den Hochaltar das Sonnenlicht durch geschmackvolle farbige Fenster, aus welchen die alten eingereihten Glasmalereien bedeutend hervortreten." 18 Die eben genannten „alten ... Glasmalereien" sah man als zur ursprünglichen Ausstattung des Brandenburger Domes gehörig an, weil in einem der zwölf Fächer, die im mittleren Fenster des Hohen Chores angebracht wurden, sich das Wappen des Domstifts befindet: zwei gekreuzte Schlüssel.

A. Schröder, Programm... (wie Anm. 5), S. 38. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Uradeligen Häuser 1916, S. 217. 1 6 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4170/223. 1 7 Bericht eines unbekannten Autors über die Einweihung des Domes: Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4585/2125, Bl. 97 ff. - Übrigens trugen auch seine Gemahlin, die Kronprinzessin sowie die Prinzessinnen des Königlichen Hauses zur Neugestaltung des Domes durch die Stiftung einer „prachtvollen Altardecke" bei. Die Arbeit ist heute verschollen (freundliche Mitteilung von Herrn Domstiftsarchivar W. Schössler). 1 8 August Schröder, Kurzer Abriß einer Geschichte der hohen bischöflichen Stifts= und Domkirche und des damit verbundenen Dom=Capituls zu Burg Brandenburg nebst Beschreibung der in Gegenwart Se. Majestät des Königs und des Königlichen Hauses am 1. October 1836gefeierten Wiedereiniveihung der Kirche. Mit einigen auf die Feier bezüglichen Reden und Predigten. Eingereiht sind die Weihe^Reden des evangelischen Bischofs, Herrn Nr. Neander, Brandenburg 1836, S. 32. 14

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Unversehens wird hier die Frage nach den Restaurierungen der Fenster auch zur Frage nach der Datierung eines Aquarells von Heinrich Hintze (1800-vor 1862), der zahlreiche deutsche Dome und Kirchen gemalt hat 19 (Farbtafel 1, Abb. 45). In der Stiftung Staatliche Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, wo es aufbewahrt wird, datiert man es in das Jahr 1850.20 Obwohl auf der Rückseite des Blattes ein Schriftzug aus schwarzer Tinte in lateinischen Buchstaben mitteilt: „Aus dem Nachlass Friedrich Wilhelms III." Wie zu zeigen sein wird, stimmt diese Mitteilung, denn um 1850 hatten die Chorfenster eine völlig andere Verglasung, als Hintze sie auf seinem Aquarell darstellt. Dieses Aquarell zeigt, daß im mittleren Fenster des Hohen Chores 4 x 3 Reihen bildlicher Glasfenster vorhanden waren, während die übrigen Flächen in dem blau-weißen Rautenmuster gefüllt sind. Und diese mittelalterlichen Originale beginnen in der vierten Reihe von unten. Ein Blick auf das Domfenster heute zeigt eine völlig andere Situation (Abb. 38). Über dem Fenstersims ist eine Reihe von blau-weißen Mosaikgläsern angebracht. Darüber befinden sich drei Reihen von Glasfenstern, von denen Teile - wie später gezeigt wird - Anfang 1837 gefertigt wurden und die eine ideale gotische Architektur zeigen. Über ihnen wiederum befinden sich vier Reihen originaler mittelalterlicher Glasmalereien, von denen die Reihen vier und fünf bis auf eine Ausnahme über die vollen Rahmenmaße gehen, das heißt, sie gehören mit Sicherheit zum ursprünglichen Bestand der Glasfenster des Brandenburger Domes. Bis zur Fensterspitze sehen wir dann

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Ulrich Thieme/Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künste von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 17, Leipzig 1925, S. 119 f. Das Aquarell ist auch mit Hilfe der Kataloge der Berliner Akademieausstellungen, an denen Hintze häufig teilgenommen hatte, nicht zu datieren; vgl. Die Kataloge der Berliner AkademieAusstellungen, hrsg. von Helmut Börsch-Supan (= Quellen und Schriften zur bildenden Kunst 4), Berlin 1971. 20 Freundlicher Hinweis von Herrn Domstiftsarchivar W. Schössler, der das Aquarell 1983 in einer Ausstellung im Brandenburger Dom zeigte und diese Datierung aus Potsdam mitgeteilt bekam. Ein Katalog zu dieser Ausstellung existiert leider nicht. Stiftung Staatliche Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, Inv.-Nr. 3838b. - Für die Unterstützung bei den Recherchen in der Stiftung danke ich Herrn Dr. Heinz Schönemann sehr herzlich.

Restaurierungen

des Brandenburger

Domes

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weitere Zeugnisse mittelalterlicher Glasmalerei, die zum Teil erheblich ergänzt sind. In der Literatur wird die Frage nach den Restaurierungen des Domes im 19- Jahrhundert wie auch nach der Geschichte der Glasfenster nur sehr allgemein behandelt. Im Band Brandenburg des Inventarverzeichnisses der Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg von 1912 heißt es etwa: „Von den ehemals in den Chorfenstern des Domes befindlichen Glasmalereien sind nur wenige Reste erhalten und im mittleren Fenster zusammengestellt."21 In der 1983 erschienenen Ausgabe des „Dehio" für den Bezirk Potsdam wird zum hier in Rede stehenden Thema lakonisch gesagt: „Reste mehrerer Zyklen im mittleren Chorfenster zusammengestellt."22 Anhand der (bislang unedierten) Quellen läßt sich die Entstehung des mittleren Glasfensters in heutiger Form jedoch relativ sicher nachvollziehen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts stand neben anderen Reparaturen auch eine Überholung der Domfenster an, und am 3. Mai 1751 schrieb der Glasermeister Johann Gottfried Reichhardt: „Wenn die annoch 6 Fenster um den Altar sollten gemacht werden, kommen in selbige 774 neue Fache weill einige gemahlte Fache bleiben..." 23 Wie die Chorfenster vor der Restaurierung aussahen, ist heute anhand von Bildern nicht mehr nachweisbar. In einer Kostenaufstellung zur Reparatur der Fenster im Jahre 1825 aber heißt es, gerade im Hohen Chor seien die Glasfenster teilweise zerstört und deshalb große Teile derselben mit Brettern vernagelt.24 Aus dem Baujournal der ersten Restaurierung, das am 5. Mai 1834 beginnt und alle durchgeführten Arbeiten mit höchster Genauigkeit verzeichnet, geht hervor, daß der Berliner Glasermeister Thom insgesamt drei Fenster verglast hat: das mittlere und die beiden benach21

Die Bau- und Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912, S. 306. - Ebenso schon Rudolf Bergau, Inventar der Bau- und Kunstdenkmäler in der Provinz Brandenburg, Berlin 1885, S. 202 ff. 22 Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bezirke Berlin/DDR und Potsdam, Berlin (Ost) 1983, S. 147. 23 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4161/2102: Bauten und Reparaturen an der Domkirche und ihrem gesamten Inhalt, Bl. 33. 24 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4162/2103, Bl. 66 ff.

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harten - so, wie es das Aquarell von Hintze zeigt. Im Baujournal steht unter dem Datum des 29. August die Eintragung: „Die Einsetzung der 3 Mittelfenster im Hohen Chor wird ... beendigt." 25 Drei Monate nach der Einweihung erwarb Friedrich Wilhelm III. „die Mir von der Gräfin Hacke angebotenen Fensterscheiben mit alten Glasmalereien ..., mit deren zweckmäßigste(r) Anbringung in dem Dom zu Brandenburg, Ihrem mir vorgetragenen Vorschlage gemäß, Ich Sie beauftrage, nachdem Sie für die vorzunehmenden Ergänzungen gesorgt haben werden, welche ich gleichfalls Ihrer Leitung überlassen will, wobei jedoch nur das durchaus Notwendige zu berücksichtigen ist", befiehlt der König Schinkel in einer Kabinettsorder vom 1. Dezember 1836. 2 6 Bemerkenswert aber an dem eben zitierten Text ist die Tatsache, daß der König keine umfassende Ergänzung fragmentarisch erhaltener Scheiben befiehlt, sondern nur „das durchaus Nothwendige" neu hinzuzufügen anordnet. Ein denkmalpflegerischer Ansatz, der Respekt verdient und vom Verständnis für das Originale zeugt. Das Sammeln mittelalterlicher Glasmalereien war in Deutschland etwa seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein Hobby des Adels; die erste bekannte Sammlung ist die des Fürsten Leopold III. von Anhalt-Dessau im 1773 errichteten „Gothischen Haus". 27 Friedrich Wilhelm III. selbst besaß ebenfalls mehrere Zeugnisse mittelalterlicher Glasmalerei, die er in seiner Kirche in Paretz aufbewahrte. 28 Und sein Sohn Karl hatte ebenfalls eine solche Sammlung, die er zum Teil in seinem Berliner Schloß, zum Teil aber auch im „Klosterhof" im Park von Schloß Glienicke aufbewahrte. 29 Daß der König und seine Familie um die Bedeutung der mittelalterlichen Glasmalerei wußten, erhellen diese Beispiele. Doch Friedrich Wilhelm tat noch mehr: Er stellte den Schutz unter anderem auch der alten Glasmalereien auf gesetzliche Grundlage. Die Königliche Regierung hatte er dafür verantwortlich gemacht, „daß die in Ihrem Regierungsbezirk vorhandenen alten Kunstgegen25 26

Domstiftsarchiv Brandenburg, Baujournal 1834-1836, Bl. 153. Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 470/223: Cabinets=Ordre vom 1. Dezember

1836. 2 7 Vgl. hierzu Erhard Hirsch, Dessau-Wörlitz. Aufklärung und Frühklassik, 2. Aufl., Leipzig 1987, S. 213, Taf. Χ, XI. 2 8 G. Dehio, Handbuch... (wie Anm. 22), S. 251. 2 9 Hierzu G.-H. Zuchold, Der „Klosterhof'... (wie Anm. 2), S. 84.

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stände und Denkmale der Vorzeit, geschichtliche Merkwürdigkeiten u.s.w., nicht zerstört oder so vernachlässigt werden, daß ihr Untergang die Folge ist ...", und der Minister der geistlichen und anderer Angelegenheiten teilte am 27. März 1835 mit: „In Bezug auf die zur Erhaltung solcher Gegenstände erforderlichen Mittel wollen aber des Königs Majestät in den vorkommenden Fällen die einzelnen Anträge zur Allerhöchsten Beurtheilung der Nothwendigkeit der darauf zu verwendenden Kosten erwarten." 30 Darüber, wie die mittelalterlichen Glasmalereien, die Friedrich Wilhelm III. dem Dom gestiftet hatte, angebracht wurden, informiert ein Text des Dechanten Erxleben, der am 22. Juni 1854 die Geschichte der Glasmalereien aufschrieb: „Die alten Glasgemälde, welche in der Dom Kirche vor der in den Jahren 1834 bis 1836 stattgefundenen Restauration vorhanden waren, sind in dem mittleren Fenster des Hohen Chors wieder eingesetzt und befinden sich noch daselbst in 12 Fächern und 4 Reihen übereinander ... Später schenkte des hochseeligen Königs Majestät eine Quantität alte Glasmalereien, welche in den beiden Fenstern rechts und links neben dem mittleren Fenster des Hohen Chors ganz oben angebracht wurden. Seine Majestät der jetzt regierende König schenkten der Dom Kirche Mosaikglas, womit die sämmtlichen Fenster des Hohen Chores geschmückt wurden, und als im Jahre 1851 Ihre Majestät die Königin und Ihre Königlichen Majestäten ... die Dom Kirche mit 18 prachtvollen Wappen beschenkten, wurden diese im mittleren Fache der beiden Fenster rechts und links von dem Mittleren angebracht, die dort vorhandenen alten Glasmalereien aber in das mittlere Fenster eingesetzt; und nach dem im vergangenen Jahre des Königs Majestät auch durch neue Glasmalereien beschenkte, wurden auch diese in dem mittleren Fenster des Hohen Chores angebracht, so daß jetzt dieses Fenster, mit Ausnahme der 3 unteren Fächer, gänzlich mit Glasmalerei versehen ist." 31

3 0 A. von Wussow, Die Erhaltung der Denkmäler in den Kulturstaaten der Gegenwart, Bd. 2, Berlin 1885, S. 23. 3 1 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128, Bl. 35: Entwurf einer Mitteilung des Dechanten Erxleben zur Geschichte der Glasmalereien im Dom von Brandenburg, 22. Juni 1854.

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Daß die Glasmalereien der Sammlung Hacke in den betreffenden Fenstern „ganz oben" angebracht waren, wie Erxleben sagte, ist gewiß nicht wörtlich zu nehmen, sondern eine ungenaue Formulierung des Dechanten; sie dürften vielmehr in der gleichen Höhe wie die zur ursprünglichen Ausstattung des Domes gehörenden Glasfenster im Mittelfeld angebracht worden sein. 1846 wurden dann auch die beiden äußeren Fenster des Hohen Chors mit den blauen Mosaikscheiben ausgekleidet, so daß das Bild nun einheitlich war.32 Die Vorsteher des Domkapitels bedankten sich artig für das Geschenk: „Euer Königliche Majestät haben Allergnädigst geruht durch das Geschenk zweier Fenster in der hiesigen Domkirche diesem hehren Gebäude eine neue schöne Zierde zu verleihen ... Mit der ehrerbietigsten Bitte, daß Euer Königliche Majestät geruhen mögen, auch ferner dem Domstifte die Allerhöchste Gnade angedeihen zu lassen, verharrt in tiefster Ehrfurcht für Euer Königliche Majestät unterthänigst das Domkapitel."33 Seit 1846 übrigens gab es ernsthafte Überlegungen des Königs, dem Brandenburger Dom einen zweiten Turm zu geben. 34 Sie erreichten ihren Höhe- und zugleich auch Endpunkt, als Stüler 1853 einen Entwurf nach den Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. zeichnete, 35 und auch der Konservator der Denkmäler, Ferdinand von Quast, war an dem Vorhaben beteiligt, das dann aber nicht verwirklicht wurde. Unterlagen gibt es hierüber nicht mehr - vermutlich aber liegt der Grund in finanziellen Schwierigkeiten (Abb. 39, 40). Es war eine der vielen Planungen des Königs, die an der Realität vorbeigingen. Wie sehr das Domkapitel aber hinter den königlichen Ideen stand, zeigt ein Schreiben des Dechanten von Erxleben an den Minister für geistliche Angelegenheiten vom 14. Februar 1853, in dem es heißt: „Se. Majestät der König wünschen, daß der vorhandene alte Thurm der hiesigen Dom=Kirche eine gefällige Form er3 2 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128, Bl. 2: Schreiben eines Verwaltungsbeamten Friedrich Wilhelms IV. an den Dechanten Erxleben vom 2. September 1846 betr. die Übersendung des „anschlagsgemäßen Betrag[es] der Kosten für die Anfertigung zweier farbigen Fenster in der Stiftskirche des Dom=Capitels zu Brandenburg..." 3 3 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128. 3 4 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4173/2106. 3 5 Die Zeichnungen, von denen in der Korrespondenz die Rede ist, sind leider nicht mehr erhalten.

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halte und daß ein zweiter Thurm neu aufgeführt werden solle ... und durch den Geheimen Cabinets Rath Illaire uns auffordern lassen, Vorschläge zu machen, in welcher Weise die, r(un)d auf 25 000 rThlr veranschlagten Kosten herbeizuschaffen wären..." 36 Der Vorschlag lautete, sich von Rentenbriefen im Werte der genannten Summe zu trennen, was aber am 17. August 1853 durch einen Einspruch des Ministers des Innern vereitelt wird, da er nämlich ausführlich begründet, daß dieser Vorschlag im Widerspruch zu der Königlichen Verordnung über das Vermögen der Domstifte steht. 37 Das Vorhaben scheitert damit endgültig — bedauerlicherweise denn Friedrich Wilhelm IV. hätte, ebenso wie sein Vater es am Magdeburger Dom getan hatte, hier das Landschafts- und Kirchenbild der Mark Brandenburg erheblich beeinflußt. Doch lange brauchte das Domkapitel nicht auf ein weiteres, dann aber realisiertes Zeichen königlicher Huld zu warten. Nachdem die preußische Nationalversammlung 1849 in ihrem Ausweichquartier im Brandenburger Dom zu seiner Zufriedenheit gearbeitet hatte, wurden die beiden die Chormittelfenster flankierenden Fenster erneut verändert. Sie wurden mit den Wappen des preußischen Königshauses und ihm verbundener Fürstenhäuser verziert (Abb. 41). Am 29. März 1850 schreibt der Oberstleutnant von Falckenstein an den Dechanten Erxleben über die Anbringung der Wappen: „In dem ersten Fenster soll das Königliche Wappenbild mit dem preußischen Adler und darüber die Königskrone angebracht werden; in 4 Fächern darunter 4 Felder aus dem preußischen Wappen als: Brandenburg, Schlesien, Hohenzollern, Nürnberg. Daneben in gleicher Höhe die fünf Felder aus dem bäuerischen Wappen untereinander... Über die Stellung der anderen Wappen haben Se. Majestät auch ein anderes Arrangement vor und werden Sich Allerhöchstdieselben erst nach einer vorgelegten Zeichnung hierüber entscheiden." Diese „anderen Wappen" waren die von Mecklenburg-Schwerin, Windisch-Grätz, der Niederlande und Schwedens, wie aus einer Rechnung des Berliner Ateliers für Glasmalerei vom 12. Oktober 1850 hervorgeht. 38

36

37 38

Wie Anm. 12.

Ebda Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128, Bl. 8.

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Um die beiden Fenster dem neuen Konzept entsprechend zu gestalten, wurden die in ihnen angebrachten mittelalterlichen Gläser der von Friedrich Wilhelm III. 1836 gestifteten Sammlung Hacke entfernt und im mittleren Fenster angebracht. 39 Da aufgrund der zitierten Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. die Gläser der Sammlung Hacke also vermutlich in der ersten Hälfte des Jahres 1837 in das Chormittelfenster versetzt wurden, so muß Hintze sein vorhin besprochenes Aquarell Ende 1836 oder Anfang 1837 gemalt haben. Das Fenster des südlichen Querarmes wurde 1854 mit Glasmalereien geschmückt, die die Porträts der damaligen Domherren zeigten. Stifter dieses Fensters waren die Domherren selbst, allerdings mit Erlaubnis Friedrich Wilhelms IV.40 Die kontinuierliche Zuwendung, die Friedrich Wilhelm dem Brandenburger Dom zukommen ließ, fand 1855 erneuten Ausdruck: „Euer Königliche Hoheit haben die große Gnade gehabt unserem alt ehrwürdigen Gotteshause, der hiesigen Dom Kirche, eine herrliche Zierde dadurch zu verleihen, daß sämmtliche Fenster derselben mit Mosaik Glasmalerei versehen worden sind", bedanken sich die Mitglieder des Domkapitels am 29. September 1855.41 Dieser Zustand blieb dann - bis auf eine später noch zu besprechende Ausnahme — bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unverändert. Zum Schutz vor Bombenangriffen wurden damals nur die Scheiben des mittleren Fensters ausgelagert; um die Wappen- und Mosaikfenster kümmerte man sich nicht. Und als der Dom dann während der beiden schweren Fliegerangriffe auf Brandenburg am 31. März und am 20. April 1945 stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, gingen auch die nicht ausgelagerten Scheiben zu Bruch. Bereits kurze Zeit nach Ende des Krieges wurde damit begonnen, den Dom zu restaurieren - für die Wiederherstellung der Glasfenster hatte man den Berliner Restaurator und Glasmaler Paul Thol gewonnen, der aber gegen die Wiederherstellung des Zustandes von 1836 polemisierte und statt dessen das Domkapitel überzeugte, einen sei39

A.a.O., Bl. 9. A.a.O., Bl. 45: Schreiben des Obersten von Falckenstein an den Dechanten Elxleben vom 6. Oktober 1854. Im Band Die Bau- und Kunstdenkmäler... (wie Anm. 21), S. 308, wird dieses Fenster irrtümlich als „Stiftung aus dem Jahre 1849" angesprochen. 41 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128, Bl. 45: Schreiben der Mitglieder des Domkapitels an Friedrich Wilhelm IV. vom 29. September 1855. 40

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ner eigenen Entwürfe zu realisieren. Am 14. Juli 1947 wird in einer Aktennotiz über eine Besprechung berichtet, „in der Prof. Thol sich wiederum sehr stark dafür ausgesprochen hat, dass die beiden Fenster rechts und links vom alten Chormittelfenster nicht unter Verwendung der bisherigen blauen Fenster ausgeführt werden. Herr Thol hat Musterproben gezeichnet 42 und angeregt, eines dieser Muster auszuwählen." 43 Was dann auch geschah - und die beiden gelb-grün verglasten Fenster wurden angefertigt (Abb. 42, 43; Farbtafel 2, Abb. 46, 47). Wie wurden jene Restaurierungen des Domes, deren Auftraggeber und gewissermaßen auch Schirmherren die Könige Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. waren, in zeitgenössischen Darstellungen interpretiert? Heinrich Wilhelm Schultze, Direktor der Brandenburger Ritterakademie und Superintendent am Dom, schrieb in einer anläßlich der Einweihung erschienenen Schrift: „Auch der Tag der neuen Einweihung der Domkirche in Gegenwart des um dieselbe so verdienten edlen Fürsten und seiner erhabenen Familie bietet noch besondere Erinnerungen dar an jenen Tag, wo einst den 1. Oktober des Jahres 949 in Gegenwart Kaisers Ottos I. die von ihm auf dieser Stelle angeblich gegründete Kathedrale soll feierlich consecrirt worden sein." 44 Die hier anklingende Beziehung Friedrich Wilhelms III. zu Kaiser Otto I. wurde damals von allen mit der Historie befaßten Personen gesehen. Im Domstiftsarchiv zu Brandenburg hat sich das Konzept zu einer bildlichen Darstellung der Wiedereinweihung erhalten, 45 das von Eugen von dem Knesebeck stammt. 46 Der junge Assessor, der 1834

Zwei dieser Proben haben sich erhalten: Domstiftsarchiv Brandenburg, Ρ 509 A 2; Ρ 312 A 1. - Beide Entwurfsskizzen werden im Domstiftsarchiv in die Zeit „vor 1945" datiert; aufgrund der Aktennotiz ist das richtige Datum der Entstehung dieser Entwurfsskizzen 1947. 4 3 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 577/777. 4 4 Heinrich] Wlilhelm] Schultze, Über das Alter und die Restauration der biscböfl. Stifts- und Dom-Kirche zu Burg Brandenburg. Zur Einweihung der Dom-Kirche am 1October 1836 vor seiner Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem Königlichen Hause, Brandenburg 1836, S. 40. 4 5 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4585/2125. 4 6 Eugen von dem Knesebeck (1801-1888), späterer Königlich Preußischer Justizrat: Gotha. Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser, Т. A, 1940, S. 429. 42

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in das Amt des Syndicus des Domstiftes berufen wurde und dieses bis 1841 innehatte, schrieb unter dem Datum des 19. Mai 1835 an den Dechanten Wilhelm Ludwig Victor Reichsgraf Henkell von Donnersmarck: Es „... muß meines unvorgreiflichen Erachtens, die Person Seiner Majestät des Königs besonders hervorgehoben werden. Eine Parallele zwischen unserm allverehrten Monarchen und dem Kaiser Otto I. liegt eben nicht allzufern. Beide Fürsten haben sich die Erforderung und Erweiterung des Christenthums, wiewohl auf abweichenden Wegen, besonders angelegen sein lassen. Wenn auf der einen Seite eine unumschränkte, alles beugende Übermacht es für erlaubt hielt, jede Gewissensfreiheit zu unterdrücken, durch Verwüstung der Städte und Dörfer, Umstürzung der heidnischen Tempel und Altäre, gewaltsame Taufe der Überwundenen, Stiftung von Bistümern in heidnischen Landen, dem Christenthum Eingang und Dauer zu verschaffen; so ist auf der anderen Seite das Streben unverkennbar, durch Milde, weise Einrichtungen, wie in Wort und That an den Tag gelegte Achtung vor dem Heiligen und Göttlichen, durch ein lebendiges Beispiel den recht christlichen Glauben in seiner Erhabenheit hervorzurufen und den Weg dazu durch die ungebundenste Gewissensfreiheit zu bahnen." Der Kupferstich, den Knesebeck anläßlich des Ereignisses anfertigen lassen wollte, hatte folgendes Konzept: Vorgesehen war ein Blick in das Innere des Hohen Chors, „dessen vorderster Schwibbogen die Form eines Triumphbogens erhält. Auf der Spitze des ersten Bogens steht ein Kreuz oder ein Kruzifix als Symbol der christlichen Kirche, neben welchen zu beiden Seiten, Kelch, Patene, Bibel, Agende, Bischofs Stab und Bischofsmütze angebracht." Über dem Bogen sollte links ein Medaillon Ottos I. mit der Umschrift: „fundavit 949" und rechts ein ebensolches Friedrich Wilhelms III. mit der Umschrift „denuo exstruxit 1835" angebracht sein. Über den Bildnissen wiederum symbolisierten auf Seiten Kaiser Ottos Darstellungen der Kriegsgöttin Bellona und der Victoria seinen Kampf und Sieg in der neuen Provinz und für den christlichen Glauben, während auf seiten Friedrich Wilhelms III. ebenfalls eine Victoria und eine Friedensgöttin seinen ganz anders gearteten Einsatz für den christlichen Glauben zeigten. Auch die Umschrift am Medaillon Friedrich Wilhelms III., das lateinische „denuo", zu deutsch „von neuem, noch einmal", zeigt - dies-

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mal auf der semantischen Ebene - , daß der Preußenkönig mit Kaiser Otto I. gleichgesetzt wurde. 47 Weiterhin sollte Kaiser Ottos Verbreitung des Christentums durch das Schwert der auf einer Säule stehende Apostel Paulus mit eben dem Schwert symbolisieren, während auf seiten Friedrich Wilhelms III. der Apostel Petrus mit dem Schlüssel steht. Am Fuße dieser Säulen sah Knesebeck einen Ritter mit voller Rüstung vor, der das kaiserliche Wappen hält bzw. einen wilden Mann, der das königlichpreußische Wappen hält. Ob dieser Stich wirklich ausgeführt wurde, läßt sich derzeit nicht nachweisen; im Domstiftsarchiv Brandenburg jedenfalls ist er nicht vorhanden. Überdeutlich tritt hier die Historisierung und Legitimie-

^ Derartige Rückgriffe und Gleichsetzungen von jeweils zeitgenössischen Herrschern mit als vorbildlich erkannten Monarchen der Vergangenheit sind spätestens seit der römischen Kaiserzeit übliche Gepflogenheit zur Legitimierung und Historisierung einer meist noch jungen Herrschaft. In Preußen wurde z.B. der Große Kurfürst „Pater Patriae Augustus" und - in Anlehnung an die Konsekration Caesars durch Augustus „Divus" genannt. In Friedrich dem Großen sahen seine Zeitgenossen einen neuen Augustus, Lykurg, Marc Aurel, Arminius und gelegentlich sogar einen preußischen Wotan; hierzu ausführlich: Gerd-Η. Zuchold, „War er nicht ein Titus seiner Zeiten...?1 Antike Beinamen Friedrichs des Großen, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 23 (1986), S. 377 ff. - Friedrich Wilhelm III. wurde z.B. als Beschützer der Künste geehrt, indem er auf der Rückseite einer anläßlich seines Regierungsantritts geschlagenen Medaille als römischer Kaiser dargestellt wurde; vgl. Klaus Sommer, Die Medaillen des Königlich Preussischen Hof-Medailleurs Daniel Friedrich Loos und seines Ateliers (= Monographien zur Numismatik und Ordenskunde 2), Osnabrück 1981, S. 67, Nr. A 60. Für das einstige Gewerbe-Institut in Berlin entwarf Schinkel schon im Jahre 1830 eine knapp überlebensgroße, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges leider verschollene Statue des Königs, die von der berühmten Bronzestatue Alexanders des Großen von Lysipp und von der in Primaporta gefundenen Statue des Kaisers Augustus inspiriert ist. Die erst 1850 ausgeführte Figur wurde dann nach dem Willen König Friedrich Wilhelms IV. in der Rotunde des heute so genannten Alten Museums aufgestellt; vgl. Paul Ortwin Rave, Karl Friedrich Schinkel. Berlin, Bd. 3: Bauten für Wissenschaft, Verwaltung, Heer, Wohnbau und Denkmäler (= Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk 1), Berlin 1962, S. 353, Abb. 392/393. - Mit mittelalterlichen Helden wurde der König in Beziehung gesetzt, seit die Nibelungen-Dichtung in Preußen zu Beginn der Freiheitskriege im Jahre 1812 als deutsche Nationaldichtung angesehen wurde; vgl. hierzu die demnächst vorliegende gedruckte Fassung meines Vortrages auf dem 25th International Congress on Medieval Studies, May 10-13, 1990, Western Michigan University, Kalamazoo, Michigan, U.S.A.: „The Prussian Royal House and Pictorial Representations of the Nibelungen Saga".

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rung der Hohenzollernherrschaft durch den Rückgriff auf die deutsche Kaiserherrschaft des Mittelalters zutage. Friedrich Wilhelm III. hatte zu Brandenburg eine sehr intensive Beziehung. Es war für ihn nicht nur der Ort der Begründung seiner Macht, sondern es war auch ein Ort der Bezugnahme auf die Tradition altdeutschen König- und Kaisertums. 949 unterzeichnete Kaiser Otto I. die Gründungsurkunde des Bistums Brandenburg und schuf damit auch die Grundlage für die Macht Friedrich Wilhelms III. Daß Friedrich Wilhelm III. diesen Gedanken sehr aufgeschlossen gegenüberstand, versteht sich, denn die Festschreibung einer Tradition, die von Friedrich Wilhelm III. bis ins frühe Mittelalter zurückreichte, bedeutete auch die mentale Gleichstellung mit seinen beiden Kollegen in der Heiligen Allianz, dem russischen Zaren und dem österreichischen Kaiser, die beide auf eine tausendjährige Herrschertradition zurückblicken konnten. Innenpolitisch aber bedeutete die hier in Rede stehende Inbezugsetzung auch ein Symbol von Festigkeit und Stetigkeit. Es ist gewiß kein Zufall, daß der Bischof Neander im Wiedereinweihungsgottesdienst über zwei Sätze aus dem ersten Petrusbrief predigte: „Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit. Das ist aber das Wort, welches Euch verkündigt ist." 48 Neander sagte der anwesenden Festgemeinde unter anderem: „... daß das Wort des Herrn verkündigt werde, dazu wurde dieses Haus errichtet, dazu ist es jetzt erneuert, dazu haben sich uns heute seine heiligen Räume aufgethan. Dem Lichte des Evangelismus einen Sitz zu bereiten, von welchem es seine himmlischen Strahlen in die heidnische Finsternis hinaussenden, um den ein neues, zu Christo bekehrtes, Geschlecht sich sammeln sollte, das war der Zweck der ehrwürdigen Stiftung, welche vor fast neunhundert Jahren an dem heutigen Tage hier gegründet war, und im Vertrauen auf die erleuchtende und segnende Kraft der evangelischen Wahrheit hat unser König seine unermüdliche Vorsorge für ihr Erstreben und ihre Wirksamkeit auch an dieser Kanzel Christi verherrlicht ... Eine Freistätte, einen freundlich gastlichen Boden fand das Christenthum nicht, als es der Kaiser Otto auf die Burg Brandenburg verpflanzte, es war ein edles, aber nur zartes und unter der Gewalt heidnischer Rohheit leicht zerbrechliches Reis, das inmitten der Ver48

1. Petr. 1,25.

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wilderung Raum gewinnen und erstarken sollte. Auch fiel das neu errichtete Heiligthum bald wieder der Entweihung und Zerstörung anheim, bedrängt und verfolgt von einem durch Abstammung und Vorliebe für den Götzendienst gegen das Christenthum feindselig gestimmten Volke, konnte die kleine Gemeine mit ihrer erhrwürdigen Stiftung kaum noch den Stamm behaupten ... Es ist wahr, das Christenthum hatte schon manches von seiner ursprünglichen Reinheit verloren, als es in diese Gegend drang; menschliche Deutungen und menschliche Satzungen hatten sich dem Worte des Herrn und seiner Apostel beigemischt; so wenig aber das Wesen des Tages aufgehoben wird, wenn trübes Gewölk den Himmel bedeckt, so wenig war die innere Wahrheit vernichtet, welche den Kern des Evangeliums bildet. Diese ihm innewohnende Gotteskraft hat die äußeren Verhüllungen durchbrochen, damit wir an seinem reinen Glänze uns erquicken. Das Wort des Herrn ist geblieben und hat weithin wandelnd und bessernd gewirkt, wilde Gemüther sind von ihm gebändigt, rauhe Sitten sind von ihm gemildert, gewaltsame Thöne sind von ihm beschwichtigt, fruchtbringende Keime der Bildung und Wohlfahrt ohne Zahl sind von ihm in die Furchen des Lebens gelegt worden, und wohin wir blicken, da begegnen uns im Vaterlande die Spuren seiner Segenskraft!"49 Wenn Neander hier von einer „neue(n), zu Christo bekehrte(n) Gesellschaft" spricht, so war das auf die alte Zeit gemünzte Bild auch auf die Gegenwart zu übertragen, denn 1817 hatte Friedrich Wilhelm III. in Preußen die Union der Evangelischen Kirche geschaffen, womit er das kirchliche Leben erneuern wollte. Andererseits aber sollte auch durch eine starke Kirche, die versinnbildlicht wird durch die starken, wehrhaften Bauten ihrer Geschichte, den Bürgern die Stärke und Kontinuität des Staates gezeigt werden. Friedrich Wilhelms III. Restaurierung des Domes wurde auch als Symbol des Weiterbestehens der Monarchie in Preußen gesehen trotz aller politischer Fährnisse. Ein im Brandenburgischen Anzeiger veröffentlichtes Gedicht zeigt das in aller Deutlichkeit:

4 9 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4585/2125. - Siehe auch A. Schröder, Kurzer Abriß... (wie Anm. 18), S. 48 ff.

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„Friedrich Wilhelm der Dritte, des sinkenden Domes Erneuer Machte sein Volk zum Mann, fromm und verständig und stark. Tempel zur Gottesverehrung erbaut und erneuet sein Wille; Schulen blühen empor, zu erbilden den Glanz; Freiheit in der Vernunft, sie lebt im Lande Preußen wo das mannliche Volk ist mit den Waffen vertraut Aber wenn der Bau einst dem Verfalle sich nahet, Dann wird Preußens Volk seine Erhaltung erflehn, Friedrich Wilhelm's Enkel, seinen König verehrend, Schützen das theure Land, stark im Vertrauen auf Gott. Und des allmächtigen Hand wird dann die Sanduhr wenden, Und dieses köstliche Werk wieder und wieder erneuen. Friedrich Wilhelm der Gerechte, König von Preußen, leitet veredelnd sein Volk, ernsten Gemüthes zu Gott; Und des Tempels hallender Dreischlag zum frommen Gebetshaus Töne der Wahlspruch, den der Preuße versteht: Gott mit uns."50 Zu erinnern ist, daß 1830 die Juli-Revolution Frankreich erschütterte. Ludwig Börne, Preußen keineswegs wohlgesonnen, charakterisierte deren Ziele mit den Worten: „Der Krieg der Armen gegen die Reichen hat begonnen." 51 Aufgrund revolutionärer Umtriebe wurde die Gründung des Königreiches Belgien erzwungen, 1832 auf dem „Hambacher Fest" die Forderung nach einer deutschen Republik erhoben, und die Burschenschaftler, in denen man eine führende Gruppe der Vertreter antimonarchischer Tendenzen sah, wurden verfolgt und verboten. „Das Alte ist neugeworden, und doch mit Berücksichtigung der wesentlichen Bedürfnisse der Gegenwart", schrieb der bereits zitierte Direktor der Ritterakademie und Superintendent Schultze.52 Diese Interpretation dürfte die Intentionen des Königs und seiner Berater wohl am besten charakterisieren.

50

Obelisk dem Tage der Weihe des emeueten Domes, in: Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblattfür alle Stände, Nr. 79 vom 1. October 1836, S. 1. 51 Ludwig Börne, Briefe aus Paris 1830-1831, Bd. 1 u. 2, Hamburg 1832-1834, Bd. 2, S. 119. 52 H. W. Schultze, Über das Alter... (wie Anm. 41), S. 17.

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Staatserhaltend war auch das Konzept, mit dem Friedrich Wilhelm III. das neue Domstift im Jahre 1826 versah: „Der König verleiht die Präbenden zum Lohn für vaterländische Verdienste an seine Getreuen." 5 3 Als der Domprediger Ehrenberg anläßlich der Wiedereinweihung 1836 in sein Amt eingeführt wurde, sanktionierte er mit folgenden Sätzen das Bündnis zwischen Staat und Kirche: „In einer Zeit, w o die Völker toben, um v o n sich zu werfen, was der Wahn für zwingende und einengende Fessel hält, in einer Zeit, w o die alten, ehrwürdigen Stiftungen aufhören, ehrwürdig zu sein vor den Augen der leichtsinnigen Menge, in einer Zeit, w o der Hochmuth des Verstandes, der Leichtsinn der Sitte, der Eigennutz bloß selbstsüchtigen Gewinnes die alten festen Säulen v o n Kirche und Staat sucht immer mehr und mehr zu untergraben und zu lockern, ... da heischt es w o h l der gemeinsame Vortheil des Reiches Gottes, daß sich der Geist der Kirche wieder flüchte in engere und stillere Vereine, daß in den höheren Kreisen des Lebens die Achtung gerettet w e r d e vor der Gewalt des Geistes, vor der unsichtbaren Herrschaft, vor der die irdische Größe erst weihenden und erhebenden unsichtbaren Macht, w e l c h e der Erlöser auf die Erde herabgebracht hat, als er sein großes heiliges Reich, seine Kirche hienieden gründete. Darum hat der Königliche Scharfblick es durchschaut, daß für Kirche und Staat ein Verein müsse förderlich werden, w o Staat und Kirche in engster innigster Vereinigung und Durchdringung erscheinen ... und darum hat der Königliche Wille d e m hohen Verein

der

erleuchteten und hochverdienten Staatsmänner eingereiht f r o m m e und ehrwürdige hochgestellte Geistliche, welche in der evangelischen Kirche treu gearbeitet und vorgeleuchtet sind als ein Muster acht evangelischen Geistes, als ein hohes Vorbild des Strebens, als eine helleuchtende Fackel ächt priesterlicher Weisheit und Gesinnung; als treue fleißige Arbeiter in d e m Weinberg des Herrn." 5 4 Die Restaurierung des Brandenburger D o m e s war kein singulärer Akt Friedrich Wilhelms III. Vielmehr hat er sich den alten Kirchen mit viel Aufmerksamkeit zugewendet; zu erinnern wäre nur an die

A. Schröder, Programm... (wie Anm. 5), S. 33. Die Bedeutung der evangelischen Dom=Capitulfür unsere Zeit. Rede zur Einführung des ... Herr Dr. Theol. Ehrenberg, gesprochen den 30. September 1836, in: A. Schröder, Kurzer Abriß... (wie Anm. 18), S. 43 f. 54

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von ihm veranlagten Arbeiten an den Domen von Magdeburg, Merseburg, Zeitz; und neben vielen anderen Maßnahmen waren es auch von Friedrich Wilhelm III. angeordnete Kirchenrestaurierungen, mit denen der König versuchte, die vom Wiener Kongreß zu Preußen geschlagenen Rheinlande zu integrieren. Zu denken wäre an Kirchen in Köln, Soest, Aachen und an vielen Orten mehr. Am Ende einer Reise durch die Rheinlande berichtet ihm sein Sohn Karl am 22. September 1836: „... ich will hier nur erwähnenQ daß die Aufgabe glücklich gelöst ist, und zwar in 22 Jahren aus jenem neuerworbenen, größtentheils katholischen Länderstrich, wahrhaft Preußen zu machen, während in Holland eine ähnliche Aufgabe mit Belgien total mißglückt ist."55 Doch zurück zum Brandenburger Dom. Bis zum November 1848 blieb das Aussehen des Gotteshauses, wie es unter Friedrich Wilhelm III. entstanden war, unverändert. Friedrich Wilhelm IV., sein Sohn und Nachfolger, verlegte im November 1848 die Preußische Nationalversammlung von Berlin wegen des dort „herrschende(n) gesetzlose(n) Zustand(es), der das ganze Land in den Zustand der Anarchie zu stürzen drohte", 56 nach Brandenburg. Den Tagungsort wählte der König aus: „Die zu anderweitigen vaterländischen Zwekken allerhöchsten Orts einstweilen verfügte angeordnete Verwendung der Dom=Kirche",57 wie die Dom-Gemeinde im Brandenburgischen Anzeiger wenige Tage nach der Veröffentlichung der „Allerhöchsten Proclamation" über den Umzug nach Brandenburg annoncierte. Und sie tagte „von Mitte November bis in den September 1849"58 im Dom, dem Keim des Bistums Brandenburg, dem geschichtsträchtigen Hauptort des Landes. Aber warum gerade Brandenburg, und warum gerade der Dom? Friedrich Wilhelm IV. hatte ein noch ausgeprägteres Verhältnis zur Geschichte und deren Bedeutung als sein Vater. Daß der König die Nationalversammlung gerade hierhin einzuberufen befahl, war gewiß kein Zufall. Denn es war der Ort, an dem die Macht in diesem 55 Die Briefe des Prinzen Karl von Preußen, hrsg. von Gerd-Η. Zuchold (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz 25), Nr. 257 (im Druck). 56 Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblatt für alle Stände, Nr. 92 vom 15. November 1848, S. 1. C1 ' Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblatt für alle Stände, Nr. 93 vom 18. November 1848, S. 5. 58 A. Schröder, Programm... (wie Anm. 5), S. 12.

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Reichsteil ihren Ursprung hatte und Friedrich Wilhelm IV. sich auf bedeutende Vorfahren beziehen konnte, die von diesem Ort aus Politik zugunsten Preußens gemacht hatten. Für Friedrich Wilhelm IV. war Brandenburg mehr als ein verschlafenes Provinznest, denn er sah in diesem Ort stets die „alte Chur- und Hauptstadt". 59 Auch in der Bürgerschaft war man zum überwiegenden Teil königstreu. 60 Durchblättert man die Lokalzeitung jener Jahre, den Brandenburgischen Anzeiger, wird ein erbitterter Streit über die Frage der Staatsform - konstitutionelle Monarchie oder Republik sichtbar, in dem die Königstreuen aber stets die Oberhand hatten. Wie richtig der König mit Brandenburg gewählt hatte, mag der folgende Ausschnitt aus einem Aufruf der Anhänger der Monarchie belegen; Artikel mit derartiger Tendenz waren im Brandenburgischen Anzeiger häufig zu lesen: „Der König oder die rothe Republik! Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Unterliegt die Krone, so ist mit ihr Preußens und Deutschlands Ehre auf ewig gemordet. Aber sie wird nicht unterliegen: Was uns vor 35 Jahren gegen einen übermächtigen Feind von Außen gerettet hat, wird uns auch heute retten gegen den noch schlimmem Feind im Innern." 61 Die Ergebenheit der Bürger Brandenburgs gegenüber ihrem König mag auch folgende Passage aus der Adresse des „Patriotischen Vereins" in Brandenburg vom 24. August 1850 belegen, die sie Friedrich Wilhelm IV. sandten, nachdem er zwei Tage zuvor ein Attentat überlebt hatte - das religiöse und auch kirchenpolitische Denken der Bürger entspricht genau dem des Königs. 62 Sie schreiben ihm nämlich: „... so tief und ergreifend war zu gleicher Zeit aber auch unser 59

Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblatt für alle Stände, Nr, 80 vom 6. October 1849, S. 1. Hier können derzeit nur die offiziellen Äußerungen herangezogen werden, da private Briefe u. a. Quellen leider nicht publiziert sind. 61 Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblatt für alle Stände, Nr. 95 vom 25. November 1848, S. 3. Vgl. hierzu Gerd-Η. Zuchold, Byzanz in Berlin. Der Klosterhof im Park von Schloß Glienicke (= Berliner Forum 4/84), Berlin 1984, S. 68 f., und ders., Friedrich Wilhelm IV. und die Byzanzrezeption in der preußischen Baukunst, in: Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit. Beiträge eines Colloquiums, hrsg. von Otto Büsch (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 62), Berlin 1987, S. 222 f. Hanns Christof Brennecke, Eine heilige apostolische Kirche. Das Programm Friedrich Wilhelms IV. von Preußen zur Reform der Kirche, in: Berliner Theologische Zeitschrift, Jg. 1988, Η. 1, S. 234.

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Schmerz bei der Wahrnehmung, wie so gänzlich unser preußisches Volk seine politische Erinnerung verloren habe. Doch kann dem anders sein? Wo man ein halbes Jahrhundert von Kanzel und Katheder herab daran gearbeitet hat, dem Volke seinen Glauben zu stehlen, da wagt man es auch endlich, den Verrath von den Dächern zu predigen ... Weil wir von Christo abgefallen sind, darum sind wir dem Bösen verfallen ... Aber noch hat der Herr uns Zeit zur Buße und Umkehr gelassen, und hat uns ein Zeichen gegeben, daß er sein Volk noch nicht verworfen hat. Wie die Getreuen beten, daß Er seine Gnade groß werden lasse über den König, also hat er uns erhöret. Der Herr hat seinen Gesalbten, der da bekannte ,Ich und Mein Haus, wir wollen dem Frieden dienen', nicht antasten lassen." 63 Brandenburg bedeutete den Rückgriff auf Tradition und Geschichte. Und die Nationalversammlung tagte eben im Dom von Brandenburg. Umbauten waren notwendig - unter anderem wurde auf der Höhe der Emporen eine Balkendecke eingezogen, um einen auf einer Ebene sich befindenden Sitzungssaal zu gewinnen, und als die Nationalversammlung am 30. Mai 1849 ihren zeitweisen Sitzungsort wieder verließ, da war, um den Dom als Kirche wieder nutzbar zu machen, eine abermalige Restaurierung notwendig. Friedrich Wilhelm IV., aus den Kämpfen um die Staatsform letztendlich als Sieger hervorgegangen, ließ den Dom erneut restaurieren. Gerade die Wappenfenster bezeugen den hohen Stellenwert, den Friedrich Wilhelm IV. dem Brandenburger Dom als Geschichtsdenkmal zumaß. Die Wiedereröffnung der Domkirche als Gotteshaus am 1. Oktober 1849 war ein Staatsakt. Es nahmen teil der König und seine Gemahlin, Prinz Karl von Preußen, Prinz Adalbert von Preußen (1811-1873), ein Neffe König Friedrich Wilhelms III., die Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz64 sowie die Prinzessin Friedrich der

® Adresse des Patriotischen Vereins Brandenburg an König Friedrich Wilhelm IV. vom 24. Mai 1850, in: Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblatt für alle Stände, Nr. 42 vom 29. Mai 1850, S. 2 f. ^ Die Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz: Prinzessin Alexandrine von Preußen (1803-1892), Tochter König Friedrich Wilhelms III. und seiner Gemahlin, der Kö-

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Niederlande, Louise von Preußen, 65 Schwestern der königlichen Brüder. 66 Die erneute Restaurierung des Domes wie auch die Veränderung des Bildprogramms der Fenster im Hohen Chor wurden zu einem Triumph des monarchischen Gedankens und - folgt man den offiziellen Presseverlautbarungen - von der Bevölkerung auch angenommen. Einige Ausschnitte aus einem Gedicht anläßlich der Wiedereinweihung, veröffentlicht im Brandenburgischen Anzeiger, mögen als Beispiel dienen: „Und ob der Zeiten mächt'ge Fluten drangen Bis an das Gotteshaus heran Und zahllos eitles Menschenwerk verschlangen: Das Gotteshaus stand fest - die Flut zerrann. Hier steh'n wir denn in dichtgedrängtem Kreise Vor Dir, Du treuer Preussen-Herrscher heut. Und wie der Dom, den frommer Glaub' erbauet, Ob auch der Zeit Sturm ihn oft umweht, Ob manch' Jahrhundert auf ihn niederschaut, Zur Ehre Gottes unversehrt noch steht: So soll ein Dom in unserem Herzen stehn, In dem die Liebe zu Dir sicher thront. Kein Sturm soll je die heil'ge Treu verwehen Die wahr und tief in uns'rer Seele wohnt." 67 Noch einmal spielt der Brandenburger Dom in der königlichen Existenz Friedrich Wilhelms IV. eine wichtige Rolle - als er nämlich nigin Luise, heiratete 1822 Paul Friedrich, Erb- und späteren Großherzog von Mecklenburg-Schwerin: Allgemeine Deutsche Biographie 25, Leipzig 1887, S. 243 s.v. Paul Friedrich. Prinzessin Friedrich der Niederlande, Louise von Preußen: Louise Prinzessin von Preußen (1808-1870), Tochter König Friedrich Wilhelms III. und seiner Gemahlin, der Königin Luise, die 1825 Friedrich Wilhelm Karl, Prinz der Niederlande, heiratete: Brockhaus Conversations Lexikon 1, 15. Aufl., Leipzig 1928, S. 350 s.v. Friedrich Wilhelm Karl. 66 Brandenburgischer Anzeiger. Wochenblatt für alle Stände, Nr. 79 vom 3. October 1849, S. 3. 67 A.a.O., S. 1.

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Gerd-Η. Zuchold

1852 die Ballei Brandenburg des Johanniter-Ordens reaktiviert und seinen Bruder Karl als Herrenmeister des Ordens bestätigt.68 Das Vorbildliche des Mittelalters sollte auch durch die Wiedererweckung von dessen Einrichtungen verdeutlicht werden. Der Johanniter-Orden wurde 1070 in Jerusalem nahe dem Heiligen Grabe gegründet und wandte sich in der Hauptsache der Pflege kranker Pilger zu. Er ist eng mit der Geschichte des Hochmittelalters und den Kreuzzügen verbunden und war — nicht nur für Friedrich Wilhelm IV. - ein Beispiel gelebten Christentums. 1810 hob Friedrich Wilhelm III. - wohl auf Druck Napoleons - die Ballei Brandenburg des Ordens auf, stiftete aber den „Ritterlichen Orden St. Johannis vom Spital zu Jerusalem" als Auszeichnung schon zwei Jahre später. In seine ursprüngliche Bestimmung setzte dann Friedrich Wilhelm IV. den Orden wieder ein und übernahm auch dessen Protektorat. Der König schrieb seinem Bruder Karl anläßlich seiner Wahl zum Herrenmeister des Johanniter-Ordens: „Das Amt hat heut zu Tage eine sehr ernste Seite. Es kann, richtig aufgefasst, sehr erfolgreich, sehr segensreich für die Zukunft unseres Adels und weit über dessen und die Preussischen Grenzen hinaus werden. Die Spitäler, die der erweckte Orden gründet, treu seinem Ursprünge, sollen helfen, die neuesten edlen Schöpfungen der Evangelischen Kirche, d. h. das persönliche Aufopfern eines ganzen Lebens zu Zwecken christlicher Liebeswerke, den Augen des Landvolkes näher zu rücken. Zugleich müssen die Rechtsritter durch ein positives Ehrenband umschlungen werden ,.."69

Das Problem wird ausführlich behandelt in meiner demnächst erscheinenden Biographie des Prinzen Karl von Preußen: Gerd-Η. Zuchold, Prinz Karl von Preußen. Der Mensch, der Kunstsammler, der Politiker. Die Biographie eines „vergessenen" preußischen Prinzen. Ein Beitrag zur preußischen Kulturgeschichte zwischen Wiener Kongreß und Gründerzeit. - Die in Abb. 36 u. 37 hier erstmals veröffentlichten Zeichnungen des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. könnten auch der hier behandelten Zeit - den frühen fünfziger Jahren des 19· Jahrhunderts - angehören, doch es sprechen stilistische Gründe dagegen. Die weiche Linienführung und die etwas diffuse Bildauffassung verbieten allerdings eine Spätdatierung, sondern weisen vielmehr auf den jungen Zeichner. ® Zitiert nach Malve Gräfin Rothkirch, Prinz Carl von Preußen. Kenner und Beschützer des Schönen. 1801-1883. Eine Chronik aus zeitgenössischen Dokumenten und Bildern, Osnabrück 1981, S. 153 (leider ohne Quellenangabe).

Restaurierungen des Brandenburger Domes

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Eine letzte Veränderung im Dom gab es - im Rahmen des hier zu besprechenden Themas - im Jahre 1882, als anläßlich der goldenen Hochzeit Kaiser Wilhelms I. am 29. Juni 1879 das große westliche Fenster des Hohen Chors mit Glasmalereien verziert wurde, deren Hauptbild die Hochzeit zu Kana war. 70 Der Schöpfer des monumentalen Gemäldes in diesem „Kaiserfenster" war der ansonsten heute nicht weiter bekannte Architekt Kurt Grunert.71 Da Wilhelm I. ebenfalls ein Sohn König Friedrich Wilhelms III. war, kann diese Veränderung im Rahmen des hier zu besprechenden Themas durchaus noch mitbehandelt werden. Helmut Börsch-Supan hat 1987 im Katalog der Glienicke-Ausstellung versucht, dem dritten Sohn König Friedrich Wilhelms III., dem Prinzen Karl von Preußen, reaktionäre Kunstansichten nachzuweisen, weil er unter anderem seine Büste von dem ziemlich unbekannten Bildhauer Julius Simoni und nicht von den Avantgardekünstlern seiner Zeit anfertigen ließ.72 Indem Wilhelm zustimmte, daß ein heute ebenso unbekannter Künstler sein Ehrenfenster im Brandenburger Dom schuf, verhielt er sich wie sein Bruder, und es wird ein doch sehr sympathischer Zug der Angehörigen des Herrscherhauses deutlich: eben nicht den Arrivierten zu helfen, sondern dem unbekannten Künstler, wenn er Qualität zu liefern imstande war, durch Aufträge eine Chance zu geben. Das Glasgemälde wurde während der bereits erwähnten beiden Angriffe auf Brandenburg kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges ebenfalls zerstört, und bildliche Darstellungen sind bis heute nicht bekannt. Immerhin aber ist aus einem Kostenvoranschlag des Königlichen Instituts für Glasmalerei Berlin vom 7. Januar 1881 etwas über Konzept und Dimension des Glasfensters zu erschließen, denn es

70

Unterlagen zu dieser Glasmalerei in Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/

2128. 71 Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128. - Baumeister, Architekten, Stadtplaner. Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, hrsg. von Wolfgang Ribbe u. Wolfgang Schäche, Berlin 1987, S. 260. (Grunert wird hier als einer der Architekten erwähnt, die den Rohbau des von Franz Schwechten errichteten Kriegsministeriums erstellten.)

Helmut Börsch-Supan, Prinz Carl von Preußen, die Maler und die Bildhauer, in: Schloß Glienicke. Bewohner. Künstler. Parklandschaft. Katalog der Ausstellung der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 1. August bis 1. November 1987, Berlin 1987, S. 211 ff. 72

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bestand aus „2,88 m2 Wappen und Inschriftband mit Ornamenten: 12 Wappen der Stifter (und) 1 Wappen Bande"; des weiteren „6,34 m2 figürliche Darstellungen: 2 Herolde, rechts und links, (dann) das Hauptbild (Hochzeit zu Cana) (;) die Engel mit goldenen Kronen, Inschriftband", und sodann „2,10 m2 Wappen, grüner Kranz, Engelköpfe und Architektur (und) 8,64 m2 Architektur und Ornamente in bunten Farben".73 Das letztere Wappen war wohl das kaiserlich-preußische. Das Gemälde war so gewaltig, daß seinetwegen der Mittelpfosten des ursprünglich vierteiligen Fensters entfernt wurde. 74 Ob es immer geraten ist, einen „Originalzustand" mittels Restaurierung wiederherzustellen, erscheint gerade angesichts der außerordentlich interessanten Ergebnisse des Umgangs des 19· Jahrhunderts mit den Zeugnissen mittelalterlicher Kunst und Kultur fraglich. Um wieviel dramatischer etwa ist die große Freitreppe zwischen Hohem Chor und Kirchenschiff angelegt als die beiden kleinen und engen Treppchen, die heute - wie sie es auch im Mittelalter getan haben sollen - zum Hohen Chor führen. Es ist weiterhin zu bedenken, daß die Restaurierung von 1836 zu einer Zeit geschieht, als man bereits in den Kategorien eines „Gesamtkunstwerks" zu denken anfängt. Die heute - leider - nicht mehr vorhandene große Freitreppe war Zeugnis eines derartigen gesamtkunstwerklichen Denkens, wie es auch die Geschichte der Fenster im Hohen Chor ist. Daß die Schinkelsche Freitreppe bei der Restaurierung zwischen 1962 und 1965 abgerissen wurde, 75 erklärt sich wohl auch durch den Umstand, daß man damals dem 19. Jahrhundert nur wenig positive Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Wenn künftig vermittels der Zeugnisse aus Geschichte und Kunstgeschichte den Bewohnern der neuen Bundesländer die Bildung eines unverkrampften und vorurteilsfreien Geschichtsbildes ermöglicht werden soll, so sollte man gerade die Leistungen des 19· Jahrhunderts erheblich mehr als bisher in Betracht ziehen. 73

Domstiftsarchiv Brandenburg, BDK 4283/2128. Die Bau- undKunstdenkmäler... (wie Anm. 21), S. 308. - Das östlichste der Fenster der südlichen Langhauswand zeigt noch heute den einstigen Originalzustand der Gliederung dieses Fensters. 75 G. Dehio, Handbuch... (wie Anm. 22), S. 147. 74

Restaurierungen

des Brandenburger

Domes

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Abb. 35 Die während der Restaurierung zwischen 1834 und 1836 errichtete Große Freitreppe zur Verbindung des Hohen Chors mit dem Kirchenschiff.

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Gerd-Η. Zuchold

Abb. 36 Innenansicht des Brandenburger Domes. Zeichnung des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV., wohl aus dem Jahre 1834; Berlin, Staatliche Museen, Sammlung der Zeichnungen.

Abb. 37

Friedrich Wilhelm (IV.), Grundrißzeichnung des Domes zu Brandenburg

mit angrenzenden Klausurgebäuden.

Restaurierungen des Brandenburger Domes

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Abb. 38 Zustand der Chormittelfenster nach 1851; neben dem Zentralfenster in den beiden flankierenden Fenstern Darstellungen der Wappen des preußischen und baierischen Königshauses sowie von dem preußischen Königreich befreundeten Adelsfamilien.

Gerd-Η. Zuchold

Abb. 39 1836.

Der Brandenburger Dom vor der Restaurierung in den Jahren 1834 bis

Restaurierungen

Abb. 41

des Brandenburger

Domes

Die Fenster des Hohen Chores mit den Wappenfenstern.

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Abb. 42 Entwurf von Paul Thol für die Nachkriegsverglasung der Fenster des Hohen Chores im Brandenburger Dom.

Abb. 43 Entwurf von Paul Thol für die Nachkriegsverglasung der Fenster des Hohen Chores im Brandenburger Dom.

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Restaurierungen des Brandenburger Domes

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Abb. 44

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Die blau-weiße Mosaikverglasung der Fenster im Hohen Chor.

Farbtafel 1

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Gerd-Η. Zuchold

Abb. 45 Heinrich Hintze, Inneres des Domes zu Brandenburg, 1836/37. Stiftung Staatliche Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci.

Restaurierungen

des Brandenburger

Domes

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p!M. ΡβΛ ε»; a>Hists! ? Abb. 46 Ausgeführter Entwurf von Paul Thol für die Nachkriegsverglasung zweier Fenster des Hohen Chores im Brandenburger Dom. Farbtafel

2

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Gerd-Η. Zuchold

Abb. 47 Realisierte Fensterverglasung im Brandenburger Dom nach dem Entwurf von Paul Thol.

AUSGEWÄHLTE LITERATUR UND QUELLENEDITIONEN zur Geschichte der Stadt Brandenburg, vornehmlich im Mittelalter Literatur Helmut Assing, Neue Überlegungen zur Entstehung der Altstadt Brandenburg, in: Hansische Stadtgeschichte - Brandenburgische Landesgeschichte (Festschrift Eckhard Müller-Mertens), hrsg. von Evamaria Engel, Konrad Fritze u. Johannes Schildhauer (= Hansische Studien 8; Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 26), Weimar 1989, S. 15-28. Helmut Assing/Klaus Heß/Günter Weigelt, Brandenburg. Stadtführer (= Brandenburger Blätter 5), Brandenburg 1986. Das Bistum Brandenburg, Τ. 1, bearb. von Gustav Abb u. Gustav Wentz (= Germania Sacra 1,1,1), Berlin-Leipzig 1929, ND 1963. Fritz Curschmann, Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums, Leipzig 1906. Georg Draeger, Verfassung und Verwaltung von Alt- und Neustadt Brandenburg bis zum 3Qjährigen Kriege. Ein Beitrag zur Geschichte der märkischen Städte, in: Festschrift zur Gedenkfeier des 50jährigen Bestehens des Historischen Vereins Brandenburg (Havel), hrsg. von Otto Tschirch [= JHVB 50], Brandenburg 1918, S. 1-120. Gustav Düllo, Beiträge zur Communalgeschichte der Stadt Brandenburg, Τ. 1: Das Rathaus, Brandenburg 1886; auch in: JHVB 17/19 (1887), S. 5-330. Carl Faulhaber, Über Handel und Gewerbe der beiden Städte Brandenburg im 14. und 15. Jahrhundert, in: JHVB 32/33 (1901), S. 3-62, mit Anhang: Handels- und Gewerbe-Urkunden der beiden Städte Brandenburg. Hans-Joachim Fey, Reise und Herrschaft der Markgrafen von Brandenburg 11341319 (= Mitteldeutsche Forschungen 84), Köln-Wien 1981. Klaus Grebe, Die Brandenburg vor 1000Jahren, Potsdam 1991. Das Havelland im Mittelalter. Untersuchungen zur Strukturgeschichte einer ostelbischen Landschaft in slawischer und deutscher Zeit, hrsg. von Wolfgang Ribbe (= Germania Slavica V; Berliner Historische Studien 13), Berlin 1987. Moritz Wilhelm Heffter, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg von den frühesten bis auf die neuesten Zeiten, Potsdam 1840; 2. Aufl., Potsdam o. J. Herbert Heibig, Gesellschaft und Wirtschaft in der Mark Brandenburg im Mittelalter (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 41), Berlin-New York 1973.

370

Ausgewählte

Literatur

Joachim Herrmann, Magdeburg - Lebus. Zur Geschichte einer Straße und ihrer Orte, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 2 (1963), S. 89-106. Friedrich-Wilhelm Jeroch, Innungsverfassungen der Stadt Brandenburg (Havel) vom 13• bis 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur tausendjährigen Geschichte der Churund Hauptstadt Brandenburg (Havel), in: JHVB 58/60 (1929), S. 1-114. Otto Jork, Brandenburg in der Vergangenheit und Gegenwart. Ein Wegweiser durch die Stadt und ihre Altertümer, Brandenburg 1880; 2. Aufl. 1903. Hans-Dietrich Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes Stodor (= Mitteldeutsche Forschungen 30), Halbbd. 1 und 2, Köln-Graz 1964. Bruno Krüger, Die Kietzsiedlungen im nördlichen Mitteleuropa. Beiträge der Archäologie zu ihrer Altersbestimmung und Wesensdeutung (*» Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 11), Berlin 1962. Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912. Herbert Ludat, Die Kietze auf der Dominsel in Brandenburg (1935), in: ders., Deutsch-slawische Frühzeit und modernes polnisches Geschichtsbewußtsein. Ausgewählte Aufsätze, Köln-Wien 1969, S. 45-52. Herbert Ludat, Die ostdeutschen Kietze, Bernburg 1936, ND Hildesheim-Zürich-New York 1984 mit Nachwort des Verfassers. Günter Mangelsdorf/Günter Weigelt, Brandenburg. Stadtführer (= Brandenburger Blätter 1), Brandenburg 1977. Paul Jonas Meier, Die Entstehung und Grundrißbildung der Alt- und Neustadt Brandenburg a.H., in: FBPG 20 (1907), S. 125-131. Paul Jonas Meier, Entstehung und Grundrißbildung der Stadt Brandenburg a.H., in: JHVB 38/40 (1908), S. 1-23. Eckhard Müller-Mertens, Untersuchungen zur Geschichte der brandenburgischen Städte im Mittelalter, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, 5. Jg. (1955/56), S. 191-221, 271-307; 6. Jg. (1956/57), S. 1-28. Wolfgang Podehl, Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung von Altmark, Neumark und Havelland (= Mitteldeutsche Forschungen 76), KölnWien 1975. Winfried Schich, Stadtwerdung im Raum zwischen Elbe und Oder im Übergang von der slawischen zur deutschen Periode, in: Germania Slavica I, hrsg. von Wolfgang H. Fritze (= Berliner Historische Studien 1), Berlin 1980, S. 191-238. Richard Schillmann, Geschichte der Stadt Brandenburg a.d. Havel von den ältesten Zeiten bis zur Einführung der Reformation, Brandenburg 1882. Johannes Schultze, Caput marchionatus Brandenburgensis. Brandenburg und Berlin (1952), in: ders., Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Wilhelm Berges (= Veröffentlichun-gen der Historischen Kommission zu Berlin 13), Berlin 1964, S. 155-176. Johannes Schultze, Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer Städte (I960), in: ebda., S. 137-154.

Ausgewählte

Literatur

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Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 1-5, Berlin 1961-1969. Hans K. Schulze, Die brandenburgischen Stadtrechte im Mittelalter. Bemerkungen zu einer Karte im Historischen Handatlas von Brandenburg und Berlin, in: JGMOD 13/14 (1965), S. 348-369. Adolf Stölzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, untersucht auf Grund der Akten des Brandenburger Schöppenstuhls, Bd. 1: Der Brandenburger Schöppenstuhl, Berlin 1901. Otto Tschirch, Geschichte der Chur-und Hauptstadt Brandenburg (Havel), Bd. 1 und 2, Brandenburg 1928; in einem Band 2. Aufl. 1936; 3- Aufl. 1941. Otto Tschirch, Im Schutze des Rolands. Kulturgeschichtliche Streifzüge durch AltBrandenburg, Bd. 1-4, Brandenburg 1922-1929; in einem Band 2. Aufl. 1938.

Weitere Literatur in: Bibliographie zur Geschichte der Mark Brandenburg, bearb. von Hans-Joachim Schreckenbach, T. 3, Weimar 1972, S. 125-162. Brandenburgische Literatur, hrsg. von der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek (früher: Brandenburgische Landes- und Hochschulbibliothek) Potsdam, Bd. 1 ff., Potsdam 1962 ff.

Quellen Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I, Bd. 8, Berlin 1847 (Abschn. XVII: Bistum und Domkapitel zu Brandenburg)·, Bd. 9, Berlin 1849 (Abschn. XVIII: Die Kur- und Hauptstadt Brandenburg, S. 1-332). Moritz Wilhelm Heffter, Nachlese zu den Urkunden Brandenburgs im Riedeischen Cod. dipl. Brandenb., in: JHVB 1 (1870), S. 55-67. Moritz Wilhelm Heffter, Regesten zur Geschichte Brandenburgs a.d.H. 927-1297 n.Chr., in: JHVB 2/3 (1872), S. 18-59Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, bearb. von Hermann Krabbo u. Geoig Winter, Leipzig-Berlin 1910/1955. Geoig Sello, Brandenburgische Stadtrechtsquellen, in: Märkische Forschungen 18 (1884), S. 1-108. Adolf Stölzel, Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten, Bd. 1-4, Berlin 1901.

ABKÜRZUNGEN Annales E.S.C. BDK CDA CDB

FBPG FlN. GN. HRG JBLG JHVB JGMOD KW MGHDFI

MGH DK III

MGHEpp. MGH SS Migrte PL ND N.F. N.R. ON. RQ UBM

Annales. Economies - Societes - Civilisations Brandenburg Domkapitel (Bestand im Domstiftsarchiv Brandenburg) Codex diplomaticus Anbaltinus, hrsg. von Otto von Heinemann, Bd. 1-6, Dessau 1867-1883 Codex diplomaticus Brandenburgensis, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, Hauptteil I-IV mit insgesamt 35 Bänden, einem Supplementband und 5 Registerbänden, Berlin 1838-1869 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Flurname Gewässername Handwörterbuch zur deutseben Recbtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann, Bd. 1 ff., Berlin 1971 ff. Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte Jahresbericht des Historischen Vereins (bzw. über den Historischen Verein) zu Brandenburg (a.H.) Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands Regesten der Markgrafen von Brandenburg, bearb. von Hermann Krabbo u. Georg Winter, Leipzig-Berlin 1910/55 Monumenta Germaniae historica, Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 10: Die Urkunden Friedrichs I., Т. 1—4, bearb. von Heinrich Appelt, Hannover 1975-1990 Monumenta Germaniae historica, Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 9: Die Urkunden Konrads III. und seines Sohnes Heinrich, bearb. von Friedrich Hausmann, Wien-KölnGraz 1969 Monumenta Germaniae historica, Epistolae Monumenta Germaniae historica, Scriptores J. P. Migne, Patrologiae cursus latinus, 221 Bde., Paris 1844-1864 Nachdruck, Neudruck Neue Folge Neue Reihe Ortsname Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, Т. 1 (937-1192), bearb. von Friedrich Israel unter Mitwirkung von Walter Möllenberg

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VN. VSWG ZRG GA ZRG KA

Abkürzungen (= Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, N. R. 18), Magdeburg 1937 Vorname Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1. Slawische und frühdeutsche Fundplätze im Gebiet von Alt- und Neustadt Brandenburg. Zeichnung von M. Wagner, Stralsund Abb. 2. Brandenburg im Mittelalter. Skizze von Winfried Schich aus: Stadtkernforschung, hrsg. von Helmut Jäger (= Städteforschung A/27), Köln-Wien 1987, S. 219 Abb. 3. Plan Intra et extra Moenia der beyden Chur- und Haupt-Städte Brandenburg von Christoph Gottlieb Hedemann, 1722/24. Nachzeichnung aus: Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg, bearb. von Paul Eichholz (= Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg II, 3), Berlin 1912, Tafel 35 nach S. 223 Abb. 4. Fernwege in frühdeutscher Zeit. Eintragung von Winfried Schich, in: Deckersche Karte von Brandenburg, 1816-1821, Bl. 195 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Haus 2 [West]: Kart. N 1036) Abb. 5. Siegel der Altstadt und Neustadt Brandenburg an Urkunden von 1267 Apr. 4 (CDS 1/8, S. 167 Nr. 93) und 1303 Juli 26 (CDB 1/8, S. 195 Nr. 137) im Domstiftsarchiv Brandenburg (U 67 und U 100) Abb. 6. Alt-Lübeck in spätslawischer Zeit; Lageplan von Günter P. Fehring nach Werner Neugebauer, 1975, aus: Seehandelszentren des nördlichen Europa. Der Strukturwandel vom 12. zum 13• Jahrhundert (= Lübecker Schriften zur Archäologie und Kultuigeschichte 7), Bonn 1983, Anhang, Abb. 2 Abb. 7. Posen im 12./13. Jahrhundert. Skizze von Winfried Schich nach Zdzistaw Kaczmarczyk, 1954, und Stanislawa Zajchowska, 1977, aus: Deutsche - Polen - Juden, hrsg. von Stefi Jersch-Wenzel (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 58), Berlin 1987, S. 90 Abb. 8. Bettelorden in der Mark Brandenburg im späten Mittelalter. Skizze von Hans-Joachim Schmidt; Zeichnung Karsten Bremer Abb. 9. Älteste Abbildung der Altstadt Brandenburg (Blick von St. Gotthardt) in der Handschrift des Zacharias Gartz (Garcaeus), Successiones familiarum et res gestae illustriss[im]orum praesidum Marchiae Brandenburgensis von 1582, S. 683-686. Staatsbibliothek zu Berlin, Haus 1 [Ost]: Ms. Boruss. quart. 510; früher Gräflich Stoibeigische Bibliothek zu Wernigerode: Zh 31 Abb. 10. Gotische Backsteinmauer in der Neustadter Büttelstraße. Foto (1992) Dieter Möller, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege (künftig BLD) Abb. 11. Altstädter Rathaus mit dem Eckgebäude Parduin 11. Foto (1992) Dieter Möller, BLD Abb. 12. Haus Altstädter Fischerstraße 11/12 (Dachgebinde und Reste der Ständerkonstruktion an der Hoffassade weisen auf eine Entstehung im 16. Jahrhundert hin). Foto (1992) Dieter Möller, BLD

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 13· Domkloster Brandenburg, Nordflügel mit den aufgedeckten und probeweise ergänzten Fensterformen des 13. und 14. Jahrhunderts. Foto (1992) Dieter Möller, BLD Abb. 14. Domkloster Brandenburg, Westgiebel des heutigen Predigerseminars, der ehemaligen Seniorenkurie, mit freigelegten Bauteilen des 13. Jahrhunderts. Foto (1991) Dieter Möller, BLD Abb. 15. Neustädter Katharinenkirche, Innenraum nach der Restaurierung der Gewölbe mit dekorativer Be'malung aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts. Foto (1991) Dieter Möller, BLD Abb. 16. Neustädter Katharinenkirche, Gewölbe im Chorbereich nach der Restaurierung mit dekorativer und figürlicher Bemalung aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts. Foto (1991) Dieter Möller, BLD Abb. 17. Ruine der Altstädter Johanniskirche mit Notdach, Blick von Westen mit Stützgerüsten zur Stabilisierung der sich neigenden Langhauswände. Foto (1992) Dieter Möller, BLD Abb. 18. Neustädter Rathaus (südöstliche Traufseite) und Hauptstraße. Foto (1927) Stadtarchiv Brandenburg Abb. 19. Neustädter Rathaus, nordöstliche Giebelfassade und Erdgeschoßgrundriß, aus: Die Kunstdenkmäler... (wie Abb. 3), S. 155 Abb. 93 und S. 158 f. Abb. 94 f Abb. 20. Altstädter Rathaus von Westen, Foto (1910) Stadtarchiv Brandenburg.. Abb. 21. Altstädter Rathaus, Nordostfassade. Foto (19Ю) Stadtarchiv Brandenburg Abb. 22. Altstädter Rathaus, Erdgeschoßgrundriß, aus: Die Kunstdenkmäler... (wie Abb. 3), S. 169 Abb. 99, und Querschnitt, aus: Otto Stiehl, Die Rathäuser und der Markt der Altstadt Brandenburg, in: Denkmalpflege und Heimatschutz 31 (1929), Nr. 7, S. 66 Abb. 2 Abb. 23. Erdgeschoßgrundrisse der Rathäuser von Dortmund, Braunschweig/ Neustadt und Magdeburg, aus: Horst Appuhn/Eberhard G. Neumann, Das alte Rathaus zu Dortmund, Dortmund 1968, S. 22; Fritz von Osterhausen, Die Baugeschichte des Neustadtrathauses in Braunschweig, Braunschweig 1973, Zeichnung 16; Ernst Nickel, Ein mittelalterlicher Hallenbau am Alten Markt in Magdeburg (= Ergebnisse der archäologischen Stadtkernforschung in Magdeburg, hrsg. von Wilhelm Unverzagt, Τ. 1; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 8), Berlin I960, S. 44 Abb. 19 b Abb. 24. Rekonstruktion des Rathauses von Dortmund, Ansicht von Nordwesten nach E. G. Neumann, aus: H. Appuhn/E. G. Neumann, Das alte Rathaus. .. (wie Abb. 23), S. 40 Abb. 25. Dom von Süden. Foto Dieter Möller, BLD Abb. 26. Dom, Langhaus nach Osten. Foto Dieter Möller, BLD Abb. 27. Dom, Kapitell in der Krypta. Foto Renate Worel, BLD Abb. 28. Nikolaikirche, Chor und Apsis. Foto Dieter Möller, BLD Abb. 29. Paulikloster, Dormitoriumsflügel und Chorpolygon der Kirche. Foto Renate Worel, BLD Abb. 30. Katharinenkirche, Langhaus nach Westen. Foto Renate Worel, BLD

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Abbildungsverzeichnis Abb. 31. Katharinenkirche, Schöppenkapelle an der Nordseite. Foto Deutsche Fotothek Dresden Abb. 32. Katharinenkirche, Bemalung des Giebels zwischen Langhaus und Chor unter dem Dach. Foto Ernst Badstübner Abb. 33· Gotthardtkirche, Chor von Osten. Foto Ernst Badstübner Abb. 34. Gotthardtkirche, Langhaus nach Osten. Foto Ernst Badstübner Abb. 35. Die während der Restaurierung zwischen 1834 und 1836 errichtete Große Freitreppe zur Verbindung des Hohen Chors mit dem Kirchenschiff Abb. 36. Innenansicht des Brandenburger Domes. Zeichnung des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV., wohl aus dem Jahre 1834; Berlin, Staatliche Museen, Sammlung der Zeichnungen Abb. 37. Friedrich Wilhelm (IV.), Grundrißzeichnung des Domes zu Brandenburg mit angrenzenden Klausurgebäuden Abb. 38. Zustand der Chormittelfenster nach 1851; neben dem Zentralfenster in den beiden flankierenden Fenstern Darstellungen der Wappen des preußischen und baierischen Königshauses sowie von dem preußischen Königreich befreundeten Adelsfamilien Abb. 39· Der Brandenburger Dom vor der Restaurierung in den Jahren 1834 bis 1836 Abb. 40. Der Brandenburger Dom nach der Restaurierung Abb. 41. Die Fenster des Hohen Chores mit den Wappenfenstern Abb. 42. Entwurf von Paul Thol für die Nachkriegsverglasung der Fenster des Hohen Chores im Brandenburger Dom Abb. 43. Entwurf von Paul Thol für die Nachkriegsverglasung der Fenster des Hohen Chores im Brandenburger Dom Abb. 44. Die blau-weiße Mosaikverglasung der Fenster im Hohen Chor Abb. 45. Heinrich Hintze, Inneres des Domes zu Brandenburg, 1836/37. Stiftung Staatliche Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci Abb. 46. Ausgeführter Entwurf von Paul Thol für die Nachkriegsverglasung zweier Fenster des Hohen Chores im Brandenburger Dom Abb. 47. Realisierte Fensterverglasung im Brandenburger Dom nach dem Entwurf von Paul Thol

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AUTORENVERZEICHNIS Prof. Dr. Helmut Assing, Universität Potsdam. Doz. Dr. Ernst Badstübner, Burghauptmann, Direktor der WartburgStiftung, Eisenach. Prof. Dr. Friedrich Ebel, Freie Universität Berlin. Prof. Dr. Wolfgang H. Fritze f. Prof. Dr. Gerd Heinrich, Freie Universität Berlin. Dipl.-Arch. Günther Köpping, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, Berlin. Prof. Dr. Dietrich Kurze, Freie Universität Berlin. Prof. Dr. Günter Mangelsdorf, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Dipl.-Ing. Elmar Nolte, Architekt und Bauhistoriker, Kassel. Prof. Dr. Winfried Schich, Humboldt-Universität zu Berlin. Prof. Dr. Gerhard Schlimpertf. Dr. Hans-Joachim Schmidt, Justus-Liebig-Universität Gießen. Prof. Dr. Knut Schulz, Freie Universität Berlin. Priv.-Doz. Dr. Jürgen Udolph, Georg-August-Universität Göttingen. Dr. Gerd-Η. Zuchold, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin.

H I S T O R I S C H E KOMMISSION ZU BERLIN

Vorstand

W O L F R A M F I S C H E R (Vorsitzender) PETER BAUMGART/OTTO BÜSCH HELMUT ENGEL/GERD HEINRICH WOLFGANG HOFMANN/STEFI JERSCH-WENZEL PETER LÖSCHE/ILJA MIECK H O R S T MÖLLER/WOLFGANG RIBBE HENRYK SKRZYPCZAK/PETER STEINBACH WILHELM TREUE t/WERNER VOGEL KLAUS Z E R N A C K

Kirchweg 33 („Mittelhof)· Ю00 Berlin 38 (Nikolassee).

Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert Persönlichkeiten und Institutionen Herausgegeben von Reimer Hansen und Wolfgang Ribbe Groß-Oktav. XII, 870 Seiten. 1992. Ganzleinen. ISBN 3 11 012841 1 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 82) Sammelwerk, das aus einer Ringvorlesung am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin im WS 1987/88 hervorgegangen ist. Das Werk behandelt neben dem Allgemeinen die Institutionen und die Disziplinen der Geschichtswissenschaft in Berlin in zeitlicher, regionaler und thematischer Differenzierung. Aus dem Inhalt: Zwei einführende Beiträge von R. Hansen und W. Ribbe, Urund Frühgeschichtsforschung (H. Grünert), Alte Geschichte (A. Demandt), Mittelalterforschung (K. Elm), Neuere Geschichte (D. Hertz-Eichenrode), Brandenburgische Landesgeschichte (G. Heinrich), Historische Hilfswissenschaften (E. Henning), Kirchengeschichte (K.V. Selge), Rechts- und Verfassungsgeschichte (F. Ebel), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (W. Fischer), Wissenschaft des Judentums (M. Awerbuch), Osteuropäische Geschichte (K. Meyer), Deutschland und der Osten (K. Zernack), Geschichte Nordamerikas (W. R Adams), Geschichte Lateinamerikas (R. Liehr), Bibliographie und Register.

Schule und Absolutismus in Preußen

Akten zum preußischen Elementarschulwesen bis 1806 Bearbeitet und herausgegeben von Wolfgang Neugebauer Groß-Oktav. VII, 814 Seiten. 1992. Ganzleinen. ISBN 3 11 012304 5 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 83) Kommentierte Edition mit längerer Einleitung und Bibliographie. Der Band präsentiert Quellen zum niederen Bildungswesen preußischer Provinzen, besonders aber aus der Mark Brandenburg für die Zeit vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis 1806, die in das Verhältnis von frühmodernem Staat und niederem Bildungswesen Einblick gewähren. Ziel dieser ganz überwiegend aus archivalischem, unpubliziertem Material schöpfenden Dokumentation ist es, Einblick in die Schulwirklichkeit eines „absolutistischen" Staates zu ge' währen, soweit es um die Masse der Bevölkerung ging.

Walter de Gruyter

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