Tiere in der Literatur: Eine komparatistische Untersuchung der Funktion von Tierfiguren bei Franz Kafka und Pu Songling [Reprint 2013 ed.] 9783110938975, 9783484320826

The ethnological and anthropological significance of animals is common to all cultures and periods. Given this fact, the

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Tiere in der Literatur: Eine komparatistische Untersuchung der Funktion von Tierfiguren bei Franz Kafka und Pu Songling [Reprint 2013 ed.]
 9783110938975, 9783484320826

Table of contents :
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
KAPITEL 1: Grundzüge der Tiergestalten: Mittel zur Charakterisierung menschlicher Eigenschaften und innerpsychischer Situationen
1.1 Tiergestalten bei Pu Songling: Mittel zur Charakterisierung der menschlichen Eigenschaften
1.1.1 Ying Ning, ein lachendes Mädchen
1.1.2 Bai Qiulian
1.1.3 Der Scherz der Füchsin
1.1.4 Zwischenbemerkung: zwei Erscheinungsweisen der Tierfiguren und ihre Funktionen
1.1.5 Das Mädchen mit einem grünen Kleid
1.1.6 Hua Guzi
1.1.7 Zwischenbilanz
1.2 Tiergestalten bei Kafka: Mittel zur Charakterisierung des Selbst und der innerpsychischen Situationen
1.2.1 Das Tierbild des Klienten in Der Prozeß
1.2.2 Das »Vieh« - Der Pferdeknecht in Ein Landarzt
1.2.3 Das Tierbild in Der Prozeß
1.2.4 Das Tierbild in Das Schloß
1.2.5 Tierbilder in In der Strafkolonie
1.2.6 Tiergestalten in einigen Fragmenten
1.2.7 Das Tierbild in Ein altes Blatt
1.2.8 Zwischenbilanz
1.3 Eine vergleichende Zusammenfassung
1.3.1 Tierbilder exponieren unterschiedliche Menschenbilder
1.3.2 Geschichtliche Hintergründe zu Pu Songlings Zeit
1.3.3 Geschichtliche Hintergründe zu Kafkas Zeit
1.3.4 Soziologisch-politische Merkmale der Tiergestalten - Tiergestalten als Reflex sozialer Probleme
1.3.5 Künstlerische Merkmale der Tierfiguren
1.3.6 Annäherungspunkt - Vermischung von Tier und Mensch
KAPITEL 2: Groteske Verbindung von Realitätsebenen
2.1 Traum-Illusionen und Realität bei Pu Songling
2.1.1. Der Traum der Füchse
2.1.2 Prinzessin Lotos
2.2 Traum-Illusionen und Realität bei Franz Kafka
2.2.1 Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande
2.2.2 Die Verwandlung
2.2.3 Der Geier
2.3 Zwischenbilanz: Vergleich zwischen Pu Songlingschen und Kafkaschen Tierfiguren
2.4 Die gemischten Figuren von Tierischem und Menschlichem bei Pu Songling
2.4.1 Herr Fux
2.4.2 Die Krähen
2.4.3 Xiang Gao
2.4.4 Zwischenbilanz
2.5 Die gemischten Figuren bei Kafka
2.5.1 Einige Fragmente
2.5.2 Ein Hungerkünstler
2.5.3 Zwischenbilanz
2.6 Vergleichendes Resümee
2.7 Zwischen Diesseits und Jenseits bei Pu Songling
2.7.1 Die Seelenwanderung
2.7.2 Der Lohn der guten Tat
2.7.3 Der langsame Tod
2.7.4 Zwischenbilanz
2.8 Zwischen Diesseits und Jenseits bei Kafka
2.8.1 Schakale und Araber
2.8.2 Der Jäger Gracchus
2.8.3 Eine Kreuzung
2.8.4 Zwischenbilanz
2.9 Zusammenfassung des Grotesken: Genieästhetik und Theorie über »Leere« und »Fülle«
KAPITEL 3: Metamorphosen
3.1 Vermenschlichung der Tiere bei Pu Songling
3.1.1 Das Fuchsmädchen
3.2 Vermenschlichung der Tiere bei Kafka
3.2.1 Ein Bericht für eine Akademie
3.2.2 Der neue Advokat
3.3 Geschichtliche Hintergründe der Vermenschlichung der Tiere
3.4 Die Verwandlung des Menschen ins Tier
3.4.1 Kafka: Die Verwandlung
3.4.2 Pu Songling: Die Kampfgrille
3.5 Geschichtliche Hintergründe der Verwandlung
3.5.1 Kafkas Verwandlung vor dem abendländischen Hintergrund
3.5.2 Pu Songlings Kampfgrille vor dem chinesischen Hintergrund
3.6 Ein Vergleich der beiden Texte
KAPITEL 4: Tierparabeln
4.0 Vorbemerkung
4.1 Die Tierparabeln bei Pu Songling
4.1.1 Die Treue einer Maus
4.1.2 Ein treuer Hund
4.1.3 Die Treue eines Hundes
4.1.4 Schlangenzüchter
4.1.5 Der Tiger von Chao-Cheng
4.1.6 Zwischenbemerkung: Bild- und Sachebene
4.1.7. Exkurs: Erzählerkommentar und Epilog bei Pu Songling
4.1.8 Der Weinwurm
4.1.9 Die Sucht nach Schlangen
4.1.10 Die Sucht nach Tauben
4.1.11 Individuelle Vorlieben in den Tierparabeln
4.2 Die Tierparabeln bei Kafka
4.2.1 Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse
4.2.2 Forschungen eines Hundes
4.2.3 Der Bau
4.3 Vergleichende Zusammenfassung
4.4 Exkurs: Tierfabel
KAPITEL 5: Tiervergleich
5.0 Vorbemerkung
5.1 Tiervergleiche bei Pu Songling
5.1.1 Beschreibung von Lauten
5.1.2 Beschreibung von unerwartetem Auftauchen
5.1.3 Beschreibung von Eigenschaften und Zuständen
5.1.4 Kennzeichnung von Handlungen
5.1.5 Resümee
5.2 Die Tiervergleiche bei Kafka
5.2.1 Beschreibung von Aussehen und Haltung
5.2.2 Beschreibung von Charaktereigenschaften
5.2.3 Versteckte Bewertung in den Tiervergleichen
5.2.4 Resümee
5.3 Vergleichende Zusammenfassung
KAPITEL 6: Mögliche Einflüsse der Pu Songlingschen Tierfiguren auf Kafkas Tierdarstellung
6.1 Kafkas Zugang zu Pu Songlings Tiergeschichten
6.2 Ähnliche und parallele Textstellen
6.3 Chronologische Entwicklung in Kafkas Tierdarstellungen
6.4 Keine chronologische Entwicklung in Pu Songlings Tierdarstellungen
6.5 Resümee
KAPITEL 7: Literarhistorische Einbettung der Tiergeschichten von Pu Songling und Kafka
Schlußwort
Anhang
Literaturverzeichnis

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Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 82

Jianming Zhou

Tiere in der Literatur Eine komparatistische Untersuchung der Funktion von Tierfiguren bei Franz Kafka und Pu Songling

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1996

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Förderer und Freunde der Freien Universität Berlin e.V.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zhou, Jianming: Tiere in der Literatur : eine komparatistische Untersuchung der Funktion von Tierfiguren bei Franz Kafka und Pu Songling / Jianming Zhou. - Tübingen : Niemeyer, 1996 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte ; Bd. 82) NE: GT D 188 ISBN 3-484-32082-6

ISSN 0083-4564

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nädele, Nehren

Vorwort

1986 leitete Herr Professor Eberhard Lämmert eine Delegation von deutschen Professoren zu einem Treffen chinesischer und deutscher Germanisten in Peking. In meinem Vortrag über die Kafka-Rezeption in China sah er ein lohnendes Forschungsvorhaben. So verhalf er mir freundlicherweise zu einem Studienaufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Herr Professor Lämmert begleitete die vorliegende Arbeit stets mit liebenswürdiger Ermutigung sowie informativen Hinweisen, strenger Prüfung, sorgfältiger Korrektur und achtungsvoller Rücksicht auf den chinesischen kulturellen Hintergrund. Dank seiner Hilfe und Anleitung habe ich nicht nur die vorliegende Arbeit anfertigen, sondern darüber hinaus auch Kenntnisse in verschiedenen anderen Bereichen, so etwa zur Kulturgeschichte Europas, der europäischen Erzählkunst und Literaturtheorie erwerben und vertiefen können. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Wolfgang Kubin, der für den sinologischen Teil der Arbeit hilfreiche und informative Hinweise geliefert hat. Für verschiedene Hinweise und Anregungen möchte ich mich ferner bedanken bei Herrn Professor Albrecht Schöne, Herrn Professor Hartmut Binder, Herrn Professor Jost Schillemeit, Herrn Professor Gerhard Kurz, Herrn Professor Karl-Heinz Fingerhut, Herrn Professor Gerhard Bauer und Herrn Professor Hartmut Eggert. Schließlich danke ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für die großzügige Unterstützung.

V

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

XI

Einleitung

1

KAPITEL 1

Grundzüge der Tiergestalten: Mittel zur Charakterisierung menschlicher Eigenschaften und innerpsychischer Situationen 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.6 1.1.7 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.2.8

19

Tiergestalten bei Pu Songling: Mittel zur Charakterisierung der menschlichen Eigenschaften Ying Ning, ein lachendes Mädchen Bai Qiulian Der Scherz der Füchsin Zwischenbemerkung: zwei Erscheinungsweisen der Tierfiguren und ihre Funktionen Das Mädchen mit einem grünen Kleid HuaGuzi Zwischenbilanz

23 23 24 25

Tiergestalten bei Kafka: Mittel zur Charakterisierung des Selbst und der innerpsychischen Situationen Das Tierbild des Klienten in Der Prozeß Das »Vieh« - Der Pferdeknecht in Ein Landarzt Das Tierbild in Der Prozeß Das Tierbild in Das Schloß Tierbilder in In der Strafkolonie Tiergestalten in einigen Fragmenten Das Tierbild in Ein altes Blatt Zwischenbilanz

30 30 31 32 32 33 35 37 38

1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4

Eine vergleichende Zusammenfassung Tierbilder exponieren unterschiedliche Menschenbilder Geschichtliche Hintergründe zu Pu Songlings Zeit Geschichtliche Hintergründe zu Kafkas Zeit Soziologisch-politische Merkmale der Tiergestalten Tiergestalten als Reflex sozialer Probleme 1.3.5 Künstlerische Merkmale der Tierfiguren 1.3.6 Annäherungspunkt - Vermischung von Tier und Mensch

19 19 20 22

39 39 40 45 46 47 49

vn

KAPITEL 2

Groteske Verbindung von Realitätsebenen

50

2.1 Traum-Dlusionen und Realität bei Pu Songling 2.1.1. Der Traum der Füchse 2.1.2 Prinzessin Lotos

53 53 55

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

Traum-Illusionen und Realität bei Franz Kafka Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande Die Verwandlung Der Geier

59 59 60 62

2.3

Zwischenbilanz: Vergleich zwischen Pu Songlingschen und Kafkaschen Tierfiguren

63

2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4

Die gemischten Figuren von Tierischem und Menschlichem bei Pu Songling 64 Herr Fux 64 Die Krähen 66 XiangGao 67 Zwischenbilanz 68

2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3

Die gemischten Figuren bei Kafka Einige Fragmente Ein Hungerkünstler Zwischenbilanz

72 72 73 75

2.6

Vergleichendes Resümee

78

2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4

Zwischen Diesseits und Jenseits bei Pu Songling Die Seelenwanderung Der Lohn der guten Tat Der langsame Tod Zwischenbilanz

80 80 81 82 82

2.8 2.8.1 2.8.2 2.8.3 2.8.4

Zwischen Diesseits und Jenseits bei Kafka Schakale und Araber Der Jäger Gracchus Eine Kreuzung Zwischenbilanz

85 86 88 90 91

2.9

Zusammenfassung des Grotesken: Genieästhetik und Theorie über »Leere« und »Fülle«

94

KAPITEL 3

Metamorphosen

101

3.1 Vermenschlichung der Tiere bei Pu Songling 3.1.1 Das Fuchsmädchen

101 101

3.2 Vermenschlichung der Tiere bei Kafka 3.2.1 Ein Bericht für eine Akademie 3.2.2 Der neue Advokat

104 104 109

3.3

Geschichtliche Hintergründe der Vermenschlichung der Tiere

vm

112

3.4 Die Verwandlung des Menschen ins Tier 3.4.1 Kafka: Die Verwandlung 3.4.2 Pu Songling: Die Kampf grille

114 114 117

3.5 Geschichtliche Hintergründe der Verwandlung 3.5.1 Kafkas Verwandlung vor dem abendländischen Hintergrund 3.5.2 Pu Songlings Kampfgrille vor dem chinesischen Hintergrund

119

120

3.6

126

119

Ein Vergleich der beiden Texte

KAPITEL 4

Tierparabeln

136

4.0

Vorbemerkung

136

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7. 4.1.8 4.1.9 4.1.10 4.1.11 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Die Tierparabeln bei Pu Songling Die Treue einer Maus Ein treuer Hund Die Treue eines Hundes Schlangenzüchter Der Tiger von Chao-Cheng Zwischenbemerkung: Bild- und Sachebene Exkurs: Erzählerkommentar und Epilog bei Pu Songling Der Weinwurm Die Sucht nach Schlangen Die Sucht nach Tauben Individuelle Vorlieben in den Tierparabeln Die Tierparabeln bei Kafka Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse Forschungen eines Hundes Der Bau

138 138 139 140 141 143 144 145 148 149 149 150 154 154 158 162

4.3

Vergleichende Zusammenfassung

166

4.4

Exkurs: Tierfabel

169

KAPITEL 5

Tiervergleich

173

5.0

Vorbemerkung

173

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2 5.2.1 5.2.2

Tiervergleiche bei Pu Songling Beschreibung von Lauten Beschreibung von unerwartetem Auftauchen Beschreibung von Eigenschaften und Zuständen Kennzeichnung von Handlungen Resümee Die Tiervergleiche bei Kafka Beschreibung von Aussehen und Haltung Beschreibung von Charaktereigenschaften

173 173 175 175 177 179 179 179 180 IX

5.2.3 Versteckte Bewertung in den Tiervergleichen 5.2.4 Resümee

183 185

5.3

186

Vergleichende Zusammenfassung

KAPITEL 6

Mögliche Einflüsse der Pu Songlingschen Tierfiguren auf Kafkas Tierdarstellung 191 6.1

Kafkas Zugang zu Pu Songlings Tiergeschichten

191

6.2

Ähnliche und parallele Textstellen

194

6.3

Chronologische Entwicklung in Kafkas Tierdarstellungen... 205

6.4

Keine chronologische Entwicklung in Pu Songlings Tierdarstellungen

209

Resümee

212

6.5

KAPITEL 7

Literarhistorische Einbettung der Tiergeschichten von Pu Songling und Kafka 213 Schlußwort

251

Anhang

253

Literaturverzeichnis

264

X

Abkürzungsverzeichnis

Pu Songlings Werke werden mit folgenden Sigeln abgekürzt: LZZY.O.

Pu Songling, Liaozhai zhiyi, hrsg. v. Youhe Zhang, Shanghai 1963. Hierbei handelt es sich um die Originaltexte. Die zitierten Textstellen sind vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. LZZY.Gr. Irmgard und Reinhold Grimm (Übersetzer): Pu Songling, Höllenrichter Lu, chinesische Gespenster- und Fuchsgeschichten. Kassel 1956. LZZY.M. Martin Buber (Übersetzer): Chinesische Geister- und Liebesgeschichten. Frankfurt a. M. 1916. 3. und 4. Auflage. LZZY.S. Erich Schmitt (Übersetzer und Herausgeber): Pu Songling, seltsame Geschichten aus dem Liao Zhai. Berlin 1924. LZZY.B. Adrian Baar (Herausgeber und Übersetzer): Chinesische Gespenstergeschichten. Frankfurt a. M. 1975. R. Richard Wilhelm (Übersetzer): Chinesische Volksmärchen. Jena 1914.

Franz Kafkas Werke werden mit folgenden Sigeln abgekürzt: Br.

Hz.

A. P. S. E. T. Bf. Bfm.

Beschreibung eines Kampfes, Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß. New York/ Frankfurt a. M. 1954. (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß. New York/ Frankfurt a. M. (7.-9. Tausend 1966) (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Amerika, Roman. New York/Frankfurt a. M. 1953. (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Der Prozeß, Roman. New York/Frankfurt a. M. (32.-37. Tausend 1965) (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Das Schloß, Roman. New York/Frankfurt a. M. 1951. (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Erzählungen. New York/Frankfurt a. M. (17.-23. Tausend 1967) (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Tagebücher 1910-1923, New York/Frankfurt a. M. (6.-10. Tausend 1954) (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Briefe. New York/Frankfurt a. M. 1958 (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod). Briefe an Milena. New York/Frankfurt a. M. (10.-14. Tausend 1965) (Gesammelte Werke, hrsg. v. M. Brod).

XI

Einleitung

Nun ist der Mensch (...) die letzte Kreatur, und nach allen beschaffen. (...) Dermaßen nun forthin so ist er auch in seiner viehischen Vernunft also auch beschaffen, daß er ein Kind ist aller Thieren, und alle Thier seindt sein Vater, und ist nur ein Vater. (...) Und aller Tier Weisheit, Klugheit, Listigkeit, Fiirsichtigkeit, Vernunft, Verstand ist alles im Menschen zusammen geknüpft, und in Ein Menschen gebracht, alles in Ein Haut, das sonst in dem Viehe ausgeteilet liegt. (...) Und also ist der Mensch das höchst Tier, und das größt Tier, und übertrifft alle Tiere. THEOPHRASTUS VON HOHENHEIM1

Märchen sind als eine Grundform erzählender Dichtung »Schöpfungen der Phantasie«.2 Die Phantasie kennt zwar keine Zwänge, »aber die Bilder und Geschehensfolgen, die sie erschaut und komponiert, steigen aus dem inneren Leben des Menschen auf und entsprechen ihm.«3 Da die inneren Erfahrungen, Erlebnisse und Entwicklungen aller Völker in elementaren Lebensumständen ähnlich sind, ähneln sich auch die Märchen aller Völker. So ist es kein Wunder, daß auch bei Völkern verschiedener Kulturen »nicht nur die einzelnen Bilder, sondern auch ganze Bilderfolgen, komplizierte Motivketten« nahezu übereinstimmen.4 Das läßt sich an dem chinesischen Märchen Der neunköpfige Vogel und dem deutschen Märchen Die zwei Brüder zeigen.5 Thematisch geht es in beiden Märchen um das Bezwingen des Bösen durch das Gute. Die Helden, »der Jüngling« und »der Sohn des Besenbinders«, sind Verkörperungen des Guten. An ihnen erkennt man Tapferkeit, Redlichkeit und Güte. Als Gegenspieler stehen der neunköpfige Vogel und der Betrüger in Der neunköpfige Vogel sowie der Marschall und der Drache in Die 1

Erwin Jaeckle (Hrsg.): Theophrastus, seine Weltschau in Worten des Werkes. Zürich 1942, S.200.

2

M a x Liithi: Volksmärchen und Volkssage, zwei G r u n d f o r m e n erzählender Dichtung. 3. A u f l . Bern und M ü n c h e n 1975, S.12.

3

Ebd., S 1 2 .

4

Ebd., S.12.

5

Siehe das M ä r c h e n Der neunköpfige

Vogel im A n h a n g .

1

zwei Brüder. Sie finden alle ihre verdiente Strafe. Der Vogel und der Drache werden getötet, und die Betrüger werden durchschaut und bestraft. Das Gute siegt letztendlich über das Böse. Durch diese thematische Übereinstimmung werden auch künstlerische Analogien ersichtlich. Man erkennt, daß sich im Märchen zwei Pole gegenüberstehen. Das Gute, verkörpert durch die Helden, wird ins Absolute gehoben, und das Böse, vertreten durch den Marschall und den Betrüger, wird ins Extreme gesteigert. Im Laufe der Erzählung wird der Gegensatz zwischen Gutem und Bösem verschärft. Eine Figur mit gemischtem Charakter gibt es in der Märchenwelt nicht. Die Helden der Märchen sind stark auf ihr Handeln bedachte Figuren. Sie vollbringen eine Tat nach der anderen, ohne zu überlegen und an Zukünftiges zu denken. Eben durch ihre Taten wird das Gute entfaltet. Das gilt auch für den Gegenspieler: Das Böse ist gekennzeichnet durch entsprechende Taten. In beiden Märchen steht der Held als Einzelgänger immer im Vordergrund. Ihm wird vom Erzähler die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Er agiert in allen Episoden und verbindet so die Episoden miteinander. Dies hat zur Folge, daß die Entwicklung des Märchens linear aufgebaut ist. Indem der Held die Taten nacheinander vollendet, geht die Geschichte voran. Die Tat ist also das Hauptmittel zur Charakterisierung der Figuren und zugleich Träger der Handlung. Max Lüthi hat recht, wenn er bemerkt, daß die Märchenhandlung beides ist: sowohl »eigenen Rechts (als auch) Transponierung der durch die Figuren repräsentierten Werte in sichtbares Geschehen«. Auch »die Figuren sind beides, Bilder und Statthalter von Werten und Unterwerten oder Gegenwerten, von Haltungen, Daseinsformen und Träger der Handlung.«6 Von diesen Prinzipien des Märchens ist abzuleiten, daß die Eigentümlichkeiten des Helden sich in den einzelnen Episoden wohl entfalten, aber nicht entwickeln. Indem der Held es unterläßt zu zögern, zu überlegen oder sich zu erinnern, nimmt man an ihm nur das wahr, was Bezug zum gegenwärtigen Geschehen hat. Weder an dem »Jüngling« noch an dem »Sohn des Besenbinders« erkennt man Änderungen ihres Charakters und ihrer innerpsychischen Situationen. Man sieht die beiden Helden ausschließlich in ihrem Handeln in der jeweiligen 6

Max Lüthi: Das Volksmärchen als Dichtung, Ästhetik und Anthropologie. Düsseldorf und Köln 1975, S.55.

2

Episode. M. Liithi führt hierzu aus: »Sie sind weder an ihre Umwelt noch an ihre Vergangenheit noch an irgendwelche Seelentiefen oder seelische Deformationen gebunden, sie sind von all diesem abgeschirmt, isoliert. Sie sind im Extremfall reine Handlungsträger.«7 Aus der obigen Skizzierung hat sich ergeben, daß zwischen literarischen Werken einer Gattung aus verschiedenen Kulturen und Zeiten doch gattungsspezifische und thematische Gemeinsamkeiten bestehen können. Darin liegt die Voraussetzung zu unserer komparatistischen Untersuchung der Werke Kafkas und Pu Songlings. Durch Herausarbeiten solcher kultur- und zeitübergreifenden Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten ist es möglich, von hier aus die autorspezifischen Charakteristika deutlicher zu fassen. Bemerkenswert ist die Wichtigkeit der Tierfiguren. Das Zauberhafte und Übernatürliche, das die Märchenwelt konstituiert, beruht auf den Tierfiguren. So erfüllt der »Jüngling« im chinesischen Märchen all seine Wünsche mit einer Kürbisflasche, die er vom Drachen geschenkt bekam; in dem anderen überwindet der Held alle Schwierigkeiten mit Hilfe der Tiere, die er gerettet hat. Die Tierfiguren verleihen den Märchenhelden übernatürliche Kräfte und ermöglichen ihnen, ihre »Wünsche« zu erfüllen. In diesem Sinne sind die Tierfiguren feste Bestandteile der Märchenwelt. Das berechtigt eine gründlichere Untersuchung der Tierfiguren in beiden Märchen. Dem Motiv der helfenden Tiere begegnet man im Märchen häufig. Um einige Beispiele zu nennen: Der Fisch rettet das Verlorene aus dem Wasser (KHM.17 und 126), die Ameise kriecht durch das Schlüsselloch, liest die Hirsekörner auf (KHM.17), der Fuchs verhilft dem jüngsten Königssohn, seine Wünsche zu erfüllen (KHM.326) usw. Lutz Röhrich stimmt der These von Sigmund Freud zwar nicht zu, das Motiv der hilfreichen Tiere sei ein »Familienroman« des Urzeitmenschen. 8 Aber er kann es nicht vermeiden, bei seiner Untersuchung dieses Motiv anhand von Naturvölkererzählungen auszulegen,9 eben weil einem Tiermotiv im Märchen geistes- und

kulturgeschichtliche

Elemente eines Volkes anhaften. In einem Tiermotiv im Märchen spiegelt sich der überlieferte Wirklichkeitsglaube des vormaligen 7

Ebd., S.55.

8

Lutz Röhrich: Märchen und Wirklichkeit, eine volkskundliche Untersuchung. Wiesbaden 1956, S.73.

9

Ebd., S.73.

3

ebenso wie die künstlerische Phantasie des gegenwärtigen Märchenerzählers, wie es gerade an der Figur des Drachen in der chinesischen Kultur leicht zu zeigen ist, der hier eine besonders wichtige Stellung einnimmt und deshalb auch von exemplarischer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist. Die Drachenfigur ist aufschlußreich für unser Verständnis der chinesischen Märchenerzählungen; sie erleichtert uns auch, die verschiedenen Bedeutungen der Drachenfigur im deutschen Märchen zu erkennen. Im folgenden werden wir die verschiedenen Bedeutungen der Drachenfigur in der chinesischen und deutschen Kultur kurz skizzieren. Der Drache wird in der chinesischen und europäischen Kultur unterschiedlich verstanden, sowohl was das Aussehen als auch was die symbolischen Bedeutungen anbelangt. Mit dieser Tierfigur werden u.a. die verschiedensten mythologischen und auch kosmologischen Vorstellungen in Verbindung gebracht. In China wird der Drache mit einem schlangenähnlichen Leib dargestellt, doch mit Füßen und Tatzen; seine Haut ist geschuppt, seine Hörner gleichen denen eines Hirsches, sein Ohr eher dem eines Rinds.10 Im Abendland hat der Drache eine andere Gestalt. So sieht ein Gemälde auf einem apulischen Volutenkrater aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. den Drachen als ein löwenähnliches Tier. Ein ähnliches Drachenbild sieht man auch auf einem Stück etruskischer Bronzeplastik aus dem 5. Jahrhundert v. Chr." Eine alte Freske in der Kapelle der Gild of Holy Cross in Stratfort-Upon-Avon stellt den Drachen als ein vierfüßiges Ungeheuer mit langem Hals und angelegten Flügeln dar.12

10

11 12

Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Köln 1983, S.62. In einer Beschreibung aus der Han-Zeit wird der Drache »Long« etwas anderes dargestellt: »It has horns like a stag, a (fore-) head like a camel, eyes like a demon, a neck like a snake, a belly like a sea monster (the shen), scales like a carp, claws like an eagle, pads like a tiger, and ears like an ox.« Schuyler Cammann: Types of symbols of Chinese art. In: The American Anthropologist, vol. 55, no. 5, part 2, 1953, S.207. Immerhin, ein Schlangenleib bildet die morphologische Grundgestalt des Drachen in der chinesischen Vorstellung. Vgl. Karl Sälzle: Tier und Mensch, Gottheit und Dämon. München 1965, S.277. Vgl. Friedrich Wild: Drachen im Beowulf und andere Drachen. Wien 1962, S.53.

4

Noch differenzierter als die Gestalt sind aber die symbolischen Bedeutungen dieses Tieres. In China dient der Drache vor allem als Machtlegitimation. Er ist Sinnbild für Herrschaft. Nach einer Volkssage verwandelt sich einer der Ahnen aus der ersten loyalen Dynastie Hsia in einen Drachen, nachdem er getötet worden ist. So taucht immer ein Drache auf, wenn ein Kaiserhaus verdrängt oder gestürzt wird. Seit der Han-Zeit (260 v. Chr. - 220 n. Chr.) ist der Drache Sinnbild des Kaisers bzw. Himmelssohnes. Huang Di (2698 - 2598 v. Chr.), der Beherrscher des Agens Erde und der Mitte, soll den Körper eines gelben Drachen gehabt haben.13 Der Kaiser Yao (2357 - 2258 v. Chr.) kam erst nach vierzehnmonatiger Schwangerschaft zur Welt. Als seine Mutter nach der Geburt wieder zu sich kam, sah sie immer einen Drachen ihr folgen.14 Der Kaiser Shun (2255 - 2205 ν. Chr.) soll auch eine drachenähnliche Erscheinung gehabt haben.15 Auf der religiösen Ebene ist der Drache glückbringendes Symbol. Eine taoistische Legende berichtet von einem König und einer Königin, die für lange Zeit kinderlos blieben. Sie ließen alle ihrer Taopriester unter Fasten und Beten Opfer darbringen, um das Erbarmen der Götter zu gewinnen. Schließlich wurde ihr Wunsch erfüllt: Eines Nachts träumte die Königin den zum Gott erhobenen Laozi, der in einem von Drachen gezogenen Wagen saß und ein Kind in den Armen hielt. Auf die Bitte der Königin gab er ihr das Kind. Ein Jahr später gebar die Königin tatsächlich einen Sohn.16 Diese Bedeutungen des chinesischen Drachen wurden auf große Männer übertragen. Fu Hsi und Tai Hao, zwei legendenhafte Kaiser, sollen ihren Beamten Drachennamen gegeben haben.17 Konfuzius be-

13

14 15 16 17

Vgl. Werner Eichhorn: Die Religionen Chinas. Stuttgart 1973, S.104 und auch E.T.C. Werner: Dictionary of Chinese Mythology. New York 1961, S.289. E.T.C. Werner, S.289. Ebd. Karl Sälzle, a.a.O., S.268. Vgl. Wolfram Eberhard: Typen chinesischer Volksmärchen. Helsinki 1937, S.226f; ders.: Volksmärchen aus Südostchina. Helsinki 1941, S. 196-199.

5

zeichnete Laozi als Drachen.18 Die Geburt von Konfuzius selbst wurde durch das Erscheinen von zwei Drachen angekündigt.19 Im Zusammenhang mit diesen symbolischen Bedeutungen des Drachen stehen die Drachenklauen an zeremoniellen Kleidern der Oberklasse. Es handelt sich hierbei um Gewänder mit Drachen als Hauptmotiv. Die Stellung des Trägers erkennt man an der Zahl der Klauen. »Longpao« (Drachengewand) bedeutet zugleich »hohe Stellung«. Nach kosmologischer Vorstellung unterscheidet man unter den Drachen vier Kategorien: »Tianlong« (Himmelsdrachen), der die regenerierende Kraft des Himmels symbolisiert; »Shenlong« (Geisterdrachen), der für den Regen verantwortlich ist; »Dilong« (Erddrachen), Herrscher über Quellen und Flußläufe und »Fuchanglong« (Schatzhüter), der dafür verantwortlich ist, Schätze zu hüten. Daraus entwickelte sich die Vorstellung von »Meeresdrachen«, der in der Volkstradition eine große Rolle spielt. »Hailongwang« (der Meeresdrachenkönig) soll einen prächtigen Palast besitzen, wo sich verschiedenste und kostbarste Schätze in Hülle und Fülle befinden. Wer unter dem Meer den Meeresdrachenkönig besucht, wird vom Glück verwöhnt. Er erlangt Reichtum oder eine Königstochter zur Frau. Unserem Drachen in Der neunköpfige Vogel haften eindeutig Bezüge zum Meeresdrachenkönig an. Kurzum, der Drachenkult in China ist mit Macht, Reichtum, Glück und Gnade verbunden. Der Drache nützt dem Volk, bringt ihm als seinem Schützling Glück und Reichtum. Das Volk hingegen bringt ihm als seinem Ahnen und Herrscher Hochachtung und Verehrung entgegen. Diese Bedeutungen des Drachen prägen das Drachenbild in unserem oben besprochenen Märchen. Die treue und ergebene Haltung des »Jünglings« zum Drachen und die beglückende Fähigkeit des Drachen sind erklärlich, wenn man sich die durch die Tradition überlieferten Bedeutungen des Drachen vor Augen hält. Von diesen Bedeutungen des chinesischen Drachen liegen die des Drachen im Abendland weit entfernt. Im Abendland gilt der Drache

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Vgl. Tsen Hsienchi: A study of the nine dragon scroll. New York 1945, S.34., Anm. 70. Marinus Willem de Visser: The dragon in China and Japan. Amsterdam 1913, S.65.

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meistens als wildes Monster, als Sinnbild für das Böse oder den Teufel. Der Drache Python, der Apollon den Weg zum Orakel von Delphi versperrt hat und von ihm dann mit Pfeilen erlegt wird, ist ein böses Monster, welches auf der Erde den Menschen ebensoviel schadete wie ihren Schafen: das »war eine blutige Landplage.«20 Auch der Drache, der von Zeus in Stein verwandelt wird, ist ein Zeichen des Bösen. Er hat acht junge Vögel im Nest verschlungen, bevor er auch die Vogelmutter fangt, um sie zu fressen. Dies symbolisiert, daß der Krieg um Troja erst neun Jahre später zu Ende gehen würde.21 Der Drache in den Metamorphosen von Ovid, der von Cadmus getötet wird, ist auch ein böses Tier. Es verschlingt alle Gefährten von Cadmus, bevor es bezwungen wird.22 »Die in der romanischen Plastik und bei Buchinitialen verwendeten Drachenmotive versinnbildlichen immer die Niederlage des Bösen.«23 In den germanischen Überlieferungen begegnet man mehreren Drachenkämpfern. Der Gott Thor,24 Beowulf,25 Sigfrid und Sigurd26 gelten als bekannte Drachenbesieger. Im Mittelalter glaubte man in Europa, daß ein Schlangenwesen mit dem Kopf eines Hahnes mit seinem Atem den Menschen erblinden lassen könne.27 Es war üblich, zur Zeit der Sommersonnenwende große Feste mit Feuer zu veranstalten, um gewisse Drachen zu vertreiben, »die sich am Himmel paarten und mit ihrem herunterfallenden Samen Brunnen und Quellen verunreinigten.«28 20

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Jean Chevalier and A. Gheerbrant: Dictionnaire des symboles. 1974, Bd. 4, S.69. Auch Herbert Jennings Rose: Griechische Mythologie. München 1955, S. 132. Vgl. John Holland Rose: Griechische Mythologie. München 1955, S.230. Vgl. Ovid: Metamorphosen, das dritte Buch. Manfred Lurker (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. 2. Aufl. Stuttgart 1983, S. 139. Vgl. Eduard Neumann und Helmut Voigt: Germanische Mythologie. In: H.W. Haussig (Hrsg.): Wörterbuch der Mythologie. 2. Band, Stuttgart 1965, S.70. Vgl. Frank Wild: Drachen im Beowolf und andere Drachen. In: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Wien 1962, S.36. Vgl. Eckart Peterich: Götter und Helden der Germanen. Ölten und Freiburg 1955, S.93. Vgl. Jean Philippe Vogel: Indian serpent lore. London 1926, S. 16. Max Burkolter-Trachsel: Der Drache, das Symbol und der Mensch. Bern und Stuugart 1981, S.12. Vgl. J. Trachtenberg: Jewish magic and superstition. New York 1939, S.257.

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Der apokalyptische Drache in der Bibel ist von eschatologischer Bedeutung. Er versucht von Anfang an das Wirken des Messias zu verhindern. Letztendlich wird er in den Schwefel- und Feuersee geworfen. (0ffb.20.10) Im Christentum findet man eine Reihe von Heiligen, die Drachen bezwangen. Eine Liste von drachenbesiegenden Heiligen ist von M. Smith zusammengestellt,29 unter denen St. Georg besonders bekannt ist. Er wird meistens als reitender Kämpfer dargestellt, der mit einer Lanze einen Drachen ersticht.30 Die Bedeutungen der Drachenfigur in Die zwei Brüder sind dann ersichtlich, wenn man diese historisch überlieferten Bedeutungen des Drachen in der deutschen Kultur erkennt. Die obige Skizzierung legt nahe, die grundlegenden Differenzen zwischen dem chinesischen und abendländischen Drachenkult auf die Uranfänge der jeweiligen Kulturkreise zurückzuführen. Die Tierfiguren, die wir in den beiden Märchen zu sehen bekamen, sind mit den kulturellen Überlieferungen und Traditionen verbunden; sie reflektieren auf dem literarischen Gebiet ethnologisch-anthropologische Züge und geistesgeschichtliche Entwicklungen der jeweiligen Völker. Beim Tierkult wie dem Drachenkult kommt es also niemals auf ein Tier als solches an, sondern vielmehr auf Numen und numinose Weisheit, wie R. Otto bemerkt.31 So ist es angebracht, den Tierfiguren größte Aufmerksamkeit zu schenken, wenn man einer Märchenerzählung auf den Grund gehen will. Die Tierfiguren im Märchen verdienen auch deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil man an ihnen erzählerische Charakteristika erkennen kann. Wir nehmen hier wieder Die zwei Brüder und Der neunköpfige Vogel als Beispiele. Im Vergleich zu Die zwei Brüder sind ein schnellerer Erzählrhythmus und eine knappere Handlung in Der neunköpfige Vogel festzustellen. Die zwei Brüder setzt sich aus sieben Episoden zusammen: Entdecken des goldenen Vogels, Lehre beim Jäger im Wald, Freundschaft mit den Tieren, Kampf mit dem Drachen, Tod und Wiederbelebung auf dem Drachenberg, Beweis der Eigenschaft als echter Retter, 29 30

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Vgl. Malcolm Smith (Ed.): The dragon. London 1977, S.36. Ein Beleg dafür ist eine Festpredigt auf den Heiligen von Heribert von Saluern. Vgl. Sälze: Tier und Mensch, Gottheit und Dämon, S.282. Rudolf Otto: Gottheit und Gottheiten der Arier. Gießen 1932, S. 71. 8

Verzauberung und Wiederbelebung. Da jede Episode fast gleich ausführlich dargestellt ist, ergibt sich ein langsamerer Erzählrhythmus. Man erkennt gleichzeitig, daß der Märchenheld nicht immer im Vordergrund steht: In der 5. und 6. Episode sind die Tiere die Hauptakteure. Das macht die Verbindung der Episoden noch lockerer und die Entwicklung der Geschichte noch langsamer. Der neunköpfige Vogel hingegen ist auf vier Episoden konzentriert: Rettung der Königstochter, Rettung des Drachensohns, Bekanntschaft mit dem Meeresdrachen und Rückreise zum Königsreich. Der Held steht immer im Vordergrund des Erzählens, die Nebenfiguren wie der Drache, der Drachensohn und ein Esel werden nur als Beiwerk zur Handlung bzw. zur Hauptfigur karg geschildert oder beiläufig erwähnt. Manche Sachverhalte werden nur als Episodenübergänge angegeben. Dies alles bewirkt einen schnelleren Erzählrhythmus und eine knappere Handlung. Die Tierfiguren in einer literarischen Gattung sind also u.a. Reflexbilder erzählerischer Charakteristika. Darüber hinaus fungieren sie auch als milieumalendes Beiwerk zu Schauplätzen, Personen und Handlung, wie der goldene Vogel und der Hummer in Die zwei Brüder und der Esel in Der neunköpfige Vogel. In Tierfabel, Tierparabel, Tierepos usw. sind die Tierfiguren von vornherein unentbehrlicher Bestandteil. Selbst in anderen literarischen Gattungen haben die Tierfiguren häufig ein großes Gewicht. So stellte Hans Schumacher die These auf: Kaum ein Roman, eine Novelle, eine Erzählung kommt ohne Tiere aus, und Gedichte sowie Theaterszenen mit entsprechendem Vorwurf sind Legion; selbst wenn diese Stiefgeschwister des Menschen, seine Nachbarn, darin nur eine Nebenrolle spielen oder zum stimmungsschaffenden Zubehör gehören, sind sie doch unentbehrlich. 32

Vor dem Hintergrund dieser differenzierten Bedeutungen von literarischen Tierfiguren vergleicht die vorliegende Arbeit Tierdarstellungen bei Pu Songling und Franz Kafka, zwei Autoren aus verschiedenen Kulturen und Epochen. Die Wahl von Pu Songling und Franz Kafka ist freilich nicht unmotiviert. 32

Hans Schumacher: Die armen Stiefgeschwister des Menschen, das Tier in der deutschen Literatur. Zürich und München 1977, S.7.

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In der chinesischen Literaturgeschichte hat es zwei Strömungen von erzählender Dichtung gegeben, die erzählende Dichtung in Schriftsprache (wenyan) und die in gesprochener Sprache (baihua). Jede von ihnen hat eigene Konventionen, weist ihre eigenen Stilmerkmale und Darstellungsweisen auf. Da Pu Songlings Hauptwerk Liaozhai zhiyi, das hier zu untersuchen ist, gänzlich zur Erzähldichtung der Schriftsprache gehört, wollen wir nur diese Strömung von Erzählung skizzieren, ohne auf andere Strömungen weiter einzugehen.33 Die charakteristischen Merkmale von in Schriftsprache verfaßter chinesischer Dichtung sind nach Definitionen aus der Han-Zeit folgendermaßen zusammenzufassen: Die Materialien bestehen aus Legenden, Volkssagen, Anekdoten, Hörensagen, Geschichten unter den normalen Leuten, die nicht in die klassischen Standardwerke aufgenommen werden konnten;34 die Werke solcher erzählenden Dichtung 33

Allerdings handelt es sich hierbei nicht um das einzige Unterscheidungskriterium. In der Sinologie sind auch andere Kriterien geläufig. Kenneth J. Dewoskin sieht in der Litertur der sechs Dynastien zwei wichtige Momente: literarische Fiktion und Aufzeichnungen historischer Angelegenheiten. Vgl. Dewoskin: The Six Dynasties Chi-kuai and the Birth of Fiction. In: Andrew H. Plaks (Ed.): Chinese Narrative, Critical and Theoretical Essays. Princeton University Press 1977, S.21-52. Patrick Hanan unterscheidet zwischen »oral literature« und »written literature«. Vgl. Patrick Hanan: The Early Chinese Short Story: A Critical Theory in Outline. In: Cyril Birch (Ed.): Studies in Chinese Literary Genres. University of California Press 1974, S.301. Selbst zwischen der Erzählkunst in Schriftsprache und der in gesprochener Sprache gibt es bestimmte Relationen, wie Karl S.Y. Kao daraufhinweist. Vgl. Karl S.Y. Kao (Ed.): Classical Chinese Tales of the Supernatural and the Fantastic. Indiana University Press 1985, S.24. Jaroslay Prosek betont die Wichtigkeit der Folklore und Religionen, die die Erzählkunst in gesprochener Sprache und die in Schriftsprache verbinden. Vgl. Prusek: The Origins and the Authors of the hua-pen. Prague 1967, S. 10-17. Deswegen ist es legitimiert, bei der Untersuchung der Erzählkunst in Schriftsprache auch von der Forschungsliteratur zur Erzählkunst in gesprochener Sprache Gebrauch zu machen. C. T. Hsia und Andrew Plaks z.B. gehen in ihren Untersuchungen oft über die Unterscheidung zwischen der Erzählkunst in wenyan und der in baihua hinweg. Vgl. Plaks (Ed.): Chinese Narrative, Critical and Theoretical Essays, S. 319-320 und C. T. Hsia: Der klassische chinesische Roman. Frankfurt am Main 1989, S. 347.

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Sie wurden deswegen nicht in die Standardwerke aufgenommen, weil sie den Verfassern nicht vornehm genug waren. »The affinity for history notwithstanding, the chi-kuai (Aufzeichnungen des Übernatürlich-Wunderbaren) were recognized as something different by their authors and were set aside in special works or in special sections of larger works. In a number of prefaces written to

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sind kurz verfaßt; Metapher, Übertreibung, phantastische Erfindung usw. kommen häufig als künstlerische Mittel vor, Bildlichkeit und Anschaulichkeit bilden stilistisches Kennzeichen; die Verfasser solcher Werke waren meistens Gelehrte oder örtliche Beamte; die Sprache war die Schriftsprache.35 Vom Inhalt und der Gattung her kann man die erzählende Dichtung in Schriftsprache in drei Genres gliedern, nämlich in Aufzeichnungen von Übernatürlichem, Aufzeichnungen von Worten und Taten bestimmter Persönlichkeiten und legendäre Darstellungen von Sonderlichem und Übernatürlichem. In der Zeit der Wei- und Jin-Dynastie (etwa 220-420) bildeten die ernsten Genres, nämlich die Aufzeichnungen von Übernatürlichem und die Aufzeichnungen von Aussprüchen und Taten bestimmter Persönlichkeiten, die zusammen als zhiguai bezeichnet werden, die Hauptströmung. Heilige, Monster, Geister usw. waren der wichtigste Erzählgegenstand. In den Südlichen und Nördlichen Dynastien (420-580) erlebten diese Genres wegen des blühenden Buddhismus eine weitere Entwicklung. Jenseits, Hölle, Karma und andere buddhistische Züge prägten die Dichtung, bis in der Tang-Zeit (etwa 610-910) die legendenhafte Darstellung von Sonderlichem und Übernatürlichem, chuanqi genannt, entstand.36 Diese Art erzählender Dichtung in Schriftsprache übernahm zwar Motive aus Aufzeichnungen von Übernatürlichem und von Aussprüchen und Taten bestimmter Persönlichkeiten, aber ihre Erzähltechnik war wesentlich weiter entwickelt. Im Vergleich zu den zwei anderen Genres sind hier die Handlungen komplizierter, der Rahmen der Geschichte sorgfaltiger und die Charakterisierung feiner ausgeführt. Das Phantastische spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. »Generally speaking, T'ang fiction in the classical language is an enriched form of Six Dynasties

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chi-kuai, the authors hint strongly that their materials may be faulty in a historical sense.« Dewoskin: The Six Dynasties Chi-kuai and the Birth of Fiction, S.39. Vgl. Hou Zhongyi: Einleitung zu Lexikon der klassischen chinesischen Novellen. Kunming 1986. »It is commonly recognized that this narrative tradition consists of two major genres, zhiguai and chuanqi. Both have roots in historical biography and both are now usually placed in the category of classical tale or classical fiction to differentiate them from the vernacular story or vernacular fiction.« Judith T. Zeitlin: Pu Songling's Liaozhai zhiyi and the Chinese discourse on the strange. Diss., Harvard University Press 1988, S.l.

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CK.«37 Die Entstehung dieser Art von Dichtung markierte den ersten Höhepunkt der erzählenden Dichtung in der Schriftsprache. Diese Tradition der erzählenden Dichtung, die »typisch chinesischen Ursprungs«38 ist, erfuhr bei Pu Songling (1640-1715) eine bedeutende Entwicklung. Er übernahm und entwickelte diese traditionelle Erzählform, behandelte in ihr die sozialen und politischen Aktualitäten seiner Zeit und schuf somit sein Hauptwerk Liaozhai zhiyi, das den Gipfelpunkt der erzählenden Dichtung in der Schriftsprache darstellt. Liaozhai zhiyi als Titel der Sammlung von 498 Erzählungen bedeutet etwa »Seltsame Mitteilungen aus der Arbeitsstube.«39 Das Material stammt aus Sagen, Legenden, Erzählungen unter der Bevölkerung und seltsamen Begebenheiten aus der Vergangenheit. Dazu bemerkt Pu Songling in seinem Vorwort zu Liaozhai zhiyi'. Ich habe nicht das Talent von Gan Bao, 40 aber ich sammle gern Geschichten über das Übernatürliche. Ich teile den Geschmack von Su Dongpo, 41 der sich an Gespenstergeschichten erfreute. Wann immer ich eine höre, schreibe ich sie auf. Später dichte ich Erzählungen aus dem Material. Seit langer Zeit schicken mir Freunde aus verschiedenen Teilen des Landes Geschichten. So wächst meine Sammlung dank unserem gemeinsamen Interesse beständig. 42

Diese breiten Quellen der Materialien bestimmen, daß Motive aus Religionen, Sitten und Gebräuchen, Folklore, politischer Realität, literarisch-künstlerischer Tradition usw. Aufnahme finden. So ist es kein Wunder, daß Liaozhai zhiyi »wohl die in Europa bekannteste chinesische Novellensammlung« ist43 und »zugleich eine der wenigen, 37

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Vgl. Karl S.Y. Kao, a.a.O., S.39. CK ist Abkürzung für chi-kuai (zhiguai), Aufzeichnung des Übernatürlich-Wunderbaren. Wu Shichang: Vorwort zu Sun Yizhens »Über Liaozhai zhiyi«. Jinan 1984, S. 1. Kurz vor Abschluß der vorliegenden Arbeit hat den Verfasser die Nachricht erreicht, daß eine neue Ausgabe von Liaozhai zhiyi von Zhu Qikan herausgegeben worden ist. Es sind insgesamt 498 Erzählungen aufgenommen. Vgl. Ma Refang: Zu der neuen Ausgabe von Liaozhai zhiyi. In: Die Volkszeitung (Auslandsausgabe) vom 27.9.1991, S.2. Gan Bao ist Dichter in der nördlichen Jing-Dynastie. Verfasser der Sammlung von Geister- und Dämonengeschichten Die Suche nach Geistern. Su Dongpo ist Dichter in der Sung-Dynastie. Dieses Zitat ist entnommen von Lu Xun: Kurze Geschichte der chinesischen Romandichtung. Peking 1981, S.280f. Der Übersetzer ist unbekannt. Wolfram Eberhard: Die chinesische Novelle des 17.-19. Jahrhunderts. Ascona 1948, S. 10.

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von der grosse Teile in europäische Sprachen übersetzt sind.«44 Allein in deutscher Sprache gibt es mehrere Übersetzungen.45 44 45

Ebd., S. 10. Die deutschen Ausgaben von Liaozhai zhiyi und die Anthologien, in welche Liaozhai zAiyi'-Geschichten aufgenommen sind, seien hier in chronologischer Reihenfolge genannt: Wilhelm Grube (Übers.): Geschichte der chinesischen Literatur. Leipzig, Amelung 1902. Martin Buber (Übers, u. Hg.): Chinesische Geister- und Liebesgeschichten. Frankfurt/M. 1911. Leo Greiner (Übers.): Chinesische Abende. Novellen und Geschichten. Berlin 1913. Richard Wilhelm (Übers.): Chinesische Volksmärchen. Jena 1914. Hans Rudelsberger (Übes.): Chinesische Novellen. Wien 1924. Erich Schmidt (Übers.): Pu Songling, seltsame Geschichten aus dem Liao Zhai. Berlin 1924. Tao, Pung-fai (Übers.): Seltsame chinesische Erzählungen. Breslau 1935. Anna von Rottauscher (Übers.): Der Pantoffel der kleinen Yen-dschi. Zwei chinesische Novellen aus alter Zeit. Wien 1944. Herbert Franke (Übers.): Neun Geschichten aus dem Liau-dschai dschi-i. In: Karussell der Abenteuer. Köln 1947, S.449-499. (Anonymer Übers.:) Die Füchsin und die tote Geliebte. Eine chinesische Liebesund Geistergeschichte aus dem Liao-chai-chi-i. Berlin 1947. Anna von Rottauscher (Übers.): Irrlicht und Morgenröte. Fünf chinesische Erzählungen mit sechs farbigen Illustrationen. Zürich 1955. E.P. Schröck und Liu Guanying (Übers.): Pu Songling. Gaukler, Füchse und Dämonen. Basel 1955. Irmgard und Reinhold Grimm (Übers.): Pu Songling, Höllenrichter Lua. Chinesische Gespenster- und Fuchsgeschichten. Eisenach und Kassel 1956. Liao, Kai-lung (Übers.): Chinesische Gespenster- und Fuchsgeschichten. Berlin 1957. Wolfgang Bauer und Herbert Franke (Übers.): Die goldene Truhe. Chinesische Novellen aus zwei Jahrtausenden. München 1959. Yeh kai (Übers.): P'u Sung-ling, Liao-chai chi-i. Chinesische Geschichten aus dem 17. Jh. UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke. Asiatische Reihe. Stuttgart 1965. Adrian Baar (Übers, u. Hg.): Chinesische Gespenstergeschichten. Frankfurt am Main 1975. Ders.: Erotische Geschichten aus China. Frankfurt am Main 1978. Eine Gesamtübersetzung von Pu Songlings Liaozhai zhiyi hat der Verlag Die Waage vorgelegt: Bd. 1:. Pu Sung-ling: Umgang mit Chrysanthemen. Die ersten 81 der weltberühmten chinesischen Geister- und Liebesgeschichten. Zürich 1987. Bd. 2: Zwei Leben im Traum. Die folgenden 67 der weltberühmten chinesischen Geister- und Liebesgeschichten. Zürich 1989. Bd. 3: Besuch bei den Seligen. Weitere 86 der weltberühmten chinesischen Geister- und Liebesgeschich-

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Die Tierfiguren spielen bei Pu Songling eine wichtige Rolle. Sie konstituieren das Märchenhaft-Wunderbare, das Pu Songlings erzählerisches Charakteristikum ausmacht. Diese besondere literarhistorische Stellung Pu Songlings berechtigt es, ihn als Vertreter der chinesischen Litertur für die vorliegende Untersuchung auszuwählen. Für die deutsche Literatur ist Franz Kafka von exemplarischer Bedeutung. Das Verhältnis von Einzelnem und Ganzem, das wie ein roter Faden durch sein Werk zieht, ist nach Lugowski »mythisches Analogon«,46 weil es zu vergleichen ist mit der mythischen Einheit ältester Kulturepochen wie des frühen Griechischen. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts verliert die »wechselseitige Durchdringung von Idee und Erfahrung (bei Goethe), dem Reich der Freiheit und dem Reich der Notwendigkeit (bei Schiller und Kant), absolutem Gefühl und rationalempirischer Realität (bei Kleist), Geist und Natur (bei der Romantik)«47 an Gültigkeit. Subjekt und Objekt werden voneinander isoliert. Das Subjekt wird autonom, von den Gesetzen der sozialen Umwelt abgetrennt; das Objekt wird zur reinen Erscheinung erhoben, der das dichtende Subjekt unterworfen wird. Diesem Bruch zwischen Subjekt und Objekt entspricht im literarisch-künstlerischen Gebiet die Tendenz der Dichter, sich eigene irreale und traumhafte Welten zu schaffen, um die Autonomie einer absoluten Poesie zu erlangen. In dieser absoluten Poesie kommt das Objekt ausschließlich als »entseelt« vor. »In die subjektivste Kunst dringt das >entseelte< Objekt ein; und die objektivste Kunst verwandelt das Universum in die Phantasmagorie des isolierten Subjekts.«48 D.h., der Dichter ist nicht

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47 48

ten. Zürich 1991. Bd.4: Schmetterlinge fliegen lassen. Weitere 158 der weltberühmten chinesischen Geister- und Liebesgeschichten. Zürich 1992. Bd.5: Kontakt mit den Lebenden. Die letzten 109 der weltberühmten chinesischen Geisterund Liebesgeschichten. Zürich 1992. Die Übersetzung ist von Gottfried Rösel vorgenommen worden. Da Pu Songlings Liaozhai zhiyi Franz Kafka sowie dem deutschsprachigen Raum vor allem durch die alten Übersetzungen zugänglich war, werden diese in der vorliegenden Arbeit benutzt. Auf erhebliche Abweichungen vom Original oder Übersetzungsfehler wird hingewiesen. Clements Lugowski: Die Form der Individualität im Roman, Studium zur inneren Struktur der frühen deutschen Prosaerzählung. Berlin 1932, S.56. Wilhelm Emrich: Franz Kafka. Bonn 1958, S.25. Ebd., S.26.

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mehr bemüht, das Einzelne in seiner Besonderheit darzustellen und das Subjekt bzw. Objekt als solches kenntlich zu machen. Die Welt schrumpft auf die Perspektive eines Subjekts, und dieses Subjekt ist erfaßbar in seinem intensiven Erfahren der Wirklichkeit, die mit allen Sinnen erspürt wird. Der Gegenstand der Dichtung ist das Verhältnis des Subjekts zu einer Wirklichkeit, soweit sie das Einzelsubjekt erfahren kann. Das traditionelle Motiv der europäischen Literatur - das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen und umgekehrt - wird zur Frage umgestaltet: Wie kann das einzelne Subjekt die Tatsächlichkeit erfassen und bewältigen. »So eröffnen sich im Subjekt selbst neue Wirklichkeitsbereiche und neue Wirklichkeitserfahrungen, die freilich (...) in den bedeutenden Werken der modernen Literatur immer über das Einzelsubjekt hinausweisen und den Menschen schlechthin betreffen; dies zuweilen gerade, insofern die Dichter das Einzelsubjekt in einer vollkommenen Vereinzelung und Vereinsamung zeigen, die als gemeinschaftliche Daseinsrealität empfunden wird.«49 Kafka hebt sich von seinen Zeitgenossen dadurch ab, daß er das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen zu einem unvermeidlichen Konflikt erhebt. Die schreckliche und rätselhafte Tragödie des Lebens dominiert seine Romanwelt. Er übernimmt also die Tradition der europäischen Literatur, verfremdet sie aber auf eigentümliche Weise, um den modernen Weltzustand zu schildern. An ihm lernt man nicht nur die Tradition, sondern auch die zeitspezifischen Züge der deutschen Literatur kennen. Kafkas Werk ist von märchenhaften Elementen durchdrungen: Allein die Vielzahl einzelner Elemente, die an Märchenmotive erinnern: sprechende Tiere, Verwandlungen von Mensch in Tier, das Außerkraftsetzen von Naturgesetzen, die Isoliertheit des Helden, könnte die Assoziation mit Märchen nicht fundieren. Wesentlicher für die Zuordnung ist, daß solche Motive strikt wie im Volksmärchen in einen Funktionszusammenhang gebunden sind. 50

Das Märchenhaft-Wunderbare in Kafkas Werk ist mit Alltagsbegebenheiten ungeschieden verknüpft und selbstverständlich dargestellt. Kafka verwendet Märchenelemente und -motive, um die Tradition zu destruieren, die Welt umzukehren und den Leser zur Kenntnis einer

49 50

Richard Brinkmann: Wirklichkeit und Illusion. 2. Aufl. Tübingen 1966, S.332. Jens Tismar: Kunstmärchen. 2. Aufl. Stuttgart 1983, S.99.

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neuen Realität zu bringen. So ist sein Werk als »Märchen für Dialektiker« zu bezeichnen.51 Aus dem obigen Überblick ergibt sich, daß Märchenhaftes bzw. Wunderbares Pu Songlings und Kafkas Werk gemeinsam ist und daß die Darstellung von Tierfiguren die beiden Autoren verbindet, wenn auch ihre Funktionen in wichtigen Punkten voneinander abweichen. Das begründet, ihre Tierfiguren vergleichend als Untersuchungsgegenstand zu nehmen. Im folgenden soll das Verfahren der Untersuchung vorgestellt werden: Im ersten Kapitel werden die Grundzüge der Tierfiguren der beiden Autoren skizziert, die jeweils in den literarischen Traditionen und sozialen und politischen Situationen begründet sind, damit sich der Leser gleich die Hauptdifferenzen vor Augen halten kann. Im zweiten Kapitel geht es um die groteske und traumhafte Verbindung von Realitätsebenen, die die beiden Dichter mit ihren Tierfiguren schaffen. Es soll gezeigt werden, wie auf verschiedene Weise, in verschiedenen literarisch-künstlerischen Traditionen, eine ähnlich aussehende künstlerische Welt kreiert wird. Im Kapitel über Metamorphosen (Kap. 3) soll anhand der Tierfiguren klargemacht werden, welche Differenzen sich hinter ein und derselben Thematik verstecken können und wie eine scheinbare Analogie täuschen kann. Ein weiterer Schritt geht dahin, die Tierfiguren bei Pu Songling und Kafka literaturtheoretisch zu klassifizieren (Kap. 4). Festzustellen sind aber nicht nur die künstlerischen Charakteristika der jeweiligen Autoren, sondern auch ihre Darstellung und Wahrnehmung der Welt (Kap. 5). Im sechsten Kapitel werden ähnliche Textstellen mit Tierfiguren bei Pu Songling und Kafka einander gegenübergestellt und im jeweiligen Kontext verglichen, um ihre ähnlichen bzw. verschiedenen Bedeu51

Walter Benjamin: Schriften, Band 2. Frankfurt a. M. 1955, S.203. Dem Märchenhaften in Kafkas Werk sind mehrere Untersuchungen gewidmet worden. Um hier ein paar Beispiele zu nennen: M.L. Harder sieht in Kafkas Werk eine Strukturverwandtschaft mit Volksmärchen. Vgl. Harder: Märchenmotiv in der Dichtung Franz Kafkas. Diss., Freiburg 1962, S. 135-150.; Norbert Kassel hebt die Enttäuschung der Märchenerwartung hervor und stellt das groteske Antimärchen bei Kafka fest. Vgl. N. Kassel: Das Groteske bei Franz Kafka. München 1969, S. 153ff. ; Fingerhut stellt fest, daß Kafka mit seinen Tierfiguren die Märchenillusion zuerst fördert, um die erweckten Lesererwartungen bewußt zu zerstören. Vgl. Karl-Heinz Fingerhut: Die Funktion der Tierfiguren im Werke Franz Kafkas. Diss., Bonn 1969, S.45-55.

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tungen herauszuarbeiten. Schließlich sollen die chronologischen Entwicklungen der Tierdarstellung bei Pu Songling und bei Kafka untersucht werden, um mögliche Einflüsse Pu Songlings auf Kafka zu klären; zum Schluß wird eine literarhistorische Einordnung der Tiergeschichten von Pu Songling und von Kafka unternommen, um das Verhältnis ihrer Tierdarstellungen zu der jeweiligen Tradition zu verdeutlichen. Dieses Verfahren wird einige außerliterarische Gebiete anschneiden. Darauf wird auch eingegangen werden, solange dies für die Klärung der betreffenden Fragestellungen erforderlich ist. Aber unser Augenmerk wird sich überwiegend auf die literarisch-künstlerischen Erscheinungen richten, da sich die vorliegende Arbeit als allgemeine und vergleichende literaturwissenschaftliche Untersuchung versteht. Da Pu Songlings Werke beim deutschen Leser nicht als bekannt vorausgesetzt werden können, werden häufig Inhaltsangaben beigefügt und wichtige Texte oder Textstellen nacherzählt bzw. in Fußnoten oder im Anhang angeführt. Damit setzt sich die vorliegende Arbeit nebenher eine zweite Aufgabe: dem europäischen Leser mit Pu Songlings Werken auch ein Stück chinesischer Erzählkunst zu vermitteln. Was die Literatur zu Pu Songling und seinem Liaozhai zhiyi betrifft, so bestehen zwischen der chinesischen und westlichen Forschung große Unterschiede, wie es auch bei der Kafka-Forschung der Fall ist. Diese Unterschiede sind - wie Prusek meint - kulturell bedingt: »the specific thought pattern, the specific perception of reality instrinsic to a specific cultural category - that which is the predominant one in a given cultural complex - influences all other categories and determines their natures.«52 Diese Unterschiede werden in der vorliegenden Arbeit zu behandeln sein. Während nun die Tierfiguren bei Franz Kafka überwiegend auf der Grundlage der westlichen Forschung untersucht werden, so sollen beim chinesischen Teil unterschiedliche Forschungsansätze und -verfahren nebeneinandergestellt und miteinander verglichen werden, um dann eigene Ansichten zu entwickeln und dadurch die gesamte Pu Songling-Forschung anzureichern. Der Sinn einer komparatistischen Untersuchung liegt u.a. darin, durch Vorstellung und Vergleich verschiedener Forschungsansätze

52

Nach Dewoskin: The Six Dynasties Chi-kuai and the Birth of Fiction, S.5 If.

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und -ergebnisse zu einer gemeinsamen Grundlage der Forschung beizutragen.53

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Das erste internationale Pu Songling-Symposium fand vom 18. bis 22. Oktober 1991 in der Provinz Shangdong, VR China statt. Es wurden 4 Monographien und 37 Aufsätze geliefert, neue Perspektiven ausgetauscht und neue Forschungsergebnisse vorgestellt.

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KAPITEL 1

Grundzüge der Tiergestalten: Mittel zur Charakterisierung menschlicher Eigenschaften und innerpsychischer Situationen

1.1

Tiergestalten bei Pu Songling: Mittel zur Charakterisierung der menschlichen Eigenschaften

Die Tiergestalten bei Pu Songling haben die wichtige Funktion, verschiedene Charaktereigenschaften der Menschen darzustellen. Das erkennt man zunächst an der Tierfigur in der Erzählung Ying Ning, ein lachendes Mädchen. 1.1.1 Ying Ning, ein lachendes Mädchen Die Geschichte erzählt von einem Fuchs-Mädchen namens Ying Ning, das in der Natur ein freies Leben geführt hat und später seinen Vetter Wang Tzefu kennenlernt, ihn heiratet und in einem Dorf ein bürgerliches Leben aufnimmt. Ying Ning erscheint als ein wildes Mädchen, dem menschliche Zivilisation fremd ist. Sie ist unverbildet und natürlich; ihr Lachen ist so herzlich und unwiderstehlich, daß Wang Tzefu, der bei einem Laternenfest Ying Ning zum erstenmal erblickt, gleich davon beeindruckt ist und sich in sie verliebt. Als Wang Tzefu endlich Ying Ning zuhause aufsucht, begegnet er wieder diesem charakteristischen Lachen: Ying Ning »sah (...) Wang, hielt inne, lachte auf und lief ins Haus.« (LZZY.B.64) Als Ying Nings Pflegemutter das Mädchen ins Zimmer bittet, nachdem sie sich selbst mit Wang unterhalten hat, hört man zuerst ein Kichern vor der Tür, bevor das Mädchen eintritt; auch als Ying Ning vor dem fremden Besuch steht, lacht sie nur vor sich hin. Um ihr Lachen zu unterdrücken, muß sie mehrmals den Armel in den Mund stopfen. Kaum ist sie nach der Unterhaltung wieder ins Freie gelangt, so bricht sie in ein herzliches Lachen aus: »Ying Ning bedeckte den Mund mit der Hand, konnte ihr Lachen aber nicht unterdrücken.« (LZZY.B.65) 19

Dieses Lachen weist Ying Ning als ein unbefangenes kleines Mädchen aus, das keine Sorgen kennt und sich ganz frei fühlt. Es lacht immer, jederzeit und überall. Aber gerade in dem Moment, in dem der Leser das Mädchen als einen Menschen zu betrachten beginnt, taucht das Übernatürliche auf: Der Sohn eines Nachbarn von Wang Tzefu mißversteht Ying Nings Lachen als Einladung zu einem Stelldichein. Als er Ying Ning hinter einem Strauch zu umarmen versucht und seiner Leidenschaft die Zügel schießen läßt, verwandelt sich Ying Ning in einen Baumstamm, der dem jungen Mann bei seiner sexuellen Attacke Schmerzen bereitet. Diese Episode rückt das lachende Mädchen in ein übernatürliches Licht. Ying Ning erweist sich als ein geisterhaftes Wesen. Sie selber bekennt, von einer Füchsin geboren und von dem Geist einer verstorbenen Frau aufgezogen zu sein.54 Bei dieser Mensch-Tier-Figur kommt es auf die ungebundenen und freien Charaktereigenschaften an. Pu Songling will mit dieser Figur seine eigene Sehnsucht nach der individuellen Freiheit und seine Abneigung gegen die feudalistische Gesellschaft, in der er lebt, aussprechen. Das Naturhafte und Tierische an Ying Ning soll Freiheit und Ungebundenheit zum Ausdruck bringen. Die Funktion einer Tierfigur, einen bestimmten Menschentypus zu verkörpern, findet sich auch in der Erzählung Bai Qiulian. 1.1.2 Bai Qiulian Mu Sheng, Sohn eines Geschäftsmannes, liest gern klassische Gedichte. Einmal macht er mit dem Vater per Schiff eine Geschäftsreise. Als er eines Abends ein Gedicht vor sich hin liest, hört ihm das hübsche Mädchen Bai Qiulian zu. Sie verliebt sich in Mu Sheng und läßt ihre Mutter die Ehe mit ihm vermitteln. Aber ihr Antrag wird von Mu Shengs Vater abgelehnt. So begibt sie sich aufs Schiff zu Mu Sheng, als dessen Vater abwesend ist. Sie unterhalten sich über klassische Gedichte und verbringen dann zusammen die Nacht. Bai Qiulian 54

Dadurch wird ein besonderer künstlerischer Effekt erzielt. Hermann Hesse z.B. fühlt sich von dieser Szene gefesselt: »Wer sollte denken, daß dies hübsche Mädchen ein Geist, ja eine >Füchsin< sei!« Adrian Hsia: Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretation. Frankfurt am Main 1974, S. 148.

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macht sich auch bei Mu Shengs Vater nützlich, indem sie ihm durch gute Ratschläge zu einem erfolgreichen Geschäft verhilft. Einmal sieht sie einen gefangenen Fisch und bittet Mu Sheng dringlich, ihn zu kaufen und freizulassen: In diesem Fisch hat sie ihre Mutter erkannt. Bai Qiulian fällt vor allen Dingen durch ihre hervorragende Bildung auf. Ihre reichen Kenntnisse in der klassischen Dichtung befähigen sie, sich mit Mu Sheng darüber zu unterhalten und dadurch eine Freundschaft zu ihm zu entwickeln. Die Gedichte, die Mu Sheng vorgetragen hat, bilden den Auftakt zu dieser Freundschaft. Die Bildung Bai Qiulians kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß sie kurz vor dem Beischlaf mit Mu Sheng, anstatt Ewigkeit und Harmonie zu beschwören, wie es üblich ist, Mu Sheng auffordert, das Gedicht Gongci vorzutragen, damit die »Ewigkeit«, die »große Harmonie«, die das Gedicht zum Thema hat, ihrer Liebe Gutes bringen werden.55 Nach dem Vortragen eines Gedichtes aus der Tang-Zeit Jiangnanqu, das die Klage einer Frau über das Wegbleiben ihres Ehemannes zum Inhalt hat, ahnt sie Unglück für ihre Liebe und ihre ersehnte Ehe mit Mu Sheng.56 Nicht nur das Stelldichein der beiden jungen Leute wird durch den Vortrag klassischer Gedichte vereinbart. Als Bai Qiulian am Ende der Geschichte den eigenen Tod voraussieht, bittet sie Mu Sheng, ein Gedicht von Li Taibai vorzutragen, damit ihr das wieder zum Leben verhelfen kann. Diese reichen Kenntnisse der klassischen Dichtung und ihre Gewohnheit und auch Fähigkeit, sie für das reale Leben nützlich zu machen, demonstrieren die gute Ausbildung von Bai Qiulian; sie lassen keine Zweifel daran zu, daß Bai ein wirklicher Mensch ist. Dafür sprechen auch ihre Aufgeschlossenheit und ihre Unerschrockenheit: Sie traut sich, angetrieben durch ihre Liebe zu Mu Sheng, gegen alle Tradition, auf sein Schiff zu gehen und mit ihm direkten Kontakt aufzunehmen. Als ihre Mutter in Gefahr ist, drängt sie Mu Sheng mit aller Leidenschaft, sie zu retten. Wir haben also einen wirklichen Menschen vor uns, der zugleich als Tier identifiziert wird: Bai Qiulians Mutter ist ein Fisch. Die Tiergestalt dient also dazu, einen Menschentypus bzw. dessen Eigenschaften zu verkörpern. Dies wird dadurch besonders betont, daß Bai Qiulian genau so wie

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Gongci ist geschrieben von Wang Jian, Dichter aus der Tang-Zeit. Jiangnan qu ist geschrieben von Li Yi, Dichter aus der Tang-Zeit.

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Ying Ning nicht in Tiergestalt erscheint, sondern nur in menschlicher Gestalt auftritt. 1.1.3 Der Scherz der Füchsin Eine ähnliche Bedeutung kommt einem Tier in der Erzählung Der Scherz der Füchsin hinzu. Bei einem Bankett am kaiserlichen Hofe entfaltet eine Füchsin eine große Sprachgewandtheit und versetzt damit die Gelehrten, die sie zu verspotten beabsichtigten, in große Verlegenheit. Anders als die obigen Erzählungen erscheint die Hauptfigur von vornherein als Füchsin. Einige Auszüge aus dieser Geschichte: »Frau Fuchs ist sehr nüchtern. Willst du nicht diesen Becher für mich leeren?« Sie antwortete mit einem Lächeln: »Nein, ich werde nicht trinken, aber ich werde euch eine amüsante Geschichte erzählen.« Die Gäste warnten sie: »Wenn du dich über uns lustig machst, wird es dir leid tun!« Die Füchsin lachte. »Was ist, wenn ich mich über einen Fuchs lustig mache?« »Das geht in Ordnung«, sagten sie und spitzten die Ohren. Die Füchsin erzählte ihnen: »Es war einmal ein hoher Beamter, der als Botschafter in ein fremdes Land geschickt wurde. Er trug eine Mütze aus Fuchsfell, als der König ihm eine Audienz gab. Verwundert über diese Mütze, fragte der König: »Was ist das, so dick und warm?« Der Botschafter sagte, es sei Fuchsfell. Der König sagte: »Von diesem Tier habe ich noch nie gehört. Wie schreibt man das Wort Fuchs?« Indem er das Schriftzeichen in die Luft malte, erklärte der Botschafter: »Zu meiner Rechten ist dies eine >MeloneHund»Soll ich anspannen?< fragte er, auf allen vieren herum kriechend.« (E.147) In diesem Bild gehen Mensch und Tier nahtlos ineinander über. Was der Arzt vor Augen hat, ist kein Knecht im vollen Sinne des Wortes, eher ein Tier, ein Hund z.B., der vor seinem Herrn kriecht, anstatt sitzend oder stehend zu ihm zu sprechen, wie es ein Knecht oder ein Sklave täte. Die tierische Eigenart an diesem Knecht wirkt umso stärker, als er im Schweinestall in einem niedrigen Verschlag »zusammengekauert« (E.147) bleibt, als ihn der Landarzt vorfindet. Diese Örtlichkeit und das Kauern lassen keine Zweifel daran zu, daß es sich hierbei um ein Tier handelt. Das wird auch deutlich, als der Knecht, getrieben von den sexuellen Impulsen, das Dienstmädchen plötzlich umfaßt, kräftig küßt und dabei auf ihren Wangen die Spuren von »zwei Zahnreihen« (E. 147) hinterläßt. Diese zwei »Zahnreihen« weisen eindeutig auf die Bisse durch ein Tier hin. Der Eindruck von einem Tier, das sich bei der Lustbefriedigung so leidenschaftlich und wild benimmt, ist so

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stark, daß dem Landarzt das Schimpfwort entfahrt: »>Du Viehwillst du die Peitsche?«< (E.147) Der Knecht als Vieh, dieses Bild zeigt einerseits die Unterwürfigkeit, die der Knecht dem Landarzt gegenüber an den Tag legt, zum anderen bringt es seinen tierischen sexuellen Drang zu dem Mädchen Rosa zum Ausdruck. Merkwürdig ist die Verwandlung durch die Umnennung in der Erzählung. Wie bei der Block-Szene verwandelt Kafka übergangslos den Knecht einfach in ein Vieh, ohne einen Vergleich zu ziehen oder über das tierische Wesen viele Worte zu verlieren. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. 1.2.3 Das Tierbild in Der Prozeß Ein Tierbild im ästhetischen Zusammenhang der Schilderung von Lustbefriedigung findet sich auch in Kafkas Roman Der Prozeß. Josef K. attackiert seine Nachbarin Fräulein Bürstner sexuell: (Er) faßte sie, küßte sie auf den Mund und über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schließlich küßte er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort ließ er die Lippen lange liegen. (P.42)

Der unerwartete Prozeß gegen ihn verläuft, ohne daß er sich irgenwie verteidigen könnte. Die Lust, die Josef K. wie ein Tier zu befriedigen sucht, soll diese unheimliche Angelegenheit und seine Furcht vergessen machen. In dem Tierbild verbirgt sich also sein »Selbst«, sein Wille, sich den Gerichtsinstanzen gegenüber zu behaupten. Mit »Zunge« werden die beiden Ebenen, die des Menschen und die des Tieres, miteinander verknüpft. Josef K. erhält skrupellose tierische Züge. Erst das Tier, so die Assoziation, springt aus Eroberungs- und Tötungstrieb dem Gegner an den Hals. 1.2.4 Das Tierbild in Das Schloß Auch im Schloß-Roman erscheint ein Tiervergleich im Kontext sexueller Handlung. wie Hunde verzweifelt im Boden scharren, so scharrten sie an ihren Körpern; und hilflos, enttäuscht, um noch ein letztes Glück zu holen, fuhren manchmal ihre Zungen breit über des anderen Gesicht. (S.69)

K.S Bemühungen, ins Schloß einzutreten, sind bis dahin fehlgeschlagen. So beginnt er an seiner Wunscherfüllung zu zweifeln. Gleich32

zeitig aber will er weitere Versuche unternehmen, um sich durchzusetzen. Im Hund-Vergleich kommt K.s zur Verzweiflung neigende Enttäuschung und seine individuelle Freiheit, »die nach außen als Willkür erscheint«,70 zum Ausdruck. Durch den Besitz von Frieda will K. ein Pfand gewinnen, mit dem er mit Klamm handeln kann, bar gegen bar. »Allzu glücklich war er, Frieda in seinen Händen zu halten, allzu ängstlichglücklich auch, denn es schien ihm, wenn Frieda ihn verlasse, verlasse ihn alles, was er habe.« (S.64) In seiner sexuellen Attacke will er die eigene Kraft und Freiheit spüren, will Mut gewinnen. Zugleich ist K.s tierisches Verhalten instinktmäßig, er wird teilweise zum Tier, zum Hund. Das Hundbild ist also ein treffender Ausdruck von K.s psychologischer Position und seiner Gemeinsamkeit mit dem Tier. Frieda findet Klamms Dienerschaft verächtlich und widerlich. Sie vergleicht sie mit Tieren: »eine Stunde vor seiner Ankunft stürmen sie immer schon herein, wie das Vieh in den Stall.« (S.60) Gleichzeitig verwandelt sie diesen Tiervergleich in die Realität. Sie bezeichnet und behandelt die Dienerschaft einfach wie Vieh: »nun sollen sie wirklich in den Stall, in den sie gehören.« (S.60) Sie hebt eine Peitsche und ruft: »>Im Namen Klammsin den Stall! Alle in den Stall!tierisch-ungezügeltes< Verhalten leisten«, so bemerkt Monschein im Hinblick auf Ying Ning.92 Monschein weist auch zurecht darauf hin, »daß diese so realistisch wirkenden Charaktere sich als individualistische Außenseiter gebärden, die von der gesellschaftlich üblichen Form abweichen - Ying Ning durch ihr Lachen und freien Umgang mit Fremden.«93 Es ist ein Verdienst von Pu Songling, eine tausendjährige erzählerische Tradition von Tiergeschichten aufzugreifen, um sie, der aktuellen Tendenz der Literatur entsprechend, durch Bezüge zur Realität neu zu gestalten. (Auf dieses Thema wird in 4.1.11 noch eingegangen werden).

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sogar absurd sind. Vgl. Wang Xianpei und Zhou Weimin: Ming Qing xiaoshuo lilun pipanshi (Geschichte der Literaturkritik in Ming- und Qing-Zeit). Kanton 1988, S.427^128. Lu Xun, a.a.O., S.282-283. Monschein erkennt richtig, daß solches Verhalten eines jungen Mädchens unsittlich ist. »Auch heute verbergen Frauen oft ihr Lachen schicklich hinter gehaltener Hand.« Ylva Monschein, a.a.O., S.271. Vgl. dazu Arthur Kleinmann und Tsung-yi Lin (Hrsg.): Normal und Abnormal Behaviour in Chinese Culture. London 1981. Ylva Monschein, a.a.O., S.271.

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Zu Pu Songlings Zeit waren die Geistes- und die Naturwissenschaften noch nicht so weit gekommen, daß sie das Leben und das Subjekt hätten in Frage stellen wollen oder können. Vordringlich waren die Auseinandersetzungen darüber, ob die eigenen subjektiven Gedanken und Gefühle oder der traditionelle Konfuzianismus mit seinen kanonischen Klassikern Gegenstand ästhetischer Reflexion werden sollten. Pu Songlings Figuren, mit subjektiven Gefühlen und Charakterzügen versehen, stellen ihn deutlich auf die Seite derer, denen die Freiheit der Individuen mehr galt als die absolute Anpassung an die kaiserliche Macht und ihre restriktive Kulturpolitik. Ästhetischer Ausdruck dieser Eigenständigkeit sind seine Tier-Mensch-Figuren. Das erklärt vielleicht auch, warum Pu Songlings Tiergestalten zwar verschiedene Menschentypen und ihre Gedanken und Gefühle personifizieren, zugleich aber nicht die Bedingungen ihrer Existenz, ihres »Selbst« hinterfragen, wie etwa die historisch einer anderen Epoche zuzuordnenden entsprechenden Figuren bei Franz Kafka, die zudem einem anders strukturierten sozialen und kulturellen Milieu entstammen. 1.3.3 Geschichtlichte Hintergründe zu Kafkas Zeit Kafka lebte in einer Zeit, wo der herkömmliche geistige Schutz zusammengebrochen war. Die Entstehung der modernen kapitalistischen Arbeitsteilung und die Destruktion des Subjekts durch die Psychoanalyse waren die Signa seiner Epoche. Der Titel von Spenglers historisch-philosophischer Untersuchung - »Der Untergang des Abendlandes« brachte das bürgerliche Krisenbewußtsein auf den Begriff. Das Tempo der naturwissenschaftlichen Erfolge verstärkte objektiv dieses Krisenbewußtsein. Die Psychoanalyse Sigmund Freuds zerlegte das Subjekt in Ich, Es und Über-Ich. Der Mensch war plötzlich kein unzerlegbarer Komplex mehr; das »Ich«, das traditionell als Herr im eigenen Subjekt gegolten hatte, sollte nun durch den Fortpflanzungstrieb determiniert, Spielball der Libido sein. Kern der Gegenwartskrise ist die Infragestellung des Ich und mit ihr eine letzthin tödliche Einsamkeit des Menschen, die als Isoliertheit in einer Welt ohne Sinn, als Alleinsein ohne Transzendenz erfahren wird. ( . . . ) totale Verlassenheit also, in der man keinen Gott mehr zur Gesellschaft hat und auch das eigene Ich, das von alters her als >der ruhende Pol in der Erscheinung Flucht< ge-

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gölten hatte, als unbeständig erschien, als eine trügerische Fiktion, als »ein fließendes Nebeneinander von ErlebnismomentenBewegung ohne Ursprung und ohne Ziel.< Diese Formel erfaßt sehr treffend die Erscheinung des Käfers«.99 Dies gilt auch für die Tierfiguren in den untersuchten Fragmenten. Die Tiergestalten kommen uns entgegen und verlassen uns übergangslos, sie sind wie die Erscheinung des Käfers, »der aus dem Nichts auftaucht und ins Nichts zurücksinkt.«100 Auch ist das Fragment eine geeignete Form für einen kreisförmigen Aufbau: Die beiden K.s in Der Prozeß und Das Schloß handeln im Verlauf der Erzählung immer weniger und verfallen immer mehr ins Grübeln, wobei das Fragment das Grübeln ohne Ende läßt und dadurch die Kreisform vervollkommnet. »Das gesellschaftliche Leben geht im Kreis vor sich«, so zitierte Kafka am 12. Juni 1914 in seinem Tagebuch einen »Brief Dostojewskis an eine Malerin«, »Nur die mit einem bestimmten Leiden Behafteten verstehen einander. Sie bilden kraft der Natur ihres Leidens einen Kreis und unterstützen einander.«101 Bei Pu Songling aber entfaltet sich die Geschichte schnell, die Helden denken wenig, sie charakterisieren sich durch ihr Handeln; die Geschichte wird in einem schnelleren Rhythmus erzählt. Die Erzählungen bei Pu Songling sind meistens kurz und knapp, die Handlungen entwickeln sich meistens in einem Dreischritt von Entfalten - Höhepunkt - Ende. A. Plaks' Feststellung, daß die erzählerische Struktur in baih.ua xiaoshuo (erzählenden Werken in Umgangssprache) wie ein Diagramm aussieht, gilt in begrenztem Ausmaß auch für Pu Songlings Werk.102 99

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Dominique Iehl: Die bestimmte Unbestimmtheit bei Kafka und Beckett. In: Claude David (Hrsg.): Franz Kafka, Themen und Probleme. Göttingen 1980, S. 174. Ebd., S. 174. Vgl. Walter Sokel: Franz Kafka, Tragik und Ironie. München/Wien 1964, S.402. A. Plaks: Towards a Critical Theory of Chinese Narrative. In: Plaks (Ed.): Chinese Narrative, Critical and Theoretical Essays. S.339. Vgl. auch Wang Guangzu: Sanlun Liaozhai gushi de jiegou yishu (zerstreute Bemerkungen zur

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1.3.6 Annäherungspunkt - Vermischung von Tier und Mensch Kafkas Verfahren, ein Wort wörtlich zu nehmen und es in der literarischen Realität zu performieren und die Innen- und Außenwelt gleichzeitig zu behandeln, lassen Mensch und Tier auf der gleichen Stufe erscheinen. Tiere werden zu Menschen, Menschen zu Tieren, die Grenze zwischen beiden wird fließend. Bei Pu Songling lassen sich die entsprechenden Figuren ebenso schwer definieren. Sie sind weder reine Menschen noch reine Tiere. Sowohl bei Figuren wie Bai Qiulian und Ying Ning, die ihr tierisches Wesen erst am Ende aufdecken, als auch bei dem Mädchen mit dem grünen Kleid oder bei der Heldin in Der Scherz der Füchsin, die von vornherein tierische Züge tragen, läßt sich die Grenze zwischen Menschen und Tier nicht fest definieren. Das Menschliche und das Tierische fügen sich harmonisch in einander. An den diversen Verfilmungen der Liaozhai z/iryi'-Erzählungen bemängelt Wang Linshu zurecht, daß die Figuren durch Vermenschlichung verfälscht würden. Die Figuren bei Pu Songling seien an sich, so schreibt Wang Linschu, eigentümliche dichterische Figuren, die aus Menschen und Tieren gemischt seien.103 Kafkas und Pu Songlings Mensch-Tier-Figuren ist gemeinsam die Mischform ihrer Existenz. Beide Autoren setzen diese Figuren ein, um präzise äußere und innere Lagen ihrer Charaktere zu gestalten. Tierweltliche Motive vergrößern die ästhetische Distanz zum Gegenstand: Das Groteske stellt in der Verrückung der Perspektive den Gegenstand in das grelle Licht der Verfremdung. Die Perspektivität des Erzählers wird so Bestandteil der ästhetischen Reflexion.

künstlerischen Struktur der Liaozhai-Erzählungen). In: Zeitschriften der Huadong pädagogischen Hochschule, 1980/Nr.4, S. 66-70. Eine unfangreichere Untersuchung der Strukturen der ¿ι'αοζΑαι'-Erzählungen unternimmt Xu Junhui: Liaozhai zhiyi de jiegou yishu. In: Ming Qing xiaoshuo yanjiu (Forschungen zur Romandichtung der Ming- und Qing-Dynastie) Bd. 4, Peking 1986, S.375-383. 103

Wang Linshu: Vor- und Nachteile an der Verfilmung von Liaozhai zhiyi. In: Ming Qing xiaoshuo yanjiu (Forschungen zur Romandichtung der Ming- und Qing-Dynastie). Bd.3, Peking 1986, S.426.

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KAPITEL 2

Groteske Verbindung von Realitätsebenen

Die obige Untersuchung zeigt, daß das Groteske ein gemeinsamer Grundzug der Tierfiguren bei Kafka und Pu Songling ist. Der Begriff der Groteske bezeichnet ursprünglich ein Phänomen in der bildenden Kunst, eine spezifische Art der Ornamentik, auf die man Ende des 15. Jahrhunderts bei Ausgrabungen in Italien stieß. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die grotesken Ornamente, die Raffael um 1515 auf den Pfeilerflächen der päpstlichen Loggien dargestellt hat. Ranken rollen sich ein und aus, Linien verschlingen sich, Tiere wachsen aus Blattwerk heraus, die Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen werden verwischt. Ein anschauliches Beispiel bildet auch ein Kupferstich von Agostino Veneziano mit dem Titel »Groteske«, der deutlich den Übergang menschlicher Leiber in Tierisches und Pflanzliches zeigt. Der Begriff Groteske wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts auf den Bereich der Literatur übertragen. Er bezieht sich auf Grenzphänomene zwischen Tierischem und Menschlichem, zwischen Menschlichem und Monströsem. In der Einleitung zu seiner »Geschichtsklitterung« zählt Fischart an Dante, Giotto, Ovid usw. Beispiele für Monstrositäten auf und macht auf das Groteske in der Literatur aufmerksam. Interessanterweise erhielt der Begriff »Groteske« eine Erweiterung durch Anwendung auf bestimmte Chinoiserien, »die das 18. Jahrhundert mit ihrer Vermischung der Bereiche, der Monstrosität in den Elementen, der Verkehrung der Ordnungen und Proportionen als gleichartig empfand.« 1 Wolfgang Kayser: Das Groteske, seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg und Hamburg 1957, S.30. Bei Schmidlin liest man: »Die Chineser stellen sogar Gebäude und Landschaften als in der Luft schwebend, oder wie aus Bäumen hervorwachsend, vor.« Vgl. Kayser: Das Groteske, S.30. Bei Justus Moser heißt es: »Selbst die kleine Groteskenart der Chinesen macht ein Gartenzimmer reizend.« Vgl. Henning Boetius (Hrsg.): Justus Moser, Harlekin. Bad Homburg, Berlin, Zürich 1968, S.24.

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Im Zusammenhang mit der Karikatur wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts Versuche unternommen, den Begriff des Grotesken als eine ästhetische Kategorie festzulegen, z.B. Wielands »Unterredungen mit dem Pfarrer von - - - «, in denen er die Groteske als »übernatürlich«, »widersinnig« bezeichnet. Das Wesen der Grotesken liegt nach Wieland darin, »daß sie gerade keinen festen Bezug zur Wirklichkeit mehr wahren.« »Sie entstammen nicht der Nachbildung, sondern einer wilden Einbildungskraft.«2 In den Grotesken sind die Ordnungen zerbrochen. Das Groteske in der Literatur ist, um N. Kassel zu zitieren, »eine sprachlich realisierte Gegenständlichkeit oder ein literarisch struktuiertes Charakteristikum der unvermittelten Zusammenfügung von Unvereinbarem. Die Zusammenfügung kann auf verschiedene Weise realisiert sein; es kann sich um ein gegenseitiges Verkehren, ein In-Konflikt-Setzen, um eine gegenseitige Übertragung, mehr noch um eine ornamentale Verschlingung der unvereinbaren Bereiche handeln.«3 Das Groteske in der deutschen Literatur findet nach einer jahrhundertelangen Entwicklung in Kafkas Werk einen Höhepunkt der Gestaltung. Wolfgang Kayser und vor allen Dingen Norbert Kassel haben diesem zentralen Phänomen ausführliche Untersuchungen gewidmet. In der chinesischen Dichtung und Kunst kommt dem Grotesken traditionell eine entscheidende Bedeutung zu. Volksreligiöser Geisterglaube, historisch überlieferte Legenden und Sagen über Dämonen und Heilige, der Buddhismus, der u.a. die Seelen als unabhängig vom Körper sieht, und der Taoismus, der sich u.a. als eine Kunst gegen die bösen Geister versteht, bildeten zusammen einen künstlerischen Nährboden für Erzählungen, in denen Dämone und Gespenster in einer gewaltigen Vielfalt auftreten. Solche Werke erreichten im Zeitraum von der Wei- und Jin-Dynastie bis in die nördliche Dynastie (etwa 220-550) eine Verbreitung.4 In der Ming-Zeit (etwa

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Kayser, a.a.O., S.30-31. Norbert Kassel, a.a.O., S. 26. »Six Dynasties critics and theorists took note of a tide of interest in the recondite and Huang-Lao Taoism that was particularly pronounced in the Eastern Chin, citing such figures as Kuo P'u, to whom are ascribed both recondite poetry and fiction. Powerful external factors converged to contribute to the broading of intellectual horizons: a revival of interest in Lao-tzu and Chunag-tzu and new developments in Taoist thought; the large-scale introduction of Buddhist doctrine

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1368-1644) tauchten nach einer langen Phase der Latenz erneut Geister- und Gespenstergeschichten auf.5 Eine Reihe Werke über seltsame Begebenheiten wie Hong Mais (1123-1202) Yijian zhi, Ju Yous (1341-1427) Jiandeng xinhua, Li Changqis Jiandeng yuhua usw. entstanden, bis Pu Songling mit seinem Liaozhai zhiyi die berühmtesten Beispiele dieser Tradition publizierte. Im China der Ming- und Qing-Zeit, wie in vergleichbaren Epochen der westlichen Kultur, waren sowohl Autor als auch Leser eher an den in der Literatur behandelten Tatsachen interessiert als an der Erzählliteratur als solcher. Die simpelste Geschichte war so lange gut, wie die darin vorgestellten Tatsachen hinreichten, genügend Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Da wundert es kaum, daß über Jahrhunderte hinweg chinesische Literaten merkwürdige Geschichten und Anekdoten zusammenstellten, und daß die Leser niemals dieses Typs von Literatur müde geworden sind. 6

In diesen Geschichten verliert die Weltordnung an Geltung, die überirdischen Mächte, Dämone und Geister dominieren die erzählte Welt, Seltsames und Außergewöhn-liches bilden die Grundstruktur; Tiere werden zum gefragten Motiv.7

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and lore.« Nienhauser, W. H. (Ed.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature. Bloomington 1986, S.281-282. Karl S. Y. Kao bemerkt dazu: »Just as the conflicting ideas of Taoism, Buddhism and Confucianism were being integrated by the philisophical syncretism of the time, the question of fact or fiction was viewed in terms of a tale's historicity rather than its factuality. In this view, a fictional figure may be seen to have the same value as a historical personage insofar as the figure embodies certain historical affirmed qualities. Both kinds of materials, fictional and historical, were absorbed by the literary imagination as valid substances for the ch'uan-ch'i narrative. Through this process the >raw materials< of the supernatural/fantastic were >civilized< for the presentation of a coherent perception of the cultured world of the Tang.« A.a.O., S.21-27. C. T. Hsia, a.a.O., S.25. In The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature liest man: »There are occasional discourses elaborating theories of physical transformation, explicating the meaning of portentous anomalies, or revealing esoteric knowledge of the world beyond daily life. ... Included are legends from local shrines about heroes and spirits, who brought everything from blessings and banes to an occasional practical j o k e . . . . There are cautionary tales of fox and tortoise demons who assumed human form to seduce men and hortatory accounts of the filial and incomiotible reaping their rewards.« A.a.O., S.281. Vgl. auch Sun Yizhen: Über Liaozhai zhiyi• Jinan 1984, S. 244-247. Darin stellt Sun parallele Stellen und Motive zwischen Liaozhai zhiyi und Soushen ji zusammen und vermutet einen Einfluß Gang Baos auf Pu Songling.

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Pu Songling erbt und entwickelt diese erzählerische Tradition. Auf Groteskes bei Pu Songling ist vielfach hingewiesen worden: Gao Heng (1612-1697) und Tang Menglai (1627-1698) z.B. verweisen in ihren Vorworten zu Liaozhai zhiyi legitimierend auf dieses Phänomen.8 Dieses Phänomen, das die Kafkaschen und Pu Songlingschen Erzählungen verbindet, soll hier untersucht werden. Da das Groteske »den Schaffensvorgang, das Werk und die Aufnahme«9 prägt, wird neben dem Werk auch seine Produktion und Rezeption zu berücksichtigen sein, dabei stehen die Bedeutungen der Tierfiguren für das Groteske im Vordergrund. Unsere Untersuchung gliedert sich in drei Abschnitte: Erstens: Traum-Illusionen und Realität; zweitens: Vermischung von Tierischem und Menschlichem und drittens: Leben und Tod.

2.1

Traum-Illusionen und Realität bei Pu Songling

2.1.1 Der Traum der Füchse In dem Gebäude, in dem ein Gelehrter mit Namen Bi Yian gern lernt, tauchen immer wieder Füchse auf. Als Bi Yian einmal beim Lernen döst, wird er von einer Dame geweckt. Sie stellt sich als Füchsin vor und verspricht, ihm eine ihrer Töchter zur Frau zu geben. Am nächsten Tag bringt sie tatsächlich ein Mädchen. Zur Heiratsfeier wird Bi Yian von der Fuchsfamilie eingeladen. Er lernt dabei die drei Schwestern seiner Braut kennen, trinkt auf ihre Aufforderungen zu viel Wein. Als er betrunken nach Hause wankt, wacht er auf einmal auf und hält die Erlebnisse für einen Traum. Aber seine Braut versichert ihn der Tatsächlichkeit. In der Folge entwickelt Bi Yian seine Beziehungen zu der Fuchsfamilie weiter. 8

Die Legitimation der Grotesken bei Pu Songling durch Gao und Tang ist von Zeitlin unter drei Perspektiven systematisch eingeordnet. Vgl. Judith T. Zeitlin, a.a.O., S. 11-19. Vgl. auch Sun Yizhen: Über Liaozhai zhiyi. Jinan 1984, S.244-247. Darin stellt Sun parallele Stellen und Motive zwischen Liaozhai zhiyi und Soushen ji zusammen und vermutet einen Einfluß Gang Baos auf Pu Songling. Auf das Verhältnis zwischen Liaozhai zhiyi und Gan Baos Soushen ji hat auch Nienhauser hingewiesen: »P'u rearranged and elaborated some of Kan Pao'sentries als well as many other writings from later periods.« A.a.O., S.563.

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Kayser, a.a.O., S. 194.

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Traum und Realität prägen gleichermaßen den Charakter dieser Tier-Mensch-Figuren. Die vier Mädchen erscheinen zunächst als Menschen. Sie haben alle menschliches Aussehen, sind ausgesprochen hübsche Mädchen. Das älteste Mädchen z.B. »ist etwa zwanzig Jahre alt, leicht geschminkt. Das ist eine unvergleichliche Schönheit.« (LZZY.0.620) Das kleinste Mädchen, das etwa zwölf Jahre alt ist, »benimmt sich noch recht kindlich.« (LZZY.0.621) Besonders menschengleich wirken sie dadurch, daß sie Bi Yian Streiche spielen und ihn in einem trickreich inszenierten Trinkspiel betrunken machen. Als die Mädchen den Spaß weiter treiben, tritt das Zauberische an ihnen deutlich zutage. Das älteste Mädchen nimmt einen Haarpfeil vom Kopf,10 gießt Wein ein und fordert Bi Yian zum Trinken auf. Es stellt sich dann heraus, daß der Haarpfeil viel mehr enthält als es scheint. Das zweite Mädchen schenkt in eine kleine Schachtel ein und läßt Bi Yian austrinken. Aber Bi Yian kann diese kleine Schachtel nicht leeren, sie ist unerschöpflich; nachher reicht ihm eines der Mädchen einen Becher mit Wein, läßt ihn trinken. Aber der Becher stellt sich als ein gut dekorierter Schuh heraus. Dies alles verleiht den vier Mädchen etwas Zauberhaftes, läßt die ganze Begebenheit als TraumIllusion erscheinen. Das menschliche Aussehen und der schelmische Charakter weisen auf reine Menschen hin, die geheimnisvollen Gefäße decken aber die übernatürlichen Elemente auf. Somit wird der Leser in Unsicherheit gelassen. Er kann diese Figuren weder als illusorisch noch als wirklich bezeichnen. Ebenso unsicher ist Bi Yian, als er erwacht. Er erkennt seinen Rausch, und erst die Erzählung seiner Braut klärt ihn auf. »Meine Schwestern haben gefürchtet, daß du in der Betrunkenheit unruhig sein würdest, sie haben daher dies alles zu einem Traum verwandelt. An sich war das alles kein Traum, sondern Wirklichkeit.« (LZZY.0.621) So werden nicht nur die Fuchsmädchen, sondern auch der Realitätsgehalt der ganzen Geschichte fragwürdig. Das Vermögen, die Wirklichkeit zu einem Traum zu verwandeln, verstärkt die zauberischen Züge der Fuchsmädchen. Der Raum der Geschichte wird

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Bei dem Haarpfeil handelt es sich um einen Haarschmuck, der dazu dient, das lange Haar zusammenzuhalten und zu verschönen. Das war im alten China recht populär.

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in einen Schwebezustand zwischen der Realität und den TraumDlusionen verwandelt. Dieses Vermögen der Fuchsmädchen beruht auf ihrem dualen Wesen. Es ermöglicht ihnen, die Grenze zwischen dem Wirklichen und dem Traum-Illusorischen zu verwischen und eine verzauberte Welt entstehen zu lassen. Diese Funktionen der Tiergestalten sollen weiter untersucht werden. Wir kommen zu der Erzählung Prinzessin Lotos. 2.1.2 Prinzessin Lotos Der Protagonist Dou Hsün ist einmal ein wenig eingenickt. Plötzlich sieht er einen Mann vor sich stehen. Der Mann gibt sich als Gesandter des Königs aus und führt Dou Hsün zum königlichen Hof. Dort wird Dou Hsün freundlich empfangen. Dabei lernt er auch die Tochter des Königs kennen, von deren Schönheit er hingerissen ist. Auf dem Rückweg erfährt er, daß der König ihm die Prinzessin zur Frau geben wollte, ihm dies aber vergeblich angedeutet hätte, weil Dou Hsün zu überrascht gewesen sei. Dou bereut seine Dummheit und erwacht plötzlich aus seinem Traum. Am selben Abend löscht er die Kerzen, um diesen Traum fortzusetzen. Seine Liebesgeschichte entwickelt sich dann im Traum weiter. Er heiratet die Prinzessin und führt ein glückliches Leben im Palast, bis schließlich bekannt wird, daß ein Ungetüm in den Palast einzudringen droht. In der Not bringt Dou seine verängstigte Braut zu einem abgelegenen Haus in Sicherheit, kann aber sie nicht beschwichtigen. Sie hört nicht auf zu schluchzen. Dou ist ratlos. In diesem Moment wacht er auf und erkennt, daß er geträumt hat. Aber das Schluchzen seiner Braut klingt ihm immer noch im Ohr. Er sucht nach und findet, daß die Laute von den Bienen kommen, die sein Kopfkissen umfliegen. So erzählt er dies dem Imker in der Nachbarschaft, läßt ihn den Bienenkorb aufmachen. Sie finden darin eine große Schlange. Dou ahnt, daß sie das Ungetüm aus seinem Traum ist. Die Schlange wird getötet, und die Bienen bleiben bei ihm und gedeihen. Wir gehen zunächst auf die Traumerlebnisse ein. Die Geschichte beteht aus zwei Träumen, die in kausaler Beziehung zueinander stehen. Im ersten Traum lernt Dou Hsün die Prinzessin kennen, verliebt

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sich in sie; im zweiten Traum heiratet er die Prinzessin, flieht nachher mit ihr vor dem Ungetüm. Der Kern der Erzählung besteht vornehmlich aus Traumerlebnissen, die Realität dient nur als Rahmen. Allerdings werden die Traumerlebnisse präzise und realistisch dargestellt. Die Traumerlebnisse gewinnen dadurch an Realität, daß die Schönheit der Prinzessin Dou zutiefst erschüttert. Schon ihr Anblick fasziniert ihn. Dou »starrte ihr nach, sein Herz erbebte, er saß da wie angewurzelt; seine Gedanken stockten, und als der König den Becher erhob und ihn erneut zum Trinken ermunterte, sah er es nicht.« (LZZY.Gr.72) Diese ausführliche Beschreibung von Dous entrücktem Zustand unterstreicht nicht nur die Schönheit der Prinzessin, sondern setzt auch die Traumerlebnisse der Realität gleich. Die entgeisternde Schönheit der Prinzessin legt also dem Leser nahe, die Traumerlebnisse als Realität zu erleben. Im zweiten Traum wird Dou Hsün vom König in den Palast geholt, um die Prinzessin zu heiraten. Dou Hsüns Wunsch geht in Erfüllung. Um sich aber der Realität der Heirat zu vergewissern, fragt Dou seine Braut: »In Ihrer Gegenwart, Gnädigste, würde es leicht sein, selbst den Tod zu vergessen, aber sagen Sie mir, ist das alles ein Traum?« (LZZY.Gr.75) Diese Frage dient dazu, den Leser von der Realität der Situation zu überzeugen, und dasselbe gilt für die Antwort der Prinzessin: »Du und ich sind doch beisammen, wie sollte es ein Traum sein?« (LZZY.Gr.75) Dabei will es Pu Songling noch nicht bewenden lassen. Er läßt Dou Hsün die Hüfte und die Füße der Prinzessin messen und den Grund dazu erläutern: »Ich bin so oft durch die Träume enttäuscht worden, daß ich mir nun genau alles merken möchte. Wenn es dann doch noch ein Traum ist, so werde ich wenigstens etwas als Erinnerung an dich behalten.« (LZZY.Gr.75) Das Ende der Träume geht einher mit der Begegnung mit Tieren: Nachdem Dou seine Braut in Sicherheit gebracht hat, hört er sie immer noch schluchzen. »Da erwachte er und wußte nun, daß alles nur ein Traum gewesen war. Als (Dou) genau horchte, waren es nicht menschliche Laute. Aber ein paar Bienen umflogen summend sein Kopfkissen. Darüber war er sehr erstaunt und fragte seinen Freund, der über diese seltsame Geschichte auch höchst verwundert war.« (LZZY.Gr.77) Die Bienen wirken deswegen überraschend, weil sie Dous Erlebnisse als Traum-Illusionen enthüllen und den bei diesen Erlebnissen 56

verweilenden Leser von der Geschichte distanzieren. Durch die Bienen wird also nicht nur das Schluchzen, sondern auch die Figur der Prinzessin, ja die ganze Gechichte als Illusion entpuppt. Ähnlich läßt die große Schlange das Ungetüm des Traums als Illusion erkennen. Auffällig sind die Parallelen zwischen den Traumerlebnissen und der Realität. Summen die Bienen in der Realität, so schluchzt die Prinzessin im Traum; ist im Traum ein Ungetüm »mit einem Kopf so groß wie ein Berg und Augen so groß wie Teiche«, so ist in der Realität »eine große Schlange von ungefähr zehn Fuß Länge« (LZZY.Gr.78); fliehen in den Träumen die Prinzessin und die Hofdamen vor dem Ungetüm, so fliehen in der Wirklichkeit die Bienen vor der Schlange. Diese Parallelen erhalten eine Beziehung zwischen der Wirklichkeit und den Traum-Illusionen aufrecht. Die Traum-Illusionen werden nicht einfach abgetan, sondern aufgehoben in der Wirklichkeit. Stephen Owen unterscheidet zwischen der »Fiktion« und dem »Fiktionalisieren« in der Literatur. Er vertritt die Ansicht, daß man die chinesische Literatur eher als ein »Fiktionalisieren« denn als »Fiktion« verstehen soll. Um überhaupt zu fiktionalisieren, wird in chinesischen Erzählwerken oft eine spezifische Figur in eine besondere Situation versetzt, die mit Phrasen wie »Ich träume«, »mir scheint es« usw. das »fiction-making« einleitet. So erscheinen Metaphern und Fiktionen als subjektive Tätigkeiten, sie bilden den Rahmen der Geschichten." In chinesischen Erzählwerken begegnet man oft einem solchen Rahmen, der, wie J. Zeitlin bemerkt, manchmal sogar interessanter als die erzählten Geschichten selbst ist.12 Erst innerhalb eines solchen Rahmens entfalten sich die erzählten Geschichten selbständig, wie es bei Tao Yuanmings Taohua yuan der Fall ist.13 Diese Erzähltechnik wendet Pu Songling schöpferisch an: Er bildet mit TraumIllusionen nicht nur einen Rahmen, sondern gestaltet sie auch als einen Bestandteil der erzählten Geschichten, so daß es schwerfällt, zwischen Realität und Dlusion zu unterscheiden.14 Der Rahmen und die 11

12 13 14

Vgl. Stephen Owen: Traditional Chinese Poetry and Poetics: Omen of the World: Madison: University of Wisconsin Press 1985, S.52. Vgl. J. Zeitlin, a.a.O., S.44-45. Vgl. ebd. J. Zeitlin betrachtet zu recht den Traum als eine Metapher für Fiktionen. Mit Traum schafft Pu Songling eine künstlerische Wirklichkeit, in der der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Illusionen wegfällt. »Dream is the ultimate metaphor for falsehood and fictionality«. »In Liaozhai, there is a constant

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erzählten Geschichten werden miteinander verknüpft durch die Tierfiguren, die das Zentrum einer künstlerischen Welt bilden, die nicht nach Gesetzen unserer vertrauten objektiven Welt, sondern nach denen der subjektiven Welt des Autors gebaut ist. Die Tierfiguren markieren die ästhetische Grenze zwischen Realität und Traum-Illusionen. Sie können den Leser veranlassen, die Traumerlebnisse wiederholt zu lesen, um die Grenze zwischen Realität und Irrealität zu erkennen. Die Erzählung erhält dadurch einen dynamischen Charakter. Diese Erzähltechnik, mit Traum-Illusionen die Aufmerksamkeit des Lesers gefangenzunehmen, findet sich in der Qing-Zeit auch in Traum der roten Kammer. One »uses words like >dream< and >illusion< in the chapter, which in this case signify the underlying meaning of the book, which also conveying a hidden intention of waking up the reader.«15 Das Besondere an Pu Songling ist aber, daß die Traum-Illusionen auf Tierfiguren und Tierischem beruhen. Ein wichtiges Motiv für die Traum-Illusionen, die mit Hilfe des Tierischen dargestellt werden, ist die Sympathie des Autors für das Bemühungen des Individuums, das versucht, gegenüber aller rationalistischen Tradition seine Wünsche zu erfüllen. Das ist umso mehr zu schätzen, als die Traumdarstellungen vor Pu Songling meistens zur Veranschaulichung der buddhistisch-taoistischen Weltsicht dienen; erst im 17. Jahrhundert entsteht der Roman Xiyou bu von Dong Yue, der die Traumdarstellung für ein reales Thema einsetzt: die Bemühungen eines Menschen, sich in Träumen von der rationalen Tradition zu befreien. Es ist ein Verdienst von Pu Songling, mit Hilfe des Tierischen eine künstlerische Welt mit realistischen und traumhaften Elementen zu schaffen, um seine Sympathie für das Individuum verschlüsselt zu zeigen.16 (Über das Thema der Selbstemanzipation des Individuums wird in 3.3 und besonders in 4.1.11 diskutiert.)

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16

blurring of figurative truth and literal truth, and fibs, metaphors, and jests come truth without difficulty.« A.a.O., S. 172-173. Vgl. A. Plaks: Allegory in Hsi-Yu Chi and Hung-Lou Meng. In: Plaks (Ed.): Chinese Narrative. A.a.O., S. 188. Weitere Literatur zu Traumdarstellungen in der Tang-Zeit sind: David R Knechtges: »Dream Adventure Stores in Europa and Tang China.« In: Tamkang Review, 4/Okt.l973, S. 101-119 und Y.M. Ma: »Fact and Fantasy in T'ang Tales.« In: Clear, 2:2/Juli, 1980, S. 167-181.

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2.2

Traumillusionen und Realität bei Franz Kafka

An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich mit den Kafkaschen Tiergestalten an, zunächst mit denen aus Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. 2.2.1 Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande Raban, der aufs Land fahren muß, um dort Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen, spielt mit dem Gedanken, nur seinen Körper dorthin zu schicken, damit sein »Ich« zu Hause bleiben könne. Ich brauche nicht einmal selbst aufs Land fahren, das ist nicht nötig. Ich schicke meinen angekleideten Körper. Wankt er zur Tür meines Zimmers hinaus, so zeigt das Wanken nicht Furcht, sondern seine Nichtigkeit. Es ist auch nicht Aufregung, wenn er über die Treppe stolpert, wenn er schluchzend aufs Land fährt und weinend dort sein Nachtmahl ißt. Denn ich, ich liege inzwischen in meinem Bett, glatt zugedeckt mit gelbbrauner Decke, ausgesetzt der Luft, die durch das wenig geöffnete Zimmer weht. (Hz.l lf)

Beim genauen Lesen kann man die Absicht des Autors erkennen, durch die Verwendung einer Tierfigur die Imagination Rabans als solche kenntlich zu machen. »Wankt er zur Tür meines Zimmers hinaus, so zeigt das Wanken nicht Furcht, sondern seine Nichtigkeit.« Die »Nichtigkeit« bezieht sich nicht nur auf das Wanken, sondern auf das Ganze, was sich mit diesem Körper verbindet. Das Wort »Wanken« ruft einen Eindruck der Schwerfälligkeit, Seelenlosigkeit, ja des Marionettenhaften wach. Dieser Vorstellung wird dann die Realität des rational denkenden »Ich« Rabans gegenübergestellt. Es folgt gleich der Satz: »Denn ich, ich liege inzwischen in meinem Bett, glatt zugedeckt mit gelbbrauner Decke, ausgesetzt der Luft, die durch das wenig geöffnete Zimmer weht.« Die Partikel »denn« leitet den ganzen Satz als Begründung zur Nichtigkeit des Körpers ein, stellt auch die Konfrontation zwischen dem vorgestellten Körper und dem realen »Ich« dar, wobei dem »Ich« durch ein wiederholtes Erwähnen Nachdruck verliehen wird. Das rational denkende »Ich« und der illusorische Körper werden in unmittelbare Beziehung gesetzt durch die Luft, »die durch das wenig geöffnete Zimmer weht«. Somit hat der Leser beides gleichzeitig vor Augen und bleibt sich der Nichtigkeit des Körpers bewußt.

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Die Tatsache von Rabans Imagination wird auch schrittweise gekennzeichnet durch Hinweise auf sein Träumen und auf seinen »Winterschlaf«. Eines Käfers große Gestalt, ja. Ich stelle es dann so an, als handle es sich um einen Winterschlaf, und ich preßte meine Beinchen an meinen gebauchten Leib. Und ich lisple eine kleine Zahl Worte, das sind Anordnungen an meinen traurigen Körper, der knapp bei mir steht und gebeugt ist. Bald bin ich fertig - er verbeugt sich, er geht flüchtig und alles wird er aufs beste vollführen, während ich ruhe. (Hz. 12)

Diese Absätze zeigen die kausalen Beziehungen zwischen der Tierfigur und der Illusion. Der nichtige Körper Rabans kann deswegen imaginiert werden, durch die Tür wanken und auf dem Lande alles vollführen, weil das rational denkende »Ich« Rabans sich in einem Käfer zu verstecken glaubt. D.h., erst indem das »Ich« als Käfer im Bett liegt, ist der Körper als illusionierte Marionette möglich. Die Tiergestalt des Käfers wirkt als Träger der Illusion. Sie verbindet die Illusion mit der Realität. Das ist auch sprachlich zu belegen. In dieser Passage wird die Tiergestalt beschrieben: »der gebauchte Leib« und die »Beinchen« werden erwähnt. Gleichzeitig aber wird der Konjunktiv eingesetzt (»als handle es«, »ich preßte«) und somit das Geschehen als Vision gezeigt. Indem Raban sich als Tier vorkommt, kann er imaginieren und Anordnungen an seinen imaginierten Körper richten. Im Zentrum des Imaginationsprozesses steht die Tiergestalt. 2.2.2 Die Verwandlung Auch in der Erzählung Die Verwandlung steht eine Tiergestalt an der Grenze zweier Wirklichkeitsbereiche. Gregor Samsas Verwandlung vollzieht sich im Traum, wo sein Bewußtsein ausgeschaltet ist. Das Ergebnis der Verwandlung aber das Ungeziefer - wird Realität. Samsas Verwandlung ist eine unleugbare Tatsache: »Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.« (E.71) Das Ungeziefer steht als faktische Tatsache da, grenzt sich von den Träumen ab. Mit dem Ungeziefer verbunden ist nun die reale Welt, nicht mehr die Träume und Illusionen. Wie sich Samsa auch anstrengt, diese Tatsache beiseitezuschieben, die Tiergestalt des Ungeziefers kann er nicht loswerden. »Er lag 60

auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte.« (E.71) Diese realistische Beschreibung demonstriert die Tatsächlichkeit der Verwandlung, die für Samsa einen Schock bedeutet. »Was ist mit mir geschehen?« (E.71) Die detaillierte Tierschilderung verdeutlicht seinen Eindruck: »Das war kein Traum.« (E.71) Jedoch will sich Gregor Samsa von dieser Tatsache noch nicht überzeugen lassen. Er bemüht sich weiter, den verwandelten Körper als Illusion abzuweisen. »>Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig schliefe und die Narrheiten vergäße. «< (E.71) Der Satz zeigt im Konjunktiv die Unsicherheit und Verwirrung Gregors. Er ahnt, daß die neue Wirklichkeit nicht leicht abzuweisen ist. Diese Ahnung bestätigt sich, als er vergeblich versucht, sich auf die eine Seite zu drehen, um einzuschlafen. »Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage zurück. Er versuchte es wohl hundertmal, Schloß die Augen, um die zappelnden Beine nicht sehen zu müssen, und ließ erst ab, als er in der Seite einen noch nie gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann.« (E.72) Merkwürdig ist sein wiederholter Versuch, seinen verwandelten Körper zu ignorieren oder ihn als Traum-Illusionen zu interpretieren. Gregor Samsa will seine Tiergestalt nicht wahrhaben. Er will später dem verwandelten Körper zum Trotz »ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen« (E.75). Er will sich zuerst als richtiger Menschen benehmen, so tun, als sei nichts passiert. Er glaubt, auf diese Weise die Tiergestalt, die ihn überfallen hat, als Illusion loswerden zu können. »Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden.« (E.75) Sein Versuch, der Tiergestalt zum Trotz sich zu erheben und unter die Familienmitglieder zu begeben, scheitert wiederholt. Seine neue Identität bereitet ihm Mühe und Schmerzen, gibt ihm die Metamorphose als Tatsache zu spüren. Auch die zahlreichen Beinchen versagen ihm den Dienst. Somit wird Samsa ge61

zwungen, sich als Ungeziefer zu benehmen und als solches aus dem Bett zu kommen. Zuerst wollte er mit dem unteren Teil des Körpers aus dem Bett hinauskommen, aber dieser untere Teil, den er übrigens noch nicht gesehen hatte und von dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen konnte, erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam; und als er schließlich, fast wild geworden, mit gesammelter Kraft, ohne Rücksicht sich vorwärtsstieß, hatte er die Richtung falsch gewählt, schlug an den unteren Bettpfosten heftig an, und der brennnde Schmerz, den er empfand, belehrte ihn, daß gerade der untere Teil seines Körpers augenblicklich vielleicht der empfindlichste war. (E.76)

Der Schmerz offenbart die Realität der Verwandlung. Gregor beginnt, nach der eigentlichen Ursache dieser Verwandlung zu suchen. Dieses Suchen zeigt, wie sehr Gregor seine Verwandlung hingenommen hat. Er hofft jetzt, seine menschliche Identität durch eine erneute Verwandlung wieder zu erhalten. »Und ein Weilchen lang lag er ruhig mit schwachem Atem, als erwarte er vielleicht von der völligen Stille die Wiederkehr der wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse.« (E.77) Gregor findet sich also mit seiner Tiergestalt als Realität ab. Die Tatsache seiner Verwandlung ist ihm so klar, daß er sich nur mit dem Ungeziefer identifizieren und sich dementsprechend benehmen kann. Das Verhältnis zwischen Realität und Illusion hat sich umgekehrt. Dadurch, daß Gregor Samsa durch seine Tiergestalt die Verwandlung schrittweise als Tatsache hinnimmt, erklärt sich auch die Funktion der Tiergestalt, die Verwandlung als faktische Tatsache zu beweisen. Eben in dieser Funktion liegt die ästhetische Ursache für das Erstaunen und das Erschrecken über die Erzählung. Diese Funktion der Tiergestalt läßt sich anhand der Erzählung Der Geier weiter untersuchen. 2.2.3 Der Geier Die Geschichte erzählt von einem Ich-Erzähler, der es duldet, von einem Geier gehackt zu werden. Da kommt ein Passant vorbei. Er erzählt dem Ich-Erzähler, ein Schuß genüge, um den Geier zu erledigen. Als er das Gewehr holen gegangen ist, will der Geier dem IchErzähler tief in den Mund stoßen, um ihn zu töten, ertrinkt aber dabei in seinem Blut.

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Der Geier ist so überirdisch kräftig, daß der Ich-Erzähler ihm gegenüber völlig wehrlos ist. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Gegenwehr aufzugeben, nachdem sein erster Versuch fehlgeschlagen hat. Es kommt für ihn nicht in Frage, den Geier zu töten. Er denkt lediglich daran, wie er das Gesicht schützen kann. Dafür opfert er seine Füße und duldet ungeheuere Schmerzen und unbeschreibliche Qualen. Das Unirdische des Geiers zeigt sich auch in seiner extremen Grausamkeit. Er zerreißt seines Opfers Stiefel und Strümpfe. Auf dessen Versuch, sich zur Wehr zu setzen, verschärft er den Angriff und will ihm ins Gesicht hacken. Als er verstanden hat, daß der Passant das Gewehr holen gegangen ist, um ihn zu erschießen, will er den Ich-Erzähler auf einen Schlag töten. In Einklang mit der Barbarei steht das Unheimliche des Geiers. In der ganzen Geschichte macht das Tier keinen einzigen Laut, weil das zum Hacken nicht erforderlich ist. Der Geier ist beschränkt auf eine einzige Funktion: den Ich-Erzähler zu hacken. Der barbarische und unirdische Geier ist keine realistische Darstellung. Er ist eine künstlerische Figur, Zeugnis der Einbildungskraft des »Ich«. Die Tierfigur zeigt die Angst des »Ich«, unerwartet gequält und getötet zu werden, ohne daß es sich dagegen wehren könnte. Der Geier läßt sich verstehen als eine erzählerische Symbolisierung von einem Schmerz, der erst endet, wenn er sein Opfer, das zugleich Subjekt und Objekt dieses Schmerzes ist, getötet hat.17

2.3 Zwischenbilanz: Vergleich zwischen Pu Songlingschen und Kafkaschen Tierfiguren Pu Songlings Tierfiguren verwischen die Grenze zwischen Traum-Illusionen und Realität, machen aus ihnen eine Einheit. Dadurch wird die erzählte Welt zu einer großen Kunstwelt. Der Autor hat die Möglichkeit, das eigentlich Unvereinbare zu vereinbaren. Die Geschichte entwickelt sich über die Erwartungen des Lesers hinaus. Die Wirklichkeit und die Traum-Illusionen stehen in einem harmonischen Verhält17

Eine Parallele zwischen dem Geier und dem Adler in André Gides »Le Promethée mal enchaine« drängt sich auf. Der Adler als Fessel durch herkömmliche Moral und Religion ist eine Illusion von Prometheus. Prometheus wünscht, in die Zeit vor dem Adler zurückzukommen, wo er schön, glücklich und nackt ist, ohne es zu wissen; deshalb tötet er den Adler.

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nis zueinander, sie wirken zwar erstaunend, aber auch erheiternd.18 Die Grotesken verlieren an Unheimlichkeit. Die Tierfiguren bei Kafka trennen die Traum-Illusionen von der Realität, indem sie die Grenze zur Realität zu einem unüberwindbaren Abgrund machen und gleichzeitig unglaublich entsetzliche Tatbestände wie die Verwandlung Gregor Samsas detailliert und lebensnah schildern. Daher ist die Grenze von Traum-Illusion und Realität leicht erkennbar und die Grotesken wirken unheimlich.

2.4 Die gemischten Figuren von Tierischem und Menschlichem bei Pu Songling In Einklang mit der Funktion der Tiergestalten, Traum-Illusionen und Realität zusammenzurücken, steht die Vermischung von Tierischem und Menschlichem. Wir betrachten zunächst die Pu Songlingschen Tiergestalten. 2.4.1 Herr Fux

Ein Mann hat Herrn Fux19 als Hauslehrer für seine Tochter bekommen. Das ist ein guter und fleißiger Lehrer, der sich dem Unterricht widmet. Später vermutet man in ihm einen Fuchsgeist, weil er durch die Wand gehen kann. Da er nichts Böses vorhat, behandelt man ihn so freundlich wie zuvor. Zwischen dem Hausherrn und dem Hauslehrer entwickelt sich eine Freundschaft. Später verliebt sich Herr Fux in die Tochter der Familie, bittet aber vergeblich um ihre Hand, da der Hausherr der Heirat entgegensteht. Es entwickelt sich ein Streit, der dazu führt, daß Herr Fux eine Schar Fuchssoldaten zum Angriff schickt und das ganze Haus in chaotischer Unordnung hält, bis der Hausherr nachgibt. Am Ende heiratet der Sohn der Familie die Schwester von Herrn Fux. 18

Der Bedeutung der Träume bei Pu Songling, als Mittel zur Erleichterung zu fungieren, hat der J. Zeitlin hat ein Unterkapitel ihrer Dissertation gewidmet. Vgl. J. Zeitlin, a.a.O., S. 168-171. Allerdings wird ihre These überwiegend durch eine Erzählung Cheng Xian unterstützt. Das finde ich zu eng. In Liaozhai zhiyi gibt es eine Reihe von Traumdarstellungen, die von unterschiedlichen Bedeutungen sind. Vgl. J. Zeitlin, a.a.O., S. 168-171.

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Im Original heißt der Protagonist »Hu«. Man hat seinen Namen als »Fux« übersetzt, um auf seine fuchsartige Natur anzuspielen.

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Durch die ganze Geschichte hindurch vermengen sich immer wieder das Tierische und Menschliche an Herrn Fux, seinen Soldaten und seinem Gesandten. Herr Fux kommt zuerst als Lehrer, also als Mensch vor. Ein Beleg für sein Menschentum ist die Tatsache, daß er mit dem Hausherrn Gespräche führt und daß er dabei dem Hausherrn gefällt. »Die Unterhaltung war so angenehm, daß beide sich alsbald darüber klar waren, daß sie einander mochten.« (LZZY.Gr.34) Aus der Perspektive des Erzählers werden die beiden, der Hauslehrer und der Hausherr, als gleichrangige Menschen bezeichnet. Herr Fux kann als realer Mensch andere mögen und auch von anderen gemocht werden. Dementsprechend wird ihm »ein übliches Antrittsgeschenk« gemacht und ein »passendes Zimmer« (LZZY.Gr.34) eingeräumt. Herr Fux entspricht zudem der Erwartung der Familie, indem er sich dem Unterricht mit großem Eifer widmet, »wobei er sich als Gelehrter von nicht gewöhnlichen Fähigkeit erwies.« (LZZY.Gr.35) Das Menschentum von Herrn Fux wird auch dadurch ersichtlich, daß er die Liebe zur Tochter der Familie empfindet und um sie wirbt. Er besitzt also Gefühle wie alle anderen Menschen. Andererseits zeigt sich an Herrn Fux Tierisches. »Gewöhnlich kehrte er erst spät in der Nacht heim, und wenn die Türen verschlossen waren, klopfte er nicht erst an, sondern plötzlich war er im Hause.« (LZZY.Gr.35) Diese rätselhafte Begabung, durch Wände gehen zu können, ist ein Hinweis auf seine geisterhafte Identität. Dieses gemischte Wesen kennzeichnet auch den Fremden, den Herr Fux zur Heiratsvermittlung geschickt hat. Als Mensch ist er »fein und sauber gekleidet, sein Benehmen tadellos« (LZZY.Gr.35). Dem entspricht auch sein scharfes Auffassungsvermögen. Er versteht es, alle Vorwände des Hausherrn zu durchschauen und auf eine Erklärung zu drängen, »was eigentlich einer Ehe im Wege stünde« (LZZY. Gr.35). Als Mensch ist er auch temperamentvoll. Über die schroffe Ablehnung des Hausherrn wird er böse, kann sich nicht beherrschen und beginnt sogar handgreiflich zu werden, bis er verprügelt und hinausgeschickt wird. Andererseits erkennt man Tierisches an ihm. Der Fremde verschwindet, läßt »aber seinen Esel da. Als die Diener herangingen, fanden sie ein riesiges Biest mit schwarzem Haar, lang herabhängenden Ohren und einem langen Schwanz. Sie wollten ihn fortführen, aber er rührte sich nicht. Als sie ihm aber einen Schubs von hinten gaben, fiel er nach vorne über und - war nur eine Strohfigur.« 65

(LZZY.Gr.36) Rätselhafte Begebenheiten dieser Art verleihen dem Fremden und dem Herrn Fux übersinnliche, gespenstische Wesenszüge. Dasselbe ist auch an den Fuchssoldaten zu beobachten, die das Haus umringen und die Hausdiener zum Kampf provozieren. Sie kommen, »mit Speeren bewaffnet, andere mit Armbrüsten: Männer und Pferde rückten mit unglaublichem Getöse heran.« (LZZY.Gr.36) Sie drohen das ganze Anwesen in Brand zu stecken, was die Hausdiener in tödlicher Angst versetzt. »Steine und Pfeile flogen in alle Richtungen, es gab Verwundete auf beiden Seiten.« (LZZY.Gr.36) Glaubhaft erscheinen die Fuchssoldaten als Menschen, ebenso deutlich aber auch ihre zauberischen Züge. Die Schwerter, die sie auf dem Kampffeld liegen lassen, glitzern zwar wie Rauhreif, verwandeln sich aber, als man sie aufhebt, in Gaulianghirse. Herr Fux, sein Gesandter und seine Soldaten sind gemischte Charaktere mit tierischen und menschlichen Eigenschaften. Sie erscheinen und handeln einerseits als Menschen, erweisen sich andererseits als unirdisch-tierische Figuren mit überirdischen Fähigkeiten. 2.4.2 Die Krähen Yu Schung, der vom Examen nach Hause kommt, ruht sich unterwegs in einem Tempel eines Schutzgottes aus. Unverhofft wird er vor das Antlitz des Schutzgottes gebracht. Es wird ihm mit der Zustimmung des Gottes ein schwarzes Gewand ausgehändigt. Als Yu Schung es anzieht, verwandelt er sich in eine Krähe, die in den Himmel fliegt. Dort gesellt er sich zu einer Schar von Mitkrähen, lernt ein Weibchen namens Tschu Tsching kennen und verliebt sich in es. Als er aufwacht, befindet er sich noch in dem Tempel. Aber seine Traumund Liebesgeschichte kommt ihm nicht mehr aus dem Sinn. Drei Jahre später kommt er an derselben Stelle vorbei. Er füttert die Krähen und bittet sie, Tschu Tsching zu ihm zu schicken. Darauf erscheint tatsächlich Tschu Tsching in Gestalt eines Mädchens. Sie verbringen glückliche Stunden miteinander und gründen später, als Yus Frau gestorben ist, eine Familie. Die Geschichte spielt sich sowohl in einer empirisch-realen Welt als auch in einer Traumwelt ab, wobei die Krähe, in die sich Yu Schung verwandelt, die beiden Welten verbindet.

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Yu ist in Tschu Tsching so verliebt, daß er die Grenze von Traum und Wirklichkeit zu überschreiten sucht und sich ein Wiedersehen wünscht. Er »machte eine Menge Futter zurecht und lud die Krähen ein, zu kommen und zu essen; dann betete er in seinem Herzen und sagte: >Wenn Tschu Tsching unter euch ist, laßt sie bleiben. Hier ist dein altes Kleidwann immer du mich sehen willst, tu es an und komm. Nach deiner Ankunft werde ich es dir wieder ausziehen.dem können die Außendinge nichts anhaben.Weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.eyewitness< report of Buddhist hell ... and the revenge of the spirits who were wronged when alive.« A.a.O., S. 10. Auf die konfuzianischen Tugenden, die an Pu Songlings Tierfiguren gezeigt werden, werden wir in 4.1.1 - 4 . 1 . 5 zu sprechen kommen. C. T. Hsia, a.a.O., S.42.

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2.8.1 Schakale und Araber Ein Europäer erzählt seine Erlebnisse auf seiner Reise durch eine arabische Wüste. Die Schakale hassen die Araber und bitten den Erzähler, einen Araber zu töten und den langfristigen Streit zwischen dem Tier und dem Menschen zu beenden. Als aber der Araber den Schakalen einen Kavader zum Fressen bringt, vergessen alle Tiere den Haß und stürzen sich gierig auf das Fleisch. Der Haß der Tiere auf die Araber zieht sich als roter Faden durch die ganze Geschichte. Er ist begründet in der Lebensweise der Araber, die Tiere zuerst töten, um sie dann zu essen. »Sie töten Tiere, um sie zu fressen, (...) Ist es nicht Unglück genug, daß wir unter solches Volk verstoßen sind?« (E. 161) In den Augen der Tiere sind die Araber rohe Barbaren. Da das Töten der Tiere seit eh und je Lebensgewohnheit der Araber ist, ist der Streit zwischen beiden Seiten quasi Naturgesetz. Der Haß liegt »im Blut«, »wird also vielleicht erst mit dem Blut enden« (E.161). Um es mit den Worten des ältesten Schakals zu sagen: »Wir nehmen ihnen also ihr Blut und der Streit ist zu Ende.« (E.161) Jedoch können die Schakale keinen Entschluß fassen, die Araber persönlich zu töten und dadurch den Streit mit ihnen endgültig zu beenden. Sie setzen die Hoffnung auf jeden Europäer, der in der Wüste erscheint. Für sie ist jeder Europäer dazu berufen, die Araber zu töten. Deshalb wird dem Ich-Erzähler eine Schere gebracht, mit der er einem Araber den Kopf abschneiden soll. Diese Schere ist rostig und alt. Als Symbol für den Haß auf die Araber »wandert diese Schere durch die Wüste und wird mit uns wandern bis ans Ende der Tage« (E.164). Als beständig wandernde erinnert sie an das Ahasver-Motiv und ist zugleich Sinnbild des unendlichen, seit uralten Zeiten gehegten Hasses; zugleich verdeutlicht sie die Unfähigkeit der Schakale, die Araber persönlich zu töten. Die Tiere schrecken vor dem Mord zurück, nicht, weil sie Angst haben, sondern weil sie die Unreinheit der Menschen scheuen: »Wir werden sie nicht töten. So viel Wasser hätte der Nil nicht, um uns rein zu waschen. Wir laufen doch schon vor dem bloßen Anblick ihres lebendigen Leibes weg, in reinere Luft, in die Wüste, die deshalb unsere Heimat ist.« (E.162) Auffällig ist das Wort »rein«. Die Schakale wollen sich rein halten. »Reinheit, nichts als Reinheit wollen wir« (E.163). Diese erstrebte 86

Reinheit hat etwas Asketisches an sich; sie bedeutet einen Bruch mit dem Leben. Es klingt so, als sei das Leben mit Sünde und Schmutz verbunden - gemeint ist das Leben der Menschen, der Araber. Eine Berührung schon bedeutet eine Beschmutzung, eine Unreinheit. Erst die Wüste erlaubt die notwendige Distanz zu dem Menschen. Dennoch bleiben die Tiere Schakale. Der Geruch von Aas kann sie um die Vernunft bringen. Kaum hat ihnen der Araber einen Kavader gebracht, so erhoben die Schakale ihre Stimmen. Wie von Stricken unwiderstehlich jeder einzelne gezogen, kamen sie, stockend, mit dem Leib den Boden streifend, heran. Sie hatten die Araber vergessen und den Haß vergessen, die alles auslöschende Gegenwart des stark ausdunstenden Leichnams bezauberte sie. Schon hing einer am Hals und fand mit dem ersten Biß die Schlagader. Wie eine kleine rasende Pumpe, die ebenso unbedingt wie aussichtslos einen übermächtigen Brand löschen will, zerrte und zuckte jede Muskel seines Körpers an ihrem Platz. Und schon lagen in gleicher Arbeit alle auf dem Leichnam hoch zu Berg.

(E.164) Die maßlose Gier der Tiere läßt sie ihren Haß vergessen; damit verlieren sie ihre Würde, ihre Sprache und das asketische Streben nach Reinheit. Ihre Raubtiernatur bricht durch. Willenlos lassen sie sich befehlen, »halb in Rausch und Ohnmacht« (E.164) stehen sie dem gehaßten Araber gegenüber, lassen sich widerstandslos mit der Peitsche »kreuz und quer« »kräftig« schlagen und können doch »nicht widerstehen« (E.165). Der Widerspruch im Verhalten der Tiere ist evident: Einerseits hassen sie die Araber, versuchen sie zu töten und den unendlichen Streit mit ihnen zu beenden, andererseits nehmen sie Futter von ihnen an, verhalten sich unterwürfig ergeben wie Hunde ihren Herren gegenüber. Einerseits haben die Schakale Angst vor der verunreinigenden Berührung mit dem menschlichen Leben. Sie lassen sich »deswegen« (E.162) sogar in der Wüste nieder; andererseits aber geben sie sich einer leidenschaftlichen Gier nach Aas hin. Sie sind kräftig und schwach, und deswegen erheben sie sich nicht gegen die Araber. Folgerichtig betrachten die Araber die Schakale als ihre Hunde: »es sind unsere Hunde.« (E.164)

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2.8.2 Der Jäger Gracchus Zur Darstellung des Grenzgebietes zwischen Leben und Tod dienen auch die Tauben in Der Jäger Gracchus. Gracchus ist ein Jäger im Schwarzwald. Als er eine Gemse verfolgt, stürzt er von einem Felsen und kommt dabei ums Leben. Aber im gewissen Maße bleibt er noch am Leben. Sein Todeskahn verfehlt die Fahrt ins Jenseits und Gracchus wandert seitdem auf den irdischen Gewässern umher. Schon die erste Szene zeigt Gracchus in einem Schwebezustand zwischen dem Jenseits und dem Diesseits. Eine ausführliche und detaillierte Beschreibung der Stadt Riva soll eine realistische Darstellung des Stadtlebens suggieren: Zwei Knaben saßen auf der Quaimauer und spielten Würfel. Ein Mann las eine Zeitung auf den Stufen eines Denkmals im Schatten des säbelschwingenden Helden. Ein Mädchen am Brunnen füllte Wasser in ihre Bütte. Ein Obstverkäufer lag neben seiner Ware und blickte auf den See hinaus. In der Tiefe einer Kneipe sah man durch die leeren Tür- und Fensterlöcher zwei Männer beim Wein. Der Wirt saß vorn an einem Tisch und schlummerte. (Br.99)

Diese parataktisch gereihten einfachen Sätze führen eine Reihe Menschen ein, die im Leben versunken sind. Die gemütliche Atmosphäre bürgerlichen Lebens ist durch den langsamen Erzählrhythmus und die ausführliche Beschreibung bemerkbar. Der Punkt trennt die Sätze voneinander ab, erhellt die Tatsache, daß die Leute für sich leben und keinen engen Kontakt miteinander haben. Unausgesprochen herrscht Stille. Dann wird unauffällig die Barke eingeführt, die die Grenzfigur Gracchus in die Stadt bringt. Bemerkenswert ist der ähnliche Satzbau, mit dem die Barke und der tote Gracchus beschrieben werden. Es klingt, als seien die Barke und der Leichnam ein Bestandteil des städtischen Lebens von Riva. Das Jenseits und Diesseits werden so einander angenähert. Die diesseitige und jenseitige Sphäre überschneiden sich in der Figur des Gracchus. Anstatt ins Jenseits zu kommen, bleibt er im Diesseits. »Mein Todeskahn verfehlt die Fahrt, eine falsche Drehung des Steuers, ein Augenblick der Unaufmerksamkeit des Führers, eine Ablenkung durch meine wunderschöne Heimat« (Br.102). Gracchus hat das Leben verlassen, aber den Tod kann er nicht erreichen. Der Anblick der schönen Heimat hat die verfehlte Fahrt ins Jenseits verursacht. »So reise ich, der nur in seinen Bergen leben wollte, nach 88

meinem Tode durch alle Länder der Erde.« (Br.102) Er lebt als Toter auf der Erde, immer auf der Reise, flatterhaft wie ein Schmetterling. »Aus dem Jäger ist ein Schmetterling geworden.« (Br.102) Diese Metapher charakterisiert zutreffend die Situation des heimatlosen und umherwandernden Gracchus, der zugleich eine Version des AhasverMythos vorstellt. Auch am Jenseits hat Gracchus keinen Anteil. Er sucht den Weg dorthin, wird aber immer wieder auf die irdische Sphäre zurückgeschlagen. Ich bin, ( . . . ) immer auf der großen Treppe, die hinaufführt. Auf dieser unendlich weiten Freitreppe treibe ich mich herum, bald oben, bald unten, bald rechts, bald links, immer in Bewegung. ( . . . ) Nehme ich aber den größten Aufschwung und leuchtet mir schon oben das Tor, erwache ich auf meinem alten, in irdengeinem irdischen Gewässer öde steckenden Kahn. (Br.l02f)

Er kann sich der jenseitigen Sphäre annähren, aber keinen Zugang zu ihr finden. Sein Ort liegt zwischen den Welten. In enger Beziehung zu der Situation des Gracchus stehen auch die Tierfiguren der Geschichte, die Tauben. Kaum ist Gracchus in ein Haus gebracht worden, läßt sich ein Taubenschwarm vor dem Haus nieder. Ein Taubenschwarm, der bisher den Glockenturm umgeflogen hatte, ließ sich jetzt vor dem Hause nieder. Als werde im Hause ihre Nahrung aufbewahrt, sammelten sich die Tauben vor dem Tor. Eine flog bis zum ersten Stock auf und pickte an die Fensterscheibe. Es waren hellfarbige wohlgepflegte, lebhafte Tiere. In großem Schwung warf ihnen die Frau aus der Barke Körner hin, die sammelten sie auf und flogen dann zu der Frau hinüber. (Br. 100)

Die Tauben können verstanden werden als Sinnbilder für Gracchus' Wunsch, in dem diesseitigen Gebiet, in der Stadt Riva z.B., richtig leben zu können. Sie fliegen um den Turm - Symbol für die Stadt und für das bürgerliche Leben - herum, suchen Anschluß an die Stadt; dann lassen sie sich vor dem Haus nieder, in dem Gracchus untergebracht ist, es ist, als wollten sie auch ins Haus gehen, um dort eine ständige Bleibe und einen Fixpunkt ihres Lebens zu finden. Der Anhaltspunkt in der Stadt Riva ist dem Jäger so wichtig wie den Tieren die Nahrung. Auch die Taube, die dem Bürgermeister Gracchus' Ankunft ankündigt, ist Ausdruck des Willens Gracchus': »Wir schliefen längst«, erzählt der Bürgermeister, da rief gegen Mittenacht meine Frau:

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>Salvertoresieh die Taube am Fenster!< Es war wirklich eine Taube, aber groß wie ein Hahn. Sie flog zu meinem Ohr und sagte: >Morgen kommt der tote Jäger Gracchus, empfange ihn im Namen der Stadt. «< (Br.lOlf) Diese hahngroße Taube ist Bote zwischen den Welten; gesandt vom lebenden Toten, kommt sie an die Fenster der Lebenden. Als Motiv trägt sie Züge des alttestamentarischen Vorbilds, der Taube, die von der umherirrenden Arche Noahs aufstieg, um Land - einen Anhaltspunkt - zu finden. Zugleich erinnert das Verhalten der Taube an die landläufige und volkstümliche Vorstellung vom vermeintlichen Totenvogel, dem Kauz, der angeblich gegen die Fenster fliegt und das Nahen des Todes verkündet. Diese sicher nicht zufällige Verschmelzung zweier so gegensätzlicher Assoziationssphären unterstreicht den Eindruck, den diese Tiere in der Erzählung hinterlassen: Sie sind Boten zwischen den Welten, die an beiden Sphären ihren Anteil haben und sie vermittelnd miteinander verbinden. 2.8.3 Eine Kreuzung Die Geschichte Eine Kreuzung erzählt von einem seltsamen Tier, das sich aus einer Reihe Gegensätze zusammensetzt. Ich habe ein eigentümliches Tier, halb Kätzchen, halb Lamm. Es ist ein Erbstück aus meines Vaters Besitz. Entwickelt hat es sich aber doch erst in meiner Zeit, früher war es viel mehr Lamm als Kätzchen. Jetzt aber hat es von beiden wohl gleich viel. Von der Katze Kopf und Krallen, vom Lamm Größe und Gestalt; von beiden die Augen, die flackernd und wild sind, das Fellhaar, das weich ist und knapp anliegt, die Bewegungen, die sowohl Hüpfen als Schleichen sind. Im Sonnenschein auf dem Fensterbrett macht es sich rund und schnurrt, auf der Wiese läuft es wie toll und ist kaum einzufangen. Vor Katzen flieht es, Lämmer will es anfallen. In der Mondnacht ist die Dachtraufe sein liebster Weg. Miauen kann es nicht und vor Ratten hat es Abscheu. Neben dem Hühnerstall kann es stundenlang auf der Lauer liegen, doch hat es noch niemals eine Mordgelegenheit ausgenutzt. (Br.108)

Vor solchen Gegensätzen versagen alle Kriterien und Maßstäbe. Der Leser wird aufgefordert, auf eine Definition zu verzichten und das Tier als ein eigentümlich »gemischtes« Tier anzusehen, ein Tier von eigener, einziger Art, eine Kreuzung von Lamm und Raubtier. Diese verschiedenen Wesensformen lassen weder die Natur des Lamms noch die des Raubtiers zur Entfaltung kommen. Der Mischling so gegensätzlicher Naturen versagt dem Tier die Möglichkeit, sich einer Art 90

gemäß zu entwickeln. Der Mischling führt kein normales Tierleben, sondern leidet unter seiner chaotischen, widerspruchsvollen und einsamen Existenzform. H. Richter bemerkt richtig: »Die Verbindung zweier gegensätzlicher Lebensformen in seinem Wesen, des >Lammfrommen< und des Raubtierhaften, hindert dieses Tier an seiner natürlichen, ganzen Lebenserfüllung.«49 Die Inkongruenz der beiden Wesenssphären erklärt, daß das Tier keine Ruhe haben kann: »es hat beiderlei Unruhe in sich, die von der Katze und die vom Lamm, so verschiedenartig sie sind.« (Br.109) Das Tier leidet unter seiner eigenen Existenz. Das Tier ist einzigartig und deshalb allein. Es hat »auf der Erde zwar unzählige Verschwägerte, aber vielleicht keinen einzigen Blutverwandten.« (Br.109) Es ist völlig isoliert; es kennt keine Katzen und keine Lämmer und wird auch nicht von ihnen gekannt. »Die Tiere sahen einander ruhig aus Tieraugen an und nahmen offenbar ihr Dasein als göttliche Tatsache gegenseitig hin.« (Br.109) Es wird auch von keinem Menschen verstanden. Selbst für den Besitzer bleibt das Tier ein Rätsel, besonders wenn es versucht, sich mitzuteilen. Als Folge seiner Isolation hegt das Tier den Wunsch, verstanden zu werden und mit der Umwelt zu kommunizieren. Daher blickt es dem Erzähler gespannt ins Gesicht, wenn es etwas zu ihm gesagt hat, um zu beobachten, ob es verstanden wird. Fühlt es sich verstanden, kann es sich übermäßig freuen. Das Tier ist eine Grenzfigur zwischen dem Diesseits und Jenseits. Es existiert zwar physisch in dem diesseitigen Bereich, kann sich aber ins Leben nicht integrieren. Es bleibt praktisch außerhalb des Lebens. Es droht, die zu enge Haut zu sprengen oder von ihr erstickt zu werden. Das Tier lebt nur als leidendes und sterbendes. Seine Existenz ist voller Schmerzen und Leiden. Dies erkennend spielt das erzählende »Ich« mit dem Gedanken, das Tier mit einem Messer zu töten, um es dadurch zu erlösen. 2.8.4 Zwischenbilanz Den bisher beschriebenen Tierfiguren ist gemeinsam, daß sie eine dilemmatische Situation zwischen dem Diesseits und Jenseits charakterisieren. Sie beschreiben den paradoxen Zustand der Protagonisten, 49

Helmut Richter: Franz Kafka. Berlin 1962, S.232.

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mit dem Leben gebrochen zu haben, gleichzeitig aber vom Leben angelockt zu sein und wieder ins Leben zurückkommen zu wollen. Die Existenzform, toter Lebender zu sein bzw. als Toter zu leben, ist an solchen Tierfiguren zu erkennen. Diese eigenartige Existenzform als Grenzfigur reflektiert psychologische Bedingungen Kafkas. Zeit seines Lebens befand er sich zwischen der Aufforderung des Vaters, ein bürgerliches »normales« Leben zu führen und seinem Wunsch, sich nur der Literatur aufzuopfern. Er fühlte sich zur literarischen Tätigkeit berufen. In der Literatur lag der Sinn seines Lebens. Jedoch der Zwang zum Leben brachte ihn immer wieder zur Verzweiflung. Das Vorhaben des Vaters, ihn in der Fabrik seines Schwagers für einige Zeit arbeiten zu lassen, trieb Kafka so zur Verzweiflung, daß er an Selbstmord dachte.50 Am 20.8.1916 zog Kafka in seinem Tagebuch eine Grenzlinie zwischen dem Leben und dem Schreiben. (Hz.238) Das Fernbleiben vom Leben war ein Erfordernis des Schreibens, dazu fühlte sich Kafka berufen. Um schreiben zu können, mußte er sich dem Tode nähern. »Sicher ist nur, daß es nichts gibt, dem ich mich mit vollkommenerem Vertrauen hingeben könnte, als der Tod.« (Bf. 171) »Der Schriftsteller in mir wird natürlich sofort sterben, denn eine solche Figur hat keinen Boden, (...) ist nicht einmal aus Staub« (Bf.385). Gleichzeitig aber hatte er die größte Sehnsucht nach dem Genuß am Leben, eben weil er nicht richtig gelebt hatte. Wie M. Brod berichtete, war Kafkas Wille zum Leben in seiner letzten Lebensphase besonders groß.51 Kafka selber schrieb in einem Brief an Brod: »Warum hört die Reue nicht 50

»Ich bin lange am Fenster gestanden und habe mich gegen die Scheibe gedrückt und es hätte mir öfters gepaßt, den Mauteinnehmer auf der Brücke durch meinen Sturz aufzuschrecken. Aber ich habe mich doch die ganze Zeit über zu fest gefühlt, als daß mir der Entschluß, mich auf dem Pflaster zu zerschlagen, in die richtige entscheidende Tiefe hätte dringen können. Es schien mir auch, daß das Amiebenbleiben mein Schreiben (...) weniger unterbricht als der Tod, und daß ich zwischen dem Anfang des Romans und seiner Fortsetzung in vierzehn Tagen mich irgendwie gerade in der Fabrik, gerade gegenüber meinen zufriedengestellten Eltern im Innersten meines Romanes bewegen und darin leben werde. (...) ich hasse sie alle der Reihe nach und denke, ich werde in diesen vierzehn Tagen kaum die Grußworte für sie fertig bringen.« (Bf. 109) Dazu auch Klaus Wagenbach: Franz Kafka, in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1964, S.84.

51

Max Brod: Über Franz Kafka. Frankfurt a. M. 1966, S. 171-185, besonders S. 180-183.

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auf? Das Schlußwort bleibt immer: Ich könnte leben und lebe nicht.« (Bf.385) K. Wagenbach charakterisiert dies als das Dilemma Kafkas. Hierbei handle es sich um die »Sehnsucht Kafkas nach einem natürlichen Leben und seiner Entschlossenheit, ihr niemals nachzugeben.«52 Allerdings unterschied Kafka zwischen dem Zustand des eigentlichen Totseins und der Stufe vor dem Tode. Das erstere war die Erlösung, das letztere voll Leiden und Schmerzen, vor denen er Angst hatte. Dir wird ängstlich beim Gedanken an den Tod? Ich habe nur entsetzliche Angst vor Schmerzen, ( . . . ) Den Tod wollen, die Schmerzen aber nicht, ( . . . ) Sonst aber kann man den Tod wagen. Man ist eben als biblische Taube ausgeschickt worden, hat nichts Grünes gefunden und schlüpft nun wieder in die dunkle Arche.« (Bfm.235) »Sterben konnte ich, Schmerzen leiden nicht; durch die Versuche, ihnen zu entgehen, erhörte ich sie deutlich; fügen konnte ich mich dem Sterben, dem Leiden nicht (Hz.233).

Der Versuch, dem Schreiben das Leben aufzuopfern, die gleichzeitige Sehnsucht nach dem Leben, die Bereitschaft zum Sterben und die Angst vor dem Leiden, das macht das Dilemma Kafkas aus. Er blieb zeit seines Lebens zwischen den beiden Bereichen und fühlte sich gespalten, was sich in körperlichen und seelischen Leiden, in Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ausdrückte. Dieses Zwischendasein zwischen Leben und Tod erfuhr Kafka als seine Grundsituation, »Mein Leben lang bin ich gestorben« (Bf.385). Fast handelt es sich um einen Scheintod, um ein lebendiges Totsein oder ein totes Lebendigsein. Dieses Dasein am Grenzgebiet ist das, was seine Tierfiguren zum Ausdruck bringen sollen. Alle Tierfiguren der beiden Dichter stellen unterschiedliche Verhältnisse zwischen Leben und Tod dar. Bei Pu Songling sind die beiden Sphären eng und nahtlos miteinander verbunden, die Grenze ist fließend, bei Kafka hingegen bildet die Grenze von Leben und Tod ein dilemmatisches Gebiet voll Unruhe und Leiden. Dieses unterschiedliche Verhältnis zu Leben und Tod beruht auf verschiedenen Bedeutungen des Todes: Bei Pu Songling bedeutet der Tod eine Erlösung, eine Befreiung vom Leiden, er ist daher nicht zu fürchten, u.U. sogar wünschenswert, bei Kafka aber setzt der Tod dem Leben ein endgültiges Ende, er ist demgemäß mit Furcht und Leiden verbunden.

52

Vgl. Klaus Wagenbach, a.a.O., 1964, S.78.

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In Einklang mit dem Todesverständnis ist das unterschiedliche Verständnis des Lebens: Bei Pu Songling ist das Leben nicht so wertvoll wie bei Kafka, denn es ist immer wiederkehrbar, es wiederholt sich fortwährend. Es ist u.U. Stätte der Strafe, bedeutet Leiden und Schmerzen, während das Leben bei Kafka nur einmalig und deswegen wertvoll ist. Die Paradoxie der Situation steht bei Kafka im Vordergrund. Seine Protagonisten verweilen zwar an der Grenze, leiden aber daran.

2.9 Zusammenfassung des Grotesken: Genieästhetik und Theorie über »Leere« und »Fülle« Im Zusammenhang der Untersuchung des Grotesken wird deutlich, daß Pu Songling und Kafka mit ihren Tierfiguren künstlerische Welten erschaffen, in denen empirische Erfahrungen an Geltung verlieren und gewisse Unterschiede, Pole und Pendants ineinander übergehen. Beide Dichter, Kafka und Pu Songling, versuchen, das ontologischempirisch Unvereinbare literarisch-künstlerisch zu vereinbaren. Dieses Phänomen bezeichnet Norbert Kassel als Integrationsproblem. Der Begriff »epische Integration« sei ursprünglich an morphologische Vorstellungen des literarischen Kunstwerkes gebunden, infolgedessen spreche man gern von der »Ganzheit«, einem Zentralbegriff literaturwissenschaftlicher Gestaltforschung.53 Unter diesem Begriff versteht Wolfgang Kayser das »Hineinstellen der Menschen und Geschehnisse des Vordergrundes in einen weiten, gefüllten Raum, in eine größere Welt«.54 »Der Erzähler hat vollen Überblick nicht nur über die vergangene Zeit, sondern über den Raum; alles Geschehen, das er zu berichten hat, ist andauernd in eine größere Welt verflochten und von ihr umgeben.«55 In dieser größeren Welt werde der Sinn, der Kern des literarischen Werkes vermittelt.56 53 54 55 56

Norbert Kassel, a.a.O., S.26. Wolfgang Kayser, a.a.O., S. 179. Ebd., S. 179. In diesem Sinne spricht auch Robert Petsch vom Ineinandergreifen der erzählenden Teilwirkungen. »Je stärker und sinnvoller die erzählenden Teilwirkungen ineinandergreifen, umso mehr verspürt der Hörer etwas von der Gestaltung eines >Gegenstandes< selbst außerhalb seiner Erfahrung, doch in seiner >WeltBedeutung< ankündigen.« Vgl. R. Petsch: Wesen und Formen der Erzahlkunst. 2. Aufl. Halle/S. 1942, S. 67. Eberhard Lämmert: Bauformen des Erzählens. Stuttgart 1963, S. 13. G. W. F. Hegel: Ästhetik. Band 1. Frankfurt a. M. 1966, S.55. Roman Ingarden hebt das Problem der ästhetischen Integration und der Freiheit des Künstlers ins Allgemeine, indem er schreibt: »Das literarische Werk muß nicht notwendig >konsequent< sein bzw. sich an die Grenzen des innerhalb der uns faktisch bekannten Welt Möglichen halten. Sowohl das bei einem vorgegebenen Gegenstands- und Situationstypus >Unwahrscheinliche< als auch das in einer bestimmten Seinssphäre Unmögliche ist prinzipiell intentional entwertbar und darstellbar, wenn es auch oft nicht zur Schau gestellt werden kann.« Vgl. R. Ingarden: Das literarische Werk. Tübingen 1962, S.269. Dieter Hasselblatt spricht dem Künstler die Freiheit zu, sich über die empirischen Erfahrungen zu erheben und das in der realen Welt Unmögliche möglich zu gestalten. Dabei geht er von der Alternative zur Wirklichkeit aus, die seiner Meinung nach als >Möglichkeit< aufzufassen ist. »Die echte Alternative zur Wirklichkeit ist: Möglichkeit. Die Sprache wiederum hat es ausschließlich mit Möglichkeiten zu tun und nie mit Faktizitäten.« Vgl. D. Hasselblatt: Zauber und Logik. Köln 1964, S. 105.

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hunderts findet im Subjekt ein Universum vor und sieht im Künstler den Herrn seines eigenen Mikrokosmos. Gott gilt als der erste Künstler, der mit seiner Schöpfung dem Genie die Regeln setzt. Der Künstler wird als zweiter Schöpfer verstanden, der, über den Menschen stehend, dem Vorbild Gottes folgt und nach seinen eigenen Gesetzen neue Welten schöpft. »Der Mensch ahmt im Kleinen nach, was Gott als sein Schöpfer im Großen schon vollbracht hat.«60 Seine Kunst ahmt nicht Natur nach, sondern schafft und zeugt neue Wirklichkeit aus der Fülle seiner eigenen Innenwelt. So hat der Künstler nun auch die Freiheit, seiner Subjektivität zu folgen. »Aus einem Gemüt heraus Ideen zu produzieren, die das ästhetische Gefühl wahrhaft erregen und das Herz für die Welt aufschließen: Hierin liegt die Leistung des Dichters.«61 Dabei soll der Rahmen der Zweckrationalität und des Naturgegenstandes gesprengt werden durch die Begeisterung des Künstlers: »Der Roman ist eine subjektive Epopöe, in welcher der Verfasser sich die Erlaubnis erbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es fragt sich also nur, ob er eine Weise habe; das andere wird sich schon finden.«62 Das »Zeugen« und »Erfinden« neuer Wirklichkeit tritt in Gegensatz zur bürgerlichen Wirklichkeit und zur Welt der Zweckrationalität. Dieser Konflikt prägt das literarische Schaffen bis ins 20. Jahrhundert. Bei Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Franz Grillparzer, Gottfried Keller und Thomas Mann wird der Gegensatz zwischen Phantasie und Vernunft, zwischen Künstlertum und bürgerlichem Leben zu einem ständigen Thema. Kafka steht offensichtlich in dieser Tradition und thematisiert dieses Problem auf eigene Weise. Im chinesischen Kulturkreis wird dieses Phänomen durch die Theorie von »Leere« und »Fülle« erklärt. Diese Theorie besagt, daß eine künstlerische Leistung in der harmonischen Vereinbarung von Realität und Irrealität liegt. Für die Realität steht der Terminus »Fülle«, für die Irrealität »Leere«. Unter der »Leere« versteht man den

60

61 62

Günter Peters: Der zerrissene Engel, Genieästhetik und literarische Selbstdarstellung im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1982, S.56. Ebd., S.60. Goethe: Maximen und Reflexionen. Hrsg. von Erich Trunz, Hamburg 1962, S.498.

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eigentlichen Sinn, der durch verschiedene Mittel erfaßt ist, wobei diese Mittel außer acht gelassen sind. Der taoistischen Theorie nach ist die( ) ontologische Erfahrung intuitive SelbstBewußtheit, welche sich von diskursivem Denken unterscheidet. Es ist der unbehauene Klotz, formlos, klanglos, farblos - und doch sind darin alle Formen, alle Klänge und alle Farben enthalten. Aus diesem Zustand des Nichtsein, der unfaßbar und nicht definierbar ist, entsteht alles Faßbare und Definierbare. Der schöpferische Prozeß des Universums ist auch der schöpferische Prozeß des Dichters, der sein Ego ins Selbst umgewandelt hat, und so zu einem Bestandteil des Universums geworden ist. 63

Mit der »Leere« erreicht man den eigentlichen Sinn, den Kern also, und ist gleichzeitig von der empirischen Welt befreit.64 »Das Sein selbst ist poetisch. Die Poesie ist allein ein Ausdruck solchen Seins. Die chinesischen Dichter dringen in den Ursprung der Dinge ein und enthüllen ihr wahres Wesen.«65 Künstlerische Leistungen wie »Musik ohne Töne« sind also die höchsten anzustrebenden Ziele. Dementsprechend soll der Leser direkt in den Ursprung der Dinge hineingezogen werden, aus dem das künstlerische Werk entstanden ist, ohne auf künstlerische Mittel zu achten. Die »Fülle« als Pendant zu »Leere« meint vor allem die in der Realität erfaßbaren Gefühle. Ein Beispiel dafür ist Qu Yuan (340-278 v.Chr.), der u.a. für seine gefühlvollen Darstellungen und seine Empfindsamkeit berühmt ist. Durch die »Fülle« erfaßt man durch Empfindungen das Wesentliche, ein Kunstwerk mit »Fülle« ist daher ansprechend oder begeisternd. Mit der »Leere« betont man die Einbildungskraft, mit der »Fülle« die Erregung und die Begeisterung des Schöpfers. Diese beiden Aspekte müssen harmonisch ineinander übergehen und die Grenze zwischen der Subjektivität und dem Geschaffenen soll aufgehoben sein, damit eine grenzlose künstlerische Welt zustandkommt. Darin liegt die künstlerische Leistung. Das Prinzip der »Leere« ist für alle Bereiche chinesischer Kunst bedeutend. In der chinesischen Landschaftsmalerei kommt es darauf 63

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65

Chang Chung-yuan: Tao, Zen und schöpferische Kraft. München 1990, 6.Aufl., S. 154. Das ist mit »Mond im Wasser«, »Blüte im Spiegel« usw. gemeint. Vgl. Liang Guizhi: Der Traum der roten Kammer und die chinesische traditionelle Ästhetik. In: Forschungen zur klassischen Literaturtheorie. Shanghai 1984, S.350. Chang Chung-yuan, ebd., S. 156.

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an, in einem kleinen Bild möglichst viel Landschaft aufzunehmen; bei der Kalligraphie geht es darum, zwischen den schwarzen Zeichen weiße Leere zu lassen, um einen räumlichen ästhetischen Schein herzustellen; die Kulisse auf der Bühne ist keine Nachahmung, sondern eine originäre Darstellung eines bestimmten Aspekts des Lebens. Der Begriff der »Leere« hat eine historische Entwicklung erfahren. Seinen Ursprung hat er bei Laozi und Zhuangzi, Vorfahren der taoistischen Philosophie. »Schöne Musik nimmt man durch keinen Laut wahr; eine große Figur erkennt man in der Figurlosigkeit.«66 Der Sprecher ist auf den Sinn seiner Worte aus. Der Hörer soll nur den Sinn aufnehmen und die Worte vergessen.«67 In der Periode der Wei- bis Jin-Dynastie (220-420) trat man schon für »Fenggu« (den ausdrucksstarken Stil in Dichtung und Kunst) und »Yixiang« (bildliche Darstellung) ein. In der Tang-Dynastie sind mehrere Dichter und Kunsttheoretiker auf das Prinzip der »Leere« eingegangen, unter ihnen Wang Changling (6987-757) in seinem »Shige« (Bauform der Gedichte), Jiao Ran in seinem »Shi Shi« (Zu den Formeln der Gedichte)68 und Si Kongtu (837-908) in »Shi Ping« (Zum Genießen der Gedichte) sich zu diesem Problem äußern. Ihre ästhetischen Formeln wie »Sinn außer Zeichen und Worten«, »den ganzen Sinn zu vermitteln, ohne ein Zeichen anzuwenden« usw. verschaffen dem Prinzip »Leere« weitere Geltung,69 bis in der Sung-Dynastie Yan Yu (420-479) die Theorie der »Leere« zu einem Kulminationspunkt brachte, indem er in seinem »Canglang Über das Gedicht«70 diesen Aspekt als »Laut im Himmel, Schönheit im Gebilde, Mond im Wasser, Figur im Spiegel« zusammenfaßte und als »unendlichen Sinn in wenigen Worten und Zeichen« bestimmte.71 Das Theorem von der »Leere« in der Kunst und Literatur fand in der Folge immer größere Aufmerksamkeit, bis es Wang Guowei in der späten Qing-Dynastie zu einer in sich geschlossenen Theorie entwickelte. Wang definiert den künstlerischen Gehalt als »eine unendlich freie Welt, wo Gefühle der Menschen und die Landschaft der Natur, das Ich

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Liang Guizhi, a.a.O., S.349. Ebd. Jiao Ran war Mönch und Dichter der Tang-Zeit. Liang Guizhi, a.a.O., S.349. Ran Yu nannte sich Cang Lang. Liang Guizhi, ebd, S.349.

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und die Außenwelt sowie alle anderen Pole, Gegensätze und Pendants ineinander übergehen, wo weder Grenzen noch Unterschiede existieren und der Künstler daher einen riesigen Spielraum zur Verfügung hat.«72 Die charakteristischen Kennzeichen für künstlerischen Gehalt bestehen nach Wang Guowei in echten Gefühlen, anschaulichen und einprägsamen Gestalten sowie freien Darstellungsmitteln. Betrachtet man die betreffenden Theorien aus dem deutschen und chinesischen Kulturkreis zusammen, so werden einige Unterschiede offenbar: Bei den deutschen Theoretikern ist das Individuum der Ausgangspunkt. Ein Kunstwerk wird als ein Komplex betrachtet, dem verschiedene Bestandteile zugrundeliegen. Für die chinesischen Kunsttheoretiker hingegen ist eine substantielle Denkweise wichtig. Das »Tao« als der Ursprung des Alls steht über allem Einzelnen. Ein Kunstwerk sowie dessen Bestandteile werden immer im Zusammenhang mit dem »Tao« betrachtet. Dieser Unterschied in der Theorie wird auch an den hier untersuchten Tierdarstellungen deutlich. Was Kafka mit seinen Tierfiguren bzw. mit den durch sie dargestellten Menschenbildern präsentiert, sind exemplarische Gebilde aus verschiedenen Einzelelementen, so z.B. der Mischling in der Kreuzung, der Jäger Gracchus, der Hungerkünstler, die Schakale usw., in denen verschiedene Faktoren im Kontrast stehen. Bei Pu Songling sind die Tierfiguren stärker in sich geschlossene Einheiten, wie Herr Fux, Tschu Tsching usw., deren Bestandteile zu einer harmonischen Persönlichkeit verschmolzen sind. Diesen grundsätzlichen Unterschied zwischen chinesischer und abendländischer Dichtung hat schon Hegel beschrieben: Bei den Morgenländern ist ( . . . ) einerseits die Dichtkunst überhaupt ursprünglicher, weil sie der substanziellen Weise der Anschauung und dem Aufgehen des einzelnen Bewußtseins in das eine Ganze noch näher bleibt, so daß sich andererseits in Rücksicht auf die besonderen Gattungen der Poesie das Subjekt nicht zu der Selbständigkeit des individuellen Charakters, der Zwecke und Kollisionen herausarbeiten kann, welche für die echte Ausbildung der dramatischen Poesie schlechthin erforderlich ist. ( . . . ) Die Chinesen ( . . . ) besitzen kein nationales Epos. Der prosaische Grundzug ihrer Anschauung, welche selbst den frühesten Anfängen der Geschichte die nüchterne Form einer prosaisch geregelten historischen Wirklichkeit gibt, sowie die für die eigentliche Kunstgestaltung un-

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Nie Zhengbin: Über Wang Guoweis ästhetische Ideen. Shenyang 1986, S. 155. Das Zitat ist vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. Vgl. auch Chang Chungyuan, a.a.O., S. 158.

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zugänglichen religiösen Vorstellungen setzen sich dieser höchsten epischen Gattung von Hause aus als unübersteigbares Hindernis in den Weg. 7 3

Die Tierfiguren zeigen nun traditionsgebundene Eigentümlichkeit und autorenabhängige Ausformungen der Grotesken-Darstellung auf. Jenseits der Unterschiede läßt sich als Gemeinsames festhalten: Bei der Gestaltung der Menschenfiguren müssen die Künstler einerseits über die empirische Wirklichkeit hinausgehen und andererseits sich lebendige Gestalten als Modell vor Augen halten. Die Künstler überlagern solches Modell mit ihrer Phantasie und gestalten es zu einer individuellen Figur.74 Die Tierfiguren, die in verschiedenem Ausmaß menschenähnlich sind, wirken eben als solche Modelle, mit deren Hilfe ein Künstler seiner Vorstellung Gestalt verleihen kann. Dabei bieten die Tierfiguren dem Künstler die Möglichkeit, aus eigener Einbildungskraft eine Welt zu erschaffen, in der er sich von Problemen lossagen kann, die in der Realität nicht zu bewältigen wären. Tierfiguren sind also ein zentrales Moment des Grotesken, sie befreien den Künstler von den Fesseln der Empirie, regen seine Einbildungskraft an und bilden für ihn einen Weg zur Selbsterkenntnis und -entfaltung.

73 74

G. W. F. Hegel: Ästhetik. Bd. 2, S.454f. Die Phantasie oder Schöpfungstätigkeit bedeutet im Chinesischen »Xiangxiang«. Das erste Zeichen, das mit dem dritten Ton ausgesprochen wird, bedeutet Denken bzw. Phantasieren, das zweite Zeichen mit dem vierten Ton bedeutet das Ergebnis des Schaffens, nämlich eine künstlerische Figur. Jing Hao aus der Zeit der Fünf-Dynastien (907-960) erläutert »Xiangxiang« folgendermaßen: Beim künstlerischen Schaffen muß man viele Aspekte eines Menschen im realen Leben loswerden, diesen Menschen zu einem Modell reduzieren und durch die eigene Phantasie diesen Menschen zu einer künstlerischen Gestalt erheben. Vgl. Wang Xianpei und Zhou Wemin: Ming Qing xiaoshuo lilun pipanshi. a.a.O., S.437. Pu Songling ergänzte »Xiangxiang« mit »Shenhue«, d.h., während der Künstler im Schaffensprozeß eine künstlerische Figur gestaltet, soll er mit dieser Figur Gespräche beginnen und Gedanken austauschen. D.h., um eine künstlerische Figur zu gestalten, muß der Künstler eine entsprechende Welt erschaffen, die sowohl zu der zu gestaltenden Figur als auch zu den Vorstellungen des Künstlers paßt. Daher sind die Tierfiguren nicht nur für das Gestalten einer künstlerischen Figur, sondern auch für das Schaffen einer künstlerischen Welt wichtig. Pu Songling veranschaulicht diese Idee durch die Erzählung Malen eines Pferdes: Kaum hat ein Künstler ein Pferd gemalt, tritt das Pferd aus dem Bild hervor und trägt den Maler an einen anderen Ort, bevor es wieder ins Bild zurückkehrt. Vgl. LZZY. O. S. 1027.

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KAPITEL 3

Metamorphosen

Die ersten Kapitel haben gezeigt, daß sowohl Kafka als auch Pu Songling die Grenze zwischen Mensch und Tier fließend halten. Mensch und Tier werden in der ästhetisch imaginären Welt häufig zu einer Kreatur verbunden. Ein wichtiger Kunstgriff ist dabei auch die Metamorphose, die in diesem Teil zu untersuchen ist. Wir ziehen zum Vergleich zunächst Pu Songlings Erzählung Das Fuchsmädchen heran.

3.1

Vermenschlichung der Tiere bei Pu Songling

3.1.1 Das Fuchsmädchen In das Schlafzimmer von Yi, einem jungen Mann, kommt jede Nacht ein junges Mädchen, dessen Schönheit ihn so sehr fasziniert, daß er sich in sie verliebt. Als Yis Eltern dies vernommen haben, wollen sie dieses Verhältnis unterbinden, da das Mädchen eine Füchsin ist. Sie versuchen zuerst vergeblich, die Füchsin von Yi fernzuhalten, indem sie jemand in Yis Zimmer schicken, der Yi bewacht. Erst als der Vater selbst in Yis Schlafzimmer schläft, setzen sie sich durch. Seitdem kommt das Fuchsmädchen nicht mehr. Als Yi einmal wegen des Aufruhrs in der Stadt sein Zuhause verlassen und ins Gebirge fliehen muß, gerät er in große Schwierigkeiten. Er findet keine Unterkunft und ist der Gefahr ausgesetzt, von wilden Tieren gefressen zu werden. In diesem Moment kommt das Fuchsmädchen. Es führt ihn in ein wunderbares Haus und bietet ihm dort eine Unterkunft. Dort verbringt Yi mit dem Mädchen eine schöne Nacht. Als er am nächsten Morgen aufwacht, entdeckt er, daß das Mädchen verschwunden ist. Tatsächlich sieht er sie nie mehr wieder. In dieser Geschichte klaffen zwei Welten, eine Menschenwelt, in der Yi und seine Eltern wohnen, und eine Welt der Tiere, in die Yi später auf seiner Flucht gerät. 101

Die erste Hälfte der Geschichte spielt sich in der Menschenwelt ab. Das Mädchen, das in Yis Schlafzimmer auftaucht, ist ursprünglich eine Füchsin. Als Tier verbindet sie sich mit Yi als einem Angehörigen der Menschenwelt und läßt ihrer Liebe zu Yi freien Lauf; gerade darin zeigt sich ihre Freiheit. Sie scheut keine Mittel, die eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Sie kennt keine Vorschriften und keine Zwänge, wie sie selber sagt: »Kein Zauber der Welt könnte etwas von mir erzwingen.« (LZZY.Gr. 102) Daher kommt sie jede Nacht zu ihrem Geliebten und läßt sich nicht wegjagen, bis Yis Vater in dem Zimmer bleibt und sie dadurch zutiefst verletzt. »Wie könnte ich es wagen, in Gegenwart meines Schwiegervaters der Liebe nachzugehen?« (LZZY.Gr. 102) So läßt sie sich nie mehr in Yis Schlafzimmer sehen, bis Yi sie im Gebirge trifft. In der zweiten Hälfte der Geschichte kommt Yi als Fremdling in die Welt der Tiere. Pu Songling will Yis Erlebnisse in dieser Tierwelt denen gegenüberstellen, die das Mädchen in der Menschenwelt gemacht hat. Einsam und verlassen, ist Yi in der Abenddämmerung sehr traurig zumute. In diesem Moment erscheint seine ehemalige Freundin, die ihm »Entzücken« und »Trost« (LZZY.Gr. 102) bringt. Unaufgefordert führt das Mädchen Yi in ein hohes Haus unter einem Baum, wo alles in Goldzierat schimmert, »so schön, daß man zweifeln könnte, ob das von Menschen gemacht wäre.« (LZZY.Gr. 104) Schätze sind in Hülle und Fülle vorhanden. Dies alles verspricht das Mädchen, Yi zu schenken. An diesem schönen Ort verbringt Yi eine Nacht. Er erfährt nun Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft und lernt nicht zuletzt den Reichtum und die Freiheit der Natur kennen. Diese wundersame und begehrenswerte Welt der Natur stellt die Menschenwelt in den Schatten, wo man nur unter den Zwängen der Sitten und der Vorschriften steht, kein Gefühl hat und keinen Mut aufbringt, der Liebe nachzugehen. In der Menschenwelt ist Unruhe und Aufruhr, Yi ist ängstlich und ratlos, bleibt in »Verwirrung« (LZZY.Gr. 104). Die Natur hingegen ist voll Frieden und Ruhe; das Mädchen ist frei, reich und voll Güte. Somit wird die ganze Menschenwelt, aus der Yi kommt, in ein negatives Licht gerückt. »Ihr Menschen verabscheut mich doch«, sagt das Fuchsmädchen, » ( . . . ) darum bin ich geflohen und wollte mich für immer von dir fernhalten!« (LZZY.Gr.104) Diese Worte setzt 102

sie auch in die Tat um. Als Yi am nächsten Morgen aufwacht, ist das Mädchen schon davongegangen, auch das Haus mit riesigen Schätzen ist für immer verschwunden. Dadurch, daß die beiden Welten und deren Vertreter miteinander verglichen werden, wird eine Kritik an der »zivilisierten« Menschenwelt geübt und ein Loblied auf die Tierwelt angestimmt. Das Fuchsmädchen tritt zwar als Mensch auf, aber seine Tiernatur bleibt bestehen. Sie äußert sich darin, daß das Mädchen sich nur in der Natur, in der Tierwelt zu Hause fühlt. Es versucht zwar, sich mit Menschen anzufreunden, verliebt sich in einen Menschen, wollte dessen Lebensgefährtin sein, aber es kann mit Menschen nicht gut für immer auskommen. Die Beziehungen zwischen Mensch und Tier können intim sein. Aber gerade an diesen intimen Beziehungen wird deutlich, daß der Kontakt und die Freundschaft der Tiere zur Menschenwelt ihnen Unglück bringt. Die Funktion der Tierfiguren, die Menschenwelt widerzuspiegeln, intensiviert sich bei Pu Songling dadurch, daß hier ein Tier zu einem gefühlvollen Mädchen verwandelt wird und seine Beziehungen zu Yi zur Liebe erhoben werden. Je intimer die Mensch-Tier-Beziehungen, desto empfindlicher und umfassender wird die Menschenwelt charakterisiert. Durch die Liebe zwischen Yi und dem Fuchsmädchen offenbart sich nicht nur die Unbarmherzigkeit der Menschen zum Tier, sondern auch die Gefühllosigkeit der Eltern dem Sohn gegenüber, ja die Unbarmherzigkeit zwischen den Menschen überhaupt. Die Vermenschlichung der Tierfiguren offenbart die Menschenwelt als gefühllos. Die Füchsin tritt von vornherein als ein hübsches Mädchen auf. Die Verwandlung ist bereits vollzogen. Diese vollendete Vermenschlichung der Tierfigur dient dazu, die Menschenwelt bloßzustellen. In der vermenschlichten Tierfigur drückt Pu Songling seine Sehnsucht nach einer freien Individualität und seinen Abscheu vor der unterdrükkenden Gesellschaft aus. Das unerwartete Weggehen der Füchsin exponiert des Autors Verlustgefühl: Die freie Individualität ist verlorengegangen. Man kann sich nur nach einer Vergangenheit sehnen, in der die freie Natur existierte. Das ist rückwärtsgewandte Utopie.1 Benno von Wiese unterscheidet zwischen zwei Kategorien des utopischen Denkens und Dichtens. Die eine Kategorie meint »das hier und jetzt Unmögliche, das dem Menschen dennoch als Zukünftiges abverlangt wird«.

Für die andere

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Die Tierfiguren bei Pu Songling machen zwar schlechte Erfahrungen in der Menschenwelt, aber sie haben noch die Möglichkeit, in eine freie Natur zurückzukehren.2 Als Individuen werden sie noch nicht durch die Menschenwelt vernichtet.

3.2

Vermenschlichung der Tiere bei Kafka

3.2.1 Ein Bericht für eine Akademie Rotpeter, Protagonist in Ein Bericht für eine Akademie, ist einer Vermenschlichung unterworfen. Als ehemals in freier Natur lebender Affe wird er beauftragt, der Akademie über dieses frühere animalische Leben zu berichten. Aber er kann sich dessen nicht mehr erinnern und schreibt daher darüber, wie er als Affe »Mensch« wurde. In der freien Natur besaß er das »Gefühl der Freiheit nach allen Seiten« (E.188). Durch zwei »frevelhafte« Schüsse wird er verletzt und so eingefangen. Als er zu sich kommt, findet er sich, in eine Kiste gesperrt, in einer ausweglosen Lage. Um dieser Lage zu entkommen, Kategorie ist »das Utopische nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit aufgegeben«. »Heilvorstellungen des absoluten Glückes, der unbegrenzten Freiheit, des paradiesischen Daseins, des goldenen Zeitalters usw. werden in die geschichtliche Vergangenheit projiziert und in sehr entfernten Räumen und Zeiten so dargestellt, als ob sie einmal wirklich gewesen wären.« Benno von Wiese: Zwischen Utopie und Wirklichkeit. Düsseldorf 1983, S. 82-83. Weitere Literatur zur Utopieforschung u.a.: Wilhelm Voßkamp (Hrsg.): Utopieforschung, interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. 3 Bände, Stuttgart 1982. Klaus L. Berghahn und Hans Ulrich Seeber (Hrsg.): Literarische Utopien von Morus bis zur Gegenwart. Königstein/Ts. 1983. Es sei darauf hingewiesen, daß eine solche freie Natur sich von Rousseaus Verständnis der Natur wesentlich unterscheidet. In der chinesischen Tradition versteht man unter Geistern außer der Seele eines Toten auch übernatürliche Kreaturen in der übersinnlichen Welt, »where animal transformations and transformations of inanimate Objekts, the >emanations< from nature, are part of natural reality. There creatures are properly called yao, guai and jing (goblins and demons), shangui and shuigui (genii and nymphs), and chimei and wangliang (ogres, evil spirits of forests and waters). There creatures or beings inhabit the world of nature, the world beyond human civilization.« Karl Kao, a.a.O., S.8. Die freie Natur in dieser Erzählung rüht offensichtlich von der Vorstellung von einer solchen geistigen Welt her. Pu Songling stellt mit dem Fuchsmädchen eine gewisse Konfrontation zwischen der Menschenwelt und Tierwelt her, zeigt dadurch seine Sympathie mit der Sehnsucht des Individuums nach Erfüllung.

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sieht er sich gezwungen, die Menschennatur anzunehmen. So strengt er sich an, Alkohol zu trinken, Pfeife zu rauchen, die Hand zu geben usw. Er ahmt menschliches Verhalten nach, und zwar mit großem Eifer, »weil ich einen Ausweg suchte, aus keinem anderen Grund.« (E.194) »Man lernt, wenn man einen Ausweg will; man lernt rücksichtslos.«^. 194) Aber dieser Ausweg bringt ihn um vieles. Er findet zwar den Ausweg aus der Kiste, aber das Menschentum kann er nicht ganz annehmen. Vielmehr wird aus ihm ein Halbmensch. Die physische Gestalt des Affen kann er nicht loswerden. Er bleibt äußerlich Affe und tritt so im Varieté auf. Um des Auswegs willen verzichtet er auf »jeden Eigensinn« (E.184), d.h. auf den eigenen Willen, auf die Individualität, kurz auf sein »Ich«, mit der Folge, daß er sein Vorleben als Affe aus dem Sinn verliert. Anstatt einen Bericht über sein äffisches Vorleben zu schreiben, wie es die Akademie verlangt, legt Rotpeter deshalb dar, wie er seinen Ausweg gefunden hat. Schon dieses Umbiegen des Berichtes symbolisiert nach Sokel Rotpeters Verlust des eigenen »Ich«. »Er ist ganz das, was er geworden ist, so daß er sich an das, was er einst war, nicht mehr erinnern kann.«3 Sokel hat den Bericht zurecht mit Rotpeters Charakter in einen Zusammenhang gebracht. Allerdings erklärt er nicht, »was (Rotpeter) geworden ist«. Sokel trennt Rotpeters jetziges Dasein von seinem früheren Affensein ab, als sei Rotpeter seines ganzen Affentums verlustig gegangen. Das ist nicht zutreffend. Wenn auch verzerrt, so bleibt an Rotpeter doch sein eigenes »Ich« noch zu sehen. Innerlich ist Rotpeter ein gemischtes Wesen geworden. Zwar ist er in die Menschenwelt »vorwärtsgepeitscht« (E.184), aber zu einem vollständigen »Menschentum« gelangt er nicht. Das erweist sich u.a. an seiner Sprache. In Rotpeters Bericht, besonders dort, wo es um den Umgang mit den Menschen und die Nachahmung von Menschenleben geht, gebraucht er formelhafte Redewendungen und gewundene Formulierungen, die seine Gebundenheit an die Affennatur und seine Schwierigkeiten bei der Integration in die Menschenwelt zeigen. Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen. (E.184)

3

Walter Sokel: Franz Kafka. Tragik und Ironie. a.a.O., S.332.

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Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig Lärm gemacht haben, woraus man Schloß, daß ich entweder bald eingehen müsse oder daß ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu überleben, sehr dressurfähig sein werde. (E.187) und das Loch in der Ferne, durch das er kommt und durch das ich einstmals kam, ist so klein geworden, daß ich, wenn überhaupt die Kräfte und der Wille hinreichen würden, um bis dorthin zurückzulaufen, das Fell vom Leib mir schinden müßte, um durchzukommen. (E. 185f.)

Diese ineinander geschachtelten Sätze und Parenthesen sowie die übertriebene Förmlichkeit seiner Redewendungen könnte man als Hinweise darauf verstehen, daß Rotpeter sich keineswegs problemlos seiner menschlichen Umwelt anpassen kann. Seine Schwierigkeiten zeichnen sich auch darin ab, daß er versucht, sich als einer, der die Sitten des Menschen neu lernen muß, übermäßig korrekt auszudrükken, mit der Überassimilation also seine Statusunsicherheit zu kompensieren. Über seine Isolation in der Menschenwelt schreibt er: Trotz der Begleitung des Publikums sei er »allein«, denn »alle Begleitung hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit von der Barriere.« (E.184) Rotpeter wählt das Bild nicht deshalb, weil er den Begriff nicht kennt, sondern weil es feiner ist, sich im Bilde auszudrücken. Rotpeter redet unverhältnismäßig gewählt, um einen vornehmen Eindruck zu machen. So aber wirkt seine Sprache nicht natürlich, eher steif. Rotpeter fehlen auch abstrakte Begriffe. Es gibt eine ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Büsche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die Büsche geschlagen. (E.195)

Hier lernt Rotpeter zuerst »schulgerecht« (E.193) die Redensart auswendig, um dann zu versuchen, sie mit Bezug auf seine Erlebnisse anzuwenden; schließlich bildet er damit einen Satz, wie es bei einem Fremdsprachenlernenden zu beobachten ist. Der Zwiespalt zwischen seinem früheren Affentum und seinem jetzigen Menschentum wird damit ersichtlich. Rotpeter hat also die menschliche Sprache nur um des Auswegs willen »rücksichtslos« (E.194) nachgeahmt und »schulgerecht« (E.193) gelernt und versucht sie nun entsprechend anzuwenden. Diese Sprache bleibt ihm aber aufgezwungen, sie wird nicht zu seiner Natur. Diese Diskrepanz zwischen seiner Affennatur und seinen menschlichen Sprachkenntnissen ist Rotpeter auch bewußt. Es falle ihm schwer, »das damals affenmäßig Gefühlte heute nur mit Menschen106

worten nach(zu)zeichnen« (E. 188). Er legt dar, daß er seine alte Affennatur nicht mehr erreichen kann. Sie liege nur in der Richtung seiner »Schilderung« (E.188). Sein ehemaliges Affentum schwebt nur noch in seiner dunklen Ahnung. Die Schwierigkeiten mit der Sprache rühren also auch von seiner entfremdeten Innenwelt her. Was in ihm zurückgeblieben ist, ist überwiegend das, was ihm von außen auferlegt wurde; an die Stelle der freien Natur ist Formelhaftes und Leeres getreten, das nicht seinem individuellen Charakter, sondern nur den anerzogenen gesellschaftlichen Regeln entspricht. Immerhin, wie verzerrt seine Affennatur auch ist, an seinem zurückgebliebenen Affentum ist kein Zweifel zulässig. An den Stellen, wo es um seinen Ausweg oder um sein Leben unmittelbar nach der Gefangenschaft geht, ist seine Sprache fließender: Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck - mit dem Führer habe ich übrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein getrunken - lag im Ufergebüsch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief. Man schoß; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schüsse. (E.185)

Die Sätze hier sind einfach formuliert und die Tatbestände dicht nebeneinandergereiht, getrennt durch die Semikola; das Erzähltempo wird schneller, wenn von seiner freien Natur vor der Berührung mit der Menschenwelt die Rede ist, wohingegen sein Umgang mit den Menschen in einem Einschub erwähnt wird, der den Satz umständlich macht und das Erzähltempo verlangsamt und dabei mehr Formelles als Natürliches zur Darstellung bringt. Sein unglückliches Verhältnis zum Menschen wird daraus ersichtlich. Über die Freiheit schreibt Rotpeter: Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der Ausweg auch nur eine Täuschung sein; die Forderung war klein, die Täuschung würde nicht größer sein. Weiter kommen, weiter kommen! (E.189)

Aus den Zeilen spricht Pathos, das beim Ausrufzeichen seinen Höhepunkt erreicht. Rotpeters Wille zur Freiheit wird so mit Nachdruck zur Geltung gebracht. In diesen beiden Textstellen schildert er eine Situation, in der seine Affennatur noch nicht verdorben war. Im zweiten Fall ist Rotpeters »Ich« zwar schon verzerrt, aber dieses »Ich« ist noch nicht restlos verloren. 107

Dieses zurückgebliebene »Ich« Rotpeters spielt auch eine Rolle bei der Entscheidung für das Varieté. Im Varieté sieht er die Möglichkeit, seine Natur in - wenn auch begrenztem - Ausmaß zu entfalten. Er kann dort eine Rolle übernehmen, sich für eine Aufführung unentbehrlich machen und das Publikum auf sich lenken. D.h., er kann seine Existenz und seine Würde durch eigene Tätigkeit beweisen. Im zoologischen Garten dagegen hätte er keine Chance gehabt, sich zu entfalten. Dort wäre er nur als dressierter Affe angeschaut und zu einem Beobachtungsobjekt herabgewürdigt worden. So hat er recht, wenn er den zoologischen Garten als einen neuen Gitterkäfig bezeichnet und sich darum bemüht, in einem Varieté untergebracht zu werden. Er weiß sich einen Entfaltungsraum zu suchen und sich dadurch zu schützen. Rotpeter ist also ein aus menschlichen und äffischen Elementen gemischtes Wesen geworden. Das Festhalten an Resten seiner Affennatur aber hat zur Folge, daß ihm die Integration in die Menschenwelt nicht gelingt und er sich daher »allein« (E.184) fühlt. Im Varieté pflegt er eine Haltung zwischen Liegen und Sitzen anzunehmen: »Die Hände in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem Tisch, liege ich halb, halb sitze ich im Schaukelstuhl und schaue zum Fenster.« (E.195) Die Hosen und die Weinflasche und nicht zuletzt die Gewohnheit, die Hände in die Hosentaschen zu stecken, weisen auf das »Menschentum« hin; die Haltung im Schaukelstuhl erweckt hingegen einen stark tierhaften Eindruck. Sie reflektiert wie seine Sprache sein gemischtes Wesen. Rotpeters Charakter ist auch an seiner sexuellen Verfassung zu erkennen. Wenn er abends nach Haus kommt, erwartet ihn »eine kleine halbdressierte Schimpansin« (E.195). Er läßt »es sich nach Affenart bei ihr wohlgehen« (E.196). Das Unbewußte und Instinktmäßige eines Lebewesens tritt im sexuellen Verhalten am unverhülltesten in Erscheinung. Deshalb kann man das Wesen Rotpeters hier besonders deutlich erkennen. Da er dies »nach Affenart« tut, ist seine Natur eine äffische. Aber Affe ist er nicht mehr ganz, denn er geht mit der Schimpansin nicht als Affe um, sondern nur »nach Affenart«. Das Menschentum, das Rotpeter um des Auswegs willen in Kauf genommen hat, hat ihn umgeformt, verzerrt und ihn zu einem hybriden Wesen gemacht. So erhält er die Möglichkeit, aus seinen Erfahrungen die Menschenwelt in einem neuen Licht zu sehen. Was er kriti108

siert, ist die »Freiheit« der Menschenwelt. Denn gerade diese ist es, die er als Affe in der Natur genossen, aber in der Menschenwelt nie mehr zurückgewonnen hat. Die »Freiheit« der Menschenwelt stellt er als Trug bloß. Was er in der Menschenwelt als Freiheit kennengelernt und erlebt hat, ist »selbstherrliche Bewegung« und »Verspottung der heiligen Natur« (E.189), von der er sich nicht weit genug fernhalten kann. Diese »Freiheit« ist es, die ihn dressiert und alle Menschen zu einheitlichen Marionetten formt. Rotpeter sieht die Menschen »auf und ab gehen, immer die gleichen Gesichter, die gleichen Bewegungen, oft schien es (ihm), als wäre es nur einer.« (E.191) Diese Freiheit hat also alle Menschen ihrer jeweiligen Individualität beraubt und sie alle gleichermaßen geprägt. So neigt Rotpeter - verständlicherweise dazu, alle Menschen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und auch in seiner Erinnerung nicht zu unterscheiden. Die Freiheitsauffassung Rotpeters unterscheidet ihn von Menschen. Er ist noch in der Lage, die trügerische Freiheit der Menschenwelt zu durchschauen und sich davon zu distanzieren. Er betont wiederholt seinen Abscheu vor dieser sogenannten Freiheit, wohingegen »dieser Mensch oder diese Menschen« (E.191) in diese Freiheit eingelullt sind und sie sogar »zu den erhabensten Gefühlen« (E.188) erhoben haben. Sie leben also mit einer Täuschung. In Rotpeters Tiernatur liegt sein noch vordenklich-vormenschlich Individuelles.4 Sein Bericht vor der Akademie ist auch der einzige, der für die Akademie »wesentlich Neues« (E.185) beibringt. 3.2.2 Der neue Advokat Von der Vermenschlichung eines Tiers handelt u.a. auch die Erzählung Der neue Advokat. Bucephalus, ehemaliges Streitroß Alexanders des Großen, ist ein Advokat geworden. Wie bei Rotpeter ist die Vermenschlichung bereits vollendet. Wir haben nur ein in einen Menschen verwandeltes Roß vor Augen. Zwar kann derjenige, der »mit den Umständen vertraut ist« (E.145), noch etwas von der damaligen

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Dazu bemerkt Wilhelm Emrich: »Die Tiergestalten Kafkas haben in ihrer ursprünglichen Form diesen positiven rettenden Sinn. Sie repräsentieren die unterbewußt traumhafte Welt, den Zustand des Menschen v o r seinem Denken, ein Vor- und Frühmenschliches, das Im Inneren seiner Seele immer mitanwesend ist.« Emrich: Franz Kafka. a.a.O., S. 122.

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Zeit bemerken, aber »in seinem Äußeren erinnert wenig an die Zeit« (E.145) vor seiner Verwandlung. Auffällig an dieser Erzählung ist ein großer Zeitabstand zwischen dem Zustand vor und nach der Verwandlung. Mit der Verwandlung von einem Streitroß zu Alexanders Zeit zu einem promovierten Advokaten in der heutigen Zeit werden die verschiedenen Zeitalter gegenübergestellt: In den Tagen Alexanders des Großen war der Weg zu den Toren des Paradieses - der Weg nach Indien - »durch das Königsschwert bezeichnet« (E.145). Man hatte ein klares Ziel vor Augen und festen Boden unter den Füßen. »Es genügte, den Auserwählten in diese Richtung zu tragen, um dem Unerreichbaren selbst näher zu sein!«5 Im Gegensatz dazu sind heute »die Tore ganz anderswohin und weiter und höher getragen; niemand zeigt die Richtung.« (E.145) Man hat weder Ziel noch Weg vor Augen. Eine außerordentliche Orientierungslosigkeit wird damit ausgesprochen. Die Neuzeit bedeutet also keinen Fortschritt, eher einen Rückschritt, eine frevelhafte Entfernung von dem Paradies. »Niemand zeigt die Richtung, viele halten Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln, und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.« (E. 145) Mit diesem Rückschritt geht für Bucephalus ein großes Leid und ein unendliches Elend einher. An die Stelle der Lebenskraft und der Tapferkeit des Streitrosses ist ein schwacher Forscher getreten, der sich »in die Gesetzbücher zu versenken« hat (E.146). Das Bild des Forschers provoziert zu einem Vergleich zwischen der Zeit Alexander des Großen und der Neuzeit. Die Verwandlung Bucephalus zum Menschen erweist sich als ein Verlust: Er hat nicht nur die Lebenskraft, sondern auch das Ziel und den Weg dazu verloren; er weiß nicht mehr, was zu tun ist. Schlimm ist auch, daß Bucephalus die Vermenschlichung nicht ganz geglückt ist. Er ist von seinem tierischen Wesen abgewichen, aber kein richtiger Mensch geworden, sondern ein Halbmensch bzw. Halbtier wie Rotpeter. Als Pferd fehlt ihm die Fähigkeit zu reiten, als Mensch mangelt es ihm an der Kraft, eine Treppe hochzugehen. Er kann sich also weder als Mensch noch als Tier bewegen, sein menschliches und tierisches Wesen stehen im Konflikt, was ihm unendliche Schmerzen bringt. Das erkennt man besonders deutlich, wenn er die Treppen »hoch die Schenkel hebend,

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Κ. H. Fingerhut, a.a.O., S. 104.

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mit auf den Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg.« (E.145) Diesen mühsamen Bewegungen sind seine Schmerzen und Leiden zu entnehmen. Das versetzt »selbst einen ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen« (E. 145) in Erstaunen. Dadurch werden die zwei Welten gegenübergestellt. Lebte Bucephalus zur Zeit Alexanders des Großen in der Tierwelt, wo man das Paradies vor Augen hatte, so lebt er jetzt in einer Menschenwelt, wo man weder Ziel noch Weg hat. Das Verlassen der Tierwelt bedeutet für ihn den Verlust des Paradieses. Ein weiterer Aspekt des Regresses, der an Bucephalus Verwandlung zum Ausdruck kommt, liegt darin, daß die fortschrittlichen Kräfte mit Alexander an der Spitze nicht mehr existieren und rückgewandte Kräfte sich emanzipiert haben. Einige Analogien zwischen Der neue Advokat und Ein Bericht für eine Akademie sind festzuhalten. In den beiden Erzählungen geht es um eine verunglückte Vermenschlichung der Tiere. Rotpeter verliert durch seine Menschwerdung die tierische Freiheit. »War mir zuerst die Rückkehr, wenn die Menschen gewollt hätten, freigestellt durch das ganze Tor, das der Himmel über der Erde bildet, wurde es gleichzeitig mit meiner vorwärtsgepeitschten Entwicklung immer niedriger und enger« (E.184). War Bucephalus ein Streitroß voller Lebenskraft, das Alexander den Großen zum Paradies zu bringen befähigt war, kann es jetzt die Treppen kaum hinaufgehen. Sie beide, Bucephalus und Rotpeter, erleiden eine nur scheinbare Entwicklung bei ihrer Vermenschlichung. Wenn bei Kafka die Tier- und die Menschenwelt aufeinandertreffen, erscheint die Tierwelt als eine optimale Welt. In Der neue Advokat wird die Tierwelt sogar als Paradies bezeichnet, während die Menschenwelt als ein bezwingendes und entfremdendes Milieu geschildert wird. In Einklang mit diesem Gegensatz zwischen Tier- und Menschenwelt steht das Mißverhältnis des Tierischen und Menschlichen in einer Figur. Die Vermenschlichung der Tierfiguren bei Kafka ist ein Vorgang der Entindividualisierung. Er hat Ersatzmenschen bzw. Halbmenschen zur Folge. Dieser Vorgang ist unumkehrbar und muß zu einem unglücklichen Ende führen.

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3.3 Geschichtliche Hintergründe der Vermenschlichung der Tiere Bei dieser analogen Entfremdung, die an der Vermenschlichung der Tierfiguren expliziert worden ist, handelt es sich um unterschiedliche Probleme. Pu Songling lebte, wie oben erläutert, in einer Zeit der feudalistischen Gesellschaft der Qing-Dynastie, in der die Kaiser die absolute Macht besaßen und die Individuen ihnen gegenüber zu einem Nichts degradiert waren. Gegen eine solche absolute Macht äußerten sich Gu Yanwu, Huang Zongyi u.a. in verschiedener Form, was nicht ohne Einfluß auf Pu Songling blieb.6 Seine langzeitige Tätigkeit als Privatlehrer brachte Pu Songling in ständigen Kontakt mit den unteren Schichten der Bevölkerung und gab ihm Gelegenheit, ihren Charakter kennenzulernen. Pu Songling teilte mit ihnen einerseits die Empörung gegen die Unterdrückung der Individuen durch das feudale System und entdeckte andererseits in den unteren Bevölkerungsschichten gutwillige Eigenschaften und Elemente einer freien Natur. Auf diese Tatsache weist J. Prusek wiederholt hin.7 Ping Huishan u.a. bemerken dazu etwas radikal: »Kurzum, die wundersamen Phantasien von Pu Songling wirken nicht nur faszinierend, sondern spiegeln seine fortschrittlichen ästhetischen Ideen und seine eindeutige Stellungnahme für die unterdrückten Bürger und seinen Haß gegen die feudale Gesellschaft wider.«8 Die Sehnsucht nach Freiheit und nach individueller Entfaltung, die sich unter den Leuten der unteren Schichten fand, kommt bei Pu Songling zum Ausdruck. Das ist wohl einer der Gründe, warum Pu Songling das Fuchsmädchen in die Natur zurückkommen läßt. An dieser Rückkehr zu der Natur soll der Leser 6

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Vgl. Kapitel 1.3.2 der vorliegenden Arbeit. Huang Zongyi (1610-1695) äußerte in seinem Werk Mingyi taifang lu die politischen und staatstheoretischen Ansichten: Der Herrscher dürfe in seinen Rechts- und Amtshandlungen das Wohl des Volkes nicht aus dem Auge verlieren. Die Beziehungen zwischen dem Fürsten und dem Untertan seien nicht absolut. Vgl. Eugen Feifei.: Geschichte der chinesischen Literatur. a.a.O., S. 312—313. Vgl. J. Prusek: Liao-Chai Chi-I by P'u Sung-ling, an Inquiry into the Circumstances under which the Collections Arose. A.a.O., S. 144-145. Ders.: Subjectivism and Individualism in Modern Chinese literature. In: Leo Ou-fan Lee (Ed.): The Lyrical and the Epic, Studies of Modern Chinese Literature. A.a.O., S. 14. Ping Huishan u.a.: Pu Songling und Qikefu. In: Sammlungen der Pu SonglingForschungen. Band 3, (Herausgeber unbekannt). Jinan 1982, S.41.

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erfahren können, daß die individuelle Freiheit ein Naturzustand und deshalb nicht abzuschaffen ist. Ein solcher Naturzustand wird auch für die menschliche Gesellschaft als eine, wenn auch utopische, Möglichkeit noch angenommen. Unter literarhistorischem Aspekt kann diese Geschichte auch anders interpretiert werden. In der chinesischen Literaturgeschichte müssen die Geschichtenerzähler balancieren zwischen der sozialen Ethik einerseits, die »immer dahin tendiert, den dionysischen Instinkt zu unterdrücken«,9 und der »Sympathie mit der Suche des Individuums nach Erfüllung« andererseits. Das Happy-End ist nach C.T. Hsia eine geeignete Form dieser Balance.10 Das Fuchsmädchen, das die leidenschaftliche Sehnsucht nach Liebe verkörpert, ist mit der traditionellen Ethik konfrontiert. Pu Songling geht mit seinen Vorlagen schöpferisch um, indem er dieses traditionelle Thema mit einer Tierfigur behandelt und diesen Konflikt auf eigene Weise - durch die Rückkehr des Fuchmädchens in die Natur - löst. Kafkas Lebenszeit fällt in die Zeit des erkenntnistheoretischen Krisenbewußtseins nach der Jahrhundertwende und der Erschütterung nach dem Ersten Weltkrieg. Die Krise, das Leiden und die Ausweglosigkeit bilden einen der wichtigsten Themenkreise der Kafkaschen Dichtung. Mit Recht spricht W. Falk von der »Verwandlung ins Fremde« bei Kafka.11 Die Metamorphosen bei Kafka führen meistens in einen Zustand von Entfremdetsein und Qual. Auf Leid und Qual ist der Vorgang der Metamorphose Rotpeters angelegt, ebenso die anderen Verwandlungen, denen sich die Kafkaschen Figuren unterziehen oder denen sie unterworfen werden. Dieses Problem wird in 3.4 weiter ausgeführt werden. Die unterschiedlichen geschichtlich-gesellschaftlichen Gehalte der Entfremdung bestimmen die Unterschiede in der Vermenschlichung der Tierfiguren: Bei Pu Songling ist die Enthumanisierung zwar mit der Vermenschlichung der Tiere verbunden, aber diese Verwandlung läßt sich zurückwenden. Neben der tragischen Entfremdung spürt man noch eine fröhliche und optimistische Stimmung, und die Geschichte endet mit einem Happy-End; bei Kafka dagegen ist die Vermenschli-

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C. T. Hsia, a.a.O., S.346.

10

Ebd., S.232.

11

Walter Falk: Leid und Verwandlung. Salzburg 1961, S. 105.

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chung ein bereits vollendeter Schicksalsschlag voller Leiden und Schmerzen, die nicht mehr aufzuheben sind.

3.4

Die Verwandlung des Menschen ins Tier

Eines der wesentlichsten Themen bei der Vermenschlichung der Tiere ist, wie wir sahen, die Entfremdungskritik. Von derselben Bedeutung ist die Verwandlung in der umgekehrten Richtung: vom Menschen zu Tier. Ästhetisch wirkt sie noch provokanter. Die Verwandlung bei Kafka ist ein Exempel dafür. 3.4.1 Kafka: Die Verwandlung Gregor Samsas Verwandlung zum Ungeziefer wird von vielen Interpreten als literarische Veranschaulichung der Entfremdung ausgelegt, so u.a. von W. Emrich, Jiirg Schubiger, Gerhard Kurz und Carsten Schlingmann. W. Emrich interpretiert aufgrund der Trennbarkeit von »Man« und »Selbst«, die M. Heidegger formuliert hat, diese Verwandlung als eine Folge des Konfliktes zwischen der Arbeitswelt und dem »Ich«, wobei das »Ich« unterdrückt und verzerrt wird und dem »Man« »als ein lästiges Ungeziefer, eine Traumausgeburt« erscheint.12 Samsa beklagt sich über seinen »anstrengenden Beruf«, die »geschäftlichen Anstrengungen«, die »Sorge um die Zugangsschlüsse, das unregelmäßige, schlechte Essen«, den »immer wechselnden, nie andauernden, nie herzlich werdenden menschlichen Verkehr. Der Teufel soll das alles holen.« 13

Das Neue an Kafkas Erzählung Die Verwandlung sieht W. Emrich darin, daß G. Samsa das verzerrte und entfremdete »Selbst« nicht kennt, weil er dem Gesetz des »Man« zutiefst verfallen ist. Die Tiergestalt hat demnach die Aufgabe, »den Zustand des Menschen vor seinem Denken, ein Vor- und Frühmenschliches, das im Inneren seiner Seele immer mitanwesend ist«,14 zu repräsentieren und zu retten. J. Schubiger deutet in seiner Studie zur Verwandlung die Tiergestalt als »lebendige Manifestation, als >Ausdruck< und >Bild< einer be-

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Wilhelm Emrich: Franz Kafka. a.a.O., S. 119. Ebd., S. 119. Ebd., S. 122.

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stimmten Daseinsweise.«15 Dabei stützt sich Schubiger auf G. Samsas belastende Arbeit und auf seine Verpflichtung gegenüber der Familie. Daraus »ergibt sich das Bild einer ungeheuerlichen Belastung, die fast allein schon Gregors Käfergestalt verständlich machen könnte. Wen hätte eine solche Last nicht zu Boden geworfen und flachgedrückt? Was für ein Rücken wäre unter einer solchen Bürde nicht steif geworden?«16 Gerhard Kurz weist auf Gregors Unterdrückung durch den Beruf hin. Dabei bezeichnet er Gregors Leben vor der Verwandlung als das alte Leben und das nach der Verwandlung als ein neues Leben, nach dem Gregor begehrt: Das alte Leben Gregors war bestimmt durch rastlose »Sorge«, »Überlegung«, »Vernunft«, »Ordnung«, durch Ausnutzung jeder Stunde für das »Geschäft«. Gregor, sagt seine Mutter, hat nichts im »Kopf« als das »Geschäft«. 17

C. Schlingmann deutet in seiner Auslegung die Verwandlung so: In dem Ungeziefer ist sein (Gregors) wahres Sein Gestalt geworden, das heißt: die von seinen beruflichen Erfolgen bisher notdürftig überdeckten Entstellungen seiner Natur sind nun selbst Natur geworden. Seine innere Nichtigkeit ist umgeschlagen in äußere Nichtnutzigkeit. 18

Diesen Interpretationen, wie unterschiedlich ihre Ansätze auch sein mögen, ist der Hinweis auf die Berufspflicht und die Versorgung für die Familie gemeinsam. Gregors Existenz ist von seinen Geschäften dermaßen erfüllt, daß sein Leben mit der Arbeit identisch ist. Trotz alledem bleibt Gregor Samsa doch noch ein Mensch, »niemand vermag zu leugnen, daß er das Dasein eines Sklaven führt. Aber auch Sklaven sind Menschen.«19 C. Schlingmann bemerkt zutreffend, daß die unaufhörliche Arbeit von Gregor Samsa unter der Rücksicht auf die Eltern ihm zugleich eine Lösung, ja einen »Schutz vor den Anfechtungen des Daseins« bietet, »weil er seinem Leben keinen eigenen Inhalt zu geben vermag.«20 15

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Jürg Schubiger: Franz Kafka, »Die Verwandlung«. Eine Interpretation. Zürich 1969, S.60. Ebd. Gerhard Kurz: Traum-Schrecken. Kafkas literarische Existenzanalyse. Stuttgart 1980, S. 173. Carsten Schlingmann u.a.: Interpretationen zu Franz Kafka. München 1968, S. 102. Heinz Politzer: Franz Kafka, der Künstler. Frankfurt a. M. 1962, S. 106. Schlingmann, a.a.O., S. 106.

115

Diese Interpretationen legen nahe, die körperliche Metamorphose Gregor Samsas in ein Ungeziefer als ein »Bild« der Entfremdung aufzufassen. In der Tierwerdung Samsas verbirgt sich also der Verlust der individuellen Freiheit und der Menschenwürde. Die körperliche Verwandlung zeigt nicht nur die schlimmen Folgen der Entfremdung, sondern beleuchtet auch die Identifikation eines leeren, inhaltslosen Menschen wie Samsa mit dem Geschäftsleben. Verliert er die Fähigkeit, der Familie den Lebensunterhalt zu verdienen, so verliert er auch die Möglichkeit, als Sklave zu existieren und damit die Existenzmöglichkeit im menschlichen Bereich überhaupt. Seine Schwester Grete formuliert das deutlich: »so geht es nicht weiter, (...) Ich will vor diesem Untier nicht den Namen meines Bruders aussprechen. Wir haben das Menschenmögliche versucht, es zu pflegen und zu dulden, ich glaube, es kann uns niemand den geringsten Vorwurf machen.« (E.133) In Gretes Augen schrumpft Gregor Samsa zu einem »Es«, einem »Untier«, »dessen ungezieferhafte Gegenwart in ihrer Familie kein Daseinsrecht mehr hat.«21 Bemerkenswert ist u.a. das Wort »Menschenmögliche« im Zusammenhang mit »wir«. Eine absolute Trennung zwischen ihrem »wir« als Menschen und Gregor als »es« bzw. »Untier« wird somit getroffen. Die Familienmitglieder haben Gregor deswegen geduldet und gepflegt, weil sie von ihm auch das »Menschenwürdige« erwarten, d.h., Gregor soll wie immer der Familie Dienste erweisen und Geld bringen. Ansonst wird er ohne weiteres aus der Familie ausgeschieden. Kafkas Leistung liegt darin, das Tierische, das die Menschenwelt zu beleuchten hat, auf originelle Weise einzusetzen. Wie bei der Vermenschlichung der Tiere exponiert er die Entfremdung durch eine drastische Metamorphose. Mit dieser künstlichen Metamorphose des Menschlichen ins Tierische gelingt es Kafka, die Entfremdung und deren Folgen zu versinnbildlichen. Künstlerisch steht diese Metamorphose mit der Vermenschlichung der Tiere in engem Zusammenhang. Kafka versteht es in beiden Fällen, durch Vermenschlichung und Vertierung eine provozierende Verdeutlichung seines Themas zu erzielen.

21

Ebd., S.99.

116

3.4.2 Pu Songling: Die Kampfgrille Bei Pu Songling begegnet man dem Phänomen der Verwandlung des Menschen ins Tier u.a. in der Erzählung Die Kampfgrille. Die Geschichte erzählt vom Schicksal eines Bürgers namens Cheng Ming, dem die Abgabe einer Kampfgrille als zusätzliche Steuer auferlegt ist, weil der Grillenkampf beim kaiserlichen Hof in Mode kam. Diese kaum zu erfüllende Abgabe bringt Cheng Ming und seine Familie zur Verzweiflung, so daß Cheng Ming wiederholt an Selbstmord denkt. Später kauft Cheng Mings Frau mit dem letzten Geld einem Wahrsager einen Tip ab und ermöglicht so ihrem Mann, eine Grille zu fangen, die besonders kämpferisch ist. Aber dieses kleine Tier, das der ganzen Familie lebenswichtig ist, wird von Cheng Mings Sohn aus Versehen getötet, der sich dann, aus Angst und Reue, das Leben nimmt. Die Wut der ganzen Familie verwandelt sich in großen Kummer. Unerwartet verwandelt sich aber der Geist des toten Sohns in eine Kampfgrille, die sich für den Hof qualifiziert, beim Kaiser Gunst findet und dadurch der Familie viel Glück und großen Reichtum bringt. Die Kampfgrille ist eine Chiffre für die unmenschliche Ausbeutung durch die Steuern, die jede Familie zugrunde richten kann. Als ein Gegenstand zur Belustigung und Augenweide des Kaisers verkörpert die Kampfgrille die Macht des Herrschers, die die Gouverneure, Magistrate und Bezirksleiter zwingt, dafür zu sorgen, daß die Kampfgrille fristgemäß abgeliefert wird. Diese Beamten verschiedener Schichten wiederum kümmern sich nur um das Tier, die Kampfgrille ist ihnen wichtiger als die Menschen, die sie abzugeben haben. Die Steuerzahler sind zu einem die Kampfgrille abzuliefernden Nichts degradiert. Für sie ist die Kampfgrille ein Unheil, eine Katastrophe, an der eine ganze Familie zugrunde gehen kann. In dieser Geschichte wird eine außerordentliche Erniedrigung des Menschen dargestellt. Der Tod von Cheng Mings Sohn veranschaulicht diese Nichtigkeit des Menschen gegenüber dem Tier, das der Kaiser fordert. In der zweiten Hälfte der Geschichte verwandelt sich die Seele von Cheng Mings Sohn in eine Kampfgrille, die die Familie aus der Katastrophe rettet und zum Glück bringt. Diese utopische Szenerie bekräftigt die Herabwürdigung des Menschen gegenüber der kaiserlichen Macht. Als ein vollkommener Mensch vermögen Cheng Ming und sein Sohn sich nicht zu helfen. Für sie ist der Tod der einzige Ausweg. 117

Beide, Cheng Ming und sein Sohn, planen bzw. begehen Selbstmord. Als Kampfgrille hingegen ist der Geist von Cheng Mings Sohn doch befähigt, sich der Katastrophe zu entziehen und Glück herbeizuschaffen. So wäre es besser, anstatt eines Menschen eine Grille zu sein. Die mit der Metamorphose bezeichnete Verneinung der Menschenwürde, die sich in den beiden Werken parallelisieren läßt, sticht ins Auge. Das ist auch ein Grund dafür, warum Die Verwandlung in China als »Hauptmeisterwerk« Kafkas bezeichnet und ihm »eine wichtige Stellung (...) in der modernen Literaturgeschichte« beigemessen wurde.22 Nach der Zusammenfassung von Weiyan Meng gehen die Interpretationen der Verwandlung in der VR China von zwei Punkten aus: »Zeitgebundenheit« und »Entfremdung«. Unter der »Zeitgebundenheit« versteht man »die Vorahnung der Katastrophe und das Gefühl der Einsamkeit« in der spätkapitalistischen Gesellschaft. Die Verwandlung beschreibt die Phänomene der Entfremdung der Menschen in der kapitalistischen Welt. ( . . . ) Gregor Samsa verwandelt sich, unter der Last des Familienlebens und dem Gesellschaftszwang, in ein Ungeziefer. Mit dieser merkwürdigen Verwandlung beabsichtigt Kafka, die Entfremdung der Menschen durch die Gesellschaft zu konkretisieren. ( . . . ) Eine mögliche Interpretation wäre so: obwohl der kleine Angestellte früher noch die Gestalt des Menschen behält, führt er unter dem Druck der Not ein unmenschliches Leben. Er ist schon in seinem Leben ein Ungeziefer geworden. Später wird dieses Ungeziefer im abstrakten Sinne zum körperlichen Ungeziefer. Der Mensch wird zum Nicht-Menschen. Das ist Entfremdung. 23

Die Unzulänglichkeit dieser Interpretationen liegt m.E. darin, daß nur die analogen Motive ins Auge gefaßt werden, ohne die geschichtlichen Hintergründe, die eigentlichen Gehalte und die künstlerischen Eigenarten zu beachten. So ist es kein Wunder, daß schließlich die beiden Geschichten, Die Verwandlung und Die Kampfgrille, eindeutig aufeinander bezogen werden. Man behauptet, Die Verwandlung helfe dem chinesischen Leser, die innere und tragische Bedeutung von Die Kampf grille zu erkennen, »die früher übersehen worden ist.«24

22 23 24

Weijan Meng: Kafka und China. Diss. München 1986, S.202. Ebd., S.202. Ebd., S.203.

118

Um solche vorschnellen Auslegungen zu korrigieren, ist es erforderlich, die geschichtlichen Hintergründe sowie die gedanklichen und künstlerischen Merkmale der beiden Texte näher ins Auge zu fassen.

3.5

Geschichtliche Hintergründe der Verwandlung

3.5.1 Kafkas Verwandlung vor dem abendländischen Hintergrund Bei Kafka handelt es sich u.a. um die Entfremdung in der Zeit des modernen Kapitalismus. Die Entfremdung ist u.a. zurückzuführen auf die zunehmende Arbeitsteiligkeit, die mit der Industrialisierung einhergeht und die im Taylorismus, der den Arbeitsprozeß sorgfältig in einzelne Bewegungsläufe zerlegt und damit den Arbeiter in einen Teil der Maschine verwandelt, ihren schärfsten Ausdruck gefunden hat. Der Arbeiter wird auf ein enges »Spezialfach« und somit zu einem »Fachidioten« reduziert. »Selbst seine psychologischen Eigenschaften werden von seiner Gesamtpersönlichkeit abgetrennt, ihr gegenüber objektiviert, um in rationelle Spezialsysteme eingefügt und hier auf den kalkulatorischen Begriff gebracht werden zu können.«25 Die Entfremdung findet eine ihrer Wurzeln in der Bürokratie, die schon in der Habsburger Monarchie immer mehr um sich greift und unter der auch Kafka als Beamter der Arbeiter-Unfall-VersicherungsAnstalt zu leiden hatte. Auch davon gibt seine Verwandlung eine Vorstellung. Die Metamorphose Gregor Samsas weist aber auch andere biographische Bezüge auf. Prag, wo Kafka lebte, war eine Stadt voller Widersprüche. Einerseits erinnerte sie mit zahlreichen Denkmälern an die Vergangenheit und die deutsche Kaisermacht, andererseits spürte man immer noch den Freiheitskampf des tschechischen Proletariats und Kleinbürgertums; einerseits bildeten die tschechisch Sprechenden die Mehrheit der Stadtbevölkerung, andererseits wurden sie regiert durch die deutschsprechende Minderheit. Als deutschsprechender Jude fühlte sich Kafka in dieser Stadt fremd. Zu diesem Fremdsein in der Gesellschaft kommt seine Situation in der Familie. Der Vater Hermann Kafka wollte aus dem Sohn einen fähigen Geschäftsmann machen, um sein Geschäft an ihn weiter ver25

Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein. 8. Aufl. Darmstadt 1983, S. 198.

119

erben zu können. Seine Methode war eine harte und fast erstickende Erziehung, die in Kafka Gefühle von »Ich-Schwäche« und Fremdheit zustandebrachte, so daß er alles floh, was nur von Ferne an den Vater erinnerte. Gunther Anders trifft ins Schwarze, wenn er Kafkas Existenzform eines Fremden zusammenfaßt: »Als Jude gehörte er nicht zur christlichen Welt. Als indifferenter Jude - denn das war er ursprünglich - nicht ganz zu den Juden. Als Deutschsprechender nicht ganz zu den Tschechen. Als deutschsprechender Jude nicht ganz zu den böhmischen Deutschen. Als Böhme nicht ganz zu Österreich. Als Arbeitsversicherungsbeamter nicht ganz zum Bürgertum. Als Bürgersohn nicht ganz zur Arbeiterschaft. Aber auch zum Büro gehört er nicht, denn er fühlt sich als Schriftsteller. Schriftsteller aber ist er auch nicht, denn seine Kraft opfert er der Familie. Aber >ich lebe in meiner Familie fremder als ein Fremder. emanations< from nature, are part of natural reality. These creatures are properly calles yao, guai and jing (goblins and demons), shangui and shuigui (genii and nymphs), and chimei and wangliang (ogres, evil spirits of forests and

30

Auf diesen Sachverhalt hat u.a. auch Martin Buber hingewiesen. Vgl. Martin Buber: Chinesische Geister- und Liebesgeschichten. A.a.O., S.5. 31 M. Buber schreibt in seiner Einleitung zu dem Band Chinesische Geister- und Liebesgeschichten zu Recht: »Dieses Volk (das chinesische Volk), in dem Lautses Lehre von dem allumfangenden Bahn und Buddhas Lehre von der allbewirkenden Tat beieinander, ja miteinander wohnen, hat in seinen Geistergeschichten ein Lied der verschwisterten und verleibten Elemente ersonnen, ein Lied für Götter und Menschen.« Vgl. Martin Buber, a.a.O., S.5.

122

waters.) There creatures or beings inhabit the world of nature, the world beyond human civilization. 32

Dies stellt für die Literatur einen Nährboden zur Entwicklung der Geschichten von Übernatürlichem dar, in der Geister eine wichtige Rolle spielen und die Metamorphosen ein beliebtes Motiv sind. Die beiden Phänome, die Manifestation von Geistern sowie die Metamorphosen von Menschen in Tiere oder umgekehrt, stehen in engem Zusammenhang. Nach der Zusammenfassung von Karl Kao sind dies zwei der sechs Grunderscheinungen des guai (Übernatürlich-Wunderbaren), die die schriftsprachliche Erzählliteratur der Sechs-Dynastien beinhalten.33 Was Metamorphosen in der Literatur betrifft, so können sie wiederum in drei Arten gegliedert werden: selbst herbeigezauberte Metamorphosen eines taoistischen oder buddhistischen Anhängers in andere Gestalten;34 Metamorphosen des Menschen in Tiere oder umgekehrt ohne erklärbare Ursache sowie Metamorphosen des Menschen in Tiere durch eine andere Person, meistens durch Schwarze Magie. Die ersten zwei Arten der Metamorphosen sind in den Erzählungen der Sechs-Dynastien üblich, die dritte ist zwar bis auf die schamantische Tradition zurückzuverfolgen, aber erst in den Tang-Novellen ist sie häufiger zu finden.35 Der Roman Die Pilgerfahrt nach dem Westen z.B., eines der wichtigsten Werke der Ming-Dynastie, ist bekannt u.a. durch den Affenkönig, der über wundersame Kräfte verfügt und sich in zweiundsiebzig verschiedene Figuren verwandeln kann, der größte Schwierigkeiten bewältigt und die Pilgerfahrt zu einem erfolgreichen Ende bringt. Der Affenkönig »ist in die Kunst der magischen 32 33 34

35

K. Kao, a.a.O., S. 8. Ebd., S.5-6. Diese Art der Metamorphosen hängt hauptsächlich zusammen mit fangshu, Kult des einheimischen Ursprungs, dessen margische Arten Astrologie, Alchimie, Weissagung, Kommunikation mit Toten usw. enthalten. Fangshu findet man in vielen Werken wie Shenxian zhuan, Hou Honshu, Sanguo zhi usw. dargestellt. These Books »relate primarily the thaumaturgie manifestations of fang-shih magicians and taoist adepts or neophites engaged in magic transformations or the pursuit of the alchemic art of eternal life.« Kao, a.a.O., S. 10. Dem Verhältnis zwischen fangshu und erzählerischen Werken hat Wang Yao eine spezifische Untersuchung gewidmet: Wang Yao: »Xiaoshuo yu fangshu«. In: Zhonggu wenxue lunji. Shanghai 1956, S.85-110. Vgl. Karl Kao, a.a.O., S. 12-13.

123

Verwandlung eingeweiht«.36 Eine ganze Serie von Metamorphosen vollzieht der Affenkönig im sechsten Kapitel des Romans, die C.T. Hsia für aussagekräftig hält und in seinem Werk Der klassische chinesische Roman viel zitiert.37 Die Geschichten über die Pilgerfahrt des Mönches Xuanzang nach Westen waren bereits über siebenhundert Jahre verbreitet, bis Wu Chengen (1510-1582) diesen Roman endlich verfassen konnte.38 Bereits vor der Tang-Zeit gab es in der chinesischen Literatur legendäre bzw. fiktive Figuren, die in der Lage sind, sich zu verwandeln. Solche Vorstellungen von Verwandlungen wurden durch Einflüsse durch die fremden Kulturen angereichert. Zhou Yanmou zählt in seinem Artikel Sun Wukong he qishi'er bian (Der Affenkönig und seine 72 Verwandlungen) einige bekannte Verwandlungs-Geschichten aus der Literatur vor der Tang-Zeit und viele mehr aus der Tang-Literatur selbst auf. Hierin stellt er fest, daß die zunehmenden Einflüsse vom Ausland während der Tang-Zeit die chinesische Phantansie und die chinesischen Vorstellungen von Verwandlungen bereicherte.39 C.T. Hsia stellt fest, daß die Verwandlungs-Geschichten vor der Tang-Zeit noch nicht so vielfältig und vollkommen sind wie die in Xiyou ji. Er vergleicht bestimmte Verwandlungs-Geschichten in Xiyou ji mit denen in Tausendundeiner Nacht und sieht darin »die generelle Kenntnis der Volkstümlichen Literatur des Mittleren und Nahen Ostens« von den Schöpfern der Legende um den Affen. 40 Das zeugt auch von der Beliebtheit des Verwandlungs- und Tiermotivs bei der chinesischen Leserschaft. Im 17. Jahrhundert entstand der historisch-mythologische Roman Fengshen yanyi (Die Metamorphosen der Götter), der u.a. darstellt, wie die Göttin, von dem Kaiser Zhou Wang beleidigt, ihre Dämonen, unter ihnen den tausendjährigen Fuchsdämon, den neunköpfigen Fasanendämon und den nephritenen Skorpiondämon hinschickt und das 36 37

39

40

C.T. Hsia, a.a.O., S. 152. Ebd., S. 152. Über die Entstehungsgeschichte und die verschiedenen Ausgaben dieses Romans hat A. Plaks in seinem großangelegten Buch The Four Masterworks of the Ming Novel eingehend und informativ geschrieben. Plaks: The Four Masterworks of the Ming Novel. A.a.O., S. 183-100. Zhou Yanmou: Sun Wukong he qishi'er bian. In: Zhongyang-fukan-Seite der Central Daily News, Taipei, 13-14. Juni 1965. C . T . Hsia, a.a.O., S. 153.

124

Kaiserreich vernichten läßt. Diese Dämonen nehmen Menschengestalten an und erfüllen mittels Zauberkünste die Mission.41 Dafür spricht auch das Märchen Fischfee:42 Aus dieser Skizzierung ist abzuleiten, daß die Metamorphose in China u.a. einen Weg darstellt, Streiche zu spielen oder auch utopische Wunschvorstellungen zu erfüllen. Daher sind die Metamorphosen nicht unbedingt mit Schreck und Leid verbunden, sie können auch mit Freude und Glück in einem Zusammenhang stehen. Eine Vertierung bedeutet keinen Wertverlust, weil Menschen- bzw. Tiergestalten sich ineinander verwandeln können und eine unverrückbare Wertstufung von Lebewesen wie im Abendland nicht existiert. Eine wichtige Bedeutungsschicht des Affenkönigs liegt in seinem aufständischen Verhalten. Er sucht nach Unsterblichkeit und leistet »Widerstand gegen die etablierten Autoritäten«.43 Somit ist mit einem traditionellen volkstümlichen Motiv ein wichtiges Thema verbunden der Konflikt zwischen Individualität und sozialer Ethik. Das Motiv, das unterdrückte Individuum mit einem Tierbild darzustellen, wurde bereits von Konfuzius vorweggenommen. Als Konfuzius einmal an dem Taischan-Gebirge vorbeiging, hörte er eine Dame vor einem Grab kniend weinen. Ihr Onkel, ihr Mann und ihr Sohn waren einer nach dem anderen vom Tiger gefressen worden. Auf Konfuzius' Frage, warum sie das Gebirge nicht verlasse, antwortete die Dame, sie wolle lieber im Gebirge bleiben, weil es dort keine grausame Politik gibt. Dazu bemerkte Konfuzius gerührt: »Die grausame Politik ist noch schlimmer als Tiger.«44 Ein solches Tier-Bild nahm auch der Dichter und Essayist der Tang-Zeit, Liu Zhongyuan (773-819), zu Hilfe, um die grausame Ausbeutung zu kritisieren. Er berichtete in seinem Essay unter dem Titel Schlangenfänger von einer Familie, die eine Art sehr giftiger Schlangen fing, um sie dann abzugeben und dadurch der Steuerabgabe 41 42

43 44

Vgl. Karl Sälzle, a.a.O., S.325-328. Die Fischfee besaß die Fähigkeit, sich in ein Mädchen zu verwandeln. Als sie bemerkte, daß sich ein junger Mann in die Tochter des Ministers Qin verliebte, verwandelte sie sich in die Gestalte dieses Mädchens und spielte dem jungen Mann, dem Minister und seinen Leuten Streiche, bis man sie endlich von der Tochter des Ministers unterschied. Vgl. Karl Sälzle, a.a.O., S.329. Hsia, a.a.O., S.46. S.46. Liu Zungyuan: Werke. Band 2. Peking 1979, S.455. (Der Herausgeber ist unbekannt.)

125

zu entgehen. Die Schlangen waren so giftig, daß die Vorfahren der ersten beiden Generationen daran gestorben waren und auch der Junge der dritten Generation einige Male beinahe ums Leben gekommen wäre. Aber er wollte das nicht aufgeben, denn damit konnte er befreit sein von der Steuerabgabe, die die meisten Familien der Gegend entweder zum Tod oder zur Flucht gezwungen hatte. Trotz der großen Lebensgefahr fing er weiter diese Schlangen.45 Pu Songlings Kampfgrille steht offensichtlich in dieser Tradition. Sie ist einerseits mit den traditionellen Bedeutungen der Metamorphosen gekoppelt, bezieht sich andererseits auf die soziale Realität.

3.6 Ein Vergleich der beiden Texte Diese Unterschiede in sozialgeschichtlichen Hintergründen, in religiös-philosophischen Vorstellungen und literarisch-ästhetischen Traditionen der Metamorphose bewirken, daß zwischen Kafkas Verwandlung und Pu Songlings Kampfgrille bedeutende gedankliche, inhaltliche und künstlerische Unterschiede klaffen. Im folgenden soll darauf eingegangen werden. Bei Kafka dient die Metamorphose in erster Linie dazu, den inneren Zustand des Protagonisten zu veranschaulichen. In diesem Punkt stimmen verschiedene Deutungen der Verwandlung überein. W. Emrich geht davon aus, daß das Untier als Bild von Gregor Samsas entfremdetem Selbst zu verstehen ist. Samsa »bleibt der Sphäre des >Man< verhaftet. Das >Selbst< ist ein lästiges Ungeziefer, eine Traumausgeburt, die nicht Realität sein kann.« 4 6 K. Weinberg versteht in seiner religionsgeschichtlichen Studie der Verwandlung das Tierische als »die das All durchströmende Lebenskraft und den göttlichen Funken, die Seele.«47 W. Sokel interpretiert die Verwandlung als Sinnbild für Gregors Inneres: »Die Verwandlung verwirklicht diese Wunschvorstellung auf versteckte und indirekte Weise«,48 den Wunsch nämlich, sich des Berufs zu entbinden und gegen den Chef der Firma aufzulehnen. G. Kurz faßt Gregors Verwandlung als einen 45

Ebd., S.455.

46

Wilhelm Emrich: Franz Kafka. a.a.O., S. 119. Kurt Weinberg: Kafkas Dichtungen. Bern und München 1963, S. 173. Walter Sokel: Kafkas Verwandlung. Auflehnung und Bestrafung. In: Heinz Politzer (Hrsg.): Franz Kafka. Darmstadt 1973, S.274.

47 48

126

»Fall« aus dem »menschlichen Kreis«, als »eine neue Geburt«, einen »Ausbruch aus dem Käfig der Existenz« auf.49 Diesen Interpretationen ist gemeinsam, das Tierbild als ein Abbild von Gregors Innerem zu verstehen. Der subjektive Status Gregors steht im Vordergrund. Die Tatsache der Verwandlung ist weniger wichtig als die subjektive Empfindung der Entfremdung. Kafkas Kunstgriff besteht darin, das verzerrte »Ich« durch die Tierfigur sichtbar zu machen. Mit dieser Tierfigur konfrontiert Kafka nicht nur den Leser, auch Gregor erfährt so schonungslos die Tatsache seiner Entfremdung. Der Schreck, der Gregor durch den eigenen verwandelten Körper widerfährt, seine Zweifel an der Wirklichkeit der Verwandlung, seine Bemühungen, die Verwandlung abzuweisen und schließlich sein Versuch, sich als Untier ins Menschenleben zu integrieren, verdeutlichen diese Funktion der Tierfigur. Mit diesem Untier gelingt es Kafka zu zeigen, wie der moderne Mensch seines »Ichs« verlustig gegangen ist, ohne es zu wissen, und wie schwierig es ist, dem Menschen diese Degradierung bewußt zu machen. Ein allgemeiner geistiger Zustand des modernen Menschen wird so exponiert. Im Gegensatz dazu dient die Metamorphose in ein kleines Tier bei Pu Songling eher zur satirischen Beschreibung eines konkreten Tatbestandes in der Außenwelt. Die Kampfgrille fungiert in erster Linie als Verdeutlichung der grausamen Unterdrückung des Volkes durch zusätzlich aufgezwungene Steuern. Die Furcht sowie die Ausweglosigkeit des Helden werden nicht mit der Tiergestalt der Grille selbst bezeichnet, sondern durch die Handlungen der Figuren beschrieben. In den ersten drei Absätzen der Erzählung werden Zeit und Ort angegeben und der Protagonist vorgestellt. Das Erzähltempo ist langsam. »Zur Zeit des Kaisers Hsüan Te aus der Ming-Dynastie (1426-1436) war der Grillenkampf bei Hofe groß in Mode. Die Abgabe von Grillen wurde den Bürgern wie ein zusätzliche Steuer auferlegt.« (LZZY. B.107) Hier liegt keine konkrete Handlung vor. Es wird nur ein Sachverhalt berichtet. Daher ist auch kein Kommentar, keine Stellungnahme des Autors zu erfahren. Im dritten und vierten Absatz wird auf Cheng Mings schwierige Lage eingegangen, nachdem ihm die Abgabe der Grille auferlegt

49

Gerhard Kurz, a.a.O., S. 173.

127

wurde: Seine Bemühungen schlagen ins Leere, so daß er schließlich verzweifelt. Also machte sich Cheng Ming früh am nächsten Morgen mit einem Bambusrohr und einem Seidennetz auf den Weg und kehrte erst spät in der Nacht zurück. Er suchte an verwitterten Mauern, in Büschen, unter Steinen und in Löchern, doch was er auch versuchte, er fand nicht mehr als drei Grillen, die zum Überfluß schwächliche Geschöpfe und im Grunde nicht zu gebrauchen waren. (LZZY.B.107)

Im Vergleich zum Anfang wird die Erzählung konkreter. Cheng Mings Mühe, Grillen zu fangen, und das Ergebnis werden berichtet, doch das Erzähltempo bleibt langsam. Im ersten Satz wird die Dauer der Suche benannt. Der zweite Satz besteht aus mehreren Redewendungen und Nebensätzen, die sich nur auf die Ergebnislosigkeit dieses Handelns beziehen. Das Erzählen kommt so langsam voran. Die Handlung wird retardierend entfaltet. Mit der Entwicklung der Geschichte aber wird das Erzähltempo verstärkt. Der Erzählgegenstand wird konkreter, die Handlungsschritte folgen schneller aufeinander. Um dem Wahrsager einen Rat abzukaufen, »kratzte« Cheng Mings Frau »ihr letztes Geld zusammen und ging, ihn um Rat und Hilfe zu bitten« (LZZY.B.108). Vor dem Zimmer des Wahrsagers, wo es eine Menschenmenge gibt, »drängte sich Chengs Frau vor, legte etwas Geld auf den Altar, verbrannte ihren Weihrauch und warf sich zu Boden« (LZZY.B.108). Sobald sie von jenem einen Zettel mit einem Rat erhält, »lief (sie) sofort nah Hause, um ihren Mann davon zu erzählen« (LZZY.B.108). In diesen Sätzen sind die Situationen konkreter. Es wird nicht nur der Kauf des Rates, sondern das Wie dieses Kaufes erzählt. Die Verben in diesen Sätzen gewinnen eine dringliche Dynamik: »zusammenkratzen«, »sich drängen«, »laufen« usw. Diese hastigen Handlungen verdeutlichen die Ratlosigkeit und Furcht von Cheng Mings Frau und seiner ganzen Familie. Die Erzähldynamik wird dann noch weiter gesteigert, als Cheng Ming die Grille sucht. Er setzte sich hin und beobachtete alles aufmerksam. Ebensogut hätte er nach einer Nadel oder nach einem Senfkorn Ausschau halten können - er fand nichts und wurde allmählich immer müder. Da sprang plötzlich ein alter Frosch vor ihm auf und hüpfte in die Büsche. Am Fuß eines Brombeerstrauchs sah Cheng

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eine Grille. Er grapschte nach ihr; die Grille sprang in ein Loch. Er goß etwas Wasser hinein und zwang sie damit herauszukommen. (LZZY.B.108)

Die Sätze sind auffällig kurz, es werden wenige oder gar keine Nebensätze oder parallele Sätze angeschlossen. Jeder Satz trägt eine Bewegung. Die Handlungen folgen so dicht aufeinander, als könnten die Sätze mit den Handlungen nicht Schritt halten. Die Erzählperspektive ist bald zu Cheng Ming, bald zur Grille gewendet, was einen sprunghaften Eindruck hervorruft und die Dynamik der Sätze verstärkt. Den Verben »springen«, »aufschrecken«, »gießen«, »zwingen« usw. ist eine aktive körperliche und seelische Anstrengung gemeinsam. Cheng Mings Hektik und Nervosität, die wiederum auf seine Furcht zurückzuführen sind, kristallisieren sich in dieser Erzählweise. Die Erzählspannung erreicht ihren Kulminationspunkt, als Cheng Mings Sohn die Grille getötet hat und dies der Mutter erzählt. »>Du Halunke! Warte nur, bis dein Vater nach Hause kommtGregor, der Prokurist ist daIch weißAbfall< wortwörtlich verzehrt werden, was allerdings voraussetzt, daß das Opfer des Messiasanwärters in der bittersten Form gebracht wird: er muß, um den Abfall fressen zu können, erst buchstäblich vertieren, sich vor den Augen aller, und auch vor den eigenen, zum Tier, zum Ungeheuer - wie Gregor - , in ein >ungeheueres Ungeziefer< verwandeln.53

Diese Auslegung Weinbergs setzt offensichtlich die Identität von Geist und Körper voraus. Diese Interpretationen gehen von der Identität von Geist und Tiergestalt aus und lassen keine Trennung zwischen beiden zu. Die absolute körperliche Verwandlung zwingt Gregor, sich auch seelisch mit 51 52 53

Ebd., 111-156. Carsten Schlingmann, a.a.O., S. 119. Kurt Weinberg, a.a.O., S.227.

133

dem Ungeziefer abzufinden und als solches auf die Außenwelt einzustellen. Bei Cheng Mings Sohn vollzieht sich die Metamorphose ausschließlich im Bereich des Geistes und in voller Unabhängigkeit vom Körper. Nachdem Cheng Ming seinen Sohn auf dem Grunde eines Brunnens tot aufgefunden und seine Leiche mit nach Haus gebracht hat, bereitet er mit seiner Frau das Begräbnis vor. »Doch als sie seinen Körper berührten - O Wunder! er atmete noch. Überglücklich legten sie ihn auf das Bett, und etwa gegen Mitternacht kam er wieder zu sich. Aber sein Geist war verwirrt, und er wollte nichts als schlafen.« (LZZY.B.109) Währenddessen verwandelt sich sein Geist in eine Kampfgrille, die wider alle Erwartung vor der Haustür zirpt. Der Körper und der Geist befinden sich also in beiden verschiedenen Bereichen. Schläft der Körper verworren in dem Bett, so verwandelt sich der Geist in eine Grille, die alle Kampfgrillen besiegt, sich die Gunst des Kaisers erwirbt und somit dem Vater zu einem erfolgreichen Staatsexamen verhilft. »Erst einige Monate danach erlangte Cheng Mings Sohn sein Bewußtsein und seinen Verstand wieder.« (LZZY.B.109) Die Metamorphose von Cheng Mings Sohn ist also partiell und vorläufig. Sie betrifft nur den Geist, ist auch wieder ungeschehen zu machen. Gregors Verwandlung ist irreparabel und unumstößlich. Sie ist auch unbewußt, trifft Gregor Samsa als ein Schicksalsschlag. Sein anfänglicher Kampf mit dem tierischen Körper, seine Unfähigkeit, sich mit den Familienmitgliedern zu verständigen und seine Behandlung durch die Menschenwelt als Tier bringen ihm seelische und körperliche Leiden. Auch die Ursache der Verwandlung ist ein Leiden, das sein Beruf und seine Schuld ihm bereitet haben. Gregors Verwandlung ist durch Leiden verursacht, motiviert und entfaltet. Gregor verwickelt sich in immer schlimmere Situationen, er erliegt immer hoffnungsloser einer fremden Übermacht. Seine Verwandlung endet auch trostlos: Er stirbt einen trostlosen und qualvollen Tod. Dies gilt auch für andere Protagonisten Kafkas wie Josef K. und K. Das Individuum ist nichts gegenüber einer fremden Übermacht, es wird von ihr zerstört. Im Gegensatz dazu ist die Verwandlung von Cheng Mings Sohn ein gewollter und herbeigewünschter Prozeß. Es ist zu beachten, »daß der Geist (von Cheng Mings Sohn) während dessen Krankheit in die 134

kleine Grille geschlüpft war und ihr die Kraft zum Kampf verliehen hatte. Damit hatte der Junge seine Schuld am Verlust der ersten Grille wieder gut machen wollen.« (LZZY.B.l 11) Dieser herbeigewünschten Metamorphose wohnt die Möglichkeit einer Rückverwandlung zum Menschen inne. Einige Monate später, als Cheng Ming ein Staatsexamen erfolgreich bestanden hat, kehrt der Geist von seinem Sohn in seinen menschlichen Körper zurück, der die ganze Zeit über im Bett lag. Die Metamorphose ist zwar auch von Leiden motiviert, aber sie befreit Cheng Mings Familie von diesem Leiden, bringt ihr Glück und Reichtum. Dieses Ende macht das traditionelle Verständnis der Metamorphosen in China deutlich. Ein solches Happy-End paßt auch zu Pu Songlings Verhalten gegenüber seiner Gesellschaft: Sympathie mit den unteren Bevölkerungsschichten und Empörung gegen die herrschende Klasse zu zeigen, ohne aber gegen die Gesellschaftsordnung zu verstoßen.54 Daraus ist hier zu entnehmen, daß der Mensch sich auf seinen Willen stützen soll: So besitzt das Subjekt die Fähigkeit, die Welt zu steuern. Das bildet einen krassen Unterschied zu dem Individuum in Kafkas Verwandlung. Die unterschiedlichen Verfassungen des Menschen bei Kafka und bei Pu Songling, die im ersten Kapitel bereits bezeichnet worden sind, finden hier einen noch schärferen Ausdruck. Die unterschiedliche Bedeutung der Metamorphosen in China und im Abendland erhellt nicht nur die Differenzen in diesen beiden Erzählungen. Dieser Befund warnt auch davor, sich von analogen Verwandlungsmotiven verführen zu lassen und die Bedeutung einer Erzählung auf die andere zu übertragen. Die Bemerkung des chinesischen Kritikers, Die Verwandlung helfe dem Leser, das an der Kampfgrille zu entdecken, was bisher an ihr übersehen worden ist,55 sollte deshalb hier nicht unwidersprochen bleiben.

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55

Im Zusammenhang mit den Ming-Erzählungen bemerkt Hsia, daß die Ming-Erzähler angesichts des Konflikts zwischen der Gesellschaft und dem Individuum mit Doktrin des Karma oder moralischer Vergeltung trösten, gleichzeitig sich immer mehr, »auf einen überzeugenden Realismus zugehend«, den Forderungen des Individuums und dessen latenter anarchischer Opposition gegenüber der Gesellschaft annäheren. Vgl. C. T. Hsia, a.a.O., S.341-342. Das trifft m.E. auch für Pu Songling zu. Vgl. oben S. 118, Anm. 24.

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KAPITEL 4

Tierparabeln

4.0 Vorbemerkung Die Parabel ist eine literarische Gattung, die das eigentlich Gemeinte nicht direkt, sondern gleichnishaft ausspricht. D.h., die Parabel erzählt einen konkreten Vorgang und weist damit auf das Gemeinte hin. Der Leser soll aus dem konkreten Vorgang die eigentliche Aussage herleiten. Nach Werner Brettschneider gibt es drei Gattungsmerkmale: 1. »das uneigentliche, gleichnishafte Sagen«, 2. ein konkretes Ereignis oder einen konkreten Vorgang, 3. »die Notwendigkeit, das Erzählte als Beispiel aufzunehmen und aus ihm das Gemeinte herzuleiten.«1 Es ist also von zwei Ebenen die Rede, einer Bild- und einer Sachebene. In seinem Buch »Die Gleichnisreden Jesu« unterscheidet Jülicher zwischen der Bild- und Sachhälfte. Unter der ersten versteht er ein konkretes Ereignis, das erzählt wird und vom Leser als Beispiel aufgenommen werden soll. Unter der letzteren versteht er den eigentlichen Sinn, der aus der Bildebene hergeleitet wird, nämlich das, »worauf das Erzählte verweist.«2 Auf diese Unterscheidung ist das Augenmerk vieler Kritiker gerichtet, unter denen Werner Heldmann folgendes bemerkt: »das Geschehen vollzieht sich auf zwei verschiedenen und getrennten Sinnebenen: auf der dargestellten Bildebene und auf der verborgen bleibenden Wahrheitsebene.« Diese beiden Ebenen bezeichnet Heldmann als »die wesentliche Eigentümlichkeit der Parabel«.3 Norbert Miller trifft ebenfalls die Unterscheidung zwischen diesen beiden Ebenen, indem er die Parabel als »Gleichnis, als Anders-Sagen, als ein Umspielen von geprägten Gedanken und Lehrsätzen durch Geschehnisse 1

2 3

Werner Brettschneider: Die moderne deutsche Parabel. 2. Aufl. Berlin 1980, S.9. Adolf Jülicher: Die Gleichnisreden Jesu. Darmstadt. 1976, S.70. Werner Heldmann: Die Parabel. In: Josef Billen (Hrsg.): Die Deutsche Parabel. Darmstadt 1986, S.113

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und Figuren« bezeichnet.4 Ähnliches äußert auch Alfred Bourk, wenn er anstatt von zwei Ebenen von zwei Gleisen spricht: Die Parabel sei immer »zweigleisig«, sie erzähle »vom Einzelnen aus das Allgemeine beispielhaft erhellend«.5 Das Verhältnis zwischen der Bild- und Sachebene ist mit Hilfe der obigen Bemerkungen leicht zu beschreiben: Die Bildebene besteht aus der Erzählung eines konkreten Vorgangs, der in sich geschlossen und daher leicht zu verstehen ist. Sie wird dann zur Sachhälfte in Beziehung gesetzt, wobei ihre Aussage, um mit Hegel zu sprechen, auf eine »höhere und allgemeinere Bedeutung« erhoben wird;6 oder, wie schon Lessing bemerkt, der eigentliche Sinn wird zu einem »allgemeinen moralischen Satz« erhoben.7 Nach Schopenhauer deutet die Bildebene auf eine »tiefere und vollkommenere Erkenntnis«;8 das eigentlich Gemeinte ist, wie Goethe sagt, »das Hohe, das Außerordentliche, das Unerreichbare«. Die Bildebene sei die »beispielhafte Darstellung einer absoluten Wahrheit«.9 In China versteht man unter der Parabel yuyan, das gleichzeitig auch Metapher,10 Allegorie,11 Fabel und sogar Fiktion bedeutet.12 Das Wort yuyan kommt ursprünglich von Zhuangzi. Er vergleicht yuyan mit Personen, die zum Zwecke der Erläuterung von außen hereinge-

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Norbert Miller: Moderne Parabel. In: Josef Billen (Hrsg.): Die Deutsche Parabel. a.a.O., S. 118. Alfred Bourk: Geste und Parabel. a.a.O., S. 133. Heinz Hillmann meint ebenfalls diese zwei Ebenen mit seiner »Modell-Situation und Real-Situation«. A.a.O., S. 168. Theo Elm erfaßt ebenfalls diese beiden Ebenen. Die Bildebene diene »als Mittel zum Zweck der Erkenntnis ihrer >Bedeutungtrue peoplees ist daran aber auch nichts zu verstehen, es sind selbstverständliche, natürliche DingeDas ist der Hungen, so war es eigentlich der Hunger, der sprach und sich damit über mich lustig machte.« (Br.280) Die Empfindungen sind auch deswegen unzuverlässig, weil sie künstlich bestimmt und geregelt werden können. Die Weisen wollen nämlich das Hungern verbieten. Man solle den Hunden beibringen, das Hungern selbst zu verbieten. Indem er solche Meinungen anführt, will der Erzähler Kritik daran üben, wie Weisheit, Wissenschaft, Vorschriften und Gesetze die natürlichen Empfindungen des Menschen regeln, rationalisieren und verwissenschaftlichen. Der Hund kommt durch seine Forschungen zu dem Ergebnis, daß die scheinbar sinnvolle Welt mit Gesetzen, Vorschriften und Wissenschaft in Wirklichkeit auf Vorurteilen und Irrtümern basiert. Wahrheit und Lüge sind vertauscht. Die Wissenschaft, die Logik und ihre Normen verhindern Individualität. 161

In einer solchen verkehrten Welt kann man sich nur dadurch schützen, daß man seine Innenwelt und Instinkte, d.h., die Freiheit vor den Regelungen und Gesetzen bewahrt, und sich nur auf seine Intuitionen verläßt: »der tiefere Grund meiner wissenschaftlichen Unfähigkeit scheint mir ein Instinkt und wahrlich kein schlechter Instinkt zu sein.« »Es war der Instinkt, der mich gerade um der Wissenschaft willen, aber einer anderen Wissenschaft als sie heute geübt wird, einer allerletzten Wissenschaft, die Freiheit höher schätzen ließ als alles andere.« (Br.290) Was der Hund hier unter der allerletzten Wissenschaft versteht, ist nichts anderes als eine philosophische Wahrheit. Den erkenntnistheorethischen Kontext der Wissenschaft suspendiert er zugunsten eines ethischen. Bild- und Sachebene dieser Parabel bedeuten das Gleiche und verhalten sich wie das Konkrete zum Allgemeinen. Die Forschungen des Hundes, die die Bildebene darstellen, sind nur wenige Exempel der unendlich vielen Forschungen, die bereits gemacht worden sind und noch gemacht werden, wie es die erzählerische Form des Fragments nahelegt. So wird die Bildebene verallgemeinert und den Forschungsergebnissen wird eine allgemein gültige Bedeutung zugesprochen. Die Figur des Hundes soll auf den Menschen und die Menschenwelt anspielen. Denn der Hund ist ein Tier, das zu Menschen eine besonders enge Beziehung pflegt. So ist das, was in der Hundewelt vor sich geht, auch in der des Menschen relevant. Der Leser kann immer die Hundesphäre durch die menschliche ersetzen. Charakteristisch für Hunde ist ihre Witterung, die hier dazu dient, die Forschungen zu allegorisieren. 4.2.3 Der Bau Die Tierparabel Der Bau handelt von einem Waldtier, das einen Bau angefertigt hat, um sich vor potentiellen Feinden zu schützen. Aber es kann das Gefühl, von Feinden angegriffen zu werden, nicht verdrängen und versucht vergeblich, die potentiellen Feinde herauszufinden. Er verbringt sein Leben mit Überlegungen, Befürchtungen, Spekulationen, Vermutungen usw. Das charakteristische Merkmal dieser Parabel ist die Doppelstruktur von Sinn und Unsinn. Es wird von einem Sinn gesprochen, aber 162

dieser Sinn löst sich im Laufe der Geschichte auf in nichts. Das erkennt man u.a. an der Beschreibung des Baus. Das Tier hat diesen Bau mit all seinen Kräften errichtet. Der Burgplatz z.B. ist »das Ergebnis allerschwerster Arbeit meines Körpers in allen seinen Teilen« (Br.l76f) bis aufs Blut. So sieht das Tier im Bau mehr als sein Zuhause. Der Bau »schützt viel mehr« (Br.186) als das Tier gedacht hat. Kommt es in den Bau zurück, so fühlt es sich »friedlich und warm« (Br.194) vom Bau umfangen, »wie kein Nest seinen Vogel umfangt« (Br. 194). Es fühlt sich mit dem Bau identisch. Dafür sprechen mehrere Textstellen: »Ich und der Bau gehören so zusammen, daß ich ruhig, ruhig bei aller meiner Angst, mich hier niederlassen könnte, gar nicht versuchen müßte, mich zu überwinden« (Br.194). Steht das Tier vor dem Bau, so hat es das Gefühl, als stehe ich nicht vor meinem Haus, sondern vor mir selbst, während ich schlafe, und hätte das Glück, gleichzeitig zu schlafen und dabei mich scharf bewachen zu lassen. (Br.185)

Aus diesen Gefühlen ist die Lebenswichtigkeit des Baus für das Tier zu erschließen. Der Bau bildet seine Lebensbedingungen, ohne ihn könnte es nicht leben. Dem entspricht, daß das Tier seinen Bau keinem anderen anvertrauen kann. Das Tier lebt vom Bau, der Bau bedeutet ihm das Leben. Andererseits wird dieser Sinn zurückgenommen. Im Laufe der Geschichte wird der Bau vom Tier abgetrennt. Am Anfang wird der Bau als ein Ergebnis seiner körperlichen Arbeit bezeichnet: Um die sandige Erde festzuhämmern und dadurch einen Burgplatz zu bauen, rennt das Tier mit der Stirn gegen die Erde an, bis es blutet. Später verläßt es seinen Bau und beobachtet ihn von außen. Somit wird die Identifikation von Bau und Tier aufgehoben, zumal das Tier bei allen Plänen, Überlegungen und Arbeiten den Bau bloß als eine Burg, als sein Zuhause betrachtet. Die Identifikation von Bau und Tier wird zwar realisiert, zugleich aber suspendiert. In dieser Doppelstruktur von Sinn und Nichtsinn, von Bedeutung und Gegenbedeutung, ist die ganze Parabel angelegt. Auch Geräusche z.B. werden auf diese Weise präsentiert. Das Tier nimmt ein Geräusch wahr und beginnt zu lauschen. Zunächst glaubt es, das Zischen sei eine Illusion:

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ich fange lächelnd an zu horchen, höre aber bald zu lächeln auf, denn wahrhaftig, das gleiche Zischen gibt es auch hier. E s ist j a nichts, manchmal glaube ich, niemand außer mir würde es hören (Br.200).

Wie das Tier einräumt, kann man das Zischen deswegen als Illusion deuten, weil »überall, überall das gleiche Geräusch« (Br.203) zu hören ist. Es wird betont, daß »das Geräusch überall zu hören ist und immer in gleicher Stärke, und überdies regelmäßig bei Tag und Nacht« (Br.211). So ist es verständlich, daß das Tier das Zischen als Produkt seiner Einbildungskraft bezeichnet. Andererseits aber macht ihm das Geräusch viel zu schaffen. Es kann es nicht einfach ignorieren. Er will es herausfinden und entfernen. So horcht es ununterbrochen und überall, macht Grabungen, aber ohne Erfolg. Es findet nichts; das vergrößert seine Unruhe und Angst. »Solange hier eine Feststellung nicht erfolgt ist, kann ich mich auch nicht sicher fühlen.« (Br.199) Schlimmer noch, daß das Tier das Geräusch später verstärkt findet. »Das Geräusch scheint stärker geworden, nicht viel stärker natürlich.« (Br.209) Das veranlaßt das Tier, zwei Geräuschzentren zu vermuten: »Fast glaubte ich schon, wenn ich hinhorchte, Klangunterschiede, die der neuen Annahme entsprechen, (...) zu erkennen.« (Br.200) Das Tier vermutet hinter dem Geräusch Tiere, die sich zu ihm hingraben. Es bekommt dadurch so große Angst, daß es mit dem Horchen nicht aufhören kann. Es verbringt sein Leben mit Lauschen. Auf die Frage, ob sich Tiere zielsicher zu dem Bewohner des Baus hingraben, um ihn zu vernichten, oder ob sie nur miteinander kämpfend am Bau vorbeirasen, wird auch keine eindeutige Antwort gegeben. Dadurch hält der Erzähler nicht nur sich selbst, sondern auch den Leser im Ungewissen. Es wird keine Feststellung gemacht, keine zuverlässige Information vermittelt. Der Erzähler schwankt zwischen verschiedenen Vermutungen und Möglichkeiten hin und her. Diese Vermutungen des Erzählers machen die Funktion des Baus paradox. Zum einen bietet der Bau Sicherheit, Ruhe und Frieden. Das Tier hälf am Anfang den Bau für »wohlgelungen« (Br.173) und fühlt sich darin sicher und geborgen. Es genießt die Stille, dieses »Schönste« (Br.175) an seinem Bau, schläft »den süßen Schlaf des Friedens, des beruhigten Verlangens, des erreichten Zieles des Hausbesitzes« (Br.176).

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Aber im Laufe der Geschichte wird dieser Sinn Schritt für Schritt zurückgenommen. Das Tier schreckt zuerst »regelmäßig« (Br.176) aus dem Schlaf auf und lauscht in die Stille, um sich seiner Sicherheit zu vergewissern. Seine Vermutung, die Feinde würden den Bau erobern, es selber werde von den Feinden belauert und angegriffen, wird immer stärker. So verläßt das Tier seinen Bau, um ihn von außen zu beobachten. Es denkt sogar daran, sein Leben mit der Beobachtung des Baus zu verbringen, nie mehr in den Bau zurückzukommen. Später glaubt es, das Zischen der sich heranarbeitenden Feinde tatsächlich zu hören. So kämpft es dagegen, horcht hartnäckig, macht Grabungen usw. Ursprünglich zum Zweck der Sicherheit und Ruhe erbaut, wird der Bau zum Zankapfel, ja sogar zum Schlachtfeld. Sicherheit, Frieden und Ruhe werden allmählich durch Unruhe, Unsicherheit, Gefahr, ja durch potentielle Kämpfe auf Leben und Tod abgelöst. Mögliche Fragen wie »Was hat es mit dem Bau auf sich?«, »Ist das Zischen eine Wahrnehmung oder eine Illusion des Tieres?«, »Wieviel Tiere verbergen sich hinter dem Zischen?«, »Welche Funktionen erfüllt der Bau?« usw. bleiben ohne eindeutige Antwort. Alles bleibt ungewiß. Aber alles bleibt möglich. Jedes Element der Erzählung kann unterschiedlich interpretiert werden. Die ganze Welt ist paradox strukturiert. Sie ist inhaltsreicher und vielfältiger als sie vom Menschen wahrgenommen wird: »was könnte nicht alles geschehen!« (Br.174) Die Doppelstruktur von Sinn und Nichtsinn ist unter vier Aspekten untersucht worden, wobei die Definition des Baus die Frage nach dem Zischen bedingt und diese Frage wiederum die Frage nach den Feinden mit sich bringt; danach dann bestimmt sich die Frage nach der Funktion des Baus. Der Bau ist also die Grundlage dieser Doppelstruktur von Vermutungen, Überlegungen, Berechnungen und Spekulationen. Diese zirkuläre Struktur ist auch die der Innenwelt des Erzählers. Er kann sich angesichts des Baus und seiner paradoxen Grundstruktur nicht zurecht finden, weil er nichts findet, worauf er sich stützen könnte. Auch auf sich selbst kann er sich nicht verlassen. Das Subjekt erweist sich als ein Komplex verschiedener Denkvorgänge, Empfindungen und Gefühle, die veränderbar und daher unzuverlässig sind. Das bestätigt Emrichs These, Kafkas Werk beschreibe die Gesamtheit von Empfinden, Fühlen und Denken der Menschen. 165

Zwei Elemente sprechen der Aussage dieser Tierparabel eine allgemeine und dauernde Bedeutung zu. Erstens: die Spekulationen und Vermutungen des Tieres werden als ein nie endendes Phänomen gestaltet, das das ganze Leben des Tieres ausmacht: »Zwischen damals und heute liegt mein Mannesalter.« (Br.216) Die Lebensdauer des Tieres hängt allein von der Phantasie des Lesers ab. Zweitens: die Parabel nimmt kein Ende. Die Form des Fragments deutet darauf hin, daß das Lauschen und Grübeln des Tieres immer weiter gehen werden, obwohl das Erzählen aufhört. Das ganze Erzählte ist bloß ein Ausschnitt eines immer weiter andauernden und wiederkehrenden Phänomens. Durch diese zwei Elemente wird die Zeit unwesentlich. Es bleibt nur ein Raum, in dem sich die Geschichte entfaltet. Die Bildebene und die Sachebene sind von derselben Bedeutung. Die Bildebene ist eine Episode der Sachebene, beide gehören zusammen, sind untrennbar. Das Tier hilft, die Bildebene einprägsam zu gestalten und der Sachebene Anschaulichkeit zu verleihen. Es handelt sich um ein erfundenes Tier; es lebt von der Phantasie des Lesers. Seine Fähigkeiten und Instinkte liegen außerhalb der Leser-Erfahrung. Die Phantasie des Lesers soll bei der Lektüre mitspielen. Ein solches Tier ermöglicht es Kafka, die ununterbrochenen Spekulationen, Vermutungen, Befürchtungen usw. gleichsam idealtypisch darzustellen. Mit diesem Tier kann Kafka also die Eigenart und Besonderheit unablässiger, »wühlender« Spekulation von individual psychologischen Bedingungen abheben und objektiviert gestalten.

4.3 Vergleichende Zusammenfassung Die obige Untersuchung zeigt, daß zwischen Kafkas und Pu Songlings Tierparabeln eine Reihe von Unterschieden bestehen. Die Bildebene der Pu Songlingschen Tierparabeln stellt einen in sich geschlossenen Vorgang dar, der zwar Sonderbares und Seltsames enthält, aber nach traditionellen raumzeitlichen Kriterien strukturiert ist, d.h., die Bildebene bildet eine zwar sonderbare, aber glaubhafte Episode. Die Bildebene der Kafkaschen Tierparabeln dagegen ist ein Ausschnitt aus einem allgemeinen Phänomen, das weder Anfang noch Ende hat, sondern fortwährend dauert. Eine solche Bildebene spiegelt das Universum der objektiven Welt und der subjektiven Innenwelt wider. Die 166

Zeit wirkt »wie ertrunken«, wie Erwin Wäsche formuliert.44 Was bleibt, ist imaginierter Raum. Die Sachebene der Pu Songlingschen Tierparabeln läßt sich auf Lehrsätze reduzieren. Sie soll Lebensweisheiten vermitteln, die der Autor für wichtig hält, wohingegen die Sachebene der Kafkaschen Tierparabeln auf die vielfältige und daher nie einstimmig und endgültig auszulegende Welt deutet. Sie lehrt nicht, sondern zeigt auf. Dieser Unterschied bestimmt auch das unterschiedliche Verhältnis zwischen diesen Ebenen: Bei Pu Songling wirkt die Bildebene als Verweis. Die Sachebene ist die Abstraktion der Bildebene, und die Bildebene ist die Konkretisierung der Sachebene. Bei Kafka hingegen sind Bild- und die Sachebene von gleicher Bedeutung. Sie sind weder Abstraktion noch Konkretisierung voneinander, sondern sie besagen das Gleiche in verschiedenem Ausmaß: Die Bildebene ist ein Ausschnitt der Sachebene, und die Sachebene ist eine Verlängerung der Bildebene. Die beiden Ebenen fallen zusammen. Dabei ist zu beachten, daß die Tierfiguren auf das Verhältnis zwischen Bild- und Sachebene unterschiedlich hinwirken. Bei Pu Songling fungieren die Tierfiguren als vergleichendes Moment, das eine Brücke zwischen der Tier- und Menschenwelt bildet. Es werden nicht nur tugendhafte Taten innerhalb der Tierwelt erzählt, sondern auch wie die Kommentare zeigen - ähnliche Taten in der Menschenwelt erwartet. Dadurch erhalten die Tierparabeln eine didaktische Funktion. Die Bildebene verweist eindeutig auf die Sachebene. Die erzählten Ereignisse selbst sind weniger wichtig als ihr Zusammenhang und ihre Ähnlichkeit miteinander. Bei Kafka hingegen wird das Augenmerk eher auf das Ergebnis selbst gerichtet. Die Bedeutung der Tierfiguren liegt nicht darin, an die Menschenwelt zu appellieren, sondern die Welt und die Lebewesen bildlich zu erfassen. Sach- und Bildebene fallen hier zusammen. Wichtig sind die erzählten Ereignisse selbst. Dies bestätigt die Beobachtung Plaks, daß die Europäer dazu tendieren, die Ereignisse für sich in ihrer zeitlichen Folge zu betrachten, die Chinesen aber eher das Überschneiden und den Zusammenhang der Ereignisse beobachten 45 44 45

Erwin Wäsche: Die verrätselte Welt. Meisenheim am Blan 1976, S.60. »We may note, in skirting this difficult issue, that literary civilization in the west has tended to conceive of human existence in terms of a continuous succession of events in time, with the resulting sense of the events as a quasi-substantive

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Auch in anderer Hinsicht fungieren die Tierfiguren unterschiedlich. Bei Pu Songling sind die Tiere die Träger der Moral, die Verkörperung der Lehrsätze; bei Kafka tragen sie Empfindungen, Gefühle, Überlegungen, kurz, innerweltliche Aktivitäten der Menschen zur Schau. Pu Songlings Tierfiguren sind realistisch und lebensnah dargestellt. Sie entsprechen im großen und ganzen unseren Erwartungen, während die Tierfiguren bei Kafka künstlerisch erfunden sind, sie gehen über unsere Erfahrungen hinaus, sind auch z.T. undefinierbar. Entsprechend unterschiedlich wirken sie: Die Tierfiguren bei Pu Songling sind jenseits der Menschenwelt befindliche Verkörperungen der Lehre, während die bei Kafka diesseits und zugleich auch jenseits der Menschwelt liegen; sie sind zugleich Subjekt und Objekt menschlicher Aktivitäten. Auch das Verhältnis des Erzählers zu den Tierfiguren ist unterschiedlich: Die Tierfiguren bei Pu Songling sind für den Erzähler objektive Existenzen, aber sie sind durch Menschen erziehbar, belehrbar und bestimmbar; die Tierfiguren bei Kafka hingegen sind in gewissen Fällen mit dem Erzähler identisch. Sie können vom Erzähler nicht beeinflußt, sondern nur beobachtet, erforscht oder gesucht werden. Trotz all dieser Unterschiede haben die Tierfiguren bei Pu Songling und bei Kafka eine ähnliche ästhetische Wirkung: Sie machen die Bildebene einprägsam und sprechen der Sachebene eine allgemeine Bedeutung zu, und zwar auf verschiedene Weise: die Kafkaschen Tierfiguren mehr durch geistige Aktivitäten wie Nachdenken, Vermuten, Spekulieren usw, die Pu Songlingschen Tierfiguren durch körperliche Aktivitäten. Die Tierfiguren bei Kafka sind mehr denkende, die bei Pu Songling dagegen eher handelnde Figuren.

entity, the stuff of which existence is made. ... In contrast to this general reification of the event as a narrative unite, the chínese tradition has tended to place nearly equal emphasis on the overlapping of events, the interstitial spaces between events, in effect on non-events alongside of events in conceiving of human experience in time.« A. Plaks: Towards a Critical Theory of the Chinese Narrative. A.a.O., S.314-315.

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4.4 Exkurs: Tierfabel Die vorigen Ergebnisse lassen sich auch anhand von Tierfabeln bestätigen. Denn die Fabel ist mit der Parabel verwandt.46 Kafkas Kleine Fabel und Pu Songlings Katze sollen zuerst in Hinblick auf das Verhältnis von Bild- und Sachebene analysiert werden und dann in Hinblick auf die gattungsspezifischen Merkmale der Tierfabel wie den Aufbau von narrativer Situation, actio, reactio und Ergebnis, das Dramatische, die Akteure, wobei die Funktionen der Tierfiguren besonders beachtet werden sollen. Katze In der Regierungszeit von Wan Li richtete eine katzengroße Maus auf dem kaiserlichen Hof großen Unfug an. Man suchte aus der Bevölkerung gute Katzen aus, setzte sie aber vergeblich gegen die Maus ein. Sie alle unterlagen der übergroßen Maus und wurden totgebissen. Zu jener Zeit bekam man gerade vom Ausland eine Löwenkatze mit schneeweißen Haaren geschenkt. Man sperrte sie in das Gemach ein, wo die Maus auftauchte, und guckte hinter der Tür zu. Nach einer Weile kam die Maus aus dem Loch heraus. Sie stürmte wütend auf die Katze zu, als sie sie erblickte. Die Katze floh auf den Teetisch, verfolgt von der Maus, sprang dann auf den Boden zurück, um dann wieder auf den Tisch zu springen. So ging sie mehr als einhundertmal rauf und runter, bis die Maus von der Feigheit der Katze überzeugt war und sie als Taugenichts in Ruhe ließ. Als die Maus, ermüdet vom Springen und heftig atmend, sich zum Ausruhen niederlegte, sprang die Katze plötzlich auf die Maus zu. Sie riß der Maus die Kopfhaare ab, biß sie in den Hals. Die beiden Tiere kämpften miteinander, stießen dabei lautes Geschrei aus. Man öffnete schnell die Tür, fand aber den Kopf der Maus bereits zerrissen. Erst dann erkannte man, daß die Katze die Flucht ergriff, nicht aus Angst, sondern als Trick. Man soll also ausweichen, wenn der Feind angreift, und erst dann attackieren, wenn er erschöpft ist. (LZZY.0.1203) 46

Im Grimmschen Wörterbuch liest man: »eine fabel ist eine parabel, und eine parabel ist eine fabel.« Vgl. J. Und W. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1889, S.1452. Für Hegel ist die Fabel mit der Parabel verwandt. »Die Parabel hat mit der Fabel die allgemeine Verwandtschaft, daß sie die Begebenheiten aus dem Kreise des gewöhnlichen Lebens aufnimmt, denen sie aber eine höhere und allgemeinere Bedeutung mit dem Zweck unterlegt, diese Bedeutung durch jenen - fur sich betrachtet - alltäglichen Vorfall verständlich und anschaulich zu machen.« Hegel: Ästhetik. Bd. 1. a.a.O., S.379. Wolfgang Kayser hält die Fabel für eine Sonderform der Parabel. Vgl. W. Kayser: Das sprachliche Kunstwerk. Bern 1948, S.123. Werner Brettschneider sieht, unter Berufung auf W. Kayser, in der Parabel eine übergeordnete Form, »der sich die einzelnen Möglichkeiten der Verwirklichung wie Beispiel, Kasus, Fabel, Gleichnis und Antimärchen unterordnen.« Vgl. W. Brettschneider: Die moderne deutsche Parabel. 2. Aufl. Berlin 1980, S. 10.

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Deutlich lassen sich zwei Ebenen unterscheiden. Die Bildebene besteht in der klugen Bekämpfung der Maus durch die Katze. Die Katze versteht es, Feigheit vorzutäuschen und dadurch die Maus zu demoralisieren und zu erschöpfen, um sie endlich zu vernichten. Die Sachebene besteht in der Lebensweisheit: Man soll sich mit dem starken Feind nicht direkt konfrontieren, sondern erst ausweichen, um seine Chance abzuwarten. Diese Lehre ist leicht auf die Menschenwelt übertragbar und anwendbar, umso leichter, als Pu Songling am Ende der Geschichte den Erzähler diese Lehre abstrahieren läßt.47 Die Bildund Sachebene bilden ein klares Konkretisierungs- und Abstraktionsverhältnis. Die Bildebene ist eine konkretisierte und ausführliche Darstellung der Lebensweisheit, die Sachebene ist Zusammenfassung bzw. Abstraktion dieser Begebenheit. Kleine Fabel »Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« - »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie. (Br. 119)

Die Bildebene dieser Fabel ist keine geschlossene Begebenheit, sondern ein Ausschnitt aus einem gesamten Lebensgefühl und einer Weltschau. »Die Welt wird enger mit jedem Tag« ist der Kernpunkt in der Ansicht der Maus. Alle folgenden Worte dienen als Belege für diese These. Diese Weltansicht streckt sich über alle Zeit hinaus und umfaßt den gesamten Ablauf des Weltgeschehens. Sie ist daher in höchstem Maße abstrahiert. »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«. Diese Worte der Katze sind eine leere Phrase. Sie geben der Maus weder Rat noch Lehre, sondern leiten den Angriff ein. Das Verhältnis von Katze und Maus charakterisiert eine apathische Welt, in der die Schwächeren der Fraß der Stärkeren werden. Diese Fabel ist keine Konkretisierung abstrakter Einsichten, sondern Bild- und Sachebene sind identisch. Die erstere ist ein Ausschnitt der letzteren, und die letztere ist die Gesamtheit der ersteren. Eine 47

Hier begegnen wir wieder der erzählerischen Besonderheit Pu Songlings, im Anschluß an die Erzählung Epilog einzuführen, um das Wesentliche am Erzählten hervorzuheben.

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Übertragungs- und Abstraktionsmöglichkeit wie bei Pu Songlings Fabel gibt es nicht. Die Tierfiguren von Katze und Maus erfüllen bei Pu Songling andere Bedeutungen als bei Kafka. Der Katze bei Pu Songling fällt als dem eigentlichen Akteur die Funktion zu, die Lebensweisheit zu praktizieren. Sie ist Tier in der Natur, und ihre Lebensweisheit ist eindeutig Phänomen der tierischen Welt, kann aber leicht auf die Menschenwelt übertragen werden. Die Maus bleibt als Kontrastfigur Tier in der Natur. Sie ist von vornherein als ein leidenschaftlicher und starker Feind der Katze entworfen und wirkt als Antagonist der Handlung. Die Katze und die Maus bei Kafka sind dagegen keine Tiere in der Natur mehr. Bei ihnen treten tierische Merkmale zugunsten menschlichen Empfindungs- und Auffassungsvermögens zurück. Überhaupt spiegeln sie direkt menschliches Leben wider. Pu Songlings Fabel ist in Situation, actio, reactio und Ergebnis strikt am Aufbau der traditionellen Fabel orientiert. Die Fabel bei Kafka hingegen ist auf eine Wechselrede und -handlung reduziert. Daraus ist actio und reactio als der Kern der Fabel abzuleiten. Das Dramatische in Kafkas Fabel liegt darin, daß für ein Individuum wie die Maus, das die Orientierung verloren hat, die Katze unerwartet und unverständlich handelt. Reden und Tun von Katze und Maus stehen in keinem Zusammenhang. Der Angriff ist übergangslos und sprunghaft.48 Das Dramatische in Pu Songlings Fabel liegt in der 48

Dieses Phänomen des Nebeneinanderherredens und -handelns ist eine Grundstruktur von Kafkas Werk: Josef K. wird konfrontiert mit einem Gerichtsapparat, der die Prozesse anders leitet, als K. erwartet. K. steht dem Schloß gegenüber, das anders verwaltet wird, als er sich vorstellt. Dadurch drückt sich der Tatbestand aus, daß das Individuum mit der ganzen Welt in Konflikt geraten ist und die Welt aus den Fugen geraten ist. Dieses Phänomen ist auch bei G. Büchner festzustellen. In »Woyzeck« kann man gut beobachten, daß nicht nur im Verhältnis der Szenen zueinander, sondern auch innerhalb der Szenen Sprünge und Brüche klaffen. Die Syntax in der Sprache Woyzecks ist auseinandergebrochen. Zwischen den einzelnen Szenen ist ein Zeit-Sprung, ihr zeitliches Verhältnis ist nicht eindeutig. Es gibt kaum fließende Szenenübergänge. Solche Sprünge und Brüche stellen das traditionelle Kontinuum der Zeit in Frage. Es wird nicht nur die Weltansicht Woyzecks expliziert, sondern das Publikum wird auch veranlaßt, die Ausschnitte in Beziehungen zu setzen, was Woyzeck nicht gelungen ist. Kafkas Roman Der Prozeß ist ebenfalls durch ähnliche Sprünge und Brüche strukturiert. Das zeitliche Verhältnis der Kapitel zueinander ist nicht

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plötzlichen Änderung der Verhaltensweise der Katze, ohne daß »Spieler« und »Gegenspieler« ihren Zusammenhang verlieren, actio und reactio stabilisieren diesen für Pu Songling typischen Zusammenhang. Anders als Kafkas Fabel, wo die Wechselrede fast die ganze Begebenheit ausmacht, bleiben die Tiere in Pu Songlings Fabel stumm. Ihre Charaktereigenschaften und vor allen Dingen die Lehre werden durch ihre Handlungen expliziert. Darin liegt einer ihrer differenten Grundzüge, die im ersten Kapitel herausgearbeitet worden sind. Bei all diesen Differenzen ist Kafka und Pu Songling die Erzählperspektive der dritten Person gemeinsam. Kafka erzählt aus dieser Perspektive, um das Leben zu zeigen, wie es ist. Jegliche subjektive Färbung bei der Weltbetrachtung und -darstellung soll vermieden werden. Pu Songling nimmt diese Erzählperspektive ein, um die Lebensweisheit als eine Größe erscheinen zu lassen, die unabhängig vom Subjekt existiert. Kafka und Pu Songling nehmen also aus verschiedenen Gründen die gleiche Erzählperspektive ein: Kafka will zeigen, Pu Songling will lehren. Das ist der kategoriale Unterschied zwischen ihren Tierfabeln und -parabeln. Bei beiden Autoren erscheinen Katze und Maus als Akteure, deren feindseliges Verhältnis von vornherein festgelegt ist. Eine bloße Benennung der Tiere reicht hin, um ihre Eigenschaften und ihre konflikthafte Beziehung zueinander deutlich zu machen. Es ist also »die allgemein bekannte Bestandheit der Charaktere« von Katze und Maus,49 die Pu Songling und Kafka diese Tierfiguren einsetzen läßt.50 Diese Bedeutung der Tierfiguren ex ante verbindet Pu Songling und Kafka, zwei Autoren aus verschiedenen Kulturen und Zeitepochen.

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eindeutig, so daß die Reihenfolge der Kapitel auch anders gebaut sein könnte, als es M. Brod gemacht hat. Lessing: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Bd. 4. Hg. von Paul Rilla. Berlin und Weimar 1968, S.51. Dazu bemerkt Lessing: »Man hört: Britannicus und Nero. Wie viele wissen, was sie hören? Wer war dieser? Wer jener? In welchem Verhältnis stehen sie gegen einander? - Aber man hört: der Wolf und das Lamm; sogleich weiß jeder, was er höret, und weis, wie sich das eine zu dem anderen verhält. (...) Wenn daher der Fabulist keine vernünftigen Individua auftreiben kann, die sich durch ihre bloße Benennungen in unserer Einbildungskraft schildern, so ist es ihm erlaubt, und er hat Fug und Recht, dergleichen unter den Thieren oder unter noch geringem Geschöpfen zu suchen.« A.a.O., S.51.

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KAPITEL 5

Tiervergleich

5.0

Vorbemerkung

Tierfiguren werden bei Kafka und Pu Songling häufig als Vergleiche eingesetzt. Allerdings wird der Vergleich in der deutschen Stilistik anders definiert als in der chinesischen. In der chinesischen Stilistik gehört der Vergleich mit der Partikel »wie« zur Metapher. Klare oder ähnliche Metapher bedeutet sichtbare bzw. direkte Übertragung. Sie hat ihr Pendant in der indirekten bzw. versteckten Übertragung. In der deutschen Stilistik wird zwischen der Metapher und dem Vergleich unterschieden. Die Metapher versteht sich als die Übertragung eines kennzeichnenden Merkmals von einem Gegenstand auf einen anderen, der Vergleich als Nebeneinanderordnung zweier oder mehrerer Erscheinungen, Gegenstände oder Handlungen. Hierbei spielt die Übertragung oder die Ersetzung eine wichtige Rolle. Jenseits dieses Unterschiedes ist die Bildlichkeit des Ausdrucks dem Vergleich in beiden Stilistiken gemeinsam. Aufgrund dieser Gemeinsamkeit unterziehen wir die Tiervergleiche bei Pu Songling und Kafka einer komparatistischen Analyse.

5.1

Tiervergleiche bei Pu Songling

5.1.1 Beschreibung von Lauten Die Tiervergleiche bei Pu Songling dienen u.a. dazu, Laute zu bezeichnen. Männchen im Ohr handelt von einem Männchen, das in den Ohren eines Menschen wohnt. Als sich der Mensch einmal niedersetzt, hört er Wesen in seinen Ohren sprechen, »ihre Stimme war so leise wie Fliegen summen« (LZZY.0.4). (I) 1

Die in Klammer stehende Zahl verweist auf die Textnumerierung im Anhang.

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Zwei kleine Wesen, die in den Augen eines Menschen wohnen, sprechen miteinander, ihre Stimme ist so leise, »wie eine Fliege summt« (Gespräch der Männchen in Augen, LZZY.O.IO). (2) In Geister im Wohnhaus liest man, wie eine winzige Dame einen Sarg ins Wohnzimmer bringen läßt und traurig weint, so laut, »wie eine riesige Fliege summt« (LZZY.0.25). (3) In der Erzählung Shang Xian hört man bei der Inkarnation der Göttin der Barmherzigkeit kleine Laute, die ununterbrochen klingen, so, »wie Fledermäuse beim Fliegen zwitschern« (LZZY.0.691). (4) In Das Land im Meer wird der Gesang eines Gastes gelobt: »Wunderbar! Ihre Stimme ist wie der Gesang des Vogels Phönix und wie das Brüllen des Drachen.« (LZZY.B.109) (5) Herr des Donners stellt dar, wie der Herr des Donners, als er beschmutzt und zutiefst beleidigt wird, so laut »wie ein Stier« schreit (LZZY.0.814). Gleichzeitig hört man in den Wolken Laute, die so klingen wie »Pferde schreien« (LZZY.0.814). (6) In der Erzählung Die Riesen werden Riesen geschildert, die vor Wut so schreien, »wie riesige Vögel zwitschern« (LZZY.0.830). (7) Die Oger reden miteinander »wie Vögel zwitschern und Wildtiere schreien« (Das Oger-Reich, LZZY.0.348). (8) Ein Mann schnauft »so hastig wie ein Esel atmet« (Der verrückte Taoist, LZZY.0.960). (9) Die Brüder aus der Familie Ban in der gleichnamigen Erzählung sind eigentlich Tiger, als solche »schnarchen sie beim Schlafen so laut wie ein Stier« (LZZY.0.1594). Ein Gespenst, das mit einer bemalten Menschenhaut überzogen ist, »liegt auf dem Boden zusammengebrochen und schreit wild wie ein Schwein«, als es entblößt wird (LZZY.0.121). Die aufgezählten Tiervergleiche dienen dazu, die verschiedenen Laute zu bezeichnen und zu charakterisieren. Sie verleihen den Geräuschen visuelle Gestalten, machen dadurch unsichtbare Objekte anschaulich. Zu der Anschaulichkeit trägt auch bei, daß die unterschiedliche Stärke der Laute durch entsprechende tierische Körper bezeichnet wird: Eine leise Stimme wird mit »Fliegen« verglichen; eine größere Stimme mit einer »riesigen Fliege«; ein noch größerer Laut wird mit »Vogel« verdeutlicht; große Laute werden mit »Esel«, »Stier« oder »Pferd« bezeichnet. Kurzum, die körperliche Größe der verglichenen 174

Tiere entspricht den verschiedenen Stufen der Laute. Dadurch wird nicht nur das Volumen der Laute, sondern auch ihre Intensität sowie die Kraft, die der Stimme innewohnt, ausgedrückt. In den Tierfiguren steckt auch eine Bewertung des Autors. Die Fliege z.B. ist von negativer Bedeutung, sie assoziiert Schmutz und Ekel. Durch den Vergleich mit Fliegen kennzeichnet Pu Songling das Ekelhafte und Schreckliche an Gespenstern, Yaksha usw. Die versteckte Bewertung beruht also auf der traditionellen Bedeutung einer Tierfigur. Beide, die versteckte Bewertung des Autors und die überkommene Bedeutung einer Tierfigur, erhellen sich gegenseitig. D.h., die Auswahl einer Tierfigur ist zum einen durch deren funktionale Eignung zum Vergleich bestimmt, zum anderen durch ihre positive oder negative Bewertung. Beide Elemente erkennt der Leser sofort. 5.1.2 Beschreibung von unerwartetem Auftauchen Eine andere Funktion der Pu Songlingschen Tiervergleiche liegt darin, das unerwartete Auftauchen eines Menschen bzw. eines Wesens zu verbildlichen. Statt einer ausführlichen Beschreibung setzt Pu Songling Tiervergleiche ein, erweckt dadurch Erstaunen oder Erschrecken. Ein seltsames Wesen fällt vom Himmel herunter, »wie ein fliegender Vogel plötzlich auf den Fußboden stürzt« (Nie Xiaoqian, LZZY.0.167). Das unerwartete Auftauchen zweier Mägde in Hui Fang wird mit Vögeln verglichen. Sie tauchen so plötzlich auf, »wie fliegende Vögel herabstürzen« (Hui Fang, LZZY.0.801). Diese Vergleiche mit fallenden Vögeln implizieren jähe Bewegungen. Das Erstaunen rührt daher, daß eine plötzliche Veränderung der Situation eintritt. 5.1.3 Beschreibung von Eigenschaften und Zuständen Der Herold in Das Land im Meer ist zwischen achtzig und neunzig Jahre alt. »Seine Augäpfel waren aus den Höhlen getreten und sein Bart gesträubt wie ein Igel.« (LZZY.B.108) Vgl. (5) Die Felsen eines Gebirges sind voller Öffnungen von Höhlen, sie werden verglichen mit »Bienenkörben« (LZZY.R.217). Vgl. (8)

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Der Geist eines jung gestorbenen Mädchens in Lian Suo wandert in der Unterwelt herum, ist »so einsam wie eine Ente« (LZZY.0.332). Die Reisenden, die von einem Riesen eingefangen sind, werden mit einem Zweig miteinander verbunden. Sie sind »wie Fische auf eine Schnur« gezogen (LZZY.0.870). Vgl. (7) Auch die Einsamkeit des Protagonisten in Bailian jiao wird mit einer Ente verglichen. Er ist von der Umwelt isoliert, sein Zuhause wird kaum aufgesucht, er »ist so einsam wie eine Ente« (LZZY.0.764). Es ist auffällig, die Einsamkeit durch eine Ente auszudrücken. Dieser Tiervergleich ist wohl darauf gegründet, daß die Schwimmspur, die eine einzelne Ente nach sich zieht, einen einsamen Eindruck hinterläßt. Wichtig ist die Bewegung der Ente, aber nicht ihr Aussehen. Bei der Auswahl der Tierfigur achtet Pu Songling also mehr auf die bezeichnende Bewegung als auf das Aussehen. Menschenmengen werden mit Ameisen verglichen: Es gehen »so viele Passanten wie Ameisen hin und her«. (Ein treuer Hund, LZZY.0.666) (10) Zu beachten ist die Tatsache, daß Ameisen immer in Bewegung sind. Beim Anblick der Ameisen kann man »Fleiß« und ständige Bewegung nicht wegdenken. Kollektiver Automatismus scheint dahinter zu stehen. Auch Haltungen werden durch Tiervergleiche charakterisiert. Der Protagonist in Xiang Gao sitzt »wie ein hockender Hund«, als er sich in einen Tiger verwandelt. (LZZY.0.833) (11) Diese Haltung dient als ein Übergang bei der Verwandlung. Gewisse kennzeichende Züge des Tigers werden durch diese Haltung vorgegeben. Auch Schorf wird mit Tierfiguren verglichen. Ein Geschwür ist Schorf geworden, es »sieht wie eine liegende Maus auf der Lauer« aus (Liang Yian, LZZY.0.716). (12) Das Aussehen einer Maus hat an sich wenig mit einem Schorf zu tun. Pu Songling setzt diesen Vergleich ein, um einen seltsamen und schrecklichen Eindruck zu intensivieren. Dabei spielt die negative Bedeutung von Ekel und Schmutz, die der Maus traditionell zugeschrieben ist, eine wichtige Rolle. Die Protagonistin in Die Froschprinzessin schimpft mit ihrem Mann durch einen Tiervergleich: »Du machst es wie die junge Eule, die ihrer Mutter die Augen aushackt, wenn sie flügge geworden (ist).« (LZZY.M.320) (13) Mit diesem Vergleich tadelt sie seine Undankbarkeit.

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Tiervergleiche werden sogar dazu verwendet, das Schicksal eines Menschen zu bezeichnen. Der Geist in Die Füchsin vergleicht sich mit einem Tier: »Ich bin die Tochter eines Unterpräfekten namens Li. Ich starb jung und wurde an der Mauer dieses Hauses begraben. Das Gespinst meines Schicksals war unvollendet geblieben wie das eines Seidenwurms, der im Frühling stirbt.« (LZZY.B.47) 5.1.4 Kennzeichnung von Handlungen Aus der obigen Betrachtung hat sich ergeben, daß Pu Songling bei der Auswahl der Tierfiguren besonders auf ihre kennzeichnenden Bewegungen achtet. Dieses charakteristische Merkmal ist an denjenigen Tiervergleichen besonders deutlich, die sich auf Bewegungen und Handlungen eines Menschen beziehen. Geschicklichkeit und Gewandtheit z.B. werden durch Vergleich mit einem Affen geschildert, einem Tier, bei dem solche Charaktereigenschaften typisch sind. Bao Zhu, Protagonist in der gleichnamigen Erzählung ist »so gewandt wie ein Affe«. Er kann sich zwischen den Zweigen der Bäume bewegen und »wie ein Vogel von Zweig zu Zweig« springen (LZZY.0.476). (14) Der Protagonist in Abendrot klettert auf einen Baum »wie ein Affe«, um zu fliehen (LZZY.0.1476). In Bekämpfung einer Füchsin liest man, daß das Fuchsmädchen aus dem Zimmer eines Menschen verjagt wird und durchs Fenster flieht, »wie ein Adler aus der Fessel entkommt« (LZZY.0.308). (15) Ein seltsames kleines Wesen, das beängstigt an alle Ecken des Zimmers läuft, um zu entfliehen, wird mit einer Maus verglichen, »die das Loch nicht wieder findet«. (Vgl. (1)) Mit Ausnahme des zuletzt genannten beziehen sich alle diese Vergleiche auf energische und drastische Bewegungen. Tierfiguren wie Affe, und Adler sind für besondere Kraft charakteristisch. Sie assoziieren Stärke und Kraft oder eine heftige und energische Bewegung. Ähnliches bewirken die Vergleiche mit Fischen und mit Pferden: Der Wurm in Weinwurm schwimmt »wie ein Fisch im Wasser« (LZZY.0.607) (16); der Wolf in Eine Geschichte über einen Wolf beißt auf einen Haken mit Fleischstück, »wie ein Fisch auf den Köder beißt« und dabei den Tod findet (LZZY.0.795). (17)

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Ein Mädchen in Die Schwestern kann schnell gehen. Sein »Schritt war schnell wie das Jagen eines Rosses.« (LZZY.B.168) Ein Haufen winziger Männchen kommt einem schlafenden Mann aufs Gesicht, um in seine Nase hineinzuklettern. Sie gleichen Ameisen und Bienen, »die sich ins Loch bzw. in die Bienenwabe bewegen« (LZZY.O.ll). Eine solche Dynamik zeigt sich auch an den Vergleichen, die menschliche Wut charakterisieren: Ein betrunkener Mann starrt einen anderen so wütend an, »wie ein Stier vor Wut große Augen macht« (LZZY.0.582). In Wang Tsian, einer Erzählung über Prüfungskandidaten, wendet Pu Songling eine Reihe von Tiervergleichen an, um die verschiedenen psychischen Situationen der Prüflinge zu charakterisieren. Wenn ein Prüfungskandidat sich in der Prüfungshalle anmeldet, kommt er sich so niedrig und minderwertig vor »wie ein Bettler«; wenn die Namenliste der Prüflinge verlesen wird und der Kandidat beim Namen gerufen wird, benimmt er sich wie ein Sträfling; wenn der Prüfling sich in der ihm zugewiesenen Zelle befindet, wo er die Prüfung schreiben soll, ist er so erschrocken und nervös »wie die Bienen im späten Herbst,« die sich vor Kälte nicht bewegen und nur in der Bienenwabe bleiben können. Wenn er nach der Prüfung aus der Zelle herauskommt, ist er so verworren und erschöpft »wie ein erkrankter Vogel, der aus dem Käfig entlassen wird«; wartet er auf die Ergebnisse, grübelt und träumt er die ganze Zeit; er ist so beunruhigt, daß er weder gehen noch sitzen kann, »wie ein gefesselter Affe«; ist er darüber informiert, daß er durchgefallen ist, ist er so enttäuscht und niedergeschlagen, daß er ohnmächtig wird »wie eine vergiftete Fliege«; nach einiger Zeit, wenn die Enttäuschung vorbei ist, will er es wieder versuchen. Er bereitet sich für die nächste Prüfung vor »wie eine Turteltaube, die neu ausgebrütet ist und ihr Nest von Anfang an bauen muß« (LZZY.0.1240). Durch diese Tiervergleiche wird die innere Verfassung der Prüflinge anschaulich gemacht. Der Autor stellt diese Situationen dar, ohne die »Er«-Erzählperspektive zu ändern. Die Grenze zwischen der Innen- und der Außenwelt wird dabei aufgehoben. Die dicht aneinandergereihten Tiervergleiche hinterlassen im Leser Eindrücke, die erst durch Nachdenken und wiederholtes Lesen verstanden werden kön-

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nen. Sie verlangen aufmerksame, möglicherweise mehrmalige Lektüre. 5.1.5 Resümee Die Tiervergleiche Pu Songlings beziehen sich meistens auf Handlungen und enthalten in verschiedenem Ausmaße einen dynamischen Aspekt. Selbst die Tiervergleiche, die eine statische Haltung und ein Aussehen beschreiben, enthalten zumindest latente Bewegungen. Dadurch gewinnt der Autor die Möglichkeit, eine Figur durch deren Handlungen zu charakterisieren und ihre innere Welt direkt ans Tageslicht zu bringen, ohne seine »Er«-Erzählperspektive zu verlassen. Die Grenze zwischen der Innen- und Außenwelt wird somit verwischt. So kann der Autor äußerliche Beschreibungen einer Figur reduzieren und die Erzählung zügig und knapp halten.

5.2

Die Tiervergleiche bei Kafka

5.2.1 Beschreibung von Aussehen und Haltung In einem Brief vom Oktober 1917 vergleicht Kafka einen Sänger mit einem Schwein. Ich will ihn (den Couplet-Sänger W.) durch den Vergleich mit einem Schwein gar nicht beschimpfen, aber an Merkwürdigkeit, Entschiedenheit, Süßigkeit, Selbstvergessenheit und was sonst noch zu seinem Amt gehört, steht er in der Weltordnung vielleicht doch mit einem Schwein in einer Reihe. Haben Sie ein Schwein in der Nähe so genau angesehen wie W.? Es ist erstaunlich. Ein Gesicht, ein Menschengesicht, bei dem die Unterlippe über das Kinn hinunter, die Oberlippe, unbeschadet der Augen- und Nasenlöcher, bis zur Stirn hinaufgestülpt ist. (Br.175)

Kafka kommt es bei diesem Tiervergleich darauf an, die Eigentümlichkeiten eines Menschengesichts, die eigenartigen Ober- und Unterlippen sowie die auffälligen Augen- und Nasenlöcher zu charakterisieren. Die ausführliche Beschreibung der Einzelzüge im zweiten Absatz begründet erst diesen Tiervergleich. Es ist zu beachten, wie sorgfältig Kafka die Einzelheiten zeichnet. Eben auf dieser sorgfältigen Beobachtung beruht die zutreffende Bedeutung des Vergleiches. Die beiden Wesen, der Sänger und das Schwein, beleuchten sich gegenseitig. 179

In einem Fragment begegnet man einem Buchhalter, »der über dem Hauptbuch ausgebreitet lag wie ein Frosch, still, nur von einem mühseligen Atem schwach gehoben« (Hz.341). Der Vergleich mit einem Frosch veranschaulicht die steife äußerliche Haltung des Buchhalters. Er ruft den Eindruck wach, als sitze der Buchhalter der Länge nach mit vier Gliedern direkt auf dem Buch. Solche Tiervergleiche mit Bezug auf das Aussehen gehören bei Kafka zur Seltenheit. Seine Tiervergleiche beziehen sich meistens auf psychische Lagen eines Menschen. 5.2.2 Beschreibung von Charaktereigenschaften In Das Schloß bezeichnet K. das identische Aussehen der beiden Gehilfen mit Schlangen: »Ihr unterscheidet euch nur durch die Namen, sonst seid ihr einander ähnlich wie« - er stockte, unwillkürlich fuhr er dann fort - »sonst seid ihr einander ja ähnlich wie Schlangen.« (S.30)

Mit diesem Tiervergleich will Kafka nicht nur die körperliche Gleichheit der beiden Gehilfen, sondern auch ihr gleichförmiges Benehmen charakterisieren. Die Wahl der Schlange ist begründet. Beim Beobachten einer Schlange achtet man weniger auf die Gesichtszüge als auf Länge, Breite und Farbe usw., zumal die einzelnen Gesichtszüge einer Schlange kaum erkennbar sind. Das trifft für die beiden Gehilfen zu, die im ganzen Roman nur als zwei Marionetten, ja als Träger bestimmter Funktion auftreten. Sie kommen und stören K. zu zweit. Sie haben keine Individualität, genau so wie ihre Gesichtszüge unkenntlich, verschwommen sind. Der Vergleich mit Schlangen macht ihre innerliche wie äußerliche Gleichheit ersichtlich. Der Obersteuereinnehmer in Die Abweisung ist der Mächtigste der Stadt. Er ist so eherfurchtgebietend und erschreckend, daß er »äußerlich deutlich so (atmet), wie zum Beispiel Frösche atmen« (Br.88). Der Vergleich mit einem Frosch will zeigen, wie angestrengt der Steuereinnehmer sich aufbläht. Der Steuereinnehmer atmet deswegen in übertriebener Weise, weil er dadurch seine Würde und Macht spürbar machen will.

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Kafkas Tiervergleiche dienen auch dazu, die Charaktereigenschaften einer Figur vorauszudeuten oder zusammenzufassen. Das wird an den Tiervergleichen in Der Prozeß und Das Schloß deutlich. In Das Schloß wird Frieda mit einem Lämmchen verglichen: Sie nahm eine Peitsche aus der Ecke und sprang mit einem einzigen hohen, nicht ganz sicheren Sprung, so wie etwa ein Lämmchen springt, auf die Tanzenden zu. (S.371)

Auch Barnabas wird einem solchen Vergleich unterzogen: »Barnabas, damals noch jung wie ein Lämmchen« (S.267). Diese Vergleiche mit Lämmchen beziehen sich weniger auf konkrete Handlungen als auf die allgemeine Bedeutung von Frieda und Barnabas im Roman überhaupt. Das Lamm ist seit jeher ein Symbol für Opfer. Das Schicksal Friedas, von der Gemeinschaft isoliert zu werden, nachdem sie sich gegen einen Schloßbeamten gewehrt hatte und deswegen von der Übermacht des Schlosses bedroht wurde, kommt durch den Lämmchen-Vergleich treffend zum Ausdruck. Auch die Gutherzigkeit und Harmlosigkeit, die dem Lämmchen zugeschrieben ist, charakterisiert die Rolle von Barnabas und Frieda, im Laufe der Geschichte K. einmal zu helfen. Solche Tiervergleiche beziehen sich auf den ersten Blick auf ein konkretes Geschehen, betreffen aber, wenn man genauer liest, die allgemeine Bedeutung oder die Charaktereigenschaften einer Figur schlechthin. Frieda unterhält Beziehungen zu den Besuchern der Wirtschaft und sucht mit allen Mitteln die Gunst der Gäste zu behalten. Dadurch sichert sie die eigene Position im Ausschank und beseitigt Pepi als eine latente Konkurrentin. Pepi nennt sie deshalb eine Spinne: Frieda sei »wie die Spinne im Netz« (S.180). Dieser Vergleich diffamiert Frieda als schlaue und gefährliche Frau und drückt Feindseligkeit gegen sie aus. Die Gerichtsbeamten in Der Prozeß und die Schloßbeamten in Das Schloß werden mit Vögeln verglichen. Die Sekretäre in Der Prozeß brechen »in den Kanzleien auf wie Hühner in einem Stall; einer kräht sogar wie ein Hahn« (S.360). Der Kanzleidirektor bewegt Hände und Arme wie »kurze Flügel« (P.127). Diese Gerichtsbeamten sind zu Trägern bestimmter Funktionen reduziert. Jeder hat nur die vorgeschriebene beschränkte Kompetenz. Für die obersten Machthaber sind sie leicht zu steuernde Marionetten. Dem Untersuchungsrichter ist z.B. der Dienst entzogen, sobald die 181

Sprechstunde um ist. Für die Leute außerhalb des Gerichtsapparates sind sie schwer erreichbar, sie schweben immer im Dunkel. Josef K. kann bis zu seinem Tode den Richter nicht einmal sehen. Das ist bei den Schloßbeamten im Schloß auch der Fall: K. kann nur die untersten Schichten der Beamten erreichen. Je höher die Position eines Beamten ist, desto undeutlicher bleibt er. Klamm, mit dem zu sprechen K.s Ziel ist, bleibt im ganzen Roman K.s Bekanntschaft entzogen. Diese für die Machthaber leicht zu steuernden, für die Hilfesuchenden aber schwer erreichbaren Beamten werden zutreffend durch Vergleiche mit Vögeln und Hühnern charakterisiert. Keine bestimmten und konkreten Gemütslagen, sondern generelle Verhaltensweisen werden dadurch erfaßt. Robinson in Amerika wird wie ein Hund behandelt. »Wenn man immerfort als Hund behandelt wird, denkt man schließlich, man ist's wirklich.« (A.258) Diese Worte Robinsons bestätigen die These, daß der Vergleich mit einem Tier allgemeine Verhältnisse bezeichnet. In seinem Gespräch mit Karl ist an Robinson nichts Hündisches abzulesen. Er redet mit Karl als Freund, ja als Mensch. Sein Selbstvergleich mit einem Hund bezieht sich mehr auf seine Erfahrungen als auf die augenblickliche Gemütslage. Das Gefühl der Wertlosigkeit, das ihn charakterisiert, tritt dadurch in Erscheinung. Die mit einem Tiervergleich gekennzeichneten sexuellen Handlungen von K. und Josef K., die im ersten Kapitel untersucht wurden, bezeichnen zwar die augenblicklichen psychologischen Situationen der beiden Protagonisten, bringen aber gleichzeitig diese Handlungen mit ihren gesamten charakteristischen Merkmalen in Verbindung. Josef K. faßte sie (Fräulein Biirstner), küßte sie auf den Mund und über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. (P.42)

K., der generell der Bürokratie gegenüber vollkommen ohnmächtig ist, kann hier, an dieser einen Stelle, gegenüber Fräulein Bürstner, seine eigene Macht genießen und seinen Willen durchsetzen. Zugleich zeigt der Vergleich, wie durstig - im wörtlichen und im übertragenen Sinne - K. nach Liebe ist. Genau aus diesem Grund benimmt sich K. in Das Schloß bei der Aktenverteilung im Herrenhof »wie ein Tier auf der Weide« (S.371), wie ihn die Herrenhofwirtin tadelt. Die Weide bildet einen lebens-

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wichtigen Platz für das Tier, genauso wie das Dorf für K. Dasselbe gilt auch für den sexuellen Akt zwischen K. und Frieda. wie Hunde verzweifelt im Boden scharren, so scharrten sie an ihren Körpern; und hilflos, enttäuscht, um noch ein letztes Glück zu holen, fuhren manchmal ihre Zungen breit über des anderen Gesicht. (S.66)

Zwar hat K. große Schwierigkeiten und ahnt schon, daß es sehr problematisch sein wird, ins Schloß zu kommen; er will aber in seiner Mühe nicht nachlassen. Er will trotz der »Hilflosigkeit« und »Enttäuschung« »ein letztes Glück« versuchen. Die Doppelbezüge der Tiervergleiche auf die augenblickliche Situation und allgemeine Verfassung K.S zeichnen sich dabei ab. 5.2.3 Versteckte Bewertung in den Tiervergleichen Im Zusammenhang mit dieser charakterisierenden Funktion der Tiervergleiche stehen indirekte Bewertungen. Es wird nicht nur beschrieben, sondern auch bewertet. Karl Roßmann in Amerika wird von seinen Eltern verjagt. Diesen Sachverhalt erzählt sein Onkel mit einer eigenen Stellungnahme. Karl ist »einfach beiseitegeschafft worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert.« (A.35) Der Vergleich mit dem Tier intensiviert das Verb »beiseiteschaffen«. Die Gnadenlosigkeit und Unbarmherzigkeit der Eltern in dieser Handlung wird so kritisch verdeutlicht. In der Kapitänskajüte läuft der Diener Karl nach, »mit zum Umfangen gebreiteten Armen, als jage er ein Ungeziefer« (A.21). Aus diesem Tiervergleich ist abzulesen, daß der Diener Karl minderwertig und abscheulich findet und ihn deswegen unbarmherzig verjagt. Josef K. in Der Prozeß stirbt am Ende »wie ein Hund« (P.272). Nach einem einjährigen vergeblichen Kampf gegen den Prozeß hat er die Sinnlosigkeit all seiner Bemühungen eingesehen. Der Machtapparat hat ihn besiegt und um Widerstandswillen und Widerstandsfähigkeit gebracht. Allerdings ist er sich noch darüber im klaren, daß er zu Unrecht und schmählich exekutiert wird. Der Vergleich mit einem Hunde vermittelt K.s Deutung des eigenen Todes. In Der Nachbar vermutet das »Ich« in seinem neuen Nachbarn einen gefährlichen Konkurrenten, der seine Telefonate abhorcht, seine Informationen stiehlt und ihm entgegenarbeitet. Jedes Mal, wenn sich die beiden begegnen, eilt der Nachbar vorbei »wie der Schwanz einer 183

Ratte« (Br. 132). Dieser Tiervergleich charakterisiert nicht nur das Unheimliche am Fremden, sondern er drückt auch die Unruhe und Bedrohung aus, die das »Ich« ihm gegenüber empfindet. Wie oben gezeigt wurde, kennzeichnen Kafkas Tiervergleiche nicht nur augenblickliche innere Lagen einer Figur, sondern sie bringen diese Lagen mit der ganzen Person in Verbindung. Sie veranlassen den Leser, über die einzelnen psychologischen Situationen hinaus die gesamten Charaktereigenschaften einer Figur zu erfassen. Die Tiervergleiche können die charakteristischen Merkmale einer Figur vorausdeuten oder zusammenfassen. Das erkennt man auch an Kafkas Selbstvergleich mit Tieren, den er in den Tagebüchern aufzeichnet. Kafka war außerordentlich empfindlich gegenüber Lärm. In einem Tagebuch schreibt er: Der Vater ist weg, jetzt beginnt der zartere, zerstreutere, hoffnungslosere Lärm, von den Stimmen der zwei Kanarienvögel angeführt. Schon früher dachte ich daran, bei den Kanarienvögeln fallt es mir aber von neuem ein, ob ich nicht die Türe bis zu einem kleinen Spalt öffnen, schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden ( . . . ) um Ruhe bitten sollte. (T. 141 )

Die Wahl der Schlange ist kein Zufall. Kennzeichnend für dieses Tier ist u.a. ihr besonders geräuschloses Verhalten. Kafka vergleicht sich mit diesem Tier, um sein nicht nur augenblickliches Verlangen nach Ruhe doppelt zu verdeutlichen.2 Auch sein Gefühl, zuhause als minderwertig angesehen zu werden, spricht dieser Vergleich aus: Anstatt Ruhe zu verlangen, denkt er daran, wie Schlange zu »kriechen«, »auf dem Boden« zu bleiben und um Ruhe zu »bitten«. In einem seiner Briefe an Milena schreibt er: Es ist etwa so: ich, Waldtier, war ja damals kaum im Wald, lag irgendwo in einer schmutzigen Grube (schmutzig nur infolge meiner Gegenwart, natürlich), da sehe ich dich draußen im Freien, das Wunderbarste, was ich je gesehen hatte, ich vergaß alles, vergaß mich ganz und gar, stand auf, kam näher, ängstlich zwar in dieser neuen und doch heimatlichen Freiheit, kam aber doch näher, ( . . . ) ich war so glücklich, so stolz, so frei, so mächtig, so zuhause ( . . . ) aber im Grunde war ich doch nur das Tier, gehörte doch nur in den Wald, lebte hier im Freien doch nur durch deine Gnade. Du mußtest, und wenn du auch mit der günstigsten Hand über mich hinstrichst, Sonderbarkeiten erkennen, die auf den Wald

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Kafkas Tagebüchern ist zu entnehmen, daß Kafka eine außergewöhnliche Lärmempfindlichkeit hatte. Die Geräusche eines Kaninchens, einer Spinne oder eines Kanarienvogels konnten ihn stören oder gar erschrecken. Vgl. T. 669 und Bf. 349.

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deuteten, auf diesen Ursprung und diese wirkliche Heimat ( . . . ) Ich erinnerte mich daran, wer ich bin, ( . . . ) ich mußte zurück ins Dunkel, ich hielt die Sonne nicht aus, ich war verzweifelt, wirklich wie ein irregegangenes Tier (Bfm.223).

Diesen Zeilen ist zu entnehmen, wie unsicher und fremd sich Kafka gegenüber seiner Umwelt fühlt und sich daher nach »Dunkel« und »Wald« sehnt. Sein Selbstvergleich mit einem verirrten Tier ist eine intensivierende Zusammenfassung seiner allgemeinen Lage. Wie viele seiner Tiervergleiche charakterisiert dieser nicht nur einen momentanen innerpsychischen Zustand, sondern auch seine allgemeine Verfassung überhaupt. Parallel zu diesem Brief ist Kafkas Schreiben an Brod vom 12.7.1922, in dem er sich mit einem verzweifelten Tier vergleicht. eben laufe ich herum oder sitze versteinert, so wie es ein verzweifeltes Tier in seinem Bau tun müßte; überall Feinde. (Bf.390)

In seinem Tagebuch vom 19.11.1914 schreibt Kafka in Bezug auf das Schreiben: Mich ergreift das Lesen des Tagebuches ( . . . ) alles erscheint mir als Konstruktion ( . . . ) ich bin unsicherer, als ich jemals war, nur die Gewalt des Lebens fühle ich. Und sinnlos leer bin ich. Ich bin wirklich wie ein verlorenes Schaf in der Nacht und im Gebirge, oder wie ein Schaf, das diesem Schaf nachläuft. S o verloren zu sein und nicht die Kraft haben, es zu beklagen. (T.329)

Kafka übernimmt das biblische Gleichnis vom »verlorenen Schaf« (Matt. 18, 12-14) und gestaltet es um, um sein paradoxes Verhältnis zum Schreiben zu charakterisieren: Einerseits fühlt er sich zum Schreiben berufen, ist ganz von ihm angelockt, fürchtet aber andererseits, ihm nicht gewachsen zu sein. Das ist ein Problem, mit dem Kafka lebenslang gekämpft hat. 5.2.4 Resümee Aus der obigen Untersuchung hat sich ergeben, daß Kafkas Tiervergleiche meistens zugleich die psychischen Situationen und die Charaktereigenschaften einer Figur schildernd erfassen. Öfters bringen sie eine konkrete Handlung oder ein Aussehen mit den gesamten Charaktereigenschaften einer Figur in Verbindung, so daß die Charaktereigenschaften dieser Figur durch ihre konkreten Handlungen oder auch ihr Aussehen beleuchtet werden. Auch umgekehrt können konkrete Taten bzw. Aussehen einer Figur durch ihre Charaktereigen185

Schäften erklärt werden. Die Tiervergleiche wirken daher verbindend, vorausdeutend und zusammenfassend, so daß der Leser sich eine Figur ständig im Zusammenhang mit ihren gesamten Charaktereigenschaften vergegenwärtigen kann. Solche Tiervergleiche mit Doppelbezügen sind meistens ausführlich. Sie machen einzelne Gesichtszüge kenntlich, wie der Vergleich mit einem Schwein, oder sie schildern wie der Selbstvergleich mit einem Waldtier konkrete Handlungen. Diese Tiervergleiche wirken oft als Zusammenfassung einer ausführlichen Beschreibung. Sie sind besonders originell gegenüber anderen Vergleichen wie »K.s Sterben wie ein Hund«, die populäre Redensarten aufnehmen und kurz und bündig sind. Durch solche Tiervergleiche hat der Autor die Möglichkeit, Gefühle, Gedanken, Empfindungen usw., kurz, die gesamten Charaktereigentümlichkeiten einer Figur darzustellen, ohne die Erzählperspektive zu ändern. Die Grenze zwischen der Innen- und Außenwelt wird dabei aufgehoben. Die Charaktereigenschaften einer Figur, die an psychischen Situationen demonstriert werden, bestimmen insgesamt auch deren Individualität. In aller Regel ist die Individualität von Kafkas Figuren relativ stabil. Kaum je sind gründliche Veränderungen an einer Figur wahrzunehmen. Die Tiervergleiche, die eine solche Individualität charakterisieren, haben demzufolge eine allgemeine Bedeutung, sie gelten nicht einer Figur an bestimmten Textstellen, sondern der gesamten Bedeutung einer Figur in der ganzen Geschichte. Mit solchen Tiervergleichen hat der Autor auch die Möglichkeit, seine Bewertungen versteckt und indirekt zum Ausdruck zu bringen. Er braucht nicht direkt Stellung zu beziehen, sondern er läßt die Tierfiguren sprechen, die er sorgfältig auswählt. Die auf diese Weise vorgenommenen Bewertungen intensivieren und dynamisieren die Aussage, prägen sich daher tief ein. 5.3 Vergleichende Zusammenfassung Kafka und Pu Songling verstehen, an entscheidenen Stellen Tiervergleiche einzusetzen, um dadurch den Kern einer Aussage zu verdeutlichen. Mit ihrem Tiervergleich vermitteln sie dem Leser ein Bild, das inhaltsreicher als eine ausführliche Beschreibung bzw. eine 186

Bemerkung ist. Viele Gehalte und Nuancen, die kaum präzise zu beschreiben sind, werden doch durch Tierbilder erfaßt. Ein solches Tierbild suggeriert auf knappem Raum eine Reihe von Bedeutungen und Nuancen, die vom Leser verarbeitet werden müssen. Das erfordert wiederholtes und intensives Lesen sowie Nach- und Mitdenken, wordurch eine intensive Rezeption zustandekommt. Tiervergleiche ermöglichen beiden Autoren auch, eigene Ansichten und Bewertungen verhüllt auszusprechen, ohne die Handlungen mit Kommentaren zu unterbrechen. Die Anschaulichkeit erlaubt es, die inneren Zustände einer Figur an einer äußeren Erscheinung direkt darzustellen, ohne die Erzählperspektive zu ändern. Die Grenze zwischen Innen- und Außenwelt wird so aufgehoben. Dadurch wirkt das Erzählen knapp und inhaltsreich und garantiert doch eine starke Bildhaftigkeit. Diese Bildhaftigkeit, die ein wichtiger Faktor für ein intensives Erzählen und Lesen ist, wird dadurch erzeugt, daß eine Erscheinung oder ein Gegenstand aus dem animalischen Bezirk mit der Menschenwelt in Beziehung gesetzt wird. Auf diese Technik sind deutsche und chinesische Stilistiker zu sprechen gekommen. Elise Riesel bemerkt: Die Erscheinungen, die zueinander in Beziehung geraten, müssen durchaus nicht aus nahe beieinander liegenden Bezirken stammen. Oft sind es ganz diamentrale Begriffe, die auf den ersten Blick unvergleichbar erscheinen, und doch taucht plötzlich bei ihrer Zusammenstellung etwas Unerwartet-Gemeinsames auf; dadurch werden beide Begriffe in neues Licht gesetzt. 3

Dasselbe wurde von Liu Xie, Literaturtheoretiker aus dem sechsten Jahrhundert vorweggenommen. In seinem literaturkritischen Werk Wenxin diaolong äußert er wiederholt die Ansicht, daß die Herkunft der Literatur im Ursprung des Universums besteht, und daß zwischen der kosmischen Ordnung und dem menschlichen Gedanken, zwischen dem Gedanken und der Sprache, sowie zwischen der Sprache und der Literatur mannigfaltige Verbindungen bestehen.4 In diesem Sinne schreibt er, daß die zu vergleichenden Gegenstände oder Erscheinungen »so weit voneinander entfernt wie (die Volksstämme) Hu und Yue« sein sollten, aber »durch den Vergleich einander so nah wie

3 4

Elise Riesel: Stilistik der deutschen Sprache. Moskau 1959, S. 133. Vgl. James J. Y. Liu: Chinese Theories of literature, S.22.

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Leber und Galle im Körper eines Menschen stehen« würden.5 In diesem Punkt stimmen die Tiervergleiche bei Kafka und Pu Songling miteinander überein. Es ist zu beachten, daß das Bild, das durch einen Tiervergleich vermittelt wird, kulturabhängig ist. Ein Tiervergleich kann vor verschiedenen kulturellen Hintergründen unterschiedliche Bilder zustandebringen und folglich unterschiedliche Ausmaße von dynamischer Kraft und Anschaulichkeit erbringen. Daraus entstehen jenseits der obigen gemeinsamen Kennzeichen doch erhebliche Unterschiede zwischen den Pu Songlingschen und Kafkaschen Tiervergleichen. Bei Pu Songling ist die dynamische Kraft der Tiervergleiche stärker als bei Kafka. Die Ursache liegt darin, daß die Tiervergleiche bei Pu Songling sich meistens aus eigenartigen Tierfiguren und Verben zusammensetzen. Häufig sind die Tierfiguren für Kraft, Bewegung oder Stärke charakteristisch und die Verben bezeichnen heftige und drastische Handlungen. Die beiden Bestandteile machen insgesamt einen Tiervergleich mit großer dynamischer Kraft aus. Darüber hinaus beziehen sich Pu Songlings Tiervergleiche meistens auf Bewegungen oder Handlungen. Der Vergleich »wie ein fliegender Vogel auf den Boden stürzt« z.B. ist typisch für Pu Songlings Tiervergleiche: Das Tierbild des Vogels impliziert schon eine Bewegung, und das Partizip »fliegend« hebt diesen Akt hervor, »auf den Boden stürzen« ist wiederum eine heftige und drastische Bewegung. Dieser Tiervergleich enthält also zwei Bewegungen, die eine folgt rasch der anderen. Diese Textstelle mit ihrem Tiervergleich bezeichnet mehrere drastische Handlungen, weist demgemäß eine große dynamische Kraft auf. Dieses Beispiel zeigt auch, daß Pu Songlings Tiervergleiche sich meistens auf einen momentanen Zustand oder ein augenblickliches Aussehen beziehen, die sich mit der Entwicklung der Geschichte alsbald ändern. Die Tiervergleiche haben daher Gültigkeit nur für bestimmte Textstellen, aber nicht für die ganze Geschichte. Diese Besonderheiten der Pu Songlingschen Tiervergleiche bewirken zusammen mit der Gedrängtheit und Intensivierung, die sie mit Kafkas Tiervergleichen teilen, daß die »Er«-Perspektive eingehalten und mehrere Handlungen in einem schnellen Takt erzählt werden. Die Handlung entwickelt sich ständig. Diese Besonderheiten von Pu 5

Vgl. Li Zhaochu: Die Metapher in »Wen Xin Diao Long«. Diss. Bonn 1984, S.207. 188

Songlings Tiervergleichen entsprechen dem ästhetischen Prinzip des alten Chinas, eine Figur durch deren Handlungen zu charakterisieren. Die Tiervergleiche Pu Songlings gelten ohne Einschränkung. Ein Zustand oder ein Sachverhalt wird direkt mit einem Tier verglichen, ohne daß eine Präzisierung bzw. Einschränkung vorgenommen wird. Damit hängt es zusammen, daß die Tiervergleiche Pu Songlings populär redensartigen Charakter haben. Die Bedeutung eines Tiervergleiches ist oft konzentriert und traditionsgebunden. Kafkas Tiervergleiche bestehen meistens aus Tierfiguren, die für einen eher ruhigen Dauerzustand stehen und sie sind beschrieben mit Verben, die zwar auch konkrete Handlungen bezeichnen, diese Handlungen aber gleich mit der betreffenden menschlichen Person in Zusammenhang bringen, »wie Frösche atmen« z.B. bezieht sich zwar auf das Atmen, kennzeichnet aber, wenn man genauer liest, das aufgeblasene Verhalten, ja die Arroganz der betreffenden Figur überhaupt. Der Vergleich mit einem Hund bezüglich K.s Beischlafs mit Frieda z.B. bezeichnet auf den ersten Blick diese konkrete Handlung, charakterisiert aber K.s persönliche Eigentümlichkeiten. Ein Tiervergleich Kafkas bezieht sich also auf konkrete Handlungen und zugleich auf die Charaktereigenschaften einer Figur. Es ist also von einem Doppelbezug oder von einer gegenseitigen Vertiefung zu reden. Diese Doppelbezüge erhellen sich gegenseitig. Eine konkrete Handlung erhellt die Eigenschaften einer Figur, und die letzteren wiederum machen die erstere verständlich und erklärbar. Kafkas Tiervergleiche verbinden die beiden möglichen Qualitäten eines Tiervergleiches miteinander. Sie deuten Charaktereigenschaften einer Figur oder fassen sie rückblickend zusammen. Solche Tiervergleiche gelten oft der ganzen erzählten Welt. Was mit ihnen bezeichnet wird, ist also ein allgemeiner Zustand, der sich nicht oder nur wenig ändert bzw. entwickelt. Das entspricht der erzählerischen Technik Kafkas, eine Figur durch deren Aussehen, Nachdenken, Grübeln, Empfindungen usw. zu entfalten. Kafkas Figuren handeln wenig, sie sind vorwiegend denkende Figuren. Dem entspricht, daß das Erzähltempo relativ langsam und die Zahl der Handlungen klein ist und daß bevorzugt in der »Ich«-Perspektive erzählt wird. Diese Erzähltechnik bietet die Möglichkeit, intensiv zu bewerten. Dies erklärt, warum Kafkas Tiervergleiche mit intensiveren Bewertungen durchdrungen sind als die Pu Songlings. Der Schlangen-Vergleich der 189

beiden Gehilfen in Das Schloß z.B. drückt deutlich Mißachten und Argwohn des Sprechers aus. Die Tiervergleiche bei Kafka sind meist eingeschränkt und präzise. Ein Sachverhalt oder ein Zustand wird nicht mit einem ganzen Tierbild, sondern mit bestimmten Aspekten eines Tierbildes verglichen, damit psychologische Situationen bzw. Charaktereigenschaften konkreter und schärfer erfaßt werden können. Dem entspricht, daß Kafkas Tiervergleiche meistens ausführlich sind. Diese Unterschiede zwischen Kafkas und Pu Songlings Tiervergleichen werden unten tabellarisch dargestellt. Bei Pu Songling

Bei Kafka

Bezug

meistens auf Konkretes

Verben

viel Kraft und Bewegung

Doppelbezüge: auf Konkretes und Allgemeines wenig Kraft und Bewegung

Bewertungen

nicht stark, durch Aktionen der Tiere mit Kraft und Bewegung

Tierfiguren

stark, durch Narrator

Gültigkeit der Tiervergleiche Wirkungen für das Erzählen

für bestimmte Textstellen

mit wenig Kraft und Bewegung für ganze Geschichten

schnelles Erzähltempo

langsames Erzähltempo

Erzähltechnik

Zusammenreihen der Aktionen wenig

wenig Aktionen

Ausführlichkeit

Einschränkung und wenig Präzisierung

190

viel viel

KAPITEL 6

Mögliche Einflüsse der Pu Songlingschen Tierfiguren auf Kafkas Tierdarstellung

6.1 Kafkas Zugang zu Pu Songlings Tiergeschichten Es liegen Zeugnisse dafür vor, daß Kafka einige Tiergeschichten aus Pu Songlings Liaozhai zhiyi gekannt hat. Ein Band Chinesische Volksmärchen, der von Richard Wilhelm während seines Aufenthalts in China übersetzt und eingeleitet, von Eugen Diederichs verlegt wurde, ist 1914 in Jena erschienen. Diesen Band hat Kafka besessen, ihn dann mit einer Widmung versehen seiner Schwester Ottla geschenkt.1 Bei dieser Widmung handelt es sich um eine »von Kafka selbst stammende, handschriftliche Widmung«.2 Sie lautet: Für Ottla von dem »Schiffer, der polternd in seine Barke sprang«

Unter den einhundert Geschichten dieses Buches befinden sich 15 Geschichten aus Pu Songlings Liaozhai zhiyi. Es sind: 34. 35. 46. 50. 51. 68. 75. 81. 82. 94. 95. 96. 97. 98. 99.

Der Priester vom Laoschan Der geizige Bauer Der Bergelf Der kleine Jagdhund Der Drache nach dem Winterschlaf Das tote Mädchen Das Oger-Reich Die bemalte Haut Die Sekte vom weißen Lotos Die schöne Giauna Ying Ning oder die lachende Schönheit Die Froschprinzessin Abendrot Edelweiß Das Heimweh Vgl. Jürgen Born: Kafkas Bibliothek, ein beschreibendes Verzeichnis. Frankfurt a. M. 1990, S. 86-87. Jost Schillemeit: Der unbekannte Bote, in: Stéphan Moses und Albrecht Schöne (Hrsg.): Juden in der deutschen Literatur. Frankfurt a. M. 1986, S.269.

191

Vier von diesen fünfzehn Geschichten sind Tiergeschichten. Der kleine Jagdhund erzählt von kleinen Rittern und eben einem kleinen Jagdhund, die den Protagonisten von Flöhen, Wanzen und Mücken befreien. In Die schöne Giauna lernt man ein Fuchsmädchen kennen, das ausschließlich als Mensch erscheint und eine wundersame medizinische Technik besitzt. Die Hauptfigur in Ying Ning oder die lachende Schönheit ist ein hübsches Fuchsmädchen, das vorwiegend als Menschenfigur erscheint; die Froschprinzessin in der gleichnamigen Erzählung ist ein Frosch, der als ein Mädchen erscheint und mit einem jungen Mann eine Familie gründet. Diesen letzten drei Geschichten sind Tierfiguren gemeinsam, die Menschengestalt annehmen, als Mensch denken, fühlen und handeln. Ihre tierischen Eigenschaften und Merkmale sind weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Es bestehen keine notwendigen Relationen zwischen der Tierfigur und dem Gehalt der Geschichte. Ying Ning z.B. kommt als ein junges Mädchen vor. Keinerlei Eigenschaften einer Füchsin sind an ihr zu erkennen. Ihre wilden und lebhaften Eigenschaften hängen nur lose mit denen einer Füchsin zusammen, sie könnten ebensogut von einer anderen Tierfigur getragen werden.3 Einen anderen Zugang zu Pu Songlings Geschichten bot Kafka die Sammlung Chinesische Geister- und Liebe sgeschickten, die von Martin Buber vom Englischen ins Deutsche übertragen wurde und 1911 bei Rütten & Loening in Frankfurt am Main erschien. In seinen Briefen an Feiice Bauer hat Kafka das Buch zweimal erwähnt. Am 16.1.1913 schreibt er: Buber »hat also >Chinesische Geister- und Liebesgeschichten< herausgegeben, die, soviel ich davon kenne, prachtvoll sind.« (Bf.252) Vier Tage später heißt es: »Das ist wirklich merkwürdig, daß Du das Buch von Buber gekauft hast! (...) Ich kenne es nur aus einer ausführlichen Besprechung, in der verschiedene Citate standen.« (Bf.260) Martin Buber, den Übersetzer des Buches, hat Kafka im darauf folgenden Jahr, 1914, besucht.4 Diese Briefstellen und dieser Besuch legen nahe, daß Kafka das Buch gekannt hat. Alle in dieses Buch aufgenommene 16 Geschichten stammen aus Pu Songlings Liaozhai zhiyi. Es sind: 3 4

Vgl. Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Hartmut Binder: Kafka-Kommentar zu sämtlichen Erzählungen. München 1975, S.38 und auch Jürgen Born: Kafkas Bibliothek. a.a.O., S. 177.

192

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Das Wandbild Der Richter Das lachende Mädchen Die Füchsin Die Wege des Liebenden Die Krähen Die Blumenfrauen Der närrische Student Der Gott im Exil Das Land im Meer Das Blätterkleid Der Armel des Priesters Der Traum Musik Die Schwestern Wiedergeburt

Unter diesen 16 Geschichten gibt es sieben Tiererzählungen. Das lachende Mädchen ist die gleiche Geschichte, die Richard Wilhelm als Ying Ning oder die lachende Schönheit übersetzt hat. Die Füchsin ist eine Tiergeschichte mit einer Füchsin als Protagonistin. Wie Ying Ning erscheint sie ausschließlich als Mensch. Ihr animalisches Wesen wird vom Erzähler nur nebenbei erwähnt. Ansonsten könnte man sie für einen realen Menschen halten. Die Wege des Liebenden und Die Krähen sind bereits im Zusammenhang mit dem Grotesken untersucht worden. Die Tierfiguren in diesen Geschichten dienen als Mittel einer Wunscherfüllung. Die Protagonisten verwirklichen ihren Wunsch nach Heirat mit den von ihnen geliebten Mädchen, indem sie sich in Tauben bzw. Krähen verwandeln. Der Traum wurde ebenfalls oben im Zusammenhang mit dem Grotesken behandelt: Die Bienen verbinden die Traumerlebnisse des Protagonisten mit der realen Welt. Die Schwestern erzählt von der Liebe zwischen einem jungen Mann und einer Füchsin namens Ah-hsiu sowie ihren Begegnungen mit dem Geist einer weiteren, früh gestorbenen Füchsin, die sich später als die ehemalige Schwester von Ah-hsiu erweist. Die Füchsin sowie der Geist erscheinen ausschließlich als Menschen. Ihre tierischen Merkmale treten überhaupt nicht in Erscheinung. Der Überblick über Pu Songlings Tiergeschichten, die in Richard Wilhelms Chinesische Volksmärchen und in Martin Bubers Chinesi193

sehe Geister- und Liebesgeschichten aufgenommen sind, zeigt einerseits Pu Songlings Interesse für Tiere, das dem Kafkas ähnlich zu sein scheint, wie E. Canetti bemerkt: »Ein Interesse für ganz kleine Tiere, besonders für Insekten, das dem Kafkas vergleichbar wäre, findet sich sonst nur im Leben und in der Literatur der Chinesen.«5 Dieser Überblick unterstreicht andererseits die eigenartige Bedeutung der Tierfiguren in Pu Songlings Werk: Tiere dienen als Träger bestimmter menschlicher Eigenschaften; Tierisches tritt wenig oder selten in Erscheinung; zwischen dem Tierischen und Menschlichen einer Tier/ Mensch-Figur besteht keine kausale Beziehung.

6.2 Ähnliche und parallele Textstellen Anhand dieser Spezifika der Tierdarstellungen Pu Songlings soll überprüft werden, ob und inwiefern von einem Einfluß Pu Songlings auf Kafkas Tierdarstellung die Rede sein kann. Dazu sollen ähnliche bzw. parallele Tiermotive und Textstellen aus den Tiergeschichten Kafkas und Pu Songlings einander in ihrem jeweiligen Kontext verglichen werden, um zu sehen, wie sie ähnliche Motive und Elemente zu verschiedenen Zwecken anwenden. In Musik und Josefine, die Sängerin geht es um die Musik. In Josefine sind Position und Bedeutung Josefines in dem Volk der Mäuse durch ihre Musik bestimmt. Pu Songling erzählt in Musik, wie ein junger Mann mit Namen Wen durch seine Musikbegabung mit dem Geist eines seit einhundert Jahren toten Mädchens namens Fang Niang Freundschaft schließt. Wen spielt ausgezeichnet Kin6 und Zither. Fasziniert durch Wens Kunst, verhilft ihm Fang Ninang zur Vermählung mit seiner Geliebten, verdient sich dadurch die Erlaubnis, auf Wens Kin zu spielen. Zwischen ihr und der Familie Wen besteht eine enge Freundschaft. Bevor Fang Niang gemäß ihrem Schicksal in die Unterwelt zurückkehren muß, bittet sie traurig Wen und seine Frau, ab und zu Musik für sie zu machen.

Elias Canetti: Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942-1972. Frankfurt am Main 1973, S. 147. Kin ist ein fiinfsaitiges Instrument aus Holz, dessen gerundeter Teil den Himmel, der flache die Erde darstellt.

194

Thematisch ähneln sich die beiden Geschichten insofern, als die Musik das Verhältnis der Protagonisten zu ihren Mitmenschen bestimmt. Im Gegensatz zu Josefines Kunst, über deren Leistung gestritten wird, ist die Musik in dieser Erzählung Pu Songlings unbezweifelte Leistung und reine Kunst. Hinsichtlich der anziehenden und berauschenden Wirkungen der Musik finden sich in den beiden Geschichten ähnliche Darstellungen: Als die Töne kamen, erschien es Wen, daß ein sanfter Wind vorüberzog, mit dem hundert Arten von Vögeln herbeiflogen, bis alle Bäume im Hofe von hnen bedeckt waren, und sie sangen. (LZZY.B.150) Die Nachricht, daß sie singen will, verbreitet sich gleich, und bald zieht es in Prozessionen hin. (...) es werden Boten ausgeschickt, um Hörer herbeizuholen. (E.274) (...) es wird uns wohl bei ihrer Kunst, und wenn uns wohl ist, pfeifen wir. (E.272)

Bemerkenswert sind die Vögel und die in der »wir«-Form erscheinenden Mäuse, die in Scharen herbeikommen und mitsingen bzw. -pfeifen, um der dahinziehenden Musik eine visuelle Gestalt zu verleihen. Allerdings ist zu beachten, daß die Musik bei Pu Songling als Wirklichkeit gilt. Sie steht als reine Kunst auf festem Boden; bei Kafka geht es nicht um die Musik selber, sondern um die Nachricht, daß Josefine singen werde. Ob ihre Darbietung gut ist, bleibt dahingestellt. Die Leistung Josefines ist umso fraglicher, als sie den Mäusen »wohl« tut, also ihrem tierischen Wesen entspricht. Und wenn den Mäusen wohl ist, pfeifen sie. Somit wird die Kunst Josefines mit dem tierischen Instinkt gleichgesetzt. Diese Stelle steht mit dem Thema der ganzen Erzählung in einem Zusammenhang: Sie macht Josefines Kunst undefinierbar und unerfaßbar. Auch in den Erzählungen Der Priester vom Laoschan und Ein Landarzt finden sich ähnliche Textstellen. In Der Priester vom Laoschan geht es um die Fähigkeit eines Taoisten, durch die Wand zu gehen. Die betreffende Textstelle erinnert stark an die Szene im Ein Landarzt, wo die beiden Pferde auftauchen. Wang nahm einen Anlauf von einigen Schritten und rannte auf die Wand zu. Als er an die Wand kam, da gab sie nach, als wäre nichts an der Stelle. Er blickte sich um, und richtig, er war draußen. (LZZY.B.82) »Hollah, Bruder, hollah, Schwester!« rief der Pferdeknecht, und zwei Pferde, mächtige flankenstarke Tiere schoben sich hintereinander, die Beine eng am Leib, die wohlgeformten Köpfe wie Kamele senkend, nur durch die Kraft der

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Wendungen ihres Rumpfes aus dem Türloch, das sie restlos ausfüllten. Aber gleich standen sie aufrecht, hochbeinig, mit dicht ausdampfendem Körper. (E.147)

Wang in Der Taoist in Laoschan geht bewußt und tatsächlich durch die Wand. Diese wunderbare Fähigkeit ist das Thema der Erzählung. Daß die Pferde auf einmal aus dem Türloch auftauchen, ist weder Illusion noch Wirklichkeit, sondern eine unfaßbare und undefinierbare Erscheinung. Diese Szene bezieht sich eher auf den Eindruck, den der Erzähler von den Pferden erhält. Es geht nicht um die Fähigkeit selber, aus dem Türloch aufzutauchen, sondern darum, wie unerwartet ein Lebewesen erscheinen kann, wie unfähig der Landarzt ist, mit der Wirklichkeit der Welt fertig zu werden. In Die Wege des Liebenden dienen die Tierfiguren u.a. als nach außen projizierte Gestaltung innerweltlicher Impulse. Ssen sehnt sich angesichts einer Vogelleiche danach, wie ein Papagei zu seiner Geliebten A Pao zu fliegen. Dabei geht seine Seele in diese Vogelleiche über und er fliegt zu A Pao. Ähnliches findet sich auch bei Kafka, u.a. in Der Jäger Gracchus: Die Tauben symbolisieren den Wunsch des toten Gracchus, in der Stadt Riva empfangen zu werden. Durch ihren Flug helfen sie, diesen Wunsch zu vermitteln. Ssen bedachte sich, wenn er ein Papagei wäre, brauchte er nur die Flügel zu schwingen, um zu A Pao zu kommen. Sobald er sich diesem Gedanken hingab, bewegte sich die Vogelleiche und der Papagei flog hinaus und flog geradeswegs in A Paos Zimmer.(...) »Schwester, kette mich nicht an! Ich bin Ssen Tsetschen.« (LZZY.B.64 f.) »Gewiß«, sagte der Bürgermeister. »Sie wurden mir heute in der Nacht angekündigt. Wir schliefen längst. Da rief gegen Mitternacht meine Frau: »Salvatore, - so heiße ich - sieh die Taube am Fenster!« Es war wirklich eine Taube, aber groß wie ein Hahn. Sie flog zu meinem Ohr und sagte: »Morgen kommt der tote Jäger Gracchus, empfange ihn im Namen der Stadt.« Der Jäger nickte und zog die Zungenspitze zwischen den Lippen durch: »Ja, die Tauben fliegen vor mir her.« (Br. 102)

Beachtenswert ist, daß sich bei Pu Songling die Seele Ssens in den Papagei verwandelt. Die Tierfigur wird mit der Menschenseele identifiziert. Der Mensch verwandelt sich in ein Tier, um zu seinem Wunschziel zu gelangen. Diese positive Bedeutung der Metamorphose in China, die im dritten Kapitel herausgearbeitet worden ist, tritt hier wieder zutage. Die Taube bei Kafka dagegen ist ein bloßer Bote des Jägers. Sie symbolisiert seinen Wunsch, in die Stadt zu gelangen. 196

Die Darstellung der Oger in Das Oger-Reich erinnert an die Schakale in Schakale und Araber. Das Oger-Reich erzählt, wie ein Mann einer Herde Oger begegnet, sie kennenlernt und mit ihr freundlich und friedlich umgeht. Da waren zwei Oger darin, die hatten Zähne wie Speere. Ihre Augen glichen feurigen Lampen. (LZZY.M.217) Ein Gewimmel von Schakalen um mich her; in mattem Gold erglänzende, verlöschende Augen.

Diesem unähnlichen Aussehen korrespondieren ebenso unterschiedliche Bedeutungen, wenn man weiter liest: Der Kaufmann häutete ihn, holte frisches Wasser, wusch das Fleisch und kochte davon einige Kessel voll. Plötzlich kam eine ganze Herde von Ogern herbei, die fraßen das Gekochte auf. (LZZY.M.218) Vier Träger kamen und warfen den schweren Kadaver vor uns hin. Kaum lag er da, erhoben die Schakeale ihre Stimmen. Wie von Stricken unwiderstehlich jeder einzelne gezogen, kamen sie, stockend, mit dem Leib den Boden streifend, heran. (E.164)

Bei Pu Songling ist davon die Rede, wie die menschliche Zivilisation dem Oger-Reich vorgestellt wird und wie die Oger, durch das Essen befriedigt, allmählich mit dem Mann vertraut werden. Das Sprichwort »Liebe geht durch den Magen« ist hier wörtlich genommen. Bei Kafka hingegen spricht die Szene von der leidenschaftlichen Gier der Schakale, die den Haß der Schakale auf die Araber, ihr Streben nach Reinheit überwiegt. Die Oger in Das Oger-Reich erinnern auch an die Tierfigur in Ein altes Blatt. Die beiden Wesen redeten miteinander in tierischen Lauten. (LZZY.M.217) Die Oger aber verstanden nicht, was er sagte, und waren immer noch böse. (LZZY.M.217) Sprechen kann man mit den Nomaden nicht, unsere Sprache kennen sie ja nicht, ja sie haben kaum eine eigene. Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen. Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen. (E.156)

Der Unterschied zwischen Mensch und Oger besteht u.a. darin, daß sie verschiedene Sprachen sprechen, so daß sie sich nicht verständigen können. Bei den Nomaden ist die Grenze von Mensch und Tier fließend: Sie haben keine eigene Sprache, verständigen sich »wie Dohlen«. Indem der Erzähler den Schrei der Nomaden einfach als den »der 197

Dohlen« bezeichnet, identifiziert er die Nomaden sogar mit den Vögeln. Wir vergleichen weitere Textstellen aus Das Oger-Reich und Ein altes Blatt. Jetzt drängen sich die Oger um den Kaufmann, brachten Wölfe und Hirschantilopen, die er für sie kochen mußte, und wenn sie gar waren, so riefen sie ihm zu, daß er mit essen sollte. (LZZY.M.218) Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an seinem Ende. (E.1S6)

Bei Pu Songling geht es um das friedliche Zusammenleben verschiedener Lebewesen, wohingegen Kafka mit dieser Stelle das Instinktgemäße, das Mensch und Tier gemeinsam ist, hervorhebt und beide dadurch gleichsetzt. In Pu Songlings Der Traum und in Kafkas Ein Traum finden sich ähnliche Traumdarstellungen. Der Traum wird durch Träume gleichsam eingerahmt. Die Erlebnisse des Protagonisten beginnen mit einem Traum und entpuppen sich schließlich selber als Träume, wobei die Bienen die Träume und die Realität in einer gewissen Verbindung halten.7 Kafkas Ein Traum ist ähnlich strukturiert, jedoch ohne verschachtelte Traumfolgen. Die Erzählung beginnt: »Josef K. träumte.« (E.181) Sie endet mit dem Hinweis: »Entzückt von diesem Anblick erwachte er.« (E.183) Auch der Titel Ein Traum bekräftigt die formale Ähnlichkeit mit Pu Songlings Der Traum. Inhaltlich aber sind diese Geschichten gänzlich verschieden: Pu Songlings Der Traum ist eine Liebesgeschichte, Kafkas Ein Traum eine Geschichte mit autobiographischen Zügen, sie hat das Problem der Künstlerexistenz zum Inhalt und hat mit Tiergeschichten nichts zu tun. In Pu Songlings Erzählungen Die Schwestern und Die Füchsin geht es um das gleiche Aussehen zweier Wesen, die jedoch von unterschiedlichem Charakter sind. Das eine ist eine Füchsin, das andere ist der Geist ihrer gestorbenen Schwester. Solche Problematisierung von Identität erinnert an Kafkas Erzählung Forschungen eines Hundes, in der u.a. von verschiedenen Hundearten die Rede ist, die zwar ähnlich

Vgl. die Untersuchung dieser Erzählung im Zusammenhang mit dem Grotesken in 2.1.2. Irmgard und Reinhold Grimm haben diese Erzählung als Prinzessin Lotos übersetzt.

198

aussehen, aber unterschiedliche Wesen sind, die fälschlicherweise mit einem einzigen Begriff identifiziert werden.8 Allerdings dienen diese ähnlichen Motive zu ganz unterschiedlichen Zwecken: Pu Songling setzt dieses Motiv ein, um Verwirrungen und überraschende Beziehungen seiner Figuren erzähltechnisch zu gestalten; Kafka nimmt dieses Motiv, um damit grundsätzlich Identität in Frage zu stellen. Auch in anderen Passagen wird Identität zum Problem: Liu sah hin, da stand eine zweite Ah-hsiu vor ihm. Er rief seine Mutter herbei. Sie kam mit den anderen Hausgenossen, aber keiner konnte die beiden Frauen unterscheiden. Liu selbst war von Hin- und Herschauen unsicher geworden und mußte sich besinnen ( . . . ) (LZZY.B.169.Í) »Ihr unterscheidet euch durch die Namen, sonst seid ihr einander ähnlich wie« er stockte, unwillkürlich fuhr er dann fort - , »sonst seid ihr einander ja ähnlich wie Schlangen.« (S.30)

Die unterschiedlichen Bedeutungen dieses Doppelgänger-Motivs tritt hier noch deutlicher hervor: Bei Pu Songling bringt der Doppelgänger von A-hsiu Freude und angenehme Überraschung, da A-hsiu die Geliebte, die spätere Braut des jungen Mannes ist. Die Schwierigkeit, zwischen den beiden Frauen zu unterscheiden, soll nicht die Urteilskraft des Menschen in Frage stellen, sondern nur das gleiche Aussehen der beiden Frauen hervorheben. Die Doppelgänger in Das Schloß hingegen stehen dafür, daß die Individualität und die Charaktereigenschaften, die einen Menschen von anderen unterscheiden, verlorengegangen sind. Vor ihnen, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen, wird deutlich, daß ein Einzelsubjekt wie K. sich nicht auf seine sinnliche Erfahrung berufen kann, um mit der Wirklichkeit der Welt fertig zu werden. Die beiden Wächter, die zu Anfang von Der Prozeß in Josef K.s Zimmer kommen, die beiden Henker, die das Todesurteil an Josef K. vollstrecken und auch die beiden Zelluloidbälle in Blumfeld, ein älterer Junggeselle vervielfältigen diese Struktur von DoppelIdentität bei Kafka. Parallelitäten ergeben sich auch zwischen Der Drache nach dem Winterschlaf bei Pu Songling und zwei Fragmenten Kafkas. Pu Songlings Geschichte erzählt von einem Gelehrten, der in einem seiner Bücher ein Ding wie einen Glühwurm vorfindet, das dann die

Vgl. Kapitel 5 der vorliegenden Arbeit.

199

Form und Größe eines Drachen annimmt und in die Luft fliegt. In Kafkas Fragment handelt es sich um einen »grünen Drachen«. Kaum war er aus der Tür, so sah er, wie es den Kopf hob und plötzlich sich streckte. Mit einem zischenden Laut flog es vom Buche auf, indem es einen leuchtenden Streifen bildete. Es wandte sich noch einmal nach dem Gelehrten um, da war sein Kopf schon groß wie ein Faß, und sein Leib maß wohl ein Klafter an Umfang. Noch eine Schlangenwindung: Da krachte ein schrecklicher Donnerschlag, und der Drache fuhr in die Luft. (LZZY.M.141) Es öffnete sich die Tür und es kam, gut im Saft, an den Seiten üppig gerundet, fußlos mit der ganzen Unterseite sich vorschiebend, der grüne Drache ins Zimmer herein. Formelle Begrüßung. Ich bat ihn, völlig einzutreten. Er bedauerte, dies nicht tun zu können, da er zu lang sei. Die Tür mußte also offen bleiben, was recht peinlich war. Er lächelte halb verlegen, halb tückisch und begann: »Durch deine Sehnsucht herangezogen, schiebe ich mich von weither heran, bin unten schon ganz wundgescheuert. Aber ich tue es gerne. Gerne komme ich, gerne biete ich mich dir an.« (Hz.282)

Die beiden Texte gleichen sich in dem geschilderten Mißverhältnis zwischen dem übergroßen Drachen und dem kleinen Zimmer und in der merkwürdigen Beziehung, die zwischen Drachen und Menschen herrscht. Der Drache bei Pu Songling ist »auf den Tisch gekrabbelt« (LZZY.M.140). Er hinterläßt Spuren wie ein Regenwurm, sitzt »aufgeringelt« (LZZY.M.140). Dies läßt darauf schließen, daß der Drache sich nur mit Mühe vorwärts schlängeln kann. Genau so bewegt sich der Drache bei Kafka. Er schiebt sich, fußlos, »mit der ganzen Unterseite« vor, und zwar auch mit großer Mühe. In der europäischen Vorstellung ist der Drache ein böses Wesen, er hat Füße, kann Feuer speien und dem Menschen Schaden zufügen. Es ist bemerkenswert, daß Kafka diese traditionellen Bedeutungen des europäischen Drachen umkehrt und diese Tierfigur dem chinesichen Drachenkult annähert.9 Dieses Fragment entstand 1907, zu einer Zeit, als Kafka nach bisheriger Forschungslage noch keinen Zugang zu Pu Songlings Werk hatte. Dieses Fragment jedoch erlaubt die Vermutung, daß Kafka zu jener Zeit China schon gut gekannt haben mag, zumindest in Hinblick auf den Drachenkult. Bei diesem Fragment Kafkas handelt es sich möglicherweise um das Ergebnis eines dichterischen Experiments, einen Versuch Kafkas,

Vgl. die Einleitung der vorliegenden Arbeit.

200

neue und überzeugende Figuren zu erfinden, wie Fingerhut vermutet.10 Pu Songlings Drache dagegen ist eine komplette, traditionelle Geschichte mit einer in sich abgeschlossenen Handlung. Die ähnlichen Tierfiguren lassen also nicht auf ähnliche Gemütslagen bei der literarischen Tätigkeit der beiden Dichter schließen. An diese Drachen-Figur Pu Songlings erinnert auch das Pferd, das Kafka am 22.1.1918 entwirft. Zu jener Zeit hatte Kafka begonnen, sich mit China intensiv auseinanderzusetzen." Staunend sahen wir das große Pferd. Es durchbrach das Dach unserer Stube. Der bewölkte Himmel zog sich schwach entlang des gewaltigen Umrisses und rauschend flog die Mähne im Wind. (Hz. 103)

Wie der riesige Drache bei Pu Songling mit einem Kopf wie ein Faß und einem klafterbreiten Leib, ist auch das Pferd bei Kafka groß. Verursacht Pu Songlings Drache beim Auffliegen »eine(n) schreckliche(n) Donnerschlag« (LZZY.M.141), durchbricht Kafkas Pferd das Dach, was ebenfalls Lärm macht; wie der Drache »in die Lüfte« fliegt (LZZY.M.141), so fliegt das Pferd in den Himmel. Was die beiden Tierfiguren verbindet, sind ihre kulturellen Konnotationen, die auf Überlieferungen beruhen. Der Drache ist in der chinesischen Vorstellungswelt das Wappentier des Kaisers wie der Phönix das der Kaiserin. Anders als der deutsche Drache ist der Drache im chinesischen Kulturraum »ein wohltätiges Tier, ein Wesen, das der Menschheit seine Gaben spendet.«12 Das Pferd gilt im vorchristlichen Abendland als ein heiliges Tier. Die Germanen vertrauten auf das Wissen des Pferdes um Zukünftiges. Sie benutzten es »in entscheidenden Fragen als untrügliches Orakel«. »Dabei handelt es sich aber keineswegs um magische Handlungen, sondern um die Ergründung des Willens ihrer Götter.«13 Die Germanen sahen also in Pferden ihre Vertrauten und die Mittler zwischen Mensch und Gott, ein heiliges Tier, dem man seinen Willen mitteilen sollte.14 Die frühe Heiligenlegende bewahrt die ursprüngli10 11 12 13 14

Fingerhut, a.a.O., S. 123. Vgl. Men Weiyan: Kafka und China, a.a.O., S.42. Karl Sälzle, a.a.O., 1965. S.263. Ebd., S.468. Tacitus schreibt in seiner »Germania«: »Eigentümlich ist aber diesem Volk, auch auf die Ahnungen und Warnungen von Pferden zu achten. In den den Göttern heiligen Hainen und Wäldern werden auf Kosten der Gemeinschaft weiße

201

che Anschauung, »daß das Pferd ein Vertrauter Gottes und somit auch dem Menschen ein getreuer Freund ist.«15 Hält man sich die archetypischen Bedeutungen von Drachen und Pferden vor Augen, (um Jungs Begriffe zu verwenden), so tritt die Ähnlichkeit von Kafkas Pferd und Pu Songlings Drachen noch deutlicher zutage.16 Nicht nur in Motiv, Darstellung und Stil, sondern auch in den zugrundeliegenden Bedeutungen der Tierfiguren ähneln sich die Prosastücke. Es ist interessant zu beobachten, daß Kafka anstelle eines chinesischen heiligen Tiers eine Tierfigur mit für den europäischen Raum ähnlichen Konnotationen darstellt. Diese Tatsache läßt vermuten, daß Kafka zu jener Zeit China gut gekannt haben muß. Auch Pu Songlings Der kleine Jagdhund und Kafkas Blumfeld, ein älterer Junggeselle weisen ähnliche Züge auf. Der Protagonist in Der kleine Jagdhund wird von Wanzen, Mücken und Flöhen gestört. Unerwartet erscheinen die winzigen Ritter mit Jagdhunden, sie töten alle Ungeziefer, befreien den Protagonisten vom Leiden. Die Ritter und der zurückgebliebene Jagdhund insbesondere bilden den Wunsch des Menschen ab und erfüllen ihn. Diese Funktion übernimmt auch der Papagei in Die Wege des Liebenden.17 In Kafkas Blumfeld, ein älterer Junggeselle erfüllt sich Blumfelds Wunsch nach Geselligkeit dadurch, Rosse gehalten, von keiner irdischen Arbeit berührt. Diese spannt man vor den heiligen Wagen, der Priester und der König oder das Oberhaupt einer Gemeinschaft begleiten sie und merken auf ihr Wiehern und Schnauben. Und kein anderes Vorzeichen findet größeren Glauben, nicht nur im einfachen Volk, sondern auch bei den Vornehmen und Priestern. Diese halten sich jedoch nur für die Diener der Gottheit, den Rossen aber schreiben sie Teilnahme an göttlichem Wissen zu.« zitiert nach Sälzle, a.a.O., S.469. 15

16

17

Ebd., S.473. Auch die »Vita S. Columbae« des irischen Abtes St. Kolumkille aus dem 6. Jahrhundert gibt Zeugnis davon. C. G. Jung vertritt ja die Ansicht, daß die Dichtung im kollektiven Unbewußten ihre Wurzel findet. Die eigentlichen Bedeutungen eines Motivs sind eine überpersönliche Ebene, die über das Individuum erhoben, seinem Bewußtsein entzogen ist. Diese Bedeutungen sind festgelegt. Daher wird es als Archetyp bezeichnet. Der Künstler ist »Seher«, der die im Unbewußten verankerten Inhalte ans Tageslicht bringt. Vgl. C. G. Jung: Über den Begriff des kollektiven Unbewußten. In: Gesammelte Werke. Bd. 9/1 Ölten 1976 (1936). Nach Jung soll ein Kunstwerk einerseits von der Persönlichkeit des Künstlers befreit sein, andererseits aber soll der Künstler einen Archetyp so beleben und ausgestalten, bis er zu einem manifesten Werk wird. Vgl. Ralph Langner (Hrsg.): Psychologie der Literatur. Weinheim und München 1986, S.65. Vgl.(LZZY.M. 59-68.)

202

daß zwei kleine Zelluloidbälle auftauchen. Diese Bälle beschäftigen ihn, befreien ihn von seiner Verlassenheit, obwohl sie ihm lästig werden. Sie lassen sich deuten als kleine Tiere, wie Fingerhut richtig beobachtet.18 Außerdem unterstreichen weitere Textstellen die Ähnlichkeit dieser Texte: Der zurückgebliebene Jagdhund wird vom Protagonisten »in seinen Tuschkasten« (LZZY.B.139) gesetzt, die beiden lästig gewordenen Bälle von Blumfeld in seinen Kasten eingesperrt (Br.273). Einige parallele Stellen zwischen Der kleine Jagdhund und Ein altes Blatt fallen auf. Die Erscheinungsweise der Ritter und der Nomaden sind »plötzlich« und »unbegreiflich« : Da kamen plötzlich zwei kleine Ritter mit Federbüschen auf den Helmen. (LZZY.B.138) Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen. (E.155)

Die Erscheinung der winzigen Ritter wird als selbstverständlich und natürlich beschrieben, kein Staunen ist wahrzunehmen. Das ist erklärbar durch die taoistische Lehre, daß alles das Recht hat, auf der Welt zu existieren, und daß man daher nichts vorziehen oder benachteiligen soll. An dieser Textstelle erkennt man auch die individuelle Prägekraft Pu Songlings: Er läßt Dämonen, Tiere, Geister und seltsame Wesen erscheinen, stellt ein eigenartiges Universum dar. Darin liegt ein charakteristisches Merkmal der erzählenden Dichtung über wundersamen Begebenheiten, zu der Pu Songling gehört. Bei Kafka ist der Erzähler mit den Neuankömmlingen konfrontiert. Er weiß nicht, wie er mit ihnen umgehen soll. Begriffe wie »unbegreiflich« und »dringen« betonen das Rätselhafte, Mysteriöse und Gefährdete des Lebens. Ähnlich ist die Funktion der Pferde, auf denen die Ritter und die Nomaden reiten : Die Ritter ritten auf Pferden. An der Hand trugen sie Fausthandschuhe und hielten Jagdfalken. (LZZY.B.138) 18

Fingerhut ist der Auffassung, »daß für Kafka die Grenze zwischen Ding und Tier fließend geworden ist, so daß man etwa die Bälle Blumfelds durchaus noch als >Tier< bezeichnen kann. Nicht nur ihr Verhalten erinnert an ein Lebewesen, sie sind auch die (...) Erfüllung des Wunsches nach einem tierischen Begleiter.« a.a.O., S. 119.

203

Die Nomaden sind mit Schwertern und Pfeilen bewaffnet. Sie sind auf Pferden gekommen. (E.155)

In den beiden Geschichten ist von Wild und Fleisch die Rede. Im Augenblick kamen auch die Berittenen alle herbei, stiegen von den Pferden und brachten ihm das Geflügel und Wild dar. (LZZY.M.139) Oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an seinem Ende. (E. 156)

Aus der Textstelle Pu Songlings liest man ein friedliches und harmonisches Leben heraus. Das Mahl drückt freundschaftliche Nähe aus, wohingegen es bei Kafka Barbarei demonstriert. Die Nomaden sind wie Tiere, die friedlichen Pferde sind hier Fleischfresser. Über die Bedeutungen der Tierfiguren hinaus ist die Figur von Kaiser bzw. König den beiden Erzählungen gemeinsam. Kurz darauf kam ein gelb gekleideter Mann mit einer Krone wie ein König, stieg auf ein leerstehendes Bett und ließ sich dort nieder. Im Augenblick kamen auch die Berittenen herbei; ( . . . ) Dann sammelten sie sich in dichten Scharen zu seiner Seite ( . . . ) (LZZY.M. 139) Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in diese äußeren Gemächer, immer nur lebt er in dem innersten Garten; diesmal aber stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloß. (E.157)

Die Textstelle bei Pu Songling berichtet von einer Reihe von Akten. Es wird ein Akt nach dem anderen vollzogen, woraus sich ein schneller Erzählrhythmus ergibt. Der Stil ist sachlich. Es läßt keine Zweifel an dem Berichteten zu. Bei Kafka ist der Sachverhalt unsicher. Der Erzähler ist sich seiner Erkenntnis nicht gewiß. Er kann sich auf seine Wahrnehmung nicht verlassen. Im Unterschied zu Pu Songlings Textstelle ist das Geschehen bei Kafka statisch.19 In den beiden Geschichten ist von Sprache die Rede. Die Berittenen redeten in einer fremden Sprache mit dem König. (LZZY.M.139) Sprechen kann man mit den Nomaden nicht, unsere Sprache kennen sie j a nicht, j a sie haben kaum eine eigene. Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen. Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen. (E.156)

Die Berittenen sind Menschen, denn die Fremdsprache, die sie sprechen, ist immer eine menschliche Sprache, wohingegen die Nomaden 19

Vgl. Kapitel 1.3.5 der vorliegenden Arbeit.

204

an Tiere erinnern, da ihnen eine menschliche Sprache abgesprochen wird. Die obige Untersuchung hat die Vermutung bestärkt, daß Kafkas Tierdarstellungen von Pu Songlings Tiergeschichten beeinflußt sind. Aber diese möglichen Einflüsse scheinen sehr eingeschränkt zu sein: Kafka hat wohl einige Motive und Elemente aus Pu Songlings Tiergeschichten übernommen, um sie auf eigentümliche Weise zu anderen Zwecken zu verwenden. D.h., er hat sich diese Motive und Elemente angeeignet und sie in senien Individualstil eingearbeitet. Der von Hartmut Binder, Jost Schillemeit und Jürgen Born formulierte literaturwissenschaftliche Allgemeinplatz, daß Kafka von verschiedenen Dichtern gelernt und dadurch seinen eigenen Stil entwickelt hat, bestätigt sich hier erneut aus der konkreten Analyse.20

6.3 Chronologische Entwicklung in Kafkas Tierdarstellungen Die chronologische Entwicklung der Tierdarstellungen Kafkas belegt die obige These. Der Maikäfer in den 1907 entstandenen Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande bildet die erste Tierfigur in Kafkas literarischem Werk überhaupt. Zu jener Zeit waren Bubers Chinesische Geister- und Liebesgeschichten und Wilhelms Chinesische Volksmärchen noch nicht entstanden. Somit wäre Pu Songlings Einfluß auf diese Tierfigur undenkbar. Diese Tierfigur ist dann in der 1912 geschaffene Erzählung Die Verwandlung wieder aufgenommen und weiterentwickelt worden. Dem Zusammenhang, in dem diese beiden Käfer stehen, ist durchaus Beachtung geschenkt worden.21 Die ausführliche und realistische Darstellung des Aussehens des Käfers nimmt in der Verwandlung einen herausragenden Stellenwert ein. Die drastische Wirkung der Geschichte beruht auf der objektiven Wirklichkeit des Insekts. Wie sehr Gregor Samsa auch versucht, seine körperliche Metamorphose zu verwischen und zu ignorieren, es gelingt ihm nicht, seinen in den Käfer verwandelten Körper zu ignorieren. Die Einzelteile der Tierfigur wie Rücken, Beinchen, Stimme usw. 20

21

Auf diese Tatsache haben H. Binder und Jost Schillemeit den Verfasser im Gespräch und Brief ausdrücklich hingewiesen. Vgl. dazu auch Jürgen Borns Nachbemerkung zu »Kafkas Bibliothek«, a.a.O., S.226. Vgl. Emrich: Franz Kafka. A.a.O., S. 118.

205

belegen die Tatsache der Verwandlung. Erst ihre realistische und detaillierte Beschreibung macht die unglaubliche und unwahrscheinliche Tatsache unabweislich. Dieses charakteristische Stilmerkmal ist in der Verwandlung sehr ausgeprägt, wird aber in den weiteren Werken Kafkas schrittweise zurückgenommen, wie unten zu zeigen ist. In Der Jäger Gracchus (1916) werden die Tierfiguren - die Tauben - nur oberflächlich erwähnt. Ihr Aussehen und ihre instinktmäßigen Bewegungen finden nur eine karge Beschreibung. Ein Taubenschwarm, der bisher den Glockenturm umflogen hatte, ließ sich jetzt vor dem Hause nieder. Als werde ihre Nahrung aufbewahrt, sammelten sich die Tauben vor dem Tor. Eine flog bis zum ersten Stock auf und pickte an die Fensterscheibe. (Br.100) Es war wirklich eine Taube, aber groß wie ein Hahn. Sie flog zu meinem Ohr und sagte: »Morgen kommt der tote Jäger Gracchus, empfange ihn im Namen der Stadt.« (Br.102)

Im Vergleich zum Insekt in der Verwandlung sind die Tauben hier nicht identisch mit einem Menschen, sondern symbolisieren lediglich den Wunsch des Protagonisten, in der Stadt empfangen zu werden. Sie bilden nicht das inhaltliche oder ästhetische Zentrum der Geschichte, sondern könnten durch andere Tiere ersetzt werden. D.h., zwischen den Eigenschaften der ausgewählten Tierfigur und dem Gehalt der Erzählung gibt es keine kausale Beziehung. Die Taube ist auch keine realistisch dargestellte Tierfigur wie das Insekt in Die Verwandlung. Sie ist eher Symbolfigur. Die Tendenz, daß Kafkas Tierfiguren sich von detailliert dargestellten Figuren zu karg beschriebenen entwickeln, wird in der Erzählung Schakale und Araber (1917), die ein Jahr später entstand, weiter geführt. Einerseits ist die Sprachfähigkeit der Tierfiguren wesentlich höher. Die Schakale kommen als Gesprächspartner des IchErzählers vor. Sie können nicht nur ihren Haß gegen die Araber ausdrücken, sondern sogar versuchen, den Erzähler zum Töten der Araber zu überreden. Andererseits sind Aussehen und Benehmen der Schakale so beschrieben, daß sie den Schakalen in der realen Welt kaum ähneln. Als sie auf den Haß zu sprechen kommen, atmen alle Schakale »noch schneller, mit gehetzten Lungen, trotzdem sie doch stillestanden; ein bitterer, zeitweilig nur mit zusammengeklemmten Zähnen erträglicher Geruch entströmte den offenen Mäulern« (E.161).

206

Und alle Schakale ringsum, kommen waren, senkten die mit den Pfoten; es war, als schrecklich war, daß ich am entflohen wäre. (E.162)

zu denen inzwischen noch viele von fernher geKöpfe zwischen die Vorderbeine und putzten sie wollten sie einen Widerwillen verbergen, der so liebsten mit einem hohen Sprung aus ihrem Kreis

Im Vergleich zu der Taube in Der Jäger Gracchus sind die Schakale noch weniger nach realistischen Kriterien dargestellt. Die den Tieren verliehene Sprachfähigkeit ist ein wichtiges Moment in einem Prozeß, der die Tierfiguren immer mehr zu Symbolfiguren werden läßt. Zunehmende Sprachkompetenz bedeutet daher wachsende Symbolkompetenz. Dies wird auch deutlich in Der neue Advokat (2/1917) und Ein Bericht für eine Akademie (4/1917): Die Merkmale eines Pferdes an Bucephalus sind fast bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Erst als er die Treppe emporsteigt, erkennt man etwas Pferdeartiges. Ansonsten ist er ein Advokat, der am Tisch Gesetzbücher studiert. Wie Bucephalus hat Rotpeter in Ein Bericht für eine Akademie an Tierischem verloren. Sein Affentum gehört weitgehend der Vergangenheit an, seine Sprachfahigkeit ist hoch entwickelt. Dagegen treten seine animalischen Merkmale zurück; das Tierische fungiert lediglich als Bezugspunkt und offenes Gerüst der Erzählung. In der 1917 geschriebenen Erzählung Ein Landarzt geht Kafka noch weiter. Die Pferde haben sogar mythische Kräfte. Ein Zauber regiert sie, ihre Schnelligkeit Uberwiegt menschliche Vorstellungskraft. Sie erscheinen unwirklich und fremdartig, als sie hintereinander aus dem Türloch schieben, »die Beine eng am Leib, die wohlgeformten Köpfe wie Kamele senkend, nur durch die Kraft der Wendungen ihres Rumpfes aus dem Türloch, das sie restlos ausfüllten.« (E.147) Im Vergleich zu Käfer, Tauben und Schakalen sind die Pferde hier noch weniger realistisch gezeichnet. Sie erscheinen kaum als Pferde, sondern als Symbole des Fremdartigen und Überirdischen. Ähnlich erscheinen die Pferde auch in Ein altes Blatt (3/1917). Sie fressen Fleisch wie die Nomaden. Sie konstatieren die tierischen Begierden der Nomaden in ihrer Sphäre. Als Fleischfresser haben sie alles Pferdehafte verloren, sind sie unrealistisch dargestellt. Ihre narrative Funktion ist es, ein allgemeines Phänomen - das Tierische im Menschen - symbolhaft verschoben zu akzentuieren. Kafkas Tierfiguren entwickeln sukzessive neue Funktionen als Sinnträger. Realistische animalische Züge nehmen immer mehr ab, mythische, überirdische und menschliche Merkmale nehmen stetig zu. 207

Die Tierfiguren fungieren in immer stärkerem Maße als Gesprächspartner, Berichterstatter und Erzähler. Ihr Bedeutungsfeld wächst mit der Zunahme ihrer Sprachkompetenz. Die Taube in Der Jäger Gracchus spricht nur einen kurzen und einfachen Satz aus. Die Schakale in Schakale und Araber können schon komplizierte Gedanken äußern und mit Menschen Gedanken austauschen. Rotpeter wird dann sogar zum Berichterstatter erhoben. Andere Erzählungen bestätigen diese Beobachtung. Der Mischling in Eine Kreuzung (4/1917) ist kaum noch als Tier zu bezeichnen, da von seinem tierischen Aussehen gar nicht mehr die Rede ist und seine Erscheinung mit dem Gehalt der Geschichte nahezu identisch ist. Er ist weder Katze noch Lamm, sondern ein Hybride, ein seltsamer Mischling, der unter der eigenen Existenz leidet. Er wird weder von Menschen noch von Lämmern noch von Katzen akzeptiert. Auch von dem Züchter wird er nicht verstanden. Der Mischling ist eine von allen Seiten unverstandene Existenz, die Inkarnation der Isolation. Im Vergleich zu den Tierfiguren in den früheren Werken Kafkas ist der Mischling noch enger mit dem Inhalt der Erzählung verknüpft. In der Kleinen Fabel (12/1920) erscheinen Maus und Katze als Gesprächspartner. Die Maus äußert eine Weltansicht, die aber mit ihrer Identität als Maus nichts zu tun hat: Daß die Welt mit jedem Tag enger wird und daß man sich in eine Falle gedrängt sieht, könnte auch durch ein anderes Tier empfunden und ausgesprochen werden. Das Gleiche gilt auch für die Katze. Ihre Reaktion: »Du mußt nur die Laufrichtung ändern« (Br.119) gilt zwar der Maus, ist aber nicht im Interesse der Maus artikuliert, sondern vielmehr eine ironische und nachträgliche Feststellung. In dieser Geschichte findet man auch keine Eigenschaften der Katze. Die Maus und die Katze sind Sprachrohr für eine Weltansicht, sie sind Sinnbild für die Tatsache, daß man isoliert lebt und sich nicht verständigen kann. Bei ihnen sind die animalischen Merkmale weitgehend abgefallen. An ihre Stelle könnten Menschen oder andere Tierarten treten. Die Untersuchung hat ergeben, daß Kafkas Tierfiguren immer stärker von den realistischen Tierdarstellungen abweichen. Sie werden immer mehr zu Sinnträgern bestimmter Erscheinungen, Zustände und Eigenschaften. Erkennt man die Tierfiguren in den früheren Werken Kafkas an ihrem Aussehen, wie den Käfer, die Tauben, die Schakale 208

und Pferde, so werden in den späteren Werken die äußerlichen Kennzeichen immer undeutlicher und karger. Der Affe, die Katze, die Maus, der Geier usw. sind nur deswegen als solche zu erkennen, weil der Erzähler sie so bezeichnet. Diese Entwicklungstendenz erreicht in den letzten Werken Kafkas ihren Höhepunkt. Der Riesenmaulwurf in der gleichnamigen Erzählung tritt nicht in Erscheinung. Es ist zwar von ihm die Rede, aber seine Existenz ist »nicht vollständig einwandfrei festgestellt« (Br.228). Das Tier ist bloß eine unfaßbare Erscheinung, über die disputiert wird. In den Forschungen eines Hundes (7/1922), in Der Bau (11/12/1923) und Josefine die Sängerin (3/1924) sind die Tiere dadurch reine Sinnträger geworden, daß sie als Erzähler in der »Ich«Form vorkommen und die menschliche Sprache beherrschen. Sie beobachten, berichten, analysieren und agieren wie Menschen. Ihre animalischen Kennzeichen werden zurückgehalten. Sie erinnern darin stark an Pu Songlings Tierfiguren, die ebenso vom Erzähler als bestimmte Tiere bezeichnet werden, ohne entsprechende Kennzeichen und Eigenschaften aufzuweisen. Die Ähnlichkeit zu Pu Songling umfaßt nicht nur isolierte Motive, sondern betrifft eine ganze Bauform des Erzählens.

6.4 Keine chronologische Entwicklung in Pu Songlings Tierdarstellungen Es ist durch chronologische Untersuchungen festgestellt worden, daß die sämtlichen Erzählungen von Liaozhai zhiyi aus der Zeitspanne zwischen 1644 und 1707 stammen.22 Dieser beträchtliche Zeitraum von gut sechzig Jahren, von dem die Liaozhai z/iiyi-Erzählungen stammen, erleichtert es, eventuelle chronologische Entwicklungen in Pu Songlings Werk festzulegen. Allerdings ist die Reihenfolge der Abfassung dieser Erzählungen nicht sicher zu bestimmen, da das Werk lange nur als Handschrift zirkulierte, bis Pu Songlings Enkel 1740 das Buch herausgab. Die überprüfte und kritische Ausgabe von Zhang Youhe von 1963 gilt zwar als die beste, aber die chronologi-

22

Vgl. Wolfram Eberhard: Die chinesische Novelle des 17-19. Jahrhunderts. Ascona 1948. S.21-23.

209

sehe Folge der Erzählungen ist auch hier nicht endgültig festgelegt.23 So können wir uns nur an der Reihenfolge orientieren, wie sie die zwölfbändige Zhu Xue Zhai-Ausgabe vornimmt.24 Es soll immer darauf geachtet werden, daß die Erzählungen in verschiedenen Bänden zeitlich z.T. Jahrzehnte auseinander liegen. Gewisse Motive und Elemente in Pu Songlings Werk kehren immer wieder. Ying Ning gehört zum frühen Werk Pu Songlings. Sie ist in den zweiten Band aufgenommen. Die Erzählung Bai Qiulian, die vom Thema und Motiv her Ying Ning nahe steht, gehört jedoch zum späteren Œuvre Pu Songlings: Sie wurde in den elften Band aufgenommen. Die beiden Erzählungen schildern einen in sich geschlossenen menschlichen Charakter, wobei das Tierische der betreffenden Figuren vom Erzähler nur nebenbei und sparsam erwähnt wird. Auch in ihren Fabeln ähneln sich die beiden Erzählungen: Das Fuchsmädchen erscheint ebenso wie das Fischmädchen zunächst als Mensch, kommt mit einem jungen Mann in Berührung, entdeckt dann ihre Liebe zu ihm.25 Das Motiv, daß Tierfiguren dem Menschen übernatürliche Kräfte verleihen und ihn zu einem Wunschziel bringen, findet man schon in der früheren Erzählung Die Wege des Liebenden, die in den Band 2 gehört. Dieses Motiv kehrt in der späteren Erzählung Die Krähen wieder, die in den Band 11 aufgenommen wurde. In beiden Geschichten geht es darum, daß die Liebenden sich ihre Wünsche erfüllen, indem sie sich in Vögel verwandeln und als solche zu ihren Geliebten kommen. Auch hier ähneln sich die Fabeln: Der Protagonist verliebt sich in ein Mädchen, überwindet mit Hilfe der Tierfiguren alle Schwierigkeiten, erfüllt sich schließlich seinen Wunsch, das Mädchen zu heiraten. Daß Tierfiguren es dem Menschen ermöglichen, Rache an seinen Feinden zu nehmen, zeigen die Erzählungen Xiang Gao und Miao 23

24

25

Vgl. Zhang Pehengs Einleitung zu dieser Ausgabe, in: Zhang Youhe (Hrsg.): Liao Zhai Zhi I. Bd. 1. Schanghai 1963, S. 1-19. Das ist bisher immer noch nicht festgestellt worden. Vgl. Ma Refang: Zu der neuen Ausgabe von Liaozhai zhiyi. A.a.O., S.2. Die Zhang Youhe-Ausgabe von 1962 sowie die neueste, von Zhu Qikan herausgegebene Ausgabe übernimmt die Reihenfolge, wie sie die Zhu Xue Zhai-Ausgabe vornimmt. Vgl. die Untersuchung dieser Erzählungen im Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit.

210

Sheng. Auch im Aufbau ähneln sich Miao Sheng und Xiang Gao, da sie den Dreischritt von Beginn, Entwicklung und Ende analog konstruieren. Dabei ist zu beachten, daß Xiang Gao zu dem Band 6 und Miao Sheng zum Band 12 gehört. Diese Erzählungen stammen also aus verschiedenen Jahrzehnten. Die Tierparabel »Der Schlangenzüchter« gehört zu Band 1, Der treue Hund zu Band 9. Diese beiden Parabeln liegen zwar zeitlich weit auseinander, aber ihr Motiv, Aufbau und Gehalt sind nahezu identisch. Eine weitere Tierparabel Die treue Maus (Band 2) ist ähnlich konzipiert. Bemerkenswert ist die Parabel Der treue Hund, die in Band 5 aufgenommen wurde: Sie trägt nicht nur den gleichen Titel wie eine Parabel im Band 9, sondern sie gleicht ihr auch in Hinblick auf Aufbau, Aussage und Motiv.26 Die Tierparabeln über die Vorliebe und Sucht des Menschen variieren ebenfalls: Die Sucht nach Schlangen (Band 1) und Der Weinwurm (Band 5) stammen aus verschiedener Zeit, unterscheiden sich aber nicht wesentlich, wenn man ihr Motiv, ihre Struktur und ihre Aussage vergleicht.27 Dasselbe gilt auch für die Erzählungen Die Schwestern, aufgenommen in Band 7, und Die Füchsin, aufgenommen in Band 2. Das Motiv des Doppelgängers verbindet diese zeitlich weit auseinanderliegenden Erzählungen. In Pu Songlings Tierdarstellung lassen sich keine (zumindest keine eindeutigen) chronologischen Entwicklungen feststellen. Gewisse Tiermotive und Tierelemente, die seinen Stil ausmachen, kehren immer wieder. Dieser Tatbestand erklärt sich u.a. daraus, daß Pu Songling die Materialien für Liaozhai zhiyi vorwiegend von seinen Freunden und Bekannten bekam. Er ließ sich überlieferte Tiergeschichten aufschreiben. Daraus entwickelte er seine Liaozhai z/iry/-Geschichten. Diese Art und Weise zu schreiben machte ihn in gewissem Maß von den Materialien abhängig. Er war also mehr bemüht, ein geliefertes Tiermotiv stilistisch zu überarbeiten und narrativ umzugestalten, als aus sich heraus neue Tiergeschichten zu erfinden. Diese Arbeitsweise erleichterte Pu Songling, ein breites Spektrum von Tierelementen und -motiven aufzunehmen; sein persönlicher Stil zeichnet sich eher durch formale Geschlossenheit als durch stoffliche Innovation aus.

26 27

Vgl. oben, Kapitel 4.1.2 und 4.1.3. Vgl. oben, Kapitel 4.1.8 und 4.1.9.

211

6.5 Resümee Aufgrund der obigen Untersuchung können wir zusammenfassen: Kafka hat von Pu Songlings Tiergeschichten nicht nur einzelne Elemente, sondern auch eine ganze Bauform des Erzählens übernommen - Tiere zu reinen Sinnträgern zu reduzieren, um damit Menschen und menschliche Probleme zu behandeln. Kafka hat sich diese Bauform des Erzählens und die einzelnen Elemente Pu Songlings angeeignet und in seinen Stil integriert. Die von H. Binder zusammengestellte Liste derer, denen Kafka in den Erzählstoffen als Vorgängern verpflichtet ist, muß erweitert werden.28 Aber inwiefern Kafkas Geständnis »Im Grunde bin ich ja Chinese« (Bf.657) für seine Tierdarstellung zutrifft, bedarf einer spezifischen Untersuchung, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.

28

Vgl. Hartmut Binder: Motiv und Gestaltung bei Franz Kafka. Bonn 1966.

212

KAPITEL 7

Literarhistorische Einbettung der Tiergeschichten von Pu Songling und Kafka

Die Tierfiguren bei Pu Songling und Kafka erwiesen sich im Laufe der Untersuchung als ein literarisches Medium, um Menschen zu schildern, Welt zu deuten und dabei traditionelle, aber auch ungewöhnliche erzählerische Kunstgriffe zu nutzen. An ihrer Gestaltung haben wir sowohl unterschiedliche Menschenbilder und Weltsichten als auch verschiedene künstlerische Traditionen ermitteln können. Die Tierfiguren in Pu Songlings Werken wie Füchsin, Tiger, Fisch, Wasserreh, Biene usw. haben vor allem die Funktion, menschliche Eigenschaften zu verkörpern und Menschenfiguren zu charakterisieren. Tiergestalten ermöglichen es Pu Songling, empirische Erfahrungen zu überschreiten und menschliche Eigenschaften übertreibend zu schildern. Animalische Merkmale dieser Figuren lassen sich zwar erkennen, bleiben aber im Hintergrund. Die besondere Natur eines Tieres wird dem menschlichen Charakter zugeordnet. Zärtlichkeit und Geschicklichkeit z.B. werden durch ein Reh hervorgehoben, die Musikbegabung des Mädchens mit dem grünen Kleid durch eine Biene. Dadurch wird Wirkliches und Übernatürliches in der künstlerischen Imagination verbunden. Menschliche Eigenschaften werden auf die Tierfiguren transponiert und dadurch dem »Alltäglich-Zufälligen« enthoben. Durch Tierfiguren Menschen bzw. menschliche Eigenschaften zu charakterisieren, das ist für die klassische Tierdarstellung in China neu. Ein Blick in die Erzählungen über die wundersamen Begebenheiten aus der Liu-Chao Zeit (Sechs-Dynastien) (222-589) und die Novellen der Tang-Zeit (618-907) verdeutlicht diese Eigentümlichkeit der Tierdarstellung bei Pu Songling. Die Tierfiguren in den Erzählungen der Liu-Chao Zeit sind weit von Eindrücken unserer Wirklichkeit entfernt, sie suggerieren daher Unbegreifliches und Unheimliches; die Tiere dienen als Träger 213

religiöser oder abergläubischer Vorstellungen, als Vorzeichen für das Schicksal eines Menschen. Sie werden meist bloß genannt, weder ihr Inneres noch ihr Äußeres wird ausführlich geschildert. Das gilt für Soushen ji, Leyi zhuan, Shiyiji usw. Zwei Erzählungen aus Soushen ji verdeutlichen dies: Eines Tages wurde ein Kranich von einem Jäger verletzt. Das Tier floh zu Hui Seng. Hui Seng nahm sich des Tieres an und behandelte seine Wunde. Er setzte den Kranich frei, als er wieder geheilt war. Später kam der Kranich zu Hui Seng zu Besuch. Hui Seng hielt eine Kerze, öffnete dem Besuch die Tür, fand erstaunt nun, daß der Kranich mit seinem Weibchen davor stand. Jedes Tier hielt eine leuchtende Perle im Schnabel als Lohn für Hui Sengs gute Tat.' Der FluB an der Stadt Gu Sao trat einmal über die Ufer, so daß alle Straßen überflutet wurden. Als das Wasser wieder zurückging, fand man am Hafen einen riesigen Fisch, der über zehn tausend Pfund wog. Nach drei Tagen starb der Fisch. Alle Bewohner der Stadt außer einer alten Frau aßen davon. Plötzlich kam ein alter Mann herbei. Er sagte zu der alten Frau: »Der Fisch war mein Sohn. Er ist so verunglückt. Dafür, daß Sie nichts von ihm gegessen haben, werde ich Sie belohnen. Wenn die Statue der Schildkröte am östlichen Stadttor rote Augen bekommt, wird die Stadt zusammenfallen.« Die alte Frau begab sich zum östlichen Stadttor, um sich die Statue anzusehen. Ein Kind wunderte sich darüber und fragte, warum sie dies tat. Als die Frau es dem Kind erzählt hatte, wollte es der Alten einen Streich spielen, indem es rote Farben in die Augen der Schildkröte tat. Beim Anblick dieser Augen eilte die alte Frau aus der Stadt. Ein anderes Kind im grünem Kleid kam auf sie zu und stellte sich als Drachensohn vor. Es führte die Frau auf einen Hügel, da versank die Stadt zusammenbrechend in einen See. 2

Die Tierfiguren verkörpern hier deutlich die buddhistische Idee des Karmas. Sie verbinden sich mit Geistern und Monstern, deuten Schicksale des Menschen voraus und sind daher seltsam und unheimlich. Diese Funktionen der Tierfiguren hängen damit zusammen, daß das damalige Leben durch Kriege und Naturkatastrophen sehr gefährdet war und deswegen als sehr rätselhaft und unbegreiflich erschien. Man zeichnete die Figuren von Geistern und Monstern auf, die im Volksaberglauben existieren, um das eigene Schicksal deuten zu können. In den Novellen der Tang-Zeit, in die der Anfang des Romanschaffens in der chinesischen Literaturgeschichte fällt, werden Tierfi-

1

2

Wang Shaoyong (Hrsg.): Soushen ji. Peking 1979, S.238. Die Geschichte ist vom Verfasser vom Chinesichen ins Deutsche übersetzt. Ebd., S.239.

214

guren weit ausführlicher dargestellt. »Unlike the early CK3 however, T'ang tales are narratives produced by literary conventions: they are works that follow their own rules of operation, (they) are not merely transcriptions of facts.«4 Die Tiere in den Tang-Novellen sind nicht mehr bloß Sinnträger für bestimmte religiöse Ideen, sondern auch imaginäre Figuren an sich, ihr Äußeres und Inneres wird detailliert und lebensecht beschrieben. Zwar tragen sie noch wundersame Züge, aber sie besitzen schon die Fähigkeit, mit Menschen Kontakt aufzunehmen und Gedanken auszutauschen. Sie spiegeln schon, wenn auch in begrenztem Ausmaß, das alltägliche Leben wider. Die Novelle Pujiang zong poyuan zhuan z.B. handelt von einem Affen, der die Frau eines Offiziers raubt und schwängert. Zwar gelingt es dem Offzier, seine Frau wiederzufinden, aber er wird bald danach getötet. Sein Sohn mit affenartigem Aussehen aber bleibt am Leben und macht sich später einen Namen als Literat und Kalligraph.5 An den Tierfiguren kann man die Unterschiede zwischen der Literatur in Liu-Chao und der in der Tang-Dynastie aufzeigen: Der erste Text zeichnet einfach und schlicht Begebenheiten auf, er ist noch nicht auf künstlerische Details bedacht, weist noch wenig fiktionale Elemente auf, wohingegen die Tang-Novelle in großem Ausmaß auf die Details, auf eine lebensechte Darstellung bedacht ist und dabei mehr der Imagination des Autors als der historischen Begebenheit Raum gibt.6 The Six Dynasties writers presented their materials as given or found, and except for a few cases, there was a lack of self-consciousness in the process of presentation. For Tang writers, matters of presentation in general came to occupy the forefront of their consideration. 7

Die erste Novelle handelt hauptsächlich von Geistern und Gespenstern, Heiligen und Menschen, wohingegen die Novelle der Tang-Zeit direkt das menschliche Leben behandelt; die früheren Texte sind bloße 3

4 5 6

7

CK ist Abkürzung für Zhiguai: Aufzeichnung des Übernatürlich-Wunderbaren. Vgl. Einleitung, Anm. 37. Karl Kao, a.a.O., S.40. Man nahm an, daß diese Novelle den Literaten Ouyang Xun verhöhnt. Zhu Xiuxia ist der Auffassung, daß der Inhalt einer Tang-Novelle 30% aus historischen Begebenheiten, 70% aus der Phantasie des Autors besteht. Vgl. Zhu Xiuxia: Tangdai chuanqi yanjiu (Untersuchung der Tang-Novellen). Taipei o.J. S.8. Karl Kao, a.a.O., S.23.

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Aufzeichnung ohne eingehende Beschreibung, ihre Handlung ist einfach, oft rudimentär, dagegen ist die Novelle der Tang-Zeit eine in sich geschlossene Geschichte mit komplizierter Handlung und wirklichkeitsnaher Detailschilderung.8 Die Tang-Novellen setzen sich zur Aufgabe, Menschenfiguren zu charakterisieren. Aber nur selten geschieht das durch Tierfiguren, sondern meistens durch denkwürdige und eigenartige menschliche Taten bzw. komplizierte und entfaltete Handlungen. Die Geschichten sind überwiegend auf den menschlichen Bereich beschränkt. Wenige Tierfiguren kommen auch als Menschen vor, ihr Tierisches wird stark in den Hintergrund gedrängt. D.h. in der Tang-Zeit hat der Mensch in der Literatur schon an Bedeutung gewonnen. Aber Mensch und Tier sind noch getrennt. Tiere sind kein wichtiges Mittel zur Charakterisierung des Menschen. Diese Verbindung von Tier und Mensch wird erst in Pu Songlings Tierdarstellung hergestellt. Seine Tierfiguren spiegeln nicht nur einen bestimmten Aspekt des menschlichen Lebens wider, sondern beschreiben den Menschen direkt. Dabei gibt sich Pu Songling auch mit den künstlerischen Eigenschaften der Tang-Novellen - ausführlicher

Zu diesen Unterschieden äußern sich mehrere Kritiker. Hong Mai aus der SongZeit bemerkt dazu: »Die Novellen der Tang-Dynastie darf man nicht ungelesen lassen. Eine kleine Begenheit wird gefühlvoll und berührend dargestellt.« Zitiert nach Zhang Youhe, in seiner Einleitung zu »Ausgewählte Novellen aus der Tang- und Song-Periode.« Hg. v. Zhang Youhe, Peking 1979, S.4. Das Zitat ist vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. Hu Yinglin aus der Ming-Zeit bemerkt: »Wundersame Geschichten stammen ursprünglich aus Liu-Chao. Aber solche Geschichten sind meistens nur Aufzeichnungen, sind nicht künstlerisch geschaffen. Erst die Novellen aus der Tang-Zeit sind in künstlerischer Absicht geschrieben. Die wundersamen Begebenheiten wurden durch Novellen dargestellt.« A.a.O., S.4. Lu Xun sagt dazu: »Wie das Gedicht fand die Novelle in der Tang-Zeit eine Änderung. Die Novellen jener Zeit haben zwar noch wundersame Begebenheiten zum Inhalt, aber das Erzählen ist kunstvoll, und die Sprache ist gut gewählt. Das ist im Vergleich zu den Erzählungen aus der Liuchao-Zeit ein eindeutiger Fortschritt. Noch eindeutiger aber ist das künstlerische Bewußtsein, die Novellen mit künstlerischen Mitteln zu schreiben.« A.a.O., S.4. Die Beziehungen und Unterschiede zwischen der Erzählung aus der LiuchaoZeit und der Novelle aus der Tang-Dynastie sind untersucht worden von Karl Kao, Kenneth J. Dewoskin, Zhu Xiuxia, Zhang Youhe, Feng Minghui, usw. Vgl. Karl Kao, a.a.O.; Kenneth J. Dewoskin, a.a.O.; Zhang Youhes Einleitung zu »Ausgewählte Novellen aus der Tang- und Song-Dynastie«. a.a.O.; Zhu Xiuxia a.a.O.; Feng Minghui: Tangdai chuanqi ticai yanjiu (Untersuchung der Motive der Tang-Novellen). Taipei o.J. S. 15.

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Detailschilderung und entfalteter Handlung - nicht zufrieden. Er übernimmt von der Literatur aus Liu-Chao das Tierisch-Wunderbare, verbindet es mit Menschlichem und gestaltet dadurch eine Reihe von Menschenfiguren, deren Eigenschaften übertrieben und daher einprägsamer geschildert sind. Das Besondere in Pu Songlings Tierdarstellung liegt inhaltlich darin, Menschen zum Hauptgegenstand zu nehmen, künstlerisch jedoch darin, das Tierisch-Übernatürliche einerseits und lebensnahe Detailschilderung und entfaltete Handlung andererseits konstruktiv zu verbinden. Eine ganze Reihe der hübschen und tugendhaften Mädchenfiguren wie Ying Ning, Hua Guzi, Bai Qiulian, Prinzessin Lotos usw., die auf diese Weise gestaltet sind, erinnern stark an die Mädchenfiguren in den Tang-Novellen wie in Li Wa zhuan, Renshi zhuan, Huo Xiaoyu zhuan usw. Allerdings unterscheiden sie sich von den Figuren in den Tang-Novellen durch ihre tierische Natur. In diesen Figuren Pu Songlings sind der Volksaberglaube an die Geister- und Monsterwelt9 und damit zusammenhängend das traditionelle Motiv von »jing« (animalische Geister) in die chinesischen Literatur eingegangen.10 Das Motiv des Fuches, der Füchsin bzw. Fuchsfee z.B., das in Liaozhai zhiyi oft zur Charakterisierung der Mädchenfiguren wie Ying Ning, der Heldin in Der Scherz einer Füchsin, Das Fuchsmädchen und Der Traum der Füchse usw. eingesetzt wird,11 findet man bereits in der Literatur der Liu-Chao Zeit wie in Soushen ji und Soushen houji; es entwickelt sich durch die Lyrik und Prosa der Tang- und Song-Zeit bis hin zur Literatur der Ming-Zeit.12 Pu Songling nimmt ein solches traditionelles Motiv zu Hilfe, um Menschenfiguren zu charakterisieren. In diesem Punkt gehen seine Mädchenfiguren über die der TangNovellen hinaus. 9 10

"

12

Vgl. Karl S.Y. Kao, a.a.O., S.8 und auch K. Dewoskin, a.a.O., 33-34. In China sowie in Asien gibt es eine lange Tradition der Idolisierung von Tieren jeglicher Art. Vgl. J. J. M. De Groot: The Religious System of China. Its Ancient Forms, Evolution, History and Present Aspect. Manners, customs and Social Institutions connected therewith. Bd. 4, Taipei 1969, S. 157ff. Plaks hat die Geister verschiedener Tiere in Xiyou ji zusammengestellt. Vgl. The Four Masterworks of the Ming Novel. S.217. Monschein stellt fest, daß 18% der Liaozhai z/uyi-Erzählungen Tiergeschichten sind und 9 von 15 Gruppen aller dieser Tiergeschichten mit Fuchs zu tun haben. A.a.O., S.264. Vgl. Monschein, a.a.O., bes. S.73,94 und 187.

217

An diesen Mädchenfiguren erkennt man eine Redundanz der Charaktereigenschaften. Dies steht in der Tradition des chinesischen Romanschaffens. Wir denken an Wu Song, Lu Zhishen und Li Kuei in Die Räuber auf dem Lianshang Moor, die sich hauptsächlich vom Aussehen und Namen her unterscheiden, vom Charakter her aber einen Menschentypen darstellen.13 Ähnliches findet sich auch in Xiyou ji,14 Jin Ping Mei, Die Gelehrten und Traum der roten Kammer usw. Pu Songling übernimmt also diese Tradition des umgangssprachlichen Romanschaffens und arbeitet sie nahtlos in sein Liaozhai zhiyi ein, präsentiert werden damit nicht nur gewisse Aspekte, sondern, um mit Plaks zu sprechen, die Totalität eines ganzen Systems.15 Das charakteristische Moment für Pu Songlings Tierdarstellung das Tierisch-Übernatürliche einerseits und lebensnahe Detailschilderung und entfaltete Handlung andererseits - ist oben auch am Grotesken aufgezeigt worden, etwa anhand der Geschichte Träume der Füchsinnen. Die Traumerlebnisse des Protagonisten zeigen hier den schelmischen und lebhaften Charakter der vier Fuchsmädchen. Das Tierische in den vier Fuchsmädchen weist auf einen Schwebezustand zwischen der Wirklichkeit und der Traum-Illusion hin, es ermöglicht somit, die übernatürlichen Züge als wirklich erscheinen zu lassen. Dieses künstlerische Verfahren findet man auch in der Erzählung Die Krähe. Durch das Tierisch-Wunderbare wird das Menschlich-Wirkliche umso glaubhafter gestaltet. Durch einen solchen Schwebezustand zwischen Tier und Mensch sowie zwischen Wirklichkeit und Traum/Illusionen gestaltet Pu Songling auch utopische Vorstellungen, wie in Die Prinzessin Lotos. Die Tierfiguren von Schlange und Biene halten die utopischen Traumerlebnisse des Protagonisten mit der Realität in einer gewissen Verbindung und stellen eine konkrete Parallele zwischen Leben und Traum her. Solche Phänomene finden sich bereits in den Novellen der Tang-Zeit, in Nange taishou zhuan und Zhengzhong ji, um nur einige Beispiele zu nennen.16 Pu Songlings Die Prinzessin Lotos ist ähnlich 13 14 15 16

Vgl. A. Plaks: Towards a Critical Theory of Chinese Narrative, S.346. Vgl. Plaks: The Four Masterworks of the Ming Novel, S.216-218. Plaks: Towards a Critical Theory of Chinese Narrative., S.350. In Zhengzhong ji (Magische Kopfkissen) handelt es sich um die glücklichen Traum-Erlebnisse von Lu, die sich am Ende als nichts herausstellen. In der anderen Novelle ist ebenso von den Traum-Erlebnissen eines Menschen die Rede. Das Königland der Ameisen, in dem der Mann alles Schöne erlebt hat, erweist

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strukturiert wie die beiden Novellen: Do Hsüns glückliche Erlebnisse am Könighof entpuppen sich am Ende als Illusion/Traum. Aber die erzählte Begebenheit ist nicht so enttäuschend. Anders als in den oben genannten Novellen wirken hier die Tierfiguren dahin, durch die Parallele zwischen Leben und Traum die Realisierbarkeit einer utopischen Vorstellung zu veranschaulichen. Die Tierfiguren in dieser Erzählung veranlassen den Protagonisten etwas zu tun, appellieren gleichzeitig an den Leser, für das eigene Leben Konkretes zu unternehmen, wie die letzte Episode zeigt: Dou Hsün tötet die Schlange und schützt die Bienen, so daß sie gedeihen. Das bildet einen scharfen Kontrast zu den Protagonisten in den beiden oben genannten TangNovellen, die von dem Bewußtsein der Nichtigkeit des Lebens erfüllt sind und und ziel- und tatenlos dahin leben.17 Eine der einflußreichsten Traumauffassungen in China besteht darin, Träume als Produkte der Gedanken und Emotionen des Tages anzusehen.18 In der Ming-Zeit wird dem Gefühl ein großes Gewicht beigemessen. Dementsprechend wird auch auf die sentimentale Dimension des Traums großen Wert gelegt. Literarisch finden Träume im Zusammenhang mit Emotionen wie Liebe, Trauer, Kummer, Ärger usw. eine vielfältige Darstellung. Du Liniang, Protagonistin in Päonienpavillon stirbt wegen einer Sehnsucht, die sich aus Träumen ergibt. Aus eben dieser Sehnsucht kommt sie wieder zum Leben zurück. Pu

17

18

sich als ein Ameisenbau unter einer Akazie. Die beiden Novellen sind taoistisch gefärbt: Das Glück des menschlichen Lebens ist in Wirlichkeit Nichts. Es ist eine Tradition der chinesischen Literatur seit der Tang-Zeit, mit TraumIllusionen die taoistisch-buddhistischen Ideen über das kurze und illusorische Menschenleben zu zeigen. Vgl. Karl Kao, a.a.O., S.15. Dazu bemerkt auch J. Zeitlin: »Since a central teaching of Chinese Buddhism and Daoism is that the whole world should be viewed als illusion, ist is not surprising that dream parables become important as a means to illustrate this point. In the archetypal chuangqi Governor of the Southern Branch and The Tale of the Pillow, dreaming itself becomes the instrument of enlightenment. Each hero lives out his life in the dream world; upon awakening, disillusioned, each one likewise withdraws from the world to become the monk.« Zeitlin, a.a.O., S. 169 »It was known that various emotions ... were directly anchored in the biologcal organism and could also influence it. Excessive anger, it was recognized, eventually led to liver damage; ... Conversely, this biological integration of emotions also meant that what initially is purely somantic effect ... can also cause psychic disoders.« Unschuld, Paul: Medicine in China, a History of Ideas. University of California 1985, S.216.

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Songlings Traumdarstellung steht in dieser Tradition. Sein Protagonist in A Bao verwandelt sich durch eine Traum-Illusion, die sich aus der Liebe ergibt. In Die Krähen erfüllt der Held seine Liebe ebenso durch eine Traum-Illusion, die aus der Liebe und Sehnsucht resultiert. Dabei verbinden die Tierfiguren die Traumerlebnisse mit dem realen Leben, so daß den Traum-Illusionen ein gewisser Eindruck der Wirklichkeit zufällt. Wünsche und Sehnsucht werden dadurch erfüllt, das Individuum setzt sich gegenüber aller rationalen Tradition durch. Das Neue an Dong Yues Xiyou bu gegenüber der taoistisch-buddhistisch bedingten Traumdarstellung, das Individuum sowie seine Sehnsucht nach Erfüllung durch Träume vordergründig darzustellen,19 wird von Pu Songling mit Hilfe des Tierischen weiter entwickelt. Die Folge ist, daß ein Moment der Erleichterung und Befriedigung des Lesers erzielt wird. Eine solche ästhetische Wirkung wird auch dadurch erzielt, daß Figuren eingesetzt werden, die über überirdische Fähigkeiten verfügen und scheinbar unerfüllbare Wünsche doch erfüllen. Sie symbolisieren Freundschaft und Gerechtigkeit, sie setzen sich gegen Mißstände durch. In der chinesischen Literatur bezeichnet man eine solche Figur als »Xia« (Wanderer mit Schwertern oder Schwerterman). Solcher Figur begegnet man zunächst in Shiji von Sima Qian (145-190?). In den Tang-Novellen ist die Darstellung von »Xia« ein zentrales Thema. Ein Exemplar dafür ist Du Guangtings Qiuran ke zhuan. Bei Pu Songling findet man auch noch solche »Xia«, die übernatürliche Kräfte besitzen und für die Gerechtigkeit eintreten. Jedoch basieren die übernatürlichen Kräfte auf Tierischem. Xiang Gao z.B. rächt sich erst dann an seinem Feind, als er sich in einen Tiger verwandelt hat; Miao Shen setzt sich auch nur durch das Tierische für die Gerechtigkeit durch. Die Verwandlungen von Menschen in Tiere oder umgekehrt sind in der chinesischen literarischen Tradition nicht neu. Für die wundersamen Erzählungen aus Liu-Chao ist es charakteristisch, daß Tierfiguren sich ständig verwandeln und verschiedene seltsame Gestalten annehmen. Sie zeigen eher die Unbegreifbarkeit des menschlichen Lebens als Angelegenheiten in der sozialen Wirklichkeit. Mit den Verwandlungsgeschichten der Tang-Zeit wie Renhu zhaun und Zhang

19

Karl Kao, a.a.O., S. 15.

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Feng aber stehen schon Menschen und soziale Wirklichkeit im Vordergrund.20 Diese beiden Novellen sind zwar Emanzipationen buddhistischer Vorstellungen - der Unterschied zwischen Tier und Menschen ist gering, und das Menschenleben steht wie alles andere unter dem Einfluß der Seelenwanderung - , diese Verwandlungsgeschichten aber sind denjenigen aus Liu-Chao in folgenden Punkten weit voraus: Die körperliche Verwandlung ist in eine in sich geschlossene Persönlichkeit integriert, die Tiere dienen zur Charakterisierung der Menschen und spiegeln soziale Wirklichkeit wider. Künstlerisch zeichnen sich diese Verwandlungsgeschichten dadurch aus, daß das literarische Motiv der Verwandlung dem traditionellen Geschmack gemäß mit Motiven aus Mythen und Legenden verbunden wird. Solche Transformationen und Kombinationen der Motive, die die erzählerische Struktur der Tang-Novellen mit bestimmen, geben dem Autor die Möglichkeit, sich mitzuteilen und die Aussage der Geschichten zu bekräftigen und zu erweitern.21 Diese Entwicklung der Metamorphosen-Darstellung von der rein religiösen Belehrung hin zur Widerspiegelung der sozialen Wirklichkeit, der Beschreibung eines einzelnen Motivs hin zur Transformation und Kombination verschiedener Motive setzt Pu Songling fort. Anders als seine Vorgänger in der klassischen Tierdarstellung, in welcher der Erzähler Distanz zwischen sich und dem Erzählten schafft, erzählt Pu Songling solche Verwandlungsgeschichten voller »Empörung«.22 Dabei bedient sich Pu Songling traditioneller Erzähltechniken wie »Er«-Perspektive, schnellen Erzähltempos, Akzentuierung der Handlung usw. Xiang Gaos Verwandlung in ein Tier z.B. zeigt direkt und in großem Ausmaß die soziale Wirklichkeit seiner Zeit - die Unterdrückung der

20

21 22

In der ersten Novelle handelt es sich um einen gut ausgebildeten Gelehrten, der in einer Nacht vom Wahnsinn überfallen wird und schnell herum läuft und sich dabei in einen Tiger verwandelt; in der letzteren geht es um einen Mann, der sich auf einer Wiese wälzt und sich dabei unerwartet in einen Tiger verwandelt. Glücklicherweise kann er sich - anders als der Mann in der ersten Geschichte zum Menschen zurückverwandeln. Vgl. Zhu Xiuxia, a.a.O., S.75-76. Vgl. Karl Kao, a.a.O., S . 4 2 ^ 3 . Es sei auf die Wichtigkeit dieser »Empörung« für Pu Songlings literarisches Schaffen hingewiesen. Vgl. 3.5.2. Einige chinesische Kritiker sehen darin den Mittelpunkt von Pu Songlings Werk. Vgl. auch Lu Jin: Liaozhai zhiyi minpian shangxi (Analysieren und GenieBen der bekannten Liaozhai zftíyi-Geschichten). Peking 1987, S.2. und J. Zeitlin, ebd., S.46.

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unteren Schichten durch die Machthaber und die Korruption der Gerichtsbeamten. Dieses Charakteristikum in Pu Songlings Metamorphosen-Darstellung ist an seiner Geschichte Die Kampfgrille besonders herausgestellt worden. Die Verwandlung der Seele von Cheng Mings Sohn läßt sich inhaltlich auf das soziale Leben seiner Zeit beziehen, als dichterische Kritik an ihren Mißständen. Künstlerisch ist Die Kampfgrille paradigmatisch für traditionelle Erzähltechnik. Die erzählerischen Eigenarten der chinesischen Literatur werden vorbildlich ausgeführt. Darüberhinaus ist die Folge der Verwandlung zur Grille so präzise und detailliert beschrieben, daß man dieses Tier nicht mehr als eine wundersame erfundene Figur, sondern als eine der Realität abgewonnene betrachten könnte. Die Kampfgrille bei Pu Songling ist den Verwandlungsgeschichten aus Liu-Chao darin voraus, daß sie anstatt sich stets verwandelnder Geister oder Monstren eine charakteristische Menschenfigur darstellt. Die Kampfgrille unterscheidet sich von den Verwandlungsgeschichten aus der Tang-Zeit darin, daß sie keine religiöse Idee gestaltet, sondern das reale Leben der einfachen Leute widerspiegelt. Es ist ein Spezifikum Pu Songlings, ein beliebtes Erzählmotiv und traditionelle Erzähltechnik mit kritischem Realitätsbezug zu verwenden. Pu Songling schreibt mithilfe von Tierfiguren eine größere Zahl von Parabeln und Fabeln. Thematisch sind sie in zwei Gruppen einzuteilen. Erstens: Sie vermitteln Lebensweisheit und dabei vor allem die konfuzianische Lehre, wie z.B. Der Tiger in Chao Chen, Ein treuer Hund. Zweitens: Sie setzen sich mit sozialen Begebenheiten wie der Emanzipation der Individualität auseinander; Der Weinwurm, Die Sucht nach Schlangen und Die Sucht nach Tauben gehören dieser Gruppe an. Um Pu Songlings Gestaltung der Tiere in dieser Hinsicht besser zu verstehen, ist es erforderlich, einen Blick auf die chinesische Fabeltradition zu werfen. In der klassischen Fabeltradition in China ist zwischen zwei Erzählformen zu unterscheiden, welche kurz an zwei Beispielen demonstriert werden sollen, die nicht direkt in den Kontext meiner Untersuchung zu zählen sind: 1. der Erzähler nimmt am Ende der Erzählung Stellung und macht Bemerkungen zu dem Erzählten. Das ist an der folgenden Fabel zu sehen: 222

Laß mich jeden Monat ein Huhn stehlen Ein Mann stahl von seinen Nachbarn jeden Tag ein Huhn. Man versuchte, ihm davon abzuraten: »Das ist keine Tat eines tugendhaften Menschen.« »Wenn es so ist«, antwortete der Mann, »dann stehle ich weniger. LaB mich erst mal jeden Monat ein Huhn klauen. Bis zum nächsten Jahr höre ich auf.« Wenn man den eigenen Fehler schon einsieht, so muß man ihn gleich korrigieren. Warum zögert man noch bis zum nächsten Jahr? 23

2. Der Erzähler erzählt kommentarlos eine Begebenheit, die Lehre soll vom Leser selber herausgelesen werden. Beispiel dafür ist die Fabel Eine nutzlose Technik: Ein Mann namens Zhu Pingman lernte bei einem Zhi Liyi die Technik, Drachen zu bezwingen. Er verwendete dafür sein Besitztum von zehntausend Liang 24 Gold und drei Jahre Zeit, beherrschte letztendlich diese Technik. Da es aber keinen Drachen zum Bezwingen gab, taugte die Technik, die sich Zhu Pingman mit großer Mühe erworben hatte, überhaupt nichts. 25

Zur Behandlung des ersten Themenkreises, nämlich der Lebensweisheit und der konfuzianischen Lehre wählt Pu Songling die Form der kommentierten Fabeln. Er geht über diese Technik hinaus, indem er einen Kommentar einflicht, der nicht nur die Tugenden der Tierfiguren zusammenfaßt, sondern auch einen Vergleich zwischen Tier und Menschen zieht. Somit ist seinen Tieren eine spezifische Bedeutungsschicht zugefallen: Sie warnen den Leser, sich von Tieren nicht blamieren zu lassen und inspirieren ihn zugleich zu tugendhaften Taten. Demzufolge steht er mit seinen Tierparabeln nicht nur in dieser erzählerischen Tradition, sondern auch im Trend der späten Ming-Literatur, diese erzählerische Technik zu erweitern, wie später noch näher zu sehen ist. Das erzählerische Mittel, zwischen bzw. an das Erzählte anschließend einen Kommentator mit moralisierendem Zweck einzufügen, rührt vom Charakter der historischen Aufzeichnungen her;26 es kann bis zum Ursprung der schriftsprachlichen Erzählprosa zurückverfolgt werden, die unmittelbar mit Aufzeichnungen der historischen Ereignisse im Zusammenhang stand. Diese erzählerische Technik entwik23

24 25 26

Vgl. Zhao Wen u.a.: (Hrsg.): Zhongguo lidai yuyan xuan (Ausgewählte Fabeln aus dem alten China). Taiyüan 1980, S. 16. Die Fabel ist vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. Ein »Liang« gleich 50 g. Vgl. Zhao Wen, a.a.O., S.73. Vgl. Plaks, Towards a Critical Theory of Chinese Narrative, S. 323-329.

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kelt sich zu einer Tradition. Abgesehen von literarischen Gattungen wie »Offical historiography« (Jizhuan ti), »chronical historioraphy« (Piannian ti), »unofficial historiorgraphy« (bieshi, yeshi und waishi), die mehr historische Ereignisse als Fiktionen enthalten, kann man dieses erzählerische Mittel auch in »Mimetic or domestic fiction« (niehuaben, renqing xiaoshuo) beobachten, die mehr Fiktionen als historische Tatsachen enthalten.27 P. Hanan zeigt z.B. anhand von Ling Mengchu (1580-1644) sowie seinem Verhältnis zu Feng Menglong die verschiedenen Entwicklungsphasen dieser Technik während der Tang-Zeit und stellt fest, daß in der Erzählprosa der späten Ming-Zeit der Erzähler immer mehr an Bedeutung gewinnt28 und daß sich der Autor in zunehmendem Ausmaß einschaltet. »The author's second self created (also) in the book.«29 Pu Songling lernt von dieser erzählerischen Technik und gewinnt in seinem Liaozhai zhiyi durch Einleiten, Erzählen und Kommentieren »drei Stimmen«,30 wobei seine Tierfiguren die verschiedenen Stimmen verknüpfen und den Sinn der Geschichten erweitern, wie es in 4.1.6 erläutert wurde. Zur Behandlung des zweiten Themenkreises - der sozialen Begebenheiten - wählt Pu Songling die kommentarlose Erzählform. Es wird ausschließlich eine Begebenheit erzählt, der Erzähler tritt dabei nie hervor, um eine Bemerkung zu machen. Durch eine solche Erzählform erhält Pu Songling die Möglichkeit, seine politische Stellungnahme gleichnishaft und versteckt zum Ausdruck zu bringen, ohne der damals streng ausgeübten Zensur zu erliegen. Demgemäß tragen seine Tierfiguren wie die Tauben, die Schlange und der Weinwurm wundersame Züge. Ihnen ist die Bedeutung zugefallen, eine

27

28

29 30

A. Plaks stellt nach dem Verhältnis der historischen Ereignisse zu der Fiktion eine Reihenfolge der literarischen Gattungen zusammen. Vgl. Towards a Critical Theory of Chinese Narrative, S.319. »The most notable exceptions in the San yen are the stories in which Feng Meng-lung treats his favorite themes of heroism and morality in public life. Here the commentary becomes relevant and an individual voice makes itself heard.« »Ling Meng-ch'u does more than merely restore the narrator's position, he gives him power over the story's interpretation such as he had never had before, and grants him a distinct personality.... It is avowedly a story of »moral admonitions and appeals to a clearcul moral judgment on the part of the reader.« P. Hanan: The Nature of Ling Meng-Ch'us Fiction, S. 88-89. Wayne C. Booth: The Rhetoric of Fiction. Chicago University Press 1961, S.71. Vgl. J. Zeitlin, a.a.O.

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unwirklich scheinende erzählte Welt zu konstruieren und das Handeln der Hauptakteure - der Menschen - verfremdet erscheinen zu lassen. Pu Songling nimmt beide Erzählformen aus der klassischen Tradition auf und verwendet sie je nach dem Inhalt seiner Parabeln: Bei der Darstellung außerordentlicher Individualität provozieren seine Tierfiguren Befremden. Das erinnert stark an die Tierfiguren aus der Liu-Chao-Zeit. Der Unterschied liegt darin, daß die Tiere in jener Zeit Unbegreifbares und Rätselhaftes im menschlichen Leben gestalteten, Pu Songlings Tierfiguren hingegen unbeugsame Individualität zeigen, die nach gesellschaftlichen Normen »seltsam« erscheint. Es ist eine spezielle literarische Technik Pu Songlings, auf tausend Jahre alte Tierdarstellungen zurückzugreifen, um sie nun zur politischen Stellungnahme zu verwenden. Trotz der fehlenden Kommentare ist der Verweis auf die Aktualität eindeutig. Es fallt nicht schwer, aus der erzählten Begebenheit den eigentlichen Gehalt herauszulesen. Dazu tragen drei Faktoren bei: 1. Die Hauptakteure sind Menschen, die Tiere haben nur Nebenrollen. 2. Das erzählte Ergebnis ist zwar sonderbar, aber es ist immer mit dem Alltagsleben des Protagonisten verbunden, was seine allgemeine Bedeutung unterstreicht. 3. Die Stellungnahme des Autors geht aus Wortwahl und Erzählhaltung deutlich hervor,31 das übliche Verhältnis zwischen der Bild- und Sachebene ist beibehalten. Eine solche klare Sachebene verbindet Pu Songlings Tierparabeln mit der klassischen Fabeltradition in China.32 31

32

In Die Sucht nach Tauben z.B. kritisiert Pu Songling durch das Wort »sich einschmeicheln« das Unverständnis des Freundes von Zhang, der die Tauben verschenkt. Es ist ein Charakteristikum der chinesischen Fabeldichtung, daß die Bildebene eindeutig auf die Sachebene verweist, damit die Lehre möglichst leicht herausgelesen werden kann. Beispiele dafür sind die Fabeln Ein Gelehrter kaufte einen Esel und Ein Netz mit einer Masche. Ein Gelehrter kauft einen Esel Ein Gelehrter hatte sich einen Esel gekauft und schrieb dafür einen Beleg. (Es war üblich im alten China, daß beim Geschäft der Verkäufer und der Käufer einen Beleg schrieben und jeder die Hälfte davon behielt.) Schon drei Seiten hatte er voll geschrieben, aber das Wort »Esel« kam immer noch nicht.« Vgl. Zhao Wen u.a. (Hrsg.), a.a.O., S.365. (Übers, v. Verf.) Ein Fangnetz mit einer Masche Ein Mann warf ein Fangnetz aus, um einen Vogel zu fangen. Bald flog ein Vogel herbei und wurde gefangen. Der Mann faltete das Netz zusammen und fand,

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Ein weiteres allgemeines Charakteristikum der chinesischen Fabeltradition ist, daß die Tiere meistens als Gegenstand von menschlichem Gespräch und menschlichem Handeln fungieren. Sie sind Objekte der Taten und Worte der Hauptakteure - der Menschen. Daher ist die kennzeichnende Natur bestimmter Tiergattungen nicht zu erkennen. Die Fabel Zen Zi schlachtet ein Schwein soll das exemplifizieren.33 Im Gegensatz dazu sind die Tiere in Pu Songlings Tierparabeln Hauptakteure. Sie reden zwar nicht wie Menschen (wie die Tiere in europäischen Fabeln seit Aesop), zeigen aber - wie es für die traditionelle Ästhetik in China erforderlich ist - durch ihr Handeln die Tugenden, die eigentlich von Menschen erwartet werden. Auf diese Weise fallen in Pu Songlings Tierfiguren Faktoren aus verschiedenen Traditionen zusammen. Allerdings bleiben Pu Songlings Figuren äußerlich Tiere. Sowohl der Tiger als auch der Hund üben nur solche Taten aus, wie sie diese Tiergattungen erlauben. Die menschlichen Tugenden sind nur durch die Motivation und Zielsetzung ihres Handelns getragen. Die Art und Weise, wie sie diese tugendhaften Taten ausüben, entspricht äußerlich ihrem tierischen Wesen. Solche Tierfiguren erinnern stark an E.

33

daß der Vogel in eine Masche gekommen war. Nun bastelte der Mann zu Hause ein Netz mit nur einer Masche, er warf es an derselben Stelle aus und wartete mit großer Hoffnung. Aber nie wieder fing er einen zweiten Vogel. A.a.O., S.316. Zeng Zi schlachtet ein Schwein Eines Tages wollte die Frau von Zeng Zi zum Markt gehen. Der Sohn wollte mitgehen, weinte traurig, als es ihm nicht gestattet wurde. Nun beschwichtigte ihn Zeng Zis Frau: »Geh mal nach Haus, wenn ich zurück bin, schlachte ich ein Schwein und koche dir was Schönes.« Der Sohn glaubte ihr das und blieb willig zurück. Als sie aber vom Markt zurückkam, sah sie, daß ihr Man im Begriff war, ein Schwein zu schlachten. Eiligst versuchte sie, ihn daran zu hindern. »Ich wollte nur das Kind beruhigen, damit es zu Hause bleibt. Wie kannst du es ernst nehmen?« Darauf antwortete Zeng Zi: »Die Eltern sind nicht berechtigt, Kinder zu betrügen. Die Kinder sind unerfahren und unschuldig. Sie folgen dem Beispiel der Eltern, hören auf ihre Lehre und Hinweise. Wenn wir heute kein Schwein schlachten, wird das Kind denken, Trug sei richtig. Außerdem wird das Kind das Vertrauen zur Mutter verlieren. Dann wird es schwer sein, das Kind zu erziehen.« So schlachtete er ein Schwein für das Kind. A.a.O., S. 126. (Übers, v. Verf.)

226

Thompson-Setons Figuren, die äußerlich Tiere bleiben, innerlich aber Menschen gleichen.34 Die klassischen Fabeln in China sind eher kritisch als lobend. Sie haben oft Dummheit oder einen Mißstand zum Inhalt, sie stellen solche Verhältnisse bloß und setzen den betreffenden Menschen in Verlegenheit, damit der Leser eine Lehre zieht. Solche Fabeln geben aus einem umgekehrten Blickwinkel Ratschläge. Zhao Wen und seine Mitverfasser fassen dieses charakteristische Merkmal der chinesischen Fabeln folgendermaßen zusammen: »Die Fabeln haben zwei Aspekte zum Inhalt: Einerseits stellen sie Mißstände der herrschenden Klasse in der alten Zeit bloß, andererseits decken sie dumme Gedanken und Taten der Bevölkerung auf. Sie üben also harte Kritik und belehren.«35 Pu Songling aber hebt sich, was die Menschendarstellung anbelangt, von dieser Tradition ab, indem er durch seine Tierdarstellung mehr ein Loblied auf das Positive anstimmt als das Negative kritisiert. Das erinnert stark an die Novellen der Tang-Dynastie, wie es oben gezeigt wurde. Auch Pu Songling übt Kritik. Das Prüfungssystem zur Auswahl der Beamten zu seiner Zeit z.B. tadelt er schonungslos, aber das tut er eher durch ein anderes künstlerisches Mittel - den Tiervergleich. Den Tiervergleichen bei Pu Songling sind drei Bedeutungen zugewiesen: 1. Sie geißeln die sozialen Mißstände wie das Prüfungssystem zur Auswahl der Beamten. Eine Reihe von Tiervergleichen in Wang Zian gestaltet verschiedene psychische Zustände der Prüflinge und macht dadurch die Ungerechtigkeit der Prüfungen deutlich. 2. Sie veranschaulichen buddhistische und taoistische Ideen, beleben religiöse Vorstellungen. Durch die Untersuchung der Tiervergleiche haben wir nicht nur die Inkarnation von Bodhisattwa und die übernatürliche Fähigkeit der Taoisten erlebt, sondern auch eine geheimnisvolle Welt mit Geistern, Yaksha, Monstren usw. kennengelernt. Die Tiervergleiche verleihen solchen Wesen menschliche Gestalten und menschliche Laute, machen dadurch die Unterwelt und die religiösen Ideen lebendig und glaubhaft. Daher rührt die dritte Bedeutung der Tiervergleiche: Sie spiegeln das religiöse und volksabergläubische Gedankengut von Pu Songling und seinen Zeitgenossen wider. Die li34

Vgl. Ernest Thompson-Seton: Die Wölfin Wosca und andere Tier- und Urweltgeschichten. Übers, v. Ottomar Starke. Leipzig 1937, S.97-111.

35

Zhao Wen u.a.: Einleitung zu Zhongguo lidai yuyan xuan, a.a.O., S. 1.

227

terarische Tradition der wundersamen Begebenheiten seit Liu-Chao, die sich auf solches Gedankengut stützt, ist aufgezeigt worden. Pu Songlings Tiervergleiche dienen auch als erzählerisches Mittel, um ein schnelleres Erzähltempo zu ermöglichen. Sie verleihen einem Sachverhalt oder einer Bewegung unerwartete und dynamische Kraft, um das Handeln eines Menschen zu akzentuieren. Dadurch wird die traditionelle Erzähltechnik des alten China erweitert. Darin liegt das Neue in Pu Songlings Tierfiguren gegenüber seinen Vorgängern. In der Untersuchung verschiedener Perspektiven der Menschendarstellung, des Grotesken, der Metamorphosen, der Tierparabeln und der Tiervergleiche sind in den einzelnen Kapiteln weitere Eigentümlichkeiten von Pu Songlings Tierdarstellung festgestellt worden. Pu Songlings Tierfiguren sind stark religiös gefärbt. Sowohl inhaltlich als auch künstlerisch stehen sie mit Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus in engem Zusammenhang. Diese drei Religionen haben die Geschichte der chinesischen Literatur begleitet und beeinflußt. Deswegen bietet es sich an, aus religiöser Sicht zu sehen, inwiefern Pu Songlings Tierfiguren allgemeine charakteristische Merkmale der chinesischen Literatur widerspiegeln. Pu Songlings Tierfiguren dienen u.a. dazu, das Karma sowie andere religiöse Lehren zu veranschaulichen, wie es in 2.7.4 gezeigt wurde. Die Tierfiguren legen den Protagonisten, die »ein sehr weitschweifendes« oder »ein sehr vagabundenhaftes und gemeines Leben« geführt haben Buße auf, damit sie wieder zur Vernunft, d.h. zur Gesellschaftsordnung zurückkommen. Solche Erzählungen mit Tierfiguren wie Der langsame Tod, Die Seelenwanderung usw. sind in größerem Ausmaß durch bestimmte religiöse Ideen bestimmt. So gesehen steht Pu Songling eindeutig auf Seiten der sozialen Ethik und der Gesellschaftsordnung. In dieser Hinsicht erbt Pu Songling eine wichtige Tradition der chinesischen Literatur, für und mit Religionen zu sprechen. Bereits vor der Liuchao-Zeit wurde der Buddhismus verbreitet.36 zhiguai in der Liuchao-Zeit wurde in einem bedeutenden Maß durch den Buddhismus bedingt. »The kuai of divine retributions ... are of two kinds: that of the native origins and that associated with

36

Die Verbreitung des Buddhismus in China zwischen der früheren Zeit und den sechs Dynastien untersucht systematisch E. Zürcher: The Buddhist Conquest of China. Leiden, E. J. Bill 1959.

228

Buddhism.«37 Die Bedeutung der Religionen in der Literatur erhält und entwickelt sich bis zur Yuan- und Ming-Zeit, wo sich die drei Religionen der Regierungsunterstützung und der volkstümlichen Verehrung erfreuten. Ein Autor vermag nicht zu schreiben, ohne auf religiöse Vorstellungen Rücksicht zu nehmen.38 »Was auch immer seine privaten Sympathien sein mochten, der Romanautor (der Ming- und Qing-Zeit) tendierte daher dazu, den ideologischen Synkretismus unkritisch zu übernehmen.«39 Das gilt naturgemäß auch für Pu Songling. Wie seine literarischen Vorgänger schwankt Pu Songling zwischen den religiösen Dogmen und der Sympathie für die Selbstentwicklung des Einzelnen. Es sei darauf hingewiesen, daß die Autoren nicht mechanisch zwischen der sozialen Ethik und der Selbstentwicklung balancieren, sondern schöpferisch das Verhältnis zwischen diesen beiden Polen gestalten, um dadurch ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen. In den Volkserzählungen der südlichen SongZeit z.B. sind die traditionellen religiösen Elemente durch weltliche Elemente an den Rand gedrängt, »und die religiösen Motive bilden dann nur einen melancholischen Hauch, der sich von dem, den die lyrischen Elemente hervorrufen, kaum absondert«. Das bezeichnet J. Prusek als eine »Säkularisierung der damaligen chinesischen Erzählungen«.40 Einige hervorragende Romanciers der Ming- und Qing-Zeit lassen durch das vielfaltige Verhältnis zwischen den beiden Polen verschiedene Einstellungen zu Wort kommen und schaffen so Spannungen.41 Anders als die Romanautoren, die innerhalb eines Werkes beide Pole umfassend darstellen können, kann Pu Songling innerhalb einer kurzen Erzählung nicht beide gleichzeitig beschreiben. So muß er gewisse Erzählungen rein dem Ausdruck der Selbstentwicklung widmen, wie es bei den Tierparabeln über die Besessenheit der Fall ist, und in anderen Erzählungen wie in Die Seelenwanderung, Der langsame Tod usw. nur religiösen Dogmen darstellen. Das kommt ihm 37 38 39 40

41

Karl Kao, a.a.O., S. 10. Vgl. C. T. Hsia, a.a.O., S.30. C.T. Hsia, a.a.O., S.31. J. Prusek: Nachwort zu Die Jadegöttin, zwölf Geschichten aus dem mittelalterlichen China. Berlin, 1984, S.379. Vgl. C.T. Hsia, a.a.O. S.31.

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auch zugute. Auf diese Weise hat er die Möglichkeit, seine Sympathie gegenüber der Selbstemanzipation gesondert und schwerpunktmäßig darzustellen. Dabei bedient er sich seiner Tierfiguren und des Themas der Besessenheit, das zu seiner Zeit wieder in Mode war. Im Gegensatz zu einigen anderen Autoren der Ming-Zeit wie etwa Ling Mengchu z.B., die dieses Thema oft so darstellen, daß eine Besessenheit zu einer katastrophalen Konsequenz führt, dreht Pu Songling den Spieß um: Er zeigt die Unentbehrlichkeit der Besessenheit und spricht somit seine Stellungnahme für die Emanzipation der Individualität aus. Dementsprechend sind seine Darstellungen der Besessenheit ernsthaft, im Gegensatz zu den Darstellungen durch Ling Mengchu, die oft von komischen und satirischen Elementen begleitet sind.42 Diese Erörterung zeigt die Wichtigkeit der religiösen Darstellungen bei Pu Songling. Die religiösen Motive sind ein unentbehrlicher Bestanteil von seinem Werk. Sie stehen unmittelbar mit Pus Stellungnahme für die Selbstentwicklung des Einzelnen im Zusammenhang. Pu Songling steht damit in der chinesischen literarischen Traditon. Aus diesem Grund ist es nötig, beide in Pu Songlings Werk auftretenden Motive als Ganzes zu betrachten und nicht einen einzelnen Aspekt für sein gesamtes Schaffen herauszuheben. Die Behauptung der chinesischen Pu Songling-Forschung, die religiösen Darstellungen in Pu Songlings Werk seien wertloser Rest,43 erweist sich als falsch. Die religiösen Elemente führen auch zu einer Doppelstruktur der Geschichten. Die klassischen Werke über die konfuzianische Lehre sowie die Kommentare dazu wie Chunqiu, Gongyang zhuan, Zuo zhuan u.a. sind dadurch gekennzeichnet, daß die Lehre und Aussage direkt und unversteckt gezeigt wird. Dasselbe charakterisiert auch historische Aufzeichnungen im erzählenden Prosastil wie Shiji. Auf literarischem Gebiet zeigt sich dieses Merkmal dadurch, daß die Menschen und Begebenheiten wahrheitsgetreu und detailliert dargestellt werden und die belehrende Bedeutung direkt und klar ausgesprochen wird. Die klassischen Fabeln und Parabeln enthalten meistens solch eindeutige Verweise. Aus der Tatsache, daß Pu Songlings Parabeln eine eindeutige Sachebene haben, die vor allem konfuzianische Lehre zum Ausdruck bringt, ist auf konfuzianische Einflüsse zu schließen. 42 43

Vgl. A. Plaks: Towards a Critical Theory of the Chinese Narrative, S.96-100. Vgl. Sun Yizhen, Han Haimng, Wang Zhizhong. A.a.O.

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Im Gegensatz dazu tendieren der Taoismus und Buddhismus dahin, eine Aussage mithilfe von Wundersamem und Phantastischem indirekt zu machen. Die Einflüsse durch diese beiden Religionen zeichnen sich im literarischen Bereich dadurch aus, daß wundersame und übernatürliche Begebenheiten und Figuren in einem Erzählwerk vorkommen, wobei das Tier ein beliebtes und häufig erscheinendes Motiv darstellt. Jenseits, Paradies, Geister, Heilige und Menschen kommen in einem Erzählwerk zusammen. Das bildet ein wichtiges thematisches Merkmal für die wundersamen Erzählungen seit LiuChao. Das breite Spektrum der erzählten Welt in Pu Songlings Werk erbt also diese literarische Tradition. Inhaltlich bestimmt eine religiöse Vorstellung oder Lehre die Fabel einer Erzählung. Die Seelenwanderung, Der langsame Tod sind im Grunde genommen künstlerische Gestaltungen buddhistischer Ideen. In dieser Hinsicht steht Pu Songlings Tierdarstellung der Literatur aus der Liu-Chao Zeit nahe,44 die historische Ereignisse und Fiktionen miteinander verbindet, den Menschen rätselhaft und mysteriös gestaltet. Wirkliches und Phantastisches verbinden sich in einer Figur, ebenso Tierisches und Menschliches. In diesem Zusammenhang soll auf die enge Verbindung von der Aufzeichnung des Historischen und des Fiktiven verwiesen werden. Volksaberglauben, buddhistisch-taoistische sowie andere religiöse Vorstellungen wurden zusammen mit historischen Ereignissen in offizielle Werke aufgenommen und mit Fiktionen verbunden. Sie prägen die chinesische Literatur von Anfang an durch ihre Doppelstruktur von Wirklichkeit und Imagination. Dieses charakteristische Merkmal beobachtet man bei Ban Gu, Kan Bao, Ouyang Xiu und Kao Qi bis hin zu Wu Chengen, Luo Guanzhong und Cao Xueqin: Der Affenkönig in Die Pilgerfahrt nach dem Westen z.B. ist Mensch und Affe zugleich; in Sanguo yanyi sieht man eine 7:3-Proportion der historischen Fakten und künstlerischen Imagination, wie es Zhang Xuecheng vorgeschlagen hat;45 Jia Baoyu, Protagonist in Der Traum der roten Kammer ist zwar Mensch, aber sein Geist ist auf ein Jadestück angewiesen, dazu bemerkt Wang Xilian zutreffend: »Der Kernpunkt dieses Romans kann mit zwei Wörtern charakterisiert werden: Wirklichkeit 44 45

Vgl. die Tierfiguren in den oben genannten Erzählungen aus Liu-Chao. Zhang Xuecheng: Bingchen zhaji. In: Liu Shiheng (Ed.): Juxuexuan congshu. Teipei 1970, Bd. 16, S.62.

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und Imagination. Das muß der Leser verstehen. Die Trennung ist aber nicht absolut. Im Wirklichen liegt das Imaginäre, das Imaginäre enthält das Wahre.«46 Pu Songlings Gestalten mit menschlichen und tierischen Merkmalen sind also keine neue Erfindung, mehrschichtige Figuren gibt es in der chinesichen Literatur seit eh und je. Da das Aufgezeichnete als wahr betrachtet wird, ohne darauf zu achten, ob es faktisch oder phantastisch ist, ist die Bedeutung des Wortes »wahr« relativ und begrenzt, dieses Wort bezieht sich auch auf Subjektives.47 Damit hängt zusammen, daß ein Ergebnis wirklichkeitsnah beschrieben, gleichzeitig aber zurückgenommen bzw. verneint wird. In Zangui zhuan (Aufzeichnung über das Bezwingen der Geister) z.B. wird geschildert, daß Zhong Kui den Auftrag des Kaisers erfüllt hat, die Geister zu bezwingen. Dafür wird er vom Kaiser mit einem Tempel belohnt. Aber die Widmung auf dem Schild am Eingang lautet: »All das war nicht wahr.« In den oben erwähnten TangNovellen Zhenzhong ji und Nange taishou zhuan werden die Erlebnisse des Protagonisten dem realen Leben entsprechend geschildert, am Ende der Geschichte aber als Träume ausgewiesen; in den volkstümlichen Erzählungen der Song-Zeit erkennt man auch dieses Phänomen: »Die Handlungslinie ist phantastisch, dagegen dienen die realistischen Elemente, Ausschnitte aus dem Leben, als künstlerisch wirksames Material«, wie Prusek feststellt.48 Das Real-Faßbare und Phantastisch-Erfundene in Pu Songlings Tierdarstellung hat also eine lange Tradition. Solche Figuren, Ereignisse und Handlungen sind also fiktionale Gestalten und zugleich Symbole für Gedanken und Vorstellungen des Autors,49 sie sind, wie Edwin Muir in einem anderen Zusammenhang 46

47 48

49

Auf diesen Sachverhalt haben Zhang Nianrang und Liu Liangeng ausdrücklich hingewiesen. Vgl. Zhang Nianrang und Liu Liangeng: Fodao yingxiang yu zhongguo gudian xiaoshuo de minzu tese (Die buddhistischen und taoistischen Einflüsse und das nationale Eigentum in der klassischen Erzähldichtung Chinas). In: Wenxue pinglun (Kommentare zur Literatur) Nr.6/1989, Peking, S. 124. A. Plaks: Towards a Critical Theory of the Chinese Narrative, S.312-313. J. Prusek. Nachwort zu Die Jadegöttin, zwölf Geschichten aus dem mittelalterlichen China, S.378. Der Affenkönig in Die Pilgerfahrt nach dem Westen z.B. ist eine unvergeßliche Figur mit übernatürlicher Fähigkeit und zugleich Symbol für die Lebensvorstellung des Autors: Das Leben ist erst dann sinnvoll, wenn man zielbewußt ist und sich dafür aufopfert. Pu Songlings Tierfiguren weisen genau diese Doppelbe-

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bemerkt, »in accordance with our wishes, not with our knowledge. ... It is a fantasy of desire rather than a picture of life.«50 Xiang Gao in Pu Songlings Werk z.B. ermöglicht es, die Empörung des Autors gegen die Mörder und Machthaber verdeckt auszusprechen. Die symbolischen Bedeutungen solcher Figuren, Ereignisse und Handlungen sind oft offen und mehrschichtig. Man kann sie aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich erfassen. Daher bezieht ein solches literarisches Werk dynamische Bedeutung. Der breite Themenkreis, Figuren von tierischer und zugleich menschlicher Natur, wirkliche und zugleich unwirkliche Begebenheiten dieser Literatur entsprechen dem taoistischen ästhetischen Prinzip, künstlerische Mittel durch Imagination zu erweitern und den Sinn ausdruckskräftig zu gestalten. Die Phantasietätigkeit des Lesers distanziert ihn von seinem gesellschaftlichen Leben und ermöglicht es ihm, den Sinn eines literarischen Werkes zu verstehen. Pu Songlings Tiergestalten affirmieren also nicht nur beispielhaft ein Prinzip der chinesischen Ästhetik, sondern erweitern es beträchtlich durch ihre poetische Eigentümlichkeit. Aus dem Überblick über die religiösen Einflüsse und die literarische Tradition haben sich folgende Erkenntnisse ergeben: 1. Pu Songlings Tierdarstellung zeichnet sich inhaltlich durch Wirklichkeitsdarstellung aus. Seine Tierfiguren sind keine bloße Verkörperung von bestimmten religiösen Ideen oder Vorstellungen, vielmehr stellen sie soziale Wirklichkeit dar.51 Künstlerisch unterscheiden sich Pu Songlings Tierdarstellungen von seinen Vorgängern und Nachfolgern u.a. durch realistische Detailschilderung und entfaltete bzw. komplizierte Handlung.52

50 51

52

deutung auf. Hua Guzi z.B. ist eine künstlerische Figur. Gleichzeitig ist sie ein Symbol für die Dankbarkeit. Edwin Muir: The Structure of the Novel. London 1957, S.23. Li Houji und Han Haiming weisen darauf hin, daß die literarische Gattung der Prosa in Schriftsprache - Erzählungen über wundersame Begebenheiten deswegen verfällt, weil sie nur von Gelehrten geschrieben und gelesen, von den einfachen Leuten und der sozialen Realität abgetrennt wird. Pu Songling kann diese literarische Gattung deswegen zum Höhepunkt bringen, weil er damit die soziale Wirklichkeit und seine eigene Stellungnahme gestaltet. Vgl. Li Houji und Han Haiming, a.a.O., S. 128. Sun Yizhen hat Pu Songlings Werk mit ähnlichen Werken von seinen Vorgängern, Zeitgenossen und Nachfolgern verglichen und dadurch festgestellt, daß Pu

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2. Die traditionellen Hauptmerkmale einer literarischen Gestaltung wundersamer Begebenheiten sind in Pu Songlings Werk, und vor allem in seinen Tierfiguren, vertreten. Dementsprechend wird auch ein Prinzip der chinesischen Ästhetik, das stark taoistisch gefärbt ist, vielfältig ausgeführt, d.h., Pu Songlings Werk ist typisch chinesisch. Das erklärt vielleicht, warum es bei den Europäern beliebt ist. 3. Pu Songling übernimmt nicht einfach die traditionelle Tierdarstellung, sondern er verbindet Charakteristika verschiedener Perioden und entwickelt daraus die künstlerische Originalität seiner Tierdarstellungen. Sie erfüllen traditionelle Forderungen der Ästhetik, gehen aber darüber hinaus und bezeugen als imaginäre Gestalten auch Pu Songlings poetischen Individualstil. Die Tierfiguren bei Kafka sind keine Sinnbilder für bestimmte menschliche Charaktereigenschaften. Vielmehr zeigen sie instinktmäßige Reaktionen des Menschen in verschiedenen Situationen, wie Ratlosigkeit, Ausweglosigkeit, Verzweiflung, Furcht usw. oder bei der Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses. Der Klient des Advokaten in Der Prozeß, der Knecht in Ein Landarzt, die Nomaden in Ein altes Blatt usw. verhalten sich nicht gemäß einer bestimmten Erziehung oder Charaktereigenschaft, sondern nur nach ihrem Instinkt wie Tiere. Kafkas Methode besteht darin, einen Menschentyp und eine menschliche Eigenschaft auf den ursprünglichsten Bestandteil eines Lebewesens - die Instinkte - zu reduzieren. Seine Tierfiguren dienen als Kontrast, der das Tierische im Menschen verdeutlicht und den Blick in sein Innerstes ermöglicht. K. Doderers Bemerkung »Es gibt kein besseres Mittel, den Menschen aus seinem Größenwahn herunterzuholen, als dadurch, daß man ihn an seine Animalität erinnert«,53 nimmt Kafka beim Wort. Dieses Verfahren Kafkas führt zu einer Gleichbewertung von Mensch und Tier. So hat der Leser die Möglichkeit, die direktesten und ursprünglichsten Reaktionen eines Menschen in verschiedenen Situationen zu sehen. Solchen Reaktionen kommt eine allgemeine

53

Songlings Tierdarstellung in realistischer Detailschilderung am genauesten verfährt. Sun Yizhen, a.a.O., S.76-78. Klaus Doderer: Didaktisches zur Fabel und Kurzgeschichte. In: Literarische Erziehung in der Grund- und Hauptschule. Frankfurt a. M. 1965, S.65.

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Bedeutung zu, da sie als Instinkte aller Lebewesen von Kultur, Rassen, Nation, Zeit-Raum usw. unberührt bleiben. Die instinkthaften Reaktionen der Kafkaschen Figuren in Notlagen deuten auf eine Existenzkrise hin, eine Existenzkrise, die nicht nur bestimmte Schichten, Rassen, sondern alle Menschen berührt. Das Besondere an Kafkas Thema - Konflikt des vereinzelten Individuums mit dem Universum und die Krise des Ich - zeigt sich also u.a. auch an seinen Tierfiguren. In dieser Hinsicht steht Kafka der Tradition der Tierdarstellung entgegen, in der die Tierfiguren zwar bestimmte menschliche Eigenschaften vertreten und die bloße Nennung eines Tieres genügt, um die mit ihm verbundene Eigenschaft zu evozieren, aber Tier und Mensch dabei nicht schroff gleichgesetzt bzw. gleich bewertet werden. Zwar gibt es schon in der mittelalterlichen Tierdichtung eine bestimmte Analogie von tierischem Wesen und menschlicher Natur,54 aber eine Gleichbewertung bleibt aus. Das Handeln der Akteure in der Tierfabel macht dem Leser deutlich, daß es sich bei ihnen um Tiere handelt. In der Herstellung einer Analogie ihres Handelns zu menschlichen Handlungen liegt der herausfordernde Witz der Tierfabel. K.A. Ott bekräftigt, daß »die Schilderung ihres >Handelns< sogleich erkennen läßt, daß nur vergleichsweise von Tieren und in Wahrheit von Menschen die Rede ist«.55 Auch La Fontaine fühlt sich veranlaßt, bei den Tieren »eine Art natürlicher Vernunft«56 nachzuweisen, woraus zu schließen ist, daß für ihn die Gemeinschaft von Mensch und Tier nicht als eine »fraglos vorausgesetzte Realität« existiert.57 Lessings Definition der Fabel bekräftigt diesen Tatbestand: der >allgemeine moralische Satzbesondere FallWirklichkeitGeschichteanschauende Erkenntnis< - all diese Gesichtspunkte beziehen sich auf die Menschenwelt.58 Für Kafka aber gibt es nur eine 54

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Vgl. Hans Robert Jauß: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung. Tübingen 1959, S.21f. Karl August Ott: Lessing und La Fontaine. In: Peter Hasubek (Hrsg.): Fabelforschung. Darmstadt 1983, S.202. Ebd., S.204f. Dazu bemerkt Ott, »daß weder für ihn (La Fontaine) noch für seine Zeitgenossen die Gemeinschaft von Mensch und Tier eine fraglos vorausgesetzte Realität war.« a.a.O., S.204f. Lessings Definition der Tierfabel lautet: »Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besonderen Fall zurückführen, diesem besonderen Falle die Wirklichkeit erteilen, und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den

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Wahrheit. Sie beruht auf der Natur. Sie kennt keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Seine Tierfiguren sollen die Ähnlichkeit von Mensch und Tier nachweisen. Das führt zu einer neuen, von der Tradition abweichenden Rezeption der Tierfiguren. Traditionell sind Tierfiguren einerseits mit menschlichen Eigenschaften und menschlicher Vernunft begabt, sie sind »in alle gewohnheiten und zustände unseres lebens eingeweiht«, andererseits sind »die gewohnheiten der besonderen thierischen natur« beibehalten.59 So vergißt man bei der Lektüre, »daß die handelnden personen thiere sind, wir vermuten ihnen pläne, schicksale und gesinnungen der menschen zu.«60 Der »Reinecke Fuchs« von Goethe z.B. erscheint uns mit seinen Tricks nicht als Fuchs, sondern wie ein Mensch, der denkt, empfindet und handelt. Der Fuchs in La Fontaines Fabel Der Rabe und der Fuchs spricht und handelt wie ein Mensch. Solche Beispiele sind zahllos. »So hat sich der Wolf als Habgieriger, zur Unterdrückung der Schwachen stets bereiter Charakter ein für allemal in die Fabelwelt eingeführt, so stellt zum Beispiel der Esel die Inkarnation der Einfalt und Dummheit, so das Lamm als das nach Recht und Gerechtigkeit lechzende, aber deshalb die Welt nicht wach einschätzende Wesen dar.«61 Der Leser sieht in diesen Figuren Menschentypen bzw. menschliche Eigenschaften. Kafkas Tierfiguren bewirken aber das Gegenteil: Sie heben das Animalische im Menschen hervor und setzen dadurch den Menschen auf die animalische Ebene herab. Die Tierfiguren Kafkas wirken grotesk. Wie seine Vorgänger in der Literaturgeschichte verbindet Kafka durch sie weit auseinander liegende Aspekte miteinander - in einem singulären fiktionalen Element. Das Neue an Kafkas Tierfiguren ist dabei, daß die erzählte Welt das Bewußtsein des Menschen und die Wirklichkeit der Welt negativiert. Bei literarischen Vorgängern wie Ovid z.B. liegt das Groteske darin, daß empirisch unverbindbare Aspekte ästhetisch miteinander verbunden sind, wobei aber die Natur der Einzelaspekte nicht bezwei-

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60 61

allgemeinen Satz anschauend erkennt: So heißt diese Erdichtung eine Fabel.« Lessing: Werke. Hg. v. H. G. Göpfert. Bd. 5, München 1973, S.385. Jacob Grimm: Wesen der Thierfabel. In: Peter Hasubek (Hrsg.): Fabelforschung, S.23. Ebd. Klaus Doderer: Fabeln, Formen, Figuren, Lehren. Zürich und Freiburg i. Br. 1970, S.77.

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felt wird. Die Einzelaspekte entsprechen der menschlichen Erkenntnis, bestätigen ihre Urteilsfähigkeit. In den Metamorphosen liest man, daß nach der Flut die Welt verändert ist: Im »Wipfel der Ulmen« kann man Fische fangen, aber der Anker fällt auf grüne Wiesen (1.296, 297);62 Delphine schwimmen durch Wälder (1.302f); Wölfe, Löwen und Tiger sind unter den Schafen, schwimmen in den Wellen (1.304 f) usw. Die Einzelaspekte wie »Delphine schwimmen«, »Fische fangen« sind lebensnahe Darstellungen, sie entsprechen der empirischen Erfahrung des Menschen. Das Groteske beruht auf der Kombination dieser Aspekte. Darüberhinaus ist von vornherein klargemacht, daß es sich hierbei um Folgen einer Naturkatastrophe handelt. Die groteske Verbindung ist eine Abnormität. Nicht das Bewußtsein, sondern die Außenwelt ist aus den Fugen geraten. Das Groteske bekräftigt das menschliche Bewußtsein von der gehörigen Ordnung der Dinge, bestätigt aus einem anderen Winkel die Gesetzmäßigkeit der Weltordnung. In der deutschen Romantik begegnet man einem künstlerischen Verfahren, durch grotesken Rollentausch von Mensch und Tier die menschliche Ordnung ironisch zu relativieren und das menschliche Bewußtsein als beschränkt zu zeigen. E.T.A. Hoffmann beschreibt anhand von Callots Malerei dieses Verfahren so: Die Ironie, welche, indem sie das Menschliche mit dem Tier in Konflikt setzt, den Menschen mit seinem ärmlichen Tun und Treiben verhöhnt, wohnt nur in einem großen Geiste, und so enthüllen Callots aus Tier und Mensch geschaffene groteske Gestalten dem ernsten, tiefer eindringenden Beschauer alle die geheimen Andeutungen, die unter dem Schleier der Skurrilität verborgen liegen"

Kafkas Groteske, die in Tierfiguren zum Ausdruck kommt, radikalisiert diese Relativierung des menschlichen Bewußtseins, indem sie eine festgefügte Weltordnung verneint. Er erzählt die unglaubliche Verwandlung Gregor Samsas in ein Ungeziefer als eine faktische Tatsache; der Maikäfer in den Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande veranlaßt den Menschen, sich Illusionen zu machen, d.h., die Tierfiguren erweisen das menschliche Bewußtsein als ein Bündel von 62

63

Die im Klammer stehenden Zahlen bedeuten die Kapitel und Zeilen des Zitats in Ovids Metamorphosen. E.T.A. Hoffmann: Fantasie- und Nachtstücke, hrsg. von W. Müller-Seidel. Darmstadt 1962, S. 12.

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unzuverlässigen Denkvorgängen oder Illusionen. Bewußtsein und Außenwelt sind zweierlei Dinge, die nicht übereinstimmen. Was einem Menschen unmöglich erscheint, erweist sich durch die Tierfiguren als Tatsache; das als Kriterium geltende Subjekt kann sich durch die Tierfiguren als Träger von Illusionen entpuppen. Damit steht nicht nur das menschliche Bewußtsein, sondern auch die ganze Weltordnung zur Disposition. Die Groteske bei Kafka, welche durch die Tierfiguren konstituiert ist, basiert also nicht - wie in der literarischen Tradition vorgegeben - auf einer widersinnigen Kombination der zuverlässigen Einzelaspekte, sondern darauf, alle Einzelaspekte zu relativieren bzw. zu negativieren, um die ganze Weltordnung und das ganze menschliche Bewußtsein von Grund auf in Frage zu stellen. Ein wichtiger Aspekt bei der Bedeutung seiner Tierfiguren ist die Verwandlung. Die Metamorphose ist in der europäischen Literaturgeschichte ein geläufiges Thema. Ovid hat die abendländische Tradition der Metamorphosendarstellung begründet. Ovids Metamorphosen sind aus der >olympischen< Perspektive erzählt. Die inneren Empfindungen des Verwandelten bleiben der Antike völlig fremd. Sie kommen nicht zur Darstellung. Kafka verwendet die Metamorphose zwischen Mensch und Tier, um die Existenzkrise des modernen Menschen zu schildern. Für ihn kommt es darauf an, anschaulich zu zeigen, wie ein Individuum den Grund des Lebens verloren hat. Zu diesem Zweck will er die Innenwelt des Menschen direkt beschreiben. Das »Ich« ist dazu die ideale Erzählperspektive, sie wird in Ein Bericht für eine Akademie verwendet. Aus dieser Perspektive wird erzählt, wie der ursprüngliche Affe Rotpeter in die Menschenwelt gepeitscht worden ist und wie er durch »Lernen«, »Schulen«, »Nachahmen« usw. entstellt wird. Diese Erzählperspektive in der Metamorphosendarstellung ist eine Neuerung Kafkas. Sie ermöglicht Kafka einerseits, die Empfindungen und Gefühle des Verwandelten direkt und präzise zu beschreiben. Im Vordergrund steht nicht der Verwandlungsakt, sondern dessen Folge für den Betroffenen. Die »Ich«-Perspektive ermöglicht Kafka andererseits, den ganzen Verwandlungsvorgang in einem Überblick darzustellen. Was Rotpeter vor, während und nach der Verwandlung erlebt, ist durch die »Ich«-Perspektive übersichtlich dargestellt, so daß der Leser den verwandelten Rotpeter immer mit einem ehemals in der freien Natur lebenden Affen verbindet. Die äffischen Eigenschaften 238

Rotpeters bleiben so verkoppelt mit denen vor der Verwandlung. Was Rotpeter durch die Verwandlung verloren hat, ist umso klarer zu ersehen. Ein Verfahren, das ursprüngliche Empfinden einer Figur auch nach ihrer Verwandlung zu kennzeichnen, findet man allerdings bereits bei Ovid. In Die Metamorphosen ist Lycaon zwar in eine Bärin verwandelt, aber sie behält noch »ihren früheren Sinn« (2.485). Cadmus und Harmonica sind zwar in Schlangen verwandelt, aber sie bleiben wie früher sanft und ungefährlich gegenüber den Menschen (4.602). Parallel dazu steht der Tatbestand, daß Gregor Samsa bei Kafka trotz der körperlichen Verwandlung innerlich Mensch bleibt. Er kriecht zwar wie ein Ungeziefer, aber denkt wie ein Mensch. Diese Erzähltechnik wurde von Thompson-Seton weiter entwikkelt. Nicht nur gewisse ursprüngliche Empfindungen, sondern die ganze Persönlichkeit eines Menschen ist in einer Tierfigur beibehalten. D.h., eine Tierfigur bei Thompson-Seton ist ein maskierter Mensch im vollen Sinne des Wortes. Äußerlich haben seine Tierfiguren völlig tierisches Aussehen, sie verhalten sich rein nach der Natur ihrer Tiergattung. Aber die Motivation und Zielsetzung ihres Verhaltens sind nur einem Menschen zuzuordnen. Wir denken an den Hund Rincón, der äußerlich zwar ein Hund bleibt, aber dessen Tat, sich Wolfskindern anzunehmen, menschlich ist;64 der Hund in Rotkopf macht Geschichten, der seinen Herrn aus der Lebensgefahr rettet, benimmt sich auch wie Rincón als kluger Mensch. Er versteht es, eine Menge von Hunden vorzutäuschen, um die Löwen abzuschrecken. Er denkt also als Mensch, handelt als Hund. In der Gestalt eines Hundes ist eine menschliche Seele verborgen. Dies zeigt sich in dem inneren Monolog des Hundes am Ende der Geschichte.65 Der Unterschied zwischen Thompson-Seton und Kafka liegt darin, daß das Menschliche, das den Tierfiguren Kafkas eigen ist, direkt durch Denken, Empfinden usw., bei Thompson-Seton aber an Motivation und Zielsetzung der Taten gezeigt wird; das Doppelwesen von Mensch und Tier bei Thompson-Seton zeigt Wunderbares, man erkennt in seinen Tierfiguren charakteristische Menschen, bei Kafka aber erblickt man in den Tierfiguren nur verzerrte Individuen. 64

65

Vgl. Ernest Thompson-Seton: Die Wölfin Wosca und andere Tier- und Urweltgeschichten. Übers, v. Ottomar Starke. Leipzig 1937, S.97-111. Ebd., S. 123-139.

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Doppelwesen von Mensch und Tier wie Gregor Samsa bewirken eine doppelte Verwandlung: Die Verwandlung bezieht sich nicht nur auf G. Samsa, sondern auch auf seine Umgebung. Denn durch die Verwandlung findet G. Samsa aus seiner Perspektive des Ungeziefers seine vertraute Umgebung plötzlich verändert. Nicht nur seine Lebensgewohnheit, seine Existenz als Mensch, sondern auch seine Familienmitglieder, seine Welt, in der er lebt, werden durch die Verwandlung erschüttert und in Frage gestellt. Deswegen kann sich Gregor Samsa nur auf seine Empfindungen stützen. Verbürgt sind nur sein animalisches Kriechen, die Verwundung auf dem Rücken, sein Zischen usw. Kafka nimmt also traditionelle Motive und künstlerische Verfahren, um die Bedrohung und die Krise für den modernen Menschen darzustellen. Die Wesensänderung und -Wandlung bei ihm deuten auf eine Existenzkrise hin. Um diese Problematik eingehend zu behandeln, beschreibt Kafka verschiedene Stufen von Verwandlungen, wie sie in der Literaturgeschichte vorgegeben sind.66 Gregor Samsa ist körperlich völlig in ein Ungeziefer verwandelt; Bucephalus ist fast in einen Menschen verwandelt; Rotpeter bleibt äußerlich ein Affe. Eben durch eine solche stufenweise Verwandlung gelingt es Kafka, das Schicksal der Individuen genauer und spezifischer zu charakterisieren. Dabei bedient sich Kafka einer Reihe von künstlerischen Mitteln, die schon Ovid in den Metamorphosen verwendet hat, z.B. einen zum Tier verwandelten Menschen beim Namen zu nennen, wenn er als Tier behandelt wird. So behält Argus nicht die »Kuh« im Auge, sondern »Io« (1. 628). Er läßt Io »tagsüber weiden und legt ihr abends« einen Strick um den unschuldigen Hals (1.630f). Dadurch gelingt Ovid eine groteske künstlerische Wirkung, »der Leser verbindet mit dem Namen >Io< mehr das Bild eines Mädchens als das einer Kuh, sieht also vor seinem inneren Auge nicht die Kuh, sondern das Mädchen Gras fressen und einen Strick um den Hals tragen.«67 Ovid hebt also einen der Einzelaspekte hervor und gestaltet das Doppelwesen von Mensch/Tier nach seiner Vorstellung, er erzielt somit an das Groteske erinnernde Effekte. Kafka setzt Einzelaspekte von Mensch und Tier in einen 66

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Erwin Leibfried weist auf die verschiedenen Stufen der Metamorphosen hin. Vgl. E. Leibfried: Fabel. 2. Aufl. Stuttgart 1973, S.25-26. Ernst Jürgen Bernbeck: Beobachtungen zur Darstellungsart in Ovids Metamorphosen. München 1967, S. 104.

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Widerspruch, so daß die Metamorphose auf Kosten des einen Aspekts läuft und zu Schmerzen und Leid führt. Das Tierische, das das »Ich« ausmacht, wird durch die Metamorphose schrittweise überwältigt. Rotpeter hat sein Äffisches z.T. verloren, er ist ein Zwitterwesen von Mensch/Tier geworden; Bucephalus ist zwar etwas mehr in Menschen verwandelt, aber sein pferdisches Wesen zeigt sich, wenn er die Treppen hinaufgeht. Kafka versteht es also, die beiden Einzelaspekte ständig im Kontrast zu halten. Die Zwitterwesen bei ihm unterscheiden sich von denen Ovids dadurch, daß ihr Menschliches und Tierisches einen unauflösbaren Konflikt darstellen, so daß nicht nur ihre Verwandlung, sondern ihre Existenz überhaupt durch Leid und Schmerzen bestimmt ist. Ovid zeigt die Wesensänderung u.a. dadurch, daß die betroffene Figur vor der eigenen verwandelten Tiergestalt zurückschreckt. Io z.B. erblickt in sich die Gestalt einer Kuh, ist dermaßen bestürzt, daß sie Flucht ergreift (1.640f); Actaeon (3.199) und Picuhs (14.388f) staunen über ihre plötzliche Schnelligkeit, die ihre verwandelten Körper ermöglichen. Parallel dazu erstaunt Gregor Samsa der Anblick seiner zahlreichen Beinchen und seines bogenförmigen Bauchs. Ovid schildert die Tendenz der verwandelten Menschen, von der menschlichen Lebensweise abzuweichen und sich an ein tierisches Leben zu gewöhnen. Byblis zerreißt in ihrem Wahnsinn Gras (9.655); Pyreneus (5.290) und Icarus (8.233) erscheint der Luftraum verlokkend. Parallel dazu ist Gregor Samsas Neigung, unter dem Kanapee zu bleiben und an die Wand zu kriechen. Ovid versteht es, Wesensänderung durch veränderte Beziehung zu Vertrauten zu gestalten: Cinyras kann seine verwandelte Tochter nicht wieder erkennen (10.472f); Cinyras und Apollo können Sibylla nur an ihrer Stimme wiedererkennen (14.150f)· Ebenso versteht es Kafka, die Verwandlung G. Samsas durch die Beziehungen der Familienmitglieder zu ihm darzustellen: Die Mutter bricht beim Anblick des Ungeziefers zusammmen, der Vater verjagt es mit Zeitung und Stock, die Schwester will in ihm nicht mehr ihren Bruder sehen. Ausführliche Detailschilderungen eines Verwandlungsvorgangs, die man an G. Samsa erkennt, findet man ebenfalls bereits bei Ovid. Ovid beschreibt die Metamorphosen in aller Genauigkeit. Er zeigt, wie einzelne Körperteile wie Beine, Arme, Hände usw. allmählich tierische Formen annehmen, so daß der Leser die Metamorphose als 241

einen Vorgang miterlebt. Cygnus bekommt zuerst weiße Federn (2.373f), als er in einen Schwan verwandelt wird; Actaeon bekommt zunächst ein Geweih auf dem Kopf (3.194), als er in einen Hirsch verwandelt wird; bei der Verwandlung in eine Bärin werden Callistos Hände schwarze Tatzen (2.248f) usw. Die Wahl des Ungeziefers ist für Kafka kennzeichnend. Das Ungeziefer tritt in der literarischen Tradition selten auf, es ist mit keiner menschlichen Eigenschaft verbunden. Seine Erscheinung suggeriert daher keine verbindliche Vorstellung und Assoziation außer der des Widerwillens. Das paßt zu Kafkas Absicht, die Welt neu zu beobachten. (Darauf wird unten noch eingegangen werden.) Die Tiere, die in Kafkas Parabeln auftreten, sind mehr räsonierende als handelnde Figuren. Der forschende Hund, die erzählende Maus und das Waldtier besitzen eine hochentwickelte Fähigkeit, wie Menschen zu denken, zu vermuten und zu planen. Unter diesem Aspekt gehören Kafkas Tierfiguren zur Tradition der »untypischen« Tiere.68 In der literarischen Tradition treten die Tierfiguren selten um ihrer selbst willen in Erscheinung. Sie verdeutlichen Probleme im menschlichen Bereich, und zwar durch zwei Wege: Zum einen verhalten sie sich gemäß der Natur ihrer Tiergattung, und der Lehrsatz, der aufgrund der besonderen tierischen Natur expliziert worden ist, wird auf die Menschenwelt übertragen, »da wird es gern dem leben der thiere einen breiteren Spielraum, einen tieferen hintergrund gestatten, und die brücke schlagen, über welche sie in das gebiet meschlicher handlungen und ereignisse eingelassen werden können.«69 Ein wichtiges Kennzeichen für diese Übertragung ist die Anrede des Erzählers an den Leser oder seine Bemerkungen, die von einer anderen Warte aus das Ereignis bewerten und kommentieren. Wir denken an die Fabeln von Aesop und die Tradition des Epimythions, die bei Hagedorn, Geliert, Pfeffel usw. wieder auftauchen.70 Die an68 69

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Erwin Leibfried: Fabel. a.a.O., S.24. Jacob Grimm: Wesen der Thierfabel. In Peter Hasubek (Hrsg.): Fabelforschung. a.a.O., S.21. Der Erzähler in Der Adler und der Mistkäfer kommentiert am Ende der Fabel das Ergebnis dem Leser gegenüber; der Erzähler in F. von Hagedorns Fabel Jupiter, die Tiere und der Mensch faBt gleichfalls das Ergebnis zusammen und spricht den Leser an. Vgl. Manfred Windfuhr (Hrsg.): Deutsche Fabel des 18. Jahrhunderts. Stuttgart I960, S.22. Ähnliches findet man bei M. G. Lichtwer und Geliert. a.a.O., S.33.

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dere Weise, mit den Tieren auf die Menschenwelt anzuspielen, liegt darin, das Äußere eines Tieres in den Hintergrund zu stellen und die Tiere als Menschen denken und handeln zu lassen. Die »in der Fabel agierenden Tiere treten nicht mehr mit der inneren Notwendigkeit auf, die sich aus ihrer Natur ergibt. Die Tiere sprechen und handeln nicht mehr ihrem Charakter gemäß, sondern sie sind maskierte Menschen, Akteure menschlicher Handlungen.«71 Beispiele dafür sind Aesops Fabel Das Rebhuhn und der Mensch, Pfeffels Rezept wider den Krieg, Lessings Der Tanzbär u.a. Die Tiere in solchen Werken weisen keine kennzeichnende Natur einer Tiergattung auf. Sie zeigen als »untypische Tiere« das Schicksal der einzelnen Individuen. In solchen Tiergeschichten »gewinnen daher Handlung, Situation oder Umstände eine entscheidene Bedeutung: das Schicksal greift ein und spielt mit der profillosen Figur.«72 Solche »untypischen« Tiere sind für Kafkas Absicht besonders geeignet, die Existenzkrise des Menschen und die Bedrohung für die Einzelindividuen zu schildern. Daher intensiviert er die »untypischen« Züge seiner Tierfiguren, indem er die besondere Natur der Tiergattungen weitgehend entfernt und einzelne Tiere als Bündel tierischer Instinkte in die Konfrontation mit der ganzen Welt setzt. Mit den »untypischen Zügen« korrespondiert die Fähigkeit der Tiere, wie Menschen zu sprechen, »was das Wunderbare der Tiergeschichte bewirkt.«73 In den klassischen Tierfabeln denken und sprechen die Tierfiguren meistens in bezug auf konkrete Begebenheiten. Was sie denken und sprechen, ist dabei durch ihre besondere tierische Natur bedingt bzw. auf ihre Natur beschränkt. Aesops Fabel Schwalbe und Krähe ist ein Beispiel dafür: Die Krähe belegt ihre These, ein langes Leben sei wichtiger als die Schönheit, durch die Tatsache, daß die Schönheit der Schwalbe »nur für die Dauer des Frühlings« blüht, der Körper der Krähe aber auch dem Winter »trotzt«.74 Diese Worte sind auf die kennzeichnenden Merkmale der Krähe und Schwalbe beschränkt. Dieses Phänomen läßt sich bis zu Geliert, Pfeffel, La Fon71

72 73

74

Karl Emmerich: Vorwort zu Der Wolf und das Pferd. In: Erwin Leibfried und Josef M. Werle (Hrsg.): Texte zur Theorie der Fabel. Stuttgart 1978, S. 118. E. Leibfried: Fabel. a.a.O., S.24. Vgl. Christian Fürchtegott Geliert: Schriften zur Theorie und Geschichte der Fabel. Bearbeitet von Siegfried Scheibe. Tübingen 1966, S. 11. August Hausrath (Übersetzer): Aesopische Fabeln. München 1940, S. 143.

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taine usw. beobachten.75 Lessing dagegen reduziert die Details, die die Tiere aus ihrer eigenen Umwelt erzählen, und konzentriert ihre Rede auf das Thema der Fabel. Dadurch wird die Menschenähnlichkeit der Tiere wesentlich erhöht, und ihre Worte werden auch weniger durch die tierische Natur beeinflußt. Beispiel dafür ist Lessings Fabel Der Hamster und die Ameise. Die tierischen Merkmale von Hamster und Ameise sind zwar noch zu erkennen, aber sie sind nicht so gewichtig wie in Aesops Schwalbe und Krähe. Die Worte der Tiere, besonders die der Ameise spiegeln die Intelligenz und die Redegewandtheit des Menschen wider. Manche Fabeln von Lessing wie Der Affe und der Fuchs bestehen einfach aus einem Rededuell. D.h., die besondere tierische Natur verliert an Bedeutung, und die menschliche Vernunft wird hervorgehoben. »Die feststellende oder selbstentlarvende Rede und noch mehr das Rededuell (...)«, so bemerkt G. Bauer zu diesem Charakteristikum der Lessingschen Fabeln, »drängt alle übrige Interaktion zurück oder umspielt und kommentiert sie so, daß das faktische Geschehen zum Anlaß, die intellektuelle Deutung zum Gegenstand der fabula wird.«76 Kafka geht von dieser Tradition noch weiter ab. Er weist seinen Tierfiguren die Fähigkeit zu, als Mensch zu sprechen und zu denken, und reduziert ihre besonderen tierischen Merkmale so, daß sie aus dem Gattungsleben herausfallen und zu Undefinierten Lebewesen werden. Was er an einem Tier zeigt, gilt deshalb für alle Lebewesen. Mit der Reduzierung der tierischen Natur steht die Auflösung der Handlung in Zusammenhang. Lessing will mit seinen Tierfiguren keine menschliche Leidenschaft rühren, sondern die Vernunft des Menschen ansprechen, »die zur gewissen und bestimmten Einsicht in die Wahrheit eines moralischen Lehrsatzes gebracht werden solle.«77 Zu diesem Zweck erzählt er eine Reihe von Bildernstatt in sich ge-

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Die Nachtigall und die Lerche in Gellerts gleichnamiger Fabel sprechen zwar miteinander wie Menschen, aber ihre Worte sind stark mit dem Singen - ihrem gemeinsamen Charakterzug - verbunden. Vgl. M. Windfuhr (Hrsg.): Deutsche Fabel des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1960, S. 38-40. Gerhard Bauer: Der Bürger als Schaf und als Scherer. In: Peter Hasubek (Hrsg.): Fabelforschung. a.a.O., S.265. Karl August Ott: Lessing und La Fontaine, S. 168.

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schlossene Geschichten. Eben im Erzählen der Situationen, im »Aneinanderreihen von Bildern«78 also erblickt Lessing die Fabel. Dieses Moment wird bei Kafka radikalisiert. In Kafkas Tierparabeln sieht man statt Handlungen nur Situationen, eine Reihe von Bildern also, die miteinander wenig zu tun haben. Sie werden lediglich durch den Erzähler zusammengehalten. Kafka will dadurch allgemein anerkannte Wahrheit im Alltagsleben zeigen und überprüfen. Die traditionelle Fabeldichtung seit Aesop will die Bilder nicht um ihrer selbst willen erzählen, sondern gleichnishaft auf das Allgemeine hinweisen.79 Kafka dagegen erzählt die Bilder nur um ihrer selbst willen, er zeigt Ausschnitte aus dem Leben selbst. Die Wahrheit kann nach seinem Verständnis nur aus dem Leben selbst herauskristallisiert werden. Die Tierfiguren Kafkas dienen zum Vergleich. Da sie meistens Komplexe von naturgemäßen Impulsen sind und wenig spezifische Merkmale der Tiergattung tragen, haben die Tiervergleiche allgemeine Bedeutung. Sie gelten nicht bestimmten charaktervollen Menschen in spezifischen Situationen, sondern allen Menschen, ja sie charakterisieren die natürlichen Reaktionen aller Lebewesen. So ist es kein Wunder, daß für die sexuelle Belästigung in Der Prozeß und Das Schloß der gleiche Hund-Vergleich benutzt wird. Nicht der Charakter oder die Ausbildung der beiden Protagonisten, sondern ihre Natur als Lebewesen wird durch den Vergleich charakterisiert. Man kann daraus folgern, daß alle Lebewesen in dieser Situation sich so verhalten würden. Kafkas Tiervergleiche haben die Tendenz, zu selbständigen Erzählansätzen zu werden.80 Ein Tiername wird genannt, und die erzählte Welt wird dementsprechend performiert. Die verglichene Figur hat auch die Tendenz, sich wie das genannte Tier zu verhalten, und umgekehrt: Die verglichene Tierfigur tendiert dazu, eine handelnde Person zu werden.81 Diese Umwandlung des Tiervergleichs zur 78

79

80 81

Reinhard Dithmar: Die Fabel, Geschichte, Struktur, Didaktik. 4. Aufl. Paderborn 1984, S.60. Lessing betont ausdrücklich, daß die Bilder der Fabel keineswegs nur um ihrer selbst willen erzählt werden dürfen. Sie müssen zu einem bestimmten Zweck dienen. Vgl. Lessing: Werke. Bd.5, S.381-382. Vgl. Karl-Heinz Fingerhut, a.a.O., S.57. W. Emrich, W. Heldmann, H. Hillmann u.a. sind der Ansicht, daß G. Samsas Verwandlung als ein absolut gesetzter Vergleich eines Menschen mit einem Un-

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Verwandlung ist nicht neu. Bereits in Ovids Metamorphosen findet man einige Beispiele. Hecuba will sich für Polydorus rächen. Zu diesem Zweck verwandelt sie sich in eine Hündin. Die Tatsache, daß sie später dem Odrysen das Auge auskratzt und die nach ihr geworfenen Steine verfolgt, kommt dem Leser deswegen selbstverständlich und naturgemäß vor, weil Hecuba vorher schon mit einer Löwin verglichen worden ist (13.547f). Der eigentliche Verwandlungsvorgang wird nicht beschrieben. Nur das Ergebnis der Verwandlung - typisches Verhalten eines Hundes von Hecuba - ist wahrzunehmen. D.h., der Vergleich von Verhaltensweisen bereitet auf eine Verwandlung vor, leitet sie ein, kann auch einen Verwandlungsvorgang ersetzen. In der deutschen Romantik sucht die Kunst nach dem »Zauberwort«, um ein Bild beim Wort zu nehmen und die erzählte Welt dementsprechend zu performieren. Dieser Technik, rein sprachliche Realität in die erzählte Welt zu übertragen, begegnet man u.a. in Nietzsches Zarathustra,82 Kafka übernimmt diese literarische Tendenz. Seine Eigentümlichkeit liegt in dieser Hinsicht darin, daß seine Tiervergleiche den Verwandlungsvorgang ersetzen, ohne auf ihn vorauszudeuten oder ihn einzuleiten. Die verglichenen Figuren werden auf einmal und übergangslos verwandelt, was den Leser zutiefst erschreckt. Beispiel dafür ist der Reisende im Fragment zur Strafkolonie: Er nennt sich »Hundsfott«, und gleich wird er als solcher beschrieben. Das Geschehen ist widersinnig, aber die Details scheinen faktisch und realistisch. (Es sei darauf hingewiesen, daß diese Eigentümlichkeit und die stufenweise Verwandlung zweierlei Sachen sind. Man darf sie nicht verwechseln.) Aufgrund der obigen Zusammenfassung kann man Allgemeines in Kafkas Tierdarstellung charakterisieren: Hinsichtlich des Themas unterscheidet sich Kafkas Tierdarstellung von der Tradition der klassischen Fabeldichtung, da Kafkas Tierfiguren nichts beweisen, sondern alles neu überprüfen wollen, ohne von der allgemein anerkannten Wahrheit und den bestehenden Kriterien schon festgelegt zu geziefer gesehen werden kann. Vgl. W. Heldmann: Die Parabel und die parabolische Erzählform bei Franz Kafka. Diss. Münster 1953, S. 128; H. Hillmann: Franz Kafka. Dichtungstheorie und Dichtungsgestalt. Bonn 1964, S. 168; Emrich: Die Bilderwelt Franz Kafkas. In: Akzente 7, 1960. S. 181. 82

Vgl. Fingerhut, a.a.O., S. 11.

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werden. Die Welt wird in eine unendliche Reihe von alltäglichen Situationen aufgelöst und die Existenzkrise, die anhand eines einzelnen Tieres dargestellt wird, ist Paradigma für die Existenzkrise aller Menschen. Zu diesem Zweck verwendet Kafka bevorzugt kleine Tiere, die mit menschlichen Eigenschaften nicht in nahe Verbindung zu bringen sind, um eine Suggestion oder Evozierung bestimmter menschlicher Eigenschaften zu vermeiden. Fremdartige, seltene Tiere, die nach Jacob Grimm »der anschauenden Phantasie zu fern« liegen und für die traditionelle Fabel daher weniger geeignet sind,83 treten bei Kafka häufig auf: Ungeziefer, Maikäfer, Schakale oder nicht näher benannte Tiere wie ein Waldtier. Diese Eigentümlichkeit der Tierdarstellung Kafkas ist mitverantwortlich für den Kontrast zwischen den faßbaren Details und dem schwer deutbaren Gesamtcharakter seiner Erzählungen. Inhaltlich unterscheidet sich Kafka von den antiken Dichtern, die durch Tierfiguren Lebensweisheit vermitteln oder allgemeines Wissen popularisieren wollen; künstlerisch unterscheidet er sich von La Fontaine und Lessing, die eine allgemeine Wahrheit den Details vorausgehen oder folgen lassen und die Details zum Nachweis einer bestehenden Wahrheit einsetzen wollen. Kafka jedoch beschränkt sich auf den Verweis der Details.84 Keine Wahrheit geht den faßbaren Details voraus. Für Kafka sind Details Zeugen eines Gesamtzustandes, der sich nicht erklären läßt. Damit hängt zusammen, daß Kafka seine Tiere nicht besonderen Situationen, sondern nur dem schlichten Alltagsleben aussetzt. Anders als traditionelle Erzähler wie Lessing, der das Ereignis der Fabel als einen Sonderfall versteht, der auf das Allgemeine zu übertragen ist, 83

84

Jacob Grimm: Wesen der Thierfabel. In: Peter Hasubek (Hrsg.): Fabelforschung. a.a.O., S.25. La Fontaine bezeichnet die Fabel als eine Sonderform. Sie spiegelt das Allgemeine wider, das der Fabel vorausgeht und als Wirklichkeit existiert. Vgl. Karlheinz Stierle: Poesie des Unpoetischen. Über La Fontaines Umgang mit der Fabel. S.529-530. Für Lessing schildert die Fabel »in Wahrheit das Allgemeine, das in allen Vorfallen wiederzufinden ist, in der Weise jedoch, daß das Allgemeine selbst die > Kraft des Wirklichem erhält und der Leser es so aufnimmt, als habe er den zur Veranschaulichung des Allgemeinen erdachten Fall unmittelbar selbst erfahren und erlebt.« Vgl. Karl August Ott: Lessing und La Fontaine. a.a.O., S. 170.

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bleiben Kafkas Tierfiguren ausschließlich im Alltagsleben, da schon die Alltagswelt als ganze ungeheuerlich ist. Was seine Tiere vermitteln, scheint zwar »banal-alltäglich«, entspricht aber dem Leben insgesamt aufs genauste. Was an den Tieren gezeigt ist, kann, braucht deshalb nicht auf eine allgemeine Wahrheit hin abstrahiert werden. Daraus ergibt sich, daß die Tierfiguren Kafkas ihre eigene Rolle als Nichtwissende erleben. Weder der forschende Hund, noch die erzählende Maus oder das Waldtier können ihre Lage und Probleme überblicken oder deuten. Dadurch intensiviert Kafka die Abweichung von der klassischen Fabeldichtung, wie sie sich seit Lessing gestaltet. Der Erzähler in den Aesopischen Fabeln sagt dem Leser genau, welche Lehre man der Geschichte zu entnehmen hat.85 Besonders in den Fabeln des 16. Jahrhunderts weist der Erzähler darauf hin, - »ja oft sogar mehrmals«.86 In Lessings Fabeln aber wird die vermittelte Wahrheit oder Lehre nicht mehr so deutlich ausgesprochen. Der Erzähler übernimmt die Rolle des Nichtwissenden und überläßt es dem Leser, aus der Erzählung des Geschehens selbst zu lernen. Dabei hat der Leser aber nur wenig Freiheit. Denn die Denkrichtung ist schon bestimmt,87 nur wenige Interpretationsmöglichkeiten kommen in Frage. Kafkas Tierfiguren als Nichtwissenden fehlt nicht die Fähigkeit, eine einzelne Sache zu beurteilen, sondern die Fähigkeit, das eigene Schicksal zu überblicken. Sie können sich nur planlos vorantasten.

85

86

87

»Der Mann am Meerestrand« von Aesop z.B. sagt dem Leser, daß man sich nicht nach der Vergangenheit sehnen, sondern gleich mit der Tat anfangen soll. In den Tierfabeln Luthers erkennt man deutlich die Absicht des Erzählers; Alberus sieht in der Fabel ein Bildungsmittel für die weniger gebildeten Leute. Er will durch die Fabel Wissen popularisieren. Peter Hasubek spricht entsprechend von einer Pädagogisierung der Fabel durch Alberus. Vgl. Ρ Hasubek: Grenzfall der Fabel? - Erasmus Alberus. In: P. Hasubek (Hrsg.): Die Fabel, Theorie, Geschichte und Rezeption einer Gattung. Berlin 1982, S. 54-55. Peter Hasubek: Der Erzähler in den Fabeln Lessings. In: Peter Hasubek: (Hrsg.): Fabelforschung. a.a.O., S.367. In Die Nachtigall und der Habicht werden durch die Frage des Erzählers nur zwei Interpretationsmöglichkeiten zugelassen: »War es höhnische Bosheit, oder war es Einfalt, was der Habicht sagte? Ich weiß nicht.« Lessing: Werke. Bd. 5. Hg. v. H. G. Göpfert. München 1970, S.235. Solche Form erkennt man auch in La Fontaines Fabeln. Vgl. Karlheiz Stierle: Poesie des Unpoetischen, a.a.O., S.531.

248

Dadurch hat der Leser unmittelbar teil an der Lebenserfahrung der Tierfiguren, ja der Menschen überhaupt. Die Tierfiguren bei Kafka erzählen nicht nur ein Geschehen, sondern sie erleben es selbst; beide Funktionen werden in der » ^ « - P e r spektive kombiniert. Diese Erzählperspektive ist in der Fabeldichtung üblich. Bei Erasmus Alberus, bei Burkhard Waldis, Lessing usw. begegnet man dem »Ich«-Erzähler. Ein solcher Erzähler hat die Funktion, sich direkt an den Leser zu wenden und »auf die Quelle und (...) auf den Wirklichkeitsgehalt des Stoffes«88 zu verweisen und damit der Erzählung Gewicht zu verleihen. Aber der »Ich«-Erzähler in traditionellen Fabeln unterscheidet sich von dem in den Romanen: In den traditionellen Fabeln verkörpert der Erzähler eine Person, »die, wenn sie in dem erzählenden Teil auftritt, sich von den übrigen Akteuren, den Tieren etc. deutlich abgrenzt, bzw. im Einleitungs- und Schlußteil der Fabel ohnehin abgehoben von der Fallerzählung von einer anderen Warte redet.«89 In Romanen hingegen, z.B. in Grimmelshausens Simplicissimus, in Goethes Werther, in Thomas Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull usw. ist der »Ich«-Erzähler mit der Hauptfigur der Geschichte identisch. Er erinnert sich - z.T. am Ende des Lebens - an seine Vergangenheit und erzählt sie. In Kafkas Tiererzählungen übernehmen jedoch Tiere als »Ich«-Erzähler beide Funktionen. Das erzählende Tier ist die Hauptfigur in der Fallerzählung, grenzt sich aber nicht von den übrigen Akteuren ab; es verweist auf die Quelle, ja auf den Wirklichkeitsgehalt der Erzählung, indem es alles am eigenen Körper spürt und erlebt. Ein Grundzug moderner Fabel - »die Verbindung zwischen Tradition und Ironisierung und Infragestellung dieser Tradition«90 charakterisiert Kafkas Tiere, vor allem in Kleine Fabel. Kafka übernimmt »vorgeprägte Charakterrollen«91 insofern, als die Katze letztendlich die Maus frißt. Diese Handlung entspricht der inneren Notwendigkeit, die sich aus der Natur der Katze ergibt. Allerdings ironisiert Kafka das traditionelle Fabelschema, indem er die beiden Tiere die Katze und die Maus - aneinander vorbeireden läßt. Für Allemann

88 89 90 91

Peter Hasubek: Der Erzähler in den Fabeln Lessings. a.a.O., S.381. Ebd., S.382. Reinhard Dithmar: Die Fabel. 6. Aufl. Paderborn 1984, S.75. Peter Hasubek: Der Erzähler in den Fabeln Lessings. A.a.O., S.342.

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ist Kafka deshalb ein »Idealtyp ironischen Erzählers«,92 wofür auch die Erzählungen Forschungen eines Hundes und Der Bau stehen mögen. Aus allen diesen Beobachtungen ergibt sich, daß Kafka trotz seiner modernen Thematik und seines eigenwilligen Stils der europäischen Tradition sogar bis zur Antike hin in mancher Hinsicht enger verbunden bleibt als einem Autor wie Pu Songling, der in seiner ostasiatischen Tradition mit Tiergestalten erzählerisch ähnlich vielfältig umgeht und zeitlich von ihm nur um zwei Jahrhunderte getrennt ist. Dabei erlaubte es die europäische Kultur Kafka naturgemäß auch in höherem Maße, seinen besonderen Individualstil zu entwickeln. Gerade deshalb aber bietet eine Gegenüberstellung von Autoren aus einander entfernten Kulturbereichen eine zusätzliche Gelegenheit, deren Einbettung in die jeweils eigene literarische Tradition vergleichend herauszuarbeiten.

92

Beda Allemann: Kafkas Kleine Fabel. In: Peter Hasubek (Hrsg.): Fabelforschung. a.a.O., S.341.

250

Schlußwort

Folgende Konvergenzen und Differenzen zwischen Pu Songlings und Kafkas Tierdarstellung lassen sich aus dem bisherigen ableiten. Beide, Pu Songling und Kafka, verstehen es, durch ihre Tierfiguren eine künstlerische Welt zu schaffen, die parallel zur Menschenwelt besteht, um die jeweiligen zeitspezifischen Probleme ihrer Gesellschaft deutlich und - zumindest bei Pu Songling - unterhaltsam darzustellen. Durch ihre Tiergeschichten stellen Pu Songling und Kafka einen Kontrast zwischen Mensch und Tier her. Ihre Tiere sind freie und unverdorbene Lebewesen in der Natur, sie benehmen sich zwanglos und elementar. Das bildet einen Kontrast zu den Menschen, die in verschiedenem Ausmaß ihre Natur verloren haben und sich daher geziert verhalten. In ihren Tiergeschichten liegt also Pu Songlings und Kafkas Sehnsucht nach der freien Natur und ihre Kritik an der jeweiligen Gesellschaft. Zu diesen sozialen und anthropologischen Konvergenzen treten literarisch-künstlerische Differenzen. Pu Songling will durch seine Tierfiguren Eigenschaften oder Lebenshaltungen konkretisieren. Seine Tierfiguren sind deutlich benannt, ihre Bedeutung in der jeweiligen Erzählung ist leicht greifbar. Dadurch erhalten diese Geschichten auch pädagogischen Charakter, sie appellieren an den Leser. Kafka hingegen verzichtet in seinen Tiergeschichten auf konkrete Sinndeutung. Seine Tierfiguren sind z.T. nicht näher benannt, ihre Bedeutung in der jeweiligen Erzählung ist mehrschichtig und schwer faßbar. Dies entspricht Kafkas Absicht, stets auf die menschliche Existenz im Ganzen anzuspielen. Dies scheint den kulturgeschichtlichen Charakter des Abendlandes in den Hintergrund zu drängen, hebt aber im Grunde genommen in erweitertem Ausmaß die Eigentümlichkeit der europäischen Literatur hervor das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und Ganzen darzustellen.

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Mit dieser Differenz geht einher, daß Pu Songlings Tierfiguren weniger selbständig als zweckbedingt sind. Sie dienen mehr oder weniger zur Veranschaulichung von konkretem Sinn in den Erzählungen. Dies liegt der Neigung zur substantiellen Denkweise der Chinesen nahe, wohingegen Kafkas Tierfiguren einen weitgehend selbständigen Charakter tragen. Sie bestehen aus Elementen, die nicht weiter zerlegt oder aufgelöst werden können. Das zeugt von der gedanklichen Neigung des Abendlandes, dem selbständigen Individuum Gewicht zu verleihen. Dadurch ist eine weitere Funktion der Tierfiguren festgelegt worden: Die Tierfiguren spiegeln die kulturgeschichtliche Besonderheit und die eigentümliche Denkweise eines Kulturraums wider. Stets fungieren die Tierfiguren dabei als Träger inhaltlicher Substanzen und als künstlerisches Formelement. Sie sind zu verstehen als Sammellinse, die horizontal verschiedene Gebiete wie Religion, Ethnologie, Politik, Literatur-Kunst usw. widerspiegelt und vertikal die Tradition des jeweiligen Autors sowie sein Verhältnis zu dieser Tradition, d.h. seine Charakteristika verdeutlicht. Daraus ist abzuleiten, daß man die Tierfiguren als einen hochempfindlichen Bezugspunkt nutzen kann, wenn man verschiedene literarische Traditionen vergleichen will. Diese Bedeutung legt auch nahe, die Tierfiguren als Mittel zur Diagnose gegenseitiger Beeinflussung verschiedener Kulturen heranzuziehen; so wies die chronologische Entwicklung in Kafkas Tierdarstellung tendentiell eine Annäherung an Pu Songlings Tiergeschichten auf. Es ist zu erwarten, daß solche Bedeutungen der Tierfiguren gelten, solange Literatur existiert und solange Kulturen miteinander kommunizieren.

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Anhang

Zur Einleitung Der neunköpfige Vogel Vor langen Zeiten lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten eine Tochter. Eines Tages ging die Tochter im Garten spazieren. Da erhob sich plötzlich ein sehr großer Sturm, der sie mit sich führte. Der Sturm kam aber vom neunköpfigen Vogel. Der raubte die Prinzessin und brachte sie in seine Höhle. Der König wußte nicht, wohin seine Tochter verschwunden war. So ließ er im ganzen Land ausrufen: »Wer die Prinzessin wiederbringt, der soll sie zur Frau haben.« Ein Jüngling hatte den Vogel gesehen, wie er die Königstochter in seine Höhle trug. Die Höhle war aber mitten an einer steilen Felswand. Man konnte von unten nicht hinauf und von oben nicht hinunter. Wie er nun um den Felsen herumging, da kam ein anderer, der fragte, was er da tue. Er erzählte ihm, daß der neunköpfige Vogel die Königstochter geraubt und in die Berghöhle hinaufgebracht habe. Der andere wußte Rat. Er rief seine Freunde herbei, und sie ließen den Jüngling in einem Korb zur Höhle hinunter. Wie er zur Höhle hineinging, da sah er die Königstochter dasitzen und dem neunköpfigen Vogel seine Wunde waschen; denn der Himmelhund hatte ihm den zehnten Kopf abgebissen, und die Wunde blutete immer noch. Die Prinzessin aber winkte dem Manne zu, er solle sich verstecken. Das tat er auch. Der Vogel fühlte sich so wohl, wie ihm die Königstochter ihm die Wunde wusch und ihn verband, daß alle seine neun Köpfe einer nach dem anderen einschliefen. Da trat der Mann aus dem Versteck hervor und hieb ihm mit einem Schwert all seine Köpfe ab. Dann führte er die Königstochter hinaus und wollte sie in dem Korb hinaufziehen lassen. Die Königstochter aber sprach: »Es wäre besser, wenn du erst hinaufstiegst und ich nachher.« »Nein«, sprach der Jüngling. »Ich will hier unten warten, bis du in Sicherheit bist.« Die Königstochter wollte anfangs nicht; doch ließ sie endlich sich überreden und stieg in den Korb. Vorher aber nahm sie einen Haarpfeil, brach ihn in zwei Teile, gab ihm den einen und steckte die andere Hälfte zu sich. Auch teilte sie mit ihm ihr seidenes Tuch und sagte ihm, er solle beides verwahren. Als aber jener andere Mann die Königstochter heraufgezogen hatte, da nahm er sie mit sich und ließ den Jüngling in der Höhle, wie er auch rief und bat. Der Jüngling ging nun in der Höhle umher. Da sah er viele Jungfrauen, die hatte alle der neunköpfige Vogel geraubt, und sie waren hier Hungers gestorben. An der Wand hing ein Fisch, der war mit vier Nägeln angenagelt. Als er den Fisch berührte, verwandelte sich der in einen Jüngling. Er dankte ihm für seine Rettung. Sie

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schlossen Brüderschaft fürs Leben. Allmählich bekam er grimmigen Hunger. Er trat vor die Höhle, um die Nahrung zu suchen, aber da waren überall nur Steine. Da sah er plötzlich einen großen Drachen, der an einem Steine leckte. Das tat der Jüngling auch, und alsbald hatte er keinen Hunger mehr. Nun fragte er den Drachen, wie er von dieser Höhle fortkommen könnte. Der Drache neigte seinen Kopf zum Schwanz und deutete ihm an, daß er sich darauf setzen solle. Er stieg nun auf den Schwanz des Drachen, und im Umsehen war er unten auf der Erde, und der Drache war verschwunden. Er ging nun weiter, da fand er eine Schildkrötenschale voll von schönen Perlen. Es waren aber Zauberperlen. Wenn man sie ins Feuer warf, so hörte das Feuer auf zu brennen; wenn man sie ins Wasser warf, tat sich das Wasser auf, und man konnte hindurchgehen. Er nahm die Perlen aus der Schildkrötenschale heraus und steckte sie zu sich. Nicht lange danach kam er an den Strand des Meeres. Er warf eine Perle hinein; da teilte sich das Meer, und er blickte den Meerdrachen. Der rief: »Wer stört mich hier in meinem Reich?« Der Jüngling sprach: »Ich habe Perlen gefunden in einer Schildkrötenschale und habe sie ins Meer geworfen, da hat das Wasser sich mir aufgetan.« »Wenn es so ist«, sagte der Drache, »so komm zu mir ins Meer, da wollen wir miteinander leben.« Da erkannte er, daß es derselbe Drache war, den er in jener Höhle gesehen. Auch der Jüngling war da, mit dem er Brüderschaft geschlossen. Es war des Drachen Sohn. »Du hast meinen Sohn gerettet und mit ihm Brüderschaft geschlossen, so bin ich dein Vater«, sagte der alte Drache. Und er bewirtete ihn mit Wein und Speisen. Eines Tages sprach sein Freund zu ihm: »Mein Vater wird dich sicher belohnen wollen. Nimm aber kein Geld, auch keine Edelsteine, sondern nur die kleine Kürbisflasche dort; mit der kann man bezaubem, was man will.« Richtig fragte ihn der alte Drache, was er zum Lohne haben wolle, und er spräche zu ihm: »Ich will kein Geld und auch keine Edelsteine, ich will nur die kleine Kürbisflasche.« Erst wollte der Drache sie nicht hergeben. Endlich gab er sie ihm doch. Dann ging er von dem Drachenschlosse weg. Als er wieder aufs trockene Land kam, da wurde er hungrig. Alsbald stand ein Tisch mit vielem, schönem Essen da. Und er saß und trank. Er war eine Zeitlang weitergegangen, da wurde er müde. Schon stand ein Esel da, auf den setzte er sich. Er war eine Zeitlang geritten, da wurde der Esel ihm zu holprig; schon kam ein Wagen, da stieg er hinein. Der Wagen aber schüttelte zu sehr, und er dachte: »Wenn ich nur eine Sänfte hätte! Das ginge besser!« Schon kam eine Sänfte, und er setzte sich hinein. Die Träger trugen ihn bis zu der Stadt, wo der König, die Königin und ihre Tochter waren. Als jener Mann die Königstochter zurückgebracht hatte, da sollte Hochzeit werden. Die Königstochter wollte nicht und sprach: »Das ist doch nicht der Rechte. Mein Retter wird kommen, er hat die Hälfte meines Haarpfeils und die Hälfte meines seidnen Tuches zum Zeichen.« Als der Jüngling aber so lange nicht kam und der andere den König drängte, da wurde der ungeduldig und sagte: »Morgen soll die Hochzeit sein!« Die Königstochter ging betrübt durch die Straßen der Stadt und suchte und suchte, ob sie ihren Retter nicht finde. An jenem Tage gerade kam die Sänfte an. Die Königstochter sah das halbe Tuch in der Hand des Jünglings. Voll

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Freuden nahm sie ihn mit zu ihrem Vater. Er muBte den halben Haarpfeil zeigen, der paBte genau zur anderen Hälfte. Da glaubte der König, daß es der Rechte sei. Der falsche Bräutigam wurde bestraft, und man feierte Hochzeit, und sie lebten vergnügt und glücklich bis an ihr Ende. (LZZY.R.13-16)

Zu Kapitel 5 1. Männchen im Ohr Ein Mann namens Tan war vom Nutzen der Atemtechnik fest überzeugt.' Er übte täglich diese Technik. Weder Hitze noch Kälte konnten ihn davon abbringen. Nach ein paar Monaten zeigte sich die Wirkung. Als Tan sich eines Tages hinsetzte und die Augen Schloß, um zu üben, hörte er plötzlich einige kleine Wesen in seinen Ohren sprechen. Ihre Stimme war so leise wie Fliegen summenL Das eine Wesen sagte: »Wir können rauskommen.« Tan machte schnell die Augen auf, sah aber nichts. Als er die Augen Schloß, hörte er wieder dasselbe. Tan glaubte, das sei die Wirkung der Atemtechnik und freute sich darüber. Nach einigen Tagen erlebte er dasgleiche. ( . . . ) Er spürte, daß sich in einem seiner Ohren etwas bewegte und dann herauskam. Er hielt die Augen ein bißchen geöffnet und blinzelte heimlich. Es war ein winziges Männchen, etwa drei Zentimeter groß. Es sah so häßlich wie ein Yaksha aus. Auf dem Fußboden drehte sich das Männchen schnell. Tan, aufs äußerste verwundert, starrte das Männchen an, um seine Bewegungen zu beobachten. In diesem Augenblick klopfte ein Nachbar an die Tür, um etwas zu leihen. Das Männchen wurde vom Klopfen erschreckt, es lief eiligst in eine Ecke des Zimmers, wie eine Maus, die das Loch nicht wieder finden kann. Tan fühlte sich bei diesem Anblick entgeistert und schrie vor Furcht. Erst nach einem halben Jahr ärztlicher Behandlung ging es ihm etwas besser. (LZZY.0.4)

2. Gespräche der Männchen in Augen (Ein Mann erhaschte bei einem Ausflug einen Blick auf eine Dame. Dafür wuchsen ihm in den Augen Geschwüre auf, die ihn schmerzten und tränen ließen. So betete der Mann täglich, um seine Schuld zu büßen. Nach einem Jahr erlangte er einen meditativen Zustand.) Eines Tages hörte er in seinem linken Auge eine Stimme, die so leise wie eine Fliege summt: »Hier ist es so dunkel. Ich wäre beinahe erstickt.« Dann hörte er etwas in seinem rechten Auge sprechen: »Wir machen einen Ausflug und entspannen wir uns ein bißchen.« Darauf juckte es den Mann in beiden Nasenlöchern, er spürte, daß zwei Dinge aus seiner Nase herauskamen. Nach einer Weile kamen sie ihm wieder durch die Nasenlöcher in die Augen zurück. (LZZY.O.lO-11)

Hierbei handelt es sich um die Technik, bei ruhigem Sitzen durch Atemregulation den Stoffwechsel zu fördern und dadurch die Gesundheit zu verbessern.

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3. Geister in einem

Wohnhaus

In dem Wohnhaus der Familie Li tauchten oft Gespenster auf. (...) Im 17. Regierungsjahr des Kaisers Kang Xi wohnte Wang Shangjiin vorübergehend in diesem Haus. In einer Abenddämmerung lag Wang im Bett zur Ruhe. Plötzlich sah er ein winziges, etwa zwei Zentimeter großes Männchen ins Zimmer kommen. Es drehte sich einmal um und verschwand im Nu. Nach einer Weile kam das Männchen wieder, es trug auf der Schulter zwei Hocker, die dann auf den Fußboden gestellt wurden. Die Hocker glichen Spielsachen, die von Kindern aus Gaolianghirse zusammengebastelt waren. Kaum war ein Weilchen verstrichen, als zwei weitere ähnliche Männchen kamen. Sie trugen einen etwa vier Zentimeter langen Sarg herein, stellten ihn auf die Hokker. Dann erschien eine Dame in Trauerkleid, ihr folgten mehrere Mägde. Sie alle waren so klein wie die Männchen. Die Dame hielt ihren Mund mit einem Ärmel bedeckt, weinte vor sich hin, so leise, wie eine riesige Fliege summt. (LZZY.0.25)

4. Shang Xian Guan Gao und Ji Wen machten mit einigen Leuten zusammen eine Reise zur Hauptstadt. Unterwegs war Ji Wen plötzlich erkrankt. Kaum waren sie in der Hauptstadt angelangt, machten sie sich auf die Suche nach einem Arzt. Sie erfuhren, daß bei der Familie Liang im südlichen Teil der Stadt eine Fuchsheilige lebte, die die Fähigkeit besaß, die Lebensdauer eines Menschen zu verlängern. So eilten sie dahin. Die Fuchsheilige war eine etwa vierzigjährige Dame, sie machte einen fuchsartigen Eindruck. Guan Gao und seine Reisegefährten betraten das Zimmer der Fuchsheiligen, entdeckten eine rote Gardine, hinter der ein Bild vom Guan YingBodhisattwa an der Wand hing. Daneben waren einige Bilder, die berittene Kämpfer mit Lanzen darstellten. An der nördlichen Wand stand ein Tisch, an diesem ein kleiner Stuhl, dessen Höhe kaum ein »Chi« betrug. 2 Die Fuchsheilige setzte sich auf den Stuhl, murmelte einen Spruch vor sich hin und klopfte dabei auf ein topfförmiges Schlaginstrument aus Messing, während Guan Gao und seine Gefährten mit angezündeten Weihraubstäbchen in Reihe und Glied standen. ( . . . ) Plötzlich hörte man einen kleinen Laut, es klang so, wie Fledermäuse beim Fliegen zwitschern» In diesem Moment gab es einen großen Krach über dem Stuhl, als fíele ein großes Stück Stein. Die Dame stand auf, drehte sich um und sagte zur Wand: »Ich wäre beinahe zu Tode erschreckt worden.« Nun hörte man über dem Stuhl einen alten Mann seufzen und fragen: »Wie kann ich Ihnen helfen?« (Auf die Bitte um die Medizin sagte die Stimme:) »Gehen Sie nach Hause und beten Sie um Tee. Ich hole beim Gelehrten Arznei für Sie.« (...) Am nächsten Morgen ging es Ji Wen tatsächlich viel besser. (LZZY.0.691)

5. Das Land im Meer (...) Der Herold schien achtzig oder neunzig Jahre alt zu sein: seine Augäpfel waren aus den Höhlen getreten und sein Bart gesträubt wie ein ¡gel. Er sagte zu Ma: 2

»Chi« ist ein Längenmaß. Ein »Chi« = 1/3 Meter.

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»In meiner Jugend bin ich vom König zu vielen Völkern gesandt worden, aber ich kam niemals bis ins Reich der Mitte. Nun bin ich hundertundzwanzig Jahre alt, und daß es mir vergönnt ist, einen Eingeborenen Ihres Landes zu sehen, ist ein Ereignis, das ich dem Throne berichten muß. Zehn Jahre oder mehr war ich nicht bei Hofe; nun will ich aber um Ihretwillen die Mühe auf mich nehmen.« Hierauf folgte ein Gastmahl, und als der Wein eine Zeitlang gekreist war, kam ein Dutzend Sängerinnen herbei, die sangen und tanzten. Die Mädchen sahen wie Gespenster aus, trugen weiße gestickte Tücher um den Kopf geschlungen und lange scharlachne Kleider am Leib, die am Boden schleppten. Die Worte, die sie sangen, waren unverständlich und die Weisen, die sie spielten, anstrengend. Der Gastgeber schien aber daran großen Gefallen zu finden, und er sagte zu Ma: »Haben Sie im Reich der Mitte auch solche Musik?« Er antwortete bejahend und der Alte bat um eine Probe. Ma summte ihm eine Melodie vor und schlug den Takt auf dem Tisch, worüber jener sehr erfreut war und rief: »Wunderbar! Ihre Stimme ist wie der Gesang des Vogels Phönix und wie das Brüllen des Drachens. Ich habe dergleichen nie gehört.« (LZZY.B. 108-109)

6. Herr des Donners Es regnete dauerhaft, als die Mutter von Wang im Zimmer saß. Plötzlich sah sie den Herrn des Donners vom Himmel herunterfliegen. Wangs Mutter erschrak, schüttete eiligst den Nachttopf auf den Kommenden und beschmutzte ihn mit Mist und Harn. Es war dem Herrn des Donners, als ob er mit einem Messer verletzt worden wäre. Aber er konnte nicht wegfliegen, warf sich hin und her und schrie wie ein Stier. In diesem Moment drängten sich die Wolken herunter bis ans Dach; im Chor mit dem Schrei des Herrn des Donners gaben die Wolken gewaltige Töne von sich, die so klangen, wie Pferde schreien. Darauf goß es in Strömen. Der Regen reinigte den Herrn des Donners, er wandelte sich in einen Donnerschlag und rannte davon. (LZZY.0.814)

7. Die Riesen Li Xiaolian begegnete sieben Leuten, die alle Narben an den Wangen hatten. Li wunderte sich darüber und fragte, woher sie die Narben hatten. Darauf erzählten ihm die Leute ihre Erlebnisse. Im vorigen Jahr reisten diese sieben Leute nach Yünan. In der Abenddämmerung verloren sie den Weg an einem Berg mit hohen Felsen und tiefen Schluchten, aus denen sie keinen Ausweg fanden. In einem Tal war ein großer Baum, dessen Zweige sich mehrere Chi streckten, zusammen bildeten sie einen großen Schatten von einigen Mu. 3 Es blieb den Reisenden nichts anderes übrig, als ihre Pferde an einen Baumstamm zu binden, ihr Gepäck von den Pferden abzuladen und sich unter den Baum zu legen. Auf diese Weise wollten sie übernachten. In der Nacht hörten sie Wild schreien und konnten vor Furcht nicht einschlafen. Sie hielten sich eingerollt und lagen dicht nebeneinander.

»Mu« ist eine Flächeneinheit. Ein »Mu« gleicht 1/15 Hektar.

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Plötzlich tauchte ein Riese auf, der mehrere Zhang groß war. 4 Er näherte sich den Pferden, hielt sie mit seinen übergroßen Händen fest und verschlang sie eins nach dem anderen. Dann brach der Riese einen Zweig ab, durchbohrte die Wangen aller Reisenden und zog sie so zusammen wie Fische auf eine Schnur. Darauf hängte er sie zwischen zwei Zweige und ging davon. ( . . . ) Die Reisenden zogen schnell ihre Schwerter heraus, zerschnitten die Zweige, befreiten sich und rannten davon. Kaum waren sie ein paar Schritte weggelaufen, sahen sie den Riesen wiederkommen. Ihm folgte ein anderer, der noch größer war. Die beiden Riesen suchten unter dem Baum vergeblich die Gefangenen, wurden dann zornig und begannen zu schreien, wie riesige

Vögel schreien.

Der größere gab dem kleineren eine Ohrfeige,

der sich hündisch schlagen ließ. Nach einer Weile gingen die beiden Riesen weg. Nun ergriffen die Reisenden sofort die Flucht. (LZZY.0.870)

8. Das

Oger-Reich

In Annam lebte ein Mann namens Sü, der fuhr als Kaufmann über das Meer. Plötzlich wurde er von einem großen Sturme an eine ferne Küste verschlagen. Zerklüftete Berge erhoben sich, von üppigem Grün bewachsen. Doch sah er auf dem Lande etwas, das Menschenwohnungen glich. So nahm er denn Wegzehrung zu sich und stieg ans Ufer. Kaum war er ins Gebirge eingetreten, so sah er auf beiden Seiten die Öffnungen von Höhlen, dicht gereiht wie Bienenkörbe.

Er blieb stehen und sah in

eines der Löcher hinein. Da waren zwei Oger darin, die hatten Zähne wie Speere. Ihre Augen glichen feurigen Lampen. Mit den Krallen zerrissen sie einen rohen Hirsch und fraßen ihn auf. Er erschrak bei diesem Anblick aufs äußerste und wollte entfliehen; aber die Oger hatten ihn schon erblickt, fingen ihn ein und nahmen ihn mit sich in ihre Höhle. (LZZY.M.217) Die beiden

Wesen redeten miteinander

wie

Vögel zwitschern und Wildtiere schreien. (LZZY.R.217)5 9. Der verrückte Taoist Es lebte in einem Kloster im Meng Berg ein verrückter Taoist. Er war sehr launisch. Er konnte plötzlich zornig oder froh sein. Man kam mit ihm nie zurecht. Manchmal sah man, daß er Steine kochte, um sie zu essen. An einem Chong-Yang Fest (dem 9. Tag des 9. Monats nach dem chinesischen Mondkalender) machte ein hoher Beamter einen Ausflug in die Berge. Er ließ seine Leute Wein mitnehmen. Aber alle Gefäße waren verschlossen. Nach einem reichlichen Picknick gingen sie weiter. Als sie an dem Kloster vorbeikamen, kam der Taoist heraus. Er zeigte den Reisenden einen gelben Dekkel, dann klopfte er daran und machte provozierende Laute. Der Beamte fühlte sich beleidigt und ließ seine Leute auf den Taoisten schimpfen. Der Taoist aber lachte vor sich hin, wandte sich zum Gehen um, ließ dabei den gelben Deckel auf den Boden fallen, der in viele

4 5

»Zhang« ist eine Längenmaßeinheit, ein »Zhang« beträgt 3 und 1/3 Meter. R. Wilhelm hat den letzten Satz so übersetzt: »Die beiden Wesen redeten miteinander in tierischen Lauten.« (LZZY.R.217) Das weicht vom Originaltext weit ab.

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Stücke zerbrach. Jedes Stück verwandelte sich gleich in einen Adler, der in den Himmel flog. Der Griff am Deckel verwandelte sich in einen riesigen Tigerpython, dessen Schuppen glänzten. Die Leute gerieten bei diesem Anblick in Panik. Bloß ein Reisender hatte keine Angst. Er beruhigte seine Reisegefährten, das seien Trugbilder, der Tigerpython könne ihnen gar nichts tun. Dann ging er auf den Tigerpython zu, um ihn zu töten. Aber auf einmal wurde er selbst vom Tigerpython verschlungen, worauf alle Leute von einer großen Furcht erfaßt wurden und hastig einige Li flohen. 6 Nach einer Weile kamen einige Leute, vom Beamten geschickt, wieder zum Kloster, um nach dem Python Ausschau zu halten. Aber sie konnten ihn nicht finden. Als sie im Begriff waren, zurückzukommen, hörten sie in der Nähe in einem japanischen Schnurbaum etwas atmen, so heftig, wie ein Esel atmet. Nach einem anfanglichen Zögern kamen sie in die Nähe des Baums und entdeckten, daß der Baum hohl war und der Mann, der vom Tigerpython verschlungen worden war, darin auf den Kopf gestellt stand. Um ihn herauszuholen, mußte man den Baum zersägen, weil das Loch zu klein war. Als der Baum zersägt worden war, fand man aber, daß der Mann darin schon gestorben war. Der Taoist und der Tigerpython waren ebenso spurlos verschwunden. (LZZY.0.960)

10. Ein treuer Hund Ein Mann verkaufte all seinen Besitz und sammelte damit Bußgeld für seinen Vater, der im Gefängnis sterbend lag. Als er im Begriff waren, auf einem Maulesel in die Stadt zu reisen, folgte ihm sein schwarzer Hund und wollte seinen Aufbruch verhindern. Der Mann schrie dem Hund zu und ließ ihn zurückbleiben. Der Hund wich von ihm, folgte ihm aber wieder, als er losritt. Er folgte seinem Herrn hartnäckig Dutzende Li und ließ sich nicht wegjagen, auch wenn ihn sein Herr mit einer Peitsche schlug. Der Mann verlor endlich die Geduld. Er stieg ab und bewarf den Hund mit Steinen, um ihn nach Hause zu schicken. Aber kaum war er wieder aufgestiegen, kam der Hund wieder. Er biß den Maulesel in den Schwanz und in die Beine und wollte dadurch das Weiterreiten verhindern. Das ärgerte den Mann, er schlug den Hund hart mit der Peitsche, worauf der Hund heftig bellte, sich aber dann vor den Kopf des Maulesels stellte, um die Stellung zu halten. Der Mann deutete diese Handlungen des Hundes als Zeichen eines Unglücks und wurde so wütend auf den Hund, daß er ihn mit aller Gewalt weit verjagte, sich dann schnell umwandte und eiligst in die Stadt ritt. Auf diese Weise wurde er den Hund los. Als er am Abend in der Stadt eintraf, fand er aber, daß sein Geld zur Hälfte verloren gegangen war. Es war ihm, als hätte er den Verstand verloren, Schweiß lief ihm über das Gesicht. Die ganze Nacht wälzte er sich schlaflos herum. Plötzlich fiel ihm ein, daß die Hartnäckigkeit seines Hundes mit dem Geldverlust zu tun gehabt hatte. So ritt er auf demselben Weg zurück, suchte an den beiden Seiten der Straße, in der Hoffnung, das Geld wieder zu finden. Als er aber sah, daß so viele Passanten wie Ameisen hin- und hergingen, hätte er beinahe die Hoffnung aufgegeben. An der Stelle, wo er den Hund weggejagt hatte, entdeckte er unerwartet, daß sein Hund,

»Li« ist ein Längenmaß, gleicht 1/2 Km.

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schweißgebadet, im Gras tot lag. Mit seinen Pfoten hielt er das vom Mann verlorene Geld fest. Der Mann war von dieser Treue zutiefst gerührt. Er besorgte einen Sarg und begrub den Hund wie einen intimen Freund. Das Grab wurde bezeichnet als Grab eines treuen Hundes. (LZZY.O.666-667)

11. Xiang Gao (Xiang Gaos Bruder wurde von einem Mann namens Zhang totgeschlagen. Xiang Gao wurde von Haß und Kummer ergriffen. Er klagte Zhang an, aber der Prozeß führte zu keiner Verurteilung, da Zhang alle Beamten bestochen hatte. Xiang Gao blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, Zhang meuchlings zu ermorden. Er lauerte täglich am Weg, den Zhang zu gehen pflegte, dennoch hatte er aber keine Chance. Denn Zhang erfuhr von Xiang Gaos Absicht. So traf er sorgfältige Schutzmaßnahmen, kaufte sich aus Fengzhou einen Leibwächter, der besonders gut im Schießen und besonders kämpferisch war.) Xiang Gao kam zwar nie in die Nähe von Zhang, aber er ließ in der Mühe nicht nach. Eines Tages hatte er sich auf die Lauer gelegt, da wurde er von einem Gewitter getroffen. Es kam dann zu einem starken Hagel und heftigen Wind. Xiang Gao wurde durchnäßt und fror übermäßig; er empfand am ganzen Körper Schmerz und Jucken. So ging er mühsam in ein Kloster auf dem Berg, um sich auszuruhen. In der Vorhalle des Klosters traf er den Taoisten, den er gut kannte. Der Taoist hatte früher in Xiang Gaos Dorf gebettelt und von Xiang Gao Essen spendiert bekommen. Der Taoist gab Xiang Gao Kleider zum Wechseln. Aber in trocknen Kleidern war Xiang Gao immer noch kalt. So saß er da wie ein hockender Hund. Xiang Gao blickte sich an und fand, daß ihm bereits Haare und Leder aufgewachsen waren, er war also in einen Tiger verwandelt worden. Nun wurde Xiang Gao böse auf den Taoisten, konnte ihn aber nicht mehr finden. Plötzlich kam er auf die Idee, als Tiger seinen Intimfeind zu fressen. So begab er sich sofort zu der Stelle, wo er zu lauern pflegte. Dort sah er aber die eigene Leiche liegen. Da wußte er gleich, daß er als Mensch schon gestorben war. Er stand Wache, damit die Leiche nicht von Vögeln gefressen wurde. Am nächsten Tag kam Zhang an der Stelle vorbei. Der Tiger stürzte ihn vom Pferde, biß ihm den Kopf ab und verschlang ihn. Zhangs Leibwächter schoß eiligst auf den Tiger und traf ihn in den Bauch. Der Tiger brach zusammen und starb. Im Busch kam Xiang Gao zu sich. Es war ihm, als sei er aus einem Traum aufgewacht. ( . . . ) Erst am nächsten Morgen konnte er mühsam nach Hause gehen. Seine Familie, besorgt über sein Wegbleiben, freute sich über seine Rückkehr aufs äußerste. Xiang Gao konnte kaum sprechen, wollte nur im Bett liegen. Nach einer Weile kam die Nachricht über den Tod Zhangs, worüber man sehr erfreut war. Darauf sagte Xiang Gao vor sich hin: »Der Tiger war ich.« Nun erzählte er der Familie die ganze Geschichte. (LZZY.0.833)

12. Liang Yian Liang Yian aus Xü Zhou litt an der Krankheit, unaufhörlich niesen zu müssen. Man versuchte mit allen Mitteln vergeblich, diese Krankheit zu heilen.

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Als Liang Yian sich eines Tages hinlegte, juckte es ihn stark an der Nase, so daß er stark niesen mußte. Plötzlich kam etwas aus seiner Nase heraus und fiel auf den Boden. Es war ein merkwürdiges Ding, glich einem Männchen auf einem Hausdach. 7 Es war so groß wie ein Daumen. Liang Yian nieste noch einmal, und wiederum kam ein ähnliches Männchen heraus. Nachdem er viermal geniest hatte, hatte er vier solche Männchen vor sich. Diese vier Männchen krochen langsam herum und rochen an sich. Plötzlich verschlang das größte Männchen eines seiner Artgenossen und wuchs auf einmal auf. Dann schluckte es einen zweiten Artgenossen herunter, wurde darauf wieder schlagartig größer. Als es den letzten Artgenossen verschlungen hatte, war es schon so groß wie ein Maul wurf geworden. Nun begann es, sich den ganzen Körper zu lecken. Diese Szene machte Liang Yian eine Gänsehaut, er wollte das Männchen vernichten und trat auf das Männchen. Das Männchen entkam aber dem Angriff, kletterte an Liang Yians Strumpf empor und blieb auf seinem Oberschenkel stehen. Liang Yian faßte es unter der Hose, konnte es aber nicht entfernen. Das Männchen kroch weiter bis zu seinem Kreuz, was Liang Yian so erschreckte, daß er sich schnell auszog, um das Männchen zu beseitigen. Aber es war schon zu spät: das Männchen klebte schon auf seinem Kreuz fest. Sein Mund und seine Augen waren ganz zu. Sein ganzer Körper hatte sich in einen Schorf verwandelt, der wie eine liegende Maus auf der Lauer aussah. (LZZY.0.716)

13. Die Froschprinzessin Die Froschprinzessin schimpfte mit ihrem Mann: »Seit ich in eurem Hause bin, haben eure Felder mehr Ertrag gegeben und beim Verkauf habt ihr höheren Preis erhalten. Das ist doch nicht wenig. Nun, da aber bei euch alt und jung in der Wolle sitzt und sich herausgefüttert hat, machst du es wie die junge Eule, die ihrer Mutter die Augen aushackt, wenn sie flügge geworden (ist).« (LZZY.R.320)

14. Pao Chu Unter seinen Kriegern befand sich einer namens Pao-Chu, der kräftig und gewandt war wie ein Affe. Als einst in der Hauptstadt ein hoher Turm erbaut werden sollte und das Gerüst dazu gerade errichtet worden war, kletterte (Pao)-Chu an den äußersten Ecken des Turms empor und war im Nu oben auf der Spitze. Da stand er mitten auf dem Dachfirst, lief drei-, viermal eiligst hin und her und dann mit einem Satz sprang er herunter und stand wieder aufrecht da. (... ) Pao-Chu aber sprang auf einen der Bäume; unter der Mauer standen nämlich seit alters über dreißig große Sophorabäume. Und er schwang sich von einem Wipfel zum anderen, wie ein Vogel von Zweig zu Zweig; als er am Ende der Bäume angekommen war, sprang er auf das Dach des Hauses und von da auf den Turm. (LZZY.S.110-112)

Es war üblich, Hausdächer mit Figürchen zu schmücken. Sie sind den Gartenzwergen vergleichbar.

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15. Bekämpfimg einer Füchsin Es war einmal ein Mann, der für die Wollust des Geschlechtsverkehrs schwärmte. Er sagte jedoch immer, er habe keine solche Wollust genossen. Eines Nachts kam ein Fuchsmädchen durch die Wand in sein Zimmer. Der Mann wußte zwar, daß das eine Füchsin war und gab sich trotzdem der Leidenschaft mit ihr hin. Dabei benahm er sich so grob, daß das Fuchsmädchen große Schmerzen zugefügt bekam und durchs Fenster entfloh, wie ein Adler aus der Fessel entkommt. Der Mann rief dem Fuchsmädchen nach, es solle zurückkommen. Aber es war schon verschwunden. (LZZY.0.308)

16. Der Weinwurm Es lebte in Changshan ein Mann namens Liu, der dick und alkoholsüchtig war. Er konnte allein einen ganzen Krug Wein austrinken. Er besaß dreihundert Mu Felder, die zwar nicht sorgfältig bearbeitet waren, ihm jedoch reichliche Erträge brachten. Das Weintrinken machte Liu also nicht arm. Eines Tages sah ihn ein Mönch, der in ihm einen Weinwurm entdeckte. Das wollte ihm Liu am Anfang nicht glauben. Nun fragte ihn der Mönch: »Sie trinken immer viel, ohne aber betrunken zu werden, stimmt das?« »Ja, das stimmt«, antwortete Liu. Darauf sagte der Mönch: »Das liegt am Weinwurm, der sich in Ihnen versteckt.« Liu war erstaunt und bat den Mönch um Hilfe. ( . . . ) Der Mönch ließ Liu in der Sonne liegen, fesselte ihn an den Händen und Füßen, damit Liu sich nicht bewegen konnte. Etwa ein halbes Chi von Lius Kopf hatte der Mönch einen Krug Wein liegen, dessen Duft ihm in die Nase kam. Nach einer Weile bekam Liu solchen großen Durst, daß er den Wein begehrte, konnte ihn aber nicht erreichen. So juckte es ihn stark am Hals; plötzlich kam etwas aus seinem Hals heraus und fiel direkt in den Wein. Liu warf schnell einen Blick in den Weinkrug: es war ein rotes Fleischstück, etwa drei Zentimeter lang. Es schwamm im Wein wie ein Fisch im Wasser. Der Weinwurm hatte auch Augen und Mund. Liu wunderte sich sehr. Er wollte dem Mönch mit gutem Geld danken. Der Mönch aber wollte das nicht annehmen. Stattdessen bat er um den Weinwurm. Auf Lius Frage »Wozu« antwortete er: »Das ist die Essenz des Weins. Wenn man ihn in einen Krug Wasser wirft und rührt, bekommt man den besten Wein.« Liu ließ sich das zeigen, und das bewahrheitete sich. So verschenkte er diesen Weinwurm. Seitdem hegte er zwar Ekel gegen den Alkohol, magerte aber von Tag zu Tag ab. Auch wurde er immer ärmer. Nach einiger Zeit konnte er sich nicht mehr selbst ernähren. (LZZY.0.607)

17. Eine Geschichte über einen Wolf Ein Schlachter ging vom Markt nach Hause. Es wurde dunkel. In der Dämmerung begegnete er einem Wolf, der in der Traglast des Schlachters Fleisch vermutete. So begehrte er das Fleisch und wollte von dem Schlachter nicht ablassen. Er verfolgte ihn in bestimmter Distanz und ließ sich nicht verjagen. Auf diese Weise gingen beide, der Schlachter und der Wolf, ein paar Li weit.

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Dem Schlachter wurde allmählich ängstlich zumute. Nun kam er auf die Idee, den Wolf dadurch loszuwerden, daß er das Fleisch an einen hohen Baum hing, da der Wolf letztendlich doch nur das Fleisch haben wollte. So hängte er das Fleischstück auf einen Haken an einen Baum. Der Wolf blieb tatsächlich unter dem Baum stehen und versuchte das Fleisch zu erreichen. Dabei vergaß er den Schlachter. Nach einer Weile kam der Schlachter zu dem Baum zurück, um das Fleisch zu holen, weil er vermutete, daß der Wolf schon aufgegeben hatte und weggegangen war. In der Entfernung sah er aber etwas wie eine Leiche am Baum hängen. Er ging näher heran und stellte fest, daß das der Wolf war. Der Wolf hatte offensichtlich auf den Haken gebissen wie ein Fisch auf den Köder beißt und dabei den Tod gefunden. Damals war ein Wolfpelz ziemlich teuer und so kam der Schlachter zu einem kleinen Reichtum. (LZZY.0.795)

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Literaturverzeichnis

Primärliteratur Die Werke von Pu Songling: Abendrot Bai Lianjiao Bai Qiulian Bao Chu Bekämpfung einer Füchsin Das Fuchsmädchen Das Land im Meer Das Mädchen mit einem grünen Kleid Das Oger-Reich Der kleine Jagdhund Der langsame Tod Der Lohn der guten Tat Der Scherz der Füchsin Der Tiger von Chao-Cheng Der Traum der Füchse Der verrückte Taoist Der Weinwurm Die Brüder aus der Familie Ban Die Froschprinzessin Die Füchsin Die Kampfgrille Die Krähen Die Riesen Die Schwestern Die Seelenwanderung Die Sucht nach Schlangen

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Die Sucht nach Tauben Die Treue einer Maus Die Treue eines Hundes Ein Säufer Ein treuer Hund Eine bemalte Haut Eine Geschichte über einen Wolf Geister im Wohnhaus Gespräch der Männchen in Augen Herr des Donners Herr Fux Hua Gutzi Katze Lian Suo Liang Yian Männchen im Ohr Prinzessin Lotos Shang Xian Schlangenzüchter Wang Tsian Xiang Gao Ying Ning, ein lachendes Mädchen

Die Werke von Franz Kafka: Amerika Blumfeld, ein älterer Junggeselle Briefe an Milena Das Gassenfenster Das Schloß Der Bau Der Geier Der Jäger Gracchus Der Nachbar Der neue Advokat Der Prozeß

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Die Verwandlung Ein altes Blatt Ein Bericht ßr eine Akademie Ein

Hungerkünstler

Ein Landarzt Ein Traum Eine Kreuzung Forschungen eines Hundes Hochzeitsvorbereitungen

auf dem Lande

In der Strafkolonie Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse Kleine Fabel Schakale und Araber Tagebücher

1910-1923

Wunsch, Indianer zu werden

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